Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, am 26. April 1976 hat der Abgeordnete Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller seinen 73. Geburtstag gefeiert. Ich möchte ihm nachträglich herzliche Glückwünsche aussprechen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 9 der Tagesordnung abgesetzt werden. Das Haus ist damit einverstanden? — Dann ist so be-beschlossen.Ebenfalls nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen in der nächsten Woche mit Rücksicht auf die Haushaltsberatungen keine Fragestunden stattfinden. Da hiermit von der Geschäftsordnung abgewichen wird, muß dies vom Bundestag gemäß § 127 der Geschäftsordnung mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder beschlossen werden. Ist das Haus damit einverstanden, daß wir in der nächsten Woche so verfahren? — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Im übrigen behält sich der Ältestenrat vor, trotz dieses Beschlusses eine Fragestunde vorzuschlagen, falls dringende Ereignisse das erforderlich machen.Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Annahme als Kind— Drucksache 7/3061 —Bericht und Antrag des Rechtsausschusses
— Drucksache 7/5087 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Schimschok Abgeordneter Dr. Stark (Erste Beratung 143. Sitzung)Wünschen die Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe Art. 1 Nr. 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/5125 unter den Ziffern I und II ein Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Schimschok, Dr. Stark und Engelhard vor. Ich schlage vor, die beiden Ziffern I und II gemeinsam zu behandeln und über sie gemeinsam abzustimmen. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. — Der Antrag wird nicht begründet. — Wer dem Änderungsantrag unter den Ziffern I und II auf Drucksache 7/5125 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Wer Art. 1 Nr. 1 in der soeben geänderten Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so angenommen.Ich rufe auf Art. 1 Nr. 2, Art. 2 bis 6 und Art. 7 Nr. 1. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so angenommen.Ich rufe Art. 7 Nr. 2 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/5125 unter Ziffer III ein Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Schimschok, Dr. Stark und Engelhard vor. — Dieser Antrag wird ebenfalls nicht begründet. — Das Wort wird gleichfalls nicht gewünscht. Wer diesem Änderungsantrag auf Drucksache 7/5125 unter III zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — So angenommen.Wer Art. 7 Nr. 2 in der soeben beschlossenen Fassung zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — So angenommen.Ich rufe auf Art. 7 Nummern 3 bis 8, Art. 8 bis 10 und Art. 11 Nummern 1 und 2. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so angenommen.Ich rufe Art. 11 Nr. 3 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/5125 unter Ziffer IV ein Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Schimschok, Dr. Stark und Engelhard vor. — Der Antrag wird ebenfalls nicht begründet. — Das Wort wird nicht
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16604 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976
Präsident Frau Rengergewünscht. Wer diesem Änderungsantrag unter IV in Drucksache 7/5125 zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so angenommen.Wer Art. 11 Nr. 3 in der soeben beschlossenen Fassung zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — So angenommen.Ich rufe Art. 11 Nummern 4 und 5 auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe Art. 12 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/5125 unter Ziffer V ein Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Schimschok, Dr. Stark und Engelhard vor. — Dieser Antrag wird nicht begründet. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 7/5125 unter V zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist angenommen.Wer Art. 12 in der soeben beschlossenen Fassung zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? So angenommen.Wir müssen dann noch über Einleitung und Überschrift abstimmen. Wer Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Somit ist das Gesetz in zweiter Beratung angenommen.Meine Damen und Herren, wir kommen zurdritten Beratung.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schimschok.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das geltende Adoptionsrecht wird dem heutigen Verständnis von der Annahme eines Kindes nicht mehr gerecht. Wunsch der Adoptiveltern ist, das angenommene Kind als ihr leibliches Kind zu betrachten und dementsprechend lieben zu können. Das geltende Gesetz zur Annahme an Kindes Statt diente vor allem den Interessen der Annehmenden. So hieß es in seiner Begründung:Die Annahme ist namentlich für wohlhabende, edeldenkende Personen, welche in kinderloser Ehe leben, ein erwünschtes Mittel, diesen Mangel zu ersetzen.Das angenommene Kind sollte praktisch eine Ersatzfunktion haben.Ein weiteres Motiv war, daß die Annahme eines Kindes ein tiefempfundenes geistiges Bedürfnis der Adoptiveltern befriedigen und das Glück ihrer Ehe festigen könne.Das zur Verabschiedung anstehende Gesetz zur Annahme als Kind soll primär dem Wohle des Kindes dienen. Es soll nach diesem Gesetz zur Volladoption minderjähriger Kinder kommen. Dies kommt schon in der Bezeichnung des Gesetzes zum Ausdruck; es heißt jetzt „Annahme als Kind", nicht wiebisher „Annahme an Kindes Statt". Das Kind soll nicht nur mit dem Annehmenden verwandt werden, sondern voll in die Familie integriert werden. Es wird mit allen Verwandten des Annehmenden verwandt. Dies ist gerechtfertigt, weil es zukünftig durch die Annahme eines Kindes, sofern es sich nicht um Verwandtenadoption handelt, zur völligen Aufhebung der verwandtschaftlichen Beziehungen zur Herkunftsfamilie kommen wird.In der Öffentlichkeit hat man kein Verständnis dafür, daß sich leibliche Eltern auf die Unterhaltspflicht eines Kindes berufen können, das sie zur Adoption freigegeben und um das sie sich nie gekümmert haben. Das gleiche gilt für das Erbrecht. So können nach dem geltenden Recht die leiblichen Eltern das Kind vor den Adoptiveltern, denen das Kind in den meisten Fällen sein Vermögen zu verdanken hat, beerben. Die leiblichen Eltern verlieren zur Zeit lediglich die elterliche Gewalt und das Recht, mit dem Kinde persönlich zu verkehren.Durch das Gesetz zur Annahme als Kind werden mit der Annahme das Verwandschaftsverhältnis des Kindes zu seinen bisherigen Verwandten und die sich aus ihm ergebenden Rechte und Pflichten erlöschen. Diese werden mit allen Konsequenzen auf die Annehmenden übertragen. Das neu entstehende Eltern-Kind-Verhältnis soll nicht durch leibliche Verwandte gestört werden können. Eine Annahme als Kind ist nur zulässig — ich betone es noch einmal —, wenn sie dem Wohle des Kindes dient und zu erwarten ist, daß zwischen dem Annehmenden und dem Kind ein echtes Eltern-Kind-Verhältnis entsteht.In der Regel wird es so sein, daß ein Kind als gemeinschaftliches Kind von einem Ehepaar angenommen wird. In diesem Fall muß ein Ehegatte das 25. Lebensjahr und der andere das 21. Lebensjahr vollendet haben. Wer als Alleinstehender ein Kind annehmen will, muß mindestens 25 Jahre alt sein. Das 21. Lebensjahr muß vollendet haben, wer sein nichteheliches Kind annehmen will. Eine Koppelung an das Volljährigkeitsalter ist nicht sinnvoll, da ein 18jähriger Mensch die Konsequenzen der Volladoption eines Kindes vielfach nicht übersehen kann. Eine junge, nichteheliche Mutter dürfte leicht geneigt sein, eine so schwerwiegende Entscheidung nicht genügend zu durchdenken, sondern sich von Emotionen leiten zu lassen. Mit der Annahme durch einen Elternteil verliert das Kind nämlich sämtliche Rechte gegenüber dem anderen Elternteil. So verliert es, wenn es von seiner Mutter adoptiert wird, u. a. das Unterhaltsrecht und Erbrecht gegenüber seinem nichtehelichen Vater. Nicht zuletzt kann es auch im Interesse des Kindes liegen, wenn sich nicht nur die Mutter, sondern auch der nichteheliche Vater für sein Wohlergehen verantwortlich fühlt.Der Annahme als Kind soll in der Regel eine angemessene Pflegezeit vorangehen, angemessen insofern, weil sie bei einem gesunden Säugling kürzer als bei einem geschädigten Kind sein kann. In Anbetracht dessen, daß das Annahmeverhältnis grundsätzlich nicht aufgehoben werden kann, ist die Pflegezeit von großer Bedeutung. Besonders wichtig ist sie wegen milieugeschädigter Kinder und we-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976 16605
Frau Schimschokgen der Kinder in Heimen. Ohne Pflegezeit dürften wohl kaum Adoptiveltern bereit sein, diese Kinder, die eine liebevolle Aufnahme in eine geordnete Familie besonders nötig haben, zu adoptieren, weil ihnen das Risiko zu groß erscheint.Zur Annahme eines minderjährigen Kindes ist die Einwilligung des Kindes erforderlich. Wenn es noch keine 14 Jahre alt oder geschäftsunfähig ist, kann nur sein gesetzlicher Vertreter die Einwilligung erteilen. Im übrigen erteilt es die Einwilligung selbst. Allerdings bedarf sie der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Das Kind kann, wenn es das 14. Lebensjahr vollendet hat, die Einwilligung bis zum Wirksamwerden des Ausspruches der Annahme widerrufen. Weitergehend als die Bundesregierung beschloß der Rechtsausschuß, daß der Widerruf nicht nur schriftlich dem Vormundschaftsgericht gegenüber erfolgen soll, sondern darüber hinaus noch öffentlich beglaubigt werden soll. Durch die öffentliche Beurkundung der Widerrufserklärung, die in der Regel beim Jugendamt erfolgt, kann das Kind von Menschen, zu denen es bereits Kontakt hat, beraten und so vor unüberlegten Schritten infolge einer momentanen Verärgerung bewahrt werden.Zur Annahme eines ehelichen Kindes ist die Einwilligung der Eltern und zur Annahme eines nichtehelichen Kindes die Einwilligung der Mutter erforderlich. Die Annahme eines nichtehelichen Kindes durch Dritte ist nicht auszusprechen, wenn der nichteheliche Vater die Ehelicherklärung oder die Annahme des Kindes beantragt hat. Den Vorschlag des Bundesrats, dem nichtehelichen Vater diese Möglichkeit nur innerhalb von drei Monaten nach der Geburt des Kindes zu geben, hat der Rechtsausschuß nicht aufgegriffen. Durch das Gesetz über die rechtliche Stellung des nichtehelichen Kindes vom 19. August 1969 wurde die rechtliche Stellung des nichtehelichen Vaters vor allem im Interesse des Kindes wesentlich verbessert. Käme es nun zu einer Begrenzung auf drei Monate, so könnte nach Ablauf dieser Frist der nichteheliche Vater die Ehelicherklärung oder die Annahme als Kind nicht mehr beantragen. Das könnte sich unter Umständen auch für das Kind nachteilig auswirken. Allerdings hat der nichteheliche Vater nicht das Recht, seine Einwilligung zur Annahme des Kindes zu geben, weil es hierdurch zu einer Verfahrensverzögerung zum Schaden des Kindes kommen kann.Die Einwilligung zur Annahme eines Kindes darf erst erteilt werden, wenn das Kind acht Wochen alt ist. Im Regierungsentwurf war eine Frist von sechs Wochen vorgesehen. Der Rechtsausschuß sah wohl die Gefahren für einen Säugling, wenn er zu lange in einem Heim ist. Diese Gefahren zu vermeiden, dürfte eine Frage der Organisation der Adoptionsvermittlungsstellen, insbesondere der Jugendämter, sein. Wenn sich abzeichnet, daß eine Mutter ihr Kind zur Annahme freigeben wird, können Vorbereitungen zur Adoption schon vor der Einwilligung der Mutter getroffen werden.Eine Schutzfrist für die Eltern, insbesondere für Mütter nichtehelicher Kinder, hält der Rechtsausschuß für dringend erforderlich.
Eine junge nichteheliche Mutter ist kurz nach der Geburt ihres Kindes oft nicht in der Lage, eine gut durchdachte Entscheidung über ihr eigenes Schicksal und über das Schicksal ihres Kindes zu treffen. Sie ist häufig starken Belastungen oder sogar einem Druck ihrer Eltern, das Kind zur Adoption zu geben, ausgesetzt. In der Praxis zeigt sich nicht selten, daß Mütter, die ursprünglich die Einwilligung zur Annahme ihres Kindes erteilen wollten, in der zweiten Hälfte des ersten Quartals nach der Geburt ihres Kindes zum Jugendamt kommen, weil sie ihre Entscheidung durchdacht haben. Sie sagen: Ich muß mein Kind behalten; ich finde keine Ruhe. Oder: Ich darf mein Kind mit nach Hause bringen, da die Eltern inzwischen begriffen haben, daß dieses Kind auch ihr Enkelkind ist.Dementsprechend wird es keine pränatale Einwilligung geben. In einer Konfliktsituation, von der die Schwangere oftmals nicht weiß, wie sie sie meistern soll, kann man eine derart schwerwiegende Entscheidung nicht treffen lassen. Wenn Befürworter der pränatalen Einwilligung sagen, sie könne einige Wochen nach der Geburt des Kindes zurückgenommen werden, dann erwidere ich: Man kann mit der Einwilligung bis einige Wochen nach der Geburt des Kindes warten, um das Eltern-Kind-Verhältnis nicht für alle Zeiten zu belasten.Wenngleich bei der Annahme eines Kindes die verwandtschaftlichen Beziehungen des Kindes zur Herkunftsfamilie grundsätzlich gelöst werden, so soll dieses Prinzip durchbrochen werden, wenn ein Ehegatte das eheliche Kind des Ehegatten annimmt, dessen frühere Ehe durch Tod aufgelöst worden ist. Für die Großeltern dieses Kindes wäre es eine nicht zu verantwortende Härte, wenn sie nach dem Verlust ihres Kindes nun durch Adoption auch noch ihr Enkelkind verlieren würden.Mit der Einwilligung eines Elternteils in die Annahme ruht dessen elterliche Gewalt. Die Befugnis, mit dem Kind zu verkehren, darf nicht ausgeübt werden. Das Jugendamt wird in dem Fall Vormund, wo die elterliche Gewalt nicht vom anderen Elternteil ausgeübt wird oder nicht schon ein Vormund bestellt ist.Ist das Kind vom Annehmenden mit dem Ziel der Annahme in Obhut genommen worden, so ist der Annehmende vor den Verwandten des Kindes zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet. Der Annehmende soll sich schon während der Pflegezeit der Konsequenzen der Annahme auch in wirtschaftlicher Hinsicht bewußt werden. Die Unterhaltspflicht der leiblichen Eltern und der anderen Verwandten erlischt während der Pflegezeit nicht. Sie tritt lediglich hinter die Unterhaltspflicht der Annehmenden zurück und kann jederzeit aktualisiert werden, wenn das Pflegeverhältnis endet, ohne daß es zur Annahme kommt.Ansprüche des Kindes auf Rente, Waisengeld und andere entsprechende Leistungen, die bis zur Annahme entstanden sind, werden durch die Annahme nicht berührt. Diese Leistungen werden anders als die Unterhaltsbeiträge der leiblichen Verwandten während der Pflegezeit weiter gezahlt. Würden sie nach der Annahme fortfallen, wäre zu
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16606 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976
Frau Schimschokbefürchten, daß es statt zu einer Adoption zu einem permanenten Pflegeverhältnis mit all seinen Unsicherheiten für das Kind kommen könnte.Das angenommene Kind erhält den Familiennamen des Annehmenden. Eine Änderung des Vornamens des Kindes darf nur erfolgen, wenn sie aus schwerwiegenden Gründen zum Wohle des Kindes erforderlich ist. Der Rechtsausschuß hat davon abgesehen eine Altersgrenze einzusetzen, von der an eine Einwilligung des Kindes zur Änderung seines Vornamens erforderlich ist. Eine Änderung des Vornamens bedarf in jedem Falle der Einwilligung des Kindes. Bei einem noch nicht 14 Jahre alten oder geschäftsunfähigen Kind erteilt sie der gesetzliche Vertreter. Dies wird in der Regel das Jugendamt sein. In Abweichung vom Regierungsentwurf beschloß der Rechtsausschuß, die Worte „aus schwerwiegenden Gründen" in den § 1757 BGB einzufügen. Zu berücksichtigen ist, daß, je jünger ein Kind ist, desto schädlicher sich eine Änderung seines Vornamens auswirken kann, weil es sich in der frühkindlichen Phase weit mehr als später mit seinem Vornamen identifiziert. Das kleine Kind spricht von sich selbst und anderen mit dem Vornamen, ehe es „ich" und „du" anwendet.Neben der Volladoption Minderjähriger wird weiter die Adoption Volljähriger möglich sein, wenn sie sittlich gerechtfertigt und zu erwarten ist, daß ein Eltern-Kind-Verhältnis entsteht. In der Bundesrepublik Deutschland werden jährlich etwa 1 500 Volljährige adoptiert. Diesem Bedürfnis haben wir bei der Gesetzgebung Rechnung zu tragen. Die Annahme eines Volljährigen darf nicht ausgesprochen werden, wenn Interessen der Kinder des Annehmenden oder des Anzunehmenden verletzt werden.Die Wirkungen der Adoption Volljähriger erstrecken sich nicht auf die Verwandten des Annehmenden, wie auch der Ehegatte des Angenommenen nicht mit dem Annehmenden verwandt wird. Sie ist eine Adoption minderen Rechts. Rechte und Pflichten aus dem Verwandtschaftsverhältnis des Angenommenen zur Herkunftsfamilie werden durch die Annahme nicht tangiert.Zur Volladoption Erwachsener soll es kommen können, wenn der Volljährige schon als minderjähriges Pflegekind bei dem Annehmenden war, des weiteren, wenn ein minderjähriger Bruder oder eine minderjährige Schwester von dem Annehmenden als Kind angenommen worden ist oder gleichzeitig angenommen wird.Eine Aufhebung des Adoptionsverhältnisses soll grundsätzlich nicht möglich sein, es sei denn, daß erforderliche Bedingungen bei dem Ausspruch der Annahme nicht beachtet worden sind, z. B. wenn die erforderliche Einwilligung des Kindes oder eines Elternteils fehlt, wenn die Annahme ohne Antrag des Annehmenden ausgesprochen wurde oder sich der Erklärende im Zeitpunkt der Erklärung im Zustand der Bewußtlosigkeit oder geistigen Störung befand. Bei gewissenhafter Arbeit der Adoptionsvermittlungsstellen dürften diese Gründe für die Aufhebung eines Annahmeverhältnisses weitgehend gegenstandslos sein.Der Antrag auf Aufhebung des Annahmeverhältnisses kann nur innerhalb eines Jahres nach Feststellung des Irrtums des Erklärenden oder nach Wegfall der anderen Gründe gestellt werden, wenn seit der Annahme keine drei Jahre verstrichen sind. Innerhalb von drei Jahren dürfte ein Kind so weit in die Familie des Annehmenden integriert sein, daß eine Herausnahme in der Regel nicht ohne schädliche Folgen für das Kind sein wird.Das Annahmeverhältnis darf während der Minderjährigkeit vom Vormundschaftsgericht nur aufgehoben werden, wenn dies aus schwerwiegenden Gründen zum Wohle des Kindes erforderlich ist. Es kann dazu kommen, wenn ein leiblicher Elternteil bereit ist, Pflege und Erziehung des Kindes zu übernehmen. Auch wenn das Kind von einem Ehepaar aufgenommen wurde, kann das Annahmeverhältnis zu einem Ehegatten aufgehoben werden, sofern der andere gewillt ist, das Kind zu pflegen und zu erziehen. Beides wird nur möglich sein, wenn die Ausübung der elterlichen Gewalt durch ihn dem Wohle des Kindes nicht widerspricht. Des weiteren darf das Annahmeverhältnis aufgehoben werden, wenn die Aufhebung eine erneute Annahme des Kindes ermöglichen soll. Andernfalls müssen, wie auch bei leiblichen Kindern, Maßnahmen nach § 1666 BGB ergriffen werden.Eine Aufhebung der Annahme wird es im alleinigen Interesse des Annehmenden nicht geben. Auch von Adoptiveltern muß man erwarten können, daß sie wie leibliche Eltern zu ihrem Kind stehen, wenn Konflikte auftreten. Auch diese können sich nicht von ihrem Kind lossagen, wenn seine Entwicklung nicht ihren Wünschen und Vorstellungen entspricht. Das Kind darf durch die Aufhebung des Annahmeverhältnisses nicht zu einem Niemandskind werden. Dies gilt für die Annahme Minderjähriger wie auch Volljähriger.Der Rechtsausschuß beschloß in Übereinstimmung mit dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit Mehrheit, daß der Erlaß des Adoptionsdekrets in Anbetracht der Volladoption dem Richter vorbehalten bleibt, weil die Wirkung der Adoption nach dem neuen Recht für alle Beteiligten weit größer ist als die des bisherigen Annahmevertrags, dessen Bestätigung dem Rechtspfleger obliegt.Ich möchte zum Schluß kommen und nur noch kurz auf die Übergangsvorschriften eingehen. Ist der nach dem Gesetz zur Annahme an Kindes Statt Angenommene im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes zur Annahme als Kind minderjährig, so werden bis zum 31. Dezember 1977 die bisher geltenden Vorschriften angewandt. Nach Ablauf dieser Frist finden die Vorschriften über die Annahme als Kind Anwendung, wenn nicht der Annehmende, das Kind, ein leiblicher Elternteil eines ehelichen Kindes oder die Mutter eines nichtehelichen Kindes erklärt, daß die Vorschriften dieses Gesetzes über die Annahme Minderjähriger nicht angewandt werden sollen. Wurde die Einwilligung eines Elternteils zur Annahme an Kindes Statt durch das Vormundschaftsgericht ersetzt, so hat dieser Elternteil nicht das Recht, die Erklärung abzugeben.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976 16607
Frau SchimschokDie Bundesregierung hatte im Entwurf eine Übergangszeit von drei Jahren vorgesehen. Der Rechtsausschuß hielt eine Frist von einem Jahr für ausreichend, zumal die meisten Adoptiveltern im Interesse der Sicherheit des Annahmeverhältnisses auf die Reform des Adoptionsrechts warten.Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß dieses Gesetz in Verbindung mit dem Adoptionsvermittlungsgesetz und der Vorab-Novelle vom 19. August 1973 dazu beiträgt, daß Kinder, die sonst ohne familiäre Bindung wären, in der Geborgenheit einer Familie leben können.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat Herr Abgeordnete Dr. Stark .
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Verabschiedung des Gesetzes über die Annahme als Kind erfüllt der Deutsche Bundestag zwar spät, aber immerhin noch in dieser Legislaturperiode, eine langjährige Forderung der CDU/CSU-Fraktion.Bereits im September 1971 hat meine Fraktion in der Drucksache VI/2591 einen umfassenden Antrag zur Neuregelung des Adoptionsrechts in diesem Hause eingebracht. Nachdem es im 6. Deutschen Bundestag bedauerlicherweise nicht mehr zu einer Verabschiedung einer Neuregelung des Adoptionsrechtes kam, hat die CDU/CSU-Fraktion im März des Jahres 1973 erneut einen Antrag zu einer umfassenden Neuregelung des Adoptionsrechts unter der Drucksache 7/328 vorgelegt.Nicht zuletzt auch auf Grund dieses unseres ständigen Drängens in dieser Frage hat die Bundesregierung schließlich im Januar 1975 einen Entwurf eines Gesetzes über die Annahme als Kind im Bundestag eingebracht. Das Gesetz in der nun vom Rechtsausschuß beschlossenen Form findet die volle Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion, weil es im wesentlichen die Anträge unserer Fraktion zur Reform des Adoptionsrechts berücksichtigt und sich im übrigen im Inhalt und in der Begründung wohltuend von anderen Vorlagen der Bundesregierung im Bereich des Kindschaftsrechts, wie z. B. der Begründung des Entwurfs zur Neuregelung des elterlichen Sorgerechts oder auch gewissen Tendenzen und Formulierungen im Zweiten Familienbericht der Bundesregierung, unterscheidet.Während in den zuletzt genannten Vorlagen der Bundesregierung die Aufgabe und Funktion der Familie und die Stellung der Eltern gegenüber ihren Kindern zum Teil ideologisch verzerrt gesehen und dargestellt werden, erhalten die Familie und die Eltern in diesem Gesetz, das jetzt zur Verabschiedung ansteht, wieder den Stellenwert, der ihnen nach ihren naturgegebenen Rechten und Pflichten, aber auch nach unserer Verfassung zusteht.
Über die Notwendigkeit der Neuregelung des Adoptionsrechts bedarf es hier keiner weiteren Ausführungen. Wir haben uns hier im Januar des vergangenen Jahres in der ersten Lesung sehr umfassend dazu geäußert. Man kann es einfach und kurz zusammenfassen: Das bisherige Adoptionsrecht hat nicht genügend das Wohl des Kindes im Auge gehabt, sondern, aus dem 19. Jahrhundert herkommend, mehr das Wohl und die Interessen — wenn auch oft durchaus legitime Interessen — des Annehmenden. Das wollen wir mit diesem Gesetz ändern. Im übrigen war das bisherige Adoptionsinstitut der „Annahme an Kindes Statt" zu umständlich, mit vielen Hemmnissen belastet, die unseres Erachtens nicht mehr erforderlich sind. Wir wollen ein besseres Adoptionsrecht, und im Zusammenhang mit einem neuen Adoptionsvermittlungsrecht, das wir nachher verabschieden werden, wird es in Zukunft möglich sein, adoptionsbedürftige Kinder schneller und besser mit adoptionswilligen und -fähigen Eltern zusammenzubringen. Dies ist die Aufgabe, die wir uns hier gestellt haben. Immerhin geht es um etwa 8 000 adoptionsbedürftige Kinder im Jahr und erfreulicherweise das Dreifache an annahmewilligen Eltern. Es muß auch einmal gesagt werden, daß es eine ganz erfreuliche Erscheinung in unserer Gesellschaft ist, daß es so viele adoptionswillige, annahmebereite Eltern gibt. Ihnen sei an dieser Stelle dafür gedankt.
Im Mittelpunkt des neuen Adoptionsrechts steht das Wohl des Kindes. Die entscheidende Frage ist natürlich: Wie wird das Wohl des Kindes am besten gewährleistet? Unserer festen Überzeugung nach wird das. Wohl des Kindes im Normalfall am besten gewährleistet, wenn es in einer intakten, gesunden Familie aufwächst. Wir müssen uns bei aller Befürwortung des Adoptionsrechts darüber im klaren sein, daß unsere erste Aufgabe sein muß, die Familie und die Eltern materiell wie eventuell durch Elternberatung so zu unterstützen, daß sie in der Lage sind, ihre eigenen Kinder selbst zu erziehen. Das ist der Idealfall. Aber wir wissen alle, daß es Fälle gibt, in denen die Kinder ihre Eltern verlieren, weil sie z. B. durch einen Unfall umkommen, oder in denen die Eltern nicht willens oder nicht in der Lage sind, dieser ihrer naturgegebenen Erziehungsaufgabe nachzukommen.Alle Psychologen, Pädagogen und Psychiater sind sich darüber einig, daß das Kind die Familie braucht, daß es die Nestwärme einer Familie braucht, daß es eine feste Bezugsperson braucht, daß es auch äußerlich einen stabilen geordneten Rahmen braucht, in dem es heranreifen kann. Das gilt nicht nur für das Kleinkind, das gilt selbst für Heranwachsende, die trotz aller Schwierigkeiten mit Eltern und Erziehern im Grunde genommen — vielleicht unbewußt — eben doch den äußerlich geordneten Rahmen für diesen Reifungsprozeß brauchen, und dafür ist die Familie der beste Ort. Selbst die beste Institution, selbst das bestgeleitete Heim kann diese Funktion nicht besser erfüllen als eine gesunde, intakte Familie.Aus diesem Grunde ist es unser Bemühen, den Kindern, die nicht das Glück haben, in einer Familie aufzuwachsen, durch das neue Adoptionsrecht und
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16608 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976
Dr. Stark
Adoptionsvermittlungsrecht eine neue Familie zu geben, eben zum Wohl des Kindes. Das steht im Mittelpunkt. Dabei bejahen wir die Volladoption. Das heißt, daß das angenommene Kind praktisch wie ein eheliches Kind in die neue Familie aufgenommen wird und daß alle rechtlichen und tatsächlichen Verbindungen zur Ursprungsfamilie enden. Das ist, glaube ich, im Interesse des Wohles des Kindes notwendig. Nach dem, was ich vorher über die Entwicklung des Kindes gesagt habe, muß ein Annahmeverhältnis auf Dauer angelegt sein; es muß störungsfrei sein, es dürfen nicht von außen, von der Ursprungsfamilie her immer wieder Interessenkonflikte in dieses Annahmeverhältnis hineingetragen werden.Wir bejahen also die Volladoption, die natürlich in manchen Bereichen auch zu problematischen Lösungen führt. Wir wissen sehr wohl, daß ein Teil der Großeltern, also der Eltern der annehmenden Eltern, nicht damit einverstanden sind, daß sie durch die Annahme eines Kindes durch ihr Kind — wie sie meinen — praktisch zu „Zwangsgroßeltern" gemacht werden. Aber ich glaube, daß das — wenn wir auch die Problematik durchaus sehen — im Interesse des Wohles des Kindes notwendig ist. Es muß gesagt werden, daß sich die Großeltern auch sonst nicht aussuchen können, für wie viele Kinder sie Großeltern werden, und daß nach unserem BGB manche auch jetzt schon Großeltern für Kinder werden, die gar nicht blutsverwandt sind, weil sie nicht in der Ehe gezeugt wurden, aber nach dem BGB so lange als ehelich vermutet werden, wie ihre Ehelichkeit nicht angefochten ist.Ich will damit nur sagen, daß wir die Problematik gesehen haben, die jetzige Regelung aber im Interesse eines vernünftigen Adoptionsrechts in Kauf genommen haben. Hätten wir die Großeltern quasi zustimmungsberechtigt gemacht, so hätten wir unter Umständen auch von anderen Personen und anderen Verwandten Einwilligungen einholen müssen.Wir wollen, daß das neue Annahmeverhältnis nicht von außen gestört wird. Deshalb wurde im Gesetz die Inkognito-Adoption nun auch rechtlich verankert. Wir werden — das ist in der Entschließung angesprochen — dafür Sorge tragen, daß die Inkognito-Adoption praktisch auch inkognito bleibt. Dazu bedarf es auch einiger verwaltungsmäßiger Änderungen; diese sind in der Entschließung, die wir zu diesem Gesetz vorschlagen, angesprochen.Abgelehnt haben wir dagegen nach ausführlicher Erörterung des Für und Wider im Rechtsausschuß und im Unterausschuß, die pränatale und die Blanko-Adoption.Unter pränataler Adoption versteht man den Fall, daß die leibliche Mutter schon vor der Geburt des Kindes in eine Adoption einwilligt. Nachdem wir das Adoptionsrecht und das Adoptionsvermittlungsrecht, wie ich meine, auf einen Stand gebracht haben, der es ermöglicht, auch schon vor der Geburt Beratung zu erteilen, halten wir die Einführung der pränatalen Adoption nicht für erforderlich. Ich selbst hätte auch verfassungsrechtliche und andere mit der Menschenwürde der Frau zusammenhängende Gründe, die es ausschließen, daß sie ihr Kind praktisch schon vor der Geburt weggibt. Deshalb haben wir nach Erörterung die pränatale Adoption abgelehnt.Gleichfalls haben wir die Blanko-Adoption abgelehnt. Diese besteht darin, daß die Mutter ihr Kind zur Adoption in die Hand des Jugendamtes oder der Adoptionsvermittlungsstelle gibt, ohne daß sie weiß, zu wem das Kind kommt. Auch das ist bedenklich. Das könnte vor allem bei Kindern, die nicht gerade „Sonnenkinder" sind, die z. B. behindert sind, die krank sind, dazu führen, daß das Kind nicht vermittelt werden kann, und dann hätten wir Staatsmündel, dann hätten wir Kinder, die keine Eltern haben, weder leibliche noch Adoptiveltern. Das wollten wir nicht, und deshalb haben wir auch — trotz gewisser Gründe, die für sie sprechen — die Blanko-Adoption abgelehnt.Zur Pflegezeit hat sich Frau Kollegin Schimschok schon geäußert. Auch hier gibt es die verschiedensten Meinungen. Manche in der Literatur und in der Sache damit Befaßte meinen, man sollte überhaupt keine Pflegezeit einführen, die Eltern müßten sofort mit allem Risiko das Kind annehmen, selbst wenn sie nachher von dem Kind enttäuscht wären. Ich glaube, das geht zu weit. Es kommen auch viele ausländische Kinder zur Adoption. Man muß hier auch schon von der Mentalität her für die Annehmenden und das anzunehmende Kind eine gewisse angemessene Pflegezeit einführen.Umstritten war schließlich die Frist, nach deren Ablauf die Mutter der Adoption wirksam zustimmen kann. Hier hatten wir ursprünglich drei Monate nach der Geburt. Wir sind dann in einem Kompromiß auf acht Wochen zurückgegangen. Das ist aber auch das Mindeste, was zum Schutz der Mutter vor übereilten Entscheidungen oder Kurzschlußhandlungen notwendig ist. Ich meine, daß das mit den acht Wochen nun richtig ist.Als Folge der Volladoption mit allen ihren Wirkungen rechtlicher Art, also völliger Trennung von der Ursprungsfamilie, völliger Integration in die neue Familie, sind wir vom Vertragssystem, d. h. der Annahme durch einen privatrechtlichen Vertrag mit Bestätigung, abgegangen und haben das Dekretsystem, also den Ausspruch der Annahme durch Hoheitsakt, sprich: Vormundschaftsgerichtsbeschluß, vorgenommen. Ich glaube, bei der zukünftigen Bedeutung der Adoption und der Statusveränderung sowohl für das anzunehmende Kind wie auch für die Annehmenden ist dies erforderlich. Im übrigen war das bisherige Verfahren mehrstufig. Es war manchmal sogar dreistufig, also Vertrag, Vormundschaftsgericht und Bestätigungsvertrag. Wir wollten ja gerade im Interesse des Wohles des Kindes erreichen, daß das anzunehmende Kind und die Annehmenden schneller zusammengeführt werden.Wir haben allerdings von unserer Fraktion aus Wert darauf gelegt, daß diese Entscheidung in Zukunft durch den Richter getroffen wird. Bei der enormen Bedeutung des Ausspruches einer Volladoption, die ja lebenslang Bestand haben soll, ist es erforderlich, daß der Richter entscheidet. Erfreulicherweise haben sich auch einzelne Kollegen aus anderen Frak-Dr. Stark
tionen dieser Auffassung angeschlossen. Wir haben das mit Mehrheit beschlossen.Neben der Volladoption haben wir noch die Volljährigenadoption, gegen die gewisse Bedenken bestehen, die sich aber eingeführt hat und an deren Beibehaltung es berechtigte Interessen gibt. Vorschläge, zwischen Volladoption und Volljährigenadoption Zwischenstufen einzuführen, haben wir erörtert, aber abgelehnt. Es bestünde sonst die Gefahr, daß man sich über die Zwischenstufen bei der Annahme irgendwelche „Rosinen" herauspickt und Bestimmungen hineinbringt, die ausschließlich zugunsten des Annehmenden wären. Diese Gefahr bestünde, und deshalb haben wir darauf verzichtet, Adoptionszwischenstufen zu schaffen.Wir begrüßen, daß die Aufhebung eines Adoptionsverhältnisses so erschwert wird, daß nur in exorbitant einleuchtenden Fällen erfolgen kann, wo man sagt: Dieses Adoptionsverhältnis kann im Interesse des Kindes nicht aufrechterhalten werden. Ich habe eingangs gesagt: Das Kind und auch die Eltern müssen sich auf den Bestand des Annahmeverhältnisses verlassen können, es muß von Dauer sein. Dann können sie sich auch seelisch darauf einstellen.Zu der Übergangsregelung ist kurz zu sagen: Es werden auch die jetzt schon bestehenden Adoptionsverhältnisse nach einer gewissen Übergangszeit von einem Jahr — ursprünglich von drei Jahren — in das neue Recht hineinwachsen, wenn nicht innerhalb dieses Jahres die unmittelbar Betroffenen Einspruch dagegen erheben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Deutsche Bundestag hat mit der Verabschiedung dieses Gesetzes nicht nur dem Europäischen Adoptionsübereinkommen vom April 1967 entsprochen, sondern wird im Interesse der jährlich zu adoptierenden ca. 8 000 Kinder und im Interesse der Tausenden von annahmebereiten Eltern einen Beitrag zu einer schnelleren und besseren Zusammenführung von adoptionsbedürftigen Kindern und annahmebereiten Eltern leisten. Ich darf namens meiner Fraktion dem Gesetz deshalb nochmals ausdrücklich zustimmen. Ich darf für mich persönlich dem Vorsitzenden des Unterausschusses, dem Kollegen Emmerlich, für eine sachliche Beratung im Unterausschuß danken, und ich darf namens meiner Fraktion auch den Beamten des Justizministeriums und des Familienministeriums, sowie dem Sekretär des Unterausschusses Familienrecht, die sich an der Beratung dieses Gesetzes im Unterausschuß und im Rechtsausschuß beteiligt haben, danken.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war ein weiter Weg von der römisch-rechtlichen adoptio minus quam plena zur Volladoption dieses Entwurfs. Dieser Entwurf stellt allein auf das Wohl des Kindes ab. Dieses Kindeswohl hat zur Voraussetzung, daß die begründete Erwartung besteht, daß zwischen dem Annehmenden und dem Kind ein Eltern-Kind-Verhältnis entstehen wird. Ziel aller unserer Bemühungen bei den Beratungen mußte deshalb sein, rechtlich für die Praxis draußen etwas zu fördern, was im Leitartikel der „Süddeutschen Zeitung" vom 15. Juni 1973 mit einem einprägsamen Programmsatz als das „Recht des Kindes auf Familie" formuliert worden ist. Dieses Kindesrecht erfordert die völlige, auch rechtliche Eingliederung des Minderjährigen in die neue Familie, und es macht notwendig, daß im Interesse einer wirksamen Eingliederung alle Störfaktoren ferngehalten werden und deswegen alle Rechtsbeziehungen zu den leiblichen Eltern und zu den Verwandten gelöst werden. Es geht weiter darum, Adoptionen auch dort zu ermöglichen, wo die leiblichen Eltern gröblich versagen, wo sie sich ihren Erziehungspflichten entziehen oder dauernd zur Erfüllung dieser Aufgaben unfähig sind. Wir haben vom zeitlichen Ablauf her alles zu tun gehabt, um sicherzustellen, daß Adoptionen möglichst frühzeitig erfolgen können, schon um die Gefahren des Hospitalismus für Kinder möglichst hintanzuhalten.Wir haben uns um einen Teil dieser Probleme bereits in der Vorabnovelle vom 14. August 1973 bemüht. Ich denke, die bisherige kurze Praxis weist aus, daß sich das, was wir seinerzeit beschlossen und vorab in Kraft gesetzt haben, in der Praxis bewährt hat. Wir haben jetzt die Inkognito-Adoption ausdrücklich im Entwurf verankert. Wir haben es ermöglicht, daß die leiblichen Eltern ihre Einwilligung zur Annahme bereits acht Wochen nach der Geburt des Kindes erteilen können. Wir sind damit nahe an der Untergrenze des Europäischen Adoptionsübereinkommens von 1967 gegangen, das, wenn dieser Entwurf jetzt Gesetz wird, nunmehr auch von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert werden kann. Es wird jetzt eine Bewährungsprobe für die Praxis und eine Aufgabe für die Behörden und für die Gerichte sein, mit dem neuen Instrumentarium eine zügige Durchführung der Verfahren sicherzustellen.Man wird anmerken müssen, daß es stellenweise einen Konflikt aufzulösen gilt, den Konflikt zwischen alten Praktiker bei den Jugendämtern, die an Hand praktisch erprobter Erfahrungssätze ihre oft schwierige Aufgabe zu erfüllen suchen, und gleichfalls engagierten, oft jüngeren Fachleuten, die es mehr mit wissenschaftlicher Akribie halten. Ich habe die Hoffnung, daß hier die vernünftige Mitte gefunden werden wird und daß man wissenschaftliche und praktische Erkenntnisse bei Durchführung der Verfahren zu kombinieren weiß und dafür Sorge trägt, daß die verkürzten Fristen nun auch tatsächlich darin ihren Niederschlag finden, daß Kinder möglichst früh adoptiert werden können.Bei allem Bemühen darum haben wir aber der pränatalen und der Blanko-Einwilligung eine klare Absage erteilt. Wir haben damit deutlich gemacht, daß dem Elternrecht in unserer Verfassung auch die Pflicht der Eltern entspricht, für Erziehung und Pflege ihrer Kinder zu sorgen. Aus dieser Pflicht können die leiblichen Eltern nicht zur Unzeit und auch nicht pauschal von uns entlassen werden.
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16610 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976
EngelhardEine der ganz wenigen strittigen Fragen bei den Beratungen war die Frage der Zuständigkeit: Wem kommt der Ausspruch der Adoption zu, dem Richter oder dem Rechtspfleger? Es ist keine Geringschätzung der bisherigen Arbeit der Rechtspfleger, daß wir uns hier mehrheitlich für den Richter entschieden haben. Maßgeblich waren für uns systematische Überlegungen. Durch die Volladoption gewinnt die Annahme im Dekretsystem eine so große Bedeutung, daß es weitreichende Konsequenzen auch für andere Bereiche der Justiz gehabt hätte, wenn man hier nicht dafür gesorgt hätte, daß die Entscheidung dem Richter zukommt.Wir Freien Demokraten begrüßen es, daß heute in zweiter und dritter Lesung dieser Entwurf verabschiedet werden kann. Wir werden ihm zustimmen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Vogel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Bundesregierung gebe ich meiner Freude darüber Ausdruck, daß nach der kleinen Adoptionsreform nunmehr auch die von der Bundesregierung vorgelegte große Adoptionsreform eine so breite Zustimmung findet. Die während der Beratungen im Unterausschuß und im Ausschuß beschlossenen Veränderungen stellen nach Ansicht der Bundesregierung durchweg Verbesserungen dar. Ich habe dafür den Berichterstattern, dem Unterausschuß und seinem Vorsitzenden und dem Rechtsausschuß zu danken. Ich möchte, daß der Dank nicht nur platonisch bleibt. Ich möchte den Dank in der Form abfassen, daß ich darauf verzichte, alle die zutreffenden Ausführungen, die von den drei Fraktionssprechern gemacht worden sind, mit anderen Worten noch ein viertes Mal vorzutragen.
Ich werde die vorbereitete Rede zu den Akten nehmen. Ich bitte um Zustimmung und gebe zu bedenken, ob dieses Verfahren nicht auch in künftigen Fällen aus dem Justizbereich angewendet werden kann.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Es liegen noch zwei weitere Ausschußanträge vor. Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache 7/5087 unter Ziffer 2 — Entschließungsantrag — zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Der Ausschuß beantragt weiter, die zum Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu
erklären. Hierzu erbitte ich Ihre Zustimmung. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Somit ist es auch beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Vermittlung der Annahme als Kind — Adoptionsvermittlungsgesetz —
— Drucksache 7/3421 —
Bericht und Antrag des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit — Drucksache 7/5089 —
Berichterstatterin:
Abgeordnete Frau Schroeder (Erste Beratung 164. Sitzung)
Der Berichterstatter wünscht nicht das Wort. Das Wort in der Aussprache wird ebenfalls nicht gewünscht.
Ich rufe die §§ 1 bis 19, Einleitung und Überschrift in der Fassung des Ausschußantrages auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Entwurf ist in der zweiten Lesung einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort hat der Abgeordnete Fiebig.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da das Thema Adoption hier schon ausführlich behandelt worden ist, kann ich mich kurz fassen.Das Gesetz über die Annahme als Kind und das Adoptionsvermittlungsgesetz gehören wie ein Zwillingspaar zusammen. Während im Gesetz über die Annahme als Kind der Schwerpunkt darin besteht, daß das adoptierte Kind rechtlich dem eigenen Kind gleichgestellt wird, mit allen Rechten und Pflichten, will das Adoptionsvermittlungsgesetz die Zusammenführung von adoptionswilligen Eltern und Kindern ohne Eltern erleichtern und verbessern. Während es sich also im ersten Gesetz, das heute morgen hier behandelt worden ist, um eine materielle Änderung des Adoptionsrechtes handelt, geht es hier um die Verbesserung der formalen Zusammenführung von Kindern ohne Eltern und Eltern ohne Kinder.Vor allem geht es darum, daß Heimkinder, die für eine Adoption in Betracht kommen, möglichst früh zu Adoptiveltern vermittelt werden können. Weitere Schwerpunkte des Adoptionsvermittlungsgesetzes sind die Bestimmungen, daß erstens in der Adoptionsvermittlung in Zukunft nur anerkannte Fachkräfte tätig sein dürfen, daß zweitens die annehmenden Eltern, das Kind und dessen Eltern auf
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976 16611
Fiebigihren Wunsch hin eingehend zu beraten sind, daß drittens die Zahl der Vermittlungsstellen um größerer Effektivität willen verringert werden soll, daß viertens für Säuglings- und Kinderheime eine Meldepflicht für die von ihnen betreuten Kinder eingeführt wird und daß fünftens private Adoptionsvermittlung verboten wird, es sei denn, es handelt sich um Verwandte und eine Adoptionsvermittlungsstelle wird sofort eingeschaltet.Bei dem letzten Gesichtspunkt sind wir davon ausgegangen, daß Adoptionsvermittlung vor allen Dingen kein Gegenstand für Zeitungen ist. Eine derartige Vermittlung soll mit einem Bußgeld geahndet werden. Wir sind der Auffassung, daß Adoptionsvermittlung eine seriöse Sache sein muß und daß sie einfach nicht auf den offenen Markt gehört, sondern daß sich allein die gesetzlichen vorgeschriebenen Adoptionsvermittlungsstellen diesem Gegenstand widmen sollen.Als im Deutschen Bundestag die erste Lesung dieses Gesetzentwurfs stattfand, gingen mehrere skandalöse Fälle von illegaler Adoptionsvermittlung ins Ausland durch die Presse. Damals hatten alle Fraktionen einstimmig gefordert, daß die Bußgelder für illegale Adoptionsvermittlungen gegenüber dem Regierungsentwurf entscheidend angehoben werden.Wir haben im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit eingehend darüber beraten und auch in Erwägung gezogen — und damit die Gedanken mancher Kritiker aufgenommen —, ob ein Straftatbestand ins Strafgesetzbuch aufgenommen werden sollte. Wir sind dann aber den Argumenten des Unterausschusses für Familienrecht gefolgt, dem ich im Namen des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit an dieser Stelle für seine gute Beratung und seine Unterstützung recht herzlichen Dank sagen möchte, und haben keinen Straftatbestand ins Strafgesetzbuch aufgenommen, sondern haben die Bußgelder erheblich angehoben, und zwar für illegale Adoptionsvermittlung von 5 000 auf 10 000 DM und für illegale Adoptionsvermittlungen ins Ausland sogar bis zu 50 000 DM. Wir hoffen, daß wir damit den Kritikern gerecht geworden sind und hier eine Lösung gefunden haben, die alle zufriedenstellt.Ich möchte noch hinzufügen, daß wir uns auch bemüht haben, die pränatale Vermittlung zu ermöglichen, und zwar derart, daß schon vor der Geburt des Kindes mit der Vorbereitung einer Adoption begonnen werden darf.Vor dem Hintergrund, daß der Deutsche Bundestag heute im weiteren Verlauf des Tages noch einmal den § 218 des Strafgesetzbuches auf der Tagesordnung hat, möchte ich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß doch der Gedanke erwogen werden sollte, ob nicht für eine Mutter in Not und Bedrängnis die spätere Adoption die bessere Alternative zu einem Abortus ist. Von daher bin ich sehr froh, daß auf Grund dieses Adoptionsvermittlungsgesetzes mit den Vorbereitungen einer Adoption schon vor der Geburt begonnen werden kann.Besonderer Dank gilt auch den Sachverständigen, die den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit bei seinen Beratungen unterstützt haben. Es war eine wesentliche Hilfe, daß Praktiker, die reichhaltige Erfahrungen in der Adoptionsvermittlung haben, uns Abgeordneten geholfen haben, ein Gesetz, das aus dem Jahre 1951 stammt, zu verbessern. Auch den Trägern der freien Wohlfahrtspflege gilt der Dank, die sich seit Jahrzehnten um die Adoptionsvermittlung mit Erfolg bemüht haben. Dieses Gesetz stellt im übrigen ausdrücklich fest, daß das auch in Zukunft geschieht. Caritas, Innere Mission und Arbeiterwohlfahrt sind die Organisationen, die sich als Träger der freien Wohlfahrtspflege ja besonders um die Adoptionsvermittlung bemüht haben und weiter bemühen werden.Bei allem Respekt vor der schwierigen Arbeit der Menschen, die in Heimen Kinder zu betreuen haben, wünschen wir dennoch recht vielen Heimkindern, daß sie bald in eine adoptionswillige Familie aufgenommen werden, damit sie es nicht mit wechselnden Bezugspersonen — wie man heute in einer technischen Sprache sagt —, sondern mit Vater und Mutter zu tun haben und mit ihnen zusammen leben. Der Gesetzgeber meint, mit der Verabschiedung dieses Gesetzes seinen Beitrag dazu geleistet zu haben. Unser Dank gilt in diesem Zusammenhang auch dem Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit dafür, daß es dem Parlament diesen Gesetzentwurf zugeleitet hat, den in kurzer Zeit zu beraten wir uns bemüht haben.Ich will zum Schluß versuchen, eine politische Wertung dieses Gesetzes vorzunehmen. Es ist nur ein kleiner Beitrag, aber dennoch, meinen wir, ein wesentlicher Baustein im ganzen Kontext des Adoptionsrechtes. Wir meinen, auch hier handelt es sich um einen Beitrag zur Familienpolitik; denn durch dieses Adoptionsvermittlungsgesetz wird Familienleben gefördert, ermöglicht, vor allen Dingen in den tragischen Fällen, in denen ein Kind bisher nicht — aus welchen Gründen auch immer — mit Eltern zusammenleben konnte. Ihm wird nun die Chance gegeben, zu Eltern zu kommen.Es ist bemerkenswert, daß man in unserer Gesellschaft von dem Naturrecht abgerückt ist, das die natürlichen Beziehungen, durch die Geburt gegeben, von Eltern und Kindern in den Vordergrund stellt, und immer mehr Menschen bereit sind, die Adoption diesem natürlichen Geburtsvorgang gleichzusetzen, Kinder zu adoptieren und sie wirklich als ihre eigenen Kinder anzusehen. Wir meinen, ein wichtiger Beitrag der Familienpolitik, wie wir Sozialdemokraten sie betreiben.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schroeder .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Adoptionsvermittlungsgesetz soll die Reform des Adoptionsrechtes, die wir soeben einstimmig beschlossen haben, so ergänzen, daß diese bestmög-
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16612 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976
Frau Schroeder
lich in die Wirklichkeit umgesetzt werden kann. Seine Hauptziele sieht meine Fraktion darin: einmal sicherzustellen, daß die Zusammenführung adoptionswilliger Eltern und Kinder ohne Eltern mit der größten Verantwortung, mit aller Sorgfalt und den besten Fachkenntnissen durchgeführt werden kann, daß jeder Mißbrauch ausgeschlossen wird; daß zum anderen durch dieses Gesetz erreicht wird, daß so vielen Kindern wie eben möglich die Chance gegeben wird, in der Geborgenheit einer Familie aufwachsen zu können.Die Begründung zum Gesetz der Reform der Annahme als Kind beginnt mit den Sätzen:Es ist das beste für die Entwicklung eines Kindes, wenn es in einer Familie heranwächst.Und es geht dann weiter:Für eine normale Entwicklung des Kindes ist das Erlebnis einer harmonischen und lebenstüchtigen Familie schlechthin unersetzlich.Mein Kollege Stark hat ja schon darauf hingewiesen, wie sehr wir es begrüßt haben, daß auch einmal in einer Regierungsvorlage eine so positive Bewertung der Familie steht.Die Erkenntnis von der Unersetzlichkeit der Familie für ein Kind ist auch die Grundlage für alle Bemühungen, die Adoptionsvermittlung zu verbessern.Zur Erreichung der Ziele dieses Gesetzes hat der Ausschuß gegenüber dem Gesetzentwurf der Bundesregierung einmütig verschiedene Änderungen und Verdeutlichungen vorgenommen, zum großen Teil auf Grund der Aussagen von Sachverständigen — das wurde eben hier schon angesprochen —, die uns in einer sehr eingehenden Anhörung wirklich aus der Praxis der Arbeit heraus wertvolle Anregungen gegeben haben.Die wichtigsten Punkte der Beratungsergebnisse sehen wir in folgendem. Die Vorschriften zur organisatorischen Neuordnung der Adoptionsvermittlungsstellen, ihre Konzentration zugunsten der fachlichen Qualität, die Bestimmungen zur besseren Kooperation zwischen örtlichen Stellen und denen auf Landesebene werden von allen Seiten begrüßt. Wir können davon, so meine ich, einen wirklichen Fortschritt in der Adoptionsvermittlung erwarten. Die Gleichberechtigung zwischen öffentlichen Adoptionsvermittlungsstellen und denen der freien Wohlfahrtsverbände sowie deren partnerschaftliche Zusammenarbeit ist in dem Gesetz gewährleistet.Eine der wesentlichsten Bestimmungen des Gesetzes ist die Beschränkung der Erlaubnis zur Adoptionsvermittlung ausschließlich auf die dafür zuständigen anerkannten Stellen. Der Ausschuß hat sich gerade mit dieser Frage sehr eingehend befaßt und sich nachdrücklich bemüht, jeglichen Mißbrauch auszuschließen. Dies ist um so notwendiger, als die Tatsache, daß es sehr viel mehr Eltern gibt, die ein Kind adoptieren wollen, als Kinder, die zur Adoption freigegeben werden — eine an sich erfreuliche Tatsache —, die Gefahr bestärkt, daß aus der Vermittlung von Kindern ein Geschäft gemacht wird. Dem sollte in allen Punkten energisch entgegengewirkt werden. Kinder sind keine Handelsware. Alle Vermittlungen, bei denen es nicht ausschließlich um das Wohl des Kindes, sondern um irgendeinen Vorteil des Vermittelnden geht, sollten verhindert werden.
Auch auf den dringenden Wunsch der Sachverständigen hin ist deshalb das Verbot aller Vermittlungen, die nicht durch die anerkannten Stellen getätigt werden, gegenüber dem Regierungsentwurf noch einmal verschärft. So war im Regierungsentwurf z. B. der gelegentliche und unentgeltliche Hinweis auf Adoptionsbewerber oder Personen, die ein Kind zur Adoption freigeben wollen, vom Verbot ausgenommen. Diese Ausnahmeregelung wurde gestrichen, um jede Gelegenheit, das Gesetz zu umgehen, zu verhindern.Ausgenommen vom Verbot — das ist eben schon gesagt worden — sind danach lediglich Adoptionsvermittlungen innerhalb der Verwandtschaft und auch innerhalb eines Freundeskreises, also unter Menschen, die mit dem Kind oder seinen Eltern in naher Beziehung stehen. Aber auch sie sind gehalten, eine Adoptionsvermittlungsstelle unverzüglich zu benachrichtigen. Diese Ausnahmen sind sinnvoll, denn ein Viertel aller Adoptionen erfolgt innerhalb der weiteren Familie, was z. B. beim Tod der Eltern wohl auch das Natürlichste ist. Auch die Adoptionen von nahen Bekannten, die sich für ein Kind verantwortlich fühlen, sollten nicht behindert werden.Der Ausschuß hat ferner auf Grund der vorliegenden Erfahrungen in das Gesetz ausdrücklich das Verbot aufgenommen, Schwangere ins Ausland zu bringen und sie zu bestimmen, dort ihr Kind zur Adoption wegzugeben. Die besonders unerfreulichen Vorkommnisse, die hier eben schon angesprochen worden sind, welche in der Öffentlichkeit bekannt wurden, haben uns zu diesem Schritt veranlaßt.Auf Grund einer Anregung des Bundesrates sind dann auch die Zeitungsanzeigen und Zeitungsberichte, durch die von privater Seite Adoptionsvermittlungen getätigt werden sollen, ausdrücklich in das Verbot eingeschlossen — auch dies hat der Ausschuß neu hineingenommen —, es sei denn, daß es sich um Appelle an adoptionswillige Eltern in bezug auf Kinder handelt, die einer Adoption besonders bedürfen. Aber auch dabei muß ausdrücklich eine anerkannte Adoptionsvermittlungsstelle eingeschaltet werden. Ich denke hier besonders an schwierig zu vermittelnde oder behinderte Kinder; ich erinnere auch an die Berichte über die Kinder aus Vietnam, die ein breites Echo fanden. Solche Dinge sind selbstverständlich zu bejahen.Dem Entgegenwirken jeglichen Mißbrauchs dienen auch Präzisierung und Ergänzung der Bußgeldvorschriften im Gesetz, die der Ausschuß im Zusammenwirken mit dem Rechtsausschuß und dem Strafrechtssonderausschuß vorgenommen hat. Mein Vorredner hat eben die Höhe der Bußgelder schon genannt, so daß ich sie nicht zu wiederholen brauche.Aber eines möchte ich hier doch noch sagen: Als Mißbrauch muß auch gewertet werden, wenn Müt-
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Frau Schroeder
ter in unzulässiger Weise bedrängt werden, ihr Kind zur Adoption freizugeben, auch unter Vorspiegelung vielleicht besserer wirtschaftlicher Verhältnisse, in die das Kind kommen könnte. Auch diese Gefahr kann durchaus bestehen. Ich denke hier gerade an die oft sehr jungen und noch unerfahrenen ledigen Mütter, die dann zu Entscheidungen gedrängt werden könnten, die sie in ihrer ganzen Tragweite nicht voll erfassen und die sie dann nachher bitter bereuen. Auch sie haben ein Recht auf ihr Kind, wenn sie dieses behalten wollen und sich zu ihm bekennen. Bei wirtschaftlicher Not sollte die Hilfe für eine solche Mutter zunächst einmal Vorrang haben. Ihr sollte geholfen werden, zu ihrer Aufgabe zu finden. Wir müssen die natürlichen Bindungen zwischen Mutter und Kind auf jeden Fall respektieren.In diesem Zusammenhang und auch im Zusammenhang mit dem, was hier vorhin schon gesagt worden ist, ist es vielleicht interessant, zu hören, daß die Sachverständigen gesagt haben, daß Schwangere, die die Absicht bekunden, ihr Kind zur Adoption freizugeben, zu 80 % diesen Entschluß zurückziehen, wenn das Kind einmal geboren ist und sie dann mit dem Kind leben.Gerade in diesen Fällen ist die sachgerechte Adoptionsberatung besonders dringend notwendig. Sie setzt voraus, daß sich alle Betroffenen der Bedeutung des Schrittes bewußt werden, der durch die Volladoption noch an Gewichtigkeit gewinnt. Sie muß die abgebenden und die aufnehmenden Eltern vor jeder übereilten oder nur mit halbem Herzen gegebenen Entscheidung bewahren. Im Sinne einer guten Beratung sowohl der annehmenden wie auch der abgebenden Eltern — auch der Beratung und Hilfe nach der Adoption — hat der Ausschuß daran festgehalten, einen Rechtsanspruch auf Adoptionshilfe im Gesetz zu verankern. Wir halten sie für unumgänglich notwendig, wenn es zur Begründung von echten Eltern-Kind-Beziehungen kommen soll, die wir alle anstreben.Wie ich eingangs bereits sagte, ist es das Hauptziel des Gesetzes, möglichst vielen Kindern ohne Eltern zu einem Elternhaus zu verhelfen. Es geht darum, die vergessenen Kinder aufzuspüren und zu erfassen und mehr Kindern als bisher überhaupt die Chance zu geben, zu einer Adoption zu kommen. Hier erwarten wir eine Verbesserung der jetzigen Situation besonders durch die im Gesetz vorgesehene frühzeitige Meldung sowohl von Kindern, die für eine Adoption in Frage kommen, als auch von adoptionswilligen Eltern an die zentralen Adoptionsvermittlungsstellen, wodurch ein besserer Austausch auf breiterer Grundlage gewährleistet ist; durch die Bestimmungen über die Ermittlung bei Kindern in Heimen und vor allem auch durch die Meldepflicht der Heime gegenüber den Landesjugendämtern bzw. deren Adoptionsvermittlungsstellen. Auch hier hat der Ausschuß auf Grund der Sachverständigenanhörung die Regierungsvorlage noch dahin gehend ergänzt und präzisiert, daß alle Einrichtungen, die Kinder und Jugendliche unter 16 Jahre für längere Zeit beherbergen, verpflichtet sind, bereits bei der Aufnahme eines Kindes dessen Personalien an das Landesjugendamt zu melden, um alle Verzögerungen zu verhindern. Sie müssen Auskunft über die Beziehungen zur eigenen Familie geben und eine Stellungnahme darüber abgeben, ob das Kind für eine Adoption in Betracht kommt. Diese Meldungen sollen sie jährlich wiederholen.Daß zur Zeit längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, Kinder zur Adoption zu bringen, zeigen die vorliegenden Zahlen. Es wurde soeben schon gesagt: Es gibt etwa dreimal so viel adoptionswillige Eltern wie Kinder, die zur Adoption zur Verfügung stehen. Schon in der ersten Lesung haben wir darauf hingewiesen, daß diese Zahlen eindeutig beweisen, daß also auch die sogenannten unerwünschten Kinder durchaus eine Lebenschance haben können. Hier ist soeben auch schon von dem Zusammenhang mit den Bestimmungen des § 218 gesprochen worden.Wir sehen eine gute und fachgerechte Adoptionsvermittlung auch als einen positiven und wirksamen Schutz des ungeborenen Lebens an. Das Kind hat eine Chance, es hat sogar eine Chance auf eine Familie, auch wenn die eigene Mutter es nicht will.Die Erfahrung hat gezeigt, daß Kinder um so besser vermittelt werden können, je frühzeitiger die Adoption vorgenommen werden kann. Das Gesetz erleichtert solche frühzeitigen Bemühungen um eine Adoption.Es ist aber auch sehr zu wünschen, daß es den Adoptionsvermittlungsstellen gelingt, gerade den etwas älteren Kindern zu einem Elternhaus zu verhelfen und adoptionswillige Eltern zu veranlassen, auch solche Kinder anzunehmen. Kinder, die gerade in den ersten Lebensjahren von ihren eigenen Eltern vernachlässigt oder verlassen wurden, in einem unglücklichen Milieu lebten oder ihr ganzes bisheriges Leben in Heimen zubringen mußten, vielleicht sogar in verschiedene Heime hin- und hergestoßen wurden, sind gewiß oft schwierig. Aber ich bin überzeugt, daß an ihnen manches wiedergutgemacht werden und daß ein liebevolles Elternhaus viel bewirken kann. Alle verantwortlichen Stellen sollten es sich zur Aufgabe machen, hier zu helfen. Verstärkt gilt dies für behinderte Kinder. Möge sich das Gesetz besonders zum Wohl dieser Kinder auswirken!Ich möchte die Gelegenheit benutzen, allen Adoptionsstellen für ihre mühevolle und verantwortungsbewußte Arbeit zu danken.
Sie können wirklich Schicksale entscheiden. In diesen Dank beziehe ich alle Regierungsstellen, alle Ausschüsse, alle Sachverständigen ein, die an der sehr zügigen und sehr sachlichen Beratung dieses Gesetzes mitgewirkt haben.Die Fraktion der CDU/CSU stimmt dem Gesetz in der vorliegenden Fassung zu.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Lüdemann.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Gesetz über die Annahme als Kind und dem Gesetz über die Vermittlung der Annahme als Kind, die beide heute verabschiedet werden, beabsichtigte die Bundesregierung vor allem, von ihren Eltern verlassenen Kindern eine bessere Lebenschance zu geben. Das ist im Interesse der Gesellschaft eine unabdingbare Notwendigkeit. Erst in den letzten Jahrzehnten ist durch Wissenschaft und Praxis deutlich gemacht worden, daß Kinder ohne die Bindung an ihre Eltern oder an eine andere feste Bezugsperson hauptsächlich psychische, aber auch körperliche Schäden nehmen.In der Bundesrepublik leben rund 70 000 Kinder in Heimen und ebenso viele in Rechtsunsicherheit in Pflegefamilien. Das sind rund 140 000 Kinder, von denen die meisten von ihren leiblichen Eltern verlassen sind. Doch machen wir uns nichts vor und geben wir uns nicht, wie es eben deutlich wurde, der Hoffnung hin, daß durch die Verabschiedung des Adoptionsvermittlungsgesetzes nun alle Kinder aus den Heimen in die Geborgenheit von Adoptionsfamilien überwechseln können. Größere Kinder, ja schon Kinder von vier bis sechs Jahren, haben es schwer, Adoptiveltern zu finden, und dies ist schon fast aussichtslos, wenn sie bereits zehn oder zwölf Jahre alt sind. Kinder werden in ihrer Persönlichkeit durch ihre Umgebung geprägt; je stärker diese Prägung infolge des Alters der Kinder ist, desto schwerer ist es für die adoptionswilligen Eltern, diese kleinen Persönlichkeiten so anzunehmen, wie sie geprägt sind.Wenn Kinder in ihrem bisherigen Leben keine Bezugsperson gehabt haben oder gar von einem Heim in eine Pflegefamilie und zurück ins Heim geschickt worden sind, so hat sich das mit Sicherheit auf die Psyche dieser Kinder negativ ausgewirkt. Teilweise haben sie aber auch in der ersten Lebensphase durch ungute Erlebnisse im Elternhaus Erfahrungen gemacht, die zur Negativprägung beigetragen haben. Je älter die Kinder werden, um so verhaltensgestörter können sie sein. So ist es verständlich, daß Adoptivkinder dann im neuen Elternhaus nichts mehr zu entbehren brauchen, wenn sie als Säuglinge dort aufgenommen werden. Sie können in diesem neuen Elternhaus so geprägt werden, wie es in den Rahmen der Familie paßt.Aus meiner langjährigen Erfahrung kann ich die Feststellung der Wissenschaft bestätigen, daß die Erbanlagen eines Menschen weniger ausschlaggebend für sein späteres Leben sind als der Einfluß seiner Umgebung. Bei vielen der von mir betreuten Kinder weiß ich, aus welch milieugeschädigten Familien sie kommen, und daß sie von dorther eigentlich nur Anlagen mitbringen, Sonderschulen zu besuchen. Aber nicht eines dieser über 80 Kinder besucht eine Sonderschule, weil die Kinder in dem neuen Elternhaus durch die Zuwendungen der Eltern Begabungen erfahren und ihre guten Anlagen gefördert werden.Ältere Kinder aufzunehmen, bedarf großer Toleranz, Geduld und Liebe auf seiten der Annehmenden. Frau Schroeder, da gehen wir auseinander: Ichmeine, die Aufnahme größerer Kinder sollte wirklich nur auf freiwilliger Basis und nie durch Überredung der Adoptionsvermittlungsstellen geschehen. Die Eingewöhnungszeit bei diesen größeren Kindern muß deshalb zwangsläufig auch länger sein als bei Kleinkindern.Außerordentlich bedauerlich finde ich es, daß die Meldung von Kindern in den Heimen an das Landesjugendamt zwar bei der Aufnahme, aber dann nur jährlich einmal zu erfolgen hat. Die Chance, daß die Kinder schnell wieder aus dem Heimdasein befreit werden, wird dadurch sehr eingeschränkt. Im Regierungsentwurf war eine halbjährliche Meldefrist vorgesehen. Der Einspruch der Landesbehörden hat zu der Veränderung geführt. Auch mein Vorschlag, wenigstens erstmalig nach der Heimeinweisung die Meldung schon nach einem halben Jahr weiterzugeben, fand keinen Niederschlag im Gesetz. Da aber bei der Aufnahme eines Kindes in ein Heim keineswegs erkennbar ist, wie sich die leiblichen Eltern oder die Mutter ihrem Kind gegenüber verhalten werden, d. h., ob sie regelmäßigen Kontakt zu ihm pflegen, wäre die halbjährliche Meldefrist im Interesse des Kindeswohls nötig gewesen, um so mehr, meine Damen und Herren, als die im Gesetz über die Annahme als Kind in § 1748 BGB vorgesehene Belehrung über die gerichtliche Ersetzung der Einwilligung zur Adoption durch ein Elternteil erst dann gegeben werden kann, wenn sich herausgestellt hat, daß sich die Eltern gegenüber ihrem Kind gleichgültig verhalten.So wird diese Gleichgültigkeit erst nach einem Jahr weitergemeldet. Dann wird der Elternteil belehrt. Verhält er sich weiter gleichgültig, so wird auch dies erst wieder nach einem Jahr der Behörde bekannt. Erst dann kann die Ersetzung der Einwilligung beim Vormundschaftsgericht eingeleitet werden. Das Ergebnis wird sein, daß mindestens zweieinhalb bis drei Jahre kostbarer Zeit für das verlassene Kind verstrichen sind, in denen es die Familiengeborgenheit entbehren muß und durch das Fehlen einer Bezugsperson kein Urvertrauen aufgebaut werden kann, ein Mangel, der im Leben nicht mehr auszugleichen ist.Zunächst kommt auf die Heime und Adoptionsvermittlungsstellen eine große Arbeitsbelastung zu, denn es werden ja erstmalig alle Kinder unter Angabe des Geburtsdatums, des bisherigen Aufenthalts, der Beziehung zur eigenen Familie gemeldet. Diese Daten müssen ausgewertet und registriert werden. Später sind diese Meldungen nur noch durch die Ab- und Zugänge in den Heimen zu verändern. So kann ich mit meinen Kollegen von der FDP nur hoffen, daß nach der Bewältigung des ersten großen Arbeitsanfalls später zum Wohle der Kinder doch noch eine kürzere Meldefrist eingeführt werden kann. Im übrigen läßt es das Gesetz auch zu, daß Heime auf freiwilliger Basis die in Frage kommenden Kinder früher als in Jahresfrist melden. Verantwortungsvolle Heimleitungen werden dies mit Sicherheit auch tun.Meine Damen und Herren! Noch etwas macht mir Sorge. Wenn es im Gesetzestext heißt, daß mehrere Jugendämter benachbarter Gemeinden und Kreise
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976 16615
Frau Lüdemanneine gemeinsame Adoptionsvermittlungsstelle einrichten könnten, so darf das zu betreuende regionale Gebiet aber keinesfalls zu groß werden. So hörte ich kürzlich in einem bayerischen Jugendamt, daß geplant sei, in Bayern nur zwei Adoptionsvermittlungsstellen für das ganze Land einzurichten. Adoptionsvermittlung — das sieht das Gesetz vor —muß in Zukunft individuell geschehen. Die abgebenden leiblichen Eltern, unter Umständen das Kind und die adoptivwilligen Ehepaare sind auch in Zukunft persönlich, notfalls durch Hausbesuche, zu beraten und zu betreuen. Eine Computervermittlung darf es nicht geben.Mir erscheint es auch wichtig, daß wir helfen, das Image der abgebenden Eltern zu verbessern. Eine Frau, die ihr Kind zur Adoption freigibt, ist in den meisten Fällen eine bessere Mutter als eine, die es im Heim ohne persönliche Zuwendung alleine läßt. Sorgen wir dafür, daß die Bevölkerung unseres Landes dieses durch Anerkennung honoriert!Wenn das vorliegende Gesetz ein guter Erfolg für die Heimkinder werden und deren Rechtslage verbessert werden soll, muß das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge, meine Damen und Herren, noch vor der Sommerpause verabschiedet werden. Die derzeitige Rechtsprechung läßt immer wieder deutlich werden, daß das Elternrecht ein starkes Übergewicht vor dem Kindesrecht hat, obwohl das Grundgesetz in Art. 2 allen Menschen — und dazu gehören auch unsere Kinder — das Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit und in Art. 3 Gleichheit vor dem Gesetz garantiert.So wurden in letzter Zeit viele Urteile zugunsten der Mutter damit begründet — bitte hören Sie zu! —, daß sie ihr Kind in Heim oder Pflegefamilie gut versorgt wußte, auch wenn sie es mehrere Jahre verlassen hat. Daraus sei ihr kein Vorwurf zu machen, weil sie es ja gut versorgt gewußt habe. Ich sehe darin jedoch eine anhaltende gröbliche Pflichtverletzung gegenüber dem Kind, wie sie in § 1748 BGB als Grund für die gerichtliche Ersetzung der Einwilligung zur Adoptionsfreigabe formuliert ist. Die Psyche eines Kindes bleibt bei solchen Urteilsbegründungen völlig unbeachtet, besonders dann, wenn das Kind in einer Pflegefamilie wie ein leibliches Kind hat leben dürfen. Für ein solches Kind sind Pflegeeltern seine Eltern, an die es sich gebunden hat. So hat das Kind einen Anspruch auf diese Eltern. In einem solchen Fall, in dem eine Mutter ihr Kind jahrelang verlassen hatte, es dann aber plötzlich zurückforderte, gibt das Gericht der Mutter recht, obwohl das Kind diese Mutter überhaupt nicht kannte, und begründet dieses Urteil damit, daß die Mutter selbst aus einer geschiedenen Ehe stamme und in ihrer Jugend unter den Verhältnissen im Elternhaus psychisch gelitten habe. Dies hätte sie erst in einem späteren Reifeprozeß ausgleichen können.Hier wird ein Kreislauf eingeleitet, der nun auch wieder dieses betroffene Kind, vor allen Dingen wenn es ein sensibles ist, schädigt, d. h., dieses Kind wird nicht bindungsfähig werden können und des-halb in einer späteren Ehe selbst wieder scheitern 1 müssen. Mir scheint es erforderlich zu sein, daß vormundschaftsrichterliche Entscheidungen nicht mehr nur von einem Richter gefällt werden, sondern daß ein Kinderpsychologe oder ein Arzt mit psychologischer Erfahrung mitwirkt. Wenn Richter, wie es kürzlich geschehen ist, die Erstellung eines gerichtspsychologischen Gutachtens mit dem Hinweis darauf ablehnen, daß sie als Familienväter das Kindeswohl selbst beurteilen könnten, so kennen sie in der Regel nur das geordnete eigene Familienleben und damit die Bindung als Vater oder Mutter zu den leiblichen Kindern. Deshalb werden sie auch im Konfliktfall immer der leiblichen Mutter das Recht zusprechen, z. B. auch gegenüber einer Pflegemutter, die kraft ihrer Liebe die wahre Mutter des Kindes geworden ist und die es unter Umständen von Verhaltensstörungen befreit hat.Ich will hier aber keine generelle Richterschelte üben. Erstens sind mir auch erfreuliche Urteile zugunsten der Kinder bekanntgeworden und zweitens werden mir ja in der Mehrzahl nur solche Fälle zugeleitet, in denen Pflegeeltern oder Jugendämter Hilfe durch meinen persönlichen Einsatz erhoffen. Von ihren Eltern verlassene Kinder werden zu Problemkindern für die Gesellschaft, wenn sie nicht in Sicherheit, in einer Ersatzfamilie bleiben dürfen. Deshalb muß zumindest der § 1666 BGB, der die Gefährdung des Kindeswohls beinhaltet, noch vor Ende dieser Legislaturperiode verabschiedet werden.Aber noch eine Lücke weist trotz dieser beiden heute zu verabschiedenden guten Gesetze unsere Gesetzgebung in bezug auf das Kindeswohl auf. Rechtlos leben die Kinder in Pflegefamilien und Kinderdörfern. So bedauerlich es ist, daß diese Lükke aus Zeitmangel vor der Sommerpause nicht mehr zu schließen ist, so muß es das Ziel des zukünftigen Parlaments bleiben, das von der FDP geforderte Pflegekinderrecht zu schaffen.Zwei Gesetze können nun in Kraft treten, und sie werden helfen, daß verlassene Kinder in Zukunft keine verlassenen, sondern geliebte Familienkinder sein werden. Helfen wir durch die Verabschiedung des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge, daß die Rechtslage all der Kinder in Heimen, Pflegefamilien und Kinderdörfern zukünftig verbessert wird, denn all diese Kinder wachsen heran und tragen einmal Verantwortung für unseren Staat! Sorgen wir dafür, daß sie seelisch gesund aufwachsen, damit sie nicht als verhaltensgestörte Menschen der Allgemeinheit zur Last fallen, sondern als verantwortungsbewußte Menschen vollwertige Glieder unserer Gesellschaft werden!
Das Wort hat Frau Bundesminister Dr. Focke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich begrüße es, daß der Bundestag nach sehr gründlicher und schneller Beratung in den Ausschüssen, bei der in allen Punkten Einver-
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Bundesminister Frau Dr. Fockenehmen zwischen Koalition und Opposition erzielt wurde, und nach einer Sachverständigenanhörung, die allgemeine Zustimmung zu der Grundkonzeption des neuen Adoptionsrechts und des Adoptionsvermittlungsrechts gezeigt hat, heute die Entwürfe des Adoptionsgesetzes und des Adoptionsvermittlungsgesetzes in zweiter und dritter Lesung verabschieden wird.Das Wohl des Kindes steht bei beiden Gesetzentwürfen im Vordergrund. Vor allem in den ersten Lebensjahren braucht ein Kind die Liebe und Geborgenheit einer Familie, um seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten voll entwickeln zu können. Dieser Grundsatz bestimmt nicht nur unser heutiges Verständnis der sozialen Funktion der Adoption, sondern auch — Ihnen, Frau Kollegin Schroeder, sei es besonders noch einmal gesagt — die Familienpolitik der Bundesregierung. Die Adoption wird mit Recht als eine hervorragende Möglichkeit spezifischer Jugendhilfe für solche Kinder gesehen, deren Eltern nicht bereit oder nicht in der Lage sind, ihre Kinder zu betreuen oder zu erziehen. Durch sie soll diesen Kindern ein beständiges und ausgeglichenes Zuhause verschafft werden.Diese neue Zielsetzung der Adoption, die übrigens auch im Europäischen Adoptionsübereinkommen aus dem Jahre 1967 verbindlich festgelegt wurde, erfordert, daß die Bedingungen für die Adoptionsvermittlung entscheidend verbessert werden, damit möglichst viele elternlose Kinder in möglichst frühem Alter die Chance erhalten, durch die Adoptionsvermittlung ein Elternhaus zu finden.Zweifellos hat die engagierte Diskussion in den Medien und in der Öffentlichkeit — ausgelöst auch durch die Vorabnovelle aus dem Jahre 1973 und die vorliegenden Gesetzesvorhaben — dazu beigetragen, daß sich bereits in den vergangenen Jahren die Anstrengungen verstärkt haben, Kindern eine individuelle Betreuung zuteil werden zu lassen. Die Gesamtzahl der Kinder, die nicht in der eigenen Familie aufwachsen können, hat sich in den letzten Jahren kaum erhöht, aber es gibt einen deutlichen Anstieg der Zahl der Adoptionen und der Übernahmen in Familienpflege. Es ist gelungen, viele Kinder aus den Heimen zu holen.Im Jahre 1970 lebten im Bundesgebiet noch fast 22 000 Kinder im Alter bis zu sechs Jahren in Heimen, während im selben Jahr nur etwa 12 000 Kinder in Familienpflege untergebracht waren. Seitdem hat sich dieses Verhältnis praktisch umgekehrt: 1974 waren nur noch 14 450 Kinder im Alter bis zu sechs Jahren in Heimen, jedoch fast 20 000 Kinder in Familienpflege. Zugleich nahm die Zahl der Adoptionen erheblich zu. Im Jahre 1970 gab es etwas mehr als 7 000 Adoptionen; im Jahre 1974 wurde mit 8 500 Adoptionen die höchste jährliche Adoptionszahl seit Führung der Statistik, d. h. seit 1950, registriert. Und nach den bis heute vorliegenden Erkenntnissen wird die Gesamtzahl für 1975 gegenüber 1974 wahrscheinlich noch einmal um 10 % ansteigen.Beachtlich erscheint mir in diesem Zusammenhang ferner, daß die Zahl der statistisch erfaßtenfreien Adoptionsstellen von rund 6 000 im Jahre I 1970 sprunghaft auf mehr als 12 200 im Jahre 1974 erhöht worden ist — ebenfalls mit weiter steigender Tendenz. Nach meiner Meinung ist die erstaunliche Zunahme der Adoptionsbereitschaft einem in den letzten Jahren erheblich erhöhten Ansehen der Adoption zu verdanken. Erfreulicherweise fühlen sich die meisten Adoptionsfamilien heute weniger genötigt, zu verheimlichen, daß ihre Kinder adoptiert sind. Dabei spielt sicher auch die Vorstellung von der Familie als einer auch auf den Banden der persönlichen Zuneigung und der tatsächlichen Übernahme der Elternrolle — und nicht nur auf biologischen Beziehungen — basierenden Einheit eine wesentliche Rolle. Zwar ist für die meisten Adoptiveltern die unfreiwillige Kinderlosigkeit nach wie vor die ursprüngliche Motivation, ein fremdes Kind anzunehmen; darüber hinaus ist aber auch ein neues Verantwortungsgefühl gegenüber der Gesellschaft entstanden, das inzwischen viele Ehepaare auch mit eigenen Kindern veranlaßt, ihre Liebe und Sorge auch auf Kinder auszudehnen, die Eltern brauchen.Zum Inhalt des Adoptionsvermittlungsgesetzes kann ich mich nach allem, was hier schon gesagt worden ist, darauf beschränken, ganz kurz vier wichtige Punkte anzusprechen.Erstens. Im Entwurf werden die Adoptionsvermittlungsstellen verpflichtet, den Fall schon vor der Geburt des Kindes aufzugreifen, wenn zu erwarten ist, daß dieses Kind zur Adoption freigegeben werden soll. Diese Regelung liegt im Interesse des Kindes. Aber auch die Interessen der leiblichen Eltern werden berücksichtigt. Eine rechtswirksame Einwilligung in die Adoption kann, wie hier schon betont wurde, erst acht Wochen nach der Geburt erteilt werden. Für die Beibehaltung dieser Sperrfrist gibt es gute Gründe. Sie soll die Eltern, vor allem alleinstehende Mütter, vor der unüberlegten Freigabe eines Kindes schützen, sie soll aber nicht eine vorgeburtliche Adoptionsplanung ausschließen.Zweitens. Ich begrüße, daß der federführende Ausschuß einmütig der Argumentation der Bundesregierung gefolgt ist, daß die vor- und nachgehenden Beratungen nur durch einen Rechtsanspruch der Betroffenen sichergestellt werden können. Die praktische Erfahrung hat gezeigt, daß bei gezielter Beratung und Hilfestellung vermehrt Adoptiveltern auch für Kinder gefunden werden können, von denen man früher glaubte, daß sie nicht zur Adoption vermittelt werden könnten, ältere Kinder also, behinderte Kinder, ausländische Kinder.Drittens. Während der Gesetzentwurf im Ausschuß behandelt wurde, hat die Presse mit Berichten über Babyhandel, vor allem in die USA, schokkiert. Der Tatsache, daß es nach bisher geltendem Recht möglich war, daß clevere Geschäftemacher schwangere Frauen zur Geburt in die USA vermittelten und das Neugeborene dort für große Geldsummen an adoptionswillige Eltern verkauften, wurde durch eine eingefügte Bestimmung Rechnung getragen: Unter Androhung eines Bußgeldes
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Bundesminister Frau Dr. Fockebis zu 50 000 DM ist es verboten, schwangere Frauen zu veranlassen, im Ausland zu entbinden und dort ihr Kind zur Adoption freizugeben.Viertens. Ein zentraler Punkt des Adoptionsvermittlungsgesetzes ist die Meldepflicht der Heime. Die zentralen Adoptionsstellen der Landesjugendämter können auf Grund der Daten, die ihnen in Zukunft von den Heimen bei Aufnahme eines Kindes und dann im jährlichen Turnus — Frau Kollegin Lüdemann, wir waren uns einig, daß das doch wohl ausreicht — mitgeteilt werden sollen, jedem Einzelfall nachgehen. Dadurch soll das Problem der sogenannten vergessenen Heimkinder für die Zukunft gelöst werden. Es wird geschätzt, daß von den 52 000 Kindern im Altern bis zu 15 Jahren, diezur Zeit in Heimen untergebracht sind, vielleicht pro Jahr 700 bis 2 500 Kinder auf diese Weise noch zur Adoption vermittelt werden können.Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß das neue Adoptionsvermittlungsgesetz das geeignete Instrument ist, auch diesen Kindern zu helfen. Ich danke den Kollegen der drei Fraktionen in den Ausschüssen, die dazu beigetragen haben, daß wir das Gesetz so schnell beraten und vollenden konnten. Ich freue mich über die breite Zustimmung, die es findet.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Der Ausschuß beantragt auf Drucksache 7/5089 unter Ziffer 2, die zu dem Entwurf eingegangenen Eingaben und Petitionen für erledigt zu erklären. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ausbau der Bundesfernstraßen in den Jahren 1971 bis 1985 — FStrAbÄndG —— Drucksache 7/4584 —
Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache 7/5090 —
Berichterstatter: Abgeordneter Lemmrich
Das Wort als Berichterstatter hat der Herr Abgeordnete Lemmrich.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Berichterstatter des Verkehrsausschusses für das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Ausbau der Bundesfernstraßen in den Jahren 1971 bis 1985 möchte ich zu dem vorliegenden Bericht einige erläuternde Ausführungen machen.Der Bundesfernstraßenbau wird seit 1959 nach gesetzlich abgesicherten langfristigen Straßenbauplänen durchgeführt. Nach dem ersten Ausbauplan der Jahre 1959 bis 1970 vollzieht sich der Bundesfernstraßenbau nunmehr nach dem Gesetz über den Ausbau der Bundesfernstraßen in den Jahren 1971 bis 1985. In ihm waren drei Dringlichkeitsstufen festgelegt, die aber keinen Aussagewert hinsichtlich des Zeitraumes der Verwirklichung hatten. Der Ausbauplan 1971 bis 1985 soll in drei Fünfjahresplänen vollzogen werden. Das Gesetz macht weiterhin zur Auflage, daß alle fünf Jahre die Dringlichkeiten neu überprüft werden. Das ist der eine Inhalt des vorliegenden Änderungsgesetzes. Das zweite dieses Änderungsgesetzes ist eine Änderung des § 6 des Ausbauplangesetzes.Die Überprüfung der Fernstraßendringlichkeiten hat in enger Zusammenarbeit mit den Bundesländern stattgefunden. Der Verkehrsausschuß hat sich eingehend mit dem neuen Bedarfsplan befaßt und selbst noch einige Änderungen vorgenommen. Nunmehr hat der Bundestag das letzte Wort.Der überarbeitete Bedarfsplan hat in Vergleich zum alten Plan eine wesentliche Reduzierung der Bauziele zum Inhalt sowie eine Änderung des Aussagewertes der Dringlichkeiten. Während die frühere 2. und 3. Dringlichkeitsstufe nur noch als „möglicher weiterer Bedarf" gilt, werden die noch offenen Straßenbauprojekte der bisherigen 1. Dringlichkeit in eine Stufe I a und eine Stufe I b unterteilt. Der Bauüberhang — der in diesem Bedarfsplan in violetter Farbe dargestellt ist — und die Dringlichkeitsstufe I a — sie ist in diesem Plan in roter Farbe ausgedruckt — sollen von 1976 bis 1985 durchgeführt werden. Die Dringlichkeit I b — die in gelber Farbe dargestellt ist — soll in den darauffolgenden zehn Jahren, d. h. bis 1995, realisiert werden. Im Gegensatz zur bisherigen Regelung geben die neuen Dringlichkeiten den Zeitraum an, in dem sie verwirklicht werden sollen.Bei der Ermittlung der Dringlichkeiten wurden drei Kriteriengruppen zugrunde gelegt. Es sind dies raumpolitische, verkehrliche und dann noch eine Gruppe sonstige Kriterien. Die raumpolitischen Kriterien beinhalten die innere Erschließung und die Anbindung schwach strukturierter Räume an die großen Verkehrsachsen. Besondere Bedeutung hat dabei das Zonenrandgebiet. Die zugrunde gelegten Bundesraumordnungsregionen scheinen aber ein zu grober Raster zu sein, um die raumpolitischen Probleme voll zu erfassen, wie das Beispiel der Autobahn Würzburg—Ulm zeigt. Die Verkehrskriterien beinhalten die Verkehrsbelastung eines Straßenzuges im Jahre 1973 und den Prognoseverkehr für das Jahr 1985. Unter den sonstigen Kriterien kommen16618 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976Lemmrichunter anderem Umweltbelastung, die Bedeutung einer Straße als internationale Verbindung und die Unfallrate eines Straßenzuges zum Ansatz.Für die Ermittlung der Dringlichkeiten war deren Gewichtung untereinander von ausschlaggebender Bedeutung. Es war eine politische Entscheidung, in die die Bundesländer einbezogen wurden. Die Gewichtung ist nun folgende: die raumpolitischen Kriterien werden doppelt gewichtet, die Verkehrskriterien einfach und die sonstigen Kriterien zur Hälfte. Das heißt, die raumpolitischen Kriterien haben das doppelte Gewicht wie die verkehrlichen Kriterien. Dies führte zu einer Verlagerung von ca. 4 Milliarden DM Investitionsmitteln innerhalb von zehn Jahren in die schwach strukturierten Gebiete. Außer diesen drei Kriterien werden noch die Baukosten bei der Ermittlung der Dringlichkeit einer Straßenbaumaßnahme einbezogen. Dadurch wird ein Anreiz für sparsame Planung gegeben. In einer Reihe von Fällen führte dies zu einer Verringerung der ursprünglich geplanten Fahrspurenzahlen einer Fernstraße, aber auch zu einer sparsameren Ausstattung der Baumaßnahme an sich.Wie viele Maßnahmen letztlich in die Dringlichkeitsstufe I a aufgenommen werden, das entschied der vorgegebene Finanzrahmen in Höhe von 37,3 Milliarden DM für Straßenbauinvestitionen in den nächsten 10 Jahren. Davon sind 15,9 Milliarden DM für die Weiterführung und Fertigstellung laufender Maßnahmen erforderlich, so daß noch 21,4 Milliarden DM für den Baubeginn neuer Maßnahmen in den nächsten 10 Jahren zur Verfügung stehen. Zu den Straßenbauinvestitionen zählen Autobahnneubau des Grund- und Ergänzungsnetzes, Autobahnmodernisierungen und der Neubau und Ausbau von Bundesstraßen mit über 2,5 Millionen DM Baukosten. Zu diesen 37,3 Milliarden DM Investitionsmitteln kommen noch die Beträge für den Straßenunterhalt und kleinere Erneuerungen hinzu.In den Fünfjahresplänen, nach denen der Ausbauplan vollzogen wird, sind die Gelder für Investitionen und Straßenunterhalt enthalten. Im ersten Fünfjahresplan wurden 29,4 Milliarden DM bereitgestellt. Durch erhebliche Kostensteigerungen schrumpfte das mit diesen Beträgen finanzierte Straßenbauvolumen — das auf der Preisbasis des 1. Januar 1970 ermittelt wurde — auf effektiv 25,15 Milliarden DM zusammen. Das auf der Preisbasis des 1. Januar 1974 ermittelte Bauvolumen des zweiten Fünfjahresplans in Höhe von 30,87 Milliarden DM schrumpft bei Umrechnung auf die Preisbasis des 1. Januar 1970 auf 24,2 Milliarden DM zusammen. Legt man eine nur 2,5°/oige jährliche Kostensteigerung zugrunde, so ergibt sich, daß der effektive Betrag des zweiten Fünfjahresplanes um ca. 4 Milliarden DM unter dem effektiven Volumen des ersten Fünfjahresplans liegt. Der Fernstraßenbau weist somit beträchtlich rückläufige Tendenzen auf. Dies macht auch die Tatsache deutlich, daß die Leistung im Autobahnbau von 346 fertiggestellten Kilometern pro Jahr im ersten Fünfjahresplan auf jährlich 250 Kilometer im zweiten Fünfjahresplan zurückgehen wird. Diese Entwicklung tritt ein, obwohl die Umweltschutzmaßnahmen beträchtlichezusätzliche Mittel erfordern werden. Nach wie vor stellen Ortsumgehungen von Straßen eine beträchtliche Lärm- und Abgasentlastung unserer Städte und Ortschaften dar.Durch eine Ergänzung des § 6 des Ausbauplangesetzes soll sichergestellt werden, daß im Falle erheblicher Änderungen der Verkehrsstruktur, wie dies im Zusammenhang mit der neuen Netzkonzeption der Bundesbahn möglich ist, die etwa notwendigen Anpassungsmaßnahmen unabhängig von der Einordnung in die Dringlichkeitsstufen bereits vor der nächsten Überprüfung 1980 in Angriff genommen werden können. Dies würde aber zusätzliche Mittel erfordern, da, wie die Beratungen zeigten, weitere Umschichtungen nur schwer möglich sind.Dem Ausschuß lagen 47 Anträge auf Aufstufung in die Dringlichkeit I a bzw. I b mit einem Finanzvolumen von 9,7 Milliarden DM vor. Behandelt wurden nur Anträge auf Aufstufung in die Dringlichkeit I a mit einem Finanzvolumen von 5,04 Milliarden DM. Dabei wurde nach folgenden Grundsätzen verfahren, die auch der Haushaltsausschuß ausdrücklich unterstrich:Erstens. Das Finanzvolumen des Bedarfsplans von insgesamt 37,3 Milliarden DM wird eingehalten. Höherstufungen von der Dringlichkeitsstufe I b in die Dringlichkeitsstufe I a wurden nur in dem Ausmaße vorgenommen, in dem eine entsprechende Abstufung anderer Straßenbauprojekte mit gleichem Finanzvolumen möglich war.Zweitens. Bei den Änderungen wurde darauf geachtet, daß die Anteile der Länder unberührt bleiben. Aufstufungen und Abstufungen in den Dringlichkeiten wurden somit nur innerhalb eines Bundeslandes vorgenommen.Es wurden elf Baumaßnahmen mit einem Finanzvolumen von 886 Millionen DM aufgestuft. Dafür wurden 30 Maßnahmen mit annähernd dem gleichen Finanzvolumen in die Dringlichkeitsstufe I b abgestuft. Besondere Mühe bereitete dabei die Maßnahme betreffend die Bundesstraße 5 neu bei Brunsbüttelkoog, die 210 Millionen DM erforderte. Die besonderen Anstrengungen des Landes Schleswig-Holstein möchte ich dabei anerkennen.Bei den für 1980 anstehenden erneuten Überprüfungen des Bedarfsplanes sollte besonderes Gewicht darauf gelegt werden, daß das Fernstraßennetz ein geschlossenes verkehrsgerechtes Netz wird. Es ist daher erforderlich, auch Maßnahmen der neuen Dringlichkeitsstufe II, die jetzt „möglicher weiterer Bedarf" heißt, in die Überprüfung einzubeziehen.Gut eingespielte und qualifizierte Straßenbauverwaltungen des Bundes und der Länder haben für die Straßenbauplanung und Bedarfsplanung Verfahren ausgearbeitet, die außerordentlich modern sind. Diesen Männern möchte ich bei dieser Gelegenheit Dank und Anerkennung aussprechen.
Wir können nur wünschen und hoffen, daß bei der Deutschen Bundesbahn eine ebenso gut einge-
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Lemmrichspielte Mannschaft für den Bau der neuen Eisenbahnstrecken tätig wird,
damit der Bau endlich richtig ins Laufen kommt, nachdem bereits sechs Jahre darüber gesprochen wird.Der Ausschuß hat die Vorlage dieses Gesetzes einmütig gebilligt.So weit, meine sehr verehrten Damen und Herren, meine Ausführungen als Berichterstatter. Ich bitte Sie um Nachsicht, daß ich Sie mit so vielen Zahlen und möglicherweise mit nicht allen Kollegen geläufigen technischen Begriffen traktiert habe. Doch sollten Sie selbst einmal über Fernstraßenbau sprechen müssen, so wird Ihnen dieses Protokoll des Bundestages möglicherweise eine Hilfe geben können.
Ich darf die Aussprache eröffnen. Sie haben weiter das Wort.
Ich möchte nun im Namen meiner Fraktion die Haltung der CDU/CSU zu dem Gesetzentwurf begründen: Meine Fraktion wird dem Gesetzentwurf zustimmen, obwohl eine Reihe von Kollegen Bedenken hinsichtlich der Dringlichkeitseinstufung einzelner Maßnahmen haben.
Als eine Billigung der desolaten Verkehrspolitik der Regierung Schmidt kann unsere Zustimmung jedoch nicht ausgelegt werden.
Im wesentlichen sind es zwei Gründe, die uns, trotz Bedenken, eine Zustimmung möglich machen.Erstens. Mit der stärkeren Gewichtung der raumpolitischen Daten ist eine alte Forderung der CDU/ CSU erfüllt worden. Die Verkehrspolitik, insbesondere der Straßenbau, ist ein wesentliches Instrument der regionalen Strukturpolitik. Ohne Straßenbau und Straßenverkehr wäre z. B. eine wirtschaftliche Stabilisierung Ostbayerns nicht möglich gewesen, wo es seit eh und je weite Bereiche ohne Eisenbahnen gibt. Es ist jedoch wünschenswert, daß das eingesetzte Instrumentarium zur Ermittlung der raumpolitischen Gewichtung bei der künftigen Bewertung weiter differenziert wird.Zweitens. Mit der Vorgabe des Finanzrahmens bis 1985 und der Abstimmung auf die Dringlichkeitsstufe I a wird endlich verdeutlicht, was von dem riesigen Programm Georg Lebers Wirklichkeit und was Utopie ist. Für die Straßenplanung wie für die Bauwirtschaft sind eindeutige Daten, die aber auch Bestand haben müssen, unerläßlich. Bei der Beratung des Ausbauplangesetzes 1971 wurde unser Antrag, es so zu machen, wie es jetzt in der neuen Vorlage geschehen ist, von der Regierungskoalition noch abgelehnt. Die CDU/CSU kann für sich in Anspruch nehmen, daß sie auch hier einen gesundenRealitätssinn gezeigt hat, der der Regierungskoalition so oft fehlt.Diese Novelle des Ausbauplangesetzes stellt einen der von der CDU/CSU geforderten Offenbarungseide der Regierung dar.
In aller Klarheit wird deutlich, welch falsche Hoffnungen die Regierungskoalition 1971 erweckt hatte und welch gestörtes Verhältnis sie zu dem finanziell Machbaren hat. Dazu bedurfte es nicht erst neuer Daten, die der Verkehrsminister jetzt als Schutzschild vor sich herträgt, um die finanziellen Möglichkeiten für den Fernstraßenbau richtig einschätzen zu können.Die Entwicklung des Fernstraßenbaus der letzten fünf Jahre macht aber auch die Folgen der von der Regierung zu vertretenden Inflationspolitik deutlich. Es wird nicht mehr, sondern weniger für die Zukunftsentwicklung investiert. Da helfen auch nicht die bedauernden Worte des Verkehrsstaatssekretärs weiter, die er darüber unlängst in München fallen ließ.Im Fernstraßenbau wird der ganze Zickzackkurs der derzeitigen Verkehrspolitik der Regierung deutlich: Erst wird das Auto verteufelt. Der Herr Bundeskanzler erklärte auf dem SPD-Parteitag 1973 in Hannover folgendes:. ich kann mir auch ... vorstellen, daß man durch höhere Besteuerung des Autos und des Benzins das Wachstum der Automobilproduktion planmäßig dämpft.
Nachdem das dann geschehen war und das Kind Konjunktur im Brunnen lag, erklärte der Herr Bundeskanzler vor den Arbeitern von Daimler-Benz das genaue Gegenteil von dem, was er vorher in Hannover ausgeführt hatte.
Gradlinigkeit ist das nicht, und Weitblick mit Sicherheit auch nicht. Doch nur ein Bundeskanzler mit Weitblick kann Deutschland gut regieren.
Die Unglaubwürdigkeit der führenden Regierungspartei SPD wird auch in der Frage der Zweckbindung der Mineralölsteuer für den Bundesfernstraßenbau deutlich. Ein Jahrzehnt lang forderte die SPD die volle Zweckbindung für den Straßenbau. Herr Kollege Börner, Ihre Worte habe ich ja immer im Ohr.
Doch nun, da sie regiert, beseitigt sie seit 1973 diese Zweckbindung. Im zweiten Fünfjahresplan von 1976 bis 1980 sollen 3,4 Milliarden DM aus dem für den Fernstraßenbau zweckgebundenen Teil der Mineralölsteuer entnommen werden. Die SPD ist nun einmal nicht an ihren schönen Worten zu erkennen,
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Lemmrichdie wir jetzt schon wieder überall auf Plakaten nachlesen können, sondern an ihren Taten; und die sehen nun einmal ganz anders als ihre Versprechungen aus.Das gilt auch für den Gesamtrahmen der Verkehrsinvestitionen, vom Eisenbahnneubau über den Straßenbau bis zu den Wasserstraßen. Seit 1968 ist der Gesamtverkehrswegeplan — eine durchaus sehr wichtige Sache — angekündigt worden. Nachdem die erste Stufe dieses Bundesverkehrswegeplans wieder zurückgezogen wurde, warten wir nunmehr seit acht Jahren auf die Vorlage dieses aufeinander abgestimmten und koordinierten Konzepts.Der Finanzrahmen für den Bundesfernstraßenbau ist außerordentlich eng geworden, fast zu eng. Das Fernstraßennetz sollte aber kein Torso bleiben. Es gibt noch zahlreiche Lücken, Herr Minister, auch wenn das in Ihren Informationen ein bißchen anders steht. Aber vielleicht nehmen Sie die Praxis Ihrer Vorgänger wieder auf, sich an Ort und Stelle einen Gesamteindruck von dem Netz zu verschaffen.Eine angefangene große Aufgabe wie der Fernstraßenbau muß auch zu Ende geführt werden. Dies ist ein wichtiger Beitrag zur Schaffung gleicher Lebensverhältnisse in allen Teilen unseres Landes. Bei sämtlichen Straßenbauprogrammen sollten wir aber alle nicht übersehen, daß Bund und Parlament nur das Geld ausgeben und verbauen können, das über die Mineralölsteuer den Autofahrern vorher abgenommen wurde. Auf den großen Baustellenschildern sollte daher nicht stehen „Hier baut die Bundesrepublik Deutschland", sondern „Hier verbaut die Bundesrepublik Deutschland die Steuergelder ihrer Bürger". Das wird sicherlich die Autofahrer dann etwas williger die hohen Steuern und Benzinpreise zahlen lassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wrede.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausführungen des Kollegen Lemmrich, die in zwei Abschnitte untergliedert waren — zum einen in den Bericht des Berichterstatters, zum anderen in eine Stellungnahme des Vertreters der Opposition —, haben so recht deutlich werden lassen, in welchem Dilemma sich die Kollegen der Opposition befinden. Einerseits sind sie in den Ausschußberatungen durchaus bereit, in sachlicher Zusammenarbeit mit den Vertretern der Regierungskoalition zu sachgerechten Entscheidungen beizutragen, andererseits möchten sie aber selbstverständlich im Plenum des Bundestags angesichts der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, als stünden sie auch bei so sachbezogenen Themen wie dem Straßenbau in einer harten Konfrontation zur Politik dieser Bundesregierung.
Einerseits möchten die Kollegen der Opposition deutlich werden lassen, daß sie Opposition sind und andere Positionen als die Regierung und die Koalitionsfraktionen besetzt haben; andererseits legen sie aber größten Wert darauf — darauf komme ich nachher noch zurück —, darzustellen, daß sie an den Erfolgen dieser Politik, die sich beim Straßenbau in Kilometer Straßenlänge ausrechnen lassen, einen erheblichen Anteil haben. Meine Herren Kollegen von der Opposition, wie Sie mit diesen beiden eigentlich nicht zu vereinbarenden Positionen fertigwerden, ist Ihr Problem. Mir kam es darauf an, das in diesem Zusammenhang deutlich zu machen.Der Kollege Lemmrich hat bei seinen Vorwürfen gegen die Verkehrspolitik der Regierung nichts Neues gesagt; Kollege Lemmrich, ich darf das an dieser Stelle wieder einmal sagen. Bei der ersten Lesung dieses Gesetzes wie auch bei früheren Gelegenheiten haben Sie die gleichen Zusammenhänge hergestellt.
Daß sich seit dem Herbst 1973 die weltwirtschaftlichen Bedingungen auch für die Bundesrepublik erheblich geändert haben, geben Sie bisweilen in anderen Zusammenhängen auch zu. Nur, wenn es Ihnen in den Kram paßt, vergessen Sie es schlicht und einfach.
Daß die wirtschaftlichen Belastungen aus der enormen Verteuerung der Rohstoffe einschließlich des Öls die Industrienationen, in besonderer Weise die Bundesrepublik, getroffen haben, ist doch kein Geheimnis. Daß daraus resultierend die Finanzen der öffentlichen Hand unter einer Belastung stehen, die im Jahre 1970 nicht vorauszusehen war, wissen Sie auch. Daraus ergibt sich doch zwangsläufig der Zusammenhang zwischen den Möglichkeiten der Finanzierung der Verkehrspolitik und den gesamten finanziellen Möglichkeiten der öffentlichen Hand. Wenn die Kollegen der Opposition, die ja nicht nur die Verkehrspolitik, sondern auch die Politik in anderen Bereichen vertreten, mit ihren in den Ausschüssen aufgestellten Forderungen im Plenum des Deutschen Bundestages, beispielsweise bei Haushaltsberatungen, konfrontiert werden, pflegen sie sich dem meistens durch Stimmenthaltung oder nach dem Motto „Da machen wir nicht mit" zu entziehen. Das kann eine Opposition tun. Aber die Regierungsparteien müssen die Gesamtverantwortung auch für den Haushalt übernehmen, d. h. auch dafür, daß die Verkehrsfinanzpolitik in die finanziellen Möglichkeiten der Haushaltspolitik dieser Bundesrepublik
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Wredeeingebettet ist. Und da ergeben sich ganz zwangsläufig Grenzen. Dennoch wage ich zu behaupten: Unter diesen Gesichtspunkten ist ein Betrag von 37,3 Milliarden DM für den Neubau von Bundesfernstraßen für die nächsten zehn Jahre eine ganz erkleckliche Summe, mit der Erhebliches geleistet werden kann.
Ich möchte nicht auf die vielen Einzelheiten eingehen. Denn der Kollege Lemmrich hat als Berichterstatter in seinem ersten Teil die Fakten freundlicherweise so deutlich werden lassen, daß ich es mir ersparen kann. Ich möchte nur noch einmal deutlich herausstellen: Im ersten Fünfjahresplan von 1971 bis 1975 wurde das Planziel beim Autobahnbau mit 1780 Kilometern zu 95 °/o und beim Bundesstraßenbau mit 1 360 Kilometern zu 90 °/o erfüllt. Allein 1974 und 1975 konnten 800 Kilometer neuer Autobahnen in Betrieb genommen werden. Meine Damen und Herren, dies ist, meine ich, eine stolze Bilanz. Der Fernstraßenbau in der Bundesrepublik kann sich bei allen Mäkeleien der Opposition Isehen lassen. Die Bundesrepublik hält, was ihr Straßennetz angeht, den Vergleich mit jedem anderen Land aus.
Die notwendig gewordenen Veränderungen hat Herr Kollege Lemmrich angesprochen. Es geht hier nicht nur um Veränderungen der Strukturdaten. Es geht hier auch um den zukünftigen Kostenanstieg beim Straßenbau durch Maßnahmen des Lärmschutzes, die Straßenbauten automatisch verteuern und damit zu einer Reduzierung von Kilometer-Leistungen führen. Die von mir genannten finanziellen Engpässe im Bundeshaushalt machen zwangsläufig eine Reduzierung dieses Fernstraßenplanes notwendig.Zu den neuen Dringlichkeitsstufen möchte ich mich nicht weiter äußern — der Berichterstatter hat die Begründungen dafür erläutert —, sondern ich möchte nur noch einmal hervorheben, daß es durch die Aufnahme der strukturpolitischen Daten in die Bewertungskriterien und der Gewichtung dieser Daten im Verhältnis zu anderen Daten immerhin möglich wird, in den nächsten zehn Jahren rund 4,5 Milliarden DM Straßenbaumittel umzuschichten, umzuschichten von den Ballungsräumen in die Fläche, um dort die Strukturentwicklungsmöglichkeiten erheblich zu verbessern. Schließlich wird möglich sein, durch Änderung des § 6 zwischenzeitlich eventuell notwendig werdende Änderungen des Planes, insbesondere im Zusammenhang mit Entscheidungen über das Schienennetz der Bundesbahn, auch tatsächlich durchzuführen.Ich möchte an dieser Stelle besonders hervorheben, daß die sehr gründliche Vorbereitung dieses Gesetzentwurfs durch die Bundesregierung, durch die eingehenden Gespräche mit den Bundesländern uns die Arbeit im Verkehrsausschuß sehr erleichtert hat. Ich möchte der Bundesregierung an dieser Stelle ausdrücklich für ihre Arbeit danken.
Denn durch diese gründliche Vorbereitung hielt sich die Zahl der Änderungswünsche in den vom Berichterstatter genannten, recht engen Grenzen. Dabei waren sich Verkehrs- und Haushaltsausschuß einig, daß bei dem Vorsatz, das insgesamt zur Verfügung stehende Volumen nicht auszudehnen, ohnehin nur Änderungen im Rahmen jeweiliger Länderquoten vorgenommen werden konnten — und dann auch nur, wenn Deckungsvorschläge durch Abstufung anderer Maßnahmen eingebracht werden konnten. Das bedeutet, daß wir bei den Beratungen des Verkehrsausschusses insgesamt nur 2,5 °/o des Finanzvolumens der Vorlage der Regierung durch Änderungsbeschlüsse umgeschichtet haben.Aber nun, meine Damen und Herren, kann ich es Ihnen nicht ersparen, einiges zu Prioritäten zu sagen, nicht zu Prioritäten in der Bewertungsliste von Dringlichkeiten im Straßenbau, sondern zu Prioritäten, wie sie nach Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes im Verkehrsausschuß hergestellt wurden. Ich denke an das öffentliche Klima, das entstanden ist. Wenn ich die Informationen, die mir aus verschiedenen Bereichen der Bundesrepublik zugegangen sind, richtig werte, dann muß draußen im Lande der Eindruck entstehen, die CDU/CSU befinde sich an der Regierung und habe im Parlament die Mehrheit. Für das, was dort draußen im Land überall an Erfolgsmeldungen einzelner Kollegen der Opposition verbreitet wurde, daß dieser oder jener sich für diese oder jene Straße — natürlich in seinem Wahlbereich — besonders eingesetzt habe, habe ich Verständnis. Denn im Wahljahr gilt ja die alte Spruchweisheit „Klappern gehört zum Handwerk" in besonderer Weise. Nur, ob es dazu notwendig ist, Druckerzeugnisse mit einem schönen großen Bild des Kandidaten herzustellen, durch die den verdutzten Wählern deutlich gemacht werden soll, daß diese Straße eigentlich nicht durch den Verkehrsausschuß und, nach der heutigen Beratung, durch den Deutschen Bundestag in den Plan aufgenommen wird, sondern nur dem Kollegen X zu verdanken ist, das muß sich jeder selber fragen. Und wenn es so weit geht, daß sogar der Fraktionsvorsitzende der Opposition, der Kollege Carstens, es für notwendig hält, in seinem Heimatbereich durch Presseverlautbarungen deutlich werden zu lassen, daß es nur dem Zusammenwirken seiner Person mit der Landesregierung Schleswig-Holsteins gelungen sei, ein bestimmtes Straßenprojekt in den Plan zu bekommen oder im Plan zu erhalten, dann muß er es offensichtlich nötig haben, und dann scheint es mit Ihrer Opposition gegen die Verkehrspolitik, die wir nachher in diesem Gesetz einstimmig beschließen werden, nicht so weit her zu sein.
Diese Vorgänge geben Veranlassung, nochmals deutlich auf etwas hinzuweisen, was Sie ja eigentlich wissen: Die Mehrheit in diesem Parlament haben die Fraktionen der SPD und der FDP, und nichts in diesem Bundesfernstraßenplan hätte beschlossen werden können, wenn diese beiden Fraktionen es nicht gewollt hätten. Das muß ganz deutlich herausgestellt werden.
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WredeDabei will ich nicht in Abrede stellen, daß es uns in gemeinsamer Beratung gelungen ist, im Verkehrsausschuß zu einem einvernehmlichen Beschluß zu kommen. Ich hoffe, dazu wird es heute auch im Plenum kommen. Insbesondere möchte ich die Sachlichkeit der Beratung im Verkehrsausschuß hervorheben. Mir kam es jetzt nur darauf an, deutlich zu machen, daß das in der Öffentlichkeit dann häufig recht anders aussieht.Was die einzelnen Projekte betrifft, möchte ich nur ganz kurz auf die Schwerpunktverlagerung in Bayern und Baden-Württemberg bei der A7-Autobahn Würzburg–Ulm hinweisen. Daß uns das möglich geworden ist, halte ich für sehr bemerkenswert. Bemerkenswert ist auch eine andere große Maßnahme, nämlich im Land Nordrhein-Westfalen eine Abstufung der A 31 zwischen Overath und Wermelskirchen. Wegen der vielen Einwände gegen diese Trassenführung waren wir gemeinsam der Auffassung, das Verkehrsministerium solle die Gesamtplanung der A 31 im Raum südlich von Essen nochmals gründlich prüfen, um bei der nächsten Fortschreibung zu sehen, wie es mit diesem Projekt steht. Erwähnen möchte ich auch ein Schwerpunktprojekt im Land Schleswig-Holstein: Wir haben — worauf schon verwiesen wurde — die Kanalquerung des Nord-Ostsee-Kanals bei Brunsbüttel mit rund 200 Millionen DM aufgenommen.Dabei muß ich nochmals auf Öffentlichkeitswirksamkeit zu sprechen kommen. Unzutreffend ist der Eindruck, den ein Kollege der Oppositionsfraktion in Zeitungsberichten erweckt, als habe die SPD-Fraktion gegen dieses Projekt bis zuletzt im Ausschuß schwere Bedenken gehabt. Jeder weiß, daß sich die Bedenken der SPD nicht gegen dieses Projekt der Kanalquerung, sondern gegen den Dekkungsvorschlag richteten, der unter anderem vorsah, daß zwölf Einzelmaßnahmen, die bisher nach I a im Land Schleswig-Holstein finanziert werden sollten, nun nicht finanziert werden können. Das bedeutet: Die Freude der einen, die nun ihre Kanalquerung bekommen, bedingt den Ärger der anderen, die dringend notwendige andere Straßenbauprojekte in den nächsten zehn Jahren nicht realisiert bekommen. Auf diesen Zusammenhang habe ich bei den Beratungen im Verkehrsausschuß hingewiesen. Ich will das heute in besonderer Weise wiederholen und erläutern, was ich im Verkehrsausschuß gesagt habe: Die Landesregierung Schleswig-Holstein muß die politische Verantwortung für die zwölf einzelnen Deckungsvorschläge übernehmen, die von ihr kommen. Denn wir konnten im Verkehrsausschuß des Bundestages nicht nachprüfen, in welchem Ausmaß diese Vorschläge für die Heranziehung der Deckung realisierbar sind.Ich sage das mit besonderem Nachdruck, weil ich aus einer Antwort der Landesregierung von Schleswig-Holstein auf eine Kleine Anfrage eines SPD-Landtagsabgeordneten den Eindruck haben muß, daß die Landesregierung zwar Erfolge — siehe Kanalquerung Brunsbüttel — für sich reklamieren möchte, aber die Verantwortung, für diese Deckung in anderen Bereichen nicht oder später zu bauen, zumindest — ich drücke mich sehr zurückhaltend aus —mit der Bundesregierung teilen oder — man könnte es auch anders lesen — einfach auf die Bundesregierung nach dem Motto abschieben möchte: Wenn die uns mehr Geld gäben, könnten wir auch das andere bauen.Es ist notwendig, auf diese Zusammenhänge nochmals hinzuweisen. Diese ergeben sich auch ganz zwangsläufig aus dem Bericht des Kollegen Lemmrich, der nicht zur SPD-Fraktion gehört, in dem schlicht und einfach steht:Deckungsvorschlag: Zwölf weitere Einzelmaßnahmen gemäß Vorschlag der Landesregierung Schleswig-Holstein.Damit sollte dies zumindest hier bei uns im Bundestag aus dem Parteienstreit heraus sein; denn der Berichterstatter hat das so objektiv dargestellt, wie es sich auch in den Beratungen ergeben hat.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Meinen Dank für die sehr sachliche Diskussion im Ausschuß habe ich zum Ausdruck gebracht. Ich möchte meiner Freude Ausdruck geben, daß es möglich war, ein so wichtiges Gesetz mit so weitreichenden Folgen für viele Menschen in unserem Lande im Ausschuß einstimmig zu verabschieden. Ich denke, das Ergebnis dieser Beratungen ist ein ausgewogener Kompromiß, natürlich zwischen einer großen Anzahl von Wünschen und dem, was finanziell im Rahmen der Bundesfinanzen zu verkraften ist. Ich sage dennoch: Der Fernstraßenbau in der Bundesrepublik Deutschland wird auch in den nächsten Jahren großgeschrieben.
Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der uns vorliegende Gesetzentwurf erregt sicherlich nicht die Gemüter unseres ganzen Volkes. Aber er war doch Anlaß für ungeheure Aktivitäten von Landesregierungen, Gebietskörperschaften und vor allen Dingen von Wahlkreisabgeordneten; denn es ist sicherlich sehr reizvoll — der Versuchung kann man kaum widerstehen —, nach einem eingetretenen Erfolg oder nach einer eingetretenen Veränderung durch beharrliches Insistieren diese Veränderung als den persönlichen Erfolg eines Wahlkreisbewerbers herauszustellen mit der Absicht, dabei zusätzliche Wählerstimmen zu gewinnen. Nun, das ist alles legal und in Ordnung. Nur, ich komme nicht umhin, noch einmal festzustellen und die Feststellung meines Kollegen Wrede zu wiederholen: Es hat gute Vorschläge der Opposition gegeben, wir haben im Ausschuß angesichts der Schwierigkeit der Materie — so möchte ich sagen — in hervorragender Harmonie und Sachlichkeit zusammengearbeitet, aber alle Änderungsvorschläge bedürfen doch einer Mehrheit. Wenn die Regierungskoalition nicht bereit gewesen wäre, solchen Vorschlägen zu folgen, dann hätten diese Ände-
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Olleschrungsvorschläge nicht ihren Niederschlag in der Anlage zu diesem Gesetzentwurf gefunden.
Das muß sehr deutlich festgestellt werden.
Herr Kollege Lemmrich hat für die Opposition zum Ausdruck gebracht, daß trotz einiger Bedenken von Kollegen — in welcher Fraktion gibt es keine Bedenken von Kollegen, die mit ihren Wünschen für eine neue oder auszubauende Straße nicht zum Zuge gekommen sind — diesem Gesetzentwurf die Zustimmung gegeben wird. Er hat diese Tendenz ja auch schon bei der ersten Lesung hier in diesem Hause im Februar zum Ausdruck gebracht.Ich habe damals für die Freien Demokraten erklärt, daß wir das Änderungsgesetz begrüßen, weil es sachbezogen ist und weil dieses Änderungsgesetz versucht, verkehrspolitische Notwendigkeiten, Wünsche und die Finanzierbarkeit dieser Notwendigkeiten und Wünsche miteinander in Übereinstimmung zu bringen. Das ist ein sehr schwieriges Verfahren, wenn man weiß, daß wir sicherlich nie zur vollen Zufriedenheit unserer Bevölkerung ausreichend Straßen bauen können, es sei denn, wir würden die Bundesrepublik mit einem engmaschigen Netz von Straßen überziehen und dabei Landschaftsschutzgebiete, Naturschutzgebiete zerstören oder stark beeinträchtigen.Das wird nie der Fall sein können. Wir können auch nicht für jede denkbare Situation — Ferien-und Feiertagsreiseverkehr — ausreichend Straßenraum vorhalten. Das wird nie der Fall sein, wenn wir nicht unsere gesamte Landschaft zerstören wollen. Außerdem wäre ein solches optimales Netz nicht finanzierbar.Ich verstehe die Sorge von Kommentatoren unserer Verkehrsplanung nicht, soweit es den Straßenbau anbelangt, die der Meinung sind, wir täten hier viel zuviel und die Vielzahl und die vorzügliche technische Einrichtung unserer Straßen hätten dazu geführt, daß andere Verkehrsarten notleidend geworden wären.
Es ist ja nicht so, daß die Straßen die Bundesbahn in die Mindererträge hineingebracht hätten. Daran waren allenfalls die Automobile, aber nicht die Straßen schuld. Daher, meine Damen und Herren, kann die Lösung nicht darin gesucht werden, daß man weniger Straßen als bisher baut, um den KfzVerkehr über fehlende Straßen einzuschränken. Da gäbe es noch andere Lösungen. Man könnte zum Beispiel viereckige Räder vorschlagen. Die würden das Reisen so unangenehm machen, daß man wieder mit der Bahn führe. Wir müssen einer technischen Entwicklung, ob wir es wollen oder nicht, auch unseren Tribut zollen und vorhandene Verkehrseinrichtungen auf den noch vorhandenen Bedarf abstellen. Daran kommen wir nicht vorbei.Herr Kollege Lemmrich hat erklärt, daß er mit der Zustimmung nicht zum Ausdruck bringen wolle, daß er damit die gesamte Politik dieser Bundesregierung tragen und mit der Note „gut" versehen wolle. Das haben wir auch gar nicht erwartet, HerrKollege Lemmrich, aber Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf bedeutet, daß die Politik dieser Regierung und der Fraktionen, die diese Regierung tragen, zumindest in diesem Bereich nicht so schlecht ist, daß man dieser Politik die Zustimmung nicht geben kann.
Ich war sicherlich nicht mehr gemeint, als er vom Offenbarungseid sprach. Den Höhenflug der Vergangenheit in gewissen Bereichen habe ich selbst und hat auch meine Fraktion eigentlich nie mitgemacht. Ich habe 1971 anläßlich der Beratung des Bedarfsplans für die Jahre 1971 bis 1985 ausdrücklich erklärt, daß wir der Auffassung seien, daß das eben nur ein Plan sei, der kaum erfüllt werden könne,
und daß daran erhebliche Abstriche gemacht werden müßten. Das ist an Hand der Bundestagsprotokolle nachweisbar. Wir haben uns also sehr bemüht, realistische Verkehrspolitik zu betreiben,
immer im Hinblick auf die Finanzierbarkeit dieser Maßnahmen im Rahmen unserer Verkehrspolitik.
Von da her war es für uns auch gar nicht so schwierig, die globale Zustimmung zu diesem Änderungsgesetz zu geben. Wir haben uns naturgemäß bemüht, hier und da Korrekturen anzubringen. Diese Korrekturen sind von meinen beiden Vorrednern ausdrücklich erwähnt worden. Wir meinen, daß diese Korrekturen geeignet sein könnten, angesichts der vorhandenen finanziellen Möglichkeiten in unserem Lande ein Höchstmaß an Verkehrsbedienung über die Straße herzustellen.Es kam dabei naturgemäß auch zu Abstufungen, die für eine einzelne Region oder für ein Land sicherlich nicht sehr einfach hinzunehmen sind. Ich denke an den Ausgleich, der für die Finanzierung _der A 7 Würzburg—Ulm im baden-württembergischen Bereich gefunden wurde. Hier mußte auf Mittel zurückgegriffen werden, die im Grunde genommen für den sechsspurigen Ausbau der Autobahn Stuttgart—München vorgesehen waren. Wir haben dieser Veränderung trotzdem unsere Zustimmung gegeben, weil wir der Auffassung sind, daß die betreffenden Länder vielleicht eher als wir erkennen können, ob eine solche Maßnahme ohne Schaden für den Verkehrsablauf in dieser Region zu verantworten ist. Wir Freien Demokraten und ich selbst haben uns bemüht, auch Austauschobjekte anzubieten, die wir aus eigener Anschauung als geeignet angesehen haben. Das ist zum Teil auch akzeptiert worden; das sei hier dankbar vermerkt.
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OlleschMit diesem Änderungsgesetz haben wir die Grundlagen für den Straßenbau der nächsten zehn Jahre gelegt. Um Irrtümer zu vermeiden, sei aber noch einmal vermerkt, daß es sich bei den 5 700 km der Dringlichkeitsstufe I a mit dem Überhang nicht nur um neue Straßen mit neuen Trassen handelt, sondern zum großen Teil um den Ausbau vorhandener Straßen. Es kann uns also nicht nachgesagt werden, daß wir Politiker nur die Erfüllung des Verkehrsbedarfs sehen und unsere Landschaft bedenkenlos für Flächen für Verkehrsbänder über Gebühr in Anspruch nehmen würden. Völlig neue Trassen sind nur zu einem kleineren Teil innerhalb dieser Länge von 5 700 km vorgesehen.Vielleicht noch ein Wort zu der Kanalquerung im Zuge der B 5 im Raum Brunsbüttel. Ich habe versucht, mir aus eigener Anschauung ein Bild von der Notwendigkeit zu machen. Die Bedenken, die es gegeben hat und die auch im Ausschuß erörtert wurden, waren nicht so sehr vom Zweifel an der Notwendigkeit des Bauvorhabens bestimmt, sondern von der Höhe der benötigten Mittel, die, wenn sie im Zusammenhang mit anderen notwendigen Baumaßnahmen gesehen werden, weitere Verbesserungen hinsichtlich des Straßenverkehrs im Lande unmöglich machen. 200 Millionen DM sind angesichts der Mittel, die insgesamt für das Land Schleswig-Holstein für Straßenbaumaßnahmen zur Verfügung stehen, eine verhältnismäßig hohe Summe. Allein daher kamen im Grunde genommen die Bedenken, die hier und da geäußert wurden. Wir haben uns aber wegen der Notwendigkeit dieser Maßnahme über diese Bedenken — andere wichtige Vorhaben im Lande Schleswig-Holstein könnten nicht in Angriff genommen werden — hinweggesetzt. Ich meine im nachhinein: es war eine Entscheidung, die getragen und verantwortet werden kann. Hier wurde sichtbar, daß Straßenbau wichtige strukturpolitische Maßnahmen begünstigen, daß aber fehlender Straßenbau solche Vorhaben auch verhindern kann.Ich darf abschließend für die Freien Demokraten feststellen, daß wir trotz vieler Kritik im Lande, aus Gemeinden, aus Kreisen, aber auch von einzelnen Abgeordneten oder von Institutionen, der Auffassung sind, daß dieses gemeinsame Werk aller Fraktionen ein vertretbares Werk geworden ist. Wir werden diesem Änderungsgesetz mit dem Anhang in der dritten Lesung unsere Zustimmung geben.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verkehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war nicht nur der Wechsel in Diktion und Ausführung bei Herrn Lemmrich als dem Berichterstatter und als dem Sprecher seiner Fraktion überraschend; überraschend war auch folgendes: Einerseits die sehr gute Zusammenarbeit im Verkehrsausschuß, auch seitens der Bundesregierung, positiv bewertet zu hören, andererseits aber zu sehen, welche unterschiedlichenDarstellungen hin und wieder aus dem Verkehrsausschuß in die Öffentlichkeit getragen werden. Ich will das Thema nicht vertiefen.Aber insgesamt darf ich demnach dem Berichterstatter nicht nur für seinen objektiv ausgeglichenen Bericht recht herzlich danken, sondern auch für seine Arbeit beim Ausgleich von zunächst — verständlicherweise — recht widerstrebenden Interessen innerhalb des Ausschusses.Zum zweiten Teil seiner Ausführungen möchte ich nun allerdings sagen: Nachdem in der Zeitung schon mehrmals die große verkehrspolitische Auseinandersetzung im Zusammenhang mit der Beratung des Haushalts angekündigt wurde, war dieser zweite Teil wohl eine Art von Probelauf. Von mir aus gesehen hatte er nur den Mangel, daß er sozusagen vor dem Hintergrund eines Kolossalgemäldes abgegeben wurde, das allerdings nicht mit dem in Übereinstimmung steht, was ich von der Verkehrspolitik dieser Bundesregierung weiß. Aber wir werden ja sehen, wie sich die Dinge im Rahmen der Haushaltsdebatte fortentwickeln.Einige Ausführungen möchte ich aber doch zum Anlaß einer Bemerkung nehmen. Erstens: Wenn Sie nämlich sagen, das einzig Positive sei das raumordnerische Element, so kann ich hierzu nur feststellen: Dies ist in der Tat eine beachtliche Leistung dieser Bundesregierung, die auf vielerlei Entwicklungstendenzen beruht und die das Resultat eines verhältnismäßig schwierigen Verfahrens ist, eines Verfahrens nämlich, in dem die Länder, die verständlicherweise manchmal von anderen Planungsgrundlagen ausgehen, nicht immer bereit waren, sich in die Konzeption einbinden zu lassen, was aber letztlich überhaupt erst die Übereinstimmung ermöglicht hat.Und das Zweite: Der große Vorteil dessen, was hier vorgelegt wird, ist darin zu sehen, daß es gelungen ist, in Verbindung mit dem Gedanken der Kosten-Nutzen-Analyse ein Instrumentarium zu schaffen, das besser als jedes andere bisher — sowohl national als auch international angewandte Instrument — geeignet ist, Bedarf, Planung und Finanzierbarkeit in Übereinstimmung zu bringen. Anders w re das große internationale Interesse gerade an diesem Planungssystem gar nicht erklärbar. Ich denke, man wird wohl auch als Oppositionsabgeordneter, zumindest bei einer objektiven Würdigung, der Bundesregierung nicht die Anerkennung versagen können, mit dieser Leistung in diesem schwierigen Feld ein gutes Stück vorangekommen zu sein.Wenn Sie drittens sagen, der Bundesverkehrsminister läuft, sozusagen zur Deckung seiner Verkehrspolitik, mit dem Schild „neue Daten" herum, dann muß ich dazu feststellen: In der Tat haben sich die Daten verändert und damit die signifikanten Bezugspunkte im Straßenbau in Relation zu dessen externen Daten — denn diese sind ja neben der Finanzierbarkeit beispielsweise auch die Bevölkerungsentwicklung, die Verkehrsdichte, die Zulassung von Kfz etc. Dies sollte man auch bei der Be-Bundesminister Gscheidleurteilung der Wirtschaftspolitik unter dem Gesichtspunkt des Verkehrs stets berücksichtigen.Interessant für mich war übrigens Ihr Vorschlag, die Schilder an den Bundesfernstraßen zu ändern und nicht zu sagen: „Hier baut die Bundesrepublik Deutschland", sondern zu sagen: „Hier baut die Bundesregierung mit den Steuermitteln der Barger". Das ist in der Tat ein beachtlicher Vorschlag! Aber ich halte die Überlegung, die Sie dabei im Hintergrund ganz sicherlich im Kopf hatten, für nicht ganz fair: nämlich die Bundesregierung für alles, was nicht klappt, verantwortlich zu machen und ihr überall dort, wo etwas klappt, das Recht zu bestreiten, daß sie eben diese Leistung auch ihrerseits in ihrer Leistungsbilanz darstellt.Wenn ich mich, Herr Abgeordneter Lemmrich, an die Landtagswahlkämpfe erinnere, an denen ich teilgenommen habe, so hatte ich hin und wieder den Eindruck, daß einige Ministerpräsidenten Ihrer Partei in ihrer Darstellung den Eindruck erweckten, als hätten sie ganz persönlich in Nachtarbeit die Straßen des Bundes gebaut, und zwar mit dem Hinweis, sie hätten doch schließlich diese Straßen mit den Auftragsverwaltungen des Bundes geplant. Das geht also sehr weit, bis hin zu den „Erfolgsanzeigen" von einigen Abgeordneten. Ich denke, wir können im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen dazu noch einige treffende Beispiele einführen. Ich glaube, die Herren Abgeordneten der CDU/CSU werden selbst überrascht sein, welche Formulierungen einigen ihrer Kollegen dabei eingefallen sind.Der Herr Abgeordnete Lemmrich hat auf die gesetzliche Grundlage hingewiesen. Ich darf noch einmal auf seine kurze Bemerkung eingehen, wie sehr wir uns verschätzt hätten. Dies hatte einen Bezug zum früheren Verkehrsminister Leber. Ich kann dazu nur sagen, als die Pläne entstanden sind, waren Sie — ich meine Sie als Partei — und die Länder an der Schaffung von Erwartungshorizonten maßgeblich beteiligt, die sich im Laufe der Entwicklung aus vielerlei Gründen, die Ihnen aber bekannt sind und die ich deshalb nicht darstellen will, geändert haben. Trotzdem bleibt die Tatsache festzuhalten, daß bei Betrachtung des Straßenbaus in der Bundesrepublik Deutschland von 1950 bis 1976 unter sozialdemokratischer Verantwortung für die Verkehrspolitik mehr Straßen gebaut wurden als je zuvor. Dies meine ich nicht nur bezogen auf den nominellen Ansatz von Haushaltsmitteln, sondern auch bezogen auf die tatsächlichen Bauleistungen. Daran werden Sie bei aller Kritik nicht vorbeikommen.Die Gesetzesgrundlage hat im übrigen von Anfang an die Überarbeitung der Fünfjahrespläne vorgesehen. Ich denke, was hier heute zur Verabschiedung steht, ist eine gute Nachricht für die Autofahrer, die natürlich etwas in Sorge um ihre Mobilität immer wieder die Frage stellen, ob der Straßenbau ausreichend weitergeht. Von uns aus dazu eine klare Feststellung: Ja! Dies ist auch eine gute Nachricht für die Wirtschaft, insbesondere für die Bauwirtschaft, für die die Auflegung eines Bedarfsplanes eine wichtige Planungsunterlage darstellt, aber auch für die Wirtschaft insgesamt wegen der mit dem Fernstraßenbau zusammenhängenden Innovationsprozesse.Und natürlich ist dies auch eine gute Nachricht für die strukturschwachen Regionen.Ich freue mich insbesondere, daß die Opposition anerkannt hat, daß in diesem Bedarfsplan Entscheidendes im Sinne einer Berücksichtigung eben dieser landwirtschaftlich orientierten und strukturschwachen Räume getan wurde.Das überarbeitete Gesetzeswerk steht vor dem Hintergrund großer Leistungen der beteiligten Ingenieure. Ich darf auch hier herzlichen Dank sagen, daß alle Sprecher dies gewürdigt haben. Ich glaube, die Fachbeamten, die beteiligt waren, haben dies verdient.Was hier heute verabschiedet wird, muß aber auch in einem größeren Zusammenhang gesehen werden. Nach der volkswirtschaftlich wirklich erstaunlichen Leistung des vorigen Jahrhunderts, nämlich dem Aufbau eines Schienennetzes, ist der Straßenbau in diesem Jahrhundert eine der entscheidendsten Leistungen dieses Staates beim Aufbau seiner Infrastruktur:Wir haben erstens seit 1950 rund 60 Milliarden DM für Neubau und Ausbau der Bundesfernstraßen ausgegeben. Mit der heutigen Beschlußfassung über den Bedarfsplan — wenn wir ihn einmal in seiner engeren Bedeutung sehen — erfolgt eine Bereitstellung von weiteren 59 Milliarden DM für Erweiterungs- und Ersatzinvestitionen, und zwar bis 1985. Es ist uns, zweitens, gelungen, in einem umfassenden langjährigen Planungsprozeß die Zusammenarbeit auf Grund der Objektivierung des Systems zu erleichtern. Drittens wurden die überaus weiten Erwartungshorizonte so umstrukturiert, daß die Erwartungen im finanziell Möglichen dieses Staates bleiben und deshalb auch erfüllt werden können. Viertens vollzog sich dies, gemessen an den ersten Auseinandersetzungen, relativ geräuschlos und im Ergebnis für alle Bürger spürbar positiv. Fünftens hat uns dies alles international große Anerkennung gebracht. Dies wird signalisiert durch die Zunahme internationaler Besuchergruppen und die Bedeutung, die gerade diesem Planungssystem auf internationalen Konferenzen inzwischen immer wieder zugemessen wird.Meine Damen und Herren, hätten wir alle an uns herangetragenen Wünsche zur ersten Dringlichkeitsstufe befriedigen wollen, nämlich allein 2 350 Neubaumaßnahmen, wären in der Finanzierung bis 1985 rund 90 Milliarden DM notwendig gewesen, und zwar rund 65 Milliarden DM für den noch nicht erfüllten Teil der ersten Dringlichkeitsstufe und rund 25 Milliarden DM für die Ergänzungswünsche aus der früheren zweiten und dritten Dringlichkeitsstufe. Zu diesen 90 Milliarden DM muß man wohl auch noch die dazu notwendigen Instandsetzungen und Erhaltungsmaßnahmen hinzuzählen, die heute in der Größenordnung bis zu 40 Milliarden DM geschätzt werden. Angesichts der Notwendigkeit der Anpassung und der notwendigen Änderung der Finanzvolumina, wie hier schon dargestellt wurde, gelang es, den völlig überzogenen Erwartungshorizont auf ein Volu-
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Bundesminister Gscheidlemen von rund 59 Milliarden DM zu reduzieren, davon ein Block laufender, weiterführender Maßnahmen in Höhe von rund 16 Milliarden DM und ein Block finanzierbarer neuer Maßnahmen vorrangiger Dringlichkeit von rund 21 Milliarden DM. Diesen sind wiederum hinzuzurechnen 22 Milliarden DM für Instandsetzungen und Erhaltungsleistungen, um einmal die Summe von 130 Milliarden DM gegenüberzustellen. Damit wird auch gegenüber der Offentlichkeit deutlich, was die eigentliche Leistung dieses Bundestages auf Grund der Vorlage der Bundesegierung zusammen mit den Ländern ist, wenn man einmal diese ungeheuren Finanzmassen sieht, die bewegt werden konnten.Die besondere Leistung, die hier im Planungssystem liegt, habe ich dargestellt. Ich darf als Bundesverkehrsminister auch diese Beratung zum Anlaß nehmen, den Ländern für ihre Mitarbeit zu danken. Es geschah nicht immer nur in Harmonie, es gab hier zähes Ringen um optimale Lösungen. Eine Reihe von Änderungswünschen zur Dringlichkeit lag von seiten der Länder vor. Auch wenn ich als Bundesverkehrsminister dem Beschluß zustimme, . den der Verkehrsausschuß gefaßt hat, muß ich darauf hinweisen, daß nicht nur ich, sondern auch meine Fachbeamten große Bedenken gegen einige Änderungsvorsichläge im Raum Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein haben, wie von den Abgeordneten Wrede und Ollesch bereits vorgetragen wurde. Aber wir denken, daß uns das System insgesamt vielleicht doch noch einige Anpassungsmöglichkeiten offenläßt. Denn gerade die eine Strecke in Baden-Württemberg, die genannt wurde, ist für den Verkehrsteilnehmer im Urlaubsverkehr so signifikant, daß er ganz sicherlich die Frage an uns alle stellen wird, wie wir begründen wollen, daß hier auch im Hinblick auf die Baureife, die vorhanden war, eine Zurückstufung erfolgt ist. Ich denke, wenn wir die Verantwortung für den Beschluß hier gemeinsam übernehmen, werden wir auch gemeinsam versuchen müssen, dann, wenn Möglichkeiten bestehen, Hilfen zu geben.Schließlich habe ich mich zu bedanken beim Bundestagsverkehrsausschuß, weil er die Vorgaben, unter denen allein das von uns vorgelegte System sinnvoll diskutiert werden kann, akzeptiert hat. Dies war nicht von Anfang an vorauszusehen. Hier darf ich insbesondere auch allen Sprechern der Fraktionen danken, die als Obleute im Vorraum mitgeholfen haben, eine Objektivierung und Versachlichung mitzutragen.Ich freue mich über die erklärte Bereitschaft, unserer Vorlage zuzustimmen. Ich freue mich insbesondere deshalb, weil die Entscheidung eine gute Nachricht für Autofahrer, Bauwirtschaft und alle Verkehrsregionen sein wird und weil die Bestätigung unserer Vorlage uns auch hoffnungsfroh stimmt, weitere planerische Änderungen im System mit Ihrer Zustimmung durchführen zu können.Ihre Kritik am Bundesverkehrswegeplan akzeptiere ich. Es wird nicht an unserem Bemühen fehlen, ihn dem Parlament bald vorzulegen. Es gibt auch hier systematische Schwierigkeiten, die bei der Abstimmung unter den Ressorts deutlich wurden, diesich wahrscheinlich bei den Ländern wiederholen und später noch einmal bei der Erörterung hier hochkommen werden. Aber auch in diesem Zusammenhang sind wir überzeugt, Ihnen ein Instrumentarium vorlegen zu können, das dann den Schritt zu einer koordinierten Investitionsplanung gestattet. Dieses Planungsinstrument wird notwendige Voraussetzung sein, um eine Verkehrspolitik durchführen zu können, die sich verschiedenen externen Daten, die nicht in unsere Steuerung gegeben sind, möglichst rasch und flexibel anpaßt.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und herzlichen Dank für die Bereitschaft des Hauses, einen wichtigen Abschnitt durch die Zustimmung des ganzen Hauses zu beschließen.
Wird in der allgemeinen Aussprache weiterhin das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung der zweiten Lesung. Ich rufe Artikel 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. — Das Wort wird nicht begehrt. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit Mehrheit so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zur
dritten Lesung.
Wird eine erneute allgemeine Aussprache gewünscht? — Das ist- nicht der Fall. Dann hat das Wort zur Abstimmung gemäß § 59 der Geschäftsordnung der Herr Abgeordnete Dr. Stark .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muß hier erklären, daß ich diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen kann. Ich möchte das kurz begründen. Es geht nicht darum, daß ich mich in einer lokalpatriotischen Sache nicht durchgesetzt habe, sondern es geht einfach darum, daß in dem Wahlkreis, den ich zu vertreten habe, ein baureifes Projekt, bei dem die Anschlüsse bereits erstellt werden — es handelt sich um ein Zwischenstück der A 81 —, von der Stufe I a heruntergestuft wurde auf die Dringlichkeit I b. Erfreulicherweise hat der Minister auf diese Sache und ihre Bedenklichkeit hingewiesen. Er hat ausgeführt, daß dafür ein anderes Projekt, das meines Wissens noch nicht baureif ist, in diesen Plan aufgenommen wird. Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich persönlich dafür kein Verständnis haben kann.
Weitere Erklärungen zur Abstimmung werden nicht gewünscht.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegen-
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Vizepräsident Dr. Jaegerprobe. — Enthaltungen? — Gegen die Stimme des Herrn Abgeordneten Dr. Stark ohne Enthaltungen angenommen.Ist das Haus damit einverstanden, daß die eingegangenen Petitionen für erledigt erklärt werden? — Das ist der Fall.Nun kommen wir zu Punkt 6 der Tagesordnung:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts— Drucksache 7/3060 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/5026 —Berichterstatter:Abgeordneter Carstens
bb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksachen 7/5025, 7/5091 — Berichterstatter:Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinAbgeordneter Egert
b) Zweite Beratung des von den Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Frau Dr. Neumeister, Frau Schleicher, Burger, Dr. Hammans, Braun und der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes
— Drucksache 7/1067 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/5026 —Berichterstatter:Abgeordneter Carstens
bb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksachen 7/5025, 7/5091 — Berichterstatter:Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinAbgeordneter Egert
Ich danke den Berichterstattern, dem Abgeordneten Carstens für den Haushaltsausschuß und den Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein und Egert für den federführenden Ausschuß, für ihre Berichte. Werden Ergänzungen der Berichte gewünscht?Das Wort hat als Berichterstatter der Herr Abgeordnete Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, vor der Ergänzung des schriftlichen Berichts noch darauf hinzuweisen, daß drei Druckfehler berichtigt werden müssen. 1. In Nr. 8 des Entschließungsantrags in Drucksache 7/5025, Seite 4, muß es in der zweiten Zeile statt „§ 45 Abs. 1 Nr. 1 b)" heißen: „§ 45 Abs. 2 Nr. 1 b)". 2. In Nr. 12. des Entschließungsantrags ist in der zweiten Zeile nach „§ 88" das Wort „Deckungsschutz" einzufügen. 3. In § 24 Abs. 5 b), 4. Zeile, muß es statt „§ 21 Abs. 3 und § 22 Abs. 4" heißen: „§ 21 Abs. 3 und § 22 Abs. 1 Satz 4".Außerdem möchte ich noch darauf hinweisen, daß ein interfraktioneller Antrag vorgelegt wird, der sich noch im Druck befindet und offensichtlich erst zu einem späteren Zeitpunkt verteilt werden kann.Ich möchte den Ihnen vorliegenden schriftlichen Bericht in drei mir wesentlich erscheinenden Punkten ergänzen. Ohne damit eine politische Gewichtung vornehmen zu wollen, scheint mir dies zu den Komplexen der Klinischen Prüfung, der Dauerüberwachung und der Haftung für Arzneimittelschäden angebracht.Erstens. Bei der Beschlußfassung über die Vorschriften zum Schutz des Menschen bei der Klinischen Prüfung haben wir Abgeordneten vor einem Dilemma gestanden. Einerseits mußten wir die individuellen Grundrechte des einzelnen Probanden oder Kranken schützen. Andererseits war auch das Gemeinschaftsinteresse an dem notwendigen therapeutischen Fortschritt durch Entwicklung neuer Arzneimittel zum Wohle kranker Menschen angemessen zu berücksichtigen.Diese außerordentlich schwierige Güterabwägung verlangte von uns Abgeordneten ein hohes Maß an Problem- und Verantwortungsbewußtsein. Wir durften den Arzt nicht aus seiner Verantwortung entlassen, im konkreten Einzelfall auf Grund der ihn bindenden ethischen Normen zu entscheiden, ob und wie eine klinische Prüfung durchgeführt werden darf.Jeder, insbesondere der Proband, leistet durch seine Teilnahme an der klinischen Erprobung eines Arzneimittels einen nicht zu unterschätzenden Dienst für die Gemeinschaft. Das Risiko, dem der Proband notwendigerweise in begrenztem Umfang ausgesetzt werden muß, wird auch dadurch gemindert, daß jeder verantwortungsbewußte klinische Pharmakologe das zu prüfende Arzneimittel auf seine Verträglichkeit zuerst im Selbstversuch testet. Wir hoffen in den §§ 38 und 39 eine sachgerechte Güterabwägung getroffen zu haben.Zweitens. Der Ausschuß hätte es im Hinblick auf die von allen angestrebte optimale Arzneimittelsicherheit außerordentlich begrüßt, wenn er in der Lage gewesen wäre, zur weiteren Einschränkung der mit der Arzneimitteltherapie verbundenen Risiken die Voraussetzungen und Instrumente einer wirkungsvollen Dauerüberwachung im Gesetz selbst zu verankern. Da wir in diesem Bereich überwiegend Neuland betreten, haben wir uns nicht dem Argument verschließen können, auf gesetzliche Normie-
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Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohensteinrungen solange zu verzichten, bis ausreichende praktische Erfahrungen vorliegen. Deshalb haben wir die Bundesregierung und alle mit der Arzneimittelüberwachung befaßten Institutionen aufgefordert, beim Aufbau eines effektiven Systems zur Erfassung von Arzneimittelrisiken intensiv zusammenzuarbeiten. Damit hat eine wesentliche Forderung des CDU/ CSU-Antrags — Drucksache 7/1066 — betreffend Weiterentwicklung des Arzneimittelwesens ihre Erledigung gefunden. Vom Gelingen der überaus bedeutsamen Dauerüberwachung wird es abhängen, ob wir in den kommenden Jahren das Maß an Arzneimittelsicherheit tatsächlich erreichen können, das wir uns im Interesse der Bürger dieses Landes wünschen.Drittens. Die heute zu beschließende präventive Kontrolle durch das materielle Zulassungsverfahren in Verbindung mit der sich anschließenden Dauerüberwachung werden nach der Überzeugung des Ausschusses Zahl und Schwere von Arzneimittelschäden herabsetzen. Die vielen Anhörungen und Gespräche mit Sachverständigen aus Wissenschaft und Praxis im In- und Ausland haben uns jedoch die Erkenntnis vermittelt, daß insbesondere neue Arzneimittel „unvermeidbar unsicher" sind.Da der Gesetzgeber aus der Natur der Sache heraus keine absolute Garantie für sichere Arzneimittel zu geben vermag, erschien es ihm unverzichtbar, Vorkehrungen für den Fall zu treffen, daß trotz aller präventiven Sicherheitsmaßnahmen ein Arzneimittelschaden eintritt. Alle Opfer eines Arzneimittelschadens haben künftig einen Anspruch auf Entschädigung, unabhängig davon, ob dem pharmazeutischen Unternehmen ein Verschulden nachgewiesen werden kann oder nicht. Die Fraktionen des Deutschen Bundestages haben ungeachtet der von den Betroffenen vorgetragenen rechtlichen und rechtspolitischen Bedenken an dem Grundsatz der Gefährdungshaftung festgehalten.Der Regierungsentwurf erschien dem Ausschuß insoweit nicht schlüssig, als in § 1 eine Garantie für Arzneimittelsicherheit als Leichtmotiv des neuen Arzneimittelgesetzes ausgesprochen und im gleichen Gesetz an anderer Stelle eine detaillierte Haftungsregelung für Arzneimittelschäden vorgesehen war. Könnte der Gesetzgeber tatsächlich die Arzneimittelsicherheit gewährleisten, erübrigte sich eine Entschädigungsregelung.Der federführende Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und der Unterausschuß Arzneimittelrecht haben in außergewöhnlich intensiven Beratungen, die jedem einzelnen Abgeordneten ein Höchstmaß an persönlichem Einsatz und Lernbereitschaft abverlangten, in nur 14 Monaten die ihnen gestellte überaus schwierige Aufgabe bewältigt. Gemeinhin wird beklagt, daß die parteipolitische Konfrontation bis hin in die Ausschüsse getragen wird und dort sachlich angemessene Entscheidungen erschwert oder sogar verhindert werden. Ich möchte als Berichterstatter und ehemaliger Vorsitzender des Unterausschusses Arzneimittelrecht feststellen, daß die Beratungen dieses Gesetzentwurfes auch in den Punkten, in denen sich kontroverse Auffassungen ergaben, von dem gemeinsamen Bestreben geprägt waren, Kompromisse zu erzielen, die von allen Fraktionen getragen werden konnten.Für jeden Parlamentarier ist es eine besondere Genugtuung, feststellen zu können, daß sich der Entscheidungsprozeß im Ausschuß bei sachlich schwierigen und ethisch bedeutsamen Problemen auf gemeinsame Grundüberzeugungen und individuelle Gewissensentscheidungen stützen konnte. Das gilt vornehmlich für den Bereich der klinischen Prüfung und für die Wahrung des Wissenschaftspluralismus in der Arzneimitteltherapie.Gerade in jüngster Zeit wird in der Parlamentarismusdiskussion von Wissenschaftlern, Publizisten und Politikern wieder die These vertreten, das Gewicht des Parlaments im Bereich der Gesetzgebung und der Kontrolle der Exekutive sei stetig im Abnehmen begriffen. Ohne an dieser Stelle zu der Berechtigung dieser Klage Stellung zu nehmen, darf ich für dieses Gesetz feststellen, daß die Mitglieder des Deutschen Bundestages ihre verfassungsmäßige Pflicht erfüllt haben. Von einer Scheinkompetenz des Parlaments, insbesondere von der häufig behaupteten Kapitulation des Parlaments vor der Macht der Vertreter wirtschaftlicher Interessen kann nicht die Rede sein. Wie anders wäre es sonst zu erklären, daß der Ausschuß z. B. einmütig entgegen der ablehnenden Stellungnahme der betroffenen Wirtschaftskreise die verschuldensunabhängige Haftung des pharmazeutischen Unternehmers gesetzlich verankert hat?Die Beschlußfassung des federführenden Ausschusses im Vergleich zum Regierungsentwurf zeigt auch, in welchem Maße ein Parlament seine Vorstellungen gegenüber der Regierung durchzusetzen vermag. Es muß nur bereit sein, die ihm von der Verfassung verliehene Macht in der politischen Praxis tatsächlich auszuüben. Wir werden dem Verfassungsgebot des Art. 38 Abs. 1 des Grundgesetzes nur dann gerecht, wenn wir uns als Mitglieder der Regierungskoalition nicht ausschließlich als Erfüllungsgehilfen der Exekutive, deren Gesetzesvorlagen über jeden Zweifel erhaben sind, verstehen. Wir als Mitglieder der Opposition dürfen uns nicht in destruktiver Kritik erschöpfen, indem wir von vornherein jede Initiative der Bundesregierung pauschal verwerfen.
Die mit dem zweiten Arzneimittelgesetz befaßten Abgeordneten haben auf der Grundlage dieses Verfassungsverständnisses durch konstruktive Ergänzungen und bessere Alternativen zum Regierungsentwurf einem Gesetz zum Durchbruch verholfen, das eindeutig die Handschrift dieses Parlaments trägt. Außerdem zeigen wir mit zahlreichen Entschließungsanträgen, daß wir uns nach Verabschiedung dieses Gesetzes nicht aus der Verantwortung für die Auswirkungen des Arzneimittelgesetzes in der Praxis stehlen wollen. Vielmehr behalten wir uns ausdrücklich die laufende Kontrolle der künftigen Entwicklung vor.Dieses Ergebnis muß jeden Parlamentarier — unabhängig von seiner politischen Bindung — mit Genugtuung erfüllen. Wir haben trotz der Kürze der
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Prinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinBeratungszeit und der vielschichtigen Problematik der Materie einmal mehr den Beweis für das Funktionieren unserer oftmals mit Skepsis betrachteten parlamentarischen Demokratie erbracht. Wir legen ein Gesetz vor, das dem Bürger mehr Arzneimittelsicherheit bietet, ihn im Schadensfall besser als bisher sichert und ihm die freie Wahl der Heilmethoden erhält. Wir erwarten von der Exekutive, daß der Wille des Gesetzgebers, der im Gesetzestext und in den Protokollen sowie dem Bericht des 13. Ausschusses zum Ausdruck kommt, in den Rechtsverordnungen und den Verwaltungsvorschriften unverändert seinen Niederschlag findet.
Wünscht der Abgeordnete Egert ebenfalls das Wort?
- Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur zweiten Beratung. In der allgemeinen Aussprache hat das Wort Frau Abgeordnete Schleicher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute im Deutschen Bundestag zur zweiten Lesung des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts kommen, so geht dieser Stunde ein mühevoller Weg voraus. Die CDU/CSU-Fraktion hat bereits im Jahre 1973 im Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf zur Verbesserung des bestehenden Arzneimittelgesetzes eingereicht. Als Opposition hat unsere Fraktion einen sehr viel schwereren Stand, einen Gesetzentwurf einzubringen, als die Bundesregierung, der ein großer Apparat von Fachleuten zur Verfügung steht.Die Behandlung unseres Entwurfs wurde mit dem Hinweis darauf hinausgezögert, daß die Bundesregierung einen eigenen Entwurf einbringen werde. Dies dauerte dann aber immerhin noch eine geraume Zeit. Schließlich wurde am 7. Januar 1975 im Deutschen Bundestag der Entwurf der Bundesregierung als Drucksache eingereicht. Wenn wir heute, am 6. Mai 1976, die Beratung dieses Regierungsentwurfs bereits zum Abschluß bringen, müssen wir betonen, daß die Beratungszeit im Verhältnis zu den damit verbundenen weitgehenden Veränderungen doch sehr kurz war. Ein Abschluß der Beratungen in so kurzer Zeit konnte nur unter Aufbringung aller zur Verfügung stehenden Kräfte erreicht werden.Gerade dieser Umstand führt dazu, daß heute niemand mit hundertprozentiger Sicherheit sagen kann, ob nicht doch noch im letzten Moment Ungereimtheiten entstanden sind — wie Sie eben vom Herrn Berichterstatter gehört haben, ist das auch zur Stunde noch der Fall —, die in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit — weil das Gesetz tatsächlich noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden sollte, und wir stehen heute davor — eben wahrscheinlich sein werden. Die „Süddeutsche Zeitung" ist heute in ihrem Beitrag davon ausgegangen, daß die Bestimmungen ausgewogenseien und Fehler nicht passiert sein dürften. Ich selbst kann dem nicht ganz zustimmen.Es waren eine Reihe von Schwierigkeiten zu überwinden. Es handelt sich zum einen um ein ausgesprochenes Fachgesetz und ist deshalb für Nichteingeweihte schwer verständlich. Für die Abgeordneten, die aus allen Fraktionen für Versammlungen draußen herangezogen wurden, war eine Verdeutlichung in der Diskussion, auch in der allgemeinen politischen Diskussion, nicht gerade leicht. Darüber hinaus ist es so, daß die Materie in sich sehr breit angelegt ist und daß auch noch verschiedene wissenschaftliche Richtungen gegeneinanderstehen. Außerdem entsteht ein übergreifendes Interesse seitens einer ganzen Reihe von Bereichen, die ich nur andeuten möchte. Es fängt bei dem Grundanliegen an, dem Menschen durch gute Medikamente helfen und ihn vor Mißbrauch schützen zu wollen. Zu berücksichtigen sind auf der anderen Seite aber auch rechtliche Fragen, die damit verbunden sind; sowie rein fachlich-medizinische und pharmakologische Fragen. Es sind auch unterschiedliche Fachrichtungen berührt, sei es nun die Humanmedizin, sei es die Zahnmedizin; das geht bis hin zur Tiermedizin.Auf der anderen Seite stehen die Überlegungen der Hersteller, die ja doch eine sehr große Verantwortung tragen, sowie die Belange des Handels, der die Medikamente vertreiben muß. Hier ist insbesondere die Stellung der Apotheker im Handel angesprochen. Eine Stellung, die mit der Situation in anderen Handelssparten überhaupt nicht zu vergleichen ist; es ist eine besondere Stellung.Zu berücksichtigen sind auch die weitreichenden wirtschaftlichen Gesichtspunkte im Zusammenhang mit der Herstellung, dem Handel, der Werbung und dem Vertrieb. Zu bedenken ist aber auch die ganz besondere Situation, daß der Weg des Arzneimittels bis hin zum Patienten über viele Stufen führt, bis hin zu den Verhandlungen mit den Krankenkassen und den Fachgremien. Schließlich werden mit diesem Gesetz auch die Landwirtschaft und die Ernährung tangiert, da ein Arzneimittel letztlich nicht nur dem Menschen, sondern auch Tieren zugute kommt. Im Tierbereich gelten andere Faustregeln als in bezug auf den Menschen.Das alles unter einen Hut zu bringen war ungeheuer schwierig, zumal in dem zusammengewürfelten Unterausschuß.Letztlich müssen wir auch an den Verbraucher insgesamt denken und daran, daß Arzneimittelsicherheit ohne die Bereitschaft des verantwortungsbewußten Bürgers nicht zu ereichen ist. Die Aufklärung der Bevölkerung über den Gebrauch der Arzneimittel, ihre Wirkungen, ihre eventuell unerwünschten Nebenwirkungen, insbesondere auch im Zusammenhang mit der Verkehrssicherheit, dem Schutz der Kinder bei der Aufbewahrung der Arzneimittel, den Warnhinweisen und weiterem mehr, steht deshalb in der Gesundheitspolitik im Vordergrund. Die Bevölkerung ist deshalb von allem Anfang an in die Arzneimittelsicherheit mit einzubeziehen. Diese Einbeziehung läßt sich nur verwirklichen, wenn in dem Gesetz eine Vielzahl von Regelungen getroffen sind, die den Bürger zumindest nicht bevormunden.
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Frau SchleicherWenn wir alle die Verflechtungen sehen, die mit diesem Arzneimittelgesetz verbunden sind, und dann noch davon ausgehen müssen, daß die erwähnten Bereiche natürlich ihre Fachorganisationen und Verbände haben, die sehr aktiv und interessiert mitgearbeitet haben, so kann sich der Außenstehende vielleicht eine gewisse Vorstellung machen, wie kompliziert ein solches Gesetz ist und wieviel übergreifende Interessen damit verbunden sind. Unser oberstes Ziel war aber — das möchte ich voranstellen — die Gesundheit des Menschen. Erfreulich für uns, wenngleich es sehr viel Arbeitsaufwand erforderte, war das ungeheure Interesse der Bevölkerung andiesem Gesetzeswerk, das sich schließlich in einer nahezu unübersehbaren Flut von Schreiben und Eingaben ausgedrückt hat, die zu Abertausenden die Mitglieder des Deutschen Bundestages erreicht haben.Nun zu einigen Detailaspekten des Gesetzes. Frau Bundesminister Dr. Focke ist mit hohen Vorstellungen an das Gesetzeswerk herangetreten. Dies ist selbstverständlich und anerkennenswert. Aber — und das hat uns die Arbeit so sehr schwer gemacht — die Vorlage der Bundesregierung ist von falschen Voraussetzungen ausgegangen.
Eine optimale Arzneimittelsicherheit ist zwar ein gutes Ziel, sie ist aber nicht zu garantieren. Spätestens die Ausführungen der Sachverständigen in den Anhörungen haben die Befürchtungen, die von unserer Fraktion bereits bei der ersten Lesung vorgetragen wurden, bestätigt. Ein großer Teil der Arbeit, die die Bundesregierung hätte leisten müssen, wurde schließlich dem Parlament zugeschoben. Bestimmungen, die im Regierungsentwurf enthalten waren, die von allen Sachverständigen in den Anhörungen kritisiert wurden, und zwar durch die Bank, hätte ein ordnungsgemäß erarbeiteter Regierungsentwurf nicht aufweisen dürfen.
Hierzu nur einige Beispiele: Vom Gesetzentwurf der Bundesregierung gingen ganz eindeutig Tendenzen einer Vorstellung von staatlicher Gesundheitsmedizin aus.
Grob gesagt: Das Gesetz sah eindeutig vor, daß der Staat bestimmt, wie behandelt werden soll. Es war jedenfalls ganz eindeutig die Absicht erkennbar, einen absolutistischen Verwaltungsapparat auszubauen.
Sie wurde ausgelöst durch eine Übertreibung von möglichen Gefahren. Der verunsicherte Bürger hätte dann kaum mehr gemerkt, wie solche Argumente schließlich genutzt werden, um durch ein Gesetz den Freiheitsraum der Bevölkerung immer mehr einzuschränken und die einzelnen Bürger zu bevormunden.
Das ursprüngliche Ziel, das u. a. auch versteckt in dem Entwurf zu sehen war, nämlich die Innovations-kraft kleinerer und mittlerer Betriebe zu brechen und ihre Existenz aufs Spiel zu setzen, war eindeutig vorhanden. Das hätte eine Konzentration bei den großen Firmen zur Folge gehabt, und das ausgerechnet über eine SPD-Regierung, die sich schließlich anscheinend dazu bereit erklärt hat, eine Konzentration bei den großen Firmen in Kauf zu nehmen, obwohl es im Widerspruch zu ihrer eigenen Politik stünde, „eine kapitalistische Machtkonzentration" zu unterstützen.
Dies ist doch mehr als bezeichnend.
Ein weiterer Aspekt, der angesprochen werden sollte, ist die Auseinandersetzung um die Wirkung und die Wirksamkeit, die bei der Diskussion über das Arzneimittelrecht ja eine ganz große Rolle gespielt hat. In dem Gesetz ist man zunächst absolutistisch davon ausgegangen, daß zwischen Wirkung und Wirksamkeit kein Unterschied besteht. Es besteht aber ein großer Unterschied darin, ob ein Medikament Wirkungen erzielt, das heißt bestimmte Symptome überwinden kann, oder ob eine Wirksamkeit erwartet wird, die einen tatsächlichen Heilungseffekt zum Inhalt hat.Dazu ein Beispiel. Es gibt eine Reihe von Medikamenten, deren Wirksamkeit überhaupt nicht erforderlich ist oder gar nicht angestrebt wird, weil sie nämlich hergestellt werden, um Wirkungen, nicht aber Wirksamkeiten zu erzielen, also beispielsweise Veränderungen herbeizuführen, den Blutdruck zu senken oder zu heben oder Fieber zu senken. In diesen Fällen — zu denen sich eine ganze Reihe anderer Beispiele anführen läßt — wird nur eine Wirkung, aber nicht eine Wirksamkeit erzielt. Denn durch die Senkung oder Erhöhung des Blutdrucks ist die Krankheit noch lange nicht geheilt.Bei anderen Medikamenten kommt es auf den Heilungseffekt an. Bei den Anhörungen wurde der Beweis erbracht, daß die Wissenschaft überhaupt noch nicht so weit ist, die Wirksamkeit von Medikamenten, die bereits auf dem Markt sind, wissenschaftlich nachweisen zu können. Beispielsweise ist die Wirksamkeit von Antibiotika bis heute noch nicht wissenschaftlich nachweisbar. Auch dies wurde in den Anhörungen vorgebracht. Noch kein Fachkundiger oder Sachverständiger konnte das Gegenteil dartun. Es geht auch um Hustenmittel, Lebermittel, Gallenmittel oder gar Gegengifte. Die meisten Impfseren können den normalen Anforderungen der Wirksamkeitsprüfung nicht standhalten. Es besteht folgendes Kuriosum. Impfseren werden nur um der Vorbeugung willen für Länder hergestellt, um Krankheiten zu bekämpfen, die dort noch gar nicht auftreten; hier kann ein Wirksamkeitsnachweis nicht erbracht werden. Das Gesetz ist verfehlt angelegt, da der Wirksamkeitsnachweis in einem solchen Land wissenschaftlich nicht zu erbringen ist.Den Ministerien hätte auch bekannt sein müssen, daß gerade in Amerika wegen des Fehlens oder der Schwierigkeiten des Wirksamkeitsnachweises auf Nachzulassungen verzichtet wurde. Dazu müßten so
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Frau Schleicherviele Versuche angestellt werden, daß es wahrscheinlich Hunderte von Jahren dauern würde, bis man wissenschaftliche Beweise darüber erbringen könnte. Dazu gibt es eine Statistik, von der das Ministerium hätte Gebrauch machen können. Die Regierung hat zunächst auch nicht bedacht, daß man für Gegengifte keinen Wirksamkeitsnachweis erbringen kann, es sei denn, man findet Personen, die sich freiwillig vergiften lassen, um die Wirksamkeit des betreffenden Mittels klären zu helfen.Es ist sicher sehr schwierig, allen fachlichen und sachlichen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen. Wir haben zu beanstanden, daß der Gesetzgeber die grundsätzlichen Voraussetzungen, die er hätte erwägen müssen, nicht ausreichend berücksichtigt hat.Worin bestehen im Moment die größten Gefahren für die Volksgesundheit? Alle Experten sind sich darin einig, daß die nächsten schweren Arzneimittelkatastrophen wahrscheinlich vom Antibiotika-Mißbrauch zu erwarten sind. In Mittelamerika gibt es bereits große Epidemien infolge antibiotika-resistenter Bakterien, die schon Zehntausende Todesopfer gefordert haben. Wir wissen, daß der Mißbrauch von Medikamenten, insbesondere von Antibiotika, zu einem epidemiehaften Auftreten von Fällen geführt hat, die teilweise tödlich verlaufen sind. Dem läßt sich nur dadurch entgegenwirken, daß der Antibiotika-Verbrauch weitgehend eingedämmt wird. In den Vereinigten Staaten erkrankt derzeit jeder siebente Krankenhauspatient an einer auf Antibiotikamißbrauch zurückzuführenden Infektion, und bei jedem sechsten Krankenhauspatienten, der in den USA stirbt, ist dies die Todesursache.Während Fachleute für die Zukunft die schlimmsten Epidemien befürchten, hat sich das Ministerium um diese Frage nach unserer Vorstellung nicht ausreichend gekümmert. Uns hat das Ministerium jedenfalls keine Berichte über Umfang, Ausbreitung und Bekämpfungsmaßnahmen diesbezüglich vorlegen können. Kein vernünftiger Mensch wird glauben können, daß gerade die von mir vorgetragenen Fälle in Zukunft zu verhindern wären, wenn wir die Hygiene in den Krankenhäusern verbessern. Dafür sind die Gegenmaßnahmen nicht ausreichend.Es wird von unwirksamen Mitteln gesprochen, die eine große Gefahr heraufbeschwören würden, während es im Gegenteil gerade die stark wirksamen Mittel sind, die hier besonders für den Schutz des Verbrauchers geprüft werden müssen und die einer größeren Sorgfalt bedürfen als die, die weniger und geringere Wirkung haben und dadurch eben auch weniger Schaden mit sich bringen.Ein weiterer kritischer Punkt ist die klinische Prüfung. Die Prüfungsvorschriften hierfür waren methodisch so festgelegt, daß praktisch ein Spielraum, der von der wissenschaftlichen Seite her unbedingt erforderlich ist, nicht mehr vorhanden gewesen wäre. Ich denke nur daran, daß auf jeden Fall ein Tierversuch als Voraussetzung für eine Zulassung verlangt wird, obwohl im Hearing ganz eindeutig festgestellt wurde, daß es überhaupt kein wissenschaftliches Verfahren eines Tierversuchs gibt, das auf den Menschen übertragen werden kann. Es sind gewisse Vermutungen auszuschließen, aber garantiert wird nichts. Ein Tierversuch kann immer nur ein Hilfsinstrument sein, niemals aber ein rationaler Ansatz für eine optimale Arzneimittelsicherheit. Die einzige Vermutung, die zulässig ist: Wenn ein Tier beim Versuch umkommt, ist dieses Mittel wahrscheinlich so giftig, daß auch der Mensch diesem Gift nicht gewachsen sein wird. Hier gibt es vergleichsweise Versuche, die in der Kriminalistik schon eine besondere Rolle gespielt haben, allerdings im umgekehrten Verhältnis. Man hat erst über das Tier versucht, ob das Mittel dann im Zweifelsfalle eventuell anwendbar ist.Es könnten noch zahlreiche Beispiele gebracht werden. Die angeführten Beispiele sollten nur andeutungsweise zeigen, wie schwierig die ganzen Verhandlungen und Beratungen auf Grund der komplizierten Materie waren.Erfolg können wir vielleicht insofern aufzeigen, als es uns schließlich unter der drückenden Beweislast und den eindeutigen Hinweisen der Sachverständigen gelungen ist — allerdings erst in einem sehr weit fortgeschrittenen Stadium der Beratungen —, zu erreichen, daß sich auch SPD und FDP den besseren Argumenten nicht verschließen konnten, was schließlich zu einer Reihe von Änderungen im Gesetzeswerk geführt hat. Die CDU/CSU kann jedenfalls feststellen, daß durch ihre ständigen Hinweise letztlich doch noch die Sachargumente im Gesetzestext ihren Niederschlag gefunden haben.
Unsere wichtigsten Forderungen, die wir von Anfang an gestellt haben, die wir aber auch für die weitere Behandlung im Umgang mit dem Gesetz für notwendig halten, sind folgende: Es darf keine Binschränkung durch das Gesetzeswerk entstehen, die eine Innovation von Arzneimitteln verhindert. Das heißt, die Forschung darf nicht gedrosselt werden, so daß schließlich keine neuen Mittel hergestellt werden können. Wir haben noch so viele Krankheiten, die nach den heutigen Gegebenheiten noch nicht behandelt werden können. Außerdem sollen auch bestehende und schon im Umlauf befindliche Mittel noch verbessert werden. Deshalb darf keine uneingeschränkte Ermächtigung auf dem Verwaltungsweg diese Notwendigkeit verhindern. Der behördliche Entscheidungsspielraum darf nicht so groß sein, daß hierdurch eventuell unterschiedliche Verfahrensweisen in der Behandlung der Antragsteller ermöglicht würden und dann auf die Dauer zu Unzumutbarkeiten führen könnten.Der zweite Punkt ist, daß die Entscheidungsfreiheit von behandelndem Arzt und hilfesuchendem Patienten nicht belastet werden darf. Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ist eine unabdingbare Voraussetzung für einen zufriedenstellenden Behandlungsverlauf. Wer dieses Vertrauensverhältnis zu brechen droht, richtet nicht wiedergutzumachenden Schaden an.Die dritte wichtige Forderung für uns ist, daß die Befugnisse von Arzt und Apotheker, dem Patienten nach bestem Wissen und Gewissen zu hel-
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Frau Schleicherfen, nicht zugunsten einer Verwaltung eingeschränkt werden dürfen.Der vierte Punkt ist, daß bewährte und erprobte Mittel erhalten bleiben müssen und nicht vom Markt verschwinden dürfen.Der fünfte Punkt ist, daß der Verbraucherschutz ausgebaut werden muß.Wenn wir nun ausblicken, was mit diesem Gesetz in Zukunft noch geschehen wird, so müssen wir feststellen, daß wir auch in Zukunft, wenn das Gesetz verabschiedet ist, auf die Mitwirkung der Fachleute angewiesen sein werden. Hier ist die Mitarbeit in den Zulassungskommissionen beim Bundesgesundheitsamt entscheidend. Es ist wünschenswert, daß hier eine vernünftige Geschäftsordnungsgrundlage für die Arbeit gefunden wird, um diese Arbeit zu untermauern.Das breite Arzneimittelangebot sollte gerade zugunsten der Patienten erhalten bleiben, denn dem Menschen ist nur dann gedient, wenn eine breite therapeutische Chance garantiert ist. Die individuelle Verträglichkeit von Arzneimitteln ist so ungeheuer unterschiedlich, daß nur auf diese Weise die größtmögliche Aussicht auf Erfolg gewährleistet werden kann, wenn ein breites Angebot von Medikamenten vorhanden ist. Die Instrumente der Überwachung müssen ausgebaut werden; aber die absolute Sicherheit, auch vor unerwünschten Begleiterscheinungen, bei Arzneimitteleinnahmen kann nicht garantiert werden. Es ist deshalb nicht der richtige Weg, die Mittel gar nicht zuzulassen, sondern die Überwachung muß ausgebaut und verstärkt werden. Wir sollten uns an die Faustregel gewöhnen, ein Arzneimittel nur dann einzunehmen, wenn es der Gesundheitszustand erfordert, wenn also eine . Krankheit besteht. Wir stellen aber immer mehr fest, daß heute in zunehmendem Maße Medikamente eingenommen werden, auch wenn keine Krankheit vorhanden ist, um bestimmte Regulierungen, auch im biologischen Ablauf des Menschen, vorzunehmen. Man kann hier sicherlich nur mahnen, Medikamente möglichst nicht dauernd und nicht länger, als unbedingt nötig, einzunehmen. Dies muß der Bevölkerung verstärkt klar gemacht werden.
Die Konkurrenz von mittleren und kleineren Betrieben gegenüber den Großbetrieben ist auch im Sinne des Patienten, da nur auf diese Weise das breite Angebot gesichert ist und nur so möglichst jeder Patient zu seinem Mittel kommen kann. Der Wettbewerb ist hier die beste Lösung.Ein weiterer Gesichtspunkt, der nicht vergessen werden darf, ist, daß eine Kostensteigerung durch das Arzneimittelgesetz in Kauf genommen werden muß. Dabei muß abgewogen werden, inwieweit für den verbesserten Gesundheitsschutz erhöhte Kosten in Kauf genommen werden können oder ob mit dem Kostenanstieg letztlich keine höhere Sicherheit gewährleistet werden kann. Wir müssen wissen, daß ein kontrollierter klinischer Versuch in Zukunft etwa zwischen 500 000 und 1 Million DM kosten wird. Dies bedeutet weitere Kosten für jedes neue Arzneimittel, das auf den Markt kommen wird.Das Gesetz wird erst am 1. Januar 1978 in Kraft 1 treten. Ein früheres Inkrafttreten ist nicht möglich, weil noch sehr viele Voraussetzungen dafür geschaffen werden müssen, es überhaupt in Kraft treten zu lassen. Ich möchte deshalb abschließend feststellen: Es wurde jetzt in Hektik durchgepeitscht. Wegen der Kürze der Zeit konnte das Gesetz nicht noch einmal von Sachverständigen durchgeprüft werden, was meiner Ansicht nach wirklich notwendig gewesen wäre. Diese Bedenken müssen angebracht werden. Es bleibt sicher ein Rest von Unsicherheit, wenn wir das Gesetz heute verabschieden. Es ist zu hoffen, daß wenigstens noch in der Zusammenarbeit mit dem Bundesrat etwas Zeit zur Überprüfung bleibt. Unsere Fraktion wird noch einige Anträge einbringen, die wir für äußerst wichtig halten. Wir wünschen und hoffen, daß hier auch die Fraktionen der SPD und der FDP mitziehen.Das Gesetz hat ein ganz neues Gesicht bekommen, schließlich auch unter der Mitarbeit dieses Parlaments, wie es der Berichterstatter bereits vorgetragen hat. Für die Zukunft ist zu wünschen, daß bei so weitreichenden Gesetzeswerken mehr Ruhe und Zeit bleibt; das würde dem Parlament und seiner verantwortungsvollen Arbeit mehr anstehen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hauck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In diesem Parlament wird oft beklagt, daß über Einzelprobleme zu lange diskutiert wird und zwischen den Fraktionen vereinbarte Zeitpläne nicht eingehalten werden. Die Koalition hat daher festgelegt, in der allgemeinen Aussprache zur zweiten Lesung nicht das Wort zu ergreifen, sondern nur die so wichtigen Anträge zu behandeln. Trotz der Ausführungen der Frau Kollegin Schleicher wollen wir daran festhalten. Die Koalition hat Verständnis dafür, daß die vierte Partei dieses Parlaments separat natürlich auch zu einer Meinungsäußerung kommen muß.
Nach der objektiven und sachlichen Darstellung -
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein?
Herr Kollege Hauck, wären Sie bereit, mir zuzugestehen, daß bei den Abgeordneten, die mit großem Engagement an diesem Gesetz mitgearbeitet haben, zu Recht auch der Wunsch besteht, in der zweiten Lesung ihre Auffassungen zu einem so wichtigen und die Rechte des einzelnen Bürgers dieses Landes berührenden Gesetz vorzutragen?
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Selbstverständlich gestehe ich das zu. Dann müssen Sie aber auch zugestehen, daß ich meine Meinung dazu äußere. Wenn Ihnen meine auf die vierte Partei in diesem Parlament bezogene Äußerung nicht paßt, dann ist das auch verständlich; aber sie kann doch gemacht werden.
Ich möchte hier sagen: Nach der objektiven und sachlichen Darstellung des Herrn Berichterstatters, der ich als Ausschußvorsitzender ausdrücklich beitrete, erübrigt es sich auch, auf die Bemerkungen von Frau Schleicher näher einzugehen.
Druckfehler wird es immer wieder geben, sie müssen korrigiert werden. Ob Sie, Frau Schleicher, zustimmen oder nicht, erübrigt sich auch. Im übrigen steht das meiste — das möchte ich hier ausdrücklich sagen —, das hier gesagt worden ist, in dem ausgezeichneten Bericht der beiden Berichterstatter. Es lohnt sich für alle Mitglieder des Hauses, diesen Bericht zu lesen. Die Koalition wird eine grundsätzliche politische Wertung dieses großen Reformgesetzes, in dessen Beratungsverlauf übrigens auch der Dialog zwischen Parlament, Öffentlichkeit und interessierten Bürgern gestärkt wurde, in der dritten Lesung vornehmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hammans.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich erbitte mir ausdrücklich das Einverständnis des Kollegen Hauck, daß ich die Begründung zu den zwei Änderungsanträgen auch noch mit ein paar Gedanken anreichere, die ich mir im Laufe der Zeit über dieses Gesetz im allgemeinen gemacht habe
und die meines Erachtens sehr wohl in den Rahmen der zweiten Lesung hineinpassen. Ich bitte deshalb auch um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit dazu.
— Entschuldigen Sie, Herr Hauck, ick weiß nichts von dieser Vereinbarung. Dann gibt es vermutlich irgendwo eine Fehlinformation. Ich bitte um Verständnis, daß das dann trotzdem so gemacht wird, wie wir uns dies vorgenommen hatten.Der im Volksmund geläufige Begriff der Naturheilmittel konnte im vorliegenden Arzneimittelgesetz nicht definiert werden, weil er juristisch nicht einwandfrei zu fassen ist. Er ist aber in § 2 in Verbindung mit § 3 des Arzneimittelgesetzes erfaßt, weil als Naturheilmittel in erster Linie solche anzusehen sind, die in der Natur vorkommen und nicht durch Synthese hergestellt werden. Phytotherapeutische Arzneimittel werden grundsätzlich aus Naturstoffen hergestellt, wie z. B. aus Pflanzen und Pflanzenteilen oder Pflanzenbestandteilen, und zwar in bearbeitetem oder unbearbeitetem Zustand. Sie gelten somit als Naturheilmittel im engeren Sinne. Obwohl in der Begründung zu diesem Gesetz zu § 7 der Überleitungsvorschriften des Art. 3 der Begriff Phytotherapeutika erwähnt ist, ist im Laufe der Ausschußberatungen für diese Naturheilmittel keine Definition erarbeitet worden.Eine andere Gruppe von Naturheilmitteln, die — allerdings nicht ausschließlich — aus pflanzlichen Ausgangsstoffen hergestellt sind, unterscheidet sich grundsätzlich von anderen Arzneimitteln. Es sind dies die homöopathischen Arzneimittel und die mit ihnen verbundenen Therapierichtungen, die Dr. Hahnemann von 1805 bis 1811 begründete. Das Charakteristische dieser homöopatischen Arzneimittelgruppe ist, daß sie nach einem bestimmten, nur dieser Gruppe eigenen Verfahren hergestellt wird. Die homöopathische Verfahrenstechnik, das Potenzieren, bewirkt, daß die Ausgangsstoffe in einer bestimmten Konzentration immer naturbelassen vorliegen. Durch diese Verfahrensweise erfolgt keine Synthese oder chemische Veränderung des Ausgangsstoffes, sondern es werden nach dem Massenwirkungsgesetz und dem Löslichkeitsprinzip die Stoffe auf chemisch-kinetischem Weg so verdünnt, daß auf Grund physikalischer Gesetzmäßigkeiten Stoffe hinauspotenziert werden. Aus diesem Grunde ändert sich von Potenz zu Potenz nicht nur der Arzneigehalt dieser Stoffe, sondern auch die therapeutische Wirksamkeit. Die End- und Ausgangsprodukte sind in ihrer Qualität durch das Arzneibuch bestimmt, und damit ist sichergestellt, daß der Arzt immer ein qualitativ hochwertiges homöopathisches Arzneimittel erhält.Während der ganzen Beratungen zu dem Gesetzentwurf haben wir die eben erwähnten Arzneimittel — wie auch andere, z. B. anthroposophische Mittel — unter dem Begriff „Naturheilmittel" zusammengefaßt.Das vorliegende Arzneimittelgesetz enthielt in seiner ursprünglichen Fassung für den größten Teil der Naturheilmittel den Tod auf Raten.
Hört!)Diese machen gemeinsam immerhin ein Drittel unseres Arzneimittelschatzes aus. Staatssekretär Wolters, den ich hier sehe, hat am 14. März 1974 gegenüber der „Ärztlichen Praxis" die Absicht einer Reduzierung des Arzneimittelangebots bestätigt, indem er sagte — Herr Präsident, ich bitte um Genehmigung, dies zitieren zu dürfen —:Sie ist erwünscht. Die Reduzierung wird sich einmal aus den Hauptkriterien, die wir besprochen haben, ergeben. Sie wird sich auswirken auf die Zahl der Herstellungsbetriebe.
Professor Fülgraff, Präsident des Bundesgesundheitsamtes, wurde im „Ärzteblatt" noch deutlicher
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Dr. Hammansund sagte — auch hier bitte ich um die Genehmigung, dies zitieren zu dürfen —:Die Tatsache, daß die Hälfte der westdeutschen Bevölkerung die besonderen Heilverfahren wünscht, kann kein Argument sein.
Ein weit größerer Prozentsatz wünscht beispielsweise die Wiedereinführung der Todesstrafe.
Es geht nicht darum, bestimmte Richtungen in der Medizin durchzusetzen, wohl aber darum, gutgläubige Patienten vor Sektierertum zu bewahren.
Was soll es denn heißen, daß die Prüfverfahren den Eigenarten der Arzneimittel besonderer therapeutischer Richtungen angemessen sein müssen?Herr Fülgraff hat von einem Bestimmungsrecht von Arzt und Patienten nie etwas hören wollen. Auch seine späteren Äußerungen zeigen, daß ihn nicht die Sicherheit der Arzneimittel, sondern nur eine Indikationsbereinigung im Sinne einer rationalen Therapie und, daraus folgend, eine Marktbereinigung interessieren.In diesem Zusammenhang erinnere ich daran, daß unser Kollege Fiebig sowohl schriftlich im „Deutschen Ärzteblatt" als auch mündlich anläßlich einer Diskussionsrunde, an der eine ganze Reihe von Kollegen dieses Hauses teilgenommen haben, Prof. Fülgraff einer leninistischen Ausrichtung seiner gesundheitspolitischen Zielsetzungen beschuldigt hat.
Ich habe weder mündlich noch schriftlich eine Nachricht vernommen, in der sich Professor Fülgraff gegen die Vorwürfe des Kollegen Fiebig gewehrt hätte.
Für die Naturheilmittel war der Nachweis der Wirksamkeit die entscheidende Klippe, an der viele gescheitert wären.Allerdings haben uns die Anhörung zwei grundlegende Tatsachen vor Augen geführt. Erstens wird der Wirksamkeitsnachweis heute im wesentlichen durch den kontrollierten klinischen Versuch erbracht. Zweitens wurde immer wieder betont, daß sogenannte kontrollierte klinische Versuche, d. h. Wirksamkeitsnachweise für homöopathische Arzneimittel und andere Naturheilmittel nicht durchführbar seien. Die Registrierpflicht für homöopathische Arzneimittel, wie im Regierungsentwurf vorgesehen, wurde mit der Schwierigkeit des Nachweises der Wirksamkeit begründet. Viele orthodoxe Schulmediziner behaupten, daß der Wirksamkeitsnachweis für Naturheilmittel nur deshalb nicht zu führensei, weil sie eben unwirksam seien. Die Bundesregierung, die orthodoxen Schulmediziner und auch die Herren im Beirat für Arzneimittelsicherheit haben uns verschwiegen, daß auch für Antibiotika, Antiepileptika, Tuberkulosemittel, Hustenmittel, Impfsera und eine Reihe von anderen Mitteln nie ein Wirksamkeitsnachweis geführt wurde. Es wurde uns eine umfangreiche Expertise vorgelegt, die sich auf über 2 000 Publikationen und umfangreiche Befragungen der pharmazeutischen Industrie stützt. Kein Pharmakologe und kein Schulmediziner hat uns Unterlagen zur Verfügung gestellt, die das Gegenteil bewiesen hätten. Uns liegt das Schreiben eines bekannten Pharmakologen vor, in dem er erklärt, daß die Wirksamkeit der Antibiotika ja evident sei, so daß man keine Versuche mehr zu machen brauche.
Antibiotika und homöopathische Arzneimittel gleichen sich also darin, daß ihre Wirksamkeit nicht nachgewiesen ist.Meine Damen und Herren, wir alle wollen die Verbesserung der Arzneimittelsicherheit. Wir wollen aber nicht, daß dieses Arzneimittelgesetz dazu mißbraucht wird, die Naturheilverfahren oder die Homöopathie zu beseitigen.
Wir mußten deshalb gegen den Entwurf der Bundesregierung folgende Forderungen durchsetzen: Erstens die Beweislastumkehr für den Wirksamkeitsnachweis, d. h., das Bundesgesundheitsamt muß die Unwirksamkeit eines Arzneimittels nachweisen, wenn es verboten werden soll. Zweitens. Wenn der sogenannte Stand der Wissenschaft herangezogen werden soll, muß er gesichert sein. Drittens. Homöopathische Mittel werden in Zukunft nur noch von homöpathischen Sachverständigen beurteilt.Für die Ablehnung eines homöopathischen Arzneimittels z. B. wird es nicht mehr ausreichen, daß ein Schulmediziner behauptet, es sei ein Placebo. Es soll jene Art von Vorgehen unterbunden werden, die jetzt das Ministerium bei der Arzneibuchkommission für homöopathische Mittel praktiziert hat. Ich brauche auf die bekannte Methode des Herrn Fülgraff an dieser Stelle nicht im einzelnen einzugehen. Praktiken, nach denen man sich die Sachverständigen nach Gutdünken aussucht, um eine Wissenschaftspolitik zu betreiben, die nichts mit Arzneimittelsicherheit zu tun hat und nur der Durchsetzung einer Dogmatik dient, werden durch das neue Gesetz unterbunden. Wir werden sorgfältig darauf achten, daß bei der Berufung der Sachverständigen die besonderen Heilverfahren entsprechend ihrer tatsächlichen Bedeutung und nicht nur mit symbolischem Anteil vertreten sein werden.Meine Damen und Herren, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland haben Bürgerinitiativen so sehr die Intention der CDU/ CSU unterstützt, wie dies bei den Naturheilmitteln der Fall war. Schon in der ersten Lesung haben wir unmißverständlich erklärt, daß die CDU/CSU-Opposition diesem Gesetzentwurf, der heute zur zweiten und dritten Beratung ansteht, nur zustimmen wird,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976 16635
Dr. Hammanswenn gewährleistet ist, daß für die Zukunft auch diese Arzneimittelsicherheit erhalten bleiben. Es muß in dieser Stunde festgehalten werden, daß es dem Druck der CDU/CSU-Opposition und den Bürgerinitiativen zu verdanken ist, daß es schließlich gelang, das Gesetz so zu ändern, daß wir die Sicherheit haben, daß die Naturheilmittel bleiben werden.
Frau Minister Focke, Sie haben, als Sie am 25. März dieses Jahres dieses Flugblatt „Die Naturheilmittel werden bleiben" herausgaben, vergessen, darin mitzuteilen, daß diese Überschrift nur dem Druck der Opposition und der Bürgerinitiativen zu verdanken ist.
Abschließend komme ich zur Begründung unserer Anträge auf den Drucksachen 7/5129 und 7/5130. Im Zusammenhang mit den von mir vorhin schon erwähnten Problemen des Wirksamkeitsnachweises möchte ich hier noch ausdrücklich vermerken: Die therapeutische Wirksamkeit eines Arzneimittels läßt sich nicht allein im streng naturwissenschaftlichen Sinne bestimmen, so wie ursprünglich im Regierungsentwurf vorgesehen. Selbst in den Fällen, in denen mit entsprechenden Prüfverfahren annähernd objektive Maßstäbe für die Beurteilung der Wirksamkeit erarbeitet werden können, kann nur unter Einbeziehung der gesamtmenschlichen Situation des Patienten im konkreten Einzelfall sowie der ärztlichen und wissenschaftlichen Erfahrung eine relativ sichere Wahrscheinlichkeitsaussage über die therapeutischen Erfolge eines Arzneimittels bei einem bestimmten Anwendungsgebiet gemacht werden. Erfahrungen und wissenschaftlichen Lehrmeinungen kommt bei der Beurteilung der therapeutischen Wirksamkeit dann noch eine ausschlaggebendere Bedeutung zu, wenn zwar gut meßbare Wirkungen, also physiologische Veränderungen vorliegen, die an sich aber noch nichts über die Wirksamkeit aussagen. Praktisch unmöglich aber wird der Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit bei Arzneimitteln, die gegen chronische Erkrankungen wie Rheuma, Arteriosklerose, Hypotonie und andere eingesetzt werden. Dies zeigt deutlich, daß der Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit überhaupt ein sehr schwieriges Problem ist.Aus diesem Grunde hat die CDU/CSU-Fraktion für einen einheitlichen Arzneibegriff in Verbindung mit einem adäquaten differenzierten Wirksamkeitsnachweis plädiert. Damit wollen wir jede Diskriminierung bestimmter Arzneimittelgruppen ausschalten, die sich z. B. konkret aus der Sonderregelung in den §§ 36 und 37 des Regierungsentwurfs für homöopathische Arzneimittel ergeben könnte. In den bisherigen Beratungen haben wir erreichen können, daß eine Diskriminierung bestimmter Arzneimittel verhindert wird. Weil eine Definition in § 36 aufgenommen wurde, sind auch die anthroposophischen Mittel einbezogen, soweit sie nach den anerkannten Regeln der Homöopathie hergestellt werden.Aber die Gefahr, daß die nur-registrierten Arzneimittel als Arzneimittel zweiter Klasse behandelt werden, ist noch nicht ganz gebannt.
Diese Befürchtungen erhielten durch bekanntgewordene Bestrebungen, daß einige Krankenkassen gewissermaßen am Gesetzgeber vorbei eigene Listen der Arzneimittel aufzustellen gedenken, die sie für wirksam halten, neue Nahrung. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, daß es am Ende der Beratungen im federführenden Ausschuß die einhellige Meinung aller Fraktionen war, daß Arzneimittel, die sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes im Verkehr befinden, auch den Kassenpatienten in vollem Umfang zur Verfügung stehen sollten.Obwohl wir diese Verbesserungen begrüßen und sie letztlich mit einmütiger Zustimmung des Ausschusses erreicht haben, bringen wir die zwei Anträge heute ein, die im Ausschuß leider nicht angenommen wurden. Wir bitten das Hohe Haus um die Zustimmung. Wir sind der Auffassung, daß auch homöopathische Arzneimittel im Sinne unserer Definition dann zugelassen werden sollten, wenn der Hersteller nur objektiv nachprüfbare Wirkungen nachweisen kann.Die Angabe der Anwendungsgebiete aber und damit der Wirksamkeitsnachweis sollte entfallen können. Sie muß entfallen, wenn diese Arzneimittel entsprechend der homöopathischen Lehre angewendet werden sollen. In diesem Falle bestimmt allein der Arzt unter besonderer Berücksichtigung auch der individuellen Bedürfnisse des Patienten die Anwendungsgebiete. Eine fehlerhafte Selbstmedikation ist damit ausgeschlossen. Der Schutz des Verbrauchers, dem die Bestimmungen der §§ 10 und 11 vor allem dienen, ist durch die Information durch den Arzt gesichert. Für diese Arzneimittel darf allerdings keine Publikumswerbung betrieben werden. Ärztliche Informationen bleiben davon aber unberührt.Staatssekretär Professor Wolters entgegnete auf diesen unseren Antrag im Ausschuß, der Arzt könne ja in der Apotheke rezeptieren lassen. Dies trifft aber nicht immer zu, z. B. bei besonderen Verfahren in der Herstellung, von denen manche Firmen auch auf ihren Packungen sprechen. Es handelt sich zum Teil um differenzierte Vorgänge rhythmischer Art im Zuge von Verdünnungsprozessen.Unsere Anträge, die ich im Zuge meiner Ausführungen eben mitbegründet habe, dienen dazu, die Therapiefreiheit in einem weiteren Gebiete zu sichern. Wir bitten Sie, unseren Anträgen zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordneter Fiebig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die außerordentliche Ehre, auch im Namen unseres Koalitionspartners, im Namen der Freien Demokraten, sprechen zu dürfen.
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16636 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976
FiebigLassen Sie mich mit einer Lesefrucht beginnen, auf die ich per Zufall in den letzten Wochen stieß. Ich las Turgenjews „Aufzeichnungen eines Jägers". Dort wurde ein Streit zwischen den Menschen des zaristischen Rußlands geschildert. Es ging um ein Verdauungsmittel namens Aloe, ein Naturheilmittel also. Nun wurde festgestellt, daß die zaristische Medizinalverwaltung dieses doch verboten habe. Sehen Sie, meine Damen und Herren, wie weit wir doch von diesem Land entfernt sind! Weder Bundesregierung noch Koalitionsfraktionen lassen sich von irgend jemandem in diesem Hause an Liberalität übertreffen;
denn es ist sichergestellt, daß Naturheilmittel, Homöopathika und Anthroposophika ihre Existenzberechtigung haben und sogar gleichberechtigt neben die Schulmedizin gestellt worden sind. Das geschah erstmalig in einem Gesetz.
Frau Kollegin Schleicher meinte eben, der Gesetzentwurf der Bundesregierung sei so sehr verändert worden. Ja, es ist doch gut, daß das Parlament eine Sache verändert; denn nichts ist so gut, daß es nicht noch besser werden könnte. Wenn es uns gelungen ist, Anliegen des Gesetzestextes zu verdeutlichen, haben wir denn dann nicht doch unsere Existenzberechtigung als Abgeordnete nachgewiesen? Ich meine, es wäre doch wohl schade, wenn wir unsere Diäten umsonst beziehen würden.
Wir haben also in unseren Beratungen, getragen von den Koalitionsfraktionen, das Anliegen der Liberalität verdeutlicht. Ich meine, daß es uns in guter Arbeit gelungen ist.Aber nun, Herr Kollege Hammans, zu Ihrem Antrag. Ich meine, daß Ihre Befürchtungen, es könnte doch noch zu einer Diskriminierung von Homöopathika kommen, unbegründet sind. Sie sagen, dieses Registrierverfahren sei weniger gut als ein Zulassungsverfahren. Ich meine, auch Homöopathika können sich ohne Schwierigkeiten den Zulassungsverfahren stellen. Ihr Anliegen, daß Sie mit den beiden Anträgen vorgetragen haben, ist meines Erachtens bereits im Gesetz berücksichtigt; denn die Prüfung homöopathischer Arzneimittel stellt ja Wirkungen fest. Damit sind die Voraussetzungen nach § 2 gegeben; denn dort heißt es: „Arzneimittel sind Stoffe und Zubereitungen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen Körper die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktion des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen". Da sich für ein homöopathisches Arzneimittel die Anwendungsgebiete aus den Wirkungen ergeben, fallen für § 21 Abs. 1 die Nrn. 5 und 6 zusammen, denn in Nr. 5 ist die Rede von Wirkungen, in Nr. 6 von Anwendungsgebieten. Damit ist beides miteinander identisch. Damit wären nach § 21 Abs. 2 bis 4 homöopathische Arzneimittel gleichberechtigt mit Infusionen, Narkosemitteln und Desinfektionsmitteln, für die ja auch keine speziellen Krankheiten angegeben werden können.Weiterhin sind mit der Prüfung homöopathischer Arzneimittel die Voraussetzungen für § 21 Abs. 2 und 3 gegeben; denn im Gesetz ist nicht festgelegt, daß für die pharmakologisch-toxikologische Prüfung Tiere zu verwenden sind. Insofern ist die Prüfung homöopathischer Arzneimittel die vorgesehene pharmakologisch-toxikologische Untersuchung und wegen der Identität zugleich die vorgesehene ärztliche Erprobung.Das gleiche gilt für § 38. Der Tierversuch führt bekanntermaßen nur zu Hypothesen, die dann am Menschen zu prüfen sind, und der Selbstversuch, den wir in unserem Ausschußbericht erwähnt haben, der Selbstversuch von Pharmakologen oder Prüfungsleitern, führt zur Feststellung von Wirkungen und der Bestimmung des Risikos für eine weitere Prüfung oder Anwendung des Arzneimittels an Gesunden oder Kranken.Homöopathische Arzneimittel werden registriert, wenn die Ergebnisse der Prüfung der homöopathischen Arzneimittel nicht vorgelegt werden. Im anderen Fall sind die Voraussetzungen für die Zulassung uneingeschränkt erfüllt. Somit ist für die Homöopathika die Möglichkeit der Wahl zwischen Registrierung und Zulassung voll gewährleistet.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein?
Bitte sehr!
Herr Kollege Fiebig, wären Sie bereit, mir zuzugeben, daß bei einem homöopathischen Arzneimittel, für das die Zulassung beantragt ist, auch Anwendungsgebiete entsprechend der gesetzlichen Regelung angegeben werden müssen, obwohl das genau im Gegensatz zur Philosophie des homöopathischen Mittels steht?
Sehen Sie, Herr Kollege Prinz Botho, ich bin davon ausgegangen, daß Wirkungen und Anwendungsgebiete miteinander identisch sind. Dann muß es doch auch für Homöopathika möglich sein, das Zulassungsverfahren zu bestehen. Von daher kann ich Ihren Pessimismus nicht teilen.Ich möchte noch weitere Ausführungen zu dem Thema machen, um die Wichtigkeit von Naturheilmitteln zu unterstreichen. Ich greife auf die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers Anfang April zurück. Dort hat der Herr Bundeskanzler persönlich bekräftigt, daß die Bundesregierung darauf bedacht ist, allen therapeutischen Richtungen, also auch den Naturheilmitteln, gerecht zu werden.Dies kann ich um so mehr für die beiden Koalitionsfraktionen bekräftigen, da ich bereits im November 1973 im „Deutschen Ärzteblatt" einen Aufsatz mit dem Thema „Arzneimittelsicherheit als politische Frage" veröffentlicht habe.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976 16637
Herr Abgeordneter Fiebig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hammans?
Bitte.
Herr Kollege Fiebig, sind Sie bereit, mir zuzugestehen, daß die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers nach den hauptsächlichen Initiativen der Bürger und vor allen Dingen der Opposition kam?
Sehr verehrter Herr Kollege Hammans, auch die Koalitionsfraktionen haben sich in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung um eine zufriedenstellende Lösung dieses Problems bemüht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Egert?
Ja.
Herr Kollege Fiebig, sind Sie bereit, mir zu bestätigen, daß die Bundesregierung, insbesondere durch die zuständige Fachministerin, in dieser ihrer Einschätzung, die der Bundeskanzler bekräftigt hat, in ihren Erklärungen nie einen Zweifel gelassen hat, daß dies die politische Zielsetzung ist?
So ist es, Herr Kollege Egert, und man kann sicherlich auch noch als Aperçu anmerken, daß sich selbst im Bundeskabinett Kollegen befinden, die großen Wert auf Naturheilmittel legen, sie selber anwenden, sich zum Teil sogar als Selbstversorger betätigen. Deshalb, so meine ich, ist die Bundesregierung über jeden Verdacht erhaben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein?
Ja.
Warum hat dann wohl, so frage ich, Herr Kollege Fiebig, der Herr Bundeskanzler in dieser besagten Regierungserklärung davon gesprochen, daß zunächst die Zulassungsbedingungen für Naturheilmittel unerfüllbare Forderungen enthielten?
Herr Kollege Prinz Botho, darin kann ich Ihnen nicht folgen, daß es unerfüllbare Voraussetzungen gewesen seien. Sehen Sie, von vornherein, auch schon von den EG-Richtlinien her, ist doch all diesen besonderen Therapierichtungen ein besonderer Zeitraum von 12 Jahren eingeräumt worden. Sicherlich ist damit doch die Chance gegeben — aber bitte nicht nur für Naturheilmittel; das gilt dann genauso für die Schulmedizin —, weitere medizinische Forschungen zum Wohle des Patienten und Bürgers in diesem Lande zu betreiben. Wir haben doch nicht gesagt, von heute auf morgen müsse das alles passieren, um mehr Schutz des Verbrauchers zu erreichen.
Eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hammans. Bitte schön.
Herr Kollege Fiebig, können Sie mir eine Erklärung dafür geben, warum Frau Minister Focke nicht verhindert hat, daß dieser Regierungsentwurf, der den Tod der homöopathischen und anderer Naturheilmittel auf Raten in sich barg, dem Parlament vorgelegt wurde, wenn sie von vornherein dieser Meinung war?
Sehr verehrter Herr Kollege Hammans, ich kann mich rühmen, zu meiner Kollegin Frau Minister Focke besonders guten Kontakt zu haben.
Ich kann auch sagen, daß die Möglichkeit, Homöopathika nur registrieren zu lassen, auf meine Anregung zurückgegangen ist. In dem Stadium zwischen i Referentenentwurf und Regierungsentwurf haben Frau Minister Focke und ich in dieser Frage in besonders engem Kontakt gestanden. Es ist also nicht so, als wenn die Bundesregierung Anregungen nicht zugänglich gewesen wäre. Im Gegenteil.Ich kann auch bestätigen, daß ich, im ständigen Kontakt mit dem Bundeskanzleramt, ebenfalls die Anregungen an das Bundeskabinett weitergegeben habe. Das gleiche gilt für meine Fraktionskollegen. Und wenn Sie sich bitte an die Ausschußberatungen erinnern: Wie offen sind wir für Anregungen aller Art gewesen, um eine gerechte und sachgerechte Lösung zu finden!Ich sagte, daß ich schon im Jahr 1973 versucht habe, mich zu diesem Thema literarisch zu äußern, und schon damals die Auffassung vertreten habe, daß der Staat gegenüber den verschiedenen medizinischen Richtungen Neutralität zu wahren habe. Im vorliegenden Gesetzentwurf kommt das darin zum Ausdruck — ähnlich, wie ich das damals schon gefordert habe —, daß externe Kommissionen an den Zulassungsverfahren beteiligt werden. Ich meine, es ist ein Stück Selbstverwaltung, das hier verwirklicht worden ist.Meine Fraktion geht davon aus, daß weder die Schulmedizin noch irgendeine andere therapeutische Richtung einen wissenschaftlichen Alleinvertretungsanspruch hat; vielmehr wird mit diesem Gesetz die Therapiefreiheit uneingeschränkt bestätigt. Wie ich eben schon einmal versucht habe darzulegen, stehen nun Schulmedizin, Homöopathie,
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16638 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976
FiebigNaturheilmittel und anthroposophische Heilmittel gleichberechtigt nebeneinander.An einem anderen Punkt, meine ich, haben wir ebenfalls versucht, das Anliegen des Gesetzentwurfes der Bundesregierung noch ein klein wenig mehr zu verdeutlichen, nämlich hinsichtlich des Schutzes des Patienten im klinischen Versuch. Die Grundlage unserer Überlegungen war ja die Festlegung des Grundgesetzes, daß die Würde des Menschen, des gesunden wie des kranken, zu wahren ist. Die Würde des Menschen zu schützen, wie es das Grundgesetz fordert, besagt nach Kant, daß der Mensch immer nur Zweck, niemals Mittel sein darf. Von dieser Grundüberlegung haben wir uns leiten lassen, als wir die Vorschriften für die klinische Prüfung verdeutlichten und damit den Schutz des Patienten verbesserten: Der Mensch ist immer nur Zweck und nie Mittel.Lassen Sie mich auch noch ein paar Worte zum Wirksamkeitsnachweis sagen, weil meine Vorredner davon gesprochen haben. In der Tat ist die Frage des Wirksamkeitsnachweises ja sehr schwierig und trifft nicht nur Homöopathika, sondern ebenso alle anderen Medikamente.
Wir mußten uns ja fragen, ob ein Höherschrauben der Anforderungen an den Wirksamkeitsnachweis nicht eventuell zu unvertretbaren Versuchen an Kranken geführt hätte. Wir sind davon ausgegangen, daß der Staat nicht die Aufopferung von Kranken zugunsten eines Formalismus fordern kann. Der Gesetzgeber hat die Konsequenz gezogen und die Anforderungen an den Wirksamkeitsnachweis an die realen Verhältnisse angepaßt.Zusammenfassend möchte ich sagen, daß die Vorwürfe, die heute morgen an die Adresse der Koalitionsfraktionen gerichtet worden sind, unzutreffend sind. Wir haben uns sehr bemüht, dem Anliegen aller Therapierichtungen gerecht zu werden. Ich meine, das ist uns in den sehr kollegialen Verhandlungen gelungen. Wir sind der Meinung, die beiden Anträge der Opposition sind überflüssig, da sie bereits im Gesetzestext berücksichtigt sind. Wir werden diese beiden Anträge ablehnen.
Meine Damen und Herren, bevor wir in die Mittagspause eintreten, darf ich folgendes bemerken. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt. Um 15.30 Uhr wird Punkt 2 der Tagesordnung, also der Einspruch des Bundesrates bezüglich des Problems der Abtreibung, aufgerufen. Ich höre, es sei mit einer namentlichen Abstimmung zu rechnen.
Im Anschluß daran wird der soeben behandelte Tagesordnungspunkt weiter beraten. Als erster Redner in der allgemeinen Aussprache ist bei mir der Abgeordnete Zeyer gemeldet.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 7/5094 —
Wir haben eine Dringlichkeitsfrage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen vorliegen. Zur Beantwortung dieser Frage ist Herr Staatsminister Wischnewski anwesend.
Ich rufe die Dringlichkeitsfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schweitzer auf:
Wie steht die Bundesregierung zu dem Vorschlag des Staatsministers Wischnewski, die Zahl der Mandate im Europäischen Parlament von einigen Ausnahmen abgesehen im Hinblick auf die Abhaltung von Direktwahlen zu diesem Parlament im Jahr 1978 zu verdoppeln?
Herr Kollege Professor Schweitzer, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten: Die Bundesregierung hat erklärt, daß sie im Interesse einer baldigen Verwirklichung der Direktwahl zum Europäischen Parlament jeden Vorschlag zur Sitzverteilung akzeptiert, auf den sich die übrigen EG-Mitgliedstaaten einigen können.
Mit meinem Vorschlag, den ich unmittelbar nach dem enttäuschenden Ergebnis der letzten Sitzung des europäischen Rates in Luxemburg gemacht habe, habe ich die Absicht verfolgt, auf eine solche Kompromißmöglichkeit hinzuweisen. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß dieser Weg für einige andere Mitgliedstaaten nicht gangbar ist, weil er ihren innenpolitischen Erfordernissen offenbar nicht entspricht. Mein Vorschlag hat jedoch, wie ich glaube, seinen Zweck erfüllt: die Suche nach neuen Kompromißmöglichkeiten in Gang zu halten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, nachdem ich Ihrer Antwort erwartungsgemäß und mit Genugtuung entnommen habe, daß hier natürlich eine volle Übereinstimmung besteht, darf ich Sie nun ferner fragen, ob sich das Kabinett in der gestrigen Sitzung gewissermaßen in einem europäischen Teil mit der ernsten Lage befaßt hat, die durch die bekannte Haltung zumindest eines unserer engsten Partner in dieser Frage entstanden ist, und ob gegebenenfalls entsprechende Beschlüsse für unser weiteres Vorgehen in dieser Richtung gefaßt wurden.Wischnewski, Staatsminister: Es entspricht den Tatsachen, Herr Kollege Professor Schweitzer, daß sich das Kabinett in seiner gestrigen Sitzung — nach dem Verlauf der Sitzungen des Europäischen Rates und des Allgemeinen Rates vom Montag und Dienstag — sehr ausführlich mit der Frage der
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976 16639
Staatsminister WischnewskiDirektwahl zum Europäischen Parlament beschäftigt hat. Die Bundesregierung hat bei dieser Gelegenheit vier Punkte herausgestellt.Erstens. Nach wie vor hätte für uns der Vorschlag des Europäischen Parlaments Präferenz. Wir würden dem am liebsten die Zustimmung geben. Wir sind auch von der Voraussetzung ausgegangen, es sei eine Möglichkeit gegeben, daß alle anderen eine gleiche Haltung einnehmen. Bedauerlicherweise ist das nicht der Fall.Zweitens. Die Bundesregierung ist auch bereit, dem Vorschlag des französischen Staatspräsidenten, es diesmal — ein einziges Mal — bei der bisherigen Zusammensetzung zu belassen, ihre Zustimmung zu geben, weil die französische Regierung damit die Vorstellung verbindet, daß für das nächste Mal das Europäische Parlament dann selbst eine Entscheidung zu treffen hätte.Drittens. Die Bundesregierung ist, wie ich soeben bereits gesagt habe, bereit, jedem anderen Vorschlag ihre Zustimmung zu geben, auf den sich die acht anderen einigen können. An uns ist bisher nicht ein einziges Mal eine Einigung gescheitert. Ganz im Gegenteil: wir haben große Anstrengungen gemacht.Viertens. Herr Kollege Professor Schweitzer: Die Bundesregierung hält daran fest, daß die ersten Direktwahlen zum Europäischen Parlament im Frühjahr 1978 stattfinden sollen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, würde die Bundesregierung es angesichts der großen Dringlichkeit einer Lösung des von mir heute angeschnittenen Problems als eine Unterstützung ihrer ja begrüßenswerten Politik empfinden, wenn der Deutsche Bundestag etwa durch eine gemeinsame Resolution nochmals eine schnelle Einigung über die Abhaltung von Direktwahlen zum Europäischen Parlament fordern würde?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung würde etwas Derartiges als positiven Beitrag betrachten. Mit Sicherheit wäre dies auch eine Unterstützung in der Auseinandersetzung, in der sich die Bundesregierung befindet, um in der Frage der Sitzverteilung eine Übereinstimmung zu erzielen, damit die Direktwahlen im Frühjahr 1978 in allen neun Ländern der Gemeinschaft durchgeführt werden können.
Keine Zusatzfrage mehr.
Ich danke Ihnen vorläufig, Herr Staatsminister; Sie werden ja nachher nochmals gebraucht.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts auf. Zur
Beantwortung ist Frau Parlamentarischer Staatssekretär Schlei anwesend.
Die Fragen 14, 15, 82 und 83 sollen auf Bitten der jeweiligen Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 86 des Herrn Abgeordneten Dr. Marx auf.
Trifft es zu, daß nicht nur der italienische, sondern auch der französische Botschafter, „während sich der Kanzler am Brahmsee über Ostern von seinem europäischen Rundschlag erholte" , im Bundeskanzleramt vorstellig geworden ist, um das Befremden seiner Regierung zu „Protokoll" zu geben?
Herr Kollege Dr. Marx, es trifft zu, daß der italienische und der französische Botschafter im Zusammenhang mit den Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers in der Fernsehdiskussion des Bayerischen Rundfunks vom 15. April 1976 im Bundeskanzleramt vorgesprochen und um Erläuterung einiger Passagen gebeten haben.
Eine Zusatzfrage.
Frau Kollegin, nachdem gestern im franzöischen Parlament der französische Ministerpräsident Chirac die Formulierung, er sei über die Äußerungen des Bundeskanzlers Schmidt sehr erstaunt, verwendet und erklärt hat, er benütze diese Worte aus diplomatischen Gründen, denn sie seien schwach, um seinen Gefühlen hinsichtlich der Erklärungen, die der Bundeskanzler abgegeben habe, Ausdruck zu verleihen, und nachdem Herr Chirac darauf hingewiesen hat, daß im Auftrag des Staatspräsidenten der französische Botschafter nochmals — wohl heute, nehme ich an -- vorstellig wird, kann ich also annehmen, daß die Bundesregierung diesen Vorgang dem Hause als ein schlagendes Beispiel der besser gewordenen Beziehungen zwischen Bonn und Paris vorstellen möchte?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Wir haben solcher seltsamer schlagender Beweise nicht bedurft, um zu bestätigen, daß unsere Zusammenarbeit weiterhin hervorragend ist.
Zunächst darf ich Sie auf einen Übersetzungsfehler hinweisen. Es ist nicht gemeint, daß Herr Wormser nochmals im Bundeskanzleramt vorspricht. Vielmehr ist damit der bereits vergangene, von mir eben bestätigte Termin gemeint.
Ich kann hinzufügen, daß wir die Angelegenheit trotz der hier im Parlament in der Form der Anfrage erfolgenden Beschäftigung mit ihr als erledigt ansehen — um so mehr, als auch heute der Sprecher des Elyseepalastes — wie wir so sagen — bestätigt hat, daß sich an unserer Zusammenarbeit in Freundschaft und auf unsere gemeinsame Zielsetzung hin nichts verändert hat.
Eine weitere Zusatzfrage.
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16640 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976
Frau Kollegin Schlei, würden Sie also — sozusagen im Kontext Ihrer eben gegebenen Erklärung bestätigen, daß trotz der Ausführungen von Herrn Chirac, die ich mit Erlaubnis der Frau Präsidentin wörtlich zitiere:
Es scheint mir deshalb Bundeskanzler Schmidt nicht zuzustehen, derartige unüberlegte Äußerungen abzugeben
das deutsch-französische Verhältnis trotzdem weiterhin äußerst freundschaftlich und ungetrübt ist?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Das Verhältnis ist freundschaftlich und ungetrübt. Ich kann Ihnen nochmals sagen, daß der vorhin von mir genannte Sprecher, Herr Gouyou-Beauchamps, betont hat, daß die Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland nicht in Frage gestellt ist und daß wir weiterhin in gegenseitigem Respekt und gegenseitiger Wertschätzung diese Zusammenarbeit fortführen werden.
Ich bitte Sie, dieses parlamentarische Nacharbeiten einer diplomatisch längst erledigten Angelegenheit so zu werten, wie wir es tun.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Friedrich.
Frau Staatssekretär, muß man nicht über die Nervosität der Reaktion erstaunt sein, wo man sich doch um ein gesamteuropäisches Parteiensystem bemüht und ja auch der Fragesteller jener Partei angehört, die sich bemüht, die UDR, deren Generalsekretär Herr Chirac war, in die Europäische Volkspartei aufzunehmen?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, in dieser Zeit sind manche Äußerungen vor den jeweiligen internen Hintergründen zu werten, die sich in den einzelnen Ländern erkennen lassen. Aber wir sind nicht der Meinung, daß das, was wir uns als Zielsetzung vorgenommen haben, von einzelnen Äußerungen her verändert werden kann.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Frau Staatssekretärin, hat sich die Vorsprache des französischen Botschafters bei der Bundesregierung auch auf den Satz des Bundeskanzlers bezogen:
Was ich sehe, ist ein Vakuum an Regierungs-
fähigkeit in einzelnen Staaten Westeuropas
und hat die französische Regierung die Besorgnis gehabt, daß damit auch die französische Regierung gemeint sein könnte?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Nein. Die Aussprache hat sich nicht auf diesen Satz konzentriert,
sondern auf zwei andere Passagen, nämlich auf die falsche Übersetzung der gebrauchten Ausdrücke „Kraft" und „Gewalt" und auf „Divergenzen in Systemen".
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Narjes.
Frau Staatssekretär, ist der Herr Bundeskanzler nach den Besuchen des französischen und des italienischen Botschafters in der Sache unverändert derselben Ansicht wie bei der Fernsehdiskussion?
Frau Schlei, Pari. Staatssekretär: Er hat gar keinen Anlaß, seine Ansichten zu ändern.
Eine Frage der Frau Abgeordneten Berger.
Frau Kollegin, würden Sie so liebenswürdig sein, mir zu erläutern, wie die Bundesregierung diesen höchst ungewöhnlichen, fast derben Umgang mit den europäischen Partnern in Einklang bringt mit den von Ihnen eben genannten Prinzipien des bestehenden gegenseitigen Respekts?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, je enger wir zusammenwirken und je stärker sich unsere Beziehungen vertiefen werden, um so mehr wird es sich ergeben, daß man offener einander auf Dinge hinweisen kann, die auch die Bevölkerung des eigenen Landes stark tangieren.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Breidbach.
Frau Staatssekretärin, nachdem Sie die Auffassung vertreten haben, daß die Äußerungen des Bundeskanzlers die Beziehungen zu Frankreich — man könnte weiterführen: auch zu Großbritannien und zu Italien — nicht geschmälert haben, würden Sie mir zustimmen, daß solche öffentlichen Äußerungen über politische Freunde die Beziehungen sicher nicht fördern würden?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir gehen davon aus, daß andere Völker, vor allem unsere Freunde in der Europäischen Gemeinschaft, Äußerungen, die wir machen, nicht dramatischer bewerten, als wir das mit deren Äußerungen tun.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Arndt.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976 16641
Frau Staatssekretärin, ist die Bundesregierung bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß französische Gesprächspartner, die ich in der vergangenen Woche anläßlich eines Vortrags über deutsche Ostpolitik vor der französischen Außenpolitischen Gesellschaft in Paris hatte, unter ihnen der frühere Minister Jules Moch und der französische Botschafter in Bonn, Seydoux, sich zu diesem Thema dahin geäußert haben, daß man im Zeitalter europäischer Innenpolitik solche Dinge gegenseitig ertragen müsse?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Solche Äußerungen liegen vor, nicht nur von unseren Freunden in der EG, sondern auch aus der Richtung einiger Oppositionssprecher. Ich darf Ihnen noch sagen, daß aus allen drei genannten Ländern, besonders jetzt aus Italien und auch aus Frankreich, eine Fülle von Briefen von Bürgern gekommen ist, die alle erkennen lassen, daß die Bürger die Äußerungen des Bundeskanzlers keineswegs dramatisch ausgelegt, sondern verstanden haben.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Hupka.
Frau Staatssekretärin, ist es nicht ein außergewöhnlicher und höchst bemerkenswerter Vorgang, daß nach einer Äußerung des Bundeskanzlers gleich die Botschafter von zwei befreundeten Staaten um Erläuterung des Textes bitten?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Keineswegs ist das außergewöhnlich,
weil ja in demselben Kontext beide Länder genannt worden sind. Da zunächst Übersetzungsfehler vorlagen, ist es ganz verständlich, daß man um Erklärungen gebeten hat.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann.
Frau Staatssekretär, muß es nicht auch dem Herrn Bundeskanzler zu denken geben, daß seine schulmeisterlichen und taktlosen — um den Ausdruck „arroganten" zu vermeiden — Äußerungen gegenüber Staatsmännern wie Herrn Ford, Herrn Thorn — —
Herr Kollege, ich muß Sie darauf hinweisen, daß Wertungen in den Fragen nicht enthalten sein dürfen.
Für alle!
Stimmen Sie mir zu, daß diese Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers geeignet sein könnten oder geeignet sein müssen, vorhandene oder wachsende Vorbehalte und Animositäten gegenüber uns Deutschen zu verstärken?
Frau Schiel, Parl. Staatssekretär: Die Staatsmänner der anderen Länder stehen in regelmäßigem Kontakt mit unserem Bundeskanzler. Das wissen Sie ganz besonders vom Staatspräsidenten. Die Kontakte werden in direkter Begegnung auch in Zukunft gepflegt werden. Verständnisschwierigkeiten, die es ab und zu bei sprachlicher Auslegung gibt, sind überhaupt kein Grund, grundsätzliche Einstellungen hier in den Vordergrund zu schieben, sondern dies sollte als Bagatelle angesehen werden. Das hat eine entsprechende diplomatische Form gefunden, wie Sie ja nicht zurückweisen können.
Im übrigen muß ich Sie darauf hinweisen, daß der Sprachgebrauch des Bundeskanzlers — gemessen an dem, was Monsieur Chirac selbst erklärt hat in seiner Regierungserklärung — sehr zurückhaltend ist.
Für dieselbe Situation, die beschrieben wurde, hat Herr Chirac gesagt: „... für die Franzosen danach zu streben, mit ihnen und für sie eine gerechtere und glücklichere Gesellschaft aufzubauen, ist ein Ziel. Es handelt sich darum, daß von einer Gesellschaft fortzukommen ist, die noch verkrustet ist in starren Schichten, die Kastengeist und bürokratisches Übergewicht pflegen, hinzukommen zu einer von Grund auf verschiedenen Gesellschaft, deren wesentliche Kennzeichen demokratische Einfachheit und wahre Gleichheit ist." Das ist die eigene Zielsetzung in Frankreich.
Da hat der Herr Bundeskanzler sicherlich keineswegs übertrieben dramatische Ausführungen gemacht.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Seiters.
Frau Staatssekretärin, nachdem Sie erklärt haben, daß durch die Äußerungen des Bundeskanzlers die Zusammenarbeit mit Frankreich in keiner Weise geschmälert ist, und nachdem Sie weiter erklärt haben, daß der Bundeskanzler keine Veranlassung sieht, von diesen Äußerungen abzurücken, möchte ich Sie fragen, ob denn auch in Zukunft entsprechende Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers gegenüber befreundeten Nationen zu erwarten sind?
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16642 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Ich will Ihre Erwartungen nicht auf die Folter spannen. Ich kann Ihnen nur sagen, daß sich der Bundeskanzler immer klar und verständlich ausdrückt und daß er — wenn einmal Mißverständnisse auftreten — auch bereit ist, nur Klärung beizutragen.Im übrigen betonen wir nochmals, daß auch dieser Bundeskanzler die Präsidentschaft de Gaulles nicht in eine Reihe mit früheren Regimen in Portugal oder anderen Ländern stellt. Er vergleicht sie also nicht mit unvergleichbaren Regierungssystemen. Das war ein Punkt der Klärung; den hat man zur Kenntnis genommen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schweitzer.
Frau Staatssekretärin, obwohl Sie in Ihrer Antwort auf die Frage der Kollegin Berger schon auf einen wichtigen Aspekt eingegangen sind, möchte ich angesichts der vielen Zusatzfragen der Opposition doch noch einmal ausdrücklich die Frage an Sie richten, ob es nicht langsam als völlig normal angesehen werden sollte, wenn bei einer zunehmenden Verflechtung der Europäischen Gemeinschaft auch einmal kritische Äußerungen eines Partners gegenüber einem anderen gemacht werden.
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Wir gehen davon aus, daß bei einer sich ständig verbessernden Zusammenarbeit auch die Sprache offener wird. Das wird erst recht der Fall sein, wenn wir in einer Direktwahl, wie beabsichtigt ist, das Europäische Parlament wählen, in dem man sicherlich noch viel offener miteinander umgehen muß, um für alle Völker, für die man arbeitet, Fortschritte zu erreichen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Mertes.
Frau Staatssekretärin, hat die Bundesregierung bemerkt, daß sich die Kritik der Opposition nicht so sehr darauf bezieht, daß der Bundeskanzler innenpolitische Verhältnisse anderer Länder anspricht, sondern darauf, daß seine Aussagen historisch einseitig, wenn nicht falsch gewesen sind?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Der Bundeskanzler hat keineswegs historisch falsche Aussagen gemacht. Seine Aussagen könnten falsch verstanden worden sein. Aus dem Kontext ist aber klar zu erkennen, Herr Kollege, daß seine historischen Aussagen — falls Sie sie als solche bezeichnen wollen — durchaus in Ordnung sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Klein.
Frau Staatssekretärin, darf ich Ihre vorhin geäußerte Meinung, der Bundeskanzler habe keinen Anlaß, seine diesbezüglichen Auffassungen zu ändern, dahin gehend verstehen, daß der Herr Bundeskanzler und mit ihm die Bundesregierung daran festhalten, daß eine Regierungsbeteiligung der KPI bzw. der KPF in Itallien bzw. in Frankreich keine Katastrophe darstellt?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Der Bundeskanzler hat sich dazu verschiedentlich geäußert. Er hält es nicht für wünschenswert, muß aber davon ausgehen, daß es schon ähnliche Beteiligungen von kommunistischen Ministern gab, die auch keine Katastrophe herbeigeführt haben. Im übrigen müssen wir davon ausgehen, daß man auch keine Angst herbeireden darf und auch nicht Elemente ermuntern sollte, die wir dann selber nicht haben wollen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ey.
Frau Staatssekretärin, sind Sie mit mir der Meinung, daß alle Auslassungen führender europäischer Länderrepräsentanten im Stadium des Wachsens der europäischen Gemeinsamkeiten mit außerordentlicher Ausgewogenheit vorgenommen werden sollten, und sind Sie mit mir der Meinung, daß darum Ihr Argument, aus einem anderen Lande seien zustimmende oder ablehnende Briefe eingegangen, einen solchen Gemeinsamkeitsprozeß eher stören als fördern könnten?Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege. Bei einem solchen Prozeß, den wir als einen Demokratisierungsprozeß über die Grenzen hinweg ansehen dürfen, sollten wir uns nicht so pingelig anstellen, um einmal mit einem Worte Ihres verehrten — ehemaligen — Bundeskanzlers Adenauer zu sprechen.
— Nein, die Pingeligkeiten wollen wir uns im europäischen Gespräch nicht angewöhnen. Wir wollen den anderen solche Dinge auch nicht vorrechnen.Ich halte das Interesse, das Sie an diesem Fall haben, für rein national bezogen und auch nicht unbedingt für so hilfreich gemeint, sondern hier ist ja wohl ein innerer Faktor erkennbar. Die Nervosität, die Sie zeigen, zielt doch mehr auf den 3. Oktober 1976 als auf Ihre vorgetragenen Sorgen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976 16643
— Sie können mich nicht erschüttern. Das wissen Sie doch!
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Braun.
Frau Staatssekretär, ist es normal oder gar üblich, daß in Bagatellfällen, wie Sie sich auszudrücken beliebten, Botschafter befreundeter Staaten im Bundeskanzleramt vorsprechen?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist üblich, daß man, wenn sich aus den jeweiligen Verlautbarungen Mißverständnisse ergeben, gegenseitig seine Diplomaten zum Klarstellen der Angelegenheit sendet. Dafür haben wir eigentlich Diplomaten.
Keine weitere Frage.
Ich rufe die Frage 92 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Hat der Bundeskanzler mit seinen an Ostern im Fernsehen getanen Äußerungen, in einem seit dreißig Jahren von Christdemokraten regierten Land seien die sozialen Verhältnisse nicht in Ordnung, und deswegen sei die kommunistische Partei dort von Gewicht, sich auf unser Nachbarland Italien bezogen, oder welches andere Land hat er verneinendenfalls gemeint?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Ihre Frage, Herr Kollege, ist mit Ja zu beantworten. Das gemeinte Land ist Italien, in dem die Christdemokraten seit 30 Jahren regieren.
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, ist dem Bundeskanzler bei seinen Äußerungen entgangen, daß beinahe ebensolange in Koalitionen mit den Christdemokraten auch sozialistische und sozialdemokratische Parteien an der italienischen Regierung beteiligt sind?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Ihnen ist sicherlich bekannt, daß in diesen 30 Jahren immer die Christdemokraten die Führung hatten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, kann der Bundeskanzler eine solche Äußerung für hilfreich im Hinblick auf die schweren politischen Entscheidungen, die in Italien bevorstehen, halten, wenn man davon auszugehen hat, daß solche Äußerungen in Italien nur Wasser auf die Mühlen jener sein können, die die demokratischen Parteien in diesem Lande erschüttern wollen?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, da Sie ja so gern die Nachrichten aus der DDR lesen, darf ich Sie vielleicht darauf hinweisen, daß die DDR meint, wir hätten damit geholfen, den von ihr protegierten Leuten sozusagen nicht zur Macht zu verhelfen. Sie sehen, es wird ganz unterschiedlich gewertet, was ein Mensch mit der gleichen Stimme gesagt hat. Aber dies haben Sie diesmal übersehen,
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes.
Frau Staatssekretärin, ist die Bundesregierung bereit, bei dieser Gelegenheit zu betonen, daß zur Zeit der Regierungsverantwortung der Christlichen Demokraten in Deutschland die Bedeutung der Kommunisten laufend zurückgegangen ist?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Das führen wir aber sicherlich auf eine andere politische Philosophie zurück.
Wir sind der Ansicht — das scheint sich in Europa verifizieren zu lassen —, daß überall da, wo Sozialdemokraten stark sind, Kommunisten nichts zu sagen haben.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Marx.
Frau Kollegin, darf ich im Zusammenhang mit der soeben gegebenen Antwort fragen, ob Sie eigentlich wissen, daß die gegenwärtige Regierungskrise in Italien dadurch ausgelöst worden ist, daß die sozialistische Partei die Democrazia Cristiana aufforderte, wie es wörtlich hieß, „in irgendeiner Weise die Kommunisten an den Regierungsentscheidungen zu beteiligen"
und ob Sie wissen, daß nirgendwo Christliche Demokraten und Kommunisten, aber in den bekannten sechs Regionen Italiens Kommunisten und Sozialisten in Volksfrontregierungen zusammenarbeiten?
16644 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Ich kenne die prozentualen Verhältnisse, ich interpretiere sie nur anders. Ich weiß nur, daß Kommunismus da entsteht, wo Reformdefizite zu beobachten sind,
und das ist eindeutig nachweisbar und nicht wegzustreichen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Kroll-Schlüter.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir bestätigen, daß es in mindestens sechs Regionalparlamenten in Italien regierende Koalitionen zwischen Sozialisten und Kommunisten gibt und keine Koalition zwischen Christdemokraten und Kommunisten?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nicht, wie das in diesem Zusammenhang weiterhelfen soll,
weil wir nicht darum Sorge tragen, wie es in kommunalen Parlamenten aussieht — das ist in ganz Europa sehr unterschiedlich —, sondern wir sind daran interessiert, daß unser Gesprächspartner in der italienischen Regierung nach Möglichkeit einen Demokratisierungsprozeß fortsetzen kann, den wir Demokraten alle wünschen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Seiters.
Frau Staatssekretärin, darf ich Ihre eben gemachte Äußerung, daß Kommunisten nur dort Fortschritte erzielen, wo ein Reformdefizit vorhanden ist, so interpretieren, daß Sie meinen, im Jahre 1969 habe es in der Bundesrepublik Deutschland kein Reformdefizit gegeben?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Wenn wir nicht gewußt hätten, daß es 1969 enorme Reformdefizite gegeben hat, hätten wir gar nicht so viele Reformen erarbeiten müssen.
Das haben wir getan.
Aber diese, wie ich meine, sehr einfache und schlichte Frage geht doch von einem ganz anderen Hintergrund aus. Sie wissen ganz genau, daß die Situation in Italien regional und parteipolitisch gar nicht mit der Situation vergleichbar ist, wie sie etwa bei uns 1969 bestanden hat oder wie sie heute besteht.
— Nein, ich glaube, ich habe das doch differenzierter
ausgedrückt, und ich kann immer nur — das können
Sie uns doch überhaupt gar nicht abstreiten — davon ausgehen: Wo deutsche Sozialdemokraten sind, gibt es keinen Kommunismus.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Todenhöfer.
Frau Staatssekretärin, Sie hatten vorhin gesagt, überall dort, wo Sozialdemokraten stark sind, ist der Kommunismus schwach. Wie vereinbaren Sie dies mit der Tatsache, daß in sechs Regionen Italiens eine kommunistische Partei vorhanden ist, die so stark ist, daß sie Koalitionen mit den Sozialdemokraten eingehen kann?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Dieselbe Frage wurde schon einmal gestellt, und ich habe Ihnen bereits darauf geantwortet, daß hier nicht die Kommunalpolitik Italiens, sondern die Regierungssituation im jetzigen Augenblick zur Debatte steht.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Breidbach.
Frau Staatssekretärin, würden Sie, was Reformen und Kommunismus betrifft, im Sinne Ihrer eigenen Logik zur Kenntnis nehmen, daß sich die Christlich-Demokratische und die Christlich-Soziale Union sehr über Ihr positives Urteil über 20jährige Reformpolitik freuen, denn die hat verhindert, daß in Deutschland Kommunisten zum Zuge gekommen sind?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Ich will Ihnen eine Mitarbeit an Demokratisierungsprozessen doch gar nicht bestreiten; das können Sie meinen bisherigen Äußerungen auch gar nicht entnehmen. Aber Sozialdemokraten haben eben Grundwertvorstellungen, die davon ausgehen, daß Reformdefizite auch bei uns — nicht nur 1969, sondern auch jetzt noch — festzustellen sind, und die Art, wie wir sie abbauen werden, ist das Entscheidende.
Die letzte Frage hierzu, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Frau Staatssekretärin, wie können Sie dann aber, historisch betrachtet, erklären, daß es in der Weimarer Republik deutsche Kommunisten gegeben hat?
Frau Schlei, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist ganz einfach zu erklären, —
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976 16645
Frau Staatssekretärin, ich kann die Frage nicht zulassen; sie hat nun wirklich mit der Ausgangsfrage nichts mehr zu tun.
Ich rufe Frage 93 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Hält die Bundesregierung pauschale Äußerungen wie die des Bundeskanzlers über Nachbarländer der Bundesrepublik Deutschland für hilfreiche Beiträge zur guten Nachbarschaft und zur Verbesserung des deutschen Ansehens im Ausland, oder wie beurteilt sie diese Äußerungen sonst?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, die Bundesregierung betrachtet die Bemühungen um stabile Strukturen in Europa als wichtigen Beitrag für die Gemeinschaft. Dabei macht der enge und freundschaftliche Charakter der Zusammenarbeit der EG-Staaten insbesondere seit der Einführung der routinemäßigen Begegnungen der neun Regierungschefs bzw. Außenminister im Europäischen Rat es möglich — das habe ich vorhin schon erwähnt —, sich offener als früher über die Entwicklungen in den Partnerstaaten auszusprechen. Auch unsere Politik — auch das habe ich vorhin schon erwähnt — wird in den anderen Staaten durchaus kritisch diskutiert, weil sich in einer Gemeinschaft die Probleme eines Partners auf alle übrigen Mitglieder auswirken. Selbstverständlich bleibt, daß wir uns in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates nicht einmischen.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, wie ist diese Ihre Antwort mit dem Umstand zu vereinbaren, daß es der Bundeskanzler in demselben Interview, in dem er seine Äußerungen über die Verhältnisse in Italien getan hat, kritisiert hat, daß der amerikanische Außenminister seinerseits Äußerungen tat, die der Bundeskanzler als zu wenig zurückhaltende Äußerungen über ein benachbartes Land bezeichnet, was er — ich darf zitieren — so formulierte:
Ich finde nur, genauso wie ich mich eben bemüht habe, ein bißchen zurückhaltend zu sein in der Beurteilung innenpolitischer Vorgänge anderer Staaten, man sollte zurückhaltend sein, auch wenn man der Außenminister der größten und wichtigsten Macht der Welt und gleichzeitig unserer Bündnisvormacht ist.
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Aber ich sehe da gar keinen Dissens. Die Zurückhaltung wurde durch diese Ausführungen für beide, ganz gleich, welche Position sie haben, akzeptiert.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, muß der Bundeskanzler eigentlich nicht in der ganzen Welt an Ernsthaftigkeit seiner Argumentation einbüßen, wenn er das, was er eine Minute vorher selbst getan hat, dem amerikanischen Außenminister wenige Minuten später zum Vorwurf macht?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Ich habe das schon einmal gesagt, Herr Kollege, er hat das gar nicht als Vorwurf dargeboten, sondern hat gesagt, auch wenn man Außenminister eines so großen Landes ist, sollte man ein bißchen zurückhaltend sein. Und er hielt die Aussagen für durchaus noch zurückhaltend, denn im Grundsatz sind Herr Kissinger und der Bundeskanzler Helmut Schmidt einer Ansicht.
Keine Zusatzfrage. Die Fragen 99 und 100 des Herrn Abgeordneten Engelsberger sollen auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Damit bedanke ich mich bei Ihnen, Frau Staatssekretär.
Zur Beantwortung folgt jetzt Herr Staatssekretär Bölling. Ich rufe Frage 84 des Herrn Abgeordneten Dr. Marx auf:
Trifft es zu, daß der Bundeskanzler die Weisung erteilt hat, das amtliche Bulletin vom 20. April 1976 ausschließlich mit dein Wortlaut der „Fernsehdiskussion" und der interpretierenden Erklärung von Staatssekretär Bölling zu füllen, und — wenn ja — versteht die Bundesregierung dies als angemessene Antwort des Bundeskanzlers auf die Demarche des italienischen und französischen Botschafters gegen Äußerungen des Bundeskanzlers?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Dr. Marx, es trifft nicht zu, daß der Bundeskanzler Weisungen erteilt hat, im Bulletin Nr. 45 vom 20. April dieses Jahres den Wortlaut der Fernsehdiskussion des Bayerischen Rundfunks vom 15. April und meine Erklärung vom 19. April abzudrucken. Damit, wie Sie mir zugeben werden, erübrigt sich die Antwort auf den zweiten Teil Ihrer Frage.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie uns bitte sagen, wer, wenn es nicht der Bundeskanzler selbst war, innerhalb der Regierung oder des Regierungsapparats diese Weisung gegeben hat und damit die Verantwortung für diesen doch sehr auffallenden, das ganze Bulletin ausfüllenden Abdruck der Rundfunkdiskussion übernommen hat?Bolling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, daraus möchte ich gar kein Geheimnis machen. Ich selbst habe meine Mitarbeiter darum gebeten, den Text dieser Diskussion in extenso in das Bulletin zu nehmen. Das ist kein neuer Vorgang. Es hat auch in den Tagen, da Sie die Regierung gebildet haben, ausführliche Interviews von Bundeskanzler Konrad Adenauer oder des damaligen Außenministers Schröder gegeben, die in vollem Umfang in das Bulletin aufgenommen worden sind, und zwar einfach deshalb, damit sich die interessierte deutsche Offentlichkeit und vor allem die Mitglieder dieses Hohen Hauses an Hand des gesamten Textes über
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16646 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976
Staatssekretär Böllingeine womöglich kontroverse Äußerung eines Regierungschefs oder eines Regierungsmitglieds ihre Meinung bilden konnten. Diese dokumentarische Absicht war für mich bestimmend, daß ich darum gebeten habe, die Fernsehdiskussion mit allen Fragen und Antworten abzudrucken.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie eben davon sprachen, das Bulletin werde der interessierten deutschen Öffentlichkeit, den Mitgliedern dieses Hauses usw. zugehen, möchte ich gerne fragen: Haben Sie bei Ihrer Weisung auch bedacht, daß dieses Bulletin auch an die deutschen Botschaften im Ausland, auch an die fremden Botschaften hier, natürlich auch an die italienische und die französische, gegangen ist, als die Demarchen gegen die hier wiedergegebenen Äußerungen des Bundeskanzlers erfolgt sind, und würden Sie glauben, daß dies eine zusätzliche Antwort auf die Demarchen der beiden Botschafter ist?
Bölling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Dr. Marx, es ist nicht der Stil dieser Regierung, so wie es der Stil keiner Regierung sein sollte, auf Demarchen — im Falle des französischen Botschafters handelt es sich im übrigen nicht um eine Demarche mit Veröffentlichungen im Bulletin zu antworten. Wenn Sie aber in Ihrer Frage andeuten wollen, daß die Bundesregierung der Meinung ist, daß z. B. auch deutschen Auslandsmissionen der volle Text einer solchen Fernsehdiskussion nützlich sein kann, so zögere ich nicht, Ihnen recht zu geben. In der Tat kann sich manches Mißverständnis auch im Zusammenhang mit diesem besonderen Interview durch die Lektüre des gesamten Textes von alleine erledigen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Seiters.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung auch bereit, zur Verdeutlichung die heute hier geführte Debatte der Fragestunde abzudrucken?
Balling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, genau jene, die sich für das Bulletin interessieren, haben ja die Möglichkeit, das Protokoll dieser Fragestunde des Deutschen Bundestages einzusehen. Das wäre also eine echte Dublette, die im Interesse der Sparsamkeit vermieden werden kann.
Keine Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage 85 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:Wie läßt es sich vereinbaren, daß die Bundesregierung zwar einerseits die Wochenschauen nicht mehr zu subventionieren beabsichtigt, aber andererseits noch kein eigenes Konzept vorlegen kann, wie die Bundesrepublik Deutschland zukünftig auf dem ausländischen Markt vertreten sein wird, weshalb die Gefahr besteht, daß für Deutschland allein „Der Augenzeuge" der DDR präsent sein wird?Bölling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Dr. Hupka, in der Fragestunde des Deutschen Bundestages vom 8. April dieses Jahres Sie werden sich daran erinnern — habe ich zur Förderung der deutschen Wochenschauen sehr ausführlich Stellung genommen. Bei dieser Gelegenheit konnte ich auch erläutern, wie die Bundesregierung den Wirkungen zu begegnen beabsichtigt, die die Einstellung der Wochenschauförderung für den Bereich der Auslandsarbeit hat oder haben könnte. Meinen Ausführungen lag das Konzept zugrunde, das die Bundesregierung dem Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestags im Juni des vergangenen Jahres zusammen mit dem Bericht über die Öffentlichkeitsarbeit Ausland vorgelegt hat. Das Konzept berücksichtigt folgenden Sachverhalt. Die Wochenschauen im Ausland sind in unserer Öffentlichkeitsarbeit eines unter mehreren, ja, vielen Instrumenten. Ihr Wert muß im Zusammenhang mit der Entwicklung des Fernsehens gesehen werden, worüber ich das letzte Mal hier schon etwas sagen konnte. Dieser stürmische Vormarsch des Mediums Fernsehen und der Rückgang der Wochenschauen sind ein Phänomen, das sich keineswegs auf die Bundesrepublik Deutschland beschränkt, sondern, wie Sie selber wissen, international zu beobachten ist. Selbst in Entwicklungsländern können Wochenschauen, soweit es sie dort überhaupt gibt, mit dem Fernsehen wegen dessen größerer Aktualität und dessen größerer Reichweite schon heute oder doch in absehbarer Zeit überhaupt nicht mehr ernsthaft konkurrieren. Aus diesen veränderten Informationsgewohnheiten des Auslandes mußte die Bundesregierung für ihre Öffentlichkeitsarbeit Konsequenzen ziehen und natürlich die Prioritäten neu setzen. Um mit der Entwicklung des Fernsehens im Ausland auch nur annähernd Schritt halten zu können, sind seit dem letzten Jahr die Mittel zugunsten eben des Mediums Fernsehen erheblich erhöht und insbesondere die durch TransTel dem Ausland angebotenen Fernsehprogramme erweitert worden. Obwohl die Haushaltslage und die weitere Expansion des Fernsehens dazu zwingen, sich noch stärker auf dieses Medium zu konzentrieren und weniger wirkungsvolle Instrumente abzubauen, ist von uns beabsichtigt, für Länder mit informationspolitischer Bedeutung, in denen noch ein ausreichender Markt vorhanden ist, mindestens für eine Übergangszeit weiterhin Wochenschaumaterial produzieren zu lassen. Wie ich schon in der Fragestunde am 8. April ausgeführt habe, sind aus der Sicht der Bundesregierung im wesentlichen nur noch die lateinamerikanischen Länder in einem den Aufwand rechtfertigenden Umfang für Wochenschaumaterial aufnahmebereit. Wir werden also auf diesem Markt trotz der auch dort erkennbaren stürmischen Entwicklung des Fernsehens und unseres wesentlich verbesserten Programmangebots durch TransTel und e-te-s vorerst weiter präsent bleiben, sofern uns für diese Zwecke zumindest ein Teil der bisher für die Wochenschauförderung bewilligten Mittel erhalten bleibt. Die Überlegungen darüber, durch welche Produzenten das Wochenschaumaterial für den lateinamerikanischen Markt künftig hergestellt wird und ob es eine andere Form als bisher bekommt, sind bei uns noch nicht abgeschlossen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976 16647
Staatssekretär BöllingWas die Auslandspräsenz der DDR-Wochenschau „Der Augenzeuge" anbelangt, so konnte ich in der Fragestunde des letzten Mals darauf hinweisen, daß die DDR — so jedenfalls unsere Beobachtung — nur über begrenzte Mittel verfügt. Wenn es notwendig ist, Herr Abgeordneter, ist die Bundesregierung jederzeit in der Lage, einer einseitigen Berichterstattung durch die DDR mit geeigneten Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit entgegenzutreten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben erneut den Zustand auf Grund Ihrer Beurteilung geschildert. Bloß, woher nehmen Sie eigentlich den Optimismus, zu schließen, daß die DDR-Wochenschau auch nur limitierte Mittel hat, wie Sie das letzte Mal gesagt haben, und keine Konkurrenz für die Darstellung der uns bewegenden Fragen sein kann?
Bölling, Staatssekretär:Ich schlußfolgere das, Herr Abgeordneter, aus den Mitteilungen, die wir von verschiedenen Missionen bekommen haben, deren Auftrag es ja ist, dort, wo die DDR öffentlichkeitspolitisch auftritt, uns nicht nur über die Quantität, sondern auch über die Qualität, sprich: über die politische Wirkung oder Resonanz zu berichten. Aus diesen Berichten geht klipp und klar hervor, daß die Mittel der DDR für die Öffentlichkeitsarbeit in der Tat limitiert sind und daß man nicht die Vorstellung haben darf, daß dort, wo wir aus zwingenden sachlichen Gründen auf ein Instrument der Öffentlichkeitsarbeit verzichten müssen und auch wollen, die DDR in ein vermeintliches Vakuum mit gewaltigen Geldmitteln eindringen kann. Dies kann sie augenscheinlich nicht.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie gehen immer davon aus, daß das Fernsehen in den unterentwickelten Regionen einen rasanten Fortschritt erfahren hat. Aber unterschätzen Sie nicht, daß das Kino gerade in diesen Regionen eine große Rolle spielt und daß es wohl Aufgabe der Bundesregierung wäre, dafür zu sorgen, daß dort in den Kinos das Bild von Deutschland gezeigt wird, auf das wir Wert legen, und daß nicht an die Stelle unserer Darstellung die des „Augenzeugen" DDR tritt?
Bolling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Sie unterstellen in Ihrer Frage, daß wir Gelände dort freiwillig preisgeben wollen, wo es politisch sinnvoll ist, es zu halten. Sie unterschlagen auch meine Bemerkung, daß wir uns dort, wo das Fernsehen noch keine so starke Position hat und das Kino tatsächlich eine nennenswerte Wirkung auf die Öffentlichkeit ausübt, nicht zurückziehen wollen. Ich habe Ihnen schon das letzte Mal sagen können, daß wir dort, wo verzerrende Darstellungen der Bundesrepublik Deutschland durch die DDR verbreitet werden sollten, die Möglichkeit haben, im Sinne der Sachlichkeit korrigierend einzugreifen,
und zwar mit Substituten für Kino und Wochenschau, die aus technischen und wirtschaftlichen Gründen leider nicht mehr lebensfähig ist.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Hoffie.
Herr Staatssekretär, welches sind die von Ihnen eben so pauschal genannten geeigneten Mittel für den Fall, daß der DDR-Augenzeuge entgegen Ihrer Erwartung tatsächlich mit größeren finanziellen Mitteln ausgestattet werden sollte, wenn sich möglicherweise eine Marktlücke im Ausland ergibt?
Bolling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Hoffie, für den Fall, daß die DDR hier tatsächlich auf breiter Front zu einer öffentlichkeitspolitischen Offensive antreten sollte, werden wir für die Wochenschau, die ja auch in der Aktualität schon seit Jahr und Tag nicht mehr befriedigen kann, Ersatzkonstruktionen finden. Ich habe beim letzten Mal in diesem Hohen Haus sagen können, daß wir darüber nachdenken, wie wir noch schneller und zuverlässiger alle wichtigen Bilder, die über die Bundesrepublik Deutschland und ihre gesellschaftlichen Gruppen und Parteien Auskunft geben können, dann in diese Länder bringen. Es ist ja nicht daran gedacht, daß wir hier überhaupt nichts mehr tun, sondern wir wollen ein unwirtschaftliches und technisch überholtes Instrument durch ein solches ablösen, das öffentlichkeitspolitisch und ökonomisch effizienter ist.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Reiser.
Herr Staatssekretär, Sie wissen, so vermute ich, daß gerade unsere Wochenschau auf dem südamerikanischen Markt eine ganz besondere Bedeutung für die Information über die Bundesrepublik hat. Wissen Sie aber, ob es dort keine andere Austauschwochenschau geben wird, wenn unsere Wochenschau verschwindet?Bolling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, mir ist bekannt — ich habe es vorhin in meiner Antwort gesagt —, daß wir mit unseren Wochenschauen zur Zeit noch gerade in den lateinamerikanischen Ländern eine vergleichsweise günstige Resonanz haben. Aber Ihnen als einem medienpolitischen Fachmann wird bekannt sein, daß auch in den lateinamerikanischen Ländern das Fernsehen immer mehr an Bedeutung gewinnt. Im übrigen habe ich schon das letzte Mal sagen können, daß wir ja nicht das Instrument des Films — Wochenschau, Aktualitätsberichterstattung — ersatzlos streichen wollen, sondern daß wir nach einer geeigneten Ersatzlösung für jene Regionen der Welt Ausschau halten wollen, die daran noch
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16648 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976
Staatssekretär Böllinginteressiert sind. Das kann man sehr viel billiger machen. Dem Steuerzahler wird eine Menge Geld gespart werden. Sie als Kenner auch des Themas Wochenschau wissen genau, daß die Wochenschau mit den Unterstützungsgeldern, die sie bisher erhalten hat, nicht überleben können wird. Dann müßten viele Millionen DM zusätzlich bewilligt werden. Dies wäre aber ökonomisch und politisch gleichermaßen nicht zu verantworten.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger:
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort an den Herrn Kollegen Hupka entnehmen, daß die Bundesregierung nirgends dort die Unterstützung der deutschen „Wochenschau" preisgeben wird, wo die akute Gefahr besteht, daß statt unserer dann die „Augenzeuge"-Wochenschau der DDR in diese Marktlücke hineingeht?
Bölling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Jäger, Sie haben mich richtig verstanden. Überall dort, wo irgendwer versuchen sollte, das Bild der Bundesrepublik Deutschland in unsachlicher, nämlich propagandistischer Manier zu karikieren, werden wir mit dem geeigneten Mitteln, die uns nach wie vor zur Verfügung stehen, solchen Karikaturen oder Verzerrungen entgegenwirken. Das ist genau richtig.
Keine weitere Frage hierzu. Ich bedanke mich, Herr Staatssekretär Bölling.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung der Fragen steht der Staatsminister Wischnewski zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 87 des Herrn Abgeordneten Hösl auf:
Trifft es zu, daß Ungarn, wie der Traberweltverband angibt, auf den Start bei den Europameisterschaften am 16. April 1976 in Berlin aus eindeutig politischen Gründen auf die Teilnahme verzichtete, und wie beurteilt die Bundesregierung — bejahendenfalls — derartig sich häufende Versuche, Berlin nach der sowjetischen Theorie von der besonderen politischen Einheit zu isolieren?
Herr Kollege Hösl, ich beantworte die Frage wie folgt: Die in der Frage aufgestellte Behauptung trifft nicht zu. Der ungarische Landesmeister im Trabrennfahren hat an dem Trabrennen in Berlin am 16. April 1976 teilgenommen.
Zusatzfrage.
Ms! : Herr Staatsminister, ist die Teilnahme nicht erst auf eine Intervention Ihres Ministers, des Herrn Außenministers, zurückzuführen?
Wischnewski, Staatsminister: Es hat von seiten der Bundesregierung Rückfragen gegeben. Bei diesen Rückfragen nach den Gründen der Absage, die zuerst erfolgt war, sind von ungarischer Seite sportliche Gründe genannt worden, die die Teilnahme
nicht möglich machen würden. Die Teilnahme wurde dann doch möglich gemacht.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, würden Sie auf Grund der bei der Intervention des Herrn Außenministers gemachten Erfahrungen davon ausgehen und würden Sie diesem Hause bestätigen, daß für die Zukunft eine solche ablehnende Haltung gegenüber Veranstaltungen in Berlin nicht mehr vorkommen wird?
Wischnewski, Staatsminister: Ich gehe auf Grund der hier gemachten Erfahrungen davon aus, daß, jedenfalls in vergleichbaren Fällen, Schwierigkeiten nicht eintreten werden.
Keine Zusatzfrage.
Die Frage 88 wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 89 des Herrn Abgeordneten Gerlach auf:
Wie haben die drei westlichen Schutzmächte auf sowjetische Behauptungen reagiert, ihnen stünden in Berlin nur „Verwaltungsrechte", nicht aber „irgendwelche souveränen Hoheitsrechte" zu, und in denen sie die Westsektoren durch den Gebrauch des Worts „einsdiließlich" zum Bestandteil der „ehemaligen Sowjetzone" erklären, und welche Kontakte haben darüber zwischen der deutschen und alliierten Seite mit welchem Ergebnis stattgefunden?
Wischnewski, Staatsminister: Die Frage zielt offensichtlich auf Behauptungen, die in einem Kommentar des sowjetischen Senders „Radio Frieden und Fortschritt" vom 12. April 1976 aufgestellt wurden. Die Bundesregierung kann hier nicht für die Drei Mächte sprechen. Nach ihrer Auffassung ist die genannte sowjetische Äußerung unzutreffend.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, welche Empfehlungen im Hinblick auf Reaktionen auf die sowjetischen Behauptungen, die ganz offensichtlich ein Teil der auf eine Minderung des Status von Berlin gerichteten Strategie sind, hat die Bundesregierung den drei Westmächten gegeben, und ist sie insbesondere von sich aus aktiv geworden und in dieser Frage an die Schutzmächte herangetreten?Wischnewski, Staatsminister: Ich darf erst einmal grundsätzlich sagen: Die Bundesregierung teilt die Ansicht der Drei Mächte, daß ihre Rechte in Berlin originäre Rechte sind, die auf der Besetzung Berlins beruhen. Diese Ansicht wird im Viermächteabkommen bestätigt. Das unterscheidet zwischen Vier-mächterechten und -verantwortlichkeiten auf der einen Seite und Vereinbarungen und Beschlüssen der Kriegs- und Nachkriegszeit auf der anderen Seite. Die Drei Mächte haben diesen Standpunkt mehrfach bekräftigt, unter anderem in einem in den Vereinten Nationen zirkulierten Schreiben vom 23. April 1975. Dort wird gesagt: „Der Viermächte-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976 16649
Staatsminister Wischnewskistatus von Groß-Berlin beruht auf den originärenRechten und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte."Es scheint mir aber sehr fraglich zu sein, ob es richtig ist, nach jedem Rundfunkkommentar, der diesen Tatbestand nicht wiedergibt, den Drei Mächten zu empfehlen, sich dazu zu äußern.
Weitere Zusatzfrage.
Um dann zu einer Tatsache zu kommen: Wie beurteilt in diesem Zusammenhang die Bundesregierung die sowjetische Einlassung im Zusammenhang mit dem Wunsche Ost-Berlins, die S-Bahn im Gebiet der Westsektoren an den Senat zu verpachten, statt die auf die Alliierten übertragenen Betriebsrechte wegen der Höhe der damit verbundenen Aufwendungen an diese zurückzugeben?
Wischnewski, Staatsminister: Ich sehe keinerlei Zusammenhang zwischen der ursprünglich gestellten Frage und dieser Zusatzfrage. Ich bin gern bereit, Ihnen die Informationen zur Verfügung zu stellen.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Marx.
Herr Staatsminister, ganz abgesehen davon, daß Regierung und Opposition in dem Urteil, daß die Mitteilungen des sowjetischen Propagandasenders „Frieden und Fortschritt" nicht der Wirklichkeit entsprechen, übereinstimmen, möchte ich doch fragen: Wie erklärt sich die Tatsache, daß immer wieder von staatlichen Sendern, die ja nichts senden können, was nicht dem politischen Willen der jeweiligen Führung entspricht, solche Behauptungen aufgestellt werden?
Wischnewski, Staatsminister: Das ist sehr schwer zu beurteilen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil nachgewiesen werden kann, daß es auch bei diesen Sendern Sendungen gibt, die mit der Meinung der Regierung nicht übereinstimmen. Wir haben aus den letzten Monaten eine ganze Reihe von Beweisen dafür. Als wir uns dafür interessierten, wurde uns gesagt, daß es sich um Kommentare handele, die die Meinung derjenigen wiedergeben, die sie geschrieben haben. Ich kann nicht sagen, ob das auch in diesem Fall zutrifft.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 90 wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 91 des Herrn Abgeordneten Hupka auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß aussiedlungswillige Deutsche in Rumänien neuerdings in zunehmendem Maße zu den örtlichen Behörden zitiert und unter Pressionen sowie Beschimpfungen der bereits in der Bundesrepublik Deutschland wohnenden Familienangehörigen veranlaßt werden, vom Ausreisebegehren umgehend Abstand zu nehmen, und ist sie bereit, unter Berufung auf die Schlußakte der KSZE mit der rumänischen Regierung Gespräche darüber zu führen?
Wischnewski, Staatsminister: Ihre Frage beantworte ich wie folgt: In den letzten Wochen ist der Bundesregierung bekanntgeworden, daß ausreisewillige Deutsche in Rumänien in jüngster Zeit zunehmend Schwierigkeiten haben, Antragsformulare für eine Übersiedlung zu erhalten.
Das nunmehr praktizierte Verfahren stellt sich wie folgt dar. Die Ausreisewilligen werden zuerst vor Kommissionen des Volksrates, der Partei, der Gewerkschaft oder vor Betriebsgremien geladen. Nach diesen Vorsprachen wird entschieden, ob die zuständigen Milizbehörden den Antragstellern die Antragsformulare aushändigen. Den Zugang zur Kommission kann der örtliche Milizbeamte dadurch beeinflussen, daß er eine erste Vorprüfung vornimmt, um festzustellen, ob ein nahes Verwandtschaftsverhältnis besteht.
Vor Einführung dieser Kommissionsanhörung scheiterten Ausreisewillige häufig daran, daß die Ausreiseschalter der örtlichen Milizstellen entweder ganz geschlossen waren oder ihre Arbeit auf die Auskünfte beschränkten, daß es keine Formulare gebe. Die Entscheidung über die Ausgabe der Formulare fällt nunmehr in erster Linie den Kommissionen zu. Die Kommission hört sich die Begründung für die erbetene Familienzusammenführung an. Der Petent wird meist nicht unterrichtet, ob die Kommission die Ausgabe der Formulare durch die Miliz befürworten wird. In der Regel wird er einige Wochen später zur Miliz gerufen, wo ihm mündlich mitgeteilt wird, ob er die Formulare erhalten kann oder nicht.
Soweit der Bundesregierung Fälle anhaltender Schwierigkeiten bekannt werden, wird unsere Botschaft in Bukarest die zuständigen rumänischen Behörden weiterhin um Abhilfe bitten. Ich möchte jedoch nicht verhehlen, daß die Praxis der rumänischen Behörden in den letzten Wochen zunehmend Grund zur Sorge gibt und daß auch Interventionen der Botschaft ohne Erfolg geblieben sind. Die Bundesregierung verstärkt ihre Bemühungen auf allen Ebenen, die rumänische Seite zu einem Entgegenkommen in der Frage der Familienzusammenführung zu veranlassen. Dabei wird sie sich wie bisher auf bilaterale Zusicherungen der rumänischen Seite wie auch auf die Beschlüsse von Helsinki berufen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wie erklärt sich nur der Zusammenhang zwischen dem, was Sie, wie ich zugeben möchte, realistisch dargestellt haben, und der Äußerung der Bundesregierung nach dem Besuch des Bundesaußenministers in Rumänien während der Fragestunde vom 15. Januar 1976, daß nun zu erwarten sei, daß die rumänische Seite bereit sei, „wie bisher Ausreisegenehmigungen zum Zweck der Familienzusammenführung zu erteilen", wenn gleichzeitig Ihren Ausführungen hinzugefügt werden muß, daß die Zahl der Aussiedler im ersten Quartal dieses Jahres im Vergleich zum ersten Quartal des vorigen Jahres um die Hälfte zurückgegangen ist?
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16650 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976
Wischnewski, Staatsminister: Das ist ein Vorgang, den ich außerordentlich bedauern muß. Ich muß ausdrücklich feststellen, daß ich in meiner Beantwortung Ihrer Frage gesagt habe, daß diese negative Entwicklung — anders kann man das nicht bezeichnen — gerade in den letzten Wochen deutlich geworden ist. Ich hoffe, daß es uns gelingt, dies wieder zu normalisieren.
Eine zweite Zusatzfrage.
Darf ich, Herr Staatsminister, Sie noch darauf aufmerksam machen, daß zusätzlich zu den Fakten, die Sie uns soeben mitgeteilt haben, auch noch der Umstand kommt, daß Aussiedlungswillige zur Miliz zitiert werden, dort einen Eid ablegen müssen — jedenfalls wird ihnen das anempfohlen —, für alle Zeiten auf die Auswanderung zu verzichten, und daß sie, wenn sie das nicht tun — ich habe einen Beleg hierfür —, ihren Arbeitsplatz verlieren. Da es in Rumänien kein Arbeitslosengeld gibt, bleiben sie hinterher ohne jede Beschäftigung und ohne jedes Entgelt. Ist das nicht auch eine Schikane, die nicht in Übereinstimmung mit der Schlußakte der KSZE gebracht werden kann und die nicht der Familienzusammenführung dient?
Wischnewski, Staatsminister: Ich teile die Auffassung, daß eine solche Haltung, wenn sie den Tatsachen entspricht, mit der Schlußakte von Helsinki nicht in Einklang zu bringen ist. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir den Vorgang zur Verfügung stellen könnten.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Ey.
Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, daß in den Staaten des Warschauer Paktes bei Anträgen von Deutschen auf Aussiedlungsbegehren gleichartige und abgestimmte Schwierigkeiten und Pressionen bereitet werden?
Wischnewski, Staatsminister: Es gibt keine Kenntnisse über gleichartige und abgestimmte Schwierigkeiten. Die Situation ist von Land zu Land sehr unterschiedlich.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Freiherr von Fircks.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt und können Sie uns hier bestätigen, daß die Praxis, die Sie geschildert haben, leider auch in Fällen engster Familienzusammenführung angewandt wird, ja selbst dort, wo es zu geistigen Depressionen der Angehörigen gekommen ist, weil sie jahrelang unter Arbeitsplatzschikanen, Einweisungen in Psychiatrische Kliniken usw. in Rumänien gelitten haben, und überlegt die Bundesregierung, wenn sie zu keinem Erfolg kommt, auch
andere Wege zu beschreiten als nur die der mündlichen Intervention der Vertretung?
Wischnewski, Staatsminister: Der Bundesregierung sind die Fälle bekannt — hinsichtlich der Art der Behandlung —, wie sie von mir angesprochen worden sind. Wenn noch andere Erkenntnisse vorliegen, über die wir nicht verfügen, bin ich dankbar, wenn sie uns zur Verfügung gestellt werden.
Im übrigen wird die Bundesregierung von sich aus alle Anstrengungen unternehmen, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten liegen, um den betroffenen Menschen zu helfen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, vertieft sich nicht die Sorge der Bundesregierung durch den Umstand, daß Ehegatten in immer größerer Zahl monate- und jahrelang voneinander getrennt sind, und wird die Bundesregierung angesichts dieser schweren Verletzung der Grundrechte auch deutscher Staatsangehöriger nach Art. 6 des Grundgesetzes nicht auch jene völkerrechtlichen Maßnahmen erwägen, die sich angesichts der ungeheuer hohen Staatsbürgschaften für Warenkredite Rumäniens anbieten?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung wird die Maßnahmen anwenden, um zu Erfolg zu kommen, die sie für die geeigneten hält. Ich glaube nicht, daß die von Ihnen angesprochene Frage uns weiterführen würde.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Marx.
Herr Staatsminister, da Sie darauf hingewiesen haben, unsere Botschaft in Bukarest sei in der Sache, über die wir sprechen, tätig geworden, möchte ich Sie fragen: Können Sie uns mitteilen, wie die rumänische Seite unserer Botschaft gegenüber die von Ihnen hier soeben geschilderte drastische Verschlechterung der Lage erklärt und begründet hat und wie wir alle zusammen diese Veränderung der Dinge im Zusammenhang mit all den Behauptungen verstehen sollen, wir seien im Verhältnis zu den Osteuropäern in der Normalisierung jetzt ein großes Stück weitergekommen und vor allen Dingen hätten die Verabredungen von Helsinki eine moralisch-psychologisch-politisch bindende Kraft für alle Unterzeichner?Wischnewski, Staatsminister: Wenn ein zusammenhängender Bericht der Botschaft in Bukarest vorliegt, Herr Kollege Dr. Marx, dann sind wir gerne bereit, Sie darüber zu informieren. Um einen solchen zusammenhängenden Überblick bemühen wir uns zur Zeit.Ich glaube, wir dürfen nicht übersehen, daß sich in bezug auf eine Reihe von Ländern Familienzusammenführungen gerade in der letzten Zeit erleichtert
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Staatsminister Wischnewskihaben. Ich glaube nicht, daß das, was ich hier kritisch vorgetragen habe, für die Gesamtentwicklung typisch ist.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 94 des Herrn Abgeordneten Braun auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob und in welcher Großenordnung Umsiedler für Schulbesuch und Studium eine Ablösungssumme an den polnischen Staat zu zahlen haben, und hält sie, falls dies zutrifft, solche Praktiken mit dem Inhalt und dem Geist der abgeschlossenen Verträge und dem Abkommen von Helsinki für vereinbar?
Wischnewski, Staatsminister: Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Es ist der Bundesregierung bekannt, daß polnische gesetzliche Bestimmungen, die auch für polnische Staatsangehörige gelten, unter bestimmten Voraussetzungen die Rückerstattung der Kosten eines Hochschulstudiums vorsehen. Nach dem Gesetz über die Beschäftigung von Hochschulabsolventen vom 25. Februar 1964 in Verbindung mit der Verordnung des polnischen Ministerrats vom 13. Juni 1964 hat jeder polnische Hochschulabsolvent, der in seiner Ausbildung staatlich gefördert worden ist, die Kosten des Studiums zurückzuzahlen, wenn er innerhalb einer bestimmten Zeit nach Abschluß des Studiums keine Arbeit aufnimmt oder ein bestehendes Arbeitsverhältnis abbricht.
Daraus ergibt sich, daß die für jedermann in Polen geltende Rückerstattungspflicht nicht als besondere Benachteiligung von umsiedlungswilligen Hochschulabsolventen angesehen werden kann, wenn diese wegen der erteilten Ausreiseerlaubnis nicht in der Lage sind, ein bestehendes Arbeitsverhältnis in Polen fortzusetzen.
Ich darf in diesem Zusammenhang noch darauf hinweisen, daß die Rückerstattung von staatlichen Ausbildungsförderungen auch in westlichen Staaten nicht unbekannt ist und daß z. B. das Bundesausbildungsförderungsgesetz die Rückzahlung zumindest eines Teils der Ausbildungsförderung vorsieht. Es ist der Bundesregierung nicht bekanntgeworden, daß eine ähnliche Rückerstattung auch für den Schulbesuch vorgesehen ist. Die Größenordnung der Summen, um die es sich bei der Rückerstattung der Kosten eines Hochschulstudiums handelt, kennt die Bundesregierung nicht.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, in welchem Umfang Anträge auf Umsiedlung nicht gestellt worden sind, weil einfach die finanziellen Mittel fehlten, um die Rückzahlung vornehmen zu können?
Wischnewski, Staatsminister: Solche Erkenntnisse liegen hier nicht vor.
Zweite Zusatzfrage.
Halten Sie den Vergleich mit dem Bundesausbildungsförderungsgesetz und der
Förderung staatlicher Subventionen für angebracht und gerechtfertigt?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe nur darauf hingewiesen, welche Rechtsgrundlage es in Polen gibt, und habe zum Vergleich darauf hingewiesen, welche es in anderen Ländern gibt.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Freiherr von Fircks.
Herr Staatsminister, sehen Sie eine Möglichkeit, mit der polnischen Regierung zu verhandeln, daß es genügen sollte, wenn sich die Aussiedler verpflichten, innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach ihrer Berufsfindung in der Bundesrepublik die Kosten an den polnischen Staat zu erstatten? Wäre die Bundesregierung eventuell bereit, zur Absicherung dieser Forderungen, die der polnische Staat an einen Aussiedler hätte, eine Bürgschaft zu übernehmen?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung ist bereit, diesen Gedanken in ihre Überlegungen miteinzubeziehen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Herr Staatsminister, wieso bezieht denn eigentlich die Bundesregierung diese Vorschrift, die Sie hier zutreffend zitiert haben, die Sie aber ausdrücklich auf arbeitsunwillige Absolventen von Hochschulen beziehen, auf Aussiedler, die die völkerrechtlich zulässige Aussiedlung und die Zusage der Information von 1970 in Anspruch nehmen wollen?
Wischnewski, Staatsminister: Die polnische Gesetzgebung geht von der Formulierung aus, daß eine Tätigkeit nicht aufgenommen wird oder abgebrochen wird.
Keine Zusatzfrage.Dann rufe ich die Frage 95 des Herrn Abgeordneten Czaja auf:Hat die Zuversichtlichkeit des Bundesaußenministers, wonach in Fragen der Ausreise Deutscher aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße die Zusammenarbeit zwischen den Regierungen und den Botschaften der Bundesrepublik Deutschland und Polens sich weiterentwickeln wird , inzwischen dazu geführt, daß deutsche diplomatische Interventionen im Rahmen der Schutzpflicht jederzeit und zahlenmäßig unbeschränkt entgegengenommen und in angemessener Frist positiv beantwortet werden, oder bleibt die Entgegennahme polnischerseits weiterhin zeitlich und zahlenmäßig beschränkt sowie lange Zeit oder überhaupt unbeantwortet?Wischnewski, Staatsminister: Ich nehme Bezug auf die Äußerungen des Bundesministers des Auswärtigen vor dem Auswärtigen Ausschuß des Bundesrates am 10. März 1976, abgedruckt im Bulletin vom 11. März 1976. In dieser Sitzung hat der Bundesminister des Auswärtigen erklärt, daß die Bearbeitung der Interventionsnotizen seit Abschluß der Vereinbarung von Helsinki reibungslos verläuft.Eine zahlenmäßige Begrenzung bei der Übergabe der Interventionsnotizen bestand schon damals nicht
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Staatsminister Wischnewskiund ist auch in der Zwischenzeit nicht eingetreten. Wie Sie wissen, ist Ziel der Interventionsnotizen, der polnischen Regierung besonders gelagerte Einzelfälle, die an die Bundesregierung herangetragen worden sind, zur Kenntnis zu bringen und auf die positive Erledigung dieser Fälle hinzuwirken.Der vom Bundesminister des Auswärtigen in der Erklärung vor dem Auswärtigen Ausschuß des Bundesrates am 10. März 1976 dargestellte erfreuliche Trend der Erledigung von Interventionsnotizen hält nach wie vor an. Ein Drittel der von der Botschaft Warschau erteilten Sichtvermerke an Umsiedler betrifft Personen, zu deren Gunsten die Botschaft interveniert hat. Dies sind seit Unterzeichnung der deutsch-polnischen Vereinbarung, nämlich dem 9. Oktober 1975, bis Mitte April 1976 insgesamt 2 921 Personen. Insgesamt sind in diesem Zeitraum etwa 8 890 Personen Sichtvermerke erteilt worden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, trifft es zu, daß Interventionen nur zu bestimmten Zeitpunkten vom polnischen Auswärtigen Amt, also unter Beschränkung der Zeitpunkte, entgegengenommen werden, und ist das mit den Souveränitätsrechten der Bundesrepublik Deutschland vereinbar.
Wischnewski, Staatsminister: Ich weiß nicht, welche zeitliche Begrenzung Sie meinen. Meinen Sie die Amtszeiten in den Behörden, die dort zuständig sind?
Nein, ich meine die großen Abstände.
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe ausdrücklich in meiner Beantwortung darauf hingewiesen, daß bereits vor der Unterschrift unter die vertragliche Regelung diese Interventionsnotizen entgegengenommen worden sind. Auch von einer solchen Situation, wie sie von Ihnen angesprochen wird, ist der Bundesregierung nichts bekannt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Stimmt es, Herr Staatsminister, daß die von Ihnen soeben genannten Zahlen nur 12 °/o der Härtefälle ausmachen, die seit vielen Jahren durch Interventionen seitens der Bundesrepublik Deutschland vorgebracht worden sind, und trifft es zu, daß weiterhin deutsche Interventionen für Menschenrechte Deutscher viele Monate nicht und oft gar nicht beantwortet werden?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe ausdrücklich bei den Zahlen auf die positiven Ergebnisse der letzten Monate hingewiesen. Ich bin jetzt nicht in der Lage, zu sagen, ob die von Ihnen angegebene Zahl von 12 °/o stimmt. Ich nehme nicht an, daß diese Zahl den Tatsachen entspricht. Sie müßte von mir erst geprüft werden.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Hupka.
Herr Staatsminister, Sie haben genaue Zahlen genannt und hier angeführt, daß nur ein Drittel auf Grund von Interventionsnotizen die Möglichkeit zur Aussiedlung erhält. Haben Sie auch eine Ubersicht, nach welchem Selektionsprinzip hier die polnische Regierung die Härtefälle bearbeitet? Denn wir hätten ja doch wohl annehmen können, daß es ein weit höherer Prozentsatz derer ist, die als Härtefälle seitens der Botschaft in Warschau der polnischen Regierung mitgeteilt worden sind und dann nachher die Chance erhalten, ausreisen zu können.
Wischnewski, Staatsminister: Mir ist das Prinzip nicht bekannt, nach dem von seiten der polnischen Regierung vorgegangen worden ist. Aber ich glaube, es besteht die Möglichkeit, auf Grund der Erfahrung mit den erledigten Fällen festzustellen, welche Prinzipien dabei Anwendung gefunden haben.
Ich rufe die Frage 97 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann auf. — Die Frage wird schriftlich beantwortet; die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 98 des Herrn Abgeordneten Windelen auf:
Sind im Deutschland-Vertrag Vereinbarungen getroffen worden, die nicht bindend sind, und Vereinbarungen über die Wiedervereinigung Deutschlands getroffen worden, die weder Hand noch Fuß hatten, wie vor einiger Zeit im Bundestag erklärt wurde?
Wischnewski, Staatsminister: Ich beantworte Ihre Frage wie folgt, Herr Kollege Windelen. Der Deutschland-Vertrag, und zwar alle seine Bestimmungen, ist für die Bundesrepublik Deutschland und ihre Vertragspartner uneingeschränkt bindend.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, kann ich daraus entnehmen, daß der Bundesregierung Anhaltspunkte dafür nicht bekannt sind, daß Bestimmungen des Deutschland-Vertrages teilweise von unseren Vertragspartnern in Frage gestellt werden?
Wischnewski, Staatsminister: Sie können davon ausgehen.
Keine weitere Zusatzfrage. — Doch. Bitte!
Kann ich daraus also entnehmen, daß die Bundesregierung davon ausgeht, daß unsere westlichen Vertragspartner unverändert an dem Vertragsziel des Deutschland-Vertrages, die Wiedervereinigung Deutschlands herbeizuführen, festhalten?
Wischnewski, Staatsminister: Ich würde dies wie folgt formulieren: Die Bundesregierung führt in vol-
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Staatsminister Wischnewski
ler Übereinstimmung mit ihren Vertragspartnern eine Deutschlandpolitik, die zwar wegen der seit 1954 eingetretenen Entwicklung neue Wege beschreitet, die aber gleichwohl voll im Einklang mit den im Deutschland-Vertrag niedergelegten Zielen steht. Die Bundesregierung hat diese Zielsetzung auch wiederholt, insbesondere im Zusammenhang mit dem Beitritt zu den Vereinten Nationen, ausdrücklich bekräftigt.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Marx.
Herr Staatsminister, Sie stimmen also, wenn ich es recht verstehe, mit Ihren Antworten einer These nicht zu, die ein Mitglied dieses Hauses am 29. Januar in Auseinandersetzung mit mir vorgetragen hat, in der es sagte, es handele sich um Formeln, die im Laufe von 21 Jahren zu Floskeln geworden seien, und in diesen Vereinbarungen sei vieles, was weder Hand noch Fuß habe?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe ausdrücklich, Herr Kollege Dr. Marx, auch in meiner Beantwortung auf die seit 1954 eingetretene Veränderung hingewiesen.
Falls der Kollege das in diesem Sinne gemeint haben sollte — ich kenne das Zitat nicht —, dann befinde ich mich mit ihm in Übereinstimmung. Falls er es anders gemeint haben sollte, dann befinde ich mich nicht mit ihm in Übereinstimmung.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, kann man davon ausgehen, daß die Wiedervereinigung Deutschlands als eines einheitlichen, das deutsche Volk umfassenden Staates mit einer Verfassung, die der im Grundgesetz niedergelegten ähnlich ist, wie es im Deutschland-Vertrag heißt, nach wie vor das uneingeschränkte politische Ziel der Bundesregierung ist?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe die Haltung der Bundesregierung zum Deutschland-Vertrag dargelegt. Im übrigen ist Ihnen auch die Formel aus dem Brief zur deutschen Einheit bekannt, den wir anläßlich der Verträge, die wir mit Moskau und anderen abgeschlossen haben, übergeben haben.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes.
Herr Staatsminister, können Sie dem Hohen Hause bestätigen, daß bei den Beratungen zum Moskauer Vertrag, insbesondere des Artikels 4 des Moskauer Vertrages, die Bundesregierung, vor allem der Bundesminister des Auswärtigen und der damaligen Staatssekretär
Bahr, betont hat, gerade der Artikel 4 des Moskauer Vertrages zeige, daß insbesondere der Deutschland-Vertrag formell und materiell weitergelte?
Wischnewski, Staatsminister: Ohne jetzt Einzelheiten zu kennen — dazu müßte ich die Unterlagen selbst noch einmal überprüfen —, Herr Kollege Dr. Mertes, gehe ich von der Voraussetzung aus, daß das den Tatsachen entspricht.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Hupka.
Herr Staatsminister, obwohl Sie von Veränderungen gesprochen haben, die in den letzten Jahren eingetreten seien, kann ich auf Grund Ihrer zuerst gemachten Erklärung doch wohl davon ausgehen, daß der Deutschland-Vertrag in allen seinen Paragraphen nach wie vor uneingeschränkt völkerrechtlich verbindlich gilt?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe ausdrücklich von „uneingeschränkt bindend" gesprochen. Aber es wäre unrealistisch, Veränderungen, die seit dem Jahre 1954 eingetreten sind, dem Hohen Hause vorzuenthalten und nicht darauf hinzuweisen, daß es eine solche Situation gibt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mattick.
Herr Staatsminister, stimmen Sie mir zu, wenn ich feststelle, daß es kein faires Verfahren der Opposition ist, mich zu meinen und Sie in Schuld zu setzen in dem Wissen, daß mir in dem Falle eine parlamentarische Auseinandersetzung nicht möglich ist, sondern nur in einer Debatte?
Wischnewski, Staatsminister: Herr Kollege Mattick, ich habe mich bemüht, die Frage entsprechend zu beantworten, um auf diese Situation Rücksicht zu nehmen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Herr Staatsminister, beziehen Sie sich mit Ihren Äußerungen über Veränderungen, die eingetreten sind, in irgendeiner Weise auf Art. 7 des Deutschland-Vertrages?
Wischnewski, Staatsminister: Nein, ich habe ausdrücklich von Entwicklungen gesprochen.
Keine weitere Zusatzfrage? Dann danke ich Ihnen, Herr Staatsminister Wischnewski.Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
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16654 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976
Vizepräsident Frau FunckeIch rufe die Frage 27 des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Die Fragen 28 des Herrn Abgeordneten Dr. Dollinger und 29 und 30 des Herrn Abgeordneten Rapp werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Dr. Klein auf:Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Erkenntnissen der Wachstumsdiskussion der letzten Jahre in Wissenschaft und Öffentlichkeit, insbesondere hinsichtlich der nicht zu bestreitenden Tatsache, daß eine Anzahl von Rohstoffen, die für eine moderne Industriegesellschaft von größter Bedeutung sind, rapide und unwiederbringlich zur Neige gehen, ohne daß sich auch nur im entferntesten genügende Ersatzmöglichkeiten abzeichnen?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, selbstverständlich verfolgt die Bundesregierung die Diskussion, die in der Wissenschaft und Öffentlichkeit unter dem Stichwort „Grenzen des Wachstums" geführt wird. Es ist jedoch festzustellen, daß die bisher von der Wissenschaft erstellten Analysen selbst in der Fachwelt umstritten sind und die aus den einzelnen Untersuchungen zu ziehenden Schlußfolgerungen bisher nur bedingt Ansatzpunkte für wirtschaftspolitische Entscheidungen liefern. Doch haben diese Studien eine zweifellos notwendige Diskussion in Gang gebracht und das Bewußtsein über die Zusammenhänge zwischen ökologischen und ökonomischen Systemen geschärft.
Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß die Analyse dieser Zusammenhänge, insbesondere die Probleme der Rohstoffversorgung, der Nahrungsmittelproduktion, des Bevölkerungswachstums und der Umweltverschmutzung, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene zielstrebig vorangetrieben werden muß. Sie unterstützt die entsprechenden Bemühungen, die in mehreren Bereichen bereits zu konkreten Maßnahmen geführt haben.
Eine Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung angesichts der Wichtigkeit dieser Fragen nicht der Auffassung, daß sie diese Diskussion nicht nur verfolgen, sondern um der Zukunft unseres Volkes willen in institutionell abgesicherter Weise in ihren eigenen Reihen vorantreiben sollte?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, daß damit die zweite Frage, die Sie eingereicht haben, angesprochen ist. Wenn Sie einverstanden sind, so würde ich gern die Antwort auf Ihre jetzt gestellte Zusatzfrage mit der auf Ihre zweite eingereichte Frage verbinden.
Ist der Fragesteller damit einverstanden?
Dann hat zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Gruhl das Wort.
Herr Staatssekretär, gedenkt die Bundesregierung, wissenschaftliche Aufträge zu erteilen, um diese Dinge in die Zukunft hinein zu untersuchen, zumal es sich ja um Entwicklungen handelt, die auf Jahrzehnte im voraus bedacht werden müssen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das ist die Absicht der Bundesregierung.
Keine weitere Zusatzfrage? — Dann rufe ich die Frage 32 des Herrn Abgeordneten Klein auf:
Welche Auffassung hat die Bundesregierung von ihrer eigenen Verantwortung hinsichtlich der langfristigen wirtschaftlichen Perspektiven, insbesondere vor dem Hintergrund der wachsenden Kritik, daß staatliche Wirtschaftspolitik sich in kurzfristiger Konjunktur- und mittelfristiger Strukturpolitik erschöpfe und die Augen vor den zu erwartenden tiefgreifenden Änderungen der wirtschaftlichen Voraussetzungen in den nächsten Jahrzehnten verschließe?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es trifft nicht zu, daß sich die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung in kurzfristiger Konjunktur- und mittelfristiger Strukturpolitik erschöpft. Im Bundesministerium für Wirtschaft werden in mehrjährigen Abständen Perspektivprojektionen erarbeitet. Mehrere dieser Untersuchungen mit einem Zeithorizont von in der Regel 15 Jahren wurden veröffentlicht; andere dienten als interne Arbeitsunterlagen. Gegenwärtig ist eine Projektion für die Zeit bis 1990 in Arbeit.
Darüber hinaus hat die Bundesregierung eine Reihe von wirtschaftspolitischen Maßnahmen initiiert, die dazu dienen, den sich langfristig abzeichnenden Entwicklungstrends gerecht zu werden. Nach dem Prinzip der Internalisierung externer Kosten wurden in verschiedenen Bereichen Maßnahmen zum Schutz der Umwelt ergriffen. Hinzu kommen zahlreiche Umweltschutzmaßnahmen im Rahmen der Energiepolitik, der Forschungspolitik und der Regionalpolitik. Einzelheiten können dem Tätigkeitsbericht der Bundesregierung über die Arbeit der 7. Legislaturperiode entnommen werden, der demnächst veröffentlicht wird.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in welcher Weise findet die hier in Rede stehende Wachstumsdiskussion in der Wissenschaft Eingang in die Erarbeitung der nächsten Perspektivprojektionen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Diese Gesichtspunkte sind selbstverständlich ein wesentlicher Bestandteil der Arbeiten.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Gruhl.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung Aufträge über Prognosen auch
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Dr. Gruhlan solche Wissenschaftler erteilen, die nicht ohne weiteres der etablierten Linie der Wirtschaftswissenschaften folgen, die sich in letzter Zeit ohnehin in vielen Dingen als falsch erwiesen hat?Grüner, Parl. Staatssekretär: Es ist der Grundsatz der Bundesregierung, bei der Erarbeitung von Prognosen nach objektiven Kriterien alle Wissenschaftler, die zu den Problembereichen Aussagen machen können, heranzuziehen.
Eine weitere Frage? — Das ist nicht der Fall.
Ich rufe die Frage 33 der Frau Abgeordneten Schleicher auf:
Welche medizinischen Gesellschaften und welche Ärztevereinigungen — national wie international — haben sich wann und mit welcher Begründung gegen die Einführung der neuen Maßeinheiten ausgesprochen, und welche Gründe im einzelnen waren für die Bundesregierung maßgebend, diesen Gegenvorstellungen nicht zu folgen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Vor Erlaß des Einheitengesetzes vom 2. Juli 1969 sind alle Institutionen sowohl aus dem industriellen wie auch aus dem medizinischen Bereich zur Einführung der neuen Einheiten des internationalen Einheitensystems gehört worden. Sie haben seinerzeit dieser Umstellung zugestimmt. Die Bundesärztekammer hat speziell der Umstellung der Druckeinheiten für die Blutdruckmessung auch in jüngster Zeit ihre Zustimmung erteilt.
Ich unterstelle der Anfrage, daß sie sich nicht auf die neuen Maßeinheiten in der Medizin schlechthin bezieht, sondern auf die Blutdruckmessung. Hierzu haben in einer Anhörungsbesprechung im Januar 1976 im Bundesministerium für Wirtschaft alle maßgeblichen medizinischen Gesellschaften und die Bundesärztekammer aus Anlaß einer Änderung der EG-Richtlinie über Einheiten im Meßwesen Übereinstimmung darüber erzielt, daß die Frist für die Einführung der neuen Maßeinheiten vom 31. Dezember 1977 auf 31. Dezember 1979 verlängert werden soll und daß darüber hinaus zunächst bis 1985 die Blutdruckmeßgeräte eine doppelte Ableseskala erhalten sollen, nach der der Blutdruck sowohl in alten Einheiten, nämlich in der Millimeter-Quecksilbersäule, als auch in neuen Einheiten, Bar oder Pascal, gemessen werden kann. Diese Übereinkunft mit den maßgeblichen Institutionen der Medizin ist für die weiteren Entscheidungen der Bundesregierung maßgebend.
Es ist mir durch Veröffentlichungen bekanntgeworden, daß sich in den Jahren 1971 bis 1973 die Deutschen Gesellschaften für Innere Medizin, für Kreislaufforschung und für Physiologie gegen die Umstellung im Bereich der Blutdruckmessung ausgesprochen haben. Ich habe auch die Mitteilung erhalten, daß im März 1976 die International Society of Hypertension einen solchen Beschluß gefaßt hat. Weitere Äußerungen nationaler oder internationaler Institutionen zu diesem Problem sind mir nicht bekannt.
Alle übrigen neuen Einheiten im Bereich der Medizin, außer Blutdruckmessung, sind auf Einverständnis der zuständigen nationalen wie internationalen Institutionen gestoßen. Die Weltgesundheitsorganisation in Genf hat dazu im November 1975 mitgeteilt, daß im Bereich der Medizin in allen Veröffentlichungen, ausgenommen Blutdruckmessung, ausschließlich die SI-Einheiten benutzt werden, da sie von allen wichtigen wissenschaftlichen Gesellschaften empfohlen worden sind.
Eine Zusatzfrage.
Ist der Bundesregierung bekannt, welche unterschiedlichen Maßeinheiten der Blutdruckmessung im Moment auf der Welt benutzt werden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das ist der Bundesregierung bekannt. Allerdings bin ich leider nicht in der Lage, das hier auszuführen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ist der Bundesregierung bekannt, welche Übergangszeiten jetzt allgemein weltweit vorgesehen sind, bis die endgültigen Regelungen Platz greifen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Auch das ist bekannt, wobei Spielraum besteht, solche Übergangszeiten, wenn Schwierigkeiten auftreten, auch noch zu verlängern.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die letzte Frage, die Frage 34 der Frau Abgeordneten Schleicher, auf:
Trifft es zu, daß die entsprechende EG-Richtlinie, auf die sich die Bundesregierung jetzt beruft, nur die Beseitigung von Handelshemmnissen zum Ziel hatte und daß die Verabschiedung dieser Richtlinie von der Bundesregierung maßgeblich gefördert worden ist, ohne auf die besonderen Belange von Medizin und Ärzteschaft Rücksicht zu nehmen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die EG-Richtlinie über die Einheiten im Meßwesen dient nicht nur der Beseitigung von Handelshemmnissen. Vielmehr verfolgen die Richtlinien auf Grund von Art. 100 der Römischen Verträge vor allem das Ziel der Rechtsangleichung auf den verschiedensten Gebieten. So ist die EG-Richtlinie über die Einheiten im Meßwesen auch im Bereich des öffentlichen Gesundheitswesens anzuwenden.
Die Bundesregierung hat die EG-Richtlinie nicht maßgeblich gefördert, sondern ihr im Ministerrat im gleichen Maße wie die übrigen Mitgliedstaaten zugestimmt. Im übrigen wird die EG-Kommission vom Ministerrat bei der in Kürze anstehenden Verabschiedung der ersten Änderungsrichtlinie den Auftrag erhalten, mit der Weltgesundheitsorganisation Verbindung aufzunehmen, um eine gemeinsame weltweite Umstellung auf die neuen Einheiten zu gewährleisten.
Eine Zusatzfrage.
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16656 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976
Ich möchte die Bundesregierung fragen: Wann sind welche medizinischen Gesellschaften und welche Ärztevereinigungen während des Verfahrens vor Verabschiedung der EG-Richtlinie gehört worden?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es haben umfassende Anhörungen stattgefunden. Ich bin leider jetzt nicht in der Lage, Daten und Name zu nennen. Ich bin aber gern bereit, Ihnen das mitzuteilen.
Könnten Sie mir eventuell auch sagen, welche Positionen in der Sache dabei bezogen worden sind?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich werde das gern mit meiner Antwort an Sie verbinden.
Keine weitere Frage. Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner.
Die Fragen 76, 78 und 79 der Abgeordneten Dr. Kunz , Reddemann und Kunz (Berlin) sind zurückgezogen worden. Alle übrigen bisher nicht aufgerufenen Fragen werden schriftlich beantwortet, und die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Meine Damen und Herren, ich rufe nun Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Fünfzehnte Strafrechtsänderungsgesetz
— Drucksache 7/5022 —
Zur Abgabe einer Erklärung hat die Frau Abgeordnete Dr. Timm das Wort.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Heute muß sich der Deutsche Bundestag noch einmal — ich weiß nicht mehr genau, zum wievielten Male — mit der Reform des § 218 beschäftigen, allem menschlichen und hoffentlich auch politischen Ermessen nach auf absehbare Zeit nun endlich abschließend.
Der Deutsche Bundestag, der vom Volk gewählte Gesetzgeber, hatte dieses Gesetz bereits am 12. Februar 1976 in dritter Lesung beschlossen und verabschiedet. Obwohl unumstritten ist und auch jeder weiß, daß dieses Strafrechtsreformgesetz nicht zustimmungsbedürftig ist, hat die CDU/CSU-Mehrheit den Bundesrat veranlaßt, den Vermittlungsausschuß anzurufen. Ich weiß, das hat in der Öffentlichkeit einige Beunruhigung und Verwirrung gestiftet; aber das sollte wohl auch so sein.
Der Vermittlungsausschuß hat mit gutem Recht das Vermittlungsbegehren nicht aufgenommen. Doch hatte der Bundesrat gleichzeitig mit der Anrufung des Vermittlungsausschusses Einspruch gegen das Gesetz erhoben, und unser Grundgesetz schreibt vor, daß der Einspruch des Bundesrates gegen ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz mit der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages zurückgewiesen werden muß, damit das vom Bundestag eigentlich längst
verabschiedete Gesetz endlich auch wirklich Gesetz wird, d. h. im Bundesgesetzblatt verkündet werden kann.
Bitte einen Augenblick, Frau Kollegin! — Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist der Sache nicht angemessen, wenn weiterhin so verhandelt wird.
Ich bitte alle Kollegen an den Seiten des Saales, sich hinzusetzen und Ruhe zu geben.
Entschuldigen Sie, Frau Kollegin; Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. — Meine Damen und Herren, wir hier in Bonn im Bundestag und im Bundesrat kennen die prozentualen Hürden des Gesetzgebungsganges. Aber können die Bürger draußen, die uns gewählt haben und die auf die Gesetze warten, all diese Finessen kennen? Ich muß davon ausgehen, daß die CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat genau auf diese wahrlich mehr als verzeiliche Unkenntnis der Bürger in diesen prozentualen Dingen spekuliert hat und daß es ihr lediglich darauf ankam, zunächst Verwirrung zu stiften und letztlich die Verzögerung der endgültigen Verabschiedung dieses Reformgesetzes zu bewirken.Nun kann man sagen, das sei politisch ganz verständlich. Aber, meine Damen und Herren, bei diesem, gerade bei diesem Reformgesetz, bei dem es um den Schutz des werdenden Lebens geht, um den Schutz von Gesundheit und Leben und Würde der Frauen, ist es mir und meiner Fraktion unverständlich, wie man ein solch machtpolitisches Spielchen treiben kann,
zumal es ausgerechnet von denen betrieben wird, die die Reform des § 218 auf dem Umweg über das Verfassungsgericht zu Fall bringen wollten, als wir dieses ganze Schauspiel vor genau zwei Jahren im Juni 1974 schon einmal hatten.
- Sie haben mich mißverstanden: Der Bundesrat und seine Umwege als Schauspiel.
Bundesrat und Bundestag, meine Damen und Herren — das wissen auch Sie von der CDU/CSU sehr genau —, haben nach unserem Grundgesetz ihre jeweilige Kompetenz bei der Gesetzgebung zugewiesen bekommen. Der Bundesrat hat aus guten föderalistischen und demokratischen Gründen die berechtigten Interessen der Länder zu vertreten, Dieses seit 25 Jahren gut funktionierende föderalistische System möchte die SPD-Bundestagsfraktion unbedingt erhalten und verwirklicht wissen. Der Bundesrat aber kann auf keinen Fall, wie es in der letzten Zeit mehr und mehr gang und gäbe wird,Frau Dr. Timmauf die Dauer weiterhin als verlängerter Arm der Opposition im Bundestag mißbraucht werden.
Meine Damen und Herren, ich muß dieses mich mit tiefer Besorgnis erfüllende Problem hier aufwerfen, weil gerade bei der Reform des § 218 die Verfassungsfrage für Sie eine so große Rolle gespielt hat. Sie hat zu einer fast zweijährigen Verzögerung der Reform des Strafrechts geführt. Heute können wir dieses Reformgesetz endlich in geänderter Fassung verabschieden.Ich bin dankbar, daß der von den Koalitionsfraktionen SPD und der FDP neu vorgelegte Entwurf im Strafrechtssonderausschuß so zügig beraten worden ist, daß der Bundestag am 12. Februar 1976 entscheiden konnte. An uns hat es also wahrlich nicht gelegen, daß die betroffenen Frauen und Familien, die Ärzte und die Gerichte, daß überhaupt die Bevölkerung in der Bundesrepublik so lange in einem Zustand der Beunruhigung und der Rechtsunsicherheit leben mußten. Das wird nun endlich ein Ende haben.Nach dieser nun über fünf Jahre so intensiv geführten Diskussion bei uns im Parlament und draußen in der Öffentlichkeit ist immer mehr Menschen doch wohl eines klar geworden: Die unerbittliche Strafandrohung allein verhindert Schwangerschaftsabbrüche nicht.
Sie hat werdendes Leben nicht zu schützen vermocht, sondern hat im Gegenteil verhindert, daß das gesellschaftliche Problem Schwangerschaftsabbruch überhaupt als ein solches erkannt und angepackt wurde. Das Elend so vieler Familien und Frauen wurde einfach verdrängt, und manche möchten offenbar immer noch weiter verdrängen. Es ist ja so bequem und das eigene Gewissen so beruhigend, mit der Strafandrohung das Problem für erledigt zu erklären und die Wirklichkeit — frei nach Palm-ström, daß nicht sein kann, was nicht sein darf — zu verhöhnen. Meine Damen und Herren, ich muß hier die moralische Frage stellen, die ein solches Verhalten aufwirft, mindestens an diejenigen, die draußen im Lande in jedem zweiten Satz in ihren Reden die Worte „redlich" und „unredlich" zur Bewertung politischen Verhaltens verwenden, und verwenden meine ich im Sinne von „abnutzen".
Nein, es war höchste Zeit, daß wir als Gesetzgeber zur Bewältigung dieser schwierigen Problematik, zum Schutze des werdenden Lebens und um der Verantwortung und der Würde der Frauen willen endlich einen sachgerechten, das gesellschaftspolitische Problem erfassenden Weg eingeschlagen haben.Die Koalitionsfraktionen haben seinerzeit — ja, es ist schon so lange her — im März 1973 gleichzeitig vier Gesetzentwürfe eingebracht, einen zur strafrechtlichen Seite, den Gesetzentwurf zur Strafrechtsreform, eingebettet in das Bündel von Gesetzentwürfen zu sozialpolitischen Maßnahmen. Nur durch die Reform des Strafrechts können die sozialpolitischen Maßnahmen in der Praxis wirksam werden: die Beratung zur Familienplanung und zur Verhütung ungewollter Schwangerschaften als Krankenversicherungsleistung — das ist es doch wohl, worauf es uns allen hier ankommt —, darüber hinaus die Beratung in einer Konfliktsituation, bei der ein Schwangerschaftsabbruch manch einer Frau zunächst als einziger Ausweg erschienen sein mag.Das neue Gesetz hat die strafrechtliche Seite, die Indikationen so sachgerecht und umfassend formuliert, daß Frauen und Familien in solchen Konfliktsituationen ohne Furcht, illegal zu handeln, zum Arzt gehen und sich einer Beratung von einem Arzt oder in einer Beratungsstelle anvertrauen können. Für uns Sozialdemokraten ist diese Beratung zentral. Wir haben das nicht nur immer gesagt — gesagt haben das auch Sie, meine Damen und Herren von der CDU und CSU —, sondern wir haben auch die strafrechtliche Regelung so getroffen, daß Beratung sozial und medizinisch von den Betroffenen wirklich angenommen werden kann, sowohl psychologisch als auch praktisch. Denn auch dies ist eine Krankenkassenleistung.Ich möchte in diesem Zusammenhang betonen, daß bisher in keinem vergleichbaren Land jemals eine Strafrechtsreform zum Schwangerschaftsabbruch zugleich mit so umfassenden sozialpolitischen Hilfen gekoppelt vorgenommen worden ist. Wir Sozialdemokraten haben immer die eigentliche gesellschaftspolitische Problematik des Schwangerschaftsabbruchs erkannt. Aber wir haben nun gleichzeitig viel aus den Erfahrungen anderer Länder, die lediglich ihr Strafrecht reformiert hatten, gelernt und in umfassendere gesellschaftliche Reformarbeit umgesetzt. Dies macht mich um so zuversichtlicher, daß die Gesamtheit unserer Reformgesetze auf diesem Gebiet ihren Zweck erfüllen kann, nämlich werdendes Leben besser zu schützen, als es bisher der Fall war.In diesem Augenblick habe ich ein Gefühl der Genugtuung, daß wir nun endlich auch die strafrechtliche Regelung so sachgerecht wie nur möglich geschaffen haben. Gleichzeitig kann ich eine gewisse Bitterkeit nicht verhehlen. Muß denn wirklich in diesem Hause so langwierig — über fünf Jahre —, so schwierig und so erbittert kontrovers verhandelt und auch schließlich beschlossen werden, wenn es darum geht, für die Frauen eine Strafrechtsreform zu beschließen, die der Verantwortung und der Würde der Frauen in dieser unserer Gesellschaft entspricht?
Es kann doch kein Zweifel daran bestehen, daß nur dadurch, daß die Frauen in ihrer Verantwortung und ihrer Würde anerkannt werden, der Schutz des werdenden Lebens besser gewährleistet wird, als es früher der Fall sein konnte.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stimmt dem vom Bundestag beschlossenen Gesetz erneut zu und weist aus voller Überzeugung den Einspruch des Bundesrates zurück. Im Namen meiner Fraktion beantrage ich namentliche Abstimmung.
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16658 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eyrich.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in den letzten zehn Minuten die Rede unserer Kollegin Frau Timm gehört. Ich kann nicht umhin, Ihnen zu sagen, Frau Kollegin Timm, daß einiges, was Sie hier ausgeführt haben, vielleicht besser anders oder noch besser gar nicht gesagt worden wäre.
— Herr Kollege Schäfer, Sie brauchen sich deswegen nicht aufzuregen. Bei aller Anerkennung des sachlichen Inhalts, den Frau Kollegin Timm hier ausgeführt hat, muß ich es mit aller Schärfe zurückweisen, daß hier dann von Schauspiel gesprochen wird, wenn eine Fraktion ihrer Überzeugung entsprechend abstimmt und von den Möglichkeiten Gebrauch macht, die ihr das Grundgesetz einräumt.
Es sind weder Finessen, noch geht es um den verlängerten Arm der Opposition, sondern es geht darum, ob wir uns dazu bekennen, die Möglichkeiten auszunutzen, die uns das Grundgesetz gibt, und dementsprechend zu einer Regelung zu kommen, zu der wir leider heute wahrscheinlich wieder nicht kommen werden, nämlich zu einer Regelung, die von der Überzeugung des ganzen Hauses hätte getragen werden können.
Es ist schon so, Frau Kollegin Timm, daß die heutige Abstimmung einen Schlußstrich unter ein langes Verfahren setzt. Es hat auch Zeiten gegeben, in denen wir geglaubt haben, möglicherweise eine Übereinkunft erzielen zu können. Aber — das muß ich gleichermaßen hinzufügen — weder in der Form, in der die parlamentarische Beratung bisweilen verlief, noch im Inhalt dessen, was zur Beschlußfassung nunmehr vorliegt, ist das ein befriedigender Abschluß. Was hier endgültig gesetzt werden soll, ist noch nicht einmal der Versuch, wenigstens in dieser wichtigen Frage, die die höchsten Werte betrifft, die das Grundgesetz uns zu schützen aufgibt, einen Konsens herbeizuführen. Entgegen vielen Beteuerungen auf seiten der Koalition ist nach dem Urteilsspruch von Karlsruhe nie ernsthaft der Versuch unternommen worden, eine Regelung zu finden, auf die sich nicht nur die ganz überwiegende Mehrheit dieses Hauses hätte einigen können, sondern die es auch vermieden hätte — das wäre sehr gut gewesen —, daß sehr viele Menschen in tiefe Gewissenskonflikte gestürzt werden.
Dem Recht ist damit nicht die Rolle zuteil geworden, die es auch und vornehmlich hat, nämlich dem Rechtsfrieden in unserem Lande zu dienen und ihn zu wahren. Rechtsfrieden ist aber nur dort möglich, wo Recht von Dauer geschaffen wird und, wie es der Justizminister des Landes Rheinland-Pfalz im Bundesrat ausgeführt hat, wo es nicht zum Hausgut einer Partei oder einer Koalition wird, sondern Gemeingut des ganzen Volkes ist.
Sie, Frau Kollegin Timm, haben davon gesprochen, daß die einen nicht redlich umgingen. Ich muß Sie fragen, ob es redlich ist, wenn dieselbe Bundesregierung, die vor einigen Jahren einen Gesetzentwurf dem Hause zugeleitet hat, vollends von diesem Entwurf abgewichen ist und — was noch viel schlimmer ist — heute nicht mehr mitvollziehen will, was damals in diesem Entwurf der Bundesregierung stand, der von Bundeskanzler Brandt unterschrieben und vom damaligen Justizminister Jahn geschaffen worden ist, ja nicht einmal mehr zu den Kernsätzen jenes Entwurfs steht.
Es heißt nämlich dort in der Erklärung der damaligen Regierung, deren Koalition auch heute noch die Regierung stellt:
Wenn die Gesellschaft für das werdende Leben als schutzwürdiges Rechtsgut von vergleichsweise hohem Range anerkennt, dann kann sie nicht die Vernichtung dieses Rechtsgutes von dem freien Belieben des einzelnen abhängig machen.
Genau das, was damals in der Regierungserklärung, die von Herrn Brandt unterschrieben war, dazu gesagt wurde, ist unsere Position nach wie vor.
— Nicht wir, Herr Kollege Wehner, sondern diese Regierung und die sie tragende Koalition sind von diesem Wege abgewichen.
Wenn Sie sich auch nur ein einziges Mal bemüht hätten, Herr Kollege Wehner, mit Ihrer Fraktion zusammen zu dieser Grundüberzeugung zurückzukehren, dann, so bin ich überzeugt, wäre uns ein langwieriges Verfahren erspart geblieben.
Dann bräuchte man — und das sollte ich vielleicht auch dazusagen — —
Herr Kollege Eyrich, einen Augenblick bitte. Wir wollen nicht kleinlich sein, aber in der Geschäftsordnung ist eine Erklärung vorgesehen.
Deswegen ist das Eingehen auf Äußerungen des Vorgängers nicht möglich. Sie können sich auf alles Mögliche beziehen, aber nicht auf Bemerkungen und Erklärungen, die hier vorher gemacht worden sind. Ich bitte nur, das zu berücksichtigen.
Frau Präsidentin, ich werde versuchen, Ihrer Rüge gerecht zu werden und so zum Schluß zu kommen, daß die Erklärung ein-
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Dr. Eyrichwandfrei abgegeben wird. Es muß allerdings bedauernd hinzugefügt werden, daß die Vorrednerin und auch die Zwischenrufe mancher Kollegen eine reibungslose Abgabe einer Erklärung nicht immer sehr leicht gemacht haben.
Ich meine, zu rügen sei auch die Form der Behandlung. War noch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu hören, man bemühe sich um einen Konsens aller Parteien, so hat es später die Koalition noch nicht einmal für notwendig erachtet, sich im Vermittlungsausschuß auch nur mit einem einzigen Wort zur Sache einzulassen,
Wir sehen darin einerseits ein Zeichen der Schwäche, die eigene Lösung ohne Gefährdung des Koalitionsfriedens überhaupt noch zur Diskussion zu stellen, andererseits aber auch den Willen, ohne Rücksicht auf die Bedeutung des zur Debatte stehenden Rechtsgutes und die damit verbundene Notwendigkeit, eine Lösung zu finden, die alle tragen können, ganz einfach von der Mehrheit Gebrauch zu machen.Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Herren in der gebotenen Kürze die Gründe dartun, warum wir den Vorstellungen der Koalition nicht zustimmen können, und zugleich bedauern, daß eine Einigung auf der Grundlage des sogenannten Ärztemodells nicht zustande gekommen ist.Wir lehnen das Gesetz der Koalition ab, weil es der Frau, die immer straffrei bleiben soll, keine wirklich freie Entscheidung erlaubt, weil sie mit Sicherheit oftmals mit dem Hinweis auf den leicht zu erreichenden Schwangerschaftsabbruch dazu gedrängt werden wird.Wir lehnen ein Gesetz ab, das immerhin der Deutsche Richterbund als ein Gesetz bezeichnet hat, welches eine verkappte Fristenlösung enthält.Wir lehnen das Gesetz ab, weil es nach unserer Überzeugung besser wäre — was wir mit unserem Entwurf angestrebt haben —, den Frauen zu sagen, daß wir ihren Sorgen und Nöten verständnisvoll begegnen wollen, ihnen Hilfen und Auswege aus ihrer oftmals sehr schwierigen Situation anbieten wollen und so dem Anspruch der Bundesrepublik Deutschland, ein sozialer Rechtsstaat zu sein, gerecht werden.
Ich meine, nicht die Formalie einer Beratung kann dem gerecht werden, sondern nur eine Beratung, die echte Hilfen anbieten kann und deutlich macht, daß es hier um die Erhaltung des ungeborenen Lebens geht.Die CDU/CSU wollte und will durch die Aufnahme einer sozialmedizinischen Indikation aber auch jenen Fällen Rechnung tragen, von denen das Bundesverfassungsgericht zu Recht sagte, daß eine Frau dann nicht bestraft werden soll, wenn ihr ein anderes Verhalten nicht zumutbar ist. Bei dieser Lösung, meine Damen und Herren, wäre demSchutz des ungeborenen Lebens in gleicher Weise entsprochen worden wie der Einsicht, daß es Verhaltensweisen gibt, die mit den Mitteln des Strafrechts nicht erzwungen werden können.Ich sage es noch einmal: Wir bedauern, daß ein solcher Weg im Interesse der Frauen und im Interesse des Rechtsgutes des ungeborenen Lebens nicht möglich war.
Das Wort hat der Abgeordnete von Schoeler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die Fraktion der Freien Demokraten möchte ich folgende Erklärung abgeben: Mit der heutigen letzten Entscheidung dieses Hauses über die Reform des § 218 wird nach der Ablehnung der Fristenregelung durch das Bundesverfassungsgericht doch noch der Weg frei für eine gesetzliche Regelung, die so klar und so übersichtlich ist, daß jede Frau, jeder Arzt und alle, die dieses Gesetz anwenden werden, es verstehen können. Es wird der Weg frei für ein Gesetz, das den Konfliktsituationen vieler Frauen gerecht wird, das so menschlich ist, daß es von den Frauen angenommen werden kann.
Wo der Staat sich bisher durch die Strafandrohung eine bequeme Ausrede für fehlende soziale Hilfen geschaffen hat, soll in Zukunft eine ehrlichere Regelung gelten, eine Regelung, die Beratung und soziale Hilfen in den Vordergrund stellt. Gerade weil die Beratung das Kernstück der Reform ist, war es für uns Freie Demokraten wichtig, daß die Einzelregelungen des Gesetzes sicherstellen, daß die Frauen den Weg zur Beratung auch finden.
Die von der CDU/CSU geforderte Bürokratisierung des Verfahrens, Formalismen und Hindernisse können wir nicht akzeptieren. Nach ihrem Vorschlag müßte die betroffene Frau zunächst den Gang zur Beratungsstelle machen. Sie müßte sich dann der medizinischen Beratung durch einen Arzt, sodann der sozialen Beratung durch zwei weitere Ärzte unterziehen, und diese Ärzte könnten auch nicht irgendwelche beliebigen, sondern nur besonders ausgewählte Ärzte sein. Erst dann, am Ende eines langen Weges, könnte diese Frau den Gang zu dem Arzt machen, der den Eingriff vornehmen dürfte. Dieser Weg wäre so kompliziert, er enthielte so viele Hindernisse, daß die Frauen ihn nicht gehen, sondern weiter in die Illegalität gedrängt würden. Was aber nützt uns eine Beratungsregelung, die sich, aufs Papier geschrieben, schön liest, das Gewissen der Gesellschaft beruhigt, aber in der Wirklichkeit nicht funktioniert?
Der von FDP und SPD gemeinsam vertretene Verfahrensvorschlag öffnet dagegen tatsächlich den Weg zur Beratung. Die Möglichkeit für die Frau, sich an jeden Arzt ihres Vertrauens zu wenden, ist dabei ebenso wichtig wie die Straffreiheitsklausel. Verbunden mit dem auch vom Bund unterstützten
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von Schoeler
Ausbau des Netzes an Beratungsstellen und den bereits verabschiedeten sozialen Maßnahmen wird das heute verabschiedete Gesetz den Schutz werdenden Lebens wirksamer gewährleisten als die blanke Strafandrohung des alten § 218.
Gleichzeitig schützt das Gesetz vor Mißbrauch durch Geschäftemacher. Ärzte, die um des Profits willen gemeinsame Sache machen, werden sich auch in Zukunft strafbar machen. Ihnen kann es untersagt werden, weiter an Abtreibungen mitzuwirken. Wenn der Eingriff nur in einem Krankenhaus oder in einer besonders zugelassenen Einrichtung vorgenommen werden kann, besteht die Möglichkeit, der Geschäftemacherei in unseriösen Abtreibungskliniken einen Riegel vorzuschieben. Dies kann allerdings nur dann völlig gelingen, wenn auch die CDU/CSU in ihren eigenen Reihen dafür sorgt, daß Kreistagsbeschlüsse wieder verschwinden, die es den Ärzten verbieten wollen, dieses Gesetz anzuwenden.
Die Vorschläge der Opposition zur Beratungsregelung und zur Formulierung der Indikation waren restriktiver als die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. CDU und CSU haben sich vom Geist der Bevormundung nicht lösen können. Deswegen wirkt es merkwürdig, wenn Sie sich jetzt zum Verteidiger des Regierungsentwurfs aus der 6. Legislaturperiode machen, da Sie doch mit Ihren eigenen Vorschlägen weit dahinter zurückbleiben.
Wir Freien Demokraten, die wir immer die Fristenregelung befürwortet haben, konnten jedenfalls keinem Gesetz unsere Zustimmung geben, das weit hinter dem zurückbleibt, was die Richter in Karlsruhe für zulässig erklärt haben.
Die Reform des § 218 stellt einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung auf mehr Liberalität in unserer Gesellschaft dar. Wir Freien Demokraten werden daher den Einspruch des Bundesrates zurückweisen.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Abstimmung. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Der Antrag ist hinreichend unterstützt.Ich möchte nur noch einmal erklären, was Inhalt der Abstimmung ist. Nach § 92 unserer Geschäftsordnung erfolgt die Abstimmung über den Einspruch des Bundesrates durch Zählen der Stimmen oder namentliche Abstimmung. Um den Einspruch des Bundesrates, der mit Mehrheit seiner Stimmen beschlossen worden ist, zurückzuweisen, bedarf es der Mehrheit der Mitglieder dieses Hauses. Das heißt, es müssen sich mindestens 249 Stimmen für die Zurückweisung des Antrags ergeben. Wer den Einspruch zurückweisen will, muß mit Ja stimmen. Das heißt, wer den früheren Beschluß des Bundestages bestätigen will, muß mit Ja stimmen, wer ihn nicht bestätigen will, muß mit Nein stimmen.Ich bitte nunmehr, mit der Abgabe der Stimmen zu beginnen. —Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Insgesamt haben 435 voll stimmberechtigte Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben. Von diesen haben 265 mit Ja gestimmt
und 170 mit Nein; keine Enthaltung. Von den Berliner Abgeordneten haben 20 ihre Stimme abgegeben. Davon haben 15 mit Ja und fünf mit Nein gestimmt.
ErgebnisAbgegebene Stimmen 435 und 20 Berliner Abgeordnete; davonja: 265 und 15 Berliner Abgeordnete, nein: 170 und 5 Berliner AbgeordneteJa SPDAdams Ahlers Dr. AhrensAmling Anbuhl Dr. ApelArendt Dr. Arndt (Hamburg) AugsteinBaack Bäuerle BahrBarcheDr. BardensDr. BayerlBecker BehrendtBiermannBlankDr. Böhme BörnerFrau von Bothmer BrandtBrandt BredlBrück BuchstallerBiichler
Büchner
Dr. von Bülow BuschfortDr. BußmannCollet ConradiCoppikDr. CorterierFrau Däubler-Gmelin Dr. von Dohnanyi DürrEckerlandDr. EhmkeDr. EhrenbergFrau Eilers Dr. EmmerlichDr. EndersEngholmDr. EpplerEsters Ewen FellermaierFiebigDr. Fischer FlämigFrau Dr. FockeFranke
Frehsee Friedrich GanselGeigerGerlach
Gerstl
Gertzen Dr. Geßner Glombig Dr. Glotz Frau Dr. GlotzGnädinger GrunenbergDr. Haack HaarHaase
Haase HaehserDr. HaenschkeHalfmeier Hansen HauckDr. Hauff HenkeHeroldHöhmann Hofmann Dr. Holtz HornFrau HuberHuonkerImmer
Jahn
Jaschke Jaunich Dr. Jens Junghans JunkerKaffkaKaterKernKoblitzKonrad KratzDr. KreutzmannKrockert Kulawig Lambinus LangeLattmannDr. Lauritzen
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Vizepräsident Frau FunckeLautenschlagerLeberLempLendersFrau Dr. LepsiusLiedtke Löbbert Dr. LohmarLutzMahne MarquardtMarschallMatthöferFrau MeermannDr. Meinecke Meinike (Oberhausen) MetzgerMöhringDr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller
Müller
Müller Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNeumannDr.-Ing. OettingOffergeldFreiherrOstman von der Leye PawelczykPeiterDr. PennerPensky PeterPolkehn Porzner Rapp
Rappe
RavensFrau Dr. RehlenReiserFrau RengerReuschenbachRichter Röhlig RohdeRosenthalSander SaxowskiDr. SchachtschabelSchäfer
Dr. Schäfer SchefflerScheuFrau SchimschokSchinzel Schirmer Schlaga SchluckebierDr. Schmidt Schmidt (Hamburg) Schmidt (München) Schmidt (Niederselters) Schmidt (Wattenscheid) Schmidt (Würgendorf)Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeDr. Schöfberger SchonhofenSchreiber Schulte
SchwabeDr. SchweitzerDr. Schwencke Dr. Schwenk (Stade) SeefeldSeibert SimonSimpfendörferDr. SperlingSpilleckeStahl
Frau SteinhauerDr. StienenSuckSundTietjenFrau Dr. TimmTönjes Urbaniak Vahlberg VitDr. Vogel VogelsangWalkhoff WaltematheDr. Weber
Wehner Wende Wendt Dr. WernitzWestphal Wiefel WilhelmWimmer WischnewskiDr. de WithWittmann WolfWolfram WredeWürtzWüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch ZeitlerBerliner AbgeordneteBühlingDr. DübberEgertGrimmingFrau GrützmannLöffler Männing Mattick Dr. SchellenbergFrau SchleiSchwedlerSieglerschmidtCDU/CSUSickBerliner AbgeordneteFrau Berger WohlrabeFDPDr. AchenbachDr. BangemannBaumDr. Böger ChristEngelhardFrau FunckeGallusGeldner Grüner Hölscher HoffieJungKirstKleinertKrallDr. Kreibaum Dr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff LogemannFrau LüdemannDr. Dr. h. c. MaihoferDr. h. c. Mertes MischnickMöllemann OlleschOpitzPeters SchleifenbaumSchmidt
von Schoeler Frau Schuchardt SpitzmüllerDr. Vohrer Dr. WendigWolfgramm WurbsZywietzBerliner Abgeordnete HoppeFraktionslosEmeis Nein CDU/CSUDr. AbeleinAlbervon Alten-Nordheim BaierDr. BarzelDr. Becker
Frau BenedixBenz Berger BewerungeBiecheleBiehleDr. Dr. h. c. BirrenbachDr. von BismarckDr. Blümvon BockelbergBöhm
Braun BreidbachBremmBurgerCarstens
Dr. Carstens Dr. CzajaDammvan DeldenDreyerEigenDr. ErhardErhard ErnestiDr. EversEyDr. EyrichFreiherr von Fircks Franke
Dr. FranzDr. FuchsGerlach GewandtGierensteinDr. GölterDr. GötzDr. GraßDr. GruhlHaase
Dr. HäfeleDr. HammansHandlosHauser Hauser (Krefeld)Dr. Hauser
Dr. HeckHöcherl HöslDr. HornhuesHorstmeierDr. HupkaDr. JaegerJäger
Dr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJosten Katzer Kiechle Dr. Klein
Dr. Klein
Dr. Köhler
Dr. Köhler
Köster Krampe Dr. KraskeKroll-SchlüterFreiherrvon Kühlmann-StummDr. Kunz LampersbachLeicht LemmrichLenzer LinkLöher Dr. LudaDr. MarxMaucherDr. MendeDr. Mertes
MickDr. MikatDr. MiltnerMilzMöller
Müller
Dr. Müller-HermannDr. NarjesFrau Dr. NeumeisterNiegel NordlohneOrgaß Frau PackPfeffermannPfeifer Picard Pieroth PohlmannDr. ProbstRainer RaweReddemannFrau Dr. Riede
Dr. Riedl
Dr. RitgenDr. Ritz RollmannRommerskirchenSauer
Sauter
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinSchetterFrau SchleicherSchmidt
Schmitt
Schmitz
16662 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976Vizepräsident Frau FunckeSchmöleDr. SchneiderFrau Schroeder Schröder (Lüneburg) Schröder (Wilhelminenhof) Schulte
Dr. Schulze-VorbergSeiters Solke Dr. FreiherrSpies von Büllesheim SprangerDr. SprungDr. Stark
Dr. StavenhagenFrau StommelSusset de TerraThürk TillmannDr. TodenhöferFrau TüblerDr. UnlandVeharFrau VerhülsdonkVogel
VogtVolmerDr. WaffenschmidtDr. Waigel Frau Dr. WalzWawrzikWeber
WernerFrau Dr. WexFrau Will-FeldWindelen Wissebach Dr. Wittmann
Dr. Wörner Frau Dr. WolfDr. Wulff Dr. Zeitel ZeyerZieglerDr. ZimmermannZinkZoglmannBerliner AbgeordneteDr. Gradl Kunz
Müller
Frau Pieser StraßmeirDie nach Art. 77 Abs. 4 des Grundgesetzes erforderliche Mehrheit ist damit erreicht. Der Einspruch des Bundesrates ist zurückgewiesen.Herr Abgeordneter Freiherr Ostman von der Leye gibt zur Abstimmung gemäß § 59 der Geschäftsordnung eine Erklärung ab, die zu Protokoll genommen wird *) .Nunmehr kehren wir zu Tagesordnungspunkt 6, Arzneimittelgesetz, zurück.Das Wort hat Herr Abgeordneter Zeyer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien reden, vor allem in der Öffentlichkeit, ständig davon, Maßnahmen zu ergreifen, um die Kostenflut im Gesundheitswesen einzudämmen und den Verbraucherschutz zu verbessern. Wenn sie dann aber konkret gefordert werden, ist davon meist nicht mehr viel zu verspüren. Oftmals weiß dann die Linke nicht, was die Rechte tut. So war es auch bei den Beratungen zu diesem Gesetz.Dem Hohen Hause liegen heute noch zwei Gesetzentwürfe vor, die den gleichen Fall regeln sollen. Ich meine das jetzt zur Beratung und Beschlußfassung anstehende neue Arzneimittelgesetz mit seinem § 72 und den Entwurf eines Gesetzes über Regelungen auf dem Arzneimittelmarkt. Die Vorschrift des § 72 des Arzneimittelgesetzes ist inhaltlich identisch mit Art. 1 des Gesetzes über Regelungen auf dem Arzneimittelmarkt. Für das eine Gesetz zeichnet Frau Minister Focke verantwortlich, für das andere Herr Minister Dr. Friderichs.Nach beiden Vorschriften soll der Bundeswirtschaftsminister ermächtigt werden, zur Senkung des Arzneimittelpreisniveaus durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats Preisspannen*) Anlage 2 für Arzneimittel im Groß- und Apothekenhandel festzusetzen. In den von der Bundesregierung bereits im vergangenen Jahr mit großem publizistischem Aufwand verkündeten sogenannten Eckwerten zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes wurde dazu gesagt, daß die Apothekenspanne im Durchschnitt um 3,4 % bei gleichzeitiger Senkung des Kassenrabatts von 7 % auf 5 % gesenkt werden soll.Der Parlamentarische Staatssekretär Grüner aus dem Bundeswirtschaftsministerium erklärte in der Sitzung des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages am 31. März dieses Jahres, daß zwichen der Senkung der Arzneimittelpreise und der Senkung des Kassenrabatts nach Auffassung der Bundesregierung ein unauflösbarer Zusammenhang bestehe. Als meine Fraktion hierauf beantragte, auch die Art. 2 bis 4 des Gesetzentwurfs über Regelungen auf dem Arzneimittelmarkt in das Arzneimittelgesetz einzubauen, um für den Bundeswirtschaftsminister rasch die Voraussetzungen für eine Senkung der Arzneimittelpreise zu schaffen, wurde dieser Antrag auf Vorschlag des Kollegen Dr. Graf Lambsdorff mit der Stimmenmehrheit der Koalition abgelehnt.
In der gestrigen Sitzung des Wirtschaftsausschusses haben SPD und FDP mit ihrer Mehrheit die Verabschiedung des Gesetzentwurfs über Regelungen auf dem Arzneimittelmarkt, den Staatssekretär Grüner wiederum begründete, ebenfalls abgelehnt. Sie taten das unter dem Vorwand, zunächst die Ergebnisse der Beratungen der mitberatenden Ausschüsse abwarten zu wollen. In dem gleichzeitig damit befaßten Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit vertagten die Koalitionsfraktionen mit ihrer Stimmenmehrheit die Beratung mit dem Hinweis, erst das Ergebnis der Beratung im Wirtschaftsausschuß abwarten zu wollen. Diese Vorgänge werfen ein bezeichnendes Licht auf den inneren Zustand dieser Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen.
Regierung und Koalition sind nicht mehr in der Lage, sachlich fundierte, ausgereifte und aufeinander abgestimmte Vorhaben im Gesetzgebungsverfahren zu verwirklichen. Man gewinnt zunehmend den Eindruck, daß mühsam zustande gekommene Koalitionsabsprachen — um nicht zu sagen: Koalitionshändel — sie daran hindern.Dieser Verdacht hat sich auch bei den Schlußberatungen des Arzneimittelhaftungsrechts aufgedrängt. Lassen Sie mich hierzu im einzelnen Stellung nehmen.Der vorliegende Gesetzentwurf sieht die Einführung einer verschuldensunabhängigen Produzentenhaftung für den Arzneimittelsektor vor. Es ist vor allem rechtspolitisch nicht unproblematisch, eine solche Reform nur in einer Branche durchzuführen. Außerdem arbeiten sowohl der Europarat als auch die Europäische Kommission an einer europäischen Lösung einer allgemeinen Produzentenhaftung. Die
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Zeyerin Vorbereitung befindliche Richtlinie der Kommission wird für alle Mitgliedstaaten verbindlich sein. Die Bundesrepublik wird daher eine vorgezogene Lösung auf dem Arzneimittelmarkt in absehbarer Zeit wieder dieser kommenden EG-Richtlinie anpassen müssen.Der Regierungsentwurf sah zur Sicherstellung der Ansprüche der Geschädigten einen öffentlich-rechtlichen Fonds vor, der in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts errichtet werden sollte. Von dieser Lösung ist man im Verlaufe der Beratungen abgerückt. In der Schlußphase der Ausschußberatungen wurden nur noch die sogenannte Versicherungslösung und das Modell eines Arzneimittelentschädigungsvereins als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit als eine Selbsthilfeeinrichtung der pharmazeutischen Industrie, daher auch kurz Pharma-Lösung genannt, diskutiert. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat dem Modell eines Arzneimittelentschädigungsvereins als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit aus Kostengründen und wegen des besseren Verbraucherschutzes den Vorzug gegeben und hält hieran fest. Sie hat dem Hohen Hause entsprechende Änderungsanträge zur Beschlußfassung vorgelegt, auf die ich mich aus Zeitgründen schon jetzt beziehen darf.Die Pharma-Lösung ist billiger als die Versicherungslösung. Dies wird auch nicht ernsthaft bestritten. Der für diese Fragen zuständige Bundeswirtschaftsminister Dr. Friderichs hat in den Beratungen des Wirtschaftsausschusses in der Sitzung vom 17. März dieses Jahres erklärt, daß sich die Abteilung IV seines Hauses für die Pharma-Lösung ausgesprochen habe, weil nach dieser Lösung die mittleren und kleineren Unternehmen tatsächlich geringer belastet würden. Die Befürworter der PharmaLösung hätten auch die Befürchtung, daß die Haftungsgrenze von 200 Millionen DM in der Versicherungslösung ein Präjudiz für die Haftungsgrenzen bei späterer Produktenhaftung in anderen Bereichen sein werde. Sein Haus, also das Bundeswirtschaftsministerium, habe sich daher mit knapper Mehrheit für die Pharma-Lösung entschieden.Meine Fraktion teilt die Bedenken des Bundeswirtschaftsministeriums in vollem Umfang. Die Versicherungslösung ist mit Sicherheit teurer als die Pharma-Lösung. Der Kostenunterschied liegt bereits im System begründet. Bei der Versicherungslösung müssen die Prämien Jahr für Jahr gezahlt werden, auch wenn kein Schaden anfällt. Bei der Pharma-Lösung tritt, abgesehen von der Einzahlung des vom Versicherungsaufsichtsamt vorgeschriebenen Gründungsstocks, auf Grund des Umlagenprinzips eine Belastung der Unternehmen erst dann ein, wenn entsprechend hohe Schäden zu bezahlen sind.Der Arzneimittelentschädigungsverein finanziert sich dann durch Beiträge, die jährlich maximal 0,5 °/o des in der Bundesrepublik Deutschland erzielten Arzneimittelumsatzes des betreffenden Herstellers betragen, wobei eine besondere Risikostaffelung vorgesehen ist. Der von den Arzneimittelherstellern in der Bundesrepublik Deutschland erzielte Umsatz belief sich im Jahre 1975 auf rund 8 Milliarden DM. Somit stünden für Entschädigungsleistungen jährlich 40 Millionen DM zur Verfügung. Dieser Betrag reicht auch bei Großschäden aus, weil sich die Aufwendungen zur Schadensregulierung jeweils auf mehrere Jahre verteilen. Hierbei ist zudem von Bedeutung, daß auch nach der Versicherungslösung im Falle der Tötung oder Verletzung mehrerer Menschen durch das gleiche Arzneimittel der Ersatzpflichtige nur bis zu einem Kapitalbetrag von 200 Millionen DM oder bis zu einem Rentenbetrag von 12 Millionen DM jährlich haftet. Erfahrungsgemäß entscheiden sich bei Dauerschäden die Geschädigten in ihrer großen Mehrzahl für eine Rente. Dies hat vor allem auch der schlimme Contergan-Fall gelehrt. Nur 8 °/o der Eltern geschädigter Kinder haben von der Möglichkeit, die Rente zu kapitalisieren, Gebrauch gemacht. Daraus folgt, daß selbst in dem ganz unwahrscheinlichen Fall, daß zwei Großschäden in kürzerem Abstand eintreten, aus der Umlage von 40 Millionen DM jährlich noch genügend Mittel zur Verfügung stehen, um auch im zweiten Großschadensfall die Entschädigungsleistungen zu erbringen.Zudem wird die Arzneimittelsicherheit durch den vorliegenden Gesetzentwurf, der eine Zulassungspflicht mit strenger Prüfung einführt, wesentlich verbessert. Es ist sein erklärtes Ziel, eine optimale Arzneimittelsicherheit zu verwirklichen. Leider werden sich selbst nach Verabschiedung dieses Gesetzes Großschäden nicht mit letzter Sicherheit ausschließen lassen; die Wahrscheinlichkeit des Eintritts verringert sich jedoch erheblich.Die Versicherungswirtschaft hat erst nach langem Zuwarten eine versicherungsrechtliche Lösung angeboten. Diese sieht zunächst eine Aufstockung des bestehenden Deckungsschutzes für jedes pharmazeutische Unternehmen auf 10 Millionen DM vor. Die dadurch eintretende Erhöhung der derzeitigen Prämien wird auf durchschnittlich 0,1 °/o des inländischen Umsatzes des betreffenden Herstellers beziffert. Darüber hinaus bieten die Versicherer in Zusammenarbeit mit einem internationalen Rückversicherungspool Deckungsschutz für weitere 190 Millionen DM gegen eine Zusatzprämie von 0,3 °/o an. Die gesamte Prämienerhöhung würde demnach 0,4 °/o des inländischen Arzneimittelumsatzes des jeweiligen Herstellers ausmachen.
Der Bundesfachverband der Heilmittelindustrie hat allerdings andere Zahlen genannt, und auch Bundeswirtschaftsminister Dr. Friderichs beurteilt diese Darstellung sehr skeptisch; denn er hat in der Sitzung des Wirtschaftsausschusses am 17. März dieses Jahres bemerkt, die von der Versicherungswirtschaft vorgelegten Zahlen seien keine Entscheidungshilfe gewesen, da diese Zahlen nicht auf Fakten beruhten.Unterstellt man aber einmal die Richtigkeit der Angaben der Versicherungswirtschaft, so bedeutet dies bei einem jährlichen inländischen Arzneimittelumsatz von 8 Milliarden DM im Jahre 1975 für die
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ZeyerHersteller eine zusätzliche Kostenbelastung von 32 Millionen DM, die in die Kalkulation der Herstellerabgabepreise eingehen muß. Der Herstellerabgabepreis beträgt wegen der Großhandelsspanne, der Apothekenspanne und der Mehrwertsteuer nur 47 °/o des Verkaufspreises der öffentlichen Apotheken. Nach den Angaben des Bundesverbandes der pharmazeutischen Industrie ist in diesem Jahr mit einem Endverbraucherumsatz von 16 Milliarden DM zu rechnen. Eine Verteuerung im Falle der versicherungsrechtlichen Lösung um 0,4 °/o würde somit die Arzneimittelkosten um jährlich 64 Millionen DM erhöhen.Nach der Beschlußfassung im federführenden Ausschuß soll die sogenannte Subsidiaritätsklausel bei der Versicherungslösung fallen. Dadurch müßten die Prämien noch einmal angehoben werden. Die Versicherer sprechen in diesem Zusammenhang von einer weiteren Erhöhung des Prämiensatzes um zirka 0,1 °/o, ohne sich indessen bisher festgelegt zu haben.
— Herr Präsident, ich bitte sehr um Entschuldigung. Mir war nicht bekannt, daß eine Beschränkung der Redezeit angeordnet war.
Die Geschäftsordnung sieht, wenn keine Anträge auf Verlängerung vorliegen, eine Redezeit von einer Viertelstunde vor.
Verehrter Herr Präsident, dann darf ich vielleicht nachher zur Begründung der Anträge im einzelnen noch einmal das Wort nehmen. Ich bitte sehr um Verständnis. Die Regelung war mir nicht bekannt. Es geht hier um das eigentliche Kernstück des gesamten Haftungsrechts bei Arzneimittelschäden, so daß diese Anträge dann noch einmal im einzelnen begründet werden müssen.
Fahren Sie bitte fort, damit wir nicht nachher noch einmal damit beginnen müssen. Es ist durch die Unterbrechung der Beratung durch die namentliche Abstimmung zum geschäftsordnungsmäßigen Ablauf ohnehin einiges zu klären. Ich komme darauf zurück, wenn Sie mit Ihren Darlegungen am Ende sind.
Vielen Dank, Herr Präsident!Nach der Beschlußfassung im federführenden Ausschuß soll die sogenannte Subsidiaritätsklausel bei der Versicherungslösung fallen. Dadurch müßten die Prämien noch einmal angehoben werden. Die Versicherer sprechen in diesem Zusammenhang von einer weiteren Erhöhung des Prämiensatzes von ca. 0,1 °/o, ohne sich indessen bisher festgelegt zu haben. An der Festlegung mangelt es auch bei den übrigen von den Versicherern genannten Prämiensätzen. Dies gilt sowohl für die Prämie der Basisdeckung von 10 Millionen DM als auch für die Anschlußversicherung von 190 Millionen DM. Die Versicherungswirtschaft ist nach ihren eigenen Angaben nicht in der Lage, eine Prämiengarantie zu geben, vor allem keine zeitliche. Die Rückversicherung aller Anschlußversicherungen erfolgt über einen speziellen Rückversicherungspool. Die Versicherer müssen den 50 bzw. 70 Millionen DM übersteigenden Teil ihrer Deckung bei einem internationalen Rückversicherungspool einkaufen. Dessen Prämienkalkulation kann aber weder von den deutschen Behörden noch von den Pharmaunternehmen überprüft werden. Diese Auslandsabhängigkeit ist um so gravierender, als zur Zeit anscheinend nur ein einziges Angebot auf dem internationalen Markt vorliegt. Es muß daher besorgt werden, daß sich die jetzt genannten Einstandsprämien im Falle der Versicherungslösung sehr schnell nach oben bewegen würden. Jedenfalls bietet die von dem federführenden Ausschuß mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen beschlossene Regelung überhaupt keine Möglichkeit, dies zu verhindern oder dem auch nur entgegenzuwirken.Meine Damen und Herren, für uns ist auch folgendes entscheidend gewesen: Die Pharma-Lösung ist auch wesentlich verbraucherfreundlicher als die Versicherungslösung. Häufig nehmen Patienten während einer Behandlung gleichzeitig mehrere Medikamente verschiedener Hersteller ein. Tritt dabei ein Arzneimittelschaden auf, so haftet ein Hersteller nach der Versicherungslösung nur dann, wenn ihm nachgewiesen wird, daß sein Arzneimittel für den Schaden ursächlich gewesen ist. Bleibt offen, welches von mehreren Arzneimitteln den Schaden verursacht hat, so besteht entgegen der anders lautenden und falschen Darstellung in den Ausschußberatungen keine gesamtschuldnerische Haftung der verschiedenen Hersteller. Vielmehr muß der Geschädigte nachweisen, welches Mittel den Schaden verursacht hat, sonst vermag er keinen Ersatz zu erlangen. Auch die in dem Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit am 28. April dieses Jahres gegebene Darstellung ist insoweit falsch.Dagegen muß der nach unserem Vorschlag zu errichtende Arzneimittelentschädigungsverein in diesem Falle dem Geschädigten Ersatz leisten; denn dieser braucht bei unserem Lösungsvorschlag nur den Nachweis zu erbringen, daß der Schaden durch ein Arzneimittel verursacht worden ist, wäre aber nicht gezwungen, nachzuweisen, welches bestimmte Arzneimittel für den Schaden ursächlich gewesen ist. Es wäre dann Sache des Arzneimittelentschädigungsvereins, dies festzustellen, um gegebenenfalls gegen den Hersteller Regreß nehmen zu können. Außerdem muß der Arzneimittelentschädigungsverein im Falle der Insolvenz des Herstellers dem Geschädigten Ersatz leisten.Im Verlaufe der Beratungen sind sowohl rechtsals auch ordnungspolitische Einwendungen gegenüber unserem Vorschlag gemacht worden. Diese haben sich inzwischen als unbegründet herausgestellt oder konnten ausgeräumt werden. So hat Herr Kollege Egert von der SPD in der Beratung des federführenden Ausschusses am 19. März erklärt, daß das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen einen Versicherungsverein auf Gegen-
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Zeyerseitigkeit mit der auf 40 Millionen DM limitierten Vorausumlage nicht genehmigen werde. Diese Darstellung ist unrichtig. Aus einem Schreiben des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungswesen an den Bundesverband der pharmazeutischen Industrie vom 22. März dieses Jahres, das mir in Photokopie vorliegt, geht hervor, daß keine versicherungsaufsichtsrechtlichen Bedenken gegen eine solche Lösung bestehen. Dies folgt auch bereits aus einem Gutachten von Herrn Professor Reichert-Facilides, Innsbruck, vom 1. März 1976. Vereinzelt sind auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Pharma-Lösung vorgebracht worden. Diese sind, wie sich aus einem Gutachten von Professor Bullinger, Freiburg, vom April dieses Jahres ergibt, ebenfalls nicht begründet.Um aber auch die letzten Zweifel auszuräumen, sehen unsere in der zweiten Lesung vorgelegten Änderungsanträge vor, daß keine Zwangsmitgliedschaft in dem Arzneimittelentschädigungsverein begründet wird, wohl aber die Mittel, die für die Durchführung der Aufgabe des Vereins benötigt werden, auf Grund öffentlich-rechtlicher Verpflichtung durch Beiträge aller Arzneimittelhersteller aufzubringen sind. Dies entspricht im übrigen der Regelung über die Insolvenzsicherung in dem Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19. Dezember 1974. Die Pharma-Lösung steht auch im Einklang mit den Vorstellungen einer freien, vom Wettbewerb geprägten Wirtschaftsordnung. Der privatrechtliche Zwangssicherungsverband eines bestimmten Wirtschaftszweiges bleibt Teil der privaten Wirtschaft und genießt vollen Grundrechtsschutz, wie Professor Bullinger in seinem Gutachten vom April dieses Jahres zutreffend ausführt. Das Argument, die Versicherungslösung entspreche der Arbeitsteilung in der Marktwirtschaft, erscheint, wie Wilhelm Seuß in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 22. April dieses Jahres richtig bemerkt hat, nicht ganz zutreffend, da die Marktwirtschaft keine Privilegien kennt.Meine Damen und Herren, das deutsche Haftungsrecht beruht auf dem Prinzip der individuellen Verantwortung. Die Schadensersatzpflicht soll das Unternehmen treffen, das den Schaden verursacht hat. Dadurch soll das Unternehmen zu größtmöglicher Sorgfalt angehalten werden. Andererseits wird das Prinzip der individuellen Verantwortung aus gutem Grund von dem Gesetzgeber dann eingeschränkt, wenn es die daraus resultierende Steuerungs- bzw. Präventivfunktion nicht mehr oder nicht genügend erfüllen kann oder eine gesamtwirtschaftlich nicht vertretbare Kostenbelastung eintreten würde. Das ist z. B. auch bei der Sicherung der Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung geschehen. Die in engem Zusammenwirken zwischen der Bundesregierung und dem Kreditgewerbe ausgearbeitete Einlagensicherung der Banken beruht im Prinzip auf genau denselben Erwägungen.Unsere Vorschläge tragen all diesen Überlegungen Rechnung. Zahlt der Verein eine Entschädigung, obwohl der Hersteller den Schaden schuldhaft verursacht hat, so geht der Anspruch des Geschädigten in voller Höhe auf den Verein über. Insoweit bleibt es also bei der individuellen finanziellen Verantwortlichkeit des Einzelunternehmers. Das Unternehmen soll durch das Risiko der individuellen Schadensersatzpflicht zu größtmöglicher Sorgfalt angehalten werden. Für unverschuldete Arzneimittelschäden wird eine solche finanzielle Verantwortung im Innenverhältnis zwischen dem Arzneimittelentschädigungsverein und dem Hersteller nach § 91 Abs. 3 unseres Vorschlages bis zu einem Höchstbetrag von 5 Millionen DM begründet. Damit wird auch insoweit an der individuellen Haftung festgehalten. Nur für ausgesprochene Großschäden, die über den Betrag von 5 Millionen DM hinausgehen, wird aus den vorgenannten Gründen die individuelle Verantwortung durch eine Solidarhaftung ersetzt. Contergan war bisher in der Bundesrepublik der einzige Arzneimittelfall mit Schäden über 5 Millionen DM. Umgekehrt könnte die Versicherungslösung manchen Hersteller dazu verleiten, nicht jede mögliche Sorgfalt zu beachten, denn er hätte keinen Regreß zu besorgen.Nach den Beschlüssen des federführenden Ausschusses soll die im Regierungsentwurf vorgesehene Subsidiarität der Entschädigungsansprüche nach diesem Gesetz gegenüber den Leistungen der Sozialversicherungsträger, Arbeitgeber etc. entfallen. Der Wegfall der Subsidiaritätsklausel könnte bei Großschäden den Schutz der Geschädigten erheblich verschlechtern. — Der HUK-Verband hat in einem Schreiben vom 26. Januar 1976 an das Bundesjustizministerium hierauf hingewiesen; denn Regreßansprüche von Sozialversicherungsträgern etc. würden das Haftungspotential von 200 Millionen DM bzw. den jährlichen Rentenhöchstbetrag von 12 Millionen DM erheblich schmälern.Ich muß zusammenfassen. Unser Vorschlag ist kostengünstiger und verstärkt zum anderen ganz erheblich den Verbraucherschutz, den Schutz der Geschädigten. Aus diesem Grunde möchte ich Sie jetzt schon bitten, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, unseren entsprechenden Änderungsanträgen zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, angesichts der Geschäftslage verfahren wir am besten gemäß dem Vorschlag des amtierenden Präsidenten, d. h., wir fahren zunächst in der Begründung der Änderungsanträge und der Diskussion über sie fort und stimmen noch nicht ab.
Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Dr. Däubler-Gmelin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte in der Tat zu dem gleichen Punkt reden, zu dem Herr Zeyer soeben schwerpunktmäßig Stellung genommen hat, nämlich zu der Frage der Entschädigungsregelungen.Lassen Sie mich dazu eine Bemerkung vorweg machen. Ich habe es sehr begrüßt, daß es in den letzten anderthalb Jahren möglich war, unter Prinz Botho im Unterausschuß diese doch sehr schwierige
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Frau Dr. Däubler-Gmelinund teilweise sehr technische Materie in einem Klima der offenen Diskussion zu behandeln. Um so mehr habe ich es bedauert, als ich dann außerhalb dieses Hauses — da hatte ich ja auch die Ehre, mit Kollegen der Opposition diskutieren zu können — feststellen mußte, daß plötzlich das, was Sie intern vertreten hatten, gar nicht mehr wahr war. Warum sage ich das an dieser Stelle? Ich sage es deshalb, weil der vorliegende Antrag, der sich auf den 16. Abschnitt, also auf den Arzneimittelentschädigungsfonds, bezieht, mir in diese Art Verwirrspiel ungeheuer gut hineinzupassen scheint. Es ist Ihnen doch bekannt, daß wir im Rechtsausschuß Ihren Änderungsantrag trotz seiner enormen juristischen Probleme nicht einmal gesehen haben. Dieser Antrag wurde von Ihnen in dieser Form erst vorgelegt, als wir mit den Beratungen fertig waren. Am 19. März haben Sie ihn im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit vorgelegt. Dort wurden Sie darauf hingewiesen, daß er große juristische Probleme enthalte. Dennoch legen Sie ihn vor und dazu ist die Fassung vom 19. März noch nicht einmal die gleiche, die Sie uns heute hier als Änderungsantrag präsentieren.
: Na und?) — Sie sagen „na und".
— Prinz Botho, einen Moment, Sie dürfen gleich fragen. Aber ich möchte gerne noch diesen Satz zu Ende reden. Wenn ich Ihren Anspruch ernst nähme, müßte ich wegen dieses Verfahrens wütend sein, auch wenn Ihr Antrag in sich schlüssig, juristisch begründet und vernünftig wäre. Da der Antrag aber weder in sich schlüssig — das werde ich gleich beweisen — noch vernünftig ist, muß ich dieses Verfahren noch viel mehr rügen. Ich bin der Meinung, dieser Antrag hätte ausführlich auch im Rechtsausschuß diskutiert werden müssen. Sie hätten sich dann damit weniger blamiert, als Sie es so tun.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein?
Herr Kollege, das ist bereits außerhalb der Geschäftsordnung.
Frau Kollegin, würden Sie bitte auch zur Kenntnis nehmen, daß die Regierung immerhin vier Entwürfe vorgelegt hat, nämlich den ersten und zweiten Referentenentwurf, dann den Regierungsentwurf und dann noch einen weiteren? Daraus können Sie ersehen, wie schwierig die Materie ist.
Das habe ich doch nie bestritten. Um Gottes willen, ich hätte Ihnen niemals vorgeworfen, wenn Sie, sagen wir einmal, sich entweder frohen Herzens unserem Entwurf angeschlossen hätten, der ja nun wirklich lange genug durchberaten wurde, unter anderem dank Ihrer Hilfe, oder wenn Sie irgend etwas vorgelegt hätten, was zumindest vom Rechtsausschuß als dem zuständigen begleitenden Ausschuß als unproblematisch hätte empfohlen werden können. Das ist aber nicht der Fall.Aber jetzt lassen Sie mich sehr deutlich sagen, was ich an diesem Antrag im einzelnen zu bemängeln habe.
— Gut, das ist Ihre Auffassung. Ich bin der anderen Meinung: Doch selbst wenn das Ihre Auffassung ist, müssen Sie diesem schlechten Beispiel nicht unbedingt folgen.
— Gut, ich schlage Ihnen dann vor, im Anschluß an meine Ausführungen zu reden. Sonst kommen Sie überhaupt nicht dazu, zu hören, warum der Antrag so schlecht ist — falls Sie ihn nicht gelesen haben.Meine Damen und Herren, ich darf meinen einzelnen Bemerkungen folgendes vorausschicken: Herr Zeyer, uns geht es zunächst einmal darum, bei der Arzneimittelentschädigungsregelung festzuhalten, daß derjenige Arzneimittelverbraucher, den wir trotz unseres neuen sichernden Gesetzes nicht davor bewahren konnten, Arzneimittelschäden zu erleiden, daß dieses Arzneimittelopfer also in die Lage versetzt wird, Ansprüche erstens zu haben und sie zweitens innerhalb einer vernünftigen Zeit durchsetzen zu können. Für uns sind also nicht Ihre Wertigkeiten — —
— Nein, ich habe genau aufgepaßt, womit Sie angefangen haben. Deswegen will ich hier ganz kontrapunktisch entgegensetzen: Uns geht es hier zuallererst um das Arzneimittelopfer. Wenn wir uns darüber im klaren sind — und ich nehme gerne zur Kenntnis, was Sie hier sagen —, dann wird doch dieses auch ein paar konkrete Auswirkungen haben müssen, unter anderem bei dem Problem, wie man ein Verfahren regelt. Es wird dann die Auswirkung haben müssen — und ich hoffe, daß Sie mir da zustimmen —, daß wir eine möglichst schnelle, eine reibungslose Entschädigungsregelung wählen, daß wir ein unbürokratisches Verfahren brauchen und daß jede Möglichkeit ausgeschlossen sein muß, den Schwarzen Peter von einem auf den anderen zu verschieben. Es ist gut, wenn hierüber Einigkeit besteht.Das bedeutet aber noch etwas mehr. Es bedeutet zusätzlich die Möglichkeit, daß der einzelne Geschädigte den vollen Entschädigungsbetrag auf einmal bekommen kann, weil er nämlich die Möglich-
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Frau Dr. Däubler-Gmelinkeit haben soll, ihn insgesamt anzulegen, wenn er will.
— Herr von Bismarck, Sie stimmen mir immer zu. Dann können Sie Ihren Antrag wirklich nicht gelesen haben. Passen Sie auf, es geht noch weiter:Wir wollen dann nur einen Anspruchsgegner des Geschädigten; und der darf nicht die Möglichkeit haben, irgendwie abhanden zu kommen. Ich sehe, auch hier besteht Einigkeit.Es bedeutet schließlich noch, unter einem ganz anderen Gesichtspunkt da bin ich sicherlich auch mit Ihnen einer Meinung, daß wir die Kosten möglichst niedrig halten müssen, um die Arzneimittelpreise nicht in die Höhe zu treiben —, daß eine Regelung nicht wettbewerbsverzerrend sein darf, und schließlich bedeutet es auch, daß die Innovationsfähigkeit auch bei den Haftungsregelungen gewährleistet sein muß.Jetzt messen wir doch einmal das, was Sie uns als Antrag vorlegen, an diesen Prämissen und stellen fest, wo die große Einigkeit besteht!Noch ein Satz vorher: Ich bestreite Ihnen, Herr Zeyer, nicht — und ich bestreite niemandem, der für eine andere Lösung eintritt —, daß man mit dem Konzept eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit optimale Schutzergebnisse erzielen könnte. Ich bestreite auch nicht, daß man mit Hilfe einer Regelung nach dem Konzept eines öffentlich-rechtlichen Entschädigungsfonds optimale Schutzergebnisse erzielen könnte. Was ich Ihnen nur betsreite, ist, daß Sie es mit dieser Regelung tun können.Das bestreite ich deswegen, weil Sie feststellen werden, wenn Sie sich z. B. einmal anschauen, wie es mit dem Schutz des Patienten, mit der Möglichkeit des Geschädigten aussieht, seine Rechte durchzusetzen, daß die von uns vorgelegte Regelung von vornherein eine direkte, verschuldensunabhängige Haftung vorsieht, damit dem Geschädigten ein Schuldner gegenübersteht. Wenn es hier Streit gibt, dann entscheiden sofort die Gerichte. Wir sehen damit eine schnellstmögliche Schadensfeststellung und eine schnellstmögliche Abwicklung vor. Wir haben eine unproblematische Regelung auch deshalb, weil wir nicht den verzwickten Weg der Anerkennung einer verschuldensunabhängigen Haftung lediglich im Innenverhältnis konstruieren — wie Sie es in § 91 Abs. 3 ihres Antrags vorsehen. Deswegen haben wir Ihre Umwege gar nicht nötig.Sie wollen hingegen folgendes Verfahren: Da gibt es einen Geschädigten. Der muß zunächst einmal zum Hersteller gehen. Der Hersteller prüft dann erst einmal, ob er meint, haften zu müssen. Das prüft er zunächst nach verschuldensrechtlichen Gesichtspunkten. Und dann — auch das steht in dem Entwurf — kann sich der Geschädigte erst, wenn der Hersteller in einer angemessenen Zeit nicht zahlt, an Ihren Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit wenden. Was heißt nun „angemessene Zeit"? Das wäre festzulegen. Es wäre weiterhin festzustellen: Was passiert denn nun, wenn der Geschädigte sich mit dem Hersteller nicht einigt, weder dem Grunde noch der Höhe nach, wenn er aber mit ihm lange verhandelt? Dann vergeht, Herr Zeyer, zumindest sehr viel Zeit.Und was passiert, wenn der Geschädigte endlich bei dem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit gelandet ist? — Dann setzt er sich mit diesem auseinander. Und wenn sie sich nicht einigen? Was passiert dann? Dann haben Sie auch noch eine Schiedsstelle eingebaut. Erst wenn diese Schiedsstelle absolviert ist, mit sämtlichen Verzögerungsmöglichkeiten — und ich brauche Ihnen nicht zu erzählen, wie man so etwas verzögern kann —, treten die Gerichte in den verschiedenen Instanzen ein.Was ergibt dann Ihr Verfahren? — Einen Hindernislauf, der sich über Jahre erstrecken kann und dessen ungeheure Gefährlichkeit Sie doch bei den Contergan-Fällen genauso beklagen wie wir.
— Entschuldigung, es geht doch gar nicht darum, daß ich der Meinung bin, wir hätten immer recht. Ich bin bloß der Meinung: Sie müssen sich auch einmal anschauen, was Sie hier den Geschädigten zumuten.Ein weiterer Punkt: Wir haben in unseren Regelungen festgelegt — da stimmten Sie mir freundlicherweise zu, Herr von Bismarck —, daß unser Entschädigungsbetrag auf einmal ausgezahlt werden soll, daß er voll kapitalisiert werden kann. Was wollen Sie? Sie wollen zunächst eine Ansammlung von Umlagen, Sie wollen dann eine Teilauszahlung, je nachdem, ob in einem Jahr viele Fälle, ob Großschäden auftreten. Und was kann nur das Ergebnis sein? Wenn es einmal zu einem Großschaden mit vielen Schadensfällen kommt, zahlen Sie — nach langer, langer Feststellungsdauer — nur Kleinstrenten und rufen damit genau wieder jene Ergebnisse hervor, die wir jetzt bei den Contergan-Renten so ungeheuer beklagen.
Auch hier ist das Interesse des Geschädigten überhaupt nicht in den Vordergrund gestellt. Auf die Vorschußpflicht von 100 Millionen DM komme ich im Zusammenhang mit den Kosten noch zu sprechen.Ein weiterer Punkt ist folgender.
— Es tut mir furchtbar leid; Sie hatten bereits die Möglichkeit, Ihre Meinung darzulegen; mir werden Sie gestatten müssen, die Schattenseiten Ihrer Regelung aufzuzeigen.Noch ein Weiteres kommt hinzu. Ihr Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit — es ist in dem Zusammenhang interessant, daß Sie, Herr Zeyer, dies mit der direkten Verantwortlichkeit des Herstellers in Verbindung gebracht haben — trägt auch dann, wenn er in Anspruch genommen wird, nur einen Teil der entstandenen Gesamtkosten. Warum das? — Weil er großzügig die Sozialversicherungsträger das ihrige bezahlen läßt, weil er den Dienst-
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Frau Dr. Däubler-Gmelinherren, den Arbeitgebern, den sonstigen Unterhaltsverpflichteten jeweils einen Teil an den Gesamtschäden überläßt. Ich werde nachher noch etwas zu den Kosten sagen. Denn daß eine Regelung unter Umständen kostengünstiger sein kann, wenn man einen Teil der Schäden einfach ausklammert, das glaube ich auch.Weitere Bedenken — ich kann sie hier nur stichwortartig aufzählen — sind folgende. Nach der Formulierung, die Sie uns vorgelegt haben, sind kulanzweise Erledigungen durch den Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit nicht vorgesehen.Zwei rechtstechnische Bedenken. Ich habe große Bedenken gegen die Konstruktion Ihres VVaG, und zwar einfach deswegen: Der wesentliche Unterschied zwischen Ihrem Vorschlag vom 19. März und der heutigen Vorlage besteht darin, daß Sie die Zwangsmitgliedschaft gestrichen haben. Aber dadurch, daß Sie die Zwangsmitgliedschaft einfach aus den Paragraphen herausstreichen, haben Sie das Problem nicht gelöst. Ihre öffentlich-rechtliche Beitragspflicht führt doch genau dorthin. Sie werden sich, ob Sie wollen oder nicht, mit dem Problem des Art. 9 des Grundgesetzes auseinandersetzen müssen.
— Es ist gut, daß Sie das sagen. Über diese Unterschiede gerade beim Pensionssicherungsverein haben wir sehr lange und detailliert gesprochen, übrigens auch im Rechtsausschuß. Ich könnte mir vorstellen, daß sich u. a. deswegen hier heute keiner Ihrer Kollegen aus dem Rechtsausschuß eingefunden hat, der dort über unseren Vorschlag und die Alternativen mitdiskutiert hat.Lassen Sie mich noch folgendes sagen, um noch einmal ein paar Bedenken aufzusummieren. Ich habe es durchaus begrüßt, daß Sie, Prinz Botho, in Ihrem Unterausschuß die Bürokratie immer sehr hart attackiert haben, natürlich in der Ihnen eigenen verbindlichen Form. Sie haben gesagt, die vorgelegten Regelungen seien nicht präzise genug, es gebe zu viele unbestimmte Ermächtigungen. Ich bitte Sie wirklich: Schauen Sie sich einmal die Konstruktion Ihres Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit in § 78 an! Wenn Sie mir dann sagen, das sei das, was Sie in gesetzlichen Regelungen an Bestimmtheit wollen, dann kann ich nichts mehr von dem ernst nehmen, was ich in den letzten anderthalb Jahren in bezug auf Sie ernst genommen habe.
Noch ein rechtstechnisches Bedenken, das die Regelung in § 91 Abs. 3 betrifft.
Ich halte das, was Sie da vorlegen, für sehr bedenklich. Ich halte es für einen Systembruch, im Innenverhältnis eine verschuldensunabhängige Haftung einzuführen, im Außenverhältnis aber eine Versculdenshaftung zwischen Hersteller und Geschädigtem zu belassen. Wie Sie da herauskommen wollen, ist Ihr Problem. Ich habe mich gewundert, auf wie elegante Art und Weise Herr Zeyer das vorhin hingekriegt hat. Wenn Sie uns aber vorwerfen, unsere Regelung sei mit den geplanten europarechtlichen Bestimmungen nicht in Einklang zu bringen, dann, Herr Zeyer, glaube ich, es wäre ganz sinnvoll, Sie schauten sich unsere Regelung noch einmal an.
Sie wissen sehr wohl, daß die Festlegung der oberen Haftungsgrenze dem nationalen Gesetzgeber überlassen bleiben soll. Wenn wir Schwierigkeiten haben können, unsere Bestimmungen anzugleichen, dann nur in diesem Punkte. Hier wären Änderungen sehr einfach zu machen. Ihr Vorschlag aber, der vollständig anders konstruiert ist, Ihr Vorschlag mit dem Systembruch der indirekten verschuldensunabhängigen Haftung in § 91 Abs. 3 ist auf keinen Fall mit europarechtlichen Bestimmungen in Einklang zu bringen. Nicht wir sind also diejenigen, welche ..., sondern Sie.Zusammenfassung zu diesem ersten Teil: Wir sind der Auffassung, daß dieser Antrag nicht nur juristisch verbesserungsbedürftig ist — das wäre noch verzeihlich —, sondern daß er auch genau das, was Sie behaupten
— natürlich! —, nicht tut. Er enthält ein für den Geschädigten ausgesprochen nachteiliges Verfahren. Und wenn man hier von Interessenvertretung spricht — Sie haben das ja in einer sehr feinen Art getan, wenn Sie sagten, wir seien dem HUK-Verband hörig —, so ist zu bemerken, daß Ihre Lösung die des Pharmazie-Verbandes ist und daß sie die Interessen der Geschädigten überhaupt nicht berücksichtigt.
— Ich habe es sehr vornehm ausgedrückt. Ich hätte es auch sehr viel deutlicher sagen können.Ich möchte noch auf ein anderes Bedenken eingehen, das Sie, Herr Zeyer, angesprochen haben. Heute morgen haben Sie im Rundfunk dem Justizministerium vorgeworfen, es habe den Rechtsausschuß falsch informiert. Wieso? Nun, Sie haben behauptet, nach unserer Regelung könne ein Geschädigter dann keinen Ersatz erlangen, wenn er mehrere Arzneimittel zugleich eingenommen habe und die konkrete Verursachung im Einzelfall nicht festgestellt werden könne. Hätten Sie recht, wäre das ein Problem, dann hätten nicht nur wir dieses Problem
- lieber Herr Zeyer, hören Sie doch bitte erst einmal zu, ehe Sie wieder etwas dazwischenrufen —, sondern auch Sie. Sie behaupten, das sei bei Ihnen durch die Formulierung des § 91 Abs. 3 ausgeschlossen. Ich darf Sie daran erinnern, daß in Ihrer Formulierung ständig von einem Anspruch gegen den Hersteller gesprochen wird. Vielleicht darf ich Ihre Auf-
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Frau Dr. Däubler-Gmelinmerksamkeit darauf lenken, daß die Verursachung wohl auf jeden Fall vorliegen muß. Und um genau dieses Problem geht es.§ 830 BGB, mit dem das Justizministerium argumentiert hat und mit dem auch wir argumentieren, sagt in Abs. 1 Satz 2 sehr deutlich, daß dann, wenn die Kausalität bei mehreren möglichen Verursachern nicht festgestellt werden kann, im Zweifel beide haften. Sie haben natürlich darin völlig recht, daß § 830 Abs. 1 Satz 2, systematisch gesehen, bei den unerlaubten Handlungen steht. Nun ist es aber ein fact — und das muß man irgendwann einmal zur Kenntnis nehmen —, daß es den Bundesgerichtshof gibt. Dieser Bundesgerichtshof hat gesagt, daß der Grundsatz der Behandlung dieser Mehrfachverursachung eben auf Gefährdungshaftung übertragen wird. Er hat es nicht nur einmal, er hat es mehrmals gesagt. Das ist eine relativ durchgängige Entwicklung der Rechtsprechung. Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen die Fundstellen dafür angeben: BGHZ 55, 96 zu Fragen der Tierhalterhaftung, Kutschenfall; BGH VRS 69, 1023, wo eine reine Gefährdungshaftung nach dem Straßenverkehrsgesetz zur Debatte steht. Da diese Rechtsprechung glücklicherweise besteht und das ist nicht zu bestreiten, Herr Zeyer —, vermag ich nicht einzusehen, warum hier diese verbraucherfeindliche Nörgelei an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sein muß. Was Sie hier tun, ist doch nichts anderes, als daß Sie — gewollt oder nicht gewollt eine Rechtsprechung behindern, die sowohl in Ihrem als auch in unserem Interesse liegt.Wenn Sie bzw. Ihre Kollegen im Rechtsausschuß tatsächlich der Meinung wären, dies sei ein Problem, dann bin ich völlig sicher, daß ein Änderungsantrag vorläge, der dieses Problem klarstellte. Denn es war noch nie umstritten, daß wir alle in der Zielvorstellung einig sind, daß wir diesen Fall geregelt haben wollen und daß die Haftung in diesen Fällen nicht aussetzen darf. Die Tatsache, daß hier kein Abänderungsantrag gestellt wurde, und diese völlig klare Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zeigen indes deutlich, was los ist.
— Dem glauben Sie ja sowieso nichts, Herr Zeyer!Nun zu den Kosten und damit zu Ihrem letzten Punkt. Ich habe die Eingaben, die ich vom PharmaVerband und vom HUK-Verband bekommen habe, mit gleicher Aufmerksamkeit durchgelesen. Mich hat weder die Kostenrechnung der einen Seite noch die Kostenrechnung der anderen Seite überzeugt. Ich will Ihnen gern sagen, warum. Mich hat auch Ihre eigene Kostenrechnung nicht überzeugt. Dies einmal, weil ich meine, daß Sie über eine Kostenregelung und erst recht über eine Kostenregelung der Versicherer nicht reden können, wenn Sie die Risikoabhängigkeit der Prämie zwar im Grundsatz bejahen, aber nicht numerisch einkalkulieren. Daran scheinen mir Ihre Kostenaufstellungen zu kranken.Bei den neuesten Unterlagen, die wohl auch Ihnen zugesandt wurden und die mir noch heute morgen zugingen, habe ich festgestellt, daß die Umsatzhöhe des Unternehmens, als Bezugsgröße für die Errechnung der Prämienhöhe, ungeheuer schwankt. In einem typischen Beispielsfall beträgt der Umsatz zunächst 100 Millionen DM; davon ausgehend wird dann eine Prämie von 90 000 DM ausgerechnet, nach anderen Berechnungen sind es hier nur 60 000 DM. Daran schließt dann unmittelbar die Bemerkung an, die meisten Unternehmungen in der Pharmaindustrie seien mittelständische Unternehmungen mit nur 2 Millionen DM Umsatz; deshalb sei diese Prämie für sie viel zu teuer. Ich kann nur sagen: in der Tat — wenn es so wäre.Ich möchte jetzt nicht mehr zu den konkreten Kostenberechnungen, wohl aber zu dem, was Sie das System der Kosten bei der Versicherungslösung genannt haben, noch kurz etwas sagen. Wenn man in Rechnung stellt, daß Ihr Antrag die machbare, weitaus geschädigtenfreundlichere Regelung nicht enthält — die wir haben —, wenn man weiter berücksichtigt, daß Sie nur eine eingeschränkte Haftung vorsehen und außerdem eine Teilbetragszahlungs-und Streckungsmöglichkeit mit im Extremfall sehr langen Laufzeiten vorschlagen, und wenn man weiter bedenkt, daß Sie einen Teil der Kosten des Gesamtschadens einfach auf andere Träger oder Privatpersonen abwälzen, dann bin ich darüber erstaunt, daß immer noch Kostenbeträge von der Höhe herauskommen, die Sie hier zitierten. Ich kann mir das nur so erklären, daß Sie ja auch noch eine Schiedsstelle bezahlen müssen, daß das Verfahren bei Ihnen viel umständlicher ist und daß Sie einen zusätzlichen Apparat brauchen. Wir meinen: Durch die Zusagen des Versicherungsverbands ist — soweit man das sagen kann, denn es handelt sich ja dabei nicht um gesetzliche Normierungen, die wir beeinflussen könnten — klargestellt, daß jedes pharmazeutische Unternehmen zu den üblichen Versicherungsbedingungen versichert wird. Das ist wichtig und bleibt festzuhalten.Der zweite Punkt: Es ist ganz wichtig, daß eine gerechte und auch kleinere Unternehmen nicht überfordernde risikofreundliche Prämiengestaltung erfolgt. Das ist ein Punkt, bei dem jeder von uns, besonders aber das Versicherungsaufsichtsamt, aufpassen muß.Drittens: Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern, ist seit langem eine Aufgabe der entsprechenden staatlichen Institutionen, die wir ja gemeinsam geschaffen haben. Diese Institutionen sollen selbstverständlich auch hier eingreifen.Meine Damen und Herren von der Opposition! Ich maße mir nicht an, mir einzubilden, Sie überzeugt zu haben, daß Sie Ihren Antrag besser nicht gestellt hätten. Ich bin dennoch dieser Auffassung, und — lassen Sie mich dies hinzufügen — ich bin sicher, daß Sie und die Arzneimittelgeschädigten froh sein können, daß dieser Antrag keine Chance hat, angenommen zu werden.
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Das Wort
hat Herr Abgeordneter Christ.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Für die FDP-Fraktion möchte ich zu dem Punkt Stellung nehmen, den meine Kollegin in den letzten Minuten so intensiv und temperamentvoll behandelt hat, nämlich zu der Frage, ob der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, den die Opposition beantragt, oder die versicherungsrechtliche Lösung, für die sich die Mehrheit des federführenden Ausschusses entschieden hat, den Vorzug verdient.Vorweg möchte ich mit einer Bemerkung an die Vorrednerin anschließen. Bei der gründlichen Prüfung Ihres Antrags und dessen, was Sie uns heute morgen vorgelegt haben, mußten auch wir feststellen: Es gibt hier doch noch einige juristische Probleme, die sich gerade für die Arzneimittelgeschädigten zu juristischen Hürden auswachsen und die die Fragen aufwerfen: Bringt nicht gerade Ihre Lösung das, was Sie nach Ihren Ausführungen genauso wenig wie wir wollen? Wird die unbürokratische, schnellere Abwicklung durch Ihr Modell nicht weniger als durch die versicherungsrechtliche Lösung gewährleistet?
— Auf den Bundeswirtschaftsminister gehe ich gleich ein. Es ist richtig, daß der Bundeswirtschaftsminister zu der Frage, was billiger ist, im Wirtschaftsausschuß Stellung genommen hat. Er hat nicht seine persönliche Meinung vorgetragen, sondern hat berichtet, welches Ergebnis die Prüfungen zu dieser Frage in seinem Haus ergeben haben. Dabei trifft es zu, daß in seinem Haus die Meinung vertreten wurde, daß die Prämienbelastung für die Arzneimittelhersteller wahrscheinlich — dieses entscheidende Wort muß man hinzufügen — bei der PharmaLösung, also beim Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, zumindest in der Anfangsphase, geringer sein könnte als bei der versicherungsrechtlichen Lösung. Mit dem „wahrscheinlich" habe ich schon deutlich gemacht, daß es ohnehin sehr schwierig ist, heute im theoretischen Modellraum eine wirklich treffsichere Vergleichsrechnung zu machen. Was wir aber wissen müssen und was Sie verschwiegen haben, als Sie aus der Sitzung des Wirtschaftsausschusses berichteten, ist die Tatsache, daß der Bundeswirtschaftsminister dann hinzugefügt hat: Wenn das eintritt, was hier im Hause und auch draußen in der Offentlichkeit keiner will und wo wir alle Sorgen haben, daß es trotzdem einmal passieren könnte: daß in einem Jahr oder kurz hintereinander mehrerer Großschäden in diesem Bereich auftreten. werden Sie nicht verschweigen können, ja zugeben müssen, daß in diesem Fall auch beim Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit die internen Prämien bei der Fondslösung gewaltig anwachsen werden. Dann werden Sie sich den Prämien, die bei der versicherungsrechtlichen Lösung von Anfang an berechnet werden, so weit annähern, daß man weitgehend von einer Identität sprechen kann.Ich muß noch einmal feststellen, daß sich meine Fraktion diese Entscheidung nicht leicht gemacht hat. Wir haben die Vor- und Nachteile der beiden zur Diskussion stehenden Alternativen sehr gründlich geprüft und abgewogen. Wir sind dann zu dem Ergebnis gekommen, daß sowohl aus ordnungspolitischen Gründen als auch auch unter dem Gesichtspunkt eines wirklich optimalen Verbraucherschutzes der von uns angestrebte Zweck mit der versicherungsrechtlichen Lösung besser erreicht werden kann als mit dein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Und ganz anders als Sie von der Opposition sind wir der Meinung, daß wir mit unserem Modell heute schon EG-konform sind. Es ist keineswegs so, daß die Vorstellungen bei der jetzigen Diskussion in der Europäischen Gemeinschaft, wenn es um die Einführung einer Gefährdungshaftung bzw. einer Produzentenhaftung geht, in die Richtung eines solchen Fonds laufen, sondern ganz eindeutig in die Richtung der individuellen Haftungsregelung.Natürlich — das habe ich vorhin schon deutlich gemacht — sehen wir auch die Problematik, daß möglicherweise der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit im Unterschied zur versicherungsrechtlichen Lösung, zumindest — das muß ich noch einmal betonen — in den Anfangsjahren, wenn nicht sofort ein Großschaden bei Inkrafttreten dieser Neuregelung eintritt, billiger kommen könnte. Das heißt, die Unternehmen werden weniger belastet. Das wirkt sich dann eben auch nicht so stark auf die Arzneimittelpreise aus.Man muß aber hier eine ganz andere und genauso wichtige, vielleicht sogar noch wichtigere Betrachtung in die Diskussion einführen. Verbraucherpolitik kann man gerade beim Arzneimittelrecht nicht allein unter dem Gesichtspunkt betreiben: Was ist billiger? Wenn Sie sich an den Conterganfall erinnern, werden Sie mir zustimmen, daß es genauso wichtig ist, zu fragen: Welches Modell garantiert besser eine schnelle und unbürokratische Schadenregulierung, wenn der Fall eingetreten ist, den wir alle nicht wollen? Da sind wir der Überzeugung, daß die Konstruktion, die die Mehrheit im Hause gefunden hat, nämlich die versicherungsrechtliche Lösung, bei der Schadenregulierung im Interesse eines Geschädigten die bessere Lösung darstellt.Wenn man dann noch einbezieht — damit komme ich noch einmal auf die Kostenfrage —, daß bei der Errichtung eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit ein neuer bürokratischer Apparat notwendig wird und daß der Status der Gemeinnützigkeit zu Steuerausfällen führen wird, lassen sich bei einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung keine Argumente dafür entdecken, daß Ihre Lösung die billigere sein soll.Im übrigen dürfte sich — das möchte ich wiederholen —, wenn Schadenfälle eintreten, bei ihrem Modell auch die Entwicklung aufzeigen, die wir bei unserem Modell von vornherein einkalkuliert haben. Mit anderen Worten: Wir verteilen die Kosten für den Unternehmer von Anfang an gleichmäßig über einen größeren Zeitraum, und Ihr Modell würde in der Praxis — wenn es auch keiner von uns will, aber unvermeidlicherweise kann der
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ChristFall eintreten — dazu führen, daß zwar am Anfang eine geringere, später aber eine so enorme Belastung eintritt, daß gerade die mittleren und kleineren Unternehmer sehr stark getroffen werden.
Lassen Sie mich noch anfügen, daß den letzten Ausschlag für unsere Entscheidung bei der Abwägung zwischen diesen beiden Modellen schließlich ordnungspolitische und verfassungsrechtliche Überlegungen gegeben haben. Die Einrichtung eines gemeinnützigen Fonds, wie er nicht nur von Ihnen, sondern auch von der Arzneimittelindustrie gefordert wird, wäre nämlich aus ordnungspolitischer Sicht ein bedenklicher Präzedenzfall. In der jeweiligen Branche hätten wir es dann nämlich — das ist eben der Unterschied zum Konkursausfallgeld —, wenn man von einem solchen Fonds ausgeht, wo nur die jeweilige Branche zusammengeschlossen ist, fast schon mit kartellähnlichen oder monopolähnlichen Tendenzen zu tun. Dies sollte man, meine ich, nach wirtschafts- und ordnungspolitischen Gesichtspunkten, wenn irgend möglich, vermeiden.
Hinzu kommt, daß bei unserem Modell, bei der versicherungsrechtlichen Lösung, ein echter Kostenwettbewerb auf der Seite der anbietenden Versicherer entstehen kann, was sich auch zugunsten der Prämien auswirken kann. Das scheidet bei Ihrem Modell von vornherein aus.Was schließlich die Frage der Zwangsmitgliedschaft anlangt, so haben Sie einen Punkt nicht ganz korrekt dargestellt. Der Ausschuß hat sehr intensiv über das Problem diskutiert, daß Ihr Vorschlag, wenn er eine entsprechende Wirkung haben soll, eine Zwangsmitgliedschaft für den Fonds mit sich bringen muß. Ich habe mir Ihren Antrag durchgelesen, Ihren § 89, und komme hier zum Ergebnis: Wenn Sie formulieren, daß aufgrund öffentlich-rechtlicher Verpflichtung durch Beiträge aller Unternehmer dies aufgebracht werden muß, dann handelt es sich nach meinem Verständnis unverändert um eine Zwangsmitgliedschaft. Eben haben Sie das aber bestritten und gemeint, dieser Mangel — offensichtlich sehen Sie das auch als Mangel an, der bisher da war —, sei nun in der neuesten Regelung nicht mehr enthalten. Ich kann das nicht sehen. Ich bin gespannt, wie Sie das hier noch klarstellen wollen. Nach unserer Überzeugung ist dies unverändert genau der verfassungsrechtlich wunde Punkt in Ihrem Vorschlag, den wir einfach nicht akzeptieren können.
— Das ist ein enorm wichtiger Unterschied, den ich Ihnen gerade deutlich gemacht habe. Dort gibt es eben nicht die Zwangsmitgliedschaft,
und dies unterscheidet sich dadurch wesentlich, daß hier nicht nur eine Branche in einem Fonds zusammengeschlossen ist, sondern die ganze Wirtschaft. Das ist ein entscheidender Unterschied, den Sie sehen müssen.Ich will zum Schluß noch ganz kurz auf den Entschließungsantrag eingehen, weil hier meines Erachtens ein sehr wichtiger Punkt — die Vorredner haben ihn auch aufgegriffen — aufgeführt worden ist, nämlich die Prämienentwicklung bei der versicherungsrechtlichen Lösung im Blick auf die kleineren und mittleren Unternehmen. Wir begrüßen es, daß hier von der Versicherungswirtschaft eine klare Zusage vorliegt, nämlich die Zusage, den Arzneimittelherstellern risikogerecht und den tatsächlichen Verhältnissen entsprechend angemessen Prämien anzubieten. Wir halten es — da stimmen wir sicherlich alle überein — angesichts der gemachten Erfahrungen — Stichwort: Kostenexplosion im Bereich der Krankenversicherung — für äußerst bedeutsam, daß alle verantwortlich Beteiligten an der Gesundheitspolitik aufmerksam und kritisch diese Prämienkostenentwicklung beobachten. Dies ist auch eine Aufgabe, ein Wächteramt für das Bundesaufsichtsamt, denn wir sind sicherlich alle der gleichen Auffassung, daß dadurch die Möglichkeit, weiterhin am Markt einen Chancenwettbewerb zu haben, für die kleineren und mittleren Unternehmen nicht geschmälert werden darf.Zum Schluß möchte ich zusammenfassend feststellen: Wir haben uns als FDP-Fraktion nach sorgfältiger Abwägung der Vor- und Nachteile der beiden zur Diskussion stehenden Alternativen
für die versicherungsrechtliche Lösung entschieden. Wir sind bei dieser Entscheidung nicht davon ausgegangen, daß das andere Modell von vornherein in Bausch und Bogen zu verdammen wäre, weil es nur Nachteile und keine teilweisen strukturellen Vorzüge hätte. Aber wie so oft gibt es bei Entscheidungen zwei Alternativen, bei denen die Waage, wenn sie sich im Gleichgewicht bewegt, letztlich doch in einer Richtung den Ausschlag geben muß. Da sind für uns die ordnungspolitischen und die verbraucherpolitischen Überlegungen, die ich eben vorgetragen habe, die entscheidenden Punkte gewesen, die uns dann dazu gebracht haben zu sagen: Wir entscheiden uns für die versicherungsrechtliche Lösung!
Ich rufe nunmehr die Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU auf den Drucksachen 7/5131 und 7/5132 auf. Zur Begründung hat das Wort Frau Abgeordnete Neumeister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte zunächst um die Genehmigung, zu Anfang meiner Begründung drei Zitate zu bringen, Herr Präsident. Als Frau Minister Focke am 16. Januar 1975 bei der ersten Lesung des Arzneimittelgesetzes wörtlich versprach, „Der vorliegende Gesetzentwurf ist nach dem Prinzip angelegt: So viel Kontrolle wie nötig, damit Arzneimittelsicherheit gewährleistet ist; so viel Freiheit wie möglich, damit Erfindergeist, unternehmerische Investitionsbereitschaft, ärztliche Kunst und das Ge-
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Frau Dr. Neumeistersundheitsbewußtsein jedes einzelnen nicht beeinträchtigt werden", da hatte ein jeder, der es mit diesem Gesetz ehrlich meinte, das Gefühl: unter Beibehaltung dieses Prinzips kommen wir sicherlich bald auf einen Nenner.Als Frau Minister Focke dann weiterhin betonte: „Wenn das neue Arzneimittelrecht in Kraft tritt, werden sich die Exportchancen der pharmazeutischen Industrie bei uns weiter verbessern", da atmete sicherlich auch ein betroffener Wirtschaftszweig auf. Doch die weitere — wörtliche — Zusage von Frau Minister Focke, „daß dem Verordnungsgeber und der Verwaltung ein unvertretbarer breiter Ermächtigungsspielraum" nicht „zugestanden wird, um in Zukunft am Gesetzgeber vorbei das Arzneimittelrecht fortzuentwickeln", hätte fast alle Skeptiker vollends beruhigt.Doch jeder Beteiligte wußte, daß in diesem zweiten Arzneimittelgesetz § 34 enthalten war, der einige Ermächtigungen für die Freistellung von der Zulassung empfiehlt, die in ihrer Formulierung so unbestimmt waren, daß sie nicht nur die Parlamentarier das Gruseln zu lehren imstande waren. Doch erwies sich dieser § 34 im Laufe der Beratungen des Unterausschusses als köstliche Schatulle für alle unbequemen, ungeklärten Probleme und Problemchen, die bei der Beratung der Zulassung unterschiedlichster Arzneimittel nun einmal auftauchen.Doch als dann nach Beseitigung vieler Hindernisse die Zulassung gar nicht mehr so entsetzlich problematisch erschien, da war dieser Paragraph plötzlich seiner wohltätigen, etwas geheimnisumwitternden Schale entkleidet und zeigte sein wahres Gesicht; und das heißt im § 34 a: „Ermächtigung zu Standardzulassungen".Mit einigem Recht kann man heute die Problematik der Standardzulassungen als die Gretchen-Frage des ganzen Gesetzentwurfs überhaupt bezeichnen, handelt es sich doch um nicht weniger als um den Qualitätsgrad der von uns allen angestrebten Arzneimittelsicherheit. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß die Ermächtigung für Standardzulassungen schon ihrem Wesen nach den Zielen der Arzneimittelsicherheit zuwiderläuft. Das gilt jedenfalls dann, wenn diese Ermächtigung so weitmaschig gefaßt ist wie in der Vorlage der Regierungskoalition.
Grundsätzlich muß schon das Bedürfnis für eine solche Ermächtigungsnorm in Frage gestellt werden, nachdem jetzt auf unsere ununterbrochenen Bemühungen hin entgegen dem Regierungsentwurf vorgesehen ist, daß Arzneimittel, die sich bereits im Verkehr befinden, als zugelassen gelten. Damit entfällt ein wesentliches Argument für den § 34 a des Koalitionsentwurfs, wonach nämlich diese Bestimmung bei der Bewältigung der zahlreichen Nachzulassungen praktikable Hilfe leisten sollte.
Hinzu kommt, daß auch der § 21 Abs. 3 erhebliche Zulassungserleichterungen für Arzneimittel vorsieht, die bekannt oder bekannten Arzneimitteln vergleichbar sind bzw. eine neue Kombination bekannter Bestandteile darstellen. Wenn man sich dennoch zu einer Ermächtigungsnorm für Standardzulassungen entschließen zu müssen glaubt, dann muß sich diese Ermächtigungsnorm auch an den Voraussetzungen des Art. 80 des Grundgesetzes messen lassen. Im Gesetz müssen also Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmt werden. Davon kann hier aber keine Rede sein. Es wird lediglich von bestimmten Arzneimitteln oder Arzneimittelgruppen gesprochen, ohne daß auch nur der Versuch unternommen wird, diese Arzneimittel oder Arzneimittelgruppen näher zu spezifizieren. Nach der derzeitigen Formulierung bleibt es vielmehr allein der Behörde überlassen, die Arzneimittel oder Arzneimittelgruppen nach ihrem Ermessen auszuwählen. Ob sie es will oder nicht, wird die Behörde auf diese Weise stark in das Geschehen am Arzneimittelmarkt eingreifen, obwohl die Ermächtigung eigentlich nur dem gesundheitspolitischen Zweck der Arzneimittelsicherheit im Rahmen dieses Gesetzes dienen dürfte.Die Verwirklichung dieser Ermächtigung hätte auf jeden Fall eine Minderung der Arzneimittelsicherheit anstatt der angestrebten Verbesserung zur Folge. Eine Freistellung ganzer Gruppen von Arzneimitteln, die das Gesundheitsamt überhaupt nicht erfassen könnte, müßte die Ausbietung von in vielen Einzelfällen minderwertigen Präparaten geradezu provozieren, um so mehr, als schon heute der Import von Arzneimitteln aus obskuren Quellen ohne weiteres möglich ist.Jede ungenaue Beschreibung oder jedes Offenlassen von Bandbreiten führt dazu, daß die Qualitäts-Standards Minimum-Standards sind. Im Sinne einer großen Ersparnis besteht ein Anreiz, geradezu nur diese Mindestvoraussetzungen, aber auch ja nicht mehr zu erfüllen. Erfahrungsgemäß unterliegt auch die Qualitätsbeschreibung dem sich fortentwickelnden Stand der Wissenschaft. Es bestehen Zweifel, ob der Staat in der Lage ist, diesen sich fortentwickelnden Stand der Wissenschaft zu überblicken und ob er jeweils die Initiative zur Revision solcher Standards ergreift.
— Das kann er nicht.Geschieht das nicht, besteht die Gefahr, daß überholte Standards festgeschrieben werden und damit ebenfalls die Arzneimittelsicherheit gefährdet wird.
Für den Staat kommt außerdem eine Ausweitung seiner Haftung durch Festsetzung dieser Standards in Betracht. Daneben könnte bei Standardarzneimitteln die Meldung von Nebenwirkungen nicht in der angestrebten Weise durchgeführt werden, und gerade das war doch eins unserer Hauptanliegen! Der Hinweis des Ministeriums, daß es Sache der Länderbehörden sein wird, die freigestellten Präparate laufend zu überwachen und ihre Übereinstimmung mit den vorgegebenen Standards zu überprüfen, ist reine Theorie. Die Länderbehörden wären vielmehr derzeit außerstande, diese Aufgabe zu
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Frau Dr. Neumeistererfüllen. Dies aber wirkt einer Transparenz des Arzneimittelmarktes entgegen.Es drängt sich der Verdacht auf — das wird durch die ursprüngliche Fassung der Leitsätze der Regierung mit der Aufhebung des aut-simile-Verbots nachdrücklich bestätigt , daß seitens der Koalition und der Regierung durchaus beabsichtigt ist, auch in diesem der Arzneimittelsicherheit dienenden Gesetz Maßnahmen einzuschleusen, die ihrem Charakter nach eindeutig Auswirkungen auf den Arzneimittelmarkt haben. Nachdem dieselbe Bundesregierung bekanntlich auch Vorschläge zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes vorgelegt hat, ist diese Vermengung beider Gesichtspunkte im Rahmen dieses Gesetzes nicht nur inkonsequent, sondern geradezu schädlich für die hier von uns allen angestrebte Verbesserung der Arzneimittelsicherheit.
Nicht ohne Grund war deshalb die Ermächtigung nicht nur im federführenden Ausschuß, sondern auch im Wirtschaftsausschuß Gegenstand lebhafter Auseinandersetzungen. Der Versuch, unter dem Deckmantel gesundheitspolitischer Vorwände tatsächlich wirtschafts- und sozialpolitische Zielvorstellungen zu verwirklichen, ist dabei nicht nur aus grundsätzlichen ordnungspolitischen Gründen abzulehnen. Hinzu kommt vielmehr, daß hier aus wirtschaftspolitischen Erwägungen gesundheitspolitische Kriterien, insbesondere Aspekte der Arzneimittelsicherheit, sträflich vernachlässigt werden sollen.Nun, der massive Protest der Patienten und der Ärzteschaft, die zu Recht durch die Aufhebung des aut-simile-Verbots, d. h. durch die grundsätzliche Einräumung der Befugnis gegenüber den Apotheken, anstelle eines vom Arzt verordneten bestimmten Präparates, das der Arzt als das für seinen Patienten im individuellen Einzelfall beste Mittel betrachtet, irgendein anderes freigestelltes Mittel abzugeben, sich in der Therapiefreiheit entscheidend beeinträchtigt sehen, hat inzwischen bei der Regierung zu höherer Einsicht und damit zu einem Fallenlassen dieser ursprünglichen Absicht geführt. Nun ist es wieder inkonsequent, gewissermaßen auf halbem Wege stehenzubleiben und an einer viel zu schwammigen Ermächtigungsnorm für Standardzulassungen festzuhalten. Das Schwammige an dieser Norm ist offenbar der Regierung und der Koalition selbst durchaus klar, denn nach dem vorgeschlagenen Abs. 2 des § 34 a muß bei der Auswahl der Arzneimittel, die von der Pflicht zur Zulassung freigestellt werden, den berechtigten Interessen der Arzneimittelverbraucher, der Heilberufe und der pharmazeutischen Industrie Rechnung getragen werden. Nun frage ich mich: Wer soll denn im Einzelfall ein solches Sammelsurium von heterogenen, oft in sich konträren Interessen sondieren und dann eine gesundheitspolitisch richtige Entscheidung treffen können?Entgegen den frommen Wünschen der Koalition im Ausschuß wird diese weitmaschige Ermächtigungsnorm sich sicher ganz massiv innovations-feindlich auswirken. Die forschende Industrie erarbeitet nicht nur durch Patente geschütztes Wissen, sondern in großem Umfang auch nicht patentgeschütztes Know-how. Solche bisher in der Welt an vorderster Stelle stehenden Pionierleistungen werden durch Festschreibungen von jedermann zugänglichen Standards künftig entwertet. In- und ausländischen Nachahmern wird der Zugang zu Fachwissen eröffnet, das ihnen normalerweise verschlossen bliebe. Selbst in Ländern, in denen die Zwangslizenz praktiziert wird, wird zumindest der Versuch gemacht, dem Erfinder einen gewissen Ausgleich zu gewähren, was hier bei uns nicht einmal der Fall wäre.Die Legalisierung der Nachahmung von Arzneimitteln müßte aber nicht nur zur Folge haben, daß der Industrie die durch Forschungsinvestitionen erworbene Marktstellung zerstört würde. Sie dürfte vor allem dazu führen, daß die forschenden Unternehmen unter dem Druck des administrativ induzierten Nachahmer-Wettbewerbs ihre Forschungsinvestitionen einschränken und daß damit die Innovationsrate zu Lasten des therapeutischen Fortschritts rückläufig wird.
Die Drosselung der Forschungsinvestitionen der Pharma-Industrie würde sich zwar nicht kurzfristig, aber mit Sicherheit langfristig bemerkbar machen und zu einer spürbaren Beeinträchtigung des Fortschritts auf dem Gebiet des Arzneimittelwesens führen.
Diese Beeinträchtigung wäre um so verhängnisvoller, als bekanntlich wegen des langfristigen Charakters von Forschungsinvestitionen einmal aufgerissene Lücken nur schwer und langfristig wieder zu schließen wären.Die durch die Standardzulassung angestrebte Verkürzung der ökonomischen Nutzungszeit von Präparaten müßte sich jedoch erheblich auf die Höhe der Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Pharma-Industrie auswirken, die sich im Jahre 1975 immerhin auf knapp 1 Milliarde DM beliefen. Schließlich würde durch diese Marktbeeinflussung ein Wettbewerb ausgelöst, der die Existenz vor allem mittlerer und kleinerer Unternehmen bedrohen müßte.Frau Minister Focke, wie ist das mit Ihrer Aussage, keinen unvertretbar breiten Ermächtigungsspielraum zuzugestehen? Wie ist das mit dem Versprechen, den Erfindergeist und die unternehmerische Investitionsbereitschaft nicht zu beeinträchtigen? Wie ist das mit der Verbesserung der Exportchancen durch dieses Gesetz?Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jeder Kenner der Materie wird an diesen überzeugenden Argumenten nicht vorbeikommen können, wenn es ihm wirklich um eine Verbesserung der Arzneimittelsicherheit geht. Unser dringender Appell an die Koalition geht daher dahin, an dieser wichtigen Schaltstelle des von uns gemeinsam und doch ganz überwiegend positiv-konstruktiv beratenen und verbesserten Gesetzentwurfs jetzt nicht plötzlich Äpfel und Birnen zusammenzuwerfen und dadurch den
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Frau Dr. Neumeistereigentlichen Gesetzeszweck zu gefährden. Maßnahmen zur Steuerung der sogenannten Arzneimittelflut und zur sonstigen Beeinflussung des Geschehens auf dem Arzneimittelmarkt gehören nun einmal nicht in den vorliegenden Gesetzentwurf, sondern in die Vorlage der Bundesregierung zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes.
Wenn Sie dennoch an einer Ermächtigung für Standardzulassungen festhalten wollen, so sollte diese wenigstens dem grundgesetzlichen Erfordernis der Bestimmtheit entsprechen und sich deshalb auf den klar definierten Bereich der frei verkäuflichen und nicht rezeptpflichtigen Arzneimittel mit einem arzneilich wirksamen Bestandteil beschränken.
Ein entsprechender Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion zu § 34 Abs. i Nr. 4 liegt Ihnen vor.Es ist selbstverständlich, daß durch diese Änderung die Krankenhausapotheken in ihrer Tätigkeit in keiner Weise eingeschränkt werden sollen. Einer unpraktikablen Ermächtigungsnorm wie der von der Regierungskoalition vorgeschlagenen Vorschrift des § 34 a kann dagegen meine Fraktion unter gar keinen Umständen zustimmen. Wir fordern deshalb mit unserem Änderungsantrag die ersatzlose Streichung des § 34 a.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jaunich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion will ich zu den beiden Änderungsanträgen auf den Drucksachen 7/5131 und 7/5132 Stellung nehmen. Die beiden Anträge beabsichtigen eine Einschränkung des § 34 Abs. 1 Nr. 4 sowie den ersatzlosen Wegfall der Bestimmung in § 34 a. Ziel dieser beiden Anträge ist es damit, die Freistellung von der Einzelzulassung, die nach § 20 ansonsten erforderlich ist, etwa auf Jodtinktur, Baldrian, Lebertran oder ähnliche Präparate zu begrenzen.
— Ich habe gesagt „in etwa". Es bleibt Ihnen überlassen, dies noch ein wenig auszuschmücken. Aber im Grunde ist das der Kern Ihrer Anträge.
Dem können und wollen wir nicht folgen. Ziel des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts ist es, für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln zu sorgen, insbesondere unter Berücksichtigung der Gesichtspunkte Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Bismarck?
Bitte.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß der Staatssekretär im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit in seinen Ausführungen vor dem Wirtschaftsausschuß das, was Sie eben lächelnd abgelehnt haben, als den eigentlichen Grund für diesen Paragraphen bezeichnet hat und daß er gesagt hat, die übrigen müßten bloß wegen der Gleichbehandlung einbezogen werden?
Ich glaube, daß das eine falsche Darstellung dessen ist, was Herr Staatssekretär Wolters im Wirtschaftsausschuß gesagt hat. Natürlich geht es auch um Baldrian, Lebertran und ähnliches.
— Das will ich gern tun, und Sie versprechen mir, daß Sie sich dann hinterher korrigieren, wenn es nicht so ist, wie Sie das hier vorgetragen haben.
— Gut, und dann noch im Laufe der heutigen Debatte.
— Ja, meine Damen, meine Herren, wenn Sie sich so künstlich erregen, kann ich Ihnen wirklich nur empfehlen: Greifen Sie zu Baldrian oder einem anderen Sedativum. Ich glaube, Sie haben es nötig.
— Herr Reddemann, daß Sie gerade hier auch noch das Wort ergreifen müssen, ist für mich beinahe der Gipfel. Aber Sie sind ein Allround-man, Sie sind für alles zuständig, selbst für Baldrian.
Wenn wir die Ziele des Gesetzes erreichen wollen, stellt uns das vor die Aufgabe, dafür auch Geld auszugeben. Dieses Gesetz kostet etwas. Die Kosten sind im Vorblatt ausgewiesen. Sie sind mit 40 Millionen DM einmalig und 20 bis 22 Millionen DM laufenden Kosten ausgewiesen. Kosten bei den Herstellern können in geringem Umfange auch anfallen. Ich nenne hier die Zulassungsgebühren.
— Natürlich. — All dies sind aber Kosten, die wir im Interesse der Zielsetzung des Gesetzentwurfes auf uns zu nehmen bereit sind. Sie sind der Preis für eine erhöhte Arzneimittelsicherheit, die mit Sicherung von Unbedenklichkeit, Wirksamkeit und Qualität einhergehen. Diesen Preis sollen und müssen wir zahlen. Wo aber Kosten gespart werden können, tun wir es in der Tat. Darum die Standardzulassungen. Wir reden nicht nur über Kosten im Gesundheitswesen, wie der Herr Kollege Zeyer eben gesagt hat, nein, hier handeln wir. Da haben wir nicht nur Reden wie bei Ihnen die von Herrn Geißler, sondern
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Jaunichda haben wir Handlungen wie die des Herrn Glombig oder ganz konkret diesen Akt, über den wir im Moment befinden.
— Sie müssen sich einmal auf eine einheitliche Debattenstrategie festlegen. Vorhin wird beklagt: Eckwerte nicht. Eben war Frau Dr. Neumeister auf dem Podium. Sie hat gesagt, das hätten wir doch bereits hier mitmachen müssen. So geht es ja nun nicht.
— Wir haben gestern nichts abgelehnt. Da muß ich Sie wiederum korrigieren.
— Legen Sie diese Frage dann bitte einem Kollegen aus dem Wirtschaftsausschuß vor. Ich habe Ihre Frage so aufgefaßt, als ob Sie damit den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit gemeint hätten. Da mußte ich das, was Sie gesagt haben, zurückweisen.
Ziel aller Fraktionen bei der Beratung dieser Materie war und ist es, auch die sogenannten Generics einer Zulassung zu unterziehen. Das haben Sie übrigens mit Ihrem Antrag vom Oktober 1973, auf den Frau Schleicher heute morgen hingewiesen hat, auch gewollt. Ich darf an dieser Stelle noch einmal daran erinnern, daß es richtig war, daß wir unsere Kraft nicht darauf konzentriert haben, Ihren damaligen Gesetzesantrag zu beraten, denn Sie gingen ja von der Erwartung aus, daß eine echte Reform des Arzneimittelrechts in dieser Legislaturperiode nicht möglich sei. Sie sehen, es ist möglich geworden. Unsere Haltung war also richtig, unsere Kraft geballt auf eine umfassende Reform des Arzneimittelrechts zu richten.Bei der Problematik der Generics taucht natürlich die Frage auf, wie man ermöglichen kann, daß Apotheken und insbesondere Krankenhausapotheken unter Freistellung von der Einzelzulassung diese Präparate herstellen können. Welcher Aufwand würde denn provoziert, würden wir in allen diesen Fällen die Einzelzulassung gesetzlich fordern? Welcher materielle und zeitliche Aufwand würde sich daraus ergeben? Die Frage ist eigentlich nur, ob man hier eine Ausnahmeregelung ausschließlich für Apotheken oder Krankenhausapotheken schafft oder ob man generell zu dem Instrument von Standardzulassungen kommt. Wir haben uns dafür entschieden, und ich meine, dies aus guten Gründen, letztlich auch aus Wettbewerbsgesichtspunkten. Einwände, die dagegen heute hier in der Debatte oder auch vorher an anderer Stelle erhoben worden sind und die sich auf die Arzneimittelsicherheit beziehen, sind von uns sehr ernst genommen worden. Es wäre in der Tat sehr leichtfertig, wollte man darüber hinweggehen. So hat der Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein in den Ausschußberatungen gemeint, daß der Patient, ein solches Medikament einnehmend, sich möglicherweise, weil auf der Verpackung nur die chemische Bezeichnung steht, hinterher nicht mehr daran erinnern könnte, daß, von jenem Medikament ausgehend, eine gewisse Beeinträchtigung bei ihm feststellbar sei. Da muß ich doch sehr herzlich darum bitten, sich den Text des § 34 a noch einmal sorgfältig anzusehen. Dort ist auch die Ermächtigung zu einer besonderen Kennzeichnung enthalten. Da kann nach dem chemischen Namen hintendran ja X 1, X 2, X 3, X 4 oder X 10 kommen. Das ist dann noch überzeugender, das ist für den einzelnen Patienten vielleicht noch eingängiger als der Name, den ein Markenpräparat trägt. Ich glaube also, daß diese Einwendungen, wenn man sie ernsthaft überprüft, wenn man insbesondere auf die Gesetzesnorm abstellt, wie sie nunmehr in § 34 a statuiert wird, nicht durchschlagen. Die Freistellung kann im übrigen nur erfolgen, wenn alle Qualitätsnormen, alle qualitativen Merkmale, die ansonsten für die Einzelzulassung erfüllt sein müssen, vorliegen. Allerdings — darauf haben Sie soeben hingewiesen, Frau Kollegin Neumeister — ist es auch möglich, bei gewissen Präparaten eine bestimmte Bandbreite einzuräumen. Die intensiven Beratungen im Unterausschuß wie im Ausschuß haben ergeben, daß es einige Punkte gibt, wo man gar nicht daran vorbeikommt, z. B. bei Blutzubereitungen oder Infusionslösungen. Hier ist also über dieses Instrument des § 34 a eine vernünftige Möglichkeit gegeben, diesen Besonderheiten Rechnung zu tragen.Es klang soeben an, als wenn die von der Einzelzulassung freigestellten Medikamente von der Arzneimitteldauerüberwachung in irgendeiner Weise ausgeschlossen wären. Das ist doch nicht der Fall. Sie sind voll einbezogen. Die technischen Schwierigkeiten, die Sie zu sehen meinten, sind, glaube ich, von mir soeben überzeugend zurückgewiesen worden.
— Ja, davon bin ich überzeugt.Es gibt einen zweiten Einwand dagegen. Dieser beruht auf wirtschaftlichen Interessen. Ich meine, daß die Stellungnahme des Bundesverbandes der pharmazeutischen Industrie wohl ein wenig zu sehr von den Interessen pharmazeutischer Großhersteller geprägt ist. Die in § 34 a eröffnete Möglichkeit ist für unsere Begriffe mittelstandsfreundlich. Sie hebt den Wettbewerb. Von daher sollten wir uns also nicht ins Bockshorn jagen lassen.
Der gewerbliche Rechtsschutz, der Patentschutz istvoll aufrechterhalten. Oder wollen Sie etwa ernst-
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Jaunichhaft behaupten, daß der Verordnungsgeber, der in diesem Fall ja aus der Bundesregierung — verschiedene Ressorts sind daran beteiligt — und dem Bundesrat besteht und nach Anhörung von Sachverständigen gemäß § 50 Abs. 1 entscheidet, ein Komplott bilden will, das, an der Rechtslage vorbeigehend, den Patentschutz hinterrücks aufheben will? Ich glaube, eine solche ungeheuerliche Unterstellung sollte man auch dann nicht aussprechen, wenn man sich hier in Opposition befindet. Das geht doch einfach einen Schritt zu weit.
— Na ja, sehen Sie. Wenn Frau Kollegin Dr. Neumeister soeben meinte, noch den Abs. 2 dieses § 34 a zitieren zu müssen, dann sollte man auch das nicht in herabwürdigender Weise tun. Denn das ist doch ein weiterer Bestandteil für den Verordnungsgeber. Diese Interessen hat er in der Tat zu bündeln und zu berücksichtigen. Daß das ein schwieriger Abstimmungsprozeß ist, ist gar nicht bestritten. Nur können Sie nicht einerseits gegen eine Ermächtigungsnorm sein und sagen, der Ermächtigungsspielraum ist zu weit gehalten, und auf der anderen Seite beklagen, daß wir als Gesetzgeber ihn dadurch einengen, daß wir konkrete Fakten vorgeben bzw. die Berücksichtigung von Einzelinteressen hier als Gesetzesauftrag aussprechen. Dies ist für mich nicht schlüssig.
Ich fasse zusammen. Der § 34 in der Fassung des Ausschußantrags sowie der § 34 a sind sinnvoll. Gesundheitspolitische Bedenken bestehen nicht. Überzeugende Rechtsgründe dagegen sind auch nicht vortragen. Er wirkt im übrigen kostengünstig. Wir werden daher die von Ihnen gestellten Änderungsanträge ablehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Der § 34 wurde eigentlich erst zum neuralgischen Punkt bei der Beratung des Gesetzes, als die Leitsätze zum § 34 vorgelegt wurden. Erst dann wurde deutlich, was unter Umständen mit dem, was hier an Verordnungsmöglichkeiten gegeben werden sollte, geschehen könnte.
Die Vorschrift, wie sie jetzt vorliegt, ermächtigt dazu, Arzneimittel, die vorgegebenen Standards entsprechen und deren Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität daher als erwiesen gelten, von der Einzelzulassung zu befreien. Insbesondere im Wirtschaftsausschuß hat die Opposition die Ermächtigung wegen zu befürchtender Beeinträchtigung der Innovationskraft der Pharmaindustrie abgelehnt. Frau Dr. Neumeister hat hier ein Schreckensgemälde gemalt, was alles passieren könnte, wenn wir nicht auf freiverkäufliche und apothekenpflichtige sowie verschreibungsfreie Monopräparate einschränken. Nun wissen wir aber alle miteinander, daß „apothekenpflichtig" unter Umständen ein schwankender Begriff ist, so daß da auch wieder in Ihrem Antrag manche Unwägbarkeiten liegen.Ich möchte für die Fraktion der Freien Demokraten noch einmal betonen, daß die Bedeutung der Standardisierung letztendlich in einer Vereinfachung des Zulassungsverfahrens und damit in einer Entlastung des Bundesgesundheitsamtes liegt. Auch nach der großzügigen Nachzulassung, die wir jetzt gegeben haben, ist es durchaus denkbar, daß eine Reihe von Betrieben ein Interesse haben, daß ihre Produkte gebündelt zugelassen werden und keine Einzelzulassungsverfahren durchlaufen müssen, wenn die Zulassung nach § 30 auf sie zukommt. Auch in einer Förderung der Vergleichbarkeit von Arzneimitteln ist die Bedeutung der Standardisierung zu sehen. Für die Möglichkeit zur Standardisierung spricht aus wirtschaftspolitischer Sicht aber auch, daß die weitgehende Unvergleichbarkeit der einzelnen zugelassenen Arzneimittel in der Tat ein Hindernis für die Berücksichtigung des preislichen Aspekts durch den verschreibenden Arzt ist, daß die Standardisierung nichtforschenden Klein- und Mittelbetrieben zugute kommt, die sich die nicht unerheblichen Kosten für die Einzelzulassung gerne ersparen, so daß dies also eine mittelstandsfreundliche Regelung darstellt, und daß der Patentschutz in keiner Weise angegriffen oder vermindert wird. Die Freien Demokraten haben gegen die vorgesehene Verordnungsermächtigung keine Einwände, da nach unserer Meinung genügend Sicherungen eingebaut sind, die eine Beeinträchtigung der Innovationskraft der pharmazeutischen Industrie vermeiden werden.Vor Erlaß der Verordnung sind Sachverständige zu hören. Bei der Auswahl der freizustellenden Arzneimittel ist den berechtigten Interessen u. a. der pharmazeutischen Industrie Rechnung zu tragen. Das steht ja im Gesetz. Die Verordnung ergeht im Einvernehmen mit dem BMA und dem BMWi. Außerdem muß die Zustimmung des Bundesrats gegeben werden.
Im Bericht des federführenden Ausschusses wird als Richtschnur für den Verordnungsgeber die Erwartung geäußert, daß von der Ermächtigung für neue Arzneimittel nur ein sehr restriktiver Gebrauch gemacht wird. Wir haben in der Ausschußberatung auch klar ausgeführt, daß wir davon ausgehen, daß eine Beschränkung auf das medizinisch-sachlich Notwendige erfolgt. Wenn Sie alle diese Hemmnisse und Sicherungen, die ich aufgeführt habe, vor Augen Revue passieren lassen, dann können Sie doch nicht die Gefahr an die Wand malen, daß hier der Erfindergeist und die Exportchancen eingegrenzt werden könnten.
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SpitzmüllerDas Substitutionsverbot ist in der Konkretisierung der der Ermächtigung dienenden Leitsätze nicht mehr vorhanden. Die von der FDP auch angestrebte Transparenz ist gewährleistet, wenn wir es so machen wie es vorgesehen ist, so daß sichergestellt werden kann, daß Standard und Preis der von der Einzelzulassung befreiten Arzneimittel der Transparenzkommission bekanntgegeben werden.Nachdem ich dargelegt habe, daß nach unserer Auffassung genügend Sicherungen eingebaut sind, daß die Leitung nicht durchbrennt, daß kein Kurzschluß entsteht und daß der Erfindergeist und die Exportchancen nicht gebremst werden, bitte ich um Verständnis dafür, daß wir dem CDU/CSU-Antrag nicht unsere Zustimmung geben können.
Meine
Damen und Herren, damit sind die Anträge begründet. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung.
Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf der Drucksache 7/5129 vor, demzufolge § 10 Abs. 4 neugefaßt werden soll. Das Wort dazu wird nicht mehr gewünscht.
Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die der Opposition abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag zu Art. 1 auf Drucksache 7/5130 auf, bei dem es um eine Neufassung des § 11 Abs. 3 geht. Das Wort dazu wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung.
Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist mit der gleichen Mehrheit wie der vorige abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag auf der Drucksache 7/5131 auf, der die Neufassung des § 34 Abs. 1 Nr. 4 zum Inhalt hat.
Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist mit der vorher festgestellten Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag auf der Drucksache 7/5132 auf, in dem es um die Streichung des § 34 a geht. Ich frage, meine Damen und Herren, ob das Wort gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung.
Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? —Der Antrag ist mit der Mehrheit der Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Meine Damen und Herren, es liegt nun noch zu Art. 1 ein Änderungsantrag auf Drucksache 7/5133 vor, in dem es um die Neufassung des Sechzehnten Abschnitts — §§ 78 bis 98 — geht. Das Wort wird dazu nicht gewünscht. Ich gehe davon aus, daß ich über die in diesem Antrag geänderten Bestimmungen gemeinsam abstimmen lassen kann. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen.
— Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Eine Stimmenthaltung. Damit ist auch dieser Antrag mit sehr großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Art. 1 in der Ausschußfassung. Wer dem Art. 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Art. 1 ist mit Mehrheit beschlossen.
Ich rufe nunmehr Art. 2 auf. Wer dem Art. 2 zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Art. 3 auf. Hierzu liegen auf der Drucksache 7/5138 unter Ziffer i zu § 7, unter Ziffer 2 zu § 7 a und unter Ziffer 3 zu § 8 interfraktionelle Änderungsanträge vor. Da die Begründung schriftlich beigefügt ist, gehe ich davon aus, daß sie nicht noch einmal begründet werden. Ich frage aber dennoch, ob das Wort gewünscht wird, weil wir es schon oft hatten, daß trotzdem das Wort gewünscht wurde. — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich lasse über die drei Ziffern dieses Antrags geschlossen abstimmen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? Es ist einstimmig so beschlossen.
Wer dem Art. 3 in der geänderten Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe die Art. 4, 5, 5 a, 6, 7, 8 auf. Wer den aufgerufenen Artikeln zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Art. 9 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/5138 unter Ziffer 4 ein interfraktioneller Änderungsantrag zum § 9 vor. Das Wort wird dazu nicht gewünscht.
Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Wer dem Art. 9 in der nunmehr geänderten Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen?
Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir haben noch über Einleitung und Überschrift abzustimmen. Wer Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, gebe bitte ein Handzeichen. — Danke. Gegenprobe!
Stimmenthaltung? — Meine Damen und Herren, damit ist das Gesetz in zweiter Beratung verabschiedet.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Egert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zurückerinnern an den Moment, als der Berichterstatter heute das Wort nahm und uns schilderte, wie die Atmosphäre bei der Arbeit an diesem Arzneimittelgesetz war, um
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Egertden Beitrag geben zu können, den ich für die dritte Lesung vorbereitet habe. Zwischendurch hatte ich an einzelnen Punkten doch den Eindruck, daß wir so ein bißchen in Gefahr waren, den Faden der guten Zusammenarbeit zu verlieren.Ich will noch einmal daran erinnern, daß mit der dritten Lesung des Arzneimittelgesetzes die Spekulationen darüber beendet werden, ob es noch in dieser Legislaturperiode zur Reform des Arzneimittelrechts kommen wird. Intensive, sachliche und ausführliche Beratungen in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages haben den Grundstein dazu gelegt, im letzten auch jene zu überzeugen, die meinten, daß die Vielzahl der Probleme, die Schwierigkeit der zu regelnden Gesetzesmaterie nur Teillösungen bzw. in dem gesetzten Zeitrahmen keine Lösung ermöglichten.Wenn die Anstrengungen, diese Reform zu verwirklichen, erfolgreich abgeschlossen werden können, kommt das Verdienst dafür, Herr Dr. Hammans, nicht nur einer Seite zu.
Dies festzustellen, ist ganz wichtig, auch angesichts der Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause. Das ist ein ganz bescheidener Hinweis, den man in diesem Zusammenhang machen sollte.
Opposition und Koalitionsfraktionen haben ihren gerechten Anteil daran, daß der Regierungsentwurf zur Neuordnung des Arzneimittelrechts sich als gute Grundlage für dieses Gesetzesvorhaben bewährt hat und im Beratungsergebnis in seinen wesentlichen Bestandteilen bestätigt worden ist. Der Einsatz der Helfer in den Ausschußsekretariaten und in dem beteiligten Ministerium, das Klima kooperativer Sachlichkeit zwischen den Fraktionen bei der Arbeit in den Ausschüssen haben letztlich den in weiten Teilen einmütig getragenen Gesamterfolg möglich gemacht.Meine Damen und Herren, kaum ein Gesetzesvorhaben hat in ähnlicher Weise wie die Arzneimittelrechtsform eine begleitende öffentliche Diskussion gefunden. Die Stellungnahme organisierter Interessen, spontane Äußerungen interessierter Bürger, eine Flut von Zuschriften, eine Summe von Vorschlägen sind in die Gesetzesarbeit eingeflossen. Aus der Fülle der Arbeiten haben sich Sorgen und Befürchtungen herauskristallisiert, die mit den Stichworten „Eingriff in die Freiheitssphäre des Bürgers", „Eingriff in die Therapiefreiheit des Arztes", „Naturheilmittel werden vom Markt verbannt", „Wissenschaftliche Minderheitsmeinungen werden unterdrückt", „Bürokratisierung, Verstaatlichung und Sozialisierung der Medizin" beschrieben sind.Wir Sozialdemokraten haben bereits bei der ersten Lesung zu dem Gesetzentwurf deutlich gemacht, daß jede Form geistiger Verengung, jeden Dogmatismus, der dominieren will, beim Umgang mit den Freiheitsrechten der Bürger unseren Widerstand finden wird. Allerdings — auch dazu bekennen wir uns freimütig sehen wir, daß Freiheit ohne ihren sozialen Bezug in die Gefahr gerät, einen anarchischen Charakter zu bekommen. Auch das lehnen wir ab.Dem Staat als dem Adressanten und dem Organisator der Bedürfnisse mündiger und freier Bürger treten wir nicht feindlich gegenüber; wir vertrauen darauf, daß der Garant der Freiheitsrechte der Bürger unter den Verantwortlichkeiten demokratischer Kontrolle ist, die unser Gemeinwesen auszeichnet.
Wir bejahen deshalb ausdrücklich die Regelungskompetenz des Staates in Fragen der Gesundheit der Burger, also auch für Fragen der Arzneimittelsicherheit. Aus dieser Grundüberzeugung haben wir die Regierung uneingeschränkt bei dem Bemühen unterstützt, mit der Neuordnung des Arzneimittelrechts Voraussetzungen für mehr Arzneimittelsicherheit für den Bürger zu schaffen.Um diesen Anspruch des Bürgers besser zu gewährleisten, soll in dem vorliegenden Gesetzentwurf das bisherige Registrierungsverfahren für Arzneimittel durch ein Zulassungsverfahren abgelöst werden, in dem Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel auf Grund eingereichter Unterlagen beim Bundesgesundheitsamt geprüft werden. Ausgenommen von der Zulassung sind lediglich die homöopathischen Arzneimittel, die nach homöopathischen Verfahrenstechniken hergestellt worden sind. Sie können wie bisher registriert werden.In der öffentlichen Diskussion ist insbesondere der im Rahmen des Zulassungsverfahrens geforderte Wirksamkeitsnachweis für Arzneimittel heftig umstritten gewesen. Bereits in der ersten Lesung habe ich für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ausgeführt — wir wollen uns da über die Urheberschaft nicht streiten, Herr Kollege Dr. Hammans —, daß wir uns bei der weiteren Gesetzesberatung für einen differenzierten Wirksamkeitsnachweis, der den Besonderheiten der Arzneimittel, der jeweiligen Therapierichtungen Rechnung trägt, einsetzen wollen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein?
Eger: : Ja, bitte.
Herr Kollege Egert, wären Sie bereit, dem Hause einmal mitzuteilen, warum Ihre Kollegen im Rechtsausschuß gegen unseren Änderungsantrag zu § 8 Abs. 1 Nr. 2 a gestimmt haben?
Herr Kollege, Sie wissen, daß auf Grund der Diskussionen, die im federführenden Ausschuß gerade um diese Fragen in allem Freimut und in aller Sachlichkeit geführt worden sind, die Informationen über das, was an gemeinsamer Überzeugung eingegangen ist, zwischen den Fraktionen umgeschlagen worden sind. Ich nehme an,
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Egertdaß inzwischen auch unsere Kollegen im Rechtsausschuß die von uns gemeinsam gefundene Lösungunterstützen. Jedenfalls kenne ich keinen Protest. —
Ich hatte gesagt, daß wir uns dafür einsetzen wollten, einen differenzierten Wirksamkeitsnachweis, der den Besonderheiten der Arzneimittel, der jeweiligen Therapierichtungen Rechnung trägt, in dem Gesetz zu verankern. Das Ergebnis dieser Bemühungen stellt sicher, daß Arzneimittel eine ihrer Eigenart gemäße sachverständige Beurteilung im Zulassungsverfahren erfahren werden. Insbesondere ist sichergestellt, daß weder die Behörde noch der Gesetzgeber den Jahrhunderte alten Streit verschiedener mediznischer Schulen durch einseitige Parteinahme entscheidet. Die im Gesetz getroffenen verfahrensmäßigen Regelungen, die den Entscheidungsraum der Bundesoberbehörde eindeutig und eingrenzend beschreiben — von Empfehlungen der Sachverständigengremien kann nur in begründeten Fällen abgewichen werden —, sichern den Wettbewerb verschiedener Therapierichtungen. Davon, daß die Naturheilmittel vom Markt verdrängt werden, kann keine Rede sein.
Im Gegenteil, ihre Stellung ist gefestigt worden. Patienten und Ärzten, die diese Arzneimittel bevorzugen, stehen sie uneingeschränkt zur Verfügung. Hinsichtlich der Sonderregelungen für Homöopathie ist befürchtet worden, daß sie diese Arzneimittel diskriminieren würden. Mit der ausdrücklichen Kennzeichnung dieser Mittel als Arzneimittel und dem Hinweis im Bericht, daß der Gesetzgeber durch die Registrierung keine Diskriminierung dieser Arzneimittel beabsichtigt, sind die vom Gesetzgeber möglichen Vorsorgen getroffen worden, um diese Befürchtungen gegenstandslos zu machen.Der im Gesetz vorgesehene differenzierte Wirksamkeitsnachweis basiert für die allopathischen Arzneimittel, also für die, die auf synthetischer Basis hergestellt sind, auf einer ausschließlich naturwissenschaftlichen Methodik. Für die Naturheilmittel kann er durch die Vorlage anderen wissenschaftlichen Erkenntnismaterials, das vom Bundesgesundheitsamt in nach den Besonderheiten der Arzneimittel differenzierten Sachverständigenkommissionen aufbereitet und veröffentlicht werden muß, als Erfahrungsnachweis erbracht werden.Im Zusammenhang mit der Zulassung von Arzneimitteln ist unter dem Gesichtspunkt der Arzneimittelsicherheit von Bedeutung gewesen, wie die Arzneimittel behandelt werden, die bereits auf dem Markt sind. In der ersten Lesung haben wir uns dafür ausgesprochen, ernsthaft zu prüfen, inwieweit das Nachzulassungsverfahren für diese Arzneimittel weiter vereinfacht werden kann. Die gemeinsamen Diskussionen in den Ausschüssen haben dazu geführt, für die Nachzulassung eine auf 12 Jahre befristete fiktive Zulassung auszusprechen. Nach Ablauf dieser Frist werden sie unter den Differenzierungen, die für das Zulassungsverfahren im Gesetz vorgesehen sind, einem Prüfverfahren unterworfen. Diese Regelung ist sowohl unter gesundheitspolitischen als auch unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten sinnvoll und vertretbar. Sie gibt den Sachverständigen Zeit, das Erfahrungsmaterial aufzuarbeiten, sie schafft für die Hersteller die Möglichkeit, sich langfristig auf dieses Prüfverfahren einzustellen, und sie sichert die Gleichbehandlung aller Arzneimittel.Die Arzneimittelsicherheit zu verbessern, kann sich nicht darin erschöpfen, die präventiven Anforderungen an die Zulassung eines Arzneimittels zu beschreiben, sondern sie muß die weitere Beobachtung des Arzneimittels nach der Zulassung einschließen — das, was man neudeutsch „drug monitoring" nennt —. Wir begrüßen es daher ausdrücklich, daß Vorschriften im Gesetz den Ausbau der Überwachung sowie den Aufbau eines Systems zur Beobachtung, Sammlung und Auswertung von Arzneimittelschäden und Arzneimittelrisiken sicherstellen sollen. Wir unterstützen auch vorbehaltlos die Absicht, einen Stufenplan zur Abwendung von Arzneimittelgefahren zu entwickeln. Wir fordern die Bundesregierung auf, im Interesse unserer Bürger diese Schritte zur Verwirklichung von mehr Arzneimittelsicherheit unverzüglich zu gehen. Dabei wird es ganz entscheidend sein, daß die Beteiligten und Betroffenen eng und intensiv mit den zuständigen Behörden zusammenarbeiten. Wir appellieren daher nachdrücklich an die Beteiligten, zu dieser Zusammenarbeit bereit zu sein.Unter der Zielsetzung des Gesetzentwurfs, Arzneimittelsicherheit optimal zu gewährleisten, sind die Vorschriften, die sich mit Ausnahmen von der Einzelzulassung von Arzneimitteln beschäftigen, auf Bedenken gestoßen. Wir haben uns ja gerade mit dem Änderungsantrag der Opposition auseinandergesetzt, der Fragen der sogenannten Standardzulassung behandelt. Mit den Argumenten hat sich mein Kollege Jaunich in der Diskussion um den Änderungsantrag beschäftigt. Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stelle ich nochmals fest, wie wir zu den im Gesetz gefundenen eingeschränkten Möglichkeiten der Standardzulassung stehen. Die Unterstellung, daß damit Arzneimittel minderer oder gar bedenklicher Qualität in den Verkehr gebracht werden könnten, weisen wir als unsachlich zurück, weil von der Einzelzulassung nur solche Arzneimittel befreit werden können, bei denen sämtliche für die Arzneimittelsicherheit bedeutsamen Merkmale eindeutig gegeben sind.Eine weitere wichtige Verbesserung sieht die sozialdemokratische Bundestagsfraktion in den Vorschriften, die erstmals die gesetzlichen Anforderungen an die klinische Prüfung von Arzneimitteln bestimmen. Auch in Würdigung der vorgetragenen ethischen Bedenken sehen wir in der weitestgehenden gesetzlichen Umsetzung der Deklaration von Helsinki in ihrer revidierten Fassung von Tokio eine gute Grundlage dafür, sowohl die Personen, die sich an klinischen Prüfungen als Probanden oder Patienten beteiligen, vor Risiken zu schützen, als auch gleichzeitig den notwendigen pharmazeutischen Fortschritt zu ermöglichen.
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EgertWir haben uns der Notwendigkeit, die Möglichkeit der klinischen Prüfung begrenzt auch für Minderjährige zu eröffnen, nicht verschlossen. Wir haben darüber hinaus den materiellen Schutz des Probanden bzw. des Patienten bei eventuellen Schäden durch die klinische Prüfung — das geschah auf unsere Anregung — im Gesetz betraglich verbessert.Das Arzneimittelgesetz begnügt sich nicht damit, den Schutz des Patienten durch Gewährleistung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels zu verbessern. Zum Schutz des Patienten und zum verantwortungsbewußten Umgang mit dem risikoträchtigen Gut Arzneimittel gehört auch eine sachgerechte und objektive Information über die Arzneimittel. Durch die obligatorische Einführung der Packungsbeilage werden dem Patienten Angaben über die Arzneimittel gegeben. Sie sollen in verständlicher Sprache gehalten sein. Wir haben gerade über diesen Punkt im Ausschuß sehr lange gesprochen, weil nicht jede Eindeutschung eines lateinischen Ausdrucks unbedingt verständlich sein wird. Wir halten das im Interesse der gesundheitlichen Aufklärung und der Umsetzung dessen, was zum verantwortungsbewußten und gesundheitsbewußten Verhalten gehört, für eine wichtige Neuregelung in dem Gesetz. Wir begrüßen es, daß parallel dazu in der Werbung — soweit sie nicht lediglich Erinnerungswerbung ist — gewisse Mindestangaben, die mit denen in der Packungsbeilage übereinstimmen müssen, gemacht werden. Werbung soll damit im Sinne einer Produktinformation versachlicht werden; es soll für das, was an tatsächlicher Aussage gemacht wird, auch eine Grundlage bestehen.Ein wichtiges Anliegen ist für uns die Vorschrift, mit der dem Bundesgesundheitsamt die Möglichkeit gegeben wird, Auflagen hinsichtlich der Packungsgröße zu erteilen. Wie wichtig im Sinne einer wirtschaftlichen Verordnungsweise dieser Schritt ist, haben insbesondere die Zahlen gezeigt, die in den letzten Tagen auf Grund von Schätzungen der Betriebskrankenkassen bekanntgeworden sind, die davon ausgehen, daß es einen Arzneimittelmüll von jährlich 2 Milliarden DM gibt. Wir hoffen, daß diese Regelung, die wir im Gesetz gefunden haben, helfen wird, auch diese Art von Mißständen zu beseitigen.Keine noch so umfassende gesetzliche Vorsorgeregelung kann im letzten ausschließen, daß Arzneimittelschäden eintreten. Bei den Entschädigungsregelungen, zu denen sich meine Kollegin Däubler-Gmelin hier sehr engagiert und umfassend geäußert hat, haben wir uns auch vor dem Hintergrund des Contergan-Unglücks — der Bundestag wird sich ja demnächst mit den Spätfolgen beschäftigen müssen — davon leiten lassen, die für den Geschädigten günstigste Regelungen zu wählen. Wir sehen dies — es ist eine Abwägung der Vor- und Nachteile — mit der versicherungswirtschaftlichen Lösung gewährleistet. Bei ihr steht dem Geschädigten nur ein Ersatzpflichtiger gegenüber. Die Jahreshöchstgrenze fällt weg. Je Schadensfall stehen 200 Millionen DM zur Verfügung. Eine neue Organisation für die Abwicklung der Schäden muß nicht aufgebaut werden.Sie paßt systematisch in die zu erwartende europäische Haftungsregelung.Wir wissen wohl, daß die Prämienzahlungen beim Hersteller Kosten verursachen. Wir waren allerdings der Auffassung, daß — Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen -- unsere Entscheidung im Interesse möglicher Geschädigter zu rechtfertigen ist.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nicht zuletzt noch auf einen Gesichtspunkt eingehen, der auch im Interesse der Hersteller von Arzneimitteln liegt. Mit der Anpassung des deutschen Arzneimittelrechts an internationale Standards, mit der Umsetzung europäischen Rechts schaffen wir Voraussetzungen, die die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Arzneimittelindustrie und die Verkehrsfähigkeit der deutschen Arzneimittel international erhöhen. Wir halten auch dies für einen wirtschaftspolitisch gewichtigen Beitrag im Rahmen der Neuordnung des Arzneimittelrechts.Wir Sozialdemokraten haben die Arbeit an diesem Gesetzentwurf vorrangig unter den gesundheitspolitischen Interessen der Patienten, der Versicherten, unserer Bürger gesehen. Wir meinen, daß das Ergebnis ein wohlabgewogener Kompromiß zwischen gesundheitspolitischen Notwendigkeiten und den wirtschaftlichen Interessen der am Arzneimittelgeschäft Beteiligten geworden ist. Wir wissen, daß angesichts der schnellebigen Entwicklung von Wissenschaft und Technik Veränderungen an dem Gesetz möglich sind und notwendig werden können. Der Gesetzgeber selbst hat sich in dem Entschließungsantrag zum Gesetz Merkpunkte gesetzt. Das Arzneimittelgesetz steht jetzt auf dem Prüfstand. Seine Bewährung in der Praxis steht noch aus.Wir Sozialdemokraten sehen das Gesetz als einen weiteren wichtigen Schritt, den Gesundheitsschutz unserer Bürger auszubauen, den wir begrüßen. Wir werden unseren Beitrag zu seiner Bewährungsprobe in der Praxis leisten. Wir bitten Sie, sich unserem Votum anzuschließen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stimmt dem Gesetzentwurf zu.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Prinz zu Sayn-Wittgenstein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen am Ende der parlamentarischen Beratungen des Gesetzentwurfs zur Neuordnung des Arzneimittelrechts. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion kann diesem Gesetz zustimmen, da es uns im Verlauf der Beratungen gelungen ist, entscheidende Änderungen des Regierungsentwurfs durchzusetzen, die für unsere Zustimmung ausschlaggebend waren. Außerdem können wir heute feststellen, daß wesentliche Elemente des Gesetzentwurfs der CDU/CSU zur Arzneimittelsicherheit und unseres Antrags zur Weiterentwicklung des Arznei-
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Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohensteinmittelrechts aus dem Jahre 1973 in der vorliegenden Beschlußvorlage berücksichtigt wurden.Unser entschiedener Wille, alle Bemühungen um mehr Arzneimittelsicherheit und Verbraucherschutz zu unterstützen, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß nach Auffassung meiner Fraktion manche Teilbereiche einer sorgfältigeren Beratung bedurft hätten. Ich meine hier zum Beispiel die zu weit gehende Ermächtigung für die Exekutive, Arzneimittel von der Einzelzulassung freizustellen. Hier bestehen nach wie vor gewichtige gesundheitspolitische und auch wirtschaftspolitische Bedenken, die auch heute in der Debatte nicht entkräftet werden konnten.Was die Haftung für Arzneimittelschäden betrifft, so hätte die Regierung die Meinungsbildung hier gewissenhafter vorbereiten müssen. Wie soll das Parlament oder auch nur eine Fraktion eine einheitliche und abschließende Entscheidung treffen, wenn selbst Fachleute, von den Interessenten einmal ganz zu schweigen, außerstande sind, die mit der konkreten Ausgestaltung der Entschädigungsregelung zusammenhängenden Konsequenzen zuverlässig abzuschätzen?Bereits zwischen dem ersten und dem zweiten Referentenentwurf sah sich die Regierung gezwungen, erhebliche Korrekturen ihres Konzeptes vorzunehmen. Im Verlaufe der Beratungen mußte sie ihr Modell eines öffentlich-rechtlichen Arzneimittelentschädigungsfonds ganz aufgeben. Schon dies zeigt, wie vielschichtig die Problematik ist. Bemerkenswert ist auch, daß der Bundesminister für Wirtschaft hierzu nach wie vor einen anderen Standpunkt einnimmt als der zuständige Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit. Diese Meinungsunterschiede innerhalb des Kabinetts beweisen, wie unausgereift das inzwischen gefundene Modell der versicherungsrechtlichen Lösung nach wie vor ist.
Es bleibt zu hoffen, daß der Bundesrat hier noch zusätzliche Überlegungen anstellt. Die Zeit zwischen Verkündung und Inkrafttreten dieses Gesetzes sollte von einer neuen, unverbrauchten Regierung genutzt werden,
um diese Bestimmungen einer erneuten Überprülung zu unterziehen.
- Eine gute Empfehlung.Das vorliegende Ergebnis der parlamentarischen Beratung des Gesetzentwurfs zur Neuordnung des Arzneimittelrechts wird von allen Fraktionen als Erfolg ihrer Arbeit gewertet. SPD, CDU und CSU und FDP nehmen gleichermaßen das politische Urheberrecht der wesentlichen Änderungen des Regierungsentwurfs für sich in Anspruch. Die Protokolle der Ausschußberatungen und die Abstimmungsergebnisse der mitberatenden Ausschüsse beweisen aber, daß es die CDU/CSU war, die sich in entscheidenden Fragen durchsetzen konnte.
Das Recht des Patienten auf freie Wahl der Heilmethoden, die Therapiefreiheit des Arztes, die Freiheit von Forschung und Lehre, ein flexibles, billigeres Verfahren der Zulassung und Nachzulassung sowie ein dem Therapieanspruch angemessener Wirksamkeitsnachweis waren unabdingbare Forderungen meiner Fraktion. Hätte hier wie noch in einigen anderen Bereichen die Regierung nicht nachgegeben, so wäre die Erhaltung des bewährten Arzneimittelschatzes, insbesondere der Naturheilmittel, nicht gewährleistet worden.Für die Unterstützung und die Zustimmung von Kollegen der anderen Fraktionen möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich danken. Sicherlich ist auch die empörte Reaktion der Öffentlichkeit auf den Regierungsentwurf hilfreich gewesen.Anders als die drei Sprecher der Fraktionen befindet sich der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit in einer wenig beneidenswerten Lage. Er muß zu Beschlüssen des Parlaments Stellung nehmen, die in entscheidenden und grundsätzlichen Bereichen des Arzneimittelrechts, nämlich den Voraussetzungen und dem Verfahren der Zulassung, der Nachzulassung und der Haftung für Arzneimittelschäden, von der Grundkonzeption des Regierungsentwurfs wesentlich abweichen. Es ist doch der Bundeskanzler selbst gewesen, der in der Regierungserklärung am 8. April zugeben mußte — und ich zitiere wörtlich —:Erst die jetzt gefundene Fassung des Gesetzentwurfes vermeidet die vielfältig gefürchtete Gefahr der Verdrängung der Naturheilmittel vom Arzneimittelmarkt durch unerfüllbare Zulassungsanforderungen.Eine deutlichere Distanzierung des Bundeskanzlers von Beschlüssen seines eigenen Kabinetts, insonderheit des zuständigen Ministers, habe ich in diesem Hause selten erlebt.Was hat, meine Damen und Herren, die Regierung fünf Minuten vor zwölf veranlaßt, auf Änderungsanträge einzugehen? Geschah das wieder einmal in der späten Anerkennung der besseren Alternative der CDU/CSU oder gaben vielleicht opportunistische Erwägungen angesichts einer drohenden Wahlniederlage in Baden-Württemberg, wo Bürgerinitiativen zur Erhaltung der Naturheilmittel besonders aktiv waren, den Ausschlag? Sollte allerdings der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit heute hier den Versuch unternehmen, dieses Gesetz als das zunächst von der Bundesregierung schon immer gewollte Reformwerk auszugeben, so hätte ein solcher Versuch wenig mit politischer Redlichkeit zu tun. Allenfalls trifft es zu, daß manche Absichtserklärungen des zuständigen Ministers nicht unbedingt im Widerspruch zu Beschlüssen des Ausschusses stehen. Der Wortlaut wichtiger Bestimmungen des Regierungsentwurfs dagegen läßt eine solche wohlwollende Deutung nicht zu.Auch die Interpretationen durch den beamteten Staatssekretär des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit und Äußerungen des Präsidenten des Bundesgesundheitsamtes, das für die Durchführung dieses Gesetzes immerhin zuständig
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Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohensteinist, haben ursprüngliche Zielsetzungen doch sehr deutlich gemacht. Diese von Ideologen und Dogmatikern gewünschten Nebenwirkungen des künftigen Arzneimittelrechts, anfänglich unvorsichtigerweise noch ausgesprochen, später tunlichst verschwiegen oder in Abrede gestellt, wurden dank der Wachsamkeit der Opposition nicht gesetzt. Es reicht nicht aus, mit erheblichem Propagandaaufwand ein Faltblatt mit dem Aufmacher „Naturheilmittel werden bleiben" auf Kosten der Steuerzahler herauszugeben, wenn sich der zuständige Bundesminister nicht eindeutig z. B. von einer Feststellung des Präsidenten des Bundesgesundheitsamtes distanziert, der vorgibt, gutgläubige Patienten vor Sektierertum schützen zu müssen.
Vom Primat der Politik, meine Damen und Herren, sollte man nicht nur reden, sondern auch danach handeln. Solchen Äußerungen des Präsidenten des Bundesgesundheitsamts liegt doch ein Bild eines Staates zugrunde, in dem sich eine allwissende und allmächtige Bürokratie anmaßt, verbindlich zu entscheiden, was für den unwissenden Untertan gut ist.In dem Bestreben, den Bürger vor Schaden zu bewahren, wird häufig im Übereifer oder auch aus elitärer Arroganz übersehen, daß man dieses Ziel verfehlt. Zu glauben, daß man mit ungeheurem Aufwand einer Überprüfung aller, zum Teil seit Jahrzehnten in der Therapie erprobter Arzneimittel im Rahmen der Nachzulassung wesentlich mehr Arzneimittelsicherheit hätte schaffen können, ist eben ein Trugschluß. Bürgerinitiativen haben mit Recht darauf hingewiesen, daß solche wie andere überzogene Regelungen zu einer unverantwortlichen Einschränkung der Therapiefreiheit des Arztes und der freien Wahl der Heilmethoden zum Schaden des Patienten geführt hätten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege? — Bitte, Frau Däubler-Gmelin!
Prinz Botho, würden Sie mir freundlicherweise zugestehen — ich habe eine gewisse Erfahrung in der Diskussion mit Bürgerinitiativen gerade aus Baden-Württemberg, zuletzt am 23. März, als Sie leider krank waren —, daß gerade die Bürgerinitiativen in Baden-Württemberg noch lange Zeit, nachdem im Ausschuß die Klarstellung erfolgt war, daß im Regierungsentwurf von vornherein Naturheilmittel nicht unter den Tisch fallen sollten, auf Grund von Informationen aus Ihrer Fraktion von Auffassungen ausgingen, die nicht anders denn als falsch bezeichnet werden können?
— Wir informieren natürlich auch.
Würden Sie mir als zweitem Punkt noch zustimmen, daß Ihre Fraktion schon letztes Jahr viel mehr hätte tun können, um diese Art von Mißverständnissen zu vermeiden?
Frau Kollegin, mir ist von solchen Äußerungen nichts bekannt. Ich kann nur darauf hinweisen, daß ich in meinen zahlreichen Briefen — es sind immerhin einige Tausend gewesen — die Bürger über den jeweiligen Sachstand der Gesetzgebung unterrichtet habe, und auch die Kollegen, die mit mir an Podiumsdiskussionen teilgenommen haben, haben mir zugestanden, daß unsere Argumente und Auffassungen richtig waren. Auch heute morgen ist noch darauf hingewiesen worden, daß der Bewußtseinsbildungsprozeß bei einer Zahl von Kollegen gerade Ihrer Fraktion mit einer entsprechenden Verzögerung hinter der Entwicklung im Ausschuß herlief.
Herr Kollege, hier kommt noch eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Hammans.
Herr Kollege Prinz Wittgenstein! Sind Sie bereit, die Nachricht entgegenzunehmen, daß ich bei einer solchen Podiumsdiskussion in Freiburg den Kollegen Egert vor unangemessenen Angriffen in dieser Richtung geschützt habe?
Erstens nehme ich die Nachricht natürlich zur Kenntnis, und zweitens weiß ich Ihre ritterliche Art, Herr Hammans, sehr zu schätzen.
Ich sprach von den Einschränkungen, die Naturheilmittel durch zahlreiche Gesetzesbestimmungen hätten hinnehmen müssen. Ich kann hier noch einmal sagen: Eine solche Einschränkung der Freiheitsrechte kann von einem freiheitlich gesinnten Politiker im Interesse des Bürgers nicht hingenommen werden. Dieses von der CDU/CSU von Anfang an abgelehnte Regierungskonzept einer falsch verstandenen Vorsorge für den Bürger hätte zu folgenden Konsequenzen geführt, die der Arzneimittelsicherheit und dem therapeutischen Fortschritt in hohem Maße abträglich gewesen wären: Die breite Palette des bewährten Arzneimittelschatzes wäre auf relativ wenige, hochwirksame, aber risikoreichere Arzneimittel eingeengt worden. Entgegen der erklärten Absicht des Regierungsentwurfes hätte dies zu einem drastischen Ansteigen von Zahl und Schwere der Nebenwirkungen geführt. Zugleich hätten Arzt und Patient zahlreiche für die tägliche Praxis unverzichtbare Arzneimittel, vor allem der besonderen Therapierichtungen, nicht mehr zur Verfügung gestanden. Die Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel, also der Fortschritt im Bereich der Arzneimitteltherapie, wären in weiten Bereichen zum Erliegen gekommen. Insbesondere durch die vom Regierungsentwurf vorgesehenen Regelungen wäre die klinische Erprobung neuer Arzneimittel an Kranken in vielen Fällen faktisch unmöglich geworden. Allein das ursprünglich vorgesehene Verfahren der Nachzulassung hätte einen großen Teil der vorhandenen
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Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Forschungskapazitäten gebunden und Innovationen behindert, hohe Kosten verursacht und kaum mehr an Arzneimittelsicherheit gebracht.Die CDU/CSU hat ihre Verfassungspflicht, bei der Neuordnung des Arzneimittelrechts als parlamentarische Opposition die Regierung zu kontrollieren und Alternativen vorzulegen, erfüllt.
— Wir bieten Ihnen diese Stelle am 3. Oktober an, Herr Jaunich! — Sie hat die Gefahren der bedenklichen, insbesondere der Arzneimittelsicherheit abträglichen Vorschriften des Regierungsentwurfs frühzeitig erkannt, in den Ausschußberatungen immer wieder und mit Nachdruck auf sie hingewiesen und konsequent ihr eigenes Konzept durchgesetzt. Unser Erfolg als parlamentarische Opposition ist hoch zu bewerten. Wir haben die außerordentlich schwierige Materie in einer ihrer Bedeutung nach viel zu kurzen Zeit bewältigt. Im Gegensatz zu den Koalitionsfraktionen konnten wir den Sachverstand des Regierungsapparats nicht nutzen.
Außerdem hat uns die Bundesregierung unsere Kontrollfunktion durch eine restriktive und auch häufig verspätete Informationspolitik nicht gerade erleichtert. Hätte die CDU/CSU nicht auch unabhängige Experten zu Rate ziehen können, sondern mit den Auskünften der weisungsgebundenen Ministerialbürokratie vorliebnehmen müssen, so hätte sie unter anderem die strittigen Rechtsfragen im Bereich des Europarechts und des Verfassungsrechts kaum klären können. Einschneidende Änderungen der Beweislastverteilung und die Ausmaße der Delegation von Entscheidungskompetenz auf externen Sachverstand im Zulassungsbereich wären nicht durchgesetzt worden. Die CDU/CSU dankt daher allen Experten aus Wissenschaft und Praxis für ihre für den Verlauf der Beratungen so überaus förderlichen Beiträge.Lassen Sie mich abschließend feststellen: Ein noch so gutes und ausgewogenes Gesetz allein kann nicht die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Arzneimitteln gewährleisten. Arzneimittel sind nun einmal ihrer Natur nach unvermeidbar unsicher. Es wird daher wesentlich auf die Durchführungspraxis des Gesetzes, vor allem auf die Kontrolle durch Bund und Länder, ankommen.Auch die Arzneimittelindustrie muß sich ständig ihrer Mitverantwortung für das höchste Gut des Menschen, seine Gesundheit, bewußt sein. Durchaus legitime wirtschaftliche Interessen finden hier ihre Grenze. Werbung für Arzneimittel muß Aufklärung und Information für den Bürger, nicht aber Konsumanreiz sein. Ohne verantwortliche Mitarbeit von Arzt und Apotheker ist mehr Arzneimittelsicherheit kaum zu erreichen. Daher müssen Ausbildung, Weiterbildung und ständige Fortbildung der Heilberufe Probleme der Arzneimittelsicherheit, Nutzen und Risiko jeglicher Arzneimitteltherapie angemessen berücksichtigen.Auch vom Bürger eines sozialen Rechtsstaats darf der Politiker erwarten, daß er aus seiner Verantwortung für die Gemeinschaft heraus einen eigenen Beitrag zur Erhöhung der Arzneimittelsicherheit leiste. Der Bürger ist zu einem maßvollen und verantwortungsbewußten Umgang mit Arzneimitteln aufgerufen. Er hat es mit in der Hand, ob ihm das Arzneimittel zum Nutzen oder zum Schaden gereichen wird.Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, eine letzte Bemerkung. Wenn auch wesentliche Vorschläge der CDU/CSU im Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt worden sind, so bleiben hinsichtlich mancher Regelungen doch erhebliche Bedenken bestehen; ich habe darauf hingewiesen. Wenn wir diese Bedenken in der Schlußabstimmung zurückstellen, so geschieht das vor allem aus zwei Gründen. Erstens. Die Verbesserung und Weiterentwicklung des Arzneimittelrechts gehört seit Jahren zu den wichtigen gesundheitspolitischen Forderungen der CDU/CSU. Zweitens. Wir haben erreicht, daß auch die Erhaltung der bewährten Naturheilmittel im wesentlichen gesichert ist. Damit hat die CDU/CSU einen wichtigen Beitrag für die Volksgesundheit geleistet.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Arzneimittelsicherheit ist das Stichwort, unter dem wir Freien Demokraten die Reform des Arzneimittelrechts sehen und immer gesehen haben. Es ist zwar ein Zufall, aber, wie ich meine, ein bezeichnender Zufall, daß gerade in diesen Tagen, in denen wir das neue Arzneimittelrecht verabschieden wollen, Gesetzesinitiativen der Koalitionsfraktionen und der Opposition zugunsten einer Gruppe junger Menschen in Gang kamen, die vor mehr als 15 Jahren zu leidvollen Opfern unvollkommener Arzneimittelsicherheit geworden sind. Ich meine die sogenannten Contergan-Kinder, deren Entschädigungsrenten wir durch Gesetz den gestiegenen Lebenshaltungskosten anpassen wollen. Diese an Armen und Beinen zum Teil schwer verkrüppelten jungen Leute sind in unserem Lande zum Symbol der ständig drohenden Gefahr von Arzneimittelnebenwirkungen geworden.Trotz verstärkter Bemühungen, Risiken soweit wie möglich auszuschließen, müssen wir diese Gefahren heute eher noch als ernster einschätzen, als es damals, vor 1961, der Fall war. Warum? Weil seit diesem Jahr der Medikamentenverbrauch der Bevölkerung um rund 400 % gestiegen ist. Die seitherigen Verschärfungen des Registrierverfahrens und die Aushandlung der europäischen Richtlinien standen unter dem Eindruck jener Contergan-Katastrophe.Die lange Beratung der nunmehr zu verabschiedenden Reform des Arzneimittelrechts — und sie war immer noch nicht lang genug — ist daher nicht anders zu begreifen, als daß wir dem Anliegen,
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Spitzmüllermehr Arzneimittelsicherheit zu schaffen, gerechter werden wollen. Dieses Bemühen bezeichnet Ziel, Zweck und Grenzen dieses Reformwerks. Es geht um nichts Geringeres als um die Sicherheit des Patienten vor vermeidbaren Arzneimittelnebenwirkungen. Alle Bestimmungen des Reformgesetzes sind daher den Gesichtspunkten der Gefahrenabwehr und des Verbraucherschutzes unterzuordnen.Das Gesetz ist eine Reform zum Schutz des Arzneimittelverbrauchers, und als ihre wichtigsten Schutzfunktionen sehen wir den vorbeugenden Schutz — vor allem durch die Einführung der Arzneimittelzulassung —, den begleitenden Schutz — vor allem durch verbesserte Dauerüberwachung — und den nachträglichen Schutz — vor allem durch schnelle und ausreichende Entschädigung, wenn trotz allem Bemühen ein Schaden entstanden ist — an.Keine Frage, die erste dieser Funktionen, die präventive, ist die wichtigste. Ziel einer jeden Arzneimittelreform mußte es sein, bereits vor der Freigabe eines neuen Medikaments zum Verkehr und zum Verzehr so viel Sicherheit vor unerwünschten Nebenwirkungen zu schaffen, wie eben möglich ist. Der Bürger hat ein Recht darauf, daß Arzneimittelindustrie und Staat alles Zumutbare tun, um ein Medikament möglichst unbedenklich zu machen. Wir dürfen uns jedoch gerade hierbei nicht etwa in unkritischem Reformoptimismus etwas vormachen. Völlige Arzneimittelsicherheit im Sinne von absoluter Unschädlichkeit kann und wird es nicht geben. Unbedenklichkeit bedeutet in der Regel eben nur, daß die Nützlichkeit eines Arzneimittels seine Schädlichkeit überwiegt. Es kommt also meistens auf eine Güterabwägung zwischen Nutzen und Schaden an, je wirksamer insbesondere ein Medikament ist.Meine Damen und Herren, davon abgesehen, können auch mit den modernsten Versuchen im Reagenzglas am Tier und am Menschen nicht alle denkbaren Schädigungsmöglichkeiten von vornherein ermittelt werden. Nach dem Urteil der Pharmakologen könnte ein Contergan-Fall auch mit den neuen Prüfvorschriften nicht mit absoluter Sicherheit verhindert werden. Trotzdem streben wir mit diesem Gesetz möglichst viel vorbeugenden Gesundheitsschutz an, Schutz vor der Freigabe und Schutz vor der Einnahme eines Arzneimittels.Der Schutz vor der Freigabe eines Medikaments zum Arzneimittelmarkt soll künftig durch eine inhaltliche Zulassungsprüfung verbessert werden. Entsprechend den für die Bundesrepublik verbindlichen Richtlinien und international schon weitgehend gebräuchlichen Standards sollen bei der Zulassung Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines neuen Mittels geprüft werden. Im Vordergrund steht dabei, wie gesagt, die Unbedenklichkeit.Die Vorschriften über die Zulassung stellen daher das Kernstück der Reform des Arzneimittelrechts dar. Mit diesem Abschnitt des Gesetzes haben wir uns im Ausschuß auch ganz besonders eingehend befaßt. Die grundsätzlich bei der Neuzulassung vorzulegenden Gutachten über die analytische, die pharmakologisch-toxikologische Prüfung und die nische Prüfung sollen vor allem die erforderliche Unbedenklichkeit des Arzneimittels erweisen. Vorbeugender Schutz soll aber auch nach der Freigabe, aber auch noch rechtzeitig vor der Einnahme des Arzneimittels erreicht werden. Dies sollen in erster Linie gezielte Informationen an den mündigen Verbraucher, den Patienten, sichern. Der Text der Pakkungsbeilage soll künftig vollständig und verständlicher sein und vor allem über Anwendungsgebiete, Gegenanzeigen und Nebenwirkungen Auskunft geben. Der Verbraucher soll über diese für ihn wichtigen Angaben auch bei der sogenannten Publikumswerbung informiert werden. Gerade für eine begrenzte Selbstmedikation kann der interessierte Patient gar nicht gut genug informiert werden.Der begleitende Schutz, von dem ich einleitend sprach, bedeutet, daß die Verwendung des Arzneimittels durch Ärzte und Patienten, also nach der Zulassung, von weiteren Schutzmaßnahmen begleitet werden soll. Wir können darauf nicht verzichten, weil selbst die perfekteste Prüfung und Zulassung eines Medikaments keinen hundertprozentigen Schutz vor gesundheitlichen Risiken bietet. Wie der Ausschußbericht richtig hervorhebt, kann die Entscheidung über die Zulassung nur auf Grund einer Abwägung von Nutzen und Risiko eines Arzneimittels getroffen werden. Oft wird vor der Freigabe nicht jeder Zweifel ausgeräumt werden können.Dem deshalb unerläßlichen begleitenden Schutz dienen zahlreiche Vorschriften des Entwurfs. Ich darf noch einmal daran erinnern: sichernde Vorschriften in den Betriebsordnungen, Arzneibuch als Sammlung international anerkannter pharmazeutischer Regeln sowie Vorschriften zur Überwachung. Auch das System der Verschreibungs- und Apothekenpflicht dient einer abgestuften Kontrolle über die Anwendung der Arzneimittel.Wir sind uns freilich als Ausschußmitglieder wie als Parlament wohl darüber im klaren, daß auch die Verschreibungspflicht nur eine begrenzte Sicherheit vor Gesundheitsschäden bieten kann. So erwartet der Ausschuß denn auch, daß bei Präparaten, die häufig nicht bestimmungsgemäß gebraucht werden, von einer Unterstellung unter die Verschreibungspflicht nur ein sparsamer Gebrauch gemacht werden soll. Die zu verabschiedende Entschließung richtet eine entsprechende Aufforderung an den zuständigen Bundesminister.Doch alle diese Vorkehrungen werden nicht verhindern können, daß bei dem einen oder anderen Mittel Fälle von Gesundheitsschädigungen auftreten. Daher halten wir eine institutionalisierte Dauerüberwachung der Arzneimittelanwendung für ganz besonders wichtig. Hier in der Debatte ist nur noch einmal zu unterstreichen, was im Ausschußbericht als einhellige Meinung der Fraktionen festgehalten wurde: Dem vom Gesetz vorgesehenen Stufenplan zur Sammlung und Auswertung von Schadensfällen kommt in der Tat ebenso Vorrang zu wie der nun eingeführten Zulassung mit ihrer Präventivkontrol-
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Spitzmüllerle. Die vorgesehene Entschließung unterstreicht die Dringlichkeit dieses Anliegens.Ich möchte in diesem Falle auch an die ConterganKatastrophe erinnern. Wenn es damals ein funktionierendes System von Schadensmeldungen gegeben hätte, wären die frühen Warnungen jenes Dr. Lenz in Hamburg rechtzeitig oder wenigstens rechtzeitiger ernst genommen und das Ausmaß des Schadens erheblich begrenzt worden.Ein solches Melde- und Erfassungssystem kann nur wirksam funktionieren, wenn die Vielzahl der praktizierenden Ärzte zu einer ständigen Beobachtung und rechtzeitigen Meldung von Verdachtsfällen bereit sind. Ich hoffe, daß es die Ärzteschaft richtig versteht, wenn der Gesetzgeber von einer entsprechenden gesetzlichen Verpflichtung der Ärzte abgesehen hat. Wir hoffen und erwarten jedoch, daß die ärztliche Selbstverwaltung diese ihre große Aufgabe erkennt und sehr ernst nimmt und in das ärztliche Berufsrecht eine entsprechende Verpflichtung aufnimmt und in entsprechender Weise auf die Ärzte in diesem Sinne einwirkt.Der Schutz des Arzneimittelverbrauchers — letzten Endes sind wir alle selbst Arzneimittelverbraucher — wäre nur unbefriedigend gewährleistet, wenn nicht in den hoffentlich wenigen, durch alle Vorkehrungen nicht auszuschließenden Fällen einer Arzeimittelschädigung wenigstens ein nachträglicher Schutz gesichert wäre, Schutz freilich nur in finanzieller Hinsicht durch eine schnelle und wirksame Entschädigung. Auch hier kann die Contergan-Tragödie nicht unerwähnt bleiben. Es war in der Tat ein Trauerspiel, wie lange die Contergan-Kinder auf die Auszahlung ihrer Entschädigung warten mußten.Meine Damen und Herren, so waren sich alle Fraktionen darin einig, daß die Reform des Arzneimittelrechts nicht ohne eine zügige und ausreichende Entschädigungsregelung verabschiedet werden dürfe. Über den geeigneten Weg zu diesem Ziel gingen die Auffassungen in allen Fraktionen lange Zeit auseinander. Hier lagen und liegen zwei Zielvorstellungen miteinander im Widerstreit: optimaler Verbraucherschutz und minimale Kosten. Nachdem wir bei den Ausschußberatungen von der Konstruktion eines öffentlich-rechtlichen Entschädigungsfonds als einer viel zu schwerfälligen Lösung abgekommen waren — man denke nur im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Fonds an Kulanzleistungen und daran, ob und wie schwer das geht —, konkurrierten zwei privatrechtliche Modelle miteinander, eine rein versicherungsrechtliche Lösung und eine kombinierte Versicherungs- und Umlagenlösung. Wir haben uns in der Koalition schließlich auf das Modell der Versicherungswirtschaft geeignet, da es uns auch im Großschadensfall noch einen schnelleren und wirksameren Schutz zu versprechen scheint als die andere, vom Bundesverband der pharmazeutischen Industrie vorgeschlagene Lösung, der sich die CDU/ CSU-Opposition ein bißchen mehr angenommen hat. Dabei bekenne ich wie schon vorhin in der Debatte ehrlich, daß einem bei Prüfung von Vor- und Nachteilen die Entscheidung schwerfiel, weil die eine Lösung bestimmte Vorteile und die andere Lösungwieder andere Vorteile und dafür andere Nachteile bot.
— Das haben wir durchdiskutiert. Wenn eben 51 oder 55 °/o für eine Lösung sprechen, dann muß man diese Lösung nehmen und muß sie auch vertreten und durchhalten.
Dabei enthielten die von der Pharma-Lösung angebotenen Formulierungen — das hat ja hier eine Rolle gespielt — noch kleine technische Fehler. Diese Frage wird man später vielleicht einmal erörtern; wir wollen das nicht mehr vertiefen.Wir als Freie Demokraten und als Koalition haben immer auf die hohen Kostenbelastungen der Arzneimittelindustrie durch Versicherungsprämien hingewiesen, die sich mit Sicherheit auf die Arzneimittelpreise niederschlagen würden. Diese Gefahr glauben wir mit einem Punkt unserer Entschließung zumindest verringert zu haben, sofern sie überhaupt jemals bestanden hat. Die Bundesregierung soll nämlich darüber berichten, ob die Versicherungswirtschaft entsprechend ihrer Zusage risikogerechte, den tatsächlichen Verhältnissen angemessene Prämien anbietet. Für angemessen halten wir nur solche Prämien, die auch mittlere und kleinere Arzneimittelfirmen nicht in ihrer Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen. Darüber wird auch das Bundesamt für die Versicherungswirtschaft zu wachen haben.Ich habe mit Absicht besonders ausführlich zur Frage der Arzneimittelsicherheit, d. h. zum Schutz des Patienten vor bedenklichen Arzneimitteln, gesprochen; denn hier geht es um das besonders wichtige Anliegen, die Gesundheit unserer Bevölkerung vor Arzneimittelnebenwirkungen noch besser als bisher zu schützen. Mit dem vorliegenden Gesetz wollen wir freilich — dies verlangen ja auch die EG-Richtlinien von uns — auch verhindern, daß unwirksame Arzneimittel zugelassen werden. Wie ich jedoch schon bei der ersten Beratung des Gesetzentwurfs deutlich gemacht habe, hat das Erfordernis der Wirksamkeit nach der Zielrichtung des Gesetzes nicht denselben Stellenwert wie die Unbedenklichkeit. Ich wiederhole, was ich damals sagte:Der Nachweis der Wirksamkeit steht nur in einem mittelbaren Zusammenhang mit dem Anliegen der Arzneimittelsicherheit.Selbstverständlich kann die Gesundheit eines Patienten dadurch gefährdet werden, daß dieser statt eines wirksamen ein unwirksames Mittel einnimmt. Aber für die große Mehrzahl der ernsthaften Erkrankungen werden verschreibungspflichtige Arzneimittel oder überhaupt Arzneimittel vom Arzt verordnet, der schließlich ein Urteil über die Tauglichkeit eines Präparats besitzt. In den Fällen der Selbstmedikation mit nicht verschreibungspflichtigen Mitteln handelt es sich dagegen in der Regel um leichtere Erkrankungen. Dennoch wiegt die Gefahr gesundheitlicher Versäumnisse nicht weniger schwer. Gesetz-
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Spitzmüllerliche Eingriffe in die Freiheit der Wissenschaft, des Berufs und anderer Rechte der Beteiligten sind daher aus dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr zur Sicherung der Unbedenklichkeit eher gerechtfertigt als zur Sicherung der Wirksamkeit eines Arzneimittels. Muß die Unbedenklichkeit eines neuen Medikaments soweit wie irgend möglich in der Erprobungs-und Zulassungsphase gesichert werden, so kann man das endgültige Urteil über die Wirksamkeit eines neuen Medikaments viel eher seiner Bewährung in der Markt- und Verordnungsphase überlassen.Nach unserer Auffassung war im Regierungsentwurf dem Wirksamkeitsnachweis unverhältnismäßig großes Gewicht beigelegt. Hier haben wir durch zahlreiche Änderungen bei den Beratungen die Gewichte gemeinsam zurechtgerückt. Wenn ich hier davon spreche, daß wir die Gewichte gemeinsam zurechtgerückt hätten, dann meine ich alle drei Fraktionen im Ausschuß; dann meine ich auch die Bundesregierung und auch das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, das uns immer wieder mit Formulierungshilfen zur Seite stand.
Wenn ich Sie, Herr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, richtig verstanden habe, dann können wir alle mehr oder weniger mit dem, was wir erreicht haben, für heute und für die nächste Zukunft zufrieden sein. Wir stehen im Licht; im Schatten steht nur das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit. So etwa war Ihre Rede aufzufassen. Dazu möchte ich nun eines sagen, Herr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein. Ich habe mich bei allen Kollegen des Unterausschusses und des Ausschusses für die Fairness zu bedanken, mit der wir miteinander umgegangen sind. Ich glaube, wir haben uns aber auch alle bei den Beamten der Ministerien und hier insbesondere bei den Beamten des Ministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit einschließlich des Herrn Staatssekretärs zu bedanken, die nämlich bei fast allen Sitzungen des Unterausschusses und des Ausschusses anwesend gewesen sind und uns mit ihrem Sachverstand hilfreich zur Seite standen. Denn wir als Abgeordnete konnten ja oft nur das Ziel angeben. Die Formulierung, die Umsetzung in die klingende Münze des Gesetzestextes, ist uns und der Opposition in vielen Fällen von den Beamten des Ministeriums abgenommen worden. Dafür möchte ich heute danken. Ich glaube, Sie stehen da in gar keinem Widerspruch zu mir, Herr Kollege.
Herr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, das Ministerium war sogar bereit, Anträge der Opposition zu formulieren, wenn die Opposition in der Diskussion deutlich machte, wo Einigungsmöglichkeiten waren, sie aber nicht in der Lage war, diese schon mit einem Gesetzesantrag vorzulegen. Von daher, so muß ich also sagen, hat das Ministerium sogar Teile dessen, was Sie in Frage gestellt haben, erfüllt. Lassen wir es aber bei dieser kleinen Rückblende.Ich möchte auch den externen Experten danken, die uns im Ausschuß aber auch in den Fraktionen, insbesondere in unserer Fraktion, zur Verfügung standen.Besonders eingehend haben wir uns im Unterausschuß und im Ausschuß mit den Arzneimitteln von schwacher Wirksamkeit, insbesondere den homöopathischen und anderen Naturheilmitteln, beschäftigt, weil hier der Wirksamkeitsnachweis besondere Schwierigkeiten bereitet. Es war vor allem zu verhindern, daß diese anerkanntermaßen unschädlichen Mittel durch überzogene Wirksamkeitsanforderungen vom Markt verdrängt werden. Die Folge wäre das Nachrücken der stark wirksamen Mittel mit ihren meist starken Nebenwirkungsgefahren gewesen.Ich habe bereits in der ersten Lesung an dieser Stelle eindringlich vor diesem Eigentor des Gesetzgebers gewarnt. Gerade wir Freien Demokraten — und dies darf ich hier nun doch auch feststellen — haben uns besonders nachdrücklich und mit Erfolg für eine liberalere Behandlung der Naturheilmittel von der ersten Lesung an hier eingesetzt. Wir hatten unsere diesbezüglichen Forderungen an dieses Gesetz unter drei Gesichtspunkte gestellt: Die Freiheit des Patienten, den Arzt, die Therapierichtungen und die Arzneimittelbehandlung seines Vertrauens zu wählen; die Freiheit des Arztes, die Therapie und Verordnungsweise wissenschaftlich ohne staatliche Bevormundung zu entscheiden; die Freiheit des Herstellers, Forschung, Entwicklung und Vertrieb von Arzneimitteln ungehindert fortführen zu können.Wer meine Rede zur ersten Lesung gehört oder nachgelesen hat, wird feststellen können, daß sich meine Ausführungen heute nicht von dem unterscheiden, was ich damals ausgeführt habe.
Ich stelle fest: Diese drei Anliegen des Patienten, des Arztes und des Herstellers können wir mit dem heute zur Abstimmung stehenden Gesetzestext als gesichert ansehen.Meine Damen und Herren von der Opposition, Herr Dr. Hammans, Herr Prinz zu Sayn-Wittgenstein, ich habe volles Verständnis dafür, daß Sie versuchen, sich ein gerüttelt Maß des Erfolgs dieses Gesetzes an den Hut zu stecken. Ich habe volles Verständnis dafür. Es wäre auch ungerecht, zu bestreiten, daß wir hier nicht alle drei aufeinander zugekommen wären. Nur bitte ich, nicht zu vergessen, daß man auch bei Mehrheiten rechnen muß und daß, wenn ich hinsichtlich der Verhältnisse im Ausschuß rechne, die CDU/CSU nie allein eine Mehrheit hatte,
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Spitzmüllerdaß es aber nie wechselnde Mehrheiten gab, sondern daß sich im Ausschuß die Mehrheit der Koalition zusammenfand und daß wir hocherfreut waren, wenn die Mehrheit der Koalition bei allen Änderungsanträgen, die durchgegangen sind, durch die Zustimmung der Opposition so ergänzt wurde, daß Einstimmigkeit festzustellen war.
Meine Damen und Herren, nachdem der Herr Kollege Gallus ein entscheidendes Testat abgegeben hat, eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein.
Glauben Sie nicht, Herr Kollege Spitzmüller, daß auch die Tatsache, daß es sich um ein zustimmungspflichtiges Gesetz handelt, hier eine heilsame Wirkung auf die Koalitionsfraktionen, die sich in der Zustimmung zu den Anträgen der CDU/CSU zeigte, gehabt hat?
Herr Kollege Prinz zu SaynWittgenstein, ich würde meine Rede zur ersten Lesung Lügen strafen, wenn ich das nicht glaubte; denn ich habe zum Ende meiner Rede damals ausgeführt:Die Koalition wird in all diesen Fragen, die ich angesprochen habe, zusammenstehen.Ich habe hinzugefügt:Dies alles nützt aber nichts, wenn es uns nicht gelingt, die Opposition zur Zusammenarbeit mit uns zu gewinnen.
Sie sehen, ich habe schon bei der ersten Lesung an alles gedacht, Herr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein, sogar an diese Zwischenfrage.
Meine Damen und Herren, zurück zu den wichtigsten Sicherungen: Alle bei Verkündung des Gesetzes im Handel befindlichen Arzneimittel gelten für zwölf Jahre als zugelassen. Die Verlängerung der Zulassung kann das Bundesgesundheitsamt nur bei fehlender Wirksamkeit oder begründetem Verdacht schädlicher Wirkungen versagen. Bei neuen, nicht verschreibungspflichtigen Homöopathika kann die betreffende Firma statt der Zulassung eine Registrierung beantragen. Sie braucht dann keine Nachweise über die Wirksamkeit und Versuche an Tier und Mensch vorzunehmen. Wenn genügend anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial vorliegt, kann sie aus der Registrierung in die Zulassung hinüberwechseln. Bei der Zulassung gerade der Naturheilmittel kann, außer im seltenen Fall unbekannter Wirkstoffe, statt der Gutachten über Versuche an Tier und Mensch anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial vorgelegt werden, ja sogar der Selbstversuch, den ich hier in der ersten Lesung angesprochen habe, findet im schriftlichen Bericht seinen Niederschlag.Das wissenschaftliche Erkenntnismaterial wird durch besondere Kommissionen aufbereitet. Das Bundesgesundheitsamt hat auf dieser Grundlage zu entscheiden und kann nur mit besonderen Begründungen davon abweichen. Das Vorschlagsrecht für die Sachverständigenkommission steht den jeweiligen Fachgesellschaften zu, so z. B. für die homöopathischen Arzneimittel eben den homöopathischen Ärzten. Um zu verhindern, daß die Zulassungsbehörde beim Wirksamkeitsnachweis im wissenschaftlichen Meinungsstreit Partei ergreift, darf Sie sich nach der von uns allen durchgesetzten Formel für eine Ablehnung nur auf den jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse berufen. Gesichert ist, was wissenschaftlich nicht ernstlich bestritten wird. Wir sind hier den Vorschlägen des Staatsrechtlers Professor Kriele gefolgt.Durch eine Angleichung der Zulassungsvorschriften an den Wortlaut der europäischen Richtlinien haben wir weiter gesichert, daß ein Naturheilmittel nur dann aus dem Verkehr gezogen werden kann, wenn die Behörde dessen Unwirksamkeit nachweisen kann. Bei der Zulassung muß es genügen, wenn sich die Firma für die Wirksamkeit des Mittels auch nur auf eine beschränkte Zahl von Fällen berufen kann. Hierbei haben wir uns im Ausschuß einem Gutachten des Europarechtlers Professor Sasse angeschlossen.Alles in allem gesehen, meine Damen und Herren, ist der Wille des Gesetzgebers, die bewährten Naturheilmittel dem Arzt und dem Patienten zu erhalten, in den Äußerungen des Gesetzentwurfs unmißverständlich zum Ausdruck gekommen. Der Ausschußbericht tut ein übriges, diesen klaren Willen zu erläutern und zu verdeutlichen. Wer unter den zahlreichen Kritikern des Gesetzentwurfs dies jetzt immer noch nicht erkennt, ist nach meinem Dafürhalten mit Blindheit geschlagen. Zu unserer Genugtuung haben sich die Verantwortlichen der ärztlichen Aktionsgemeinschaft für Therapiefreiheit der Naturheilmittel bei der FDP-Fraktion für ihren Einsatz in dieser Frage bedankt.Aufgabe und Verantwortung des Gesetzgebers enden aber nicht mit der Verabschiedung dieses Gesetzes. Bundestag und Bundesrat behalten vielmehr vielfältige Möglichkeiten der Kontrolle über die Anwendung und Auslegung des Gesetzes. Dieses gilt für beide gesetzgeberische Kammern, für Bundestag und Bundesrat.Ein so hochgradiges fachlich-technisches Gesetz wie das vorliegende ist ohne eine ganze Folge von Rechts- und Verwaltungsverordnungen nicht denkbar, welche gleichsam die harte Währung der gesetzgeberischen Entscheidung in verkehrsfähige kleine Münze ausprägen. Diese zahlreichen Rechtsverordnungen bedürfen der Zustimmung des Bundesrats, mit dem die Länder ein wichtiges Kontrollinstrument behalten. Auf unsere Anregung hin ist die Mitwirkung der Länderkammer auch beim Erlaß der Arzneimittel-Prüfrichtlinien vorgesehen worden, obwohl diese in Form einer bloßen Verwaltungsvorschrift ergehen sollen.Aber auch dieses Hohe Haus, der Bundestag, will sich über die allgemeinen verfassungsmäßigen
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SpitzmüllerRechte zur Kontrolle über die Regierung hinaus gezielte Einflußmöglichkeiten bezüglich der Anwendung des Gesetzes vorbehalten. Wir wollen nicht nur für die Geburt dieses gesetzgeberischen Kindes verantwortlich sein; wir wollen auch mithelfen, daß es in unserem Sinne laufen lernt. In der vorgesehenen Entschließung werden wir die Bundesregierung in mehreren Punkten bitten, dem Bundestag binnen vier Jahren über die Durchführung dieses Gesetzes zu berichten.Sie sehen, meine Damen und Herren: Der Gesetzgeber hat sich bei dieser Reform des Arzneimittelrechts ganz besonders stark engagiert. Das Parlament hat seine Kontrollfunktion voll erfüllt. Weit über die Hälfte der Paragraphen wurden verändert, und trotzdem gibt es — weniger in diesem Hause als draußen im Lande — immer noch besorgte Bürger, die befürchten, die Verwaltung der Ministerien und das Bundesgesundheitsamt könnten durch taktische Züge oder Winkelzüge versuchen, den erklärten Willen des Gesetzgebers, wie er ja auch im Schriftlichen Bericht besonders deutlich wird, zu unterlaufen. Dieses Mißtrauen gegenüber der Bürokratie ist übrigens keineswegs parteigebunden.Diesen besorgten Bürgern darf ich zum Schluß meiner Rede noch in Erinnerung rufen, daß die Mitglieder dieses Hohen Hauses die Möglichkeit haben, wenn beispielsweise bei der Berufungspraxis oder bei den Handlungen des Bundesgesundheitsamtes Kritik anzumelden wäre, dies jederzeit im Wege der parlamentarischen Kontrolle zu überprüfen und den zuständigen Bundesminister Rede und Antwort stehen zu lassen. Jede Regierung steht unter dieser parlamentarischen Kontrolle. Jedermann kann sicher sein, daß die FDP dieses Kontrollrecht sehr ernst nimmt. Ich führe diese Dinge in die Debatte ein, um nach draußen deutlich zu machen, daß die Parlamentarier vielfältige Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeiten haben und sich ein Ministerium oder ein Bundesamt hüten wird, berechtigte Veranlassung zu geben, solche Kontrollmechanismen mutwillig auszulösen. Die Sorgen sind also unbegründet.Im übrigen glaube ich aber, daß alle Fraktionen mit dem Erreichten weitgehend zufrieden sein dürften. Ich bin überzeugt: Wir werden es auch in ein paar Jahren mit der Verwirklichung und Durchführung dieses Gesetzes durch Bundesregierung und Bundesgesundheitsamt sein können. Ich kann feststellen, daß ich mit meinem Schlußsatz in der ersten Lesung recht behalten habe: Die Vorlage der Bundesregierung zur Reform eines Arzneimittelrechts war doch eine gute Vorlage, auf der wir dieses Gesetz zu diesem erfolgreichen Ergebnis und Schluß führen konnten.
Meine Damen und Herren, das Wort hat Frau Dr. Focke, Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit.
Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Das neue Arzneimittelgesetz, über das wir hier heute beraten, soll den Bürgern Schutz vor Schäden bieten, die durch Arzneimittel entstehen können, und zwar so viel Schutz, wie ein Gesetz überhaupt bieten mag, und auf jeden Fall sehr viel mehr Schutz, als das noch geltende Arzneimittelgesetz bietet.Um diesen bestmöglichen Schutz zu gewährleisten, werden im neuen Arzneimittelgesetz vier Kernforderungen gestellt: Erstens. Es dürfen nur solche Arzneimittel zugelassen werden, die wirksam, unbedenklich und qualitativ einwandfrei sind. Zweitens. Die Verbraucher müssen umfassend über Nutzen und Risiken der Arzneimittel informiert werden. Drittens. Die Arzneimittel müssen in jeder Phase, also auch nach ihrer Zulassung, einer ständigen Beobachtung und Kontrolle unterworfen werden. Viertens. Wer trotz aller Vorsichtsmaßnahmen durch Arzneimittel Schaden erleidet, muß schnell und angemessen finanziell entschädigt werden.Das neue Gesetz bewirkt, daß den Ärzten ein umfassendes Angebot von Arzneimitteln zur Verfügung steht, die in der Therapie wirksam eingesetzt werden können. Dieses Angebot ist breit gefächert, in sich sehr differenziert und berücksichtigt alle Therapierichtungen. Die Ärzte können in Zukunft bei der Wahl eines Arzneimittels davon ausgehen, daß es, soweit nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis möglich, auf Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität geprüft ist. Sie erhalten ferner die Sicherheit, daß sie über Nutzen und Risiko der Arzneimittel so umfassend wie möglich informiert sind.Als wesentlich, insbesondere für die pharmazeutischen Unternehmer, ist herauszustellen, daß die Neuordnung des Arzneimittelrechts unserem Arzneimittelwesen ein Niveau verschafft, das den Vergleich mit keinem anderen Land innerhalb oder außerhalb Europas zu scheuen braucht. Dadurch wird die Wettbewerbsfähigkeit unserer pharmazeutischen Industrie auf dem internationalen Markt gefestigt und verbessert. Auf der Grundlage des neuen Rechts vermag die Industrie langfristig Dispositionen zu treffen, auch für die Entwicklung neuer Arzneimittel.Durch die Anhebung des Niveaus der Arzneimittelsicherheit werden auch neue, erhöhte Maßstäbe für die Beurteilung der Arzneimittel gesetzt. Das wird der Forschung neue Impulse geben. Nicht zuletzt gilt dies für die Naturheilmittel. Denn mit Unterstützung des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit werden die Anstrengungen verstärkt, für diese Arzneimittel wissenschaftliche Prüfungsmethoden zu finden, um die erfahrungsgemäß vorhandene Wirksamkeit dieser Mittel belegen zu können und sie damit auch in den Augen derer zu untermauern, die die Wirksamkeit dieser Mittel bezweifeln.Meine Damen und Herren, jeder Fortschritt kostet seinen Preis, auch der Fortschritt, den dieses neue Gesetz bringt. Allerdings ist dieser Preis gering, gemessen an den Verbesserungen der Arzneimittelsicherheit, die das Gesetz bewirkt. Der öffentlichen
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Bundesminister Frau Dr. FockeHand entstehen vor allem Kosten durch den zur Durchführung des Gesetzes notwendigen Ausbau des Bundesgesundheitsamtes in Berlin als Zulassungsbehörde sowie durch die Intensivierung der Arzneimittelüberwachung bei den Bundesländern.Den pharmazeutischen Unternehmen bringt das Gesetz ebenfalls Belastungen. Sie halten sich jedoch in einem zumutbaren Rahmen. Die Anpassung an internationale Maßstäbe wäre früher oder später ohnehin notwendig geworden, und die Investitionen, die der einzelne Unternehmer vorzunehmen hat, sind um so geringer, je mehr sein Unternehmen dem internationalen Standard bereits angepaßt ist. Durch Übergangsregelungen wird außerdem erreicht, daß die Unternehmen, die dem erforderlichen Standard noch nicht entsprechen, die Investitionen über einen längeren Zeitraum verteilen können, so daß sie sich nicht in den Arzneimittelpreisen niederschlagen müssen.Ziel des Gesetzes ist optimale Arzneimittelsicherheit. Ich betone: optimale. Denn es gibt — leider — keine absolute Arzneimittelsicherheit. Arzneimittelschäden werden sich nie hundertprozentig ausschließen lassen. Darum ist es notwendig, sicherzustellen, daß diejenigen, die trotz aller denkbaren Vorsichtsmaßnahmen Schaden erleiden, finanziell angemessen entschädigt werden. Dabei kommt es in erster Linie darauf an, daß den Geschädigten schnell, unbürokratisch und wirksam geholfen wird, und zwar unabhängig von der Frage, ob der Schaden vom Arzneimittelhersteller verschuldet wurde. Der Regierungsentwurf sah zu diesem Zweck einen Entschädigungsfonds vor. Die Diskussion ist inzwischen weiter fortgeschritten. Die Beratung in den Ausschüssen hat gezeigt, daß eine versicherungsrechtliche Lösung vorzuziehen ist, und zwar auch gegenüber dem sogenannten Versicherungsverein, der von der pharmazeutischen Industrie vorgeschlagen wurde und einem Antrag der CDU/CSU zugrunde liegt.Ich bin mit der jetzt verankerten Lösung voll und ganz einverstanden. Der Grundsatz der Entschädigung läßt sich durch sie noch besser in die Tat umsetzen. Sie ist ordnungs- und rechtspolitisch die sauberste Lösung. Sie verlangt keine besondere Organisationsform oder besondere Verwaltung.Die Kosten für die pharmazeutischen Unternehmer lassen sich bei keinem Modell eindeutig errechnen. Sie sind wahrscheinlich bei allen drei Modellen im Schadensfall vergleichbar. Sie sind, gemessen an dem, was die versicherungsrechtliche Lösung bringt, zumutbar. Dagegen, daß sie allzu große Wellen schlagen, gibt es Sicherungen, und zwar den Selbstwirkungsmechanismus der unter Wettbewerbs- und Risiko-Gesichtspunkten gestalteten Versicherungsprämie und die Aufsicht des Bundesamtes für das Versicherungswesen.Auch in etlichen anderen Punkten hat der Gesetzentwurf während der Ausschußberatungen Veränderungen erfahren. Dies ist ein erwünschter parlamentarischer Prozeß, zu dem das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit in konstruktiver Kooperation beigetragen hat. Ich befindemich deshalb heute abend in einer Lage, in der mir durchaus wohl ist. Ich kann mit Genugtuung feststellen, daß ich alle diese Änderungen nicht nur akzeptiere, sondern zum großen Teil nachdrücklich begrüße, da sie in wesentlichen Punkten — hier erwähne ich besonders die anfänglichen Befürchtungen der Anhänger von Naturheilmitteln — Verdeutlichungen brachten und helfen, Mißtrauen gegen Ermessensspielräume der Bürokratie bzw. gegen eine mögliche oder befürchtete Diskrepanz zwischen Gesetzesabsicht und Gesetzesdurchführung abzubauen. Die Grundsätze und die Absichten des Regierungsentwurfs sind dabei voll und ganz bestätigt worden.Das gilt auch für die konkretisierte Regelung über die Standardzulassung. Ausgangspunkt für sie war, daß bestimmte Arzneimittel, die regelmäßig in öffentlichen Apotheken wie auch in Krankenhausapotheken hergestellt werden, sonst einzeln beim Bundesgesundheitsamt zur Zulassung mit den notwendigen Unterlagen hätten eingereicht werden müssen. Es liegt nahe, für bestimmte dafür geeignete Arzneimittel die Zulassungsbedingungen zu veröffentlichen mit der Folge, daß jeder pharmazeutische Hersteller, der diese Bedingungen einhält, das heißt ganz klare Qualitätsanforderungen erfüllt, von der aufwendigen Einzelzulassung befreit ist. Bei dieser Sachlage wäre es unverständlich gewesen, die Freistellung von der Einzelzulassung auf die Herstellung in Apotheken zu beschränken und den industriellen Herstellern vorzuenthalten. Die vorgeschlagene Lösung ist gleichzeitig mittelstandsfreundlich und fördert möglicherweise den Wettbewerb unter den einzelnen Herstellern.Dem, was hier zu der besonderen Qualität der parlamentarischen Beratungen in den Ausschüssen gesagt worden ist, kann ich voll und ganz zustimmen. Die Abgeordneten haben sich die Beratungen der überaus komplexen und umfangreichen Materie wahrhaftig nicht leicht gemacht. Ich möchte an dieser Stelle die in den Ausschüssen im Dienst der Sache geleistete Arbeit ausdrücklich anerkennen und mich dafür bedanken.Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes wird — auch das ist schon gesagt worden — der Gesetzgeber alles getan haben, was Sache des Parlaments ist. Der Erfolg des Gesetzes aber wird davon abhängen, wie es angewendet wird. Erfolg kann das Gesetz nur haben, wenn alle Beteiligten ihren Beitrag dazu leisten. Ich denke an die Aufgaben, die jetzt auf den Bund, auf die Länder und auf das Bundesgesundheitsamt zukommen werden. Ich denke zugleich an Arzneimittelhersteller, Ärzte, Apotheker, Arzneimittelverbraucher, kurz an alle, die mit Arzneimitteln zu tun haben. Sie alle müssen das Ihre tun, damit Arzneimittel auch vernünftig verwendet werden. An die Angehörigen der Heilberufe richte ich meine Bitte, daß sie ihren Beitrag zur Arzneimittelsicherheit durch die Meldung von Arzneimittelrisiken — sobald diese auch nur in der Vermutung bekannt werden — leisten. An alle pharmazeutischen Unternehmer richte ich die Bitte, in den Bemühungen fortzufahren, ihre Selbstkontrolle weiter auszubauen. An alle Bürger richte ich
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16690 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976
Bundesminister Frau Dr. Fockedie Bitte, die ihnen angebotenen Informationsmöglichkeiten zu nutzen, um einen Mißbrauch von Arzneimitteln zu vermeiden.Die Bundesregierung wird das Ihre tun, um bei der Durchführung des Gesetzes soweit wie irgend möglich zu helfen. Ich danke dem Deutschen Bundestag dafür, daß wir es heute in zweiter und dritter Lesung verabschieden können.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung in der dritten Beratung. Änderungsanträge liegen nicht vor. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenstimmen? — Keine Gegenstimmen. Stimmenthaltungen? — Keine Stimmenthaltungen. Meine Damen und Herren, damit ist das Arzneimittelgesetz in dritter Beratung einstimmig angenommen.
Es liegt auf Drucksache 7/5025 ein Entschließungsantrag unter II vor. Ich gehe davon aus, daß ich ihn geschlossen zur Abstimmung bringen kann. Wer dem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir müssen jetzt noch über den Antrag unter III und IV abstimmen — ich glaube, das kann ich gemeinsam erledigen —, nämlich den Antrag und den Gesetzentwurf der CDU/ CSU sowie die Petitionen und Eingaben als erledigt zu erklären. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen. Meine Damen und Herren, damit sind die Punkte 6 a und b abgeschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht — Fernunterrichtsschutzgesetz —
— Drucksache 7/4245 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/5006 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Althammer
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft
— Drucksache 7/4965 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Lattmann Abgeordnete Frau Dr. Walz
Meine Damen und Herren, ich danke den Berichterstattern und stelle fest, daß eine Ergänzung der vorgelegten Berichte nicht gewünscht wird.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich eröffne die Aussprache, bei der gleichzeitig der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/5128 und der Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP auf Drucksache 7/5123 begründet werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lattmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum dritten Mal im 3. Deutschen Bundestag steht heute die Verbesserung des Rechtsschutzes für Teilnehmer am Fernunterricht in der Bundesrepublik zur Debatte. Zunächst haben wir diese Problematik am 25. Januar 1974 aus Anlaß eines Gesetzentwurfs der Opposition erörtert, dann am 5. Dezember 1975 in der ersten Lesung des vorliegenden Gesetzentwurfs der Bundesregierung. Ich verweise auf das damals Gesagte, das hier nicht wiederholt zu werden braucht.Jedesmal, wie auch in den Beratungen unseres federführenden Ausschusses für Bildung und Wissenschaft, ergab sich dasselbe Bild: Weitgehende Einigkeit besteht im Vorhaben der zu regelnden Inhalte, also in der Absicht, den vielen tausend Bundesbürger, die sich in Fernlehrkursen aus- und weiterbilden, ein vertragsrechtlich und schuldrechtlich korrektes Fernlehrwesen anzubieten, Täuschungen und Angebotsunwesen zurückzudrängen und klare Verhältnisse für alle am Fernunterricht Beteiligten zu schaffen, wie das im wesentlichen auch den jahrelangen Forderungen der Verbraucherschutzorganisation „Aktion Bildungsinformation" und des Arbeitskreises „Korrektes Fernlehrwesen" entspricht. Kontrovers ist dagegen die Frage der Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern. Davon wird hier deswegen hauptsächlich zu reden sein.Die Koalition hat das Gesetz, nachdem sich im Bundesrat keine Mehrheit für den ursprünglichen Wortlaut abzeichnete, durch eine Kann-Bestimmung im § 17 so angelegt, daß der Einzelausführung durch die Länder über deren Verwaltungsverfahren ein weiter Handlungsspielraum bleibt. Dies steht im Zusammenhang mit der entsprechenden Änderung des § 10 Abs. 3, dem Abschnitt über die Zulassung von Fernlehrgängen. SPD und FDP sind auf Grund der übereinstimmenden Stellungnahmen ihrer Rechtsexperten davon überzeugt, daß das Fernunterrichtsschutzgesetz auf diese Weise nicht mehr der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Die CDU/CSU hat im Ausschuß die gegenteilige Haltung bezogen. Das weitere soll sich im Bundesrat am 4. Juni ergeben.Ich appelliere namens der sozialdemokratischen Fraktion an die Opposition, daß Fernunterrichtsschutzgesetz dort, wo Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU die Mehrheit haben und nach Kräften bundespolitisch regieren, nicht weiter zu verzögern.
Die Sachen muß politisch entschieden werden. Dasläuft auf eine Probe auf den Föderalismus hinaus.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976 16691
LattmannDenn der Bundesrat ist in unserem Land so etwas wie das unbekannte Wesen.
Die Bürger fast überall wissen zuwenig, daß die zweite Kammer von den Unionsparteien — nicht selten zum Schaden des Fortschritts — als eine Verzögerungs- oder gar Verhinderungsmaschine gegen die soziale Reformpolitik benutzt wird.
Vom Hochschulrahmengesetz bis zur Reform der Berufsbildung zieht sich eine Spur der Verneinung und Gegenreformation durch diese Ihre Politik im Bundesrat.
Über die Macht, die Sie im Bundesrat, wo immer Sie können, gegen die sozialliberale Mehrheit der Bundestagswahl vom 19. November 1972 wenden, müssen Sie allerdings an einem nicht fernen Tag auch bundespolitisch Rechenschaft ablegen. Das gilt es überall zu verdeutlichen, denn so gesehen sind Sie hier allenfalls eine halbe Opposition.
Meine Damen und Herren, bei dieser Gelegenheit nun ein paar Worte zu den Änderungsanträgen, zunächst zu dem Antrag von SPD und FDP, Drucksache 7/2123.Es ist erforderlich, die §§ 14 und 19 der im Ausschuß beschlossenen Gesetzesfassung hier in zweiter Lesung laut unserem Antrag zu verändern, und zwar im wesentlichen in den Wortlaut des ursprünglichen Entwurfs der Bundesregierung zurückzuverändern. Wir hätten es gern gesehen, wenn die Opposition wenigstens diese Korrekturen mitgetragen hätte, nachdem der Fehler von ihr verursacht war. Im übrigen geht es hier um keine gravierende inhaltliche Änderung, vielmehr im wesentlichen um eine juristisch-gesetzestechnische Formulierung, die auf einem gar nicht unplausiblen Umstand beruht: Wir Bildungspolitiker, meine Damen und Herren, sind in der großen Mehrzahl keine Juristen. Einige Sätze in diesen Paragraphen klangen uns im legislativen Vokabular der juristischen Fachleute für die Allgemeinheit, also auch für uns, offen gesagt, ein wenig unverständlich. Man hat uns inzwischen eines anderen belehrt. Nun ist zwar klar, daß es sich bei den neuen Formulierungen um das Richtige handelt; ich bin aber nicht sicher, ob es auch das Verständliche ist.Nun auch gleich etwas zum Antrag Drucksache 7/5128, den der Kollege Fuchs begründen wird. Meine Damen und Herren, da stoßen wir auf einige liebe alte Bekannte aus den Ausschußberatungen, die aber durch diese neue Drapierung, in der sie hier geboten werden, nicht geläufiger und nicht plausibler werden.In dem Bereich Ihrer Ziffer I kann ich nur mit Erstaunen feststellen, daß Sie hier eine Kombination mit dem, was das Bundesland Hessen im Rechtsausschuß des Bundesrates eingebracht hatte, was aber dann mangels Substanz in der Bundesratsmehrheit überhaupt nicht zum Zuge kam, herstellen.Ferner stelle ich mit Verblüffung fest, daß ausgerechnet Sie im Bereich des § 17 und im Zusammenhang mit § 10 nun in Ihrem Verbund zwischen der Zentralstelle der Länder — ZfU — und der Zentralstelle des Bundes — BBF — eine Kombination anstellen, in der zwar der schulische Bereich in den Verbund aufgenommen wird, der Berufsbildungsbereich, für den es doch gerade zuträfe, aber nicht. Außerdem ist es so, daß Sie sowohl im Bereich Ihrer Ziffer I als auch beim Alternativantrag unter II, den wir dann also noch zusätzlich mit der Mehrheit der Koalition ablehnen müssen, die einzelnen zum Teil doch sehr qualifizierten Beschlüsse unseres Ausschusses überhaupt nicht berücksichtigt haben.Meine Damen und Herren, ich komme zum Fazit. Das Fernunterrichtungsschutzgesetz ist ein notwendiges und im Rahmen der bundespolitisch gegebenen Möglichkeiten vernünftiges Gesetz. Die Länder sind aufgefordert, seinen Gebrauch durch Staatsvertrag im Sinne dieser Vernunft zu regeln. Sollte das nicht in einer großzügig ausreichenden Frist nach dem Inkrafttreten des Gesetzes geschehen, sähe sich der Bundesgesetzgeber allerdings aufgefordert, durch eine kurze Gesetzesnovelle eine dann bundesbezogenere Regelung zu verwirklichen. Das gebietet das berechtigte Interesse aller vom Fernunterrichtsschutzgesetz positiv Betroffenen. Es geht hier immerhin um einen Markt von 80 bis 100 Millionen DM jährlich, es geht nach realistischen Zahlen um etwa 180 000 Teilnehmer in etwa 160 Fernlehrinstituten — davon rund 30 wirtschaftlich herausragendemit insgesamt etwa 800 Fernlehrgängen, und es geht außerdem darum, daß neben viel Lebenspraktischem und Nützlichem in diesem Bereich in einem anderen Bereich, der hier nur schuldrechtlich und vertragsrechtlich mit geregelt werden kann, nämlich im Hobbybereich, allerdings auch eine ganze Menge kostspieliger Träume angeboten und zu Hauf verkauft werden.Wir Sozialdemokraten verabschieden diese kleine, aber wichtige Reform als einen Baustein in unserer mit dem Koalitionspartner vereinbarten bildungspolitischen Gesamtkonzeption.
Die Bevölkerung muß wissen, daß ungleich mehr realisierbar wäre, wenn wir dort andere Mehrheiten hätten, wo die Koalition seit 1969 noch nicht einen Tag am Zuge war, im Bundesrat. Erst heute nachmittag, in der Schlußabstimmung zur Reform des § 218, hat der Sprecher der CDU/CSU wiederum den Bundesrat wie ein Stück der eigenen Fraktion beansprucht, obwohl doch wohl in Zweifel zu ziehen ist, ob dieses bundespolitische Spiel in der zweiten Kammer im Sinne des Verfassungsgebers geschieht.
Meine Damen und Herren, darin, in diesen unterschiedlichen Mehrheiten, die in diesem Lande viel zu wenig bekannt sind, wo — ich sage es noch einmal — der Bundesrat eine Art unbekanntes Wesen ist, in diesem Mechanismus liegt eine erhebliche Beeinträchtigung der Leistungsbilanz der Koalition
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16692 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976
Lattmannin Bildung und Wissenschaft. Auf dem Weg nach Europa freilich wird der Kulturföderalismus eines Tages unweigerlich provinziell. Dann aber ich fürchte, auch erst dann — werden sich andere Mehrheiten finden für eine umfassende Kompetenz der Republik Deutschland im westeuropäischen Bund.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Fuchs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf für die CDU/CSU-Fraktion unsere Anträge zu den §§ 10, 11 und 17, und zwar sowohl die Hauptanträge als auch die Hilfsanträge, begründen. Herr Kollege Lattmann hat bereits kundgetan, daß die SPD- und offensichtlich auch die FDP-Fraktion den grundgesetzlichen Bedenken, die wir hier anmelden müssen, nicht Rechnung tragen wollen. Aber ich glaube, wir müssen bei einer Gesetzgebung, die unserem Rechtssystem entspricht, diesen Gegebenheiten eindeutig Rechnung tragen. Es handelt sich hier um die rechtliche Frage, ob der Bundesgesetzgeber dazu befugt ist, für den gesamten Bereich des Fernlehrwesens eine gesetzliche Regelung zu treffen, oder ob wegen der Kulturhoheit der Länder Teile des Gesetzes von der Regelungskompetenz des Bundes aus verfassungsmäßigen Gründen ausgenommen werden müssen.Erstens. § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Regierungsentwurfes betrifft das Ausbildungs- und Erziehungswesen, für das die Länder anerkanntermaßen zuständig sind. Demgegenüber kann der Bund seine Regelungskompetenz nicht aus Art. 74 Nr. 11 des Grundgesetzes, dem Recht der Wirtschaft, herleiten. Die Regelung dessen, inwieweit ein Fernlehrgang nach Inhalt und Umfang sowie der Art seiner Durchführung zur Vermittlung der Kenntnisse geeignet und erforderlich ist, um das Lehrgangsziel zu erreichen, ist keine Norm, die das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Betätigung regelt, sondern eine, die das Unterrichtswesen, den Bildungssektor, in diesem Fall insbesondere den Bereich der Weiterbildung betrifft.Mit unserem Antrag und unserer Begründung stehen die CDU/CSU-Fraktion und auch die CDU/CSU-geführten Bundesländer nicht allein, sondern dieser Antrag wurde, wie Herr Lattmann schon vorher gesagt hat, im Rechtsausschuß des Bundesrates vom Bundesland Hessen gestellt, und zwar sicher aus wohlerwogenen und zutreffenden Gründen.Zweitens. Unser Antrag zu § 11 Abs. 1 ist als Konsequenz unseres Antrages zu § 10 zu sehen. Er enthält eine Klarstellung des nach § 10 Abs. 2 Gewollten. Dieser Antrag wurde im Bundesrat von den Ländern Hamburg und Nordrhein-Westfalen gestellt. Auch diese Tatsache sollte eigentlich auch der Koalition zu denken geben.Drittens. Die verwaltungsmäßige Ausführung eines Gesetzes ist gemäß Art. 83 des Grundgesetzes eindeutig Sache der Länder. Die Gesetzesvorlage der Bundesregierung erweckt den unzutreffenden Eindruck, als ob der Bundesgesetzgeber dem Landesgesetzgeber die Errichtung einer Zentralstelle erst erlauben müßte. Demgegenüber bringt unser Antrag die verfassungsrechtliche Beziehung zwischen Bund und Ländern auf diesem Gebiet klarer und eindeutig zum Ausdruck. Er gibt außerdem den positiven Möglichkeiten und Ansätzen, die sich bereits bisher durch den Staatsvertrag der Länder auf dem Gebiet des Fernlehrwesens ergeben haben, überhaupt erst einen echten Lebensraum.Es erscheint schlechthin unverständlich, aus welchem Grunde die Bundesregierung und die Koalition auf einer Gesetzesfassung bestehen, die offensichtlich auch von SPD-regierten Ländern nicht akzeptiert wird, weil sie unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht in Ordnung ist, weil sie dadurch sogar das Inkrafttreten des Verbraucherschutzteiles dieses Gesetzes gefährdet. Das im Entwurf vorgesehene Verbundsystem von Bund und Ländern auf dem Gebiet des Fernlehrwesens ist so vom Grundgesetz nicht vorgesehen. Dieses Verbundsystem ist auch keineswegs in dieser Form von der CDU/CSU begrüßt worden, wie es die Pressemitteilung des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft vom 5. April glauben machen will, sondern sie ist begrüßt worden, weil dadurch das bereits installierte System der Zusammenarbeit zwischen Zentralstelle und Ländern eindeutig angesprochen ist. Es hatte nämlich gerade auf dem Gebiet des Fernlehrwesens — das sollten wir nicht vergessen — in den letzten Jahren eine durchaus positive Entwicklung gegeben durch die Zusammenarbeit der Länder untereinander und auch mit dem Bund. Es ist die Auffassung der CDU/CSU, daß derartige positive Entwicklungen gefördert werden sollten, daß man zu einer Weiterentwicklung und Weiterverbreitung des Fernlehrwesens als wichtigen Teil der Weiterbildung nur durch Kooperation kommen kann.
Die Konfrontation, die sich als Folge dieses Gesetzes abzeichnet, meine Damen und Herren, kann und wird diese Entwicklung nur stören. Damit schadet sie aber unserem gemeinsamen Anliegen der Verbesserung des Fernschulwesens.Ich darf nun auch unseren hilfsweisen Antrag auf derselben Drucksache begründen. Für den Fall, daß der Hauptantrag abgelehnt wird, bitte ich wenigstens um Zustimmung zu diesem Antrag.Um einen gewichtigen Teil des Fernlehrwesens vor rechtlicher Unsicherheit und damit auch vor einer Einschränkung des Bildungsangebots für den einzelnen zu schützen, setzt sich die CDU/CSU für eine verfassungsrechtlich saubere Regelung der Kompetenzverteilung ein. Die von der Koalition vorgelegte Fassung zusammen mit ihrer Begründung ist dafür nicht geeignet. Die CDU/CSU ist der Auffassung, daß durch das Umschneidern dieses Gesetzes hin auf ein bloßes Einspruchsgesetz eindeutig in die Kompetenz der Länder in unzulässiger Weise eingegriffen wird, was eben zur Konfrontation und nicht, wie bereits in der Begründung zum Hauptantrag dargestellt, zur Kooperation führen wird. Herr Kollege Lattmann und meine Damen und Herren der
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976 16693
Dr. FuchsKoalition, täuschen Sie sich nicht: Die Koalition irrt, wenn sie glaubt, durch das Umschneidern sei dieses Gesetz nicht mehr zustimmungsbedürftig Herr Kollege Lattmann, der Bundesrat ist auch nicht das unbekannte Wesen, sondern er hat in unserer verfassungsrechtlichen Ordnung seine bestimmte Aufgabe, die er nicht nur wahrnehmen kann, sondern die er auch wahrnehmen muß, und in diesem Fall hat sich auch zumindest ein Teil Ihrer Länder eindeutig in diesem Sinne geäußert.Noch zum einzelnen, meine Damen und Herren. Die Regelung der Zulassung von Fernlehrgängen gehört einfach zum Erziehungs- und Weiterbildungswesen, das Ländersache ist. Nur insoweit, als der nichtschulische Bereich der beruflichen Bildung erfaßt wird, kann der Bundesgesetzgeber die Zulassungsvoraussetzungen für Fernlehrgänge selbst regeln. Aus systematischen Gründen waren wir unter dieser Voraussetzung der Meinung, die Vorschriften der §§ 10 und 11 des Regierungsentwurfs in der von uns vorgelegten Formulierung zusammenfassen zu müssen und dann § 11 dementsprechend streichen zu müssen.Zu § 17 ist nur noch der Form halber zu sagen, daß er dem Antrag in I entspricht, so daß er keiner gesonderten Begründung bedarf.Meine Damen und Herren, ich bitte Sie abschließend, diesen unter dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten gesehenen Änderungsanträgen Rechnung zu tragen, ihnen zuzustimmen. Bei Ablehnung unseres Hauptantrags bitte ich jedenfalls, Herr Präsident, um Abstimmung über unseren Hilfsantrag.Ich möchte noch hinzufügen: Der Änderungsantrag der SPD und FDP zu den §§ 14 und 19 wird unsere Zustimmung finden. Es handelt sich, wie Herr Kollege Lattmann ausgeführt hat, eindeutig um juristische Fragen. Wir wollen diese Dinge, die einfach in der juristischen Sprache so geregelt sind, in diesem Gesetz schließlich auch so stehen lassen.Ich bitte Sie abschließend noch einmal um Zustimmung zu unseren Anträgen.
Ich muß ganz schnell fragen, weil Meinungsverschiedenheiten bestehen: Die nächsten Redner sind für die dritte Beratung vorgesehen? — Ja. Dann sind wir jetzt am Ende der Debatte in der zweiten Beratung und treten in die Abstimmung ein.Ich rufe die §§ 1 bis 9 und 9 a auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Zu den §§ 10, 11 und 17 liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU auf Drucksache 7/5128 unter I vor. Der Antrag ist soeben begründet worden. Können wir den Änderungsantrag im ganzen zur Abstimmung stellen?
— Danke schön. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
— Jawohl! Wer dem Eventualantrag zu den §§ 10, 11 und 17 seitens der CDU/CSU auf Drucksache 7/5128 unter II zuzustimmen wünscht, bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?— Der Antrag ist abgelehnt.Ich rufe jetzt die §§ 10 bis 13 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, bitte ich um ein Handzeichen.— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die §§ 10 bis 13 sind angenommen.Ich rufe jetzt § 14 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/5123 unter Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP vor. Die Anträge sind bereits begründet worden. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist einstimmig angenommen.Wer dem § 14 in der so geänderten Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? § 14 ist somit einstimmig angenommen.Ich rufe die §§ 15 bis 18 auf.
— Wir stimmen dann über die §§ 15 und 16 ab. Wer diesen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Jetzt kommt § 17. Sie möchten über § 17 gesondert abstimmen. Wer dem § 17 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In der Ausschußfassung angenommen!Wir stimmen ab über § 18. Wer § 18 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ist so angenommen.Ich rufe § 19 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/5123 unter Ziffer 2 ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP vor. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ist einstimmig so angenommen.Wer dem § 19 in der geänderten Fassung zuzustimmen wünscht, bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist damit einstimmig angenommen.Ich rufe nunmehr die §§ 20 bis 25, Einleitung und Überschrift auf. Wer diesen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, bitte ich um ein Handzeichen. — Ge-
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16694 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976
Präsident Frau Rengergenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so angenommen.Damit sind wir am Ende der zweiten Beratung. Wir kommen zurdritten Beratung.Hier wünscht Frau Abgeordnete Dr. Walz das Wort; ich erteile ihr das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft hat am 31. März 1976 den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht — kurz: Fernunterrichtsschutzgesetz mit den Stimmen der Koalition gegen die Opposition verabschiedet. Gleichzeitig wurde ein Antrag der CDU/CSU betreffend Fernschulgesetz für erledigt erklärt. Dieser Antrag hatte die Beschäftigung mit diesem Thema eigentlich überhaupt erst angeregt. Unser Antrag hatte das Ziel, das Fernlehrwesen in der Bundesrepublik Deutschland mit Hilfe einheitlicher Vorschriften zur pädagogischen Qualität, zu den Methoden der Information, zur Werbung und zum vertragsrechtlichen Schutz der Teilnehmer für alle Medien zu einem wirksamen Instrument im Rahmen der Weiterbildung zu entwickeln. Noch bei den Beratungen über diesen Antrag des Ausschusses bestand Einmütigkeit über dieses bildungspolitische Ziel obwohl Sie später von Bildung als Ware sprachen, Herr Lattmann —, die Teilnehmer am Fernunterricht nicht nur durch die Regelung der rechtlichen Anforderungen an die Veranstalter von Fernunterricht und an die Vertragsgestaltung vor Nachteilen zu schützen, sondern auch dem Fernlehrwesen insgesamt eine größere Bedeutung im Rahmen des Weiterbildungssystems zu geben. Von diesem bildungspolitischen Ansatz und von diesen Zielvorstellungen ist in der Regierungsvorlage nichts, aber auch gar nichts übriggeblieben.Wer es aber mit den Chancen der um Fortbildung und Weiterbildung Bemühten ernst meint, die ja schließlich die tüchtigsten und die besten sind, wer sich auskennt und wer von den ursprünglichen bildungspolitischen Zielvorstellungen ausgeht, die mit diesem Gesetz hätten verbunden sein können, kann heute diesem Gesetz guten Gewissens nicht mehr zustimmen. Das Fernlehrwesen, das nach der im Bildungsgesamtplan niedergelegten gemeinsamen Auffassung von Bund und Ländern ein wichtiger Bestandteil des modernen Weiterbildungssystems ist, konnte bisher nicht die ihm auf Grund seiner Möglichkeiten zukommende Bedeutung gewinnen und wird diese Bedeutung bestimmt auch nicht durch dieses Gesetz bekommen.Schon während der parlamentarischen Beratungen konnte man denn auch den Eindruck gewinnen, daß die Koalitionsparteien selbst ihrer Sache nicht mehr ganz sicher waren. Zumindest ist festzustellen, daß dieses Gesetz, das heute hier im Hause zur Abstimmung in dritter Lesung vorliegt, trotz mancher Veränderungen in den Beratungen des federführend en Ausschusses nicht das Gesetz der Koalitionsparteien geworden ist, wie es einige Bildungspolitiker derKoalition sicherlich ebenso gehofft haben wie wir. Lediglich ein Ziel — das wird von der Opposition uneingeschräkt begrüßt — konnte erreicht werden: Der an Fernlehrkursen interessierte Bildungswillige, der sich zur beruflichen und nichtberuflichen Weiterbildung der Angebote des Fernlehrwesens bedient, wird künftig vor unseriösen Werbern besser geschützt sein.Aber gerade der Schutz des Verbrauchers ist in den letzten Jahren zunehmend verbessert worden. Ich erinnere hier nur an die verschärften Bestimmungen des BGB, an das Abzahlungsgesetz, an das Gesetz zur Regelung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen, an das Gesetz über den unlauteren Wettbewerb und an das Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften, so daß selbst der ausschließliche Verbraucherschutzcharakter, auf den dieses Gesetz nun reduziert wurde, so viel an ordnungspolitischen Vorstellungen gar nicht mehr bringt. Das hätte man auch durch die anderen Gesetze erledigen können.Aus diesem Grund ist auch die Hast, mit der dieses Gesetz parlamentarisch durchberaten wurde, im ganzen recht unverständlich. Denn daß die Regierungsvorlage zu keinem Zeitpunkt den Anspruch auf eine Reform erheben konnte, mußte dem zuständigen Minister spätestens nach den verschiedenen Anhörungsverfahren, nach den Gegenvorschlägen des Bundesrates und nach der ersten Lesung dieses Gesetzes in diesem Hause klar sein. So kann man sich die erstaunliche und nicht recht einsehbare Hartnäckigkeit, mit der von Regierungsseite diese Gesetzesvorlage verteidigt und schließlich im Ausschuß durchgesetzt wurde, eigentlich nur noch damit erklären, daß der Herr Bundeswissenschaftsminister in der inzwischen sehr gebeutelten Erfolgsbilanz seines Ministeriums zumindest kurz vor Toresschluß noch einen Erfolgspunkt verbuchen wollte. Es ist diese uneinsichtige Haltung des Ministeriums, die schließlich einen tragfähigen Kompromiß verhindert hat, eine Haltung, die sich bei der Suche nach einem vernünftigen Kompromiß etwa für das Berufsbildungsgesetz, wie übrigens die Diskussionen der letzten Wochen deutlich gezeigt haben, immer mehr als eine Belastung für die Bildungspolitik dieses Landes insgesamt herausstellt.
Es hat wenig genutzt, daß unsere Fraktion vom ersten Augenblick an ihre Bereitschaft zur kooperativen Zusammenarbeit erklärt hat. Sie hat immer wieder zum Ausdruck gebracht — auch wenn sie ihre eigenen Positionen klar markiert hat —, daß sie zur Zusammenarbeit bereit wäre, und hat ihre sachliche Mitarbeit angeboten. Die Uneinsichtigkeit jedoch, bei den Schwierigkeiten in den entscheidenden Teilen des Gesetzes — diese sind der Anwendungsbereich, die Zulassung von Fernlehrgängen und die Zulassungsbehörden — zu einem vernünftigen Kompromiß zu kommen, hat schließlich dazu geführt, daß die Opposition der Regierungsvorlage in den Ausschüssen ihre Zustimmung verweigern mußte.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976 16695
Frau Dr. WalzDen Höhepunkt dieser Konfrontationsstrategie — man mag es vielleicht auch den Gipfel der Konfusion nennen, Herr Minister — bildete der Versuch, diesem Gesetz die Zustimmungsbedürftigkeit durch den Bundesrat zu amputieren. Herr Lattmann, ein so unbekanntes Wesen ist ja nun der Bundesrat eigentlich auch nicht. Auch Sie sollten wissen, daß im Bundesrat nur ganz wenige Gesetze — es sind, so glaube ich, nur zwei oder drei in der Periode, in der Sie an der Regierung sind — gescheitert sind. Viel mehr waren es vorher, als Sie in der Opposition waren. Wenn sich, wie ich jetzt gerade der „Neuen Zürcher Zeitung" entnehme, Herr Bundeskanzler Schmidt Wahlpropaganda davon verspricht, daß er sagt, er wolle mehr Bildungskompetenzen auf den Bund übertragen, dann freue ich mich schon darauf, wenn er je die Wahl gewinnen sollte, welchen Kampf er dann mit seinen eigenen Ländern auszustehen haben wird. Herzlichen Glückwunsch!
Herr Minister, Sie wollten die Zuständigkeit der Länder, die im Bildungsbereich klar gegeben ist, im vorliegenden Gesetzentwurf amputieren. Man könnte diesen Zustand eigentlich nur als kurios bezeichnen, wenn er nicht so unglaublich und so symptomatisch wäre: Der zuständige Bildungsminister manipuliert bei einer von ihm selbst zum Bildungsreformgesetz hochstilisierten Gesetzesvorlage die Zustimmung durch den Bundesrat weg. Das geschieht bei einem angeblichen Bildungsgesetz angesichts unserer geltenden Verfassung. Herr Lattmann, ich möchte Ihnen doch raten — wenn ich das darf —, nachdem Sie von dem unbekannten Wesen gesprochen haben, sich einmal etwas mehr in den entsprechenden Artikeln der Verfassung umzuschauen. Dann werden Sie vielleicht doch sehen, wie hier die Zuständigkeiten verteilt sind — übrigens auch nach Bundesverfassungsgerichtsurteilen unaufhebbar. Man mag das bedauern oder auch nicht, aber so ist es.Die Strategie der Bundesregierung und eine eigentlich erstaunlich kurzsichtige Taktik haben dazu geführt, daß dem Fernunterrichtsschutzgesetz durch die Amputation nun auch noch die letzte bildungspolitische Komponente abgesprochen wurde, und zwar gerade in dem Augenblick, als die Bundesländer ihre eigenen Kompromißvorschläge vorlegten. Hier ist die Haltung der Bundesregierung von einer solchen Unlogik, daß es ihr schwerfallen dürfte, diese Argumente glaubwürdig und überzeugend in der Öffentlichkeit zu vertreten. Unter diesen Voraussetzungen ist es deshalb auch schon gar nicht mehr besonders erstaunlich, daß sich die Bundesregierung selbst noch zusätzlich in einen so unüberbrückbaren Widerspruch zu uns hineinmanövriert hat, wie es jetzt durch die zur Verabschiedung anstehende Konstruktion der §§ 11 und 17 (Zulassungsbehörde) geschehen ist. Meine Fraktion — der Herr Kollege Fuchs hat das ja gerade begründet — hat in der zweiten Lesung den letzten Versuch gemacht, ausgehend von den Vorschlägen des Bundesrats, hier vielleicht noch zu einem Kompromiß zu kommen. Aber Sie haben ja diese Anträge abgelehnt.Nach diesem fehlgeschlagenen Versuch bleibt nun unserer Fraktion unter Hinweis auf die nach ihrer Meinung verfassungsrechtlichen Bedenken und Einwände gegen die von der Bundesregierung und den Koalitionsparteien vorgesehene Regelung der Zulassung von Fernlehrgängen und der Organisation der Zulassungsbehörden nichts anderes mehr übrig, als den Gesetzentwurf der Bundesregierung mit den von der Mehrheit des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft beschlossenen Änderungen abzulehnen, denn nach der Meinung der Opposition, Herr Minister, bleibt das Fernunterrichtsschutzgesetz trotz der von den Koalitionsparteien durchgesetzten Regelung in § 17 weiterhin ein zustimmungspflichtiges Gesetz.Art. 84 GG stellt fest, daß Bundesgesetze, die Bestimmungen über die Verwaltung treffen, in ihrer Gesamtheit zustimmungsbedürftig sind. Darüber hinaus bedeutet Ihre Kann-Bestimmung schon eine Regelung in der Frage selbst; denn wäre sie eine wirkungslose Bestimmung, hätte eine solche nichtssagende Vorschrift gar keinen Sinn und auch gar keinen Platz in einem Gesetz.
Eine Regelung liegt also schon darin, daß der Bund mit einer solchen Bestimmung für sich in Anspruch nimmt, Aussagen über diese Materie machen zu können, d. h. also die Kompetenz dazu zu haben.Ebenso gewichtig und zum Teil noch gewichtiger als die Frage, ob das Gesetz wegen § 17 zustimmungspflichtig ist oder nicht, sind jedoch die verfassungsrechtlichen Bedenken der Opposition gegen die von der Bundesregierung in der vorliegenden Fassung vorgesehene Regelung der Zulassung von Fernlehrgängen, wobei wir da übrigens auch noch sehr aufpassen müssen, daß durch die Form der Zulassung nicht der Inhalt unzulässig beschränkt wird und somit tatsächlich ein Eingriff in die private Gestaltungsfreiheit vorliegt.Ich möchte auf das Land Hessen nicht mehr verweisen, das Sie — der Herr Lattmann war es, glaube ich — eben in so hervorragender Weise abqualifiziert haben, indem Sie sagten, die juristischen Einwände des Landes Hessen wären so bedeutungslos gewesen, daß selbst im Bundesrat niemand so sehr darauf Rücksicht genommen hätte. Herr Lattmann, ich erinnere mich noch sehr gut, daß es Herr Zinn war, der jeweils unsere Regierungen damals vor dem Bundesverfassungsgericht verklagt hat. Damals gab es eigentlich ausgezeichnete Juristen in der hessischen Staatskanzlei. Ihre Qualifikation müßte sich außerordentlich verschlechtert haben. Ich werde mich zu Hause einmal erkundigen, ob Sie inzwischen — mit Parteibuch natürlich — so schlechte Juristen haben, daß die nicht einmal mehr das begründen können. Aber wir können das deswegen weglassen.Über die verfassungsrechtlichen Bedenken der nun zur Verabschiedung vorliegenden Fassung hinaus ist auch der Verfahrens- und vertragstechnische Teil des Regierungsentwurfs nicht unumstritten geblieben; denn machen wir uns nichts vor: Ein Gesetz ist um so nützlicher und vernünftiger, je leichter seine Bestimmungen auf die Gesamtheit der Adres-
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16696 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976
Frau Dr. WalzBaten anwendbar sind. Ich muß sagen, Herr Bildungsminister, das, was uns zum Teil von Ihren Beamten vorgelegt wurde, war zwar juristisch hochgeistig ausformuliert, aber selbst für Abgeordnete, die Jura studiert haben, manchmal nicht vom ersten Augenblick an verständlich. Vielleicht könnte man das doch etwas mehr vereinfachen. Wie gesagt, ein Gesetz muß einfach sein, gerade hier, wo es sich um einen Empfängerkreis handelt, der nicht ohne weiteres mit allen juristischen Finessen vertraut ist.Was muß ein solches Gesetz enthalten? Die vorgesehenen Bestimmungen müssen umfassend sein; d. h., sie müssen für alle Fernlehrinstitute wie für alle Fernlehrkurse Geltung haben. Sie müssen praktikabel sein und überschaubare knappe Vertragsbedingungen enthalten. Daß dies bei dem Entwurf nicht der Fall ist, ist ein Mangel, der beim Regierungsentwurf von beinahe alle Sachverständigen im Anhörungsverfahren kritisiert worden ist und dem nur in einigen Fällen abgeholfen wurde, glücklicherweise aber wenigstens in diesen.Die Vorschriften müssen ferner wettbewerbsneutral sein und dürfen nicht bestimmte Arten von Fernlehrinstituten bevorzugen. Deswegen hatten wir auch verlangt, daß alle Medien in dieses Gesetz einbezogen werden müßten, und nicht nur die privaten Fernlehrinstitute.Sie müssen schließlich der privaten Initiative von Fernunterrichtsveranstaltungen genügend Spielraum lassen, eine Forderung, die mir der Regierungsentwurf insgesamt nicht zu erfüllen scheint.So hat denn die Opposition nicht nur bei der ersten Lesung des Regierungsentwurfs, sondern auch im Verlauf der Ausschußberatungen, bestärkt gerade auch durch die Ergebnisse des Anhörungsverfahrens — es war eigentlich niemand glücklich mit diesem Gesetz —, immer wieder darauf hingewiesen, daß der von den Koalitionsparteien bestätigte Anwendungsbereich dieses Gesetzes nicht dem Grundsatz der Rechtsgleichheit entspricht.In der Folge wird das sehr bald zu zwei Arten von Fernlehrinstituten führen, den unter das Fernunterrichtsschutzgesetz fallenden und den nicht darunter fallenden; denn der Regierungsentwurf beschränkt den Anwendungsbereich dieses Gesetzes auf Fernunterricht. der auf vertraglicher Grundlage entgeltlich angeboten wird. Demgegenüber halten wir die Anwendung eines solchen Gesetzes auf alle Fernunterrichtsanstalten und -veranstalter aus dem Prinzip der Rechtsgleichheit für unbedingt erforderlich, übrigens auch so beantragt und durchgegangen im Europäischen Parlament.Zur Vereinfachung des insgesamt sehr bürokratischen Regierungsentwurfs und im Anschluß an entsprechende Vorschläge, die im Rahmen der vom Ausschuß veranstalteten Anhörungen von einer ganzen Reihe von Sachverständigen vorgetragen wurden, machten wir den Vorschlag, zu prüfen, ob bei einigen Sachgebieten nicht die Regelung der Richtlinien des BBF und der ZFU in das Gesetz übernommen werden könnte, weil wir von der Überlegung ausgingen, daß ein solches Verfahren — schon eingeführt — auch noch den Vorzug der Praktikabilität hat. Sie sind uns darin leider nicht gefolgt.Zusammenfassend bleibt also festzustellen, daß ein Gesetz oder zumindest ordnungspolitische Maßnahmen zum Schutz bildungswilliger Fernschüler notwendig und längst überfällig waren. Darüber bestand und besteht wohl Einigkeit. Dem deutlich werdenden Bemühen, einem berechtigten Schutzbedürfnis der Fernschüler in rechtlich gesicherter Form Genüge zu leisten, stimmen wir ebenfalls zu. Aber der ausgesprochen starke Konsumentenschutzcharakter dieses Gesetzentwurfs, der Fernunterricht rein als Ware auffaßt — es ist ja tatsächlich von Ihrer Seite im Ausschuß Bildung mehrfach als Ware behandelt worden —, läßt bildungspolitische Ansätze insgesamt außer acht, die eigentlich das Interessante an dem Gesetz waren. Das ist eine Tatsache, die die Mängel dieses Gesetzes auch im verfahrens- und vertragstechnischen Teil noch deutlicher werden läßt.In dem schon angezogenen Anhörungsverfahren hat ja denn auch die überwiegende Zahl der Experten viele Bedenken der Union gegenüber diesem Gesetzentwurf der Regierung bestätigt. Nach Auffassung aller Experten ist das Gesetz nicht geeignet, dem Fernunterricht als Weiterbildungsmaßnahme entsprechend seinen Möglichkeiten zu einem entscheidenden Durchbruch zu verhelfen. Das Gesetz der Bundesregierung — soviel kann man heute schon sagen — wird das bildungspolitische Engagement und neue Initiativen der privaten Fernunterrichtsveranstalter behindern.
— Ich danke Ihnen für das Zeichen, Frau Präsidentin. Ich hätte mich, vorher zuhörend, manchmal gefreut, wenn auch den Kollegen zuvor ein solches Zeichen gegeben worden wäre.Ich kann sagen, wir müssen dieses Gesetz mit Bedauern ablehnen; denn es ist in keiner Weise das geworden, was wir uns von unserem ursprünglich eingebrachten Gesetz versprochen haben.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schuchardt.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stehen vor dem außerordentlich beachtenswerten Verfahren, daß Frau Walz mehr will, als im Gesetz steht, aber die CDU dafür sorgen möchte, daß wir Paragraphen so ändern, daß sie noch weniger bringen. Hier liegt überhaupt der Bruch in der ganzen Diskussion, die wir hinter uns haben. Wir haben mehrmals die Gelegenheit gehabt, darüber zu diskutieren. Ich gebe gern zu, daß auch mir nichts Neues eingefallen ist. Dennoch sollte man vielleicht an einiges erinnern.Ganz ohne Frage ist es so, daß der Fernunterricht mit diesem Gesetz überhaupt erstmalig gesetzlich geregelt wird. Ich finde, wir sollten hier auch zugeben, Frau Dr. Walz, daß Sie sicherlich einen wesentlichen Anteil daran haben, daß sich
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Frau Schuchardtdieses Bundesparlament mit dieser Frage beschäftigt hat. Ich glaube, das sollte man ganz eindeutig feststellen.
Nur: Sie haben Ihren damaligen Antrag selber als ein Novum bezeichnet. Der Bundestag sollte einen Gesetzentwurf verabschieden, der so hier gar nicht verabschiedet werden konnte, sondern für die Bundesregierung lediglich als Grundlage genommen werden sollte, um mit den Ländern in entsprechende Verhandlungen darüber einzutreten, daß die Länderparlamente bitte schön diesen von hier gewissermaßen exemplarisch vorgegebenen Gesetzentwurf verabschieden. Frau Dr. Walz, ich glaube, Sie waren auch einmal Landtagsabgeordnete. Ich hätte mir als Bürgerschaftsabgeordnete in Hamburg diese Bevormundung sicherlich nicht gefallen lassen.
Wir wissen — auch Sie wissen es, Frau Dr. Walz; gerade heute ist in den Reden wieder darauf hingewiesen worden —, daß der Bund in diesem Bereich eine verhältnismäßig geringe Kompetenz hat. Wir hatten damals schon, anläßlich Ihres Antrags, angekündigt — gemeinsam mit den Sozialdemokraten —, daß wir die Bundesregierung bitten würden, wenigstens die Kompetenz, die sie hat — und das ist in diesem Bereich leider nur der Verbraucherschutz —, optimal auszuschöpfen. Wir als Parteien sollten uns bemühen, das, was bildungspolitisch sicherlich notwendig wäre, in den jeweiligen Länder-Parlamenten durchzusetzen.Der CDU-Antrag war also lediglich, so möchte ich es einmal formulieren, ein Prinzip Hoffnung. Er hätte letztlich überhaupt nichts geändert. Das, was wir mit diesem Gesetz, das wir heute verabschieden wollen, leisten, ist, wenigstens schon einmal den Verbraucherschutz zu realisieren.
Die Einschränkung, die wir in diesem Punkte durch unser Grundgesetz leider erfahren, sollten wir achten.Dieses Gesetz sichert dem Fernschüler einen fairen Vertragsabschluß und schließt gewisse, leider sehr übliche, Geschäftspraktiken der Unternehmen aus. Dieses Gesetz regelt, weil es ein Verbraucherschutzgesetz ist, das Widerrufsrecht, das Kündigungsrecht, das Verbot des unangemeldeten Vertreterbesuchs. Hier wird also der Berater als Vertreter und nicht mehr als Berater gesehen. Selbstverständlich wird hier auch geregelt, daß das Informationsmaterial zutreffend und umfassend sein sollte.Lassen Sie mich hinsichtlich der strittigen Punkte noch auf eines besonders hinweisen: Frau Dr. Walz, der bildungspolitisch entscheidende Paragraph ist der § 10 Abs. 2 Satz 1, den Sie herausstreichen wollen. Das ist der einzige Punkt, bei dem wir der Auffassung sind, daß es verfassungsrechtlich möglich ist, die Zulassung dann zu versagen, wenn der Lehrgang nach Inhalt und Umfang und nach der Art seiner Durchführung nicht zur Vermittlung derjenigen Kenntnisse und Fähigkeiten geeignet ist, dieerforderlich sind, um das Lehrgangsziel zu erreichen. Wenn Sie diesen Absatz herausnehmen wollen, läuft das darauf hinaus, daß Sie nur formalistische Dinge regeln, aber von seiten des Gesetzgebers nicht sicherstellen, daß der Inhalt der Ausbildung auch tatsächlich auf das Ziel hinarbeitet, das vorgesehen ist.
Frau Dr. Walz, verfassungsrechtlich ist es doch so — die Juristen haben uns entsprechend beraten, ich selbst bin kein Jurist —, daß der Fernlehrgang, der angeboten wird, Ware ist. Er ist Ware, die in einem Unternehmen produziert und von einem Verbraucher abgenommen wird. Wenn diese Ware einen Erfolg verspricht, den sie nicht halten kann, so erfordert dies eine Verbraucherschutzmaßnahme — diese hat natürlich bildungspolitischen Charakter —, eine Regelung durch dieses Parlament. Der Bundesrat und auch Sie würden uns und den Fernschülern keinen guten Dienst erweisen, wenn Sie sich hier auf einen rein formalen Gesichtspunkt zurückzögen, zu sagen: wir sehen dies unter dem Gesichtspunkt der Bildung und nicht unter dem des Verbraucherschutzes. Wir jedenfalls sehen dies unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes.Frau Dr. Walz, ich stimme Ihnen gern zu, daß es wünschenswert gewesen wäre, den Fernunterricht als Teil der Weiterbildung zu betrachten und zu regeln und z. B. die Verzahnung dadurch sicherzustellen, daß Fernunterricht in Volkshochschulen oder ähnlichen Einrichtungen angeboten würde. Ich meine, es ist ganz ohne Frage notwendig, dies in den Länder-Parlamenten zu regeln. Wir sollten unseren Einfluß in unseren Bundesländern geltend machen, daß dies durchgeführt wird.Wir sind uns alle darüber einig, daß der Fernunterricht sicherlich noch eine große Zukunft hat. Das bedeutet, daß wir ihn aus den Vorwürfen herausbekommen müssen, die in den letzten Jahren auf Grund der gesetzlichen Regelung berechtigterweise entstanden sind.Ich hoffe, daß es uns gelingt, diesen Gesetzentwurf ohne ein weiteres Verfahren in Kraft treten zu lassen. Wir hoffen auf die Zustimmung des Bundesrates. Wir sind uns zwar nicht dieser Mehrheit, wohl aber der Tatsache gewiß, daß diese Mehrheit nicht notwendig ist. Es war ja ein wesentlicher Punkt bei der Ausschußberatung, diese Zustimmung entbehrlich zu machen, um wenigstens den Verbraucherschutz zu erhalten. — Vielen Dank.
Das Wort hat Herr Bundesminister Rohde.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Entscheidung über den Entwurf eines Fernunterrichtsschutzgesetzes wird ein Schlußstrich unter eine Diskussion gezogen, die sich nun schon über mehr als zehn Jahre erstreckt. Frau Kollegin Walz, dieser Entwurf ist also nicht in Hast entstan-
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Bundesminister Rohdeden. Zu Ihrer entsprechenden kritischen Anmerkung kann ich nur feststellen, daß es zwischen uns ganz offensichtlich sehr unterschiedliche Auffassungen über das Tempo von Entscheidungen in der Bildungspolitik gibt.Der Entwurf ist der demokratische Versuch, möglichst vielen Betroffenen durch einen sachlichen Kompromiß gerecht zu werden: sowohl den ca. 120 Fernlehrinstituten mit ihren weit über tausend Kursangeboten als auch den zur Zeit fast 200 000 Teilnehmern am Fernunterricht, darüber hinaus den an der Bildungspolitik insgesamt interessierten Verbänden und Einrichtungen.Für diesen Versuch und sein Gelingen danke ich den beteiligten Ausschüssen des Deutschen Bundestages, ebenso für die zügige Beratung und Beschlußfassung im letzten Stadium. So wurde es möglich, dieses im Grunde von allen Fraktionen gewünschte Gesetzesvorhaben noch so rechtzeitig abzuschließen, daß es am 1. Januar 1977 in Kraft treten kann.Ich freue mich, daß die Grundzüge des Regierungsentwurfs die Zustimmung der Mehrheit des Ausschusses und zum Teil auch aller Fraktionen dieses Hauses gefunden haben. Ich nenne dabei insbesondere die volle Nutzung der Kompetenzen des Bundes auf den Gebieten des Bürgerlichen Rechts und des Gewerberechts zugunsten des Schutzes der Teilnehmer am Fernunterricht vor Übervorteilung und unzureichenden Angeboten, zweitens die Konzeption einer gemeinsamen Adresse für die Zulassung von Fernlehrgängen und damit die Aufhebung eines aus gesamtstaatlicher Sicht unnötigen und nach aller Erfahrung störenden Dualismus staatlicher Tätigkeit gegenüber dem Bürger und schließlich drittens den Gesichtspunkt eines Verbundsystems zwischen der zuständigen Stelle der Länder und dem Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung mit seinen anerkannten Kapazitäten auf dem Gebiet des berufsbildenden Fernunterrichts.Gestatten Sie mir einige Anmerkungen zu den kritischen Einwänden der Opposition.Aus deren Reihen hören wir zunächst den Vorwurf, hier werde nur ein „Verbraucherschutzgesetz" statt eines bildungspolitischen Vorhabens vorgelegt. Tatsache ist, daß seit langem in zahlreichen Verhandlungen, insbesondere mit den der Opposition nahestehenden Ländern, Formulierungen gesucht wurden, die etwa befürchtete Eingriffe in die Zuständigkeit der Länder auf dem Gebiet des Bildungswesens zweifelsfrei vermeiden. Dennoch kritisierten die unionsregierten Länder im Bundesrat den Gesetzentwurf mit dem Vorwurf, er enthalte immer noch zu viele bildungspolitische Bestimmungen; sie haben daher im Bundesrat mit der Mehrheit ihrer Stimmen die Streichung dieser Bestimmungen vorgeschlagen. Während bei der ersten Lesung im Bundestag der Gesetzentwurf von der Opposition als bildungspolitisch nicht ausreichend kritisiert wurde, beantragte dieselbe Opposition im federführenden Ausschuß in meist wörtlich mit den Bundesratsvorschlägen übereinstimmenden Anträgen, möglichst alle Bestimmungen, die irgendwie bildungspolitischen Charakter haben könnten, zu streichen. Auchheute wurde uns ja dieser Widerspruch vorgeführt: Der Kollege Fuchs beklagt, nach seiner Auffassung enthalte der Entwurf einen Eingriff in Kompetenzen der Länder und zeige zu viele bildungspolitische Profile.
Auf der anderen Seite hat die Kollegin Walz genau das Gegenteil getan und an diesen Entwurf Anforderungen bildungspolitischer Art gestellt, die in der heutigen Kompetenz des Bundes gar nicht unterzubringen sind.Meine Damen und Herren, die Auffassungen waren damals und sind auch heute wieder so widersprüchlich, daß damit überhaupt keine sinnvollen Regelungen zu erreichen sind. Sie können nicht erwarten, daß wir uns in dem weiteren Gesetzgebungsverfahren solchen Widersprüchlichkeiten aussetzen, mit denen dann im Bezugsfeld von Bundestags- und Bundesratsentscheidungen oft wichtige und notwendige Gesetzeswerke unter die Mühlsteine geraten sollen.
Ein anderes Beispiel. Auch von Sprechern der Opposition wird seit Jahren in der Öffentlichkeit und z. B. auch im Europäischen Parlament erklärt, jede gesetzliche Regelung zum Fernunterricht müsse unbedingt handfeste Schutzbestimmungen gegenüber unseriösen Vertretern enthalten. Nach mühseligen Vorarbeiten wurde von uns eine entsprechende, verfassungsrechtlich haltbare Formulierung gefunden. Doch im federführenden Ausschuß beantragt die Opposition die Streichung dieser Schutzbestimmung, die auch der Bundesrat gebilligt hatte, und ihren Ersatz durch eine unzureichende Formulierung.Im übrigen ist — unabhängig von den verfassungsrechtlichen Gegebenheiten, die der Bundesgesetzgeber einhalten mußte — auch gar nicht einzusehen, warum ein Verbraucherschutz für Teilnehmer im Fernunterricht eine Sache minderen Wertes sein sollte. Mit diesem Gesetz schützen wir mehrere hunderttausend Menschen, die jetzt schon Weiterbildungsangebote über Fernunterricht suchen. Wir rechnen außerdem damit, daß eine weitaus größere Zahl von Interessenten künftig auf Grund der höheren Zuverlässigkeit der Fernlehrinstitute zusätzlich am Fernunterricht teilnehmen wird.Man sollte meinen, daß es auch bildungspolitisches Gewicht hat, mit den Mitteln des Vertragsrechts und des Gewerberechts einen so großen Personenkreis von Bildungswilligen zu schützen und zu ermutigen. Hier ist, Frau Kollegin Walz, nichts hochstilisiert worden. Hier sind Notwendigkeiten wahrgenommen worden, die sich an den Interessen der Betroffenen orientieren.Die Länder werden nun für ihren Kompetenzbereich für dieses Gesetz ergänzende Regelungen zu treffen haben. Ich nehme an, daß dies durch Novellierung des Staatsvertrages über die Zentralstelle für Fernunterricht der Länder geschehen wird. Bund und Länder werden die ordnungspolitischen Schritte durch Maßnahmen der verstärkten Förderung eines
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Bundesminister Rohdekorrekten Fernunterrichts zu flankieren haben. Mit diesem Anstoß über ein am Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes orientiertes Bundesgesetz wird somit ein zentraler und zukunftsträchtiger Bereich der Weiterbildung nicht nur geregelt, sondern auch vielfältig gefördert.Ich bedauere es, daß die Opposition dem Gesetz dennoch nicht zustimmt. Ich halte die von der Koalition angebotenen und beschlossenen Kompromißformulierungen zu den streitigen Fragen der Zulassung für sachlich und politisch voll akzeptabel. Die Koalition hat mit ihrem Gesetzentwurf den Ländern gegenüber ein faires Angebot gemacht. In Zukunft soll eine Länderstelle über sämtliche Fernlehrgänge entscheiden. Wir gehen davon aus, daß im berufsbildenden Bereich das von allen Fraktionen gewollte und auch vom Bundesrat im ersten Durchgang grundsätzlich gebilligte Verbundsystem Wirklichkeit wird.Ich sehe keinen Anlaß zu dem von Teilen der Wirtschaft geäußerten Verdacht, die Länder wollten auf die Erfahrungen und die mit Recht sehr angesehenen Kapazitäten des Bundesinstituts für Berufsbildungsforschung im berufsbildenden Fernunterricht verzichten. Der Vorschlag einer gemeinsamen Adresse und eines vernünftigen Zusammenwirkens der Länder und des Bundesinstituts hat sein Gewicht und sollte deshalb auch aus dem Streite bleiben.Mit einem letzten Wort möchte ich an die Länder appellieren, nach dem Inkrafttreten des Gesetzes möglichst bald landesrechtliche Regelungen zu treffen, die mit dem Verbundsystem Ernst machen, und damit die durch dieses Gesetz eingeleitete bessere Ordnung des Fernunterrichtsmarktes mit einem zweiten Schritt, den der Bund aus seiner Kompetenz nicht tun kann, weiterzuführen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Pfeifer.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Verständnis, daß ich auf die Ausführungen des Herrn Bundesministers Rohde doch noch kurz beantworten möchte. Herr Bundesminister Rohde und auch Herr Lattmann haben an die Opposition und auch an den Bundesrat appelliert, das Inkrafttreten dieses Gesetzes nicht durch eine weitere Verzögerung des Verfahrens hinauszuschieben. Dazu möchte ich, Herr Minister Rohde und meine Damen und Herren, folgendes sagen:Die bisherige Behandlung dieses Gesetzentwurfs im Bundestag ist in meinen Augen ein Musterbeispiel dafür, warum die Bundesregierung mit einem Gesetzgebungsvorhaben nach dem anderen immer wieder in Schwierigkeiten kommt und warum ihre Bildungspolitik Stück für Stück Schiffbruch erleidet. Das möchte ich hier kurz darstellen.Da sind ein völlig vernünftiges Projekt und eine völlig vernünftige Absicht, nämlich des besseren Schutzes der Fernschüler, vom ganzen Parlament gewollt. Da sind ein völlig vernünftiges Projekt und eine völlig vernünftige Absicht, auch von Bund undLändern gemeinsam gewollt. Und jetzt gibt es einen einzigen Streitpunkt, nämlich den Streitpunkt, ob die von Ihnen vorgeschlagene Regelung des § 10 verfassungsrechtlich möglich ist. Herr Lattmann, alle Länder, auch die sozialdemokratisch geführten Bundesländer, haben im ersten Durchgang im Bundesrat darauf hingewiesen, daß gegen die von Ihnen gewählte Formulierung grundgesetzliche Bedenken bestehen.Wenn Sie mir erlauben, Frau Präsidentin, möchte ich aus der Begründung eines Antrags zitieren, den das Land Hessen gestellt hat. Das Land Hessen schreibt darin laut Protokoll eines Ausschusses des Bundesrats:Dem Bund fehlt die Gesetzgebungskompetenz, die Zulassung eines Fernlehrganges insoweit zu regeln, als Gesichtspunkte des Unterrichtswesens zum Tragen kommen. Für diese Bereiche sind die Länder zuständig.Ich habe Verständnis für eine solche Argumentation. Denn wie wollen Sie, wenn Sie in dieser Weise in Kompetenzen der Länder eingreifen, beispielsweise künftig einen Gesetzentwurf über die Zulassung von Privatschulen oder einen Gesetzentwurf über die Zulassung von Lesebüchern und dergleichen im Bundestag nicht mehr für zulässig halten? Wir müssen doch Verständnis dafür haben, daß alle Länder im Bundesrat der Meinung gewesen sind, daß gegen eine solche Bestimmung Bedenken bestehen.Was hat deshalb die CDU/CSU in den Ausschüssen getan? Nichts anderes, als den Antrag des Landes Hessen im Bundesrat zu wiederholen.
Sie wissen, daß Sie, wenn Sie diesem Antrag des Landes Hessen zugestimmt hätten, eine einstimmige Verabschiedung hier im Bundestag und anschließend eine problemlose Behandlung des Gesetzentwurfs im Bundesrat erreicht hätten. Sagen Sie mir jetzt einmal einen einzigen Grund dafür, warum ein solches Verfahren nicht möglich ist. Der Gesetzentwurf wäre dadurch überhaupt nicht verschlechtert worden, nachdem Sie sich einmal auf ein Verbraucherschutzgesetz verständigt hatten; im Gegenteil, dieser Gesetzentwurf wäre dadurch auf eine verfassungsrechtlich einwandfreie Grundlage gestellt worden.Aber nein, wie auch sonst in der Bildungspolitik, bleiben Sie halsstarrig und stur auf einer einmal eingenommenen Position stehen und gefährden lieber das Projekt, als daß Sie einmal bereit wären, auf ein solches Angebot im Zuge des kooperativen Föderalismus einzugehen. Meine Damen und Herren, so kann man nicht Bildungspolitik machen.
Das ist der Grund, warum diese Bildungspolitik für diese Bundesregierung zu einer immer schwereren Hypothek wird.Meine Damen und Herren von der Koalition, ich sage das auch in bezug auf einen anderen Gesetzentwurf, der am 14. Mai im Bundesrat beraten wird. Sie können Aktionen und Kampagnen vorbereiten, soviel Sie wollen: Solange Sie nicht eine grund-
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Pfeiferlegende Umkehr auch im Verhältnis des Umgangs mit den in der Bildungspolitik Verantwortlichen einleiten, bleibt Ihre Bildungspolitik nicht nur eine schwere Hypothek und Belastung für diese Regierung, sondern wird diese Bildungspolitik, die Sie verantworten, Herr Minister Rohde, zu einer immer schwereren Belastung für dieses Land und vor allem für die jungen Menschen in diesem Land.Ich kann deswegen nur sagen: Wir lehnen diesen Gesetzentwurf aus diesen verfassungsrechtlichen Gründen ab. Ich appelliere an Sie, daß Sie dann doch wenigstens für eine zügige Beratung im weiteren Verfahrensverlauf dadurch sorgen, daß Sie jetzt diese etwas kleinkarierte Halsstarrigkeit gegenüber den Ländern aufgeben und dafür sorgen, daß wenigstens eine Regelung zustande kommt, die verfassungsrechtlich unbedenklich und unproblematisch ist. Denn, meine Damen und Herren, am besseren Schutz für die Fernschüler sind wir genauso interessiert wie die anderen Fraktionen dieses Hauses auch.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lattmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Pfeifer, es wird Sie nicht überraschen, wenn doch das Bedürfnis besteht, mit einer kurzen Antwort von unserer Seite das, was an Ihrem Pathos zwar recht wirkungsvoll, aber auch hochgradig emotional und eben nicht politisch logisch war, abzubauen;
denn, Herr Kollege Pfeifer, wir haben doch, wenn wir uns einmal die Bildungspolitiker von Bund und Ländern und von allen Fraktionen, auch der Ihren, im Verein vorstellen, eben leider eine grundursächliche Verfassungsschwierigkeit, die darin besteht, daß weite Bereiche unserer Bildungspolitik nicht so geregelt werden konnten und können, wie es die Vernunft der Sache eigentlich im Sinne der Bürger unseres Landes erfordert.
Ich weiß, daß das nicht reparierbar ist, daß die Mehrheiten für eine Änderung nicht gegeben sind. Ich weiß auch, daß es seine historische Bedeutung, aber auch seine historische Tragik hat, daß in unserem Land, das in seiner Geschichte mit soviel Kleinstaaterei zu tun hatte, die beiden historischen Chancen, eine bundeseinheitliche Bildungspolitik zu begründen, 1918 wie 1945 versäumt worden sind. Gewiß ist uns der Teil Föderalismus, den wir heute haben, auch durch die Besatzungsmächte aufgezwungen worden, die eben nicht mehr bundeseinheitliche Dinge wollten.
Aber wir wissen doch gemeinsam, daß es wenig Sinn hat, mit der großen Deklamation die täglich erfahrbare Tatsache zu verdecken, wie schwierig es ist, Dinge, die ihrem Wesen nach in unserem ja nicht sehr großen Lande länderübergreifend vor sich
gehen, einheitlich zu regeln, und daß sich eben elf Länder und der Bund zusammenfinden müssen. Die CDU/CSU hat ja während der Zeit ihrer bundespolitischen Verantwortung genauso die Erfahrung gemacht, wie schwierig das ist. Das Ergebnis ist, daß z. B. der Fernunterricht, der seinem Wesen nach überhaupt nichts mit Ländergrenzen zu tun hat, nicht bundespolitisch umfassend geregelt werden kann. Das Ergebnis ist, daß Schulkinder, die aus dem Allgäu nach Schleswig-Holstein ziehen, grundsätzlich andere Bedingungen vorfinden. Sie wissen genausogut wie ich, wieviel man in dieser Weise aufzählen könnte.
Wir müssen uns, glaube ich, vorsehen, nicht auf Grund irgendeiner parteipolitisch-egoistischen, auf emotionale Wahlkampfsituationen abgestellten Äußerung die Tatsache zu verdecken, daß wir alle miteinander als Bundesbildungspolitiker ein partielles Geschäft einer sehr begrenzten Kompetenz betreiben. Sie, Herr Kollege Pfeifer, dürfen ja auch nicht übersehen, daß die Kompetenz des Bundes im Bereich der beruflichen Ausbildung nach Art. 74 des Grundgesetzes nach dem, was Ihre Fraktion vorgelegt hat, so weitgehend geschmälert worden wäre, daß man das Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung eventuell gleich hätte abschaffen können.
Ich will hier nicht mehr lange reden, sondern ich bitte Sie, mit uns als Koalition doch auch aufrichtig zu verfahren: nicht mit gespaltener Zunge zu sprechen. Sie stecken nämlich auf der einen Seite mit der Zunge des CDU/CSU-Bildungspolitikers in denselben Befangenheiten wie wir und schlagen auf der anderen Seite den Zungenschlag des Landespolitikers an. Den, Herr Kollege Pfeifer, können Sie sich aber nur dann leisten, wenn Sie Landeskulturpolitiker sind.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist mit Mehrheit angenommen.Es liegen noch weitere Ausschußanträge vor. Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache 7/4965 unter Ziffer 2, „den Antrag der Fraktion der CDU/ CSU — Drucksache 7/1337 — für erledigt zu erklären", zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? -Der Antrag ist bei einigen Gegenstimmen angenommen.Der Ausschuß beantragt auf Drucksache 7/4965 unter Ziffer 3, „die Unterrichtung durch das Europäische Parlament — Drucksache 7/3346 — zur Kenntnis zu nehmen". Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.Der Ausschuß beantragt weiter auf Drucksache 7/4965 unter Ziffer 4, „die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären". — Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976 16701
Präsident Frau RengerIch rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Beamtenrechtsrahmengesetzes— Drucksache 7/4568 —Bericht und Antrag des Innenausschusses
—Drucksache 7/4860 —Berichterstatter:Abgeordneter Becker Abgeordneter Berger
Der Berichterstatter wünscht nicht das Wort. Auch in der Debatte wird das Wort nicht gewünscht.Ich rufe die Art. 1 und 2 auf. Hierzu liegen auf Drucksache 7/5122 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU sowie auf Drucksache 7/5139 ein interfraktioneller Änderungsantrag vor. Wie mir mitgeteilt worden ist, hat sich der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU durch den interfraktionellen Änderungsantrag erledigt. Es ist interfraktionell vereinbart, daß für den Änderungsantrag auf Drucksache 7/5139 auf Begründung und Aussprache verzichtet werden soll. Auch dies ist die Meinung des Hauses.Wer diesem interfraktionellen Änderungsantrag auf Drucksache 7/5139 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.Wer den Art. 1 und 2 in der soeben geänderten Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese Artikel sind angenommen.Ich rufe die Art. 3 und 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In der zweite Beratung einstimmig angenommen.Wir kommen zurdritten Beratung.Das Wort wird in der dritten Beratung nicht gewünscht.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Der Ausschuß beantragt weiter, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. — Es erhebt sich kein Widerspruch; so beschlossen.Punkt 9 der Tagesordnung — Änderung der Gewerbeordnung — ist abgesetzt.Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rentenniveau-Sicherungsklausel— Drucksache 7/1567 --a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/5005 — Berichterstatter: Abgeordneter Krampeb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 7/4959 —Berichterstatterin:Abgeordnete Frau Verhülsdonk
Das Wort zur Berichterstattung wird nicht gewünscht. Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich rufe Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. -- Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit. Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift dieses Gesetzentwurfes sind abgelehnt. Damit unterbleibt eine weitere Beratung.Ich rufe nunmehr Punkt 11 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung des Kündigungsschutzgesetzes— Drucksache 7/4519 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 7/5074 —Berichterstatter: Abgeordneter Zink
Der Berichterstatter wünscht nicht das Wort. Zur Aussprache wird das Wort ebenfalls nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — In zweiter Beratung einstimmig angenommen.Wir kommen zurdritten Beratung.Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 113 der Internationalen Arbeitsorga-
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16702 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976
Präsident Frau Rengernisation vom 19. Juni 1959 über die ärztliche Untersuchung der Fischer— Drucksache 7/4511 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 7/... —Berichterstatter: Abgeordneter Glombig
Das Wort in zweiter Beratung wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe die Artikel 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 73 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 29. Juni 1946 über die ärztliche Untersuchung der Schiffsleute— Drucksache 7/4512Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 7/ ... —Berichterstatter: Abgeordneter Glombig
Das Wort in zweiter Beratung wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe die Artikel 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist angenommen.Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ersten Gesetzes über Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung— Drucksache 7/4484 —Bericht und Antrag des Innenausschusses
— Drucksache 7/5027 —Berichterstatter:Abgeordneter Gerlach Abgeordneter Wittmann (Straubing)
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe die Artikel 1 bis 5 in der Fassung des Ausschußantrages, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In zweiter Beratung einstimmig angenommen.Wir kommen zurdritten BeratungDas Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Wir haben noch über den Ausschußantrag abzustimmen. Der Ausschuß beantragt auf Drucksache 7/5027 unter Ziffer 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Fundrechts— Drucksache 7/3559 —Bericht und Antrag des Rechtsausschusses
— Drucksache 7/5105 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Dr. Däubler-Gmelin Abgeordneter Dr. Hauser
Das Wort wird nicht begehrt. Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 4 in der Fassung des Ausschußantrages, Einleitung und Überschrift auf. Wer den Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!— Stimmenthaltungen? — In zweiter Beratung einstimmig angenommen.Wir kommen zurdritten Beratung.Das Wort wird nicht begehrt. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben.— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Wir haben noch einen Ausschußantrag vorliegen. Der Ausschuß beantragt auf Drucksache 7/5105 unter Ziffer 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. — Das Haus erhebt keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Statistiken der Rohstoff- und Produktionswirtschaft einzelner Wirtschaftszweige— Drucksache 7/4603 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 7/5016 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Unland
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976 16703
Präsident Frau RengerDas Wort wird nicht begehrt. Ich rufe Art. 1 Nr. 1 auf. Wer den Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.Ich rufe Art. 1 Nr. 2 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/5124 ein interfraktioneller Änderungsantrag auf Streichung vor. Wird das Wort noch zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! Enthaltungen? — Angenommen.Wir müssen nun noch über Art. 1 Nr. 2 in der geänderten Fassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.Ich rufe dann Art. 2, Art. 3, Einleitung und Überschrift auf. — Wer den aufgerufenen Bestimmungen in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In der zweiten Beratung angenommen.Meine Damen und Herren, wir kommen zurdritten Beratung.Das Wort wird nicht begehrt. Wir treten in die Schlußabstimmung ein. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in der dritten Beratung einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Fahrpersonal im Straßenverkehr— Drucksache 7/4336 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache 7/5015 —Berichterstatter: Abgeordneter Batz
Das Wort wird nicht begehrt. Ich rufe Art. 1 bis 5 in der Fassung des Ausschußantrages, Einleitung und Überschrift auf. — Wer den Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Wir kommen zurdritten Beratung.Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in der dritten Beratung einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem InternationalenFernmeldevertrag vom 25. Oktober 1973— Drucksache 7/4807 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache 7/5007 —Berichterstatter:Abgeordneter Weber
Die Abstimmung in zweiter Beratung wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 20. Oktober 1972 über die Internationalen Regeln zur Verhütung von Zusammenstößen auf See— Drucksache 7/4806 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache 7/5008 —Berichterstatter: Abgeordneter Dreyer
Das Wort wird nicht begehrt. Ich rufe Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift auf, verbunden mit der Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes— Drucksache 7/4813 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache 7/5009 —Berichterstatter: Abgeordneter Wendt
Das Wort wird nicht begehrt. Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. — Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig in zweiter Beratung angenommen.
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16704 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976
Präsident Frau Renger Wir treten in diedritte Beratung.Das Wort wird nicht begehrt. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In der dritten Beratung einstimmig angenommen.Meine Damen und Herren, ich rufe auf die Punkte 21 und 22 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 21. Februar 1971 über psychotrope Stoffe— Drucksache 7/4957 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit RechtsausschußHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOErste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Erhebung von Kosten beim Bundessortenamt— Drucksache 7/4966 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
HaushaltsausschußEs handelt sich um von der Regierung eingebrachte Gesetzentwürfe. Das Wort wird nicht begehrt. Die Überweisungsvorschläge liegen Ihnen vor. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung wie vorgesehen beschlossen.Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 23 der Tagesordnung auf:Beratung der Sammelübersicht 57 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen und systematische Übersicht über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 13. Dezember 1972 bis 31. März 1976 eingegangenen Petitionen— Drucksache 7/5067 —Das Wort zu einer Erklärung hat der Herr Abgeordnete Koblitz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldigung, daß ich zu so später Stunde Ihre Zeit in Anspruch nehme, aber ich glaube, es ist notwendig, daß dieser Ausschuß, der seine Arbeit im Stillen vollzieht und nur alle Vierteljahre einmal hier berichtet, tatsächlich auch über seine Arbeit berichtet, zumal wir in den vergangenen drei Monaten seit dem letzten Mündlichen Bericht feststellen konnten, daß das Interesse der Öffentlichkeit an unserer Arbeit immer stärker wird und auch das Interesse der Bürger selbst.Immer häufiger treten Fernseh- und Rundfunkanstalten an den Ausschuß heran, um über unsere Aufgaben, unsere Arbeitsweise sowie interessante Einzelfälle zu berichten. Die Folge ist, daß die Arbeit des Petitionsausschusses, dessen Existenz offensichtlich weiten Kreisen der Bevölkerung bisher unbekannt war, immer stärker im Bewußtsein der Öffentlichkeit verankert wird. Deutlich zeigt sich dies in einem erneuten starken Ansteigen der Zahl der Petitionen in den letzten Monaten. Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres sind mit weit über 6 000 Petitionen gegenüber 3 800 im Vorjahr rund 70 °/o mehr Eingaben an den Petitionsausschuß gerichtet worden als vor einem Jahr; im Monat April gab es sogar eine Verdoppelung. Dies bringt natürlich erhebliche organisatorische Probleme für das Petitionsbüro mit sich.Auf Antrag der Vorsitzenden hat daher der Bundesrechnungshof im Oktober 1975 mit der Überprüfung der Organisation der Zentralstelle für Petitionen und Eingaben begonnen, um insbesondere den Personalbedarf für die Bewältigung dieser stark steigenden Zahl von Eingaben festzustellen. Wir hoffen, daß der Bundesrechnungshof seine Prüfungen bald beenden wird. Die unzureichende personelle Ausstattung des Hilfsdienstes unseres Ausschusses führt häufig zu langen Bearbeitungszeiten, die letztlich dem Ansehen des Parlaments nicht dienen.Ich möchte bei dieser Gelegenheit ausdrücklich den Mitarbeitern des Petitionsbüros für ihre selbst lose und aufopferungsvolle Arbeit danken.
Selbstverständlich fällt auch uns Ausschußmitgliedern auf Grund dieser Entwicklung ein gerütteltMaß an zusätzlicher Arbeit und Verantwortung zu.Vielleicht sei mir hier ein kleiner Vergleich mit der Behörde des Wehrbeauftragten gestattet, der ja für den Bereich der Bundeswehr ähnliche Aufgaben wie der Petitionsausschuß zu erfüllen hat. Im vergangenen Jahr hatte der Wehrbeauftragte gut 6 000 Petitionen und sonstige ihm bekanntgewordene Vorgänge zu bearbeiten; an den Petitionsausschuß wurden dagegen über 11 000 Eingaben herangetragen. Dennoch stehen dem Wehrbeauftragten 65 Mitarbeiter, dem Hilfsdienst des Petitionsausschusses dagegen nur 48 Mitarbeiter zur Verfügung.
Das Verhältnis der Beamten des höheren Dienstes beträgt 17 zu 10. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß es der Wehrbeauftragte nur mit einem Ministerium zu tun hat, wir dagegen mit 16. Wir haben fast doppelt soviel Eingaben, aber ein Drittel weniger Mitarbeiter. Es ist, wie ich meine, sehr zu begrüßen. daß dieses außerordentlich wichtige Grundrecht des Bürgers, das zugleich zu einer wirksamen Kontrolle der Arbeit der Behörden führt, immer stärker in Anspruch genommen wird. Die Tatsache, daß allerdings nicht wenige Mitbürger meinen, wir könnten beispielsweise auch Gerichtsurteile aufheben oder uns an die Stelle der Verwaltung setzen, verpflichtet uns zugleich, Sinn und Zweck der Gewaltenteilung in unserem Staate in der Öffentlichkeit mehr als bisher zu verdeutlichen.
Über die Aufgliederung der Eingaben, die Schwerpunktgebiete usw. hat der Kollege von Fircks in seinem letzten Bericht ja bereits ausführlich referiert.
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KoblitzIch kann mir dies ersparen. Ich möchte aber hier anhand von fünf Einzelfällen aufzeigen, wie weit die Spannweite unseres Tätigkeitsbereichs ist und wie wir der Hilflosigkeit des Bürgers im Umgang mit den Behörden und der Verwaltung mit unserer Hilfe begegnen können.Erneut konnte mit Hilfe der erweiterten Befugnisse in einigen Fällen besonders schnell geholfen werden. So hatte sich eine Rentnerin beschwert, daß sie zehn Monate nach dem Tode ihres Mannes weder eine Rente noch einen Rentenvorschuß erhalten hatte und damit in eine ernste Notlage geraten war. Daraufhin wurden sofort telefonische Ermittlungen angestellt mit der Folge, daß ihr noch am gleichen Tag telegraphisch ein Betrag von über 2 000 DM überwiesen werden konnte.Ebenfalls relativ schnell konnte einer Berlinerin geholfen werden, die seit einigen Monaten kein Kindergeld erhalten hatte, weil ihr versehentlich keine Kindergeldnummer zugeteilt worden war. Da sie wegen ihres geringen Einkommens besonders auf diese Unterstützung angewiesen war, haben wir für eine schnelle Klärung des Falles gesorgt, so daß das Kindergeld sowohl rückwirkend für die vergangenen Monate als auch künftig monatlich gezahlt werden wird.
In einem Fall hatte sich der Ausschuß auch mit den Auswirkungen des furchtbaren Einsenbahnunglücks bei Warngau zu beschäftigen, das uns kürzlich durch die Strafverfahren noch einmal ins Gedächtnis gerufen wurde. Die Deutsche Bundesbahn hatte nach dem Unglück unbürokratische und schnelle Hilfe für die Geschädigten zugesagt. Dennoch hatte sie es abgelehnt, einer 73jährigen Frau die Kosten zu erstatten, die ihr dadurch entstanden waren, daß sie die Wohnung ihrer bei dem Unglück ums Leben gekommenen Tochter auflöste und die Möbel zu ihren Verwandten brachte .Die Bundesbahn stellte sich auf den Standpunkt, daß diese Kosten nicht unmittelbar durch den Unfall entstanden seien und daß die Mutter beispielsweise den nach Auffassung des Ausschusses kaum zumutbaren Weg der Versteigerung dieser Gegenstände an Ort und Stelle hätte beschreiten können. Erfreulicherweise konnten wir schließlich erreichen, daß die Kosten erstattet wurden.Zu einer hohen Rentennachzahlung führte die Überprüfung eines Rentenverfahrens, das durch den Berufsunfall eines Bergmanns ausgelöst worden war. Obwohl der Betroffene im November 1972 eine Erwerbsunfähigkeitsrente beantragt, hatte, stellte die Versicherungsanstalt nur Ermittlungen an, die sich auf Leistungen aus der Unfallversicherung bezogen, entschied aber nicht über den Antrag auf Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente. Mit Hilfe des Ausschusses konnte dies nun nachgeholt werden. Der Rentner wird daraufhin eine recht hohe Nachzahlung erhalten. Die zuständige Versicherungsanstalt ist vom Bundesversicherungsamt auf die unzulängliche Abwicklung dieses Rentenverfahrens hingewiesen und ersucht worden, künftig in solchen Fällen sachgerecht zu verfahren.Ein letzter Fall und ein typisches Beispiel dafür, daß manche Forderungen des Staates an den Bürger aus sozialen Gründen nicht zu vertreten sind: Eine Mitbürgerin, die sich in Ostasien aufgehalten hatte, mußte aus gesundheitlichen Gründen in Begleitung eines Arztes nach Deutschland zurückkehren. Die dafür entstandenen Kosten wurden ihr vom Auswärtigen Amt zunächst als Darlehen zur Verfügung gestellt. Als sie zur Rückzahlung dieses Darlehens aufgefordert wurde, verwies sie auf ihre soziale Notlage. Zusammen mit ihrem Mann verfügte sie nur über ein Einkommen von 550 DM. Ihr Ehemann konnte als Altersgründen keine Arbeit mehr annehmen. Sie selbst war ungelernte Bürokraft; zudem war keinerlei Vermögen vorhanden. Das Auswärtige Amt hat sich deshalb auf Ersuchen des Petitionsausschusses bereitgefunden, auf die Rückzahlung des Darlehens zu verzichten.Am vergangenen Montag hat der Petitionsausschuß wieder einmal in Berlin eine Sitzung abgehalten. Wir haben dort Gespräche mit dem Umweltbundesamt über Eingaben wegen Flug- und Straßenlärms geführt. Wir haben im zweiten Teil unserer Sitzung gemeinsam mit dem Petitionsausschuß des Abgeordnetenhauses von Berlin bei dem Landesarbeitsamt in Anwesenheit des Präsidenten und des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, Stingl, Erörterungen gehabt über eine Fülle von Petitionen, die uns gerade aus dem Bereich der Kindergeldkasse Berlin zugeleitet worden sind, wo es neben Hamburg und München zu erheblichen Spannungen und Schwierigkeiten bei der Auszahlung des Kindergeldes gekommen ist. Während diese Schwierigkeiten in München und Hamburg recht frühzeitig abgestellt werden konnten, waren dort erhebliche organisatorische Arbeiten notwendig. Wir haben sowohl vom Präsidenten der Bundesanstalt als auch vom Präsidenten des Landesarbeitsamtes die Zusicherung erhalten, daß wir bis zur letzten Sitzung des Petitionsausschusses vor der Sommerpause einen umfassenden Bericht über die Abstellung der Mängel erhalten werden.Immer mehr wird der Kontakt mit den Petitionsausschüssen der Länder gepflegt. Wir kommen zu einem sehr vernünftigen und gegenseitig befruchtenden Erfahrungsaustausch. So waren vor einigen Tagen sieben Mitglieder des Petitionsausschusses des Landtags von Schleswig-Holtein bei uns. Wir erwarten in den nächsten Tagen Kollegen aus dem Petitionsausschuß des Landtages von Hessen, die mit uns die Frage der Ausweitung der Befugnisse des Petitionsausschusses diskutieren wollen.Ich bitte nochmals um Entschuldigung für den Bericht zu später Abendstunde. Aber ich glaube, es hat sich auch für Sie gelohnt.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Der Petitionsausschuß beantragt, die in der nachfolgenden Sammelübersicht enthaltenen Anträge des Petitionsausschusses anzunehmen. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
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16706 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 238. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Mai 1976
Präsident Frau RengerIch rufe Punkt 24 der Tagesordnung auf:Beratung der Übersicht 17 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht— Drucksache 7/4955 —Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 25 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft zu der von der Bundesregierung beschlossenen Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 5/76 — Zollpräferenzen 1976 gegenüber Entwicklungsländern — EGKS)— Drucksachen 7/4292, 7/4952 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. WarnkeWer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 26 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft zu der von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Verordnung zur Änderung gewerberechtlicher und anderer Vorschriften— Drucksachen 7/4514, 7/4821 — Berichterstatter: Abgeordneter ZeyerGegen den Antrag erhebt sich kein Widerspruch. — Es ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung.Ich berufe den Bundestag für Freitag, den 7. Mai 1976, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.