Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung ergänzt werden um den
Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Bericht Tindemans über die Schaffung der Europäischen Union
— Drucksache 7/4757 —
Ebenfalls nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen die Punkte 11 — vereinfachte Abänderung von Unterhaltsrenten —, 12 — Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften —, 13 — Änderung des Umsatzsteuergesetzes — und 24 — Antrag betr. Deutsche Bundesbahn — von der Tagesordnung abgesetzt werden. — Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll das Abfallwirtschaftsprogramm 1975 der Bundesregierung — Drucksache 7/4826 — gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung dem Innenausschuß — federführend —, dem Ausschuß für Wirtschaft, dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit sowie dem Haushaltsausschuß — mitberatend — überwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer
— Drucksache 7/2172 —
Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksachen 7/4787, 7/4845 — Berichterstatter:
Abgeordneter Sund
Abgeordneter Franke Abgeordneter Schmidt (Kempten) (Erste Sitzung 110. Sitzung)
Das Wort in der allgemeinen Aussprache hat der Herr Abgeordnete Sund.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ohne überzogenes Pathos: dies ist ein wichtiger Tag. Der Deutsche Bundestag wird nach fast zweijährigen Beratungen das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer verabschieden.Die Beratung war nicht einfach. Da gab es in der Koalition erhebliche Unterschiede in den Ausgangspositionen. Es gab und es gibt die unterschiedlichen Interessenlagen der Arbeitnehmer und der Anteilseigner. Es gab und es gibt das breite Spektrum wissenschaftlicher Positionen mit konstruktiver Kritik über Bedenklichkeiten bis hin zur Ablehnung. Da war die Ungeduld derjenigen, die wissen, welche entscheidende Bedeutung der Ausbau paritätischer Mitbestimmung für die Sicherung und weitere Gestaltung einer freiheitlich-demokratischen Ordnung hat. Und da war der Widerstand all derer, die nur für die Befestigung alter gesellschaftlicher Machtpositionen kämpfen und die jede Veränderung denunzieren. Wir sind während der Beratungen von einer interessierten und engagierten öffentlichen Diskussion und Kritik begleitet worden, manchmal auch bloß hämisch und bösartig. Da waren auch die Besserwisser, da waren die Rechthaber, und da waren die Verzagten.Natürlich hat dieser schwierige Gestaltungsprozeß seine Spuren im Entwurf des Gesetzes hinterlassen. Mancher Abstrich wird bitter registriert, manche praktische Klarstellung wird begrüßt werden. Das ist im Gesetzgebungsverfahren nun einmal so und muß nicht Anlaß sein, über den Kompromiß als Problem der Gesellschaftsethik zu philosophieren. Entscheidend aber ist dies: Die Koalition hat allen Widerständen zum Trotz eine gemeinsame Lösung gefunden, und diese Lösung bringt die Mitbestimmung entscheidend voran.
Anfang 1972 wurde die betriebliche Mitbestimmung im Betriebsverfassungsgesetz umfassend neu geregelt. 1973 ist das Personalvertretungsgesetz hinzugekommen.Mit dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer werden mehr als 600 Unternehmen erfaßt. Seine Grundpfeiler sind:
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15998 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
SundErstens. Die Mitbestimmung gilt für Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit, die mehr als 2 000 Arbeitnehmer beschäftigen.Zweitens. Auch Konzerne und Teilkonzerne unterliegen der Mitbestimmung, wenn die Konzernunternehmen insgesamt eine Arbeitnehmerzahl von mehr als 2 000 erreichen.Drittens. Die Aufsichtsräte der Unternehmen sind mit der gleichen Zahl von Vertretern der Arbeitnehmer und der Anteilseigner zu besetzen.Viertens. Die gewerkschaftlichen Organisationen werden in die Mitbestimmung der Arbeitnehmer einbezogen.Fünftens. Die Arbeitnehmer wählen ihre Vertreter im Aufsichtsrat durch Urwahl oder durch Wahlmänner, wobei in Unternehmen mit mehr als 8 000 Arbeitnehmern die Wahl durch Wahlmänner die Regel sein wird.Sechstens. Die Mitglieder des Unternehmensvorstandes werden vom Aufsichtsrat bestellt.Siebentens. Ein Arbeitsdirektor vertritt als gleichberechtigtes Vorstandsmitglied die sozialen Belange der Belegschaft.Achtens. Die bewährte Montan-Mitbestimmung bleibt ebenso erhalten wie für kleinere Unternehmen die Ein-Drittel-Beteiligung nach dem Betriebsverfassungsgesetz.Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, am Beispiel eines Facharbeiters in der chemischen Industrie dartun, was sich für ihn durch die Einführung der neuen Mitbestimmung ändern wird. Das Unternehmen — und davon wollen wir ausgehen —, das den Facharbeiter beschäftigt, wird in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft geführt. Die Belegschaft soll etwa 5 000 Arbeitnehmer umfassen. Der Aufsichtsrat der Gesellschaft, der die Aufgabe hat, den Vorstand zu berufen, dessen Geschäftsführung zu kontrollieren und wichtige unternehmenspolitische Entscheidungen zu fällen, besteht aus zwölf Mitgliedern. Gegenwärtig werden zwei Drittel davon, also acht Mitglieder, von den Aktionären in der Hauptversammlung des Unternehmens gewählt. Das restliche Drittel der Aufsichtsratsmitglieder, die vier Arbeitnehmervertreter — Arbeiter und Angestellte —, wählen die Betriebsangehörigen. Hierbei hat der Facharbeiter Stimmrecht. Er kann auch nominiert und selbst in den Aufsichtsrat gewählt werden. So sieht es das Betriebsverfassungsgesetz vor.Das neue Mitbestimmungsgesetz verlangt, daß der Aufsichtsrat dieses Chemiewerks künftig mit der gleichen Zahl von Anteilseignern und Arbeitnehmervertretern zu besetzen ist. Auf die Arbeitnehmerseite entfallen also sechs Sitze. Davon müssen vier Vertreter — Arbeiter, Angestellte und leitende Angestellte — aus dem Unternehmen selbst stammen und zwei von den Gewerkschaften vorgeschlagen werden, die im Unternehmen vertreten sind. Der Facharbeiter kann bei der Wahl der Vertreter der Arbeiter im Aufsichtsrat und bei der Wahl der Vertreter, die die Gewerkschaften nominiert haben, seine Stimme in die Waagschale werfen. Darüberhinaus kann er auch selbst in den Aufsichtsrat gewählt werden, wenn ihn seine Kollegen aufstellen. Im Unternehmensvorstand wird ein Arbeitsdirektor tätig sein. Der Facharbeiter kann darauf vertrauen, daß im Aufsichtsrat die Arbeitnehmervertreter seine Belange wahrnehmen, daß sie über mehr Mitbestimmung verfügen, wenn es darum geht, den Kurs festzulegen, den das Unternehmen steuert. Dabei geht es um Entscheidungen, die sich auf die Sicherheit seines Arbeitsplatzes ebenso auswirken wie auf seine Arbeitsbedingungen.In seiner Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 hat Willy Brandt das Mitbestimmungsgesetz für die sozialliberale Koalition angekündigt. Ich zitiere:Den Ausbau der Mitbestimmung sehen wir als eine unserer Hauptaufgaben. Mitbestimmung gehört zur Substanz des Demokratisierungsprozesses unserer Gesellschaft. In ihr erkennen wir die geschichtliche Voraussetzung für jene Reformen, die in ihrer Summe den freiheitlichen Sozialstaat möglich machen. Mitbestimmung — als Ordnungselement im Arbeitsleben, aber nicht nur dort — heißt natürlich auch: Mitverantwortung tragen; beides gehört zusammen.Wir werden das Unternehmensrecht im Sinne der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in dieser Legislaturperiode weiterentwickeln.Bundeskanzler Helmut Schmidt hat diese Position in seiner Regierungserklärung vom 17. Mai 1974 nachdrücklich unterstrichen. Er erklärte, daß in der Ausweitung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer einer der wesentlichen gesellschaftspolitischen Aktivposten der sozialliberalen Koalition zu sehen sei. Der Bundeskanzler führte aus:Eine Gesellschaft, die sich wirtschaftlich und sozial nach vorne bewegen will, ist ohne Mitbestimmung und ohne die dazu gehörige Mitverantwortung nicht zu denken.Daß es zwischen den Regierungsparteien in der Mitbestimmungsfrage unterschiedliche Auffassungen gab und gibt, haben wir nie verhehlt. Aber von Anfang an waren die Koalitionspartner gewillt, trotz ihrer unterschiedlichen Positionen einen Kompromiß zu finden und diesen Kompromiß gemeinsam zu tragen. Praktische Politik ist ohne den Kompromiß nicht möglich. Demokratie ist ohne den Kompromiß undenkbar.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist der Meinung, daß mit dem Mitbestimmungsgesetz der Schritt getan wird, der jetzt möglich ist, um den Arbeitnehmern mehr Rechte zu sichern. Wir Sozialdemokraten haben zur Mitbestimmung stets eine klare Position bezogen, die unverändert gilt. Im „Orientierungsrahmen 85", der im November 1975 auf unserem Parteitag in Mannheim mit überwältigender Mehrheit verabschiedet wurde, ist unmißverständlich klargestellt:Die SPD tritt für eine Verwirklichung der paritätischen Mitbestimmung ein.
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SundWeiter heißt es dann:Die Unternehmensverfassung durch Gesetze umzugestalten ist unser Ziel. Dabei geht es darum, in der Unternehmensordnung die Arbeitnehmer neben den Anteilseignern gleichberechtigt zu beteiligen. Zu diesem Zweck sind die Aufsichtsräte, durch die die Unternehmensleitungen eingesetzt, kontrolliert und abberufen werden, paritätisch mit Vertretern der Arbeitnehmer und Anteilseigner zu besetzen.Soweit der in Mannheim beschlossene und für unsere Partei gültige Orientierungsrahmen.Zu diesem Ziel bekennen wir uns. Wir lassen damit aber nicht zugleich den erreichten Kompromiß abwerten;
denn das neue Mitbestimmungsgesetz bringt jetzt unzweifelhaft wesentliche Fortschritte im Interesse der Arbeitnehmer. Wir wollen, daß überall dort, wo Herrschaft über Menschen ausgeübt wird, die Betroffenen in sinnvoller Weise an der Ausübung und Kontrolle beteiligt werden. Bei der Mitbestimmung geht es also um die Legitimation von Macht und um die Kontrolle von Macht. Dieser Auftrag schließt ein, daß Mitbestimmung nicht gewissermaßen verordnet werden kann. Sie wäre dann eine Einrichtung, die verstauben und bürokratisieren müßte.Die Mitbestimmung ist ein Angebot, und dieses Angebot ist von den Arbeitnehmern in der Bundesrepublik überall dort, wo es gemacht wurde, mehr und mehr genutzt worden: sachverständig, verantwortungsbewußt und mit Sinn für das richtige Maß. Wo immer in der Wirtschaft Mitbestimmung praktiziert wird, da ist dies kein blutleerer Begriff. Er ist im betrieblichen Alltag Schritt für Schritt ausgefüllt worden und fester Bestandteil im Leben der Beteiligten geworden.
Genau hier stoßen wir zum Kern der Mitbestimmung.Es geht um die Würde des Menschen. Da ist nicht die feiertägliche Würde gemeint. Es geht um die Würde im Alltag, um das Sich-nicht-ducken-Müssen. Aus dem Wirtschaftsuntertan zum Wirtschaftsbürger werden — so heißt das im Godesberger Programm unserer Partei. Und so ist auch das Recht des Menschen auf Selbstbestimmung zu verstehen.Wir haben nicht ein Bild vom Menschen, der als Arbeitnehmer im Produktionsprozeß verwertet wird, der eingepaßt wird. Darin gründet auch das lange und zähe Ringen um Mitbestimmung, das über das erste Betriebsrätegesetz der Weimarer Republik und über zahlreiche Etappen zum jetzigen Gesetz führt und weiter in die Zukunft weist. Dieses Ringen konnte nur erfolgreich sein, weil die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften dabei unsere Weggefährten waren und sind. Das alles hat mit Selbstbestimmung zu tun. Das ist eben etwas anderes als die Verballhornung eines Begriffs durch die Opposition, den sie nur strapaziert, um damit ganz anders motivierte Wünsche zur Veränderung des Gesetzentwurfs — etwa beim Wahlverfahren — zu rechtfertigen.Meine Damen und Herren von der Opposition, die Frage des geeigneten Wahlverfahrens ist auch in einem Mitbestimmungsgesetz keine Wertfrage. Sie ist eine Frage der reinen Zweckmäßigkeit.
— Wir haben die Diskussion darüber, Herr Kollege Franke, stets offen geführt. Ob die Vertreter der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat in Urwahlen oder nach dem Wahlmännerverfahren gewählt werden sollen, kann man ohne Berücksichtigung der Wirkung überhaupt nicht entscheiden. Niemand wird sich gegen die Prinzipien der Urwahl aussprechen. Niemand wird aber auch die Wirkungen der Urwahl in großen Unternehmen übersehen können. Wir waren von Anfang an der Meinung — dies kann man in der Begründung des Regierungsentwurfs nachlesen —, daß die Urwahl in großen Unternehmen in ihrer Wirkung weniger demokratisch ist. Dies kann man an Hand zahlreicher Beispiele — wir haben das im Ausschuß miteinander diskutiert — auch durchaus plausibel machen. In einer Unternehmung, deren einzelne Betriebe sich an verschiedenen Orten der gesamten Bundesrepublik befinden, hätte eine Wahl gemäß den Prinzipien der Urwahl fatale und seltsame Folgen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke ?
Aber gern!
Herr Kollege Sund, wenn das richtig wäre, was Sie hier gerade sagen, würden Sie dann in der Konsequenz Ihrer eigenen Überlegung auch dazu übergehen, die Wahl eines Bundestagsabgeordneten mittels Wahlmänner durchzuführen, oder halten Sie da die Urwahl für das geeignetere Instrument?
Herr Kollege Franke, ich glaube, Sie übersehen hier einige Fakten, die man durchaus in diesen Zusammenhang einbeziehen muß. Die Frage der Zweckmäßigkeit von Urwahlen oder Wahlen über ein Wahlmännergremium hat ja damit zu tun, daß es eine Reihe von Unternehmen gibt, deren Betriebe über das gesamte Gebiet der Bundesrepublik verstreut sind. Da ist es überhaupt nicht möglich, daß die Beschäftigten zueinander in Beziehung treten, sich austauschen und untereinander kommunizieren.Bei uns gibt es - einen solchen Vergleich wollen Sie ja in die Diskussion einführen — aus gutem Grund auch das Prinzip des Wahlkreises, der einen regional überschaubaren Bereich abgrenzt, in dem auf Grund der darin vorhandenen politischen Organisation der Parteien Möglichkeiten der Kommunikation bestehen. Von daher ist eine völlig andere Ausgangslage gegeben als in Großunternehmen, in denen die Einzelbetriebe verstreut sind und die Kommunikation ihrer Beschäftigten untereinander
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Sundgehemmt ist. Denn sonst würde es doch dazu führen, daß die. Beschäftigten in einem Teilbetrieb eines Unternehmens, die zusammenhalten — das müßte gar nicht einmal der größte Teilbetrieb sein —, möglicherweise alle Aufsichtsratsmitglieder stellen.Diese Dinge haben wir aber miteinander gründlich ausdiskutiert. Mir kommt es nur darauf an, darzutun, daß es sich hier nicht um eine Wertfrage handelt, bei der man noch den Begriff der Selbstbestimmung strapazieren kann, sondern um reine Zweckmäßigkeitsentscheidungen.Um Ihnen entgegenzukommen: Es steht außer Zweifel, daß die Urwahl auch in Unternehmen mit mehr als 2 000 Beschäftigten richtig sein kann, und zwar dann, wenn sich die Arbeitnehmer nicht auf viele Betriebe verteilen. Ich meine, wir haben mit dem Mitbestimmungsgesetz hier eine vernünftige Grenze gezogen: In Unternehmen mit weniger als 8 000 Beschäftigten wird die Urwahl die Regel sein; in Unternehmen mit mehr als 8 000 Beschäftigten wird auf das bewährte Wahlmännerverfahren zurückgegriffen, das ja auch seit 20 Jahren praktiziert wird.Über das Institut des Arbeitsdirektors hat es manche Spekulationen gegeben. Die Vertreter der Opposition waren sich bei ihrer sonst praktizierten Vielfachstrategie in dieser Frage sogar einmal darüber einig, wie und was verhindert werden sollte. Daß ihnen dies nicht gelingt, dürfte jedermann einleuchten, denn in dem vorliegenden Gesetz ist der Arbeitsdirektor ein gleichberechtigtes Mitglied im Vorstand. Es braucht nicht besonders betont zu werden, daß dieser Vorstand nach deutschem Unternehmensrecht ein Kollektivorgan darstellt.Es ist auch jedermann klar, daß der Arbeitsdirektor dieses Mitbestimmungsgesetzes rechtlich nicht völlig die gleiche Stellung einnimmt wie der Arbeitsdirektor nach dem Montan-Mitbestimmungsgesetz. Das Institut „Arbeitsdirektor" ist vielmehr nach dem Vorbild des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes konzipiert. Dabei können wir uns auf Erfahrungswerte aus diesem Bereich stützen. Wir sind der festen Überzeugung, daß der Arbeitsdirektor für seine Arbeit das besondere Vertrauen der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat braucht und ohne ihre dauerhafte Unterstützung auch gar nicht sinnvoll und wirksam arbeiten kann; denn es ist ja gerade seine Aufgabe, die sozialen Belange der Belegschaft zu vertreten.Mit diesem Gesetz, meine Damen und meine Herren, verwirklichen wir nicht die Parität von Kapital und Arbeit. Wir meinen, daß die vollständige Gleichgewichtigkeit beider Faktoren die Notwendigkeit der Zusammenarbeit in den Betrieben noch weiter verstärkt hätte. „Parität" heißt ja gerade, daß keine Seite ohne die andere auskommen kann, sei es der Faktor Arbeit, sei es der Faktor Kapital.Aber — das weiß jeder in diesem Hause —: Für eine solche Lösung gibt es keine parlamentarische Mehrheit. Das ist nun der Punkt, an dem es notwendig ist, sich mit der Stellung der Opposition zur Mitbestimmung zu befassen.
Sie hat zum Zustandekommen dieses Gesetzes nichts beigetragen.
Zeichnen wir die wichtigsten Stationen einmal nach!
Es begann mit Ihrer Qual, sich innerhalb der CDU auf eine gemeinsame Linie in der Mitbestimmungsfrage einigen zu müssen.
— Herr Maucher, Ihre Zwischenfragen können mich wirklich nicht irritieren, muß ich sagen. Auf eine solche Zwischenfrage war ich nun überhaupt nicht gefaßt.
Sie hatten doch die Qual, sich innerhalb Ihrer Partei auf eine gemeinsame Linie in der Mitbestimmungsfrage einigen zu müssen. Unter dem verheerenden Eindruck, den die Öffentlichkeit vom Mitbestimmungsbeschluß des Düsseldorfer Parteitages von 1971 und nicht zuletzt auch vom Abstimmungsverhalten des Ministerpräsidenten Kohl dort gewinen mußte, kam es dann zum Hamburger Beschluß von 1973. Dieser Beschluß blieb jedoch Papier. Franz Josef Strauß wußte, warum.
— Lassen Sie ihn selber sprechen!
„Die Sozialausschüsse haben ja ihren Widerspruch gegen die Hamburger Beschlüsse erklärt und haben mit der Fraktion doch den Burgfrieden damit erkauft, daß die Fraktion verzichtet hat, ihren Entwurf einzubringen, und dafür haben sie darauf verzichtet, einen Entwurf der Sozialausschüsse einzubringen." So in der inzwischen nochmals autorisierten Rede von Franz Josef Strauß in Sonthofen.
Die CDU war also nicht fähig, aus ihrem Beschluß einen Gesetzentwurf mit allen seinen Konsequenzen, manchmal — das will ich einräumen — grausamen Konsequenzen, zu machen. Bis heute liegt ein solcher Entwurf nicht vor.Nun, die Opposition ist nicht gehindert, bei unserem Gesetz zuzusteigen.
Sie würde sonst nie wieder Anschluß an die Entwicklung gewinnen.
Für eine anspruchsvolle Oppositionspartei, meine Damen und Herren, ist dies aber kein überzeugendes Bild.
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SundAber das kann in Wirklichkeit — —
— Aber verehrtester Herr Kollege, das kann doch in Wirklichkeit überhaupt niemanden wundern. Da war der Entwurf der Regierungskoalition
für den CDU-Vorsitzenden Kohl nach einer dpa-Meldung vom 23. Juni 1974 „ein Anschlag gegen ein Stück Freiheit in unserem Lande".
— Natürlich, Sie werden sagen, da habe sich etwas geändert. Davon war ja eingangs die Rede. Aber wer dagegenhält, daß der Entwurf verändert worden sei, der muß nun auf etwas anderes hingewiesen werden. Er muß nämlich hingewiesen werden auf das Schreiben 1/76 des Wirtschaftsrates der CDU e. V., dem Herr von Bismarck vorsitzt. Darin, meine Damen und Herren — und dies hier so zu bewerten, fällt mir schwer —, ist die niederträchtige Wertung zu lesen, daß der Koalitionskompromiß „nahezu einem Ermächtigungsgesetz für die Fremdbestimmung gleichkomme".
Dann gibt es die andere Seite der Union, die mit Norbert Blüm diese Äußerung des bedeutenden Meinungsmultiplikators zu Recht als eine „politische Geschmacklosigkeit" qualifizierte.
— Herr Kollege Blüm, wenn ich den Zwischenruf richtig verstanden habe, dann haben Sie eben gesagt, Sie meinten dasselbe.
— Ich finde, das hätten Sie nun wirklich, anstatt immer nur mit der papierenen Fahne Ihres Hamburger Programms durch die Lande zu ziehen, inzwischen einmal miteinander abklären und vielleicht auch seinen Niederschlag in einem Gesetzentwurf finden lassen können.
Nun kommen die Drei-Mann-Anträge im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, in dem die Opposition dem Gesetzentwurf schließlich zustimmte, nachdem sie vorher den gleichen Text im Wirtschaftsausschuß und im Rechtsausschuß abgelehnt hatte. Wahrlich ein seltsames Schauspiel. Doch das ist noch nicht alles. Die Drei-Mann-Anträge im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sollten den Eindruck erwecken, als ginge es darum, Forderungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes durchzusetzen.
— Ich war im Ausschuß, Herr Kollege.
Es zeugt schon von einer gehörigen Portion Naivität, anzunehmen, diese Anträge von drei Abgeordneten könnten uns in Verlegenheit bringen.
— Herr Kollege Blüm, die Arbeitnehmer wissen ganz genau, daß auch in der Mitbestimmungsfrage ihre Interessen nur mit der Mehrheit der sozialliberalen Koalition durchgesetzt und abgesichert werden können.
Die gesamte sozialpolitische Gesetzgebung der vergangenen Jahre liefert dafür den Beweis.
Nun kann sich der CSU-Abgeordnete Graf Stauffenberg rühmen, die Variantenvielfalt in der CDU/ CSU in der letzten Phase der Ausschußberatung noch einmal angereichert zu haben. Mit einem Antrag, den er kurz vor der Schlußabstimmung im federführenden Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung für die dort vertretenen CSU-Abgeordneten eingebracht hat, wollte er die Beteiligung der von den Arbeitnehmern gewählten Gewerkschafter an der Aufsichtsratsarbeit verhindern.
Aus isolierter Position wurde da, Herr Kollege Graf Stauffenberg, gewiß nicht argumentiert.Dies sind nur einige der Torstangen, die den Mitbestimmungsslalom der CDU/CSU abstecken. Eines jedoch ist gemeinsames Merkmal des so abgesteckten Kurses, den die Union von Biedenkopf bis Schleyer fährt. Unter dem Stichwort einer „neuen Verbandspolitik" will man nämlich Gewerkschaften gängeln., Aus dem Lager der Opposition gibt es zahlreiche Versuche, die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften auseinanderzudividieren. Dies hier ist ein solcher Versuch, nur wird er nicht immer in dieser Schlichtheit vorgenommen.
Darauf kann ich nur nicht sehr originell antworten: Und es sind die alten sozialen Antworten.
Herr Schleyer hat erst kürzlich in seiner Kennzeichnung der Verbände als „befestigte Bürgerinitiativen" die Terminologie der Kritik an den Gewerkschaften aufgegriffen, die der ältere Goetz Briefs mit seiner Theorie von den „befestigten Gewerkschaften" entwickelt hat und die noch heute die Waffenkammer aller Gewerkschaftsfeinde füllt. Mit einem neuen Verbänderecht, daß Sie in die Diskussion eingeführt haben, soll diszipliniert werden. In
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16002 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Sunddiese Strategie paßt auch die Hofierung geldgestrichener Gewerkschaften, die man offensichtlich aufpäppeln möchte.
Fragen Sie doch einmal Ihren Generalsekretär.
Die deutschen Gewerkschaften haben ihr verantwortliches Handeln immer wieder unter Beweis gestellt und keine engstirnigen und egoistischen Positionen vertreten. Ein Blick über die Grenzen bestärkt uns in der Meinung, daß wir mit Richtungsgewerkschaften schlecht gefahren wären. Die Gewerkschaften kann man nicht nur in Notfällen als Feuerwehr rufen, damit sie unpopuläre Entscheidungen mittragen. Die Gewerkschaften haben neben ihrer Schutzfunktion eine wichtige Gestaltungsfunktion in unserer Gesellschaft.
Sie haben die demokratische Bewährungsprobe besser bestanden als andere. Niemand ist deshalb berechtigt, Zweifel und Mißtrauen zu säen und bei jeder Gelegenheit das Gespenst eines Gewerkschaftsstaates an die Wand zu malen.
Es war von Anfang an unsere Überzeugung, daß die Gewerkschaften an der Durchführung der Mitbestimmung beteiligt werden müssen, weil die betrieblichen Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten ihres sachkundigen Rates bedürfen.
— Ich will gern ein wenig unterbrechen, damit sich die Unruhe legt.
Ich habe das Gefühl, der eine oder andere könnte vielleicht beeindruckt sein, wenn er sich über die wirkliche Stellung der Gewerkschaften in unserem Lande Gedanken machte. Nur die Gewerkschaften sind in der Lage, die allgemeinen Arbeitnehmerinteressen, die über den Betrieb hinausreichen, in die Aufsichtsratsarbeit einzubringen. Sonst könnte in der Tat die Gefahr bestehen, daß der Horizont am Hüttenzaun endet.
Ein wichtiger Punkt des Gesetzes ist die Beteiligung der leitenden Angestellten.Frau Präsidentin, ich sehe, daß die rote Lampe aufleuchtet. Ich bitte darum, mir noch fünf Minuten Redezeit zuzubilligen, denn einige Zwischenfragen haben mein Kontingent ein wenig strapaziert.
Das ist in Ordnung, Herr Abgeordneter.
Ich sagte gerade, ein wichtiger Punkt des Gesetzes sei die Beteiligung der leitenden Angestellten. Ihre Zugehörigkeit zur Arbeitnehmerseite des Aufsichtsrats und ihr besonderer Minderheitenschutz werden von vielen nicht als eine gute Lösung angesehen werden können.
Ohne ihre Beteiligung aber hätte es keinen Fortschritt in der Mitbestimmung gegeben. Darüber kann es keinen Zweifel geben. Es kann auch keinen Zweifel darüber geben, daß die Entscheidung zugunsten der im Gesetz vorgesehenen Lösung umstritten bleiben und weiter diskutiert werden wird. Meine Damen und Herren, wir meinen, daß die leitenden Angestellten bei der Praktizierung der Mitbestimmung ihre eigene Position erkennen müssen. Auch sie haben ihre Interessenlage und können sich nicht als Vollstrecker eines abstrakten Kapitalinteresses verstehen. Das Mitbestimmungsgesetz ist auf Kooperation angelegt, und der Zwang zur Zusammenarbeit und zur Einigung gilt in besonderem Maße für die Arbeitnehmerbank. Die Mitbestimmungspraxis wird zeigen, wie sich die faktische Zuordnung der leitenden Angestellten darstellt. Es wird darauf ankommen, die Zusammenarbeit nach dieser Entscheidung vorurteilslos zu suchen und zu praktizieren.
Zum Schluß noch ein Wort zu der viel strapazierten Verfassungsfrage: Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion ist der festen und der begründeten Überzeugung, daß mit diesem Gesetz der Spielraum der Verfassung nicht ausgeschöpft ist. Wir haben eine politische Lösung gefunden, und zu dieser bekennen wir uns.
Unsere Auffassung wird auch durch die Tatsache erhärtet, daß die bewährte Montan-Mitbestimmung erhalten bleibt. Die Ansätze der Montan-Mitbestimmung sind älter als das Grundgesetz. Ihre Einführung ist und bleibt ein wichtiges Datum in der Entwicklung unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung unter dem Dach des Grundgesetzes.
Wir sind der festen Überzeugung, daß mit dem neuen Mitbestimmungsgesetz ein entscheidender Schritt nach vorn getan wird. Die Gewerkschaften haben zu erkennen gegeben, daß sie nach der Verabschiedung des Gesetzes alles daran setzen werden, um dessen Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Wir vertrauen darauf, daß das Gesetz bald mit Leben erfüllt wird, daß sich sein praktischer Nutzen jedermann beweist und daß es den Arbeitnehmern ein Stück mehr an Freiheit bringt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Franke .
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976 16003
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der hier vorliegende Mitbestimmungsentwurf aus dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat mit dem Regierungsentwurf aus dem Jahre 1974 nur noch den Namen gemeinsam.
Die Vorlage, die aus dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung kam, trägt wesentliche Elemente und Vorstellungen der CDU/CSU in sich.
Es muß für viele Koalitionspolitiker von SPD und FDP schmerzlich sein zu sehen, daß man politische Anstrengungen der CDU/CSU bei einem so heftig diskutierten und heftig kritisierten Vorschlag wie der Regierungsvorlage aus dem Jahre 1974, dem sogenannten Arendt-Maihofer-Kompromiß, einfach wegen der politischen Entwicklung berücksichtigen muß.Wer hat damals den Regierungsentwurf kritisiert, meine Damen und Herren? In unserer schnellebigen Zeit ist es, glaube ich, richtig und wichtig, sich noch einmal vor Augen zu führen, wie sich die Lage 1974 entwickelt hat. Eigentlich alle, die es angeht — die Gewerkschaften kritisierten, die Arbeitgeber, die Betriebsräte, die leitenden Angestellten und vor allem, und das ist ein sehr entscheidendes Datum, am 19. Dezember 1974 die Verfassungsrechtler —, ließen an diesem Regierungsentwurf — sicherlich aus verschiedenen Positionen heraus — kein gutes Haar.
Ich wiederhole, meine Damen und Herren: Alle zusammengenommen ließen an diesem Regierungsentwurf kein gutes Haar. Der Höhepunkt war der letzte Anhörungstag, der 19. Dezember 1974. So schmerzlich das für viele sein mag: Nach diesem Tag gab es eine andere Mitbestimmungslandschaft. Die Verfassungsexperten — von den Fraktionen benannt — erklärten den Arendt-Maihofer-Entwurf — jedenfalls mit überwiegender Mehrheit — schlicht in vielen Punkten für verfassungswidrig.
Was kritisierten die Sachverständigen? Sie kritisierten das Wahlverfahren. Sie erklärten unter anderem, daß die Institution des Wahlmännergremiums nicht im Einklang mit unserem Grundgesetz stehe. Das muß man nachlesen und politisch werten. Das heißt doch, nach diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung aus dem Jahre 1974 seien die Wahlchancen auch für kleinere Gruppen nicht gewahrt. Ich habe mir erlaubt, das Wahlmännergremium in der ersten Lesung am 20. Juni 1974 als ein „Manipulationsinstrument zur Entmündigung der Arbeitnehmer" zu bezeichnen.Wir forderten in Übereinstimmung mit den Verfassungsexperten — ohne damals allerdings schon deren Meinung zu kennen —, das Wahlverfahren zu ändern, weil — ich zitiere hier wörtlich — „dieallgemeinen Wahlgrundsätze, insbesondere der Minderheitenschutz, nicht gesichert" seien.
Das ist am 19. Dezember 1974, einem Anhörungstag, an dem Rechtswissenschaftler zu uns gesprochen haben, eindeutig bestätigt worden.
Was ist aus der Diskussion, was ist aus diesem Entwurf geworden? Entgegen der Regierungsvorlage ist im Ausschuß festgelegt worden, daß nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt wird. Hierdurch wird gewährleistet, daß auch Minderheiten Aufsichtsratssitze erringen können. Es ist erreicht worden, daß in Betrieben mit bis zu 8 000 Arbeitnehmern die Urwahl gilt — leider nicht für Betriebe mit mehr als 8 000 Arbeitnehmern.Herr Kollege Sund, lassen Sie mich hier ein paar Bemerkungen zu dem machen, was Sie soeben zu der Frage, ob die Arbeitnehmer des Betriebes entscheiden sollten, wer sie in den Aufsichtsgremien vertritt, gesagt haben. Sie haben dieses Anliegen soeben — im Grunde genommen unter der Überschrift „Entmündigung der Arbeitnehmer" als einen antigewerkschaftlichen Schlenker bezeichnet. Das ist es aber nicht. Selbstverständlich wird auch in unserer Fraktion über die Frage Externe oder nicht diskutiert. Aber, sehen Sie bitte, unsere Fraktionsanträge liegen hier auf dem Tisch, und in ihnen wird die grundsätzliche ordnungspolitische Bedeutung der Gewerkschaften eindeutig betont. Über die Frage aber, wer die Arbeitnehmer in den Aufsichtsgremien vertreten soll, also auch über die Frage, ob das Externe sein sollen, hat der Souverän — der Arbeitnehmer — im Betrieb zu entscheiden, sonst niemand.
Ich wiederhole: der Souverän im Betrieb hat darüber zu entscheiden. Sie können da doch nicht sagen, dies seien antigewerkschaftliche Bemerkungen.Was bemängelten die Rechtswissenschaftler noch? Sie bemängelten das Verfahren zur Auflösung von Pattsituationen, und zwar — ich zitiere — „im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit der Unternehmen, auch im Interesse des verfassungsrechtlichen Schutzes der Tarifautonomie, der Berufsfreiheit und des Eigentums".Um es genau zu sagen: Wir haben die Rechtswissenschaftler zu dem Thema „Vereinbarkeit des Gesetzentwurfs der Bundesregierung über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer mit Art. 9 Abs. 3 und Art. 14 GG" gehört. Die Antworten der Rechtswissenschaftler möchte ich in zwei kurzen Sätzen wiedergeben. Es sagte der Sachverständige Professor Stern auf die ihm gestellte Frage, ob eine verfassungskonforme Auslegung möglich sei — Frau Präsidentin, ich darf mit Ihrer Genehmigung zitieren —:Zunächst einmal möche ich sagen, daß dieserEntwurf in einer Reihe von Punkten strukturelle
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Franke
Defekte aufweist, nicht etwa bloß in Nebenfragen, strukturelle Defekte etwa in puncto § 26 und in puncto § 28, wo Funktionsfähigkeit und pattauflösende Bestimmungen nicht hinreichend gegeben sind.Nun können Sie, meine Damen und Herren von der SPD oder von der FDP, sagen: nun gut, das ist ein Sachverständiger, der von der CDU/CSU benannt worden ist; der muß ja im Grunde genommen so sprechen. Sie könnten das sagen; Sie haben es so nicht gesagt.
— Nun gut, verehrter Herr Kollege Polkehn. Ich darf also annehmen, daß Sie das so kommentieren, wie ich es soeben gesagt habe.Nun bin ich aber gespannt darauf, wie Sie das kommentieren werden, was z. B. der von der FDP benannte Sachverständige Professor Zacher gesagt hat, der auf die von uns gestellten Fragen — das ist in dem Protokoll über die Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 19. Dezember 1974 nachzulesen — folgendes geantwortet hat:Die Frage nach der Fähigkeit, dem Entwurf durch kosmetische Operationen zu helfen, möchte ich ganz klar verneinen. Dieser Entwurf ist im Prinzip verfassungswidrig und kann auch durch Detailkorrekturen nicht geheilt werden.Meine Damen und Herren von der SPD, jetzt müssen Sie natürlich die Frage an Ihren Koalitionspartner richten. Denn, wie gesagt, dieser Sachverständige1 ist von der FDP benannt worden. Ich halte es für außerordentlich hilfreich, daß Professor Zacher als Sachverständiger benannt worden ist und die wirkliche Landschaft unter diesem Gesichtspunkt, nämlich unter dem verfassungsrechtlichen, beurteilt hat. Ich wiederhole noch einmal: Das war sehr hilfreich.
— Lassen Sie mich, verehrter Herr Kollege Lambsdorff, noch einen Satz sagen: Jetzt, nach dieser Sachverständigenanhörung, war die Lage da. — Bitte sehr!
Herr Kollege, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die FDP weder Sachverständige bestellt noch Wert darauf legt, daß abhängige Sachverständige hier aussagen, sondern daß wir für dieses Anhörungsverfahren, vor allem aber auch für zukünftige entscheidenden Wert darauf legen, daß Sachverständige in ihrer unabhängigen Meinungsäußerung im Parlament auch so gewürdigt werden?
Herr Kollege Lambsdorff, bei der Ihnen eigenen Raschheit, auf Dinge hier zu antworten und zu sprechen, haben Sie, glaube ich, überhört, daß ich gesagt habe: der von der FDP benannte — nicht bestellte — Sachverständige. Ich glaube, das ist ein erheblicher Unterschied. Ich betone noch einmal: Das unterstreicht die Unabhängigkeit der Sachverständigen. Hier, meine Damen und Herren, wollte ich — das ist, glaube ich, verständlich geworden — nichts anderes belegen und unterlegen als die verfassungsrechtlichen Zweifel, die die CDU/CSU angemeldet hat. Die wurden hier durch die Sachverständigen in der Sitzung am 19. Dezember bestätigt. Was die CDU/CSU in der ersten Lesung gesagt hat, ist durch die Sachverständigenanhörung bestätigt worden: Keiner, meine Damen und Herren, wollte diesen Entwurf. Er war nach der Auffassung der Sachverständigen sogar verfassungswidrig.
Was war jetzt zu tun? Nun, meine Damen und Herren, das Ergebnis liegt auf dem Tisch. Die Koalition kam bei der Auflösung der Konfliktsituationen auf die Vorschläge der CDU zurück. Lassen Sie mich hier einige Beispiele bringen, z. B. die Auflösung von Pattsituationen im Aufsichtsrat, § 26. Die neue Fassung ist eine direkte Anleihe bei den Beschlüssen von Hamburg, also dem 22. Parteitag der CDU, meine Damen und Herren, nach denen der Aufsichtsratsvorsitzende für den Stichentscheid ein doppeltes Stimmrecht erhält. Die FDP sagte in der ersten Lesung, vertreten durch den Kollegen Hölscher — Herr Hölscher, ich kann Ihnen nicht ersparen, Sie aus der ersten Lesung zu zitieren. Ich glaube auch nicht, daß Sie davon ausgegangen sind, daß wir diese Ihre damalige Ausführung heute hier aussparen —, in der Bewertung der CDU-Vorstellungen und der CDU-Beschlüsse, die ich im übrigen, Herr Kollege Sund, bei der ersten Lesung im Namen der CDU/CSU in die Debatte hier im Plenum mit eingeführt habe — ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren —:
Dieser wiederum kann auf, möchte ich sagen, einfachste Art von den Anteilseignern bestellt werden, . . .
Zur Klarstellung: Sie bewerten die Vorlage der CDU von Hamburg, und hier geht es um den Aufsichtsratsvorsitzenden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ich möchte erst zu Ende zitieren:. . . weil der Aufsichtsratsvorsitzende, ausgestattet mit einem Stichentscheid, von den Aktionären bestimmt werden kann.Das war der Vorspann. Weiter heißt es:In der gefälligen Verpackung „Parität" also wieder der alte Inhalt,— immer noch Hölscher —meine Damen und Herren, wie gehabt: die Überparität der Anteilseigner. Ein solch unehrliches Geschäft ist nicht unsere Sache.
Meine Damen und Herren, was hat die Koalition gemacht? Sie hat das von Herrn Hölscher so kritisierte Institut der Verleihung des doppelten Stimmrechts an den Aufsichtsratsvorsitzenden unmittelbar
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976 16005
Franke
von der CDU entliehen, weil sie in ihrer hoffnungslosen Lage nach der Anhörung der Sachverständigen keinen anderen Ausweg gewußt hat, als unsere Auflösungsmodelle zu nehmen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hölscher? — Bitte sehr, Herr Kollege!
Herr Kollege Franke, warum sind Sie nicht bereit, meine Ausführungen vollständig zu zitieren? Darf ich Sie daran erinnern, daß ich insbesondere kritisiert habe, daß Sie im Falle der Nichteinigung die Entscheidung in den Vorstand verlagern, ausgerechnet in das Gremium, das der Aufsichtsrat kontrollieren soll, und können Sie mir sagen, wo dieser Etikettenschwindel etwa in unserem Regierungsentwurf zu finden ist?
Aber, lieber Herr Kollege Hölscher, bei der Verlagerung von Entscheidungen in den Aufsichtsrat à la Hamburg handelt es sich um Sachentscheidungen. Hier geht es aber hauptsächlich um Personalentscheidungen, darum, daß, wenn man sich bei der Vorstandswahl nach § 28 Ihres Gesetzentwurfs oder à la Hamburg nicht einigen kann, der Stichentscheid bei Ihnen sozusagen durch das Los erfolgt, aber bei uns durch Verleihung des doppelten Stimmrechts. Nichts anderes haben Sie jetzt von Hamburg entliehen. Lenken Sie mit dieser Ihrer Zwischenfrage nicht ab, sie trifft den Kern der Sache überhaupt nicht.
Und lassen Sie mich sagen, Herr Kollege Hölscher, von dieser Überheblichkeit, die sich auch aus Ihrer Rede ergab, sind wir herunter. Das ist gut so für die parlamentarische Demokratie, und das ist gut so für die betroffenen Bürger unseres Staates. Wir haben jetzt ein Allparteienmitbestimmungsgesetz. Das ist, glaube ich, gut, gemessen an den Vorstellungen, wie sie insbesondere im Hinterkopf von Herrn Wehner kreisen.
Wir haben jetzt einen Allparteienmitbestimmungsentwurf, und für die wesentlichsten Fragen, die Konfliktsituationen heraufbeschwören, hat man auf die Auflösungsmechanismen der CDU/CSU gegriffen.
— Bei Ihnen braucht man nicht Hellseher zu sein, Herr Wehner. Bei Ihnen muß man bloß in Ihre eigene Geschichte zurückgehen, dann kann man den unmittelbaren Schluß jetzt ziehen.
— Meine Damen und Herren, Sie können nicht erwarten, daß man, wenn Ihr Fraktionsvorsitzender die Leute in den unflätigsten Tönen hier beleidigt oder anmotzt, ihn so ungeschoren davonkommenläßt. Er soll ruhig sein und sich nicht zu Wort melden; dann kriegt er auch diese Antworten nicht.
— Aber, Herr Kollege Wehner, hören Sie doch auf, von Demokratieverständnis zu reden.
— Verzeihen Sie, meine Damen und Herren, ich habe diesen Ton hier nicht reingebracht. Herr Wehner soll sich zurückhalten. Er bestimmt hier im Plenum die Tonart. Nur kann er nicht erwarten, daß er auf die freche Tonart nicht eine entsprechende Antwort bekommt; die kriegt er immer.
— Auf das, was im Ausschuß erreicht worden ist — Herr Wolfram, Sie sollten mich nicht reizen, Sie wissen es —,
kann die CDU/CSU stolz sein. Ich darf einmal sagen, wir haben insbesondere erreicht: erstens die Verbesserung des Wahlrechts für Arbeitnehmer im Aufsichtsrat durch ein Verhältniswahlsystem, das den Ansprüchen der soziologischen Gruppen wie auch der Meinungsgruppen wesentlich besser gerecht wird als die Regierungsvorlage, zweitens die völlige Neuregelung des Wahlrechts für den Vertreter der leitenden Angestellten und drittens ein neues, schneller wirksames und der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Unternehmensführung besser Rechnung tragendes System der Pattauflösung bei personellen und sachlichen Entscheidungen des Aufsichtsrats. Das sind unsere Forderungen aus der ersten Lesung gewesen, diese haben Eingang in die Vorlage des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung gefunden. Diese Entscheidungen des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung sind durch die Diskussion in der Öffentlichkeit und nicht zuletzt durch die Diskussion der Sachverständigen bei den Informationssitzungen angereichert und schließlich realisiert worden. Die CDU und die CSU — aber ich spreche jetzt erst einmal für die CDU - hat sich doch vor und auf ihrem Hamburger Parteitag die Entscheidung nicht leicht gemacht, sie hat eine Entscheidung getroffen. Die Entscheidungen, die getroffen worden sind, haben in der Öffentlichkeit auch ihre Wirkung gehabt; denn sonst hätten sie nicht in dieses Gesetz Eingang finden können.
Hier zeigt sich eindeutig, daß politische Arbeit, daß innerparteiliches Suchen nach richtigen Entscheidungen sich auch in konkrete politische Handlung umsetzt.Die CDU und die CSU werden mit großer Mehrheit diesem Gesetz zustimmen.
— Hier wird meines Wissens von einem landwirtschaftlichen Experten gerade das Wort „Trittbrett-
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Franke
fahrer" durch Zuruf in die Debatte geworfen. Ich habe immer darauf gewartet, daß mir irgendeiner von Ihnen diesen Zwischenruf macht.
Ich kann ja verstehen, Herr Kollege, daß Sie in den Einzelheiten keine unmittelbaren Vergleiche ziehen können, da Sie nicht an der Ausschußberatung beteiligt waren.Meine Damen und Herren, lesen Sie die Ausführungen aller Sachverständigen, die heute, gestern und wann auch immer darüber geschrieben worden sind.
Alle Sachverständigen sind sich einig darüber, daßSie in Ihrer Not auf die Hamburger Beschlüsse —des Parteitages der CDU — zurückgegriffen haben.
Meine Damen und Herren, jetzt können Sie sich selbst die Frage beantworten, wer hier Trittbrettfahrer ist. Ich habe dieses Wort nicht gebraucht.
Wir werden also mit großer Mehrheit zustimmen.
Wenn einige Kollegen aus unserer Fraktion hier nicht zustimmen, dann wegen der nicht durchgängig geregelten Urwahl. Sie ist für viele Kollegen ein ganz wichtiges Instrument. Das ist wirklich die Frage Nummer 1. Wir werden gleich einen entsprechenden Antrag stellen, auch in den Betrieben mit über 8 000 Beschäftigten die Urwahl einzuführen. Wenn Sie das nicht so ändern, werden einige Kollegen dagegen sein.Bei anderen Kollegen bestehen noch Zweifel an der endgültigen Verfassungsmäßigkeit. Ich persönlich teile diese Besorgnis nicht. Aber wir haben die Entscheidung und die Entscheidungsgründe zur Kenntnis zu nehmen.Meine Damen und Herren, mehr Mitbestimmung für Arbeitnehmer! Ein funktionsgerechtes und funktionsfähiges Mitbestimmungsmodell, welches die Minderheitenrechte berücksichtigt! Aus der Opposition heraus haben wir erreicht, daß ein großer Teil unserer Anliegen berücksichtigt worden ist. Wir haben die Minderheitenrechte, welche die Geschäftsordnung des Bundestages gibt, voll ausgenutzt und z. B. maßgeblich die Zahl der Sachverständigen und den Inhalt der Fragen, zu denen sie Stellung genommen haben, beeinflußt. Erst nach diesen Tagen der Sachverständigenanhörung waren die Koalitionsfraktionen zu Nachbesserungen des verfassungswidrigen Regierungsentwurfes bereit. Daß die Nachbesserungen die Handschrift der CDU/CSU trugen, erfüllt uns mit großer Genugtuung.Aber wichtig ist, meine Damen und Herren, mehr Mitbestimmung für Arbeitnehmer, funktionsgerecht und den Minderheitenschutz durch ein neues Wahlverfahren gewährleistend! Mitbestimmung der Arbeitnehmer kann nur im Geiste der Partnerschaft gelingen. Alle klassenkämpferischen Elemente sollten aus diesem Institut herausgehalten werden.Klassenkampf auch hier würde nur der Sache der Arbeitnehmer schaden.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe -es beinahe als rührend empfunden, Herr Kollege Franke, wie Sie hier bemüht waren, kurz vor der Endabstimmung über die Mitbestimmung deutlich zu machen, daß eigentlich wohl die CDU/CSU einen Gesetzentwurf vorgelegt und daß wohl die CDU/CSU die Verhandlungen geführt und daß wohl die CDU/CSU das alles gemacht hat, daß also sozusagen der Regierungsentwurf ein Oppositionsentwurf war. Herr Kollege Franke, ich habe Verständnis dafür. Es ist natürlich nicht leicht, auf dem Wege von den ersten Äußerungen zum Regierungsentwurf aus Ihrem Lager damals, von der einen Seite „abgeschrieben aus Hamburg", von der anderen Seite „syndikalistische Vorstellungen", auf der einen Seite Herr Katzer, auf der anderen Seite Herr Biedenkopf, von den Diskussionen in Ihrer Partei und Ihrer Fraktion bis zur Endberatung im Ausschuß nun dazu überzuleiten, daß plötzlich die Opposition das hier alles selbst gemacht hat. Aber, Herr Kollege Franke, so einfach kann man es sich doch nicht machen.
Ich stimme Ihnen zu, Herr Kollege Franke — das war ja immer kennzeichnend für das Klima in unserem Ausschuß, daß wir von der sozialliberalen Koalition gern bereit waren, überall dort, wo gemeinsame Überlegungen zu Änderungen bestanden, auch Ihre Meinung mit einzubeziehen —, daß manches aus der Diskussion in das Endergebnis eingeflossen ist. Aber wie kann man sich hierherstellen und erklären, all dies sei das Ergebnis von Hamburg, wenn in der Endabstimmung im Ausschuß erst eine Unterbrechung erfolgen mußte, damit sich die drei verschiedenen Gruppen im Ausschuß darüber einigen konnten, ob sie zustimmen oder ablehnen sollten? Das war immerhin erst vor 14 Tagen oder drei Wochen der Fall, Herr Kollege Franke. Haben Sie das eigentlich ganz vergessen, daß nur die Hälfte der Ausschußmitglieder der Opposition die Meinung vertrat, daß Sie hier deutlich zu machen versucht haben, daß ein Drittel die MontanMitbestimmung einführen wollte und daß eine andere Gruppe, wie vorhin auch schon einmal dargestellt, insbesondere von der CSU gestellt, sich in ihren Anträgen dem Wirtschaftsrat der CDU zuneigte? Haben Sie das eigentlich vergessen? So sah es doch tatsächlich aus, meine Damen und Herren, und heute behaupten Sie: Das ist alles von uns, das ist alles schön.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke ?
Bitte.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976 16007
Herr Kollege Schmidt, ist Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß die Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung in der Schlußabstimmung einstimmig dem dann vorgelegten Entwurf Ihre Zustimmung gegeben haben?
Das ist meiner Aufmerksamkeit nicht entgangen. Ich habe allerdings auch registriert, daß dazu unterschiedliche Erklärungen über das Warum abgegeben wurden und nicht etwa eine gemeinsame Erklärung.
: Wir sind doch liberal! — Breidbach [CDU/CSU]: Das ist ein schöner Liberaler! — Lachen und weitere Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke.
Bitte.
Herr Kollege Schmidt von der FDP, halten Sie die Meinungsvielfalt in einer Partei für einen Nachteil, oder entspricht es nicht echtem liberalen Partei-und Demokratieverständnis, wenn man solche Meinungen austrägt und austauscht?
Ich stimme völlig mit Ihnen überein.
— Lassen Sie mich doch erst einmal zu Ende antworten, ich habe Sie auch zu Ende fragen lassen. — Ich stimme völlig mit Ihnen überein, daß Meinungsvielfalt in einer Partei und in einer Demokratie eine Grundsatznotwendigkeit ist.
Man kann sich dann aber nicht hierher stellen, Herr Kollege Franke, und so tun, als ob Sie von Anfang bis Ende den Verlauf und das Geschick dieses Gesetzentwurfes bestimmt hätten und als ob heute hier ein Entwurf der Opposition vorläge,
nachdem man bis vor drei Wochen noch so unterschiedlicher Meinung war.
Nun möchte ich noch einmal kurz den Weg des Gesetzentwurfes — ich glaube, das ist nach Ihren Ausführungen notwendig — aus der Sicht der Freien Demokraten aufzeigen. Der Kollege Sund hat schon darauf hingewiesen, und ich darf das für die Freien Demokraten noch einmal erklären: Für uns in der sozialliberalen Koalition war es eine entscheidende gesellschaftspolitische Aufgabe, in dieser Legislaturperiode eine Neuregelung der Mitbestimmung in aufsichtsratbestimmten Unternehmen vorzulegen. Wir fußen dabei auf den Vorstellungen,
die die Liberalen schon in der Vergangenheit immer wieder im Gegensatz zu anderen Gruppen der Gesellschaft
— ich werde das gleich erläutern: im Gegensatz zu anderen Gruppen der Gesellschaft! — kenntlich gemacht haben, denn es waren, was gern vergessen wird, Liberale, die in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts die Aufstellung von Arbeiterausschüssen in den Betrieben anregten und forderten, um innerbetriebliche Streitigkeiten sozialer Art im Sinne der Kooperation, im Sinne des Gespräches zu bereinigen. Es war immerhin Friedrich Naumann, ein Sozialliberaler des beginnenden 20. Jahrhunderts, ein großer Sozialliberaler, der bereits 1905 das, was vorhin der Kollege Sund aus dem Godesberger Programm berichtete, deutlich machte, daß es in unserer modernen Gesellschaft notwendig sei, den Industrie- oder Wirtschaftsuntertan zum Industrie- oder Wirtschaftsbürger zu machen.
— Vielleicht. Wir freuen uns immer, wenn andere liberale Ideen aufnehmen, wie das ja auch in Hamburg geschehen ist, wo Sie vom Freiburger Programm abgeschrieben haben.
Es war der gleiche Friedrich Naumann, meine Damen und Herren, — —
— Bitte, Herr Kollege Franke.
Herr Kollege Schmidt, können Sie mir sagen, was von Ihrem Modell 6 : 4 : 2 von Freiburg in diesem Entwurf noch übriggeblieben ist?
Herr Kollege Franke, ich habe soeben gesagt, ich würde hier den Lauf dieses Gesetzes etwas darstellen.
Wie Sie mich kennen, können Sie davon ausgehen, daß ich einiges zum Freiburger Modell sagen werde.
— Das — diesen Eindruck habe ich gehabt — war eigentlich in der Rede des Kollegen Franke zu spüren, in der er sich bemühen mußte, die letzten zwei Jahre zu überdecken.
Derselbe Friedrich Naumann prägte damals den Ausdruck: „Der Betrieb ist nicht alles, der Betrieb sind wir alle." Dies alles, meine Damen und Herren
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16008 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Schmidt
— das möchte ich als Liberaler hier einmal sehr deutlich sagen —, geschah zu einer Zeit, als die Konservativen noch vom Dreiklassenwahlrecht und anderen Dingen träumten und als im sozialistischen Lager allein der Klassenkampf als Möglichkeit zur Überwindung der nun einmal auftauchenden Konflikte angesehen wurde. Damals schon waren Liberale anderer Meinung.So haben wir auch in Freiburg als erste - langevor Hamburg, Herr Kollege Franke — neue Überlegungen über eine bessere Ausgestaltung der Mitbestimmung angestellt. Wir waren es, die in Freiburg von der funktionsgerechten Teilhabe und Mitwirkung der Arbeitnehmer sprachen, wir waren es, die die Erweiterung der Selbstbestimmung und die Aufhebung der Objektstellung des Arbeitnehmers im Betrieb forderten, und wir waren es auch — Sie haben völlig recht —, die im Rahmen der Überlegungen über unser Drei-Faktoren-Modell zum erstenmal deutlich machten — daran können auch alle Versuche des Kollegen Schröder, das der CDU! CSU ins Stammbuch zu schreiben, nichts ändern —, welche Aufgabe besonderer Art der leitende Angestellte als Arbeitnehmer in einem solchen Unternehmen hat und wieweit er hier auch besonders verankert werden muß.Daß wir, Herr Kollege Franke, nicht alles, was wir in Freiburg gern gehabt hätten, durchsetzen konnten und daß auch die sozialdemokratische Fraktion manche ihrer Vorstellungen nicht im Entwurf wiederfindet, ist das Ergebnis aller Kompromisse; darüber brauchen wir uns, glaube ich, nicht weiter zu unterhalten. Daß es aber gelungen ist, den leitenden Angestellten schon im Regierungsentwurf zu verankern und dieses Modell — darauf komme ich noch kurz — im Laufe der Entwicklung noch weiter zu festigen, fußt jedenfalls auf liberalen Vorstellungen, auf liberalen Vorschlägen, wie sie in Freiburg gemacht worden sind.So kann man, glaube ich — das muß ich noch einmal festschreiben —, jetzt schon davon ausgehen, daß der von Ihnen kritisierte Regierungsentwurf bereits eine Reihe von Vorstellungen enthielt, die liberalem Grunddenken, die dem Grunddenken der Kooperation entsprachen. Der leitende Angestellte war verankert, Gruppenrechte waren angesprochen, und es gab auch schon eine Patt-Auflösung, die klarmachte, daß in bestimmten Fragen die Anteilseigner die letzte Entscheidung haben müßten, um die Funktionsfähigkeit der Unternehmen zu erhalten und die Verfassungsfragen zu konterkarieren.Wir waren uns bei der ersten Lesung dieses Gesetzes darüber klar — ich glaube, alle waren sich darüber im klaren —, daß ein Gesetz von so gravierender Bedeutung, von so großer Bedeutung für die Arbeitnehmer, aber auch für unser Wirtschaftsgefüge, der sorgfältigsten Beratung und Prüfung bedarf. Es war der Kollege Spitzmüller, der seinerzeit in der ersten Lesung am 20. Juni 1974 — Herr Kollege Franke, hören Sie zu, weil ich damit etwas auf Ihre Vorstellungen eingehe —
zum einen eine stärkere unmittelbare Beteiligung der Arbeitnehmer in den ganzen Wahlverfahrensprozessen als überlegenswert bezeichnet, der zum zweiten den Minderheitenschutz als stärker regelungsbedürftig darstellte und der zum dritten damals bereits klar sagte, daß es natürlich notwendig sei — das ist bei jedem Gesetzentwurf erforderlich, der vorgelegt wird —, auch zu prüfen, ob er nicht eventuell verfassungsrechtliche Risiken enthalte.
Wir Freien Demokraten hätten es für eine schlechte Sache gehalten, wenn bei einem solchen Gesetz nicht zusätzlich alle Meinungen der Sachverständigen, nicht zusätzlich alle notwendigen Überlegungen mit in die Beratungen eingeflossen wären. Es war doch nicht so, daß Sie sich besonders um Sachverständigenanhörungen bemühten, sondern daß es die Koalition war
— ich habe nicht gesagt, wie lange —, die im Ausschuß die Sachverständigenanhörungen beantragt hat. Das können Sie im Protokoll nachlesen; das haben Sie heute auch nicht bestritten.
— Die Koalition hat die Sachverständigenanhörungen beantragt. Wissen Sie, mit Anregungen ist das immer so eine Sache.
Da sagt der Herr Blüm, es müsse die Montan-Mitbestimmung sein, da sagt der Herr von Bismarck, es dürfe gar nichts sein, und da sagen Sie, es müsse ein bißchen von Ihnen sein. Das sind Anregungen, so wie Sie sie in Hamburg gegeben haben. Das sind keine Anträge, das sind keine Vorlagen. Um Anträge zu stellen, hätten Sie schon ein bißchen mehr nachdenken müssen. Das haben Sie nicht getan.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke ?
Bitte schön.
Herr Kollege Schmidt, ist Ihnen nicht mehr in der Erinnerung, daß wir § 73 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundestages ausgenutzt haben, der diesen Minderheitenschutz garantiert, und sind Sie mit mir nicht auch der Meinung, daß es zwischen dem Vorsitzenden des Ausschusses und mir einen heftigen Disput über die Zahl der Tage der Anhörungen gegeben hat und wir das letztlich auf Grund von § 73 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Bundestages erzwungen haben?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976 16009
Ich kann nur noch einmal wiederholen: Der Antrag ist von der Koalition gestellt worden. Wir haben uns dann darüber unterhalten, wie viele Tage für die Anhörungen in Aussicht genommen werden sollten. Sie wollten mehr Tage. Ob aus mehr Tagen mehr herauskommt, ist eine andere Frage; denn wenn wir uns, Herr Kollege Franke, an die Ergebnisse der Sachverständigenanhörungen erinnern — die uns ja alle aufmerken ließen, gar keine Frage; die manches bestätigten, was schon in der Diskussion angeschnitten worden war —, muß man sagen, daß zwei Tage wahrscheinlich auch genügt hätten. Für manche Fragen wurde etwas mehr Zeit als notwendig aufgewandt. Aber das nur am Rande.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sund?
Bitte schön.
Herr Kollege Schmidt , würden Sie mir bestätigen — um dem Verwirrspiel ein Ende zu machen —, daß in den Protokollen des Ausschusses eindeutig nachzulesen ist, daß die Koalitionsfraktionen die soeben in Frage gestellten Anhörungen beantragt haben?
Ja, ich will gerne noch einmal wiederholen — ich bedanke mich für den Hinweis, Herr Kollege Sund; ich habe das schon zweimal gesagt —: Die Koalitionsfraktionen haben die Anhörungen beantragt. Die Opposition regt immer an, konkret wird sie dann jedoch nicht.
— Immerhin ein Antrag.
— Herr Kollege Katzer, wenn man hier, wie der Kollege Franke das eben so schön getan hat, sagt, die Beschlüsse von Hamburg seien im Endeffekt verwirklicht, dann muß ich allerdings feststellen: Der Kollege Spitzmüller hat die CDU in der ersten Lesung von diesem Pult aus aufgefordert, doch auch einen Gesetzentwurf vorzulegen, Anträge vorzulegen. Bis zu den Ausschußsitzungen vor drei Wochen lag nichts vor. Sie sind nicht in der Lage gewesen, konkret zu werden. Sie sind immer nur an den allgemeinen Aussagen von Hamburg hängengeblieben, weil sich die einzelnen Gruppierungen daran am leichtesten orientieren konnten. Das wollen wir doch einmal klarstellen.
Wir wollten Anträge sehen. Heute haben Sie welche vorgelegt; aber die kommen recht spät. Früher haben Sie sich darüber nicht einigen können.Nun noch einmal kurz zum Ergebnis aus unserer Sicht. Wenn ich als Vertreter der FDP-Fraktion das Ergebnis mit den Vorstellungen vergleiche, die wir Liberalen, gemeinsam auch mit den Sozialdemokraten, an den Anfang dieses Gesetzgebungswerkes gestellt haben, so kann ich feststellen, daß beimWahlverfahren das von uns in Freiburg geforderte gleiche Stimmrecht, die Möglichkeit der Urwahl — bei der Behandlung des Änderungsantrages werden wir uns darüber ja noch im Detail unterhalten können —, die Verhältnis- und Gruppenwahl, der bestmögliche Minderheitenschutz auf dem Tisch liegen.Ich kann auch feststellen — auch das ist ein Petitum der Freiburger Beschlüsse —, daß im Sinne alter liberaler Vorstellung, daß Selbstbestimmung im Mittelpunkt dieses Gesetzes stehen muß, die Mitbestimmung nicht zu einer Fremdbestimmung anderer Organisationen geworden ist. Deshalb haben wir in Freiburg ja die Möglichkeit vorgesehen, außerbetriebliche verantwortliche Gewerkschaftsvertreter zwar im Aufsichtsrat zu verankern, aber den Betriebsangehörigen die Auswahlmöglichkeit zu geben, die Gewerkschaftsvertreter mithin nicht delegieren zu lassen. Diese Auswahlmöglichkeit ist verwirklicht. Wir haben kein Delegationsrecht mehr, sondern das Nominationsrecht mit doppelten Vorschlägen und damit die Auswahlmöglichkeit für die Betriebsangehörigen, welche Vertreter der Gewerkschaft im Aufsichtsrat sein sollen.Wir sind allerdings der Auffassung — das haben uns sogar auch weite Kreise der Wirtschaft bestätigt; ich erinnere an einen Beschluß der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände —, daß im Aufsichtsrat auch Außerbetriebliche vertreten sein sollen, aber nach dem Auswahlrecht, wie es jetzt im Gesetz vorhanden ist, und nicht etwa nach den Vorstellungen, Herr Kollege von Bismarck, wie sie in dieser Richtung beispielsweise der Wirtschaftsrat der CDU hat oder wie sie Graf Stauffenberg in einem Antrag vorgelegt hat.
— Ich werde gleich darauf kommen, Herr Kollege von Bismarck, und einiges dazu sagen.Aber zunächst noch zum Ergebnis. Mir erscheint es notwendig, noch einmal ganz klarzustellen, daß nach der neuen Regelung der leitende Angestellte als Vertreter seiner Gruppe nur mit einem Mehrheitsvotum dieser Gruppe in den Aufsichtsrat kommen kann und wird. Die leitenden Angestellten können dabei nicht übergangen werden. Es erscheint mir auch richtig, festzustellen, daß die Abgrenzungskriterien des Betriebsverfassungsgesetzes — besonders auch für die leitenden Angestellten — für die Aufsichtsratsmitbestimmung gelten. Gewisse Überlegungen, hier andere Kriterien einzuführen, haben wir von Anfang an für nicht glücklich gehalten. Betriebsverfassungsgesetz und Mitbestimmungsgesetz müssen hier von gleichen Vorstellungen ausgehen.Wir hoffen allerdings und appellieren an diejenigen, die hierfür zuständig sind, daß die Verunsicherung in der Gruppe der leitenden Angestellten durch eine Reihe von Massenverfahren über Abgrenzungskriterien in Zukunft aufhören. Wir glauben, daß die jetzt zu verabschiedende Regelung — sie entspricht § 5 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes — Möglichkeiten bietet, ohne solche Verfahren, ohne Gerichtsurteile und dergleichen mehr auszukommen,
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16010 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Schmidt
weil die Definitionen festgelegt werden. Wir gehen auch davon aus, daß es einer zukünftigen Gesetzgebung obliegen wird — nachdem wir die leitenden Angestellten in dieser Form verankern —, den Sprecherausschüssen eine stärkere gesetzliche Fundierung als bisher zu geben.
Es ist notwendig, noch eine Klarstellung für den Teil des Gesetzentwurfs zu geben, der den Geltungsbereich umfaßt. Auch hierzu liegt ein Änderungsantrag vor. Für uns möchte ich dazu drei Bemerkungen machen.Erstens begrüßen wir, daß die Geltung an die Zahl von 2 000 Beschäftigten anknüpft und die anderen Kriterien, die früher einmal in der Diskussion waren — Bilanzsumme und Umsatzsumme —, in dem Entwurf nicht mehr enthalten sind. Das entspricht unseren Vorstellungen von Freiburg. Nach unserer Auffassung ist diese 2000er-Grenze endgültig, d. h., künftig wird sich an ihr nach unten nichts mehr ändern.Zweitens begrüßen wir, daß unseren Anregungen, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit und Betriebe aus dem Medienbereich nicht einzubeziehen, gefolgt wurde.Drittens möchten wir noch einmal klarstellen — weil hier sonst vielleicht Unstimmigkeiten auftreten können —, daß für die Berechnung der Zahl der Betriebsangehörigen selbstverständlich nur solche in Frage kommen können, die im Inland, also im Geltungsbereich des Grundgesetzes beschäftigt sind. Ausländische Tochterbetriebe und dergleichen können also nicht einbezogen werden, und deren Betriebsangehörige können damit auch nicht wahlberechtigt werden.Ich glaube, es ist notwendig, auch zu dem Thema Funktionsfähigkeit noch einige Bemerkungen zu machen, zumal Sie, Herr Kollege Franke, hier wieder versucht haben, deutlich zu machen, die Pattlösung der CDU/CSU wäre am Ende durchgegangen. Bereits der Regierungsentwurf enthielt eindeutig eine Pattlösung, die der Eigentumssituation entsprach. Aber es gab Überlegungen, ob die Vierstufigkeit noch ganz der Funktionsfähigkeit eines Unternehmens entspräche.Die neue Pattlösung ist zweifellos besser. Ich kann nicht verstehen, warum Sie jetzt versuchen, diese als eine Hamburger Lösung hinzustellen. In Ihren Hamburger Mitbestimmungsbeschlüssen heißt es — ich darf zitieren, Frau Präsidentin —:Der Aufsichtsratsvorsitzende wird vom Aufsichtsrat aus dem Kreis seiner Mitglieder mit Zweidrittelmehrheit gewählt. Kommt nach wiederholten Wahlgängen ein Beschluß nicht zustande, so entscheidet die Hauptversammlung.Sie haben damals dasselbe im Endeffekt gewollt, was schon im Regierungsentwurf stand, nämlich die Großstufigkeit. Sie wissen heute auch, daß das aus Funktionsgründen Schwierigkeiten macht. Deshalb können Sie nicht gut sagen, dem jetzigen Endentwurf lägen Ihre Ideen zugrunde.Ich möchte auch etwas zu der in der Öffentlichkeit etwas umstrittenen Auslegung des Begriffs „Arbeitsdirektor" sagen. Der Kollege Sund hat schon eindeutig klargemacht — ich möchte das für die Freien Demokraten wiederholen —, daß der Titel „Arbeitsdirektor", der in § 30 verankert ist, ein Vorstandsmitglied betrifft, das genau wie jedes andere Vorstandsmitglied gewählt wird. Es ist in keiner Form eine Ähnlichkeit mit dem Arbeitsdirektor der Montan-Mitbestimmungsgesetzgebung zu sehen.Ich kann eigentlich nicht verstehen, daß Sie, Herr Kollege Franke, in Ihrem Änderungsantrag die Wiederherstellung der Regierungsvorlage wollen. Ich würde an Ihrer Stelle darüber noch einmal sehr genau nachdenken. Die Tatsache, daß wir davon ausgehen — so steht es in § 30 —, daß der Arbeitsdirektor ein voll gleichberechtigtes Vorstandsmitglied ist, macht nicht irgendwie Tendenzen in einer Richtung deutlich. Das, was in der Regierungsvorlage mit „vorwiegend" umschrieben war, machte allerdings Tendenzen in einer bestimmten Richtung deutlich. Ich schlage Ihnen vor, darüber noch einmal sehr nachzudenken.
— Bitte, Herr Kollege Schröder.
Herr Kollege Schmidt, können Sie mir dann vielleicht noch einmal erläutern, worin der spezifische Sinngehalt der Tatsache bestehen soll, daß für ein Vorstandsmitglied eine besondere Bezeichnung geschaffen wird?
Ich habe ja soeben bereits gesagt: Es geht lediglich darum, daß ein Vorstandsmitglied den Titel „Arbeitsdirektor" hat, sonst nichts. Sie wollen aber ein Vorstandsmitglied mit vorwiegend besonderen Aufgaben. So stand es ursprünglich in der Regierungsvorlage. Das war für uns ein Problem; deswegen halten wir die jetzige Regelung für besser.Behauptungen, der Gesetzgeber stelle mit der Neufassung des § 30 die Weiche zum Arbeitsdirektor der Montan-Mitbestimmung, sind also unzutreffend. Hinweise auf Erfahrungen mit dem MontanMitbestimmungsergänzungsgesetz ändern daran nichts. Der Montanbereich kann wegen seiner Sonderstellung auf Grund der Montan-Mitbestimmung nach Auffassung der FDP kein Vorbild für andere Wirtschaftszweige sein.Zum Abschluß noch zwei Bemerkungen. Erstens. Ich glaube, gerade die FDP und wir Liberalen sollten von dieser Stelle aus wenige Sätze, Herr Kollege von Bismarck, auf die Ausführungen des Wirtschaftsrats der CDU/CSU verwenden. Gerade nach dem, was der Kollege Franke für die CDU/CSU hier deutlich zu machen versucht hat, und gerade dann, wenn — wie man hört — die Mehrheit der CDU/CSU dem Gesetz zuzustimmen gedenkt, ist für mich unverständlich, in einer sogenannten Kurzfassung des Wirtschaftsrats der CDU, der zwar ein eingetragener Verein ist und nicht der CDU angehört, aber trotzdem den Namen „Wirtschaftsrat der CDU"
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Schmidt
trägt, bestimmte Behauptungen zu lesen. Dies wird allerdings noch unverständlicher dadurch — und das tut mir eigentlich leid —, daß dies unter der Verantwortung des von uns allen sehr geschätzten früheren Kollegen Thomas Ruf geschieht. Ich muß Ihnen ehrlich sagen, Herr Kollege von Bismarck: Als ich das las und oben im Kopf den Namen „Thomas Ruf" als Verantwortlichen las, Thomas Ruf, den wir alle aus der sozialpolitischen Arbeit vieler Jahre kennen — —
Wie gesagt: Vielleicht hat er es gar nicht gewußt — er ist verantwortlich —, ich hoffe das. Denn was hier, Herr Kollege von Bismarck, behauptet wird: Ermächtigungsgesetz für die Fremdbestimmung — Herr Kollege von Bismarck, wo ist in diesem Entwurf eine Ermächtigung für irgend jemanden darin? Neben Ihnen sitzt Herr Kollege Blüm; der hätte mit seinen Anträgen ganz gerne eine Menge Ermächtigungen zur Fremdbestimmung gehabt. Aber das kam aus Ihrer Fraktion. Aber wo ist hier ein Ermächtigungsgesetz?
— Für Fremdbestimmung. Das Wort steht hier: Er hätte eine Ermächtigung für Fremdbestimmung beantragen wollen.
Wie Sie wissen, haben wir die Montan-Mitbestimmung immer abgelehnt und lehnen sie auch weiter ab. Das ist nichts Neues.
— Ich halte sie zumindest für ein Gesetz, in dem die Fremdbestimmung, beispielsweise durch Arbeitsdirektor und anderes, stärker ist als in dem, was wir hier vorliegen haben.Herr Kollege von Bismarck, wenn Sie nach zweijährigen Beratungen von Brachialgewalt sprechen, wenn Sie davon schreiben, daß erheblich gegen das Grundgesetz verstoßen werde, so kann ich eigentlich nur hoffen, daß die deutschen Unternehmer -das zur Kenntnis nehmen und ablegen. Ich kann weiter nur hoffen, Herr Kollege von Bismarck, daß sich die zusätzlichen Abgeordneten aus dem CDU-Wirtschaftsrat im nächsten Deutschen Bundestag — wie ich neulich in der Presse gelesen habe, sollen einige zusätzliche Mitglieder des Wirtschaftsrates der CDU in diesen Bundestag eintreten — doch einmal etwas genauer mit den tatsächlichen politischen Fakten bekanntmachen, ehe sie in diesen Deutschen Bundestag eintreten. Denn das ist nach diesen Beratungen und nach dem vorliegenden Gesetzentwurf kein Ruhmesblatt für die Unternehmer.Abschließend, meine Damen und Herren, ein paar Gedanken zu den Vorstellungen, wie wir Freie Demokraten die Weiterentwicklung sehen. Auch für uns ist mit diesem Gesetz, das sich in die Entwicklung: Betriebsverfassungsgesetz — Personalvertretungsgesetz — Mitbestimmungsgesetz einpaßt, die Weiterentwicklung der Mitbestimmung nicht abgeschlossen. Für uns erhebt sich nach dem Spruch „Das Bessere ist des Guten Feind" die Frage, ob nicht eines Tages, wenn sich zeigt, daß das von uns hier voll bejahte und voll getragene Gesetz eine bessere Selbstbestimmung der Arbeitnehmer, wie wir das sehen, bringen wird, auch die MontanMitbestimmung durch eine solche Selbstbestimmungsmitbestimmung ersetzt werden kann.
Das ist eine Frage der Erfahrung.Weil wir weiterhin davon ausgehen, meine Damen und Herren — das können Sie in diesem Entwurf durchgehend sehen —, daß die Stärkung der Rechte des einzelnen Arbeitnehmers und seiner Selbstbestimmung den Organisationsrechten übergeordnet darzustellen ist, daß die Individualinteressen des einzelnen und die subjektiven Interessen des Arbeitnehmers vorrangig sind, weil wir auch weiterhin auf dem Boden unseres Freiburger Programmes und der darin enthaltenen Arbeitsgesellschaft und Arbeitsplatzgesellschaft stehen, weil wir glauben, daß es hier noch viele Mitwirkungs- und Mitbestimmungsregelungen geben muß, deshalb sehen wir dieses Gesetz als einen guten Schritt in die richtige Richtung an und werden ihm einstimmig zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Emeis.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Unbestritten stellt der vorliegende Gesetzentwurf zur Mitbestimmung nach 25jährigem Stillstand in dieser Frage ein bedeutendes gesellschaftspolitisches Werk dar. Dennoch sollte nicht vergessen werden, daß die entscheidende gewerkschaftliche Forderung nach Parität im Ringen um eine mehrheitsfähige Regelung auf der Strecke geblieben ist. Ich kann und will nicht verschweigen, daß der erzielte Kompromiß der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsparteien von SPD und FDP nennenswerte positive Elemente enthält. Ich meine z. B. die Tatsache, daß im Gesetzestext kein Unterschied zwischen der privaten Wirtschaft und den öffentlichen Unternehmen in privatrechtlicher Rechtsform gemacht wird.Erhebliche Bedenken habe ich jedoch gegen die Festlegung des Geltungsbereichs der Mitbestimmung. Ich meine die Regelung, daß dieses Gesetz nur auf solche Betriebe Anwendung finden soll, die in der Regel mehr als 2 000 Arbeitnehmer beschäftigen. Jeder weiß, daß Mechanisierung, Rationalisierung und die fortschreitende Anwendung der Elektronik, also der gesamte Bereich der modernen Technologie, dafür sorgen, daß die Zahl der Beschäftigten in Hinsicht auf die Größe und den Einfluß eines Unternehmens nur eine untergeordnete Rolle spielt. Verlockt die Zahl 2 000 die Unternehmen nicht dazu, einen erheblichen Teil ihrer Investitionen zur Weg-
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Emeisrationalisierung von Arbeitsplätzen einzusetzen, um sich der Mitbestimmung zu entziehen? Wir sehen schon jetzt im beginnenden Wirtschaftsaufschwung, daß trotz erhöhter Auftragseingänge in der Investitionsgüterindustrie und steigender Investitionen in der Wirtschaft kaum eine nennenswerte Entlastung des Arbeitsmarktes festzustellen ist. Es ist zu befürchten, daß sich diese Tendenz fortsetzt. Ich weiß, daß Rationalisierung zur Erhöhung der Produktivität notwendig ist. Ich sehe aber auch die Gefahren.Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat vor einigen Jahren weit zweckmäßigere Kriterien vorgeschlagen, um die Unternehmen zu klassifizieren, in denen die Mitbestimmung Anwendung finden soll. Es sind, grob dargestellt, folgende Kriterien: Unternehmen mit einer Belegschaft von mindestens 2 000 Beschäftigten, Unternehmen mit einer Bilanzsumme von mindestens 75 Millionen DM, Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mindestens 150 Millionen DM. Der Deutsche Gewerkschaftsbund schlägt vor, daß die Mitbestimmung dort anzuwenden ist, wo zwei dieser Kriterien auf ein Unternehmen zutreffen. Ich halte das für in Ordnung.Ein anderes Übel sehe ich in dem Sonderstatus der leitenden Angestellten, der durch den vorliegenden Gesetzentwurf verankert wird. Wir haben es hier mit einem Problem zu tun, das ich zum augenblicklichen Zeitpunkt für ausdiskutiert halte, das aber bei einer Novellierung dieses Gesetzes unbedingt aufzugreifen ist.Stärkere Bedenken habe ich dann noch gegen die Übertragung eines doppelten Stimmrechts auf den Aufsichtsratsvorsitzenden oder einen anderen Vertreter der Anteilseigner, weil das Mitbestimmungsgesetz mit dieser Regelung nicht die Parität bringt. Die Arbeitnehmer erhalten zwar der Zahl nach mehr Sitze im Aufsichtsrat als bisher und damit auch mehr Verantwortung, aber mehr zu bestimmen haben werden sie nicht. Dies muß, auch wenn es einigen nicht gefällt, ganz klar gesagt werden. Eine Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit wird es nach dem hier vorliegenden Gesetz nicht geben.Meine Damen und Herren, trotz meiner Kritik an diesem Entwurf, aus der ich nur drei Punkte herausgegriffen habe, hielte ich es für töricht, wenn das vorliegende Gesetz abgelehnt werden sollte. Es bedeutet trotz seiner Mängel einen erheblichen Schritt nach vorn. Ein Alles oder Nichts bringt uns nur wenig. Der Entwurf stellt das Optimum des in der gegenwärtigen politischen Lage Erreichbaren dar. Dies sollte uns jedoch nicht dazu verleiten, das eigentliche Ziel, die Parität, aus dem Auge zu verlieren.
Meine Damen und Herren, das Wort in der allgemeinen Aussprache wird nicht mehr gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung. Ich rufe den § 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/4887 unter Nr. 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor.
Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Dr. Blüm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zur Begründung unseres Änderungsantrages und zum § 1 insgesamt sprechen.Der § 1 des Mitbestimmungsgesetzes regelt den Geltungsbereich. Wie immer bei solchen Grenzziehungen ist auch ein Stück unvermeidlicher Willkür im Spiel; denn warum soll das Gesetz erst bei Unternehmen mit 2 000 Arbeitnehmern gelten, warum nicht schon bei solchen mit 1 900, warum nicht erst bei solchen mit 2 100? Der Gesetzgeber muß sich entscheiden.Unbestreitbar besteht ein Unterschied zwischen Groß- und Kleinunternehmen. Niemand will Groß-, Mittel- und Kleinunternehmen über einen Kamm scheren. Die Mitbestimmungsdiskussion hat allzu oft unter dem mancherorts bewußt produzierten Mißverständnis gelitten, als sollten die kleinen Unternehmer genauso behandelt werden wie die großen. Auf diese Weise ist manch billiges Kanonenfutter zur Abwehr der Mitbestimmung geschaffen worden.Mit der Größe des Unternehmens wächst sein Einfluß- und Verantwortungsbereich und damit auch die Möglichkeit und die Notwendigkeit der Mitbestimmung. Doch wo beginnt diese Größe? Irgendwo muß der Gesetzgeber den Pfahl der Abgrenzung einschlagen. Diese Grenzziehung ist so relativ beliebig, wie das bei vielen gesetzgeberischen Grenzen ist. Ich erinnere nur an die in der Steuergesetzgebung, wo wir es unvermeidlicherweise mit künstlichen Grenzen zu tun haben.Wir haben uns entschieden und wir entscheiden uns heute hier für die Abgrenzung „in der Regel mehr als 2 000 Arbeitnehmer". Dort soll das Gesetz gelten. Dieses Merkmal „in der Regel" ist jedoch ein Gummibandbegriff. Wenn wir die Mitbestimmung davor bewahren wollen, daß in ihren Grenzzonen ständig Streit über ihre Anwendung herrscht, ist es notwendig, diesen Begriff zu ergänzen.Die CDU/CSU-Fraktion schlägt deshalb vor, während der Amtsperiode des Aufsichtsrates die Zusammensetzung dieses Aufsichtsrates nicht zu verändern. Wenn sich neue Erfordernisse ergeben, sollen die notwendigen Konsequenzen in der nächsten ordentlichen Hauptversammlung gezogen werden. Mit diesem Zusatz würden wir das unwürdige Wechselspiel zwischen Anwendung und Nichtanwendung vermeiden. Es käme ein größeres Stück Rechtssicherheit ins Spiel der Mitbestimmung. Selbst wenn die Arbeitnehmerzahl auf 1900 absinkt, bliebe nach unseren Vorstellungen die Mitbestimmung bis zur nächsten Hauptversammlung gültig.Den verlängerten Auslauffristen stehen freilich auch verlängerte Einlauffristen gegenüber. Doch beide Konstellationen bringen mehr Beständigkeit, mehr Einfachheit, mehr Praktikabilität. Meine Damen und Herren, wir machen hier keine Gesetze für Juristen, wir machen Gesetze für den Alltag.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976 16013
Dr. BlümDeshalb müssen sie möglich einfach und verständlich sein.
Dem zweiten Absatz dieses Gesetzes stimmt meine Fraktion zu. Die Montan-Mitbestimmung soll erhalten bleiben. Niemand wird sich über diese Zustimmung wundern; denn die Montan-Mitbestimmung ist 1951 unter Konrad Adenauer eingeführt worden.
Sie ist die Mitbestimmung, das einzige Mitbestimmungsgesetz bis zum heutigen Tag, das diesen Namen zu Recht trägt.
Insofern, Herr Kollege Schmidt, weise ich Ihren unqualifizierten Angriff auf die Montan-Mitbestimmung im Zusammenhang mit dem Begriff „Ermächtigungsgesetz zur Fremdbestimmung" zurück. Ich bin nicht der Auffassung, daß auf eine Unverschämtheit eine neue gesetzt werden sollte.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt ?
Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege Blüm, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich diesen Begriff „Ermächtigungsgesetz zur Fremdbestimmung" aus dem Brief des Wirtschaftsrates der CDU entnommen habe.
Dann will ich hier festhalten — auch gegenüber Ihrem sozialdemokratischen Koalitionspartner —, daß Sie diesen vom Wirtschaftsrat übernommenen Begriff auf die MontanMitbestimmung anwenden.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Kollege Blüm, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich diesen Begriff aus diesem Brief schärfstens zurückgewiesen und die deutschen Unternehmer gebeten habe, so nicht zu argumentieren.
Nun, Herr Kollege Schmidt, wir können das klären. Dieser Brief bezog sich nicht auf die Montan-Mitbestimmung, sondern auf dieses Gesetz. Wenn Sie ihn zurückgewiesen haben, haben Sie damit noch keine Begründung gegeben, warum sie ihn heute auf die Montan-Mitbestimmung anwenden.
Meine Damen und Herren, gegenüber allen frei-und sozialdemokratischen Legendendichtern wollen wir festhalten, daß das heute vorliegende Gesetz die Montan-Mitbestimmung nicht erreicht. In der Paritätsfrage bieten Sie mehr Stühle, aber keine
Parität. In Sachen Arbeitsdirektor liefern Sie nur ein Türschild, aber keinen Arbeitsdirektor. Sie hätten ihn in Ihrem Gesetzentwurf besser „Arbeitsdirektor h. c." oder ähnlich nennen müssen. Dies ist die typische Form, in der Sie Reformen durchführen: Sie verwechseln pausenlos die Dekoration mit der Wirklichkeit.
Dagegen wollen wir hier und heute Stellung nehmen. Ich will festhalten, daß diese Koalition 25 Jahre nach Verabschiedung der Montan-Mitbestimmung nicht mehr, sondern weniger erreicht als das, was die Christdemokraten ein Vierteljahrhundert vorher in diesem Hause durchgesetzt haben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt ?
Herr Kollege Blüm, darf ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß Sie jetzt plötzlich im Namen der CDU/CSU die MontanMitbestimmung als besser ansehen, nachdem der Kollege Franke vorher erklärt hat, die CDU werde das Ergebnis der Beratungen des Entwurfs der Koalitionsfraktionen als richtig ansehen und ihm zustimmen?
Nun, Herr Kollege Schmidt, Sie dürfen festhalten, daß die CDU/CSU-Fraktion für die Erhaltung der Montan-Mitbestimmung eintritt und damit dem Abs. 2 zustimmt. Dafür spreche ich hier. Meine Fraktion ist für die Erhaltung der Montan-Mitbestimmung. Der Erfolg der Koalition besteht darin, daß sie die Montan-Mitbestimmung erhalten muß, weil ihr Gesetz nicht so gut ist wie die Montan-Mitbestimmung. Das steht freilich in einem merkwürdigen Kontrast zu der parteiamtlichen Propaganda, in der Sie die Sache immer so darstellen: 20 Jahre rabenschwarze Nacht, sozial-und gesellschaftspolitische Eiszeit; und dann bricht 1969 die Morgenröte der Sozialdemokratie und der sozialliberalen Koalition an und schafft alles neu. — Sie haben nichts Neues geschaffen, sondern sind hinter uns zurückgeblieben.
— Sie werden vielleicht enttäuscht sein, daß ich nicht zur Verbreitung der sozialdemokratischen Kinder-und Hausmärchen beitrage.
Es ist notwendig, den Arbeitnehmern klar vor Augen zu führen, worüber wir heute abstimmen.In der Tat haben die Gewerkschaften im Jahre 1951 mitgeholfen, daß die Montan-Mitbestimmung Wirklichkeit wurde. Das wollen wir heute nicht in Vergessenheit geraten lassen. Nur, meine Damen und Herren, heute sehe ich die Gewerkschaften nicht. Offensichtlich war es leichter, sich gegenüber einer CDU-geführten Regierung durchzusetzen als gegenüber einer SPD-geführten Regierung.
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16014 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Dr. BlümWas wäre heute los — sich das vorzustellen, braucht man nicht sehr viel Phantasie —, wenn eine CDU-geführte Regierung das Mitbestimmungsgesetz vorgelegt hätte, das Sie heute hier vorlegen?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Dr. Blüm, gehe ich recht in der Annahme, daß Ihre Fraktion es nicht so gern gesehen hätte, Sie in der allgemeinen Aussprache reden zu hören, daß Sie aber nunmehr die Begründung des Änderungsantrages dazu benutzen, Ihre Einzelgängerrolle deutlich zu machen?
Ich begründe einen Antrag, der die einstimmige Zustimmung meiner Fraktion findet. Herr Graf Lambsdorff, Sie haben wirklich wichtigere Aufgaben, als sich den Kopf meiner Fraktion zu zerbrechen.
Wenn dieser Gesetzentwurf von uns käme, wären hier heute Protestprozessionen um das Bundesplenum gewallfahrtet. Was ist heute?
Ich sehe nichts vom DGB, es sei denn, er würde geheime Demonstrationen durchführen
oder vielleicht Protest unter „Streng vertraulich" einlegen.
Das wäre vielleicht dann eine neue Form. Die ehemalige Kampfkraft, Entschlossenheit der Gewerkschaften hat sich in den letzten Wochen mehr gegen die gewandt, die in den Beratungen des Parlaments eben jene gewerkschaftlichen Forderungen durchsetzen wollten
und die an der Starrheit und Sturheit sozialdemokratischer Gewerkschafter gescheitert sind, die nur noch von einer Betonmauer übertreffbar ist.Meine Damen und Herren, lieber Herr Kollege Sund: Wenn Sie die mangelnde Geschlossenheit der CDU/CSU hier in dieser Sache attackieren: Auf die Geschlossenheit, die Sie hier vorführen, wäre ich an Ihrer Stelle nicht stolz.
Denn dies ist eine Geschlossenheit gegen die Montan-Mitbestimmung gewesen.
Zu Ihrem Argument, meine Damen und Herren, wir seien nur eine Minderheit, ist zu sagen: Dem Mangel hätte in den Beratungen des DeutschenBundestages leicht abgeholfen werden können. Sie hätten nur zuzustimmen brauchen. Dann wären wir nicht Minderheit gewesen, sondern Mehrheit.
Dies alles, meine Damen und Herren, muß den Arbeitnehmern draußen in den Betrieben gesagt werden, damit sie nicht auf die Nebelwerferparolen der Sozialdemokraten in dieser Sache hereinfallen. All das, meine Damen und Herren, was Sie zu dem Hamburger Parteitag gesagt haben—Sie wissen, ich bin mit dem Hamburger Parteitagsbeschluß meiner Fraktion nicht zufrieden —, gilt jetzt postwendend für Sie. Denn Sie von der Koalition unterscheiden sich vom Hamburger Parteitagsbeschluß in der Sache, in der Substanz nicht um ein Jota. Sie, sehr verehrter Herr Bundesminister Arendt, haben gesagt: „Für unsere Partei ist alles, was unterhalb der Parität liegt, Augenwischerei" . Herr Minister, kann ich Ihnen behilflich sein? Das ist doch heute die Frage. Das müssen Sie doch auch gegen Ihren eigenen Entwurf gelten lassen. Sie haben ihn als einen großen Durchbruch gefeiert. Gemessen an dem, was Sie gegen Hamburg gesagt haben, ist das kein Durchbruch, sondern ein Durchfall, Herr Minister.
Aber Sie waren damals immerhin so freundlich, der Opposition den Trost zu spenden — ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin —: „Auch die Eule findet ihre Jungen schön." Nun, Herr Minister, ich möchte Ihnen diesen Trost heute für Ihr Gesetz unbenutzt zurückgeben.
Der Abs. 4 des § 1 regelt die Ausnahme der Mitbestimmung in Sachen Tendenzbetriebe. Meine Damen und Herren, ich hoffe, wir stimmen darin überein, daß diese Ausnahmeregelung kein Freifahrtschein für die Tendenzbetriebe sein soll und daß auch dort die Chancen der Mitverantwortung genutzt werden sollten. Nicht alles, was notwendig ist, nicht alles, was machbar ist, muß in Gesetzen geregelt werden. Ich finde, gerade die Kirchen, gerade die Gewerkschaften sollten so etwas wie Pfadfinder sozialer Erprobung sein. Mehr als manche Mai-Rede, mehr als manche Predigt würde es der Sache nützen, wenn gerade Kirchen und Gewerkschaften praktische Modelle der Mitbestimmung jenseits der Gesetzgebung vorlegen würden.
— Herr Rappe, ich würde sagen: Jeder vor seiner Tür. Bevor Sie vor meine kommen, räumen Sie den Scherbenhaufen vor Ihrer weg, damit Sie nicht stolpern!
Meine Damen und Herren, das, was heute zur Verabstimmung steht —
— Dieses Gesetz ist so kompliziert, daß man sich auch einmal versprechen kann. Das färbt auf den Redner ab, meine Damen und Herren.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976 16015
Dr. BlümFür uns ist mit dem heutigen Tage nicht die Diskussion über die Partnerschaft, nicht die Diskussion darüber zu Ende, wie wir mehr Freiheit und Selbstbestimmung am Arbeitsplatz durchsetzen können. Dieses Thema ist freilich nicht nur ein Thema des Aufsichtsrates. Für uns wird jede Mitbestimmung, auch jede gesetzliche Mitbestimmung daraufhin geprüft werden, ob sie etwas dazu beiträgt, dem einzelnen Arbeitnehmer in seinem Alltag mehr Bewegungsraum, mehr Verantwortung und damit mehr alltägliche Freiheit zu verschaffen. Die CDU hat auf ihrem Hamburger Parteitag ein neues, ein partnerschaftliches Unternehmensrecht angekündigt, in dem Anteilseigner, Arbeitnehmer und Unternehmer auf der Grundlage der Parität zusammenarbeiten. Dies ist kein Gedanke aus dem 16. Jahrhundert, wie Sie mir gerade zurufen, sondern dies ist im Unterschied zu den Gedanken, die Sie aus dem 19. Jahrhundert beziehen, ein Beitrag dazu, die Arbeit menschlicher zu machen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Urbaniak.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Blüm, es bleibt Ihnen völlig unbenommen, statt der Spiegelfechterei das Plenum mit Anträgen in Ihrem Sinne auszustatten. Sie sollten aber auch mit aller Deutlichkeit sagen, daß es nicht möglich ist, Vorstellungen, die Sie möglicherweise haben, in Ihrer Fraktion zwischen den Bereichen von Bismarck, Ihren Kollegen aus den Mittelstandsvereinigungen, dann der CSU und was Sie noch alles haben, tatsächlich durchzubringen. Darum produzieren Sie sich hier vor der Öffentlichkeit, ohne in der Frage der Mitbestimmung einen Deut weiterzukommen. Das halte ich für nicht in der Ordnung.
Es gibt, meine sehr verehrten Damen und Herren, keine Geschlossenheit gegen die Montan-Mitbestimmung. Das, was Sie sagten, gibt es nicht.
Sie ist in diesem Gesetz festgeschrieben. Sie haben das ausdrücklich zum Ausdruck gebracht.
Für diese Montan-Mitbestimmung werden wir als Sozialdemokraten weiter eintreten.
Kollege Blüm, Sie müßten aus den geschichtlichen Prozessen eigentlich wissen, daß die Sozialdemokraten es waren, die am 18. Dezember 1968 in der 5. Legislaturperiode dem Deutschen Bundestag ihr Mitbestimmungsmodell vorgelegt haben, und daß wir uns in Mannheim ganz klar zu dieser Frage geäußert und so beschlossen haben. Das sollten Sie anerkennen. Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland keine Partei, die eine so eindeutige Aussage zur Frage der qualifizierten paritätischen Mitbestimmung gemacht hat wie die Sozialdemokraten.
Herr Abgeordneter Urbaniak, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Breidbach?
Herr Kollege Urbaniak, sind Sie der Meinung, daß die Sozialdemokratische Partei Deutschlands mit dem jetzt von Ihnen vertretenen Mitbestimmungsentwurf in der Mitbestimmungsfrage weitergekommen ist, wenn ich ihn messe an der Definition, die Ihre Partei in der Sonderbeilage „Sozialdemokrat — Magazin" veröffentlicht hat, in der es heißt: „Unter Mitbestimmung auf Unternehmensebene im engeren Sinne versteht man die gleichgewichtige und gleichberechtigte, d. h. paritätische Vertretung der Arbeitnehmer und Anteilseigner in den Aufsichtsräten"?
Herr Kollege Breidbach, wir kommen auf diesem Gebiet so weit, wie die politischen Verhältnisse in diesem Lande es zulassen. Und wie Sie an diesem Gesetz mitgearbeitet haben, das wissen Sie wohl selbst, Kollege Breidbach. Ich will das hier nicht ausbreiten.
Herr Kollege Urbaniak, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Blüm?
Stimmen Sie mir zu, Herr Kollege Urbaniak, daß die Sozialdemokratische Partei der Einsetzung einer Prüfungskommission in Sachen Mitbestimmung in der Großen Koalition zugestimmt hat und daß deshalb Ihr Gesetzentwurf von 1968 hinsichtlich seiner Durchsetzung nicht sehr glaubwürdig war?
Diese Prüfungskommission, lieber Kollege Blüm, hat ja im wesentlichen dokumentiert, daß die Erfahrungen mit der Mitbestimmung eine Weiterentwicklung in diesem Bereich geradezu fordern. Ich sage Ihnen, wir haben das damals im Dezember hier vorgelegt.
Sie hätten von sich aus zustimmen können, was wir zur Weiterentwicklung der Mitbestimmungsfrage wollten. Da haben Sie sich verschlossen. Jetzt haben Sie die Kurve gekriegt, als die berühmten Trittbrettfahrer in der Mitbestimmung noch so eben aufzuspringen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben heute wieder den kuriosen Fall, daß sich Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion, die sich dem Arbeitnehmergrüppchen zurechnen, dazu hergeben — das wird ja bei den weiteren Anträgen der Fall sein —, Anträge zu begründen, die die Arbeit der Gewerkschaften bei der Durchführung des Mitbe-
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Urbaniakstimmungsgesetzes erschweren müßten, in Teilbereichen sogar unmöglich machen würden. Damit wird, wie ich meine, den Feinden der Gewerkschaften in die Hand gearbeitet und so getan, als gebe es einen Gegensatz zwischen Arbeitnehmern in den Betrieben und ihren Gewerkschaften. Es wird gleichzeitig den Sozialdemokraten unterstellt, sie wollten die Gewerkschaften vor ihren eigenen Mitgliedern, den Arbeitnehmern, sichern. Es ist notwendig, dies Punkt für Punkt bei den Anträgen, die Sie hier stellen werden, klarzustellen und das zu widerlegen.Wir meinen, daß gerade die gewerkschaftliche Organisation bei der Vorbereitung der Einführung der Mitbestimmung notwendige Aufgaben mit den Betriebsräten und den Vertrauensleuten in den Betrieben einzuleiten und schließlich zur Durchführung des Gesetzes zu vollziehen hat.Der Stellenwert der Gewerkschaftsorganisation unterscheidet sich daher nach unserem Verständnis grundsätzlich von dem der CDU/CSU. Ich stelle fest, daß sich die Opposition nach mühseligen Verrenkungen dazu entschlossen hat, dem Mitbestimmungsgesetz der sozialliberalen Koalition zuzustimmen, weil man es ohnehin nicht mehr verhindern kann.Bitte, Kollege Breidbach.
Herr Abgeordneter Breidbach, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Urbaniak, könnten Sie dem Parlament einmal mitteilen, wieviel Verrenkungen in Form von Gesetzentwürfen die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien benötigt haben, um das jetzt vorzulegen, was Sie als Mitbestimmung bezeichnen?
Kollege Breidbach, Ihre Fraktion hat besonders viel Verrenkungen gemacht. Aber wieviel Sie gemacht haben, das will ich hier nicht aufzählen.
Man kann dieses Mitbestimmungsgesetz, wie ich sagte, ohnehin nicht verhindern. Lediglich Herr von Bismarck zeigt sich als Gefangener der eigenen Politik und will deshalb dem, wie sein Wirtschaftsrat es nennt, „Ermächtigungsgesetz zur Fremdbestimmung" nicht seine Stimme geben. Wenn die Vertreter der Opposition im Bundestag das Mitbestimmungsgesetz für die Arbeitnehmer nicht verhindern können, so will man — Kollege Blüm, das haben Sie hier begründet — wenigstens das Wirksamwerden möglichst lange hinausschieben. Ihr Antrag zielt darauf, diesen Punkt so zu regeln, daß wir eine Referenzperiode von vier, ja, gar fünf Jahren bekommen könnten. Erst dann könnte die Mitbestimmung eingeführt werden.
Sie erwähnen in Ihren Ausführungen besonders, daß das Gesetz praktikabel sein muß. Es ist dadurch sehr praktikabel, daß die Formel „in der Regel" gefunden worden ist. Wir haben sie der betriebsverfassungsrechtlichen Praxis entnommen. Da gibt es
über 20jährige Erfahrungen. Auch im Ausschuß war I es klar, daß es die beste gesetzliche Regelung wäre, auch bei der Mitbestimmung so zu verfahren. Wir lehnen daher selbstverständlich Ihren Antrag ab, weil er die Einführung der Mitbestimmung verzögert und keine Klarheit in der Frage bringt, was die Belegschaftsgröße in der Regel angeht.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Blüm, ich bewundere Sie, wie Sie aus einer Pflicht eine Kür machen, wenn ich den Vergleich aus dem Eiskunstlauf wählen darf. Pflichtübung sollte die Stellungnahme zu einem mehr oder weniger trockenen Änderungsantrag sein. Sie haben es sportlich gut hinbekommen, aber wir wissen alle, daß Sie die Figuren nicht zu Ende laufen können, weil Sie mit den Vorstellungen der Sozialausschüsse gegen die Banden der eigenen Fraktion laufen, und dann knallt es meistens.
Wir werden es heute sicher noch häufig erleben, daß die Opposition — ich finde, das ist sehr originell — ausgerechnet in der Debatte zu diesem Thema, nachdem sie in der Vergangenheit eher gegen die Mitbestimmung war,
durch die Vertreter der Sozialausschüsse dem Wähler draußen ein Bild vermitteln wird, das den Schluß zuläßt, die Opposition bedaure es, daß wir nicht einen Gesetzentwurf zur Ausweitung der MontanMitbestimmung eingeführt haben.Ich will mich aber im wesentlichen an die Geschäftsordnung halten und zum Änderungsantrag sprechen. Dennoch eine Bemerkung, Herr Kollege Blüm: Ist es uns eigentlich verboten nachzudenken, ist es eigentlich so unerhört, wenn wir Liberalen uns die Frage stellen, ob es nicht sinnvoll ist, einmal abzuwarten, wie sich das neue Gesetz entwikkelt, um aus den Erfahrungen Verbesserungen für andere Bereiche, wo Mitbestimmungsgesetze gelten, abzuleiten?
Eines wundert mich bei Ihnen, Herr Dr. Blüm: Sie sind ein entschiedener Verfechter der Selbstbestimmung der Arbeitnehmer. Dies weiß ich, Sie haben entsprechende Anträge gestellt, und Sie weisen auch in der Öffentlichkeit darauf hin. Andererseits sind Sie der glühende Verfechter einer Mitbestimmungsregelung, die — und da hat mein Kollege Schmidt recht — sehr wohl entscheidende Elemente der Fremdbestimmung beinhaltet. Erklären Sie mir doch bitte einmal, welche Mitwirkungsmöglichkeit der einzelne Arbeitnehmer bei der
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HölscherMontan-Mitbestimmung hat. Wer wählt denn seine Vertreter in den Aufsichtsrat?
Ich wundere mich sehr, daß ausgerechnet Sie, aber auch viele andere über diesen, wie ich für meine Person deutlich sagen darf, erheblichen Mangel — wenn man Mitbestimmung als Selbstbestimmung versteht — in der Montan-Mitbestimmung so schnell zur Tagesordnung übergehen. Herr Kollege Dr. Blüm, vielleicht wären Sie in fernerer Zukunft bereit, mit uns gemeinsam — sicher werden auch Vertreter der SPD-Fraktion, so hoffe ich, dazu bereit sein —,
die Montan-Mitbestimmung erstmals mit einem demokratischen Wahlverfahren anzureichern. Warum eigentlich nicht? Ich wäre für eine Antwort vielleicht noch im Rahmen dieser Debatte sehr dankbar.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Blüm?
Bitte schön!
Herr Kollege, ist Ihnen entgangen, daß ich im Zusammenhang mit der MontanMitbestimmung über die Paritätsfrage gesprochen habe, und ist Ihnen ferner entgangen, daß ich, was das Wahlrecht anbelangt, durchaus die Meinung habe, daß die Arbeitnehmer direkt wählen sollen?
Ich danke Ihnen für die Feststellung, Herr Dr. Blüm. Ich kann nur feststellen, daß Sie vor einigen Minuten hier in diesem Hause gesagt haben: Dieses Gesetz reicht nicht an die Montan-Mitbestimmung heran. Wenn Sie auf der anderen Seite gerade dem Legitimationsprinzip einen so hohen Stellenwert einräumen, hätte ich erwartet, daß Sie im Zusammenhang mit der MontanMitbestimmung diese Kritik, die Sie gerade geäußert haben, an anderer Stelle und in Ihren Ausführungen vorhin in dieser Deutlichkeit ausgesprochen hätten.
Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt wirklich im Rahmen der Geschäftsordnung verfahren und unsere Stellungnahme zu dem Änderungsantrag der Opposition zu § 1 abgeben.
Meine Damen und Herren, wir haben uns in den Ausschußberatungen sehr lange darüber unterhalten, ob bei der Anwendung des Gesetzes im Hinbilck auf das Ordnungskriterium „in der Regel mehr als 2 000 Arbeitnehmer" ein fester Referenzzeitraum oder aber die Situation in einem bestimmten Zeitpunkt gewählt werden sollte.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Klein?
Bitte schön!
Herr Kollege Hölscher, ich beziehe mich noch einmal auf Ihre Entgegnung auf die Feststellungen des Kollegen Blüm. Würden Sie mit mir darin übereinstimmen und zur Kenntnis nehmen, daß es durchaus ein Unterschied ist, ob man ja zur Montan-Mitbestimmung als Ganzer sagt, so wie sie heute ist, oder ob man zu dem entscheidenden Element der MontanMitbestimmung, nämlich der Parität, ja sagt, wie es der Kollege Blüm getan hat?
Ich darf Sie daran erinnern — als Fachmann, glaube ich, müßte Ihnen das geläufig sein —, daß z. B. auch die Montan-Mitbestimmung den Letztentscheid bei der Anteilseignerseite vorsieht, wenn etwa bei der Bestellung des neutralen Mannes keine Einigung zu erzielen ist.
Insofern allerdings unterscheidet sich die MontanMitbestimmung nicht von diesem Gesetzentwurf. Wir Liberalen haben aber nicht nur, was die Wahlverfahren angeht — um dies hier deutlich festzustellen —, erhebliche Einwände gegen diese Mitbestimmungsregelung, sondern wir lehnen auch den Neutralen als Faktor ab, weil wir der Meinung sind, in einer auf Kooperation, auf Ausgleich angelegten Mitbestimmung brauchen wir den Einigungszwang und dürfen uns nicht bei brisanten Entscheidungen hinter einem Mann verschanzen, der vielleicht bereit ist, mit seinem Gewicht in die Entscheidung einzutreten, der aber genaugenommen, auch gesamtwirtschaftlich gesehen, diese Verantwortung gar nicht tragen kann.Ich darf aber jetzt zum Änderungsantrag der Opposition zurückkommen. Ich denke, wir haben es aus guten Gründen bei der Formulierung der Regierungsvorlage, nämlich „in der Regel mehr als 2 000 Arbeitnehmer" zu sagen, belassen. Danäch fallen eben in der Regel die Unternehmen, die mehr als 2 000 Arbeitnehmer haben, unter dieses Gesetz. Ich denke, diese Entscheidung trägt dem Willen des Gesetzgebers, die Beschäftigtenzahl zum alleinigen Abgrenzungskriterium zu machen, weitaus besser Rechnung. Sie ist flexibler und damit praxisbezogener, weil mit dieser Regelung einem häufigen Wechsel der Mitbestimmungsform infolge von Schwankungen in der Beschäftigtenzahl begegnet werden kann.Der Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion, wonach eine bestimmte Mitbestimmungsregelung bis zur nächsten Hauptversammlung weitergelten soll, ist viel zu starr und dient damit weder den Interessen der Anteilseigner noch den Interessen der Arbeitnehmer. Sie kann in Einzelfällen auch zu ungewöhnlich langen Fristen führen. In diesem Zusammenhang ist es mir unverständlich, Herr Kollege Dr. Blüm, daß Sie es für optimal halten, den Eintritt in die neue Mitbestimmungsregelung möglicherweise mit einem Wartezeitraum von fünf Jahren zu belasten.
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16018 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Hölscher— Dies ist nicht extrem, sondern das wird es in vielen Fällen geben, wenn wir Ihrem Antrag zustimmen. Es betrifft ja nicht nur die Einführung der erweiterten Mitbestimmung, wenn die Beschäftigtenzahl auf über 2 000 steigt, sondern es betrifft auch das Herausfallen aus dieser Mitbestimmungsregelung, wenn die Grenze unterschritten wird.Neue Argumente seitens der Opposition sind uns nicht vorgetragen worden. Wir bleiben bei der Ausschußfassung und werden den Antrag der Opposition ablehnen.
Meine Damen und Herren, wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nunmehr zu den Abstimmungen, zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/4887, und zwar zunächst über Ziffer 1, § 1 Abs. 1 zu ergänzen. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich komme nunmehr zur Abstimmung über die Ausschußfassung, und zwar, wie gewünscht wurde, absatzweise. Absatz 1: Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Absatz 2: Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Also einstimmig angenommen.
Absatz 3: Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Absatz 4: Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung, sonst einstimmig angenommen.
Ich rufe die §§ 2 bis 6 auf. — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Damit einstimmig angenommen.
Ich komme zu § 7 und zum Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Drucksache 7/4887 Ziffer 2. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Ich bitte, damit einverstanden zu sein, daß ich gleichzeitig den Änderungsantrag auf Drucksache 7/4887 Ziffer 6 mit begründe, . . .
Selbstverständlich.
... weil es sich um das gleiche Problem, gewissermaßen um ergänzendeVorschriften über die Wahlvorschlagsberechtigung, handelt.Nach unserem Änderungsantrag unter Ziffer 2 auf der Drucksache 7/4887 sollen die Absätze 2 bis 4 des § 7 durch drei neue Absätze ersetzt werden. Sie unterscheiden sich dadurch, daß statt der in Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 der Ausschußvorlage zwingend vorgeschriebenen zwei bzw. drei Vertreter von Gewerkschaften als Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer bis zu zwei bzw. drei Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer Vertreter von Gewerkschaften oder sonstige Personen sein können. Entsprechend muß in § 15 Abs. 1 der Hinweis „§ 7 Abs. 2" durch „§ 7 Abs. 2 bis 4" und in § 16 Abs. 1 „§ 7 Abs. 2" durch „§ 7 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 oder Abs. 4 Satz 2" ersetzt werden.Nach unserem Änderungsantrag unter Ziffer 6 der Drucksache 7/4887 soll § 16 Abs. 2 so formuliert werden, daß anstelle der zwingend vorgeschriebenen Wahlvorschläge der Gewerkschaften für die Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat von Gewerkschaften, vom Betriebsrat oder Gesamtbetriebsrat oder von 50 wahlberechtigten Arbeitnehmern Wahlvorschläge für diese zwei bzw. drei externen Vertreter gemacht werden können.Namens der CDU/CSU-Fraktion begründe ich unsere Änderungsanträge wie folgt: Nach der Empfehlung der Ausschußmehrheit müssen — ich darf das nochmals wiederholen — unter den Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer zwei bzw. drei Vertreter von Gewerkschaften sein. Ihre Wahl soll nach § 16 ausschließlich auf Grund von Wahlvorschlägen der Gewerkschaften erfolgen. Die CDU/CSU-Fraktion betont, wie aus dem vorliegenden Ausschußbericht schon zu entnehmen ist — ich möchte das ausdrücklich noch einmal hervorheben —, Herr Urbaniak, grundsätzlich die ordnungspolitische Bedeutung der Gewerkschaften. Es besteht auch außer Zweifel, daß wir in Staat und Gesellschaft ohne den Beitrag der Gewerkschaften nicht das wären, was wir heute sind. Das möchte ich ausdrücklich sagen. Das allein berechtigt schon ihre Beteiligung als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat.Daran hat auch in der Vergangenheit niemand gezweifelt, so daß man es, auch ohne daß das in § 76 des Betriebsverfassungsgesetzes von 1952 vorgeschrieben war, für selbstvertändlich gehalten hat, daß Betriebsräte bzw. Gesamtbetriebsräte in mehreren Unternehmen auch Gewerkschaftsvertreter vorgeschlagen haben und diese von den Belegschaftsmitgliedern in Urwahl gewählt worden sind. Das beste Beispiel ist ja VW. Sicherlich wird das Schule machen, wenn im Gesetz ausdrücklich erwähnt ist, daß die Gewerkschaften ein Vorschlagsrecht haben. Wenn sich die Regierungs- und Koalitionsvertreter in den Ausschußberatungen bei anderer Gelegenheit wie z. B. bei der Verwendung des Begriffes „in der Regel" in § 1 oder auch beim Unterschriftenquorum auf die guten Erfahrungen mit dieser Regelung im Betriebsverfassungsgesetz von 1952 berufen haben, so ist eigentlich nicht einzusehen, warum das in diesem Falle nicht auch so sein soll bzw. so praktiziert wird.
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Müller
Es ist sogar das historische Verdienst der Gewerkschaften, wenn sich die Arbeitnehmer heute nicht mehr nur als Objekt und fremdbestimmte Produktionsfaktoren im Produktionsablauf von Unternehmen betrachten, sondern sich selbstbewußt als mündige Mitarbeiter und Partner empfinden.Die Gewerkschaften haben sicher seit ihren Anfängen für Recht und Freiheit der arbeitenden Menschen gekämpft. Hier liegt ihr eminentes Verdienst.
— Herr Kollege Wehner, ich spreche nicht von Ermächtigungsgesetz, sondern von meinen Erfahrungen als Gewerkschaftsmitglied seit meinem 16. Lebensjahr. Das nehmen Sie bitte zur Kenntnis.
Die Arbeitnehmer tun also gut daran, sich auch weiter ihre Unterstützung zu sichern. Aber die Mitbestimmung im Namen der Freiheit — dafür haben ja die Gewerkschaften gekämpft — und der Würde des mündigen Arbeitnehmers findet ihren unverfälschten Ausdruck erst in der Selbstbestimmung. Die Selbstbestimmung und der Wille zur Mitverantwortung begründen das Mitbestimmungsrecht.Der vom Unternehmen unabhängige Gewerkschafts- oder sonstige Vertreter mit dem größeren Sachverstand, mit den umfangreicheren Kenntnissen soll den Arbeitnehmer in seiner Aufgabe als Aufsichtsratsmitglied unterstützen, und zwar zum Wohl des Unternehmens und der in ihm beschäftigten Arbeitnehmer, Herr Kollege Wehner. Den Gewerkschaftsvertretern sollte aber keine Sonderstellung, gewissermaßen kein zwingendes Repräsentationsprivileg eingeräumt werden. Sie sollen ständig um das Vertrauen der Belegschaften bemüht bleiben. Andererseits brauchen die Arbeitnehmer nach wie vor in ihrem sozial- und arbeitsrechtlichen Bereich selbstverständlich die Unterstützung der Gewerkschaften.Herr Kollege Urbaniak, wir unterscheiden uns in der Auffassung oder im Gewerkschaftsverständnis dadurch, daß die Gewerkschaften ebenso wie die politischen Parteien kein Selbstzweck sind. Gewerkschaften im ursprünglichen Sinn sind und bleiben ein organisatorischer Zusammenschluß, um denen, die sich ihnen anschließen, also ihren Mitgliedern, Hilfestellung und Rechtsschutz zu gewähren. Wir wollen aber nicht, daß die Gewerkschaften gewollt oder ungewollt vom Organ zum Schutz der Arbeitnehmer im Laufe der Zeit zum Organ zur Kontrolle über Arbeitnehmer, vielleicht sogar im Dienste einer Zentralplanwirtschaft, werden.Die von ihrem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch machenden Arbeitnehmer sollen selber darüber befinden können, ob sie neben Unternehmensangehörigen auch Vertreter der Gewerkschaften, die natürlich auch ein eigenes Vorschlagsrecht haben müssen — das habe ich anfangs erwähnt —, als ihre Interessenvertreter in den Aufsichtsrat wählen. Sie wären für meine Begriffe gut beraten, wenn sie es tun. Eine nicht zwingende, sondern beantragte unddurch Wahl bestätigte Beteiligung der Gewerkschaften stärkt nach unserer Meinung auch die demokratische Legitimation der Gewerkschaftsvertreter und stärkt auch das gegenseitige Vertrauensverhältnis, das zwingend notwendig ist. Dies ist auf die Dauer nur gesichert, wenn eine von Vertrauen getragene Kooperation von Gewerkschaften und Arbeitnehmern im Unternehmen besteht.Ob der Begriff der Selbstbestimmung — um mit den Worten der Koalitionsmehrheit im Ausschuß zu sprechen — in diesem Zusammenhang untauglich ist, überlassen wir gern der Beurteilung der in den mitbestimmten Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer.Meine Damen und Herren, der Einwand, daß der Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Arbeitnehmer nicht schlüssig sei, weil dann eine Limitierung der Zahl der Gewerkschaftsvertreter nicht zulässig sein dürfte, ist ebenso unschlüssig. Denn es steht dem doch nichts im Wege, wenn Gewerkschaftsvertreter, die im Unternehmen tätig sind, also nicht externe Gewerkschaftsvertreter, ebenfalls in den Aufsichtsrat gewählt werden. Die Limitierung bezieht sich doch nur auf externe Gewerkschaftsvertreter. Wie in der Vergangenheit wird es in der Regel so sein, daß sich Gewerkschaftsmitglieder engagieren und dann nicht nur in den Betriebsrat oder gar den Gesamtbetriebsrat gewählt werden, sondern, nachdem sie sich das Vertrauen der Belegschaft einmal erworben haben, wenigstens zum Teil auch als Vertreter der im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat gewählt werden.Meine Damen und Herren, bleiben wir also bei der fast 25jährigen Praxis; sie hat sich bewährt. Stimmen Sie also bitte unseren Änderungsanträgen zu. Sie erweisen damit der Sache ebenso wie dem Selbstbestimmungsrecht der Arbeitnehmer und ihrer Mündigkeit sowie dem Ansehen der Gewerkschaften den besten Dienst.
Das Wort hat der Abgeordnete Urbaniak.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der unbefangene Zuhörer könnte meinen, der Kollege Müller habe hier eine flammende Rede für die Position der Gewerkschaften gehalten. Es ist aber genau das Gegenteil der Fall, denn die Position der Gewerkschaftsorganisation soll mit diesen Anträgen der Opposition erheblich verschlechtert werden, obwohl wir bei der Montan-Mitbestimmung hervorragende Erfahrungen bei der Zusammenarbeit mit den Belegschaften und den Gewerkschaften sowie mit deren Möglichkeiten in den Aufsichtsräten feststellen können.Mit ihrem Antrag zu § 7 Abs. 2 bis 4 will die Opposition die. zwingende Beteiligung der Gewerkschaften an der Aufsichtsratsarbeit verhindern. Dieser Antrag ist, wie ich meine, durch die gewerkschaftsfeindliche Grundhaltung der Opposition begründet. Immer wieder haben sich zahlreiche
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16020 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
UrbaniakUnionsvertreter und Arbeitgeberrepräsentanten für die Gängelung der Gewerkschaften ausgesprochen. Mein Kollege Sund hat darauf schon im einzelnen hingewiesen.Im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung haben dieselben Anträge der Opposition schon zur Debatte gestanden, und es wurde sehr umfassend darüber diskutiert. Deshalb ist im Ausschußbericht zu den einzelnen Punkten bereits mit der notwendigen Klarstellung gesagt und festgelegt, was die Opposition mit ihren Anträgen eigentlich erreichen will. Man kann in der Tat die Gewerkschaften nicht dauernd auffordern, unternehmenspolitische Entscheidungen mit nachteiligen sozialen Auswirkungen mitzutragen, ohne sie bei der vorausgegangenen Willensbildung angemessen zu beteiligen. Eine reine Feuerwehrfunktion entspricht nicht unserem Verständnis von den Aufgaben der Gewerkschaften in unserer Gesellschaftsordnung.Für uns ist die Mitarbeit gewählter Vertreter der Gewerkschaften in den Aufsichtsräten großer Unternehmen unverzichtbar. Wir sind der Meinung, daß das über den Betrieb hinausgehende Arbeitnehmerinteresse in dieser Art Berücksichtigung finden muß. Alle Erfahrungen nach der Montan-Mitbestimmung sagen uns: Das ist der richtige Weg. Diesen Weg wollen wir so weiter beschreiten. Kollege Müller, wir lehnen daher den Änderungsantrag zu § 7 ab.Mit dem Änderungsantrag zu § 16 will die Opposition den Gewerkschaften das alleinige Vorschlagsrecht für die außerbetrieblichen Arbeitnehmervertreter nehmen. Deshalb passen diese Anträge nahtlos in die Reihe der vorgenannten hinein. Auch hier wird so getan, als gebe es zwischen den Arbeitnehmern und ihren Gewerkschaften einen Gegensatz, als unterbreiteten die Gewerkschaften an den Arbeitnehmern vorbei Vorschläge. Dabei kann man unschwer sagen, daß die Gewerkschaften — das ist ihre demokratische Ordnung, und das entspricht der Art des Diskutierens, des Vorbereitens und der Zusammenarbeit — ihre Vorstellungen mit den Betriebsräten selbstverständlich diskutieren. Die Opposition will in diesem Punkt einen Entsolidarisierungsprozeß starten. Die Gewerkschaftsfeindlichkeit ist also auch hier die Basis.Wir lehnen daher auch den Antrag, den Kollege Müller zu § 16 gestellt hat, aus diesen schwerwiegenden Gründen ab.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hölscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Regierungsentwurf steht allein den in den Unternehmen vertretenen Gewerkschaften das Recht zu, Wahlvorschläge für die Wahl der externen Arbeitnehmervertreter zu machen. Wenn es die Opposition durch die Einfügung einer Kann-Vorschrift den Arbeitnehmern völlig freistellt, zu entscheiden, ob überhaupt externe Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat einziehen sollen, so verkennt sie in der Tat völlig die überbetriebliche ordnungspolitische Aufgabe der deutschen Gewerkschaften. Sicher wäre es höchst zweifelhaft, zum Beispiel Vertretern des sogenannten Allgemeinwohls Sitz und Stimme im Aufsichtsrat zu geben. Hiergegen hat die FDP in ihrem Freiburger Mitbestimmungsprogramm auch eindeutig Stellung bezogen. Dennoch ist es nicht nur im Interesse der Arbeitnehmer der Unternehmen, sondern auch im Interesse der Gesamtwirtschaft, wenn die übergeordneten Anliegen der Beschäftigten in die Arbeit des Aufsichtsrats eingebracht werden können. Wir wissen doch aus Erfahrung, daß eine allein auf Betriebsebene angesiedelte Mitbestimmung hier und da zu einer Form des Betriebsegoismus führen kann, der dann möglicherweise auch negative Auswirkungen, zum Beispiel auf eine regionale oder sektorale Wirtschaftsstruktur, mit sich bringt und damit letzten Endes auch die Arbeitsplätze anderer Arbeitnehmer gefährdet. Daher kann auf die Mitwirkung überbetrieblicher Arbeitnehmervertreter der Gewerkschaften schon aus gesamtwirtschaftlichen Gründen nicht verzichtet werden.Lassen Sie mich im übrigen auch diese persönliche Anmerkung machen: Wer weiß denn, ob sich nicht gerade mit der Verwirklichung dieses Gesetzes eine ganz neue Form der Zusammenarbeit auf der Arbeitnehmerseite entwickelt? Es ist doch überhaupt nicht auszuschließen, daß zum Beispiel der Sachverstand und die Qualifikation der leitenden Angestellten und der externen Gewerkschaftsvertreter zum Wohle des einzelnen Unternehmens und der Gesamtwirtschaft zusammenfinden. Es ist auch nicht auszuschließen, daß damit die für mich oft unverständliche Konfrontation zwischen diesen Gruppen abgebaut wird.Ich persönlich habe mir im übrigen nie die Frage gestellt, ob externe Vertreter zugelassen werden sollen. Für mich und für meine Partei war entscheidend, daß diese vom Vertrauen der Belegschaft getragen werden müssen. Die FDP hätte niemals ihre Zustimmung zu einem Entsendungsrecht der Gewerkschaften gegeben, wie es zum Beispiel im Montan-Mitbestimmungsgesetz verankert ist. Wir hätten niemals unsere Zustimmung gegeben, einmal nicht, weil dies dem Prinzip der Selbstbestimmung der Arbeitnehmer widersprochen hätte, zum anderen aber auch nicht, weil es nicht im Interesse unserer Gewerkschaften selbst sein kann, ohne Kontrolle und Legitimation durch diejenigen, für die sie sprechen, Einfluß auszuüben. Denn die Arbeitnehmer haben es nach diesem Gesetz nun selbst in der Hand, zu bestimmen, welcher Vertreter aus welcher Gewerkschaft im Aufsichtsrat sitzt. Damit ist die notwendige Rückkoppelung, damit ist die notwendige Vertrauensbasis zwischen Belegschaft und Gewerkschaftern sichergestellt.Meine Damen und Herren, wenn die Opposition mit ihrem Antrag die Selbstbestimmung der Arbeitnehmer verbessern zu können glaubt, muß sie sich fragen lassen, ob sie denn bewußt einen Keil zwischen Gewerkschaften und Arbeitnehmer treiben will. Wir wünschen uns Gewerkschaften, die sich laufend in ihren Funktionen und Entscheidungen vor den Arbeitnehmern verantworten, wir wünschen uns
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HölscherGewerkschaften, die, demokratisch legitimiert, auch in Zukunft ihre ordnungspolitische Verantwortung erfüllen können.
So gesehen, meine Damen und Herren, wünschen wir uns starke Gewerkschaften, lehnen den Versuch ab, die Arbeitnehmerschaft in Interessengrüppchen à la Fluglotsen aufzusplittern — wenn wir ihrem Änderungsantrag zustimmen würden, wäre das die Folge —, und können daher dem Änderungsantrag der Opposition auch nicht zustimmen.
Meine Damen und Herren, wird des weiteren das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen dann zur Abstimmung über Ziffer 2 des Änderungsantrages der Fraktion der CDU/CSU — Drucksache 7/4887 — betreffend Neufassung von § 7 Abs. 2 bis 4. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? — Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen nun über § 7 in der Ausschußfassung ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 8 auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Damit ist § 8 einstimmig angenommen.
Ich rufe § 9 auf. Hierzu liegt in Drucksache 7/4887 unter Ziffer 3 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zink.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Bundestagsfraktion der CDU/CSU begründe ich den Änderungsantrag zu § 9 in Drucksache 7/4887 wie folgt.Die Bundesregierung hatte in ihrem ursprünglichen Entwurf aus dem Jahr 1974 die Urwahl der Arbeitnehmervertreter für den Aufsichtsrat beseitigt. Dies wurde von unseren Sprechern in der ersten Lesung des Regierungsentwurfs als eine Entmündigung der Arbeitnehmerschaft deutlich angeprangert. Im jetzt vorliegenden Koalitionsentwurf hat man unsere Vorstellungen teilweise berücksichtigt, dabei aber zweierlei Recht geschaffen. Das Grundprinzip der Urwahl wird nun für Unternehmen mit bis zu 8 000 Beschäftigten wieder eingeführt. Dies wird von uns ausdrücklich anerkannt und unterstützt. Für Unternehmen mit mehr als 8 000 Beschäftigten soll aber als Grundregel gelten, daß die Wahl der Arbeitnehmervertreter für den Aufsichtsrat in der Form einer Wahl durch Wahlmänner erfolgt. Dieses Verfahren lehnt die Bundestagsfraktion der CDU/CSU in der vorliegenden Form ab.Wir sehen darin gegenüber dem bisher gültigen Recht einen erheblichen Rückschritt. Das alte Betriebsverfassungsgesetz von 1952, das bis jetzt Gültigkeit für all die Unternehmen hat, die in Zukunft unter das neue Gesetz fallen, kennt nur das Prinzip der Urwahl: Der Arbeitnehmer wählt direkt den Kandidaten seines Vertrauens; das gewählte Aufsichtsratsmitglied ist damit auch direkt der Belegschaft und nicht einem dazwischengeschalteten Wahlmännergremium verantwortlich.Meine Damen und Herren, während der Ausschußberatungen wurden wahlorganisatorische Gründe — und zwar mit dem Blick auf Unternehmen mit vielen einzelnen Betrieben, etwa Großbanken oder Großkaufhäuser — gegen die von uns in Aussicht genommene Regelung angeführt. In unserem Änderungsantrag wird diesen Bedenken durch eine entsprechende Ausnahmeregelung Rechnung getragen.Zum Koalitionsvorschlag muß unsererseits gesagt werden, daß die Wahl der Wahlmänner, die ja in allen Betrieben gewählt werden müssen, den gleichen organisatorischen Aufwand erfordert wie die Direktwahl der Aufsichtsratsmitglieder durch die Arbeitnehmer im Betrieb. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie werden sagen: Wir bieten unsererseits eine Ausnahmeregelung an, die die Urwahl ermöglicht. Die Urwahl ist danach aber nur auf dem Wege über eine Vorauswahl möglich, bei der die Unterschriften von einem Zwanzigstel der Beschäftigten benötigt werden. Das bedeutet, daß in großen Unternehmen einige tausend Unterschriften benötigt werden. Die Höhe dieser Schwelle zementiert damit vielfach die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder durch Wahlmänner.Zusammenfassend möchte ich namens unserer Fraktion die folgenden Argumente vortragen.Erstens. Die vorgebrachten organisatorischen Gründe für die Wahl durch ein Wahlmännergremium sind nicht stichhaltig. Die gleiche Organisation ist auch bei der Wahl der Wahlmänner erforderlich.Zweitens. Wir sind gegen zweierlei Recht für Unternehmen mit bis zu 8 000 Beschäftigten einerseits und für Unternehmen mit über 8 000 Beschäftigten andererseits.Drittens. Die Beseitigung der Urwahl, wie im Koalitionsentwurf vorgesehen, ist ein Rückschritt gegenüber dem heute geltenden Recht nach dem alten Betriebsverfassungsgesetz.Viertens. Die Direktwahl durch die Arbeitnehmer erbringt auch die Direktverantwortlichkeit der gewählten Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Belegschaft. Was wir, meine Damen und Herren, für die Bundestagswahlen für selbstverständlich halten, ist unserer Auffassung nach auch in den Unternehmen möglich. Was wir für uns in Anspruch nehmen, sollten wir auch den Arbeitnehmern im Betrieb zubilligen.
Vor diesem Hintergrund — und damit unter Respektierung der Mündigkeit der davon betrof-
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Zinkfenen Arbeitnehmer in Unternehmen mit mehr als 8 000 Beschäftigten — stellen wir unseren Antrag. Ich darf namens der CDU/CSU das Hohe Haus bitten, diesem Änderungsantrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Rappe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In § 9 ist ein Regelfall für Unternehmen mit bis zu 8 000 Beschäftigten und ein Regelfall für Unternehmen mit über 8 000 Beschäftigten vorgesehen, wobei jeweils die Belegschaft die Möglichkeit haben soll, durch Abstimmung eine andere Form der Wahl zu beschließen.
Ich glaube, daß die Feststellung der Opposition, dies sei Entmündigung der Arbeitnehmer, völlig fehl am Platze ist; denn eine bessere Regelung kann es meiner Meinung nach für die besonderen Probleme in den mittleren und ganz großen Unternehmen gar nicht geben.
Es geht doch um nichts weiter, als eine praktikable Regelung festzulegen, die in großen Unternehmen mehr Transparenz auch für den Kandidaten schafft, der möglicherweise in Norddeutschland sitzt und der in einem Teilbetrieb in Süddeutschland zur Wahl steht.
Dies ist demokratischer. Es schaltet die Meinungsbildung der einzelnen überhaupt nicht aus, da durch die Wahlmännerwahl die Meinung des einzelnen zum Zuge kommt.
Herr Abgeordneter Rappe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Blüm?
Bitte schön.
Herr Kollege Rappe, halten Sie das Wahlrecht nach dem Betriebsverfassungsgesetz, das Sie mitbeschlossen haben, für weniger demokratisch und weniger praktikabel?
Herr Kollege Blüm, Sie sollten wissen, daß Betriebsräte in einem Betrieb gewählt werden
— und auch die Aufsichtsräte —, daß es hier nach dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz schon Möglichkeiten der Wahl durch Wahlmänner gibt und dieses System sich bewährt hat.
Gestatten Sie eine Zusatzfrage?
Ja.
Herr Kollege Rappe, ist es Ihnen entgangen, daß es sich hier auch um Aufsichtsratswahlen in Großunternehmen handelt?
Es gibt dafür durchaus eine Reihe schlechter Beispiele, die ich nennen könnte. Genau das ist der Punkt.
— Können Sie ertragen, daß jemand ausredet?
— Dann müssen Sie sich zu Wort melden oder eine Frage stellen.
Wenn man mit Ihnen noch halbwegs sachlich reden kann,
dann lassen Sie mich folgendes zu dieser Feststellung des Kollegen Blüm sagen. Bei einem großen Konzern mit einem großen Teilbetrieb und weiteren weniger großen Teilbetrieben steht nach aller Erfahrung fest, daß die Aufsichtsratskandidaten aus dem Großbetrieb mit Mehrheit gewählt werden, weil sich das natürlicherweise durch die Zusammensetzung der Belegschaft ergibt, und daß qualifizierte Kandidaten aus Teilbetrieben überhaupt keine Chance haben. Diese Möglichkeiten verbessern sich über das ganze Netz eines Konzerns hinweg, wenn man Aufsichtsratswahlen auf der Basis des Wahlmännerprinzips durchführt.
Herr Abgeordneter Rappe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller ?
Bitte sehr.
Herr Kollege Rappe, können Sie mir einige Beispiele nennen, wo bei Großunternehmen — wie Siemens oder AEG —, deren Betriebe über das ganze Land verteilt sind, durch die Direktwahl größere Schwierigkeiten aufgetreten sind?
Ja. Im Konzern BASF entstammen die Aufsichtsratsmitglieder nur dem Betrieb Ludwigshafen, nicht anderen Teilbetrieben. Genauso ist es mit den Aufsichtsratsmitgliedern der Farbwerke Hoechst und von Bayer/Leverkusen. Das ist der Erfahrungsbereich, den ich Ihnen anbieten kann.
Durch die Zusammensetzung auf der Basis von Wahlmännern entsteht eine bessere Transparenz durch die Möglichkeit, daß sich qualifizierte Kandidaten in der Wahlmännerversammlung vorstellen können.
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Rappe
— Ich möchte jetzt meine Ausführungen zu Ende bringen und keine weitere Zwischenfrage mehr zulassen; Sie haben ja mit Ihren Fragen nichts Neues anzubieten.
— Das kann ich voraussehen. Aus dem bisherigen Fragespiel kam ja nichts Neues heraus.
Ich will hier noch einmal sagen: Nach unserer Auffassung ist die Regelung des § 9 dieses Gesetzes erstens praktikabel, zweitens baut sie auf Erfahrungswerten auf, und drittens schafft sie die Möglichkeit, daß die Belegschaftsmitglieder sich entscheiden können, ob sie wirklich ein anderes Prinzip wollen. Es besteht die Chance, den Belegschaftsmitgliedern deutlich zu machen, welcher Wert in dem Wahlmännerverfahren liegt.Es gibt keinen Zweifel, daß das Wahlmännerverfahren ein demokratisches und kein undemokratisches Wahlverfahren ist. Ich glaube, das wird niemand ernstlich bestreiten. Es gibt auch keine allzu großen organisatorischen Hindernisse. Es gibt ausgesprochen demokratische Gründe dafür, ein solches Wahlmännersystem für Unternehmen mit mehr als 8 000 Beschäftigten im Gesetz anzubieten.
Aus diesen Gründen, die Sie ja in dem Schriftlichen Bericht auch sehr deutlich nachlesen können, lehnt unsere Fraktion Ihren Antrag ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Hölscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemand wird bezweifeln können, daß gerade die FDP bei den Wahlverfahren das Optimale erreicht hat. Für uns hieß ja Mitbestimmung immer schon in erster Linie Selbstbestimmung des einzelnen Arbeitnehmers, der selber entscheiden soll, wer seine Interessen vertritt. Was im politischen Raum längst selbstverständlich ist: die unmittelbare Mitwirkung des einzelnen Bürgers über freie und geheime Wahlen, muß für den wirtschaftlichen Mitbestimmungsbereich gleichermaßen gelten. Wir schreiben deshalb gern auf unsere Fahnen, auf die Fahnen der Liberalen, daß wir uns mit Erfolg nicht nur für die unmittelbare Mitwirkung der Arbeitnehmer, sondern auch für die Einführung des Verhältniswahlprinzips eingesetzt haben.
Ich persönlich bin der Meinung, daß diese nicht nur demokratischen, sondern auch praktikablen Wahlverfahren — auch hierauf kommt es ja an — beispielhaft für den gesamten Mitbestimmungsbereich werden könnten. Wir sollten jedenfalls die Tür nicht zuschlagen, sondern die hoffentlich positiven Erfahrungen mit diesem Gesetz zu einem späteren Zeitpunkt auch im Hinblick auf andere Gesetze —
wir sprachen heute schon über die Montan-Mitbestimmung — verwerten. Auch so muß man eine weitere Entwicklung der Mitbestimmung verstehen.
Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Einführung der Urwahl als Regelfall in allen Unternehmen, unabhängig von der Zahl der Beschäftigten, ist überflüssig. Nach dem Entwurf der Koalitionsfraktionen findet in Unternehmen mit bis zu 8 000 Beschäftigten Urwahl statt und in größeren Unternehmen die Wahl über Wahlmänner. Die Arbeitnehmer können sich allerdings unabhängig von der Größe ihres Betriebes sowohl für die eine als auch für die andere Lösung entscheiden.
Urwahl als Prinzip ist selbstverständlich anzuerkennen.
Herr Abgeordneter Hölscher, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten van Delden?
Herr Kollege, nachdem ich vorhin beim Kollegen Rappe trotz meiner Bitte, eine Frage stellen zu dürfen, diese nicht losgeworden bin, darf ich Sie fragen, ob es nicht gerade nach Ihrem Plädoyer sinnvoller wäre, in § 9 die Urwahl als Regelfall vorzusehen und nur auf Antrag ein Wahlmännerverfahren, also genau die umgekehrte Regelung?
Herr Kollege, dazu wollte ich gerade etwas sagen; Sie hätten sich die Mühe sparen können. Natürlich könnte man dies tun. Die Frage ist nur: ist das praktikabel?
Ich halte die gespaltene Lösung einfach für die bessere.
— Herr Kollege Dr. Blüm, haben Sie zwei Minuten Geduld; ich glaube, dann erübrigt sich eine Zwischenfrage. Wir wollen ja heute auch irgendwie fertig werden.Ich denke, wenn man die Urwahl durchgängig als Regelmechanismus einführt, erreicht man unter Umständen das Gegenteil von dem, was man eigentlich erreichen will. Wir alle — ich glaube, das kann man von allen Fraktionen sagen — wollen mehr Transparenz, mehr Kontrolle, mehr echte Mitwirkungsmöglichkeit.
Die Urwahl kann aber zur Farce werden,
wenn sich einerseits in einem größeren Konzern die Arbeitnehmer eines kleinen Tochterunternehmens überhaupt kein Bild machen können, z. B. über den Kandidaten aus dem Hauptunternehmen, andererseits aber keinerlei Chance haben, einen eigenen
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HölscherKandidaten direkt durchzusetzen. Herr Kollege Rappe sprach dies bereits an.Hier bietet dann das Wahlmännerverfahren doch die bessere Lösung. Denn den Wahlmann von 60 Arbeitnehmern kann ich sehr wohl kontrollieren, zu dem kann ich sehr wohl Kontakt halten, von ihm kann ich mir auch ein Bild machen. Gerade wir Liberalen — lassen Sie mich das hier in aller Deutlichkeit feststellen —, denen die Urwahl so sehr am Herzen liegt
und die auch davon ausgehen, daß in Betrieben mit mehr als 8 000 Beschäftigten die Urwahl durch eine Vorentscheidung durchgeführt wird, wenn die Arbeitnehmer das Bedürfnis nach Urwahlen haben, halten die gefundene Regelung für die demokratischere, weil praktikablere. Wir werden deshalb den Antrag der Opposition ablehnen.
Meine Damen und Herren, wird des weiteren das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann lasse ich über Ziffer 3 des schon mehrfach aufgerufenen Änderungsantrags der Fraktion der CDU/CSU abstimmen, wonach § 9 eine neue Fassung erhalten soll. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Ohne Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
Ich lasse nunmehr über § 9 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe die §§ 10 und 11 auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit Mehrheit bei Enthaltungen und Gegenstimmen beschlossen.
Ich komme nunmehr zu § 12. Hierzu gibt es unter Ziffer 4 des schon mehrfach aufgerufenen Änderungsantrags der Fraktion der CDU/CSU ein Änderungsbegehren. Zur Begründung hat das Wort der Abgeordnete Benno Erhard.
Herr Präsisident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Entwurf geht nicht nur dem Scheine nach, sondern dem Wortlaut nach davon aus, daß die Wahlen zum Aufsichtsrat auf der Grundlage von Wahlvorschlägen — sei es für Wahlmänner, sei es direkt — erfolgen müssen. Wahlberechtigt sind alle Arbeitnehmer des Unternehmens ab 18 Jahren, und alle sind als Wähler gleich. Das heißt: Wir haben insoweit, auf dasUnternehmen beschränkt, ein allgemeines und ein gleiches Wahlrecht. Die Wahlen sollen auch, wie es § 10 vorschreibt — für die direkte Wahl § 16 b —, geheim stattfinden. Sowohl die Wahlen für die Wahlmänner wie auch die Direktwahlen sollen in der Regel nach dem Verhältniswahlsystem durchgeführt werden. Insoweit bestehen also grundsätzlich die gleichen Vorstellungen wie hinsichtlich politischer Wahlen zu den Gemeindevertretungen, den Landtagen oder auch zum Bundestag.Der Entwurf, der uns hier vorliegt, verlangt nun, daß überhaupt nur diejenige Gruppe an der Wahl teilnehmen darf, die ein Zehntel der Wahlberechtigten oder mindestens hundert dazu gewinnt, einen Wahlvorschlag zu unterschreiben. Wir kennen Vorschriften ähnlicher Art auch für die Kommunalwahlen, für die Landtagswahlen, für die Bundestagswahlen. Wir hier wissen alle, daß es solche Beschränkungen in der Zulassung von Wahlvorschlägen mit gutem Recht gibt. Die Frage ist nur: Wo ist die Grenze für diese Beschränkung?Das Bundesverfassungsgericht hat sich mehrfach mit diesen Beschränkungen und der Höhe der Grenzen beschäftigt, die gesetzt werden dürfen, und zwar unter zwei äußerst wichtigen Gesichtspunkten, nämlich erstens unter dem Gesichtspunkt, wann eine Wahl nicht mehr gleich ist, wann also der Gleichheitssatz verletzt wird, und zweitens unter dem Gesichtspunkt, wann die Wahl nicht mehr geheim ist, wenn solche Hindernisse für Wahlvorschläge aufgestellt werden. Das Bundestagswahlrecht wurde, wie den älteren Kollegen sicherlich noch in Erinnerung sein wird, vom Bundesverfassungsgericht beanstandet, weil für einen Wahlkreis mit 230 000 Einwohnern oder rund 170 000 Wählern ein Unterschriftenquorum für einen Vorschlag von 500 gefordert worden war. Das wurde für unzulässig erklärt, weil es einen Verstoß gegen die Gleichheit der Wahl bedeutet hatte. Für eine Landtagswahl hat das Bundesverfassungsgericht für einen Wahlkreis von 67 000 Wählern ein Unterschriftenquorum für einen Wahlvorschlag als gerade noch mit der Verfassung vereinbar, das Gleichheitsprinzip nicht verletzend bezeichnet, wenn die Zahl 150 betrug. 150 Unterschriften bedeuten in dieser Entscheidung konkret 0,25 % der Wahlberechtigten oder ein Zwanzigstel der für die Überschreitung der Hürde von 5 % notwendigen Stimmen. Das wurde als Obergrenze bezeichnet.Wir haben für die Wahlmänner grundsätzlich die Verhältniswahl. Wenn ich die geringste Zahl der Wahlmänner mit einer Stimme für eine Gruppe einmal umrechne, d. h. 30 Wahlmänner für eine Gruppe mit je einer Stimme nehme, ergeben sich höchstens9 000 Wähler. Bei 9 000 Wählern ist zur Wahl eines Wahlmannes eine Stimmabgabe bei der Wahl höchstens von 300 oder 301 erforderlich, und zwar wenn alle zur Wahl gehen. 300 Stimmen sind aber, wenn10 % Unterschriften oder mindestens 100 gefordert werden — gehen wir von der Mindestzahl 100 aus —, 33 % derer, die erforderlich sind, um einen Sitz im Aufsichtsrat bei der Wahl zu gewinnen, die sich offenbaren müssen, wenn sie diesen Vorschlag unterstützen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976 16025
Erhard
Ich darf auch die Zahlen für die direkten Wahlen, also bei einer Belegschaft bis höchstens 8 000, hier einmal kurz darstellen. Gehen Sie bitte von 2 000 Wahlberechtigten aus, die 6 Aufsichtsratsposten zu besetzen in der Lage wären. Hier würden in der Direktwahl bei hundertprozentiger Wahlbeteiligung 330 Stimmen erforderlich sein, um einen Sitz zu erreichen. Hier ist das Quorum von mindestens 100 Unterschriften 30 %. Nehmen Sie 5 000 Wahlberechtigte an, dann verändert sich das Ganze auf 20 %, immer bei hundertprozentiger Wahlbeteiligung.Ein so hohes Quorum verstößt nach den eindeutigen Begründungen und Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gegen den Gleichheitssatz. Es verstößt, was von den Gerichten deutlich und unmißverständlich entschieden worden ist, gleichzeitig gegen den Grundsatz der Geheimhaltung der Wahl. Jeder wird fragen, wieso gegen den Grundsatz der Geheimhaltung der Wahl? Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, der ganze Wahlakt, von der Aufstellung bis zum Feststellen des Wahlergebnisses und der Zuteilung der einzelnen Sitze und Mandate, ist als Einheit anzusehen und muß unter dem Gesichtspunkt der Geheimhaltung betrachtet werden. Das Bundesverfassungsgericht sagt in überzeugender Weise, ein so hohes Quorum von — ich wiederhole das — mehr als 0,25 % aller Wahlberechtigten oder von mehr als 5 % — das ist ein Zwanzigstel— derer, die erforderlich sind, um einen Sitz zu erreichen, darf nicht gefordert werden, weil es die Geheimhaltung verletzt.Die wirkliche Mitwirkung und die Möglichkeit für eine Gruppe, nun tatsächlich im Aufsichtsrat vertreten zu sein, kann nicht bei Gelegenheit des Wahlvorschlags, sondern nur durch die Wahl aller Betriebsangehörigen festgestellt werden. Dort muß die Entscheidung fallen. Daß sie fallen kann, und zwar dem breiten Spektrum der verschiedenen! Meinungen entsprechend, sollte eines der wichtigsten Merkmale der Regelung sein, die der Gesetzgeber den zur Mitbestimmung aufgerufenen Arbeitnehmern an die Hand gibt und zur Verfügung stellt.Wir meinen deshalb, man sollte das Quorum auf ein Zwanzigstel reduzieren und höchsten 50 Unterschriften fordern, damit sowohl die Gleichheit als auch die Geheimhaltung der Wahl gewährleistet ist. Meine Damen und Herren von der SPD, ich appelliere an Sie: Machen Sie von Ihrer Tradition hier keinen falschen Gebrauch, indem Sie Demokratie, Mitbestimmung beim einzelnen und durch den einzelnen, über die Gruppe und mit der Gruppe sagen und sie in Wirklichkeit nicht ermöglichen. Sie sollten mit uns diese Änderung beschließen.
Sie blieben in Ihrer alten Tradition, die Sie ja allem Anschein nach in manchen Punkten über Bord zu werfen bereit sind. Ich meine, wir könnten das gemeinsam machen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schöfberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an das anknüpfen, was Herr Kollege Erhard zum Schluß gesagt hat. Für uns ist die demokratische Entscheidung sicher eine Summe von Individualentscheidungen, aber letzthin auch eine Frage der Bündelung von Interessen und eine Frage der Abwendung einer Gefahr der Zersplitterung von Interessen.
Deswegen wollen wir an diesem Punkt eine sorgfältige Güterabwägung treffen.
Wir gehen wie Sie, Herr Kollege Erhard, von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Wahlrechtsgrundsätzen aus und meinen, daß auf der einen Seite ein Quorum verlangt werden muß, das der Ernsthaftigkeit eines Wahlvorschlages entspricht, und auf der anderen Seite das Quorum nicht so hochgeschraubt werden darf, daß die Chance, an dieser Wahl teilzunehmen, für weite Teile der Betroffenen wegfällt.
Wir sind aber der Auffassung, daß der Regierungsentwurf diesen vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Wahlrechtsgrundsätzen entspricht. Sie, Herr Kollege Erhard, machen nämlich bei Ihrer Argumentation einen entscheidenden Fehler. Das Bundesverfassungsgericht hat erst in seiner jüngsten Entscheidung zur Präsidialratswahl erklärt, man dürfe die für die politische Wahl geltenden Grundsätze nicht unbesehen auf andere Bereiche übertragen. Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht betont, daß der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Quoren einen weiten Gestaltungsspielraum hat. Es kommt darauf an, diesen Gestaltungsspielraum nach politischen Erkenntnissen auszuschöpfen.
Mit Ihrer Behauptung, das, was im Regierungsentwurf stehe, sei verfassungsrechtlich bedenklich oder zweifelhaft, können Sie wohl nicht gut durchdringen. Dann wäre § 14 Abs. 5 des Betriebsverfassungsgesetzes seit Jahrzehnten verfassungswidrig. In dieser Bestimmung ist nämlich haargenau das gleiche Quorum vorgesehen. Dann wäre auch das Mitbestimmungsergänzungsgesetz aus dem Jahre 1956 verfassungswidrig, denn in diesem Gesetz ist das gleiche Quorum, nämlich ein Zehntel der Wahlberechtigten, maximal 100, vorgesehen.
Herr Abgeordneter Dr. Schöfberger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Erhard ?
Bitte.
Herr Kollege Dr. Schöfberger, ich hatte mich etwas früher gemeldet und muß ein bißchen zurückblenden. Wenn Sie sagen, politische Erkenntnisse würden hier den Ausschlag geben, ist das ein Unterschied zu rechtlichen und tatsächlichen Erkenntnissen, und würden Sie mir zweitens sagen, wo ein Verfassungsgericht entscheiden kann, wenn niemand einen Antrag stellt oder eine entsprechende Klage erhebt?
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16026 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Es ist ja auch symptomatisch, daß seit 1956 gegen diese Quoren von niemandem in der Bundesrepublik irgendwelche verfassungsrechtlichen Bedenken erhoben worden sind. Weil Sie mich zum Unterschied zwischen verfassungsrechtlichen und politischen Überlegungen fragen: Es kommt öfter vor, Herr Kollege Erhard, daß politische Ziele und Absichten unter dem Zeichen verfassungsrechtlicher Bedenken vorgetragen werden. Ich möchte zum Schluß auch sehr gerne auf Ihre eigentlichen politischen Ziele und Absichten jenseits verfassungsrechtlicher Überlegungen eingehen. Ich habe den Verdacht, daß Sie das politische Ziel verfolgen, kleinen und kleinsten Splittergruppen in den Unternehmen — denken Sie an sehr uneffektiv auftretende christliche Gewerkschaftsbünde —
eine besondere Chance über ein niedriges Quorum einzuräumen.
— Ist das etwa nicht Ihre politische Absicht? Es würde mich freuen, wenn Sie das hier erklärten. Jedenfalls bin ich der Auffassung, daß Sie diese und nur diese politische Absicht im verfassungsrechtlichen Gewand verstecken und hier vortragen. Wir sind dagegen der Auffassung, daß das vorgesehene Quorum
voll und ganz der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Wahlrechtsgrundsätzen entspricht.
Noch eine kleine zahlenmäßige Überlegung am Schluß. Bei einem Unternehmen mit 2 000 Wahlberechtigten machen 100 Unterschriften nur noch 5 % der Wahlberechtigten aus.
Bei zunehmender Zahl der Wahlberechtigten sinkt die Prozentzahl immer mehr, bei 20 000 Wahlberechtigten machen 100 Unterschriften nur noch 0,5 % aus und bei 100 000 Wahlberechtigten nur noch 0,1 %. Das heißt, wir erfüllen voll die Zahlen, die das Bundesverfassungsgericht für allgemeine Wahlen — wohlgemerkt: für allgemeine Wahlen. — fixiert hat.
Noch ein Argument dafür, daß man die Grundsätze für allgemeine Wahlen nicht ohne weiteres auf solche Wahlen übertragen kann. In Unternehmen ist nämlich die Kommunikation unter den Wahlberechtigten und die Organisation eines eigenen Gruppenvorschlages sehr viel leichter durchzuführen als in allgemeinen Wahlvorgängen zwischen zunächst unbeteiligten Bürgern.
Deswegen kann man in diesen Bereichen das Erfordernis des Quorums höher schrauben, damit man der Zersplitterung bei der Wahl von Vertretern der Arbeitnehmerinteressen vorbeugt.
Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Abstimmung über Ziffer 4 des bekannten Änderungsantrages der Fraktion der CDU/ CSU. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über § 12 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich komme zu den §§ 13 und 14. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich komme zu § 15 und Ziffer 5 des Änderungsantrages der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 7/4887. Das Wort hat der Abgeordnete Pohlmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Lassen Sie mich zu dem in § 15 vorgesehenen Wahlverfahren für die unternehmensangehörigen Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer Stellung nehmen und namens meiner Fraktion unsere Änderungsanträge begründen.Dieses Wahlverfahren — das hat Heinz Franke heute morgen schon sehr deutlich gemacht — ist eines der zentralen Probleme in der Mitbestimmungsdiskussion; denn hierin zeigt sich, welchen Stellenwert die politischen Parteien der so oft beschworenen Mündigkeit des Arbeitnehmers in Wirklichkeit beimessen und wie ernst es ihnen mit der Anerkennung der pluralistischen Struktur unserer Arbeitnehmerschaft ist.
Zugespitzt formuliert verbirgt sich hinter der trockenen Gesetzesprache des § 15 die Frage, ob der Gesetzgeber bereit und willens ist, der Realität einer differenzierten Struktur der Belegschaft und der Entwicklung eines soziologisch unterschiedlichen Rollenverständnisses Rechnung zu tragen, oder ob er einer nebulösen Solidaritätsideologie folgt.Gerade in diesem wichtigen Punkt hat sich die Koalition wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Ich sage das hier nachdrücklich, weil einige aus den Reihen der Koalition heute landauf, landab marschieren und das jetzige Verfahren insbesondere bei den leitenden Angestellten als ein hervorragendes Beispiel ausreichender Koalitionssubstanz zu verkaufen versuchen. Ich habe dafür Verständnis. Nur, meine Damen und Herren, können Sie damit nicht in Vergessenheit bringen, wie der erste Regierungsentwurf zu diesem Punkt aussah, und der ist ja wohl nach meinen Informationen einstimmig — einschließlich der Herren Minister von den Freien Demokraten — angenommen worden.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976 16027
PohlmannIch kann und ich will es Ihnen nicht ersparen, hier festzuhalten,
daß man damals zwar von der formalen Aufgliederung der Arbeitnehmervertreter in drei Gruppen — Arbeiter, Angestellte, leitende Angestellte — ausging, daß man aber durch die Installierung des Wahlmännergremiums in Verbindung mit der generellen Mehrheitswahl praktisch diese Aufteilung wieder aufgehoben hat.
Erst nach langem Hin und Her, meine Damen und Herren von der Koalition, sind Sie zu der besseren Einsicht gekommen, wobei ich hier ausdrücklich anerkennen möchte, daß die Kernprinzipien des jetzigen § 15, nämlich Verhältniswahlrecht und Minderheitenschutz, eine erhebliche qualitative Verbesserung — qualitativ im Sinne von demokratisch — darstellen. Nur: diese bessere Einsicht ist sicherlich nicht Ihr Verdienst.
Auch in diesem Punkt war es wiederum die Opposition — ich bin gern bereit, dies an der Genesis des Entwurfs Stück für Stück nachzuweisen —, die insbesondere Sie, meine Damen und Herren von der FDP, gezwungen hat, den Minderheiten im Unternehmen einen nicht bloß formellen, sondern auch materiellen Schutz zu gewähren.
Damit spreche ich das Problem der leitenden Angestellten an, die — das begrüßen auch wir nachdrücklich — zum erstenmal eine positiv-rechtliche Anerkennung gefunden haben.Eines sei aber an dieser Stelle im Blick auf diese Seite des Hauses klargestellt: Von einem Faktor „Disposition" im Sinne Ihres Freiburger Programmes, mit dem Sie allzugern und allzu voreilig bei den leitenden Angestellten auf Stimmenfang gehen,
von dieser irrealen Vorstellung findet sich in diesem Gesetz kein Jota mehr.
Vielmehr ist hier im Grundsatz genau die Hamburger Position der CDU/CSU niedergelegt, die im Blick auf die leitenden Angestellten von nicht mehr, aber auch nicht weniger als einem effektiven Minderheitenschutz ausging.Meine Damen und Herren, insbesondere von der FDP, diese Regelung, wie sie jetzt vorliegt, als Ihren Erfolgsnachweis auszugeben, werden Sie denkenden Menschen — und dazu gehören auch die leitenden Angestellten — sicherlich nicht verkaufen können; denn immerhin waren Sie es, die denHamburger Parteitagsbeschluß als „Etikettenschwindel" bezeichnet haben. Wenn man glaubwürdig sein will, geht es einfach nicht an, einen solchen Zickzackkurs zu fahren.Aber lassen Sie mich § 15 in der Ausschußfassung auf seinen tatsächlichen Gehalt doch etwas näher abklopfen. Ich habe nämlich erhebliche Zweifel, ob der begrüßenswerte Ansatz zu einem Minderheitenschutz auch wirklich voll durchgehalten ist. Wenn man einmal den sehr komplizierten Schleier ein wenig lüftet, kommt man zu ganz überraschenden Ergebnissen. Herr Kollege Schmidt , Sie haben dazu heute morgen schon Stellung genommen. Das Ergebnis ist nämlich — das möchte ich ausdrücklich festhalten —, daß auch jetzt selbst der Minimalgrundsatz, daß der zu wählende leitende Angestellte von dem Vertrauen der Mehrheit seiner 'Gruppe getragen sein soll, nicht voll realisiert ist.
Ich gebe zwar gern zu, daß, verglichen mit dem Regierungsentwurf und der Vielzahl von neuen Formulierungen, mit denen Sie uns ja im Ausschuß in einer Art roulierendem Änderungsverfahren beglückt haben, die Gefahr für einen Minderheitenkandidaten reduziert wurde. Aber sie wurde eben nur reduziert, nicht beseitigt.
Ich möchte das an zwei Fallgestaltungen deutlich machen. Einmal betrifft das den Fall, daß im ersten Wahlgang des Vorauswahlverfahrens keiner der Bewerber die absolute Mehrheit der Stimmen erhält. Nach Ihren Vorstellungen kann in dem sich anschließenden zweiten Wahlgang die relative Mehrheit der Stimmen ausreichen, d. h., bei einer Reihe von Bewerbern — das wird gerade in weniger gut organisierten Betrieben, etwa außerhalb des Chemiebereichs, der Regelfall sein - reicht bereits ein relativ geringer Stimmenanteil aus, um in dem Wahlvorschlag aufgenommen zu werden.Der zweite Fall betrifft die Konstellation, daß zwar im ersten Wahlgang einer der beiden Bewerber die absolute Mehrheit der Stimmen erreicht, der oder die weiteren Kandidaten sich aber einer zweiten Abstimmung stellen müssen, in der dann nicht nur die relative Mehrheit ausreicht, sondern die wahlberechtigten leitenden Angestellten auch nur eine Stimme haben. Praktisch gesprochen heißt das: Ein Bewerber, der, sagen wir, 20 % der Stimmen im zweiten Wahlgang erhalten hat und mit diesem Stimmenanteil vor den Mitbewerbern liegt, ist genauso in dem Wahlvorschlag aufgenommen wie derjenige, der im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten hat. Und nun kommt der Pferdefuß: Da die Gesamtangestelltenbelegschaft nicht an das Mehrheitsvotum der Leitenden-Angestellten-Gruppe gebunden ist, kann sie eben den Bewerber, der nur 20 % der Stimmen hinter sich hat, als leitenden Angestellten in den Aufsichtsrat entsenden.
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16028 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
PohlmannMeine Damen und Herren, ich habe nur zwei Fallgestaltungen genannt; Sicherlich ließen sich noch einige weitere Variationen anschließen. Ich meine aber, daß schon an diesen beiden Fällen deutlich wird, wie Wortgeklingel der Koalition und Wirklichkeit auseinanderfallen;
denn wenn man bei der Behandlung der leitenden Angestellten an dem Grundsatz festhalten will, daß ihr Mann im Aufsichtsrat von dem Mehrheitsvotum der Gruppe getragen sein soll — und das halten wir für unbedingt erforderlich —, dann müssen beide Bewerber, die der Angestelltenbelegschaft zu präsentieren sind, mit der absoluten Mehrheit gewählt werden. Wir wollen das, und deshalb gewährleistet auch nur unser Antrag, in dem diese Regelung niedergelegt ist, einen wirklichen Minderheitenschutz und gibt der Gruppe der leitenden Angestellten die Gewähr, daß ihre Vertreter von der Gruppe legitimiert sind.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch kurz auf drei weitere Aspekte hinweisen. Mit der Mitwirkung der leitenden Angestellten im Aufsichtsrat wird im Grunde der zweite Schritt vor dem ersten getan; denn nach wie vor fehlt dieser Gruppe die organisatorische Infrastruktur in der Betriebsverfassung, also die gesetzliche Verankerung von Sprecherausschüssen.Dies ist ein ganz entscheidendes Problem. Seine Lösung — Herr Schmidt , Sie haben das heute morgen angedeutet — kann man nicht ständig nur in die Zukunft verweisen.Meine Fraktion hat sich anläßlich der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes mit ihrem einstimmig gefaßten Antrag auf gesetzliche Verankerung von Sprecherausschüssen nicht durchsetzen können. Aber warum denn nicht, meine Damen und Herren? Weil Sie von der FDP es waren, die, obwohl Sie in Ihrem Freiburger Programm große Versprechungen gemacht haben, letztlich, als es zum Schwur kam, unseren Antrag aus nach meiner Auffassung falsch verstandener Nibelungentreue nicht mitgetragen haben. Auch dies möchte ich hier noch einmal ausdrücklich festhalten.
Wir standen auch diesmal vor der Frage, ob es der Verwirklichung des Anliegens nützlich gewesen wäre, diese Forderung erneut zu erheben. Aber angesichts des klaren Votums der FDP, auch diesmal entgegen ihrem eigenen Programm die Zustimmung zu verweigern, sahen wir keine Möglichkeit, diesem gesetzgeberischen Anliegen zum Erfolg zu verhelfen. Für uns ist und bleibt aber die Frage der Sprecherausschüsse für leitende Angestellte eine wichtige gesellschaftspolitische Forderung.
Zweitens nenne ich in diesem Zusammenhang die Frage der Abgrenzung. Wir begrüßen nachdrücklich, daß sich die Koalition unserer Forderung angeschlossen hat, § 5 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes auch für das Mitbestimmungsgesetz zuübernehmen. Hier stimme ich mit Ihnen überein, Herr Schmidt . Ich sehe jedoch eine große Gefahr, die ich einmal ganz deutlich ansprechen möchte. Es gibt bereits jetzt Anzeichen dafür, daß die Gewerkschaften mit allen Mitteln einschließlich gerichtlicher Massenverfahren versuchen, die Position der leitenden Angestellten auszuhebeln. Ich meine, es ist keine gute Sache, wenn versucht wird, die Entscheidung des Gesetzgebers durch solche Verfahren zu unterlaufen.
Der dritte und letzte Punkt, den ich hier im Blick auf die leitenden Angestellten erwähnen muß, ist die Position des Arbeitsdirektors. Meine Vorredner haben schon deutlich gemacht, daß die Koalition gerade in diesem Punkt einen ganz faulen Kompromiß geschlossen hat und daß nach wie vor erhebliche Meinungsunterschiede zwischen den Sozialdemokraten und den Freien Demokraten bestehen. Lassen Sie mich auch hier sagen, daß ich es für verhängnisvoll hielte, wenn der Versuch unternommen würde, über den Arbeitsdirektor mit der von der SPD gewollten Zielrichtung neue Abhängigkeiten zu schaffen, wenn beispielsweise für die Auswahl und den Aufstieg nicht Qualitätsgesichtspunkte entscheidend wären, sondern Wohlverhalten und die Fähigkeit zur Anpassung an mächtige Organisationen. Wir gehen davon aus, daß für die Beurteilung von Leistung und Bewährung und damit für die Rekrutierung des Führungsmanagements nach wie vor der Gesamtvorstand zuständig sein muß. Alles andere wäre eine Gefahr für die Flexibilität und die Funktionsfähigkeit der Unternehmen.
Meine Damen und Herren, zum Schluß möchte ich insbesondere Sie von der FDP auffordern, unsere Änderungsanträge noch einmal auf dieser Basis zu überdenken und ihnen letztlich nicht die Zustimmung zu verweigern. Unsere Alternativposition, die ich hier aufgezeigt habe, liegt im wohlverstandenen Interesse einer angemessenen Politik für leitende Angestellte, einer Politik, die Sie, meine Damen und Herren, zu vertreten vorgeben, aber wir in die Praxis umsetzen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Urbaniak.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht klar auszumachen, ob die Opposition durch die Einzelsprecher eine Reihe von Anträgen begründet und ob der Kollege Pohlmann das auch bereits für § 30 getan hat. Sollte das der Fall sein — —
— Das ist also noch nicht der Fall. Es war aber wohl so — das werden Sie mir zugeben, Herr Kollege Franke — herauszuhören.
Urbaniak
Zu dem Antrag, um den es hier geht, haben Sie, Kollege Pohlmann, eine Begründung geliefert, bei der man, wie ich meine, sehr verklausuliert auf den Grund der Dinge kommen muß. Mit dem Änderungsantrag sollen die Vorschlagsquoren entscheidend reduziert werden, um Splittergruppen in den Betrieben zu hofieren. Wir meinen, auch Wahlvorschläge müssen ausreichend getragen sein, damit man die Ernsthaftigkeit von Kandidaturen erkennen kann.
In den Vorschlägen der Opposition erkennt man die Absicht, Nichtgewerkschaftern wenigstens bei den Kandidaturen eine Chance zu geben, obwohl sie bei der Wahl selber absolut keine Chance hätten. Darum ist das nicht schlüssig. Ganz offensichtlich will man damit den in den Betrieben verankerten Gewerkschaften Ärger machen, wo immer es nur geht oder wo man sich Hoffnungen machen zu können wähnt.
Ich kann an dieser Stelle feststellen, daß die Wahlvorschriften im Mitbestimmungsgesetz der sozialliberalen Koalition denjenigen des Betriebsverfassungsgesetzes nachgebildet sind, Vorschriften also, die sich in der Praxis längst bewährt haben. Eine mehr als 20jährige Praxis ist wohl der beste Beweis dafür. In der Praxis hat sich gerade auch gezeigt, daß Splittergruppen ohne Resonanz geblieben sind, was einige Vertreter der Opposition nicht mit Wohlgefallen erfüllt. Kollege Pohlmann, zu § 5 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes gab es wohl keine Alternative. Die Abgeordneten, welche die Materie im Ausschuß intensiv beraten haben, waren sich darüber im klaren, daß natürlich zur weiteren Konkretisierung das Richterrecht eine ganz entscheidende Rolle spielt. Das ist nun einmal bei diesem komplizierten Vorgang so. Kollege Pohlmann, weil mit Ihrem Antrag zu § 15 die Gewerkschaften negativ getroffen werden sollen, lehnen wir ihn ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, Herr Präsident, eine Vorbemerkung. Sie haben eben mit Recht eine Zwischenfrage abgelehnt, weil es jetzt um Antragsbegründungen geht. Ich darf aber doch wohl feststellen, daß bisher jede „Antragsbegründung" der CDU/CSU im Endeffekt zur Aussage einer Gruppe in der CDU/CSU und zur Begründung und Darstellung aller möglichen Dinge führte, aber nicht etwa zur Begründung eines Antrags.
— Herr Kollege Jenninger, wir können das ja machen; ich habe nichts dagegen. Wenn man sich auf Antragsbegründungen einigt und sagt: Wir wollen kurze Zeiten — so etwas wird ja immer vereinbart —, kommt man in Schwierigkeiten, wenn sich die eine Seite nicht daran hält. Wir hatten uns darauf eingestellt, das in der vorgeschriebenen Zeit zu machen. Es ist dann schwierig, nur kurz ablehnend
1 zu sprechen. Ich muß jetzt viel mehr über die leitenden Angestellten sagen, als es Ihre Änderungswünsche zu § 15 eigentlich erfordern.
Ich wollte nur feststellen, daß ich mir jetzt etwas mehr Zeit nehmen muß; denn von Ihrer Seite kamen keine Antragsbegründungen, sondern Aussagen zu verschiedenen Problemen.
— Herr Kollege Schröder, auch wenn Sie noch so oft hier heraufgehen, werden Sie nicht beweisen können, daß Sie die leitenden Angestellten erfunden hätten und ihre Hüter wären. Das haben wir in Freiburg auf Grund wissenschaftlicher Untersuchungen über die Bedeutung der leitenden Angestellten in unseren Unternehmen getan.
— Herr Kollege van Delden, Sie können auch nicht die Feststellung wiederholen — das heißt, Sie können sie zwar wiederholen, aber es nimmt sie Ihnen keiner ab —, daß seinerzeit bei der Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes die Frage nach den Sprecherausschüssen von uns nicht eindeutig beantwortet sei — nicht im Gesetz; das habe ich von dieser Stelle aus eindeutig gesagt.
Wir haben heute bereits 200 Sprecherausschüsse. Ich habe damals für die Freien Demokraten den leitenden Angestellten diesen freien Raum von dieser Stelle aus zugewiesen. Das Bundesarbeitsgericht hat die Sprecherausschüsse inzwischen in einem Gerichtsbeschluß als legitim anerkannt, und zwar, Herr Kollege Schröder — das können Sie nachlesen —, auf Grund dieser Aussagen, die die FDP hier gemacht hat.
Zum dritten: Es ist schon rührend, wenn Sie sagen, die Koalition habe sich bezüglich der Abgrenzungskriterien der Meinung der CDU/CSU angeschlossen. Die gleiche Darlegung wie beim Betriebsverfasfungsgesetz. Wer hat denn im Ausschuß die -zig Fragen gestellt? Wer hat denn im Ausschuß fast einen halben Tag die Debatte damit bestritten, ob man das nicht irgendwie anders machen müsse, weil dieses und jenes strittig sei. Wer hat von Anfang an gesagt, daß Artikel 5 Abs. 3 auch für die Mitbestimmung gelten müsse? Das war doch wohl ich für die Freien Demokraten, und das waren unsere Freunde von der sozialdemokratischen Fraktion.
Herr Abgeordneter Schmidt , gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schröder (Lüneburg)? — Bitte.
Herr Kollege Schmidt , und wer hat denn in einer ersten Stellungnahme nach dem ersten Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts in Kassel davon geredet, daß man nunmehr wohl eine unterschiedliche Ab-
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16030 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Schröder
grenzung auf betriebsverfassungsrechtlicher Ebene einerseits und unternehmensrechtlicher Ebene andererseits vornehmen müsse? Erinnern Sie sich daran, daß das niemand anderes war als der sozialpolitische Sprecher der FDP-Fraktion?
Herr Kollege Schröder, dann müssen Sie diese FDK — ich schicke sie ihnen gerne zu — noch einmal nachlesen.
— Nein, da steht ganz genau darin, Herr Kollege van Delden, daß man dieses Urteil natürlich daraufhin prüfen müsse, ob daraus Konsequenzen gezogen werden müßten. Sie können eine spätere und auch eine Erklärung von mir hier im Bundestag gerne nachlesen. Da heißt es: Wir sind nach Überprüfung der Urteile zu der Auffassung gelangt, daß eine neue Abgrenzung nicht notwendig und auch nicht richtig ist.
Auch ich habe das, was Sie vorher angesprochen haben, angesprochen. Auch wir halten es für keine gute Sache, daß hier im Massenverfahren eine Verunsicherung erfolgt ist. Ich habe von hier aus appelliert, daß dies, nachdem die Definition auch noch einmal für dieses Gesetz gilt, in Zukunft unterlassen werden sollte. Das möchte ich hier noch einmal klar feststellen.
Ich verzichte jetzt darauf, auf Ihre Ausführungen zum leitenden Angestellten und zum Arbeitsdirektor einzugehen, denn dazu haben wir bei einem späteren Antrag noch einmal Gelegenheit. Außerdem habe ich hier schon einmal ganz klar gesagt, wie wir, wie die Mehrheit im Ausschuß, wie die Koalition diese Frage sieht.
Nun zu dem, was der Antrag eigentlich betrifft. Herr Kollege Schröder, ich habe hier die Zeitung „Der leitende Angestellte" 3/76 vor mir. Überschrift: „Mehrheit der Leitenden kann nicht mehr übergangen werden". Nachdem ich Sie gehört habe, müßten die leitenden Angestellten alle anderer Meinung sein. Anscheinend stellen die leitenden Angestellten mit Recht und mit Sicherheit fest, daß sie nicht übergangen werden können, es sei denn, sie könnten sich selbst überhaupt nicht einigen. Wir halten es allerdings nicht für glücklich für den Fall, daß sich die Gruppe der „Leitenden" in zwei Wahlgängen nicht auf jemanden einigen kann, der das Vertrauen der Mehrheit besitzt, das Registergericht öder irgendeine andere Hintertreppe einzubauen.
— Ich habe ja gesagt, dann sei eine Hintertreppe eingebaut. Sie können sich doch in zwei Wahlgängen mit den zwei Stimmen einigen. Es ist jederzeit möglich, daß die Gruppe der „Leitenden" durch die zwei Stimmen — —
— Wenn nur einer zu wählen ist. Wenn zwei zu wählen sind, zwei, je nachdem. Wenn schon einer gewählt ist, eine Stimme.
— Wenn dann von den Leitenden jeder eine Stimme hat und sie nicht in der Lage sind, einem Mit Mehrheit das Vertrauen zu geben, ist es doch schließlich eine Frage des Selbstgefühls und der Solidarität, die die leitenden Angestellten mit Recht bewiesen haben, dann den richtigen Mann vorzuschlagen.
Es besteht also gar keine Notwendigkeit, hier zusätzlich neue Regelungen einzuführen. Ich teile voll die Auffassung der leitenden Angestellten, die in allen ihren Pressemitteilungen deutlich gemacht haben: Die Leitenden können nicht übergangen werden. Wir lehnen Ihren Antrag ab.
Meine Damen und Herren, wird des weiteren das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Damit komme ich zur Abstimmung über Ziffer 5 des bekannten Änderungsantrags der Fraktion der CDU/CSU. Wer dieser Ziffer 5 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit abgelehnt.Ich komme nunmehr zur Abstimmung über § 15. Die Fraktion der CDU/CSU bittet, daß in zwei Teilen abgestimmt wird. Ich nehme an, daß dagegen kein Widerspruch besteht.Dann stimmen wir zuerst über § 15 Abs. 1, 2, 2 a und 3 ab. § 15 Abs. 4 soll entfallen. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.Wir stimmen nun über § 15 Abs. 5 ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Dann ist es bei zahlreichen Gegenstimmen so beschlossen.Ich rufe § 16 und damit Ziffer 6 des Änderungsantrages der Fraktion der CDU/CSU — Drucksache 7/4887 — auf. Der Änderungsantrag ist schon begründet worden. Wird das Wort begehrt? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Neufassung des § 16 gemäß Ziffer 6 des Änderungsantrages der Fraktion der CDU/CSU zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letztere ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.Wir stimmen nunmehr über § 16 in der Ausschußfassung ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegen-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976 16031
Vizepräsident Dr. Jaegerprobe. — Enthaltungen? — Bei Gegenstimmen undEnthaltungen ist es mit Mehrheit so beschlossen.Ich rufe §§ 16 a, 16 b, 17, 18 und 19 auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe § 20 und damit Ziffer 7 des Änderungsantrages der Fraktion der CDU/CSU — Drucksache 7/4887 — auf. Wird der Änderungsantrag noch begründet? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Wer Ziffer 7 des Änderungsantrags der Fraktion der CDU/CSU zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wir stimmen nunmehr über § 20 in der Ausschußfassung ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist es so beschlossen.Ich rufe § 21 und damit Ziffer 8 des Änderungsantrages der Fraktion der CDU/CSU — Drucksache 7/4887 — auf. Wird noch eine Begründung gegeben? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung über Ziffer 8 des Änderungsantrages der Fraktion der CDU/CSU. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Wir stimmen nunmehr über § 21 in der Ausschußfassung ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Es ist so beschlossen.Ich rufe die §§ 21 a — § 22 soll entfallen —, 23, 23 a, 24 und 25 auf. Hierzu liegen keine Änderungsanträge vor. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Ziffer 9 des Änderungsantrages der Fraktion der CDU/CSU — Drucksache 7/4887 — auf. Dieser Antrag zielt auf die Einfügung eines § 25 a ab. Zur Begründung dieses Änderungsantrages und zugleich der Änderungsanträge unter den Ziffern 10 und 11 hat der Herr Abgeordnete von Bismarck das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist, wie ich glaube, billig und notwendig, bevor ich zu diesen Änderungsanträgen spreche und die Auffassung meiner Fraktion vortrage, einige Bemerkungen zu den Zitaten aus einem Schreiben des Geschäftsführers des Wirtschaftsrates an die Mitglieder des Wirtschaftsrates zu machen. Sie haben vorhin richtig zitiert. In diesem Schreiben ist von einem quasi Ermächtigungsgesetz zur Fremdbestimmung die Rede. Damitwir nicht aneinander vorbeireden, müssen wir unsdarüber klar werden, was der Sinn der Sache ist.
— Warten Sie doch ab. Genau dies, Herr Rappe, trifft nämlich nicht zu.
Der Sinn dieser Äußerung leitet sich ganz woanders her, nämlich aus viel jüngerer Geschichte. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich hierzu einige Zitate aus einem Papier anführen, das 1974 mit einem Vorwort des Herrn DGB-Vorsitzenden Vetter als Redneranweisung der Gewerkschaften breitgestreut verteilt wurde. Auf Seite 2 dieses Papiers heißt es unter der Überschrift „Mitbestimmung":Die Forderung nach mehr Macht und Einfluß ist für uns kein Selbstzweck. Für uns ist Mitbestimmung ein Mittel zum Zweck. Wir wollen mit ihr andere Ziele erreichen.Wenn man weiter liest und nach diesen Zielen fragt, findet man:Ja, noch weitere Rechte können durchgesetzt werden, seien es zusätzliche Freistellung von Betriebsräten, seien es volle Mitbestimmungsrechte, zum Beispiel in Personalangelegenheiten. In den Unternehmungen der Montan-Mitbestimmung ist dies seit mehr als 20 Jahren gang und gäbe. Dort wird seit Jahren eine Betriebsverfassung praktiziert, die selbst über das neue Gesetz hinausgeht.Dann kommt auf Seite 5:Gleichzeitig sollten wir uns jedoch darüber im klaren sein: Langfristige Erfolge auf breiter Front hängen von der Macht in den Betrieben und in der Unternehmensspitze ab. Auch hier gilt: Es ist leichter und erfolgreicher, einen uns nahestehenden Arbeitsdirektor auf die Füße zu treten als Herrn Schleyer bitten zu müssen.
Dann fährt man in Ziffer 5 auf Seite 6 fort:
Wir wollen auch Mitbestimmung, um auf Produktions- und Investitionsentscheidungen Einfluß zu nehmen.Schließlich heißt es auf Seite 8 Ziffer 6 — dies finde ich besonders bedeutsam —:Es kann uns schließlich nicht gleichgültig sein, wer Vorstandsmitglied großer Unternehmen wird. Vorstandsmitglieder sind politische Positionen. Liegt es etwa im Arbeitnehmerinteresse, wenn eine— hören Sie gut zu —arbeitnehmerfeindliche Partei durch Spenden unterstützt wird?Meine Damen und Herren! Diese Qualität von angekündigtem Machtstreben wird angesprochen,
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16032 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Dr. von Bismarckwenn im Zusammenhang mit einer ganzen Reihe von Bestimmungen dieses Gesetzes, insbesondere denen, die vor Ihren 44 Seiten Abänderungsanträgen vorlagen — — Vorher ist diese pointierte politische Kennzeichnung gemacht worden. Dort werden die Dinge ebert nicht so geregelt, daß der Arbeitnehmer im Mittelpunkt steht. Sonst hätten Sie unserem Antrag natürlich zugestimmt, die Betriebsräte und die Arbeitnehmer im Betrieb an der Auswahl der von außen kommenden Gewerkschaftsvertreter zu beteiligen.
Herr Abgeordneter von Bismarck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Aber selbstverlich.
Ich hatte Sie wohl richtig verstanden, daß Sie mit Hilfe einer Zitatensammlung aus Reden oder Redeanleitungen des DGB-Vorsitzenden Vetter beweisen wollten, daß der Ausdruck „Ermächtigungsgesetz für Fremdbestimmung" keine Beleidigung derer ist, die auf dieser Seite des Hauses sitzen; und nun kommt der Ausdruck in dieser Rede, die Sie sich als Zeugen zu besorgen versucht haben, überhaupt nicht vor. Wie können Sie das erklären?
Herr Kollege Wehner, ich finde, wir haben im Parlament — auch Sie— alle zusammen die Pflicht, Unterstellungen, die falsch sind, wieder zurechtzurücken. Und wenn hier eine Unterstellung gemacht wird aus einer Zeit, die Sie und ich miterlebt haben, auf die Sie jetzt rekurrieren, sollten Sie mir nicht unterstellen, daß ich die Absicht habe, einen Teil des Hauses mit dieser Art von Verhandlungen von damals in Verbindung zu bringen.
— Herr Kollege Wehner, wir wissen, welcher Künstler Sie darin sind, sich Beleidigungen selber zuzumessen.
— Herr Kollege Wehner, es wäre für mich viel einfacher gewesen, das zu überhören. Aber gerade damit Sie das nicht so verstehen, bin ich hier und spreche zu diesem Thema. Sie kennen mich lange genug, und ich glaube, innerlich nehmen Sie mir das auch völlig ab. Ich habe das miterlebt und nur knapp überlebt.Nun zur Sache selbst. Wir haben — Herr Sund, dies ist natürlich unsere Qualität, daß wir uns eine solche Sache zur Qual machen — sehr sorgfältig über die einzelnen Abänderungsanträge, die Sie hier zu später Stunde nach Ihren späten verfassungsrechtlichen Einsichten vorgelegt haben, nachgedacht. Dazu gehört auch der Antrag zu § 25 a und zu § 26.Was wollen wir damit? Wir wollen damit, daß die uns von den Verfassungsrechtlern eindeutig vorgetragene Forderung verwirklicht wird, daß die Anteilseigner im Entscheidungsprozeß die Überlegenheit haben. Das haben auch Sie versucht. Nur, in der Rekurrierung auf § 108 Abs. 3 des Aktiengesetzes erreichen Sie nicht das, was Sie erreichen sollten, um eine verfassungsrechtlich völlig einwandfreie Regelung zu haben. Wir haben Ihnen vorgeschlagen, jedem Aufsichtsratmitglied die Möglichkeit zu geben, für alle Friktionsfälle, die auftreten können, einem anderen die Vollmacht zu geben, in einer Aufsichtsratssitzung entsprechend der Entwicklung der Verhandlung sachgemäß abzustimmen.Was Sie vorschlagen, ist ein halber Schritt. Sie wissen sehr genau, daß in Aufsichtsratssitzungen keineswegs vorher feststeht, wie die Frage genau lautet, auf die zu antworten ist. Dies ist eine hölzerne Bestimmung, wo eine absolut elastische Vorschrift nötig und möglich wäre. Dieser Notwendigkeit entspricht unser § 25 a — Stimmrechtsübertragung — ebenso wie die Regelungen in § 26. Nachdem Sie ja wirklich eine ganze Reihe von verfassungsrechtlichen Einsichten gehabt und sich, wie der Kollege Franke schon gesagt hat, erheblich auf das zubewegt haben, was vor langer Zeit schon in Hamburg als die richtige Mittellösung beschlossen war, haben Sie jetzt den Schritt nicht zu Ende getan. Was wir Ihnen hier vorschlagen, ist nichts weiter, als konsequent zu sein, die Einsicht anzunehmen und die Tatsache hinzunehmen, daß die Überlegenheit der Anteilseigner verfassungsrechtlich notwendig ist, und dann die entsprechende Fassung zu beschließen. Wir fordern Sie auf, diesen Schritt zu tun, der allein beweisen kann, daß Sie wirklich diese verfassungsrechtliche Einsicht zu der Ihren machen, daß die Pattlage, wie sie ursprünglich geplant war, nicht möglich ist und daß eine klare Regelung der Überlegenheit der Anteilseigner im Entscheidungsprozeß geboten ist. — In dem Antrag unter Ziff. 11 stehen lediglich ein Hinweis und eine Ergänzung in § 28, die demselben Ziel dienen.Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Sie haben zu Anfang versucht, hier zwischen den verschiedenen Teilen der Union Spaltungen nachzuweisen.
— Das brauchen Sie doch, sonst würden Sie es ja nicht tun. Gehen Sie einmal davon aus, daß jeder in unserer Fraktion weiß und diese Auffassung wie Sie vertritt, daß starke Gewerkschaften in unserem Staat nicht nur ein notwendiges, sondern ein unentbehrliches Ordnungsinstrument sind. Nehmen Sie denen, die das wollen, aber auch ab, daß auch darüber nachgedacht werden muß, wann diese Stärke
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976 16033
Dr. von Bismarckandere Freiheiten bedroht, die allen Bürgern zustehen. Nur darum geht es bei uns allen. Wenn Sie darüber nachdenken, werden Sie uns recht geben, daß wir den fast erfolgreichen Versuch gemacht haben, ein Gesetz zustande zu bringen, das verfassungsrechtlich tragbar ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Augstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion darf ich zu den drei Änderungsanträgen der CDU/CSU Stellung nehmen.
Die CDU/CSU beantragt, daß ein Aufsichtsratsmitglied, das verhindert ist, an einer Sitzung des Aufsichtsrats teilzunehmen, berechtigt sein soll, durch Vollmacht sein Stimmrecht auf ein anderes Aufsichtsratsmitglied zu übertragen. Es soll das Vertreterprinzip gelten. Zum anderen beantragt die Opposition, daß, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende an der Sitzungsteilnahme verhindert ist, seine zusätzliche Stimme zur Auflösung von Pattsituationen der Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner zufallen soll. Ich darf Ihnen zunächst zwei generelle Gründe vortragen, aus denen wir Ihre Anträge ablehnen werden.
Wie heute in dieser Debatte schon zu Recht angeprangert, geht die Opposition offenbar davon aus, daß die Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat insgesamt unzuverlässig sei.
Ihre Änderungsanträge — unter welchem Deckmantel sie auch immer vorgetragen werden —
sind doch nichts anderes als der Ausdruck tiefsten Mißtrauens gegenüber der Arbeitnehmerschaft und ihren Gewerkschaften.
Davon haben wir mit Herrn Kollegen von Bismarck soeben wieder eine böse Kostprobe erlebt.
Herr Abgeordneter Augstein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke ?
Herr Kollege Augstein, wie interpretieren Sie dann den Schlußsatz des § 26 Abs. 2, der im Ausschuß mit der Mehrheit von SPD und FDP beschlossen worden ist: „Dem Stellvertreter" — das ist hier in der Regel der Arbeitnehmer — „steht die zweite Stimme nicht zu."?
Herr Kollege Franke, ich komme nachher noch darauf zurück. — Gerade dieses Ihr ewiges Mißtrauen gegenüber den Arbeitnehmern ist der erste, entscheidende Grund dafür, daß wir Sozialdemokraten Ihren Anträgen nicht folgen werden.
Anscheinend ist bei Ihnen, so heißt es, die Vorstellung vom Arbeitnehmer als „vaterlandslosem Gesellen" noch immer vorhanden.
Denn sonst, meine Damen und Herren, würden Sie doch nicht von einem mitbestimmten Aufsichtsrat ausgehen, der eine Art Kriegsschauplatz mit dauernden Konflikten und ewiger Konfrontation zwischen Kapital und Arbeit ist.
Dieses Bild, meine Damen und Herren, des ständig konfliktbeladenen und konfliktbelasteten Aufsichtsrats stimmt doch einfach nicht.
Die 25jährige Praxis in der Montanunion beweist genau das Gegenteil. In der Tat haben doch gerade die Arbeitnehmer das allergrößte Interesse daran, daß ihre Arbeitsplätze im Unternehmen langfristig ausgebaut und gesichert werden. Dieses Ziel steht bei allen Aufsichtsratsentscheidungen der Arbeitnehmervertreter an erster Stelle. Natürlich kann es dabei — das wird gar nicht bestritten — zu Konflikten kommen, wenn es um die soziale Ausgestaltung der Unternehmenspolitik geht. Aber solche Konflikte sind doch keineswegs die Regel. Im Gegenteil, Konflikte bilden im Aufsichtsrat die seltene Ausnahme. Der Umstand, daß gerade Sie, die CDU/ CSU, wie gleich die Erörterung Ihrer Anträge im einzelnen ergeben wird, die Ausnahme zur Regel hochstilisieren wollen, beweist am besten, woran die Arbeitnehmerschaft mit Ihnen ist. Sie wollen nämlich den Ausnahmefall zum Regelfall deklarieren, um den Anteilseignern stets einen Vorsprung vor den Arbeitnehmern zuzuschanzen.
Das machen wir Sozialdemokraten nicht mit. Das ist der zweite generelle Grund, warum wir Ihren Anträgen nicht folgen werden.Mit Ihrer Mitbestimmungsfreundlichkeit kann es nicht weit her sein. Sie schüren selber den Verdacht, daß Sie dem Mitbestimmungsgesetz nur deshalb zustimmen, weil sich angesichts der gegensätzlichen Grundpositionen innerhalb Ihrer Fraktion eine Ablehnung wahrlich schwer begründen ließe. Man kann nicht, wie treffend gesagt wurde, gleichzeitig
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16034 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Augsteindas konservative und das fortschrittliche Fähnchen schwenken.Meine Damen und Herren, ich darf jetzt zur Erörterung der Änderungen im einzelnen und zu den Gründen kommen, aus denen wir Sozialdemokraten sie zurückweisen.Die CDU/CSU möchte das Vertreterprinzip im Aufsichtsrat einführen mit der Begründung, ein bevollmächtigtes Aufsichtsratsmitglied habe die Möglichkeit, bei der Entscheidung den letzten Diskussionsstand zu berücksichtigen. In der Tat ist in diesem Fall eine größere Flexibilität nicht von der Hand zu weisen. Aber es wird dabei übersehen, daß es bis zum Jahre 1965 schon das Vertreterprinzip im Aktienrecht gab. Es wurde damals abgeschafft, weil es sich nicht bewährt hatte. Das Vertreterprinzip verleitet nämlich dazu, sich erst einmal und dann immer wieder im Aufsichtsrat vertreten zu lassen, so daß die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats sozusagen immer mehr zusammenschrumpft. Es ist wohl allseits unbestritten
— auch von Ihnen, Herr Franke, ist es im Ausschuß ausdrücklich hervorgehoben worden —, daß die persönliche Wahrnehmung des Aufsichtsratsmandats geboten ist. Gerade um Mißbrauch zu vermeiden, wurde damals das Vertreterprinzip durch die Stimmbotenregelung abgelöst.
Die Stimmbotenregelung hat sich seitdem gut bewährt, zumal man sich durch die Formulierung der schriftlichen Stimmabgabe auf die Abstimmungssituation einrichten kann. Gerade auch in der Montan-Mitbestimmung hat die Stimmbotenregelung nicht etwa zur Lähmung der Unternehmen geführt. Und Mißstände wie beim Vertreterprinzip sind nicht bekanntgeworden.
Angesichts dieser Entwicklung mutet es recht eigenartig an, wenn die CDU/CSU jetzt zum Vertreterprinzip zurückkehren will. Hinzu kommt, daß doch niemand im Zusammenhang mit dem neuen Mitbestimmungsgesetz daran denkt, auch gleichzeitig das Unternehmensrecht völlig neu zu gestalten. Darüber hinaus wollen Sie sogar noch zwischen mitbestimmten Unternehmen und den übrigen Aktiengesellschaften unterscheiden. Ausschließlich für die mitbestimmten Unternehmen soll das Vertreterprinzip gelten. Damit lassen Sie wieder die Katze aus dem Sack. Das ist doch nichts anderes als der Ausdruck Ihrer Vorstellung vom Dauerkonflikt im mitbestimmten Aufsichtsrat und Ihres grenzenlosen Mißtrauens gegenüber den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat. Wir Sozialdemokraten haben ein ganz anderes Verhältnis zu den Arbeitnehmern und ihren Gewerkschaften. Wir Sozialdemokraten sind davon überzeugt, daß gerade von der Arbeitnehmerseite her nicht zu befürchten ist, daß, wie es imBericht Bundestagsdrucksache 7/4845 auf Seite 9 heißt, „Zufallsmehrheiten im Rahmen dieses auf Zusammenarbeit und nicht auf Konfrontation angelegten Gesetzes mißbräuchlich ausgenutzt würden".Wir werden daher an der bewährten und praktikablen Institution des Stimmboten festhalten.Diese Stimmbotenschaft genügt auch für die zweite Stimme des Aufsichtsratsvorsitzenden in Pattsituationen.
Herr Abgeordneter Augstein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Maucher?
Herr Kollege, warum haben Sie dann im Ausschuß keine Gelegenheit gegeben, sich mit Ihren Problemen, die Sie jetzt so umfangreich darlegen, auseinanderzusetzen? Sie hätten doch schon dort diese Fragen vortragen können. Da haben Sie immer geschwiegen.
Sie irren, Herr Kollege Maucher. Ausweislich des Ausschußprotokolls ist diese Frage lang und breit erörtert worden. Wir Sozialdemokraten werden es auch in diesem Fall beim Stimmboten belassen, weil das für die normalen Wechselfälle des Lebens ausreicht. Die Grenzfälle, daß z. B. der Aufsichtsratsvorsitzende im Koma liegt oder gerade mit dem Flugzeug abstürzt, kann der Gesetzgeber unmöglich alle erfassen. Auch dahinter steht doch bei Ihnen wieder nichts anderes als die grundlose Befürchtung, ausgerechnet in solchen Fällen würden die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat die Mitbestimmung mißbrauchen. Das wird natürlich nicht so offen gesagt, sondern es wird nach bekannter Manier vorgeschoben, jegliche andere als die von der Opposition gewünschte Regelung begegne verfassungsrechtlichen Bedenken.
Dem sei nochmals entgegengehalten, daß dieses Gesetz nicht jede erdenkliche Ausnahmesituation berücksichtigen kann. Vielmehr kommt es auf den Normalfall an, und dabei dürfen wir darauf verweisen, daß sich die Anteilseigner in der Regel durchsetzen können. Aber selbst wenn man Ihnen folgte und die Zweitstimme des Aufsichtsratsvorsitzenden den Anteilseignern überließe, reichte auch dies unter Umständen nicht für ihre Mehrheit aus, wenn z. B. in der Sitzung eines 20köpfigen Aufsichtsrats nur 6 Anteilseigner + Zweitstimme den 10 Arbeitnehmervertretern gegenüberstehen. Völlig inkonsequent schließlich ist der Vorschlag der Opposition in dem Fall, daß der Aufsichtsratsvorsitzende von der Arbeitnehmerbank kommt. Ausgerechnet seine Zweitstimme würde dann den Anteilseignern zufallen.Ich darf zusammenfassen: Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion lehnt sowohl die Stimmrechtsübertragung bei Verhinderung eines Aufsichtsratsmitgliedes ab als auch das Zufallen der
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976 16035
AugsteinZweitstimme an die Mehrheit der Anteilseigner bei Verhinderung des Aufsichtsratsvorsitzenden.
Das Wort hat der Abgeordnete Becker .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Änderungsantrag der CDU/CSU zu § 26 Abs. 2 gewährleistet den gebotenen Schutz des Anteilseigentums insoweit, als er zumindest für den Fall der Verhinderung des Aufsichtsratsvorsitzenden die Zuordnung des Stichentscheides an die Mehrheit der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat vorsieht. Der Änderungsantrag sichert ein Mehr an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit.
Im übrigen ist in unserer Fraktion nie das Wort von der Unzuverlässigkeit der Gewerkschaften gefallen. Nie ist das Wort gefallen, daß die Arbeitnehmer vaterlandslose Gesellen sind. Das muß ich in aller Form zurückweisen.
Die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie, die in ihrem Kernbereich den Schutz der Vermögenssubstanz und die Verfügung über das Eigentum umfaßt, darf nicht angetastet werden. Das verlangt ganz ohne Zweifel unsere Wirtschaftsordnung. Wie das Hearing zum Ausdruck brachte, muß für die Anteilseigner die Möglichkeit bestehen, sich in jedem Entscheidungsfall durchzusetzen, ich betone, Herr Kollege Augstein, in jedem Entscheidungsfall durchzusetzen.
Regelungen für die Pattauflösung sind nur dann verfassungskonform, wenn den Anteilseignern ein durchsetzbares und gegen Überparität gesichertes Entscheidungsrecht in personellen und sachlichen Entscheidungen der Unternehmensführung zusteht. Diesen Anforderungen wird meines Erachtens das Ausschußmodell mit der Koppelung von Stichentscheidungsrecht und Aufsichtsratsvorsitz nicht voll gerecht. Gibt man dem Aufsichtsratsvorsitzenden in der Pattsituation zwei Stimmen, so führt das zur Überparität der Arbeitnehmerseite, wenn ein Arbeitnehmervertreter Aufsichtsratsvorsitzender ist. Den Grundsätzen unserer Verfassung wird nur entsprochen, wenn man entweder den Aufsichtsratsvorsitz institutionell dem Anteilseigentum zuordnet oder aber durch ein erhöhtes Quorum bei der Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden sicherstellt, daß ein Arbeitnehmer nur mit einer Mehrheit der Anteilseignervertreter zum Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt werden kann. Beläßt man es bei dem Zweidrittelquorum, so besteht nach der Konzeption der Koalition die im Ausschußbericht deutlich hervorgehobene Möglichkeit, daß eine Minderheit der Anteilseignervertreter mit den Stimmen der Arbeitnehmerseite einen Arbeitnehmer zum Aufsichtsratsvorsitzenden wählen kann, der das Recht des Stichentscheids hat. Eine Minderheit der Anteilseignervertreter kann sich aber nicht gegen den Willen der Anteilseignermehrheit der Rechte aus dem Anteilseigentum begeben.
Im Januar 1976 hatte die FDP verlangt, daß der Aufsichtsratsvorsitz nicht gegen die Stimmen der Anteilseigner oder nur mit Dreiviertelmehrheit gewählt werden dürfe. Diese Position hat die FDP aber anschließend Ende Januar in den Verhandlungen mit den Sozialdemokraten fallengelassen. Das wird Herr Schmidt nicht bestreiten können.
Wenn die Anträge der CDU/CSU nicht die Zustimmung der Koalition finden sollten, was ja schon bei den vergangenen Anträgen geschehen ist, sehe ich persönlich — das erkläre ich hier — mich nicht in der Lage, der Koalitionsvorlage meine Zustimmung zu geben.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde wiederaufgenommen.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 7/4865 —
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesdesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der eingereichten Fragen steht Herr Staatsminister Moersch zur Verfügung.
Frage 71 ist von dem Herrn Abgeordneten Thürk eingereicht. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Somit wird diese Frage wie auch seine Frage 72 schriftlich beantwortet; die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 73 des Herrn Abgeordneten Simpfendörfer auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Zeugen Jehovas nach ihrer erzwungenen Rückkehr aus Mocambique nach Malawi erneut schweren Verfolgungen ausgesetzt sind, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung gegebenenfalls, den verfolgten Zeugen Jehovas durdi diplomatische Aktionen Unterstützung zukommen zu lassen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Die Bundesregierung ist über die Vorgänge in Malawi, von denen Angehörige der Zeugen Jehovas betroffen sind, durch Berichte der Botschaften und durch Pressemeldungen unterrichtet. Die Möglichkeiten ausländischer Regierungen, für die betroffenen Menschen erfolgreich zu intervenieren, sind begrenzt. Wie bereits in der Fragestunde des Deutschen Bundestages vom 25. Mai 1973 ausgeführt, würde die Regierung von Malawi Einwirkungen der Bundesregierung zugunsten der Betroffenen, die in aller Regel malawische Staatsangehörige sind, als eine völkerrechtlich unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten Malawis zurückweisen. Gleichwohl ist von deutscher Seite u. a. durch den Botschafter in Malawi bei der malawischen Regie-
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16036 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Staatsminister Moerschrung auf die in der deutschen Öffentlichkeit entstandene Beunruhigung wiederholt hingewiesen worden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, sind Überlegungen im Gange, offensichtlichen Verletzungen von Menschenrechten in Malawi dadurch zu begegnen, daß wir unsere Hilfsmaßnahmen, die seit Jahren durchgeführt werden, überprüfen?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich habe schon auf das Problem der Legitimation hingewiesen. Ich möchte hier auf die entsprechenden Antworten der Bundesregierung, die in der Sitzung am 11. März dieses Jahres gegeben worden sind, ausdrücklich verweisen. Wir werden in einem solchen Falle immer die Frage nach der Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit solcher Maßnahmen prüfen müssen.
Ich rufe die Frage 74 des Abgeordneten Freiherr von Fircks auf:
Ist die Bundesregierung bereit, sich im Geist der Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa bei der Regierung der Sowjetunion für eine Ermäßigung der Gebühren für Reisepässe einzusetzen, die auch bei Reisen ins Ausland zum Zweck der Teilnahme an der Beerdigung von Großeltern 300 Rubel betragen sollen?
Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Die Bundesregierung hat sich bereits während der KSZE zusammen mit anderen westlichen Ländern nachdrücklich für eine Senkung der von einigen östlichen Ländern, darunter auch von der Sowjetunion, bei der Ausstellung von Reisepässen erhobenen hohen Gebühren eingesetzt. Diesen Anstrengungen ist es zu verdanken, daß die Teilnehmerstaaten der KSZE in der Schlußakte erklärt haben, sich zu bemühen, „die Gebühren für Visa und amtliche Reisedokumente, wo notwendig, schrittweise zu senken".
Der Bundesregierung liegen Berichte vor, daß zu Beginn des Jahres in der UdSSR die Gebühren für die Ausstellung von Reisedokumenten, die zur Ausreise in die sogenannten kapitalistischen Länder gültig sind, von 400 Rubel auf 300 Rubel herabgesetzt worden sind. Im Januar haben amtliche sowjetische Stellen in der Öffentlichkeit weitere Erleichterungen im Ausreiseverfahren angekündigt. Tatsächlich sind einige sowjetische Paßbehörden inzwischen dazu übergegangen, Kinder unter 16 Jahren in den Paß der Eltern einzutragen. Damit würde die bis dahin auch bei Jugendlichen erhobene hohe Paßgebühr wegfallen. Die Bundesregierung sieht in diesen Vorgängen eine erfreuliche Entwicklung. Hier sind in der Sowjetunion als unmittelbare Folge der Beschlüsse von Helsinki, gemessen an dem ursprünglichen Zustand, Verbesserungen eingetreten, die durchaus auch im Westen positive Beachtung finden sollten. Die Bundesregierung wird jedoch in enger Abstimmung mit den befreundeten und verbündeten Ländern bemüht sein, auf weitere Erleichterungen im Besucherverkehr zwischen Ost und West hinzuwirken.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, können Sie meine Informationen bestätigen, daß die Sowjetunion bei Besuchsreisen in den Westen die Paßgebühren dann von 300 Rubel auf einen Rubel ermäßigt, wenn es sich um Reisen anläßlich der Beerdigung eines Elternteils oder von Geschwistern handelt, daß es im Falle der Großeltern aber keine gleich großzügige Regelung gibt?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich kann das im einzelnen jetzt hier nicht darlegen, weil ich diese Unterlage nicht vor mir habe. Aber es gibt Härteregelungen für Bezieher niedriger Einkommen, beispielsweise bei materiellen Schwierigkeiten. Mir sind aber keine amtlich mitgeteilten Regelungen bekannt, die bei dem Verwandtschaftsgrad Abstufungen vornehmen. Ich will das gerne nachprüfen.
Im übrigen darf ich darauf verweisen, daß der stellvertretende sowjetische Innenminister Schumilin in einem Interview der Nachrichtenagentur APN im Januar 1976 zu diesen Fragen Stellung genommen hat.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976 16037
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Ich rufe die Frage 77 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Gibt es ernstliche Gründe dafür, der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland die unmittelbare Information über die Peking-Oper Taiwans vorzuenthalten, die mittels der Tournee eines Ensembles aus Taiwan durch eine Anzahl europäischer Städte ermöglicht werden könnte, und wird die Bundesregierung verneinendenfalls den Mitgliedern eines solchen Ensembles Visa für die Bundesrepublik Deutschland erteilen, wenn sie darum nachsuchen?
Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, der Kollege Wischnewski hat bereits auf eine Frage des Herrn Kollegen Rollmann ausgeführt — abgedruckt im Nachtrag zum Stenographischen Bericht über die 165. Sitzung vom 18. April 1975 —, daß den Mitgliedern des Ensembles der chinesischen Nationaloper aus Taiwan für eine Gastspielreise in die Bundesrepublik Deutschland keine Einreisesichtvermerke erteilt werden konnten.
Das Auswärtige Amt vertritt in künstlerischen und kulturellen Angelegenheiten, wie Sie wissen, eine weltoffene Haltung und fördert den internationalen kulturellen Austausch. Das geplante Gastspiel — auch das ist hier ausführlich dargelegt worden, kürzlich erneut in schriftlicher Form — der chinesischen Nationaloper aus Taiwan trägt jedoch betont politische Akzente und stellt eine politische Demonstration dar, hinter der der kulturelle Zweck zurücktritt. Die Erteilung von Einreisesichtvermerken liefe daher außenpolitischen Belangen der Bundesrepublik Deutschland zuwider. Unsere Haltung in dieser Frage liegt, soweit wir unterrichtet sind, auf der gleichen Linie wie die aller unserer EG-Partner.
In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, daß die Bundesrepublik Deutschland diplomatische Beziehungen nur mit der Volksrepublik China, nicht aber mit Taiwan unterhält.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, steht die Bundesregierung mit der von Ihnen gerade dargestellten Weltoffenheit hinter anderen Staaten zurück, die einer solchen Tournee nichts in den Weg legten wie etwa unser Nachbarland Österreich, die Schweiz, Spanien oder vor allem Norwegen, die alle bereit waren, dem Ensemble der Taiwan-Oper Einreisevisa zu gewähren?
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Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Bundesrepublik Deutschland hat ihre auswärtigen Beziehungen zum Maßstab solcher Entscheidungen zu machen. Ihnen wird vielleicht aufgefallen sein — oder auch nicht, das weiß ich nicht —, daß die Staaten der EG alle die gleiche Haltung eingenommen haben. Sie werten die Veranstaltung nämlich als eine politische Demonstration und nicht als eine kulturelle Veranstaltung. Wir haben, wie gesagt, keine diplomatischen Beziehungen zu Taiwan. Wenn andere Staaten zur Volksrepublik China keine Beziehungen haben, aber vielleicht zu Taiwan — ich weiß das bei den von Ihnen genannten Staaten nicht in jedem Fall genau —, dann mag die Sache für sie anders aussehen.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung den Maßstab, den sie hier anwendet, auch bei anderen Ländern anwenden, die sich in politischer Kontroverse mit der Regierung in Peking befinden, und etwa auch Ensembles aus der Sowjetunion künftig keine Einreisevisa mehr gewähren?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, das hat überhaupt nichts miteinander zu tun. Ich bin sicher, daß Ihnen die Lektüre der früheren Protokolle volle Aufklärung zuteil werden lassen wird. Ich darf darauf verweisen, daß im Nachtrag zum Stenographischen Bericht über die 165. Sitzung vom 18. April 1975 ausführlich darauf geantwortet wurde. Ich will es nicht wiederholen. Auch in anderen Fragestunden ist das behandelt worden. Hier ist genau dargelegt worden, wo die feinen, aber wichtigen Unterschiede liegen. Ich kann bei Wiederholungen nicht von, diesen Unterschieden abgehen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Arndt.
Herr Staatsminister Moersch, liegen Ihnen Berichte der deutschen Botschaft in Peking vor, nach denen sich die zahlreichen in Peking besuchenden Mitglieder der CDU und der CSU dort dafür eingesetzt haben, daß die Volksrepublik China ihren Widerstand gegen die Einreise dieser Oper aufgibt?
Moersch, Staatsminister: Ich weiß nicht, ob sich die Gespräche dort auch auf dieses Gebiet erstreckt haben. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß dies Gesprächsgegenstand gewesen ist, vielleicht nur versehentlich, ohne Kenntnis der jetzt gestellten Frage.
Meine Damen und Herren, es gibt offensichtlich eine Reihe von Kollegen, die diesen Vorgang für besonders beachtlich halten. Herr Dr. Althammer, ich gebe Ihnen die Möglichkeit zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, aus welchen Kriterien zieht die Bundesregierung den Schluß, daß es sich hier weniger um eine künstlerische als um eine politische Veranstaltung handelt?
Moersch, Staatsminister: Erstens aus der Namensgebung der Veranstaltung, zweitens aus den Gesamtumständen. Herr Kollege Wischnewski hat damals geantwortet — ich darf es hier wiederholen —:
Es kann jedoch nicht in unserem Interesse liegen, daß die chinesische Problematik, wie dies im vorliegenden Fall von seiten Taiwans versucht wird, auf unserem Boden ausgetragen wird. Mit der Gastspieltournee soll ein Alleinvertretungsanspruch Taiwans dokumentiert werden, was insbesondere auch in der chinesischen Bezeichnung des Ensembles zum Ausdruck kommt.
— Chinesische Nationaloper. Das ist vorhin vorgetragen worden. Das war in der Frage enthalten, Herr Abgeordneter. Der Blick ins Gesetz klärt manche Zweifelsfrage.
Herr Kollege von Fircks, ich sehe, Sie werden nicht müde. Bitte.
Herr Präsident, nachdem die Einladung zu einer Aussprache bei einer Tasse Kaffee, die Sie mir vor einem halben Jahr versprochen haben, bis heute nicht eingegangen ist, blieb ich diesmal hartnäckig.
Herr Staatsminister, ich wollte Sie nur fragen, ob Ihrer ersten Antwort entnommen werden soll, daß Sie alle sonstigen künstlerischen Auftritte von Ensembles aus den Ostblockstaaten als mehr der künstlerischen denn der politischen Zielsetzung dienend ansehen.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, Sie können meinen Antworten entnehmen, daß die chinesische Problematik mit anderen nicht vergleichbar ist und deswegen auch nicht verglichen werden kann.
Meine Damen und Herren, nach diesem interessanten Ausflug in das Gebiet der Chinapolitik unter den verschiedensten Aspekten können wir in der Fragestunde fortfahren.Die Frage 78 des Abgeordneten Dr. Evers wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich .beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 79 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:Ist der Bundesregierungen bekannt, daß Besuchsreisende aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße Rückkehrverpflichtungen unterschreiben müssen, da andernfalls ihre zurückgebliebenen Familien für immer in der Volksrepublik Polen zurückgehalten werden, und wenn ja, was wird sie dagegen unternehmen?Bitte, Herr Staatsminister.
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16040 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, dem Auswärtigen Amt liegen Mitteilungen über die Forderung nach der Unterzeichnung von Rückkehrverpflichtungen bisher nicht vor.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, darf ich Sie dann davon in Kenntnis setzen, daß jemand, der hier zu Besuch weilt, in einem Brief folgendes zu Papier gebracht hat:
Bevor ich meinen Paß erhielt, mußte ich eine Rückkehrverpflichtung unterschreiben, die mich zwingt zurückzufahren; denn ansonsten müßte meine Familie für immer in Polen bleiben.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich darf Sie bitten, uns diesen Vorgang zur Verfügung zu stellen.
Noch
eine Frage, bitte.
Wenn Ihnen dieser Vorgang schriftlich bekannt wird: Halten Sie es für ein gutes Verhalten der polnischen Behörden gegenüber denjenigen, die hier einen Besuch abstatten wollen, daß sie diese Pression ausüben?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich werde darauf eine präzise Antwort geben, wenn ich den Vorgang gesehen habe. Ich will Ihnen sagen, daß wir prinzipiell beabsichtigen, auf Grund konkreter Vorgänge bei der polnischen Regierung vorstellig zu werden.
Ich rufe die Frage 80 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wie erklärt es die Bundesregierung, daß in den zerrissenen Familien die in Ostdeutschland jenseits von Oder und Neiße lebenden Ehefrauen oder Ehemänner mit den Kindern immer noch vier und mehr Jahre auf die Aussiedlung warten müssen, und was gedenkt sie dagegen zu tun?
Moersch, Staatsminister: Zu dieser Frage verweise ich auf das Ausreiseprotokoll, das ausdrücklich die Lösung der in den letzten Jahren entstandenen derartigen Fälle von Familientrennung vorsieht.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist Ihnen aber bekannt, daß, obwohl jetzt mehr Aussiedler zu uns kommen, immer noch sehr, sehr viele Menschen — das geht in die vielen Tausende — warten, deren Familien zerrissen worden sind?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich habe hier Zahlen dargelegt. Ich glaube, die Öffentlichkeit ist auch über diese Vorgänge im einzelnen in den letzten Wochen umfassend unterrichtet worden und weiß, daß es uns gelungen ist, nach der Unterzeichnung des Ausreiseprotokolls und vor dem Inkrafttreten eine große Zahl der Fälle zu lösen, die hier in Rede stehen. Eine Zahl anderer Fälle bedarf aber noch der Lösung. Wir können die Hoffnung haben, daß dies so zügig weitergeht wie seit Oktober.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Kann man erwarten, daß gerade bezüglich dieser zerrissenen Familien Prioritäten gesetzt werden, nachdem die Familien vier, fünf und sechs Jahre gewaltsam auseinandergehalten worden sind?
Moersch, Staatsminister: Dies ist ja ausdrücklich Gegenstand unserer Verhandlungen und Gespräche gewesen. Es ist auch in den Bundestagsprotokollen niedergelegt, daß dies so ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, nachdem in dem Briefwechsel zwischen dem polnischen Außenminister und dem deutschen Außenminister unterstrichen worden ist, daß das Ausreiseprotokoll bereits seit 9. Oktober 1975 wirksam ist, frage ich Sie: Wieviel der über 7 000 getrennten Ehegatten sind inzwischen hier eingetroffen? Herr Schweitzer spricht sogar von 10 000 getrennten Ehegatten.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, da diese Frage nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der eingereichten Frage steht, werde ich das gern einmal nachprüfen. Ich bin der Meinung, ich habe einige Ihrer Fragen in diesem Zusammenhang beantwortet und Ihnen gesagt, daß sich die Botschaft außerstande sieht, eine permanente Statistik dieser Art zu führen. Das ist einfach vom Personalbestand her nicht möglich.
— Meine Damen und Herren, ich habe hier dargelegt, warum das so ist. Es ist Sache des Bundestages, bei den Haushaltsentscheidungen einen solchen Wunsch zu erfüllen. Ich bin mit den Wünschen hier nicht durchgedrungen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sauer.
Herr Staatsminister, können Sie gar keine Zahlen darüber nennen, wieviel Familien getrennt sind?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976 16041
Moersch, Staatsminister: Ich bitte, das im Protokoll nachzusehen. Ich habe genaue Ziffern genannt, die uns vorliegen. Ich möchte noch einmal sagen: Wenn wir keine laufende Statistik von jeder Woche führen, sozusagen eine Fragestundenstatistik von Fragestunde zu Fragestunde, nach dem Zeitmaß etwa eines bestimmten Abgeordneten gemessen, dann heißt das noch lange nicht, daß wir nicht für die Fälle interveniert haben. Anderenfalls hätte nicht im Januar bereits ein Viertel ausreisen können.
Die nächste Frage ist von dem Abgeordneten Spilker eingereicht worden. Ich weiß nicht, Herr Staatsminister, ob Sie die Beantwortung der beiden Fragen verbinden wollen.
Moersch, Staatsminister: Ich möchte das gerne tun.
Der Fragesteller ist wahrscheinlich auch damit einverstanden. Ich rufe also die Fragen 81 und 82 des Abgeordneten Spilker auf:
Hält die Bundesregierung den Boykott der Eisschnellaufweltmeisterschaften in Berlin durch die UdSSR und DDR für vereinbar mit dem Viermächteabkommen sowie mit den von den internationalen Fachverbänden und dem IOC festgesetzten Regeln, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun um sicherzustellen, daß Berlin auch künftig Ort international bedeutsamer Sportwettkämpfe bleibt?
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß das im Viermächteabkommen geregelte Verfahren zur Durchführung von Veranstaltungen in Berlin auf staatlicher Ebene auch für Veranstaltungen auf privatrechtlicher Ebene Anwendung finden muß?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich habe in den Fragestunden des Deutschen Bundestages am 15. Januar, am 22. Januar und am 11. März 1976 — am 11. März war es mein Kollege Wischnewski — ausführlich zu den Einladungsmodalitäten im Zusammenhang mit der Sprintweltmeisterschaft der Eisschnelläufer Stellung genommen. Ich habe dort ebenso ausführlich die Regelung des Viermächteabkommens und die praktische Handhabung durch die Bundesregierung erläutert. Die jetzt gestellten Fragen enthalten keine neuen Gesichtspunkte, so daß ich zur Beantwortung der beiden Fragen bitten darf, die Antworten der Bundesregierung vom 15. Januar, vom 22. Januar und vom 11. März 1976 zur Grundlage zu machen.
Zusammenfassend stelle ich noch einmal fest, daß erstens die Entscheidung über die im Einzelfall anzuwendenden Einladungsmodalitäten in den Händen der zuständigen Sportverbände liegt, denen die Bundesregierung die Gesamtverantwortung nicht abnehmen kann. Zweitens wird die Bundesregierung den Sportverbänden weiterhin empfehlen, die Einladungen zu internationalen Sportveranstaltungen in Berlin entsprechend der Regelung des Viermächteabkommens zu handhaben, d. h. eine Einladung durch den jeweiligen Bundesfachverband und eine zweite Einladung durch den Berliner Unterverband auszusprechen, um sicherzustellen, daß Berlin auch künftig Ort international bedeutsamer Sportwettkämpfe bleibt. Drittens beachtet die Bundesregierung dabei die Selbständigkeit der Sportverbände.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist Ihnen klar, daß Sie mit dieser Antwort nicht die Meinung des Deutschen Sportbundes und der internationalen Föderation treffen?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung muß ihren Standpunkt darstellen. Sie kann nur für den staatlichen Bereich sprechen. Ich habe in den damaligen Fragestunden darauf hingewiesen, daß privatrechtliche Organisationen in der Tat andere Standpunkte einnehmen können. Aber ich kann deswegen nicht von dem Standpunkt abgehen, den die Bundesregierung hier dargelegt hatte, den sie für richtig hält und dessen analoge Anwendung sie als wichtigen Beitrag zu einer reibungslosen Abwicklung solcher Einladungen ansieht.
Zusatzfrage.
Dann sind Sie mit anderen Worten der Meinung, daß die Auslegung des Viermächteabkommens durch die Sowjetunion in diesem Fall falsch war?Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, es handelt sich hier nicht um eine Auslegung des Viermächteabkommens. Ich möchte das ausdrücklich sagen. Das ist ein großer Irrtum. Auch wenn die andere Seite einem solchen Irrtum unterlegen sein sollte, ist es ein Irrtum geblieben. Im Viermächteabkommen ist nämlich der Einladungsmodus für nichtstaatliche Veranstaltungen nicht geregelt, sondern es ist eine Regelung für staatliche Veranstaltungen vorgenommen worden. Wir haben in Gesprächen mit der sowjetischen Seite — ich habe das hier im einzelnen dargestellt und bitte, es noch einmal nachzulesen; dann muß ich es nicht noch einmal vortragen — gemeinsam Feststellungen getroffen, die dann von den Außenministern bestätigt worden sind. Das waren nicht formale Abmachungen über irgend etwas, sondern gegenseitige Erläuterungen, mit denen wir die gegenseitigen Standpunkte zur Kenntnis genommen haben. Wir haben daraufhin den privaten Organisationen, also auch den Sportverbänden, empfohlen, entsprechend den Regelungen für staatliche Veranstaltungen zu verfahren. Es liegt völlig in der Souveränität von internationalen Organisationen, von nationalen Organisationen, von privaten Verbänden, von Sportverbänden, wie sie selbst verfahren wollen. Die Bundesregierung konnte nur mitteilen, sie glaube, daß so, wie sie es mitgeteilt hat, ein reibungsloser Verlauf von Einladungen und Veranstaltungen gewährleistet ist.
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16042 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, dann dürfte es aber doch Ihre Meinung sein, daß die Sowjetunion das Viermächteabkommen in diesem Punkt jedenfalls anders auslegt als Sie.
Moersch, Staatsminister: Ich glaube, eine Nachprüfung des Falles, der in der Anlage 11 der Sitzung des Deutschen Bundestages vom 11. März 1976, also der letzten Woche, in der Antwort auf die Frage Ihres Kollegen Gerlach dargestellt wurde, klärt solche Zweifelsfragen eindeutig. Es ist sicherlich falsch gewesen, zu erwarten, daß der Senat von Berlin zu einer Sportveranstaltung einladen solle. Das ist nirgends vorgesehen, sondern es geht um die Einladung durch Verbände. Das haben wir gesagt. Dies ist auch auf der anderen Seite zur Kenntnis genommen worden. Ich kann nicht ausschließen, daß sich mehrere Stellen irren. Es ist nicht so, daß es, wenn irgend etwas nicht funktioniert, dafür immer nur eine Monokausalität gibt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spilker.
Herr Staatsminister, sind Sie nicht der Meinung, daß uns die Schwierigkeiten, die mit dem Boykott der Sprintweltmeisterschaften durch die Sowjetunion eingetreten sind, erspart geblieben wären, wenn Sie diese Meinung, die Sie hier geäußert haben und die Sie nach meiner Überzeugung in dieser Klarheit hier früher nicht geäußert haben, vorher dem Deutschen Sportbund mitgeteilt hätten?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, es ist sehr schwer, hypothetische Fragen zu beantworten. Aber eines kann außer Zweifel gestellt werden: daß sich die Bundesregierung, ausweislich des Protokolls des Bundestags vom 15. Januar über ihre Antworten auf Fragen von Mitgliedern des Hauses, unter anderem der Frau Kollegin Berger, in keinem Punkt anders verhalten oder ihre Meinung etwa weniger klar dargestellt hat, als ich das heute tue. Die Sportverbände — auch dies habe ich gesagt — sind von uns über unsere Gespräche in Moskau ins Bild gesetzt worden. Wir haben ihnen keine Auflagen zu erteilen, sondern die Sportverbände haben ihre Veranstaltungen in eigener Entscheidung auszurichten und dazu einzuladen. Daran hat sich nichts geändert. Es kann also keine Rede davon sein, daß sie von diesen Gesprächen vom Jahre 1973, die ich hier im Bundestag zitiert habe, nicht Kenntnis gehabt hätten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stücklen.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß der sowjetrussische Sportminister anläßlich des Aufenthalts einer deutschen Parlamentsdelegation in Moskau in einem ähnlichen
Fall, wie er hier zur Debatte steht, ausdrücklich geäußert hat, er sehe keine Schwierigkeiten für einen Austragungsort Berlin?
Moersch, Staatsminister: Warum sollte er Schwierigkeiten gesehen haben? Er ist ganz offensichtlich der gleichen Meinung wie wir, daß solche Veranstaltungen mit Beteiligung von Sportverbänden aus dem Bereich des Warschauer Pakts wiederholt stattgefunden haben. Ich nehme aber an, daß Sie dabei nicht über die Einzelheiten der Einladungsmodalitäten gesprochen haben, denn ich habe festgestellt, daß diese Modalitäten weitgehend unbekannt gewesen sind, auch bei Mitgliedern dieses Hauses, wie ich aus den Fragen entnommen habe.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stücklen.
Herr Staatsminister, wäre es nicht richtig, wenn die Bundesregierung dann, wenn schon solche Zusagen vorliegen, die sicherlich nicht nur gegenüber Parlamentariern gemacht worden sind, auch darauf bestünde, daß solche Veranstaltungen vom Ostblock nicht boykottiert werden können?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, Sie gehen hier, glaube ich, von falschen Voraussetzungen aus. Es hat eine Reihe von Veranstaltungen gegeben, die eben nicht boykottiert worden sind, an der die Ostblockländer also teilgenommen haben. Die Einladungen, die dazu erfolgten, sind offensichtlich in einer Form erfolgt, die die andere Seite für zureichend angesehen hat. Wenn nun ein Sportverband der Meinung war, daß anders verfahren werden könne, ist dies das Risiko dieses Sportverbandes und nicht der Bundesregierung.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatsminister, inwiefern kann Ihr Hinweis auf die Eigenverantwortlichkeit der Sportverbände zutreffen, wenn Sie diesen Sportverbänden hier gleichzeitig Empfehlungen in einer Form geben, die praktisch die volle Verantwortung auf die Sportverbände abschiebt, wenn die Sowjetunion sich querlegt?
Herr Abgeordneter Jäger, es ist nicht möglich, Zusatzfragen zu den hier gegebenen Antworten zu stellen. Die Zusatzfragen müssen sich unmittelbar auf die eingereichten Fragen beziehen.
Ich lasse eine letzte Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Berger zu.
Herr Staatsminister, nachdem mich der Zufall im rechten Augenblick in den Plenarsaal geführt hat, frage ich Sie, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich in gar keiner Weise in der Lage bin, mich von Ihnen als Kronzeugin in Anspruch nehmen zu las-
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Frau Berger
sen, sondern daß ich sogar im Gegenteil dem Auswärtigen Amt wie auch dem Senat von Berlin in dieser Sache eine Reihe von Fehlern und Versäumnissen vorzuhalten habe, die im übrigen von der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin präzise dargelegt worden sind.
Moersch, Staatsminister: Frau Abgeordnete, Ihre Frage beruht, wie ich glaube, auf einem Mißverständnis, das Sie nicht zu verantworten haben; denn Sie sind in einem Augenblick hier hereingekommen, in dem Sie nicht wissen konnten, was der Kollege vorher gefragt hatte.
Er hatte nämlich gefragt, warum die Bundesregierung dies im Plenum nicht deutlich gesagt habe. Daraufhin habe ich gesagt, Sie hätten am 15. Januar eine diesbezügliche Frage gestellt, und darauf habe die Bundesregierung eine deutliche Antwort erteilt.
Die Meinung der Bundesregierung hat sich überhaupt nicht geändert. Die Bundesregierung hat ihre Stellungnahme hier in aller Deutlichkeit abgegeben. Ich habe noch sehr gut in Erinnerung — hier kann ich mich freilich täuschen —, daß bei den Fragestellern der Zusammenhang zwischen staatlichen Einladungen und nichtstaatlichen Einladungen bis zum 15. Januar offensichtlich nicht so klar war, wie er es hoffentlich jetzt ist.
Ich rufe die Frage 84 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Wird die Bundesregierung in den Verhandlungen über ein Kulturabkommen mit der Volksrepublik Polen, so, wie sie es bezüglich der Verhandlungen über den Kulturaustausch mit der Sowjetunion ausführte, dafür Sorge tragen, daß die östlich von Oder und Neiße und im Innern Polens lebenden deutschen Staatsangehörigen und sonstigen Deutschen die volle Teilhabe am Kulturaustausch erhalten, ihre Gleichberechtigung auf allen Gebieten des wirtschaftlichen, staatlichen und kulturellen Lebens gewährleistet und als ein Mittel zur Erleichterung der kulturellen Zusammenarbeit zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland im Sinne der Schlußakte von Helsinki behandelt wird?
Moersch, Staatsminister: Der Kulturaustausch mit der Volksrepublik Polen soll durch ein Kulturabkommen formalisiert werden. In den Verhandlungen über das Kulturabkommen wird die Bundesregierung selbstverständlich darauf achten, daß die Deutschen in Polen von dem zu vereinbarenden Kulturaustausch nicht ausgeschlossen werden. Die Bundesregierung geht dabei davon aus, daß die Deutschen in Polen gleichberechtigt mit den anderen Bewohnern Polens am Kulturaustausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik
Polen teilhaben. Fragen der Gleichberechtigung der Deutschen in Polen auf den Gebieten des wirtschaftlichen • und staatlichen Lebens können nicht Gegenstand der Verhandlungen über ein Kulturabkommen sein. Kulturabkommen sind nach Auffassung der Bundesregierung auch nicht der geeignete Rahmen zur Regelung von Minderheitenfragen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, angesichts dessen, daß Sie am 13. Februar dieses Jahres hier im Hause ausgeführt haben, daß für die sowjetischen Staatsangehörigen deutscher Volkszugehörigkeit in der Sowjetunion die Gleichberechtigung im staatlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben und das "verfassungsmäßig verankerte Recht auf Bildung in der eigenen Muttersprache sowie die Teilhabe an den kulturellen Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland mit dem Kulturaustauschabkommen zusammenhingen, frage ich Sie, ob sich die Bundesrepublik Deutschland dann nicht in noch stärkerem Maße um die 1 Million deutschen Staatsangehörigen in den Oder-Neiße-Gebieten im Zusammenhang mit dem beabsichtigten Kulturabkommen bemühen muß.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich muß auf die eingangs gestellte Frage zurückkommen und darauf verweisen, daß Fragen des Status — auch des kulturellen Status — von Minderheiten in der sowjetischen Verfassung geregelt werden. Die entsprechenden Anordnungen habe ich hier zitiert. Die Volksrepublik Polen hat eine andere Verfassung und eine andere Auffassung hierzu. Dies erklärt, weshalb bestimmte Maßnahmen der Sowjetunion gegenüber bestimmten Volksgruppen im Einzelfall nicht mit dem vergleichbar sind, was unser Verhältnis zu Polen betrifft.
Herr Abgeordneter Dr. Czaja, bevor Sie die zweite Zusatzfrage stellen, möchte ich darauf hinweisen, daß ich Ihnen sehr dankbar wäre, wenn Sie bei der Formulierung freundlicherweise die Richtlinien im Hinblick auf Knappheit und Klarheit beachteten.
Herr Präsident, ich werde mich bemühen, mit besonderer Klarheit den Zusammenhang zwischen der Antwort am 13. Februar 1975 und der Antwort bezüglich der Schlußakte von Helsinki zu formulieren, indem ich Sie noch einmal frage, ob auch deshalb, weil der Bundesaußenminister am 24. September 1974 vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen gesagt hat, daß bereits die Helsinki-Schlußakte für die Menschen eine Reihe konkreter und verbindlicher Zusagen gebracht habe, dazu auch die Zusage und Anerkennung gehört, daß jeder allein oder in Gemeinschaft nach seiner kulturellen Eigenart sich entfalten darf,
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Dr. Czajaund im Kapitel über den Kulturaustausch in Helsinki die verbindliche Anerkennung des Beitrags der nationalen Gruppen bei Kulturbeziehungen geleistet wird.
Herr Abgeordneter Czaja, ich bin sicher, daß diese Zusatzfrage nicht den Erfordernissen der Richtlinien für die Fragestunde entspricht.
Herr Abgeordneter Czaja, das zu entscheiden ist Sache des amtierenden Präsidenten. Wenn der Herr Staatsminister in der Lage ist, diese sehr lange und — erlauben Sie mir den Hinweis — doch umfangreiche Zusatzfrage so zu beantworten, weil das auch eine akustische Frage ist, überlasse ich es ihm. Sonst würde ich Sie bitten, die Frage so zu wiederholen, daß sie den Anforderungen der Richtlinien für die Fragestunde entspricht.
Moersch, Staatsminister: Herr Präsident, ich bin in der Lage, dies zu tun, weil der Herr Kollege Dr. Wittmann eine schriftliche Frage eingereicht hat, die dieses Problem zum Gegenstand hat. Ich darf auf die schriftliche Beantwortung dieser schriftlich eingereichten Frage verweisen.
Gut.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, würde es nach Abschluß eines Kulturabkommens zwischen uns und der Volksrepublik Polen endlich möglich sein, daß in der gleichen Weise, wie hier ständig Polnische Wochen abgehalten werden, in der gleichen Zahl Deutsche Wochen jenseits von Oder und Neiße und in der Volksrepublik Polen abgehalten werden?
Moersch, Staatsminister: Die Verhandlungen über das Abkommen beginnen in einer Woche, Herr Abgeordneter. Wir werden uns bemühen, der Gegenseitigkeit solcher Bemühungen voll Rechnung zu tragen.
Die Frage 85 ist von Herrn Ey eingebracht:
Hat sich auch nach Meinung der Bundesregierung für Berlin das Klima nach der KSZE-Konferenz von Helsinki verschlechtert?
Herr Staatsminister, bitte.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, wenn mit der Frage nach dem Klima zum Ausdruck gebracht werden sollte, daß Sie sich hierbei auf die politische Situation in Berlin nach der KSZE beziehen, so ist zunächst festzuhalten, daß die KSZE keine negativen Auswirkungen auf Berlin gehabt hat. Die KSZE war im übrigen, wie hier schon dargelegt worden ist, keine Konferenz über Berlin, wenngleich Berlin in die Ergebnisse der KSZE voll einbezogen worden ist. Verschiedene Schwierigkeiten, die es in letzter Zeit in bezug auf Berlin gegeben hat, werden von der Bundesregierung ernst genommen, keinesfalls aber als eine generelle Abkehr des von den Teilnehmerstaaten in Helsinki zum Ausdruck gebrachten Willens zum Abbau der Spannungen in Mitteleuropa angesehen. Das Viermächteabkommen, das das Ergebnis einer Konferenz über Berlin war, wirkt trotz gewisser nach wie vor bestehender Schwierigkeiten weiterhin im Sinne einer erheblichen Entschärfung der Lage in und um Berlin.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatsminister, wie beurteilt die Bundesregierung die Auslassungen des Regierenden Bürgermeisters Schütz, wonach sich das Klima nach den KSZE-Verhandlungen erheblich verschlechtert habe?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat diese Frage eben beantwortet. Ich hatte zunächst gestutzt, was „Klima" eigentlich bedeuten soll. Ich darf hinzufügen: Die klimatischen Bedingungen in Berlin sind natürlich eng verbunden mit den gesamtklimatischen Bedingungen in Europa.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung nicht auch mit mir der Meinung, daß zwischen den Hoffnungen, die Sprecher der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition bei den Bundesbürgern im Zusammenhang mit den KSZE-Abmachungen erweckten, und den inzwischen erkennbaren Wirklichkeiten ein riesiger Unterschied klafft?
Moersch, Staatsminister: Nein, Herr Abgeordneter, weil die Bundesregierung in ihren Darstellungen immer sehr realistisch gewesen ist.
Eine Zusatzfrage der Frau Kollegin Berger.
Herr Staatsminister, würden Sie mir als Berliner Abgeordneten bitte die Frage beantworten, ob Sie die Auffassung des Regierenden Bürgermeisters kennen, wonach eine Klimaverschlechterung eingetreten ist, und ob Sie dieser Auffassung beitreten oder ob Sie ihr widersprechen. Aber bitte, ganz klar antworten.Moersch, Staatsminister: Frau Abgeordnete, ich habe versucht, hier eine lange und differenzierte Antwort zu geben. Ich habe festgestellt, daß die
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Staatsminister MoerschKausalität, die in der Frage zum Ausdruck gebracht war, in der Form nicht zutrifft. Ich darf auf die Antwort verweisen, die ich dem Kollegen Ey gegeben habe. Sie schließt alle Möglichkeiten ein, die Sie möglicherweise in Ihrer Frage zum Ausdruck bringen wollten.
Herr Abgeordneter Stücklen, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, sind Sie in der Lage, außer ausweichenden auch konkrete Antworten zu geben?
Moersch, Staatsminister: Ja.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen beantwortet.
Meine Damen und Herren, wir werden uns einmal zusammen mit der Verwaltung überlegen, ob nicht die Möglichkeit besteht — auch über die Datenverarbeitung —, daß Fragestellern bereits früher eingereichte Fragen mit den jeweiligen Antworten zur Verfügung gestellt werden, damit wir den Fragestellern die Sache vielleicht doch etwas erleichtern können.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Buschfort zur Verfügung.
Die Fragen 35 und 36 sind von Herrn Abgeordneten Rollmann eingereicht. Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Trifft es zu, daß die Haft eines polnischen, während des letzten Krieges zur Arbeitsleistung verschleppten Kindes in einem Konzentrationslager nach geltendem Recht nicht als Ersatzzeit für die gesetzliche Rentenversicherung anzusehen ist, wenn die Einlieferung im Jahr 1942 erfolgte, weil das Kind ein nazifeindliches Flugblatt aufgehoben hatte, und wenn ja, wird die Bundesregierung diesen Umstand zum Anlaß nehmen, eine Gesetzesänderung vorzuschlagen?
Herr Präsident, wenn es gestattet ist, würde ich die Fragen 37 und 38 gern gemeinsam beantworten.
Der Fragesteller bittet darum. Ich rufe also auch die Frage 38 auf:
Hält die Bundesregierung eine Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes oder der Reichsversicherungsordnung für erforderlich, um in Zukunft Entscheidungen wie das Urteil 12 RJ 104/75 des Bundessozialgerichts auszuschließen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Arndt, das Bundessozialgericht hatte darüber zu entscheiden, ob der zuständige Versicherungsträger die Anerkennung einer geltend gemachten Ersatzzeit zu Recht abgelehnt hat. Bei dieser Entscheidung kam es darauf an, ob der Geschädigte zum Personenkreis des Bundesentschädigungsgesetzes gehört. Nach der Rechtsprechung zum Bundesentschädigungsgesetz ist das nicht der Fall.
Der Geschädigte gehört aber zu der Gruppe der Nationalgeschädigten, die von den Sonderregelungen des Schlußgesetzes zum Bundesentschädigungsgesetz erfaßt werden. Nach diesen Sonderregelungen erhält er zum Ausgleich seines Schadens eine monatliche Rente von 442 DM, der eine Abfindung in Höhe von 8 700 DM vorausgegangen ist. Im vorliegenden Fall ist daher nicht eine Änderung der Reichsversicherungsordnung das entscheidende Problem, sondern die Auslegung, die § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes durch die Rechtsprechung gefunden hat.
Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, entspricht es den Erfahrungen der Bundesregierung, daß jedermann in Deutschland ohne Rücksicht auf seine Nationalität, der während des Krieges ein britisches Flugblatt aufhob, las oder im Besitz eines solchen Papiers angetroffen wurde, mit der Einlieferung in ein sogenanntes Konzentrationslager, also mit politischer Verfolgung, zu rechnen hatte?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, aus der Sicht der Rentenversicherung kann ich dazu im Moment nicht Stellung nehmen. Das Recht der Sozialversicherung knüpft insoweit lediglich an die Regelung des Bundesentschädigungsgesetzes an. Ich gehe davon aus, daß bei der Beratung über die Entschädigung solcher Sachverhalte die Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus berücksichtigt worden sind.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es jedenfalls dann, wenn die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien eines sogenannten Nationalgeschädigten und eines politisch Verfolgten miteinander in Konkurrenz treten, rechtswidrig ist, den Betroffenen von den gesetzlich für eine Kategorie vorgesehenen Vergünstigungen auszuschließen, so daß das Urteil des Bundessozialgerichts falsch ist und gegen das Prinzip verstößt, daß Widerstand gegen das Hitler-Regime nach unserer Rechtsordnung rechtmäßig war?
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Herr Abgeordneter, so berechtigt die Zusatzfrage sein mag, ist sie im gleichen Sinne wie die Frage des Herrn Abgeordneten Czaja nicht im Sinne der Richtlinien der Fragestunde. — Herr Staatssekretär.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es steht Ihnen frei, diese Formulierung zu wählen. Mir steht es von seiten der Bundesregierung nicht zu, dieses höchste Gericht zu kritisieren.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß infolgedessen Gesetzesänderungen nicht erforderlich sind, sondern nur eine dem Geist des Grundgesetzes und der geltenden Wiedergutmachungsgesetze entsprechende Rechtsauslegung durch unsere obersten Bundesgerichte?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Grundsätzlich kann ich bestätigen, daß sowohl das Recht der Sozialversicherung als natürlich auch das Bundesentschädigungsrecht dem Prinzip der Wiedergutmachung Rechnung trägt.
Sie haben eine letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung unter diesen Umständen Verständnis dafür, daß das Urteil des Bundessozialgerichts in der deutschen Publizistik — ich nenne hier nur Peter Bender im Westdeutschen Rundfunk und Peter Grubbe in „Stern", „Frankfurter Rundschau" und anderen Zeitungen — empörte Ablehnung erfahren hat?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Arndt, ich habe Verständnis dafür, daß Journalisten auch die Urteile oberster Bundesgerichte kritisieren. Aber auch hier würde ich sagen: Es steht mir nicht zu, in der Fragestunde diese Kritik der Journalisten aufzugreifen oder sie zu bewerten.
Herr Abgeordneter Czaja, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung aufgefallen, daß die Zahl der positiven Entscheidungen in diesen Fällen außerordentlich gering ist?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Czaja, ich habe zu Ihrer Frage kein Zahlenmaterial vorliegen. Ich kann also das, was Sie gerade gesagt haben, weder bestätigen noch verneinen.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Maucher.
Herr Staatssekretär, wir billigen Ihnen zwar zu, daß Sie das Bundessozialgericht nicht kritisieren, aber ich frage Sie: Ist die Regierung bereit, in irgendeiner Form die Konsequenzen daraus zu ziehen, um eine Änderung zu erreichen?
Buschfort, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege Maucher, diese Frage müßten Sie dann dem Finanzminister stellen. Die Reichsversicherungsordnung ist für eine etwaige Rechtsänderung nicht der richtige Platz. Es steht Ihnen frei, wieder eine entsprechende Frage einzureichen. Ich kann hier nicht für den Finanzminister antworten.
Bitte, Herr Maucher, Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben gesagt, ich sollte mich doch an den Finanzminister richten. Aber wir richten doch die Frage an die Bundesregierung, und sie geht dahin: Ist das Bundesarbeitsministerium bereit, dann den Bundesfinanzminister entsprechend zu unterrichten und zu beeinflussen, damit eine solche Änderungsmöglichkeit in Aussicht gestellt wird?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Maucher, das Bundesentschädigungsgesetz fällt eben in das Ressort des Finanzministers. Ich gehe davon aus, daß der Finanzminister und die dort beschäftigten Beamten all das lesen werden, was wir heute hier besprochen haben. Aber die Frage des Kollegen Arndt hatte eine andere Richtung. Von daher kann ich natürlich, wenn Sie jetzt den Fragenkomplex ausweiten, auf die Bereiche, die dem Finanzministerium zuzuordnen sind, nicht eingehen.
Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, daß der Herr Staatssekretär die Sache zum Anlaß nimmt, um einmal grundsätzliche rechtspolitische Überlegungen darüber zum Zuge kommen zu lassen,
in welchem Umfang hier etwas geschehen muß. Ich hoffe, daß dann alle Ressorts bereit sind, ihren Beitrag zu leisten.Ich rufe die Frage 83 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:Trifft es zu, daß Verbalnoten zum Inkrafttreten des Übereinkommens 19 zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland ausgetauscht worden sind, die die deutschen Sozialversicherungsträger zu einer an sich unbekannten, aber wahrscheinlich sehr hohen Zahl von deutschen Unfall-Exportrenten, auch rückwirkend, in die Gebiete jenseits von Oder und Neiße nach Polen verpflichten, und wenn ja, warum verschweigt nunmehr das Bundespresse- und -informationsamt — nach dem vorherigen Schweigen der Bundesregierung in der „Unterrichtung" des Parlaments und im „Bulletin" — sogar in der „Dokumentation der deutschpolnischen Vereinbarungen" der deutschen Öffentlichkeit und dem Parlament den Austausch der Verbalnoten?
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Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Czaja, die von Ihnen genannten Verbalnoten wurden am 7. Oktober 1975 in Warschau zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen ausgetauscht. Dieser Vorgang ist von der Bundesregierung oder dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung keineswegs verschwiegen worden. Auf Seite 16 der von Ihnen angesprochenen Dokumentation über die deutsch-polnischen Vereinbarungen ist ein ausdrücklicher Hinweis auf diesen Notenwechsel enthalten. Denselben Hinweis enthält das „Bulletin" Nr. 121 vom 10. Oktober 1975 auf Seite 1196.Das Abkommen selbst enthält in Art. 15 Abs. 3 einen Hinweis auf das Übereinkommen Nr. 19. In der Denkschrift zum Abkommen und zur Vereinbarung wird auf Seite 17 der Bundestagsdrucksache 7/4310 ihr Inhalt nahezu wörtlich wiedergegeben.Ferner wurde der Notenwechsel in den Beratungen der Bundestagsausschüsse, vor allem des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung, am 28. Januar 1976 erörtert. Auf Seite 32 des Protokolls darf ich Bezug nehmen. Ferner wurde der Notenwechsel allen Arbeitsministern und Senatoren für Arbeit der Länder und den zuständigen Sozialversicherungsträgern noch im November 1975 übermittelt.
Eine Zusatzfrage.
Warum, Herr Staatssekretär, sind diese Verbalnoten, die doch weitreichende finanzielle Forderungen nach Zahlungen für Unfall-Exportrenten aus der Bundesrepublik haben, nicht dem gesamten Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht und in der Information des Presse- und Informationsamtes sowie in der Unterrichtung auf Drucksache 7/4184 in vollem Wortlaut abgedruckt worden wie die anderen Abkommen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Czaja, ich habe gerade darauf hingewiesen, daß dieser Text u. a. fast wörtlich in der von mir genannten Bundestagsdrucksache wiedergegeben worden ist. Sie hätten nur Gelegenheit nehmen müssen, sich diese Drucksache einmal anzusehen.
Sie haben noch eine letzte Zusatzfrage.
Gibt es, Herr Staatssekretär, Schätzungen über die Zahl und die Höhe der infolge dieser Verbalnoten aus der Bundesrepublik zu zahlenden Exportrenten, und wurden Um- und Anrechnungsvorschriften darüber vereinbart, die sie den Betroffenen nachhaltig zugute kommen lassen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Czaja, Schätzungen über die Auswirkungen des Übereinkommens 19 gibt es nicht. Aber ich möchte bei dieser Gelegenheit doch gern noch einmal darauf hinweisen, daß der Austausch der Verbalnoten jetzt vorgenommen wurde, nachdem der Bundeskanzler Adenauer bereits am 12. Juni 1951 eine entsprechende Erklärung abgegeben hatte. Diese haben wir jetzt vollzogen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt .
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß eine Verbalnote, die den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu einem multilateralen Abkommen erklärt, keine deutschpolnische Vereinbarung ist und infolgedessen gar nicht in die Aufzählung hineingehörte?
Herr Kollege Arndt, die Frage steht meines Erachtens nicht in dem von den Richtlinien über die Fragestunde geforderten unmittelbaren Zusammenhang mit der Hauptfrage.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Schmidt zur Verfügung.
Der Herr Abgeordnete Biehle bittet um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Frage 39. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 40 des Abgeordneten Reiser auf :
Trifft es zu, daß ein Aufklärungsflugzeug der Bundesmarine über der Ostsee von übenden Seestreitkräften der DDR beschossen wurde, nachdem dieser Eindruck durch ein Massen- und Sensationsblatt durch den Artikel „Wie unsere Marine den Russen in den Schornstein sieht" erweckt wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Reiser, Ihre Frage, ob ein Flugzeug der Bundesmarine von DDR-Kriegsschiffen über der Ostsee beschossen wurde, beantworte ich mit Nein.
Eine Zusatzfrage.
Können Sie bestätigen, Herr Staatssekretär, daß eine derartige emotionale und ungenaue Berichterstattung, wie sie von diesem Sensationsblatt bevorzugt wird, dazu noch im militärischen Bereich, nicht dazu dienen kann, Leser vorurteilsfrei zu informieren?
Schmidt, Parl. Staatssekretär: Diese Meinung würde zu bestätigen sein. Wir möchten gerade nicht, daß die Bundeswehr mit Sensationsmeldungen, die im übrigen für den normalen Leser nicht nachkontrollierbar sind, in Verbindung gebracht wird.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
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16048 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß gerade in Ihrem Amtsbereich — ich erinnere an eine Frage von mir im letzten Jahr — schon mehrmals Meldungen oder Artikel dieses Sensationsblattes dementiert werden mußten?
Schmidt, Parl. Staatssekretär: Ja, das kann ich bestätigen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung diesen Vorfall zum Anlaß nehmen, in Zukunft bei der Erteilung von Mitfluggenehmigungen in Bundeswehrluftfahrzeugen darauf zu achten, daß die Auswahl von Journalisten, denen eine solche Mitfluggenehmigung erteilt wird, sorgfältiger vorgenommen wird und die Genehmigung nicht an solche geht, die die Gelegenheit benutzen, in scharfmacherischem Schwulst über ihre Erfahrungen zu berichten?
Herr Abgeordneter Hansen, ich lasse diese Zusatzfrage nicht zu.
Herr Abgeordneter von Fircks zu einer letzten Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir bestätigen, daß die Meldung in der Zeitung keineswegs so war, wie sie jetzt hier dargestellt wird, sondern daß die Meldung dahin ging, daß der Pilot sagte: „Die schießen, dabei würden wir uns auch nicht gerne zusehen lassen", was darauf hindeutet, daß die ein Zielübungsschießen durchführten, und daß keineswegs die Rede davon war, daß das Flugzeug beschossen wurde?
Schmidt, Parl. Staatssekretär: Ich habe mir die Meldung sehr genau durchgelesen, Herr Kollege von Fircks, und habe aus dieser Meldung das herausgelesen, was Sie jetzt sagen. Ich habe aber auch von anderen Bürgern — nicht nur von Kollegen — gehört, daß es von ihnen nicht so eindeutig verstanden worden ist. Es wäre also sehr gut, zu empfehlen, solche Aussagen sehr eindeutig zu machen.
Meine Damen und Herren, beim Lesen von Zeitungsaufsätzen geht es wie beim Hören von Reden. Man kann Verschiedenes herauslesen bzw. heraushören.
Ich rufe die nächste Frage, die Frage 41 des Abgeordneten Jäger , auf:
Treffen Pressemeldungen über konkrete Angriffsplanungen der DDR und des Warschauer Pakts gegen die Bundesrepublik Deutschland zu , und wie beurteilt die Bundesregierung diese Planungen?
Herr Staatssekretär.
Schmidt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, Pressemeldungen über Angriffsplanungen der DDR und des Warschauer Pakts gegen die Bundesrepublik Deutschland, wie sie zuletzt in der „Quick" vom 11. März 1976 veröffentlicht wurden, treffen nicht zu. In diesen Meldungen werden vielmehr auf unzulässige Art und Weise zum Teil wahre Erkenntnisse mit nur halbwahren oder falschen Behauptungen vermischt, um etwas zu beweisen, was nicht existiert.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie vereinbart sich Ihre Antwort mit der Tatsache, daß der Verteidigungsminister der DDR beim 20. Jahrestag der „Nationalen Volksarmee" wörtlich erklärte:
Unsere Divisionen sind fähig, erfolgreiche, zügige und weiträumige Kampfhandlungen auch unter den schwierigsten Bedingungen voranzutragen.
Schmidt, Parl. Staatssekretär: Natürlich, genau wie wir immer wieder erklären: Unsere Divisionen sind fähig und auch in der Lage, jedem Gegner ein un-kalkulierbares Risiko aufzuerlegen, der uns angreifen will. Jeder Verteidigungsminister sagt entsprechend der Doktrin in seinem Bündnis das eine oder andere. Ich meine, wir sollten unsere Festlegung nicht aus den Zeitungen nehmen.
Herr Abgeordneter Jäger, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Trifft es zu, Herr Staatssekretär, daß in engstem Zusammenhang damit die Äußerung des früheren Inspekteurs der Luftwaffe, des Generals Steinhoff, vor wenigen Tagen in der „Welt" gesehen werden muß, der dort erklärt:Die sowjetische Militärmaschine auf der Ostseite des Eisernen Vorhanges ist ebenso eindeutig auf den schnellen, offensiven Vorstoß eingerichtet, daß die NATO-Alliierten dem Adäquates gegenüberstellen müssen.Schmidt, Parl. Staatssekretär: Das hat zwar mit dieser Frage nichts zu tun; ich bin aber gerne bereit, hier dazu Stellung zu nehmen.Wir haben allerdings General Steinhoff, der ja der erste Soldat im Bündnis war, zu seiner Zeit sich nie in dieser Weise äußern gehört.
Jetzt nach einer bestimmten Zeit wird es genau imGegensatz dazu getan, und zwar in Zeitungen und
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976 16049
Parl. Staatssekretär Schmidtsicher auch in seinem Buch, das dieser Tage herausgekommen ist. Ich meine jedenfalls: Die Meinung eines einzelnen kann nicht dafür stehen, was das Bündnis will, und auch nicht dafür stehen, was andere wollen.
Nach dem Stand der Fragestunde rufe ich die nächste Frage, die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Gansel auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung Lagerung und Handel von Napalmbomben in der Bundesrepublik Deutschland, und wie kann sie sie kontrollieren und unterbinden?
— Herr Abgeordneter Jäger, das müssen Sie schon dem amtierenden Präsidenten überlassen. — Bitte.
Schmidt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, im Rahmen des NATO-Bündnisses bevorratet die Bundeswehr bei der Teilstreitkraft Luftwaffe Napalmbehälter. Die Bevorratungshöhe dieser Behälter ist von der NATO vorgegeben. Es ist also eine Vereinbarung, die innerhalb der NATO getroffen ist. Die festgelegte Bevorratungshöhe ist zur Zeit erreicht. Das heißt, es gibt keine Überbevorratung von Napalmbehältern im Bereich der Bundeswehr.
Um die oft in der Öffentlichkeit bestehenden und zum Teil nicht zutreffenden Vorstellungen richtigzustellen, gestatten Sie mir, daß ich zu der Waffe selbst einige Erläuterungen gebe.
Eine Napalmbombe besteht aus einem Napalmbehälter — dies ist ein aerodynamisch geformter zylindrischer Metallbehälter mit dünner Wandung —, einem Zünder, der beim Aufschlag die Bombe zündet, und der Napalmfüllung. Die Napalmfüllung besteht aus einer Mischung von Düsenkraftstoff und einem Verdicker. Ich sage das, weil das nicht geheim ist. Die Mischung wird in einem Napalmmischgerät hergestellt und in den Behälter eingefüllt.
Im Frieden gibt es keine einsatzbereiten Napalmbomben zu anderen als Übungszwecken. Lediglich für Ausbildungszwecke werden Napalmbomben auf besonders dafür zugelassenen Abwurfplätzen in beschränktem Umfang geworfen.
Napalmbehälter, Zünder, Verdicker sowie der Düsenkraftstoff werden auf Grund der Eigenart der Konstruktion getrennt gelagert. Die Behälter lagern auf besonderen Lagerflächen bei den Einsatzverbänden oder in Depots der Luftwaffe, die Zünder liegen in den Munitionsniederlagen auf den Einsatzplätzen oder in den Munitionsdepots der Luftwaffe, der Verdicker ist wiederum an anderer Stelle gelagert. Schließlich befindet sich der Düsenkraftstoff in den Unterflurtanklagern der Einsatzverbände oder in Kraft- und Schmierstofflagern der Luftwaffendepots. Schon auf Grund der räumlichen Trennung der einzelnen Komponenten an vier verschiedenen Stellen ist eine wie auch immer geartete unbefugte Inbesitznahme fast unmöglich. Darüber hinaus sind alle Komponenten in bewachten militärischen Bereichen gelagert, und sie unterliegen einer laufenden Bestandsprüfung. Es kann festgestellt werden, daß die Lagerung von Napalmbehältern und der anderen Zubehörteile kontrollierbar ist und sie auch laufend kontrolliert wird.
Die Napalmbehälter sind keine deutsche Fertigung. Sie wurden in den USA und in Holland beschafft. Der Zünder und das Verdickungsmittel sind aus US-Fertigungen beschafft. Lediglich das Mischgerät ist eine nationale Entwicklung und Fertigung.
Bisher wurden aus den Beständen der Bundeswehr keine Napalmbehälter verkauft. Wegen aufgetretener technischer Mängel, nämlich Korrosion, wurden lediglich wenige Napalmbehälter — maximal etwa 50 — ausgesondert. Sie wurden aber im militärischen Bereich vernichtet und scheiden somit für einen Verkauf aus. — Zeitungsmeldungen mit anderem Inhalt entbehren einer sachlichen Grundlage. Auch in Zukunft wird die Bundeswehr auszusondernde Napalmbehälter vernichten oder im Rahmen der NATO-Planung ausschließlich an NATO-Partner abgeben. Das gleiche gilt auch für Zünder und Verdicker. Dadurch ist sichergestellt, daß ein Handel — darum geht es ja — mit bundeswehreigenen Napalmbehältern, Zündern und Verdickern völlig ausgeschlossen ist.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da meine Frage im Zusammenhang mit einer anderen Frage gestellt worden war, die gestern durch das Wirtschaftsministerium beantwortet wurde, und im Zusammenhang mit einem Strafverfahren stand, in dem von dem Handel eines deutschen Unternehmens mit Napalmbomben die Rede war, frage ich Sie in Anbetracht Ihrer Ausführungen über die sorgfältige Lagerung von Napalm, ob Sie es für außerordentlich gemeingefährlich halten würden, wenn ein privates Unternehmen mit Napalmbomben Handel triebe.
Schmidt, Parl. Staatssekretär: Ja, das wäre gemeingefährlich. Es ist aber völlig ausgeschlossen, daß das mit Material aus unseren Beständen möglich ist.
Ich lasse von Ihnen noch eine letzte Zusatzfrage zu, sofern Sie noch eine haben.
Herr Staatssekretär, ist nach diesen Ausführungen das Ministerium bereit, mit einer Waffenhandelsfirma zusammenzuarbeiten und ihr z. B. andere Waffen aus alten Bundeswehrbeständen zu überlassen, die international im Handel mit Napalmbomben tätig ist, und ihr z. B. andere Waffen aus alten Bundeswehrbeständen zu überlassen?Schmidt, Parl. Staatssekretär: Nein, dazu ist das Verteidigungsministerium nie bereit. Das Verteidigungsministerium hat mit privaten Firmen überhaupt keine Verbindung. Soweit Waffen auszuson-
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Parl. Staatssekretär Schmidtdern sind, vor allen Dingen, wenn Fahrzeuge auszusondern sind, wurde dafür eine eigene Gesellschaft gegründet, die VEBEG, die dann den Handel treibt.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Jung zur Verfügung. Die Herren Abgeordneten Braun und Dr. Luda haben um schriftliche Beantwortung ihrer Fragen 43 bzw. 44 und 45 gebeten. Dem wird entsprochen; die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 46 des Herrn Abgeordneten Scheffler auf:
Wird die Bundesregierung sicherstellen, daß bei der beabsichtigten Neuordnung des Luftraumes über der Bundesrepublik Deutschland auch die Interessen der Sportfliegerei angemessen und langfristig gesichert sind?
Sollen die beiden Fragen des Abgeordneten Scheffler gemeinsam beantwortet werden, Herr Staatssekretär?
Nein, Herr Präsident, ich werde die Fragen einzeln beantworten.
Gut, Sie wollen die Fragen einzeln beantworten. Bitte, Herr Staatssekretär.
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Scheffler, ich kann Ihre Frage uneingeschränkt bejahen. Die Belange aller Luftraumnutzer, auch und insbesondere die der Sportfliegerei, werden angemessen berücksichtigt.
Zusatz frage.
Herr Staatssekretär, geht die Bundesregierung bei der Beurteilung der Situation davon aus, daß die Sporttreibenden dieser Sportart nicht einen Privilegiertensport betreiben, sondern eine ähnliche Sozialstruktur aufweisen wie die übrigen sporttreibenden Vereine auch?
Jung, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege, die Bundesregierung geht davon aus.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Überlegungen dazu angestellt, daß bei enger Auslegung der Vorschrift über das Tiefflugband eine Verdichtung des Flugbetriebes an Wochenenden und damit zwangsläufig eine erhöhte Lärmbelästigung eintreten muß, die zu Abwehrreaktionen der besonders betroffenen Bevölkerung führen kann?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Ihre Frage unterstellt, daß das Tiefflugband an Wochentagen nicht durchlässig ist. Insofern ist die Frage so nicht berechtigt, weil ja, wie Sie mittlerweile auch wissen, dieses Tiefflugband durchlässig ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe die Frage 47 des Abgeordneten Scheffler auf:
Ist nach Meinung der Bundesregierung die Darstellung des Deutschen Aero-Clubs zutreffend, daß mit der Verwirklichung der Neuordnungspläne für den Luftraum die Ausbildung und Ausübung des Flugsports substantiell gefährdet ist, und wenn ja, wird die Bundesregierung bei eventuellen Maßnahmen die sen Aspekt berücksichtigen?
Herr Staatssekretär.
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, durch die beabsichtigte Neugliederung des Luftraums wird die Ausübung des Flugsports nicht gefährdet. Alle zu ergreifenden Maßnahmen wurden und werden in enger Zusammenarbeit mit den obersten Luftfahrtbehörden der Länder, dem Deutschen Aero-Club und sonstigen Betroffenen entwickelt. Dies gilt auch für den Vorschlag der Luftwaffe, einen Bereich zwischen 800 und 1700 Fuß über Grund grundsätzlich vom zivilen Luftverkehr freizuhalten. Es ist bedauerlich, daß durch zum Teil irreführende Äußerungen und Verlautbarungen von dritter Seite in Teilen der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist, daß hierdurch die Belange der allgemeinen Luftfahrt in unzumutbarer Weise beeinträchtigt würden. Dieser falsche Eindruck konnte in einer Besprechung am 10. März 1976 mit den Fachverbänden aufgeklärt werden. Eine entsprechende Klarstellung in der Fachpresse durch den Deutschen Aero-Club ist zugesagt.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung auch in Zukunft bereit sein wird, den Flugsport in der gewohnten Weise zu fördern, weil dieser Sport in der Bundesrepublik und darüber hinaus eine Geltung wie kaum eine andere Sportart erlangt hat?
Jung, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege, davon können Sie ausgehen.
Ich rufe die Frage 48 des Herrn Abgeordneten Westphal auf:Trifft es zu, daß die Bundesregierung zur Verbesserung der Luftraumüberwachung Regelungen vorbereitet, die den Luftraum zwischen 240 m und 580 m Höhe während der Wochentage für Tiefflugübungen der Bundeswehr vorbehalten und somit für Segelflugzeuge und Motorflugzeuge sperren?Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Westphal, es werden zur Zeit Überlegungen angestellt, wie
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Parl. Staatssekretär Jungeine Regelung zur Erhöhung der Sicherheit in den unteren Flughöhen gefunden werden kann, die sowohl den militärischen Erfordernissen des Tagtieffluges als auch den Belangen des zivilen Flugbetriebs in diesem Bereich Rechnung trägt. Diese Regelung soll in Zusammenarbeit mit dem Bundesverteidigungsministerium, den obersten Luftfahrtbehörden der Länder, dem Deutschen Aero-Club und sonstigen Betroffenen entwickelt werden. Vom Deutschen Aero-Club wird auf Anregung des Bundesverkehrsministers zur Zeit eine Aktion mit dem Ziel durchgeführt, eine möglichst weitgehende Trennung des zivilen Luftverkehrs und des militärischen Tiefflugbetriebs auf freiwilliger Basis zu erreichen. Die hierbei gewonnenen Erfahrungen werden bei der endgültigen Regelung berücksichtigt.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, bedeutet Ihre Antwort, daß die Äußerungen des Inspekteurs der Luftwaffe, Herrn Generalleutnant Limberg, die in einem Zeitungsbericht am 24. Januar 1976 wiedergegeben wurden und die bei den Sportfliegern erhebliche Unruhe verursachten, hierdurch inhaltlich positiv korrigiert werden?
Jung, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege. Ich habe bereits in der Antwort auf die Zusatzfrage von Herrn Kollegen Scheffler und auch in der Antwort an Sie darauf verwiesen, daß durch diese Äußerungen der irrtümliche Eindruck entstanden ist, daß das jetzt ja schon vorhandene Tiefflugband für den zivilen Flugverkehr nicht durchlässig sei. Die Regelungen für die Zukunft sollen allerdings dazu führen, daß dieses Tiefflugband nach Möglichkeit, so schnell es geht, durchstoßen und von den zivilen Fliegern verlassen wird.
Sie haben eine zweite Zusatzfrage.
Darauf bezieht sich meine zweite Zusatzfrage, Herr Staatssekretär. Ich weiß, daß Sie ein aktiver Segelflieger von beachtlichem Können sind, und deshalb möchte ich gern von Ihnen wissen: Gibt es Überlegungen, und wie sehen diese aus, wie das Durchqueren der Strahlflugzeugen der Bundeswehr an Wochentagen vorbehaltenen Tiefflugzone durch zivile Motor- oder Segelflugzeuge, das aus Betriebs- und Wettergründen notwendig wird, so geregelt werden kann, daß es mit der erforderlichen Flugsicherheit vereinbar ist?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, zunächst einmal darf ich feststellen, daß nach dieser Regelung das Fliegen innerhalb dieser Zone für zivile Flugzeuge, insbesondere für Segelflugzeuge, möglich ist, wenn es aus Betriebs- oder Wettergründen notwendig wird. Das ist die eine Seite.
Zum anderen ist der Bereich zwischen 500 und 1 500 bzw. 800 und 1 700 Fuß im Grunde nicht für den Leistungsflug geeignet. Gerade die Segelflieger bewegen sich in anderen Höhen, so daß die Benutzung dieses Bandes durch die Militärs von Montag bis Freitag keine wesentliche Beeinträchtigung gegenüber der jetzigen Situation darstellt, weil diese Situation bisher schon bestand.
Ich rufe die Frage 49 des Herrn Abgeordneten Westphal auf:
Bedeutet diese geplante Regelung, daß größere Segelflugwettbewerbe, die sich erfahrungsgemäß über ein bis zwei Wochen mit täglichen Flügen erstrecken, im Luftraum der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr möglich sein werden, oder sind genügend große Gebiete von der geplanten militärischen Tiefflugregelung ausgenommen, um nationale und internationale Segelflugwettbewerbe sowie Übungsflüge von Segelfliegerschulen an Wochentagen weiterhin zu ermöglichen?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Westphal, die Planungen zur Neugliederung des Luftraums im Tiefflugbereich sind noch nicht abgeschlossen. Wie auch immer ein zukünftiges Tiefflugband aussehen wird, die Durchlässigkeit für die zivile Luftfahrt wird erhalten bleiben, so daß auch in Zukunft Segelflugwettbewerbe sowie Übungsflüge von Segelfliegerschulen und Leistungsflüge an Wochentagen durchgeführt werden können.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung in diesem Zusammenhang bereit, in das weitere Verfahren den Deutschen Aero-Club und andere Betroffene des Motor- und Segelflugsportbereichs als Ratgeber einzuschalten ...
Fragezeichen, Herr Kollege! Das ist die erste Zusatzfrage.
..., und wie wird das aussehen? So wollte ich fragen.
Das ist schon die zweite.
Jung, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege. Die Bundesregierung hat dies in den letzten Wochen wiederholt getan und wir auch in Zukunft — so ist es verabredet — mit dem Deutschen Aero-Club in dieser Frage zusammenarbeiten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Wir fahren fort. Die Frage 50 ist vom Herrn Abgeordneten Spranger eingereicht worden:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die bekanntgewordenen Stillegungspläne der Deutschen Bundesbahn allen Bemühungen um Strukturverbesserungen im westmittelfränkischen Raum zuwiderlaufen, und was wird die Bundesregierung tun, um die zunehmende Verunsicherung der Bevölkerung Westmittelfrankens durch ständig neue leistungsmindernde Pläne der Deutschen Bundesbahn zu verhindern?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich darf darum bitten, daß die beiden Fragen zusammen beantwortet werden dürfen.
Die Zahl Ihrer Zusatzfragen wird nicht verkürzt, Herr Ab-
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Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
geordneter. Die beiden Fragen werden verbunden beantwortet. Ich rufe also noch die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Spranger auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die in bezug auf Westmittelfranken bekanntgewordenen Stillegungspläne der Deutschen Bundesbahn ein Gebiet betreffen, dessen Straßenverkehrsnetz nicht im entferntesten in der Lage ist, den Rückzug der Deutschen Bundesbahn aus diesem Gebiet in der geplanten Form aufzufangen, und wenn ja, welche Konsequenzen wird sie zur Aufrechterhaltung des Warenverkehrs der Industrie und des Gewerbes daraus ziehen?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Spranger, die Deutsche Bundesbahn hat keine Stillegungspläne vorgelegt, sondern einen Ergebnisbericht zu ihren Untersuchungen über ein betriebswirtschaftlich optimales Streckennetz. Dieser Bericht sagt nichts über ein künftiges, volkswirtschaftlich notwendiges Schienennetz aus.
Das gesamtwirtschaftliche Netz wird erst noch nach verkehrlichen, regionalen und strukturwirtschaftlichen Bedürfnissen von einem interministeriellen Staatssekretärsarbeitskreis erarbeitet und dann zur Diskussion gestellt. Eine Diskussion über einzelne Streckenabschnitte oder Strecken in einzelnen Regionen vor Abschluß der angelaufenen Untersuchungen ist daher verfrüht und erzeugt nur unnötige Verunsicherungen. Somit sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch keine Aussagen zum westmittelfränkischen Raum, wie sie in Ihren Fragen enthalten sind, möglich.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß auch nur Andeutungen in diese Richtung ohne ein klares und eindeutiges Dementi der Bundesregierung zu einer Verunsicherung in diesem Gebiet führen und daß die wirtschaftliche, soziale und schulische Entwicklung vieler Gemeinden dadurch beeinträchtigt würde?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Spranger, ich hoffe, daß dieser Verunsicherung draußen in der Bevölkerung durch die Klarstellung, die ich soeben durch die Beantwortung Ihrer Fragen vorgenommen habe, der Boden entzogen wird.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß weitere Streckenstilllegungen im westmittelfränkischen Raum zu einer sozialen und auch humanen Verödung dieser ländlichen Gebiete einfach deswegen führen werden, weil die Vielzahl der Bürger keine Möglichkeit hat, auf andere Verkehrsmittel umzusteigen?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Spranger, ich darf noch einmal wiederholen, daß es sich bei diesem betriebswirtschaftlich optimalen Netz nicht um einen Streckenstillegungsplan handelt wie z. B. bei den vorangegangenen Streckenstillegungen nach dem Leber-Plan, der ja, wie Sie wissen, 5 000 km umfaßte.
Ich darf Ihre Frage noch einmal konkret dahin gehend beantworten, daß zu diesen Fragen nicht nur der Staatssekretärsausschuß, sondern darüber hinaus auch die Länder, Verbände, Industrie- und Handelskammern und Gewerkschaften auch unter den Gesichtspunkten der jeweiligen Region gehört werden, so daß die Befürchtungen, die Sie äußern, bei der endgültigen Entscheidung selbstverständlich gewürdigt werden.
Herr Kollege, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich danach davon ausgehen, daß die Bundesregierung bei ihren weiteren Entscheidungen berücksichtigen wird, daß weitere Streckenstillegungen unmittelbar Tausende von Schülern, Studenten, Arbeitnehmern und Rentnern beträfen?
Jung, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege, Sie können davon ausgehen, daß die Bundesregierung bei ihren endgültigen Entscheidungen alle diese Probleme berücksichtigen wird.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spranger.
— Herr Abgeordneter Lemmrich, hier sitzt eine Reihe von Kollegen, die seit einer Stunde auf die Beantwortung ihrer Fragen warten. Da Sie erst jetzt in den Saal gekommen sind und eine Zusatzfrage stellen wollen, darf ich Ihnen sagen, daß ich in der kurzen noch verbleibenden Zeit die Abwicklung der Fragestunde so ermöglichen will, daß diese Fragesteller, die auf ihre Antwort warten, das nicht vergeblich tun.
Herr Staatssekretär, warum hat die Bundesregierung auf die Pläne der Deutschen Bundesbahn nicht mit dem Konzept geantwortet, die Verschuldung der Deutschen Bundesbahn statt mit Streckenstillegungen mit einer Rationalisierung in der Hauptverwaltung und in den Bundesbahndirektionen aufzufangen?Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Spranger, es ist ja so, daß die Bundesregierung der Deutschen Bundesbahn Zielvorgaben gegeben hat und daß die Deutsche Bundesbahn ihrerseits auf Grund dieser Zielvorgaben Rationalisierungsvorschläge unterbreitet hat, u. a. wie sie zu einem betriebswirtschaftlich optimalen Netz kommt. Daß dabei natürlich auch Überlegungen angestellt werden, wie in den Gremien, die Sie soeben genannt haben, Einsparungen durchzuführen sind, ist selbstverständlich.
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Ich rufe
die Frage 52 des Abgeordneten Dr. Althammer auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß das Hinausschieben der Entscheidung über Bahnstreckenstillegungen entsprechend der Darstellung im sogenannten betriebswirtschaftlich rentablen Netz bis 1978 einen Zustand der Unsicherheit für die Wirtschaftsförderung und Industrieansiedlung bedeutet, und ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, bis zur Sommerpause diesen Zustand der Unsicherheit wenigstens insofern zu mildern, als die Bahnstrecken genannt werden, die zwar im betriebswirtschaftlich unrentablen Netz aufgeführt sind, die aber aus volkswirtschaftlichen Gründen unbedingt erhalten und weitergeführt werden müssen (volkswirtschaftlich notwendiges Netz)?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Althammer, von einem Hinausschieben der Entscheidung über Streckenstillegungen kann keine Rede sein. Der Ergebnisbericht der Deutschen Bundesbahn zum betriebswirtschaftlich optimalen Netz ist kein Stillegungsplan und sagt nichts über das künftige volkswirtschaftlich notwendige Streckennetz aus. Dieses muß erst noch sehr sorgfältig nach werkehrlichen, regionalen und strukturellen Bedürfnissen erarbeitet werden, wie ich ja eben schon auf die verschiedenen Fragen des Kollegen Spranger ausgeführt habe. Diese Grundlagenarbeiten aber können nicht innerhalb von drei bis vier Monaten bewältigt werden. Es ist deshalb wenig sinnvoll, sich schon heute mit nicht abgesicherten Ergebnissen oder Folgerungen auseinandersetzen zu wollen.
Herr Abgeordneter Althammer zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie schon bei der Beantwortung der vorigen Frage darauf hingewiesen haben, daß hier keine Stillegungen geplant sein sollen, stelle ich die Frage, ob der Bundesregierung nicht klar ist, daß, wenn der Herr Bundesverkehrsminister in einer Pressekonferenz diesen Bericht der Bundesbahn bekanntgibt, in der deutschen Öffentlichkeit bis zum Beweis des Gegenteils selbstverständlich der Eindruck entstehen muß, daß konkrete Pläne in dieser Richtung bestehen und damit eben dieser Unsicherheitsfaktor hergestellt ist.
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Althammer, ich habe gesagt, daß dieses betriebswirtschaftlich optimale Netz kein Streckenstillegungsplan ist, und den Vergleich mit dem wirklich konkreten Streckenstillegungsplan aus dem Leber-Plan gezogen; ich will das nicht wiederholen. Insofern ist meine Antwort richtig. Allerdings war, was die Diskussion in der Öffentlichkeit und die Interpretation betrifft, dieses betriebswirtschaftlich optimale Netz, das die Bundesbahn als Ausgangspunkt für die noch zusätzlich anzustellenden Überlegungen sowohl der betreffenden Ressorts als auch der Länder und der Verbände aufgestellt hat, als Grundlage notwendig. Das werden Sie, Herr Kollege Althammer, auch zugeben. Dieses betriebswirtschaftlich optimale Netz wird nicht das endgültige Netz der Deutschen Bundesbahn sein.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung nicht der Auffassung, daß es sachdienlich wäre, wenigstens bei den Strecken, die volkswirtschaftlich bereits heute als unbedingt notwendig erkannt werden, der Öffentlichkeit zu erklären, daß diese Strecken nicht stillgelegt werden, um zu erreichen, daß die Firmen ihre Ansiedlungspläne nicht wegen Unsicherheit über die Fortführung des Netzes zurückstellen?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Althammer, das wäre aber eine Vorwegnahme von Teilergebnissen, die ich nicht für sinnvoll halte. Ich meine, es ist notwendig, die Arbeiten, so schnell es eben geht, zusammen mit den von mir eben genannten zu Ende zu bringen, um dann endgültig zu dem volkswirtschaftlich optimalen Netz zu kommen.
Ich rufe die Frage 53 der Abgeordneten Frau Berger auf:
Warum hat die Bundesregierung bisher noch keine Verhandlungen mit der DDR über ein Luftverkehrsabkommen aufgenommen, das schon im Verkehrsvertrag angekündigt worden war?
Jung, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Berger, in dem Vertrag vom 26. Mai 1972 über Fragen des Verkehrs ist der Luftverkehr wegen der Vielschichtigkeit der damit verbundenen Probleme bewußt ausgeklammert worden. In einem Protokoll zum Verkehrsvertrag wird lediglich erklärt, daß die Bundesrepublik Deutschland und die DDR zu gegebener Zeit Verhandlungen über ein Luftverkehrsabkommen aufnehmen werden. Es handelt sich hierbei um eine Absichtserklärung.
In der Zwischenzeit haben sich keine neuen Gesichtspunkte ergeben, die aus der Sicht der Bundesregierung Luftverkehrsverhandlungen mit dem Ziel des Abschlusses eines Luftverkehrsabkommens erfolgversprechend erscheinen lassen.
Zu
einer Zusatzfrage Frau Abgeordnete Berger.
Herr Staatssekretär, können Sie mir einen Termin nennen, zu dem nach Auffassung der Bundesregierung Verhandlungen aufgenommen werden können?
Jung, Parl. Staatssekretär: Nein, Frau Kollegin Berger, ich kann Ihnen leider keinen Termin nennen. Ich habe eben erläutert, daß es sich um eine Absichtserklärung handelt. Im übrigen darf ich darauf verweisen, daß die Materie natürlich auch bezüglich des Termins wegen der Vielzahl der Beteiligten — Sie als Berliner Abgeordnete wissen das wohl am besten — äußerst vielschichtig und kompliziert ist. Daher ist es jetzt kaum möglich, zu Fragen über Termine Stellung zu nehmen.
Frau Abgeordnete Berger, wollen Sie von dem Recht der zweiten Zusatzfrage Gebrauch machen?
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16054 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Wären Sie bereit, mich auf anderem Wege, also persönlich, über die Vielschichtigkeit und die Problematik der Gründe, die eine Verhandlungsaufnahme bisher verhinderten, zu unterrichten?
Jung, Parl. Staatssekretär: Sehr gern, Frau Kollegin.
Ich rufe die Frage 54 des Abgeordneten Horstmeier auf:
Hält die Bundesregierung es für angemessen, daß Rollstuhlfahrer und deren Begleitpersonen bei Reisen mit der Deutschen Bundesbahn im Gepäckwagen befördert werden, und ist sie bereit, zusammen mit der Deutschen Bundesbahn Verbesserungen für diesen Personenkreis einzuführen?
Herr Staatssekretär.
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Horstmeier, zu dem von Ihnen angesprochenen Problem wurde bereits mehrfach, zuletzt am 6. November 1975 auf eine Frage des Herrn Kollegen Werner in der 200. Sitzung des Deutschen Bundestages sowie am 8. September 1975 zur Frage des Herrn Kollegen Breidbach, Stellung genommen. Die Deutsche Bundesbahn ist auf Anregung der Bundesregierung in besonderem Maße um die Beseitigung baulicher und technischer Hindernisse zur Erleichterung der Rehabilitation der Behinderten bemüht. Bei allen Planungen wird eine behindertenfreundliche Gestaltung auf Grund der gegebenen Möglichkeiten vorgesehen.
So hat in der von Ihnen angesprochenen Angelegenheit ein Arbeitskreis der Deutschen Bundesbahn in seinen Untersuchungsergebnissen empfohlen, einen eisenbahngerechten Rollstuhl für eine Beförderung in normalen Reisezugwagen zu entwickeln. Mit einschlägigen Herstellerfirmen hat die Deutsche Bundesbahn inzwischen Kontakt aufgenommen.
Sie haben eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, ist eine Verbesserung dahin gehend möglich, daß Begleitpersonen, die bei Zivilgeschädigten auf Bundesbahnfahrten nun einmal nötig sind, unentgeltliche Beförderung gewährt wird?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Frage steht nicht im Zusammenhang mit Ihrer ersten Frage. Sie kann im übrigen nur vom Arbeitsministerium beantwortet werden. Ihre erste Frage zielte ja auf die bauliche Gestaltung und darauf, wie man Behinderte auch in Reisezugwagen befördern kann.
Sie haben keine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Horstmeier? — Dann rufe ich die von Ihnen gestellte Frage 55 auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Deutsche Bundesbahn im Rahmen einer Aktion „Bahn-Bonbons" Beziehern von Renten wegen Erwerbsunfähigkeit Sonderrückfahrkarten zu günstigen Tarifen gewährt und die Bezieher von vorzeitigem Altersgeld nach dem Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte dabei ausgeschlossen sind, und wird die Bundesregierung eine Änderung veranlassen?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesbahn gibt den ab 1. März 1976 eingeführten Seniorenpaß außer an die 65 bzw. 60 Jahre alten Bundesbürger nur an die erwerbsunfähigen Frührentner und Pensionäre aus. Soweit diese Bedingungen von Empfängern von vorzeitigem Altersruhegeld und Landabgaberente erfüllt werden, steht der Ausgabe von Seniorenpässen auch an diesen Personenkreis nichts im Wege. Voraussetzung ist allerdings, daß die landwirtschaftlichen Alterskassen im Einzelfall prüfen, ob die tariflichen Bedingungen erfüllt sind, und entsprechende Bescheinigungen zur Vorlage bei der Fahrkartenausgabe abgegeben werden.
Wegen der reibungslosen Durchführung hat sich die Zentrale Verkaufsleitung der Deutschen Bundesbahn in Frankfurt am Main bereits mit dem Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen am 24. Februar 1976 in Verbindung gesetzt und ihn um weitere Veranlassung gebeten.
Herr Abgeordneter Horstmeier, Sie haben eine Zusatzfrage.
Können die Anträge ab sofort gestellt werden?
Jung, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege, unter diesen von mir genannten Voraussetzungen.
Ich rufe die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Benz auf:
Was veranlaßt die Bundesregierung, bei einer beabsichtigten Organisationsänderung von Eurocontrol nach 1983 bereits heute mit einer essentiellen Organisationsänderung zu beginnen, die sich dadurch auszeichnet, daß das Eurocontrol-Zentrum Karlsruhe im Rahmen von Eurocontrol verändert werden soll?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, von den sieben Mitgliedstaaten haben nur Belgien, Luxemburg und die Bundesrepublik Deutschland die Organisation mit der Durchführung von Exekutivaufgaben betraut. Die Niederlande zögern noch mit einer Entscheidung, während Großbritannien und Frankreich nicht bereit sind, Zuständigkeiten an Eurocontrol abzutreten. Als Grund hierfür wurde angeführt, daß die jeweiligen nationalen Systeme nicht an ein internationales System angepaßt werden könnten. Irland hat 1975 erklärt, daß eine Abtretung von Zuständigkeiten nicht in Frage kommt. Auch in der Zeit nach 1983 ist die Mehrheit der Staaten nicht bereit, Eurocontrol mit Exekutivaufgaben zu betrauen.
Damit ist die Möglichkeit einer großräumigen Betriebsdurchführung in Europa für absehbare Zeit nicht realisierbar. Ein Betrieb der Kontrollzentrale Karlsruhe durch Eurocontrol ist unter diesen Umständen nicht vertretbar. Anderenfalls entsteht die Gefahr, daß die Bundesrepublik möglicherweise allein längerfristig den aufwendigen Planungs- und Steuerungsapparat von Eurocontrol finanzieren muß, um die Kontrollzentrale Karlsruhe in Betrieb zu halten.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18, März 1976 16055
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Benz.
Herr Staatssekretär, bedeutet Ihre Aussage dann nicht auch konsequenterweise den Verzicht auf Maastricht?
Jung, Parl. Staatssekretär: Diese Frage kann erst nach der Entscheidung nach 1983 beantwortet werden. Im übrigen hängt sie auch davon ab, ob sich Holland, das sich noch nicht endgültig entschieden hat, bemüht, in Maastricht einzuziehen, oder nicht.
Herr Abgeordneter, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Wie sorgt sich die Bundesregierung um jenes Personal, das nach einem Brief des beamteten Staatssekretärs Ruhnau in Karlsruhe nicht weiterbeschäftigt werden kann?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen, daß sich die Bundesregierung besonders bemüht und in den Haushaltsberatungen der letzten Woche insoweit auch Erfolg hatte, für die deutschen Fluglotsen bei Eurocontrol in Karlsruhe Stellen genehmigt zu bekommen, um sie im Rahmen der BFS in Karlsruhe entsprechend zu verwenden. Soweit das Problem das ausländische Personal bei Eurocontrol Karlsruhe betrifft, muß es natürlich zusammen mit den betroffenen Ländern in fairer Weise gelöst werden.
Meine
Damen und Herren, ich rufe die Frage 57 des Abgeordneten Dr. Althammer auf:
Wie hoch sind die finanziellen Leistungen des Bundes und der Deutschen Bundesbahn für Erstellung
und Betrieb von Gleisanschlüssen für Gewerbebetriebe im Bereich des jetzt für die Einstellung vorgesehenen sogenannten betriebswirtschaftlich unrentablen Streckennetzes in den letzten zehn Jahren?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Althammer, die Frage kann erst beantwortet werden, wenn geklärt ist, ob und welche Teile des betriebswirtschaftlich unrentablen Streckennetzes zur Einstellung vorgesehen werden. Diese Klärung wird voraussichtlich in diesem Jahr nicht mehr möglich sein, wenngleich die Bundesregierung bemüht ist, Klärungen so schnell wie möglich herbeizuführen.
Sie haben Zusatzfragen. Bitte.
Herr Staatssekretär, hat sich die Bundesregierung schon Gedanken darüber gemacht, wie solche Gleisanschlüsse trotz einer etwaigen Stillegung noch wirtschaftlich genutzt werden könnten?
Jung, Parl. Staatssekretär: Ja. Diese Frage wird im Rahmen des bereits vorhin genannten Ausschusses besonders untersucht. Vor allem macht sich auch die Bundesbahn Gedanken darüber, inwieweit solche Anschlüsse aufrechterhalten werden können.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, geht die Bundesregierung davon aus, daß zur Fortführung dieser Strecken eventuell andere Kostenträger, etwa die Bundesländer, gefunden werden und kostenmäßig einspringen müßten?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Althammer, Sie wissen, daß dies durchaus der Fall sein kann. Allerdings kann ich Ihre Frage, ob die Bundesregierung jetzt davon ausgehe, nicht bejahen, weil es schließlich von den Umständen abhängt, die dazu führen, daß eine solche Strecke aufrechterhalten wird. Es ist ja auch durchaus denkbar, daß die betreffenden Wirtschaftszweige oder die Industrie diese Strecken als Industriestammgleise kostendeckend betreiben.
Ich rufe die Frage 59 des Abgeordneten Dr. Riedl auf:
Auf welche Ursachen ist das immer häufiger werdende Falschfahren auf der Gegenfahrbahn von Bundesautobahnen zurückzuführen, und ist die Bundesregierung bereit, die vom ADAC vor kurzem veröffentlichten Vorschläge zur Verhinderung des Einfahrens von Kraftfahrzeugen in die falsche Spur raschestmöglich zu verwirklichen?
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Riedl, Falscheinfahrten in die Autobahn stellen — das habe ich neulich schon gesagt — ein sehr seltenes Ereignis dar. Aber weil es ein seltenes Ereignis ist, findet ein solches Falscheinfahren immer eine besondere publizistische Beachtung.
Das Problem wurde im Jahre 1975 mehrmals mit den obersten Landesbehörden erörtert. Es wurde festgestellt, daß die technischen Grundlagen der Gestaltung und Beschilderung von Autobahnanschlußstellen den Anforderungen an die Verkehrssicherheit genügen. Für Sonderfälle wurden Verbesserungsmöglichkeiten geprüft, zu denen auch die kürzlich vom ADAC genannten gehören. Die Durchführung in der Praxis obliegt allerdings den zuständigen Landesbehörden.
Haben
Sie Zusatzfragen? — Bitte.
Herr Staatssekretär, diese von Ihnen an sich richtigerweise als selten bezeichneten Fälle sind für die Öffentlichkeit deshalb so bedeutsam, weil dieses Falschfahren auf der Autobahn zu sehr schweren, meist tödlichen Unfällen führen kann. Darf ich Sie deshalb fragen: Ist die Bundesregierung bereit, diesen Komplex, der schon jahrelang mit den Länderverkehrsministern diskutiert wird, auf der nächsten Konferenz der Länderverkehrsminister zur Sprache zu bringen, damit entsprechende Vorschläge, die ja auf dem Tisch liegen, abschließend behandelt werden?Jung, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege Riedl, dies ist die Absicht der Bundesregierung. Es ist schon in Aussicht genommen, die Angelegenheit
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16056 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Pari. Staatssekretär Jungauf der nächsten mit den Ländern vorgesehenen Dienstbesprechung nochmals zu erörtern.
Herr Abgeordneter Dr. Wernitz, ich rufe Ihre Frage 60 auf:
Nach welchem Organisations- und Verfahrensschema wird die interministerielle Arbeitsgruppe „Verkehrs- und Regionalpolitik der Bundesregierung" die Arbeiten zur Ermittlung der künftigen gesamtwirtschaftlich abgestimmten DB-Netzkonzeption durchführen?
Herr Staatssekretär, im Hinblick auf die kurze noch zur Verfügung stehende Zeit empfiehlt es sich wohl, die Fragen 60 und 61 zusammen zu beantworten, damit wir die beiden restlichen Fragen noch aufrufen können. Vielleicht würde das die Sache erleichtern.
Jung, Parl. Staatssekretär: Ich bitte darum, Herr Präsident!
Dann rufe ich auch die Frage 61 des Abgeordneten Dr. Wernitz auf:
In welcher Form bzw. in welchen Phasen der Arbeit des Staatssekretärsausschusses haben die Länder konkret Gelegenheit, an der Erarbeitung der Kriterien des volkswirtschaftlichen Netzes mitzuwirken?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Jung, Parl. Staatssekretär: Beim Bundesverkehrsministerium wurde ein Projektbeauftragter mit einem Projektbüro eingerichtet. In einer Untersuchungsgruppe mit fünf Arbeitsteams werden die notwendigen Unterlagen für Streckenbewertungen nach verkehrlichen, regionalen, wirtschaftlichen und strukturellen Bedürfnissen, die Organisation des Güterzu- und -ablaufverkehrs, die Verlagerungen des Personennahverkehrs von der Schiene auf die Straße, also von der Bahn auf den Bus, flankierende Maßnahmen und Subventionen erstellt. Eine interministerielle Steuerungsgruppe wertet die Ergebnisse unter Einschaltung einer Beratergruppe aus Wirtschaft, Wissenschaft, Handel, Industrie und Gewerkschaften aus und arbeitet dem Staatssekretärsarbeitskreis „Verkehrs- und Regionalpolitik" zu. Die Länder sind in diese Arbeiten kontinuierlich eingebunden und wurden bereits bei einer ersten Arbeitssitzung auf der Ebene der Abteilungsleiter aus den Verkehrsministerien am 12. März 1976 in den Arbeitsablauf eingeschaltet.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wernitz.
Herr Staatssekretär, kann man nach der eben gegebenen Auskunft davon ausgehen, daß die Länderregierungen nicht plötzlich mit dem abgeschlossenen Konzeptentwurf konfrontiert werden, sondern sich schon vorher mit den einzelnen Kriterien befassen und auch ihre Vorstellungen dazu mit einbringen können?
Jung, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege, davon können Sie ausgehen.
Ich rufe die Frage 62 des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die von der Deutschen Postgewerkschaft dem Bundespostministerium am 6. März unterbreiteten Vorschläge zur Belebung der Nachfrage nach Fernmeldeeinrichtungen, und wann ist mit dem Inkrafttreten welcher Maßnahmen zu rechnen?
Bitte.
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Riedl, die Bundesregierung verfolgt seit langem sehr aufmerksam den Verlauf der Nachfrage nach Fernsprechhauptanschlüssen. Sie hat in der zweiten Hälfte des Jahres 1975 umfangreiche Werbemaßnahmen eingeleitet, um die Nachfrage zu beleben. Die Auswirkungen dieser Werbemaßnahmen sind sehr erfreulich. Seit September 1975 steigt die Nachfrage nach Fernsprechhauptanschlüssen wieder stetig an. Besonders die ersten beiden Monate des Jahres 1976 bestätigten auch auf dem Telefonsektor den allgemeinen konjunkturellen Aufschwung. Die Deutsche Postgewerkschaft greift mit ihren Vorschlägen einen Teil der Maßnahmen auf, die von der Bundesregierung seit einigen Monaten für den Fall ins Auge gefaßt worden sind, daß die Nachfragebelebung nicht nur durch Werbung, sondern auch durch andere Maßnahmen unterstützt werden muß.
Bitte, Herr Kollege, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, angesichts dieser an sich optimistischen Prognose hinsichtlich der Nachfrageentwicklung auf dem Fernmeldesektor möchte ich Sie fragen, ob bei einer Fortsetzung dieser Entwicklung auch mit einer Senkung der Fernmeldegebühren gerechnet werden kann.
Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Riedl, da Sie ja aus dem Bereich der Post kommen, möchte ich hierzu sagen, daß eine Diskussion über etwaige Gebührensenkungen natürlich kurzfristige negative Auswirkungen auf das Kundenverhalten haben würde. Deswegen möchte ich diese hypothetische Frage jetzt nicht mit einem Ja oder Nein beantworten.
— Herr Kollege Stücklen, Sie sind ja selbst im Verwaltungsrat der DBP.
Herr Kollege Stücklen, das ist eine Aufforderung, von der ich sicher bin, daß sie an alle Politiker gerichtet werden kann.Ich rufe die Frage 63 des Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Hermann auf:Trifft die Meldung in verschiedenen Tageszeitungen zu, daß auf der Olympiamarke zu 70 Pfennig mit einem Zuschlag von 35 Pfennig zugunsten der Deutschen Sporthilfe nicht der Goldmedaillengewinner der Bundesrepublik Deutschland von München , sondern der DDR-Vierer abgebildet ist, und was hat die Bundesregierung gegebenenfalls dazu bewogen, den DDR-Vierer als Motiv zu wählen?
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Jung, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Müller-Hermann, die Motive der Olympiamarken zugunsten der Deutschen Sporthilfe wurden aus Entwürfen von Graphikern ausgewählt, deren alleinige Aufgabe es war, bestimmte Sportarten möglichst charakteristisch und graphisch ausdrucksvoll darzustellen. Auf dem 70+35-Pfennig-Wert der Olympiamarken ist dementsprechend eine Rudermannschaft in typischer Aktion dargestellt. Das Motiv dieser Marken ist die Sportart Rudern.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir zusichern, daß hier keine politischen Motive mit eine Rolle gespielt haben, und trifft es zu, daß der Kunstbeirat des Postministers sich gegen dieses Symbol gewandt hat?
Jung, Parl. Staatssekretär: Ich kann den ersten Teil Ihrer Frage bejahen. Es lagen hier keinerlei politische Motive zugrunde, sondern echt das, was ich in meiner Antwort zum Ausdruck gebracht habe.
Zu Ihrer Frage, ob der Kunstbeirat diese Marke abgelehnt habe, kann ich nur sagen, daß diese Motive für eine andere Serie, nämlich „Jugend trainiert für Olympia", vom Kunstbeirat begutachtet wurden und dort in der Tat eine andere Auswahl getroffen wurde.
Die Frage der Olympiamarke mußte allerdings — auch wegen der Diskussion hier in diesem Parlament — kurzfristig entschieden werden. Deshalb haben die zuständigen Beamten beim Bundesinnenministerium und beim Bundespostministerium die beiden anderen Entwürfe, die für die frühere Serie gefertigt waren, nochmals begutachtet und die Motive eines der beiden Graphiker für die Olympia-Sondermarke ausgewählt.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Meine Damen und Herren, wir stehen damit am Ende der Fragestunde. Die nicht behandelten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe auf Punkt 2:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über die Neuorganisation der Marktordnungsstellen
— Drucksache 7/4864 — Berichterstatter: Abgeordneter Dürr
Herr Abgeordneter Dürr, ich bitte um Ihren Bericht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem vom Bundestag am 10. Dezember 1975 beschlossenen Gesetzentwurf über die Neuorganisation der Marktordnungsstellen hat der Bundesrat am 20. Februar 1976 den Vermittlungsausschuß mit dem Ziel angerufen, in acht Punkten eine Änderung des Entwurfs herbeizuführen.Die vom Bundesrat vorgebrachten Änderungswünsche betreffen nicht das Anliegen des Gesetzes selbst, nämlich die Zusammenfassung der bestehenden vier Einfuhr- und Vorratsstellen zu einer Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung. Anlaß zur Anrufung des Vermittlungsausschusses waren im wesentlichen unterschiedliche Auffassungen über den Umfang der Beteiligung der Länder beim Erlaß von Rechtsverordnungen, außerdem Einzelfragen, die anläßlich des Gesetzgebungsvorhabens aufgetreten sind.Der Vermittlungsausschuß schlägt vor, in vier Punkten den Wünschen des Bundesrates Rechnung zu tragen, in einem Fall die umstrittene Bestimmung zu streichen und in drei Punkten den Vorschlägen des Bundesrates nicht zu entsprechen.Der Vermittlungsausschuß schlägt vor, dem Bundesrat nicht zu folgen, soweit er die Zustimmung zum Erlaß der Satzung der Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung fordert, dem Vorstand des Stabilisierungsfonds für Wein die Aufgaben im Rahmen der gemeinsamen Weinmarktordnung belassen möchte und die Zustimmung zum Erlaß bestimmter Verordnungen auf Grund des Gesetzes über die gemeinsame Marktorganisation verlangt. Der Vermittlungsausschuß schließt sich in diesen Punkten dem Gesetzesbeschluß des Bundestages und der vom Ausschuß gegebenen Begründung an.Der Vermittlungsausschuß empfiehlt ferner, die Regelung des § 2 Abs. 4 des Gesetzentwurfes über die Aufgabenübertragung durch organisationsrechtliches Mandat zu streichen. Dazu ist folgendes zu bemerken. Der Aufgabenbereich der neuen Anstalt ist in § 2 Abs. 1 bis 3 des Gesetzentwurfes geregelt. Zur Durchführung dieser Aufgaben bedarf es nicht einer Regelung nach § 2 Abs. 4. Deshalb kann dieser Absatz wegfallen, wie dies der Vermittlungsausschuß empfiehlt.In vier Punkten schlägt der Vermittlungsausschuß folgende Änderungen des Gesetzentwurfes vor:Die Aufteilung der vier in den Verwaltungsrat der Anstalt zu entsendenden Verbrauchervertreter in drei Vertreter der Gewerkschaften und einen Vertreter der Verbraucherverbände, wie sie vom Ernährungsausschuß des Bundestages vorgeschlagen worden war, entspricht zwar der bisherigen Zusammensetzung der Verwaltungsräte der bestehenden Einfuhr- und Vorratsstellen; an dieser Zusammensetzung würde sich aber, wie die Bundesregierung im Vermittlungsausschuß bestätigt hat, nichts ändern, wenn im Gesetz nur Verbrauchervertreter aufgeführt werden. Daher ist dem Wunsche des Bundesrates auf Wiederherstellung der Fassung der Regierungsvorlage entsprochen worden.Der Vermittlungsausschuß hat den Vorschlag des Bundesrates, ihn bei Rechtsverordnungen hinsichtlich der Vorschriften über die Gewährung von Er-
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16058 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Dürrstattungen bei der Ausfuhr von reinrassigem Zuchtvieh zu beteiligen, übernommen. Hier folgt er dem Wunsche der Länder, nicht nur beim Erlaß der Durchführungsbestimmungen zum Tierzuchtgesetz, sondern auch im Erstattungsverfahren bei der Ausfuhr von reinrassigem Zuchtvieh in Drittländer mitwirken zu können.Die vom Bundesrat vorgebrachten Änderungswünsche im Bereich des Meldewesens betreffen die Adressaten, denen die Länder Meldungen zu übermitteln haben, sowie Vorschriften, unter welchen Umständen die von den Ländern gegebenen Meldungen weitergeleitet werden dürfen. Die Wünsche der Länder werden gegebenenfalls gewisse Verzögerungen bei der Weiterleitung und Auswertung von Meldeergebnissen zur Folge haben. Der Vermittlungsausschuß sieht jedoch diese Nachteile, die das Gesamtkonzept des Gesetzes nicht berühren, nicht für so schwerwiegend an, daß durch sie das erzielte Einvernehmen über das Reformvorhaben in Frage gestellt werden sollte. Er empfiehlt auch die Annahme dieser Änderungswünsche.Ähnliche Überlegungen haben den Vermittlungsausschuß veranlaßt, dem Wunsche des Bundesrates zu entsprechen, daß die marktordnende Verwaltung Kontrollen in den Geschäfts- und Betriebsräumen nur zu den üblichen, nicht aber zu den tatsächlichen Geschäfts- und Betriebszeiten vornehmen kann. Diese Regelung, die auf einer engen Auslegung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beruht, dürfte für die marktordnende Verwaltung zu gewissen Erschwerungen bei der Überwachung führen. Ihr kann aber zugestimmt werden, weil in vergleichbaren Fällen Kontrollen, die ihre Grundlage in anderen Rechtsvorschriften haben, entsprechend der hier vorgesehenen Regelung durchgeführt werden.Ich bitte das Hohe Haus, eine Änderung des Gesetzentwurfs über die Neuorganisation der Marktordnungsstellen nach Maßgabe des Ihnen vorliegenden Antrags auf Drucksache 7/4864 zu beschließen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. — Das Wort zu Erklärungen wird nicht begehrt.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit können wir wieder zu der zweiten und dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer zurückkehren. Wir waren in der zweiten Beratung bei den Anträgen unter Ziff. 9 bis 11 der Drucksache 7/4887. — Das Wort hierzu hat Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Drei Vorbemerkungen: Erstens. Ich spreche nicht im Auftrag meiner Fraktion. Zweitens. Ich erwarte eine, wenn auch nur begrenzte, Zustimmung von Kollegen aller Fraktionen — in manchen Fraktionen mehr, in anderen weniger.
Drittens. Ich beabsichtige, dem Bestreben, meine Rede kurz zu halten, auch dadurch entgegenzukommen, daß ich mich auf Zwischenfragen nicht einlassen werde. Ich bitte dafür um Verständnis.
Der Antrag, zu dem ich sprechen möchte, betrifft § 26 Abs. 2, und meine Rede geht zunächst an den verehrten Kollegen Blüm. Dieser Antrag, Kollege Blüm — er ist leider nicht da —, ist eine Offenbarung Ihrer Schwäche in Ihrer Fraktion. Daß ein solcher Antrag von Ihrer Fraktion gestellt werden konnte, zeigt, aus welchem Geist die Mehrheit Ihrer Fraktion diesen Gesetzentwurf behandelt hat.
Dieser Antrag, falls er angenommen würde, würde eine etwas merkwürdige Konstruktion eröffnen. Hier würde, etwas salopp gesprochen, eine Art Miteigentum der Anteilseignerseite an der zweiten Stimme eines Aufsichtsratsvorsitzenden eröffnet, der, was ja nach dem Gesetz möglich ist, mit Zweidrittelmehrheit aus der Arbeitnehmerseite gewählt sein könnte. Diese Art Miteigentum zeigt, daß es eigentlich gar nicht um Mitbestimmung geht. Dieser Antrag zeigt, daß es bei einer Vielzahl von Bemühungen in diesem Gesetzgebungsverfahren um Paritätverhinderung ging. Und wenn sich trotzdem einmal so etwas wie Parität einstellen sollte, ging es um Pattauflösungsmechanismen und leider nicht um das, was die historische Dimension der Mitbestimmungsdebatte eigentlich war. Der historische Zug, um den es eigentlich ging, ist spätestens bei diesem Antrag wirklich völlig verschwunden.In der Geschichte ging es um Mitbestimmung in Großunternehmen schon seit langer Zeit. Die Kollegen der FDP beriefen sich auf dem Freiburger Parteitag auf Friedrich Naumann. Nicht zu Unrecht hat damals Minister Maihofer eine ganze Menge an Überlegungen vorgetragen, die bei Naumann nachgelesen werden können. Auch mit seiner Auffassung, parallel dem Werdegang vom Staatsuntertanen zum Staatsbürger müsse es die Entwicklung vom Industrieuntertanen zum Industriebürger geben, hat er recht; auch mit der Voraussage, daß diejenigen, die sich gegen den Werdegang des Staatsuntertans zum Staatsbürger gestellt haben, ebenfalls Widerstand und Widerstreben zeigen würden, wenn es darum ginge, vom Industrieuntertan zum Industriebürger zu kommen. Naumann hat auch völlig zu Recht gesehen, daß Liberale und Sozialisten in diesem Bemühen, zum Industriebürger zu kommen, mehr an Gemeinsamkeit haben, als lange entdeckt worden ist.
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Dr. SperlingAber es ging ja nicht nur um Friedrich Naumann und andere aus dem damaligen sozialliberalen Lager. Auch die katholische Soziallehre, die päpstlichen Enzykliken, das, was auf der Gewerkschaftsseite von Wissell und von Möllendorf gemacht worden ist, das, was Naphtali und seine Mitarbeiter zur Wirtschaftsdemokratie erarbeitet haben, — all dies gehört ja in einen großen Zug hinein, in einen Zug, der wirklich historische Bedeutung hat: die Gleichberechtigung der Arbeitnehmer in unserer Wirtschaft und Gesellschaft zu erringen.An diesen Zug haben auch alle — wir alle — nach 1945 wieder. angeknüpft. Wir brauchen uns da eigentlich gar nicht so zu schämen. In allen Parteiprogrammen finden wir nach 1945 wieder das Reden von der Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit. Manche gebrauchen etwas andere Formeln; die reden dann von Partnerschaft von Kapital und Arbeit. Aber in den programmatischen Aussagen, in den Wahlplattformen findet sich dies immer wieder — und immer mit dem offenen Zug zur Parität.Statt dessen sind in das Gesetzgebungsbemühen um dieses Mitbestimmungsgesetz verfassungsrechtliche Bedenken hineingekommen. Niemand ist in der Vergangenheit, wenn es um Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit oder Partnerschaft ging, vor die Wähler hingetreten und hat gesagt: Aber da gibt es schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken; deswegen kann uns alles das, was wir dazu sagen, nur mit Einschränkungen abgenommen werden! — Nein, es ist immer ohne Rückhalt gesagt worden, weil auch jede Partei, wenn sie es gesagt hat, geglaubt hat, daß die Herstellung von Gleichberechtigung zwischen Kapital und Arbeit unter dem Grundgesetz selbstverständlich möglich sei und keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen müsse.Die Bedenken, die in diesem Gesetzgebungsverfahren herbeigerufen, herbeigebetet, herbeigesehnt, herbeigelechzt worden sind, sind in der Tat einem politischen Zweck gefolgt. Sie kamen nicht aus dem Geist: Wie komme ich zur Parität?, sondern aus dem Geist: Wie verhindere ich die Parität? Sie dienten nicht der Frage: Wie löse ich die historische Aufgabe, Arbeitnehmer voll und gleichberechtigt in die Bestimmungsprozesse unseres Wirtschaftslebens einzubeziehen?, sondern der Frage: Wie verhindere ich, daß dies voll und gleichberechtigt geschieht?So werden dann auch im Zuge der Beratung des Antrags des Kollegen von Bismarck
— aber Sie haben ihn begründet — verfassungsrechtliche Bedenken hervorgekramt. Dabei gewinnt man den Eindruck, als verstünden Sie das Grundgesetz als eine Art Bündel von Sackgassen für zukünftige Gestaltungen unserer Gesellschaft. Die Probleme, die wir in der Zukunft zu lösen haben werden, sehen so aus, daß wir die freiwillige und einsichtige Zustimmung der Arbeitnehmer brauchen werden, und zwar eine freiwillige und einsichtige Zustimmung von Arbeitnehmern, die sich nicht übers Ohr gehauen fühlen, weil der Mitbestimmungsprozeß dieses Bewußtsein und dieses Vertrauen gerantiert.
Dafür ist unser Grundgesetz in der Tat offen. Diese gesellschaftliche Gestaltung, die Neuzuordnung von Interessen von Anteilseignern und Arbeitnehmern, war eigentlich der Hintergrund allen Mitbestimmungsstrebens in unserer Geschichte.Wenn wir es schaffen wollen, unsere gesellschaftliche Ordnung in den Großbetrieben so zu gestalten, daß jenes Vertrauen entsteht und Arbeitnehmer sich als voll gleichberechtigt Mitwirkende verstehen und fühlen können, dann brauchen wir mehr als die Pattauflösungsmechanismen, die mit diesem Gesetzentwurf angeboten werden. Pattauflösung im historischen Geist der Mitbestimmungsdebatte, das wäre Parität mit ihrem Einigungszwang. Das ist die Pattauflösung, die wir bräuchten. — Vielleicht eine kleine Seitenbemerkung: Manche, die zur Zeit politisch ein Patt erleben, könnten sehen, daß das gar nicht so schlecht funktionieren muß. Im Saarland gibt es eine Pattsituation, und da gibt es den Einigungszwang.Was ich trotz des Geistes von Paritätsverhinderung in diesem Gesetz, der an mancher Bestimmung deutlich geworden ist, erwarte, ist, daß dieses Gesetz dennoch dem historischen Zug dient. Ich erwarte, daß sowohl die Kollegen von der FDP wie die von der CDU/CSU erleben werden, daß von ihrer Basis oder, mit dem amerikanischen Ausdruck, von ihren Graswurzeln — da ist mehr Saft und Kraft drin — her ein Druck entsteht, dem historischen Zug wieder nachzugeben, so wie man das kurz nach 1945 viel deutlicher getan hat, und daß der Druck, der dort ausgeübt werden wird, zu mehr paritätischer Mitbestimmung führt, als dieser Gesetzentwurf sie bringt. Sie werden, dessen bin ich sicher, in den SPD-Abgeordneten dieses Parlaments immer aufgeschlossene Partner für solche Verbesserungen finden.Der Kleinmut, der hinter dem Antrag betreffend § 26 Abs. 2 steht, kennzeichnet das Gesetz auch noch an anderen Stellen. Er ist historisch völlig unberechtigt. Mein Kollege Augstein hat darauf verwiesen, in welchem Ausmaß die politische Demokratie mit ihrem Bürgerrechts- und Minderheitenschutz in diesem Land auf der Geschichte der Arbeiterbewegung beruht. Mehr Demokratie und mehr Gleichberechtigung in den Betrieben könnten sich genauso darauf verlassen, daß diese demokratische Vergangenheit auch die demokratische Zukunft unseres Landes ist. Deswegen an die Kollegen vor allen Dingen der CDU/CSU gerichtet: Wenn Sie schon auf diese historische Erfahrung mit der Arbeitnehmerschaft so wenig vertrauen wollen, dann sollten Sie sich im Verhältnis zu den Arbeitnehmern einen Wahlspruch angewöhnen, der lautet: Mehr Gottvertrauen und weniger Pattfürchtigkeit!
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16060 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Meine
Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich spreche hier zu den Änderungsanträgen unter Ziff. 9 und der Drucksache 7/4887. Zunächst zu dem Änderungsantrag zu § 26 Abs. 2, den Sie, Herr Kollege Becker, begründet haben. Meine Fraktion wird diesen Änderungsantrag ablehnen, weil wir davon ausgehen, daß die verfassungsrechtlich notwendige Mehrheit gesichert ist.
Herr Sperling, was verfassungsrechtlich notwendig und vorgeschrieben ist oder nicht, liegt nicht im Bereiche des Wünschbaren, sondern liegt im Bereiche dessen, was in der Verfassung steht.
Wünschbares kann Zukunftsentwicklung sein, aber wir haben von der geltenden Rechtslage auszugehen.
Die verfassungsrechtlich notwendige Mehrheit ist dadurch gesichert, daß bei Ausfall des Aufsichtsratsvorsitzenden die Zusatzstimme nicht etwa automatisch dem stellvertretenden Vorsitzenden zufällt. Sie ist dadurch gesichert, daß die Stimmboteneinrichtung des § 108 Abs. 3 des Aktiengesetzes für diesen Fall, Herr Becker, ausdrücklich vorgesehen ist.
Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff, ich habe aus Ihrem Stocken schon entnommen, daß Sie die Zwischenfrage zulassen.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Herr Kollege Graf Lambsdorff, würden Sie mir zustimmen, wenn ich behaupte, daß Sie am 20. Januar innerhalb der FDP beschlossen haben, daß in § 24 eine Bestimmung aufgenommen werden sollte, wonach die Wahl nicht gegen die Mehrheit der Stimmen der Anteilseigner vorgenommen oder daß das Quorum auf drei Viertel heraufgesetzt werden sollte?
Herr Kollege Becker, es gibt natürlich verschiedene Möglichkeiten, und es hat verschiedene Vorschläge gegeben. Wir haben in der Diskussion der letzten 21/2 Jahre diverse Vorschläge diskutiert, wie man die eine oder andere Frage lösen kann. Worauf es hier und heute ankommt, ist die Beantwortung der Frage, ob die jetzt vorgelegte Lösung verfassungsrechtlich einwandfrei ist. Unsere Antwort darauf lautet: ja. Sie ist auch dann einwandfrei, Herr Becker — dies ist der zweite Fall, den Sie erwähnt haben —, wenn etwa ein Mitglied oder zwei Mitglieder der Anteilseignerseite eine Entscheidung gemeinsam mit der Arbeitnehmerseite treffen. Es kann doch nicht unsere Aufgabe sein und es ist auch nicht die Vorschrift der Verfassung, die Anteilseigner gegen ihre eigenen Entscheidungen zu schützen.Meine Fraktion wird auch den Änderungsantrag zu § 25 a ablehnen. Hier gibt es zwei Probleme, die berücksichtigt werden können und müssen. Der erste Gesichtspunkt ist der der größeren Praktikabilität. Der zweite Gesichtspunkt ist der der Einheitlichkeit des Unternehmensrechts. Ich will ganz offen sagen, daß ich persönlich der Meinung bin, daß man den Fall des Nebels auf der Autobahn oder des nicht gestarteten Flugzeugs, also den Gesichtspunkt der Praktikabilität, so hoch einschätzen sollte, daß ich persönlich diesem Antrag zustimmen könnte. Ich sage aber ausdrücklich „könnte" und nicht „kann". Meine Fraktion ist der Auffassung, der Gesichtspunkt der Einheitlichkeit des Unternehmensrechts geht vor.Hier, Herr Kollege Augstein, möchte ich nur sagen: Wenn man das Vertretungsrecht einbaut, so hat das natürlich nichts mit Mißtrauen gegen die Arbeitnehmerseite zu tun. Ein solches Vertretungsrecht käme ja selbstverständlich beiden Seiten zugute und nicht etwa nur einer Seite.
Ich kann mir sehr wohl vorstellen, daß nicht nur ein Anteilseigner, sondern auch ein Vertreter der Arbeitnehmerseite durch ein unvorhergesehenes Ereignis an der Teilnahme an einer Aufsichtsratssitzung verhindert ist. Eine Mißtrauensbekundung möchte ich also nicht darin sehen.
Sicherlich ist aber der Gesichtspunkt der Einheitlichkeit des Unternehmensrechts wichtig. Nach den bisherigen Erfahrungen im Aktienrecht kann man davon ausgehen, daß die Einrichtung des Stimmboten ausgereicht hat, um solche Schwierigkeiten zu überbrücken.
— Ich weiß, Herr von Bismarck, was Sie mit Ihrem Zwischenruf sagen wollen. Wir haben die Argumente alle schon so oft ausgetauscht, daß wir uns nun wirklich im klaren sind. Viel Neues hat hier niemand mehr zu bieten.Es kommt natürlich hinzu — das ist ein Erfahrungsgrundsatz —, daß jedenfalls in der Montan-Mitbestimmung bisher die gegen die Absicht des Gesetzes gerichtete Ausnutzung einer solchen Situation, daß auf einer Seite plötzlich einer fehlte, nicht nachweisbar festzustellen ist. Die praktische Handhabung hat gezeigt, daß man so gearbeitet hat, daß es zu einer fairen Handhabung auch solcher — zugegebenermaßen Konflikt in sich bergen-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976 16061
Dr. Graf Lambsdorffden — Möglichkeiten gekommen ist. Deswegen wird meine Fraktion diesen Änderungsantrag ablehnen.Ich habe eben gesagt, Herr Franke, ich „könnte" vielleicht einem Antrag wie dem zu § 25 a zustimmen. Ich könnte es dann, wenn er nicht, meine Herren von der Opposition — entschuldigen Sie die Formulierung —, so schlampig formuliert wäre.
— Es ist nicht meine Aufgabe, die Arbeit der Opposition zu verbessern, Herr Franke, machen Sie es ruhig selbst.
Sie eröffnen hier die Möglichkeit, daß künftig Aufsichtsratssitzungen in der Form stattfinden: ein Anteilseigner mit neun Vollmachten, ein Arbeitnehmervertreter mit neun Vollmachten. Die können die Aufsichtsratssitzung gemeinsam abwickeln. Ein solches Kasperlespiel kann der Gesetzgeber wohl nicht gut ermöglichen.Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit — das ist in der Debatte über die Änderungsanträge heute vormittag üblich geworden und wird wohl jetzt fortgesetzt werden — ein paar Bemerkungen zur allgemeinen Diskussion über die Mitbestimmungsgesetzgebung machen. Es ist interessant zu sehen, daß die Opposition gewissermaßen eine Debatte in Gruppen aus der Opposition selbst heraus führt.
Dabei gehe ich davon aus, daß die Kollegen Schröder und Pohlmann in der Frage des leitenden Angestellten immerhin noch für eine Mehrheit in ihrer Fraktion sprechen. Aber Herr Schröder, Sie mögen sich noch so sehr strampelnd bemühen, Ihre Verdienste in dieser Frage herauszustellen: Das, was Sie als eine Vorfeldorganisation der Unionsparteien für den Bereich der Führungskräfte sehen, scheint mir eher eine Etappenorganisation zu sein. Sie beginnt gleich mit den Worten: „Entgegen der Auffassung der berufsständischen Organisationen ist nicht gewährleistet ..." Sie geben also zu, daß die berufsständischen Organisationen klar und deutlich gesagt haben, dieser Gesetzentwurf, dieses Wahlverfahren sichere die Rechte der leitenden Angestellten, wie sie sie wollen.Wie gesagt, ich gehe immerhin davon aus, daß die Kollegen Pohlmann und Schröder für die Mehrheit Ihrer Fraktion sprechen. Bei dem Kollegen Blüm — er ist leider nicht hier — kann man wohl nicht davon ausgehen. Hier hat man eher den Eindruck, daß die CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Blüm einen gewissen Spielraum einräumt, wie das früher absolute Fürsten an ihren Höfen zu tun bereit waren.
Und dies, meine Damen und Herren, wird ja dannauch mit der mit einer solchen Aufgabe und solchen Einrichtung verbundenen Belustigungswirkung hier angeboten.Ernster allerdings, Herr von Bismarck, erscheint mir die Debatte um das Stichwort „Ermächtigungsgesetz". Spräche der CDU-Wirtschaftsrat für die deutsche Wirtschaft, so würde ich sagen, daß diese Wortwahl eine Schädigung des Ansehens der deutschen Wirtschaft bedeutet.
Aber der CDU-Wirtschaftsrat spricht eben nicht für die deutsche Wirtschaft. Man weiß manchmal, wenn man die Stellungnahmen aus Ihrer eigenen Partei zu seinen Äußerungen hört, überhaupt nicht, für wen er eigentlich spricht. Sie hätten besser getan, Herr von Bismarck, so meine ich jedenfalls, diesen Ausdruck von vornherein und klar als einen Mißgriff zu kennzeichnen und damit diese Debatte zu beenden.
Gerade weil Sie in der Diskussion mit Herrn Wehner darauf hingewiesen haben, daß Sie Erfahrungen mit vielen anderen in diesem Hause teilen, hätten Sie diese Äußerung als Vorsitzender des Wirtschaftsrates nicht stehenlassen sollen.
Ich möchte allerdings zu Ihrer Zwischenbemerkung oder Zwischenfrage, Herr Kollege Wehner, sagen, daß es nicht nur eine Kränkung Ihrer Seite des Hauses ist, wenn Ihnen unterstellt wird, daß Sie mit der heutigen Zustimmung einem Ermächtigungsgesetz zustimmen. Es ist eine Kränkung aller, auch derjenigen, meine ich, in der CDU-Fraktion, die heute zuzustimmen bereit sind.
— Das ist richtig, danke. Dann sind wir einig.
Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Bismarck?
Herr Kollege Graf Lambsdorff, ist Ihnen entgangen, daß erstens diese Terminologie benutzt worden ist, bevor wesentliche Änderungsanträge aus der Koalition auf dem Tisch lagen,
und ist Ihnen zweitens entgangen, daß ich vorhin klargestellt habe, daß es sich nicht um eine Parallele zu den Vorgängen von 1933 gehandelt hat und auch nicht handeln sollte? Ich glaube, das sollte Ihnen genügen.
Herr von Bismarck, dies ist mir nicht entgangen, aber Sie müssen mir
16062 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Dr. Graf Lambsdorff
eben nicht recht zugehört haben. Ich halte die Benutzung einer solchen Terminologie — Änderungsanträge hin, Änderungsanträge her, vor oder nach Änderung , halte die Einführung dieser Terminologie, dieser Bezeichnung für ein Gesetzgebungsvorhaben des Bundestages für schlechthin unzulässig.
Meine Damen und Herren, der Sinn dieses Gesetzes ist ja wohl auf Partnerschaft gerichtet, und er muß auf Partnerschaft gerichtet sein, wenn er eines seiner Ziele erreichen will, nämlich den Ausbau und die Verbesserung eines sozialen und betrieblichen Klimas in der Bundesrepublik, um das uns viele Länder in der Welt beneiden. Ein Gesetz kann nur so gut sein wie die Menschen, die es anwenden. Deswegen geht unser Appell, der Appell meiner Freunde, sowohl an die Gewerkschaften wie auch an die Unternehmer. Hier, Herr von Bismarck, sehe ich eine Aufgabe für Sie, uns alle zu unterstützen. Es geht darum, die Risiken, die natürlich in einem solchen Gesetz liegen können, zu vermeiden und die Chancen, die in einem solchen Gesetz liegen, zum Wohle aller zu nutzen. In diesem Sinne werden wir ja heute, wie ich annehme, mit großer Mehrheit diesem Gesetz zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Franke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Lambsdorff, Sie haben eben formuliert, wenn der § 25 a besser und nicht so schlampig formuliert worden wäre, könnten Sie ihm zustimmen. Das ist doch aber eine seltsame Begründung. Wenn Sie das Anliegen, das wir mit § 25 a — Stimmrechtsübertragung — erfaßt wissen wollten, für richtig halten, wäre es, wie ich glaube, Ihre Pflicht gewesen, an einer möglichen Verbesserung des § 25 a mitzuwirken und hier nicht in diesem Augenblick bei einem so schwergewichtigen Punkt zu solch einer einfachen Kritik anzusetzen.
Ich glaube, Sie haben das Wort „schlampig" nur benutzt, um Koalitionstreue zu beweisen, obwohl das Anliegen, das wir mit § 25 a angesprochen haben, auch von der FDP oder doch zumindest von dem Redner der FDP, der hier gerade gesprochen hat, als richtig anerkannt wird. Herr Kollege Lambsdorff, Sie haben das gesagt, nur die Schlußfolgerung, die Sie gezogen haben, scheint mir angesichts des Anliegens, das wir mit § 25 a angesprochen haben, unverantwortlich zu sein.Herr Kollege Augstein, Sie haben eine Rede gehalten, die völlig am Thema vorbeiging. Sie sind auch auf meine Zwischenfrage zu § 26 Abs. 2 letzter Satz nicht eingegangen. Der Kenner der Verhältnisse weiß auch, warum Sie darauf nicht eingegangen sind. Sie haben in einer — lassen Sie es mich einmal so ausdrücken — von klassenkämpferischen Tönen nicht ganz freien Manier Vorwürfe an unsere Adresse gerichtet. Sie wollten hier einen Pappkameraden aufbauen und wollten sagen, wir seien arbeitnehmerfeindlich. Herr Kollege Augstein, Sie haben sich auf unseren § 26 eingeschossen und gesagt, es wäre arbeitnehmerfeindlich, wenn im Konfliktfall und im Verhinderungsfall die zweite Stimme nicht auf die Arbeitnehmerbank entfallen dürfte. Das wäre Arbeitnehmerfeindlichkeit in höchster Potenz.Nichts anderes drücken Sie in Ihrem § 26 Abs. 2 letzter Satz aus. Dem haben Sie im Ausschuß zugestimmt, und Sie werden ihm wahrscheinlich auch hier im Plenum zustimmen. Ich darf der Vollständigkeit halber den ganzen § 26 Abs. 2 mit der Genehmigung der Frau Präsidentin hier einmal zitieren:Ergibt eine Abstimmung im Aufsichtsrat Stimmengleichheit, so hat bei einer erneuten Abstimmung über denselben Gegenstand, wenn auch sie Stimmengleichheit ergibt, der Aufsichtsratsvorsitzende zwei Stimmen. § 108 Abs. 3 des Aktiengesetzes ist auch auf die Abgabe der zweiten Stimme anzuwenden.Den Zuhörern, die § 108 Abs. 3 des Aktiengesetzes nicht präsent haben, darf ich sagen: Hier geht es um die Frage der Stimmbotenschaft im Falle der Verhinderung eines ordentlichen Mitglieds des Aufsichtsrates. Der letzte Satz von § 26 Abs. 2 lautet:Dem Stellvertreter steht die zweite Stimme nicht zu.Meine Damen und Herren, in 99,99 % der Fälle ist der stellvertretende Aufsichtsrasvorsitzende nach dieser Konstruktion des Gesetzes ein Arbeitnehmervertreter. Sie schließen aus, daß im Falle der Verhinderung des ordentlichen Mitglieds, das das doppelte Stimmrecht ausübt, die zweite Stimme auf den Arbeitnehmervertreter übertragen werden kann. Mir ist Ihre Intervention hier völlig unverständlich. Sie war parteipolitisch gefärbt und von der Absicht geprägt, die Öffentlichkeit zu verdummen. Das ist ein Motiv, das ich Ihnen unterstellen kann.
Herr Kollege Graf Lambsdorff hat sich mit dem Kollegen Sperling auseinandergesetzt. Dem, was er zu dessen Einlassungen gesagt hat, habe ich nichts hinzuzufügen. Herr Kollege Sperling, Sie mögen darüber streiten, Sie mögen darüber traurig sein, Sie mögen darüber entrüstet oder entsetzt sein: seit dem 19. Dezember 1974 gibt es auf Grund der Äußerungen der namhaftesten Verfassungsrechtler der Bundesrepublik Deutschland eine andere Mitbestimmungslandschaft. Daß dies so ist, sehen Sie auch an der enormen Veränderung der Regierungsvorlage im Hinblick auf die Einwendungen, die die Verfassungsrechtler dagegen erhoben haben. Lassen Sie mich freimütig hier gestehen: mir paßt das auch nicht. Aber um diesem Gesetz wirklich auf die Beine zu helfen und es nicht nach einer Klage vor dem Verfassungsgericht scheitern zu sehen, blieb auch nach unserer Auffassung nichts anderes übrig, als einen Einstieg in die Stimmrechtsübertragung als solche zu versuchen.Daß wir, Herr Kollege Graf Lambsdorff, die Stimmbevollmächtigung für besser halten, hat einen
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Franke
ganz einfachen Grund. Sie sagten, man müsse in der Kontinuität des Unternehmensrechts bleiben. Ich glaube nicht, daß es ein starker Bruch im Unternehmensrecht ist, wenn man vom Stimmboten auf die Stimmbevollmächtigung übergeht. Die Stimmbevollmächtigung hat nach unserer Auffassung den Vorteil, daß sich derjenige, der die Stimmbevollmächtigung für das verhinderte ordentliche Aufsichtsratsmitglied hat, etwas besser auf die sich verändernde Situation bei den Aufsichtsratsverhandlungen einstellen kann. Ich glaube — ich darf jetzt einmal von dem Restrisiko verfassungsrechtlicher Zweifel sprechen —, daß dies ein Argument wäre, das vor dem Verfassungsgericht eher standhielte als die Stimmbotenschaft. Aber ich habe ja erklärt — in den Zeitungen ist das schwarz auf weiß nachzulesen —, daß ich § 26 Abs. 2, wie er hier formuliert worden ist, verfassungsrechtlich nicht für zweifelhaft halte. Das ist meine persönliche Meinung.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sofort, Frau Präsidentin.
Aber in meiner Fraktion gibt es eine ganze Reihe von Kollegen, die diese meine Auffassung nicht teilen, und darum haben wir § 26 neu formuliert. Das geschah also aus zwei Gründen, erstens wegen einer größeren Elastizität und Flexibilität desjenigen, der die Bevollmächtigung hat, und zweitens, weil uns das vor dem Hintergrund der größeren Flexibilität und der Möglichkeit, daß dann durch Stimmbotenschaft eine Verhinderung nicht eintreten kann, hier eine größere Verfassungssicherheit gewährleistet. — Bitte schön, Herr Kollege Lambsdorff!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zwischenfrage.
Herr Kollege Franke, darf ich nur um der Klarheit willen feststellen, daß ich in der Diskussion von Anbeginn der Meinung gewesen bin, daß die Stimmboteneinrichtung für die Zusatzstimme sowohl unter Gesichtspunkten der Verfassungsmäßigkeit wie unter Gesichtspunkten der Praktikabilität — ich wiederhole: für die Zusatzstimme — völlig ausreicht?
Gut, ich habe diese Ihre Meinung gehört. Sie gestatten mir, daß ich hier meine Meinung dazu sage, weshalb ich mich in der Frage der Stimmbotenschaft dem angeschlossen habe, was im Sinne der größeren Elastizität ist.
Zu den Kollegen der SPD muß ich noch einmal sagen: Der § 26 eignet sich, Herr Kollege Sperling? nicht für klassenkämpferische Aussagen. Gehen Sie bitte davon aus, daß wir aus der Arbeitnehmergruppe meiner Fraktion — und auch bei uns ist das heftig umstritten gewesen — uns von dem Gedanken haben leiten lassen, daß dieses Mitbestimmungsgesetz nicht eventuell bei der nächsten Klage vor dem Verfassungsgericht nachgebessert werden muß. Das ist das einzige Motiv. Seit dem 19. Dezember 1974 gibt es in der Mitbestimmungsfrage eine andere Verfassungslandschaft; der müssen wir — leider oder Gott sei Dank, je nachdem, wo und wie man steht — auch hier in unseren Änderungsanträgen und in unseren Anträgen im Ausschuß und aus dem Ausschuß heraus politisch Rechnung tragen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rappe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Franke hat eben davon gesprochen, daß man hier einen Pappkameraden aufbauen würde, um dann draufschlagen zu können. Sehen Sie, Herr Kollege Franke, lassen Sie uns doch einmal versuchen, diese Frage, wenn möglich, in Ruhe vom Tisch zu kriegen.
Bei der ganzen Anlage dieses Gesetzes mit der gleichen Zahl von Aufsichtsratsmitgliedern beider Bankseiten geht es selbstverständlich um das Problem der Pattauflösung. Und unsere Lösung im Gesetzentwurf ist die, daß diese Pattauflösung im Aufsichtsrat gefunden werden muß und es keine Verlagerung oder keinen Ausweg nach draußen gibt. Das entspricht eben ganz der Art und Weise, in der wir Mitbestimmung sehen, in der wir Mitbestimmung anlegen wollen.
— Nein, ich habe nur fünf Minuten; es hat keinen Sinn. Bleiben Sie sitzen.
— Nein, es geht um die Frage, daß nun bei einer gleichen Zahl von Vertretern der beiden Bänke das Patt nur mit dem doppelten Stimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden aufgelöst werden kann, wenn man eben nicht nach draußen will, nicht zum Registerrichter und auch nicht in die Hauptversammlung der Kapitaleigner.
— Natürlich, deswegen gibt es ja in den §§ 26 und 28 vorweg andere Wege, aber genau diesen letzten Schritt muß das Gesetz ja beinhalten, dazu muß ja etwas gesagt werden. Deswegen steht dem Stellvertreter die zweite Stimme nicht zu, damit von Anfang an klar ist, wie die Pattauflösung entwickelt werden kann.Lassen Sie mich nun noch eine Bemerkung zur Frage der Stimmbotenschaft machen: Stimmbotenschaft nach unserer Auffassung deshalb, weil mitbestimmte Unternehmen nicht anders behandelt werden sollen, als Unternehmen üblicherweise nach dem Aktiengesetz behandelt werden.
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16064 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Rappe
Deswegen keine andere Regelung, denn wer eine andere Regelung will, deklassiert mitbestimmte Unternehmen. Das war das Kernstück der Problematik meines Kollegen Augstein.
Soweit diese paar Bemerkungen.Ich will jetzt noch ein paar Minuten auf die Pappkameraden des Kollegen Franke verwenden. Wissen Sie, Herr Kollege Franke, es fällt schwer, hier den dauernden Seiltanz der Vertreter der CDU/CSU zu erleben. Ich kann mich noch sehr gut an die erste Lesung dieses Gesetzentwurfs im Juli 1974 erinnern.
— Ja, dieses Gesetzentwurfs.Da sprachen vier Redner der CDU/CSU. Der aufmerksame Bürger, der diese vier Reden nachliest, der wird das Problem sehen: zweimal rechts, zweimal links. Da hat jeder von Ihnen das Gegenteil des anderen gesagt. Das ist ja Ihre Schwierigkeit, in der Sie stecken.
Nun zu einer langen Sammlung von Zitaten, die es hier anzubieten gibt: Damit sie einfach im Protokoll der heutigen Sitzung stehen, will ich Ihnen noch ein paar Zitate mitgeben, auch wenn es Sie wahrscheinlich nicht allzusehr erfreuen wird.Herr von Bismarck, Ihre Feststellungen heute und Ihre Aussage zum Problem Gewerkschaften kann ich nicht ernst nehmen. Es gibt zwei Äußerungen von Ihnen, die mich auf das Schlimmste erschrekken. Am 8. Juli 1974 haben Sie vor dem Bundeskongreß der Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU in Berlin laut Protokoll erklärt:Ich fürchte — und ich möchte das in allem Ernst ausdrücken —, daß Herr Vetter später einmal als einer der gefährlichsten Feinde gewerkschaftlicher Freiheit in die Geschichte eingehen wird.
Das müssen Sie im Zusammenhang mit Ihrer Erklärung sehen, die Sie im Protokoll nachlesen können.Nun will ich noch ein zweites Zitat bringen. Herr von Bismarck sprach am 27. März 1974 vor dem Wirtschaftstag des CDU-Wirtschaftsrates vom „Selbstmordprogramm der Freiheit", das er in einem Funktionärsstaat sehe, zu dem die Mitbestimmungsvorlage der Bundesregierung den wohl bisher entscheidenden Schritt vollziehe.Diese beiden Zitate ins Stammbuch! Dann brauchen Sie über ein besonderes Verhältnis zu den Gewerkschaften nicht mehr zu reden. Das nimmt Ihnen keiner mehr ab.
Ein weiteres Zitat. In Sonthofen hat nicht nur Herr Strauß gesprochen. Bedauerlicherweise ist Herr Stücklen immer zu gut dabei weggekommen; denn es gibt auch eine Rede von Herrn Stücklen, die er in Sonthofen gehalten hat.
In dieser Rede steht folgender Absatz:
Aus all dem folgt, daß wir keinerlei Veranlassung haben, heute auf dem Gebiet Mitbestimmung initiativ zu werden. Wir sollten die Koalition im eigenen Saft schmoren lassen.
Wenn wir jedoch durch die Regierung gezwungen werden sollten, zu ihrem Gesetzentwurf Stellung zu nehmen, würden wir hierauf natürlich nicht verzichten, sondern uns bemühen, durch Änderungsvorschläge wie Urwahl, Ausschluß von Externen und Minderheitenschutz durch lupenreines Gruppenwahlrecht den Regierungsentwurf zu entschärfen, um so wenigstens das Schlimmste zu verhindern.
In dem CDU-Papier von Hamburg steht etwas vom „Sozialverband". In diesem Zusammenhang empfehle ich Ihnen, die zweite Sonthofener Rede von Herrn Strauß zu lesen. Dort heißt es, daß Katzer und Barzel — ich brauche Ihnen das lange Zitat nicht vorzulesen; Sie kennen das selber — von völlig falschen Vorstellungen ausgingen, als sie das Unternehmen einen Sozialverband nannten. Der wischt das dann mit einer Handbewegung vom Tisch.
— Hier geht es darum, daß wir bei dem Seiltanz, den Sie vollführen, die schillernden Diskussionsbeiträge, die Sie in zwei Jahren zu der ganzen Sache geliefert haben, festhalten, damit überhaupt jemand weiß, was Sie im Verlauf der Jahre zur Mitbestimmungsdiskussion beigetragen haben.
Sie springen jetzt auf den fahrenden Zug auf, aber zwei Jahre lang haben Sie doch zur sachlichen Diskussion in diesem Lande gar nichts beigetragen.
Ihr Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat hat erklärt:Der Entwurf der Regierungskoalition über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Großunternehmen ist nach Meinung des CDU-Vorsitzenden ein Anschlag gegen ein Stück Freiheit in unserem Lande.Er sagte weiter, daß dieses Gesetz zur Entmündigung der Arbeitnehmer führe
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Rappe
und daß die CDU an ihrer Auffassung des Prinzips der Freiheit festhalten werde.Dann hat Herr Biedenkopf erklärt, falls die CDU an die Regierung komme, würde dieses Gesetz abgeschafft, sofern dies dann noch möglich wäre, oder die CDU würde mit einem Verbändegesetz antworten. Das sagte er bei einem Gespräch in der Redaktion der „NRZ".
— Es ließe sich sehr wohl eine lange Reihe festlegen. Ich will Ihnen nur in diesem Zusammenhang folgendes sagen: Ihre Reden von Pappkameraden und Ihre Diskussionsbeiträge hat man. in dem Licht dieser Zitate der vergangenen zwei Jahre zu werten,
damit deutlich wird, wer hier eigentlich den Arbeitnehmern in der Bundesrepublik den Durchbruch zu mehr Mitbestimmung verschafft. Ihre Seite ist es doch nicht. Eine völlige Zerrissenheit gibt es in Ihrer Bundestagsfraktion zu dieser Frage.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Franke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Rappe hat hier bei den Zitaten, die er gebracht hat, nicht gesagt, daß sie von Herrn Kohl aus dem Jahre 1974 stammen. Das, was Herr Kohl 1974 gesagt hat, habe ich auch in der ersten Lesung am 20. Juni 1974 gesagt, und die gesamte Fraktion hat sich dem angeschlossen.
Sie hatten seinerzeit einen Gesetzentwurf vorgelegt, diesen sogenannten Arendt/Maihofer-Kompromiß, der in seinem Kern zum Inhalt hatte, daß eine Entmündigung der Arbeitnehmer durch das Wahlmännergremium stattfinden sollte. Durch die Ausschußberatungen sind Sie dann auf die Ideen der CDU gekommen und haben sie angewendet, indem Sie im Ausschuß Minderheitsschutz und Wahlgrundsätze in diesen Gesetzentwurf mit eingearbeitet haben.
Herr Kohl hat 1974 recht behalten, als er diesen Gesetzentwurf als einen Entwurf zur Entmündigung der Arbeitnehmer bezeichnet hat.
Nach der Änderung im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat Herr Kollege Kohl 1975,. nachdem Ihre Ankündigung kam, gesagt, hier sei ganz eindeutig eine Anreicherung im Hinblick auf eine weitere Demokratisierung und im Hinblick auf eine
Berücksichtigung der Minderheiten durchgesetzt
worden. Dieser Gesetzentwurf trage die Züge der
CDU; deswegen könne er ihm heute zustimmen.
Herr Kollege Rappe, Sie machen hier unzulässigerweise, wenn Sie so wollen, Geschichtsklitterung, indem Sie Kohl aus dem Jahre 1974 zitieren und dabei das Datum nicht sagen. Das, was Kohl 1974 gesagt hat, hat er mit vollem Recht gesagt. Durch unsere Arbeit und in der Arbeit mit einem anderen Teil des Hauses ist dieser Gesetzentwurf verändert worden. Darum können wir ihm zustimmen. Wir haben die Veränderung durchgesetzt. Darauf sind wir stolz.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über Ziffer 9 des Änderungsantrags der CDU/CSU auf Drucksache 7/4887. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Wir müssen die Abstimmung wiederholen. Wer zustimmen möchte, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Änderungsantrag unter Ziffer 10 zum § 26. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen damit zur Abstimmung über den § 26 in der Ausschußfassung. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit der gleichen Mehrheit angenommen.Wir stimmen ab über § 27. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Zu § 28
liegt ein Änderungsantrag unter Ziffer 11 des Umdruckes 7/4887 vor. Er ist schon begründet. Wer dem Änderungsantrag zu § 28 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen damit zur Abstimmung über § 28 in der Ausschußfassung.
— Abschnittsweise? — Wir stimmen also ab über § 28 Abs. 1 bis 3 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
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16066 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Vizepräsident Frau FunckeWir stimmen ab über § 28 Abs. 4 und 5 in der Ausschußfassung.
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.Wir stimmen ab über § 29. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Zu § 30 liegt ein Änderungsantrag unter Ziffer 12 vor. — Zur Begründung Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion bitte ich das Hohe Haus, § 30 des Gesetzentwurfs in der Ausschußvorlage abzulehnen und die ursprüngliche Fassung des Regierungsentwurfs wiederherzustellen.Mit dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen wird erstmals der Arbeitsdirektor in dieses Mitbestimmungsgesetz eingeführt. Aus diesem Grunde war eine hinreichende Behandlung dieses Vorschlags in der bisherigen Beratung, vor allem in den vier Hearings, nicht möglich gewesen. Wir meinen, die Mehrheit in diesem Hause sollte nun, am Ende einer jahrelangen und leidenschaftlichen Diskussion, nicht mit nachgeschobenen Vorschlägen neuer Art mühsam die gleichen Fehler nachholen, die sie an anderer Stelle auf Grund eingehender Überlegungen und zwingender Argumente und Erkenntnisse noch korrigiert hat.Zum ersten. Zwischen den Koalitionsparteien und innerhalb der Bundesregierung werden Inhalt und materielle Wirkung der vorgeschlagenen Änderung sehr unterschiedlich, ja gegensätzlich ausgelegt. Herr Kollege Schmidt hat bereits heute vormittag dargestellt, wie er und seine Fraktion den neuen § 30 verstehen. Für ihn und seine Auslegung sprechen — das möchte ich hier ausdrücklich sagen — der Text und die Struktur des Gesetzes. Aber, meine Damen und Herren, Herr Minister Arendt hat doch schon im Dezember letzten Jahres deutlich gemacht, daß er mit der neuen Bestimmung den Weg des Montan-Mitbestimmungsgesetzes 1951 eingeschlagen sieht. Ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren:Im allgemeinen, besonders in Großunternehmen, — so schreibt Herr Arendt an seine Fraktion —wird der Arbeitsdirektor gleichwohl von der Arbeitnehmerseite kommen.In diesem Sinne argumentieren die Kollegen von der SPD. Schon aus der Übernahme des Titels Arbeitsdirektor entnehmen sie für die Bestellung eine Sonderzuständigkeit der Arbeitnehmervertreter. Sie behaupten, es würden — ich zitiere — die Entwicklungen aus dem Montanbereich in den Begriff einbezogen.Ganz anders sehen es die Kollegen von der FDP, und sie haben guten Grund dafür. Sie erklären, daß nach dem gemeinsamen Änderungsvorschlag eben nicht der Arbeitsdirektor aus dem Montanbereich eingeführt werde. Für sie, die FDP, scheint sichergestellt, daß die Gewichtsverteilung im Aufsichtsrat bis hin zur Pattauflösung voll auf die Bestellung des Arbeitsdirektors durchgreift, daß gerade eine besondere Abhängigkeit des Arbeitsdirektors von den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat ausgeschlossen ist.Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier wiederholt sich etwas, was wir aus anderen Diskussionen zu anderen Themen zur Genüge kennen. Aus gegensätzlichen, ja, unversöhnlichen Positionen heraus einigt man sich auf eine gemeinsame. Formel, aber inhaltlich bleibt man uneinig. Nachdem man den semantischen Kompromiß gefunden hat, glaubten beide Seiten sich voll durchgesetzt zu haben. Man überläßt es der Praxis, dem Kräftespiel der Betroffenen und Beteiligten und schließlich und endlich den Gerichten, was wirklich gelten soll. Dies ist, wie ich meine, ein ganz unmöglicher Vorgang.
Zur Rechtsstaatlichkeit gehört auch die Rechtsklarheit. Die Bürger in unserem Land, die Arbeitnehmer, die Gewerkschaften, die Unternehmer und auch die Gerichte haben Anspruch auf klare, unmißverständliche und eindeutige Gesetze. Was Sie hier vorschlagen, ist — dies wird deutlich, wenn man sich die verschiedenen Stellungnahmen ansieht — das Gegenteil.Zweitens. Mit ihrem Änderungsantrag zu § 30 begeben sich die Koalitionsfraktionen erneut auf den rutschigen Boden verfassungsrechtlicher Zweifelhaftigkeit. Ich möchte Sie, meine Damen und Herren von der SPD und der FDP, herzlich bitten, diese Bedenken sehr ernst zu nehmen und in nüchterner Sachlichkeit zu prüfen. Wir haben schon in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes am 20. Juni 1974 unsere verfassungsrechtlichen und ordnungspolitischen Bedenken gegen den Regierungsentwurf begründet. Auch ich habe dies an dieser Stelle getan. Zumindest die Damen und Herren von der SPD haben uns — insbesondere mich — sehr dafür gescholten. Der Herr Kollege Farthmann ließ seine Ausführungen damals in der Behauptung gipfeln, was in meinen Ausführungen an „Gewerkschaftsfeindlichkeit, Gewerkschaftsfurcht und Gewerkschaftsablehnung" angeklungen sei, habe er „im Jahre 1974 des Herrn nicht mehr für möglich gehalten".
— Herr Kollege, was nach den Beratungen in den Ausschüssen, den Anhörungen der Sachverständigen, der völligen Umkrempelung des ursprünglichen Gesetzentwurfs durch Sie und Ihre Änderungsvorschläge von jenen weiß Gott unberechtigten, unsachlichen und wahrheitswidrigen, ja, diffamierenden Vorwürfen übriggeblieben ist, fällt nun allein auf Sie zurück, meine Damen und Herren von der SPD. Sie müssen sich doch nun selber an den Hut stecken, was Sie damals mir und uns vorgeworfen haben.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976 16067
Graf StauffenbergDer Bundesarbeitsminister hatte in der ersten Lesung hier noch erklärt, daß beispielsweise der „Stichentscheid" im Grunde mit echter Mitbestimmung unvereinbar sei, eben mit dem, was er unter Mitbestimmung versteht. Heute muß er sich nun gerade für diese Lösung einsetzen. Ich glaube nicht, daß man sich eine schwerere Niederlage für einen Minister vorstellen kann. Wir waren und sind anderer Meinung, als der Bundesarbeitsminister Arendt es damals war. Für uns gab und gibt es nur eine mögliche Mitbestimmung, nämlich eine, die auf dem Boden des Grundgesetzes steht, die die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftens gewährleistet und damit nicht zuletzt die Arbeitsplätze sichert.Meine sehr verehrten Damen und Herren von der FDP, ich habe rein menschlich großes Verständnis, wenn Sie jetzt versuchen, diese weitgehende Veränderung des ursprünglichen Regierungsentwurfs als Erfolg an Ihre Fahnen zu heften. Aber hier muß doch diese Frage erlaubt sein: Wer und was hat Sie denn im Januar 1974 gezwungen, einen Entwurf vorzulegen, von dem Sie bald darauf selbst sagten, daß er verfassungswidrig sei?
Warum haben Sie denn nicht von Anfang an einen Entwurf vorgelegt, der keine verfassungsrechtliche Risiken beinhaltet? Was hätten Sie gemacht, wenn nicht wir von der Opposition in mühsamem, zähem Ringen das vierte Hearing, das Verfassungshearing durchgesetzt hätten? Da holt man erst — gewissermaßen — den Hammer heraus und fuchtelt mit ihm herum, läßt sich in langen und zähen Debatten überreden, ihn wieder einzustecken, und beansprucht für diese heldenhafte Tat dann noch die Lebensrettungsmedaille. Das tun Sie doch, wenn Sie heute als Retter der Marktwirtschaft posieren.
Herr Kollege Mischnick hat laut „Tagesdienst" seiner Fraktion am 9. Dezember 1975 betont, es gehe „um stärkere Beteiligung des einzelnen Arbeitnehmers und einen Ausbau des Gruppenprinzips wie des Minderheitenschutzes" ; gleichzeitig ging es, so sagte er, um den Ausschluß verfassungsrechtlicher Risiken. Herr Kollege Mischnick, das ist alles ganz korrekt. Darum ging es und geht es auch der CDU und der CSU. Herr Kollege Mischnick, darum ging es uns aber schon, bevor Sie Ihren ersten Entwurf vorlegten. Darum ging es uns schon, bevor viele von uns durch ein Verfassungshearing vielleicht noch klüger geworden sind. Die Argumente waren im wesentlichen ja bereits der großen Ansammlung von Literatur zu entnehmen. Sie stecken sich jetzt bunte Federn eines angeblichen Erfolges an den Hut; aber das Rupfen dieser Federn haben Sie anderen überlassen, und dieses Rupfen, meine Damen und Herren, haben wir, die Opposition, für Sie erledigen dürfen.
Die tiefgreifenden Verbesserungen, mit denen der Regierungsentwurf — es sind zweifellos tiefgreifende Verbesserungen — jetzt vorliegt — sind im Grunde überhaupt nicht Erfolg einer Partei übereine andere. Sie sind — so sehe ich das — im wesentlichen der Erfolg des Grundgesetzes und der Grundrechte und der Vernunft über ideologische Irrwege.
— Das tue ich nicht. Ich halte mich nur daran.Bei der Korrektur des Regierungsentwurfes galt es, neben Artikel 14, über den heute schon gesprochen worden ist, vor allem Artikel 9 zu wahren: Koalitionsfreiheit, Tarifautonomie und das Prinzip der Gegnerfreiheit. Nach der Pattmitbestimmung des Regierungsentwurfs werden die Tarifverhandlungen von der offenen, fairen Auseinandersetzung, wie sie es nach dem Grundgesetz sein sollten, zu einem Insich-Geschäft degeneriert. Auf beiden Seiten säßen die Vertreter derselben Gruppe, der gleichen Organisationen mit entscheidendem Einfluß. Auf der Arbeitgeberseite wäre die Gegnerfreiheit, geschützt durch Artikel 9 Abs. 3 des Grundgesetzes, nicht mehr gewährleistet.
— Meine Damen und Herren von der SPD, da kann man auch nicht mit der Ideologie arbeiten. Das ist Ideologie, daß die gleichen Funktionäre im Aufsichtsrat, wenn es um die Bestellung des Vorstands geht, plötzlich wie mit Zauberschlag aus Arbeitnehmern und Arbeitnehmervertretern und Gewerkschaftlern zu Arbeitgebern würden. Einen solchen Rollenwechsel, man muß eigentlich sagen: Identitätstausch, kann doch niemand einem überzeugten Gewerkschaftler auch nur zumuten.
Mit der zweiten Stimme des Aufsichtsratsvorsitzenden, meine Damen und Herren, mit der Einführung des Stichentscheides auch bei der Bestellung des Vorstandes sind die ärgsten Gefahren für die Prinzipien des Artikels 9 zunächst behoben worden. Sie haben hier die Konsequenz aus den Verfassungsbedenken gezogen. Insofern haben die Änderungsanträge der SPD und FDP nichts anderes gemacht, als die logische Konsequenz aus unserem Tarifvertragssystem gezogen, das doch gerade der SPD sonst so sehr am Herzen liegt.Wir haben bei den bisherigen Vorschriften bereits darüber gesprochen, debattiert und abgestimmt. Meine Damen und Herren von der SPD, mit der Einführung des Arbeitsdirektors gemäß § 30 scheinen Sie die gleichen Fehler doch, wenn man Ihrer Auslegung folgt, durch die Hintertüre wieder einbringen zu wollen. Nach Ihrer Interpretation würde die Gefahr einer Aushöhlung der Tarifautonomie erneuert und entscheidend verschärft werden. Der Änderungsvorschlag der Koalitionsparteien gibt aber über den Umfang, die Aufgaben und Zuständigkeiten des Arbeitsdirektors keine Auskunft.Der Bundesarbeitsminister gibt die Erklärung ab, der Arbeitsdirektor werde „schon von seiner Be-
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16068 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Graf Stauffenbergzeichnung her einen unentziehbaren Kernbereich in Personal- und Sozialfragen haben". Was aber, Herr Minister, zu diesem „unentziehbaren Kernbereich" gehört, ob dazu beispielsweise auch die Zuständigkeit für Betriebsvereinbarungen oder Tarifverhandlungen, die Vertretung des Unternehmens in Arbeitgeberverbänden gehören würde und müßte, bleibt bisher offen und ungeklärt. Zwar hören wir dann wieder von den Vertretern der Regierung, und wohl auch von der FDP, daß „der Arbeitsdirektor nicht qua Amt die Repräsentation gegenüber dem Betriebsrat oder den Tarifvertragsparteien" übernehme. Dies sei Sache, so sagen Sie, der Geschäftsordnung, die der Aufsichtsrat dem Vorstand gebe.Aber meine Herren von der FDP, selbst wenn diese Ansicht zutrifft, bleibt es doch zumindest zweifelhaft, ob eine solche Zuständigkeitsteilung praktisch durchzuführen ist. Aus dem Kernbereich in Personal- und Sozialfragen ergibt sich doch sicherlich, daß der Arbeitsdirektor derjenige ist, Graf Lambsdorff, der für Betriebsvereinbarungen und Tarifverhandlungen die Informationen liefert, der die Unterlagen erarbeitet und bereitstellt und damit die Verhandlungspositionen auf der Arbeitgeberseite und der Unternehmensführung im wesentlichen vorausbestimmt und vorbestimmt.Wenn der Arbeitsdirektor — um wiederum der Argumentation der SPD zu folgen — zu einer Art von Organ der Arbeitnehmerseite würde oder, besser gesagt, der Arbeitnehmervertreter, in faktischer Abhängigkeit von den ArbeitnehmervertreternI wäre,
dann, Herr Kollege Arndt, stünde das Grundrecht des Art. 9 auf dem Spiel. Ich bitte nochmals, dies sehr ernsthaft zu überlegen. Als wir diese Verfassungsbedenken an anderer Stelle in der ersten Lesung angesprochen haben, haben Sie uns beschimpft. Jetzt bitte ich Sie doch sehr herzlich, diese gleichen Argumente, die wir hier bringen — an anderer Stelle haben Sie sie berücksichtigt —, jetzt auch wieder zu prüfen, bevor Sie mit voreiligen Gegenmeinungen und Urteilen kommen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Herr Kollege Graf Stauffenberg, sind Sie sich darüber im klaren, daß nach dem Bericht des federführenden Ausschusses und der sehr subtilen und korrekten Darstellung, die der Berichterstatter, Herr Kollege Sund, heute morgen hier gegeben hat, Sie der erste sind, der diese Interpretation des Arbeitsdirektors in die Debatte des Gesetzgebers bringt?
Herr Kollege Graf Lambsdorff, darf ich Ihnen hiermit sagen, daß nach wie vor die Äußerungen des Herrn Bundesministers Arendt im Raum stehen und daß außerdem das, was
Herr Kollege Sund heute morgen hier gesagt hat, diese meine Zweifel gerade bestärkt. Ich muß das hier sagen, denn wir müssen über diese Frage an diesem Ort noch sprechen, solange es möglich ist und es in unserer Hand liegt, eine Verbesserung einzuführen. Es hat doch keinen Sinn, Stillschweigen darüber zu bewahren und so zu tun, als sei alles in Ordnung, und es nachher dem freien Kräftespiel draußen zu überlassen, was dann Rechtens sein soll. Das geht doch wirklich nicht.
Nur wenn der Gesamtvorstand für die Tarifpolitik zuständig ist, wenn das für diesen Bereich zuständige Mitglied des Vorstands
— wieso lachen Sie eigentlich darüber; das ist die Auskunft, die uns der Regierungsvertreter in den Ausschüssen gegeben hat; erkundigen Sie sich doch einmal bei Minister Arendt, ob das stimmt oder nicht — nicht in einer Sonderabhängigkeit von jenen steht, denen es am Verhandlungstisch gegenübersitzt, kann man von einem verfassungsrechtlich unbedenklichen Gesetz sprechen.
Herr Kollege Wehner, Sie haben in Ihrer unnachahmlichen Art die völlige Änderung des Regierungskonzepts in einer Presseerklärung wie folgt begründet — ich darf zitieren, Frau Präsidentin —:
Das letzte war das Schwerwiegende, war auch für uns ein Signal, daß wir das in unseren Kräften und Vermögen Liegende zu tun hätten, um zu verhüten, daß der Entwurf in Karlsruhe hängen bleibt. Deswegen haben wir uns also Mühe gegeben, damit es hier keine Hebel gibt, an denen man hin und zurück rucken könnte.
Soweit Herr Kollege Wehner. — Meine Damen und Herren von der SPD, mit der Änderung des § 30 nach Ihren Vorschlägen und Ihrer Auslegung schaffen Sie eben diesen Hebel, mit dem das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht landen kann. Sollte Ihr Vorschlag Gesetz werden, würden wir uns nicht wundern, wenn er über kurz oder lang „in Karlsruhe hängen" würde — um hier noch einmal mit Herrn Kollegen Wehner zu sprechen. Der § 30 des ursprünglichen Regierungsentwurfs war — im Gegensatz zu sehr vielen anderen Paragraphen des damaligen Regierungsentwurfs — eine klare, unmißverständliche und vernünftige Vorschrift. Er war sinnvoll, und er war verfassungsrechtlich einwandfrei.
Namens meiner Fraktion bitte ich, unserem Änderungsantrag zuzustimmen und § 30, wie ihn der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung vorgelegt hat, abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Rappe.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Graf Stauffenberg, eins vorweg: Ich glaube, Sie müssen sich mit Ihrem Kol-
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legen Franke darauf einigen, ob nun Sie das Gesetz beeinflußt oder wir es gemacht hätten,
wie das normalerweise der Fall ist, daß die Koalition das Gesetz macht. Das können Sie nicht in jedem Diskussionsbeitrag umdrehen, so wie es gerade paßt. Sie werden später einmal im Protokoll sehen, was für Kobolze im Laufe des heutigen Tages Sie hintereinander geschossen haben.
Nun eine zweite Bemerkung. Herr Kollege Graf Stauffenberg, wenn Sie von Mitbestimmung reden, dann hat man den Eindruck, daß Sie den Aufsichtsrat, die Arbeitnehmerbank und auch die Funktionen sowie die Aufgabenstellung eines Arbeitsdirektors nicht kennen können.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg?
Bitte schön!
Herr Kollege Rappe, da Sie zwischen Herrn Franke und mir apropos des Entstehens der Änderungen Unterschiede sehen, können wir uns vielleicht auf die folgende Formulierung einigen: Wir haben die inhaltlichen Anstöße gegeben, Sie haben es übernommen, Formulierungen zu finden? Das gilt allerdings nicht für 30.
Herr Graf Stauffenberg, wenn Sie für die CSU sprechen, schon einmal gar nicht. Denn da gibt es ja Parteitagsbeschlüsse — na ja — und Reden von Sonthofen,
die Sie sich einmal in Ruhe angucken sollten. Wenn Sie für die CDU sprechen wollen, dann muß ich Ihnen sagen: Auch Sie kennen die Anträge oder die beschlossene Konzeption von Hamburg nicht.
— Nein, wir können uns nicht einigen. Ich kann Ihnen den Gefallen nicht tun.
Nun eine weitere Bemerkung: Den in diesem Gesetz skizzierten Arbeitsdirektor - ich glaube, das wird bei der ganzen Diskussion doch sehr oft vergessen — gibt es schon seit Jahren im Mitbestimmungssicherungsgesetz — so wird es praktiziert —, und auf dieser Basis ist die Stellung des Arbeitsdirektors der aller anderen Vorstandsmitglieder gleichberechtigt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Blüm?
Ja. Da bin ich gespannt.
Herr Kollege Rappe, würden Sie mir zugestehen, daß der Arbeitsdirektor im Mitbestimmungsergänzungsgesetz mit Ihrem Arbeitsdirektor nicht vergleichbar ist, weil im Mitbestimmungsergänzungsgesetz die Parität verwirklicht ist?
Darüber, Herr Kollege Blüm, werden wir später
auf Gewerkschafts- oder Forumsveranstaltungen hoffentlich noch einmal diskutieren. Für Sie besteht das ganze Problem der Parität in der Frage des Stichentscheids. Oder — das habe ich den ganzen Tag nicht herausgekriegt, das ist bei Ihnen allen, ganz interessant — besteht für Sie die Belastung der Parität in der Zusammensetzung der Arbeitnehmerbank?
Auch darüber gibt es bei Ihnen keine klare Antwort, weil Sie sich sehr wohl an der Frage vorbeimogeln möchten, wie Sie denn eine klare Haltung zu den leitenden Angestellten einnehmen könnten.
Wir werden ja hoffentlich noch Gelegenheit haben, darüber zu reden. Ich biete Ihnen Forumsveranstaltungen vor Arbeitnehmern und Gewerkschaftlern an, damit einmal deutlich wird, wer denn eigentlich Arbeitnehmerpolitik in diesem Lande betrieben hat und wer nicht,
und welche Koppelungen von Gesetzen die Arbeitnehmer heute nach diesen Jahren der Koalition in den Stand versetzen, ihre Rechte besser auszunutzen als je zuvor in diesem Lande.
— Herr Franke, auch wenn Sie noch so laut rufen: Die deutschen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik sind — ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht — die Arbeitnehmer, die die besten Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte in der Welt haben, und zwar durch die Gesetzgebung der Koalition im Verlauf der letzten Jahre.
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16070 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Rappe
— Sie haben doch 20 Jahre Pause gemacht mit Arbeitnehmerrechten und Arbeitnehmerpolitik.
— Herr Jenninger, als Sie die Schamfrist von 1949 bis 1952 hinter sich hatten, war bis 1966 oder bis 1969 Pause. Das ist der Tatbestand.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller ?
Aber ja.
Herr Kollege Rappe, können Sie dem Hohen Hause wenigstens den Grund mitteilen, warum die Beratungen im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung so lange ausgesetzt waren?
Weil wir die Ergebnisse der ganzen Diskussion verarbeitet und dann eine politische Lösung vorgelegt haben.
Das wissen Sie genau. Darum brauchen wir gar nicht herumzureden. Da hat keine Seite der Koalition etwas zu verbergen. Der Tatbestand ist nur, daß diese Koalition ein Gesetz vorlegt und daß Sie lamentieren und diskutieren und versuchen, sich daran vorbeizumogeln. Das ist der Tatbestand.
Aber nun ein paar Bemerkungen zu § 30. Meine Damen und Herren von der Opposition, Ihr Änderungsantrag paßt überhaupt nicht mehr in dieses Gesetz. Durch die Veränderungen und Verbesserungen, die der. Regierungsentwurf erfahren hat, ist die klarere Definition dieses Vorstandsmitgliedes wichtig und notwendig. Zunächst sagt der neue § 30, dieses Vorstandsmitglied mit der Bezeichnung Arbeitsdirektor ist ein gleichberechtigtes Mitglied des Organs. Gegen diese Feststellung können nur die wirklichen Mitbestimmungsgegner etwas sagen; das kann wohl nicht ernsthaft diskutiert werden.
Zweitens sagt dieser Paragraph, daß der Arbeitsdirektor wie die übrigen Vorstandsmitglieder seine Aufgaben in engem Einvernehmen mit den übrigen Vorstandsmitgliedern auszuüben hat. Ich denke, man kann nichts dagegen einwenden, daß dieses so besonders bezeichnete Vorstandsmitglied so arbeiten soll, wie es dieser Paragraph weiter sagt. Es heißt weiter: „Das Nähere bestimmt die Geschäftsordnung." Wir gehen davon aus, daß der Arbeitsdirektor in seiner Abteilung die Kernbereiche der Sozial- und Personalfragen hat. Was dann noch hinzukommt, regelt die Geschäftsordnung des Vorstandes. Er muß also nicht nur Personal- und Sozialfragen bearbeiten. Sein Name „Arbeitsdirektor" sagt
schon, es ist ein wesentlicher Arbeitsbereich für ihn.
Nun noch ein zweiter Punkt, der viel undramatischer ist, als es manche gern hätten. Wir setzen darauf, daß alle undogmatischen und vor allem unverblendeten Praktiker in den Betrieben, also die praktizierenden Arbeitgeber, sehr viel sachbezogener und vernünftiger handeln, als viele politischen Funktionäre der Arbeitgeberverbände oder ihre politischen Freunde auf der rechten Seite dieses Hauses das wahrhaben wollen.
Das ist nämlich die Praxis in den Betrieben. Diese Praktiker wissen, daß im Aufsichtsrat des Betriebes oder des Unternehmens sehr viel weniger in Konfrontation gehandelt, gearbeitet und gedacht wird, als manche glauben oder glauben machen möchten. Eine moderne und kluge Unternehmensleitung und Arbeitgeberseite im Aufsichtsrat wird den Kompromiß suchen und nicht immer mit der Stichentscheidsstimme die Arbeitnehmerbank überstimmen. Bei der Bestellung des so benannten Arbeitsdirektors wird man beurteilen, wie er mit der Arbeitnehmerseite reden kann, ob es also ein Vertrauensverhältnis gibt. Niemand braucht hier mehr hineinzugeheimnissen, als in dem Paragraphen steht und was die bisherige Übung ist und was die bisherige Praxis aufzeigt. Mitbestimmung heißt bessere Verteilung der Macht und der Verantwortung. Aber sie bedeutet eben auch Kooperation beider Seiten und Beachtung beider Interessensbereiche. Die Handhabung des § 30 ist ein Prüfstein für Mitbestimmungsverwirklichung, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Bezeichnung „Arbeitsdirektor" ist mit voller Absicht dem Erfahrungsbereich bisheriger Mitbestimmungsregelungen entnommen. Der Paragraph entspricht also unseren Vorstellungen von einem Mitbestimmungsgesetz. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich der Opposition ein Kompliment machen.
Es ist ihr wirklich im Rahmen der Antragsbegründung gelungen, dem Deutschen Bundestag und der zuhörenden Öffentlichkeit deutlich zu machen, wie viele Meinungen es über Mitbestimmung in der Opposition in Wirklichkeit gibt.
Es ist bei der Antragstellung wirklich gelungen — —
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976 16071
Schmidt
— Ja, ich habe ja nichts dagegen. Ich mache ihr ein Kompliment. Es ist also wirklich gelungen, daß jeder Mitbestimmungsuntergruppenführer in der Opposition hier über Antragsbegründungen hinaus noch seine Meinung sagen konnte.
— Ja, ich freue mich ja darüber, und ich habe ihr ein Kompliment gemacht. Aber ich gehe auch davon aus, daß alle diejenigen, die zugehört haben, sehr genau gemerkt haben, daß all das, was hier versucht worden ist
an Gemeinsamkeit, Kollege Franke, was heute früh versucht worden ist, die ganze innerparteiliche und interfraktionelle Diskussion zu überdecken, eben nicht möglich war. Heute wurde das eben deutlich. Das ist Ihr gutes Recht. Ich mache Ihnen ein Kompliment dafür.Sie haben deutlich gemacht, wie unterschiedlich das ist, beginnend mit Norbert Blüm, endend mit Graf Stauffenberg. All das, wie gehabt in den letzten Monaten. All das, wie gehabt im Ausschuß.
Noch eine Bemerkung! Herr Kollege Stauffenberg, Sie haben hier — —
— Ja, Herr Kollege Graf Stauffenberg, mein lieber Richard Stücklen, sage ich auch gern. Aber ich möchte eigentlich gar nicht sagen: „Nomen est omen".
— Ja, eben, da sehen Sie, es gibt auch liberale Grafen. Die sind bei uns.
Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, ich möchte hier doch noch einmal klarstellen, Herr Kollege Stauffenberg, ich nehme den Doktor gern zurück. Neulich habe ich in einem Brief „Dr. Stauffenberg" geschrieben. Ich wußte es nicht genau. Er hat mir da geschrieben, daß es nicht so wäre. Ich nehme den Doktor zurück. Aber dafür sage ich Graf.
Herr Kollege Graf Stauffenberg, Sie haben noch einmal den Regierungsentwurf auf seine angebliche Verfassungsfeindlichkeit angesprochen.
— Verfassungsfeindlichkeit, Verfassungswidrigkeit, gut, okay, ich korrigiere mich, Kollege Stücklen. Ichhabe heute früh bereits deutlich gemacht, daß auch wir in der ersten Lesung bemüht waren, daß festgestellt wird, wo Verfassungsprobleme bestehen könnten. Aber ich wundere mich doch darüber, was Sie hier so tun, und muß das noch einmal wiederholen, weil ich mich noch sehr gut erinnere. Ich schicke Ihnen gern einmal die Fotokopien der Aussagen Ihrer vielen Parteifreunde, die seinerzeit, als dieser Regierungsentwurf, den wir bis heute wesentlich verbessert haben, auf dem Tisch lag, erklärten: „Das ist genau das, was wir in Hamburg wollten. Das ist genau das, was von Hamburg abgeschrieben wurde." Wenn dem so war, Graf Stauffenberg, haben Sie also in Hamburg verfassungswidrig gehandelt. Das mag sein. Aber das müssen Sie sich dann ins Stammbuch schreiben lassen.Aber nun zur Sache selbst, zum Antrag.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage zunächst von Herrn von Bismarck?
Bitte schön.
Herr Kollege Schmidt, sollte Ihnen entgangen sein, daß in unserem Hamburger Entwurf vom Arbeitsdirektor nicht die Rede ist?
Herr Kollege von Bismarck, ich habe im Moment in den Vorbemerkungen nicht auf den Arbeitsdirektor, sondern auf den Entwurf generell abgehoben, weil ja hier eine Reihe von anderen Fragen angesprochen wurde und Herr Kollege Stauffenberg den Regierungsentwurf generell so bezeichnet hatte und andere Ihrer Kollegen — der Kollege Katzer sitzt da — sagten: „von Hamburg abgeschrieben". Sie müssen selbst wissen, was Sie in Hamburg getan haben. Das können wir nicht tun.
Herr Kollege Schmidt, damit hier kein Mißverständnis entsteht: Würden Sie zur Kenntnis nehmen können, daß ich von Verfassungswidrigkeit im großen Rahmen nur im Zusammenhang mit dem Regierungsentwurf ursprünglicher Art gesprochen habe, Ihnen aber ausdrücklich konzediert habe, daß an anderer Stelle die Verfassungswidrigkeit beseitigt worden ist durch die Veränderungen, die ich Verbesserung genannt habe, daß ich aber beim Arbeitsdirektor — einer von zwei Punkten — befürchte, daß die Zweifel bestehen bleiben. Darf ich Sie weiter bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Opposition niemals der Passage über den Arbeitsdirektor zugestimmt hat. Das ist auch in Hamburg nicht zu finden.
Ich nehme das gern zur Kenntnis, Herr Kollege Stauffenberg, kann aber nur feststellen, daß ich soeben auch vom Regierungsentwurf gesprochen habe, den Sie eben in bestimmten Passagen für verfassungswidrig hielten und den
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16072 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Schmidt
andere Kollegen der CDU/CSU für von Hamburg abgeschrieben hielten.
— Ja, soll ich Ihnen die Pressestimmen, die damals — —
— Mache ich gerne! Ich habe sie alle drüben, aber ich habe sie jetzt nicht mitgebracht. Der Herr Kollege Blüm, der Herr Kollege Katzer und noch einige weitere waren dabei.
— Er hat sie selber! Also, bitte! — Das wollte ich nur feststellen.Nun aber zur Sache; denn es geht ja hier um einen Änderungsantrag und nicht noch einmal tim die ganze Materie. Aber nachdem Sie jedesmal die ganze Materie ansprechen, muß man dazu etwas sagen.Drei Bemerkungen. Ich habe mir heute früh bereits noch einmal erlaubt, die Opposition zum Nachdenken anzuregen,
ob nicht die ursprüngliche Formulierung, die Sie jetzt wiederherstellen möchten, viel stärker einen gewissen Trend in eine gewisse Richtung darstellt, weil dort mit dem Wort „vorwiegend" eine besondere Situation dieses Vorstandsmitglieds angesprochen worden ist. Ich habe heute früh gesagt: Denken Sie noch einmal nach,
Ich hätte mich gefreut, wenn Sie den Antrag zurückgezogen hätten, nachdem Sie nachgedacht hatten. Hier liegt der erste Grund, aus dem wir die jetzige Formulierung für besser halten.Es gibt einen zweiten Grund. Ich wundere mich eigentlich auch wieder über den Kollegen Stauffenberg, der plötzlich sagt, das Nachschieben von Änderungen sei nicht gut gewesen. Heute morgen wurde mir von Ihren Sprechern gesagt: Es war notwendig, vieles zu ändern. Wir haben eben auch über die Formulierung in § 30 nachgedacht und haben von der Koalition her festgestellt, daß „vorwiegend" eher einen Trend anzeigt, der nicht dem entspricht, was wir gemeinsam wollen, und daß es deshalb besser ist, die andere Formulierung zu wählen.Ich wiederhole lediglich noch einmal, was ich heute früh gesagt habe: Die jetzige Formulierung ist für uns Freie Demokraten eindeutig und klar. Herr Kollege Stauffenberg, da gibt es keine Verschiedenheiten irgendeiner Aussage, sondern da gilt— wie Sie mit Recht sagen — Text, Struktur und Bericht dieses Gesetzes. Bitte, lesen Sie nach, was da steht. Es ist ein Vorstandsmitglied wie jedes andere mit dem Namen „Arbeitsdirektor".
Es ist nicht der Arbeitsdirektor der Montan-Mitbestimmung. Ich kann mir das übrige aus Zeitgründen sparen; Sie können es alles nachlesen.Aus diesen Gründen sehen wir diese Formulierung für besser an und lehnen Ihren Antrag ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ehe ich zu § 30 einiges sage, lassen Sie mich das Erinnerungsvermögen des Herrn Kollegen Rappe etwas auffrischen. Herr Kollege Rappe, es stimmt sicherlich, daß wir bei uns in der Bundesrepublik die besten Mitbestimmungsrecht für die Arbeitnehmer haben. Darf ich Sie aber daran erinnern, daß das Montan-Mitbestimmungsgesetz, von dem ich meine, daß es nach wie vor das beste Mitbestimmungsgesetz ist, unter Bundeskanzler Adenauer verabschiedet worden ist und als einziges Gesetz bisher überhaupt die gleichberechtigte und gleichgewichtige Mitbestimmung der Arbeitnehmer beinhaltet.
Darf ich Sie daran erinnern, daß 1952 das Betriebsverfassungsgesetz verabschiedet wurde, dem Sie damals die Zustimmung verweigerten.
— Herr Kollege Wolfram, nun lassen Sie midi doch wenigstens einmal einen Satz zu Ende reden und lassen Sie mich das einmal als Beweis dafür anführen, was in dieser Situation damals alles geschaffen worden ist. Sie wissen doch noch gar nicht, was ich alles sagen will.1952 kam das Betriebsverfassungsgesetz. Darin wurde die Mitbestimmung in den Unternehmen außerhalb des Montanbereiches geregelt. Diesem Gesetz haben Sie die Zustimmung verweigert, weil Ihnen damals diese Mitbestimmung nicht weit genug ging. Dieses Gesetz bleibt, auch wenn das heutige Gesetz verabschiedet worden ist, zu einem großen Teil weiter in Kraft.1956 kam das Mitbestimmungsergänzungsgesetz, 1967 unter Hans Katzer das Mitbestimmungssicherungsgesetz. Herr Kollege Rappe, vielleicht darf ich Sie daran erinnern, daß ich damals der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit war und daß dieses Mitbestimmungssicherungsgesetz unter meinem Vorsitz beraten und verabschiedet worden ist.
Wie Sie sich hier hinstellen und behaupten können, in all diesen Jahren sei in dieser Frage nichts geleistet worden, ist mir unverständlich. Sie müssen mir einmal die Frage beantworten, wie Sie das ei-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976 16073
Müller
gentlich auf seinen Wahrheitsgehalt hin prüfen wollen.
Im Dezember 1968, Herr Kollege Rappe, kam von der SPD-Fraktion — damals mit uns in der Großen Koalition — ein eigener Mitbestimmungsentwurf.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte diesen Abschnitt erst zu Ende führen, Frau Präsidentin, dann gerne.
Zu Beginn der Großen Koalition unter Bundeskanzler Kiesinger hat die Regierung — Sie haben ja in Ihren Reihen noch Kollegen, die damals diesem Kabinett angehört haben — eine Mitbestimmungskommission unter Vorsitz des damaligen Bochumer Professors Biedenkopf eingesetzt, die die Erfahrungen mit der Montan-Mitbestimmung auswerten sollte, um Unterlagen und Erkenntnisse für eine Weiterentwicklung der Mitbestimmung in den übrigen Bereichen der Wirtschaft zu gewinnen. Der Bericht dieser Kommission, die im wesentlichen die Strukturelemente der Montan-Mitbestimmung bejahte, wurde fertiggestellt, als bereits die Regierung Brandt/Scheel das politische Geschehen in der Bundesrepublik bestimmte.
Die Sozialdemokraten, die 1968
— im Dezember 1968 — ihren Gesetzentwurf eingebracht und als ihre politische Meinung dargestellt hatten, haben dann in der neuen Koalition 1969 ihren Gesetzentwurf nicht wieder eingebracht, obwohl sie 1969 mit der paritätischen Mitbestimmung Wahlkampf betrieben haben.
Als Sie diesen Gesetzentwurf im Dezember 1968 einbrachten, Herr Kollege Rappe, ohne gemäß einer Koalitionsabsprache den Biedenkopf-Bericht abzuwarten, wußten Sie genau, daß wegen der Fülle der Arbeit in der Großen Koalition auch auf sozialpolitischem Gebiet eine sachgerechte Beratung und Verabschiedung überhaupt nicht mehr möglich war.
Denken Sie auch an das, was 1969 noch alles verabschiedet worden ist — auch das darf ich sagen, weil es unter meinem Vorsitz geschehen ist —: das Arbeitsförderungsgesetz, das Berufsbildungsgesetz, das Lohnfortzahlungsgesetz und das Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz. Auf der Regierungsbank sitzen einige aus der Ministerialbürokratie, die damals mitgearbeitet haben.
Wie Sie dann hier eine solche Aussage machen können, ist mir einfach schleierhaft.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Bitte sehr!
Ohne Sie, sehr verehrter Herr Kollege, in Ihrer Quellenforschung stören zu wollen, möchte ich Sie fragen: Ist Ihnen bei Ihrer Liste nachträglich zum Bewußtsein gekommen, daß zwar tatsächlich, während der verehrte Kollege Katzer Arbeits- und Sozialminister war, das Mitbestimmungssicherungsgesetz hier angenommen wurde, daß es aber nicht von ihm eingebracht worden war und damals vom Kabinett nicht hat eingebracht werden können, weil der damalige Bundeskanzler sagte, wir sollten es lieber durch die Fraktionen machen, obwohl es in der Regierungserklärung anders versprochen worden war?
— Nein, nein.
— Hören Sie mal,
ich werde Ihnen einmal an einem gemütlichen Abend erzählen, wie ich es erreicht habe, weil für Sie andere Fragen interessant waren, daß wir hier nicht eine Mehrheit gegen das Gesetz hatten.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller .
Herr Kollege Wehner, ich habe Ihnen gesagt: Unter meinem Vorsitz ist das beraten und verabschiedet worden. Ich gehöre auch zu denen, die diesen Gesetzentwurf auf Initiative des damaligen Arbeitsministers wegen der Kürze der Zeit unmittelbar im Bundestag eingebracht haben.
Nun aber zum Arbeitsdirektor. Meine Kollegen Blüm, Zink und ich haben in den Ausschußberatungen Anträge eingebracht. Unter anderem auch einen Antrag, diesen Ehrentitel „Arbeitsdirektor" substantiell anzureichern und ihn nicht gegen die Stimmen der Mehrheit der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat wählen zu lassen. Wir sind unterlegen. Wir stellen diesen Antrag heute nicht mehr. Ich wollte aber daran erinnern, daß ich in den Ausschußberatungen den Etikettenschwindel, der mit dem heutigen Gesetz betrieben wird, sehr deutlich gemacht habe. Es wird doch hier nur der Eindruck erweckt, als sei der im Montan-Mitbestimmungsgesetz ver-
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Müller
ankerte Arbeitsdirektor auch in dieses Gesetz übernommen.
Der Kollege Blüm hat heute morgen vom „Türschild" gesprochen; ich kann das nur noch einmal bestätigen. Das ist ein Titel, der substantiell nicht angereichert ist.Ich halte fest: Der Arbeitsdirektor kann auch gegen die Stimmen der Mehrheit der Arbeitnehmervertreter bestellt werden. Ich habe in den Ausschußberatungen deutlich gemacht — ich wiederhole das —, daß die Verwendung des Begriffs Arbeitsdirektor den Arbeitnehmern etwas vorgaukeln soll, was im Gesetz keine Grundlage hat. Diese Bezeichnung hat keine sachliche Beziehung zur Funktion des Arbeitsdirektors in der Montan-Industrie. Auf die unterschiedliche Auslegung, die von den beiden Regierungsparteien öffentlich vorgenommen worden ist, ist schon wiederholt hingewiesen worden. Ich glaube, es ist mit Recht gesagt worden, daß der Titel Arbeitsdirektor materiell-rechtlich ohne Bedeutung ist.Aber ich möchte es jetzt nicht so tierisch ernst machen. Die Regierung ist in die Situation gekommen, daß sich auch schon die Publizisten gerade mit dieser Situation des Arbeitsdirektors beschäftigt haben. Die von der Hans-Böckler-Gesellschaft herausgegebene Zeitschrift „Das Mitbestimmungsgespräch" hat in der Januar-Ausgabe einen imaginären Brief veröffentlicht, der im Jahre 1977 an einen Arbeitsminister Arendt geschrieben sein könnte, falls er dann noch im Amt wäre.
Da wird von einem Bergarbeiter gesprochen, der ursprünglich im Pütt gewesen ist, dann aber im Zuge der Rationalisierungsmaßnahmen zu Daimler-Benz kam und dort als Schlosser tätig war. Er berichtet in einem Brief an den Arbeitsminister, daß man am Tage vorher einen Arbeitsdirektor namens Schleyer gewählt hätte. Zum Schluß des Berichtes fragt er, ob das denn alles Rechtens wäre. Der Kommentar des „Mitbestimmungsgespräches" lautet:Wir wissen noch nicht, ob, wann und in welcher Form der Bundesarbeitsminister dem guten Jupp Tegtmüller geantwortet hat. Aber wenn er ihm schreibt, muß er zumindesten bestätigen, daß das alles rechtmäßig gewesen sei.
Nun kommt noch etwas anderes, was mir sehr gut gefallen hat. Ich kenne Walter Arendt so lange, daß er es mir sicherlich nicht übelnimmt, wenn ich das in die Debatte einführe.
— Herr Kollege Wehner, ich habe wirklich nichtdie Absicht — das wäre auch ein besonderes Kunst-stück, wenn es gelänge —, Sie damit zum Lachen zu bringen.
Der Westdeutsche Rundfunk hat die Sache mit Herrn Schleyer und dem Arbeitsdirektor in der Sendung „Fazit" am 22. Februar 1976 durch das Eilemann-Trio ein bißchen persifliert — Frau Präsidentin, ich bitte um Ihre Genehmigung, zitieren zu dürfen —. Da heißt es:Walters Gewerkschaftskollegen fanden ihn liebenswert. Doch da er sehr viel machte, machte er vieles verkehrt. Einen neuen Arbeitsdirektor schuf er. Doch es blieb nur ein alter. Da riefen alle Kumpels: Mein Gott, Walter!
Walter macht per Gesetz die Bosse klein; denn der Schleyer kann Arbeitsdirektor sein. Der Präsident der Bosse als Arbeitsverwalter — da kichern selbst die Hühner. Mein Gott, Walter!
Walter, meinen die Kollegen, hat manchmal Verstand. Drum macht er die Herren vom Arbeitgeberverband per Wortspiel zu Gewerkschaftskollegen. Doch die Kumpels sagen: „Von wegen, das ist doch Kaffee, und zwar kalter" und raufen sich die Haare. Mein Gott, Walter!
Meine Damen und Herren, ganz so humorvoll bezüglich der Bedeutung des gesamten Gesetzes hat es der Vorsitzende der IG Metall in der Beurteilung nicht gemacht. Er hat auf seiner Beiratssitzung gesagt — es ist am 4. März veröffentlicht worden —, daß es die IG Metall mit Recht abgelehnt habe, sich bei dieser großen Mißgeburt an irgendwelchen Schönheitsoperationen zu beteiligen; denn die gewerkschaftlichen Vorstellungen vom Gesetzgeber seien nicht erfüllt worden.Nun noch ein Wort zu Herrn Urbaniak. Er hat von Arbeitnehmergrüppchen gesprochen. Wenn ich recht informiert bin, sind Sie, Herr Urbaniak, der stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD.
Wenn die Information in dem „Mitbestimmungsgespräch" richtig ist, dann hat die Bundeskonferenz der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, die vom 13. bis 15. Juni vergangenen Jahres in Bremen getagt hat, die Frage des Mitbestimmungsgesetzes behandelt. Darüber heißt es:1. Die volle Parität muß gewährleistet sein.2. Die Bundeskonferenz der AfA wendet sich dagegen, daß den leitenden Angestellten bei der Vertretung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat eine Sonderstellung eingeräumt wird. Ein Sondervorschlags- oder -wahlrecht der leitenden Angestellten würde sich von den Vorstellungen der SPD entfernen, so daß in dieser Legislaturperiode eher auf eine ge-
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Müller
setzliche Regelung der Mitbestimmung verzichtet werden sollte.Ich frage Sie: Wie ist es dann mit der Bedeutung Ihrer Gruppe in Ihrer Partei, wenn eine angeblich so bedeutende Arbeitsgemeinschaft solche Beschlüsse faßt?
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rappe?
Herr Kollege Müller, merken Sie eigentlich den kilometerweiten Abstand zu Ihren Fraktionskollegen Stauffenberg und von Bismarck?
Herr Kollege Rappe, lenken Sie mit Ihrer Frage doch nicht davon daß Sie praktisch umgefallen sind!
— Ja, Gott sei Dank.
Herr Kollege Wehner, ich könnte auch mit Ihrem Namen einige Wortspiele machen. Ich unterlasse das.
Ich verfüge nämlich über den Humor, den ich vorhin hier ein bißchen deutlich zu machen versucht habe.
Aber, Herr Kollege Rappe, jetzt in allem Ernst! Ich habe Ihnen in den Ausschußberatungen gesagt: Ich verstehe die schwierige Situation der Gewerkschaftskollegen in der SPD. Ich weiß, was man in der Politik tun kann und was nicht. Aber, so habe ich Ihnen gesagt, es müßte in dem Ausschuß des Deutschen Bundestages, in dem die Frage der Mitbestimmung behandelt wird, deutlich werden, daß das nicht das Nonplusultra der Mitbestimmung ist. Sie haben uns damals vorgeworfen, wir hätten beim Betriebsverfassungsgesetz nur mit 21 Leuten mitgestimmt. Wo waren Ihre Leute, die sich hier als Gewerkschaftler auch im Ausschuß bekannt haben?
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor.
Wir kommen zur Abstimmung über Ziffer 12 des Änderungsantrags. Sie betrifft § 30. Wer seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über § 30 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Ich bitte diejenigen, die zuzustimmen wünschen, aufzustehen.
— Ich bitte diejenigen, die für § 30 in der Ausschußfassung sind, noch einmal aufzustehen. — Dieses ist die Mehrheit. Der § 30 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Wer § 30 a zustimmt, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Zu § 31 liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU unter Ziffer 13 vor. Zur Begründung hat Herr Abgeordneter Erhard das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit diesem Antrag, dem letzten, wenn ich es richtig sehe, soll in den Überleitungsvorschriften eine Ergänzung des Strafgesetzbuches mit dem Ziel vorgenommen werden, die Verletzung des Wahlgeheimnisses bei den Wahlen zu den Aufsichtsräten unter den gleichen strafrechtlichen Schutz zu stellen, wie es auch bei den Kommunalwahlen der Fall ist. Es heißt in § 18 des Gesetzes:Niemand darf die Wahlen nach den §§ 10, 15 und 16 behindern. Insbesondere darf niemand in der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts beschränkt werden.In Abs. 2 heißt es:Niemand darf die Wahlen durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen beeinflussen.Das Ganze mutet an wie eine leere Hülse; denn das Gesetz droht praktisch keine Reaktion auf die Verletzung an. Die einzige Möglichkeit, die Wahlanfechtung, ist insoweit abgesichert, als festgestellt werden muß, daß diese konkrete Wahlrechtsverletzung, also die Androhung von Nachteilen oder das Anbieten von Vorteilen — die ganz konkrete Verletzung des Wahlgeheimnisses —, auch die Wahl im Ergebnis beeinflußt hat.Das läßt sich bei einem ziemlich breiten Unterschied an Stimmen niemals feststellen. Damit bleiben alle diese Verletzungen, die ja die Rechte des Wählenden oder die Rechte der zu Wählenden berühren, vollständig ungeahndet, ungesühnt. Diese Rechte bleiben ohne Schutz. Wir wünschen deshalb, daß die gleichen Sanktionen und damit Schutzelemente in das Gesetz hineinkommen, wie sie auch beim anderen Wahlrecht gelten.Ich darf darauf verweisen, daß ich bereits im Jahre 1966, nämlich am 14. Dezember, etwa um die Zeit der Bildung der Großen Koalition, hier im Bundestag dieses Problem in der Fragestunde angesprochen habe, und zwar wegen der Verletzung des Wahlgeheimnisses bei Betriebsratswahlen. Damals
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Erhard
hat Herr Staatssekretär Kattenstroth — ich darf hinzufügen: in engstem Einvernehmen mit und vorformuliert durch den jetzt auf der Regierungsbank sitzenden Ministerialdirektor — hier im Bundestag geantwortet — ich lasse das meiste weg —:Die Bundesregierung hat seit langem, insbesondere seit der Vorbereitung des Dritten Strafrechtsänderungsgesetzes in der ersten Legislaturperiode, vorgesehen, den Schutz des Wahlverfahrens und die Sicherung des Wahlgeheimnisses strafrechtlich auf die eben erwähnten Bereiche zu erweitern.Das sind die Wahlen, die ich eben nannte.Mehr brauche ich nicht vorzulesen. Die Antwort schließt damit, daß bei der großen Strafrechtsreform von der Bundesregierung versucht werde, dieses, was sie bisher schon gewollt habe, durchzusetzen. Sie können ja die Beteiligten, die zum Teil noch hier sind, fragen, wer das nicht wollte. Die große Strafrechtsreform wurde zum Schluß der Wahlperiode 1969 verabschiedet. Dabei wurde nur der bisherige Rechtszustand übernommen.Wir meinen, wenn wir für so viele Zehntausende, ja Hunderttausende unserer Bürger konkrete Wahlrechtsmöglichkeiten und Mitwirkungsmöglichkeiten in ihrem Bereich eröffnen, ist es an der Zeit, daß wir die Verletzung des Wahlgeheimnisses unter allen Umständen auch unter Strafdrohung stellen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schöfberger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Namens der Koalitionsfraktionen möchte ich zum Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion unter Ziffer 13 folgende Erklärung abgeben. Jeder von uns will, daß die Wahlen nach dem neuen Mitbestimmungsgesetz frei sind von Wahlbehinderungen, Wahlfälschungen und sonstigen Wahlbeeinträchtigungen. Davon gehen wir gemeinsam aus.
Nur müssen wir es ablehnen, daß man gewissermaßen im Vorbeigehen aus der Hüfte einen neuen Tatbestand in das Strafgesetzbuch hineinschießt oder einen vorhandenen Tatbestand wesentlich erweitert. Wir schaffen nämlich Tatbestände nur dann und erweitern sie nur dann, wenn dafür ein manifestes kriminalpolitisches Bedürfnis vorhanden ist. Niemand von uns kann ein solches Bedürfnis aufzeigen, da ja nach dem zu schaffenden Gesetz noch keine Wahlen stattgefunden haben.
Wenn wir auf die Praxis der Wahlen nach dem Betriebsverfassungsgesetz und nach der Mon tan-Mitbestimmung zurückblicken, können wir auch feststellen, daß es in der Vergangenheit bei diesen Gesetzen ein kriminalpolitisches Bedürfnis dieser Art nicht gegeben hat. Aus diesem Grunde wollen wir abwarten, wie sich die Praxis entwickelt.
Wir setzen Vertrauen in alle, die an diesen Wahlen beteiligt sind, und wollen jetzt nicht im Vorgriff das Strafgesetzbuch ändern. Wir bitten Sie deshalb, den Antrag abzulehnen.
Meine Damen und Herren! Wir kommen zur Abstimmung über Ziffer 13 des Änderungsantrages der CDU/CSU. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen damit zur Abstimmung über § 31 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist bei einer Stimmenthaltung so beschlossen.
Wir stimmen jetzt über die §§ 32 bis 35 ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Zu § 36 liegt ein interfraktioneller Änderungsantrag vor. Zur Begründung hat der Abgeordnete Schmidt das Wort.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, hier am Ende dieser Antragsdebatte einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen vorlegen und begründen zu können.
Der Beschluß des Ausschusses sieht das Inkrafttreten des Gesetzes mit dem Tage nach der Verkündung vor. Die Fraktionen sind zu der Meinung gekommen, daß es richtiger ist, hier einen konkreten Termin des Inkrafttretens zu verankern, damit' die betroffenen Unternehmen einen klaren Überblick darüber haben, wann dieses Gesetz in Kraft gesetzt wird. Die Fraktionen schlagen Ihnen für das Inkrafttreten dieses Gesetzes gemeinsam den 1. Juli 1976 vor.
Das Wort dazu wird nicht gewünscht. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir stimmen nun noch über Einleitung und Überschrift ab. Wer stimmt zu? — Gegenstimmen? — Keine; es ist so beschlossen. Ich schließe damit die zweite Beratung.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort hat Herr Bundesminister Arendt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ausbau der Mitbestimmung — dies ist seit vielen Jahren ein stets aktuelles und sehr kontroverses Thema. Aber erst heute, am Tage der Verabschiedung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer, stehen wir vor der Verwirklichung eines großen Teils — nicht aller — Forderungen und Erwartungen, vor allem der Arbeitnehmerschaft und ihrer Gewerkschaften.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976 16077
Bundesminister ArendtFür die Bundesregierung wird damit eine ihrer Hauptaufgaben, die sie sich für diese Legislaturperiode vorgenommen hatte, erfüllt sein, nämlich eine gesetzliche Regelung zu schaffen, nach der die Vertreter der Arbeitnehmer an den Planungs- und Entscheidungsprozessen in den Großunternehmen aller Wirtschaftszweige als prinzipiell gleichberechtigte und mitverantwortliche Partner teilnehmen werden.
Mit dem Mitbestimmungsgesetz wird zugleich eine weitere Station in dem mehr als sechsjährigen Bemühen der sozialliberalen Koalition erreicht, nämlich, wo immer dies möglich ist, die arbeitenden Menschen in unserem Lande mehr als bisher am Geschehen in den Betrieben und Unternehmen verantwortlich teilhaben zu lassen.
Die Reform des Betriebsverfassungsrechts im Jahre 1932 und des Personalvertretungsrechts im Jahre 1974 waren die beiden ersten Stationen dieses erfolgreichen Bemühens.Die Entstehung des Mitbestimmungsgesetzes ist von vielen Diskussionen und harten Auseinandersetzungen begleitet gewesen. Die Argumente des Für und Wider sind bekannt. Vieles haben meine Herren Vorredner in der zweiten Lesung noch einmal betont und manches unterschiedlich bewertet. Am Schluß dieser Debatte will ich mich daher auf einige Grundlinien der Mitbestimmungsfrage konzentrieren, die wesentlichen Punkte des mit dem Gesetz Erreichten hervorheben, aber auch das nicht Erreichte deutlich nennen.Der Tag des Inkrafttretens des Mitbestimmungsgesetzes wird in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein historisches Datum sein.
Lassen Sie mich dies näher begründen.
Der Mitbestimmungsgedanke hat in unserem Lande eine lange Tradition. Schon in der ersten Aufbruchphase nach dem zweiten Weltkriege konnten zwei Teilregelungen verwirklicht werden: die Montanmitbestimmung und die Ein-Drittel-Beteiligung nach dem Betriebsverfassungsgesetz aus dem Jahre 1952. Aber erst in diesen Tagen, fast 25 Jahre nach den ersten Anfängen, kann der Mitbestimmungsgedanke einen breiten Durchbruch erzielen.
Daß dies erst jetzt geschieht, ist um so erstaunlicher, als doch über die Notwendigkeit der Mitbestimmung und über ihre geistigen Grundlagen schon lange eine breite Übereinstimmung besteht oder jedenfalls hätte bestehen müssen.So sind wir uns sicher alle darin einig, daß die Grundlage unserer staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung die Selbstbestimmung des Menschen ist. Damit sollte aber eine Wirtschaftsordnung unannehmbar sein, in der der Arbeitnehmer vornahmlich Objekt fremder Entscheidung ist.
Bei unternehmerischen Entscheidungen, die die Lebensinteressen der Arbeitnehmer berühren, darf die demokratische Mitsprache dieser Arbeitnehmer nicht ausgeschlossen sein; sie darf auch nicht auf die Milderung sozialer Folgen unternehmerischer Maßnahmen beschränkt bleiben.
Es wird sich auch kein Widerspruch erheben, wenn ich sage, daß es dem Leitbild vom selbstbestimmten Menschen nicht entspricht, den Arbeitnehmer lediglich als Bestandteil eines Produktionsprozesses zu begreifen, dessen Ablauf und Ziel allein vom Kapitalinteresse bestimmt ist.
Die Unternehmensziele müssen von den Belangen der arbeitenden Menschen mitgeprägt sein. Mitbestimmung ist daher auch ein Stück notwendige Humanisierung des Arbeitslebens.
Schließlich sollten wir alle erkennen, daß Mitbestimmung als ein stabilisierendes Element unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung unerläßlich ist. Unsere Ordnung und unsere Wirtschaftskraft beruhen nicht zuletzt auf der Bereitschaft der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften, mit den Unternehmen fair zusammenzuarbeiten. Mit der Mitbestimmung schaffen wir die Voraussetzungen dafür, daß dies auch in Zukunft so bleiben wird. Dazu gehört aber auch, endlich die durch nichts zu rechtfertigende Behauptung zu den Akten zu legen, die Ausdehnung der Mitbestimmung .auf alle Wirtschaftsbereiche könnte unternehmerische Tätigkeit lähmen und zu sachfremden Einflüssen, vor allem durch die Gewerkschaften, führen.Faire Zusammenarbeit auf Dauer kann nur auf der Grundlage der Mitbestimmung und eines Minimums an Vertrauen gedeihen.
Wer diese Basis nicht schaffen will, wird auf lange Sicht zur Konfrontation gelangen. Wie sich das. auswirken kann, zeigt ein Blick über die Grenzen unseres Landes.Ist hierüber ein Konsens möglich — und es sollte so sein —, so muß man sich fragen, warum wir in der Mitbestimmung während weit mehr als 20 Jahren nicht vorangekommen sind, warum es in dieser Zeit nur Diskussionen, Modelle und erfolglose parlamentarische Initiativen gegeben hat und warum erst im Jahre 1976 ein Durchbruch erzielt werden kann. Die Gründe hierfür liegen wohl kaum darin, daß sich im Grundsatz immer alle einig waren und nur die Suche nach dem besten Weg so lange gedauert hat. Dies wäre zu einfach. Ein wesentlicher Grund für den allzulangen Stillstand liegt in der Natur der Mitbestimmung selbst. Bei ihr geht es ja gar nicht — wie so oft in der Gesellschafts- und Sozialpolitik — darum, Zuwachsprozente oder finanzielle Lasten gerechter zu verteilen; es geht also nicht um Geld, über das man im Grunde immer reden könnte. Bei der Mitbestimmung geht es um viel mehr. Es geht — um es einmal salopp zu sa-
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16078 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Bundesminister Arendtgen — um das „Eigelb", nämlich darum, die Befehls- und Bestimmungsrechte in den Großunternehmen künftig mit den Arbeitnehmern zu teilen, jedenfalls aber einen Teil dieser Macht abzugeben.
Ich habe Verständnis dafür, wenn die Betroffenen dagegen opponieren. Was aber erschreckt, ist dies: daß es bis heute die mächtige Front der beharrenden Kräfte verhindern konnte, den schon längst fälligen Schritt in der Mitbestimmungsfrage zu tun.
Bis 1969 gab es im Deutschen Bundestag keine parlamentarische Mehrheit, die bereit gewesen wäre, das Notwendige zu erkennen und einen entscheidenden Schritt nach vorne zu tun. Erst die sozialliberale Koalition hatte die Kraft und den Willen, das heiße Eisen der Mitbestimmung anzupacken, nicht um darüber Programme und Papiere zu entwerfen, sondern ein Mitbestimmungsgesetz gegen große Widerstände durchzusetzen.
Natürlich war auch für die Koalition der Weg bis zum heutigen Tag lang und mühsam. Jedermann weiß, daß die Ausgangsposition der beiden Koalitionsparteien recht unterschiedlich waren. Im Laufe des zweijährigen Gesetzgebungsverfahrens gab es zudem manch neue Einsicht und zu einigen wesentlichen Einzelregelungen des Regierungsentwurfs von 1974 auch Veränderungen in der politischen Landschaft und Einschätzung. Das will ich gar nicht leugnen. Nur zum Teil sind diese Veränderungen auf die verfassungsrechtlichen Einwände gegen einige Regelungen des Regierungsentwurfs zurückzuführen; darauf komme ich noch zu sprechen. Während dieses langen Weges mußten beide Seiten Abstriche machen. Für viele engagierte Anhänger der Mitbestimmung waren es zum Teil schmerzhafte Abstriche.Am Ende zählt aber allein das Ergebnis. Und dies ist: Genauso wie bei der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahre 1972 hat sich die Koalition auch in der Mitbestimmung auf eine gemeinsame Lösung geeinigt.
Sie hat damit in der Mitbestimmungsfrage gegen große Widerstände einen entscheidenden Durchbruch verwirklicht. Damit hat die Koalition auf einem schwierigen und kontroversen Feld erneut bewiesen, daß sie derzeit die einzige politische Kraft in unserem Lande ist, die auf dringend zu lösende Probleme nicht nur mit Papieren und Absichtserklärungen reagiert, sondern die in der Lage ist, solche Probleme auch politisch zu lösen.
Nun werden Sie, meine Damen und Herren von der Opposition — Sie haben es ja in der zweiten Lesung gesagt —, dagegen einwenden: Na, das ist doch alles ganz einfach gewesen; denn das jetzt zu verabschiedende Gesetz deckt sich ja im wesentlichen mit den Hamburger Grundsätzen der CDU von 1973. Damit können Sie nur scheinbar recht haben.Erstens ist sehr zu bezweifeln, ob Sie bei der gesetzlichen Konkretisierung Ihrer globalen Grundsätze grundsatztreu geblieben wären. Viele Äußerungen aus Ihren Kreisen, besonders aber Ihre Voten im Rechts- und im Wirtschaftsausschuß zu wichtigen Regelungen des Koalitionsentwurfs deuten auf das Gegenteil hin.Zweitens ist — dies ist, wie ich finde, entscheidend — Ihr Hamburger Modell, meine Damen und Herren von der Opposition, zu jeder Zeit ein platonisches Papier geblieben.
Allein die Koalition hat ihre Konzeption in ein Gesetz mit all den damit verbundenen Schwierigkeiten im Detail umgesetzt. Das ist der Unterschied, und ich finde, das ist ein sehr großer Unterschied.Die Opposition hat zum Ausbau der Mitbestimmung überhaupt viele und sehr unterschiedliche Modelle und Papiere produziert. Aber nur einmal, im Jahre 1971, hat sie eine parlamentarische Initiative unternommen. Damals bot sie eine 7 : 5-Regelung an, sie blieb aber in der gesetzlichen Ausgestaltung dieses Modells noch erheblich hinter den Empfehlungen der Mitbestimmungskommission unter Vorsitz des heutigen Generalsekretärs der CDU zurück.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, dem Gesetz heute zustimmen sollten — diese Absicht haben Sie ja bekundet —, so können Sie damit Ihre Zerrissenheit in der Mitbestimmung und Ihre wirkliche mehrheitliche Einstellung zu dieser großen Frage unserer Zeit nicht vergessen machen.
Ich möchte drei Punkte dafür anführen: Da bringt kürzlich der Kollege Dr. Blüm mit zweien seiner Freunde einen Änderungsantrag zum Gesetzentwurf der Bundesregierung ein,
der jeden Anhänger der Mitbestimmung in Versuchung führen muß, aber eben nur in Versuchung. Sie, Herr Kollege Blüm, wußten von vornherein, daß Ihr Antrag in Ihrer Fraktion keine Chance hatte.
Ich frage deshalb: Sollten Mitglieder meiner Fraktion dem Antrag zustimmen und damit das auf dem
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Bundesminister ArendtFeld der Mitbestimmung derzeit politisch Erreichbare zerstören?
Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie diese Absicht hatten. Denn dann wäre man kaum ein aufrichtiger Verfechter des Mitbestimmungsgedankens.
Die Erklärung ist wahrscheinlich einfacher. Sie wollten mit Ihrem Antrag, Herr Kollege Blüm, nur Ihre in Ihrer Fraktion einsame Meinung laut kundtun. Das ist Ihnen gelungen.
Für die wirkliche Einstellung der Mehrheit der Opposition zur Mitbestimmung erscheint für meine Begriffe weit aussagekräftiger, daß etwa zeitgleich mit dem Antrag von Herrn Blüm der nicht gerade einflußarme Wirtschaftsrat der CDU den Koalitionsentwurf als ein „Ermächtigungsgesetz für die Fremdbestimmung" verteufelt hat. Herr von Bismarck, auch wenn Sie heute hier Interpretationsversuche unternommen haben: Das ist nicht nur nicht wahr, sondern es ist auch politisch geschmacklos, und es ist auch, so wie es dort bezeichnet wurde, ein deutliches Zeichen.
Nicht im Vokabular, wohl aber im sachlichen Einklang damit stand Ihr Änderungsantrag zu der vorgesehenen Möglichkeit, daß sich die Anteilseigner im Aufsichtsrat bei Stimmengleichheit durchsetzen können. Nach Ihrer Auffassung müßte diese Regelung noch viel sicherer sein. Die Anteilseigner müßten sich auch in jeder nur denkbaren Ausnahmesituation gegen die Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat durchsetzen können. Dies ist Ihre mehrheitliche, wirkliche Einstellung zur Mitbestimmung, nicht der Antrag von Herrn Blüm. Wenn Sie daher heute dem Gesetz zustimmen sollten, so geschieht das weniger aus innerem Engagement für die Mitbestimmung. Angesichts der Entschlossenheit der Koalition und auch, um in der Mitbestimmung nicht erneut nackt und bloß dazustehen, bleibt Ihnen keine andere Wahl.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zum Ausgangspunkt zurückkommen: Weil wir mit diesem Gesetz einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung, aber auch zur Stabilisierung unserer staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung erbringen und weil wir mit diesem Gesetz nach langen Jahren des Stillstandes und trotz großer Widerstände einen entscheidenden Durchbruch erzielen, wird der Tag des Inkrafttretens des Gesetzes ein historisches Datum sein.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klein?
Herr Minister, Sie haben mit Blick auf die Opposition nach der wirklichen Meinung und nach der wirklichen Überzeugung gefragt. In diesem Zusammenhang darf ich Sie fragen: Wie ist denn angesichts dieses Gesetzentwurfs Ihre wirkliche Meinung? Ist sie für diesen nichtparitätischen Gesetzentwurf, oder ist sie für die echte Parität?
Wenn Sie über die Mitbestimmung, Herr Reddemann, so viel wüßten, dann lohnte es sich, auf Ihre Zwischenrufe einzugehen. Da Sie aber davon nicht die blasseste Ahnung haben,
— das merke ich an Ihren Zwischenrufen —
hat das keinen Sinn. — Wenn Sie nach meiner Meinung fragen, dann können Sie sich das im vorliegenden Gesetzentwurf ansehen. Denn das haben wir in der Koalition — sicherlich nach nicht einfachen Verhandlungen — erreicht. Das sehe ich in der gegenwärtigen Zeit als das Erreichbare an.
— Wenn Sie fragen, was die wahre Parität ist, dann müßte ich jetzt mit Ihnen in einen Dialog darüber eintreten, ob wir die wahre Parität in der Montan-Mitbestimmung haben. Darüber müßte man dann noch eine ganze Menge sagen.
Ich komme nachher noch darauf zurück. — Die Frage ist doch: Was wird mit diesem Gesetz an Wesentlichem erreicht, und inwieweit bleibt diese Mitbestimmungsforderung noch unerfüllt?Das Mitbestimmungsgesetz wird für Kapitalgesellschaften und Konzerne mit mehr als 2 000 Arbeitnehmern gelten. Dies ist der Bereich, in dem die Gestaltung der Unternehmenspolitik nicht durch eine persönlich leitende und haftende Unternehmerpersönlichkeit legitimiert ist und in dem die verantwortliche Mitsprache durch die Arbeitnehmer besonders geboten erscheint.Etwa 600 bis 650 Unternehmen werden erfaßt werden. Wenn ich diese Zahl nicht exakt angeben kann, so hat dies seinen Grund in unserer Wirtschaftsordnung. Sie kennt keine besondere Registrierungspflicht für Großunternehmen. Es gibt daher keine amtlichen Statistiken mit genauen Firmenlisten, insbesondere auch nicht über die sich beinahe täglich verändernden Konzernverbindungen. Aber die Unternehmensleitungen und die Arbeitnehmer-
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Bundesminister Arendtvertretungen kennen ihre konkreten Verhältnisse. Außerdem gewährleisten die Antragsrechte und Verfahren nach dem Aktienrecht, daß Zweifelsfragen verbindlich geklärt werden können.Abgesehen von der gesetzlich festgelegten Zusammensetzung der Aufsichtsräte mit Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer und abgesehen von einigen mitbestimmungsrechtlichen Kernregelungen wird das neue Gesetz nur recht behutsam in das geltende Unternehmensrecht eingreifen. Denn die generelle Neugestaltung des Unternehmensrechts unter Einschluß der Mitbestimmung ist eine spätere Aufgabe. Insbesondere schließt daher das Mitbestimmungsgesetz nicht aus, daß die Unternehmen weiterhin die Rechtsform wählen können, die sie für angemessen erachten. Dies kann also auch eine nichtmitbestimmte Rechtsform sein.Aber ebenso, wie die Arbeitnehmerschaft und die Gewerkschaften erwarten können, daß ihnen Vertrauen entgegengebracht wird, so sollte in diesem Punkte den Unternehmen und ihren Verbänden Vertrauen entgegengebracht werden. Wir gehen davon aus, daß Unternehmen nicht deshalb eine andere Rechtsform oder eine andere Größenordnung anstreben, um damit der Mitbestimmung zu entgehen. Denn wir vertrauen darauf, daß auch die Unternehmen die faire Zusammenarbeit mit der Arbeitnehmerschaft und den Gewerkschaften im Rahmen des Mitbestimmungsgesetzes suchen. Nur dies kann auch im Interesse der Unternehmen selbst liegen. Ausnahmen mag es geben; doch sie rechtfertigen nicht, vom Pfade des Vertrauens abzugehen.Die Aufsichtsräte der mitbestimmten Unternehmen werden künftig mit der gleichen Zahl von Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer besetzt sein. Gleichwohl ist damit — und das darf nicht verschwiegen werden — in rechtlicher Hinsicht keine volle paritätische Mitbestimmung erreicht. Denn die Anteilseigner haben es in der Hand, den Aufsichtsratsvorsitzenden zu stellen, und dieser hat im Fall der Stimmengleichheit den Stichentscheid.Wir alle kennen die verfassungsrechtlichen Diskussionen zur Frage der vollen Parität. Ich weiß, daß viele in diesem Hohen Hause der Meinung sind, mit dem jetzt erreichten Grad an Mitbestimmung sei der von der Verfassung gesteckte Rahmen voll ausgeschöpft. Ich selbst — und ich weiß mich darin mit vielen unter Ihnen einig — teile diesen Standpunkt nicht. Dabei kann ich mich ebenfalls auf verfassungsrechtliche Expertenaussagen stützen, nach denen auch eine volle paritätische Mitbestimmung — wie ja auch die Montanmitbestimmung — mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Eine gegenteilige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gibt es nicht. Daher ist für mich der im Mitbestimmungsgesetz vorgesehene Grad an Mitbestimmung eine politische Lösung und keine verfassungsrechtliche.
Ich sage es hier freimütig: Ich hätte mir — wie auch viele andere — einen noch größeren Schritt in Richtung volle Parität gewünscht. Dies ist auch dem Koalitionspartner bekannt. Aber alle, die mit diesemGesetz ihre Vorstellungen nicht voll erfüllt sehen, hätten kurzsichtig und unpolitisch gehandelt, statt des möglichen Fortschritts das Nichts zu riskieren.
Im übrigen sollte das rechtlich gegebene Übergewicht der Anteilseigner nicht überschätzt werden.Erstens ist eine auch im Rechtssinn lupenreine Parität in unserer Unternehmensverfassung ohnehin nur schwer vorstellbar. Im Aufsichtsrat muß, wenn eine Einigung ausbleibt, entschieden werden. Soll dazu nicht der Vorsitzende berufen sein, so müßte es — wie im Regierungsentwurf — die Hauptversammlung oder ein sogenanntes neutrales Mitglied sein. Und auch das neutrale Aufsichtsratsmitglied muß ja von jemandem bestellt werden. In der Montanmitbestimmung ist dies übrigens im Konfliktsfall, von dem so oft gesprochen wird, die Hauptversammlung.Zweitens. In der praktischen Arbeit des Aufsichtsrats — immerhin gibt es zwei große Bereiche, die auf 25 Jahre Erfahrung zurückblicken können — werden die beiden gleich starken Bänke darauf angewiesen sein, Zusammenarbeit zu suchen und die Einigung dann auch zu finden. Es ist eine völlig praxisfremde Vorstellung, Anteilseigner und Arbeitnehmer im Aufsichtsrat würden sich ständig als unversöhnliche Blöcke gegenüberstehen. Es ist unverständlich, wenn man so tut, als müsse der Aufsichtsratsvorsitzende den Stichentscheid ununterbrochen als Dauerinstrument einsetzen. Der Normalfall wird die Einigung sein. Alle Erfahrungen in der Montanmitbestimmung sprechen dafür.Die Möglichkeiten der Arbeitnehmer, im Aufsichtsrat auf die Unternehmenspolitik und auf andere wichtige Entscheidungen Einfluß zu nehmen, werden durch die Regelung über den Arbeitsdirektor ergänzt. Ich bin sicher, in der überwiegenden Anzahl der vom Gesetz erfaßten Unternehmen, vor allem aber in den Großunternehmen, wird sich in der Person des Arbeitsdirektors die Mitbestimmung für den einzelnen Arbeitnehmer am sichtbarsten verkörpern.
Wenn auch seine Kompetenzen nicht gesetzlich festgelegt worden sind, so ergibt sich doch schon aus der Institution, daß der Arbeitsdirektor wesentlich mit Personal- und Sozialangelegenheiten befaßt sein muß.Nun kann ich gùt verstehen, daß diejenigen, die die Mitbestimmung mehr aus der Sicht der Anteilseignerseite sehen, hervorheben, der Arbeitsdirektor werde wie jedes andere Vorstandsmitglied bestellt. Er könnte also auch gegen ein geschlossenes Votum der Arbeitnehmerbank mit Hilfe des Stichentscheids des Aufsichtsratsvorsitzenden bestellt werden. Dies ist richtig, meine Damen und Herren, und ich will nicht ausschließen, daß es vor allem in kleineren Unternehmen auch mitunter so geschehen kann.Weniger verständlich ist mir jedoch, daß auch engagierte Verfechter der Mitbestimmung ein solches Verfahren als künftigen Normalfall beschwören. Mein Kollege Adolf Müller hat ja in seiner charman-
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Bundesminister Arendtten Weise hier noch einmal deutlich gemacht, man könnte annehmen, daß sich auf diese Weise Herr Schleyer zum Arbeitsdirektor bestellen lassen könnte. Ich halte diese Auffassung nicht nur für allzu formalrechtlich. Sie widerspricht auch aller Erfahrung.
Ferner ist sie, von Anhängern der Mitbestimmung vorgebracht — und das wollen Sie ja sein —, kleinmütig, und Herrn Schleyer tut sie Unrecht an.Wie sollte ein Arbeitsdirektor künftig auf Dauer sinnvoll tätig sein, wenn er nicht das Vertrauen der Vertreter der Arbeitnehmer besitzt?
Das Unternehmensinteresse erfordert geradezu einen Arbeitsdirektor, der von der Belegschaft und ihren Vertretern akzeptiert wird. Besonders für Großunternehmen ist daher davon auszugehen, daß der Arbeitsdirektor ein Vorstandsmitglied sein wird, das im besonderen Maße das Vertrauen der Arbeitnehmerschaft genießt.Auch in den Montankonzernen, wo seit 1956 kein Vetorecht der Arbeitnehmerbank gegen die Bestellung des Arbeitsdirektors gilt, ist dieser stets ohne Kampfabstimmung auf Vorschlag der Arbeitnehmerseite bestellt worden. Warum sollte es nach dem Mitbestimmungsgesetz anders sein? Natürlich muß man überzeugende Kandidaten vorschlagen, und auch insofern will die neue Mitbestimmungsregelung ausgefüllt sein.Und schließlich, meine Damen und Herren: Ich schätze die Einsichten von Herrn Schleyer in die Unternehmensnotwendigkeiten viel zu hoch ein, um annehmen zu können, er würde sich gegen eine geschlossene Front der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat allein mit dem Stichentscheid des Aufsichtsratsvorsitzenden zum Arbeitsdirektor wählen lassen. Dieses Beispiel ist einfach zu überzogen, um wirken zu können.Die Praxis wird erweisen, daß die Koalitionsfraktionen gut daran getan haben, die Institution des Arbeitsdirektors — gewissermaßen als Programm und als Auftrag zugleich — im Gesetz zu verankern.
Meine Damen und Herren, zu einer effektiven Mitbestimmung durch die Arbeitnehmer gehört die Teilnahme von Vertretern der Gewerkschaften.Für die Koalition war dies im Kern nie streitig. Die hiergegen vorgebrachte Polemik von der Gefahr eines Gewerkschaftsstaates richtet sich angesichts der Kräfteverhältnisse in unserer Wirtschaft selbst; auf sei braucht gar nicht mehr eingegangen zu werden, wohl aber auf einen Änderungsantrag der Opposition zu dieser Frage und ferner zu einem Antrag, der aus den Reihen der CSU im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung gestellt worden ist. Beide Anträge zielten darauf ab, die im Gesetz vorgesehene eigenständige Teilnahme der Gewerkschaften abzuschwächen bzw. ganz auszuschließen.Sie wissen doch genau, meine Damen und Herren, wie sich die Teilnahme von Vertretern der Gewerkschaften im Bereich des Betriebsverfassungsgesetzes aus dem Jahre 1952 entwickelt hat, wo die Gewerkschaften kein ausschließliches Vorschlagsrecht für ihre Vertreter hatten. Dort gehören nur noch wenige unternehmensexterne Vertreter der Gewerkschaften den Aufsichtsräten an. Dies ist auch nur allzu menschlich. Denn wer aus der Belegschaft oder von den Betriebsräten schlägt denn schon gern unternehmensexterne Arbeitnehmervertreter vor oder wählt sie, wenn vor allem in den eigenen Reihen der Betriebsräte schon genügend fähige oder bereite Kandidaten zur Verfügung stehen!Deshalb gilt, meine Damen und Herren: Wer eine effektive Mitbestimmung unter Beteiligung der Gewerkschaften wirklich will, der muß ihnen auch ein ausschließliches Vorschlagsrecht für ihre Vertreter geben.
Diesen Satz können Sie exakt im Bericht der Mitbestimmungskommission nachlesen. Darum wäre ich fast versucht, Sie zu fragen, was Ihnen denn eigentlich der damalige Vorsitzende der Mitbestimmungskommission bei der Abfassung Ihres Antrages geraten hat. Jedenfalls zielte Ihr Änderungsantrag — und schon gar der aus den Reihen der CSU — weder auf eine Effektivität der Mitbestimmung noch auf eine Anerkennung des wesentlichen Beitrags der Gewerkschaften, den diese seit jeher für die Stabilität der Wirtschafts- und Sozialordnung leisten.Der Überblick über einige Kernpunkte des Gesetzes wäre unvollständig, wenn ich es unterließe, etwas zur Rolle der leitenden Angestellten zu bemerken. Gerade in dieser Frage lagen die Ausgangspositionen der beiden Koalitionsparteien, wie jedermann weiß, weit auseinander. Bei realistischer Einschätzung der politischen Gegebenheiten mußte von Anfang an davon ausgegangen werden, daß eine Mitbestimmung ohne Beteiligung der leitenden Angestellten nicht zu verwirklichen -war. Es konnte daher im Grund immer nur darum gehen, in welcher Weise die leitenden Angestellten in die Mitbestimmungskonzeption einzubeziehen seien.Die Zugehörigkeit eines leitenden Angestellten im Aufsichtsrat und der besondere Minderheitenschutz der leitenden Angestellten innerhalb der Gruppe der Angestellten sind das Ergebnis. Dieses mag viele — und ich will mich selbst davon nicht ausnehmen — nicht zufriedenstellen. Das gilt ganz besonders für die Gewerkschaften. Aber auch hier wäre der Preis sicherlich zu hoch gewesen, um der Problematik der leitenden Angestellten willen auf den möglichen Fortschritt in der Mitbestimmung überhaupt zu verzichten.
Es hat wenig Sinn, die gefundene Lösung — je nach Standort — zu bejubeln oder zu beklagen. Alle Beteiligten sollten sich auf die Realität der künftigen Regelung einstellen und sie zum Nutzen der Mitbestimmung anwenden und ausfüllen. Dabei erscheint mir dreierlei wesentlich:Erstens. Die Zugehörigkeit eines leitenden Angestellten zum Aufsichtsrat kann für die Arbeit des
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Bundesminister ArendtAufsichtsrates, insbesondere auch für die der Arbeitnehmerseite, durchaus von Nutzen sein.Die leitenden Angestellten können nämlich durch ihre Kenntnisse und Einsichten in die organisatorischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge des Unternehmens die Informations- und Entscheidungsgrundlagen der Aufsichtsräte merklich bereichern.Zweitens. Es kann nicht davon ausgegangen werden, der Vertreter der leitenden Angestellten im Aufsichtsrat werde dort automatisch die gleichen Interessen wie die Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner vertreten. Dabei würde der aus der Betriebsverfassung bekannte Gegensatz „hier Arbeitgeber und leitende Angestellte — dort Belegschaft" zu unbesehen auf die Mitbestimmung im Aufsichtsrat übertragen. Im Aufsichtsrat sitzen alle Vertreter der Arbeitnehmer den Vertretern der Anteilseignern gegenüber, nicht dem Vorstand oder dem Arbeitgeber. Soweit es im Aufsichtsrat um die Sicherheit der Arbeitsplätze und um die Existenz des Unternehmens geht, werden die leitenden Angestellten oft in einer Interessengemeinschaft mit den übrigen Vertretern der Arbeitnehmer zu finden sein.Drittens. Der leitende Angestellte im Aufsichtsrat ist nicht in erster Linie Vertreter von Interessen der leitenden Angestellten. Wie die übrigen Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer ist er vorrangig dem Unternehmensinteresse und sodann den Interessen der Belegschaft verpflichtet. Dies kommt auch in gewisser Weise im Wahlmodus zum Ausdruck; er wird von der Gesamtgruppe der Angestellten, bei gemeinsamer Wahl von der Gesamtbelegschaft gewählt und, was wichtig ist, gegebenenfalls auch wiedergewählt.Ich bin mir durchaus bewußt, daß viel Zeit und Geduld erforderlich sein werden, um die in dieser Frage angestauten Emotionen allmählich abklingen zu lassen. Auf längere Sicht gesehen sollten aber innerhalb der gesamten Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat Zusammenarbeit und Integration durchaus möglich sein.
Meine Damen und Herren, mit dem neuen Mitbestimmungsgesetz kann in den Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit eine auf Kooperation und Mitverantwortung gegründete neue Ära eingeleitet werden. Dies kann so sein; ich betone: es k a n n so sein. Denn ein Mitbestimmungsgesetz ist zunächst nichts weiter als ein rechtlicher Rahmen, den es auszufüllen gilt. Dazu bedarf es tatkräftiger und kooperationsbereiter Menschen. Allein in ihrer Hand liegt es, die im Gesetz liegenden Möglichkeiten zu nutzen.Das mit dem Mitbestimmungsgesetz Erreichte erfüllt nicht - alle Erwartungen und Hoffnungen. Dies kann ein politischer Kompromiß, der das heute Realisierbare enthält, auch gar nicht leisten.Insbesondere die Gewerkschaften, die Hauptträger der Mitbestimmungsforderung, hatten mehr erwartet, vor allem die volle Parität und keinerlei besondere Rolle der leitenden Angestellten. Ihnen, den Gewerkschaften möchte ich sagen: Die Geschichte der Arbeiterbewegung lehrt, daß sich der Fortschritt stets in Schritten vollzogen hat. Die Gewerkschaften sollten auch in dem neuen Gesetz einen solchen Schritt sehen, und zwar einen ganz entscheidenden.
Das damit Erreichte ist in besonderer Weise auch ihr Erfolg. Sie sollten ihn nicht von sich weisen und schon gar nicht meinen, das Mitbestimmungsgesetz sei gegen die Gewerkschaften gerichtet. Das wäre absolut falsch.Die im Gesetz angelegte Mitbestimmung ist geradezu auf die tatkräftige Mitarbeit und die Ausfüllung durch die Gewerkschaften angewiesen; andernfalls wird sie nicht funktionieren.
Und die Chancen, im Interesse der Arbeitnehmer mehr als bisher mitzugestalten und mitzuverantworten, sind groß.Dies gilt auch im Hinblick auf das Wahlverfahren. Es entspricht den Wahlgrundsätzen des Betriebsverfassungsgesetzes. Die Gewerkschaften sollten sich daran erinnern, daß für die gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer bei den nach diesen Grundsätzen durchgeführten Betriebsrätewahlen große Erfolge erreichbar waren.
Die Anteilseigner, die Unternehmensleitungen und die Verbände der Wirtschaft möchte ich von dieser Stelle aus bitten, das Gesetz anzunehmen, die in ihm liegende Chance für die Festigung und Weiterentwicklung unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu erkennen und mit den Vertretern der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Dazu gehört auch, sich nicht durch unternehmensrechtliche Gestaltungen der Mitbestimmung zu entziehen.
Denn dadurch — lassen Sie mich das auch sagen — würde an Stelle einer wünschenswerten vertrauensvollen Zusammenarbeit nur Mißtrauen mit all seinen nachteiligen Folgen erzeugt werden. Im übrigen sollten die Lehren aus der Reform des Betriebsverfassungsrechts beherzigt werden. Das während seiner Entstehung heftig bekämpfte Gesetz hat sich in der Praxis positiv ausgewirkt; auch die Arbeitgeber erkennen dies an. Warum sollte es auf dem Felde der Mitbestimmung anders sein?Alle Mitglieder dieses Hohen Hauses möchte ich aufrufen, daß wir nach Abschluß des parlamentarischen Verfahrens unseren Frieden mit dem Mitbestimmungsgesetz machen. Wenn einmal der Pulverdampf abgezogen ist, sollten wir keine Zeit damit verschwenden, dem nicht Erreichten nachzutrauern oder das Erreichte weiter zu kritisieren oder gar zu bekämpfen. Wir sollten vielmehr alle mithelfen, daß das neue Gesetz zum Nutzen für unser Gemeinwesen ausgefüllt wird.
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Bundesminister ArendtWir sollten uns alle zur Mitbestimmung als einer wichtigen Gestaltungskraft unserer Ordnung bekennen, und zwar draußen im Lande und insbesondere vor Unternehmern und Arbeitnehmern. Dies sollte unser Beitrag zur künftigen Anwendung des Gesetzes sein.An dieser Stelle möchte ich nicht versäumen, den Mitgliedern des federführenden Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung für die in den letzten Monaten zügig durchgeführten Beratungen des Gesetzentwurfs zu danken. Dieser Dank gilt auch für die Mühen, denen Sie sich mit den umfangreichen Anhörungen Ende 1974 unterzogen haben.Ich danke aber auch allen, die bei den Anhörungen und in der Öffentlichkeit das Werden des Gesetzes mit Kritik begleitet haben. Damit meine ich die konstruktive Kritik, nicht die, die nur verächtlich oder nur ablehnend war. Manche Veränderungen im Entwurf sind auf die konstruktive Kritik zurückzuführen.Meine Damen und Herren, ob mit dem Mitbestimmungsgesetz die Mitbestimmungsfrage endgültig gelöst ist, wird je nach dem Standort unterschiedlich beantwortet werden. Der Deutsche Bundestag wird sich jedenfalls auch in Zukunft mit der Mitbestimmung zu befassen haben. Die längerfristig beabsichtigte Unternehmensrechtsreform kann die Mitbestimmung nicht ausklammern und auch von den Europäischen Gemeinschaften werden Vorhaben kommen, die uns Diskussionen und Entscheidungen zur Mitbestimmung abverlangen. Wir werden dann vielleicht schon in der Lage sein, die Erfahrungen, die mit dem Mitbestimmungsgesetz gemacht werden, zu verwerten. Ich bin sicher, dies würde künftige Beratungen und Bewertungen sehr versachlichen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmidt .
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen. Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion nehme ich gern und sehr dankbar die Gelegenheit der dritten Lesung dieses bedeutenden Mitbestimmungsgesetzentwurfs zum Anlaß, unseren Respekt, unsere Hochachtung und unsere dankbare Anerkennung für fleißige, wichtige und bedeutende Arbeit zuzurufen: den Gesprächspartnern innerhalb der Koalitionsfraktionen, den Mitgliedern des federführenden Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung wie den Mitgliedern der mitberatenden Ausschüsse, den Mitarbeitern des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung und natürlich ganz besonders ihm selbst, unserem Bundesarbeitsminister Walter Arendt.
Wir arbeitsbezogenen und leistungsbewußten Sozialdemokraten wissen natürlich, daß alle immer ihre Pflicht erfüllen und sehr häufig in einem unzumutbaren Streß stehen. Aber das Zustandekommen dieses Mitbestimmungsgesetzentwurfs ist eine ganz besonders herausragende Leistung, der wir von vornherein und deutlich unseren Respekt sagen möchten.In diese Dankbarkeit und diesen Respekt, meine Damen und Herren, beziehen wir auch die Begleitung durch die interessierte Öffentlichkeit auf dem Weg des Zustandekommens dieses Gesetzentwurfs ein. Nur selten stehen und halten sich in einem Gesetzgebungsvorgang so viele Ratgeber zur Verfügung, wie es diesmal der Fall war. Wir haben jeden Rat gebraucht. Wir kommten nicht jeden verwenden. Vieles haben wir als konstruktiv empfunden und alles, wie gesagt, mit Bedacht gewogen. Die Gedanken, die uns die Arbeitnehmer unseres Landes und ihre Gewerkschaften zur Verfügung stellten, waren für uns Sozialdemokraten von besonderem Gewicht.Jedermann hier im Hause weiß, viele draußen wissen es und, ich denke, alle spüren es, daß die Mitbestimmung der Arbeitnehmer, hätte einer der Beteiligten den Gesetzentwurf allein zu verabschieden gehabt, anders ausgesehen hätte, als sie nun Gesetz werden wird. Die Koalitionsfraktionen sind von sehr unterschiedlichen Standorten an die Lösung dieses besonders bedeutsamen Problems gegangen.Das nun vorliegende Ergebnis ist ein guter Kompromiß. Er ist wie alles, was die Koalitionsfraktionen bisher für unser Land getan haben, in sauberer, zuverlässiger und soweit wie möglich kameradschaftlicher Zusammenarbeit zustande gekommen. Sozialdemokraten und Freien Demokraten, meine Damen und Herren, ist in Sachen Mitbestimmung ein ganz entscheidender Durchbruch gelungen. Die Arbeitnehmer unserer Bundesrepublik werden — die Montan-Mitbestimmung einmal außer acht gelassen — nach diesem Gesetz den höchsten wirtschaftlichen Einfluß haben, den Arbeitnehmer auf deutschem Boden jemals gehabt haben.
Von allen Arbeitnehmern der Welt werden die Arbeitnehmer unserer Bundesrepublik Deutschland, werden unsere Arbeitnehmer das weitestgehende Mitspracherecht, das höchste Mitwirkungsrecht und die weitestgehende Mitbestimmung haben.
Zur Bildung eines, wie ich hoffe, wirklich objektiven Urteils ist es gewiß gut, noch einmal einen Blick in die Wirtschaftsgeschichte zu werfen. Bevor ich einen Blick in die Geschichte werfe, möchte ich alles das, was der Bundesarbeitsminister in seiner, wie ich sie schon jetzt verstehe, bedeutenden Rede zur dritten Lesung dieses wichtigen Gesetzes gesagt und vorgetragen hat, unterstreichen.
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16084 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Schmidt
Der erste Deutsche Bundestag verabschiedete 1951 das Montan-Mitbestimmungsgesetz.
Die Menschen in unserem Lande standen noch unter dem Eindruck und unter den Lasten wie unter den Folgen des Krieges und der Nachkriegszeit. Die Verantwortlichen waren noch unmittelbar beeindruckt von dem Kampf der Arbeitnehmer gegen die Demontage ihrer Arbeitsplätze. Sie waren sicher aber auch schon beeindruckt von dem Aufbauwillen und den hier schon sichtbaren Aufbauleistungen der Arbeitnehmer.Das Gesetz hat, wie wir wissen und wie wir bereits in der ersten Lesung dieses Gesetzes hier debattierten, seine eigene Geschichte auch außerhalb dieses Parlaments. Dieses Montan-Mitbestimmungsgesetz wird nun am 22. Mai 25 Jahre alt. Von dem Vorgang ist auch in der Debatte zur zweiten Lesung schon gesprochen worden. Neben vielen anderen Kollegen hat Norbert Blüm seine Bemerkungen gemacht. Aber wie immer man auch uns betrachtet: Eines müssen wir so lassen wollen, wie es ist, nämlich daß von uns und durch die Geschichte niemand nach dem beurteilt wird, was er gewollt hat; wir müssen uns nach dem beurteilen lassen wollen, was wir getan haben.
Das heißt, was auch immer von einzelnen gewollt gewesen sein mag: Es bedurfte der Kraft der sozialliberalen Koalition,
den Gedanken und die Idee der Mitbestimmung jetzt, vor dem Ende dieses Jahrhunderts, erneut auf den Weg zu bringen.
In diesem Vierteljahrhundert, meine Damen und Herren, praktizieren Hüttenleute und Bergleute mit den Vertretern der Kapitalgeber die Mitbestimmung. Wie wir sehen, mit hervorragendem Erfolg. Manches in der öffentlichen Debatte verwandte Argument um diese Mitbestimmung, die wir nun machen, straft sich aus den Ergebnissen der Montan-Mitbestimmung selbst Lügen. Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Montangesellschaften hat sich als ein Gewinn und ein Vorteil nicht nur für die Arbeitnehmer erwiesen, sondern auch und sehr nachhaltig und deutlich für die Gesellschaften und auch, was für mich am bedeutendsten ist, insbesondere für das Funktionieren unserer Gesamtwirtschaft. Unsere großen Stahlunternehmen wie beispielsweise Krupp, Thyssen, Mannesmann und Hoesch sind auch, vielleicht sogar insbesondere durch den Rat ihrer Arbeitnehmer und deren Gewerkschaftskollegen zu derWeltbedeutung gekommen, die sie in diesem Augenblick erreicht haben.
Die August-Thyssen-Hütte, meine Damen und Herren, ist mit Mitbestimmung der größte und der leistungsfähigste kontinental-europäische Stahlerzeuger geworden. Die Bergbauwirtschaft hat sich, gestützt auf den Rat ihrer Arbeitnehmer, eine völlig neue Organisation geschaffen. Die Einheitsgesellschaft im Ruhrsteinkohlenbergbau ist eben gerade durch die Mitbestimmung zur volkswirtschaftlich vernünftigsten und zugleich betriebswirtschaftlich optimalen Unternehmenseinheit auf der größten europäischen Steinkohlenlagerstätte geworden. Wer darüber hinaus, meine Damen und Herren, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, Beispiele für vorbildliche betriebliche Sozial- und Gesundheitspolitik und zugleich verantwortungsbewußte Umweltpolitik sucht, der kann sich bei den mitbestimmten Rheinischen Braunkohlenwerken AG deutlich informieren.Die Partner haben sich, ohne ihren an sich polaren Standpunkt zu verlassen, zusammengesetzt, vernünftig, logisch und nüchtern zusammengearbeitet, ohne den neutralen Mann, den es im Aufsichtsrat der montanmitbestimmten Wirtschaft zur Auflösung der Pattsituation gibt, zu befassen oder um sein schiedsrichterliches Urteil bitten zu müssen. Dies ist, meine Damen und Herren, meine Kolleginnen und Kollegen, die Erfahrung aus 25 Jahren Montan-Mitbestimmung. Mit einem neutralen Mann, also mit institutionalisierter Disparität im Aufsichtsrat, sind die beiden gleichstarken Blöcke nicht über das Schiedsgericht des neutralen Mannes gegangen, sondern sie sind auf kurzem und mannhaftem und geradem Wege aufeinander zugegangen, um zum Wohle derer, um die es geht, zum Wohle des Unternehmens und der Gesamtwirtschaft, vernünftig miteinander zu arbeiten.Es sind in den Stunden, die hinter uns liegen, häufig Vergleiche gezogen worden zwischen dem, was nun für mehr als 600 weitere Gesellschaften gelten wird, und dem, was seit 25 Jahren in der Montan-Mitbestimmung gilt. Wenn es möglich ist, wie es möglich gewesen ist, daß mit der Institution des — lassen Sie mich bitte sagen: — Schiedsrichters im Aufsichtsrat der Montangesellschaften diese sozialpolitisch, unternehmenspolitisch wie gesamtwirtschaftlich vernünftigen und begrüßenswerten Ergebnisse erzielt werden, dann muß es, nein, dann wird es möglich sein, daß die Gruppen und Kräfte, die sich nunmehr gegenübersitzen werden, zu ebensolchen vernünftigen, sachlich richtigen Ergebnissen kommen werden. Ich bin darüber hinaus froh, daß es deutlich wird, daß es spürbar wird, daß jener mitbestimmte Teil der Wirtschaft in unserem Vaterlande eher, früher und schneller bereit ist, auf jenes für mich jedenfalls hohe Gut öffentlicher Interessen und öffentlicher Belange Rücksicht zu nehmen.Es sind nicht nur die guten Erfahrungen aus dem Vierteljahrhundert Montan-Mitbestimmung, die uns Sozialdemokraten so nachhaltig beeinflussen. Unsere Politik ist insgesamt eine Politik im Dienste der Menschen. Dabei gilt unsere ganz besondere Auf-
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Schmidt
merksamkeit den Arbeitnehmern. In diesem Dienst, im Dienst an den Menschen im Lande, bleiben wir initiativ und kreativ. Wir wollen über den Weg der Mitbestimmung erreichen, daß erstens der Arbeitnehmer bei den Vorgängen, die ihn in seinem Unternehmen häufig mit der Existenz seiner ganzen Familie unmittelbar berühren, genauso mitwirken kann, wie er es im politischen Bereich über die Wahl der politischen Mandatsträger völlig selbstverständlicherweise kann. Wir gehen dabei davon aus, daß auf diesem Wege die Arbeitswelt nachhaltig verändert, nachhaltig humanisiert wird.
Es geht uns um den Menschen in unseren Fabriken und in unseren Verwaltungen. Es geht um die, von deren Arbeit alle leben. Der Bereich, auf dessen Gestaltung nun der Arbeitnehmer einen erheblich größeren Einfluß haben wird, erfaßt ihn mit mehr als der Hälfte seines wachen Lebens, und er erfaßt ihn dort, wo die polaren Interessen der Wirtschaft am härtesten und am unmittelbarsten aufeinandertreffen.Das Mitbestimmungsgesetz wird, davon bin ich schon jetzt fest überzeugt, das Arbeitsleben nachhaltig humanisieren, ganz sicher auch, weil die Arbeitnehmer größeren Einfluß haben werden, aber auch, weil sich das Miteinander der betrieblichen Partner in anderem Ton und in anderem Stil vollziehen wird. Man wird sich ganz gewiß in der Zukunft gelegentlich anders begegnen als in der Vergangenheit. Dies sage ich natürlich in dem Bewußtsein, daß es eine Reihe von Unternehmen gibt, in denen sich die Partner so, wie ich es für die Zukunft bei allen anderen erwarte, schon in der Vergangenheit begegnet sind. Und letzten Endes auch, weil sich die zu verabschiedende Mitbestimmung harmonisch und ergänzend in die Reihe der vielen wichtigen Gesetze einordnet, die das Leben im Betrieb zum Gewinn und zugunsten der Menschen verändern. Ich denke hier besonders an das novellierte Betriebsverfassungsgesetz, das Schwerbehindertengesetz, das Arbeitssicherheitsgesetz, das neue Jugendarbeitsschutzgesetz, die neue Arbeitsstättenverordnung.Alle Lebenserfahrung zeigt, daß Gruppen, haben sie ein noch so polares Interesse und noch so polare Standpunkte, wenn man ihnen gemeinsame Verantwortung aufträgt, in aller Regel eine sehr sinnvolle, sachbezogene und vernünftige Debatte beginnen. Die Lebenserfahrung sagt auch, daß vorhandene Vorbehalte häufig schnell abgebaut werden. Dies kann bedeuten, dies wird nach meiner Überzeugung bedeuten, daß die Aufgeschlossenheit des Unternehmers für die Anliegen der Beschäftigten und die Aufgeschlossenheit der Beschäftigten für die notwendigen Sachentscheidungen größer wird.Ich halte es, meine Damen und Herren, meine Kolleginnen und Kollegen, zumindest für sehr fraglich, ob es unseren leistungsbereiten, leistungsbewußten, ausgebildeten und gebildeten Arbeitnehmern auf die Dauer gelingen wird, von der Richtigkeit unserer gesellschaftlichen Ordnung dann fasziniert zu bleiben, wenn ihnen in diesem entscheidenden Teil ihres Lebens, nämlich im Betrieb, weiterhin demokratische Rechte vorenthalten würden.
Darum ist der zweite Gesichtspunkt der Mitbestimmung, den ich noch einmal ein wenig zu unterstreichen versuchen möchte, ein mindestens genauso wichtiger. Wir werden unsere Verfassungsordnung nur mit der großen Mehrheit unserer Arbeitnehmer auf die Dauer bewahren und denen übergeben können, die nach uns kommen.
Das heißt, daß der Arbeitnehmer von dieser gesellschaftlichen Ordnung, in der er lebt, in einem besonders hohen Maß fasziniert sein muß. Eine Gesellschaft, die sich technisch so begrüßenswert entwikkelt wie die unsere — wir leben in vielerlei Techniken bereits am Ende dieses oder am Beginn des nächsten Jahrhunderts —, darf in der Entwicklung ihrer gesellschaftlichen Ordnung keinen Stillstand erdulden.
So festigen wir durch mehr Verantwortung unserer größten Bevölkerungsgruppe auf natürlichem und richtigem Wege die Ordnung, von der man in diesem Hause so oft hört, daß sie für richtig gehalten wird. Und sie ist auch richtig. Für uns Sozialdemokraten, meine Damen und Herren, ist das Grundgesetz unserer Bundesrepublik Deutschland eine selbstverständliche, ständige Herausforderung. Unser Dienst am Menschen gebietet uns, unaufhörlich darum zu ringen, daß das wichtige Verfassungsgebot, ein sozialer Rechtsstaat zu sein, verwirklicht wird.Mit dem, was wir nun als Mitbestimmungsgesetz verabschieden werden, erfüllen wir in unserem Politikverständnis einen Verfassungsauftrag. Die Frage der Verfassungsgemäßheit unserer Gedanken hat sowohl in der öffentlichen Debatte wie insbesondere bei den von den Ausschüssen veranstalteten Hearings eine bedeutende Rolle gespielt. Es bestand hier und da die Sorge, wir würden Verfassungsgebote überschreiten. Ich bin für die Bemerkungen von Olaf Sund und die Wiederholungen vieler meiner Freunde sowie die Darlegungen des Bundesarbeitsministers zu diesem Punkte sehr dankbar und schließe mich mit diesen Worten an: Aus unserem Verfassungsverständnis gewinnen wir die Überzeugung, daß die diesem freien Parlament gegebene Gestaltungsfreiheit in Sachen Mitbestimmung nicht voll ausgeschöpft ist.
Wir Sozialdemokraten bleiben mit unserer Politik im Dienst der Menschen zugleich in der Tradition unserer sozialdemokratischen Mitbestimmungsentscheidungen. Das Godesberger Programm, die Mitbestimungsdebatten in diesem Hause mit den Beiträgen von Heinrich Imig und Fritz Henßler, die erste Lesung unseres eigenen Gesetzentwurfes in diesem Hause im Januar 1969 mit der Rede unseres damaligen Fraktionsvorsitzenden und heutigen Bun-
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deskanzlers, Helmut Schmidt, die Regierungserklärungen von Willy Brandt und Helmut Schmidt machen die Kontinuität sozialdemokratischer Politik deutlich. Unsere Ziele steckten höher als das heute nun Erreichte. Das Erreichte aber wird sich in der Geschichte unserer Bundesrepublik Deutschland als ein bedeutsamer, wichtiger, richtiger Schritt erweisen, und darum wollen wir — auch wenn wir an das nicht Erreichte denken — nicht zulassen, daß er gering geschätzt wird.
Meine Damen und Herren, der Gesetzgebungsvorgang wird nun bald abgeschlossen sein. Wir Sozialdemokraten appellieren an alle Beteiligten, die Chancen dieses Gesetzes zu nutzen, damit jene, für die es gemacht ist, auch spüren können, daß es es gibt.Wir gehen von der Überzeugung aus, daß die von den Beschäftigten gewählten Belegschafts- und Gewerkschaftsvertreter ihrer Verantwortung im Aufsichtsrat gerecht werden. An die Vertreter der Kapitalgeber appellieren wir, ohne Vorbehalte und ohne unnötigen Zeitverlust in naher Zukunft im Geiste des Gesetzes zu einem vernünftigen Miteinander zu kommen. Nicht der Aufsichtsrat wird sich in der Geschichte als der bessere erweisen, der so oft wie möglich vom Stichentscheid Gebrauch macht; der Aufsichtsrat ist der ausgezeichnete, der immer auf den Stichentscheid verzichten kann.
Wenn unsere neue Mitbestimmung in diesem Geiste praktiziert wird, wird sich die Welt der Arbeit nachhaltig verändern. Dann wird unsere Wirtschaft noch leistungsfähiger, dann wird sie mit den ständig schwieriger werdenden Problemen noch eher fertig werden können. Wenn wir dieses Mitbestimmungsgesetz der sozialliberalen Regierungskoalition verabschieden, wird darüber hinaus unsere Verfassungsordnung noch sicherer sein, weil sich noch mehr Menschen in ihr sicher geborgen fühlen können.
Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt dem Gesetz zu. Wir beantragen namentliche Schlußabstimmung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Franke .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, bevor ich zur Erklärung für die CDU/ CSU-Fraktion komme, vier Vorbemerkungen.Herr Kollege Schmidt, die Fraktion der CDU/ CSU kann sich Ihrem Dank an Walter Arendt nicht anschließen, denn Walter Arendt hat im Auftrage der Bundesregierung einen verfassungswidrigen Gesetzentwurf vorgelegt. Wir sehen uns außerstande, dafür auch noch zu danken.
Herr Kollege Schmidt, eine zweite Vorbemerkung: Zwei Drittel Ihrer Rede haben Sie den Gesetzen gewidmet, die in der Zeit einer CDU-Regierung verabschiedet worden sind. Das ist außergewöhnlich interessant, es ist, glaube ich, für die Psychologen ein ganz interessanter Fall. Wir geben ihnen den vielleicht noch einmal zur Untersuchung auf.
Herr Minister Arendt — das ist die dritte Vorbemerkung — hat sich in seiner Rede etwas länger bei der Interpretation das § 30 aufgehalten. Ich wäre, da der Kollege Mischnick nach mir seine Schlußerklärung abgibt, sehr begierig, zu hören, ob er dieser Interpretation des Herrn Ministers Arendt so, wie dieser den § 30 und seine Auswirkungen sieht, zustimmen würde.
Herr Kollege Schmidt, Sie haben ganz eindeutig gesagt, daß mit diesem Gesetz Ihre Vorstellungen nicht erreicht sind. Ich wollte nur noch einmal unterstreichen — und das ist die vierte Bemerkung —, daß es in Ihrer Erklärung lautet: „Unsere Ziele stecken höher als das mit diesem Gesetz Erreichte." Ich ziehe hier einen Verbindungsbogen von dem, was Sie hier gesagt haben, zu dem, was Walter Arendt zum § 30 gesagt hat. Aber die Kritik an diesem Gesetzentwurf auch aus Ihren Äußerungen ist unüberhörbar.Nun zu der Erklärung der Fraktion der CDU/CSU. Meine Damen und Herren, die Fraktion der CDU/ CSU stimmt dem Mitbestimmungsgesetz mit großer Mehrheit zu. Sie stimmt zu, obwohl SPD und FDP heute unsere Änderungsvorschläge, auch die Anträge, in denen es um mehr Mitbestimmung ging, abgelehnt haben.
Zum Beispiel haben Sie, SPD und FDP, abgelehnt, das Vorschlagsrecht zur Wahl auch auf Betriebsrat und Arbeitnehmer auszudehnen. Das ist uns unverständlich. Die plurale, die vielschichtige Gesellschaft, die Demokratisierung, wie sie von Ihnen — SPD immer verlangt wird, verlangen einfach nach einer Änderung des Vorschlagsrechts. Sie haben das abgelehnt. Das bedauern wir.CDU/CSU stimmen zu, weil der Regierungsentwurf von 1974 im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung völlig verändert worden ist. Die entscheidenden Punkte, die wir u. a. geändert haben, sind folgende:1. die Verbesserung des Wahlrechts für Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat durch ein Verhältniswahlsystem, das den Ansprüchen der soziologischen wie auch der Meinungsgruppen wesentlich besser gerecht wird als die Regierungsvorlage;2. die völlige Neuregelung des Wahlrechts für den Vertreter der leitenden Angestellten;3. ein neues, schnelles, wirksames und der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Unternehmensführung besser Rechnung tragendes System der Pattauflösung bei personellen und sachlichen Entscheidungen des Aufsichtsrates.
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Franke
Von dem schlechten und verfassungswidrigen Kompromiß von Arendt und Maihofer ist nach den Informationssitzungen, die die beteiligten Ausschüsse im November und Dezember 1974 durchgeführt haben, nichts mehr übriggeblieben. Die entscheidenden Punkte, die geändert worden sind, entsprechen in vielem dem, was der Hamburger Parteitag der CDU im November 1973 beschlossen hatte. Darum stimmen wir, meine Damen und Herren — ich sagte es schon —, zu.Es liegt jetzt in der Hand der Arbeitnehmer, der Gewerkschaften, der Unternehmer, diesem Gesetz zu entsprechendem Leben zu verhelfen. Für die CDU/CSU steht völlig außer Zweifel, daß das Gesetz nur im partnerschaftlichen Sinne anzuwenden ist, d. h., Konflikte sollten nur in diesem Sinne, nämlich im partnerschaftlichen Sinne, gelöst werden. Alle klassenkämpferischen Untertöne bei der Anwendung des Gesetzes schaden nur der Sache der Arbeitnehmer.
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man die heutige Debatte noch einmal nachvollzieht, insbesondere die Äußerungen der Kollegen der CDU/CSU — zuletzt wieder die des Kollegen Franke — zu dem, was sie durchgesetzt hätten,
dann muß man sich fragen, in welchen parlamentarischen Gremien die Arbeit in den letzten — ich würde sagen — neun Monaten getan wurde, um dieses Ergebnis hier zu erreichen. Aber es ist nun einmal so: Der Erfolg hat immer viele Väter, der Mißerfolg ist eine Waise, zumeist ein Findelkind. Das erweist sich wieder an diesem Beispiel hier.
Meine Damen und Herren, der Verlauf dieser Debatte hat doch wieder einmal gezeigt, was in letzter Zeit auch schon in anderen politischen Bereichen deutlich wurde: eine Opposition, die langsam an ihren eigenen starren Konfrontationsrezepten zweifelt und mit zögernd sich einstellender Einsicht dem von der sozialliberalen Koalition vorgezeichneten Weg der Vernunft folgen möchte.
— Sie wollen doch heute zustimmen, so habe ich gehört; somit folgen Sie unseren Vorschlägen.
Es ist erfreulich und erfüllt uns Liberale mit Genugtuung, daß auch auf dem Gebiet der Gesellschaftspolitik die verhärteten und manchmal sogar unvereinbar scheinenden Standpunkte aufzuweichen beginnen. Eine breite Mehrheit für das Mitbestimmungsgesetz kann der Praxis der erweiterten Mitbestimmung nur dienlich sein, gerade weil sich die Einsicht in die Notwendigkeit einer solchen Regelung noch nicht überall durchgesetzt zu haben scheint.Wenn Sie aber, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, versuchen, die Vaterschaft dieses Mitbestimmungsentwurfs zu erschleichen, so müssen wir Ihnen immer wieder deutlich vor Augen halten, welch weiten Weg Sie bis zur sich jetzt anbahnenden Zustimmung gegangen sind. Auf diesem Weg konnten Sie sich doch nur selten, ja fast nie der Gefolgschaft Ihrer eigenen Bataillone sicher sein. Uns ist noch deutlich im Ohr, wie sich führende Politiker der Opposition erst vor wenigen Monaten mit dem Thema Mitbestimmung auseinandergesetzt haben. Z. B. plädierte der stellvertretende Bundesvorsitzende Gerhard Stoltenberg, immerhin der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU, für einen Verzicht auf „Reformexperimente wie die Mitbestimmung". Bei Richard Stücklen klang das noch etwas schroffer. Er sprach von „schleichendem Umsturz unserer Gesellschaftsordnung" durch den Mitbestimmungsentwurf der Koalition.
Entwaffnend einfach hat der Herr Kollege Höcherl seine Auffassung formuliert, indem er sagte: „Reinster Wahnsinn, daß da Hinz und Kunz mitsprechen sollen." Das sind bis vor kurzem die Äußerungen aus Ihren Reihen gewesen.Heute, am Ende dieser Debatte, stehen immer noch die Worte des CDU-Wirtschaftsrates im Raum, nach denen das, was wir heute hier beschließen, ein „Ermächtigungsgesetz zur Fremdbestimmung" sein soll.
— Wir haben vieles dazu gehört; aber wir haben nicht gehört, daß dieser Ausdruck zurückgenommen worden ist. Das ist der Tatbestand.
Betrachtet man andererseits die Äußerungen der christ-demokratischen Sozialausschüsse, die offensichtlich die Stellung der Anteilseigner noch weiter zurückdrängen wollen, so versteht man bei all dem sehr gut, daß es der CDU eben nicht gelungen ist, den in Hamburg einstmals bekundeten guten Willen in einen eigenen Gesetzentwurf zu verwandeln. Im Gegensatz zur Koalition hat die Opposition nicht einmal die Kraft zum innerparteilichen Kompromiß gefunden, geschweige denn zu einem Gesetzentwurf in diesem Parlament.
In den Unionsparteien ziehen Sozialausschüsse, Mittelstandsvereinigung und Wirtschaftsrat beileibe nicht am selben Strang. Über diese grundlegende Schwäche der Union kann auch das jetzige, vielleicht taktische Ja nicht hinwegtäuschen.Trotzdem begrüßen wir es, wenn es der Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion gelingen sollte, im Sog des Mitbestimmungskurses dieser Koalition auf unsere Linie einzuschwenken.
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Mischnick— Sie wollen also nicht zustimmen? Es würde mich nicht überraschen, wenn Sie Ihre Meinung schon wieder geändert hätten. Da Sie zustimmen wollen, sind Sie auf unseren Kurs eingeschwenkt.Unsere Überzeugungsarbeit hat sich gelohnt. Wenn es hier eine breite Mehrheit gibt, wird das der Sache dienen.
— Ich verstehe nicht, wie Sie so aufgeregt darüber sein können, wenn Sie selbst hier zustimmen wollen.
Diese Mitbestimmung haben sich die Liberalen und auch die Koalition nicht leichtgemacht. Es war ein mühsamer und zeitraubender Entscheidungsprozeß. Ein überzeugender und geschlossener Kompromiß ist heute verabschiedungsreif.
Dies ist ein nachhaltiger Beweis dafür, daß auch unterschiedliche Ausgangspositionen in effiziente Gesetzgebungsarbeit münden können, wenn nur die Partner den ehrlichen, unbeugsamen Willen zur Weiterentwicklung unserer Gesellschaft haben. Sozialdemokraten und Freie Demokraten haben diesen Willen mit diesem Entwurf eindrucksvoll dokumentiert.
Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten haben in unseren Freiburger Thesen beschlossen, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer
in der Betriebsverfassung durch eine funktionsgerechte Teilhabe und Mitwirkung an den Entscheidungen im Unternehmen zu ergänzen. Der Fremdbestimmung in der modernen arbeitsteiligen Industriegesellschaft soll und wird auf diese Weise ein Mehr an Selbstbestimmung entgegengesetzt werden.
Im 19. Jahrhundert hatten die Liberalen für die bürgerlichen Freiheitsrechte und die Demokratie im Staate zu kämpfen. Heute haben wir darauf zu achten, daß diese erkämpften Rechte nicht Paragraphen aus Papier bleiben, sondern vom Bürger auch wirklich genutzt werden können. Dies geschieht mit diesem Gesetzentwurf. Der gleiche Staatsbürger, der Gesetzgebungsorgane wählt, auf die Bildung seiner Regierung Einfluß nehmen kann und durch ein System öffentlicher Information und Diskussion an der Kontrolle der Exekutive beteiligt ist, darf als Wirtschaftsbürger nicht wieder zum Untertanen degradiert werden.
Wir Liberalen mußten aber auch darauf achten, daß die einen Machtpositionen nicht einfach durch andere Machtpositionen ersetzt werden. Es war unsere Aufgabe, zu verhindern, daß die Mitbestimmung ausschließlich von Organisationen usurpiert wird und auf diese Weise die Rechte des einzelnen Arbeitnehmers auf der Strecke bleiben.
— Ich sage dies in aller Deutlichkeit nach allen Richtungen hin, wie Sie aus Ihrem engeren Kreis ja wissen. Die FDP hat Vertrauen in die Entscheidungsfähigkeit der Bürger. Wir wollen den Bürgerstaat, in dem der einzelne Arbeitnehmer nicht als Verfügungsobjekt gilt — ganz gleich ob der Gewerkschaften, der Unternehmer oder anderer Organisationen —, sondern als selbstverantwortlich Handelnder tätig werden kann.Die geplante Einbeziehung der Arbeitnehmer in die Verantwortung für die Unternehmen, von denen auch ihre Existenz abhängt, wird eine eigene Dynamik entwickeln. Zunehmend werden wir bisher brachliegendes Kapital von Erfahrung und Initiativen aus der Arbeitnehmerschaft für die Unternehmen nutzen können. Die positiven Erfahrungen mit dem Betriebsverfassungsgesetz sprechen dafür. Auf der anderen Seite wird der Wissensstand über die betriebs- und volkswirtschaftlichen Zusammenhänge erweitert werden. Die Voraussetzungen für sachliche Diskussionen werden wachsen. Die Chancen, daß Konflikte nicht im primitiven Schlagwortabtausch steckenbleiben, werden größer.
Es ist dies die Chance überhaupt, die immer noch bestehenden ideologischen Gegensätze von Kapital und Arbeit durch den institutionalisierten Zwang zur Zusammenarbeit abzubauen. Dieser Gegensatz entspricht nach unserer Meinung schon längst nicht mehr der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Diesem veralteten dualistischen System haben wir Freien Demokraten in Freiburg unser Dreifaktoren-Mitbestimmungsmodell gegenübergestellt. Wenn hier immer wieder die falsche Frage gestellt wird, was sei denn von 6 : 4 : 2 übriggeblieben, dann kann ich nur feststellen: In der jetzt gültigen Mitbestimmung gibt es keine leitenden Angestellten. Durch dieses Gesetz wird den leitenden Angestellten die Mitarbeit ermöglicht, das heißt, das 6 : 4 : 2-System ist durch das 6 : 5 : 1-System ersetzt. Mathematisch haben wir zwar 50 % weniger, aber gleichzeitig von 0 : 1 unendlich viel mehr, als wir bisher für die leitenden Angestellten hatten. Das ist doch der entscheidende Punkt.
Damit ist Freiburg erfüllt.
Wir sind dabei nicht willkürlich vorgegangen. Wir haben erkennen müssen, daß in der modernen Industrie- und Leistungsgesellschaft nicht nur Kapital und Arbeit, sondern in zunehmendem Maße auch der Faktor „Disposition" von entscheidender Bedeutung ist. Ihn — das ist für uns der leitende Angestellte — aus der neuen Mitbestimmungsrege-
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Mischnicklung auszusparen, hieße, der Unternehmensstruktur und der vielschichtigen Beschaffenheit unserer pluralistischen Gesellschaft nicht zu entsprechen.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie bitten, etwas ruhiger zu sein, damit sich der Redner besser Gehör verschaffen kann.
Durch die Mitwirkung der leitenden Angestellten an den Entscheidungen der Unternehmer wird ein rationaler Ausgleich der unterschiedlichen Interessen ermöglicht. Kooperation wird nach unserer Überzeugung zunehmend Konfrontation ablösen.
Bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs haben wir schon deutlich gemacht, in welchen Punkten die Regierungsvorlage aus liberaler Sicht verbesserungsfähig ist. Unsere Verbesserungsvorschläge betrafen vor allem das Wahlverfahren im Sinne einer stärkeren unmittelbaren Beteiligung des einzelnen Arbeitnehmers und eines Ausbaus des Gruppenprinzips wie des Minderheitenschutzes. Gleichzeitig ging es uns um den Ausschluß verfassungsrechtlicher Risiken. Dies ist alles bereits in der ersten Lesung hier gesagt worden.
Die erzielte Einigung über die Ausgestaltung des neuen Mitbestimmungsgesetzes wird den Maßstäben gerecht, die die FDP sich selbst für die Neuregelung gesetzt hat. Das vorgesehene Wahlverfahren entspricht liberalen Grundsätzen. Verhältniswahl und Minderheitenschutz gewährleisten, daß die Stimme jeden einzelnen Arbeitnehmers gleiches Gewicht hat. Der Minderheitenschutz ist auch für die leitenden Angestellten voll sichergestellt. Die von uns wie auch schon im Betriebsverfassungsgesetz erreichte Gruppenwahl entspricht den Erfordernissen und Realitäten einer freiheitlich-pluralistischen Gesellschaft. Die Pattauflösung im Aufsichtsrat stellt die Funktionsfähigkeit der Unternehmen sicher. Sie schließt damit auch verfassungsrechtliche Risiken im Hinblick auf die Garantie des Eigentums und der Tarifautonomie aus. Für uns ist die Diskussion um die Position des Arbeitsdirektors klar. Er ist wie jedes andere Vorstandsmitglied zu wählen.
Mit diesem Gesetz wird ein weiterer Teil der notwendigen Arbeit geleistet, um die gesellschaftliche und wirtschaftliche Stabilität in unserem Lande zu sichern. Es ist unbestreitbar, daß bis zur letzten Minute am liebsten manche auf beiden Seiten, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, das Ganze hätten scheitern sehen wollen. '
Wir wollten die positive Entscheidung haben; wir werden sie heute bekommen. Interessant ist, daß nicht nur deutsche Stimmen den gefundenen Kompromiß als tragfähig und für das gesamte gesellschaftspolitische Klima wichtig ansehen.
Im wachsenden Maße ist auch im Ausland Interesse für den von uns gefundenen Weg zu verzeichnen. So schrieb z. B. der Züricher „Tagesanzeiger" — ich zitiere —:
Mit dem neuen Vorstoß setzt die Bundesrepublik einen Weg fort, den sie nach dem totalen Zusammenbruch mit Erfolg gegangen ist. Wer es nicht glaubt, vergleiche den Zustand des Landes mit den Verhältnissen in Staaten vergleichbarer Größenordnung. Mitbestimmung made in Germany hat deswegen auch eine europäische Bedeutung.
Meine Damen und Herren, die Liberalen haben erneut bewiesen, daß sie eine verfassungskonforme, fortschrittliche Gesellschaftspolitik nicht nur mit Worten anstreben, sondern fähig sind, sie in die Tat umzusetzen.
Wir Freien Demokraten haben zum Ausgleich und zum Fortschritt beigetragen. Wir haben zusammen mit den Sozialdemokraten große Gegensätze überbrückt. Wir sind für diese Mitbestimmung, weil alle liberalen Argumente für sie sprechen. Von der neuen Regelung werden die Unternehmen auch und gerade in Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten profitieren. Der Vergleich mit dem Ausland macht deutlich, wie sehr der bei uns herrschende soziale Friede die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft gesteigert hat. Deshalb sagen wir: die Erweiterung der Rechte der Arbeitnehmer steht nicht im Gegensatz zu einer arbeitsfähigen Wirtschaft; sie ist vielmehr ein zusätzliches stabilisierendes Fundament für unsere Wirtschaft geworden.
Der Herr Bundespräsident hat zu diesem Thema den Delegierten des 10. DGB-Kongresses gesagt:
Wer mit arbeitet, mit trägt, mit verantwortet und notfalls auch mit opfert, der hat sich auch das Recht auf Mitbestimmung erworben. Das Ziel der Mitbestimmung ist die Bewahrung des sozialen Friedens.
Ich meine, das können wir uns alle zum Schluß dieser Debatte zu eigen machen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Nach § 59 der Geschäftsordnung wünscht Frau Abgeordnete Dr. Däubler-Gmelin eine Erklärung zur Abstimmung abzugeben.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte meine Zustimmung zu dem uns vorliegenden Gesetzentwurf kurz begründen und bitte Sie daher um Ihre Aufmerksamkeit.
Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist meine Überzeugung, daß Entscheidungen von der Tragweite, wie sie in den großen Unternehmen, und zwar in ihren Kontroll- und Entscheidungsorganen, also in Aufsichtsräten und Vorständen, getroffen werden müssen, überhaupt nur dann inhaltlich tragfähig und
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Frau Dr. Däubler-Gmelinauch durchsetzbar sein können, wenn die Arbeitnehmer nach demokratischen Grundsätzen in die Entscheidung einbezogen sind.Bei der gesetzlichen Regelung dieser dringend erforderlichen Arbeitnehmer-Mitbestimmung sind mir zwei Gesichtspunkte besonders wichtig. Mitbestimmung heißt, daß verschiedene Interessen bestehen und daß diese Interessen in ein Entscheidungsgremium eingebracht werden, wobei beiden Interessen eine echte Möglichkeit zur Durchsetzung geboten sein muß. Das führt zu einem Einigungszwang und dann zur Einbindung sowohl der Anteilseigner als auch der Arbeitnehmer. Heute gibt es in unserem Unternehmens- und Betriebsverfassungsrecht nur einige wenige solcher echten Mitbestimmungsrechte für Arbeitnehmer. Bei den übrigen Mitwirkungsrechten haben die Arbeitnehmer von vornherein keine rechtliche Möglichkeit, ihren Standpunkt durchzusetzen.Während der langen Beratungen des neuen Gesetzes haben wir auch gesehen, wie mit den verschiedenen Klauseln und den verzwicktesten Begründungen das althergebrachte Übergewicht der Anteilseignerseite abgesichert wurde.
Das führt nun dazu, daß auch nach Verabschiedung des neuen Gesetzes grundlegende demokratisierende Tendenzen in diesem Bereich weitgehend blockiert sein dürften. Ich bin der Meinung, daß diese Entwicklung von all denjenigen bedauert werden muß, die mit allen Teilen ihrer Politik unsere freiheitliche und demokratische Grundordnung weiter absichern und sie auch vor den Gefahren einer Aushöhlung bewahren wollen, die von einer langfristigen Beibehaltung vordemokratischer Strukturen auf einem so entscheidend wichtigen Gebiete durchaus drohen können. Ich weiß, daß ich mit dieser Meinung in meiner Partei nicht alleine dastehe Ich bin froh, daß aus diesem Grunde bei uns auch in der Zukunft die Forderung nach voller Parität nicht umstritten sein wird. Das war der eine Punkt.Der zweite ist folgender. Um die Interessen der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat wirksam zur Geltung bringen zu können, muß sichergestellt sein, daß die Arbeitnehmervertreter fest in die Willensbildung der Kollegen innerhalb und außerhalb des Unternehmens eingebunden sind, deren Interessen sie vertreten. Das kann und muß man durch Rechenschaftspflichten der Arbeitnehmervertreter und durch Informationsrechte der Vertretenen wie auch der Betriebsratsmitglieder erreichen. Wenn dann noch die Regelungen etwa über das Wahlverfahren die Chance zu einer einheitlichen Interessenvertretung schaffen, dann — aber auch nur dann — können wir das Ziel einer „Legitimation von Herrschaft" erreichen, auf das Olaf Sund heute früh mit Recht hingewiesen hat.
Frau Kollegin, es handelt sich um eine kurze Erklärung. Darf ich Sie bitten, sich an die Geschäftsordnung zu halten. Seien Sie so liebenswürdig, nicht wieder die Debatte aufzunehmen.
Frau Präsidentin, ich werde Ihrer Anregung sofort nachkommen. Ich brauche nur noch — wenn Sie gestatten — zwei Minuten.
Was nun die neuen gesetzlichen Regelungen anbelangt, so ist es sicher richtig, daß wir bei der einheitlichen Interessenvertretung der Arbeitnehmer nicht weitergekommen sind. Es ist auch richtig, daß keine neuen Bestimmungen geschaffen wurden, die Arbeitnehmervertreter in die Willensbildung der Kollegen an der Basis einbinden könnten. Bemerkenswert ist jedoch, daß auch nach dem geltenden Recht bessere Einbindungsmöglichkeiten für die neuen Arbeitnehmervertreter bestehen könnten; denn gerade in der letzten Zeit werden Ansätze in der Rechtsprechung sichtbar, die beispielsweise den Umfang der Geheimhaltungspflichten der Aufsichtsratsmitglieder nicht mehr ausschließlich von dem Interesse der Anteilseigner her bestimmen. Daß ich damit die Hoffnung auf einen regelmäßigen Informationsfluß zwischen Arbeitnehmeraufsichtsräten und Betriebsräten verbinde, sei nur am Rande angemerkt. Nicht zuletzt deshalb und weil die neuen Regelungen wenigstens die jetzigen Möglichkeiten weitergehender tariflicher Regelungen nicht ausschließen, werde ich dem Gesetz zustimmen.
Zwei Punkte kommen noch hinzu. Das Gesetz zeigt uns mit Klarheit, was bei der dafür zur Zeit doch günstigen politischen Konstellation für Arbeitnehmer erreicht werden konnte. Das Gesetz sichert diesen Stand ab. Es macht uns ebenso klar, welchen Stellenwert die Mitbestimmung der Arbeitnehmer außerhalb dieses Hauses besitzt, und vor allem, wo die Mitbestimmung — ihre Voraussetzungen und Folgen für jeden von uns — in ihrer vollen Tragweite eben noch nicht ausreichend hoch eingeschätzt wird. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Das Wort nach § 59 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Köhler.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder ich rede ganz kurz, und Sie schenken mir Ihre Aufmerksamkeit; dann kommen wir schnell zu Rande.
Es gibt auch noch die andere Möglichkeit: daß die Frau Präsidentin mein Manuskript wortwörtlich ins Protokoll übernimmt.
Meine Damen und Herren, die Abgeordneten Dr. Köhler , Schröder (Lüneburg), Gansel, von Bismarck und Niegel geben
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976 16091
Präsident Frau Rengerihre Ausführungen hier zu Protokoll.*) — Herr Niegel!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich mache es ganz kurz. Ich kann diesem Gesetzentwurf meine Zustimmung nicht geben. Meine Erklärung hierzu gebe ich zu Protokoll.
Die von mir genannten Herren geben ihre Ausführungen also alle zu Protokoll.Wir kommen jetzt zur Abstimmung in dritter Beratung. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Die Abstimmung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis der Abstimmung bekannt. Es haben insgesamt 414 Abgeordnete ihre Stimme abgegeben, davon 18 Berliner. Mit Ja haben 391 uneingeschränkt Stimmberechtigte und 18 Berliner Abgeordnete gestimmt, mit Nein von den uneingeschränkt Stimmberechtigten 22, enthalten hat sich von den uneingeschränkt Stimmberechtigten ein Abgeordneter.*) Anlagen 2 bis 6Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 412 und 20 Berliner Abgeordnete; davonja: 389 und 20 Berliner Abgeordnete,nein: 22enthalten: 1Ja SPDAdams Ahlers Dr. AhrensAmling Anbuhl Dr. ApelArendt Dr. Arndt (Hamburg) AugsteinBaack Bäuerle Barche Dr. BardensBatzBecker BiermannBlankDr. Böhme BörnerFrau von Bothmer BrandtBrandt BredlBrück BuchstallerBüchler
Büchner
Dr. von Bülow BuschfortDr. BußmannColletConradiCoppikFrau Dr. Däubler-Gmelin Dr. von DohnanyiDürrEckerlandDr. EhmkeDr. Emmerlich Dr. EndersEngholmEstersEwenFellermaierFiebigDr. FischerFrau Dr. Focke GeigerGerstl GertzenDr. GeßnerGlombigDr. GlotzGrobeckerGrunenbergHaarHaase
Haase HaehserDr. Haenschke HalfmeierHansenHauckDr. HauffHenkeHeroldHöhmannHofmannDr. HoltzHornFrau HuberHuonkerImmer
Jahn
Jaschke Jaunich Dr. Jens JunghansJunker Kaffka KaterKernKoblitz Konrad KratzDr. KreutzmannKrockertKulawig LambinusLattmannDr. LauritzenLempLendersFrau Dr. LepsiusLöbbert LutzMahne MarquardtMarschallMatthöferFrau MeermannDr. Meinecke Meinike (Oberhausen) MetzgerMöhringDr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller
Müller Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-Emmert MünteferingNagel NeumannDr.-Ing. OettingFrau Dr. OrthPawelczykPeiterDr. PennerPensky PeterPolkehn Porzner Rapp
Rappe
RavensFrau Dr. RehlenReiserFrau RengerReuschenbachRichterFrau Dr. Riedel-Martiny RöhligRohde RosenthalSander SaxowskiDr. SchachtschabelSchäfer
Dr. Schäfer SchefflerScheuFrau SchimschokSchinzel SchirmerSchlaga SchluckebierDr. Schmidt Schmidt (Hamburg)Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Schmidt (Würgendorf)Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeDr. SchöfbergerSchonhofenSchreiberSchwabeDr. SchweitzerDr. Schwencke Dr. Schwenk (Stade)Seibert SimonSimpfendörferDr. SperlingSpilleckeStahl
Frau SteinhauerDr. StienenSundTietjenFrau Dr. TimmTönjes Urbaniak Vahlberg VitDr. Vogel VogelsangWaltematheWaltherDr. Weber
Wehner Wende Wendt Dr. WernitzWestphal Wiefel WilhelmWimmer WischnewskiDr. de WithWittmann
WolfWolfram WredeWürtzWüster Wuttke Wuwer ZanderBerliner AbgeordneteBühlingDr. DübberEgertGrimmingLöffler Männing Mattick Dr. SchellenbergFrau SchleiSchwedlerSieglerschmidtCDU/CSUDr. Abelein Dr. AlthammerDr. Arnold BaierDr. BarzelDr. Becher
Frau Benedix BenzBergerBewerunge BiecheleBiehleDr. BlümBöhm
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16092 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Präsident Frau RengerBraun BreidbachBremer Bremm Burger Carstens
Dr. Carstens
Dr. CzajaDammvan DeldenDreyer EigenEilers Erhard (Bad Schwalbach) ErnestiEyFreiherr von FircksFranke
Dr. FranzDr. FuchsFrau GeierGeisenhoferGerlach
Gerster
GierensteinDr. GölterDr. GötzDr. GruhlHaase
Dr. HäfeleHärzschelDr. HammansHandlosHauser Dr. Hauser (Sasbach)HöslDr. HornhuesHorstmeierFrau HürlandDr. HupkaJäger
Dr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJosten Katzer Dr. KempflerKiechleDr. Klein
Dr. Klein
Dr. KliesingDr. Köhler KösterKrampe Kroll-SchlüterFreiherrvon Kühlmann-Stumm LagershausenLampersbachDr. Lenz
Lenzer LinkLöher Dr. LudaMaucherDr. Mertes
MickDr. MikatDr. MiltnerMilzMöller
Dr. Müller Müller (Remscheid)Dr. Müller-Hermann Mursch Frau Dr. Neumeister NordlohneDr.-Ing. OldenstädtOrgaß Frau PackPfeffermannPfeiferPicard Pieroth Rainer Rawe ReddemannFrau Dr. Riede Dr. Riedl (München)Dr. RitgenDr. Ritz RollmannRommerskirchenRusse •Sauer
Sauter
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinDr. SchäubleSchmidhuberSchmitt Schmitz (Baesweiler) SchmöleDr. SchneiderFrau Schroeder Dr. Schröder (Düsseldorf) Schröder (Wilhelminenhof) Schulte
Dr. Schulze-VorbergSeiters Solke Dr. FreiherrSpies von Büllesheim SprangerDr. SprungStahlbergDr. Stark
Frau StommelSusset Thürk TillmannFrau TüblerDr. UnlandVeharFrau VerhülsdonkVogel
VogtVolmerDr. WaffenschmidtDr. WaigelWawrzikWeber
Dr. Freiherr von Weizsäcker WernerFrau Dr. WexFrau Will-FeldWindelenWissebachDr. Wittmann Frau Dr. WolfDr. WulffDr. ZeitelZeyer Ziegler Dr. ZimmermannZinkBerliner AbgeordneteAmrehnFrau Berger
Dr. Gradl Kunz
Müller
Frau Pieser Straßmeir WohlrabeFDPDr. Böger EngelhardFrau FunckeGallusGeldnerGrünerHölscherHoffieJung Kirst KleinertKrallDr. KreibaumDr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff LogemannFrau LüdemannDr. Dr. h. c. Maihofer Mertes MischnickMöllemannMoerschOlleschOpitzPeters Schleifenbaum Schmidt (Kempten) von SchoelerFrau SchuchardtDr. VohrerWurbsZywietzBerliner Abgeordnete HoppeFraktionslosEmeisNeinSPDGanselCDU/CSUDr. Becker
Dr. von Bismarck Engelsberger Gewandt
Dr. HeckHöcherlDr. Köhler Dr. Kunz (Weiden) Dr. MarxDr. Narjes NiegelPohlmann Dr. Probst SchetterFrau Schleicher Schröder SickSpilkerStücklenDr. Todenhöfer ZoglmannEnthaltungenCDU/CSUDr. MendeDamit ist der Gesetzentwurf angenommen.
Meine Damen und Herren, wir haben noch abzustimmen über den Ausschußantrag auf Drucksache 7/4787, die eingegangenen Eingaben und Petitionen für erledigt zu erklären. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Meine Damen und Herren, interfraktionell ist soeben vereinbart worden, daß wir jetzt den Zusatzpunkt behandeln:Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Bericht Tindemans über die Schaffung der Europäischen Union— Drucksache 7/4757 —Überweisungsvorsählag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für WirtschaftHaushaltsausschußDazu hat das Wort der Herr Abgeordnete Amrehn.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 1. und 2. April soll in Luxemburg wieder die Runde der Staatschefs oder Regierungschefs der neun Staaten der Europäischen Gemeinschaft zusammentreten.
Diese Konferenz wird nicht unter den günstigstenVorzeichen stehen. Italien hat heute beschlossen,
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Amrehnseinen Diskontsatz von 8 auf 12 % zu erhöhen. Frankreich ist aus der Währungsschlange ausgeschieden. Die Abschwächung des Franc reißt andere Währungen nach sich. Dies ist ein schwerer Rückschlag für die Stabilisierungsbemühungen der Europäischen Gemeinschaft. Großbritannien steht vor dem Rücktritt des Premierministers, ohne zu wissen, wer der Nachfolger ist und wer das Vereinigte Königreich auf dem Gipfel vertreten wird.
In dieser Lage ist zu befürchten, daß die Tagessorgen, die wirklich dringlich und wichtig zu nehmen sind, die Tagesordnung des Gipfels wieder erdrücken, daß die Staatsmänner den Blick für die größeren Entscheidungen verlieren und daß die eigentlich notwendigen Entscheidungen wieder vertagt werden.
Dem möchten wir ganz gern vorbeugen, was vielleicht noch leichter wäre, wenn die Kollegen, diehier im Saal ihre Gespräche von vorhin fortsetzen,
dies draußen tun wollten und mir Gelegenheit geben würden, den anderen zu erklären, was ich sagen möchte.
Schönen Dank, Herr Abgeordneter! Sie haben mir das abgenommen. Ich wollte es auch gerade mahnend sagen. Vielen Dank! — Ich bitte die Herren Kollegen, Platz zu nehmen oder sich nach draußen zu begeben, wenn Sie größere Gespräche haben.
Der kommende Gipfel darf nicht wieder nur eine Episode sein, daß vielversprechende Visionen verkündet werden und hinterher alles in Tatenlosigkeit versinkt, alles zunichte gemacht wird durch Egoismen, durch Sondersüchteleien oder Rivalitäten.
Tindemans, der belgische Ministerpräsident, der seinen Kollegen zum bevorstehenden Gipfel einen Bericht über die Lage in Europa überreicht hat, sagt an einer Stelle:Unter dem Druck des überall spürbar werdenden Wiedererstarkens streng nationaler Interessen zerbröckelt die Gemeinschaft.Die CDU/CSU-Fraktion ist deshalb der Meinung, daß dieser Prozeß sich nicht länger fortsetzen darf
und daß die Konferenz trotz der Schwierigkeiten, die vor uns liegen, die anstehenden größeren Entscheidungen nicht wieder vor sich herschieben darf.
Je häufiger es zu den Schwierigkeiten kommt, die wir gerade wieder beobachten und feststellen müssen, desto dringender, ja desto zwingender wird fürihre Überwindung der Entschluß sein, nicht mehr an Symptomen zu kurieren,
es nicht mehr mit der Flickschusterei zu versuchen,
sondern es endlich dahin zu bringen, daß europäische Organe Macht und Mittel in die Hand bekommen, um mit europäischen Sorgen auf europäischer Ebene in europäischer Weise fertig zu werden.
Dazu gehört allerdings auch die Einsicht, daß die erstrebte Wirtschafts- und Währungsunion nicht denkbar ist, ohne daß es auch zu einem Zusammenschluß, zu einer politischen Union kommt. Das eine bedingt das andere.
Der eigentliche Tagesordnungspunkt der Luxemburger Konferenz soll der Bericht des Ministerpräsidenten Tindemans sein. Die Bedeutung dieses Berichts liegt zunächst darin, daß er keine Schönfärberei mehr betreibt, daß Ministerpräsident Tindemans seinen Kollegen die nüchterne Wahrheit gewissermaßen selbst ins Gesicht sagt, daß er die Schwierigkeiten sehr wirklichkeitsnah darstellt, daß er vor der Illusion warnt, man könne schnell ans Ziel gelangen, daß er aber ebenso um unserer Sicherheit, um unserer Existenz willen und um unserer Wohlfahrt willen vor Resignation warnt und eine Anzahl von heute möglichen Schritten aufzählt, um dennoch nach Europa zu gelangen, sie aufzählt, weil er meint, daß diese Schritte möglich sind und nun vom Gipfel auch beschlossen und gegangen werden sollten.Diese Vorschläge sind im Antrag genannt. Sie sollen hier jetzt nicht verlesen werden. Uns geht es dabei vor allem um zwei Dinge. Die Vorschläge dürfen nicht wieder in den Schubladen der Bürokratie oder der Ausschüsse verschwinden, wie es schon mit einer ganzen Reihe von europäischen Berichten geschehen ist, sondern dieser Bericht Tindemans muß als Führungsschiene für die kommenden europäischen Entscheidungen ständig auf der Tagesordnung der einzelnen Regierungen wie auf der Tagesordnung des Gipfels des Ministerrats und der Kommission bleiben.
Das zweite dazu: Alle Teile des Berichts gehören zusammen. Jeder Teil ist für sich immer nur ein kleiner Schritt. Alle Teile zusammen aber sind der große Sprung, den Ministerpräsident Tindemans für notwendig hält, um endlich Europa wirklich zu gestalten, um endlich Europa in der Bevölkerung glaubhaft zu machen. Alle Teile müssen dementsprechend künftig auch parallel entwickelt werden. Es ist keine Währungsordnung von Dauer denkbar, wenn sie nicht begleitet wird von entsprechenden wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Gemeinschaft. Es ist auch eine währungs- und wirtschaftspolitische Ordnung in Europa nicht denkbar, ohne
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Amrehndaß in gleicher Weise auch allgemeinpolitische Ziele nach und nach für die Gemeinschaft und von der Gemeinschaft verwirklicht werden. Währungs- und wirtschaftspolitische Ziele sind nur erreichbar mit dem entsprechenden politischen Unterbau, wie auch allgemeinpolitische Ziele mit Aussicht auf Erfolg nur dann verwirklicht werden können, wenn die politische Grundlage auch eine währungs- und wirtschaftspolitische Abstützung erfährt.Ganz wichtig aber ist — und dies ist ein besonderer Punkt in diesem Bericht —, daß einmal erzielte Fortschritte in der Gemeinschaft nicht wieder durch Einzelmaßnahmen nationaler Regierungen aufgehoben oder unterlaufen werden können. Diese Entscheidungen müssen unwiderruflich für die weitere Entwicklung in Kraft bleiben.
Daraus ergibt sich: Wer Vorteile durch die Gemeinschaft erhält, muß auch die Nachteile in Kauf nehmen, die sich daraus oder in anderen Zusammenhängen ergeben. Rechte sind auch in der Gemeinschaft mit Pflichten verbunden; man kann sie nicht voneinander trennen. Und wer Hilfe aus dem Europäischen Regionalfonds in Anspruch nimmt, muß sich auch in die Regelungen einfügen, die die Gemeinschaft für ihre Regionalpolitik erläßt.Das sind im Grunde alles Selbstverständlichkeiten,
aber es muß immer wieder gesagt werden, um in der praktischen Politik voranzukommen.
Herr Ministerpräsident Tindemans schreibt, er sei bei seinen Gesprächen überall in den europäischen Staaten auf ein Gefühl der Ohnmacht gestoßen. Leider hat er recht. Das gilt für den gegenwärtigen Zustand der Gemeinschaft und für ihren inneren Zusammenhalt, das gilt aber auch für das Außenverhältnis der Gemeinschaft.
Als in Angola kubanische Truppen die neue Ordnung in das Land importierten, war Europa aufder weltpolitischen Bühne überhaupt nicht existent.
Aber wenige Tage später haben sich die Europäer darüber gestritten, ob der eine schon heute und der andere erst morgen das neue Regime, das sich da gebildet hatte, anerkennen sollte. Das verstehen wir nicht. Das verstehen auch die Völker nicht, die von ihren Regierungen nicht kleingestrickte Aktivitäten am falschen Platz erwarten, sondern ein überzeugendes europäisches Handeln. Wir erwarten den von Tindemans geforderten großen Sprung vorwärts.
In einem Brief an die Regierungschefs sagt Ministerpräsident Tindemans, er habe einen Widerspruch festgestellt. Er sagt:Alle Regierungschefs erwarten eine bessere Zukunft nur vom Aufbau Europas, aber die Regierungen haben bisher nicht den politischen Willen aufgebracht, die brennenden Probleme auf europäischer Ebene zu lösen.Der Sinn unserer heutigen Antragstellung in diesem Hause besteht darin, den politischen Willen der Bundesregierung noch vor der Konferenz im Sinne der Europäischen Union durch dieses Parlament zu bestärken.
Die Bundesregierung hat nach Veröffentlichung des Berichts erklärt, sie halte den Bericht von Tindemans für realistisch und für konstruktiv. Wir begrüßen diese Erklärung und hoffen, daß auf dem Gipfel mit Hilfe der Bundesregierung die konstruktiven Ansätze genutzt und allmählich verwirklicht werden und daß damit auf der Konferenz ein ernstlicher Anfang gemacht wird.Wir verstehen es, wenn sich die Bundesregierung heute noch nicht öffentlich zu dem Tindemans-Bericht äußern wil, da dieser Bericht erst auf dem Gipfel in aller Form denen vorgelegt wird, die ihn in Auftrag gegeben haben. Wir wissen ebenso, daß die Bundesregierung auf der bevorstehenden Konferenz nicht allein den Kurs bestimmen kann. Andere sind beteiligt. Und die Bundesregierung wird immer gut daran tun, sich dort nicht als Lehrmeister darzustellen.
Aber der Erfolg der Konferenz hängt doch auch von dem Gewicht ab, das sie selbst an Überzeugungskraft in die Verhandlungen einbringt. Dieses Gewicht kann um so größer sein, je stärker sie von dem Gesamtwillen dieses Parlaments mitgetragen wird. Sie soll sagen können: Der Deutsche Bundestag will den Zusammenschluß, der Deutsche Bundestag will die Europäische Union, der Deutsche Bundestag will die Politische Union Europas.
Auf diesem Wege wollen wir selbstverständlich — wie Tindemans — die Stärkung der europäischen Organe. Wir wünschen die Mehrheitsentscheidungen in diesen Organen. Wir sind für die allmähliche Umwandlung einer koordinierten Außenpolitik der neun Staaten in eine neue Außenpolitik der Gemeinschaft — zunächst auf sehr abgegrenzten und bestimmten Gebieten. Wir sind dafür, daß in der Gemeinschaft auch über Sicherheit gesprochen und die Zusammenarbeit in gemeinsamen Rüstungsvorhaben gefördert wird — selbstverständlich alles im Rahmen der von uns eingegangenen Bündnisse. Wir sind für die Harmonisierung der Sozialpolitik in den neun Staaten. Wir sind in diesen Staaten für eine marktwirtschaftliche Ordnung auf der Grundlage einer Stabilitätspolitik. Und wir sind dafür, daß die Menschenrechte in den neun Staaten kodifiziert und vor dem Europäischen Gerichtshof der neun Staaten für jeden einzelnen Bürger einklagbar gemacht werden, wir also in diesem Sinne nach Tindemans ein Europa der Bürger bekommen.
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AmrehnAls erster großer Schritt für die weitere Entwicklung steht die endgültige Entscheidung über die allgemeinen und direkten Wahlen zum Europäischen Parlament an. Der erste Beschluß darüber ist schon auf dem Gipfel am 10. Dezember 1974 in Paris gefaßt worden. Dann hat die Gipfelkonferenz, nun der Europäische Rat geheißen, einen konkreten Beschluß dazu mit dem Auftrag gefaßt, den Vertrag dafür zu entwerfen. Das war am 2. Dezember 1975 in Rom. Wir waren nun der Meinung, daß eigentlich nichts mehr in den Weg kommen könne, da sogar schon der Wahltermin durch eben diesen Gipfel auf den Mai 1978 festgelegt worden war: Wir hören, daß es in dem einen oder anderen Land Schwierigkeiten geben soll; bei uns mit Sicherheit nicht.
Wir hören, daß es Debatten über den Wahltag selbst gibt. Ich sage hier: Uns soll es gleich sein, ob wir am Donnerstag, am Sonntag oder an einem Montag wählen.Weiter wird über die Wahlmethode gestritten. Das kann doch bei der ersten Wahl gar kein Problem sein. Denn bei der ersten Wahl soll ja jede Nation noch nach ihrer Fasson selig werden. Also soll jede Nation ihr Wahlgesetz für das Europäische Parlament so machen, wie sie es für richtig hält, so wie wir das Verhältniswahlrecht nach Bundestags-Methode anwenden werden.Ferner wird über die Zahl der Mandate und über ihre Verteilung gestritten. Meine Damen und Herren, diese Frage sieht im ersten Augenblick etwas ernster aus. Die Verhältnismäßigkeit ist nicht voll gewahrt und kann auch gar nicht voll gewahrt werden, weil wir die kleinen Länder natürlich stärker berücksichtigen müssen. Das ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Aber ich möchte auch hier sagen: Sosehr wir wünschen würden, daß auch Deutschland noch einige Sitze mehr bekommt, um das Verhältnis zu verbessern,
so wenig würden wir die Direktwahlen im Mai 1978 daran scheitern lassen.
Nun haben wir die Bitte an die Regierung, sich durch solche Erörterungen und Streitfragen, die gewissermaßen schon Wochen vor dem Gipfel aufgebaut werden, nicht auf Nebenschauplätze abdrängen zu lassen
: Sehr richtig!)
oder diese Vorwände als wirklichen und ernst zu nehmenden Streitpunkt zu behandeln. Wer die Frage des Wahltags in den Vordergrund rückt oder in der Frage der Verteilung der Sitzzahlen nicht zum Kompromiß bereit ist, dem geht es gar nicht um den Punkt, sondern — lassen Sie es mich deutlich sagen — der will die Wahl überhaupt nicht und traut es sich nicht, das zu sagen. Er schiebt andere Gründe vor. Das sollte unsere Bundesregierung ebenso deutlich sagen, wie Tindemans eine offene Sprache zu seinen Ministerpräsidentenkollegen gefunden hat.
Befragungen erweisen immer wieder, daß auch die Völker Europas, und zwar jedes für sich, auch das französische Volk, ganz überwiegend diese Wahl zum Europäischen Parlament wollen. Käme es jetzt nach allen Vorbereitungen und Beschlüssen des Gipfels, die bereits vorliegen, in Luxemburg nicht zu einer Einigung über die Wahlen, dann würden die Hoffnungen der Europäer erneut betrogen, dann würde die Glaubwürdigkeit der Regierungen einen ganz schweren Schlag erleiden. Es wäre auch ein schwerer Schlag für die Bemühungen um Europa überhaupt. Deswegen sind wir der Meinung, daß unsere Bundesregierung auf dem Gipfel am 1. und 2. April alles daransetzen muß, den Europäern endlich die endgültige Sicherheit zu bringen, daß wir im Mai 1978 wählen und daß nunmehr im Frühjahr der Vertrag über diese Wahlen von den Neun Mächten unterschrieben wird.
Wir könnten natürlich noch darüber sprechen, ob das Parlament genügend Kompetenzen habe, um Wahlen zu rechtfertigen. Wir freuen uns darüber, daß insbesondere die sozialdemokratische Fraktion den Standpunkt nicht beibehalten hat, Wahlen erst dann zu wollen, wenn vorher die Kompetenzen für dieses Parlament stärker gesichert seien. Sie erinnern sich, wir hatten den Antrag hier schon vor zwei Jahren eingebracht. Wir sind der Meinung, übrigens mit Ihrem Bundesparteivorsitzenden, der das in Brüssel zum Ausdruck gebracht hat, daß ein durch die Völker gewähltes Europäisches Parlament eine Autorität ausstrahlt, die es mit sich bringt, daß man ihm größere Kompetenzen auf Dauer überhaupt nicht verweigern kann. Diesen Weg wollen wir auch hier im Bundestag, wie ich denke, zusammen gehen. Dann wird sicher alsbald die Kompetenz kommen, die Tindemans schon vor dem Wahltermin für das Parlament erstrebt, daß nämlich der neue Präsident der Europäischen Kommission, der zum 1. Januar 1977 neu zu bestellen ist, seine Bestätigung schon durch das Europäische Parlament erfährt. Dann kann es auch gar nicht ausbleiben, daß selbstverständlich alsbald im Europäischen Parlament über alle Fragen gesprochen werden kann und nicht nur über diejenigen, die im Vertrag festgehalten sind. Dann wird sich auch gar nicht aufhalten lassen, daß dieses Parlament selbstverständlich das Recht zur Gesetzesinitiative ergreift.
Herr Kollege, ich muß Sie daran erinnern, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Ich bitte um Entschuldigung. Lassen Sie mich noch eine Schlußbemerkung machen. Mir war gesagt worden, ich dürfe 30 Minuten sprechen. Diese habe ich noch nicht ausgefüllt. Aber ich komme zum Ende.Es gibt zur Zeit ein großangelegtes Störmanöver der Europagegner, derer, die das große Europa, das
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Amrehnpolitische Europa nicht wollen. Dieses Störmanöver lautet: „Tindemans will ein Europa mit zwei Klassen von Staaten, die einen, die in der Währungsschlange sind, und die anderen, die nicht drin sind." Das Gegenteil ist wahr. Daß die einen in der Schlange drin sind und die anderen nicht, ist ein Faktum. Tindemans will mit seinem Bericht gerade erreichen, daß die Gemeinschaft Beschlüsse faßt, die es den Nichtmitgliedern wieder ermöglicht, Mitglieder der Schlange zu werden und die Gleichheit herzustellen, mit anderen Worten, alle wieder gleicher zu machen. Wir bitten darum, sich auch von diesem Störmanöver nicht beeindrucken zu lassen.Wir werden nach dem Gipfel in diesem Hause wieder eine — wie die Bundesregierung in Aussicht gestellt hat — größere Debatte über die Ergebnisse des Gipfels führen können. Wir können nur wünschen, daß der Europäische Rat die Grundsätze, die Tindemans ihm vorlegt, in ihrer Gesamtheit billigt, daß die ersten Schritte eingeleitet werden, um sie zu verwirklichen, und daß die Bundesregierung nicht zurückkehrt, ohne den endgültigen Beschluß über den Vertrag zu den direkten Wahlen mitzubringen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Corterier.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die letzten 20 Minuten waren geradezu erhebend für uns, denn ein solches Maß an Zustimmung und Verständnis für die Politik der Bundesregierung haben wir eigentlich, solange wir denken können, in diesem Hause von der Opposition nicht mehr gehört.
— Es ist zunächst einmal unsere Politik,
die hier Ihre Zustimmung bekommen hat.Herr Kollege Amrehn, trotzdem haben Sie uns mit Ihren Ausführungen nicht davon überzeugen können, warum die Opposition mit solchem Nachdruck auf der heutigen Debatte über den Tindemans-Bericht bestanden hat. Ich gestehe Ihnen gerne zu, daß es notwendig war und ist, ein Wort über die Direktwahlen zu sagen; darauf werde ich noch zurückkommen. Aber warum heute diese Debatte über den Tindemans-Bericht? Diese Debatte ist nach unserer Meinung vor der nächsten Sitzung des Europäischen Rates unnötig,
denn dort wird, wie wir gestern im Auswärtigen Ausschuß noch einmal gehört haben, über den Tindemans-Bericht nur in einer ersten Runde gesprochen werden. In diesem Stadium sind noch keinerlei konkrete Entscheidungen zu erwarten.Und ich glaube, daß die neun dort vertretenen Staats- und Regierungschefs wissen, daß der Deutsche Bundestag einmütig für die Europäische Union steht, das können wir voraussetzen, und dazu brauchen wir nicht die heutige Debatte.
Wie Sie wissen, Herr Kollege Amrehn, und wie Sie selber auch angedeutet haben, kann sich die Bundesregierung heute in der Öffentlichkeit des Plenums gar nicht konkret und im Detail zum Tindemans-Bericht äußern, denn dies würde — —
— Sie reden immer in dem Augenblick dazwischen, in dem ich gerade etwas erläutern will. Hören Sie doch erst einmal zu Ende zu! — Es ist nämlich im Europäischen Rat das Verfahren verabredet worden, daß erst in dem Augenblick, in dem der Bericht vorgelegt wird, erste konkrete Meinungsäußerungen der beteiligten Regierungen vorgelegt und nicht schon vorher die Partner vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Und das wäre der Fall, wenn die Bundesregierung heute im einzelnen Stellung nähme.Wir haben gestern im Auswärtigen Ausschuß von der Regierung eine ausführliche Information über ihre Haltung zum Tindemans-Bericht bekommen, und wir konnten bei dieser Sitzung feststellen, daß es in der Beurteilung dieses Berichts zwischen Regierung und Opposition ein erfreulich hohes Maß an Übereinstimmung gibt.Spätestens die Ereignisse in Großbritannien, von denen Sie, Herr Kollege Amrehn, auch gesprochen haben und die es sehr zweifelhaft erscheinen lassen, ob der Europäische Rat überhaupt, wie vorgesehen, Anfang April tagen wird, hätten meiner Meinung nach die Opposition veranlassen müssen, die heutige Debatte zu verschieben. Nachdem Sie dies nun nicht getan haben, liegt für uns der Verdacht nahe, daß Sie sich um jeden Preis am heutigen Abend europapolitisch profilieren wollten.
Und dazu möchte ich ihnen sagen, daß es uns in Europa sicherlich an einem nicht fehlt: an Reden, an Debatten, an noch so wohlmeinenden Resolutionen.
Was dagegen leider sehr viel rarer ist, sind die konkreten Aktionen. Wir möchten uns, so schwierig das angesichts der vielfältigen Widerstände auch oft ist, lieber auf die Aktionen konzentrieren. — Dies zum Zeitpunkt der von Ihnen geforderten Debatte.Jetzt noch eine Bemerkung zu dem Antrag der Opposition. Sachlich gibt es von unserer Seite gegen diesen Antrag außer in einem oder zwei Details kaum etwas einzuwenden. Während es sich aber bei dem Tindemans-Bericht um eine gedankenreiche Arbeit handelt, in der fast alle Probleme, die sich uns im Augenblick auf dem Gebiet der europäischen Einigung stellen, angesprochen werden,
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Dr. Corterierstellt Ihr Antrag nur eine ziemlich dünn geratene Kurzfassung dieses Berichts dar. Er enthält zu viele Gemeinplätze und ist uns zu wenig differenziert. Auf diese Weise kann man den vielen konkreten Vorschlägen, die Tindemans unterbreitet hat, und den Forderungen, die er erhoben hat, nicht gerecht werden. Dieser Antrag kann für uns daher nicht die Basis für eine Debatte über den Tindemans-Bericht sein. Wir werden diese Debatte sehr ausführlich auf der Grundlage des Tindemans-Berichtes selbst und der Erklärung, die uns die Bundesregierung dazu angekündigt hat, nach der nächsten Sitzung des Europäischen Rates führen.Damit es nun keine Mißverständnisse gibt: Auch wenn wir uns die Debatte über den Tindemans-Bericht noch vorbehalten, möchte ich heute doch folgendes dazu feststellen: Wir stimmen den Grundvorstellungen, die Tindemans in seinem Bericht über die Europäische Union entwickelt hat, zu. Der Bericht ist nach unserer Meinung gleichzeitig von Augenmaß und Realismus gekennzeichnet. Wir erhoffen uns von ihm neue und hoffentlich kräftige Impulse für die Europapolitik.Tindemans hat seinem Auftrag entsprechend einen echten Synthese-Bericht vorgelegt. Wir finden daher viele Vorstellungen, die von der Bundesregierung und den sie tragenden Parteien stammen, in dem Bericht wieder. Vielen der von Ministerpräsident Tindemans vorgetragenen Forderungen können wir ohne weiteres zustimmen. Über andere wird noch im einzelnen zu reden sein.Ich möchte aber jetzt noch zu einer Frage kommen, die es wirklich verdient, heute hier erwähnt zu werden. Da kann ich Ihnen, Herr Kollege Amrehn, voll zustimmen. Es ist die Frage der Direktwahlen. Ihre Behandlung ist einfach deswegen erforderlich, weil diese Frage keinen zeitlichen Aufschub mehr verträgt und weil wir nicht schweigend mit ansehen dürfen — —
— Ja, das kann ich Ihnen sagen: Wir waren gestern im Auswärtigen Ausschuß in einem Stadium, in dem sich beide Seiten darüber einig waren — da können Sie gerne Ihre Kollegen fragen, Herr Kollege Ritz —, daß es sich nicht lohnt, über den Tindemans-Bericht heute in dem konkreten Stadium, in dem wir uns befinden, zu reden, daß es sich aber sehr wohl lohnt, über die Direktwahlen zu reden. Wir wären bereit gewesen, z. B. eine gemeinsame Resolution dazu vorzulegen.Aber das haben Sie nun einmal leider nicht gemacht, offenbar deswegen, weil Herr Kollege Carstens sehr schnell auf den Brief des Bundeskanzlers, den es zu diesem Thema gegeben hatte, geantwortet hat, ohne erst mit den Kollegen im Auswärtigen Ausschuß Rücksprache zu nehmen, deren Erkenntnisstand inzwischen wohl auf Grund der Informationen, die dort vom Bundesaußenminister gegeben worden waren, ein neuerer war. Das bedaure ich. Um es ganz klar zu sagen: Gegen eine Debatte des Tindemans-Berichts heute, die uns nichts bringt, aber für eine Aussprache über die Direktwahlen!
Unsere Erwartungen jedenfalls an die nächste Sitzung des Europäischen Rates richten sich in erster Linie auf die Verabschiedung des Entwurfs für die Direktwahl. Jeder weiß, daß dies im April geschehen muß, weil jede weitere Verzögerung mit hoher Wahrscheinlichkeit den Wahltermin des Jahres 1978 und damit für absehbare Zeit eine allgemeine europäische Direktwahl überhaupt vereiteln würde.Der Vertrag über die Direktwahl — das dürfen wir nicht vergessen — muß nicht nur im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs verabschiedet werden. Erforderlich ist vielmehr noch die förmliche Beschlußfassung im Rat der Außenminister, anschließend die Ratifikation durch neun nationale Parlamente. Danach müssen dann die nationalen Durchführungsgesetze von den Parlamenten aller Mitgliedstaaten beraten und verabschiedet werden. Schließlich muß den politischen Parteien in der Gemeinschaft genügend Zeit für die Vorbereitung der Direktwahl und den Wahlkampf bleiben. Dies alles zeigt, unter welch außerordentlichem Zeitdruck wir stehen, wenn wir den Termin für die Direktwahl im Jahre 1978 einhalten wollen.Unter diesen Umständen muß es uns sehr bedenklich stimmen, daß sich der Ministerrat in seinen letzten Sitzungen mehr und mehr in kleinkarierte Auseinandersetzungen über Randprobleme im Zusammenhang mit der Direktwahl verstrickt hat.
Nur mit Erbitterung kann man feststellen, daß etwa der Tag, an dem die europäischen Wahlen stattfinden sollen — Herr Amrehn hat es schon erwähnt —, Anlaß zu endlosen Debatten ist. Während die Holländer den Standpunkt „Sonntags nie" vertreten, wollen die Belgier nur am Sonntag und die Briten nur am Donnerstag wählen. Dieser Streit ist ganz offensichtlich von manchen mit dem Hintergedanken vom Zaun gebrochen worden, die Wahlen in Wirklichkeit am St. Nimmerleinstag stattfinden zu lassen. Der Streit um diese und andere Fragen dient denen, die das Projekt der Direktwahl torpedieren wollen, als allzu durchsichtiger Vorwand.Ein Scheitern der Direktwahl durch derartige Manöver hätte aber unserer Meinung nach sehr schwerwiegende Konsequenzen für die Gemeinschaft. Der Versuch, ihr nach und nach ein echtes demokratisches Fundament zu geben, wäre erneut gescheitert. Die Glaubwürdigkeit des Europäischen Rats der Staats- und Regierungschefs als zentrale politische Autorität in der Gemeinschaft wäre schwer erschüttert, da er seine eigene, in den Jahren 1972 und 1974 in den Gipfelkommuniqués zweimal ausgesprochene Verpflichtung, im Jahre 1976 einen Vertrag über die Direktwahl zu verabschieden und diese im Jahr 1978 dann durchzuführen, nicht eingehalten hätte. Ein Scheitern der Direktwahl würde, wenn wir dann noch das Ausscheiden Frankreichs aus der Währungsschlange mit in Betracht ziehen, die Gemeinschaft erneut in eine schwere Krise stürzen.
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Dr. CorterierUnter diesen Umständen möchte ich im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion einen dringenden Appell an alle Mitgliedsregierungen der Europäischen Gemeinschaft richten, den Direktwahlvertrag auf der nächsten Sitzung des Europäischen Rates zu verabschieden.
Der Bundesregierung gebührt unsere uneingeschränkte Anerkennung für die Umsicht und Ausdauer, mit der sie sich immer für die Direktwahl des Europäischen Parlaments eingesetzt hat. Sie hat sich ohne Zögern den Vorschlag des Europäischen Parlaments hierzu, der einen vernünftigen und akzeptablen Kompromiß zwischen den verschiedenen Standpunkten darstellt, zu eigen gemacht und damit gleichzeitig ihre Achtung gegenüber dieser Institution der Gemeinschaft zum Ausdruck gebracht. Wir fordern die Bundesregierung auf, diese Politik konsequent fortzusetzen. Wir appellieren an die noch zögernden Mitgliedsregierungen, ihre Vorbehalte im Interesse Europas aufzugeben.
Das Wort
hat der Herr Abgeordnete Krall.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Haben Sie keine Sorge, ich werde es sehr kurz machen. Ich möchte zunächst der Bundesregierung den Dank für die umfangreiche Unterrichtung des Auswärtigen Ausschusses über den Stand der Europapolitik aussprechen. Insbesondere gilt der Dank der sehr ausführlichen Darlegung der Stellungnahme des Kabinetts zum Tindemans-Bericht insgesamt durch den hier anwesenden Staatssekretär Wischnewski.
In der sich anschließenden Diskussion im Ausschuß über diesen Bericht haben wir ein hohes Maß an Übereinstimmung zwischen Regierung, Koalitionsfraktionen und Opposition dankbar festgestellt.
— Ich habe ja auch nicht gesagt, was dort im einzelnen einvernehmlich festgestellt wurde, Herr Kollege Amrehn.
Meine Fraktion hat großes Verständnis für den Wunsch der Bundesregierung, die Diskussion über den Tindemans-Bericht bis nach der nächsten Ratssitzung zurückzustellen, insbesondere auch deshalb, weil durch eine eingehende Diskussion dieses Parlaments über diesen Komplex möglicherweise die Handlungsfähigkeit der befreundeten Regierungen eingeschränkt werden könnte. Aus diesem Grunde werde ich mich inhaltlich zum Tindemans-Bericht nicht äußern; das werden die Sprecher meiner Fraktion im Zusammenhang mit der Regierungserklärung über die Europapolitik nach der nächsten Ratstagung tun.
Auch das Europäische Parlament hat der besonderen Situation beispielsweise dadurch Rechnung getragen, daß es die Diskussion um den Tindemans-
Bericht in der vergangenen Woche abgesetzt hat und sich anstelle dessen mit der Direktwahl um so ausführlicher befaßt hat.
Auch ich möchte hier nur ein paar Sätze zu den Direktwahlen sagen. Wir Liberalen unterstützen diese Direktwahl seit eh und je. Wir unterstützen auch von dieser Stelle den Appell der Oppositionsfraktion und der Fraktion des Koalitionspartners an die Regierung, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um sicherzustellen, daß auf der nächsten Ratssitzung die noch offenen Fragen bezüglich dieser Direktwahl entschieden werden. Ich kann mir den Hinweis auf die Notwendigkeit, diese Entscheidung bald zu treffen, ersparen, weil der Herr Kollege Corterier ja deutlich gemacht hat, welche gesetzgeberische Maßnahmen in einzelnen Staaten noch notwendig sind, um diese Wahl überhaupt zu dem vorgesehenen Termin durchführen zu können.
Lassen Sie mich abschließend die offene und flexible Haltung der Bundesregierung in den noch strittigen Fragen innerhalb des Rates bezüglich der Zahl und der Verteilung der Sitze im Europäischen Parlament und auch bezüglich des Termines für die Direktwahl würdigen. Wir sind sicher, daß durch diese offene, flexible Haltung der Bundesregierung die Entscheidungsfindung im Europäischen Rat erleichtert wird.
Das Wort
hat der Herr Staatsminister im Auswärtigen Amt, Wischnewski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hatte gestern die Möglichkeit, in einer vertraulichen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses ihre Auffassung zum Antrag der CDU/CSU zum Tindemans-Bericht zu vertreten. Sie muß um Ihr Verständnis bitten, daß sie hier der ersten Erörterung des Berichts im Europäischen Rat am 1. und 2. April 1976 — so hoffen wir jedenfalls — im einzelnen nicht vorgreifen kann. Ich kann Ihnen aber versichern, daß sich die Bundesregierung mit Nachdruck dafür einsetzen wird, daß der Tindemans-Bericht nicht zerstückelt wird, sondern daß seine wesentlichen Vorschläge als Leitlinien der weiteren Entwicklung ständig auf der Tagesordnung der europäischen Politik bleiben werden, soweit sie nicht in der Zwischenzeit erledigt werden können. Die Bundesregierung beabsichtigt, den Bundestag nach den Beratungen des Europäischen Rats über das Ergebnis zu unterrichten.Der Antrag der CDU/CSU zeigt erneut, daß die Europa-Politik der Bundesregierung von allen politischen Kräften in diesem Hause unterstützt wird. Diese Unterstützung hat unserer Stimme in der Gemeinschaft besonderes Gewicht verliehen; davon war erfreulicherweise vorhin die Rede. Wir sollten daran festhalten; denn wir wissen: Mit der Politik der europäischen Einigung können wir nicht nur Tagesprobleme lösen, sondern schaffen wir gleichzeitig die Grundlage für unser künftiges politisches Han-
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Staatsminister Wischnewskidein in einer Welt, deren Probleme die Kräfte eines einzelnen westeuropäischen Industriestaates übersteigen. Wir sehen nach wie vor keine Alternative zur Politik der europäischen Einigung, wenn es darum geht, unserem Volk auf lange Sicht ein Leben in Freiheit und Wohlstand zu sichern.
Europapolitik ist Zukunftssicherung.
Vor zwei Jahren hat diese Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung vorn 17. Mai 1974 gesagt:Dringender denn je erscheint heute das Ziel einer europäischen politischen Union. Zusammen mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft werden wir bestrebt sein, dieses Ziel zu verwirklichen.So die Regierungserklärung. — Das ist die Leitlinie unserer praktischen Einigungspolitik. Sie bestimmte auch die zweitägigen Beratungen des Kabinetts über die gesamte Europapolitik im vergangenen Herbst und die intensive Diskussion über die Tindemans-Vorschläge vor einigen Wochen.Ich stimme mit den Antragstellern überein, wenn sie die Direktwahl des Europäischen Parlaments an die Spitze der europäischen Prioritäten setzen. Ich weiß, daß in dieser Frage unsere Meinung von allen Fraktionen geteilt wird. Eine Europäische Union kann nicht allein von den Regierungen und den führenden Staatsmännern im Europäischen Rat getragen werden. Das von den Regierungen ins Werk Gesetzte wird nur von Dauer sein, wenn es auch in allen Mitgliedsländern von einer breiten Basis parlamentarischer Zustimmung getragen wird.
Die Direktwahl ist daher eine ganz entscheidende Etappe der europäischen Einigungspolitik.Die Bundesregierung kann auf die Unterstützung aller politischen Kräfte in diesem Hause zählen -das hat sich soeben wieder gezeigt —, wenn sie sich für eine baldige Unterzeichnung des Vertrages über die Direktwahlen einsetzt. Aber die Beratungen der letzten Monate zeigen, daß in anderen Ländern der Gemeinschaft starke politische Kräfte einer direkten Wahl des Europäischen Parlaments mit Reserve gegenüberstehen. Vielleicht kann die eine oder andere Partei, die Kontakte zu solchen Parteien hat, hilfreich sein, dort überzeugend zu wirken.
Manche fürchten eine Einbuße an Macht des eigenen Parlaments oder eine Einbuße an nationaler Souveränität.Für die Bundesregierung kann ich hier ganz deutlich antworten: Alle neun Länder werden mit einem starken, direkt gewählten Europäischen Parlament mehr an europäischer Souveränität und Kraft gewinnen, als sie dafür im nationalen Bereich aufgeben.
Die Haltung der Bundesregierung ist eindeutig. Sie ist bereit, sich auf den Boden des Vertragsentwurfs des Europäischen Parlaments zu stellen. Sie hat den Beweis dafür auch ganz eindeutig erbracht. Sie ist aber, wenn es möglich ist, auch bereit, daran mitzuwirken, mehr Proportionalität bei der Zusammensetzung des Parlaments zu erreichen. Das gilt für jeden sinnvollen Verbesserungsvorschlag, der uns dem Ziel näherbringt, die europäische Einigungspolitik fest im politischen Leben unserer Völker zu verankern.Die Bundesregierung hat sich stets für die Erweiterung der Rechte des Europäischen Parlaments eingesetzt. Sie tut das auch heute. Aber ich sage hier auch in aller Offenheit: es ist vielleicht weise, Erwartungen und Forderungen auf diesem Gebiet zunächst nicht zu hoch zu schrauben. Wir sollten unsere Partner, die nicht alle unsere Vorstellungen teilen — übrigens auch nicht alle Parlamentarier in den anderen Parlamenten —, nicht überfordern.Wir können darauf vertrauen, daß sich die bereits vorhandenen Befugnisse des Europäischen Parlaments nach einer Direktwahl vor allem im Bereich der gemeinschaftlichen Gesetzgebung wie auch im Haushaltsbereich weiter verstärken lassen. Die Bundesregierung wird hierfür eintreten. Inzwischen steht die Welt aber nicht still. Sie wartet nicht ab, bis sich die Europäische Union als handlungsfähige, demokratische, politische Einheit formiert hat. Wir sind schon heute ständig zu gemeinsamem Handeln aufgerufen, wenn wir Europas und damit unseren eigenen Platz in der Welt der Zukunft wahren wollen.Wie Tindemans glaubt die Bundesregierung, daß man einer gemeinsamen Außenpolitik den jeweils möglichen Grad der Verbindlichkeit verleihen muß. Wir sollten die Schwierigkeiten auf diesem Gebiet allerdings nicht unterschätzen. Auf der Grundlage der Pariser Gipfelbeschlüsse von 1974 haben wir bereits wesentliche Fortschritte in Richtung auf ein einheitliches außenpolitisches Handeln gemacht. Der Vorschlag Tindemans', künftig EG-Ratstagungen und Ministertreffen im Rahmen der europäischen politischen Zusammenarbeit zusammenzulegen, liegt ganz auf der Linie der Bundesregierung, die sich stets für die Abschaffung künstlicher Trennungslinien und Kompetenzgrenzen eingesetzt hat.Die Bundesregierung hat sich auch stets verpflichtet gefühlt, vor nationalen Entscheidungen auf Gebieten, die europäische Belange berühren, ihre Partner zu konsultieren. Sie hätte keine Schwierigkeit, nach dem Vorschlag Tindemans einer solchen Verpflichtung rechtlichen Ausdruck zu geben.Mit Tindemans hält sie es für wichtig, in den für Europa wesentlichen Bereichen der Beziehungen zur Dritten Welt, zu den Vereinigten Staaten, der Sicherheit und der Entspannung sowie der Krisen im europäischen und darüber hinaus im außereuropäischen Raum und zu den anderen demokratischen Staaten in Europa eine gemeinsame Politik zu entwickeln. Der politische Wille zur gemeinsamen Politik schließt auch die Bereitschaft ein, sich nach gründlicher gemeinsamer Beratung der Mehrheit anzuschließen und eine gemeinsame Politik zustande zu bringen. Das gegenseitige Vertrauen der Partner erfordert es, in den Ausnahmefällen, in denen schwerwiegende Gründe eine gemeinsame Haltung
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Staatsminister Wischnewskiunmöglich machen, diese Gründe vorher im engsten Kreis ausführlich zu erläutern. Bei den Beratungen mit ihren Partnern über die schwierige Frage, wie man beim gegenwärtigen Stand der europäischen Einigung eine gemeinsame Außenpolitik wirksam und verbindlich gestalten kann, wird sich die Bundesregierung davon leiten lassen, daß die europäische Handlungsfähigkeit Schritt halten muß mit dem Tempo weltpolitischer Entwicklungen.Die Bundesregierung hat stets den europäischen Einigungsprozeß neben einem handlungsfähigen atlantischen Bündnis als unabdingbare Voraussetzung einer wirksamen und realistischen Entspannungspolitik betrachtet. Wir können politisches Gleichgewicht und Stabilität in Europa, die gerade für uns Deutsche besonders lebensnotwendig sind, nur dann wahren, wenn die europäische Einigung fortschreitet. Der von Tindemans vorgeschlagene regelmäßige Meinungsaustausch über europäische Verteidigungsprobleme, europäische Aspekte multilateraler Sicherheitsverhandlungen sowie die Intensivierung der Rüstungszusammenarbeit entsprechen unserer Politik. Sie dienen der europäischen Sicherheit, die sich auf dem nordatlantischen Bündnis gründet.Die Politik des Gleichgewichts und der Entspannung kann nicht auf einen Teil der Welt beschränkt bleiben. Die Bundesregierung hat sich daher für eine gemeinsame Politik der EG-Partner gegenüber den besorgniserregenden Entwicklungen im südlichen Afrika eingesetzt. Nachdem trotz unserer großen Bemühungen keine gemeinsame Anerkennung der Volksrepublik Angola zustande gekommen war, hat die Bundesregierung in Luxemburg am 23. Februar eine Erklärung zum südlichen Afrika durchgesetzt, die zum Ausgangspunkt einer gemeinsamen Haltung geworden ist.Entscheidend für unser Verhältnis zur Dritten Welt wird sein, ob es uns gelingt, in unserer Rolle als einer der wichtigsten Gesprächspartner im weltweiten Dialog über die Zukunft der Weltwirtschaft zu bestehen. Der Anfang dazu ist jedenfalls mit Lomé, aber auch mit der gemeinsamen Delegation bei der Konferenz für internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit gemacht.
Die besondere Sorge der EG-Staaten gilt nach wie vor der wirtschaftlichen und politischen Stabilität auch im Mittelmeerraum. Die Bundesregierung unterstützt das griechische Beitrittsgesuch. Sie fördert den Ausbau der Beziehungen zwischen der EG und Portugal. Für Spanien muß die Annäherung an die Gemeinschaft mit dem Aufbau und der Sicherung der inneren Demokratie Hand in Hand gehen. Wir haben ermutigende Ansätze für eine konstruktive Politik der Gemeinschaft auch gegenüber unseren südlichen Nachbarn.Unsere größte Sorge bleibt: Wird der innere Ausbau der Gemeinschaft mit den Anforderungen, welche die Welt und unsere eigenen Bürger an die europäische Einigungspolitik stellen, Schritt halten? Dies ist in der Tat der entscheidende Prüfstein für das Gelingen der Einigung Europas. Die Bundesregierung teilt uneingeschränkt die Zielvorstellungen der Antragsteller, die Wirtschafts- und Währungsunion als marktwirtschaftlich orientierte Stabilitätsgemeinschaft, die zugleich eine soziale Union sein muß, zu verwirklichen. Dabei muß ich ganz offen sagen: Wenn ich das Wort „Marktwirtschaft" höre und dann die gemeinsame Agrarpolitik betrachte, habe ich da meine eigenen Vorstellungen.
Das muß bei dieser Gelegenheit mit aller Deutlichkeit gesagt werden.Es hätte aber auch keinen Zweck, zu verschweigen, daß der erste Anlauf zur Wirtschafts- und Währungsunion nicht die gesteckten Ziele erreicht hat. Im wirtschaftlichen und sozialen Bereich sind die Disparitäten zwischen den Mitgliedstaaten immer noch sehr groß. Wenn dagegen nichts getan würde, könnten sie den erreichten Integrationsstand gefährden, von dem die Stabilität der Volkswirtschaften und mittelbar auch die der Demokratie in der Gemeinschaft mit abhängig sind. Deshalb bleiben die Angleichung der Lebensverhältnisse und der Abbau des wirtschaftlichen und sozialen Gefälles zwischen den Mitgliedstaaten gegenwärtig und auf absehbare Zeit eine der Hauptaufgaben der Gemeinschaft.Hierzu hat die Bundesregierung nach Maßgabe ihrer Kräfte bilateral und im Gemeinschaftsrahmen bereits erhebliche Leistungen erbracht, und sie wird das auch in Zukunft tun, wo immer damit ein integrationspolitischer Fortschritt erzielt oder ein Einbruch verhindert werden kann oder die Solidarität dies im Interesse aller gebietet. Wir werden deshalb den Währungsverbund, soweit es an uns liegt, fortsetzen und auch für die anderen EG-Länder zu seinen jetzigen Funktionsbedingungen offenhalten, um das in aller Deutlichkeit zu sagen.
Herr
Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wangen?
Ich möchte das gerne zu Ende führen. Ich stehe dann zur Verfügung.Gerade nach den Ereignissen der letzten Tage wird aber niemand der Meinung sein, die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft könnten sich dem Ziel der Wirtschafts- und Währungsunion mit einem Konzept unterschiedlicher Geschwindigkeit nähern. Ich befürchte, ein solches Vorgehen würde der Gemeinschaft eher noch weitere Schwierigkeiten beim inneren Zusammenhalt eintragen, ja sie möglicherweise in verschiedene Gruppierungen aufspalten. Dieses kann aber nicht unsere Absicht sein. Wir müssen vielmehr weiter geduldig den Weg der koordinierten und konvergenten Wirtschaftspolitiken gehen und dabei wie bisher begleitende Maßnahmen in der Sozialpolitik, insbesondere aber in der Regionalpolitik treffen. Auf diesem Gebiet hat die Gemeinschaft in den letzten Jahren einiges auf-
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Staatsminister Wischnewskizuweisen. Tindemans hat dabei recht, wenn er meint, daß dieser Prozeß zu langsam sei.Der Tindemans-Bericht zeichnet ein realistisches und umfassendes Bild der gegenwärtigen Europapolitik. Die Bundesregierung kann darauf vertrauen, daß sie im Sinne aller politischen Kräfte dieses Hauses handelt, wenn sie sich dafür einsetzt, daß die abgewogenen Vorschläge Tindemans im Zusammenhang geprüft und zur Grundlage der Entscheidungen gemacht werden, die die Europapolitik weiterführen.
Meine
Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der. Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Antrag federführend an den Auswärtigen Ausschuß und mitberatend an den Ausschuß für Wirtschaft und an den Haushaltsausschuß zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Kaufmannseigenschaft von Land- und Forstwirten
— Drucksache 7/3918 —
Bericht und Antrag des Rechtsausschusses
— Drucksache 7/4634 –Berichterstatter:
Abgeordneter Lambinus
Abgeordnete Frau Will-Feld
Abgeordneter Dr. Stark
Die Berichterstatter wünschen keine Ergänzungen ihrer Berichte. Ich danke für die Berichterstattung und frage, ob das Wort im Rahmen der Aussprache in der zweiten Beratung gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall.
Ich rufe in der zweiten Beratung Art. 1 auf. Hierzu liegt der Änderungsantrag Drucksache 7/4894 Ziffer 1 vor. Ich nehme an, daß Herr Abgeordneter Scheu, der sich hierzu zum Wort gemeldet hat, auch gleichzeitig die Ziffer 2 des Änderungsantrages zu begründen wünscht. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Darf ich Sie noch einmal kurz von der Höhenluft der Europapolitik zu einer einfachen Frage herunterführen. Ich habe nur den Änderungsantrag zu begründen. Ich habe das Vergnügen, das für alle drei Fraktionen zu tun, obwohl ich mir bewußt bin, daß dieser Änderungsantrag auf eine etwas unkonventionelle Weise zustande gekommen ist; aber mir ist die Hauptsache, daß er zustande kam.
Ich will nur vier Bemerkungen dazu machen. In § 89 b des Handelsgesetzbuches hat im Jahre 1953 eine Bestimmung Eingang gefunden, die für Handelsvertreter aussagt, daß sie bei Kündigung einen Ausgleichsbetrag bekommen müßten. Man hatte damals die Sorge, daß die Unternehmen damit reagieren würden, anstelle der Provisionsvertreter fest angestellte Reisende ins Gefecht auf den Markt zu schicken. Dies war nur wenige Wochen und Monate in der Unternehmerschaft im Gespräch. Sie hat sich dann sofort wieder beruhigt. Heute ist die Position der nicht fest angestellten, freien Vertreter in der Wirtschaft stärker, als sie je war. Diese Tendenz hat also damals deutlich gezeigt, daß man auch eine solche Regelung sozialer Art für Handelsvertreter in der Wirtschaft akzeptiert.
Zweite Bemerkung: Die Schwäche dieses § 89 b ist seit vielen Jahren darin erkannt, daß dieser Ausgleich nicht gezahlt wird, wenn der Vertreter wegen Alter oder Krankheit ausscheiden will. Dies gab es bisher nicht. Das ist eine soziale Härte, die dazu führte, daß manchmal achtzigjährige Handelsvertreter noch draußen herumreisten, weit über ihre Kraft und ihre Möglichkeiten.
Der dritte Punkt: Die Regierung wollte diese Lücke schließen und hat dazu ein Gesetz mit einer etwas merkwürdigen einseitigen und halben Überschrift benutzt. Wir haben in allen Ausschüssen einige Zeit gebraucht, um zu merken, daß hier auch eine durchaus wirtschafts- und handelspolitische Frage in diesem Gesetz enthalten ist. Die Regelung, die diese Lücke schließen sollte, hat dann der Rechtsausschuß nicht aus Grundsatzerwägungen, sondern aus Gründen, die in der Begründung enthalten sind, zunächst noch einmal herausgenommen.
Der Sinn dieses Änderungsantrages ist nun, die alte Regierungsfassung wieder in das Gesetz hineinzubringen, jedoch mit einer kleinen Änderung. Wir haben den etwas dubiosen Satzteil „aus in seiner Person liegenden Gründen, insbesondere" weggelassen und haben nur noch Krankheit und Alter als Grund dringelassen, der genügen soll, um dem Vertreter diesen Ausgleichsbetrag zu sichern.
Der Änderungsantrag enthält dann auch eine neue Überschrift. Das ist der Punkt 2, Herr Präsident, zu dem Stellung zu nehmen Sie mich aufgefordert haben; ich hätte es aber auch von mir aus gemacht. Das Gesetz wird also jetzt nach diesem Antrag den Namen haben: Entwurf eines Gesetzes über die Kaufmannseigenschaft von Land- und Forstwirten und den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters. Dies ist also die ganze phänomenale Sache.
Ich bitte alle drei Fraktionen um ihre freundliche Zustimmung.
MeineDamen und Herren, das Wort wird nicht zusätzlich begehrt.Wer dem Änderungsantrag in der Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. —
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Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenIch danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Art. 1 in der geänderten Fassung auf. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe auf Art. 2, 3, 4, 5, 6, 7. Wer den aufgerufenen Artikeln und der Einleitung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen:Zur Überschrift liegt ein Änderungsantrag vor, den der Kollege Scheu soeben mitbegründet hat. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich kann damit feststellen, daß das Gesetz — ohne daß ich darüber noch einmal formell abstimmen lasse — in zweiter Beratung einstimmig verabschiedet worden ist.Ich rufe diedritte Beratungauf. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung in der soeben in der zweiten Beratung beschlossenen Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich von den Plätzen zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! —Stimmenthaltungen? — Einstimmige Beschlußfassung! Herr Kollege Scheu, Sie haben das sicherlich eben mit Befriedigung festgestellt.Meine Damen und Herren, es ist noch die Feststellung zu treffen, daß die zu dem Gesetz eingegangenen Petitionen für erledigt erklärt werden. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe nunmehr Punkt 5 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Beruf des Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten
— Drucksache 7/3113 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit — Drucksache 7/4834 —Berichterstatter: Abgeordneter Burger
Der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Burger, hat sich gleichzeitig zur Aussprache gemeldet. Ich schlage vor, daß wir die allgemeine Aussprache zur Vereinfachung vor der zweiten Beratung durchführen, so daß er als Berichterstatter gleichzeitig noch eine Berichtigung vornehmen kann. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Herr Abgeordneter Burger, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst als Berichterstatter noch ein Hinweis auf einen Druckfehler. Auf Seite 12 desBerichts in § 9 müssen in der ersten Zeile die Worte „tritt am 1. April 1976 in Kraft" gestrichen werden. Der erste Satz von § 9 muß lauten: „Dieses Gesetz gilt nach Maßgabe des § 13 Abs. 1."Nun darf ich, Herr Präsident, mit einer kurzen Erklärung für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion weiterfahren.Herr Präsident! Meine Damen und Herren!Der Bedarf an Menschen, die im Gesundheitswesen tätig sind, nimmt ständig zu. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Entwicklung der medizinischen Wissenschaft und Technik. ... Auf dem Gebiet des Gesundheitswesens differenzieren sich die Tätigkeiten der einzelnen Berufe immer mehr und immer schneller. Es entstehen auf diese Weise neue Berufe, deren Ausbildung geregelt werden muß.Diese Sätze, meine Damen und Herren, stehen im Gesundheitsbericht der Bundesregierung vom 18. Dezember 1970. Es heißt dort weiter:So bedarf die Ausbildung z. B. der Beschäftigungstherapeuten, Logopäden, Diätassistenten und Orthoptisten einer bundeseinheitlichen Regelung.Der Bundestag berät und verabschiedet also heute das Gesetz über den Beruf des Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten. Vor allem die Rehabilitation erfordert nicht nur die Erstellung von modernen Rehabilitationskrankenhäusern und Berufsbildungswerken, sondern vor allem auch die Bereitstellung von ärztlichen und nichtärztlichen Fachkräften, die mit allen geeigneten Mitteln die Kranken und Behinderten zurück ins Leben führen sollen. Zwei Faktoren, meine Damen und Herren, sind also entscheidend: moderne Einrichtungen und die notwendigen Fachkräfte.Die Experten haben auch ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der sinnvolle Einsatz von Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten die Aufenthaltsdauer im Krankenhaus verkürzen kann. Die Bundesregierung hatte bereits auf eine Kleine Anfrage von CDU/CSU-Abgeordneten im August 1973 zur Aus- und Fortbildung von Fachkräften der Rehabilitation einen Gesetzentwurf für den Beruf des Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten angekündigt. Obwohl es in einigen Ländern bereits Ausbildungsvorschriften gibt, fehlen viele Kräfte, und die bundeseinheitliche Regelung ist deshalb fällig. Der Mangel hemmt bereits in speziellen Einrichtungen die Weiterentwicklung in der Rehabilitation.Nach einer englischen Studie sollen für jeweils 200 000 Einwohner etwa 34 Beschäftigungstherapeuten zur Verfügung stehen: 10 für die allgemeinen Erkrankungen, 8 für die Geriatrie und 16 für die Psychiatrie.Eine entscheidende Entwicklung nahm die Beschäftigungstherapie im zweiten Weltkrieg in den Vereinigten Staaten, wo zur schnelleren Gesundung Verwundeter handwerkliche Betätigungen zur Wiederherstellung gestörter Bewegungsfunktionen durchgeführt wurden. Nach dem ersten Weltkrieg kam die Beschäftigungstherapie auch nach Deutsch-
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Burgerland. Es waren zunächst die Psychiater, die hier diese Methode einführten, und auch die Lungenheilstätten.1953 wird durch einen Erlaß in einem Bundesland die Beschäftigungstherapie staatlich anerkannt. Lehrplan und Prüfungsordnungen wurden festgelegt. Es heißt darin:Beschäftigungstherapie ist Behandlung von kranken und behinderten Personen zur Besserung des Gesamtzustandes durch handwerkliche Betätigungen sowie durch geistige und psychische Aktivierungen mit dem Ziel, den Gesundungs- und Arbeitswillen zu erhalten, zu fördern oder zu wecken und die allgemeine Leistungsfähigkeit sowie gestörte Funktionen wiederherzustellen oder zu bessern.Inzwischen sind diese vagen Vorstellungen, die wohl global Zutreffendes aussagen, längst abgelöst von neuen Therapieformen. Die Beschäftigungs- und Arbeitstherapie hat in der modernen Medizin, in der die Rehabilitation einen immer größeren Raum einnimmt, eine große Bedeutung erlangt. Sie umfaßt in erster Linie Behandlungen, die darauf gerichtet sind, durch Anwendung aktivierender psychologischer und psychagogischer Methoden mit Hilfe der Betätigung von Handfertigkeiten und handwerklichen Fähigkeiten sowie durch Erlernung beruflicher Kenntnisse körperliche und geistige Störungen zu beheben und Heilung sowie die Eingliederung von Kranken und Behinderten in Gesellschaft und Beruf zu erreichen. Sie betrifft die Bereiche der Psychiatrie, der Orthopädie, der Chirurgie, der inneren Medizin, der Kinderheilkunde und der Geriatrie. Es gibt sicherlich noch viele Möglichkeiten für die Tätigkeit der Therapeuten. So gibt es z. B. in der Schweiz für ältere Menschen Ergotherapie-Stationen, die mit größtem Erfolg in der Rehabilitation älterer Menschen wirken. Denn über die Heilung der Krankheit im eigentlichen Sinne hinaus gilt es, den geschwächten Körper wieder zu aktivieren, die beeinträchtigten Funktionen durch entsprechendes Training wieder lebenstüchtig zu machen und auch seelisch und sozial die Menschen wieder zum sinnvollen Dasein in der Gemeinschaft zurückzuführen.Mindestens 10 000 Fachkräfte werden wohl in der Bundesrepublik zusätzlich benötigt. Bei der im Entwurf vorgesehenen Lösung wird davon ausgegangen, daß der Tätigkeitsbereich und die Ausbildung des Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten sich nur auf diejenigen Bereiche der Arbeitstherapie erstrekken sollen, die in der medizinischen Rehabilitation von Bedeutung sind.Die Grenzen zwischen der eigentlichen individuellen Beschäftigungs- und der richtig verstandenen Arbeitstherapie sind fließend. Innerhalb der Beschäftigungstherapie werden — so erklärten uns die Fachleute — vorwiegend individuelle medizinische Ziele angestrebt, nämlich die Kräftigung und die Wiederherstellung gestörter Funktionen, innerhalb der Arbeitstherapie vorwiegend Ziele der beruflichen Eingliederung.Es ist unbestritten, daß es enge Verzahnungen zwischen Beschäftigungs- und Arbeitstherapie gibt.Notwendige Kenntnisse und Fähigkeiten in der Arbeitstherapie müssen deshalb in der Ausbildung angeboten werden.Einige europäische Länder haben allerdings für diesen Beruf die Bezeichnung Ergotherapeut bestimmt. Nach langen Beratungen und Auswertung der Anhörung, bei welcher die Experten unterschiedlich votierten, entschied sich die Mehrheit des Ausschusses für die Berufsbezeichnung „Beschäftigungs- und Arbeitstherapeut" .Der Beruf stellt hohe Anforderungen. Ohne Zuverlässigkeit, geistige und körperliche Eignung und Fähigkeit zur Ausübung des Berufs ist der Erfolg beim Kranken gefährdet oder überhaupt nicht möglich. Die Frage des Mindestalters wurde daher gründlich diskutiert. Die Bestimmungen nennen ein Mindestalter für die Zulassung zur Ausbildung nicht ausdrücklich. Da aber eine abgeschlossene Realschulbildung verlangt wird, kann in der Regel von 17jährigen und älteren Bewerbern ausgegangen werden. Nach einer dreijährigen Schulausbildung mit Praxisbegleitung bedeutet dies im Regelfall beruflichen Einsatz mit 20 Jahren. Es ist wohl generell nicht richtig, daß das Alter allein für die Zulassung entscheidend ist. Ein Datum bedeutet oft auch eine Härte, weil wenige Tage entscheiden können. Schließlich hat ja auch die Schule die Pflicht, die Eignung zu prüfen. Wir sind überzeugt, daß sich die getroffene Entscheidung bewähren wird.Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird dem Gesetz zustimmen. Sie erwartet, daß auch der Gesetzentwurf unserer Fraktion über das Berufsbild des Logopäden noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Die medizinischen Einrichtungen warten auf diese Fachkräfte, und für viele junge Menschen, die aus den Schulen entlassen werden, müssen neue Möglichkeiten erschlossen werden, einen Beruf zu erlernen.Der Deutsche Bundestag hat sich seit Jahren zu dem Vorrang der Rehabilitation bekannt. Sie ist eine moderne Hilfe für die Kranken und Behinderten im Rahmen der Daseinsvorsorge. Sie ist zum festen Bestandteil unseres Systems der sozialen Sicherheit geworden. Durch sie wird es vielen Menschen möglich sein, einen vollwertigen Platz in unserer Gesellschaft einzunehmen oder wieder einzunehmen. Dazu müssen jedoch nicht nur die notwendigen Gesetze geschaffen und die erforderlichen Einrichtungen erstellt werden, nein, dazu brauchen wir auch gut ausgebildete Fachkräfte.Heute und mit diesem Gesetz fügen wir wieder einen Stein in das Mosaik ein. Weitere müssen folgen. Wir hoffen, daß auch die erforderlichen Schulen in den nächsten Jahren eingerichtet werden können, damit die Ziele, die wir uns mit diesem Gesetzentwurf gesteckt haben, auch in die Praxis umgesetzt werden können.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Jaunich.
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16104 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Befriedigung nimmt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion zur Kenntnis, daß wir heute hier in großer Übereinstimmung das Gesetz über den Beruf des Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten verabschieden können. Nachdem im Namen der CDU/CSU-Fraktion bei der ersten Lesung am 20. Februar durch die Kollegin Hürland vielfältige Kritik an diesem Entwurf geäußert wurde, die bei der Ausschußberatung nicht einmal mehr vorgebracht wurde bzw. einer sachlichen Erörterung nicht standhielt, ist nunmehr mit einmütiger Verabschiedung zu rechnen.
Allein bei der Berufsbezeichnung gab es in unserem Ausschuß eine Kontroverse. Während wir, die Koalitionsfraktionen, für die Bezeichnung „Beschäftigungs- und Arbeitstherapeut" eingetreten sind und weiterhin eintreten, wollte die Opposition die Bezeichnung „Ergotherapeut" in diesem Gesetz verankern. Dieser Namensstreit mutet grotesk an, zumal wir alle darin übereinstimmen, daß — wie von der Bundesregierung vorgesehen — arbeitstherapeutische Elemente in die Ausbildung wie in die Berufsausübung einfließen, ja, einfließen müssen. Ich kann mich persönlich des Eindrucks nicht erwehren, daß Sie, Herr Kollege Burger, und Ihre Kollegen im Ausschuß hier eine Klippe umfahren wollten, da Sie und ich ja wissen, daß ein Berufsverband gegen das Wort „Arbeitstherapie" in diesem Zusammenhang ein wenig allergisch zu sein scheint.
Worum geht es aber bei diesem Gesetz eigentlich? Es geht darum, die Zulassung zu diesem Beruf bundeseinheitlich zu regeln. Wer nach dreijähriger Fachschulausbildung, in die die praktische Ausbildung integriert ist, die staatliche Prüfung bestanden hat und die persönlichen Voraussetzungen ansonsten erfüllt, erhält das Recht, die Tätigkeit des Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten unter dieser Berufsbezeichnung auszuüben. Wir schützen also die Berufsbezeichnung und folgen damit der bewährten Systematik bei den anderen nichtärztlichen Heilberufen, soweit sie bundeseinheitlich geregelt sind.
Wir Sozialdemokraten messen diesem Beruf eine große Bedeutung bei. Dieser Bedeutung entsprechend muß auch die Ausbildung gestaltet werden. Das heißt, auf eine dreijährige Schulausbildung, in die die Praxis eingebettet ist, kann nicht verzichtet werden. Diese Ausbildung soll dazu befähigen, kranken Menschen Hilfe zur Selbsthilfe und zur Eingliederung bzw. Wiedereingliederung in das Alltagswie in das Berufsleben zu geben. Die Therapieformen, um dies zu erreichen, sind vielfältig. Sie können und wollen wir in diesem Gesetz weder beschreiben noch festlegen. Aber das Ziel wird — und hiermit komme ich auf den Namensstreit zurück — durch das Gesetz klar umrissen.
Die vom Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit durchgeführte nichtöffentliche Anhörung von Sachverständigen hat klar ergeben, daß insbesondere in der Psychiatrie — und hier ist ja der größte Bedarf vorhanden — eine starre Trennung von Beschäftigungstherapie einerseits und Arbeitstherapie andererseits nicht möglich ist. Der Bericht der Enquete-Kommission über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland hat sich zu diesen Fragen übrigens auch geäußert, und zwar mit sehr deutlichen Worten. Mit diesem Gesetz sichern wir denen, die sich für diese Aufgabe entscheiden, eine gute berufliche Zukunft.
Zum Schluß noch eine Bemerkung: Der enorme Mangel an gut ausgebildeten Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten wird durch die Verabschiedung dieses Gesetzes noch nicht behoben. Wir setzen hier nur ein Signal. Ländern, Kommunen, Kommunalverbänden und anderen Trägern gilt dieses Signal, die Verabschiedung dieses Gesetzes zum Anlaß zu nehmen, die bestehenden Ausbildungsstätten auszubauen und neue zu errichten. Da die Trägerschaft einer solchen Schule auch Kostenlast für den Träger bedeutet, bleibt der Deutsche Bundestag aufgerufen, Instrumente für einen Belastungsausgleich — und dies nicht nur für die Schulen, die Beschäftigungs-
und Arbeitstherapeuten ausbilden — zu entwickeln. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stimmt diesem Gesetz vorbehaltlos zu.
Ganz zum Schluß noch eine Bemerkung zu Ihnen, Herr Kollege Burger, da Sie Ihren Entwurf betreffend den Beruf des Logopäden hier angesprochen haben. Sie wissen, daß wir im Grundsatz mit Ihnen übereinstimmen. Sie haben vorhin ja auch erwähnt, daß die Bundesregierung selber in Veröffentlichungen, in Berichten darauf hingewiesen hat, daß dies regelungsbedürftig ist. Sie wissen auch, daß wir guten Willens sind. Aber genauso, wie Sie bei die- sen Beratungen wie auch bei anderen vor dem Abschluß der Beratungen die Forderung erhoben haben, daß man zumindest die Grundzüge der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung kennen müsse — es ist ja dort wie hier der gleiche Paragraph, § 5; ich brauche hier nicht noch einmal darüber zu reden und zu rechten, ob dieser Logopäden-Gesetzentwurf abgeschrieben worden ist oder nicht —, müssen Sie uns das Recht zubilligen, daß wir zunächst einmal die Grundzüge dieser Rechtsverordnung durch die Bundesregierung haben. Sollte sie rechtzeitig vorliegen — Sie wissen, wir haben nicht mehr allzu viele Wochen vor uns —, wird es an uns nicht liegen, auch dieses Gesetz noch zu verabschieden.
Das Wort
hat Frau Abgeordnete Lüdemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute das Gesetz über den Beruf des Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten verabschieden, ist wieder ein Meilenstein auf dem Gebiet der Behindertenpolitik der Bundesregierung erreicht. Im Aktionsprogramm für die Behinderten ist als ein wichtiger Punkt die Aus- und Fortbildung von Fachkräften der Rehabilitation herausgestellt. Eine frühzeitige fachkundige Betreuung der Betroffenen kann eine Behinderuung entscheidend mildern oder sogar vollständig beseitigen. Wir sind stolz darauf, daß seit Übernahme der sozialliberalen
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Frau LüdemannRegierung der Status des Behinderten kontinuierlich verbessert wurde.Sehr bedauerlich ist es jedoch, daß das Schwerbehindertenbeförderungsgesetz schon als Entwurf im ersten Durchgang im Bundestag blockiert wurde. Ich möchte die Bundesregierung hiermit bitten, derzeitig doch noch einmal zu prüfen, ob dieses Gesetz nicht noch vor Ablauf der Legislaturperiode verwirklicht werden kann, zumal Rollstuhlfahrer in öffentlichen Verkehrsmitteln unter Umständen dreimal zur Kasse gebeten werden, nämlich erstens für sich selbst, zweitens für ihre Begleitperson und drittens für den Transport des Rollstuhles.Doch nun zu dem heute zu verabschiedenden Gesetz und dort zunächst zur Überschrift. Die Kollegen der CDU wie auch der entsprechende Berufsverband haben gefordert, statt „Beschäftigungs- und Arbeitstherapeut" das Wort „Ergotherapeut" zu verwenden. Wir meinen, daß man generell nicht alles nur mit Fremdwörtern bezeichnen sollte, und daß in der Bevölkerung kaum jemand weiß, was man unter Ergotherapeut zu verstehen hat. Wie soll sich dann ein junger Mensch für einen solchen Beruf entscheiden? Es gibt z. B. einen ganz anderen Beruf, den des Ökotrophologen, von dem praktisch niemand weiß, was darunter zu verstehen ist.
Ja, er ist darüber hinaus sogar noch sehr schwer aussprechbar. Meine Damen und Herren, wir wollen doch zukünftig solches nicht fortsetzen. Ich denke aber auch daran, daß der Vertreter der Unionsfraktion bei der Einbringung seines Gesetzentwurfs zum Beruf des Logopäden diese Berufsbezeichnung hier im Plenum zu Beginn seiner Rede sehr ausführlich erklärt hat, da er davon ausging, daß auch viele Abgeordnete nicht wissen, was darunter zu verstehen ist. So bin ich froh, daß wir der Bundesregierung gefolgt sind und eine für den Bürger unseres Landes verständliche Berufsbezeichnung gefunden haben.Nach Auffassung von uns Liberalen ist es gut, daß die Berufsbilder des Beschäftigungs- und des Arbeitstherapeuten in diesem Gesetz vereint sind. Denn der Behinderte muß zunächst lernen, seine kranken Glieder wieder zu gebrauchen, bis er allmählich befähigt wird, in den Arbeitsprozeß eingegliedert zu werden. Für jeden Patienten ist es gut, wenn er im Pflege- oder therapeutischen Bereich seine Bezugsperson für die Dauer der Rehabilitation behalten kann. Wir alle, die wir mit dem Gesetzentwurf befaßt waren, haben wohl festgestellt, daß der Übergang von der Beschäftigung bis zur Belastung durch Arbeit ein fließender ist. Wenn der einzelne Patient von dem Therapeuten, der ihn von Anbeginn an betreut hat, bis zur endgültigen Arbeitsbefähigung begleitet wird, wird ihm das zum Abbau seiner seelischen Belastung durch die Behinderung sicher sehr hilfreich sein.Umstritten war zunächst auch, ob ein Mindestalter für den Beginn der Ausbildung in das Gesetz geschrieben werden sollte. Schon bei der Einbringung hielt ich das nicht für gerechtfertigt. Wenn die jungen Menschen nach Abschluß der mittleren Reife oder einer gleichwertigen Ausbildung meist 17Jahre oder älter sind, unter Umständen aber wegen des Fehlens von wenigen Tagen oder Wochen ein ganzes Jahr auf die Zulassung zur Ausbildung warten müssen, so muß anders Argumentierenden die Frage gestellt werden, wie die Ausbildungswilligen dieses Jahr überbrücken sollen. Die seelischgeistige Reife eines Heranwachsenden hängt meiner Ansicht nach nicht unbedingt nur von seinem Lebensalter ab.Die Eingangsberechtigung zur Ausbildung ist gegenüber dem Gesetzentwurf dankenswerterweise sehr viel flexibler geworden. Bei den Beratungen konnte zusätzlich erreicht werden, daß auch junge Menschen nach Hauptschulabschluß und einer abgeschlossenen mindestens zweijährigen Berufsausbildung zugelassen werden können.Die vom Fachverband geforderte vierjährige Ausbildung wurde im Ausschuß einstimmig zugunsten der dreijährigen verworfen.Wir Freien Demokraten sehen in diesem Gesetz eine Festlegung für viele weitere noch ausstehende Gesetze für nichtärztliche Heilberufe, die den gleichen Status erhalten müssen. Wir denken dabei nicht nur an die höheren Ausbildungs- und die daraus resultierenden Kosten für die Gehälter, sondern auch an die menschliche Seite. Wer sich für einen so menschenbezogenen Beruf wie den des Beschätigungs- und Arbeitstherapeuten entschließt, ist wohl doch mehr ein praxisbezogener Mensch. Die Theoretiker unter den jungen Leuten werden sich überwiegend für das Abitur entscheiden.
Diese praxisbezogenen Ausbildungswilligen werden aber auch künftig anstreben, möglichst schnell in den Beruf und damit an die Arbeit mit den Menschen zu kommen.Insgesamt stellen wir Freien Demokraten mit Befriedigung fest, daß all unsere Forderungen zu diesem Gesetzentwurf im Laufe der Beratungen in das Gesetz Eingang gefunden haben. Deswegen stimmen wir ihm zu.Aber, meine Damen und Herren, es stehen noch unendlich viele Gesetze für die Gruppe der nichtärztlichen Heilberufe an. Ganz außerordentlich bedauerlich ist es, daß der Referentenentwurf über nichtärztliche Heilberufe in der Geburtshilfe und Krankenpflege vom Juli 1974 bis zum heutigen Tage über dieses Stadium nicht hinausgekommen ist.
Er hätte es so nötig, Gesetz zu werden, damit auch die Hebammen zu der notwendigen dreijährigen Ausbildung kommen.
Den Ausschußmitgliedern ist bekannt, daß ich schon mehrmals gefordert habe, daß verschiedene Grundbildungsjahre eingerichtet werden, denen dann die einzelnen nichtärztlichen Heil-, therapeutischen und technischen Berufe zugeordnet werden
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16106 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Frau Lüdemannsollten. So könnte z. B. ein gemeinsames Grundbildungsjahr für Hebammen, Entbindungshelfer, Krankenschwestern und -pfleger, Kinderkrankenschwestern und -pfleger eingerichtet werden.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jaunich?
Bitte.
Frau Kollegin Lüdemann, darf ich fragen, ob Sie mit mir gleichermaßen bei der Anhörung empfunden haben, daß zwischen dem Wunsch, solche gleichmäßigen Grundbildungsjahre einzuführen, und deren Realisierung doch ein gewisser Unterschied ist? So haben wir ja doch im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens einige Anrechnungen, die vorgesehen waren, herausstreichen müssen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage habe ich zum Schluß nicht ganz verstanden.
— Nur eine Feststellung!
Ein zweites gemeinsames Grundbildungsjahr sollte für alle im wesentlichen mit der Rehabilitation befaßten Berufe, wie z. B. Krankengymnasten, Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten, Logopäden, Orthoptisten, Suchttherapeuten und für nichtärztliche Psychotherapeuten eingerichtet werden.
Ich stelle mir vor, daß ein drittes Grundbildungsjahr für Krankenpflegehelfer, Masseure, Medizinische Bademeister und Kosmetiker und ein viertes für die Gruppe aller technischen Assistenten in der Medizin eingerichtet werden sollte. An dieser Stelle muß ich meinem Bedauern Ausdruck verleihen, daß der Bundesrat seinerzeit die vorgesehene dreijährige Ausbildung für Diätassistenten auf zwei Jahre verkürzt hat.
— Ja, das sage ich ja. — Somit wird es nur sehr schwer möglich sein, auch diesen Beruf mit in ein Grundbildungsjahr einzubinden, obwohl auch dies wieder geändert werden kann. Durch diese verschiedenen Gruppen der Berufsgrundbildung wird dem schulentlassenen jungen Menschen die Berufswahl erleichtert, die Überschaubarkeit in den beruflichen Möglichkeiten gefördert und die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Berufen ganz wesentlich vergrößert. So wird es auch sicher möglich sein, die Mangelberufe wie z. B. das Fachpersonal in der Psychiatrie durch Beratung während der Grundbildung zu intensivieren.
Es ist mir klar, daß dieses Grundbildungsjahr in dieser Legislaturperiode nicht mehr verwirklicht werden kann. Aber ich möchte zum Schluß die Regierung bitten, daß zukünftig alle Gesetze, die für die nichtärztlichen Heilberufe vorbereitet werden, unter dem Gesichtspunkt des Grundbildungsjahres entworfen werden.
Das Wort hat die Frau Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, Dr. Focke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf dem Gebiet der nichtärztlichen Gesundheitsberufe sind zahlreiche neue Berufsbilder entstanden, und diese Entwicklung schreitet fort, sie ist keinesfalls abgeschlossen. Dasselbe gilt für ein Phänomen, das wir feststellen, nämlich das der zunehmenden Spezialisierung. Auch dies ist im Fluß.Allein diese Gründe machen es schon notwendig, bei der Neuordnung und der gesetzlichen Regelung solcher Berufe diese Entwicklungen mit einzubeziehen. Das bedeutet auch eine Überprüfung überkommener berufspolitischer Vorstellungen. Es wird vor allem darauf ankommen, die auf einzelne Berufe begrenzte Betrachtung zunehmend zu überwinden und die jeweilige berufliche Tätigkeit mehr als bisher in das gesamte Spektrum der verwandten Berufsbilder und entsprechend den jeweiligen Bezügen — horizontal und vertikal — einzuordnen.Die Voraussetzungen für die Schaffung neuer Berufe im Gesundheitswesen haben sich verändert und verändern sich laufend. Auch hier stehen wir wie sonst im Gesundheitswesen vor der schwierigen Aufgabe, Forderungen und Möglichkeiten miteinander in Übereinstimmung zu bringen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Ausbildungsgänge mehr als bisher aufeinander abzustimmen, eingehend zu überprüfen, ob Ausbildungsinhalte und spätere Berufstätigkeit in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen, und zu fragen, auf welche Weise den berufspolitischen Erfordernissen nach einer weitgehenden Durchlässigkeit bei den verschiedenen Ausbildungsgängen entsprochen werden kann.Ganz wichtig ist es auch, den Bedarf an Berufen im Gesundheitswesen nicht nur vom Inhalt — was wir hier im wesentlichen immer tun —, sondern auch von der Zahl her unter Berücksichtigung einer sinnvollen Aufgabenteilung festzustellen.Meine Damen und Herren, wir haben sehr sorgfältig registriert, daß auch in den Bundesländern — gleichgültig, ob es sich hierbei um von der Koalition oder von der Opposition getragene Landesregierungen handelt — die Notwendigkeit solcher Überlegungen und einer solchen Neuorientierung erkannt worden ist, wobei sicher auch nicht zuletzt die erheblichen finanziellen Auswirkungen neuer Ausbildungsgänge zu dieser Erkenntnis beigetragen haben mögen. Koalition und Bundesregierung sind sich hier mit den Bundesländern darin einig, daß auch solche Auswirkungen bei der Neuordnung der nichtärztlichen Heilberufe beachtet werden müssen.Es ist notwendig, die Grundlagen, insbesondere auch die entsprechenden Daten zur Ermittlung des Bedarfs, zu beschaffen und die vorhandenen oder
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Bundesminister Frau Dr. Fockenoch zu schaffenden Ausbildungsmöglichkeiten auch hierauf abzustellen. Dies geht nicht ohne eine eingehende Analyse der gegenseitigen Zusammenhänge der verschiedenen Berufsbilder und der tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten.Die Bundesregierung hat, nicht zuletzt als Konsequenz ihres Meinungsaustauschs mit den Bundesländern, Vorarbeiten für diese Neuordnung des gesamten Bereichs der nichtärztlichen Heilberufe eingeleitet. Frau Kollegin Lüdemann, dahin gehört natürlich auch das Problem — und nur so läßt es sich wirklich konkret lösen — des Grundbildungsjahres. Nur so wird es gelingen, die notwendige Ordnung des gesamten Bereichs nach den übergeordneten Grundsätzen von Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Bedarfsgerechtigkeit zu verwirklichen und dabei die nichtärztlichen Gesundheitsberufe funktionsgerecht in den Gesamtrahmen eines überschaubareren und durchlässigen Bildungs- und Ausbildungssystems einzupassen.Die isolierte Neuregelung ist nicht die richtige Antwort auf diese Aufgaben. Andererseits kann ein besonderes Bedürfnis für eine Regelung auf Bundesebene dennoch vorab sehr wohl bestehen. Bei dem Beruf des Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten handelt es sich fraglos — darüber stimmen wir wohl alle überein — um ein solches besonderes Bedürfnis.Die Bundesregierung betrachtet die Verbesserung der Lage der Behinderten, ebenso wie es die Redner der Koalitionsfraktionen hier schon dargelegt haben, als einen Schwerpunkt ihrer Gesellschafts- und Sozialpolitik. Im Rahmen der vielfältigen Maßnahmen, die zur Erreichung dieses Zieles von dieser Koalition und den von ihr getragenen Bundesregierungen getroffen worden sind, wird das Gesetz über den Beruf des Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten einen wichtigen Beitrag leisten.Es besteht Einigkeit darüber, daß dem Beruf des Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten in der modernen Medizin, vor allem im ganzen Bereich der Rehabilitation und bei der Eingliederung der behinderten und kranken Menschen in Gesellschaft und beruf, eine hervorragende Bedeutung zukommt. Es ist besonders zu begrüßen, daß sich der Bundestag den Vorstellungen der Bundesregierung angeschlossen und für das umfassende Berufsbild des Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten entschlossen hat. Damit werden diejenigen fortschrittlichen Entwicklungen Grundlage für die künftige Ausbildung in diesem Beruf, die über den Bereich der Beschäftigungstherapie hinaus auch die Einbeziehung der Arbeitstherapie vorsehen. Sie dienen damit auch der Überwindung von Grenzen zwischen der medizinischen und der beruflichen Rehabilitation, die sich nicht selten als hinderlich für einen optimalen Erfolg erwiesen haben.Schließlich sollte auch nicht übersehen werden, daß diese umfassende Ausgestaltung des Berufsbildes die Möglichkeiten zur Hilfe für behinderte und kranke Menschen wesentlich erweitert und damit für. viele Menschen, die diesen Beruf ergreifen möchten, der ihnen die Nähe zum leidenden Menschen und dieHilfe für ihn ermöglicht, diesen Beruf noch attraktiver als bisher macht.Die zahlreichen Bemühungen in den Ländern, Grundlagen für diesen neuen und von allen Seiten als dringend notwendig angesehenen Beruf zu schaffen, möchte ich ausdrücklich hervorheben. Sie werden durch das vorliegende Gesetz weiterentwickelt und für das Bundesgebiet vereinheitlicht. Damit sind entscheidende Voraussetzungen geschaffen, um der Beschäftigungs- und Arbeitstherapie die Anerkennung und die Betätigungsmöglichkeiten zu geben, die entsprechend den Forderungen des medizinischen Fortschritts notwendig sind.Mit der Einführung einer dreijährigen Ausbildung und einheitlichen Ausbildungsinhalten wird dieser Beruf seine Aufgaben in Zusammenarbeit mit den zahlreichen anderen Berufen, die an der Rehabilitation mitwirken, insbesondere auch in den eigentlichen Rehabilitationsteams, noch besser als bisher erfüllen können.Angesichts der vielen behinderten und kranken Menschen, denen durch die Beschäftigungs- und Arbeitstherapie Hilfe geleistet werden kann, unterstreicht auch die Bundesregierung die Notwendigkeit, dieses Gesetz möglichst bald in Kraft treten zu lassen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung in der zweiten Beratung. Ich rufe die §§ 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein. — Das Wort wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so gebilligt.Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, daß Sie zustimmen, daß die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Eingaben und Petitionen für erledigt erklärt werden. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe nunmehr Punkt 6 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Branntweinmonopol— Drucksache 7/4777 —Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/4897 —
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Abgeordneter Bremer Abgeordneter Schinzel
Ich danke den Herren Berichterstattern. — Eine Ergänzung des vorgelegten Berichts wird nicht gewünscht.Ich eröffne die zweite Beratung. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe die Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Wir kommen zurdritten Beratung.— Das Wort wird nicht begehrt. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke schön. Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist in dritter Beratung bei zwei Enthaltungen gebilligt.Der Ausschuß beantragt, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 28. April 1975 zum Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Griechenland infolge des Beitritts neuer Mitgliedstaaten zur Gemeinschaft— Drucksache 7/4382 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 7/4734 —Berichterstatter: Abgeordneter Reuschenbach
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. — Eine Ergänzung des schriftlichen Berichts wird nicht ge- wünscht. — Das Wort wird auch zur Aussprache nicht begehrt.Meine Damen und Herren, wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in zweiter Beratung und Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke! Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Diesmal keine. Damit ist auch dieser Entwurf verabschiedet.Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Titels IV der Gewerbeordnung— Drucksache 7/3859 — Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 7/4846 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Schachtschabel
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. — Eine Ergänzung des Berichts wird nicht gewünscht.Wir treten in die zweite Beratung ein. Das Wort wird nicht begehrt. Ich rufe die Art. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Gesetz in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig gebilligt.Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Landwirtschaftliche Rentenbank— Drucksache 7/4380 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 7/4872 —Berichterstatter: Abgeordneter Bewerunge
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. — Auf eine Ergänzung des Berichts wird verzichtet.Wir treten in die zweite Beratung ein. — Das Wort wird nicht begehrt. Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe die §§ 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so gebilligt.Meine Damen und Herren, wir treten in diedritte Beratungein. — Das Wort wird nicht begehrt. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe nunmehr Punkt 10 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes — Drucksache 7/4794 —
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976 16109
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenÜberweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß
Ausschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschuß gemäß § 96 GOZur Begründung der Regierungsvorlage hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Herr Dr. Schmude, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes betrifft dringliche und wichtige Probleme der zunehmenden friedlichen Nutzung der Kernenergie, deren gesetzliche Lösung noch in dieser Legislaturperiode notwendig und nach den Vorbereitungen auch möglich ist.Es handelt sich vor allem um die Endlagerung radioaktiver Abfälle und damit zusammenhängende Fragen der Abfallbehandlung und -sammlung, ferner um mehrere Verordnungsermächtigungen zur Verbesserung der Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren.In der Bundestagsentschließung vom 14. März 1975 sind darüber hinaus weitere, gleichfalls wichtige regelungsbedürftige Fragen angesprochen worden. Sie werden zum erheblichen Teil in drei Rechtsverordnungen behandelt, die zur Ergänzung dieser Novelle in Vorbereitung sind. So bildet bei der Neufassung der Atomanlagenverordnung die effektivere Ausgestaltung der Bürgerbeteiligung im Genehmigungsverfahren einen wesentlichen Schwerpunkt. In der neu zu schaffenden Sicherungsverordnung sollen detaillierte Anforderungen an die bauliche und technische Ausgestaltung von Kernkraftwerken gegen Sabotage- und sonstige Störmaßnahmen sowie Regelungen für die Sicherstellung des Brennstoffkreislaufs, die bisher nur in Richtlinien erfaßt sind, durch Rechtsvorschriften verbindlich festgelegt werden. Im Entwurf einer neuen Strahlenschutzverordnung sind im Hinblick auf den Katastrophenschutz die notwendigen Vorsorgemaßnahmen vorgesehen, die nach der begrenzten Regelungskompetenz des Bundes atomrechtlich möglich sind. Schwerpunktmäßig fällt der Schutz auch für nukleare Katastrophen- und Störfälle in die Zuständigkeit der Länder.Die Entschließung vom 14. März 1975 zielt weiterhin ab auf Regelungen für die Optimierung des Genehmigungsverfahrens durch Präzisierung der gesetzlichen Anforderungen an Errichtung und Betrieb von Kernkraftwerken, für die Stillegung und Beseitigung von kerntechnischen Anlagen und für die Verbesserung der rechtlichen Möglichkeiten zur Nachrüstung genehmigter Anlagen. In diesen Bereichen sind schwierige rechtliche und fachliche Fragen zu klären. Sie können daher erst in der geplanten fünften Novelle zum Atomgesetz geregelt werden.Kernstück des Gesetzentwurfs, der Ihnen heute vorliegt, bilden die Regelungen über die Beseitigung radioaktiver Abfälle in staatlicher Verantwortung. Mit ihnen werden die rechtlichen Voraussetzungen für ein sicheres und funktionsfähiges Entsorgungssystem für Kernenergieanlagen geschaffen.Zu Recht nimmt der Problemkreis „Entsorgung" in der öffentlichen Diskussion breiten Raum ein. Sichere Entsorgung ist für einen Ausbau der Nutzung der Kernenergie unerläßlich. In ihrem Energieprogramm hat die Bundesregierung deutlich gemacht, daß unter Schutzgesichtspunkten für einen solchen Ausbau der sicheren Entsorgung eine besonders wichtige Rolle zukommt.Bereits in der Antwort auf die Große Anfrage zur friedlichen Nutzung der Kernenergie hat die Bundesregierung die nach sorgfältigen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten entwickelte Konzeption eines Entsorgungsparkes eingehend erläutert. Ich kann daher hier zusammenfassen: Die räumliche Konzentration des Entsorgungsparkes soll besonders die Eingangslagerung abgebrannter Brennelemente und ihre Aufarbeitung sowie die Zwischenlagerung, Behandlung, dauerhafte Sicherstellung und Endlagerung radioaktiver Abfälle umfassen.Der Industrie wird die Aufgabe zufallen, die Wiederaufbereitungsanlage zu errichten und zu betreiben. Entsprechend dem Schutzzweck des Atomgesetzes wird im Hinblick auf das langfristige Gefährdungspotential radioaktiver Abfälle die sichere Endlagerung in staatlicher Verantwortung erfolgen.Für Wiederaufbereitungsanlagen und für die Zwischenlagerung schwachaktiver Abfälle in Landessammelstellen sind bereits gesetzliche Grundlagen im Atomgesetz und der Ersten Strahlenschutzverordnung vorhanden. Das Ziel, eine umfassende Abfallbeseitigung für alle radioaktiven Abfälle zu schaffen, soll nunmehr in der folgenden Weise verwirklicht werden:Erstens. Bei. allen Tätigkeiten, die zum Anfall radioaktiver Abfälle führen, muß bereits von Anfang an so geplant werden, daß radioaktive Abfälle möglichst wenig entstehen und dann möglichst einfach und gefahrlos beseitigt werden können.Zweitens. Die Lagerung der Abfälle wird staatliche Aufgabe. Dabei ist es erforderlich, die zentrale Endlagerung radioaktiver Abfälle der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zu übertragen. Diese Bundesanstalt wird ihre Aufgaben unter der Fachaufsicht des Bundesministers des Innern und in enger Zusammenarbeit mit den berührten Landesbehörden wahrnehmen. Die Zwischenlagerung bestimmter radioaktiver Abfälle soll Aufgabe von Landessammelstellen im Wege der Bundesauftragsverwaltung bleiben. Als Regelpflicht wird eine Ablieferung für radioaktive Abfälle festgelegt. Ausnahmen bestehen nur in engen Grenzen. Die Einzelheiten sollen in einer Rechtsverordnung geregelt werden, für die in dieser Novelle eine detaillierte Ermächtigung aufgenommen ist.Drittens. Für die Einrichtung des Endlagers ist ein Planfeststellungsverfahren vorgesehen. Damit wird auf ein bewährtes verwaltungsrechtliches Instrument zurückgegriffen, das die Berücksichtigung und sorgfältige Abwägung aller berührten öffentlichen und privaten Belange gewährleistet und die umfassende Anhörung der Bevölkerung sicherstellt.Zu den vorgesehenen Verordnungsermächtigungen hebe ich hervor:
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16110 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Parl. Staatssekretär Dr. SchmudeErstens. Die Bauartzulassung für Teile von Kernkraftwerken führt über die Standardisierung kerntechnischer Anlagen zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren. Dabei ist eine sachgerechte begleitende sicherheitstechnische Prüfung der Komponenten von der Werkstoffauswahl über Fertigungskontrollen bis zum Einbau am Standort gewährleistet.Zweitens. Durch stärkere konkretisierte Anforderungen an Sachverständige wird den staatlichen Aufgabenträgern ein Leitbild für die Auswahl geeigneter Sachverständiger gegeben. Zugleich erhalten damit aber auch Sachverständige und Sachverständigenorganisationen einen klaren Überblick über die von staatlicher Seite erwartete Eignung und Befähigung.Drittens. Erweiterte Meldepflichten über Abweichungen von Genehmigungsanträgen und Genehmigungen sowie über sicherheitstechnisch bedeutsame Ereignisse sollen die Wirksamkeit der. staatlichen Aufsicht verbessern.Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 12. März 1976 das Gesetzesvorhaben im ersten Durchgang mit einer Reihe von Vorschlägen grundsätzlich gebilligt. Die Bundesregierung sieht in diesen Vorschlägen, denen in ihrer Gegenäußerung weitgehend zugestimmt werden dürfte, eine wichtige Hilfe bei der sachgerechten Lösung der mit diesem Gesetzentwurf behandelten Probleme.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung bittet um Ihre Unterstützung für dieses Gesetzesvorhaben als einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung und weiteren Verstärkung des hohen kerntechnischen Sicherheitsniveaus in der Bundesrepublik Deutschland.
Damit ist die Regierungsvorlage begründet. Ich möchte Sie noch darauf hinweisen, daß der Ältestenrat Ihnen vorschlägt, zusätzlich den Wirtschaftsausschuß bei der Beratung der Vorlage zu beteiligen.
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Gruhl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe eine kurze Erklärung für die CDU/CSU-Fraktion abzugeben. Letzteres betone ich besonders an die Adresse des Herrn Ministers Matthöfer gerichtet, der sich neuerdings als Leserbriefschreiber betätigt und heute einen Leserbrief im „Vorwärts" veröffentlicht hat, in dem steht, es könne keine Rede davon sein, daß Herr Dr. Gruhl Umweltsprecher der CDU sei. Er möge zur Kenntnis nehmen, daß ich hier für die Fraktion spreche.
— Leider.
— Ich gebe Ihnen völlig recht, Herr Wehner. Auch die Kernenergie hat ein bißchen etwas Gespenstisches an sich. Da sind wir wieder beim Thema.
— Ich hoffe, es hilft uns teilweise.Nun zum Gesetz. Bemerkenswert ist nicht, was in dem Entwurf steht, sondern was darin fehlt. Der Deutsche Bundestag hat vor fast einem Jahr die Bundesregierung einstimmig aufgefordert, eine Novelle zum Atomgesetz vorzulegen, und zwar bis zum 30. September 1975. Dieser Termin ist also bereits ein halbes Jahr überschritten. Die Bundesregierung hatte bereits die doppelte Zeit, und sie hat nach dieser Zeit dennoch nur einen Torso vorgelegt. Das Schlimme daran ist aber, daß die vom Bundestag gewünschte Gesetzesvorlage nun nicht mehr vor der Bundestagswahl kommen wird. In der Praxis heißt das, daß die gewünschte Novelle mindestens eineinhalb Jahre später kommen wird. Dies fordert scharfe Kritik heraus.Was nun vorliegt, soll der Durchsetzung des Energieprogramms der Bundesregierung dienen. Aber die sicherheitstechnischen Voraussetzungen, die der Bundestag einstimmig für dringend nötig hielt, liegen damit nicht vor. Diese sind sicher sehr schwierig auszuarbeiten; das ist zuzugeben. Aber gerade diese Schwierigkeiten beweisen auch, wie dringend nötig diese Regelungen sind.Was fehlt alles gegenüber den Forderungen des Bundestages vom 24. März 1975? Zunächst die mit der Endlagerung zusammenhängende Sicherstellung des Brennstoffkreislaufs, nicht nur der Wiederaufbereitung, sondern des Brennstoffkreislaufs im weitesten Sinne. Weiter fehlt etwas sehr Dringendes, was auch mit der Endlagerung zusammenhängt: die Hilfeleistung bei nuklearen Katastrophen und Störfällen; insbesondere fehlen die Einrichtung, die Rechtsträgerschaft, die Finanzierung und die Organisation eines technischen Hilfszuges. Es fehlt weiterhin die geforderte ausführliche gesetzliche Regelung bei Stillegung von Kernenergieanlagen. Es fehlt die Optimierung des Anlagengenehmigungsverfahrens bezüglich der Standorte und während der Errichtungs- und der Betriebsphase. Auch die Verbesserung des rechtlichen Gehörs der Bürger, die seinerzeit in der Anhörung des Innenausschusses von mehreren Seiten vorgeschlagen wurde, ist hier nicht geregelt.Es fehlt weiterhin alles, was wir damals in Ziffer 2 aufgenommen hatten, in der die Bundesregierung ersucht wird, im Rahmen der Fortschreibung des Energieprogramms insoweit die Voraussetzungen für den angestrebten Ausbau der Kernenergie zu schaffen, als der Sicherheit der Bevölkerung Vorrang eingeräumt wird und im Zusammenhang damit organisatorische und personelle Maßnahmen getroffen werden. All dies bleibt also auf unbestimmte Zeit zurückgestellt, während die Regelungen, die dem weiteren Ausbau der Kernenergie dienen, in dieser Novellierung enthalten sind. Ich betone, daß dies äußerst bedenklich ist, denn all die anderen Forderungen haben wir seinerzeit nach lan-
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Dr. Gruhlgen Beratungen in der Arbeitsgruppe und im Innenausschuß mit sehr vielen Gründen gestellt. Man kann nicht auf der einen Seite das Energieprogramm in vollem Umfang aufrechterhalten, ohne auf der anderen Seite alle sicherheitstechnischen Voraussetzungen zu schaffen, die es ermöglichen, dieses Programm mit gutem Gewissen durchzuführen.Wir werden in den Beratungen versuchen, noch einiges zu ergänzen, um wenigstens noch ein Stück mehr zu regeln, als es in diesem Torso bisher der Fall ist. Wir werden dabei sicherlich auch einige Anregungen des Bundesrates verwerten können. Aber ich muß noch einmal betonen: Diese Verzögerung der wichtigsten Bestimmungen zur Kernenergie fordert unsere scharfe Kritik heraus.
Das. Wort hat Herr Abgeordneter Schäfer .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will für die SPD-Fraktion eine Erklärung zu der vorliegenden Novelle abgeben.Herr Kollege Gruhl, gestatten Sie mir, daß ich zunächst in einigen Punkten auf Ihre Argumentation eingehe. Sie sagten zu Beginn, bemerkenswert sei nicht, was in der Novelle stehe, sondern was in ihr fehle. Da ich Ihre Sachkenntnisse kenne, weiß ich, daß Sie das so nicht meinen können. Die Novelle ist dringend notwendig, nicht zum weiteren Ausbau der friedlichen Nutzung der Kernenergie, sondern, um mit den Abfällen, die jetzt bereits bei den im Betrieb befindlichen kerntechnischen Anlagen anfallen, einigermaßen sachgerecht fertig zu werden.Sie haben anscheinend nicht ganz verfolgt, was Herr Staatssekretär Schmude ausgeführt hat. Er hat darauf hingewiesen, daß Regelungen für den Katastrophenfall in Rechtsverordnungen — soweit Bundeskompetenz gegeben ist — in Arbeit sind.Was die Verbesserung der Bürgermitwirkungsrechte angeht, ist die entsprechende Rechtsverordnung bereits in Arbeit. Sie wissen im übrigen, daß in Standortfragen der Bund ohnehin nicht die Zuständigkeit hat, so daß sich hier eine gesetzliche Regelung auf Grund der gegebenen Kompetenzen nicht anbietet.
— Das ist ja ein Teil der Rechtsverordnung, die, wie wir annehmen, bald vorgelegt wird.Die Bundesregierung hat sich mit ihrem Energieprogramm dafür entschieden, daß Sicherheit kerntechnischer Anlagen Vorrang vor wirtschaftlichen. Belangen hat. Der Bundestag hat anläßlich der Energiedebatte im Januar dieses Jahres in der von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Entschließung diesen Standpunkt unterstrichen. Mit der Vorlage der vierten Atomgesetznovelle, der zweiten Novellierung des Atomgesetzes in dieser Legislaturperiode, sollen verbesserte rechtliche Voraussetzungen für die friedliche Nutzung der Kernenergie geschaffen werden. Die Bundesregierung folgt damit in wichtigen und besonders dringlichen Punkten, Herr Kollege Gruhl, dem Ersuchen des Bundestages vom Frühjahr 1975 nach Verbesserung des geltenden Atom- und Strahlenschutzrechts.In einer fünften Atomgesetznovelle müssen die noch offenen Fragen — ich stimme Ihnen zu, daß noch Fragen offen sind —, vor allem Fragen der Stillegung von Anlagen und der Verbesserung der rechtlichen Möglichkeiten zur Nachrüstung bestehender Anlagen unter Anpassung an den jeweils neuesten Stand von Wissenschaft und Technik geregelt werden.
— Ich sage Ihnen ja: Dieser Punkt ist offen und mußin einer fünften Atomgesetznovelle geregelt werden.Das Kernstück der vorliegenden Novelle stellen die Regelungen über die Ablieferung und Behandlung von radioaktiven Abfällen sowie deren Endlagerung in Bundesverwaltung dar. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt soll die Verantwortung für die Sicherstellung und Endlagerung radioaktiver Abfälle erhalten. Die Langlebigkeit und das hohe Gefährdungspotential radioaktiver Abfälle gebieten die staatliche Obhut. Darüber hinaus werden die Betreiber verpflichtet, anfallende radioaktive Abfälle abzuliefern. Ausnahmen sollen nur auf Grund von Rechtsverordnungen zulässig sein oder in besonderen Fällen im Wege einer Einzelentscheidung durch die zuständige Behörde erfolgen können. Es wäre z. B. denkbar, daß große radioaktiv verseuchte Stücke, die nicht in den Landessammelstellen oder in der bundeseigenen Endlagerung untergebracht werden können, an Ort und Stelle sicher eingeschlossen werden. Die sogenannten ungefährlichen radioaktiven Abfälle werden dem Abfallrecht unterstellt, wobei natürlich — der Bundesrat weist in seiner Stellungnahme zu Recht darauf hin — die entsprechende Freigrenze der Strahlenschutzverordnung in keinem Falle überschritten werden darf.In der energiepolitischen Diskussion wird von Promotern der Kernenergie häufig die besondere Wirtschaftlichkeit und Preisgünstigkeit dieser Energieart angepriesen. Dabei werden oft nicht alle Kosten genannt. Die Folgekosten z. B. für die Entsorgung, also Aufbereitung der Reststoffe, Behandlung, Zwischenlagerung, Sicherstellung beim Endlagern radioaktiver Abfälle, werden oft verschwiegen.
Die SPD-Fraktion hält es für richtig, daß der Gesetzentwurf dem Verursacher von radioaktiven Abfällen die vollen Kosten für ihre schadlose Sammlung, Behandlung, Sicherstellung oder Endlagerung sowie die sonstige Beseitigung auferlegt. Eine Durchlöcherung des Verursacherprinzips, wie sie möglicherweise in der Stellungnahme des Bundesrats anklingt, lehnen wir entschieden ab.Meine Damen und Herren! Verstöße gegen die Ablieferungspflicht radioaktiver Abfälle sind ange-
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Schäfer
sichts der hohen Sozialgefährlichkeit keine Kavaliersdelikte. Sie stellen folgerichtig zukünftig eine Straftat dar,Für die Errichtung und den Betrieb von Anlagen zur Sicherstellung oder Endlagerung von radioaktiven Abfällen wird ein besonderes Planfeststellungsverfahren vorgesehen. Die Einwendungsmöglichkeiten der Bürger werden dabei keinesfalls eingeschränkt. Die entscheidenden Kriterien bleiben — Art. 9 b Abs. 1 bis 4 weist dies ausdrücklich aus — die Sicherheitskriterien.Neben diesen Bestimmungen enthält die Novelle vier wichtige Verordnungsermächtigungen:Erstens. Es sind künftig Bauartzulassungen für Bestandteile von kerntechnischen genehmigungspflichtigen Anlagen möglich. Dadurch wird ohne Verschlechterung der Rechte der betroffenen Bürger eine Beschleunigung des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens möglich. Außerdem kann die Bauartzulassung von wichtigen Reaktorbestandteilen zu einer Standardisierung von Leistungsreaktoren führen. Meine Damen und Herren, bei der Einführung von Typen- und Komponentengenehmigungen muß freilich darauf geachtet werden, daß die sicherheitstechnischen Fortschritte und ihre Umsetzung ungeschmälert Voraussetzungen bei der Genehmigung bleiben. Im Laufe der Beratungen ist zu erwägen, wie dies im einzelnen sichergestellt werden kann, etwa durch eine zeitliche Befristung.Zweitens. Es wird die Möglichkeit eines nationalen Verwendungsverbots für radioaktive Stoffe, wie z. B. für bestimmte Leuchtstoffe, ermöglicht, die eine vermeidbare Strahlenbelastung der Bevölkerung bewirken.Drittens. Es wird eine verstärkte Meldepflicht über sicherheitstechnisch bedeutsame Abweichungen vom bestimmungsgemäßen Betrieb, insbesondere über Unfälle und sonstige Schadenfälle beim Umgang mit radioaktiven Stoffen, beim Betrieb von Anlagen sowie beim Umgang mit Anlagen, Geräten und Vorrichtungen eingeführt. Dies gibt der Aufsichtsbehörde einen verbesserten Überblick über alle Vorgänge.Viertens. Durch Verordnung kann schließlich festgelegt werden, welche Anforderungen an die Ausbildung, die beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten sowie an die Zuverlässigkeit und Unparteilichkeit der im Genehmigungsverfahren tätigen Sachverständigen zu stellen sind und welche Voraussetzungen im Hinblick auf die technische Ausstattung und die Zusammenarbeit von Angehörigen verschiedener Fachrichtungen die Organisationen erfüllen müssen, denen Sachverständige angehören.Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf schafft die rechtlichen Voraussetzungen für eine sachgerechte und zweckmäßige Beseitigung radioaktiver Abfälle. Angesichts der zunehmenden friedlichen Nutzung der Kernenergie — ich habe vorhin bereits darauf hingewiesen — und der damit anfallenden Abfälle ist die Novelle sachlich unverzichtbar, ihre Verabschiedung noch in dieser Legislaturperiode unabdingbar notwendig. Freilich — auch darauf will ich hinweisen —, das Gesetz löst das Problem der Entsorgung nicht. Die Novelle kann nicht bedeuten und bedeutet auch nicht, daß nunmehr abgebrannte Brennelemente der Fürsorge des Staates — Bund und Ländern — obliegen. Im Genehmigungsverfahren muß deshalb nach meiner Auffassung eine eindeutige und unwiderrufliche Selbstbindung der Wirtschaft für die Entsorgung erzwungen werden, notfalls bis hin zur Versagung weiterer Genehmigungen zum Bau und Betrieb kerntechnischer Anlagen oder gar zum Widerruf von Betriebsgenehmigungen.Zum Schluß möchte ich der Bundesregierung dafür danken, daß es trotz der immer noch bestehenden personellen Engpässe in der zuständigen Abteilung des Innenministeriums gelungen ist, die Novelle so vorzulegen, daß sie noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte namens der FDP-Fraktion zu dem vorliegenden Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes der Bundesregierung wie folgt Stellung nehmen.Die rasche Entwicklung und die in der Folge damit verbundenen neuen Erkenntnisse und Erfahrungen machen eine permanente Anpassung und damit erneute Novellierung des Atomgesetzes dringend notwendig, Wir sind zwar der Meinung — und hier stimmen wir sicherlich alle überein; dies hat auch Staatssekretär Schmude schon zum Ausdruck gebracht, ebenso der Kollege Gruhl —, daß eine gegenüber dem jetzt vorliegenden Entwurf sehr viel umfassendere Novelle erforderlich wäre. Aber aus ebenso zwingenden wie dringenden Gründen ist für das im Entwurf angesprochene Hauptproblem vorrangig eine schnelle gesetzliche Regelung erforderlich geworden: eine gesetzliche Regelung der Sicherstellung, der Verwertung und Endlagerung radioaktiver Abfälle.Im vorliegenden Gesetzentwurf wird festgelegt, daß die Abfallbeseitigung und Endlagerung eine staatliche Aufgabe ist und in der staatlichen Verantwortung verbleiben muß. Wir begrüßen dies ausdrücklich, ebenso den Regierungsvorschlag, wie diese Kosten der Beseitigung bzw. Endlagerung aufzubringen sind: über Gebühren oder eventuell Entgelte, die dem Ablieferer nach dem Verursacherprinzip aufzuerlegen sind.Es scheint uns auch wichtig, die Erweiterung der Berichtspflicht, Einzelheiten der Ablieferung der radioaktiven Abfälle über die Sammelstellen, die Anforderungen an die Ausbildung, Kenntnisse und Fähigkeiten von Sachverständigen und deren Zusammenarbeit umfassend zu regeln.Nun ein paar kurze Bemerkungen zu einigen der vorgesehenen Regelungen, denen wir in den Aus-
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Dr.-Ing. Laermannschußberatungen besondere Aufmerksamkeit zuwenden sollten.Im Zusammenhang mit dem vorgesehenen Planfeststellungsverfahren wäre zu überlegen, ob nicht auch bei den vorbehaltenen Entscheidungen eine weitergehende Informationspflicht bzw. eine generelle Verpflichtung zur Bekanntmachung und Auslegung vorgesehen werden könnte. Wir müssen uns über die besondere Bedeutung sowie das steigende Interesse in der Öffentlichkeit und die vorhandene Skepsis im klaren sein und daher alles vermeiden, was unberechtigtes Mißtrauen gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie wecken könnte.Es sollte auch überlegt werden, ob zur Vermeidung einer möglichen Interessenvermengung die Physikalisch-Technische Bundesanstalt nicht gleichzeitig für die Errichtung und den Betrieb von Anlagen zur Sicherstellung und zur Endlagerung radioaktiver Abfälle wie auch für das Planfeststellungsverfahren zuständig sein sollte, wie dies im übrigens auch schon in der Stellungnahme des Bundesrates zu § 23 zum Ausdruck gebracht wurde. Der Hinweis auf das Vertrauen der Öffentlichkeit ist sehr beachtenswert. In der Tat sollte für die Durchführung von Planfeststellungsverfahren nicht eine technische Bundsbehörde zuständig sein.Die Frage der Bauartzulassung wichtiger Reaktorbauteile, -systeme und -komponenten mit der Zielrichtung einer Standardisierung muß sehr sorgfältig geprüft werden. Insbesondere müssen die Randbedingungen der Verordnungsermächtigung festgelegt werden, damit der Schutzzweck des Gesetzes erfüllt wird und gewährleistet ist, daß der jeweilige Stand von Wissenschaft und Technik unbedingt berücksichtigt wird. Demzufolge wird auf Einzelprüfungen wahrscheinlich nicht verzichtet werden können. Ich möchte als Beispiel auf das Verfahren hinweisen, in dem Stahlbrücken genehmigt werden. Dort muß jede einzelne Schweißnaht, jedes Niet rechnerisch nachgewiesen werden, und jeder Festigkeitsnachweis wird vor der Genehmigung geprüft. Warum soll dies für so wichtige Reaktorbauteile wie etwa den Reaktordruckbehälter nicht im gleichen Maße gelten? Wir werden sehr sorgfältig beraten müssen, was sich denn eigentlich hinter der Bauartzulassung verbirgt.
Die Novelle scheint uns notwendig, und ich möchte an die Ausschüsse appellieren, die Beratungen schnell und zügig durchzuführen. Denn die gesetzliche Regelung der Entsorgung, der Beseitigung und Verwahrung radioaktiver Abfälle ist dringend erforderlich geworden. Es ist ein sehr vordringliches Problem. Die übrigen Punkte, die bereits mehrfach angesprochen sind, müssen in einer 5. Novelle im Anschluß an diese Novelle behandelt werden. Wir sind aber der Meinung, daß das Problem, das hier besonders angesprochen ist, vorrangig behandelt werden sollte.
Ich
schließe die Aussprache. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates liegen Ihnen vor: Innenausschuß federführend, Ausschuß für Forschung und Technologie und Wirtschaftsausschuß mitberatend, Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierug eingebrachten Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Körperschaftsteuerreformgesetz
— Drucksache 7/4803 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
Herr Staatssekretär Haehser hat mich dankenswerterweise wissen lassen, daß er auf eine Begründung verzichtet.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäuble.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt die Vorlage des Einführungsgesetzes zum Körperschaftssteuerreformgesetz, weil wir darin ein Indiz sehen, daß nunmehr auf allen Seiten der Koalition die Bereitschaft wächst, die Körperschaftsteuerreform doch noch in dieser Legislaturperiode zu verwirklichen.
Wir hoffen, daß sich die Vorlage des Einführungsgesetzes nicht als ein Tarnmanöver für diejenigen Kräfte erweist, die bekanntermaßen, Herr Vohrer, die Körperschaftsteuerreform in Wahrheit nicht wollen.Der Schwerpunkt des Einführungsgesetzes liegt beim Umwandlungssteuergesetz. Dazu möchte ich wenige Bemerkungen machen. Wir begrüßen das neue Umwandlungssteuergesetz, das im Grundsatz den Forderungen der CDU/CSU-Fraktion entspricht, den Unternehmen die Anpassung der Unternehmensform an die wirtschaftlichen Gegebenheiten in steuerneutralen Weise zu ermöglichen. Wir vermissen allerdings in dem Entwurf eine ausreichende mittelständische Komponente. Wir glauben, daß die Umwandlung einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft mehr als nötig erschwert wird. Ich nenne als Stichwort nur die volle Besteuerung des Übernahmegewinns. Nach Auffassung der CDU/ CSU-Fraktion muß die Personengesellschaft attraktiv bleiben, weil diese Rechtsform besonders für die kleinen und familiengebundenen Unternehmen ihre Bedeutung hat und ihre Vorteile bewahren muß.Wir vermissen darüber hinaus in dem Entwurf weitere wesentliche Elemente, ohne die eine Umwandlung in steuerneutraler Weise nicht möglich ist. Die vom Bundesrat geforderte Grunderwerbsteuerfreiheit für Umwandlungen ist unseres Erachtens unverzichtbar. Auch die Wiedereinführung der Gesellschaftsteuerfreiheit, die anfänglich im geltenden Umwandlungsteuergesetz enthalten war, sollte nach Auffassung der CDU/CSU erneut ernsthaft geprüft werden. Unsere Intentionen werden
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Dr. Schäublebelegt durch die Initiative des Kollegen van Delden und Genossen auf der Bundestagsdrucksache 7/3774, von der wir wünschen, daß sie in die Beratungen des Gesetzentwurfs mit einbezogen wird.Ich möchte zum Schluß noch grundsätzlich bemerken, daß die CDU/CSU-Fraktion die Körperschaftsteuerreform und ein dazu passendes Umwandlungssteuerrecht als Teil einer internationalen Wirtschafts- und Unternehmensordnung ansieht. Wir können deshalb bei den vorliegenden Gesetzentwürfen nicht stehenbleiben. Es wird notwendig sein, darüber nachzudenken, wie Schritt um Schritt ein neues Unternehmenssteuerrecht geschaffen werden kann, das auch die Besteuerung über die Grenze umfaßt und zu einer zunehmenden. Integration der Steuerrechtsordnungen in der Europäischen Gemeinschaft führt. Dies wird keine leichte Aufgabe, aber es wird eine lohnende Aufgabe sein, für die gerade auch das deutsche Steuerrecht die richtigen Akzente setzen muß.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Weber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich auf eine Erwiderung auf einige Bemerkungen des Herrn Kollegen Schäuble beschränken.
Erstens. Es gibt doch überhaupt keinen Zweifel daran — das hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung erklärt —, daß die Körperschaftsteuerreform zum 1. Januar 1977 kommen soll. Es besteht kein Zweifel daran, daß die Sozialdemokratische Partei und die sozialdemokratische Fraktion das auch wollen. Die Beratungen des Finanzausschusses beweisen das.
— Wir müssen natürlich langsamer beraten, wenn Sie ständig Entlastungsanträge stellen.
Zweitens. Das Einführungsgesetz ist notwendig, um notwendige Anpassungen vorzunehmen, also die Doppelbesteuerung nicht nur für die Fälle zu beseitigen, wo der Gewinn ausgeschüttet wird, sondern auch in allen anderen Fällen der Umwandlung oder der Liquidation.
Lassen Sie mich drittens etwas zu Ihrer Berner-kung sagen, Sie würden die Anregung des Bundesrates übernehmen, in das neue Umwandlungssteuergesetz eine Bestimmung einzufügen, nach der alle Umwandlungs-, Verschmelzungs- oder Einbringungsfälle während der Zeit vorn 1. Januar 1977 bis zum 31. Dezember 1979 von der Grunderwerbsteuer und von der Gesellschaftsteuer befreit werden. In dieser Stellungnahme kommt natürlich über die Hintertür des Bundesrates wieder Ihr Gesetzesantrag vom 12. Juni 1975 zum Vorschein.
Die Bundesregierung hat hierzu noch keine Erklärung abgegeben. Ich persönlich verhehle aber nicht
— wir haben darüber noch nicht beraten —, daß ich erhebliche Bedenken dagegen habe. Denn das zieht Steuerausfälle und nicht unerhebliche Steuermindereinnahmen nach sich. Darüber hinaus läuft diese vorgesehene Befreiung von der Gesellschaftsteuer den Steuerharmonisierungsbestrebungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zuwider, weil nach der Richtlinie des Rates der EG vom 17. Juli 1969 die Gesellschaftsteuerbefreiung nicht zulässig ist. Wir sollten alles tun, mühsam erreichte Harmonisierungen innerhalb des Steuerrechts der EG nicht unnütz zu gefährden.
Als letzter Redner der Abgeordnete Vohrer.
Herr Präsident Meine Damen! Meine Herren! Ich fand es sehr erfreulich, daß zu dieser späten Stunde zum erstenmal von der Opposition ein klares Wort zu der Körperschaftsteuerreform kommt. Herr Schäuble hat endlich erkennen lassen, daß jetzt auch die Opposition davon ausgeht, daß wir die Körperschaftsteuerreform, wie immer angekündigt, zum 1. Januar 1977 verabschieden wollen.Zugleich mit dem Inkrafttreten der Körperschaftsteuerreform soll am 1. Januar 1977 auch das Einführungsgesetz zum Körperschaftsteuerreformgesetz in Kraft treten. Von diesen Änderungen werden zehn Gesetze auf dem Gebiet des Steuerrechts betroffen, wobei die Änderungen des Gewerbesteuergesetzes, des Investitionszulagengesetzes, des Vermögensteuer- und Bewertungsgesetzes mehr redaktionellen Charakter haben.Von materieller Bedeutung sind insbesondere die Neufassung des Gesetzes über steuerliche Maßnahmen bei der Änderung der Unternehmensform, die Änderung des Investmentgesetzes und des Gesetzes über steuerliche Maßnahmen bei Erhöhung des Nennkapitals aus Gesellschaftsmitteln und bei Überlassung von eigenen Aktien an Arbeitnehmer.Die wichtigste Regelung des neuen Umwandlungssteuergesetzes besteht darin, daß das bei der Körperschaftsteuerreform beschlossene System der Einmal-Besteuerung ausgeschütteter Körperschaftsteuer-gewinne auch auf Umwandlungsfälle übertragen wird. Durch die Änderung der Investmentgesetze soll sichergestellt werden, daß inländische Anteilseigner, die mittelbar über einen inländischen Investmentfonds an einer inländischen Kapitalgesellschaft beteiligt sind, in gleicher Weise in den Genuß der Körpers chaftsteuergutschrift kommen wie unmittelbar an der Kapitalgesellschaft Beteiligte. Die Änderung des Gesetzes über steuerrechtliche Maßnahmen bei Erhöhung des Nennkapitals aus Gesellschaftsmitteln sieht eine Einschränkung der bisher in § 6 des Gesetzes geregelten Pauschsteuer vor.Alle im Gesetzentwurf vorgesehenen Änderungen beruhen auf der Einführung des Anrechnungsverfahrens bei der Körperschaftsteuer, durch das die Doppelbelastung ausgeschütteter Gewinne von Kapitalgesellschaften beseitigt wird.Für die Ausschußberatungen hält meine Fraktion eine zeitlich befristete Befreiung von der Grund-
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Dr. Vohrererwerbsteuer bei der Umwandlung von Einzelunternehmungen und Personengesellschaften in Kapitalgesellschaften für prüfenswert. Wenn schon durch die Körperschaftsteuerreform und durch die Abschaffung der Doppelbelastung ein wichtiges Steuerhindernis dieser Unternehmensform beiseitegeräumt wird, dann sollte der Übergang von Personengesellschaften in Kapitalgesellschaften nicht unnötig erschwert werden. Gerade kleine und mittlere Unternehmungen sollten von der betriebswirtschaftlich oftmals gebotenen Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft nicht durch Grunderwerbsteuerpflicht abgehalten werden.Die FDP setzt sich insbesondere für die Erleichterung der Umwandlung von der Personengesellschaft zur Kapitalgesellschaft ein. Damit soll auch zum Ausdruck kommen, daß hier keine Tür geöffnet werden soll, um Umwandlungen etwa zur Umgehung der Mitbestimmungsgesetzgebung zu ermöglichen. Gerade bei der Diskussion des Jahreswirtschaftsberichts ist immer wieder die Bedeutung der Vermögensbildung hervorgehoben worden. Deshalb halte ich es für notwendig, an dieser Stelle auch darauf hinzuweisen, daß vermögenspolitische Maßnahmen im Bereich der Kapitalgesellschaften wesentlich leichter zu verwirklichen sind als bei Personengesellschaften.
— Herr Jenninger, falls Sie sachliche Zwischenrufe machten, würde ich das sehr begrüßen.
— Wir vertreten die Umwandlung auch wegen der Nebenwirkung im vermögenspolitischen Bereich. Wenn Sie den Zusammenhang nicht sehen, dann ist das Ihr Problem. Wir sehen den Zusammenhang.Auch die größere Bilanztransparenz der Kapitalgesellschaften ist für uns ein Grund, um alle Erschwernisse, die der Umwandlung entgegenstehen, so weit wie möglich aus dem Weg zu räumen.Die vom Bundesrat eingebrachte Anregung für eine weitreichende Steuerbefreiung für Umwandlungs-, Verschmelzungs- und Einbringungsfälle wird in der Ausschußberatung darauf zu prüfen sein, inwieweit dieser Vorschlag mit europäischen Gesetzen kollidiert.Für meine Fraktion darf ich in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hinweisen, daß wir mit dem Einführungsgesetz zum Körperschaftsteuerreformgesetz nicht die Finanzsituation des Bundes durch Einnahmeausfälle verschlechtern wollen. Da jedoch ohne steuerliche Erleichterungen Umwandlungen in den meisten Fällen gänzlich unterbleiben würden, sind Berechnungen der Steuerausfälle unter falschen Prämissen nicht übermäßig aussagekräftig. Insofern erscheint es nur in dem Maße gerechtfertigt, von Steuerausfällen zu reden, als daß diese Steuereinnahmen bei der heutigen Gesetzgebung auch entstehen würden.Die FDP wird dazu beitragen, die Reform der Körperschaftsteuer und die hierzu notwendigen Einführungsgesetze so zügig wie möglich zu verabschieden.
Meine
Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Die Vorschläge des Ältestenrates liegen Ihnen vor: Überweisung an den Finanzausschuß — federführend — sowie zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft und den Haushaltsausschuß. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 15 bis 22 der Tagesordnung auf:
15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 14. Dezember 1973 über die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen einschließlich Diplomaten
— Drucksache 7/4820 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß
16. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sprengstoffgesetzes
— Drucksache 7/4824 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
17. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gewährleistung der Unabhängigkeit des • vom Deutschen Presserat eingesetzten Beschwerdeausschusses
— Drucksache 7/4889 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
18. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 31. Oktober 1975 zur Änderung des Vertrages vom 18. Dezember 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Schweden über gegenseitige Unterstützung in Zollangelegenheiten
— Drucksache 7/4802 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
19. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 140 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24. Juni 1974 über den bezahlten Bildungsurlaub
— Drucksache 7/4766 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
20. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 20. Oktober 1972 über die Internationalen Regeln zur Verhütung von Zusammenstößen auf See
— Drucksache 7/4806 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
16116 Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode — 230. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 18. März 1976
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
21. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Fernmeldevertrag vom 25. Oktober 1973
— Drucksache 7/4807 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
22. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes
— Drucksache 7/4813 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
Es handelt sich um von der Bundesregierung und Mitgliedern des Bundestages vorgelegte Gesetzentwürfe. — Das Wort wird nicht begehrt.
Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates bitte ich der Tagesordnung zu entnehmen. Ich frage, ob das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden ist. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 23 auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 54 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 7/4789 —
b) Beratung der Sammelübersicht 55 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 7/4800 —
Das Wort wird nicht begehrt. Ich verbinde die Abstimmung. Wer den beiden Anträgen des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Punkt 25 auf:
Beratung der zustimmungsbedürftigen Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksache 7/4792 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft
Das Wort wird dazu nicht begehrt. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage dem Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr die Punkte 26 bis 29 der heutigen Tagesordnung auf:
26. Beratung des Berichts und des Antrags des Innenausschusses zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates betreffend die Verringerung der Wasserverschmutzung durch die Zellstoffabriken in den Mitgliedstaaten
— Drucksachen 7/3212, 7/4782 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Biechele
Abgeordneter Wittmann Beratung des Berichts und des Antrags des Innenausschusses (4. Ausschuß) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates über Abfälle aus der Titandioxyd-Produktion
— Drucksachen 7/3964, 7/4783 — Berichterstatter:
Abgeordneter Schäfer Abgeordneter Volmer
3. Beratung des Berichts und des Antrags des Innenausschusses zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch
— Drucksachen 7/3975, 7/4784 — Berichterstatter:
Abgeordneter Wittmann Abgeordneter Biechele
4. Beratung des Berichts und des Antrags des Innenausschusses zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eine
Richtlinie des Rates betreffend die biologischen Normen von Blei und die Überwachung der Gefährdung der Bevölkerung durch Blei
Richtlinie des Rates betreffend die Qualitätsnormen für den Bleigehalt in der Luft
— Drucksachen 7/3623, 7/4785 — Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Gruhl Abgeordneter Konrad
Es handelt sich um Anträge der Ausschüsse über Vorschläge der Kommission der Europäischen Gemeinschaften. Ich frage, ob von den Berichterstattern das Wort begehrt wird. — Das ist nicht der Fall. Ich frage, ob das Wort zur Aussprache verlangt wird. — Auch das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch.
Wir kommen zur Abstimmung über die Anträge auf den Drucksachen 7/4782, 7/4783, 7/4784 und 7/4785. Wer zustimmen will, meine Damen und Herren, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltung? — Gegen eine Stimme sind die Anträge angenommen.
Damit stehen wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 19. März, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.