Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren! Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich bekannt, daß die heutige Tagesordnung nach einer interfraktionellen Vereinbarung ergänzt wird um:
Aussprache gemäß Anlage 4 Nr. 1 der Geschäftsordnung zu den durch das Ausscheiden Frankreichs aus dem europäischen Währungsverbund entstandenen akuten währungspolitischen Spannungen und deren unmittelbare Auswirkungen auf die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 12. März 1976 den nachfolgenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:
Gesetz zu dem Abkommen vom 9. Oktober 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung nebst der Vereinbarung hierzu vom 9. Oktober 1975
Gesetz zur Änderung des Dritten Verstromungsgesetzes
Drittes Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes Gesetz zu der Zusatzakte vom 10. November 1972 zur Änderung des Internationalen Übereinkommens zum Schutz von Pflanzenzüchtungen
Gesetz zu dem Übereinkommen Nr. 139 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24. Juni 1974 über die Verhütung und Bekämpfung der durch krebserzeugende Stoffe und Einwirkungen verursachten Berufsgefahren
Gesetz zu dem Übereinkommen vom 9. April 1975 über einen Finanziellen Beistandsfonds der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Gesetz zu dem Abkommen vom 23. Mai 1975 zur Änderung des Artikels 12 Absatz 1 des am 30. Mai 1958 in Den Haag zustande gekommenen Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Zusammenlegung der Grenzabfertigung und über die Einrichtung von Gemeinschafts- oder Betriebswechselbahnhöfen an der deutsch-niederländischen Grenze
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 12. März 1976 beschlossen, zu den nachfolgenden Gesetzen die Einberufung des Vermittlungsausschusses zu verlangen:
Fünfzehntes Strafrechtsänderungsgesetz
Gesetz zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes
Gesetz zur Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes Gesetz zur Änderung des Altölgesetzes
Gesetz über die Pockenschutzimpfung.
Seine Schreiben sind als Drucksachen 7/4876, 7/4877, 7/4878, 7/4879 und 7/4880 verteilt.
Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 10. März 1976 im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit die Kleine Anfrage der Abgeordneten Schröder , Link, Vogel (Ennepetal), Haase (Kassel), Frau Pieser, Dr. Jahn (Münster), Dr. Althammer, Gerster (Mainz), Pfeffermann, Wohlrabe, Dr. Häfele, Milz, Dr. Riedl (München), Niegel, Schmitz (Baesweiler), Carstens (Emstek) und Genossen betr. Gutachteraufträge von Bundesministerien — Drucksache 7/4771 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/4873 verteilt.
Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 11. März 1976 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Kreile, Stücklen, Dr. Dollinger, Höcherl, Röhner, Dr. Althammer, Biehle und Genossen betr. Berücksichtigung des Freistaates Bayern bei Förderungsmaßnahmen der Bundesregierung in den Haushaltsjahren 1972 ff. — Drucksache 7/4811 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/4886 verteilt.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksachen 7/4865, 7/4885 —
Wir behandeln zunächst die vorliegenden Dringlichen Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Wohlrabe auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung unternommen, um sicherzustellen, daß die Berliner Journalisten Günther Lincke und Hans-Dieter Schulz vom Deutschlandfunk und Karl-Heinz Schröter von der Deutschen Welle kurzfristig doch noch von der Leipziger Messe berichten können und somit eine Aufhebung des Verbots der Berichterstattung erfolgt?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Bölling.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich bitte, die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Wohlrabe zusammen beantworten zu dürfen.
Bestehen Bedenken?
— Ich rufe dann auch die Frage 2 des Abgeordneten Wohlrabe auf:Wie gedenkt die Bundesregierung in Zukunft darauf hinzuwirken, daß die DDR-Behörden die Vereinbarungen des Grundvertrags einhalten, und welche Konsequenzen denkt die Bundesregierung aus diesem vertragswidrigen Verhalten der Ostberliner Regierung zu ziehen?Bolling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung nimmt die Verweigerung der Akkreditierung der Korrespondenten des Deutschlandfunks und der Deutschen Welle zur Leipziger Messe sehr ernst. Sie hat es in den letzten Tagen in mehreren Stellungnahmen über jeden Zweifel deutlich gemacht.Die Bundesregierung sieht darin einen Verstoß gegen die Vereinbarungen des Briefwechsels zwischen
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Staatssekretär Böllingder Bundesrepublik Deutschland und der DDR über Arbeitsmöglichkeiten von Journalisten vom 8. Novomber 1972, die ein Jahr später in einer Serie von Verhandlungen zwischen den Delegationen beider Staaten weiter präzisiert worden sind. Die Regierung der DDR verstößt durch diese Behandlung unserer Journalisten außerdem gegen die Schlußakte von Helsinki.Dementsprechend hat die Bundesregierung gehandelt. Der Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR, Herr Staatssekretär Gaus, hat sich unverzüglich über das Wochenende um einen Termin beim Ministerium für auswärtige Angelegenheiten bemüht. Am Montag, dem 15. März, trug Herr Gaus um 11.30 Uhr dem zuständigen Abteilungsleiter im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, Herrn Seidel, mit Nachdruck den Protest der Bundesregierung vor und brachte die Erwartung nach unverzüglicher Akkreditierung der drei Korrespondenten zum Ausdruck. Anschließend sprach er das Befremden der Bundesregierung aus, daß es ihm selber zwei Tage lang nicht möglich gewesen sei, den Protest der Bundesregierung zu plazieren. Leider zeigte die andere Seite keine Einsicht.Als der Bundeswirtschaftsminister von diesem gänzlich unbefriedigenden Gespräch erfuhr, hat er noch vor Besuch der Leipziger Messe in Anwesenheit von Herrn Staatssekretär Gaus in Leipzig beim Außenhandelsminister der DDR, Herrn Sölle, scharf gegen die Diskriminierung der drei Journalisten protestiert. Da sich Minister Sölle nicht in der Lage sah, einzulenken oder auch nur anzudeuten, daß seine Regierung bereit sei, diese Entscheidung zu revidieren, hat Herr Minister Friderichs seinen Besuch in Leipzig, der bis Dienstag geplant war, abgebrochen und ist zusammen mit Staatssekretär Rohwedder in die Bundesrepublik zurückgekehrt. Vorher hat er den Bundeskanzler und den Vizekanzler informiert, die seine Entscheidung und sein Verhalten voll und ganz billigten.Staatssekretär Gaus ist zur gleichen Zeit nach Ost-Berlin zurückgefahren, der niedersächsische Finanz- und Wirtschaftsminister Kiep via Berlin nach Hannover.Damit wurde der Regierung der DDR und der deutschen und der internationalen Öffentlichkeit deutlich gemacht, daß die Bundesregierung nicht bereit ist, das Verhalten der DDR hinzunehmen. Die Bundesregierung geht davon aus, daß dieser Vorgang der Regierung der DDR Anlaß gibt, über ihre Glaub- und Vertragswürdigkeit im zwischenstaatlichen und im internationalen Bereich nachzudenken. Die Bundesrepublik Deutschland sieht hierin einen erneuten Verstoß gegen klare Abmachungen, auch im Zusammenhang mit dem noch ungelösten Fall des „Spiegel"-Korrespondenten Jörg Mettke.Es gilt aber auch heute das, Herr Abgeordneter, was ich damals bei der Anfrage des Herrn Abgeordneten Rollmann zum Fall Mettke gesagt habe: Wir in der Bundesrepublik wollen keine Repressalien gegen die DDR-Journalisten in der Bundesrepublik ergreifen, weil das dem Grundgesetz und unserem Rechtsverständnis zuwiderliefe. Auch die DDR-Journalisten sind Deutsche im Sinne des Art. 116 GG. Wir lassen uns unser Handeln in unserem freiheitlichen Rechtsstaat nicht von den Entscheidungen anderer vorschreiben.Im übrigen darf ich Sie, Herr Abgeordneter, im Zusammenhang mit der Beantwortung Ihrer Frage davon informieren, daß der Bundeskanzler heute nachmittag Gelegenheit nehmen wird, mit dem Leiter des Berliner Büros des Deutschlandfunks, mit Herrn Lincke und mit einigen anderen Berliner Journalisten über dieses Thema zu sprechen und sich die Situation aus erster Hand, nämlich durch einen der drei Betroffenen, darstellen zu lassen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wahlrabe.
Herr Staatssekretär, da es sich hierbei ja offensichtlich um keinen isolierten Vorgang handelt und weil die Behinderung der Mitarbeiter der Deutschen Welle und des Deutschlandfunks durch die DDR-Behörden auch schon seit längerer Zeit anhält, möchte ich Sie fragen: Welche Bemühungen hat die Bundesregierung bisher unternommen, um generell auf der Basis der getroffenen Vereinbarungen sicherzustellen, daß den Korrespondenten des Deutschlandfunks und der Deutschen Welle in Ost-Berlin und in der DDR die Möglichkeit zur ungehinderten Arbeit gegeben wird, so wie es vereinbart worden war?
Bölling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, wie Ihnen bekannt ist, hat der Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin, Herr Staatssekretär Gaus, der in engem Kontakt mit allen in Ost-Berlin akkreditierten Korrespondenten steht, im Falle einer jeden Verweigerung der Akkreditierung oder im Falle von Arbeitsbehinderungen jedesmal ohne Zeitverlust unsere Vorstellungen von den Verabredungen über die Behandlung und über die Arbeitsbedingungen der Journalisten vorgetragen und wiederholt, so wie auch jetzt in Leipzig, darauf hingewiesen, daß wir eine irgendwie geartete diskriminierende Behandlung nicht akzeptieren werden. Auf der anderen Seite wissen Sie, Herr Abgeordneter, daß unsere Mittel, wenn wir Repressalien aus den Gründen ausschließen, die ich soeben genannt habe, limitiert sind, z. B. die Akkreditierung der drei Journalisten durchzusetzen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wohlrabe.
Herr Staatssekretär, Sie stimmen mir sicher, wenn ich Ihre Ausführungen von eben zugrunde lege, doch in der Feststellung zu, daß die Bundesregierung, nachdem die Korrespondenten dieser beiden Sendeanstalten bei ihrer Arbeit rund ein Jahr lang Schwierigkeiten und Behinderungen durch die DDR-Behörden erfahren haben,
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Wohlrabein ihren Bemühungen im letzten Jahr, die DDR zur vertragsgemäßen Einhaltung bei der Arbeit von Journalisten der beiden betroffenen Rundfunkanstalten zu bewegen, nicht vorangekommen ist?Bölling, Staatssekretär: Nein, dieser Schlußfolgerung kann ich nicht zustimmen, Herr Abgeordneter. Der Herr Bundeskanzler hat gestern gesagt, wie Ihnen bekannt ist, daß die Bundesregierung diese Diskriminierung dreier Journalisten ernst nimmt, sie nicht einmal von ferne zu bagatellisieren bereit ist, daß wir aber keine unnütze Dramatisierung wünschen. Nach dieser Vorbemerkung, Herr Abgeordneter, möchte ich mit aller Klarheit feststellen, daß immerhin 100 deutsche Korrespondenten die Gelegenheit haben, über die Leipziger Messe zu berichten. Das entschuldigt auch nicht von ferne die Behandlung der drei Journalisten, denen man die Akkreditierung verweigert hat. Aber daraus ist nicht der Schluß zu ziehen, daß die Verabredungen, die wir seinerzeit getroffen haben, von der anderen Seite in Gänze ignoriert werden.
Eine dritte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wohlrabe.
Herr Staatssekretär, Sie haben von den Einwirkungsmöglichkeiten gesprochen, die wir bei den ständigen Rechtsbrüchen der DDR-Behörden haben. Ich würde gern wissen, ob die Bundesregierung, da diese Tatbestände ja schon seit langem bekannt sind und nur durch die aktuelle Verweigerung der Arbeitsmöglichkeit für die drei Korrespondenten auf der Leipziger Messe in das Bewußtsein der Öffentlichkeit getreten sind, Überlegungen angestellt hat, wie ein Konzept — ich nenne es einmal so — der abgestuften Vergeltung aussehen könnte.
Bölling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich glaubte, in meiner Antwort auf Ihre erste Frage bereits deutlich gemacht zu haben, daß wir stolz darauf sind, daß es in diesem unseren Land Pressefreiheit ohne jede Einschränkung gibt und daß wir nicht bereit sind, die Journalisten, die hier für die DDR akkreditiert sind, mit Sanktionen zu belegen. Wir haben dafür keinen Plan und hielten dies auch im Interesse der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten deshalb nicht für richtig, weil es uns darauf ankommt, daß so viele Informationen wie irgend möglich in beide Richtungen fließen.
Letzte Zusatzfrage von Ihnen, Herr Wohlrabe.
Herr Staatssekretär, Sie haben mir soeben die Forderung einer eventuellen Sanktion unterstellt, von der ich nicht gesprochen und an die ich nicht gedacht habe. Ich frage Sie: Ist die Bundesregierung auch unter den gegebenen Tatbeständen bereit, der DDR weiterhin jene großen Vorteile — ich nenne z. B. einen Punkt: beim Swing — einzuräumen, im gesamten finanziellen Bereich von 1970 bis 1975 runde 7,2 Milliarden DM Zahlungen und Vergünstigungen,
die sie dieser DDR-Regierung bisher eingeräumt hat?
Bölling, Staatssekretär: Auch dies wäre eine Form der Sanktion. Ich möchte Ihnen, Herr Abgeordneter, antworten, daß wir trotz der Rückschläge, die in der Vergangenheit zu registrieren waren und von denen man wissen muß, daß sie auch künftig dann und wann erwartet werden müssen, nicht bereit sind, in unseren Bemühungen um eine noch so mühsame Verbesserung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten nachzulassen, weshalb wir an solche Sanktionen oder Junktims nicht denken.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, in Ihrer Antwort fiel auf, daß in den Gesprächen, die Herr Minister Friderichs und Herr Staatssekretär Gaus mit Vertretern der DDR geführt haben, jede Art von Begründung fehlt, warum die Maßnahmen gegen unsere journalistischen Kollegen getroffen worden sind. Könnten Sie uns aus den Informationen, die Sie inzwischen besitzen, etwas über die Begründung für diese Maßnahmen der DDR sagen?
Bölling, Staatssekretär: Soweit mir bekannt ist, Herr Abgeordneter Schulze-Vorberg, hat sich die DDR im Falle der Verweigerung der Akkreditierung für die Leipziger Messe nicht auf die Abreden zwischen uns und der DDR berufen. Sie hat generalisierend davon gesprochen, daß der Deutschlandfunk und die Deutsche Welle sich wiederholt in die inneren Angelegenheiten sozialistischer Staaten eingemischt hätten. Ich möchte dazu für die Bundesregierung feststellen, daß nach unserer Auffassung beide Rundfunkinstitute ihre journalistische Berichterstattungspflicht in objektiver Weise erfüllen und daß wir diesen Vorwurf für sachlich völlig unbegründet halten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stücklen.
Herr Staatssekretär, wie versteht die Bundesregierung konkret den Ausdruck „nicht überdramatisieren"?Bölling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Stücklen, wenn der Bundeskanzler gestern vor der Fraktion der SPD von einer Überdramatisierung gewarnt hat, so wollte er damit ausdrücken, daß wir die Diskriminierung der drei Journalisten ernst nehmen, daß die Reaktion der Bundesregierung, wie Sie mir
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15962 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976
Staatssekretär Böllingvielleicht zugeben werden, eindrucksvoll klar gewesen ist, daß wir aber die objektiven Fortschritte, die wir in den Verhandlungen mit der DDR erreicht haben, nicht durch eine — wenn Sie so wollen — Überreaktion gefährden möchten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß sich in der letzten Zeit die Beispiele häufen, die darauf schließen lassen, daß die Bundesregierung bei ihren Vertragserwartungen von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist und insofern die politische Lage falsch eingeschätzt hat?
Bölling, Staatssekretär: Die Prämisse Ihrer Frage, Herr Abgeordneter, muß ich mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Ich habe vorhin in der Antwort auf die Frage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe bereits den Herrn Bundeskanzler mit der Bemerkung in der Erklärung zur Lage der Nation zitieren können, wo er den gleichen Gedanken wie in seiner Rede zur Lage der Nation vor einem Jahr zum Ausdruck gebracht hat: daß wir immer wieder Rückschläge zu erwarten haben werden, daß uns das aber nicht hindern wird, uns weiterhin intensiv zu bemühen, die Qualität der innerdeutschen Beziehungen zu verbessern. Wir haben von vornherein gewußt, Herr Abgeordneter, daß das Verständnis von Pressefreiheit in der DDR ein sehr anderes ist als bei uns in der Bundesrepublik Deutschland.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Berger.
Herr Staatssekretär, bei dem bisherigen Frage- und Antwortspiel sind mir in besonderer Weise die Bemerkungen aufgefallen, daß Diskriminierungen ernst genommen würden, daß die DDR allen Anlaß zum Nachdenken habe und daß der Bundeskanzler heute nachmittag insbesondere auch mit den betroffenen Berliner Kollegen über die Sache — übrigens ist dieses Gespräch schon in der vergangenen Woche festgelegt worden, noch ehe sich diese Ereignisse in Leipzig abgespielt haben — sprechen werde. Vor dem Hintergrund dieser drei Punkte würde ich Sie doch gern fragen wollen, ob die Bundesregierung nunmehr nicht doch bereit ist, dieses Problem der Arbeitsmöglichkeiten westdeutscher Journalisten in der DDR unter dem Blickwinkel der Vereinbarungen von Helsinki nun doch zum Gegenstand offizieller Verhandlungen mit der DDR zu machen.
Bölling, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, wir haben unseren Rechtsstandpunkt und unsere politische Auffassung zu dieser Frage durch Herrn Staatssekretär Gaus mit aller Klarheit vorgetragen. Es ist in diesem Augenblick von unserer Seite nichts hinzuzufügen, außer daß ich noch einmal betonen will: Wir werden dieses Thema auch in Zukunft ernst nehmen und uns nicht daran hindern lassen, immer wieder darauf hinzuweisen, daß die DDR durch ein solches Verhalten weit hinter der Schlußakte von Helsinki zurückbleibt.
Im übrigen darf ich Sie, Frau Abgeordnete, darüber unterrichten, daß die Abmachungen, die wir mit der DDR unmittelbar über die Arbeitsbedingungen von Journalisten getroffen haben, viel konkreter und weitgehender sind als das, was zum Thema verbesserter Informationsfreiheit in der Schlußakte von Helsinki geschrieben steht. So werden wir zwar nicht versäumen, diese Handlungsweise der DDR als im Gegensatz zu Helsinki stehend darzustellen, aber wir halten uns an die zweifelsfreien Verabredungen — die Texte sind völlig klar —, die wir selber mit der DDR getroffen haben.
Die nächste Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Abelein.
Herr Staatssekretär, eine Frage nach den von Ihnen hier immer wieder zitierten, abstrakt zitierten Bemühungen gegenüber der DDR: Sieht denn die Bundesregierung auf wirtschaftlichem und finanziellem Gebiet Möglichkeiten, um künftigen Rechtsverstößen der DDR gegen Abkommen mit der Bundesrepublik Deutschland zu begegnen?
Bölling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Abelein, ich habe vorhin schon deutlich machen können, daß wir nicht die Absicht haben, zwischen diesem Fall in Leipzig und beispielsweise dem sogenannten Swing ein Junktim herzustellen, weil die Bundesregierung davon ausgeht, daß diese zinslose Überziehung von Krediten auch im Interesse der Bundesrepublik Deutschland liegt.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Abelein.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bei dieser Antwort bekannt, daß Herr Bundeskanzler Schmidt selbst im innerdeutschen Ausschuß die Ansicht vertreten hat, daß man wirtschaftliche und finanzielle Möglichkeiten sehr wohl einsetzen sollte, um die DDR zu einem rechtskonformen Verhalten zu bewegen?
Bölling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich habe vorhin schon davon gesprochen — ich brauche dies hier ganz sicherlich nicht noch einmal in salvatorischer Absicht zu wiederholen —, daß wir diesen Fall sehr ernst nehmen. Unsere Reaktion hat das gezeigt. Ich habe aber auch mit aller Klarheit gesagt, daß wir nicht zu einer Überreaktion bereit sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reddemann.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976 15963
Herr Staatssekretär, welche Konsequenz zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, daß das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland" heute die Diskriminierung der drei Journalisten ausgerechnet mit dem Grundvertrag und mit der Schlußakte von Helsinki begründet?
Bölling, Staatssekretär: Wir haben bereits hinlänglich deutlich gemacht, Herr Abgeordneter Reddemann, daß das Verhalten der DDR zeigt, daß sie — anders, als sie noch vor einigen Tagen behauptet hat — ihre eigene Deutung der Schlußakte von Helsinki vornimmt, die mit der unseren nicht übereinstimmt.
Ich habe den Artikel im „Neuen Deutschland" gelesen. In ihm heißt es zum Schluß, daß die DDR an einer weiteren Normalisierung der Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland interessiert sei. Wir wünschten uns, daß sie auf dem Felde der journalistischen Beziehungen künftig keinen Anlaß mehr dafür geben möge, daß man eine solche Erklärung in diesem Zusammenhang nicht sehr glaubwürdig findet. Aber wenn das die Absicht der Führung der DDR sein sollte, so würden wir das außerordentlich begrüßen.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reddemann.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir einer Meinung, daß die Regierung in Ost-Berlin offenbar zumindest die Absicht hat, .sowohl den Grundlagenvertrag als auch die Schlußakte kontrovers zu dem auszulegen, was in der Bundesrepublik Deutschland über diese beiden Abkommen gesagt und geschrieben wurde?
Bölling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Reddemann, ich spreche hier zu diesem konkreten Thema. In diesem Falle — dieses konnte ich Ihnen soeben gerade sagen — verhält es sich anders, als der Leiter der Grundsatzabteilung des DDR-Außenministeriums noch am Wochenende gesagt hat. Bei der Ablehnung der Akkreditierung der drei Journalisten hat es sich gezeigt, daß die DDR eben nicht ein so weltoffener Staat ist, wie sie zu sein vorgibt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schneider.
Herr Staatssekretär, wertet die Bundesregierung die Ablehnung der Akkreditierung der drei Journalisten als eklatanten Vertragsbruch durch die DDR?
Bölling, Staatssekretär: Es handelt sich — dieses darf ich sagen, Herr Abgeordneter,
und Sie werden mir nicht unterstellen, daß dies eine formale Betrachtungsweise sei — bei der Begründung der DDR nicht um einen Verstoß gegen den Wortlaut des Textes der Verabredung.
Sie hat ja eine andere Motivation genannt, die wir mit aller Schärfe zurückgewiesen haben.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schneider.
Herr Staatssekretär, entschuldigen Sie, daß ich insistieren muß: Stellt das Verhalten der DDR gegenüber der Bundesrepublik Deutschland in dieser Frage einen eklatanten Vertragsbruch dar? Die Frage kann man nur mit Ja oder Nein beantworten.
Bölling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, es ist gar kein Zweifel — die Bundesregierung hat dies deutlich gemacht, und der Bundesaußenminister hat das Wort „skandalös" mit Überlegung gebraucht —,
daß diese Verhaltensweise einen klaren Verstoß gegen den Briefwechsel darstellt.
— Ja, aber das habe ich voher schon gesagt, Herr Abgeordneter.
Letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Staatssekretär, muß man nicht angesichts dieser Entwicklung davon ausgehen, daß die abgeschlossenen Verträge von beiden Seiten, wie das bisher schon mehrfach der Fall war, völlig unterschiedlich interpretiert und gesehen werden?Bolling, Staatssekretär: Nein, Herr Abgeordneter, dieser Schluß wäre nicht erlaubt, und dieses war der Sinn meiner Antwort auf die Frage des Abgeordneten Schneider. Die politische Wertung ist von uns ohne jedes Wenn und Aber gegeben worden. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß sich die DDR hier nicht einmal, was sie hätte tun können, auf innerstaatliches Recht berufen hat, sondern ein rein politisches Argument gebraucht hat. Die Frage der Qualität und der Klarheit der Abmachungen über die Arbeitsbedingungen der Journalisten stand hier nicht zur Diskussion. Im übrigen weiß ich, daß diese Verabredung auch von denen, die sie angeht, nämlich von den deutschen Journalisten, die
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15964 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976
in Ost-Berlin arbeiten, als klar und zweifelsfrei betrachtet wird.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Windelen.
Herr Staatssekretär, welchen Wert mißt die Bundesregierung Vereinbarungen, auch künftigen Vereinbarungen, mit der DDR bei, wenn sie erkennen muß, daß es ihr nicht möglich ist, die Einhaltung bereits bestehender Vereinbarungen durchzusetzen?
Bölling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Windelen, deshalb habe ich bereits zweimal den Bundeskanzler zitiert. Wir konnten keinen Augenblick davon ausgehen, daß alle Abmachungen in jedem Punkt reibungslos funktionieren würden. Wir dringen darauf und haben in der Vergangenheit darauf gedrungen, daß die DDR diese mit ihr verabredeten Texte ernst nimmt. Wir haben das in diesen Tagen getan, und haben das durch die Abreise des Bundeswirtschaftsministers demonstrativ unterstrichen.
Diese Praxis wird auch künftig die Praxis der Bundesregierung sein.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 3 des Abgeordneten Reddemann auf.
Was unternimmt die Bundesregierung, um den Mitarbeitern der Rundfunkanstalten nach Bundesrecht, „Deutschlandfunk" und „Deutsche Welle", die ungehinderte Berichterstattung von der Leipziger Frühjahrsmesse zu ermöglichen?
Zur Beantwortung bitte, Herr Staatssekretär Bölling.
Bölling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich bitte um Verständnis dafür, daß meine Antwort auf Ihre Frage wiederholt, was in den letzten 20 Minuten schon von mir hat vorgetragen werden können. Ich habe Ihnen dargestellt, was die Bundesregierung unternommen hat, um die Akkreditierung der Korrespondenten des Deutschlandfunks und der Deutschen Welle in Leipzig doch noch tu ermöglichen. Ich glaube, die Bundesregierung hat sich klar und eindeutig für das Recht auf freie Berichterstattung eingesetzt, so wie es im Briefwechsel über die Arbeitsmöglichkeiten von Journalisten, den ich mehrfach habe zitieren können, vereinbart ist und wie ich gerade in meiner Antwort auf die Frage des Abgeordneten Windelen sagen konnte. Wir werden auch künftig mit aller Deutlichkeit darauf drängen, daß diese Verabredungen gemäß dem Briefwechsel eingehalten werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reddemann.
Herr Staatssekretär, hat die Ostberliner Regierung die Bundesregierung in irgendeiner Form wissen lassen, daß sie bei Sanktionen eventuell mit Gegensanktionen größerer Art aufwarten würde?
Bolling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, mir ist davon nichts bekannt.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, Reddemann.
Herr Staatssekretär, wie darf ich dann den Satz verstehen, den das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland" heute — wenn auch nur in indirektem Zusammenhang mit dieser Angelegenheit — brachte, in dem es schrieb:
Die DDR könnte auf den Einfall kommen, in Zukunft die Landeerlaubnis von zwei Sonderflugzeugen der BRD zu verweigern und nicht nur das?
Bölling, Staatssekretär: Verzeihen Sie, ich habe das zwar gelesen, aber ich habe nicht verstanden, was Ihre Frage ist, Herr Abgeordneter.
Meine Frage lautet, ob dies nicht der Versuch der DDR-Regierung ist, Sanktionen der Bundesrepublik bereits durch gezielte Gegensanktionen oder ihre Androhung zu verhindern. Ich wollte wissen, ob Sie dieses Zitat als eine Androhung empfinden oder etwa als eine nette Höflichkeit.
Bölling, Staatssekretär: Ich glaube, man muß zwischen einem Zeitungskommentar — auch wenn er im „Neuen Deutschland" gedruckt steht — und dem, was faktisch geschieht, unterscheiden.
— Es ist das Zentralorgan der SED und insofern eine wichtige Zeitung, Herr Abgeordneter.
Aber wir, die Bundesregierung, werden Kommentare im „Neuen Deutschland" nicht zur Grundlage von Entscheidungen machen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wehner.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung darauf dringen, mit der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik — —
— Ihnen kann ich ja keine Frage stellen. Sie sind ein Journalist, der glaubt, er dürfe ein Abgeordnetenmandat für seine Zwecke ausnutzen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976 15965
WehnerHerr Staatssekretär, wird die Bundesregierung Gelegenheit nehmen, die folgenden Punkte, die in dem Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin, den 1. März 1973, in der Verordnung über die Tätigkeit von Publikationsorganen anderer Staaten und deren Korrespondenten in § 5 dargestellt sind, in dem es heißt:Die in der Deutschen Demokratischen Republik akkreditierten ständigen Korrespondenten sowie Reisekorrespondenten von Publikationsorganen anderer Staaten haben bei der Ausübung ihrer journalistischen Tätigkeit— die allgemein anerkannten Normen des Völkerrechts einzuhalten,— die Gesetze und anderen Rechtsvorschriften der Deutschen Demokratischen Republik einzuhalten,— Verleumdungen oder Diffamierungen der Deutschen Demokratischen Republik, ihrer staatlichen Organe, ihrer führenden Persönlichkeiten sowie der mit der Deutschen Demokratischen Republik verbündeten Staaten zu unterlassen,— wahrheitsgetreu, sachbezogen und korrekt zu berichten sowie keine böswillige Verfälschung von Tatsache zuzulassen,— die gewährten Arbeitsmöglichkeiten nicht für Handlungen zu mißbrauchen, die mit dem journalistischen Auftrag nichts zu tun haben.— ich bitte Sie um Entschuldigung, daß ich diese Punkte hier verlesen habe und die Abs. 2 und 3 dieses § 5 jetzt hier nicht auch noch verlese —, zum Gegenstand der Erörterung mit der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik über die Vereinbarkeit dieser eigenen Vorschriften mit der den Korrespondenten zur Verweigerung ihrer Tätigkeit gegebenen Begründung zu machen?
Bolling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Wehner, ich danke Ihnen für diese Anregung. Ich bin sicher, daß Staatssekretär Gaus, der mit dieser Materie weiter beschäftigt bleiben wird, dieses tun wird.
Ich darf, wenn dies den Fragenstellern der Opposition nicht bekannt sein sollte, darauf hinweisen, daß sich die in Ost-Berlin akkreditierten Journalisten, die diesen Text, Herr Abgeordneter Wehner, sehr gut kennen, daran gehalten haben und daß in der Begründung für die Verweigerung der Akkreditierung an die drei Korrespondenten von der DDR auch keine Vorwürfe genannt worden sind, daß einer dieser drei Korrespondenten sèine Berichterstattungspflicht nicht sorgfältig erfüllt habe oder daß er gegen diese Bestimmung verstoßen habe. Die Begründung, mit der die drei Herren abgelehnt worden sind, habe ich vorhin zitieren können.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär Bölling, darf ich als Abgeordneter, aber zugleich auch als Journalist von Beruf
— das sind wir ja beide — fragen, ob die Bundesregierung Gelegenheit genommen hat — sei es im Gespräch ihrer offiziellen Vertreter in Leipzig oder in Ost-Berlin, sei es schriftlich oder auf andere Weise —, die Regierung der DDR wissen zu lassen, daß es sich beim Deutschlandfunk und bei der Deutschen Welle um Anstalten handelt, die nach Bundesrecht errichtet sind
und daß die Bundesregierung insofern diesen Anstalten gegenüber besondere rechtliche Verpflichtungen hat, zumal Sie in Ihrer ersten Antwort ausdrücklich bestätigt haben, daß sich unsere journalistischen Kollegen entsprechend ihrem Auftrag journalistisch einwandfrei verhalten haben?
Bölling, Staatssekretär: Ich glaube, Herr Kollege Schulze-Vorberg, dieser Gesichtspunkt der rechtlichen Konstruktion ist für unseren Protest von geringer Bedeutung gewesen; denn wir hätten gegen die Behandlung von Journalisten anderer Rundfunkanstalten selbstverständlich — das brauche ich Ihnen nicht zu sagen — mit der gleichen Entschiedenheit protestiert. Staatssekretär Gaus hat sicherlich deutlich gemacht, daß die Begründung, die gegeben worden ist, von uns nicht akzeptiert werden kann und daß nach unserem Urteil beide Anstalten diesen Vorwurf überhaupt nicht verdient haben, daß sie im Gegenteil um eine sachliche Berichterstattung bemüht sind. Allerdings deckt sich die Vorstellung der anderen Seite von kritischer journalistischer Berichterstattung sicherlich nicht mit unserer. Mit diesem Phänomen werden wir es sicherlich auch in der Zukunft zu tun haben.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauer.
Herr Staatssekretär Bölling, betrachtet die Bundesregierung eigentlich das Verhalten der Ostberliner Behörden gegenüber Herrn Staatssekretär Gaus als „Zeichen der Normalisierung", oder hat sie diesbezüglich Protest erhoben?Bölling, Staatssekretär: Sie hat dagegen Protest erhoben, Herr Abgeordneter, und dies haben wir auch öffentlich mitgeteilt. Wir haben sowohl die Verweigerung der Annahme eines Protestes wie die Tatsache, daß Herr Staatssekretär Gaus bis zum Montag warten mußte, als ein protokollarisches Manöver gekennzeichnet.
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15966 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976
Staatssekretär BöllingHerr Staatssekretär Gaus hat in Leipzig selber abermals gegen diese Behandlung seiner Person als des Vertreters der Bundesregierung ganz klar protestiert.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hauser .
Herr Staatssekretär, ist in jüngster Zeit außer in den Fällen, die wir soeben behandelt haben, auch noch anderen Korrespondenten, etwa von Kirchenblättern, wie heute in der „Kölnischen Rundschau" steht, die Aufenthaltserlaubnis verweigert worden, und was haben Sie in diesen Fällen unternommen?
Boiling, Staatssekretär: Mir sind, Herr Abgeordneter, keine konkreten vergleichbaren Fälle aus der letzten Zeit bekannt. Ich bin aber, was dieses Kirchenblatt anlangt, gerne bereit, mich noch heute um diesen Fall zu kümmern. Ich kenne ihn in diesem Augenblick nicht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Abelein.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß die DDR für den Fall, daß sie die Antworten des Vertreters der Bundesregierung in dieser Fragestunde hört oder liest, zu dem Schluß kommen muß, daß es für sie wenig riskant ist, wenn sie auch in Zukunft Journalisten rechtswidrig an ihrer Arbeit in der DDR hindert oder sonstige Verstöße gegen Abkommen mit der Bundesrepublik Deutschland begehen will?
Boiling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter Abelein, diesen Eindruck wird die DDR, anders als Sie vermuten, mit Sicherheit nicht haben.
Sie werden ja als jemand, der sich mit der Thematik seit langem beschäftigt,
: Aber Arndt versteht etwas
wissen, wie sehr der Deutschen Demokratischen Republik . daran gelegen ist, auch, aber nicht nur, unter dem Gesichtspunkt der Schlußakte von Helsinki internationale Reputation zu gewinnen. Ich glaube, daß drüben in diesem Zusammenhang auch ein Prozeß des Nachdenkens beginnen wird, allerdings nur dann, wenn man sich vor Überreaktionen hütet.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Berger.
Herr Staatssekretär, abgesehen davon, daß es mir bisher nicht gelungen ist, aus Ihren Ausführungen die Antwort auf die Frage zu entnehmen, was die Bundesregierung nun ganz konkret — Nägel mit Köpfen — tun wird, um die Arbeitsmöglichkeiten der Journalisten in der DDR zu verbessern, möchte ich Ihr Stichwort der Behandlung des Staatssekretärs Gaus aufgreifen und möchte — nachdem Herr Gaus gegen die Art seiner Behandlung protestiert hat, nachdem auch Herr Minister Friderichs seine Meinung hierzu sehr konkret geäußert hat, und nachdem die Bundesregierung in der Wiedergabe dieser Vorgänge vorsichtig Stellung genommen hat — von Ihnen gerne wissen, ob die Bundesregierung bereit ist, diese Behandlung des Staatssekretärs Gaus als unangemessen und ebenfalls als skandalös zu bezeichnen.
Boiling, Staatssekretär: Frau Abgeordnete, wir haben bereits hinlänglich deutlich gemacht, wie wir die Behandlung des Staatssekretärs qualifizieren. Wir halten nichts davon, nach einer klaren Stellungnahme, die in der ganzen deutschen Öffentlichkeit auch richtig verstanden worden ist, nun mit verbalen Schaustellungen von Härte umzugehen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wohlrabe.
Herr Staatssekretär, Sie haben davon gesprochen, daß Sie der Annahme seien, daß drüben ein Prozeß des Nachdenkens begonnen habe. Ich würde gern wissen: Worauf stützen Sie diese Annahme? Liegen dafür unmittelbare Erkenntnisse vor? Wenn ja, welche?Darüber hinaus möchte ich von Ihnen gern wissen: Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß alle Ihre Antworten den Eindruck zulassen, daß die Bundesregierung in dieser Sache die Politik eines Papiertigers betreibt?
Bölling, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, Sie haben mich offenkundig falsch verstanden. Ich habe es als eine Möglichkeit bezeichnet, daß die für die Pressepolitik Verantwortlichen und die politisch Verantwortlichen überhaupt darüber nachdenken, daß es sich politisch für die DDR nicht auszahlt. Ich habe nicht von Indizien oder auch nur von Symptomen für einen solchen Prozeß des Nachdenkens gesprochen.Wenn Sie mit dem wohlfeilen Klischee vom Papiertiger die Haltung der Bundesregierung hier zu verfälschen versuchen, will ich Ihnen mit aller Deutlichkeit sagen: Wenn Sie ein anderes Rezept haben, als in schwierigen und mühsamen Verhandlungen immer wieder unsere Auffassung vorzutragen, dann wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mich dieses wissen ließen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976 15967
Es liegen keine weiteren Zusatzfragen vor. Wir sind damit am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.
Ich gebe bekannt, daß die dringliche Frage der Abgeordneten Frau Huber aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen von der Fragestellerin zurückgezogen wurde.
Wir sind damit am Ende der Beantwortung von dringlichen Fragen. Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Dr. Schöfberger auf:
Trifft die im Jahre 1972 von Prof. Heribert Heinrichs getroffene Feststellung immer noch zu, daß die Kinder der Bundesrepublik Deutschland während ihrer Entwicklung zwischen dem fünften und dem fünfzehnten Lebensjahr auf den Bildschirmen des Fernsehens den mehr oder weniger brutalen und grausamen Tod von etwa 12 500 Menschen vorgeführt bekommen und miterleben, oder verfügt sie inzwischen über neue Erkenntnisse?
Der Fragesteller ist anwesend. Zur Beantwortung, bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Zander.
Herr Kollege Dr. Schöfberger, neuere Zahlen gegenüber den im Jahre 1972 von Prof. Dr. Heinrichs getroffenen Erhebungen liegen der Bundesregierung nicht vor.
Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Dr. Schöfberger auf:
Verfügt die Bundesregierung über Erkenntnisse, wie sich eine langjährige und intensive Darstellung von Gewaltverbrechen und Grausamkeiten im Fernsehen auf die Kriminalität, insbesondere auf die Jugendkriminalität, auswirkt, und was gedenkt die Bundesregierung gegen diese Auswirkung und ihre Ursachen zu unternehmen?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Zander, Parl. Staatssekretär: Gesicherte wissenschaftliche Erkenntnises über die Auswirkungen von Gewaltdarstellungen im Fernsehen auf die Kriminalität, insbesondere auf die Jugendkriminalität, liegen nicht vor. Auch die Untersuchungen von Professor Heinrichs beschränken sich auf eine Zählung von Fernsehtoten, ohne daß im Einzelfall das Ausmaß der Brutalität, die Art der Darstellung und deren Wirkung auf die Zuschauer differenzierend bewertet wurde.
Im Auftrag des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit ist vom Deutschen Jugendinstitut eine Dokumentation über den Erkenntnisstand erarbeitet worden, die im Jahre 1974 unter dem Titel „Weiterführende Aspekte zum Problem Fernsehen und agressives Verhalten bei Kindern und Jugendlichen" veröffentlicht worden ist. Die wissenschaftliche Diskussion über die Wirkung von Gewaltdarstellungen wird sehr kontrovers geführt. Ich kann im Rahmen dieser Antwort nicht auf den Theorienstreit eingehen. Nach heutigem Stand der Diskussion überwiegt aber wohl die Auffassung, daß die Darstellung brutaler Handlungen geeignet sei, vor allem labilen jungen Menschen als Verhaltensmodelle zu dienen.
Um den Gefahren zu begegnen, die von exzessiven Gewaltdarstellungen ausgehen, ist durch das Vierte Strafrechtsreformgesetz der § 131 StGB neu geschaffen worden. Er besagt, daß nunmehr bestraft wird, wer Schriften verbreitet, „die Gewalttätigkeiten gegen Menschen in grausamer oder sonst unmenschlicher Weise schildern und dadurch eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeit ausdrücken oder die zum Rassenhaß. aufstacheln". Hierunter fallen auch Darstellungen in Hörfunk und Fernsehen. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften kann nach § 1 Abs. 3 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften zu Gewalttätigkeit anreizende oder verrohend wirkende Schriften Beschränkungen unterwerfen. Allerdings wird die Frage, ob das Fernsehen als Schrift im Sinne dieser Gesetzesbestimmung gilt, unterschiedlich beantwortet; diese Frage ist bislang auch nicht Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens gewesen.
Die Bundesregierung begrüßt, daß die ARD-Intendanten im Dezember noch einmal bekräftigt haben, Filme mit gewalttätigem Inhalt später als zum Teil bisher im Programm zu plazieren. Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit prüft zur Zeit, welche weiteren Forschungsaufträge vergeben werden müssen, um auf Grund eines dann verbesserten Erkenntnisstandes eventuell notwendige Maßnahmen ergreifen zu können.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schöfberger.
Herr Staatssekretär, anschließend an Ihre Aussage, daß Professor Heinrichs keine Feststellungen über die Folgen solcher Fernsehprogramme getroffen hat, möchte ich Sie fragen, ob Ihnen diese Feststellung von Professor Heinrichs bekannt ist — ich zitiere wörtlich —:
Sie
— diese brutalen Fernsehprogramme —
wirken wie eine Zeitbombe. Die Folgen sind oft
erst nach zehn bis zwanzig Jahren zu merken.
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Schöfberger, diese Äußerung ist mir bekannt, insbesondere nachdem Sie sie in den letzten Tagen noch einmal publiziert hatten. Was hier, gesagt wird, ist in der Wissenschaft jedoch umstritten. Es ist aber nicht meine Aufgabe, hier zu einem in der Wissenschaft umstrittenen Gegenstand Stellung zu nehmen.
Eine Zusatzfrage des Hern Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, wenn es richtig ist, daß, wie Sie sagen, der Wahrscheinlichkeitsgrad sehr hoch ist, daß von Gewaltdarstellungen im Fernsehen zumindest Verhaltensanreize auf labile Jugendliche ausgehen, was hindert die Bundesregierung dann daran, jetzt schon die notwendigen Maßnahmen ins Auge zu fassen, ohne vorher weitere Gutachten in Auftrag zu geben?
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15968 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976
Zander, Parl. Staatssekretär: Ich habe zunächst davon gesprochen, daß in der bisherigen Diskussion, die nicht sehr umfangreich und gründlich ist, die Meinung überwiegt, daß dies so sein könnte. Im übrigen habe ich darauf hingewiesen, daß es jetzt schon entsprechende gesetzliche Vorschriften gibt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, ich möchte Ihrer Auffassung ausdrücklich widersprechen, daß es hierüber bisher keine gründliche und umfassende Diskussion gebe — Ihnen sind offenbar die im Ausland; z. B. in Amerika, getätigten Untersuchungen und auch die Vorlagen der Regierung und des Kongresses usw. nicht bekannt oder nicht geläufig —, und Sie im Anschluß an das, was der Kollege Hansen gesagt hat, fragen: Was hindert die Bundesregierung eigentlich daran, Maßnahmen auf Grund ihrer eigenen Untersuchungen aus dem Jahre 1974 und weiterhin auf Grund der Tatsache, daß wir seit den ersten Kriminalserien im Fernsehen wissen, daß es Folgetäter in großer Anzahl gibt, zu ergreifen?
Zander, Parl. Staatssekretär: Sie unterstellen, daß gesicherte Erkenntnisse vorliegen; die gibt es aber noch nicht. Ich habe erklärt, daß wir die Erkenntnisse zusammengestellt haben, die uns 1974 vorlagen, und daß uns dies nicht ausreichend erscheint.
Im übrigen besteht keine Möglichkeit, etwa im Wege der Vorzensur auf die Ausstrahlungen der Fernsehanstalten Einfluß zu nehmen. Gestützt auf das Strafgesetz oder das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften könnte nach der Sendung eingegriffen werden, wenn die hierin genannten Tatbestände auf die ausgestrahlten Sendungen zuträfen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sauer.
Herr Staatssekretär, ich gehe davon aus, daß sich die Bundesregierung — auch im Hinblick auf die derzeitige katastrophale Lage im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit — mit dieser Problematik besonders beschäftigt. Wann ist damit zu rechnnen, daß die Forschungsaufträge vergeben werden?
Zander, Parl. Staatssekretär: Ich sehe hier keinen Zusammenhang mit der Situation auf dem Arbeitsmarkt. Ich räume Ihnen allerdings ein, daß es sich um eine Frage handelt, die zu allen Zeiten — unabhängig von der Situation auf dem Arbeitsmarkt — die besondere Aufmerksamkeit der Bundesregierung, aber auch der Fernsehanstalten und ihrer Aufsichtsgremien verdienen sollte. Wir haben nach unserer Überzeugung durch die Einschaltung des Deutschen Jugendinstitutes den bisherigen Erkenntnisstand und die bisherige Entwicklung auf diesem Gebiet aufmerksam verfolgt. Wir werden dies — wenn notwendig, mit erweiterten Forschungsgegenständen und -aufträgen — auch weiter tun.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hoffie.
Können Sie bestätigen, daß die Kriminalität in den Ländern, in denen die Zahl der auf dem Bildschirm dargestellten Gewaltverbrechen geringer ist als bei uns in der Bundesrepublik, ebenfalls geringer ist als bei uns? Ist vorgesehen, im Rahmen eines Forschungsprogramms einen solchen internationalen Vergleich zu ziehen?
Zander, Parl. Staatssekretär: Darüber gibt es bisher keine internationalen Erkenntnisse. Infolgedessen kann ich dazu weder etwas bestätigen noch dementieren.
Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Schöfberger.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, die sehr umfangreiche und erschöpfende Untersuchung des amerikanischen Psychologen Robert Liebert von der New Yorker Staatsuniversität zu Rate zu ziehen? In dieser Untersuchung finden sich nämlich auch internationale Vergleiche, die dem Ministerium weiterhelfen könnten.
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Schöfberger, diese Untersuchung — wie auch andere — wird selbstverständlich in die Überlegungen einbezogen. Ich muß aber noch einmal betonen — und darauf kommt es an —, daß es zur Zeit keine gesicherten Erkenntnisse über das Problem gibt. Es werden Meinungen vertreten, die davon ausgehen, daß Kinder aus solchen Darstellungen zur Nachahmung gereizt werden. Andere wissenschaftliche Meinungen gehen davon aus, daß Kinder bei Gewaltdarstellungen eigene Aggressionen abbauen und daß damit bei ihnen die Neigung zur eigenen Gewaltanwendung geringer wird.
Wir sind am Ende der Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich angelangt. Ich danke Ihnen für die Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf, zunächst die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Schneider.
Auf welche jährlichen Wohnungsbauleistungen im sozialen Wohnungsbau geht die Bundesregierung unter Zugrundelegung der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes in dem Finanzplanungszeitraum bis 1979 aus?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Haack.
Die Wohnungsbauleistungen im sozialen Wohnungsbau hängen bekanntlich vom Umfang der jährlichen Förderungsprogramme des Bundes und der Länder ab. Über Volumen und Struktur der Förderungs-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976 15969
Parl. Staatssekretär Dr. Haackprogramme wird jeweils endgültig erst im Zuge der Haushaltsberatungen entschieden. Die Mittelbereitstellungen des Bundes für das Jahresprogramm 1976 bleiben nur geringfügig hinter den Mittelbereitstellungen des Vorjahres zurück. Das ausschließlich vom Bund finanzierte Regionalprogramm wird im gleichen Umfang fortgeführt wie 1975. Dagegen lassen die Programmeldungen der Länder überwiegend auf einen deutlichen Rückgang der Mittelbereitstellungen der Länder schließen.Insgesamt kann im Jahresprogramm 1976 mit der Förderung von 55 000 Wohnungen und 12 000 Heimplätzen im ersten Förderungsweg sowie von 50 000 bis 60 000 Wohnungen im zweiten Förderungsweg gerechnet werden. Eine Aussage darüber, Herr Kollege Schneider, welches Volumen die Jahresprogramme ab 1977 haben werden, ist erst von Jahr zu Jahr auf Grund der Ergebnisse der Haushaltsberatungen in Bund und Ländern möglich.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Schneider.
Herr Staatssekretär, meine Frage steht in einem inneren Zusammenhang zu der Tatsache, daß die Bundesregierung ab 1978 für das Regionalprogramm keinerlei Mittel mehr in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen hat, und im Zusammenhang damit, daß sich die Wohnungsbauleistungen im ersten Weg ab 1977 bereits unter 40 000 auf etwa 37 000 mit sinkender Tendenz einpendeln. Wie verhält sich angesichts dieser Tatsache die Behauptung oder die Erwartung der Bundesregierung damit, daß wir in Zukunft mit einer jährlichen Wohnungsbauleistung von etwa 450 000 Wohneinheiten rechnen können.
Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Der Hintergrund Ihrer Frage, Herr Dr. Schneider, ist mir selbstverständlich bekannt. Was das Regionalprogramm anbelangt, darf ich Sie auf meine Antwort in der Fragestunde der vergangenen Woche hinweisen. Es ist so, daß wir im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung ab 1978 zunächst keine Mittel mehr im Regionalprogramm eingesetzt haben. Ich habe aber in meiner Antwort in der vergangenen Woche darauf hingewiesen, daß bereits bei den Haushaltsberatungen 1977 überlegt werden muß, wie hier weiter verfahren werden kann; denn das Regionalprogramm hat sich gerade auch in den letzten Monaten zweifellos sehr bewährt.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage, wie es generell im Blick auf die Zahlen weitergehe, die wir nennen — wir rechnen insgesamt im Wohnungsbau, nicht nur im sozialen Wohnungsbau, mit einer Größenordnung von 400 000 —, möchte ich sagen: Ich sehe hier keinen Widerspruch zu meiner Antwort; denn wir müssen eben im Rahmen der jährlichen Haushaltsplanungen jeweils wieder neu entscheiden, und wir müssen darauf hinwirken, daß im Rahmen der Neubauleistungen immer ein bestimmter Prozentsatz im sozialen Wohnungsbau berücksichtigt wird. Wir hoffen, daß wir diesen Prozentsatz auch in Zukunft halten können.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Schneider.
Herr Staatssekretär Haack, hält die Bundesregierung diese rückläufige Entwicklung mit ihren wohnungs-, familien- und vermögenspolitischen Zielsetzungen für vereinbar?
Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Wir glauben, daß die gegenwärtige Entwicklung — es handelt sich nur um eine vorübergehende Entwicklung im sozialen Wohnungsbau — im wesentlichen auf den gegenwärtigen engen finanzpolitischen Spielraum zurückzuführen ist.
Was unsere vermögenspolitische Konzeption anbelangt, darf ich darauf hinweisen, daß gerade die Eigentums- und Vermögensbildung im Wohnungsbau, auch im sozialen Wohnungsbau, noch nie so groß gewesen ist wie in den letzten Jahren.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Dr. Schneider auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die Mietsituation und die Mietenentwicklung der seit etwa 1970 mit degressiv gestaffelten Aufwendungsdarlehen geförderten Sozialwohnungen, um die dadurch bedingten sozial untragbaren Mietsteigerungen auszugleichen, und von welchen quantitativen Überlegungen geht sie dabei aus?Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Es gibt keinen genauen Überblick über die Zahl der kritischen Fälle von Mietsteigerungen im neueren Sozialwohnungsbestand. Zwar konnte anhand der Bewilligungsstatistik ermittelt werden, daß in den Jahren 1971 bis 1974 rund 300 000 Mietwohnungen des öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbaus mit degressiv gestaffelten Aufwendungsbeihilfen gefördert worden sind; es ist aber davon auszugehen, daß sich bei einem erheblichen Teil dieser Miet-Sozialwohnungen die Mieten gegenwärtig noch in vertretbarem Rahmen halten. Andererseits haben sich bei Mietwohnungen der Förderungsjahrgänge 1969 und 1970 verschiedentlich durch die damalige Baupreisentwicklung und die nachfolgende Entwicklung im Bereich der Kapital- und Bewirtschaftungskosten kritische Mieten ergeben.Die Probleme stellen sich dabei von Land zu Land je nach Förderungspraxis und allgemeinem Kostenniveau in unterschiedlicher Schärfe. Dies ist mit ein Grund dafür, daß der Bund eine Beteiligung an Nachsubventionierungsmaßnahmen der Länder stets abgelehnt hat. Pauschale Nachsubventionierungsmaßnahmen werden im übrigen auch von den meisten Ländern abgelehnt. Einhellig wird von den Wohnungsressorts der Länder eine Anpassung des Wohngeldgesetzes an die Mietenentwicklung gefordert. Die Bundesregierung mußte, wie Ihnen bekannt ist, die angestrebte Reform des Wohngeldgesetzes angesichts der allseitigen Forderung, auf ausgabeerhöhende Gesetzesvorhaben zu verzichten, zurückstellen.
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15970 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976
Parl. Staatssekretär Dr. HaackVon den Ländern wird in den Extremfällen einer starken Überschreitung der derzeitigen Mietobergrenzen des sozialen Wohnungsbaus fallbezogen nach Möglichkeiten einer Mietsenkung, z. B. durch Zusammenfassung mehrerer Wirtschaftseinheiten oder durch eine zeitlich begrenzte Nachsubventionierung, gesucht werden müssen. So ist etwa in Nordrhein-Westfalen — auch das ist Ihnen bekannt — eine Aussetzung des Subventionsabbaus vorgesehen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schneider.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, wie viele Familien wegen der unsozial hohen Neubaumieten gezwungen werden, aus ihren Sozialwohnungen auszuziehen?
Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Wir haben im Moment keine genauen Zahlen. Ich darf Sie aber darauf hinweisen, daß wir gerade im Mieten- und Wohngeldbericht, der vor kurzem vorgelegt worden ist, ganz klar, realistisch und nüchtern auf die gefährlichen Tendenzen im Bereich unserer Mietenentwicklung hingewiesen haben.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider.
Der Vorsitzende der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen der Bundesrepublik Deutschland hat vor kurzem festgestellt, daß es bei diesen Neubauwohnungen, um die es hier geht, ohne Nachfinanzierung etwa bis zum Jahr 1983 Monatsmieten von bis zu 13 DM pro qm im sozialen Wohnungsbau geben wird. Ist die Bundesregierung bereit, für diese Entwicklung die politische Mitverantwortung zu übernehmen? Welche Konsequenzen gedenkt sie aus der von mir vorgezeichneten Entwicklung zu ziehen?
Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Ich darf noch einmal darauf hinweisen, Herr Kollege Dr. Schneider, daß es nach Ansicht der Bundesregierung zunächst Sache der Länder ist, sich diesem Problem der Nachfinanzierung zu widmen. Selbstverständlich sind wir der Auffassung, daß die Gesamtproblematik der Mietenentwicklung in der Bundesrepublik nur durch eine gemeinsame Anstrengung von Bund und Ländern zu lösen ist.
Keine weiteren Zusatzfragen. Wir sind damit am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt; ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung.
Die Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit — Frage 5 des Abgeordneten Graf Stauffenberg — wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Ich rufe Frage 6 des Abgeordneten Walther auf:
Trifft es zu, daß ein Bundesverfassungsrichter sich mit den Worten "mich hat niemand zu kontrollieren, selbst der liebe Gott hat mir nichts zu sagen", weigerte, seine Personalien vom Bundesgrenzschutz beim Betreten des Bundesverfassungsgerichtsgebäudes überprüfen zu lassen, und wenn ja, wie gedenkt die Bundesregierung die Sicherheit des Bundesverfassungsgerichts zu gewährleisten?
Der Fragesteller ist anwesend. Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär Baum.
Herr Kollege, grundsätzlich werden bei der Eingangskontrolle zum Bundesverfassungsgericht die 16 Verfassungsrichter dann nicht einer Ausweiskontrolle unterzogen, wenn sie den dienstverrichtenden Pförtnern und Polizeivollzugsbeamten im BGS persönlich bekannt sind. Durch dieses Verfahren, das im einzelnen im „Befehl Nr. 3 für den Schutz des Bundesverfassungsgerichts durch Kräfte des BGS" vom 17. April 1975 festgelegt ist, wird nach Auffassung der Bundesregierung die Sicherheit des Bundesverfassungsgerichts hinreichend gewährleistet. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich nähere Einzelheiten über diesen Befehl hier nicht öffentlich darlegen kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Walther.
Herr Staatssekretär, wenn es aber so ist, daß bei dem häufigen Wechsel von Grenzschutzbeamten in Karlsruhe die einzelnen Beamten die Verfassungsrichter nicht kennen, sollte dann nicht darauf gedrungen werden, daß die betreffenden Herren ihre Ausweise vorzeigen?
Baum, Parl. Staatssekretär: Das ist richtig, Herr Kollege. Ich gehe hier auch davon aus, daß jeder Richter an seiner eigenen Sicherheit interessiert ist und sich den Sicherheitsmaßnahmen unterzieht, die im Interesse der Sicherheit des Gerichts und seiner eigenen Sicherheit festgelegt sind.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Walther.
Herr Staatssekretär, ich gehe davon aus, daß Sie den Hintergrund meiner Frage recherchiert haben. Ich möchte also darum bitten, daß Sie den ersten Teil meiner Frage beantworten, in der es heißt:
Trifft es zu, daß ein Bundesverfassungsrichter sich mit den Worten „mich hat niemand zu kontrollieren, selbst der liebe Gott hat mir nichts zu sagen", weigerte, . . .
Baum, Parl. Staatssekretär: Meine Nachforschungen dahin gehend sind erfolglos geblieben, Herr Kollege; sonst hätte ich das schon beantwortet.
Ich rufe die Frage 7 des Herrn Abgeordneten Walther auf:
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976 15971
Vizepräsident von HasselTrifft es zu, daß die Sicherheit des Bundesverfassungsgerichts auch dadurch nicht zu gewährleisten ist, daß Dienst- und andere Fahrzeuge im Grundstücksbereich des Bundesverfassungsgerichts auch von anderen Personen als Mitgliedern des Gerichts unkontrolliert benutzt werden, und wenn ja, wird die Bundesregierung die Kontrolle verschärfen?Bitte zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Baum.Baum, Parl. Staatssekretär: Die Benutzung des Grundstücksbereichs des Bundesverfassungsgerichts durch Dienst- und andere Kraftfahrzeuge ist ebenfalls im Befehl Nr. 3 im einzelnen dargelegt. Dabei ist auch das Kontrollverfahren bei der Benutzung von Privatkraftfahrzeugen der Angehörigen des Bundesverfassungsgerichts im einzelnen geregelt. Auch hier bitte ich um Verständnis, daß ich diese Einzelheiten nicht ausbreiten kann. Ich bin aber gerne bereit, sie Ihnen zu erläutern, wenn Sie daran Interesse haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Walther.
Herr Präsident, ich bitte um Nachsicht, wenn ich zu dem, was ich eben gefragt habe, noch ein bißchen nachtarocken muß; die beiden Fragen stehen ja miteinander im Zusammenhang. Ich möchte Sie fragen, Herr Staatssekretär, ob Sie den Hintergrund meiner Fragen nicht, so wie ich, bei dem Beamten des Bundesgrenzschutzes recherchiert haben; denn sonst müßte Ihnen klargeworden sein, daß es Gründe für meine Fragen gibt.
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist mir klargeworden, daß es Hintergründe für Ihre Frage gibt. Ich habe ja deutlich gemacht, daß ich kein Verständnis dafür hätte, wenn von Einzelpersonen eine solche Haltung eingenommen werden würde, wie sie hier von Ihnen dargelegt worden ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stücklen.
Herr Staatssekretär, welche Hintergründe sind denn da nun tatsächlich vorhanden?
Baum, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist gar nichts Geheimnisvolles, sondern es scheint so zu sein, daß Bundesverfassungsrichter sich nicht kontrollieren lassen.
— Das ist der Hintergrund.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Berger.
Herr Staatssekretär, ich möchte nun einmal gerne wissen, welches denn eigentlich die Schwierigkeiten sind, festzustellen, ob jemand gesagt hat, ihn habe niemand zu kontrollieren und selbst der liebe Herrgott im Himmel habe ihm nichts zu sagen. Welche Schwierigkeiten bestehen denn, diesen ganz einfachen Sachverhalt so aufzuklären, daß er in der Fragestunde des Deutschen Bundestages beantwortet werden kann?
Baum, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, im Leben ist es manchmal am schwierigsten, die einfachsten Sachverhalte aufzuklären. Hier scheint es eben so zu sein.
Herr Kollege Ey, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist dafür Sorge getragen, daß künftig auf die Ausbildung der Schutzeinheiten in Sach- und Personenkenntnis mehr Wert als bisher gelegt wird?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich möchte deutlich machen, daß hier Schwierigkeiten auch dadurch auftreten, daß das Bewachungspersonal relativ oft wechselt, daß also die Personenkenntnis immer wieder neu gewonnen werden muß. Wir werden ein System anstreben, das diesen häufigen Wechsel künftig vermeidet. Dann werden sich, so hoffe ich, die Schwierigkeiten in diesem Bereich auch beseitigen lassen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wehner.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, obwohl es mir schwerfällt, durch diese Watte hindurchzustoßen, muß ich auf Grund der Beantwortung einer Frage eines Kollegen des Bundestages, die eben durch Sie aus dem Stand erfolgte, doch fragen, ob, wenn Sie sagen, das beruhe darauf, daß sich Verfassungsrichter nicht gern oder überhaupt nicht kontrollieren lassen, sich das auch auf Ehefrauen und andere Familienangehörige erstreckt.
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Fälle sind mir nicht bekanntgeworden. Das muß ich zu der Frage 2 des Herrn Kollegen Walther klar sagen.
Ich rufe die Frage 8 des Herrn Abgeordneten Hofmann auf. Der Fragesteller ist nicht anwesend. Dann wird die Frage schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Hansen auf:Treffen Pressemeldungen zu, wonach die Kosten für die Überprüfung von 422 400 Angehörigen oder Bewerbern für den öffentlichen Dienst durch den Verfassungsschutz in der Zeit vom 1. Januar 1973 bis zum 30. Juni 1975 etwa 11 Millionen DM betrugen, und wenn ja, welche Folgerungen wird die Bundesregierung daraus unter Berücksichtigung eines angemessenen Kosten-Nutzen-Verhältnisses ziehen?Bitte zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
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15972 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hansen, Ihre Frage gibt mir zunächst Veranlassung, darauf hinzuweisen, daß die häufig so bezeichneten „Überprüfung durch den Verfassungsschutz" in der Regel ein Vorgang ohne jeden Ermittlungscharakter ist, der lediglich in der automatisierten Abfrage einer Datei besteht und der einen sehr geringen Zeit-, Personal- und Organisationsaufwand erfordert. Bisher sind, soweit die Bundesregierung unterrichtet ist, die hierdurch etwa entstehenden Kosten nicht ermittelt worden. Die Bundesregierung kann deshalb Pressemeldungen, auf die Sie sich beziehen, nicht bestätigen.Die Ermittlung dieser Kosten würde, soweit gesonderte Feststellungen überhaupt möglich sind, in jedem Fall einen außerordentlichen Verwaltungsaufwand erfordern. Wie Herr Kollege Dr. Schmude bereits am 22. Januar dieses Jahres dem Herrn Kollegen Conradi in der Fragestunde mitgeteilt hat, würden sich diesbezügliche Erhebungen nur unter einem erheblichen Zeitaufwand durchführen lassen und hätten nur geringe Aussagekraft, da sich die prozentuale Inanspruchnahme der Bediensteten mit diesen Aufgaben kaum erfassen läßt.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir dennoch zustimmen, daß die Zahl von, wie es in Presseverlautbarungen immer heißt, rund einer halben Million Überprüften — so ist die gängige Terminologie — durchaus den Eindruck hervorrufen kann, daß die Verfassungsschutzämter der Länder und das Verfassungsschutzamt des Bundes in den vergangenen Jahren wenig anderes zu tun Behalt hätten, als solche Ermittlungen durchzuführen?
Baum, Parl. Staatssekretär: Nein, hier kann ich Ihnen nicht zustimmen. Die Verfassungsschutzbehörden der Länder haben in der Tat andere Aufgaben wahrgenommen. Diese Aufgabe nimmt nur einen sehr kleinen Teil ihres gesamten Aufgabenfeldes ein.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Staatssekretär, es ist aber doch zweifellos so, daß es sich bei diesen Überprüfungen nicht nur um das Abrufen 'gespeicherter Daten handelt. In einer Anzahl von Fällen ist es doch, wenn man von der Zahl von einer halben Million ausgeht, bestimmt so gewesen, daß dort auch einschlägige Ermittlungen von Einzelpersonen, nämlich Beschäftigten der Verfassungsschutzämter durchgeführt worden sind?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, in der Regel und für die weitaus meisten Fällen gilt das, was ich gesagt habe: es wird eine Datei abgefragt, aber es finden keine gezielten Überprüfungen statt. Diese haben immer nur dann stattgefunden, wenn besonderer Anlaß dazu gegeben war. Wir haben in einem Bericht gegenüber dem Innenausschuß ausgeführt, daß dies nur in sehr wenigen Fällen so gewesen ist.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Hoffie auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Kompetenzstreitigkeiten und das Geltungsgerangel des unkoordinierten Luftrettungswesens ziviler und privatwirtschaftlicher Rettungsorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland, und was kann sie tun, um entsprechend der bewährten Verfahrensweise ausländischer Beispiele diese — häufig lebensgefährlichen — Mißstände zu beseitigen?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatssekretär.
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hoffie, die hoheitliche Aufgabe des Rettungsdienstes und damit auch des von Ihnen angesprochenen Luftrettungsdienstes liegt nach Art. 70 Abs. 1 GG ausschließlich bei den Ländern. Zum Zwecke einer wirtschaftlichen Nutzung der vom Bund vorzuhaltenden Katastrophenschutzhubschrauber in Friedenszeiten errichtet der Bundesminister des Innern seit 1972 in Abstimmung mit den Ländern ein das gesamte Bundesgebiet abdeckendes Luftrettungssystem. Bisher sind 11 Stationen mit 14 Hubschraubern eingerichtet. Im Endausbau sind 18 Stationen mit 24 Hubschraubern des Katastrophenschutzes vorgesehen. Außerdem koordiniert der Bundesminister des Innern auf Grund einer Vereinbarung mit dem Bundesminister der Verteidigung den Einsatz von Bundeswehrhubschraubern für den Rettungsdienst auf zur Zeit 5 Stationen. Weitere 3 Bundeswehrstationen sind geplant.
Betreiber der Luftrettungsstationen sind die nach Landesrecht zuständigen Träger des Rettungsdienstes.
Bisher sind keine Kompetenzschwierigkeiten in dem Bereich, der vom Bundesminister des Innern koordiniert wird, aufgetreten.
Neben diesem von der öffentlichen Hand betriebenen Luftrettungssystem betreibt zur Zeit lediglich eine private Einrichtung, nämlich die Deutsche Rettungsflugwacht E. V., zwei feste Rettungsstationen in Stuttgart und Flensburg.
Die bisherigen Kontakte zwischen dem Bund und der Deutschen Rettungsflugwacht haben bisher nicht zu einer Integration der beiden privaten Rettungsstationen in das Luftrettungssystem der öffentlichen Hand geführt. Andererseits bestehen in dieser Hinsicht aber zur Zeit auch keine Kompetenzschwierigkeiten.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Hoffie.
Herr Staatssekretär, bedeuten Ihre zuletzt gemachten Ausführungen, daß in Ihrem Haus bereits konkrete Vorstellungen auch über den Standort neuer Stationierungspunkte für den verstärkten Einsatz von Hubschraubern der Bundeswehr im Luftrettungswesen bestehen?Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn Sie gestatten, würde ich auf diesen Punkt im Zu-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976 15973
Parl. Staatssekretär Baumsammenhang mit der Beantwortung Ihrer zweiten Frage eingehen, die dieses Problem betrifft.
Ich rufe somit auch die Frage 11 des Abgeordneten Hoffie auf:
Inwieweit können dabei die optimal arbeitenden Rettungsdienste der Bundeswehr besser einbezogen werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Baum, Parl. Staatssekretär: Die Hubschrauberstationierungsplanung ist in bezug auf die 18 Stationen des Katastrophenschutzes und die 5 Stationen der Bundeswehr im gegenseitigen Einvernehmen, wie ich eben ausgeführt habe, und unter Koordinierungszuständigkeit des Bundesinnenministers abgestimmt worden. Im Zuge dieses koordinierten Vorgehens hat die Bundeswehr bei Ihren Krankenhäusern in Ulm, Koblenz und Hamburg SAR-Hubschrauberstationen eingerichtet, die neben der medizinischen Versorgung ihrer Angehörigen und der Ausbildung des Sanitätspersonals dem zivilen Rettungsdienst zur Verfügung stehen und an dessen Rettungsleitstellen angebunden sind. Das gleiche gilt für die Bundeswehrhubschrauberstationen in Nürnberg und Würselen bei Aachen, die bei zivilen Krankenhäusern eingerichtet und auf Kosten der Träger des Rettungswesens umgerüstet sowie mit zivilen Notärzten und Rettungssanitätern besetzt sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
es gibt schon Überlegungen über weitere zusätzliche Standorte. Ich habe Ihre Frage, Herr Kollege, zum Anlaß genommen, diese Bemühungen zu intensivieren.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hoffie.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß für die Inanspruchnahme von Flügen der Bundeswehr zur Rettung im Straßenverkehr Verunglückter Zahlungen geleistet werden müssen, während das im Falle der Rettung aus Seenot oder auch im Luftverkehr nicht der Fall ist?
Baum, Parl. Staatssekretär: Diese Praxis beruht auf internationalen Regelungen. Was die Luftrettung insgesamt angeht, Herr Kollege, so ist ein System entwickelt worden, das eine allgemeine versicherungsrechtliche Abrechnung der Kosten zuläßt. Ich nehme an, daß dieses System auf Dauer auf alle Rettungsfälle übertragen werden kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauer.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung nicht bekannt, daß die von Ihnen genannte „Deutsche Rettungsflugwacht" selbst die Koordinierung einer überregionalen Luftrettung mehrfach gefordert hat?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe deutlich gemacht, daß wir eine Einbeziehung nicht erreicht haben. Gewisse Koordinierungen gibt es, so daß es bei der Zusammenarbeit zur Zeit keine Schwierigkeiten gibt.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Berger.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen — oder gegebenenfalls auch später schriftlich mitteilen —, ob es zutrifft, daß die soeben vom Kollegen Sauer und von Ihnen genannte „Deutsche Rettungsflugwacht" inzwischen eine Alarmzentrale für die überregionale Luftrettung eingerichtet hat, die rund um die Uhr ansprechbar ist und die der öffentlichen Hand überhaupt keine Kosten verursacht?
Baum, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich möchte bezweifeln, daß hier eine rund um die Uhr ansprechbare Alarmzentrale überhaupt notwendig ist, da Hubschrauber nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr fliegen können. Aber ich bin gerne bereit, diesen Angaben nachzugehen. Wichtig ist nur, daß zwischen den bodengebundenen Rettungsorganisationen und der Luftrettung eine Zusammenarbeit erfolgt. Das kann eigentlich nur auf Grund einer umfassenden Koordinierung geschehen, wie wir sie für unseren Sektor mit der Bundeswehr zusammen erreicht haben.
— Soweit das die Hubschrauber betrifft, ist es so. Bei den anderen Organisationen ist es notwendig, auch nachts eine Rettung sicherzustellen. Aber ich hatte Ihre Frage zunächst auf die Bereitstellung von Hubschraubern bezogen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Riede.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß diese Alarmzentrale, die rund um die Uhr in Tätigkeit ist, nicht nur für die Bundesrepublik zuständig ist, sondern aus der ganzen Welt erreicht werden kann? Und es gibt nun einmal Kontinente, auf denen es zu einer anderen Zeit als bei uns Nacht ist.Baum, Parl. Staatssekretär: Das ist mir selbstverständlich bekannt, Frau Kollegin.
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15974 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976
Die Frage 12 des Abgeordneten Meinike ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Wüster auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob mit aktiver Unterstützung der faschistischen „Nationalistischen Bewegungspartei", die derzeitiger Mitträger der Regierungsverantwortung in der Türkei ist, sich in der Bundesrepublik Deutschland nationalsozialistischrassistische Gruppierungen gebildet haben, die im Rahmen einer massiven faschistischen Indoktrination direkt zu strafbaren Handlungen, einschließlich Mord, aufrufen?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatssekretär.
Baum, Parl. Staatssekretär: Wenn der Kollege einverstanden ist, würde ich gerne beide Fragen gemeinsam beantworten.
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 14 des Abgeordneten Wüster auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Gefahr von verschärften Auseinandersetzungen innerhalb des türkischen Bevölkerungsteils und damit eine Gefährdung der Sicherheit und Ordnung an Wohn- und Arbeitsplätzen zu unterbinden?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Partei der Nationalistischen Bewegung — MHP — besteht seit 1968 unter ihrem derzeitigen Namen ,in der Türkei. Bei den Parlamentswahlen im Mai 1975 erhielt sie 3,2 % der abgegebenen Stimmen und ist 'zur Zeit mit drei Abgeordneten in der türkischen Nationalversammlung vertreten. Ihr Vorsitzender, Alparslan Türkes, ist stellvertretender Ministerpräsident der türkischen Regierung.
In der Bundesrepublik Deutschland wurde die MHP am 9. April 1973 nach § 19 Abs. 1 der Durchführungsverordnung zum Vereinsgesetz in Kempten angemeldet. Sie gliedert sich in sechs autonome Sektionen in Berlin, Hannover, Köln, Mannheim, München und Stuttgart und besitzt zirka 50 Stützpunkte, vorwiegend im süddeutschen Raum. Sie hat etwa 2 000 bis 3 000 Mitglieder und eine Zahl von Sympathisanten, die man nicht genau angeben, sondern nur schätzen kann.
Die MHP ist eine nationalistische Partei mit ausgeprägt rechtsgerichteten Zielsetzungen. Ihre Jugendgruppen erhalten in der Türkei eine paramilitärische Ausbildung. Die ausgebildeten Kommandos, genannt „Türkes Graue Wölfe", verschärfen permanent die Auseinandersetzung zwischen rechts- und linksgerichteten Gruppierungen in der Türkei.
In der Bundesrepublik Deutschland richten sich die politischen Aktivitäten der MHP vor allem auf eine wirksame Mitgliederwerbung unter den türkischen Gastarbeitern. Nur in Einzelfällen ist es in der Vergangenheit zu Zusammenstößen von MHP-
Angehörigen mit türkischen Linksextremisten in der Bundesrepublik gekommen.
Aufrufe zu konkreten strafbaren Handlungen seitens der MHP sind bisher der Bundesregierung nicht bekanntgeworden. Auch im übrigen liegen der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Betätigung der MHP im Bundesgebiet keine Erkenntnisse vor, die auf eine konkrete oder zunehmende Gefährdung der Sicherheit und Ordnung an Wohn- und Arbeitsplätzen schließen lassen.
Ganz generell, Herr Kollege, möchte ich feststellen, daß alle ausländischen Vereinigungen, bei denen die Gefahr eines Überschreitens der Grenze zur Gewalt besteht, sorgfältig beobachtet werden. Zu diesen Vereinigungen zählt auch die MHP.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wüster.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, ob diese türkischen Gruppierungen, die Sie ganz richtig genannt haben, auch durch einzelne Vertreter der türkischen Konsulate unterstützt werden? Ich denke hier vor allen Dingen an die Arbeitsattachés und die sogenannten Religionsbeauftragten.
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist mir nicht bekannt. Wenn Sie Einzelfälle haben, bin ich gern bereit, ihnen nachzugehen. Ich werde aber auch selber Nachforschungen anstellen und prüfen, ob dies der Fall ist.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wüster.
Herr Staatssekretär, Sie sagten, es sei Ihnen nicht bekannt, daß hier zu strafbaren Handlungen aufgerufen wird. Ist Ihnen bekannt, daß die Türken über ein Publikumsorgan verfügen, den sogenannten „Terküman", der in Frankfurt in 65 000 Exemplaren gedruckt wird und fortlaufend Anstiftungen zu strafbaren Handlungen enthält — ich bin gern bereit, Ihnen die Unterlagen zur Verfügung zu stellen —, und wären Sie, wenn das bekannt ist, bereit, diese Gruppierungen auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen und eventuell einen Verbotsantrag zu unterstützen?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn die Voraussetzungen für einen Verbotsantrag nach dem Vereinsgesetz gegeben sind, wird man sicherlich prüfen müssen, ob man ein Verbot ins Auge faßt. Ich habe aber soeben ausgeführt, daß nach unseren Erkenntnissen die Voraussetzungen hier in der Bundesrepublik — und das allein interessiert — nicht gegeben sind. Soweit von Gewaltandrohungen die Rede ist, beziehen sie sich nach unseren Erkenntnissen vor allen Dingen auf die innenpolitische Situation in der Türkei und nicht auf die Situation in der Bundesrepublik Deutschland. Aber ich wiederhole: Diese und andere ausländischen Organisationen, die immerhin die Gefahr in sich bergen, daß sie möglicherweise eines Tages zur Gewalt übergehen, werden außerordentlich sorgfältig beobachtet.
Keine weitere Zusatzfrage.Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Emeis auf:Ist die Bundesregierung bereit, umgehend die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sowohl weibliche als
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976 15975
Vizepräsident von Hasselauch männliche Beamte auf Antrag grundsätzlich in eine halbe Planstelle eingewiesen werden können, damit den Ländern die Möglichkeit gegeben wird, besonders im Bereich der Schulen Planstellen freizumachen, die mit arbeitslosen Lehrern besetzt werden können?Bitte, Herr Staatssekretär, zur Beantwortung.Baum, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist in enger Zusammenarbeit mit allen verantwortlichen Stellen, besonders denen der Länder, nachdrücklich darum bemüht, Mittel und Wege zu finden, um die Beschäftigungsmöglichkeiten für den Lehrernachwuchs zu verbessern. Sie steht allen Maßnahmen, die wirksam zu einer Lösung beitragen können, positiv gegenüber, kann aber eine Entscheidung über die von ihr im Rahmen ihrer Kompetenzen zu ergreifenden Initiativen erst treffen, wenn ihr die Ergebnisse der von der Kultusministerkonferenz und anderen Fachministerkonferenzen angestellten Untersuchungen vorliegen. Die Kultusminister haben eine Kommission zu Fragen der Lehrerbeschäftigung eingesetzt, die ihre Stellungnahme noch vor der Sommerpause vorlegen soll. Sollte sich hiernach ergeben, daß die Ermöglichung von Teilzeitarbeit für Lehrer über die bisher schon bestehenden Möglichkeiten hinaus ein geeignetes Mittel zur Eindämmung der Lehrerarbeitslosigkeit ist, wird die Bundesregierung auch eine entsprechende Gesetzesänderung in ihre Überlegungen einbeziehen.Ich muß jedoch darauf hinweisen, daß sich hier schwerwiegende Probleme stellen. So ergibt sich z. B. die Frage, ob die mit einer Teilzeitbeschäftigung verbundenen besoldungsmäßigen Einschränkungen für die Betroffenen auf längere Zeit überhaupt zumutbar sind.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Emeis.
Herr Staatssekretär, meine Frage zielt in erster Linie auf die Tatsache ab, daß das Beamtengesetz für weibliche Lehrkräfte, wenn Kinder unter 16 Jahren oder eine pflegebedürftige Person im Haushalt sind, die Möglichkeit vorsieht, auf Antrag Stundenermäßigung bzw. Herabsetzung auf die halbe Stundenzahl genehmigt zu bekommen. Nach meinen Erfahrungen und Gesprächen im Kollegenkreis besteht für eine entsprechende Modifizierung dieses Gesetzes durchaus ein Bedürfnis auch bei anderen weiblichen und auch männlichen Lehrkräften. Sind Sie nicht der Meinung, daß eint beschleunigte Änderung des entsprechenden Gesetzes hier Abhilfe schaffen würde?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie haben mit Recht ausgeführt, daß es heute schon — und zwar kürzlich verbesserte — Möglichkeiten für eine Teilzeitarbeit gibt. Die Bundesregierung steht der Teilzeitarbeit grundsätzlich — auch in ihrem Bereich — positiv gegenüber. Es ist die Frage, ob wir weitere gesetzliche Änderungen brauchen. Die Frage, ob wir eine Gesetzesänderung ins Auge fassen sollten, nach der die Voraussetzungen, die jetzt bestehen, entfallen, kann erst entschieden werden, so meinen wir, wenn die Ergebnisse der Kultusministerkonferenz vorliegen.
Wir sind damit am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Ich darf Ihnen für die Beantwortung der Fragen danken.
Ich komme nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz.
Ich rufe zunächst die Frage 16 des Abgeordneten Müller auf:
Trifft es zu, daß Planstellen in der Dienststelle Berlin des Deutschen Patentamts nur deshalb nicht besetzt werden, weil am Sitz des Deutschen Patentamts in München noch eine größere Zahl kw-Stellen besetzt sind, und wenn ja, inwiefern wird dies für vertretbar gehalten?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. de With.
Es trifft nicht zu, Herr Kollege Müller, daß Planstellen in der Dienststelle Berlin des Deutschen Patentamtes nur deshalb nicht besetzt werden, weil beim Deutschen Patentamt in München noch eine größere Anzahl von kw-Stellen besetzt sind.
Es würde an dieser Stelle zu weit führen, das Zahlenwerk im einzelnen auszubreiten. Die Gesamtsituation zeigt aber, daß die Dienststelle Berlin des Deutschen Patentamtes keineswegs zugunsten der Münchener Behörde benachteiligt ist. Ich bin gern bereit, Ihnen das Zahlenwerk schriftlich zu übermitteln.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller .
Darf ich also mit dem soeben versprochenen Zahlenmaterial rechnen, um mich dann vielleicht weiter um die Angelegenheit kümmern zu können?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Damit können Sie rechnen. Wir sind vorbereitet, Ihnen diese Angaben umgehend zu übermitteln.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller.
Herr Staatssekretär, was gedenkt die Bundesregierung zu tun, damit die Planstellen in Berlin besetzt werden und die Dienststelle Berlin die ihr gestellten Aufgaben ohne besondere personelle Schwierigkeiten erfüllen kann?Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Es trifft nicht zu, daß Planstellen nicht besetzt sind, die besetzt werden könnten. Es gibt bei einer großen Behörde immer Gründe, die dazu führen, daß die eine oder andere Panstelle nicht besetzt wird. Jedenfalls ist alles getan, um sicherzustellen, daß die in Berlin anfallende Arbeit mindestens genauso gut erledigt werden kann wie die in München.
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15976 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976
Ich rufe die Frage 17 der Abgeordneten Frau Berger auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß Maßnahmen ergriffen werden müssen, um Veröffentlichungen von Urteilen vor deren Verkündung entgegenzuwirken, und wenn ja, welche Folgerungen wird sie daraus ziehen?
Bitte zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung, Frau Kollegin Berger, sieht keinen Anlaß, Maßnahmen zu ergreifen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Berger.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Anregung, die in der von mir gestellten Frage 17 enthalten ist, vom Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda, gegeben wurde, der in einem Schreiben an den Deutschen Presserat einen Vorschlag gemacht hat?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Mir ist bekannt, was der Präsident des Bundesverfassungsgerichts erklärt hat. Aber wie Sie selbst zum Ausdruck bringen, scheint sein Hinweis zunächst darauf abzuzielen, daß sich der Deutsche Presserat damit befaßt, was, wie mir bekanntgeworden ist, wohl der Fall sein wird.
Eine zweite Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Berger.
: Herr Staatssekretär, verstehe ich Sie also richtig, daß die Bundesregierung gesetzgeberische Konsequenzen gegenwärtig nicht für nötig hält und daß sie glaubt, eine Erweiterung der Richtlinien des Presserates zur Berichterstattung könnte genügen?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Sie verstehen mich richtig.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Arndt .
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, daß in einem freiheitlichen Rechtsstaat, der zudem das Institut des Contempt of Court nicht kennt, die freiwillige Selbstbeschränkung aller in der Presse Tätigen die richtige Form der Achtung vor der Würde unserer Gerichte ist?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Ich teile dies vollauf, zumal da nur zwei einschlägige Fälle bekanntgeworden sind.
Ich rufe Frage 18 des Abgeordneten Dr. Hauser auf:
Inwieweit hat die Praxis unserer Landgerichte von der mit Gesetz zur Entlastung der Landgerichte und zur Vereinfachung des gerichtlichen Protokolls vom 20. Dezember 1974 getroffenen Neuregelung des „allein entscheidenden Einzelrichters" Gebrauch gemacht, und welche Erfahrungen konnten in dem abgelaufenen Jahr mit dem neuen Einzelrichtersystem z. B. hinsichtlich der früher oft beklagten langen Verfahrensdauer, der Qualität der Entscheidungen oder der Einarbeitung junger Richter in die Praxis gesammelt werden?
Zur Beantwortung bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Die Handhabung des neuen Einzelrichtersystems durch die gerichtliche Praxis wird sorgfältig und in ständigem Erfahrungsaustausch mit den Landesjustizverwaltungen beobachtet. Im Hinblick auf die kurze Geltungsdauer der Regelung, die erst wenig mehr als ein Jahr in Kraft ist und sich zudem auf beim Inkrafttreten des Entlastungsgesetzes anhängige Verfahren nur beschränkt auswirken konnte, ist im gegenwärtigen Zeitpunkt keine Aussage über die Auswirkungen der Neuregelung möglich. Das gilt zunächst für die zentrale Frage nach dem Umfang, in dem von der Möglichkeit einer Übertragung der zu erledigenden Sachen auf den Einzelrichter Gebrauch gemacht wird. Nach den mir vereinzelt zugegangenen Informationen bewegt sich der Umfang der Übertragungen auf den Einzelrichter zwischen Extremwerten von 5 und 95 %. Ursächlich hierfür ist wohl die unterschiedliche Praxis der einzelnen Spruchkörper, die auch innerhalb der einzelnen Landgerichte divergiert. Da die Übertragung einer Sache auf den Einzelrichter im Ermessen der Kammer steht, gehen Spruchkörper nach verschiedenen Gesichtspunkten vor. Eine einheitliche Tendenz läßt sich bisher nur dahin verfolgen, daß Ehesachen überwiegend dem Einzelrichter zugewiesen werden.
Auch Ihre weiteren Fragen lassen sich noch nicht abschließend beantworten. Ob die Übertragung auf den Einzelrichter zur schnelleren Prozeßerledigung führt — nach mir vorliegenden Teilergebnissen eines Bundeslandes trifft dies für die Erledigung durch Urteil zu — oder wie die Einarbeitung junger Richter durchgeführt werden kann, die bei den einzelnen Spruchkörpern ebenfalls unterschiedlich gehandhabt wird, wird zuverlässig erst nach einem längeren Beobachtungszeitraum beurteilt werden können. Aus eben diesen Gründen sieht sich die Bundesregierung gehindert, zur Frage der Qualität der Entscheidungsfindung des Einzelrichters Stellung zu nehmen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hauser.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen gerade von den sorgfältigen gemeinsamen Erhebungen von Bundesjustizministerium und Länderjustizministerien. Ist es richtig, daß zwar die Landesjustizverwaltungen auf Anregung Ihres Hauses zur Zeit über die Auswirkungen des neuen Einzelrichtersystems Erhebungen anstellen, daß es aber Ihrem Hause nicht gelungen ist, für diese Erhebungen eine einheitliche Grundlage zu schaffen?Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Der erste Punkt Ihrer Frage trifft insoweit zu, als die Bundesregierung wie bei jedem Gesetz bestrebt ist, durch Berichte der Landesjustizverwaltungen zu erfahren,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976 15977
Parl. Staatssekretär Dr. de Withwie sich neue Vorschriften bewähren. Da, wie bereits gesagt — und dies trifft wohl den zweiten Teil Ihrer Frage —, seit Inkrafttreten dieser Regelungen erst so kurze Zeit verstrichen ist, läßt sich ein Überblick, der eine Aussage rechtfertigen könnte, nicht gewinnen. Ich darf aber erneut betonen, daß die Bundesregierung bestrebt ist, möglichst bald möglichst viele Informationen zu erhalten, um sich eine Meinung bilden zu können.
Zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Hauser.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß — wie etwa das „Anwaltsblatt" jüngst mitteilte — in der Richterschaft wie in der Anwaltschaft die Änderungen des § 348 weithin abgelehnt werden, und erscheint es an Hand der bisherigen Unterlagen, die Sie haben, bei dem Verfahren mit dem allein entscheidenden Richter — insbesondere was junge, noch nicht genügend berufserfahrene Richter angeht — nicht geboten, auch bei den landgerichtlichen Instanzen wieder den beauftragten Richter gesetzlich zu verankern?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Ich kann nicht genau verifizieren, auf welche Publikation Sie hier eingehen. Es trifft aber zu, daß uns entsprechende Hinweise zu Ohren gelangt sind.
Keine weiteren Zusatzfragen. Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt. Ich darf Ihnen für die Beantwortung danken.
Trifft die Pressemeldung zu, wonach die Dienststelle der Bundesschuldenverwaltung in Berlin bis Mitte 1976 aufgelöst werden soll, weil diese „infolge des Rückgangs der Aufgaben nicht mehr benötigt wird"?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Haehser.
Herr Kollege Müller, Pressemeldungen der in Ihrer Frage genannten Art sind mir nicht bekannt. Sie wären im übrigen unzutreffend.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Müller.
Herr Staatssekretär, darf ich, nachdem ich offensichtlich einem Irrtum unterlegen bin, aber die Tatsache zu verzeichnen ist, daß die Zahl der in der Dienststelle Berlin der Bundesschuldenverwaltung Beschäftigten seit Jahren rückläufig ist, Sie doch noch fragen: Wieweit sind die Arbeitsplätze der zur Zeit dort Beschäftigten gesichert?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Natürlich dürfen Sie mich fragen, Herr Kollege. Es ist richtig, daß der Umfang der Aufgaben der Dienststelle geringer geworden ist. Es gibt jedoch keine Pläne, die Berliner Dienststelle aufzulösen. Demzufolge besteht auch keine Gefahr für die Arbeitsplätze.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Berger.
Herr Staatssekretär, nachdem ich Ihrer Antwort entnehmen mußte, daß das Bundesfinanzministerium ganz offensichtlich nicht über ein Pressearchiv oder eine Presseabteilung verfügt — —
Haehser, Parl. Staatssekretär: Sie haben das falsch verstanden. Der Herr Kollege Müller gibt selber zu, daß es Pressemeldungen bezüglich der Bundesschuldenverwaltung überhaupt nicht gibt. Hier ist eine Verwechslung vorgekommen.
Sie haben eben gesagt, daß Ihnen eine Pressemeldung nicht bekannt sei. Ganz abgesehen davon, daß mich die Art Ihrer Antwort zu der Annahme bringt, daß in Ihrem Hause weder ein Pressearchiv noch eine Presseabteilung existieren, möchte ich Sie fragen, ob es nicht ratsam gewesen wäre, in diesem Falle den Kollegen Müller zu bitten, Ihnen die entsprechende Pressemeldung, auf die er sich beruft, zur Kenntnis zu bringen.
Verehrte Frau Kollegin, das ist keine Zusatzfrage mehr. Der Fragesteller hat dargestellt, daß er einem Irrtum unterlegen ist. Insofern scheint mir dieses Thema zunächst einmal beendet zu sein.Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Möller auf. — Der Fragesteller ist nicht anwesend. Deshalb werden diese und die ebenfalls von ihm gestellte Frage 21 schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 22 des Abgeordneten Schedl auf. — Der Fragesteller ist nicht anwesend. Dann werden die Frage 22 und die ebenfalls von ihm gestellte Frage 23 schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Die Frage 24 des Abgeordneten Meinike ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.Ich rufe die Frage 25 des Abgeordneten Ey auf:Hat das Bundesfinanzministerium klare Richtlinien für die Abschreibungsdauer sowie über die Abschreibungsfähigkeit von Patent- und Know-how-Lizenzen gegeben, die es einem Unternehmen ermöglichen, Kalkulationsgrundlagen für die Durchführung von Innovationen auf der Basis zugekaufter Lizenzen zu schaffen, und wenn ja; welche?Bitte, zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Haehser.Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Ey, selbstverständlich gibt es klare Regelungen über die steuerliche Behandlung von Patent- und Know-how-Lizenzen. Ich habe hierzu in einer Fragestunde Ende Januar dieses Jahres auf Fragen des Kollegen Pfef-
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15978 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976
Parl. Staatssekretär Haehserfermann Stellung genommen. Ich will mich aber gern noch einmal dazu äußern.Zunächst möchte ich wiederholen, daß bei Zahlung laufender Vergütungen die Lizenzgebühren beim Erwerber der Lizenz Betriebsausgaben sind, die den Gewinn des Wirtschaftsjahres mindern, auf das sie entfallen. Die von Ihnen angesprochene Frage der Abschreibungsdauer und Abschreibungsfähigkeit stellt sich nur bei Lizenzen, die gegen einmalige Zahlung eines Betrages erworben werden. Die Anschaffungskosten sind in diesem Fall abschreibungsfähig. Die Abschreibungsdauer richtet sich nach der Zeitdauer der Nutzungsüberlassung, die für das Patent bzw. Know-how in dem Vertrag zwischen Veräußerer und Erwerber festgelegt ist. Stellt sich nachträglich heraus, daß sich das Patent bzw. Knowhow bereits vor Ablauf der vertraglich festgelegten Nutzungsüberlassung nicht mehr wirtschaftlich verwerten läßt, so ist eine Teilwertabschreibung zulässig. Enhält der Vertrag zwischen Veräußerer und Erwerber keine Regelung über die Zeitdauer der Nutzungsüberlassung, so ist die Abschreibungsdauer unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu schätzen. Selbstverständlich gilt auch hier die bereits erwähnte Regelung über die Teilwertabschreibung. Ins einzelne gehende Richtlinien über die Abschreibungsdauer lassen sich für diesen Fall nicht aufstellen, da Art, Inhalt und Verwertungsmöglichkeiten der Lizenzen für eine Richtlinienregelung zu unterschiedlich sind.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Ey.
Herr Staatssekretär, warum werden innovationsfreudige Unternehmer nicht ermuntert, im Rahmen der geltenden Steuergesetze die Möglichkeiten der Lizenznahme von neuen Verfahren und Technologien auszunutzen?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich verstehe Ihre Frage so, daß sie dahin zielt, ob Änderungen steuerlicher Vorschriften zur Förderung von Technologien erwünscht sind. Insoweit hat bereits das Forschungsministerium auf eine Kleine Anfrage ihrer Fraktion geantwortet. Der Forschungsminister hat in der Antwort ausgeführt, daß hierüber erst nach Auswertung einer Studie entschieden werden wird, die das Ifo-Institut derzeit durchführt.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Ey.
Herr Staatssekretär, warum wird eine Wagnisbeteiligungsgesellschaft mit 75prozentiger Risikobelastung des Bundes ins Leben gerufen, wodurch im Endeffekt die Finanziers dieser Gesellschaft, nämlich die Banken, die Nutznießer der gesamten sogenannten Innovationsförderung des Bundes werden?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich verstehe Ihr Anliegen, Herr Kollege, sehe aber keinen Zusammenhang zur Ursprungsfrage.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 26 des Abgeordneten Leicht auf. — Der Fragesteller ist nicht anwesend. Diese Frage und die ebenfalls von ihm gestellte Frage 27 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 28 des Abgeordneten Höcherl auf. — Der Fragesteller ist nicht anwesend. Diese Frage und die ebenfalls von ihm eingereichte Frage 29 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt, Herr Staatssekretär. Ich danke Ihnen für die Beantwortung.
Wir haben noch genau eine Minute. Ich kann noch den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft aufrufen, zunächst die Frage 30 des Abgeordneten Immer . Ist der Fragesteller anwesend? — Er ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 31 des Abgeordneten Immer (Altenkirchen). Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Fragen 32 und 33 des Abgeordneten Dr. Jahn auf. Beide Fragen werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 34 des Abgeordneten Gansel auf:
Ist die Meldung der Düsseldorfer Nachrichten vom 25. Februar 1976 zutreffend, ein heutiger Mitarbeiter der Waffenhandelsfirma Merex habe mit gefälschten Dokumenten im Jahr 1969 vom Bundeswirtschaftsministerium die Ausfuhrgenehmigung von 500 Napalmbomben erschlichen, die aus alten Beständen der Bundeswehr stammten, und welche Folgerungen wird die Bundesregierung daraus ziehen?
Zur Beantwortung bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner.
Herr Kollege, die Meldung trifft in keinem Punkt zu. Das Bundesministerium für Wirtschaft hat niemals eine Genehmigung zur Ausfuhr von Napalmbomben erteilt. Auch ist eine solche Genehmigung beim Bundesministerium für Wirtschaft weder von der Firma Merex noch von einem ihrer Mitarbeiter je beantragt worden.Die 500 Napalmbomben, von denen in der Meldung die Rede ist, stammen nicht aus Beständen der Bundeswehr. Aus Beständen der Bundeswehr sind niemals Napalmbomben veräußert worden.Die Meldung geht offenbar auf die mündliche Urteilsbegründung in dem in erster Instanz abgeschlossenen Strafverfahren gegen den Merex-Mitarbeiter zurück. Eine schriftliche Begründung des Urteils liegt noch nicht vor. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Merex-Mitarbeiter hat Revision eingelegt.Soweit der Inhalt des Strafverfahrens und der mündlichen Urteilsbegründung dem Bundesministerium für Wirtschaft bekanntgeworden ist, ging es bei der Ausfuhrgenehmigung für die Napalmbom-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976 15979
Parl. Staatssekretär GrünerI ben um eine Genehmigung, die in einem ausländischen Staat für eine Lieferung in einen anderen ausländischen Staat beantragt worden ist. Deutsche Genehmigungsbehörden sind von einem derartigen Liefervorgang nicht berührt; daher wurden ihnen im Zusammenhang damit auch keine Dokumente vorgelegt.Die Bundesregierung sieht daher keinen Anlaß, aus dem Vorgang, der der Pressemeldung zugrunde liegt, Folgerungen zu ziehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie den Umstand, daß die dpa-Pressemeldung zwar bezüglich der Zahl der Schußmunition — nämlich 20 Millionen statt 31 Millionen — ausdrücklich dementiert worden ist, aber nicht bezüglich der Angabe über den Handel mit Napalmbomben?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich erkläre mir das einfach damit, daß nach dieser mündlichen Urteilsbegründung offenbar ein solcher Handel stattgefunden hat, aber zwischen ausländischen Staaten.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Beteiligung deutscher Firmen im Handel mit Napalmbomben, auch wenn dieser von einem ausländischen Staat in einen anderen ausländischen Staat erfolgen sollte?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen, daß uns lediglich die mündliche Begründung des Urteils bekannt ist. Ich möchte mich zu dem gesamten Fragenkomplex nicht äußern, solange nicht die schriftlichen Urteilsgründe vorliegen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 58 des Abgeordneten Peiter auf. — Der Fragesteller ist nicht anwesend. Auch diese Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir sind damit am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt. Ich darf Ihnen danken, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Die für die Fragestunde festgesetzte Zeit von 90 Minuten ist abgelaufen. Wir fahren in unserer Tagesordnung fort. Ich gebe noch einmal bekannt, daß nach einer interfraktionellen Vereinbarung auf Antrag der Fraktion der SPD eine Aussprache zu Fragen von allgemeinem aktuellem Interesse nach Anlage 4 Nr. 1 der Geschäftsordnung stattfindet, und zwar zu dem Thema:
Aussprache gemäß Anlage 4 Nr. 1 der Geschäftsordnung zu den durch das Ausscheiden
Frankreichs aus dem europäischen Währungsverbund entstandenen akuten währungspolitischen Spannungen und deren unmittelbaren Auswirkungen auf die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland
Meine Damen und Herren, ich gebe zur Erinnerung kurz folgendes bekannt. Diese Aktuelle Stunde dauert 60 Minuten als Zeit für Fragen und Stellungnahmen der Mitglieder des Hauses. Die Zeit, die die Regierung zur Beantwortung oder zur Stellungnahme braucht, wird darauf nicht angerechnet. 60 Minuten stehen also dem Haus zur Verfügung. Sollten die Ausführungen der Bundesregierung 30 Minuten überschreiten, wird die Zeit für das Haus um 30 Minuten auf 90 Minuten verlängert. Jeder Redner hat lediglich fünf Minuten Redezeit.
Die Aussprache aus aktuellem Anlaß ist eröffnet. Das Wort hat der Abgeordnete Rapp.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor dem Blick zurück im Zorn, in dem sich jetzt manche Kommentatoren der währungspolitischen Spannungen und Ereignisse der letzten Zeit und der letzten Tage üben, hätte der eine oder andere von ihnen, so finde ich, seine Brille putzen sollen. Das Abschulmeistern unseres französischen Partners, der sich genötigt sah, aus dem europäischen Währungsverbund auszuscheiden, ist nicht nur höchst unklug, es ist auch ungerecht.Ich möchte daran erinnern, daß es im Jahre 1975 gelungen war, die Inflationsrate in Frankreich von knapp 15 % auf unter 10 % zu drücken. Der Außenhandel blühte auf, die Devisenreserven nahmen kräftig zu, der Franc war monatelang die stärkste Währung Europas. Er wertete am freien Markt so weit auf, daß er im Juli vergangenen Jahres genau an dem Punkt wieder in den Währungsverbund eingebracht werden konnte, an dem er ihn 18 Monate zuvor verlassen hatte.Es mag sein, daß der Einstandskurs damals deswegen ein bißchen zu hoch war, weil hohe Kapitalimporte vorangegangen waren. Es stimmt auch, daß die Preissteigerungsrate stets wesentlich höher war als bei uns. Aber der Abstand des Inflationsniveaus zur D-Mark hin hatte sich dank der französischen Stabilisierungspolitik doch beträchtlich verringert.Zum Rückschlag kam es, als Frankreich — absprachegemäß im Gleichschritt mit uns — auf eine Politik der Konjunkturbelebung setzte. Sofort verschlechterte sich die Handelsbilanz. Wenn dann nach dem Absturz von Pfund und Lira die Spekulation den Franc à la baisse und die D-Mark à la hausse angriff, so weniger deshalb, weil bei den Franzosen eine geringere Entschlossenheit zur Bekämpfung der Inflation zu vermuten gewesen wäre, als vielmehr deshalb, weil die Antirezessionspolitik in Frankreich zwangsläufig rascher in die Preise laufen mußte. Mangels eines ausreichenden Sozialkonsenses, mangels eines ebenso dicht gewobenen Netzes der sozialen Sicherheit wie bei uns haben die Strukturanpassungen dort weniger greifen können als bei uns. Diesen Zusammenhang sollten sich
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15980 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976
Rapp
alle jene vor Augen führen, die das soziale Netz bei uns für zu dicht geknüpft halten.
Der lang durchgehaltene Versuch der Franzosen, dem Druck auf den Franc standzuhalten, verdient unseren Respekt. Es ging den Franzosen dabei gewiß auch um Inflationsbekämpfung. Es reimt sich nicht zusammen, wenn ein und dieselben Leute bei uns jetzt einerseits die Franzosen in die Ecke der Inflationierer gestellt sehen wollen und andererseits die antiinflationäre Komponente der so lange durchgehaltenen Verteidigung des Franc-Kurses verkennen.
— Ich denke, Sie haben in den letzten Tagen die Pressekommentare zu diesem Thema gelesen.
Meine Damen und Herren, am vergangenen Wochenende ist nun aus der Belastungsprobe eine Zerreißprobe geworden. Die Franzosen haben seit Beginn des Jahres etwa ein Drittel ihrer Währungsreserven — ohne Goldreserve — verloren. Wie es dazu kam, daß Frankreich unter den drei alternativen Möglichkeiten zum Schutz seiner Reserven die des Ausstiegs aus der Schlange wählte, ist bekannt. Der Willensbildungsprozeß ist jedenfalls so gelaufen, daß die deutsch-französische Partnerschaft dabei nicht nur keinen Schaden nahm, sondern gestärkt wurde.Die französische Regierung hat erklärt, sie werde den Franc bei einem vernünftigen Kurs auffangen. Einen Abwertungswettlauf, einen Handelskrieg, wird es nicht geben.
Welches sind denn die Aspekte, die sich aus alledem absehbar für unsere Außenwirtschaft und damit auch für unsere Beschäftigung ergeben mögen? Zum Glück wird der in Gang befindliche Aufschwung ohnehin stärker durch die Binnennachfrage als durch den Export getragen. Die jetzt gefundene Lösung ist im Vergleich zur sonst erforderlichen DM-Aufwertung das kleinere Übel. Gleichwohl: Frankreich ist unser wichtigster Handelspartner. Hier liegt es nun allerdings in der Logik der Sache, daß der Abwertungsvorteil der Franzosen durch die der ganzen Operation leider innewohnende Tendenz zur Hebung des französischen Preisniveaus aufgeholt werden dürfte.Im übrigen ist es gewiß wahr, daß in einem solidarischen Verbund Stärke auch verletzlich macht. Gleichwohl erwiesen wir uns wie auch unseren Nachbarn den schlechtesten Dienst, wollte die Bundesregierung dem Rat eines Kommentators folgen, sich durch ein bißchen mehr eigene Inflationierung zu behelfen.
Nirgendwo klafften der vermeintlich kurzfristige
Vorteil und das richtig verstandene längerfristige Eigeninteresse so weit auseinander wie bei einer solchen Politik.Zwei Aufgaben sind gestellt.
Ihre Zeit läuft ab, Herr Kollege.
Es muß verhindert werden, daß sich die vom Franc abgelenkte Spekulation auf die Währung eines anderen Blockfloaters stürzt, und es muß die Rückkehr Frankreichs in die Schlange sorgfältig vorbereitet werden. Der Verbund muß allseits durch eine gleichschrittige wirtschaftliche Entwicklung in Stabilität und Wachstum untermauert werden. Eine kurzatmige Politik, wie sie die Stichworte von der Poolung der Währungsreserven oder von der Erweiterung der Bandbreiten markieren, schöbe die Probleme nicht nur vor sich her, sondern machte sie letztlich unlösbar.
Solidarität ist keine Einbahnstraße. Unsere Regierung hat bewiesen, daß sie bereit war, Opfer zu bringen. Die bisherigen Anstrengungen Frankreichs rechtfertigen die Erwartung, daß auch von Frankreich her das Nötige getan wird, um rechtzeitig in die Schlange zurückkehren zu können.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Sprung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Rapp, wenn Sie die Absicht hatten, die Berichterstattung der Presse zu kritisieren, so hätten Sie sich dafür ein anderes Auditorium aussuchen sollen.
Der Schritt der französischen Regierung, aus der Schlange auszuscheiden und die Marktkräfte über den Kurs des Franc entscheiden zu lassen, ist zu bedauern. Der Schritt ist deshalb zu bedauern, weil Europa damit auf dem Weg zu seiner Einigung erneut zurückgeworfen wird und die desolate Lage deutlich wird, in der sich der Versuch befindet, eine europäische Währungsunion zu schaffen.Auf der anderen Seite ist der französische Schritt jedoch die richtige Maßnahme gewesen. Eine Aufwertung der D-Mark oder eine Aufwertung der D-Mark zusammen mit einer Abwertung des Franc — dies ist ja wohl die Marschroute gewesen, mit der der Bundesfinanzminister am Montag nach Brüssel gegangen ist — oder gar nur eine Änderung der Interventionsmechanismen wären in der derzeitigen hochspekulativen Situation an den Devisenmärkten, in der ja nicht nur der französische Franc, sondern auch das britische Pfund und die italienische Lira
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976 15981
Dr. Sprungmit außerordentlichen Schwierigkeiten kämpfen, sicherlich ungenügend gewesen.Meine Damen und Herren, es ist kaum zu glauben, daß es erst vier Monate her ist, seit in Rambouillet einmal mehr der Wille zu einer engeren währungspolitischen Zusammenarbeit feierlich bekräftigt wurde.
Der Bundeskanzler kam damals wie ein Triumphator in die Bundesrepublik zurück. Es folgten die Konferenz von Paris und die Weltwährungskonferenz von Jamaika — und jedesmal hörten wir von großartigen Fortschritten und großartigen Ergebnissen.
Noch vor vier Wochen wurde bei dem Treffen zwischen Staatspräsident Giscard d'Estaing und dem Bundeskanzler in der Nähe von Nizza der damals schon sehr kritischen Öffentlichkeit abermals eine heile Währungswelt vorgegaukelt. Es war aber keine heile Welt mehr. Man wußte es bzw. man hätte es wissen müssen. Meine Damen und Herren, in einer solchen Situation helfen auch Beschwörungen und selbst eine so harte Erklärung wie die nichts, daß man das Wort „Abwertung" nicht kenne.
— Ich merke, daß Ihnen das nicht sonderlich gefällt. Sie werden noch einiges zu hören bekommen.
Man kann eben nicht mit noch so schönen Worten,
mit noch so harten Dementis ökonomische Fakten aus der Welt schaffen wollen. Der Markt ist stärker als fromme Wünsche und schöne Worte.
Meine Damen und Herren, wo ist der Geist von Rambouillet geblieben? Man hat den Eindruck, daß immer dann, wenn man in der Sache nicht weiterkommt, ein Geist beschworen wird.
Wir haben inzwischen eine ganze Reihe von europäischen Geistern, wenn man sich umsieht, für jede europäische Hauptstadt einen. Wir haben den Geist von Den Haag, den Geist von Kopenhagen, den Geist von Helsinki. Wie sehr sich letzterer schon verflüchtigt hat, haben wir Anfang der Woche in Leipzig gesehen.
Seit fünf Jahren sagen wir in diesem Hohen Hause und auch die Experten draußen im Lande immer dasselbe:
Nur eine gleichgerichtete Wirtschafts- und Finanzpolitik, eine gleichgerichtete Geld- und Kreditpolitik
— ich kann Ihnen nicht antworten, obwohl ich es gern täte; wir sind in einer Aktuellen Stunde —
und die Verfolgung gleicher wirtschaftspolitischer Ziele führen zu einer Währungsunion, wie wir sie in der EG anstreben. Meine Damen und Herren, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, helfen noch so spektakuläre Konferenzen, traute Kaminrunden und schöne Küsten gar nichts.
Meine Damen und Herren, es ist unbegreiflich, daß man diese Erkenntnisse immer wieder zu vergessen scheint.Was fühlt ein Mann wie der Bundeskanzler, oder was fühlt ein Mann wie der Bundesfinanzminister,
wenn ich an ihre Reden . . .
Meine verehrten Damen und Herren, darf ich um etwas mehr Ruhe im ganzen Hause bitten. Bei fünf Minuten Redezeit muß jeder Redner seine Redezeit ausnützen können.
... über die großartigen Erfolge der Währungskonferenzen des letzten halben Jahres angesichts der jüngsten Entwicklung und der schrumpfenden Schlange denke, der Schlange, die vor vier Monaten in Rambouillet noch als „Superschlange" gefeiert wurde und die heute auf die Größe eines Regenwurms zusammengeschrumpft ist? Es ist zu wünschen, daß man sich künftig weniger cäsarisch gibt, wenn man von internationalen Währungskonferenzen zurückkommt.
Hoffen wir, meine Damen und Herren, daß die Restschlange am Leben bleibt. Hoffen wir, daß die verbliebenen Mitglieder wissen, daß es auf sie als den Kern ankommt, um das große Ziel der europäischen Währungsunion doch noch zu verwirklichen. Hoffen wir, daß der französische Franc schon bald wieder, dann allerdings zu einem realistischeren Kurs als das letzte Mal,
in die Währungsschlange zurückkehren kann! Hoffen wir auch, daß alle europäischen Regierungen, die in der Schlange und die außerhalb, alles vermeiden, daß es wieder zu einem Abwertungswett-
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15982 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976
Dr. Sprunglauf wie in den 30er Jahren kommt, was verheerende Folgen haben würde.
Gewisse Töne in den letzten Tagen, Vorwürfe, wer und aus welchen Gründen mit den Abwertungen begonnen habe, lassen hier nichts Gutes ahnen. Es wäre das Ende jeder europäischen Währungspolitik und der europäischen Zusammenarbeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege, das war ja eine völlig neue Gangart von Ihnen, sozusagen: „Sprung, auf, marsch, marsch!"
Darf ich Ihnen, Herr Kollege Sprung, zunächst einmal sagen, daß die Schlange natürlich mit Rambouillet und Jamaika nichts zu tun hat,
sondern daß es sich hier um einen Bereich fester Wechselkurse handelt und daß der Inhalt jener Währungsabsprachen genau die Festlegung auf freie Wechselkurse war. Dies sollte sich allmählich herumgesprochen haben.
— Hier muß man weitersprechen. Sie haben es soeben auch getan und gemeint, man könne in einer Aktuellen Stunde nicht antworten.
Wir stellen jedenfalls fest, daß die Schlange nunmehr aufgehört hat, auf das Kaninchen zu starren.
Die Beurteilung dieses Vorgangs durch die FDP ist zwiespältig.
— Vielen Dank, Herr Müller-Hermann, dafür, daß Sie diesen Einwurf gemacht haben. Unsere Beurteilung Ihrer Arbeit ist nicht zwiespältig; Ihre Arbeit ist schlecht, das ist völlig eindeutig.
Sie reagieren prompt auf jede Möglichkeit, die man einbaut; das ist dankenswert.Was Europa anbetrifft, so teilen wir mit Ihnen, meine Damen und Herren, das Bedauern, daß derVorläufer für eine Währungsunion nicht mehr funktioniert. Wir haben 1975 vor dem Wiedereintritt der Franzosen in die Schlange zu diesen hohen Kursen gewarnt. Herr Sprung, wir teilen nicht die naive Hoffnung, die Sie in Ihrer schriftlichen Stellungnahme — nicht in der Presse, sondern im CDU-Dienst — zum Ausdruck gebracht haben, daß man mit der Rückkehr Frankreichs alsbald rechnen könne. Man kann nämlich nicht damit rechnen, solange die Franzosen aus Gründen, die wir nicht zu kritisieren und ihnen nicht vorzuschreiben haben, eine andere Konjunkturpolitik betreiben und betreiben wollen als wir.
Wir begrüßen nachdrücklich die währungspolitische Entscheidung. Wir sollten wirklich gelernt haben, daß ein Währungsverbund wie die Schlange nur funktioniert, wenn einige Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens: Ohne einheitliche Konjunkturpolitik und ohne einen Ausgleich der regionalen Überschüsse und Defizite sind feste Wechselkurse auf die Dauer nicht durchsetzbar. Ohne feste Wechselkurse — das ist das zweite — in der Schlange und ohne Finanzausgleich ist auf die Dauer keine übereinstimmende Konjunkturpolitik durchführbar. Drittens: Mit festen Wechselkursen in der Schlange, aber ohne einheitliche Konjunkturpolitik nehmen die regionalen Defizite und Überschüsse unvertretbare Ausmaße an. Die Restschlange wird hoffentlich diese Ansprüche erfüllen, obwohl wir hinsichtlich Belgiens und Dänemarks z. B. keineswegs sehr zuversichtlich sein können. Aber hier können Anpassungen erfolgen, die im Rahmen des Währungsverbundes möglich sind und die nicht zum Ausscheiden führen müssen.Im übrigen sind in Frankreich im vorigen Jahr die Verbraucherpreise um 11,75 % — bei uns um 5,75 % — und die Stundenlöhne um 15 % — bei uns um 81/4 % — angestiegen. Das zeigt, daß es eben keine einheitliche Konjunkturpolitik gibt. Dies führt ökonomisch zwangsläufig dazu, daß sich die innere Kaufkraft der Währungen auseinanderentwickelt.
Es kann sein — und deswegen bin ich mit Ihnen einig, Herr Rapp: hier ist nicht die Stunde, die Franzosen zu schelten —, daß es dafür aus der Sicht Frankreichs gute innenpolitische Gründe gibt. Aber diese Gründe können nicht dazu führen, daß man uns im Rahmen der Schlange eine Interventionspflicht auferlegt, die über das hinausgeht, was wir selber konjunkturpolitisch und monetär vertragen können.
Der Herr Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Dr. Schlecht hat dieser Tage darauf hingewiesen, daß wir innerhalb einer Woche 3 Milliarden DM aufgewandt haben, um dafür französische Francs zu kaufen. Setzte sich dies fort, so würde unsere Geldmengenpolitik nachhaltig unterlaufen. Ich frage: will denn in diesem Hause irgend jemand die Fehler der CDU von 1968 wiederholen und die
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Dr. Graf Lambsdorffaußenwirtschaftliche Flanke wieder öffnen? Das will wohl niemand tun.
Wir bleiben dabei, daß freie Wechselkurse notwendig sind. Wir bleiben dabei, daß gebundene Wechselkurse nur dann denkbar sind, wenn die wirtschafts-, konjunktur- und währungspolitische Zusammenarbeit eng ist. Gerade auf diesem Gebiet haben wir gesehen, daß es keine Mittel gibt, sich gegen den Markt zu stemmen. Dies ist ein kostspieliges Unternehmen geworden: ein Drittel der französischen Devisenreserven, hohe Beträge der Deutschen Bundesbank sind eingesetzt worden. Am Ende steht selbstverständlich die Kapitulation. Wie oft haben wir das bis 1973 erlebt; wie oft haben wir das im System von Bretton Woods gesehen! Einer solchen Entwicklung kann man sich nicht entziehen. Aus grundsätzlichen wirtschaftspolitischen und ökonomischen Einsichten begrüßen wir sie.Natürlich sind die Auswirkungen auf die deutsche Konjunktur nicht unbedingt erfreulich. Die Importsituation erleichtert sich zwar, aber die Exportsituation erschwert sich. Doch machen wir uns nichts vor: dies ist nur eine rechnerische, auf den Moment abgestellte Überlegung. Hätten wir freie Wechselkurse, hätten wir die Anpassung an die innere Kaufkraft dieser Währungen, wäre dies in einem gleitenden Übergang vor sich gegangen, dann hätten wir es kaum zur Kenntnis genommen, hätten wir es als eine Selbstverständlichkeit empfunden, wie das im System der freien Wechselkurse der Fall ist. Insgesamt gesehen europapolitisch bedauerlich, währungspolitisch die einzig richtige Lösung. Und nun kommt ein Zwischenruf des Kollegen Köhler
— Für die Schlange spricht, Herr Köhler, das europapolitische Argument, das Herr Sprung vorgetragen hat. Die Antwort müssen Sie sich bitte beim eigenen Fraktionskollegen holen; in der Aktuellen Stunde ist das, wie Sie gehört haben, von mir nicht möglich.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Währungspolitik ist ein delikates Geschäft, und ich möchte, wenn wir diese Debatte fortsetzen, alle Beteiligten bitten, dies zu beachten, insbesondere zu beachten, daß es in der gegenwärtigen Phase einer gewissen Bewegung auf den Märkten nicht gut ist, wenn wir hier in diesem hohen Hause Bewertungen über andere Währungen abgeben.
Ich möchte eine zweite Bemerkung hinzufügen: Es ist auch kein Thema für eine politische Kampfsituation zwischen Opposition und sozialliberaler Koalition. Herr Kollege Lambsdorff hat schon darauf ,aufmerksam gemacht: Das, was wir Sonntag nacht diskutiert und dann hingenommen haben, hat mit Rambouillet überhaupt nichts zu tun. In Rambouillet haben wir zweierlei festgehalten - und daran halten wir weiter mit Erfolg fest —: einmal die ungebrochene Solidarität der Partner zueinander. Das Ergebnis des Sonntags ist auch ein Ergebnis deutsch-französischer Solidarität, wie Sie wissen. Zum zweiten haben wir in Rambouillet festgelegt und es dann auch so in Kingston vereinbart, daß erratische Schwankungen in den Kursen vermieden werden sollen. Wenn wir uns heute den Abwertungssatz des französischen Franc angucken —3,7 %—, dann sehen wir, daß hier in der Tat eine Politik gemacht wird, die Rambouillet voll trägt.Ich möchte nun in vier Punkten zur Frage selbst etwas sagen.Was sind die Ursachen gewesen? Die Ursachen für die Schwäche des Franc liegen zweifelsohne auch in Frankreich selbst. Die Beunruhigung hat ja damit angefangen, daß sich die Exportindustrie in Frankreich über den zu hohen Einstiegskurs des französischen Franc öffentlich geräuspert hat. Dies mußte natürlich zu Reaktionen führen. Dann haben allerdings die Lira- und Pfundkrise die Spekulationen gegen den französischen Franc in einer Marschgeschwindigkeit erhöht, die zu den rapiden Devisenabflüssen und damit zum Handeln zwang.Schließlich — das haben die Redner vor mir deutlich gemacht — sind monetäre Entwicklungen immer nur Ausfluß ökonomischer Daten. Der Datenkranz in Frankreich, insbesondere die unterschiedliche Inflationsrate, spiegelt sich dann auch in Wechselkursveränderungen wider.Die Aktion war notwendig und unvermeidbar. Wir haben alles getan, was in unseren Kräften stand, um die Währungsschlange in dem früheren Umfang zu erhalten. Ich bin auch nicht der Meinung, daß es erfreulich ist, daß es nicht möglich war, Frankreich in der Währungsschlange zu halten. Ich bin vielmehr der Meinung, es wäre für uns alle europapolitisch besser gewesen, wir hätten über ein re-alignment, über eine Veränderung der Wechselkursrelationen zueinander, insbesondere durch eine Entlastung des französischen Franc diese Währungsschlange behalten. Um so wichtiger ist es, die Tür für Frankreich aufzuhalten, damit Frankreich dann zu einem wohl realistischeren Kurs in den Währungsverbund zurückkehren kann.Ich möchte eine Bemerkung zu unseren eigenen Exportchancen und zum Aufschwung in unserem Lande machen. Ich glaube, die Vorredner, insbesondere Graf Lambsdorff, haben deutlich gemacht, daß hier nur im monetären Bereich etwas vollzogen wird, was sich im wirtschaftlichen Bereich bereits getan hat. Das heißt, unsere Exportwirtschaft, die hohen Zuwachsraten gerade unseres Exports in Richtung Frankreich, und auch der Aufschwung sind durch diesen Schritt nicht gefährdet. Wir müssen
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15984 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976
Bundesminister Dr. Apeleben sehen, daß die Entwicklung des letzten Wochenendes wie überhaupt die Währungsprobleme in Europa Zeichen des Ausdrucks wirtschaftlicher Kraft und politischer Stabilität in unserem Lande sind.
Eine letzte Bemerkung möchte ich anschließen. Für uns steht fest — das habe ich allerdings auch bei Herrn Kollegen Sprung herausgehört; insofern gibt es hier wohl eine breite Übereinstimmung im Hause —, daß wir nicht nur an der europäischen Währungsschlange festhalten, sondern daß wir auch nicht daran denken, die Interventionsmechanismen und auch, wenn Sie so wollen, die Summen, die wir in der Kreditierung der Interventionen bereitstellen, verändern wollen. Ich sehe hier breites Einvernehmen darin, daß dies uns nicht weiterbrächte. Ein Auseinanderzerren der Interventionsbreiten, eine höhere Bereitstellung deutscher Devisenreserven — darauf liefe es dann hinaus — könnte den Prozeß einer sich verschlechternden Relation einer europäischen Währung um einige Tage verzögern, aber nicht beenden. Insofern ist dies, so glaube ich, zumindest ein wichtiges Datum, das ich als Bundesfinanzminister nach dieser ersten Runde aus dieser Debatte mitnehme.Wir haben also keinen Grund, Herr Kollege Sprung, nervös zu werden. Die Währungskonferenzen haben sich durchaus bewährt.
Wir werden allerdings, meine ich, alle zusammen die Wechselkursentwicklungen in Europa mit gespannter Aufmerksamkeit betrachten. Dazu gehört Nüchternheit, die in der Vergangenheit wie gegenwärtig die Währungs- und Finanzpolitik dieses Landes ausgezeichnet hat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Zeitel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister, ich teile Ihre Meinung, daß Fragen der internationalen Währungspolitik nur begrenzt geeignet sind, auf dem politischen Markt diskutiert zu werden. Wenn dem aber so ist, dann hätte ich eigentlich zu fragen, warum Sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben.
Dieser Vorgang, Graf Lambsdorff, eignet sich auch nicht für Erfolgsmeldungen, die Sie im allgemeinen lieben und die immer den Inhalt Ihrer Ausführungen bilden.
Angesichts der eingetretenen Entwicklung — das ist unsere Meinung — ist die Lösung, die gefunden wurde, noch die beste gegenüber anderen Möglichkeiten, die zu erwägen waren. Aber, Herr Bundesfinanzminister — das muß nun in einer AktuellenStunde auch festgehalten werden —, noch wenige Wochen vor diesem Ereignis hat der Bundeskanzler in der ihm eigenen Art mit markigen Worten betont, daß die Währungsrelationen festgehalten werden. Sie selbst haben sich, wenn ich die Berichte richtig gelesen habe, in Brüssel über diese Entwicklung überrascht gezeigt. Das finde ich merkwürdig; um es noch deutlicher zu sagen: Wir empfinden es als beängstigend, in welchem Umfang Sie durch Entwicklungen überrascht werden. Das ist ja nicht das erste Mal.
Lassen Sie mich zusammenfassend sagen, welche wesentlichen ökonomischen und politischen Gründe aus unserer Sicht, Herr Bundesfinanzminister, zu dieser Entwicklung geführt haben.1. Der Franc ist zu hoch bewertet in die Schlange eingetreten. Dafür sprechen die relativ großen Kapitalbewegungen nach Frankreich, die es im vergangenen Jahr gegeben hat.2. Die Stabilisierungspolitik in Frankreich war ungenügend, was sowohl in der Preisentwicklung als auch in der öffentlichen Haushaltsgestaltung zum Ausdruck kommt.3. Der Franc ist in den Strudel der Instabilität von Pfund und Lira mit hineingezogen worden. Ich lasse einmal dahingestellt, inwieweit hier Absichten im Spiel waren oder nicht. Tatsache ist, daß die Unruhe bei diesen Währungen den Franc nicht unberührt gelassen hat.4. In diesem Zusammenhang können wir auch nicht übersehen, daß das Vertrauen in die weitere politische Entwicklung Frankreichs durch bekannte Vorgänge — auch einer Angst vor einer Volksfrontregierung — erschüttert ist. Dies hat zu beachtlichen Kapitaltransaktionen ins Ausland Anlaß gegeben.Alle vier Gründe und damit überwiegend ökonomische Ursachen sind für den französischen Schritt entscheidend.Welche Folgerungen ergeben sich daraus? Zwischen drei Teilbereichen ist zu unterscheiden. Zunächst nenne ich, was uns vielleicht am meisten interessiert, nämlich die binnenwirtschaftlichen Wirkungen. Wir teilen die Meinung, daß die Belebungsimpulse der Konjunktur, die wir feststellen können, im wesentlichen binnenwirtschaftlicher Art sind. Aber es ist ebensowenig zu leugnen, daß die Francabwertung Rückwirkungen auf unseren Export haben wird. Dabei darf nicht außer Betracht bleiben, daß es weniger um die Relation zur französischen Währung allein geht. Die eigentliche Gefahr, in der wir stehen und die sich in ersten Reaktionen abzeichnet, besteht vielmehr darin, daß es erneut zu einer Abwertungskonkurrenz kommt, daß weitere Abwertungen bei Lira, Pfund und vielleicht noch anderen Währungen eintreten. Wenn der Entwicklungsprozeß so gesehen wird, kann durchaus für unseren Export, der für die Stabilisierung der Konjunktur zusammen mit den Investitionen die eigentliche Schlüsselgröße darstellt, doch eine ernst zu nehmende Beeinträchtigung entstehen.
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Dr. ZeitelWir sind mit Entschiedenheit der Meinung, Herr Bundesfinanzminister, daß man die Dinge nicht einfach immer bagatellisieren soll. Man muß sie vielmehr so darstellen, wie sie wirklich sind: nicht übertrieben und nicht untertrieben.
Sodann müssen in diesem Zusammenhang die Wirkungen auf die europäische Entwicklung gesehen werden. Niemand kann doch bestreiten, daß dies für die europäischen Einigungsbestrebungen erneut ein schwerer Rückschlag ist. Es ist nicht -nur so, daß die Schlange abgestückelt wurde, sondern es bestehen zunehmend auch Befürchtungen, ob sie überhaupt erhalten werden kann. Wir wünschen dies aus integrationspolitischen Gründen.
Aber die Fakten weisen auch auf Spaltungstendenzen hin. Wenn man Ihre beiden letzten Reden verfolgt, Graf Lambsdorff, so entsteht eher der Eindruck, als ob Sie das wünschten.Es wird eben noch einmal erhärtet — und daraus sollten wir die Kosequenzen ziehen —, daß es keinen Sinn hat, eine Politik europäischer Deklamationen zu betreiben und es an dem entschlossenen Willen zur Einheit fehlen zu lassen.
— Ich sage das an Ihre Adresse.
— Das haben Sie gut verstanden, Herr Wehner. — Vielmehr ist hier nur dann voranzukommen, wenn primär die EWG-Kommission gestärkt wird, die Sie immer madig machen, nicht wir —
— Wir haben uns immer für die Kommission eingesetzt.
Herr Kollege, Ihre Redezeit läuft ab.
Dies sind einige wesentliche Folgen, die wir sehen müssen und die wir auch in unserer Politik berücksichtigen müssen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Huber.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ein Kollege der Opposition hat gefragt, warum wir die Aktuelle Stunde beantragt haben. Allein die Ausführungen des Herrn Kollegen Sprung haben deutlich gemacht, daß es notwendig war, eine Aktuelle Stunde zu beantragen. Auch bei Ihnen, Herr Zeitel, gab es einen Satz, der dies als sehr wünschenswert erscheinen ließ.Herr Kollege Sprung, Sie haben von unseren zerbrochenen frommen Wünschen gesprochen. Ich frage Sie: Welches sind denn nun eigentlich Ihre frommen Wünsche? Das muß man wohl fragen, wenn man solche Ausführungen hört.Wir jedenfalls — das möchte ich Ihnen sagen — haben die Währungsschlange immer als eine gute Vorstufe zur Währungsunion betrachtet. Das bleibt auch so. Der wirtschaftspolitische Sinn, der dahintersteckt, ist nicht entkräftet, weil die Schlange jetzt kleiner geworden ist
— ich kann Ihnen jetzt leider nicht antworten —; denn trotz mehrerer Ein- und Austritte in die bzw. aus der Schlange seit 1972 hat sich die Schlange ja im allgemeinen bewährt. Im Januar-Heft der Deutschen Bundesbank gibt es ein schönes Zitat, in dem der Schlange „im großen und ganzen ein recht befriedigendes Funktionieren" bescheinigt wird. Jetzt befinden wir uns wieder einmal in einer Phase, in der sich ein Staat nicht in der Lage sieht, der Schlange weiter anzugehören. Das ist aber überhaupt kein Urteil über den Gesamtablauf, wie die früheren Vorgänge bereits gezeigt haben.Wir stimmen alle in der Meinung überein, daß es nach der Entwicklung der letzten Tage sinnvoll ist, daß Frankreich jetzt ausgeschieden ist. Die Frage, ob nicht andere Regelmechanismen das hätten verhindern können, hat der Minister bereits beantwortet. Ich meine aber — und das ist zugleich eine Frage an den Finanzminister —, es wäre noch einmal deutlicher herauszustellen, welchen Stellenwert die Schlange, jetzt auch die Restschlange, immer noch hat und wieviel Stabilität ihr eingeräumt werden kann. Ferner möchte ich fragen, welche Überlegungen es gibt, ob und wie man die Rückkehr Frankreichs in die Schlange eventuell erleichtern kann, und, was die wirtschaftlichen Folgen betrifft, wie die terms of trade und ihre Entwicklung mittelfristig zu beurteilen sind. Hier gibt es, glaube ich; auch positive Denkansätze.Zum Schluß möchte ich Ihnen sagen: Dieser Vorgang zeigt wieder einmal die Stärke unserer D-Mark und damit den Erfolg einer vernünftigen Stabilitätspolitik. Das ist doch deutlich sichtbar.
Aber natürlich sehen wir, daß sich in die Freude über diese Feststellung auch die Frage nach den Problemen mischt, die daraus auch für uns erwachsen.
Darum möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen,unserer Regierung dafür zu danken, daß sie Verständnis für die französische Situation gezeigt hat.
— Ja, sie hat Verständnis gezeigt und hat sich umHilfe bemüht, auch wenn dieses Angebot im Konzert aller betroffenen Staaten nicht dazu nicht führen
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15986 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976
Frau Huberkonnte, daß Frankreich jetzt in der Schlange bleibt. Wir begrüßen eine Politik, die nicht nur die Schlange erhält, sondern die auch weitere Beitritte und Wiederbeitritte möglich macht. Wir danken ausdrücklich unserer Regierung für ihre verständnisvolle Haltung.
Das Wort hat der Abgeordnete Eigen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte eigentlich gerne von Herrn Minister Apel eine Erklärung dafür haben, wieso die Aktuelle Stunde zur Presseschelte benutzt wird; denn die Erklärungen, die wir bisher gehört haben, reichen wirklich nicht aus, um eine Aktuelle Stunde zu rechtfertigen. Sie können uns doch nichts vormachen, meine Damen und Herren von der Bundesregierung: Diese Aktuelle Stunde ist mit Ihnen abgesprochen und provoziert worden, damit Ihre Handlungsweise bejubelt wird. Das kann nicht Aufgabe der Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestages sein. Die hat ganz andere Aufgaben zu erfüllen.
Meine Aufgabe ist darzulegen, in welcher Weise sich die Abwertung des französischen Franc auf die Agrarwirtschaftsbeziehungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft auswirkt. In der Tat ist es so, daß sich hier neue Wettbewerbsverzerrungen negativ für die deutsche Landwirtschaft auswirken müssen;
denn 1971 hat die Bundesregierung den Grenzausgleich in der Europäischen Gemeinschaft falsch ausgehandelt, nämlich nicht auf den Bruttowarenwert aller Agrarprodukte, sondern nur auf den Interventionspreis der Marktordnungsprodukte bezogen. Daraus resultieren ganz besondere Schwierigkeiten.
Es ist überhaupt völlig unverständlich, wie sich der damalige Finanzminister 1972 und 1973 im Deutschen Bundestag hinstellen und einfach sagen konnte, als um 3 % und um 5,5 % aufgewertet wurde: Das Problem der Landwirtschaft ist gelöst; denn der Grenzausgleich ist ja da.
— Das war der Herr Schmidt. — Natürlich hat er wieder nicht gewußt — wie er überhaupt sehr oft recht wenig über die tatsächlichen Fakten der Wirtschaftspolitik weiß —, daß mit dem Grenzausgleich die Probleme der Agrarwirtschaft überhaupt nicht gelöst sind. Das ist ein weiteres Beispiel für die häufige Unkenntnis des Bundeskanzlers.
Ich kann Ihnen ein viel bedeutsameres Beispiel für diesen Tatbestand geben. Der Bundeskanzler hat der „Financial Times" ein Interview gegeben. Darin hat er die Meinung vertreten, daß allein Fortschritte in der Agrarpolitik die Voraussetzung dafür sein können, die Wirtschafts- und Währungsunion zu vollenden. Man muß sich das einmal überlegen und sich allein die Größenordnungen vorstellen. Genau umgekehrt paßt der Schuh. Aber das weiß eben der Herr Bundeskanzler leider nicht. Kraftmeierei ist immer schon kein Ersatz für Politik gewesen.
Wir haben nicht nur das Problem der Abgrenzung zwischen Marktordnungsprodukten und Nichtmarktordnungsprodukten, vielmehr geht es darum, daß bei Abwertungen eine Korrektur um 1,5 % vorgenommen wird. Heute schon zeigen sich die Folgen der zeitlichen Verzögerung und vor allen Dingen
— in bezug auf das Verhalten gegenüber Italien — negative Erscheinungen am Markt. In München ist der Preis für Rindfleisch gesunken. Das bedeutet
— und das kostet dann Geld —, daß zum erstenmal wieder 8 000 Rinder für die Intervention angeboten werden.
Ich will Ihnen die eklatantesten Beispiele vortragen.
— Ich komme gleich auf die Kartoffeln; keine Sorge!
— Bei Eiern, Geflügel, Rindfleisch, Schweinefleisch, vor allen Dingen aber auch bei den nicht marktordnungsgebundenen Produkten wie Kartoffeln, Obst und Gemüse, wirkt sich diese Politik am negativsten aus.
Und nun zu den Kartoffeln, meine Damen und Herren. Wissen Sie, das ist eben der Erfolg einer schlechten Agrarpolitik dieser Bundesregierung. Wenn die Landwirtschaft über Jahre um den Ertrag ihrer Arbeit betrogen wird wie bei den Kartoffeln, gibt sie den Anbau auf, und der Verbraucher hat nachher die Zeche zu zahlen.
Dies ist ein ganz deutliches Beispiel für die negativen Auswirkungen einer schlechten Agrarpolitik für die Verbraucher.
— Ja, lachen Sie ruhig darüber! Da sind Sie eben zu dumm dazu, um solche Zusammenhänge zu erkennen. Das ist das Problem.
Verehrter Herr Kollege Eigen, eigentlich wäre bei den Worten „Sie sind zu dumm dazu" ein Ordnungsruf fällig. Aber angesichts der temperamentvollen Art Ihrer Darstellung möchte ich mich auf diese Bemerkung beschränken.
Das muß ich akzeptieren; Sie haben natürlich die größere Weisheit, Herr Präsident.
Bei Obst- und Gemüsekonserven wirkt sich das am stärksten aus. Soeben hat die Unterland AG ihre Tore schließen müssen. Eine Konservenindustrie für den Konsummarkt gibt es in Deutschland auf Grund dieser Wettbewerbsverzerrungen praktisch nicht mehr. — Nun leuchtet die gelbe Lampe; ich muß zum Schluß kommen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. März 1976 15987
EigenMeine Damen und Herren, noch vor wenigen Wochen wurde hier der Abbau des Aufwertungsausgleichs besprochen. Das ist auch ein Problem im Zusammenhang mit der Veränderung der Währungsparitäten. Soeben ist in Brüssel eine 25%ige Senkung des Grenzausgleichs beschlossen worden. Alle haben so getan, als hätten wir eine völlig heile Welt, als könne man jetzt alle Schutzmaßnahmen für die Landwirtschaft abbauen, da sich die Verhältnisse ja normalisiert hätten. Es hieß, die Situation der Landwirtschaft habe sich leicht verbessert, alles könne jetzt besser werden, man könne nun wieder eine exakte europäische Politik machen. Hier zeigt sich, wie schwierig es ist, tatsächlich Fortschritte in der Wirtschafts- und Währungsunion zu erreichen. Deswegen müssen wir bis zur Erreichung dieses Ziels die deutsche Landwirtschaft vor Verlusten schützen. Sie allein kann die Integration in die Europäische Gemeinschaft, so wünschenswert sie ist und so leidenschaftlich wir alle sie wollen, nicht tragen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vohrer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wollte man die Konsequenzen aus den Ausführungen von Herrn Eigen ziehen, müßten wir in stärkerem Maße inflationieren. Das wäre die einzige Möglichkeit, Ihren Vorwürfen gerecht zu werden.
Und, Herr Zeitel, das Dementieren von Währungsspekulationen gehört zum Geschäft und ist im Gehalt von Bundeskanzlern und Bundesfinanzministern inbegriffen.
Im übrigen haben die Gespräche von Rambouillet im Dezember 1975 und die Verhandlungen des Internationalen Währungsfonds in Jamaika im Januar dieses Jahres gezeigt, daß die französische Regierung eine gewisse Vorliebe für fixe Wechselkurse hat. Beweis dieser Vorliebe für fixe Wechselkurse sind sicherlich auch die frühzeitigen Bemühungen um den Wiedereintritt in die Währungsschlange gewesen, der eher Ausdruck des europäischen guten Willens als einer ökonomischen Notwendigkeit war. Bei Inflationsraten, die immerhin im Bereich von 4 bis 5 % über den übrigen Schlangen-Ländern liegen, kann dies ein riskantes Unterfangen sein. Wer bei solchen Inflationsraten fixe Wechselkurse wünscht, bezahlt nämlich den Vorteil billiger Importe mit verschlechterten Aussichten im Exportbereich. Die von der OECD zusammengestellten Zahlen über die Arbeitsstückkosten in der verarbeitenden Industrie machen dies deutlich, indem sie für die Bundesrepublik solche Kostensteigerungen von 1975 auf 1976 im Bereich von 2 % aufzeigen, in Frankreich aber in der Größenordnung von 10 %. Insofern steht der Möglichkeit günstiger Importbedingungen der Verzicht auf Exportaufträge gegenüber. Was dies bei einer Arbeitslosigkeit von 5,9 % bedeutet, wird jedem klar, der mit dieser Problematik in unserem Lande vertraut ist.
Bei der gegenwärtigen aggressiven Lohnpolitik der französischen Gewerkschaften, die sich vor dem Hintergrund eines Inflationssockels von 9 % abspielt, kann in Frankreich nicht mit. Tarifabschlüssen im Bereich von 5 bis 6 %, wie das in unserem Land der Fall ist, gerechnet werden. Insofern werden die wichtigen wirtschaftlichen Daten in Frankreich noch in absehbarer Zeit von den entsprechenden Entwicklungen der Schlangen-Partnerländer abweichen. Nicht das Auseinanderklaffen dieser Eckdaten, sondern die Konvergenz ist aber Voraussetzung für eine gemeinsame Währungs- und Wirtschaftspolitik.
Der Tindemans-Bericht geht auf diese Fragestellung sehr konkret ein und weist auch darauf hin, daß zu einer europäischen Währungsunion mehr gehört als fixe Wechselkurse. Die Erfahrungen mit der europäischen Agrarpolitik zeigen deutlich, wie notwendig die Harmonisierung von Währungs-, Wirtschafts-, Sozial- und Regionalpolitik ist. Voraussetzungen für mehr solche Gemeinsamkeiten in diesen politischen Bereichen sind jedoch erst einmal über die politische Willensbildung zu schaffen. In diesem Zusammenhang finden wir im Tindemans-Bericht den sehr wichtigen Hinweis, daß wir uns als Schlangenländer sehr bemühen müssen, daß die sich jetzt außerhalb der Schlangenländer befindenden Nationen durch unsere Bereitschaft zu mehr Kooperation in die Lage kommen, daß sie eines Tages wieder auf den Zug aufspringen können. Insofern könnte ich mir vorstellen, daß eine europäische konzertierte Aktion nach dem Beispiel des sozialen Dialogs, den wir in diesem Lande führen, ein sinnvoller Beitrag sein könnte, um hier mehr Gemeinsamkeiten zu erarbeiten.
Im übrigen komme ich zu dem Schluß, der auch im Tindemans-Bericht gezogen wurde, daß es schwieriger ist, viele kleine Schritte zu tun als einen großen, weil hier nationale Egoismen zu überwinden sind. Vielleicht ist dieser große Schritt die Direktwahl für das Europäische Parlament. Vielleicht läßt sich die Zielsetzung einer gemeinsamen europäischen Währung über diesen nächsten Schritt, den der Direktwahlen, eher erreichen. Die Liberalen sind bereit, hier in dieser Richtung zu arbeiten.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen, Herr Dr. Apel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zwei Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Zeitel machen. Ich bin in Brüssel in der Tat über das Ergebnis überrascht gewesen — nicht über die Art und Weise der Verhandlungen; die habe ich ja selber miterlebt —, und zwar deswegen, weil ich persönlich eben nicht der Meinung bin, Herr Kollege Zeitel — hier gibt es einen Unterschied zwischen uns beiden und auch
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15988 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976
Bundesminister Dr. Apelzwischen anderen Rednern des Hauses und mir —, daß es das beste Ergebnis ist, daß Frankreich aus dem Währungsverbund ausgeschieden ist. Es wäre ein besseres Ergebnis gewesen, wenn wir über eine Readjustierung der Kurse den Währungsverbund erhalten hätten. Bei aller Vorsicht, über derartige Verhandlungen hier zu berichten, kann ich doch immerhin so viel sagen, daß wohl auf allen Seiten ein gewisses Verständnis für den Sinn, den Zweck und den Wert des Währungsverbundes gefehlt hat.Im übrigen, Herr Kollege: Bei Ihnen selbst — dies ist meine zweite Bemerkung — findet sich ja auch der Widerspruch. Auf der einen Seite sagen Sie, dies sei ein schwerer Schlag für Europa — ich habe mir das wörtlich mitgeschrieben —, auf der anderen Seite bezeichnen Sie dies als die beste Lösung.
Dies ist ein Widerspruch in sich selbst. Ich sage Ihnen, bei mir bleibt die Meinung bestehen: Der Währungsverbund ist ein wesentliches Element westeuropäischer Integration. Er muß deswegen funktionsfähig gehalten werden. Die Türen für Frankreich — ohne Veränderung der Bedingungen des Währungsverbunds — müssen offenbleiben.Sie haben dann am Ende eine Bemerkung gemacht über die Europapolitik, über die Notwendigkeit, Europa voranzutreiben, um derartigen Schwierigkeiten zu entgehen. Sie meinten hier eine Polemik anschließen zu sollen, von der ich nicht weiß, gegen wen sie sich richtet.
Das ist doch die Stärke dieses Parlaments, daß, solange ich diesem Parlament angehöre, in der Europapolitik keine Meinungsverschiedenheiten gewesen sind. Wir sollten hier auch keine konstruieren.
Nur eines, hochverehrter Herr Kollege Zeitel, bleibt doch wohl bestehen, und da muß ich auch Herrn Kollegen Vohrer etwas von seinem Optimismus nehmen: Ein direkt gewähltes Europäisches Parlament, selbst mit mehr Befugnissen, wird die Auseinanderentwicklung der Volkswirtschaften, die uns so tief beunruhigt, leider nicht ohne weiteres aufheben können.Frau Kollegin Huber, Sie haben mir einige Fragen gestellt. Ich glaube, eine habe ich eben schon beantwortet. Die Schlange — ich bezeichne sie nicht als „Restschlange", denn sie ist wieder das, was sie vorher war, nachdem Frankreich die Schlange verlassen hat — hat für uns einen hohen Stellenwert. Ich habe am Montag mit Herrn Tindemans, der hier viel zitiert wurde, ein langes Gespräch über =die Situation der Währungsschlange nach dem französischen Austritt gehabt. In einem sind wir uns einig geworden: Wenn man sich die wirtschafts- und währungspolitische Szenerie in Europa operativ anschaut, wenn man sich nach Instrumenten umschaut, um die Dinge voranzubringen, um auf mehr Konvergenz der Wirtschaftspolitik, der Finanzpolitik und der Währungspolitik zu drücken, dann bietet sich natürlich die Währungsschlange geradezu an. Dieses darf uns allerdings nicht dazu führen, damit den Mechanismus selbst aufweichen zu wollen.Damit, Frau Kollegin Huber, ist auch schon eine Antwort auf die Frage gegeben, unter welchen Konditionen eine Rückkehr des französischen Franc denkbar wäre: zu einem anderen Wechselkurs in die gleiche Schlange mit den gleichen Funktionsbedingungen.
Dieses ist aber natürlich nicht unser Problem, Herr Kollege Dr. Sprung, und ich sollte dieses hier auch nicht kommentieren.Sie haben dann eine dritte Frage gestellt, Frau Kollegin Huber, und zwar ob man Zahlenreihen habe, wie sich denn wohl die Volkswirtschaften vergleichen. Die Terms of trade haben wir nicht bilateral vorliegen, zumindest habe ich sie nicht hier. Ich will Ihnen aber eine Zahlenreihe nennen, die doch sehr bemerkenswert ist. Wenn Sie die Arbeitsstückkosten — wir nennen sie manchmal auch Lohnkosten, aber der Begriff Arbeitsstückkosten ist umfassender, weil darin auch die Lohnnebenkosten enthalten sind — gleich hundert setzen, so werden sich nach einer Schätzung der OECD diese Arbeitsstückkosten in der Bundesrepublik von 1972 bis 1976 um 28 % erhöht haben, in den USA um 30 %, in Japan um 58 %, in Frankreich um 54 %, in Italien um 85 % und in Großbritannien um 78 %.
Danebengestellt — und die Zahlenreihe will ich nicht vortragen — die Zahlenreihe der Preissteigerungen — bei uns kann man von Preissteigerungen reden, bei den meisten europäischen Partnern muß man von Inflation reden — und noch danebengestellt die Tatsache, daß die D-Mark gegenüber dem französischen Franc eben seit 1972 bis zum Beginn des Floatens um 11 % aufgewertet hat, so hat dies natürlich einen Erwartungshorizont — ökonomisch begründet — geschaffen, der die Entwicklung in die Richtung drängte, in der sie verlaufen ist.Herr Kollege Eigen, auf Sie zu antworten, ist nicht möglich.
Das liegt nicht an meiner intellektuellen Kapazität, sondern an Ihren Ausführungen.
— Wenn man hier in der Rede Kraftmeierei betreibt und im Verlaufe von fünf Minuten sogar einen Ordnungsruf bekommt, dann ist das ja wohl klar.Ich möchte nur einen Satz sagen, hochverehrte Kollegen von der Opposition. Die Agrarpolitik, die Sie schlecht nennen, hat dazu geführt, daß sich die Erzeugerpreise der deutschen Landwirtschaft in zwölf Monaten um 19 % erhöht haben.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976 15989
Bundesminister Dr. ApelDieses ist das Urteil, das Sie über sich selbst gefällt haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Narjes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich nicht mit den Widersprüchen der Koalitionssprecher aufhalten und auch nicht Währungen ins Gespräch bringen, die bisher noch nicht Gegenstand des Gespräches sind, Graf Lambsdorff. Mir scheint eine Reihe von Feststellungen zweckmäßig zu sein:
Erstens. Wir halten es für wünschenswert, den europäischen Währungsverbund, also die sogenannte Schlange, weiterzuführen, zu konsolidieren und, wenn möglich, etwa um die Schweiz zu erweitern. Ihr Entscheidungsverfahren — und damit beziehe ich mich auf die Auseinandersetzung zwischen meinem Kollegen Zeitel und Herrn Minister Apel — war am Wochenende nicht befriedigend. Die Schlange hat ihre Fähigkeit zur Anpassung der Wechselkurse an veränderte ökonomische Daten nicht nachweisen können und diese Entscheidung dem Markt überlassen müssen. Das war nicht befriedigend.
Zweitens. Die sogenannte Schlange muß Ansatzpunkt für künftige europäische Entwicklungen in Richtung auf die Wirtschafts- und Währungsunion bleiben. Wir halten die Europäische Gemeinschaft auf die Dauer nur als Stabilitätsgemeinschaft für lebens- und krisenfest. Ich stimme ausdrücklich dem Kollegen Rapp zu, wenn er sich indirekt von dem Leitartikel der „Frankfurter Rundschau" distanziert, in dem eine Inflationsgemeinschaft befürwortet wurde.
Drittens. Der Austritt Frankreichs ist nur der währungspolitische Ausdruck, ist nur Symptom von wirtschaftspolitischen Entwicklungen, die nicht aufeinander zulaufen, die nicht einmal miteinander Gleichschritt halten, sondern unverändert auseinandergehen, weil die Wirtschaftspolitik nach verschiedenen Prioritäten geführt wird. Da der Währungsverband nur auf der Basis einer homogenen wirtschaftspolitischen Entwicklung der beteiligten Staaten die wünschenswerte Verläßlichkeit eines Systems fester Kurse anbieten kann, waren die Probleme des französischen Franc keine überraschende Entwicklung, zumal der Kurs 1975 ein Prestigekurs und kein Marktkurs war. Die Frage, ob der Preis für diese Rettungsaktion zu hoch war, der Preis des Verlusts von Währungsreserven ebenso wie die Zunahme an Inflationspotential, ist unbeantwortet geblieben, sollte aber geprüft werden.
Viertens. Obwohl die unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Abläufe in den Mitgliedstaaten der EG seit Jahren bekannt und erkannt sind, haben sich die Mitgliedsregierungen — weder allein noch gemeinsam — als stark genug erwiesen, diese Entwicklungen anzuhalten oder gar rückgängig zu machen. Der Mangel an Ernsthaftigkeit, der auch von deutschen Bundeskanzlern mitunterschriebenen Gipfelerklärungen vom Herbst 1972 und vom Herbst 1974 ist von uns wiederholt angeprangert worden. Er ist erneut bestätigt, auch bestätigt in den dürren Feststellungen des vielzitierten Tindemans-Berichts. Europapolitik ist seit Jahren für Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit mißbraucht worden, und es besteht die Gefahr, daß dieser Mißbrauch fortgesetzt wird.
— Herr Kollege von Dohnanyi, in der Zeit der Regierung Brandt hat die Ostpolitik den Vorrang vor
der Europapolitik gehabt — zum Schaden beider —,
und in der Regierung Schmidt ist Ihre Politik durch Mangel an Stetigkeit und eine systematische Verunglimpfung der Institutionen in Brüssel gekennzeichnet.
Fünftens. Es kann nicht übersehen werden, daß zwei Umstände für die gegenwärtige Lage besondere ' Bedeutung gehabt haben. Da ist nicht uninteressant, Herr Bundesfinanzminister, daß Sie bei Ihrer. Ursachenaufzählung den Linksrutsch bei den französischen Kantonalwahlen ebenso wenig erwähnt haben, wie Sie auch nicht erwähnt haben, daß die Gefahr einer Volksfront eine echte Ursache für die Vertrauensminderung gewesen ist.
Ich habe Ihren Ausführungen nicht entnehmen können, wie die Bundesregierung in der EG oder selbständig auf die Gefahr des Abwertungswettlaufs zwischen Pfund, Lira und französischem Franc reagieren will. Wir stehen also in Europa unverändert am Rande des Abgrundes, so, wie es Tindemans beschrieben hat. Wir fordern die Bundesregierung auf, mit einer neuen Qualität ihres politischen Willens zusammen mit ihren Partnern die europäische Integration endlich auf den Weg nach vorne zu führen, wie wir seit Jahren von ihr erwarten, was sie aber nie getan hat.
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft, Herr Dr. Friderichs.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Ich will nur einige Bemerkungen dazu machen — auch bei dem Zwischenruf, den Sie gemacht haben.Es wurde beklagt, der Bundeskanzler und andere hätten mit markigen Worten noch vor wenigen Wochen bestritten, daß es zu Adjustierungen der
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15990 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 229. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. März 1976
Bundesminister Dr. FriderichsWährungen kommen werde. Nun, meine Damen und Herren, mich hätten Sie noch viel kurzfristiger zitieren können. Ich bin in Mainz bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem amerikanischen Finanzminister gefragt worden, wie das aussehe. Ich bitte um Entschuldigung, aber glauben Sie denn ernsthaft, daß ein Mitglied der Regierung öffentlich darüber reden dürfe, daß man die Währungen adjustieren wolle?
Dann hätte ich für den nächsten Tag mit Recht eine von Ihnen beantragte Aktuelle Stunde erwarten können, und zwar mit der Frage: Seit wann heizt die Bundesregierung die Spekulation an? Das ist doch gar keine Frage.
Ich glaube auch — trotz des etwas aufgeregten Klimas —, das dies doch ein Thema ist, das man mit einer gewissen Ruhe behandeln kann
und bei dem alles andere überflüssig ist.Es ist gesagt worden, daß Frankreich beim Wiedereintritt in die Schlange mit einem zu hohen Kurs des Franc eingestiegen sei. Nun, meine Damen und Herren, die Alternative hieße: Sie steigen gar nicht ein.
— Ich bitte um Entschuldigung. Wenn Sie, Herr Sprung, an den Verhandlungen beteiligt waren, dann können Sie das ja darlegen.Was ich jetzt sage, ist sicher undiplomatisch, aber ich sage es gleichwohl. Wir wissen doch, daß es Regierungen in der Welt gibt, bei denen außer den ökonomischen auch andere Motivationen eine entscheidende Rolle spielen — ich glaube, jeder wird verstanden haben, was ich jetzt gesagt habe —, insbesondere bei der Frage — —
— Herr Breidbach, ich will Ihnen etwas sagen. Wenn Sie auf dieses Problem in dieser Form, lächelnd und süffisant, reagieren, dann weiß ich nicht, wie es mit Ihrem Ernst um die derzeitige Lage bestellt ist. Lassen Sie mich das einmal in aller Deutlichkeit sagen.
Herr Abgeordneter Narjes hat sich mit einigen politischen und wirtschaftspolitischen Fragen befaßt, die damit zusammenhängen. Er sagte sinngemäß — ich hoffe, ich gebe es richtig wieder —, die Bundesregierung habe es nicht vermocht, diese Entwicklung zu bremsen; er meinte das Auseinanderlaufen der ökonomischen Bedingungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Nun, meine Damen und Herren, was heißt hier „vermocht"? Nirgendwo im EG-Vertrag steht geschrieben, daß die Regierung in Bonn entscheidet, was in Italien passiert.
Wir haben harte Gespräche, und ein hartes Ringen — ob mit Herrn Colombo, ob mit Herrn Fourcade, ob mit Herrn D'Ornano — in einer Fülle von ökonomischen Fragen gehabt; das beginnt bei der Vorbereitung der UNCTAD-Konferenz im Rahmen des jetzigen Nord-Süd-Dialogs. Aber eines muß man doch auch respektieren: daß die anderen Mitgliedstaaten auch ihre binnenwirtschaftlichen und ihre binnenpolitischen Gesichtspunkte berücksichtigen. Sie werden eben Italiener und Franzosen nicht zwingen können, etwas zu tun, was zwar ökonomisch richtig ist, wozu sie aber aus binnenwirtschaftlichen oder binnenpolitischen Gründen ganz einfach nicht bereit sind.Herr Abgeordneter Narjes, Sie sagten sinngemäß, wir hätten sie zwingen müssen. Ich bin der Meinung, der beste Zwang oder der einzige Zwang, den Sie haben, ist in diesem Falle ein indirekter: indem Sie sich deren Politik einer hingenommenen Instabilität nicht anschließen und indem Sie sie über eine eigene Stabilisierungspolitik zwingen, sich am Ende diesen Methoden anzupassen.
Es ist doch kein Geheimnis, daß Herr Kollege Apel und ich in Brüssel oft genug als die Störenfriede dargestellt worden sind — soweit sind wir doch gekommen; lesen Sie die französische Presse! —, weil die anderen gesagt haben: Ihr seid die einzigen, die noch abweichen; wir anderen haben alle einen relativen europäischen Gleichschritt gefunden. Wir waren nicht bereit, dies zu tun.Ich habe in den Debatten hier mehrfach gesagt: Es kann eine Anpassung der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik an das Gebaren einiger Mitgliedsländer nicht geben, weil das keine Anpassung wäre, sondern weil das nach unserer Überzeugung eine Fehlentwicklung in Europa beschleunigen würde. Unsere Möglichkeit besteht darin, in Verhandlungen — soweit sie von Erfolg gekrönt sind — und indirekt durch die eigene Politik die anderen schlicht und einfach auf Dauer zu zwingen, sich anzupassen. Darüber sollten wir uns klar sein — bei allem Bedauern aus integrationspolitischen Gründen.Die Kursfreigabe ist natürlich schon ein indirekter Zwang zu politischen Aktionen. Es ist keine Frage, der Kurs ist nicht das Instrument der Politik, sondern er ist die Resultante aus ökonomischen Faktoren, wenn ich einmal kurzfristige Bereiche ausklammere.Meine Damen und Herren, ich wundere mich, daß die Opposition dies heute hier so vorträgt. Denn hätten wir die Politik gemacht, die Sie uns zwei Jahre lang unterstellt haben, dann stünden wir heute allerdings nicht hier, dann wären wir im Gleichschritt.
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Bundesminister Dr. Friderichs— Ich rede von der Politik, die Sie uns unterstellt haben. Die Tatsache, daß die D-Mark die einzige Währung ist, die permanent in einem bestimmten Verdacht stand, zeigt doch wohl, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht nur die niedrigsten Zuwachsraten bei den Lohnstückkosten hatte, die Herr Kollege Apel angeschnitten hat, sondern daß sie auch in der Lage war, im Preisniveau die größte relative Stabilität zu halten.
Ich will zum Export nur noch eine Bemerkung machen. Man muß ja immer sehen: Geht es schlechter, oder ist es besser gegangen, als eigentlich ökonomisch richtig war? Ich will nur zwei Zahlenpaare nennen. Einmal: Wir hatten im vierten Quartal 1975 einen Zuwachs des Exportes in alle Industrieländer von 16,5 %; in demselben Quartal hatten wir einen Zuwachs des Exportes nach Frankreich von 22,5 %. Zum anderen: Wir haben im Januar 1976 eine Zunahme unserer Exporte in alle Industrieländer von 4 % gehabt; die Zunahme der Exporte nach Frankreich betrug 15,5 %.Auch solche Zahlen dürfen in dieser Debatte, die sehr sachlich geführt werden kann, weil es um ökonomische Fakten geht, nicht unterschlagen werden.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir sind am Ende der Aktuellen Stunde angelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Donnerstag, den 18. März 1976, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.