Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
In der vergangenen Woche ist Mittelamerika, hauptsächlich die Republik Guatemala, von mehreren außerordentlich starken Erdbeben heimgesucht worden, die sich gestern wiederholt haben. Die Katastrophe hat verheerende Ausmaße angenommen.Mit Erschütterung haben wir die Berichte über die hohe Zahl der Opfer und Betroffenen, über den Umfang der Zerstörung und über die daraus entstandene Notlage aufgenommen. Noch konnte die Zahl der ums Leben Gekommenen nicht vollständig ermittelt werden, doch ist zu befürchten, daß sie mehr als 18 000 Menschen beträgt. Ein Vielfältiges beträgt die Zahl der Verletzten und Obdachlosen.Darum verdienen die Spendenaufrufe der deutschen und internationalen Hilfsorganisationen große Aufmerksamkeit, Unterstützung und Beachtung. Dem so schwer betroffenen Volk von Guatemala, seinem Parlament und seiner Regierung spreche ich namens des Deutschen Bundestages meine tief empfundene Anteilnahme aus.Ich danke Ihnen.Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Vermittlungsausschuß hat in seiner Sitzung am 10. Februar 1976 das vom Deutschen Bundestag am 24. Oktober 1975 beschlossene Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften bestätigt. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/4727 verteilt.Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 23. Januar 1976 die Bekanntmachung zur Empfehlung des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens über gegenseitige Verwaltungshilfe; hier: Antworten der Mitgliedstaaten Malawi, Thailand und Tunesien gemäß § 46 Absatz 2 des Deutschen Auslieferungsgesetzes übersandt. Sein Schreiben liegt im Archiv zur Einsichtnahme aus.Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes— Drucksache 7/4128 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/4729 — Berichterstatter:Abgeordneter Hauser
bb) Bericht und Antrag des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform— Drucksache 7/4696 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Eyrich Abgeordneter Dr. Bardens
b) Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Gesetzes zur Reform des Strafrechts— Drucksache 7/4211 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/4729 — Berichterstatter:Abgeordneter Hauser
bb) Bericht und Antrag des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform— Drucksache 7/4696 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Eyrich Abgeordneter Dr. Bardens
Das Wort hat der Herr Berichterstatter Dr. Bardens.
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15320 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie, daß ich den schriftlichen Bericht nur mit einigen Bemerkungen noch ergänze.
Im Ausschuß hat die Diskussion über die Vorschriften, die die Pflichten der Ärzte betreffen, verständlicherweise sehr breiten Raum eingenommen. Ein wesentliches Ziel der anstehenden Gesetzgebung ist es ja, der schwangeren Frau in einer zunächst vielleicht nur subjektiv empfundenen Konfliktsituation den Weg zum Arzt zu erleichtern, ja überhaupt erst zu öffnen.
Dieses Ziel ist aber nur erreichbar, wenn der Arzt nicht nur berät — so wichtig das ist; das soll ganz im Vordergrund all dessen stehen, was wir durch das neue Gesetz einleiten wollen —, sondern wenn er auch berechtigt und verpflichtet ist, zu entscheiden und zu handeln. Damit kommen aber auf die Ärzte grundsätzlich keine neuen Pflichten zu. Ihre Aufgabe ist es überhaupt, Leben zu erhalten und Leiden zu lindern, dabei aber auch Konflikte lösen zu helfen, die die Gesundheit und die Würde des individuellen Lebens beeinträchtigen. Sie dürfen nur mit Einwilligung ihrer Patienten handeln; bei ihrer Arbeit haben sie sich an die Regeln der ärztlichen Kunst zu halten und dürfen nicht gegen die Normen sittlicher Konventionen verstoßen.
Diese Regeln entsprechen nicht nur tradiertem beruflichen Selbstverständnis, sie sind auch im ärztlichen Standesrecht und in der Bundesärzteordnung niedergelegt. Jahrzehntelange Rechtsprechung hat die einschlägigen Strafrechtsvorschriften ausgelegt, weiter präzisiert und für die Praxis weiterentwikkelt. Hinzu kommt, daß die Approbation nicht nur zur ärztlichen Berufstätigkeit ermächtigt, sondern auch den Charakter eines öffentlichen Auftrags für diesen Beruf hat.
Die Kenntnis all dieser Bedingungen und das Vertrauen auf die Gewissenhaftigkeit der Ärzte haben die Ausschußmehrheit veranlaßt, darauf zu verzichten, eine besondere staatliche Ermächtigung für einige wenige Ärzte vorzusehen, die berechtigt sein sollten, schwangere Frauen im Sinne des § 218 b zu beraten oder nach § 219 Indikationen festzustellen. Wir wollen nach Möglichkeit alle Ärzte in diese Arbeit mit einbeziehen.
Allerdings muß auch mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß einzelne Ärzte gegen Vorschriften des Gesetzes verstoßen. Für solche Fälle ist während der Beratung in § 219 eine neue Vorschrift als Abs. 2 eingefügt worden, die es den zuständigen Behörden ermöglicht, einem Arzt zu untersagen, Indikationen für einen Schwangerschaftsabbruch festzustellen, wenn er im Zusammenhang mit einem Schwangerschaftsabbruch eine rechtswidrige Tat begangen hat. Die Bundesärzteordnung sieht nur die Möglichkeit des vollständigen Entzugs der Approbation vor. Wir meinen, daß die in § 219 jetzt vorgesehene Beschränkung der Approbation das verhältnismäßigere Mittel sei. Außerdem hielten wir es für notwendig, eine Strafvorschrift aufzunehmen, die sich gegen solche Ärzte richten soll, die wissentlich eine falsche Bescheinigung über das Vorliegen einer Indikation zum Schwangerschaftsabbruch ausgestellt haben.
Unterschiedliche Auffassungen gab es auch zu der Frage, ob Ärzte auch für die Beratung über öffentliche und private Hilfen für Schwangere, Mütter und Kinder zuständig sein sollten, ob sie hier beraten dürften. Ärzte, so wurde von einigen Mitgliedern des Ausschusses gesagt, seien weder von ihrer Ausbildung her noch bei der Art ihrer üblichen Berufsausübung geeignet, auch soziale Beratung zu betreiben. Dabei wurde offenbar übersehen, daß soziale und medizinische Beratung in weitaus den meisten Fällen so eng miteinander verzahnt sind. daß sie als eine Ganzheit gesehen werden müssen, daß man sie nicht so trennen kann, daß im Gegenteil von uns eigentlich gefordert und gefördert werden muß, daß ärztliche Beratung zugleich immer auch soziale Beratung sein kann. Die Ausschußmehrheit wollte eben ein möglichst breites Beratungsangebot sicherstellen und deshalb auch diejenigen Ärzte mit einbeziehen, die sich bereit finden, mitzuwirken. Viele Hausärzte sind für ihre Patienten doch die eigentlichen Sozialmediziner, die man gerade von dieser Art der Hilfe nicht ausschließen darf. Im übrigen kann und soll ja durch die entsprechenden Vorschriften des § 218 b niemand verpflichtet sein, über soziale Hilfen zu beraten, wenn er sich dazu nicht in der Lage sieht.
Die Gründe, die den Ausschuß veranlaßten, auf die Aufnahme einer Vorschrift über den Ersatz der Einwilligung bei nicht einwilligungsfähigen Schwangeren in dieses Gesetz zu verzichten, sind im schriftlichen Bericht ausführlich dargelegt. Ich will hier nur noch so viel dazu sagen: Alle Mitglieder des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform waren sich darin einig, daß dieser Komplex so bald als möglich an anderer Stelle des Strafgesetzbuches geregelt werden muß, und zwar im Rahmen des sogenannten Arztstrafrechts, weil Vorschriften über die Einwilligung durch den Patienten für den ganzen Bereich ärztlicher Heilmaßnahmen überhaupt anwendbar sein müssen.
Ich spreche sicher im Namen fast aller Ausschußmitglieder, wenn ich hier feststelle, daß wir die Hoffnung und auch das Vertrauen haben, daß die Ärzteschaft durch ihre Mitarbeit für eine korrekte und menschenwürdige Praxis sorgen wird. Es geht darum, ungeborenes Leben zu schützen, aber auch darum, geborenes Leben lebenswert zu halten.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Vogel .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn der Deutsche Bundestag heute abschließend über die Neuregelung der Abtreibungsbestimmungen entscheidet, verbindet sich damit für viele eine herbe Enttäuschung. Die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1975 eröffnete seltene Chance, auf einer breiten parlamentarischen Grundlage ein neues Gesetz zu erarbeiten, ist nicht genutzt worden. Wohl hat es in einzelnen Fragen eine Annäherung der Standpunkte gegeben, was
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Vogel
nach der Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts auch zwangsläufig war. Auch wird die Diskussion inzwischen sachbezogener geführt als noch vor einigen Jahren. Das Bundesverfassungsgericht hat einen wertvollen Beitrag dazu geleistet, außerhalb der parteipolitischen Interessenlage zur Sache selbst zurückzulenken.Aber zu einem wirklich ernsthaften Versuch, ein Gesetz zu schaffen, das von einer breiten parlamentarischen Mehrheit verabschiedet werden könnte, haben die Anstöße zu einem stärkeren Bemühen um mehr Gemeinsamkeit nicht geführt. Wir von der CDU/CSU bedauern das sehr. Das gilt vor allem für diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die sich seit Jahren engagiert an der Diskussion beteiligt haben.Ich bin mir sehr wohl bewußt, daß ein breit angelegter Kompromiß auch seine erheblichen Probleme hätte und vor allem eine Zumutung für viele Abgeordnete, gerade für diejenigen Abgeordneten darstellen würde, für die es sich um eine besonders ernste Gewissensfrage handelt. Zu unterschiedlich sind die ethischen und moraltheologischen Grundpositionen. Ein Gesetz, das für eine breite Mehrheit zustimmungsfähig wäre könnte niemanden recht zufriedenstellen. Das liegt in der Natur eines breit angelegten Kompromisses. Aber auch die wohltuende Befriedungswirkung einer breiten Parlamentsmehrheit in einer so leidenschaftlich umstrittenen Frage kann nicht hoch genug veranschlagt werden.
Ihr entsprochen zu haben hätte der Entscheidung dieses Hohen Hauses gewiß einen hohen sittlichen Rang verliehen. Sie hätte nicht zuletzt die Tragfähigkeit der elementaren Grundwertordnung unserer Verfassung demonstriert.So aber stehen wir zu unserem großen Bedauern vor der Situation, daß die Frontstellungen, die seit Jahren die Diskussion belastet haben, im Grunde genommen geblieben sind. Von ihren grundsätzlichen Überzeugungen her können die Abgeordneten der CDU/CSU dem vorliegenden Gesetzentwurf der Koalition nicht zustimmen.
Wir haben einen von einer sehr großen Mehrheit unserer Fraktion verabschiedeten eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, der nach unserer Auffassung eine gute Grundlage für gemeinsame Bemühungen um ein besseres Gesetz darstellt. Deshalb verbinden wir mit unserem Nein zum Koalitionsentwurf die nochmalige Aufforderung, unseren Entwurf heute nicht, wie es der Strafrechtssonderausschuß vorschlägt, für erledigt zu erklären, sondern auf seiner Grundlage den Versuch zu unternehmen, die Gegensätze doch noch zu überbrücken.Die heutige Aussprache gibt Gelegenheit, noch einmal die Grundpositionen aufzuzeigen, von denen aus nach unserer Auffassung eine Neuregelung des § 218 des Strafgesetzbuches zu erfolgen hat. Es muß immer wieder ins volle Bewußtsein gerückt werden, daß es bei der Frage nach der Strafbarkeit der Abtreibung um nicht mehr und nicht weniger als um das Lebensrecht des Ungeborenen geht, das prinzipiell dem Lebensrecht des Geborenen gleichgestellt ist und dem Ungeborenen, wie das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich klargestellt hat, jedenfalls von dem Zeitpunkt an zuerkannt ist, zu dem die Einnistung des befruchteten Eis in die Gebärmutterschleimhaut abgeschlossen ist. Das ist der 14. Tag nach der Empfängnis.Das Recht auf Leben gehört zu den elementaren Grundrechten unserer Rechtsordnung, ja, das Leben ist das elementarste Rechtsgut überhaupt. Es ist die konstitutive Bedingung aller anderen Grundrechte. Es ist sogar, wie mein Kollege Paul Mikat hier am 26. April 1974 eindrucksvoll belegt hat, konstitutiv für die Entfaltung der Menschenwürde, deren Unantastbarkeit Art. 1 unseres Grundgesetzes an die Spitze der in den Grundrechten verkörperten objektiven Wertordnung gestellt hat. Jede Neuregelung des § 218 muß diesem hohen Rang des Rechts auf Leben gerecht werden.Der Basiskonsens in dieser Frage ist unabdingbare Voraussetzung für jedwede Diskussion über die Einzelheiten einer rechtlichen Regelung der Strafbarkeit der Abtreibung. Es muß klar bleiben, daß eine Freistellung der Tötung eines Ungeborenen von der grundsätzlichen Strafbarkeit unter bestimmten Voraussetzungen immer nur die Ausnahme sein kann und daß die gesetzliche Beschreibung dieser Ausnahmen nicht zu einer unerträglichen Relativierung des Elementarrechts auf Leben führen darf.
Wir sind allen denen zu tiefstem Dank verpflichtet, die uns in der heutigen Situation unverfälscht darauf und damit auf unsere hohe Verantwortung hinweisen.
Wenn die Kirchen beispielsweise immer wieder — auch noch einmal in Verlautbarungen der letzten Tage — für das Recht der Ungeborenen auf Leben eintreten, dann lassen sich derartige Mahnungen nicht mit der Verweisung in den Bereich spezifisch religiös-ethischer Wertvorstellungen abtun,
die sich nicht unmittelbar und ohne weiteres in die staatliche Rechtsordnung übernehmen ließen.
Wenn die Kirchen für das Recht der Ungeborenen auf Leben eintreten, treten sie als freie Kräfte unserer Gesellschaft für unsere elementare Grundwertordnung ein. Dafür, meine Damen und Herren, gebührt ihnen Dank und nicht Tadel —
auch dann, wenn diejenigen, denen das Gefühl für die Rangordnung der Werte im Rahmen der objektiven Wertordnung des Grundgesetzes verlorengegangen ist, die Mahnungen der Kirchen als unbequem empfinden und ihnen mit dem Geist der Intoleranz entgegenzutreten versuchen.
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Die Kirchen sehen ihre Aufgabe nicht darin, jedermann zu gefallen, sondern darin, immer wieder erneut auf die Wahrheit zu stoßen und insbesondere unbequeme Wahrheiten immer wieder laut und deutlich auszusprechen.
Auch der Gesetzgeber hat angesichts einer Bewußtseinsentwicklung in der Bevölkerung, die zur Folge hat, daß in einem Teil der Bevölkerung der Wert des ungeborenen Lebens nicht mehr voll erkannt wird, kein Recht zur Resignation. Ich halte es in diesem Zusammenhang für notwendig, noch einmal mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß die am 26. April 1974 von Bundesminister Professor Maihofer im Bundestag vertretene Auffassung, es gehe darum, den Vorrang — ich zitiere —des aus der Menschenwürde fließenden Selbstbestimmungsrechtes der Frau gegenüber allem anderen, auch dem Lebensrecht des Kindes, für eine bestimmte Frist herauszustellen,vom Bundesverfassunggericht als mit der grundgesetzlichen Wertordnung nicht vereinbar verworfen worden ist.
Der Gesetzgeber muß sich hüten, diese mit der These vom angeblichen Wandel der Wertüberzeugungen begründete und zur rechtsphilosophischen Untermauerung der verfassungswidrigen Fristenregelung gebildete Auffassung durch die Hintertür doch wieder in die Regelung einer Indikationslösung einfließen zu lassen.
Unser Eindruck hat sich bestätigt, daß sich innerhalb der Koalition diejenigen Kräfte durchgesetzt haben, die weniger dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gerecht werden wollten als vielmehr bestrebt gewesen sind, hinter der Fassade eine Indikationsregelung gerade diejenigen Elemente der Fristenregelung durchzusetzen, die das Gericht zu deren Ablehnung veranlaßt haben.
In der Sprachregelung der Koalition wird das als das „redliche" Bemühen ausgegeben, alle Möglichkeiten, die das Urteil des Gerichts belasse, „voll auszuschöpfen". Dieses „volle Ausschöpfen" entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine risikoreiche Operation an den Rändern des verfassungsrechtlich Zulässigen entlang. Auch unparteiliche Kritiker wie beispielsweise der Deutsche Richterbund bezeichnen deshalb den Koalitionsentwurf als verkappte Fristenlösung.Einer der in den Debatten immer wiederkehrenden Punkte ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Frau auf der einen und dem Lebensrecht des Ungeborenen auf der anderen Seite. Ich möchte an eine Äußerung des Kollegen von Schoeler in der ersten Lesung der heute zur Beratung anstehenden beiden Gesetzentwürfe am 7. November 1975 anknüpfen. Herr von Schoeler hat damals gesagt:dieses Urteil des Verfassungsgerichts droht einen Zustand festzuschreiben, in dem über die Frauen in ihrem ureigensten Bereich wie seit Jahrhunderten und Jahrtausenden immer wieder nur andere — seien es nun Richter, Staatsanwälte oder Ärzte — entscheiden.Ähnlichen Äußerungen ist man in den Diskussionen über § 218 immer wieder begegnet. — Im übrigen ist dieses Argument inhaltlich gar nichts anderes als die vom Verfassungsgericht als mit dem Grundgesetz unvereinbar verworfene, oben bereits behandelte Auffassung des Herrn Kollegen Maihofer.Ich verkenne gar nicht, daß diese Art zu argumentieren eine nicht zu unterschätzende Faszination insbesondere auf die ja in erster Linie betroffenen jüngeren Frauen ausübt, vor allem wenn sie in einen unmittelbaren Zusammenhang mit den Fragen der Emanzipation der Frau gebracht wird. Diese Auflehnung des Menschen gegen die Bindung an Instanzen außer ihm oder gar über ihm ist ein weitverbreitetes Wesensmerkmal des modernen Menschen. Insoweit wirken natürlich die geistigen Strömungen der Französichen Revolution kräftig weiter, wenn es auch — bei allem emanzipatorischen Eifer — wohl keinen Menschen geben dürfte, der sich in der Praxis seiner eigenen Lebensgestaltung von allen Bindungen außer ihm befreit hätte.Wir dürfen das Eintreten vieler junger Frauen für die grundsätzliche Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts in der Frage der Abtreibung auch keineswegs dahin mißverstehen, daß sie für sich selbst die tatsächliche Entscheidung für eine Abtreibung anstreben.
Die Erfahrung vieler Diskussionen hat mich vom Gegenteil überzeugt. Immer wieder ist mir gesagt worden, man würde sich persönlich gegen die Abtreibung entscheiden. Das ist eine Frage, die die Frauen sehr tief im emotionalen Bereich anspricht und deshalb den Zugang zu den Gründen erschwert, die zu einer prinzipiellen Ablehnung des Bestimmungsrechts der Frau hinsichtlich des Lebens des Ungeborenen vorzubringen sind. Niemand kommt an der Tatsache vorbei, daß schon der ungeborene Mensch eine eigene Individualität und dementsprechend ein eigenes Lebensrecht auch im Verhältnis zu seiner Mutter hat, in deren Leib er beschützt heranwächst.Die Zuerkennung der Menschenrechte auch an den noch ungeborenen Menschen gehört zu den ganz großen kulturellen Errungenschaften in dem Bemühen um die Ausformung der Menschenrechte. In der deutschen Rechtsgeschichte hat sie eine große Tradition. Zu den bedeutenden juristischen Leistungen der deutschen Aufklärung gehört jene Bestimmung des Preußischen Allgemeinen Landrechts, die lautet:Die allgemeinen Rechte der Menschheit gebühren auch den noch ungeborenen Kindern schon von der Zeit der Empfängnis.Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1975 steht voll und ganz in dieser
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deutschen Rechtstradition der Neuzeit. Mancher Kritiker dieser Entscheidung sollte sich das ins Bewußtsein rufen. Ihre Relativierung würde einen Rückfall in die Vorstellungswelt barbarischer Vorzeiten darstellen, deren Denken noch nicht vom naturwissenschaftlich-medizinischen Fortschritt erhellt war und deshalb den Embryo noch als einen Teil des mütterlichen Leibes ansah. Mit Recht hat mein Kollege Paul Mikat hier ausgeführt, daß alle Versuche, dem Embryo die Individualität im Rechtssinne abzusprechen, als Akte kultursoziologischer Rebarbarisierung einzustufen seien. Es ist deshalb falsch und zutiefst irreführend, wenn derartig oberflächlich, wie geschehen, vom „ureigensten Bereich der Frauen" geredet wird.
Die Zuerkennung der Individualität im Rechtssinne an den Embryo macht aber unausweichlich die Abtreibung zu einem Akt der Fremdbestimmung. Ein Fremdbestimmungsrecht zum Töten kennt unsere Rechtsordnung nicht und kann es nach der objektiven Wertordnung unserer Verfassung nicht geben.
Völlig konsequent hat das Bundesverfassungsgericht dementsprechend entschieden, daß die Verpflichtung des Staates, das sich entwickelnde Leben in Schutz zu nehmen, grundsätzlich auch gegenüber der Mutter besteht. Die Bestimmung der Ausschußvorlage, die eine weitgehende generelle Straffreiheit der Frau vorsieht, ist schwerlich damit in Einklang zu bringen.Wenn somit ein Recht der Frau zur Entscheidung über die Tötung ihres ungeborenen Kindes von unserer Rechtsordnung nicht anerkannt werden kann, so besagt das dennoch nicht, daß die Behauptung zutrifft, wonach über die Frauen in ihrem ureigensten Bereich immer wieder nur andere entscheiden. Immer ist unverzichtbare Voraussetzung auch für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch, daß die Frau selbst darin einwilligt. Darin kommt deutlich zum Ausdruck, daß zuallererst die Frau selbst berufen ist, ihr ungeborenes Kind in seinem Lebensrecht zu schützen. Sie hat das Erstentscheidungsrecht. Nur da, wo sie sich persönlich gegen das Lebensrecht ihres Kindes entscheidet, ergibt sich dann die Frage, welche Folgerungen daraus zu ziehen sind, und bedarf es zu dieser Entscheidung der Mitwirkung von Dritten. Insoweit ist es dann aber auch eine Frage der Einbindung des Selbstbestimmungsrechts der Frau in das allgemeine Lebensrecht.Das wohl wertvollste Ergebnis der jahrelangen Auseinandersetzungen über eine Neuregelung des § 218 des Strafgesetzbuches ist die Erkenntnis, daß der Beratung der Schwangeren mit dem Ziel, sie zu einer Entscheidung für die Austragung ihres Kindes zu führen, eine überragende Bedeutung zukommt. In kaum einer Diskussion fehlt der Hinweis auf die Not von Frauen, denen geholfen werden müsse und die man nicht in die Illegalität treiben dürfe. Wer wollte übersehen, wie viele Frauen, wenn sie schwanger geworden sind, sich in ihnen hart ankommenden, notvollen Situationen befinden? Die nachhaltigste Hilfe, die ihnen angeboten werden kann, sind voll funktionsfähige Beratungsstellen. Die überzeugendste Bewahrung ihrer Menschenwürde liegt darin, daß sie sich nach Inanspruchnahme der Hilfen einer Beratungsstelle für das Lebensrecht ihres Kindes entscheiden können.Deshalb legt die CDU/CSU in ihrem Entwurf so großen Wert auf das Angebot qualitativ hervorragender Beratungsstellen und eine umfassende Beratung der Schwangeren. Wer glaubt, diese von uns angesprochenen Beratungsstellen mit dem negativen Etikett „Belehrungsstellen" belegen zu können,
beweist nur ein niedriges moralisches Niveau in seiner Argumentation.
— Ich darf wiederholen: Wer glaubt, diese von uns angesprochenen Beratungsstellen mit dem negativen Etikett „Belehrungsstellen" belegen zu können, beweist nur ein niedriges moralisches Niveau in seiner Argumentation.
Uns bestürzt geradezu die nachlässige Behandlung der Beratung in der Koalitionsvorlage, eine Behandlung, die sie zu einem eher formalen Erfordernis für das Übergehen zum Indikationsfeststellungsverfahren entwertet, sie sozusagen zum formalen Zulässigkeitserfordernis für das Indikationsfeststellungsverfahren umgestaltet und mit diesem zu einer Verfahrenseinheit zusammenzieht. Nur eine saubere Trennung des Beratungsverfahrens vom Indikationsfeststellungsverfahren räumt der Beratung den hohen Stellenwert ein, der ihr nach unserer Auffassung zukommt.Die schwierigste Aufgabe, vor der der Gesetzgeber steht, ist die Frage, wie er einerseits dem Anspruch des ungeborenen Kindes auf sein Leben höchstmögliche Geltung verschaffen, andererseits die inhaltlichen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen regeln kann, die erfüllt sein müssen, wenn eine Abtreibung keine Strafsanktion nach sich ziehen soll. Es ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen Norm und Ausnahme. Im Rahmen der dem Gesetzgeber aufgegebenen Indikationsregelung ist es zuerst die Frage, ob dem klassischen Prinzip der Rechtsgüterabwägung oder dem Prinzip der Zumutbarkeit gefolgt werden soll.Neben die Frage, nach welchen Kriterien die Konflikte gelöst werden sollen, in denen sich eine schwangere Frau befinden kann, tritt die Frage, wie der einzelne Abgeordnete die Konfliktsituation lösen will, in der er sich selbst als Gesetzgeber befindet. Angesichts des Entscheidungsspielraumes, den das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bei der inhaltlichen Ausgestaltung einer Indikationsregelung eingeräumt hat, steht jeder einzelne Ab-
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geordnete vor der schwierigen Gewissensfrage, wie weit er seine persönlichen religiös-ethischen Wertvorstellungen unter den Bedingungen des modernen, religiös-weltanschaulich neutralen Staates in staatliches Recht umzusetzen versuchen muß oder darf. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist das zentrale Kriterium für die Fälle, in denen der Gesetzgeber eine Indikation anerkennen kann, die Unzumutbarkeit, bei der billigerweise die Fortsetzung der Schwangerschaft unter Androhung einer Strafsanktion nicht erwartet werden kann.Neben der medizinischen Indikation im herkömmlichen Sinne sind die selbständige kriminologische und die selbständige eugenische Indikation bereits geltendes Recht. In den Fällen der Gefahr einer schwerwiegenden Notlage ist den Gerichten die Befugnis eingeräumt, von einer Bestrafung wegen Abtreibung abzusehen. Das beinhaltet — jedenfalls in der tatsächlichen Auswirkung — eine Absage an das klassische Prinzip der Rechtsgüterabwägung, bei dem es um die Konkurrenz jeweils vergleichbarer Rechtsgüter geht.Da es unserem religiös-weltanschaulich neutralen Staat einerseits verwehrt ist, spezifische religiösethische Wertvorstellungen unmittelbar und ohne weiteres in die staatliche Rechtsordnung zu übernehmen, es andererseits im Rahmen der vom Bundesverfassungsgericht belassenen Entscheidungsmöglichkeiten nicht um das Eintreten für unsere elementare Grundwertordnung, sondern um unterschiedliche, aber damit vereinbare Gestaltungsmöglichkeiten geht, hat sich die große Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion zu einem Gesetzesvorschlag entschlossen, der den Entschließungen des 76. Deutschen Ärztetages aus dem Jahre 1973 folgt und nach unserer Auffassung sowohl dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes als auch den Belangen der Schwangeren in angemessener Ausgewogenheit Rechnung trägt.Die umfassende, die verschiedenen Indikationsbereiche einbeziehende medizinische Indikation der Vorschläge des Deutschen Ärztetages folgt der Erkenntnis, daß der Arzt auf der Grundlage einer ganzheitlichen medizinischen Beurteilung zu seiner Entscheidung gelangen wird. Wichtig ist dabei, daß das Verfahren der Indikationsfeststellung so weit wie möglich gewährleistet, daß eine wirklich verantwortliche ärztliche Entscheidung getroffen wird. Ein diesen Anforderungen gerecht werdendes Verfahren sieht unser Entwurf vor.Meine Damen und Herren, wir betrachten es als einen erfreulichen Fortschritt, daß sich auch die Fraktionen der SPD und der FDP dazu durchgerungen haben, von den Entschließungen des 76. Deutschen Ärztetages auszugehen. Leider haben sie sich nicht zu der Konsequenz entschließen können, die Bereiche der kriminologischen, eugenischen und sozialen Indikation eindeutig in eine umfassende, übergreifende medizinische Indikation einzubinden.Als einen ausgesprochenen Rückfall in die Vorstellungen der Fristenlösung sehen wir das von SPD und FDP vorgeschlagene Indikationsfeststellungsverfahren an. Dieses erlaubt jedem Arzt — ohne Rücksicht auf seine Qualifikation und Kompetenz —,das Vorliegen der Voraussetzungen eines straffreien Schwangerschaftsabbruchs festzustellen. Damit wird dem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet. Es steht zu befürchten, daß bald auch bei uns das große Geschäft mit der Abtreibung beginnt und Abtreibungskliniken wie in anderen Ländern entstehen. Mit dieser Verfahrensregelung kassiert die Koalition den Tribut, den sie vorne bei der Regelung der Indikationstatbestände der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zollt, hinten wieder ein.Sie werden Verständnis dafür haben, daß wir einem solchen Gesetz nicht zustimmen können. Wir fordern Sie nochmals auf, auch Ihrerseits dieses Gesetz nicht zu verabschieden und die Beratungen auf der Grundlage unseres Gesetzentwurfes fortzusetzen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Schoeler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir stehen heute am Ende einer langen und mit Leidenschaft geführten Debatte. Ich bedaure es, daß am Ende dieser Debatte von Ihnen, Herr Kollege Vogel, die hohen Worte von dem hohen Rechtsgut des ungeborenen Lebens und die hohen Worte von der Notwendigkeit der Strafandrohung und die großen Worte gegen das Selbstbestimmungsrecht, die bisher dazu herhalten mußten, den § 218 StGB zu rechtfertigen, nun dazu verwendet werden, eine Regelung zu begründen, die den legalen Weg für die Frauen so erschweren würde, daß die Frauen ihn nicht annehmen würden, und die damit alle unsere Überlegungen zunichte machen würde.Wenn alle, die sich heute zur Notwendigkeit der Reform des § 218 bekennen, dies schon früher getan hätten, dann wären wir sicherlich schon vor langer Zeit zum Abschluß dieser Debatte gekommen. Dann wäre der Paragraph früher weggefallen, der wie kein anderer Not und Elend geschaffen hat und der dazu geführt hat, daß über die Frauen — und ich wiederhole es, Herr Kollege Vogel — in ihrem ureigensten Bereich immer wieder andere, Richter, Staatsanwälte, Ärzte, entschieden haben, der seit über 100 Jahren dazu geführt hat, daß Frauen in verzweifelten Situationen mit Strafe bedroht worden sind, während es notwendig gewesen wäre, ihnen mitmenschlichen Rat und soziale Hilfe zu geben. Seit über 100 Jahren hat dieser Paragraph in der Praxis doch vor allem die sozial weniger gut gestellten Frauen bedroht. Er hat den Abtreibungstourismus nicht verhindern können.Dieser Paragraph — das muß heute am Ende dieser Debatte wieder gesagt werden — war und ist bankrott. Er hat nicht nur zur Demütigung und Erniedrigung zahlreicher Frauen geführt. Er hat dazu geführt, daß über 20 000 deutsche Frauen jährlich heute im Ausland abtreiben lassen. Er hat auch keine Frau und er hat auch kein Kind geschützt. Die Zahl del illegalen Eingriffe, mindestens 80 000, vielleicht 300 000 im Jahr, beweist dies. Er hat nur
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von Schoeleruns, die Gesellschaft, davor geschützt, sich mit der Not, mit den Problemen und mit den Gründen der Frauen auseinanderzusetzen und Hilfe zu geben.Die Atmosphäre der Angst, der Heimlichkeit, der Lüge und Heuchelei, die durch diesen Paragraphen geschaffen wurde, zu beseitigen, ist auch heute unser Ziel. Soziale Hilfe soll in Zukunft dort gegeben werden, wo bisher die Strafandrohung eine bequeme Ausrede war. Das offene Gespräch und der mitmenschliche Rat sollen da möglich sein, wo bisher der Weg in die Isolation und in die Illegalität vorgezeichnet war.Nun haben Sie, Herr Kollege Vogel, bedauert, daß hier heute nicht eine breitere Mehrheit möglich ist. Nur gibt es in Ihrer eigenen Fraktion zu diesem Thema unterschiedliche Auffassungen. Dies ist in der letzten Debatte in diesem Hause durch den Beitrag des Kollegen Heck sehr deutlich geworden.
Unterschiedliche Positionen, unterschiedliche Meinungen in einer solchen Grundfrage gab es bis in das von Ihnen angesprochene Bundesverfassungsgericht hinein, das seine Entscheidung mit fünf zu drei Stimmen gefällt hat. Unterschiedliche Meinungen gab es während der ganzen Zeit in diesem Hause. Wir alle waren uns darin einig, daß dies darauf beruht, daß wie in keiner anderen Frage jeder persönlich aufgerufen ist, sein Gewissen zu prüfen und zu einer Entscheidung zu kommen. Herr Kollege Vogel, über Gewissen ist ein Kuhhandel um des Kompromisses willen nicht möglich.
Er ist vor allem dann nicht möglich, wenn er sich auf dem Rücken der betroffenen Frauen abspielen müßte.
— Das ist ja gar nicht der Fall. Wir haben in der Schlußabstimmung hier im Hause, Herr Kollege Stücklen, in Ihrer eigenen Fraktion wie in unserer Fraktion und auch in der Fraktion der Sozialdemokraten unterschiedliche Meinungen bis in die letzte Abstimmung gehabt. Nun, da durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts der Diskussionsstand so ist, daß unsere Vorstellung, nämlich die Fristenregelung, die wir nach wie vor für die sozial gerechtere und für die menschlichere gehalten hätten, nicht zu verwirklichen ist, gibt es einen noch breiteren Konsens. Dann kann man nicht sagen, daß hier die Einheitlichkeit des Gewissens überrascht, sondern hier soll der Weg, den das Karlsruher Gericht uns offenläßt, beschritten werden. Wir wollen diesen Rahmen voll ausschöpfen. Wir wollen nicht hinter das zurückgehen, was Karlsruhe noch zuläßt. Wir wollen es tun, um den Frauen zu helfen, und nicht hohe Worte vom Schutz des werdenden Lebens dazu mißbrauchen, nur weiter Not und Elend zu rechtfertigen.
Mit dem heute zur abschließenden Beratung vorliegenden Gesetzentwurf erfüllen die Fraktionen von FDP und SPD ihr Versprechen, nach gründlichen, aber auch nach zügigen Beratungen zu Beginn dieses Jahres zum Abschluß der Gesetzgebungsarbeit zu kommen. Der vorliegende Gesetzentwurf hält sich in dem Rahmen, der durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gezogen wurde. Er schöpft diesen Rahmen voll aus. Die gesetzliche Regelung, die wir Ihnen zur Reform des § 218 vorschlagen, ist so klar und so übersichtlich, daß jede Frau, jeder Arzt und alle, die dieses Gesetz im Alltag anwenden werden, sie verstehen. Das Gesetz ist so menschlich, daß es von den betroffenen Frauen angenommen werden kann.Nach unserem Gesetz muß die Frau, die sich in einer Notlage befindet und eine Abtreibung vornehmen lassen will, sich zunächst an einen Arzt ihres Vertrauens wenden. Nur durch diese Regelung wird sichergestellt, daß die Frau auch den Weg zur Beratung findet. Wie anders sollte dieser Weg eröffnet werden in der Situation der Angst und Verzweiflung, in der sich diese Frau befindet, als durch die Möglichkeit, sich mit dem Arzt des Vertrauens auszusprechen? Gerade, wenn man der Beratung eine zentrale, ja entscheidende Bedeutung zumißt, muß durch eine einfache, durch eine unkomplizierte Regelung sichergestellt werden, daß die Frauen den Weg dorthin finden. Wenn wir hier überflüssige Hindernisse auf dem Weg zu einem vertrauensvollen Gespräch aufbauen würden, dann wäre nichts erreicht, aber viele Möglichkeiten für Rat und Hilfe wären verspielt.Der Weg zur Beratung soll zusätzlich dadurch erleichtert werden, daß die Frau, die sich hat beraten lassen, auch dann straffrei gestellt wird, wenn sie sich in ihrer Konfliktsituation an das Ergebnis der Beratung nicht hält. Nur dieses Gefühl, das Nichtgekettet-und-verpflichtet-Sein im Falle des Weges zur Beratung, wird die Frau in die innere Freiheit versetzen, den Gang zur Beratungsstelle zu wagen und sich einem anderen Menschen anzuvertrauen. Nur wenn dieses Anvertrauen erfolgt, besteht eine Chance, daß Maßnahmen im Bereich der sozialen Hilfe die Frau zu einer Annahme ihres Kindes motivieren können.Nach dieser Beratung kann der Arzt bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Indikation die Bescheinigung erteilen, ob die Indikation vorliegt. Mit dieser Bescheinigung muß die Frau den Weg zu dem Arzt gehen, der den Eingriff vornimmt. Dieser von uns vorgeschlagene Verfahrensweg — zunächst der Arzt des Vertrauens, dann der den Eingriff vornehmende Arzt — entspricht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts voll.Dem Vorschlag der Opposition konnten wir nicht zustimmen. Sie schlagen vor den Gang zur Beratungsstelle, dann die medizinische Beratung durch einen Arzt, dann die soziale Beratung durch zwei Ärzte, auch nicht durch beliebige Ärzte, sondern durch zwei besonders ermächtigte Ärzte, und dann schließlich als Ende eines langen Weges den Arzt, der den Eingriff vornehmen soll. Es ist zwar erfreulich, daß die Opposition von dem ursprünglich ge-
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von Schoelerforderten Gutachtergremium abgegangen ist. Ich freue mich, daß sich auch bei Ihnen die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß der vor einem solchen Gutachtergremium geforderte Seelenstriptease nichts ist, was den Weg zur Beratung eröffnen kann.Aber auch Ihr jetziger Vorschlag ist für uns nicht akzeptabel. In ihm wird für uns das Bemühen deutlich, eine Vielzahl von Hindernissen im Verfahrensablauf zu errichten. Die Bürokratisierung des Verfahrens bis zu fünf Stationen nimmt wenig auf die Ängste, auf das Gefühl der Ausweglosigkeit und Verzweiflung Rücksicht, in dem sich Frauen in dieser Situation befinden. Wie schwer wollen Sie es den betroffenen Frauen eigentlich machen, den legalen Weg zu gehen? Sehen Sie nicht selbst die Gefahr, daß dieser Hürden- und Hindernislauf den Weg in die Illegalität beziehungsweise für die Betuchteren den Weg ins Ausland vorzeichnet? Sie verlangen, meine Damen und Herren von der Opposition, mehr, als das Bundesverfassungsgericht gefordert hat. Dies ist für uns nicht annehmbar.Die Opposition hat sich mit ihren Vorschlägen nicht von dem Geist der Bevormundung und des Mißtrauens lösen können. Lassen Sie mich dazu einige Beispiele nennen. Sie schlagen vor, daß ein Schwangerschaftsabbruch auch dann nicht immer straffrei gestellt sein soll, wenn die Schwangerschaft auf einer Vergewaltigung beruht. Man muß sich vorstellen, welcher Geist dahintersteht, eine Frau, die auf Grund einer Vergewaltigung schwanger geworden ist, dann unter Umständen noch auf die Anklagebank zu setzen oder vor den Strafrichter zu zerren! Wie weit wollen Sie es denn dann eigentlich noch treiben, meine Damen und Herren von der Opposition? Dies kann doch nun wirklich niemand verantworten, und hier kann man doch wirklich nicht davon reden, daß Sie die Konfliktsituationen ernst nehmen und ihnen Rechnung tragen wollen.
Lassen Sie mich ein anderes Beispiel erwähnen. Herr Kollege Vogel hat es vorhin selbst angesprochen. Sie haben von den „Belehrungsstellen" gesprochen, die Sie in Ihrem Entwurf haben; Sie haben sich gegen diesen Ausdruck verwahrt. Nun, Herr Kollege Vogel, in Ihrem Entwurf steht es eben so, wie wir es bei der letzten Debatte zitiert haben.
Das kann ich nicht ändern. Das hätten nur Sie an Ihrem Entwurf mit Abänderungsanträgen ändern können. Da steht doch, daß die Schwangere „auf die grundsätzliche Pflicht zur Achtung des Lebensrechtes des Kindes vor der Geburt hingewiesen und darüber belehrt worden ist, welche Gründe in ihrem Fall für die Fortsetzung der Schwangerschaft sprechen".
— Da steht drin: belehrt. Nun sind wir uns darüber einig — alle Fraktionen, alle hier in diesem Hause —, daß die Beratung die Frau zu einer Annahme ihres Kindes motivieren soll. Das ist die Aufgabe der Beratung, und das ist die zentrale Bedeutung der Beratung.
Aber wie wird denn dem Rechnung getragen, wenn solche Belehrungspflichten hier statuiert werden? Sie wollen doch wohl auch nicht, daß eine formularmäßige Beratung stattfindet. Eine solche würde aber nach Ihrem Entwurf völlig genügen. Oder stellen Sie sich vor, daß es im Sinne des Schutzes des werdenden Lebens sinnvoll wäre, wenn sich der Arzt vor die Frau stellt und dann vorliest: Ich muß Sie jetzt nach § 218 d Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch auf die grundsätzliche Pflicht zur Achtung des Lebensrechts des Kindes vor der Geburt hinweisen und belehre Sie, daß in Ihrem Fall folgende Gründe für die Annahme des Kindes sprechen?
Glauben Sie denn, daß so etwas, was nach Ihrem Entwurf ausreicht, auch nur irgend etwas bei der Frau für die Annahme des Kindes bewirken kann? Sehen Sie denn nicht, daß die Atmosphäre, in der sich eine solche Beratung abspielt, das Entscheidende ist, daß es darauf ankommt, ob die Frau Vertrauen haben kann zu dem, dem sie gegenübersitzt?
Sehen Sie denn nicht, daß es darauf ankommt, daß die Frau Rat und Hilfe und keine unzumutbaren Moralpredigten braucht?
Sehen Sie denn nicht, daß die Moralpredigt, der erhobene Zeigefinger nur das Gegenteil von dem bewirkt, was wir alle wollen?
Meine Damen und Herren, fragen Sie sich nicht manchmal selber, welcher Mensch das Recht hat, auf so hohem moralischem Podest zu sitzen, daß er aus dem Gefühl der Sicherheit hier moralische Belehrungen vornehmen könnte!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Eyrich?
Herr Kollege von Schoeler, sind Sie sich eigentlich nicht darüber im klaren, daß Sie mit dieser Art der Darstellung der Beratung all jene diskriminieren, die sich heute bemühen, eine Frau zu beraten, ihr Hilfe zu geben, oftmals unter Hintanstellung vieler Bedenken?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15327
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, Herr Kollege Eyrich. Ich habe zu Ihrem Entwurf Stellung genommen, und ich bin gegen ihn, weil ich den Beratungsstellen und denen, die in ihnen arbeiten, die Arbeit durch einen solchen Gesetzentwurf nicht unzumutbar erschweren will, sondern weil ich will, daß sie ihre Beratung in dem Sinn, in dem sie sie heute durchführen, auch weiterhin durchführen können.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Eyrich?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr.
Können Sie mir eine Stelle in dem Entwurf nennen, die diese Art der Beratung verhindern würde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Eyrich, ich habe soeben davon gesprochen: Die Belehrungspflicht, die Sie hier statuieren, widerspricht all dem, was wir aus den Diskussionen mit denen, die in den Beratungsstellen arbeiten, persönlich wissen und was auf den Fachkongressen immer wieder gesagt wird: daß es auf die Atmosphäre des Vertrauens ankommt und darauf, daß die Frauen das Gefühl haben, da ist jemand, der sie versteht und der ihnen helfen will. Das verträgt sich eben nicht mit Belehrungen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Köster?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr.
Herr von Schoeler, entsinnen Sie sich der ersten Beratungen über das 5. Strafrechtsreformgesetz, in denen Sie sich im Ausschuß intensiv dagegen gewandt haben, daß die Mütter während der Beratung für den Schutz des Lebens motiviert werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, Herr Kollege Köster, das ist nicht richtig.
Ich habe immer wieder — auch in den Ausschußberatungen — genau dies gesagt. Nur, schauen Sie: Es liegt bei Ihnen ein Mißverständnis vor, wenn Sie meinen, nur derjenige, der Belehrungspflichten und unzumutbare Moralpredigten ins Gesetz hineinschreibt, meine es ernst damit, daß die Beratung die Frauen zur Annahme des Kindes motivieren soll. Das ist völlig falsch. Gerade wenn man in diese Richtung zielt, muß man sich bemühen, nicht durch zusätzliche Formalitäten, durch Formalismen, durch Bürokratisierung die Beratung zu erschweren. Kein Paragraph kann die Beratung schaffen, sondern sie muß von Menschen gemacht und angenommen werden. Sie so zu gestalten, daß die Menschen sie annehmen können, muß das Ziel unserer heutigen Diskussion sein.
Meine Damen und Herren, Ihr Entwurf geht auch von einem starken Mißtrauen gegenüber den Ärzten aus. Irgendein Arzt, sagen Sie hier immer wieder, könne nach unserem Entwurf die Beratung vornehmen und die Feststellung treffen. Ich frage Sie: Woher nehmen Sie denn eigentlich den Grund für dieses Mißtrauen gegenüber den Ärzten, die nicht nur durch den Eid des Hypokrates, sondern auch durch die von der zuständigen Stelle gegebene Approbation zur gewissenhaften Pflichterfüllung gesetzlich verpflichtet sind und die bei jedem Verstoß den Entzug ihrer Approbation befürchten müssen.Wir haben keinen Grund zu diesem Mißtrauen gegenüber den Ärzten. Wir können auch den Willen zur Einengung des Kreises der Ärzte, die die Beratung vornehmen und die Indikation stellen können, nicht teilen. Sie bleiben jede Antwort auf die Frage schuldig, nach welchen Kriterien denn der Kreis der Ärzte eingeschränkt werden soll. Sie sagen auch nichts dazu, daß ihr Vorschlag dazu führen kann, daß in Bayern ganz wenige und in anderen Ländern vielleicht etwas mehr Ärzte ermächtigt sind. Sie bleiben die Antwort darauf schuldig, woher denn die Frau wissen soll, welcher Arzt das nun machen kann. Vielleicht gibt es dann in einigen Gegenden gar keine Ärzte, die sich für diese Tätigkeit zur Verfügung stellen. Wir wissen doch alle, daß nur dann geholfen werden kann, wenn alle, die dieses Gesetz anwenden müssen, vor allem aber die Ärzte, mitarbeiten. Wir haben aus unseren Gesprächen mit der Ärzteschaft den festen Eindruck gewonnen, daß dieses Gesetz auch dort angenommen, akzeptiert und umgesetzt werden wird. Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung durch ihre Aktivitäten dazu beiträgt, auch in der Ärzteschaft das Inkrafttreten dieses Gesetzes durch Informationsaustausch und durch die Zurverfügungstellung von entsprechendem Material vorzubereiten.Meine Damen und Herren von der Opposition, ich habe den Eindruck, daß Sie in der Absicht, auch die allerkleinste Mißbrauchsmöglichkeit durch das rechtswidrige Verhalten einzelner auszuschließen, eine gesetzliche Regelung vorschlagen, die es den Frauen unzumutbar erschwert, den legalen Weg zu gehen, die ihren Konfliktsituationen nicht gerecht wird und die damit letztlich an den unsozialen, unmenschlichen Zuständen, die dieser Paragraph geschaffen hat, nichts Entscheidendes ändert.Nun hat in den Beratungen dieses Hauses und im Ausschuß immer wieder die Frage eine wichtige Rolle gespielt, ob denn der Gesetzentwurf, den wir Ihnen heute vorlegen, die Kumpanei um des Geschäftes willen so ausschließt, wie das nicht nur vom Bundesverfassungsgericht gefordert, sondern von uns allen in der Sache gewollt wird. Niemand von uns will zulassen, daß aus der Not der Frauen ein Geschäft gemacht wird. Wir haben die Vorkehrungen dagegen getroffen. Geschäftemacherei wird es in Zukunft nicht geben.
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15328 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
von SchoelerLassen Sie mich dies mit einigen Fakten belegen.Erstens. Der Arzt, der weiß, daß die Bescheinigung falsch ist, und dennoch den Eingriff vornimmt, macht sich strafbar. Dies ist ja der Fall der Kumpanen, die um des Geschäftes willen zusammenwirken.Zweitens. Der Arzt, der wider besseres Wissen eine unrichtige Bescheinigung über die Voraussetzungen einer Indikation ausstellt, macht sich strafbar. Dies ist ja der Fall der Kumpanen, die um des Geschäftes willen zusammenwirken.Drittens. Die Einrichtung oder das Krankenhaus, wo der Eingriff vorgenommen werden muß, muß staatlich zugelassen sein. Das macht es möglich, der Geschäftemacherei einen Riegel vorzuschieben. Hier haben wir die Erfahrungen aus dem Ausland ausgewertet.Alle drei Maßnahmen, die ich erwähnt habe, bieten zusammen die Gewähr, daß die Geschäftemacherei mit der Angst und der Not der Frauen auch mit unserem Gesetzentwurf ausgeschlossen ist. Wir haben dies erreicht, ohne auf der anderen Seite den Frauen das Beschreiten des legalen Weges so schwerzumachen, daß sie ihn nicht gehen werden.Meine Damen und Herren, ich möchte auch diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen, ohne zu sagen, daß derjenige unglaubwürdig ist, der gegen Geschäftemacher protestiert, solange er die Beschlüsse in den Kreistagen nicht rückgängig macht, nach denen dort keine legalen Eingriffe vorgenommen werden dürfen;
denn mit solchen Beschlüssen wird denjenigen, denen wir keine Chance geben wollen, überhaupt erst die Möglichkeit einer Betätigung eröffnet.Auch am Schluß dieser Debatte halten wir fest: Niemand wird in Zukunft gezwungen werden können, an einem Abbruch mitzuwirken, kein Arzt, keine Krankenschwester, überhaupt niemand wird dazu gezwungen werden. Gerade weil wir dies festhalten, verlangt es die Glaubwürdigkeit, auch zu sagen: Es ist ein schwerer Verstoß gegen unser Demokratie- und Staatsverständnis, wenn auf Kreisebene weiter versucht würde, unter Mißachtung der heutigen Parlamentsentscheidung die Durchführung des Gesetzes zu verhindern.
Dieses Gesetz macht vielfältige Anstrengungen aller Beteiligten zu seiner Umsetzung notwendig. Es macht zuallererst den zügigen und entschlossenen Ausbau von Beratungsstellen notwendig. Die Bundesregierung hat durch die Förderung von 53 Modellberatungsstellen ihren Beitrag dazu geleistet. Es ist deshalb heute der Ort und die Zeit, an Länder und Gemeinden den Appell zu richten, nun ihrerseits die notwendigen Maßnahmen zum Ausbau des Beratungssystems zu ergreifen. Die Glaubwürdigkeit unser aller Forderung nach besserer Beratung macht es notwendig, hier schnell und entschlossen die notwendigen Maßnahmen einzuleiten.Ebenso ist es heute der Ort und die Zeit, an die Länder zu appellieren, schon jetzt, vor Inkrafttreten des Gesetzes, in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten, vor allem mit Ärzten und Beratern, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß dieses Gesetz sofort Wirklichkeit werden kann.Meine Damen und Herren, wir entscheiden heute — es scheint mir wichtig, auch dies am Schluß der Debatte festzuhalten — nicht darüber, ob in diesem Lande abgetrieben wird oder nicht. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, daß die Strafandrohung dies nicht hat verhindern können. Wir entscheiden nur darüber, inwieweit wir Frauen, die sich in einer Konfliktsituation nicht anders zu helfen wissen, auch noch vor Gericht zerren wollen. Es geht nicht darum, ob abgetrieben wird oder nicht, sondern es geht heute ganz entscheidend auch darum, ob wir Schluß machen mit der Atmosphäre der Angst, mit der Heimlichkeit, mit der Lüge, die um diesen Paragraphen liegt, ob wir bereit sind, die Probleme, welche die Frauen heute dazu bewegen, ihr Kind nicht anzunehmen, ernst zu nehmen und zu ihrer Beseitigung durch soziale Hilfe beizutragen. Wir wollen mit der Heuchelei um diesen Paragraphen Schluß machen, und wir wollen den Frauen in schweren Situationen helfen.Deswegen stimmen wir Freien Demokraten dem Gesetzentwurf zu.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Müller-Emmert.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundestag beschäftigt sich nun schon seit einigen Jahren mit der Reform des § 218 StGB. Die damit zusammenhängenden Probleme wurden schon mehrfach im Plenum und in den zuständigen Ausschüssen heiß diskutiert. Die Situation, von der wir heute ausgehen müssen, ist uns allen hinlänglich bekannt. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 25. Februar 1975 setzt uns allen Grenzen, innerhalb derer wir uns zu bewegen haben. Diese Grenzen werden trotz mancher Kritik, die an dem Urteil sicher möglich und auch zulässig ist, anerkannt. Es ist deshalb müßig, über vormals heftig umstrittene Probleme heute noch zu streiten, wie dies Herr Kollege Vogel in seinem Diskussionsbeitrag versucht hat.
Es geht nur noch darum, daß der Gesetzgeber den Ermessensspielraum, den das Urteil gewährt, so nutzt, daß eine Regelung gefunden wird, die sowohl dem Leben, der Gesundheit und der Entscheidungsfreiheit der schwangeren Frau als auch dem Schutz des ungeborenen Lebens im Rahmen einer vernünftigen Güter- und Interessenabwägung gerecht wird.
Wir sind davon überzeugt, daß wir eine solche Regelung nach eingehenden und gründlichen Beratungen gefunden haben.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15329
Dr. Müller-EmmertDabei muß auch besonders erwähnt werden, daß viele Gespräche mit den beiden Kirchen und anderen interessierten Organisationen und Gruppen geführt worden sind und daß diese Gespräche auch in manchen Punkten und Formulierungen des Ihnen nunmehr vorliegenden Entwurfs ihren Niederschlag gefunden haben, indem der ursprüngliche Entwurf geändert oder ergänzt worden ist.Ich möchte folgende Schwerpunkte besonders herausstellen. Ein Schwangerschaftsabbruch ist zukünftig dann erlaubt, wenn er indiziert ist, d. h. wenn ein Arzt festgestellt hat, daß ein gesetzlich zugelassener Abbruchsgrund vorliegt. Anders als die jetzt geltende Übergangsregelung und als frühere Vorschläge sind mehrere selbständige und gleichwertig nebeneinanderstehende Indikationen nicht mehr vorgesehen. Vielmehr geht der von der Mehrheit beschlossene Entwurf in Anlehnung an die Entschließung des Deutschen Ärztetages vom Oktober 1973 von einer einzigen umfassenden medizinisch-sozialen Indikation als ausschließlichem Rechtfertigungsgrund aus. Die Voraussetzungen dieser medizinischen Indikation gelten demnach auch dann als erfüllt, wenn ein Fall der Schädigung der Leibesfrucht — früher die sogenannte kindliche Indikation — oder ein Fall der aufgezwungenen Schwangerschaft — früher die sogenannte kriminologische oder ethische Indikation — oder ein Fall der allgemeinen Notlage der Schwangeren vorliegt. Mit dieser Regelung sind wir von der Tatsache ausgegangen, daß Probleme der Schwangerschaft zwangsläufig mit dem Tätigkeitsbereich der Ärzte eng verknüpft sind. Wir haben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts besonders gründlich in bezug auf die dort angeführte Indikation der allgemeinen Notlage der Schwangeren analysiert.Es ist völlig eindeutig und unbestritten, daß das Bundesverfassungsgerichts die Indikation der allgemeinen Notlage ausdrücklich zugelassen hat. Auf dieser Basis haben wir eine Regelung gefunden, die dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts voll gerecht wird. Wir haben zum Teil sogar die Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil übernommen. Ein Abbruch ist demnach auch dann gerechtfertigt, wenn er angezeigt ist, um von der Schwangeren die Gefahr einer Notlage abzuwenden, die so schwer wiegt, daß von der Schwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht verlangt und nicht auf eine andere für die Schwangere zumutbare Weise abgewendet werden kann.Besonders muß vermerkt werden, meine Damen und Herren von der Opposition, daß Sie die Möglichkeit, die das Bundesverfassungsgericht in diesem Punkt zugelassen hat, in Ihrem Entwurf zum Nachteil der Frauen nicht ausgeschöpft und genutzt haben.
— Das ist doch unbestritten, Herr Kollege; wir können doch lesen. — Die Opposition hat sich nicht dazu aufraffen können, sich ebenfalls für die Zulässigkeit der Indikation der allgemeinen Notlage zu entscheiden.
Sie ist damit zum Nachteil der Frauen hinter dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zurückgeblieben.
— Es fällt Ihnen schwer, da zuzuhören, Herr Kollege Eyrich; das kann ich mir vorstellen. — Die Opposition hat sich lediglich dazu durchringen können, in ihrem Entwurf eine Vorschrift vorzusehen, wonach das Gericht bei außergewöhnlicher Bedrängnis der Schwangeren nach seinem Ermessen von der Bestrafung absehen kann.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vogel ?
Bitte sehr.
Herr Kollege Müller-Emmert, ist es richtig, daß Sie ihren Entwurf so auslegen, daß darin eine sozialmedizinische Indikation enthalten sei, und ist das das, was Sie regeln wollten?
Ich habe Ihnen erläutert, daß wir eine allumfassende sozialmedizinische Indikation geschaffen haben, so wie es auch die Ärzte wünschten — das haben Sie in Ihrem Beitrag auch angeführt —, und das gewissermaßen ein Unterfall dieser allgemeinen sozialmedizinischen Indikation die Indikation der allgemeinen Notlage ist.
Unsere Frauen mögen sich selbst ihre Gedanken über die, wie ich meine, rückschrittliche und unausgegorene Vorschrift der Opposition machen, die in diesem besonderen Fall nur einen Strafmilderungsgrund für die Gerichte vorsieht.Bei diesem Punkt möchte ich ganz kurz auch auf das eingehen, was Herr Kollege Vogel in seinen Ausführungen vorgetragen hat. Er hat daran appelliert, daß wir alle den Versuch unternehmen sollten, ein Gesetz zu finden, das mit möglichst breiter Mehrheit verabschiedet wird. Diese Aufforderung ist im Grundsatz fraglos richtig. Es war schon immer die Auffassung der SPD-Fraktion in langen Jahren der gemeinsam durchgeführten Strafrechtsreform, in allen wichtigen Punkten zu einer breiten Mehrheit im Plenum des Bundestages zu kommen, da auf diese Weise fraglos auch die Rechtsüberzeugung unseres Volkes gefördert wird.
Aber eine breite Mehrheit setzt auch voraus, daß man gegenseitig aufeinander zugeht. Eine breite Mehrheit setzt ebenfalls die Wahrhaftigkeit auf seiten der Opposition voraus, die Grenzen, die das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gesteckt hat, auch voll auszuschöpfen. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sich nicht dazu durchringen konnten, diese Grenzen insbesondere
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15330 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Dr. Müller-Emmertbezüglich des Unterfalles der Indikation der allgemeinen Notlage voll auszuschöpfen — Sie werden Ihre Gründe dafür gehabt haben; ich kann sie im einzelnen nicht kennen —, dann ist das Ihre Sache, dann können Sie uns keine Vorwürfe machen, wir hätten die Schuld daran, daß eine breite Mehrheit nicht gefunden worden ist.
— Herr Kollege Vogel, warum sind Sie denn so nervös?Ein zweiter, sehr umstrittener Schwerpunkt der Gesetzesvorlage ist die Straflosigkeit der Frau. Für die Frau soll dann Straflosigkeit eintreten, wenn sie über die zur Verfügung stehenden öffentlichen und privaten Hilfen beraten worden ist, wenn sie außerdem von einem Arzt über die ärztlich bedeutsamen Gesichtspunkte beraten worden ist, wenn der Abbruch innerhalb der ersten 22 Schwangerschaftswochen erfolgt ist und wenn schließlich dieser Abbruch von einem Arzt durchgeführt worden ist.Für diese Regelung waren für uns folgende Gesichtspunkte maßgebend.Erstens. Der beste Schutz für das ungeborene Leben ist dann gewährleistet, wenn die Schwangere zur Beratung hingeführt wird. Dies wird am besten dadurch erreicht, daß die Frau ohne Angst vor Strafe einen Berater aufsuchen kann. Eine Strafdrohung wird nach allen Erfahrungen viele Frauen von der Beratung fernhalten. Die meisten Frauen würden wie bisher den scheinbar leichteren Weg gehen. Wird ihnen der Weg zur Beratung erschwert, so wird eine wichtige Möglichkeit vertan, das ungeborene Leben zu schützen.Zweitens. Ein weiterer Grund für die Straffreiheit ist die Erwägung, daß jede Frau, die einen Abbruch vornehmen läßt, ihre Situation subjektiv als Notlage empfindet. Unrecht und Schuld sind bei ihr daher regelmäßig sehr gemindert. Die Schwangere befindet sich oft in einem Gewissenskonflikt. Die Gründe, die sie zur Tat zwingen oder bewegen, sind für sie dringlicher und durchschlagender als die Gründe, die unter Umständen einen Dritten zur Tat veranlassen. Überlegungen der allgemeinen Abschreckung schlagen bei der Frau in einer solchen Situation nicht durch.Drittens. Für die Straflosigkeit der Schwangeren spricht auch, daß unsere Gerichte Frauen, die an sich haben abtreiben lassen, fast durchweg nur zu Geldstrafen verurteilt haben. Freiheitsstrafen sind eine große Ausnahme; dies lehrt eindeutig unsere Verurteiltenstatistik, und es wird sicher auch von unseren Fachleuten im Parlament — Herr Kollege Eyrich, Sie wissen das genauso wie ich — nicht bestritten. Es kann auch gar nicht bestritten werden. Es steht aber wohl fest, daß so niedrige Strafen für den Rechtsgüterschutz untauglich sind, da sie den Weil des gesdiiiizien Rechtsgutes ungeborenes Leben in keiner Weise erkennbar machen.Viertens. Straflosigkeit tritt nur ein, wenn ein Arzt den Abbruch durchführt. Das bedeutet, daß Abtreibungen, die die Schwangere an sich selbst vornimmt, und Abtreibungen, die ein Nichtarzt durchführt — Situationen, die für die Schwangere erfahrungsgemäß schwere gesundheitliche Gefahren in sich bergen —, selbstverständlich strafbar bleiben. Durch die Straflosigkeit der Schwangeren bei einem von einem Arzt vorgenommenen Abbruch wird daher die Zahl der gesundheitsgefährlichen Selbst- oder Laienabtreibungen zwangsläufig vermindert.Fünftens. Die Frau, an der ein Arzt einen Abbruch vorgenommen hat, hat nach unserem Entwurf in einem anhängig werdenden Strafverfahren kein Aussageverweigerungsrecht. Sie muß vielmehr voll aussagen. Dies wird dazu führen, daß sich ein Arzt sein Handeln sehr genau überlegen wird, da er mit seiner Überführung im Strafprozeß rechnen muß. Es wird daher für eine Frau nicht einfach sein, einen Arzt zu finden, der bereit ist, einen Abbruch ohne Indikation vorzunehmen. Von daher wird also das ungeborene Leben besser geschützt als bisher.Sechstens. Die Straflosigkeit der Frau ist juristisch so ausgestaltet, daß es sich um einen persönlichen, nur für sie geltenden Strafausschließungsgrund und nicht um einen Rechtfertigungsgrund handelt. Das bedeutet, daß der ohne Indikation vorgenommene Abbruch für alle Beteiligten, also sowohl für die Schwangere als auch für alle Dritten, seien es der Arzt, die Anstifter oder die Gehilfen, eine rechtswidrige Tat ist. Lediglich von der Bestrafung der Schwangeren wird unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Konfliktsituation Abstand genommen, während alle anderen, die an der Tat teilgenommen haben, voll der Strafbarkeit unterliegen.Grundsätzlich wird also die Tat der Schwangeren von der Rechtsordnung mißbilligt, wenn auch bei ihr von Strafe ausnahmsweise abgesehen wird. Dies hat beispielsweise auch die Folge, daß die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung über die bei einem gerechtfertigten Eingriff von den Krankenkassen zu gewährenden Pflichtleistungen in solchen Fällen keine Anwendung finden können.Siebentens. Für die Straffreiheit der Frau spricht das weitere Argument, daß die Schwangere, wenn sie einen Arzt findet, der zur Vornahme des Eingriffs bereit ist, auch davon ausgehen wird, daß dieser Arzt bei ihr das Vorliegen einer Indikation bejaht. Deshalb sollte das Risiko der Indikationsstellung auch nicht zu ihren Lasten gehen.Schließlich ist achtens der persönliche Strafausschließungsgrund für die Schwangere so ausgestaltet, daß er auch voll den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil aufgestellt hat, entspricht. Unser Strafrecht sieht schon seit rund 100 Jahren in mehreren Vorschriften persönliche Strafausschließungsgründe vor; dies scheint einigen Kollegen von der Opposition entgangen zu sein. Ich erinnere an entsprechende Regelungen in den Strafvorschriften über den Beischlaf zwischen Verwandten und Geschwistern und über die Strafvereitelung. Noch nie ist das Bundesverfassungs-
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Dr. Müller-EmmertBericht auf den Gedanken gekommen, persönliche Strafausschließungsgründe für verfassungswidrig zu erklären. Der Gesetzgeber ist demnach auch aus verfassungsrechtlicher Sicht in keiner Weise gehindert, für die Schwangere einen zeitlich begrenzten persönlichen Strafausschließungsgrund vorzusehen, mit dem wichtige kriminalpolitische Zielsetzungen gefördert werden sollen.Bei einer verfassungsrechtlichen Würdigung muß letztlich selbstverständlich auch berücksichtigt werden, daß die Gesamtheit der im Bereich des Schwangerschaftsabbruchs vorgesehenen Maßnahmen, seien es strafrechtliche Sanktionen oder vielfältige Angebote von Hilfe, einen der Bedeutung des Rechtsgutes des werdenden Lebens angemessenen Schutz gewährleistet.Ein Kernpunkt unseres Vorschlags ist das Beratungssystem; dies ist zwischen den beiden Seiten dieses Hauses unbestritten. Das Bundesverfassungsgericht hat aus unserer Verfassung die Forderung abgeleitet, daß die Beratung auf den Schutz des ungeborenen Lebens ausgerichtet sein und in diesem Sinne effektiv ausgestaltet werden müsse. Wir haben diese Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts bei unserer Gesetzgebungsarbeit nach unserer Überzeugung voll berücksichtigt.Die Schwangere muß von einem Berater eingehend über die zur Verfügung stehenden öffentlichen und privaten Hilfen für Schwangere, Mütter und Kinder beraten worden sein und dabei besonders über solche Hilfen, die die Fortsetzung der Schwangerschaft und die Lage von Mutter und Kind erleichtern. Die Beratung muß selbstverständlich auf die konkrete Situation der Frau eingehen und deren gesamte Lebensverhältnisse, insbesondere in persönlicher, familiärer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht, umfassen. Eine formularmäßige Behandlung ist nach unseren Vorstellungen ebenso ausgeschlossen wie eine nur telefonische Beratung.Die Beratung muß außerdem mindestens drei Tage vor dem Abbruch stattfinden. Damit wird sichergestellt, daß die Schwangere Zeit und Möglichkeit hat, das Beratungsergebnis zu verarbeiten und unter Umständen mit ihren Angehörigen oder Vertrauenspersonen noch zu besprechen.Schließlich muß die Frau entsprechend den Grundsätzen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts auch noch von einem Arzt über die ärztlich bedeutsamen Gesichtspunkte eines Schwangerschaftsabbruches beraten werden. Unser Entwurf ist so ausgestaltet, daß die Beratung über öffentliche oder private Hilfen grundsätzlich durch eine Beratungsstelle erfolgt, die entweder von einer Behörde oder einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts anerkannt ist. Damit ist besonders die Möglichkeit geschaffen, daß kirchliche Beratungsstellen, die bisher verdienstvolle Arbeit geleistet haben, in diesem wichtigen Bereich auch zukünftig tätig sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jahn ?
Bitte sehr.
Herr Kollege Müller-Emmert, Sie sprechen von Verfahrensfragen. Wie vereinbaren Sie Ihre Behauptung, Ihr Entwurf führe zum Schutz des ungeborenen Lebens, mit dem Zitat aus dem „Vorwärts" vom 26. Juni 1975, wo es heißt: „In der Praxis wird es so sein, daß sich schon sehr bald nach Inkrafttreten des Gesetzes Abtreibungskliniken etablieren werden?"
Dieses Zitat stammt, wenn ich das noch richtig im Kopf habe, vom 26. Juni 1975 aus der Hauszeitung der SPD, dem „Vorwärts".
Bedenken Sie, daß wir diesen Entwurf erst im Oktober/November des vorigen Jahres eingebracht haben und daß dieser Artikel zu einer Zeit geschrieben wurde, zu der wir mit unseren Überlegungen auch zusammen mit unserem Koalitionspartner noch nicht am Ende waren.
Es ist immer gut, wenn vorbereitend entsprechend diskutiert wird. Entscheidend ist nicht das, was in der Vordiskussion behandelt wird, sondern was hier auf den Tisch des Hauses gelegt wird, und davon sind wir überzeugt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Schoeler?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Müller-Emmert, wären Sie bereit, den Kollegen Jahn noch einmal auf die bereits vorhin erwähnte Regelung hinzuweisen, nach der jede Einrichtung, in der ein Schwangerschaftsabbruch vorgenommen wird, staatlich zugelassen sein muß, und würden Sie ihn insbesondere noch einmal auf die Auswirkung dieser Vorschrift bei der Verhinderung von Abtreibungskliniken hinweisen?
Herr Kollege von Schoeler, Sie haben dies in Ihren Ausführungen schon getan. Gleichwohl unterstütze ich das, was Sie sagen, sehr gerne; denn es ist so. Das wissen auch alle Kollegen, die im Ausschuß tätig waren, daß der Schwangerschaftsabbruch nur in einem Krankenhaus oder in einer anderen staatlich zugelassenen Einrichtung durchgeführt werden kann, so daß dieses Argument von Ihnen, Herr Kollege Jahn, nicht durchschlagend ist. Das Zitat selbst ist sicher richtig, es geschieht aber allerorten immer wieder, daß sich Zitate durch die Entwicklung als falsch bezogen herausstellen.
Herr Abgeordneter Müller-Emmert, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Erhard?
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15332 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Herr Kollege, könnten Sie uns deutlich sagen, was gegenüber dem, was im Sommer 1975 von Ihrer Fraktion und der Fraktion der FDP als neue Regelung verkündet wurde, für den Entwurf, der jetzt zur Beratung ansteht, geändert wurde? Den Unterschied möchte ich einmal deutlich von Ihnen hören.
Herr Kollege Erhard, ich kann unmöglich die Einzelberatungen unseres Ausschusses hier vor halbvollem Haus wieder eröffnen. Fragen Sie doch bitte Herrn Kollegen Eyrich, einen sehr sachverständigen Kollegen Ihrer Fraktion. Wir haben eine Synopse erstellt, die ich Ihnen nachher auch geben kann. Aus dieser Synopse ergibt sich sehr deutlich, daß wir den Entwurf, den wir, die FDP und die SPD, gemeinsam eingebracht haben, im Laufe der Beratungen tatsächlich in mehrfacher Hinsicht geändert haben. Wir haben sogar teilweise Anregungen übernommen, die von Kollegen der CDU/CSU-Fraktion im Ausschuß gegeben worden sind. Das ist an Hand der Synopse und der Protokolle leicht festzustellen.
— Das ist auch ein guter Vorschlag, Herr Kollege Erhard: das lesen, was fettgedruckt ist; dann weiß man genau, was sich inzwischen geändert hat.
— Den Unterschied ersehen Sie aus der vergleichenden Darstellung in der Synopse. Sie werden mir zugeben, daß ich unmöglich alle diese Einzelheiten vortragen kann.
Es wäre sicher reizvoll, Herr Kollege Erhard, von meiner Seite aus gerade mit Ihnen über diese Einzelheiten zu diskutieren. Ich stelle mich gerne nachher zur Verfügung.Ich hatte davon gesprochen, daß wir in unserem Entwurf besonders die Möglichkeit eröffnet haben, daß kirchliche Beratungsstellen, die bisher verdienstvolle Arbeit geleistet haben, ihre Arbeit in diesem wichtigen Bereich auch zukünftig fortsetzen können.Berater kann aus Gründen der Vereinfachung des Verfahrens auch ein Arzt sein. Bei ihm wird aber selbstverständlich entsprechende Sachkunde über Probleme der Sozialhilfe und die zur Verfügung stehenden öffentlichen und privaten Hilfen vorausgesetzt. Deshalb kann er grundsätzlich nur dann als Berater in diesem Sinne tätig werden, wenn er ausdrücklich als Berater anerkannt ist oder wenn er Mitglied einer anerkannten Beratungsstelle und damit mit der Beratung in einer solchen Stelle betraut ist.Dabei sind wir von der Erwägung ausgegangen, daß sich die zukünftigen anerkannten Beratungsstellen mindestens aus einem Arzt, einem Psychologen und einem Sozialarbeiter zusammensetzen und daß zudem die Bundesländer Regelungen schaffen werden, die Gewähr für die fachliche Kompetenz und Zuverlässigkeit der Beratungspersonen geben.Schließlich kann ein Arzt auch dann Berater im angeführten Sinne sein, wenn er sich durch Beratung mit einem fachkundigen Mitglied einer anerkannten Beratungsstelle oder mit einer Sozialbehörde oder auf andere Weise über die im Einzelfall zur Verfügung stehenden Hilfen unterrichtet hat.Diese Vorschrift war in den Ausschußberatungen heftig umstritten. Wir sind der Überzeugung, daß auch sie den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsatzen entspricht. In zahlreichen, auch durch soziale Notlagen indizierten Fällen kommt es nach allen Erfahrungen auf eine ganz konkrete Initiative an, die der Arzt selbst ergreifen muß. Dies setzt voraus, daß er in solchen Fällen spezielle Informationen zweckmäßigerweise selbst einholt und unmittelbaren Kontakt mit den Stellen aufnimmt, die im Einzelfall Hilfe gewähren können. Im übrigen kann und muß man davon ausgehen, daß in einem solchen Fall ein verantwortungsbewußter und gewissenhafter Arzt nur dann die Beratungsfunktion übernehmen wird, wenn er dies von seinem Informationsstand her für vertretbar hält.Der letzte Schwerpunkt betrifft das Feststellungsverfahren. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist nicht verlangt, daß die Feststellung von einer staatlichen Behörde oder einem Gremium getroffen werden muß. Es genügt, daß der feststellende Arzt von einer Einrichtung der mittelbaren Staatsverwaltung, beispielsweise der Ärztekammer, legitimiert ist. Daher sehen wir vor, daß grundsätzlich jeder in der Bundesrepublik approbierte Arzt die Feststellung treffen kann, die schriftlich niedergelegt werden muß, daß ein Abbruch indiziert ist. Daraus folgt als selbstverständlich, daß die Feststellung eines nur im Ausland zugelassenen Arztes nicht genügt. Wir haben bewußt darauf verzichtet, ausdrücklich eine auf die jeweiligen Umstände bezogene fachliche Kompetenz des Arztes zu verlangen. Das wünschenswerte Ergebnis, daß ein Arzt Feststellungen nur auf seinem Fachgebiet trifft, ist nach unserer Überzeugung schon durch das ärztliche Standesrecht gewährleistet, das dem Arzt Übergriffe auf Gebiete außerhalb seines Faches ausdrücklich untersagt. Hieran halten sich auch die Ärzte. Oder haben Sie, Herr Kollege Vogel — ich darf das aufgreifen, was Sie in diesem Punkt gesagt haben —, schon einmal davon gehört, daß beispielsweise ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt eine Blinddarmoperation durchgeführt hat?
Es darf auch nicht jeder in der Bundesrepublik approbierte Arzt die erforderliche Feststellung treffen. Einschränkungen ergeben sich nach unserem Vorschlag zwangsläufig dann, wenn ein Arzt wegen Straftaten im Zusammenhang mit einem Schwangerschaftsabbruch rechtskräftig verurteilt ist. Wenn es in einem solchen Fall zur Entziehung der Approbation oder zur Untersagung der Berufsausübung im Strafverfahren gekommen ist, hat der Arzt schon damit seine Befugnis, Feststellungen treffen zu dürfen, verloren.
: Dann ist er kein Arzt
mehr!)
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15333
Dr. Müller-Emmert— Das sage ich ja, Herr Kollege Köster. Denn er hat ja seine Befugnis verloren. — Es sind aber auch Fälle denkbar, in denen zwar diese schwerwiegenden Maßnahmen nicht verhängt worden sind, in denen es aber gleichwohl unerträglich wäre, den Arzt auf dem Gebiet, auf dem er versagt hat, eine derart bedeutsame Funktion ausüben zu lassen. Deshalb haben wir eine endgültige Untersagung für den speziellen Teilbereich der ärztlichen Tätigkeit vorgesehen, der die Feststellung von Abbrüchen betrifft. Eine solche Maßnahme kann von der nach Landesrecht zuständigen Behörde — meist der Bezirksregierung oder dem Regierungspräsidium — angeordnet werden, wenn eine rechtskräftige Verurteilung des Arztes wegen einer Straftat im Zusammenhang mit § 218 vorliegt. Wir sind sogar noch weiter gegangen und haben auch eine vorläufige Untersagung der Feststellungstätigkeit des Arztes durch die zuständige Behörde in den Fällen vorgesehen, in denen gegen einen Arzt wegen einer Tat im Zusammenhang mit § 218 das Hauptverfahren eröffnet worden ist.Auf der gleichen Linie liegt auch, daß wir in unseren Vorschlag eine neue Strafvorschrift aufgenommen haben, die jeden Arzt unter Strafe stellt, der wider besseres Wissen eine unrichtige, schriftliche Feststellung über das Vorliegen einer Indikation trifft. Eine solche unrichtige Feststellung kann fraglos schwerwiegende, nicht wiedergutzumachende Folgen haben. Deshalb ist sie nach einstimmiger Meinung des Ausschusses — ein Fall, Herr Kollege Erhard, in dem Änderungen vorgenommen worden sind —
als strafbedürftiges Unrecht zu bewerten.Da der Abbruch der Schwangerschaft ohne Beratung und der Abbruch der Schwangerschaft ohne ärztliche Feststellung mit Strafe bewehrt sind, da zudem der erlaubte Abbruch nur in einem Krankenhaus oder in einer hierfür zugelassenen Einrichtung erfolgen darf, da außerdem jeder Arzt vierteljährlich statistische Angaben über von ihm durchgeführte Schwangerschaftsabbrüche — selbstverständlich ohne Nennung des Namens der Schwangeren — machen muß — hierauf wurde bisher noch mit keinem Wort eingegangen —, ist dafür Sorge getragen, daß ungeborenes Leben im Zusammenwirken von kriminalpolitischen, sozialen und gesundheitspolitischen Maßnahmen mit Sicherheit wirksamer geschützt wird als bisher.
Herr Abgeordneter, ich darf Sie auf die Redezeit aufmerksam machen. Zwei Minuten haben Sie wegen der Anzahl der Zwischenfragen zusätzlich.
Es waren in der Tat einige Zwischenfragen, Frau Präsidentin. Ich bin in drei Minuten am Ende.
Ein Wort noch zu dem Verfahren, das die Frau durchlaufen muß. Es liegt auf der Hand, daß dieses Verfahren möglichst einfach und unbürokratisch gestaltet sein muß, da es von den Frauen sonst nicht angenommen wird. Insoweit besteht zunächst sicher ein gewisser Widerspruch zu den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen. Hiernach muß die Frau, funktional gesehen, vier Stationen hinter sich bringen, nämlich erstens die soziale Beratung über die zur Verfügung stehenden öffentlichen und privaten Hilfen; zweitens die allgemeine ärztliche Beratung; drittens die ärztliche Feststellung über das Vorliegen einer Indikation; viertens den von einem Arzt vorzunehmenden Abbruch.
Das Bundesverfassungsgericht hat zudem noch ausdrücklich festgestellt, daß der beratende Arzt und der den Abbruch durchführende Arzt nicht identisch sein dürfen und daß der feststellende Arzt und der den Abbruch durchführende Arzt ebenfalls nicht identisch sein dürfen. Daraus folgt, daß das Bundesverfassungsgericht keine Bedenken hat, daß Beratung und Feststellung von ein und demselben Arzt durchgeführt werden können, sofern dieser Arzt — selbstverständlich — entsprechende Sachkunde hat. Unter Beachtung dieser Regeln haben wir die Möglichkeit zugelassen, daß die soziale Beratung, die ärztliche Beratung und die Feststellung über das Vorliegen einer Indikation in einer einzigen Station erledigt werden können. Dies ist dann erlaubt, wenn ein Arzt mit entsprechender Sachkunde im Sozialrecht und im Sozialwesen einer anerkannten Beratungsstelle angehört oder als Berater in diesen Fragen anerkannt ist oder sich durch einen Fachmann, eine Sozialbehörde oder auf andere geeignete Weise über die zur Verfügung stehenden Hilfen informiert hat. Mit dieser Regelung können die vier notwendigen funktionalen Stationen in der Praxis auf zwei Stationen zusammengefaßt werden, was für die Frau zu einer erheblichen Vereinfachung führen wird.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch die Anmerkung machen, daß im Rahmen des Ausbaues des Beratungsnetzes erwartet werden kann, daß die meisten Beratungsstellen einen auch in sozialen Fragen fachkundigen Arzt beschäftigen und einstellen werden. Auf diese Weise werden auf die Dauer auch bürokratische Hemmnisse abgebaut. Der Einwand, daß damit die Arbeit der kirchlichen Beratungsstellen erschwert werde, vermag nicht zu überzeugen. Einmal wird von denen, die diesen Einwand erheben, die erfolgreiche und wirksame Arbeit der eigenen kirchlichen Beratungsstellen, Frauen im Einzelfall davon zu überzeugen, daß ein Abbruch nicht geboten ist, in Frage gestellt. Zum zweiten kann fraglos nicht bestritten werden, daß bei kirchlichen Beratungsstellen auch Frauen vorsprechen werden, bei denen eindeutig eine sogenannte klassische medizinische Indikation gegeben ist.
Herr Kollege, ich bitte, jetzt zu Ende zu kommen.
Jawohl, ich komme zum Schluß. — In solchen Fällen wird ein bei einer kirchlichen Beratungsstelle tätiger Arzt nicht umhinkönnen, die Zulässigkeit eines Abbruchs festzustellen, zumal da die medizinische Indikation grundsätzlich auch voll von seiner Kirche gebilligt wird.
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15334 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Dr. Müller-EmmertWir sind der Auffassung, daß der Vorschlag, den wir Ihnen unterbreiten, meine sehr geehrten Damen und Herren, dazu beitragen wird, daß die Angebote sozialstaatlichen Schutzes von den Frauen besser als bisher angenommen werden. Wir sind auch der Auffassung, daß dadurch unsachgemäß durchgeführte Schwangerschaftsabbrüche und die dabei entstehenden Gefahren für Leben und Gesundheit der Schwangeren verhindert werden. Schließlich sind wir voll davon überzeugt — und damit möchte ich abschließen —, daß die von uns vorgeschlagene Regelung mit Sicherheit dazu beitragen wird, daß ungeborenes Leben wirksamer als bisher geschützt wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spranger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für den Rechtsfrieden in unserem Lande, für eine humane, soziale und ethische Wertordnung in unserem Volke war es von großer Bedeutung, als das Bundesverfassungsgericht am 25. 2. 1975 die Fristenlösung für verfassungswidrig erklärte. Sein Urteil enthält klare Richtlinien für die weitere parlamentarische Arbeit an der Änderung des § 218. Das Gericht bestätigte nahezu umfassend die Überzeugung und Argumentation der CDU/CSU gegenüber der Fristenlösung. Unsere damaligen Grundsätze fanden auch Eingang in unseren Fraktionsentwurf, der trotz unterschiedlicher Meinungen der Verantwortung wegen, der Sache wegen zustande kam, den die Mehrheit der Koalition von SPD und FDP zu unserem Bedauern im Ausschuß ablehnte.Bevor ich ihn darstellen und begründen darf, eine Bemerkung zu Herrn von Schoelers rhetorischem Amoklauf.
Sie haben, Herr von Schoeler, eine Rede gehalten, die der Problematik des § 218 schlichtweg unwürdig war.
Platte Schimpfereien und hanebüchene Pseudoargumentation erreichten ein Niveau, auf dessen Tiefebene wir von der CDU/CSU mit Ihnen nicht diskutieren.
Sie haben der Sache heute einen denkbar schlechten Dienst erwiesen.
Ich beschränke mich deshalb darauf, unseren Entwurf darzustellen.Wir von der Union waren stets der Auffassung, daß das jetzige Strafrecht allein nur unzureichend ungeborenes Leben geschützt hatte. Hohe Dunkelziffern und die Ausnutzung großzügiger Abtreibungsgesetze im Ausland verletzten die Gerechtigkeit. Wir forderten deshalb Änderungen, aber nicht um der Änderung, sondern um der Verbesserung willen. Eine Änderung des § 218 ist nur sinnvoll, wenn sie nach menschlichem Ermessen zu einer Verbesserung des Schutzes ungeborenen Lebens, zu einem Rückgang der Abtreibungszahlen, zu mehr Hilfe und Rücksichtnahme für die betroffenen Frauen und Familien im Konfliktfall führt. Das muß vor allem mit vorbeugenden sozialen, fürsorgerischen Maßnahmen, auch solchen familienpolitischer Art, angestrebt werden. Die Realitäten verpflichten uns allerdings hier zu nüchterner Erfolgserwartung.Bei der Arbeit an unserem Entwurf ließen wir uns von folgenden Voraussetzungen leiten:Erstens. Das menschliche Leben ist ein zentraler Wert, ja ein Höchstwert in unserer grundgesetzlichen Ordnung. Es ist Voraussetzung aller anderen Grund- und Menschenrechte und einer der höchsten sittlichen Grundwerte. Das ungeborene Leben ist dem geborenen gleichzusetzen. Menschliches Leben ist durch den Staat umfassend zu schützen. Das hat der Gesetzgeber auch im Bewußtsein unseres Volkes wachzuhalten.Zweitens. Das Selbstbestimmungsrecht der Frau findet seine Grenze im Lebensrecht des Ungeborenen. Der Staat muß daher alles tun, um zu verhindern, daß Selbstbestimmung zur unrechtmäßigen Tötung Ungeborener mißbraucht wird. Er muß sich heute und in absehbarer Zeit auch des Strafrechts als eines Mittels bedienen.Drittens. Strafrechtliche Sanktionen können dann entbehrlich sein, wenn die Austragung der Schwangerschaft im Einzelfall für die Schwangere zu schwerwiegenden Konflikten führen würde, so daß es unzumutbar wäre, sie mit dem Strafrecht zu erzwingen. Ein Indikationenkatalog hat die Tötung ungeborenen Lebens auf Not- und Sonderfälle zu begrenzen.Diesen Grundsätzen gemäß entspricht unser Entwurf den Grenzen und Möglichkeiten unserer Verfassung ebenso wie der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und deren Gründe. Er deckt sich mit jenen ethischen und christlichen Grundwerten, die unsere Rechtsordnung ausfüllen und für deren Erhaltung die Gemeinschaft unseres Volkes ebenso verantwortlich ist wie der Gesetzgeber. An diesen Grundwerten vorbei oder wertneutral darf die Entscheidung über Wert und Schutz menschlichen Lebens nicht getroffen werden.Unser Entwurf geht von einer übergreifenden medizinischen Indikation und einer Rechtsgüterabwägung im Einzelfall aus. In einer den Geboten der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit entsprechenden Weise können in diese medizinische Indikation auch eugenische und ethische Gesichtspunkte eingebunden werden. Die Träger des Fraktionsentwurfs sind der Ansicht, daß die Voraussetzungen einer medizinischen Indikation in der Regel auch dann gegeben sind, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit ein zu erwartendes Kind an schwerwiegenden Gesundheitsschädigungen leiden würde, deretwegen der Schwangeren die Fortsetzung der
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15335
SprangerSchwangerschaft nicht abverlangt werden kann. Damit erteilen wir einer eigenständigen eugenischen Indikation eine Absage. Wir sind der Meinung, daß der Staat grundsätzlich kein Recht hat, menschliches Leben in lebenswertes und lebensunwertes einzuteilen. Wo es allerdings für die Schwangere unzumutbar erscheinen kann, ein schwergeschädigtes Kind unter erheblicher eigener Gesundheitsgefährdung zur Welt zu bringen, soll nach dem Fraktionsentwurf in Übereinstimmung mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und dem Deutschen Ärztetag ein Schwangerschaftsabbruch straflos sein. Desgleichen sind nach unserer Ansicht in der Regel die Voraussetzungen einer medizinischen Indikation gegeben, wenn die Schwangerschaft auf einer Straftat beruht; doch muß in jedem Fall geprüft werden, ob eugenische oder ethische Gründe zu einer so schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung der Schwangeren führen, daß eine medizinische Indikation gegeben ist. Dies steht im Gegensatz zum Entwurf der SPD/FDP, der zwar den Eindruck einer übergesetzlichen medizinischen Indikation erweckt, in Wahrheit aber eine eigenständige eugenische und ethische Indikation ohne medizinischen Bezug enthält.In Übereinstimmung mit der Bundesärztekammer lehnt die CDU/CSU-Fraktion mehrheitlich eine selbständige soziale Indikation ohne Nachweis gesundheitlicher Beeinträchtigung ab, wie sie der SPD/FDPEntwurf dagegen vorsieht. Herr Kollege Köster wird diese Auffassung später im einzelnen begründen. So einfach, Herr Dr. Müller-Emmert, ist der Vorwurf der Nichtausschöpfung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts nicht zu begründen; denn auch bei uns soll, wenn gegenwärtige und zukünftige Lebensverhältnisse der Schwangeren, also auch soziale Umstände, zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung ihres körperlichen und psychischen Gesundheitszustandes führen, eine Indikation aus medizinischen Gründen zulässig sein. Dies entspricht ebenfalls der Ansicht der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages. Selbst dann aber, wenn die Schwangere diese Möglichkeiten überschreitet, droht ihr noch nicht automatische Bestrafung. Nach unserem Entwurf kann der Richter bei außergewöhnlicher Bedrängnis von Strafe absehen. Dies gilt auch für Dritte, sofern ein Arzt die Schwangerschaft abbrach. Diese Bestimmung hilft in allen Fällen, wo Notsituationen durch Schwangerschaftsabbruch behoben werden sollten, ohne das er gerechtfertigt war. Wir sind sicher, daß von dieser Bestimmung in gerechter und humaner Weise Gebrauch gemacht werden könnte und würde.Strafrecht allein, meine Damen und Herren, sichert nicht den Schutz ungeborenen Lebens. Vorbeugende Hilfen sind erforderlich, insbesondere eine Beratung, die über vorhandene Hilfen unterrichtet, auf die Erhaltung ungeborenen Lebens und auf die Fortsetzung der Schwangerschaft hinwirkt. So sieht der CDU/CSU-Entwurf behördlich ermächtigte Beratungsstellen vor. Neben ihnen soll ein Arzt über die medizinischen Gesichtspunkte eines Schwangerschaftsabbruchs beraten, während die Voraussetzungen der Indikation zwei ermächtigte Ärzte schriftlich festzustellen haben. Dieses Verfahren entspricht den Geboten der Rechtsstaatlichkeit und gewährleistet eine verantwortungsbewußte Feststellung der Indikation, eine wirkungsvolle Beratung zum Schutze des ungeborenen Lebens, ohne den Frauen das Gefühl zu vermitteln, vor ein „Tribunal" gestellt zu werden, wie der häufig erhobene, aber deswegen nicht besser begründete Vorwurf immer wieder lautet.
Wer eine wirksame Beratung und Begutachtung will, der sollte, meine Damen und Herren, endlich Schluß machen mit dieser Tribunalisierungshysterie Auf Dauer kann man nämlich auch etwas herbeireden, was man, als Buhmann aufgebaut, bekämpft.
Man sollte schließlich auch sehen, daß nur eine gründliche Beratung den Frauen hilfreich ist bei der Bewältigung des immerhin ja nicht einfachen Problems der Tötung ungeborenen Lebens.Die personelle und organisatorische Verflechtung von Beratung, Feststellung und Schwangerschaftsabbruch im SPD/FDP-Entwurf erweckt schwerste Bedenken. Meine Nachredner werden dies beweisen. Unser Beratungs- und Feststellungsverfahren geht jedenfalls von folgenden Voraussetzungen aus: Die soziale Beratung darf entsprechend der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht von einem Arzt vorgenommen werden, weil er wegen seiner Berufsausbildung und wegen seiner zeitlichen Belastung dazu nicht zuverlässig in der Lage sein kann. Sie muß durch behördlich ermächtigte Beratungsstellen erfolgen, weil nur diese die erforderliche Sachkunde sowie die nötige Zeit auch zur sorgsamen, schützenden Beratung haben und weil sich sonst Ärzte finden — und „schwarze Schafe" gibt es auch in diesem Berufsstand —, die nur des Verdienstes wegen jeden Wunsch der Frau auf Schwangerschaftsabbruch erfüllen.Die soziale Beratung muß personell und organisatorisch getrennt werden von der ärztlichen Beratung und von der Feststellung der Indikation, weil es sich um Aufgaben unterschiedlicher Zielsetzungen handelt und weil sonst dem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet wird. Schließlich darf nicht jeder beliebige Arzt ohne jede Kontrolle und ohne Zulassung oder Anerkennung durch eine staatliche Stelle beraten und bzw. oder die Indikation feststellen. Nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil ist nur eine sachkundige, vom Staat verantwortete Prüfung und Feststellung durch Sachverständige zulässig. Andernfalls nimmt man der Beratung jegliche Chance und Bedeutung, wenn sie von einem Arzt vorgenommen wird, der von der Schwangeren gerade zu dem Zweck aufgesucht wird, daß er die Voraussetzungen für eine Indikation feststellen möge.Unser Beratungs- und Feststellungsverfahren beachtet diese Richtlinien. Es garantiert ein Höchstmaß an Sachlichkeit, Schutz des ungeborenen Lebens und Berücksichtigung der Konfliktsituation der Schwangeren. Diese Voraussetzungen sind bei dem SPD/FDP-Entwurf nicht gegeben; er gefährdet ungeborenes Leben wie bei der Fristenlösung. Wie in
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15336 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
SprangerEngland werden spezialisierte Ärzte in Teamworkdie Indikationen unterlaufen und praktisch jedengewünschten Schwangerschaftsabbruch vornehmen.
Die Praxis hat erwiesen, wie unangebracht die Versuche waren, die medizinisch-biologische Bedeutung des Schwangerschaftsabbruchs und die möglichen psychischen und physischen Schäden herunterzuspielen, die besonders bei unsachgemäßer Ausführung entstehen. Deshalb verbietet unser Entwurf im Interesse der Gesundheit der Frauen Schwangerschaftsabbrüche außerhalb von Krankenhäusern oder besonders zugelassenen Einrichtungen, die die notwendige medizinische Nachbehandlung gewährleisten.
— Er sieht anders aus, weil Sie, gerade was die besonderen Einrichtungen anbelangt, keine Ermächtigung und keine medizinische Nachbehandlung voraussetzen bzw. verlangen, Herr Dürr.Viele Menschen im Lande — Ärzte, Schwestern, Krankenhausträger — lehnen aus beachtenswerten Gewissensgründen jede Tötung ungeborenen Lebens ab. Deren sittliche Überzeugung und deren Gewissensfreiheit trägt unser Entwurf Rechnung.
— Sie wissen doch genau, was damit gemeint ist, Herr Arndt. Aber so können nur Sie fragen.Niemand ist verpflichtet, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken oder ihn zuzulassen, es sei denn, es besteht für die Frau Lebensgefahr. Hier war zugunsten des höherwertigen Rechtsguts, nämlich das Leben der Frau, zu entscheiden.Angesichts der ungeheuer vielschichtigen Problematik der Änderung des § 218 wäre es ein vergebliches Unterfangen gewesen, allen Ansichten und Überzeugungen im Lande gerecht werden zu wollen. Die CDU/CSU hat jedoch jahrelang erbittert um eine insgesamt humane, soziale und gerechte Gesetzgebung gekämpft, die mit den sittlichen Grundwerten unseres Volkes im Einklang steht. Wir haben bis zuletzt — auch im Ausschuß und in Gesprächen am Rande der Ausschußberatungen — immer wieder um einen breiten Kompromiß gerungen. Wir bedauern sehr, daß es dazu nicht gekommen ist. Wir haben unterschiedliche Meinungen in unseren Reihen zurückgestellt, um diesen Kompromiß zu ermöglichen. Auch aus diesem Grunde bedauern wir, daß es nicht zu einer einheitlichen Auffassung dieses Hohen Hauses kommen wird.Wir sind davon überzeugt, daß unser Entwurf den Anforderungen der Grundwerte unseres Volkes entspricht, daß er dem wohlverstandenen Interesse und der Not vieler Frauen ebenso wie dem Wert und dem Schutz ungeborenen Lebens gerecht wird. Als Gesetz brächte er mehr Gerechtigkeit und mehr Menschlichkeit in unser Land.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir stehen heute am Ende einer sehr langen Auseinandersetzung über eine wichtige Frage. Nur so kann ich verstehen, daß einige Kollegen versuchen, die Zurückhaltung hier im Hause etwas aufzulockern, indem sie durch maßlose Ausfälle oder ganz einfach durch Rechthaberei auf sich aufmerksam machen wollen.Herr Kollege Spranger, ich glaube, nur so kann ich auch Ihren Beitrag verstehen, daß Sie die Aufmerksamkeit der Kolleginnen und Kollegen auf sich lenken wollten und sich ruhig wieder ihrem Manuskript zugewandt haben, nachdem Sie Ihre maßlosen Ausfälle gegen den Beitrag des Herrn Kollegen von Schoeler gestartet hatten.
Ich glaube, wer sich hier so häufig in seinen Beiträgen scharfmacherisch betätigt, ja, beinahe in dieser Hinsicht schon parlamentsbekannt ist, der sollte sich bei der Bewertung eines doch sehr abgewogenen Beitrags eines anderen Kollegen etwas zurückhalten.
Nun hat Herr Kollege Vogel heute gesagt, wir hätten die Chance verpaßt, in dieser wichtigen Frage zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. Herr Kollege Vogel, Sie wissen genauso wie ich, daß eine ganze Reihe von Gesprächen mit Vertretern Ihrer Fraktion stattgefunden hat, um den von den Koalitionsfraktionen erarbeiteten Entwurf mit der Opposition zu erörtern; denn auch uns wäre es gelegen gekommen, wenn man sich nach heißer Schlacht, nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf ein gemeinsames Ergebnis geeinigt hätte.Nun wird nicht zu übersehen sein, Herr Kollege, daß Sie es in Ihrer Fraktion besonders schwer haben. Ich meine nicht die Vielfalt der durch eine Gewissensentscheidung begründeten Auffassungen. Es ehrt eine politische Gruppe, wenn verschiedene Auffassungen, die aus dem Innersten kommen, vorhanden sind. Aber es geht doch weiter bei Ihnen. Das ist ein ganz breites Spektrum, bei dem natürlich auch bei diesen Abwägungen viele andere Dinge eine Rolle spielen. Da wird die Fristenregelung ebenso vertreten wie die Auffassung, daß im Grunde das Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit seiner Zwischenlösung schon zu weit gegangen sei. Von daher verstehe ich es und erhebe meinerseits keinen Vorwurf, daß eine Einigung mit den Koalitionsparteien in dieser Frage für Sie eben nicht möglich war.Herr Kollege Vogel, man sollte sich dann aber nicht als der alleinige parlamentarische Hüter werdenden Lebens darstellen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15337
EngelhardMan sollte nicht sagen, bei den erneuten Versuchen, zu einer vernünftigen gesetzlichen Regelung zu kommen, würde von politischen Kräften hier im Hause erneut am Rande der Verfassungswidrigkeit operiert. Das ist doch einfach nicht richtig.
Richtig ist doch dieses, Herr Kollege, daß wir — und ich sage es in aller Deutlichkeit — die Fristenregelung nach wie vor für die bessere, für die angemessenere und auch für die sozialere Lösung halten, daß wir aber — und ich sage das für die Fraktion der FDP mit allem Nachdruck — selbstverständlich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts voll respektieren
und daß wir uns in unserem Bemühen, die Neuregelung an den Linien der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auszurichten von niemandem übertreffen lassen. Wir lassen uns allerdings auch nicht in unserem Bemühen übertreffen, das Urteil voll auszuschöpfen.
Dieses Ausschöpfen ist nicht Selbstzweck, sondern geschieht mit dem Sinn, den Schutz des werdenden Lebens in einer wirklich praktizierbaren Weise herbeizuführen.Wenn ich „praktizierbar" sage, dann sind wir bei der ungeheuren Bedeutung, die die Verfahrensregelung in diesem Zusammenhang im Entwurf einnimmt. Darüber müssen wir uns unterhalten. Da sollte man nicht zu empfindlich sein. Da wird man auf verschiedenes eingehen müssen. Da sollte man nicht vom niedrigen moralischen Niveau in der Argumentation sprechen, wenn wir unsere ernste Sorge zum Ausdruck bringen, Herr Kollege Vogel, daß Beratung der zentrale Punkt ist, daß dort, wo Beratung versagt, alles weitere — man mag es regeln, wie immer man will — keinen Sinn hat.Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, daß dieser Beratung deswegen eine so große Bedeutung zukommt, weil es dem Gesetzgeber ermöglicht wird, die Mittel des Strafrechts dort nicht einzusetzen, wo er in anderer Weise Sachdienliches zu bieten vermag, was dem Schutz des werdenden Lebens dienen kann.
Deswegen die zentrale Bedeutung einer Beratung.
Herr Kollege Dr. Eyrich, wir werden uns hüten, der aufopferungsvollen Arbeit der Beratungsstellen in irgendeiner Weise zu nahe zu treten. Nur ist unsere Sorge, daß bei Ihrem Bemühen etwas zu stark ein amtsförmlicher Weg eingeschlagen wird, daß die Gefahr besteht, daß man zu jenem Merkblatt kommt, von dem der Kollege von Schoeler gesprochen hat, das nur übergeben wird. Das wäre doch nicht das erste Mal. In Fragen, die sicherlich nicht so wichtig,aber auch bedeutsam sind, ist mir sehr wohl bekannt, daß sachkundige Amtspersonen in der Vergangenheit bei Mieterberatung den Betroffenen nichts anderes angeboten haben als ein Merkblatt. Es gab nur ein weißes und ein blaues; das weiße für die Bewohner von Altbauten und das blaue für die Bewohner von Neubauten.Ich will damit eines deutlich machen: Je mehr wir uns von einem Schematismus fernhalten, je weniger wir vorschreiben, was dort letztlich dann schon aus der Gewohnheit heraus der betroffenen Schwangeren formelhaft mitzuteilen ist, desto größer ist die Chance, daß es nicht zu einem Gespräch zwischen einer Amtsperson und einer Frau kommt, die sich in ihrer Situation momentan nicht zu helfen weiß, sondern zu einem Gespräch zwischen zwei Menschen. Beide sind ganz sicher in unterschiedlicher Weise betroffen; der eine ist sachkundig, der andere in seinem persönlichen Schicksal betroffen. Aber diese beiden Menschen können sich näherkommen. Unsere Sorge ist nur, daß man sich hier allzustark auf ein amtsförmliches Verfahren einlassen könnte.Das ist auch mit der Grund, warum wir soviel Wert darauf gelegt haben, daß auch der Arzt bei der Beratung über die öffentlichen und privaten Hilfen, die der einzelnen Schwangeren zur Verfügung stehen, hier beratend tätig sein kann. Das hat bei Ihnen teilweise Entsetzen hervorgerufen. Sie haben gesagt, es sei ganz unmöglich, daß sich der Arzt im Einzelfall sachkundig macht durch Rücksprache mit dem Mitglied einer Beratungsstelle, mit einem Sozialarbeiter oder mit einer anderen öffentlichen Stelle, um hier „in geeigneter Weise", wie es dort heißt, helfend einzugreifen.Ich glaube, wer so spricht, verkennt, wie schon heute ein Arzt, der in seinem Beruf engagiert ist, helfen kann, weil sich aus dem Gespräch beim Arzt, das die medizinischen Fragen mit einschließt, ein Vertrauensverhältnis ergibt, das auch den Weg zur Beratung in anderen Dingen eröffnet. Auch hier bitte ich doch nicht zu verkennen, daß es nur in den wenigsten Fällen gilt, als ein sachkundiger sozialer Berater den ganzen Katalog des Angebots unseres Sozialstaats aufzublättern und der Frau zu sagen: „Nun, mir scheint, die Seite soundso kommt für dich in Frage. Ich rate dir, greif zu!" Das ist doch überhaupt nicht das Problem. Hier liegen doch die Fälle völlig unterschiedlich. Man wird sich in einem Fall um eine Wohnung kümmern müssen und in einem anderen Fall etwas ganz anderes anbieten müssen. Das kann jeder intelligente Mensch erkennen, der gewöhnt ist, berufsmäßig mit anderen Menschen zu sprechen und sich wie etwa ein praktizierender Arzt einzufühlen. Wenn er das erkannt hat, dann kommt es unserer Meinung nach darauf an, nun auch schon gleich an die richtige Stelle heranzutreten und auf dem kürzesten telefonischen Weg die Auskunft einzuholen, die notwendig ist und die auf einem amtsförmlichen Weg vielleicht erst nach Wochen beschafft werden kann.Dasselbe Problem dieser Entkrampfung stellt sich natürlich auch bei dem feststellenden Arzt. Wir halten es für ein beinahe böses Mißtrauen gegenüber
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15338 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Engelhardunserer Ärzteschaft zu meinen, daß hier nur der ermächtigte Arzt tätig werden darf.
Das ist ein Problem des Standesrechts. Überall gibt es schwarze Schafe. Wir haben uns damit in anderem Zusammenhang mit den Rechtsanwälten auseinanderzusetzen gehabt. Es soll auch hier deutlich gesagt werden, daß es selbstverständlich auch unter den Ärzten ungeeignete Berufsangehörige für die Indikationenfeststellung gibt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogel?
Bitte schön.
Herr Kollege Engelhard, vielleicht erleichtert es Ihre Ausführungen, wenn ich noch einmal darauf hinweise: Wir sehen vor, daß derjenige Arzt, zu dem die Frau geht, sich, bevor er selbst zu einer Entscheidung kommt, von ermächtigten Ärzten beraten lassen muß — d. h., der Arzt muß sich von ermächtigten Ärzten beraten lassen —; das sieht etwas anders aus, als Sie es jetzt beschreiben.
Herr Kollege, mir scheint, der Unterschied ist so hauchdünn, daß man ihn schwer nachvollziehen kann. Aber es ist doch wohl ganz unbestreitbar so, daß die Frage der Ermächtigung eine gewichtige Rolle in Ihrem Entwurf spielt. Es ist zu Recht die Frage gestellt worden: Wer wird nun ermächtigt? Hier wollen wir doch nicht naiv sein und verkennen, daß sich das Problem der Abtreibungsgeographie mit einer derartigen Regelung verschärfen würde. Wir haben heute in den einzelnen Landstrichen hinsichtlich des Schwangerschaftsabbruches ohnehin höchst unterschiedliche Meinungen. Dagegen ist gar nichts zu sagen; das ist an den dort gegebenen sozialen, gesellschaftlichen und sonstigen Realitäten orientiert. Das ist eben so. Das aber nun zusätzlich zu verschärfen, indem man nur bestimmte Ärzte von Behörden ermächtigen läßt, spitzt das Problem zu
und verkleinert den Kreis derjenigen Ärzte, an die sich die Frau in ihrer Not wenden kann. Indem dieser Kreis verkleinert wird, wird das Verfahren schon wieder amtsförmlich, wird es erschwert, Zugang zu dem Arzt zu finden; denn Gott sei Dank gibt es ja heute noch viele in diesem Lande, die noch einen Hausarzt haben, die — oft über Generationen, über Jahrzehnte hinweg — einen Arzt noch so gut kennen und er sie so genau kennt, daß sie sich ihm von vornherein anvertrauen können. Dieses Vertrauensverhältnis muß nicht mühsam gesucht werden, sondern ist von vornherein vorhanden.
Es ist unser Bemühen, ein Verfahren zu finden, das sich von Förmelei fernhält und das es der einzelnen Schwangeren erlaubt, einen Weg für eine Beratung wie für eine Feststellung zu finden, die ihrem Einzelfall angemessen ist. Dem wollen wir nichts in den Weg legen, sondern hier die Tür aufstoßen und nichts einengen.
Das
Wort hat Frau Abgeordnete Eilers .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion gehört die Gesamtreform des § 218 mit zu den schwierigsten, aber auch mit zu den am intensivsten vorbereiteten Reformwerken. Es sind beinahe auf den Tag genau vier Jahre her, daß von der sozialliberalen Bundesregierung und von Mitgliedern meiner Fraktion die ersten Entwürfe für eine Strafrechtsänderung im Deutschen Bundestag eingebracht worden sind. Während der gesamten 7. Legislaturperiode haben wir uns gemeinsam mit dem Koalitionspartner darum bemüht, eine bestmögliche Regelung für diese alte sozialdemokratische Forderung zu finden. Aus meiner Parlamentstätigkeit — ich gehöre diesem Hause inzwischen 19 Jahre an — ist mir kein ähnlicher Fall bekannt, bei dem für die Neufassung einer Rechtsvorschrift in einer Legislaturperiode gleich zwei Gesetze erforderlich gewesen wären. Meine Fraktionskollegin Frau Marie Schlei hat bei der ersten Verabschiedung der Strafrechtsänderung zu § 218 festgestellt, „zum zweiten Male in der deutschen Parlamentsgeschichte setzten sich Sozialdemokraten für eine grundlegende Reform des Strafrechtsparagraphen 218 ein: 1920 und 1974". Ich habe heute festzustellen: Es ist das dritte Mal, daß Sozialdemokraten einen seit Jahrzehnten dauernden Sozialskandal — nunmehr hoffentlich endgültig — aus der Welt schaffen.
Beim Schwangerschaftsabbruch geht es nicht, wie unsere politischen Gegner oft behaupten, um eine juristische Frage, die durch die eine oder andere Formulierung von Strafrechtstatbeständen gelöst werden kann. Tatsächlich haben wir es hier mit einer unendlich großen sozialen Aufgabe zu tun, mit vielfältigen Konfliktsituationen, denen sich werdende Mütter oft gegenübergestellt sehen und die häufig mit einem illegalen Schwangerschaftsabbruch enden. Hierfür hat unsere Gesellschaft zeitgemäße Lösungen zu finden, die das werdende Leben und die Gesundheit der Mütter besser als bisher schützen, Lösungen, die nicht Tausende von Frauen Jahr für Jahr erst in die Isolation treiben, sie mit Angst erfüllen und dann in ihrer Not noch zu Kriminellen werden lassen — Mütter, die sonst unbescholten sind.Der Blick über die Grenzen und auch eigene Erfahrungen zeigen, daß hier Strafrechtsnormen selten abschreckende Wirkung erzielen. Daher haben wir Sozialdemokraten von Anfang an dem sozialpolitischen Rahmenwerk, den sozialergänzenden Regelungen im engeren Sinne, aber auch all jene Maßnahmen, die zu einer kinderfreundlichen Atmo-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15339
Frau Eilers
sphäre beitragen können, das größere Gewicht beigemessen.
Sozialdemokraten und Freie Demokraten haben seinerzeit ihre politische Absicht in einer Entschließung festgehalten. Sie besagt:Die Reform des § 218 StGB muß erreichen, daß der sozialpolitische und strafrechtliche Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens sinnvoll und wirksam aufeinander abgestimmt werden.Dabei ist die Reihenfolge, zuerst die Sozialpolitik und erst dann das Strafrecht, nicht etwa zufällig gewählt worden. Um so mehr hat es mich bedrückt, Herrn Kollegen Vogel vom „Geschäft mit der Abtreibung" sprechen zu hören. Dieses Geschäft mit der Abtreibung wird heute betrieben: im Abtreibungstourismus im In- und Ausland. Ihn mit dieser Gesetzgebung zu verhindern, ist unser Ziel.
Unser Lösungsvorschlag sieht vor, die Zahl der kriminellen Schwangerschaftsabbrüche so weit wie möglich zu senken und Frauen und ihre Familien in die Lage zu versetzen, unerwünschte Schwangerschaften, die erfahrungsgemäß das größere Risiko für den Schwangerschaftsabbruch darstellen, möglichst von vornherein zu verhindern. Es war unser Bestreben, die Frauen zu ermutigen, in Konfliktsituationen wirklich Beratung anzunehmen. Dabei mußte der Weg zu einem derartigen Berater so gangbar wie möglich gemacht werden. Denn nur dann, wenn sich Frauen furchtlos und ohne das Damoklesschwert einer Strafdrohung ratsuchend an einen Arzt ihres Vertrauens, an einen in sozialer Hilfe Bewanderten, einen Geistlichen oder einen Verwandten wenden können, besteht die Möglichkeit, ihnen tatsächlich zu helfen. Es ist eine alte Erfahrung, daß die Chance der erfolgreichen Beratung um so größer ist, je größer das Vertrauen ist, das dem Ratenden entgegengebracht wird. Öffengelegte Konfliktsituationen lassen sich lösen und brauchen nicht mit einem Schwangerschaftsabbruch zu enden. Dies ist nach unserer Auffassung die sicherste Gewähr, ungeborenes Leben besser als bisher zu schützen und bedrängten Müttern zu helfen.Darüber hinaus haben wir die administrativen Voraussetzungen zu einer verantwortlichen Familienplanung geschaffen. Frauen und Männer, die der gesetzlichen Krankenversicherung angehören, können sich von einem Arzt über Empfängnisregelung beraten und empfängnisregelnde Mittel verordnen lassen, die an Empfänger der Sozialhilfe sogar kostenfrei abgegeben werden. Ungewollte Schwangerschaften lassen sich also von vornherein vermeiden.Dies war unsere Vorstellung von einer zeitgemäßen Problemlösung, als wir den für eine ausgedehnte Schwangerschaftsberatung erforderlichen strafrechtlichen Ansatz, die Fristenregelung, entwickelten. Und der, der da behauptet — wie dies erst vor wenigen Tagen von katholischer Seite geschah —, dem Töten würde ein pseudorechtlicher Freiraum gewährt, stellt nur seine unzulässig vereinfachte Betrachtung unter Beweis. Ein begrenzter straffreier Raum läßt sich nur dann für die Beratung werdender Mütter voll ausschöpfen, wenn jede Ähnlichkeit mit einem ärztlichen Tribunal vermieden wird.Nach jahrzehntelangen Erfahrungen war unser Strafrecht nicht in der Lage, werdendes Leben umfassend zu schützen. Dies wird auch künftig nicht viel anders sein. Die von Sozialdemokraten und Freien Demokraten ursprünglich konzipierte Strafrechtsänderung in Form einer Fristenregelung hat die CDU/CSU im Bundestag und in den Bundesländern durch ihren Gang nach Karlsruhe unmöglich gemacht.Es fällt den Frauen, die für eine durch Sozialmaßnahmen abgesicherte Fristenregelung eingetreten sind, nicht leicht, die vom sozialdemokratischen Denkansatz völlig abweichende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu verstehen.
Denn die Mehrheit der Karlsruher Richter vertrat die den Frauen ziemlich unverständliche Auffassung, sie seien nicht in der Lage, werdendes Leben ohne Strafandrohung zu schützen. Sozialdemokraten meinen jedoch: Eine sinnvolle Beratung und soziale Hilfen dienen dem Schutz des ungeborenen Lebens besser, als jede Strafandrohung es tun kann.
Der Spruch des Karlsruher Verfassungsgerichts zur Fristenregelung ist für meine Fraktion verbindlich. Nach unserer Rechtsordnung kommt dieser Entscheidung Gesetzeskraft zu. Das ändert nichts an der Tatsache, daß meinen Fraktionskollegen und mir noch heute Zuschriften aus der Bevölkerung zugehen — aus dem In- wie aus dem Ausland —, in denen wir aufgefordert werden, uns über diesen Spruch hinwegzusetzen. In verfassungsrechtlichen Fragen unbewanderten Frauen und Männern ist es nicht einsichtig, daß in der Bundesrepublik nicht die gleichen strafrechtlichen Vorschriften durchzusetzen sind, die seit kurzem in den Nachbarländern Osterreich und Frankreich Realität geworden sind. Vielleicht sieht sich die Opposition imstande, dies den betroffenen Frauen klarer zu machen.Und noch einer anderen Tendenz gilt es künftig verstärkt entgegenzutreten. Die breite Argumentation um das Für und Wider der verschiedenen rechtlichen Ansätze, den Strafrechtsparagraphen 218 zu ändern, hat die dem Schwangerschaftsabbruch zugrunde liegenden sozialen Probleme und den Stellenwert, den daher sozialpolitische Lösungen haben müssen, weithin überdeckt. Für mich wäre die ständige Beteuerung der Opposition in diesem Hause und anderer gesellschaftlicher Gruppen, ihnen ginge es um den besseren Schutz des werdenden Lebens, sehr viel glaubhafter gewesen, wenn diese sich nicht nur um die strafrechtliche, sondern mehr um die Lebenssituation der werdenden Mütter gekümmert hätten.
Dieser überwiegend strafrechtlich orientierten Einstellung der CDU/CSU — genauer gesagt, der Mehrheit der CDU/CSU-regierten Länder im Bundesrat — ist es zuzuschreiben, daß das Inkrafttreten der sozial ergänzenden Maßnahmen zur Reform des
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15340 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Frau Eilers
§ 218 eineinhalb Jahre lang verzögert worden ist; Familienplanung als Leistung der Krankenversicherung ist erst seit Dezember 1975 möglich.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Köster?
Bitte!
Frau Kollegin, ist Ihnen eine Organisation bekannt, die sich in ihren Beratungsstellen mehr als die Kirchen in Deutschland gerade um die Nöte der schwangeren Frauen gekümmert hat?
Meine Damen und Herren, ich bitte, auf der Tribüne den Verhandlungen ohne Beifalls- oder Mißfallenskundgebungen zu folgen.
Ich möchte Ihnen sagen, Herr Kollege Köster: In den letzten Jahren ist das üblich geworden, aber denken Sie bitte daran, wie viele Jahrzehnte die alleinstehende Mutter mit ihren Kindern nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch schon vorher im Deutschen Reich auf Grund dieses Zustandes geächtet worden ist.
und wer ihr dabei Hilfeleistung gegeben hat.
Die Sozialdemokraten haben nach dem Spruch des Verfassungsgerichts nicht etwa resigniert. Wir haben den Frauen in unserem Lande in Wahlprogrammen und in Regierungserklärungen zugesagt, das Problem der Schwangerschaftsabbrüche aufzugreifen. Daher ergab sich für uns ganz konsequent die Aufgabe, das Karlsruher Urteil zu analysieren, den dort gesteckten rechtlichen Rahmen voll auszuschöpfen und in den vom Verfassungsgericht gezogenen Grenzen ein neues Gesetz zu entwickeln. Soweit es um die strafrechtlichen Detailregelungen geht, wurde dies von meinem Fraktionskollegen Müller-Emmert, dem Strafrechtsexperten meiner Fraktion, bereits dargestellt.
Im Interesse der betroffenen Frauen geht es mir hauptsächlich darum, in dieser vom Verfassungsgericht erzwungenen zweiten gesetzlichen Regelung, die ich zwar nicht als die beste, wohl aber als die nach diesem Urteil optimale bezeichnen würde, die Beratung und das Verfahren auszugestalten, dem sich konfliktbeladene werdende Mütter auszusetzen haben. Im Rahmen der vom Bundesverfassungsgericht gezogenen Grenzen wird auch im neuen Gesetz die Bereitschaft geweckt, sich beraten zu lassen und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine werdende Mutter kann einen Arzt ihres Vertrauens oder eine Beratungsstelle aufsuchen, um sich über bestehende öffentliche oder private Hilfsmöglichkeiten informieren zu lassen, die in diesem Fall einen persönlichen Konflikt entschärfen könnten. Selbstverständlich werden sie in einem solchen Gespräch auch über alle mit einer Schwangerschaft zusammenhängenden medizinischen Fragen informiert.
Besondere Bedeutung messen wir dabei der freien Arzt- oder Beraterauswahl durch die Frau zu. Wichtig ist unseres Erachtens ferner, daß diese Gespräche unter vier Augen stattfinden. Zwischen dem Beratungsgespräch und einem, wie wir hoffen, vermeidbaren Schwangerschaftsabbruch ist eine dreitägige Bedenkzeit einzuhalten. Ein etwaiger Abbruch ist in jedem Fall von einem anderen Arzt durchzuführen.
Ein gewisser straffreier Raum ist auch im neuen Gesetz gegeben. Dadurch besteht die Chance, daß die Beratung von der werdenden Mutter angenommen wird, daß sie ohne Angst vor Strafe einen Berater aufsuchen kann. Selbst dann, wenn es später zu einem Schwangerschaftsabbruch kommen sollte, ohne daß eine der im Gesetz vorgesehenen Indikationen vorliegt oder eine Beratung stattgefunden hat, könnte eine Frau straffrei ausgehen. Diese Regelung, soviel schlechter sie auch sein mag als die Beratung bei der strafrechtlichen Fristenregelung, ist wesentlich weitergefaßt und besser als das ärztliche Tribunal, dem sich Frauen nach den alten Vorschriften des § 218 hätten stellen müssen.
Auch der mitberatende Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, der sich insbesondere mit diesem Teil des neuen Strafrechts befaßt hat, vertritt die Auffassung, daß das jetzt entwickelte Beratungsverfahren die Würde der schwangeren Frau achtet, ihre psychologische Ausnahmesituation voll berücksichtigt und den Zugang zur Beratung nicht durch vermeidbare Barrieren erschwert. Darum halten wir die jetzt gefundene gesetzliche Regelung für vertretbar, wenn die unseres Erachtens bessere Regelung durch das Verfassungsgerichtsurteil leider unmöglich gemacht worden ist.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Neumeister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen der SPD und FDP hatten eine gute Chance, die Änderung des § 218 des Strafgesetzbuches mit einer breiten Mehrheit der Abgeordneten des Deutschen Bundestages durchsetzen zu können.
Sie haben diese Chance nicht genutzt.
Die Fraktion der CDU/CSU hat sich vor zwei Jahren leidenschaftlich gegen die Einführung der vorgeschlagenen Fristenregelung gewehrt. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte in seinem Urteil vom 25 Februar 1975 ihre Bedenken gegenüber dieser Regelung und schuf in seinen Ausführungen einen
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Frau Dr. Neumeisterklar abgegrenzten Rahmen, an den sich ein mit unserer Verfassung zu vereinbarendes Strafrechtsänderungsgesetz anpassen muß.
Die Fraktion der CDU/CSU war bereit, Maßnahmen, die den gesetzten Auflagen gerecht wurden, mitzutragen. Das jedoch, was heute hier in der Drucksache 7/4128 an Änderungen vor uns liegt, entspricht keineswegs den vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Möglichkeiten. Im Gegenteil, es drängt sich der Verdacht auf, daß hier geschickt unter Vornahme einiger kosmetischer Änderungen, wie z. B. der Definition verschiedener für den Schwangerschaftsabbruch nachzuweisender Indikationen, versteckt die Fristenregelung nach wie vor erhalten geblieben ist.
So müssen wir doch erhebliche Bedenken gegen den § 218 Abs. 3 Satz 2 anmelden, wonach die Schwangere straffrei bleibt, „wenn der Schwangerschaftsabbruch ... von einem Arzt vorgenommen worden ist und seit der Empfängnis nicht mehr als 22 Wochen verstrichen sind". Praktisch besteht doch hier die Möglichkeit, sich ohne Vorliegen einer Indikation einen beliebigen Arzt zu suchen und einen zu finden, der zur Durchführung der Abtreibung bereit ist. Ist dies denn nun wirklicher Schutz des Lebens. Diese von 12 auf 22 Wochen erweiterte Fristenregelung wird der Schutzpflicht des Staates gegenüber dem sich entwickelnden Leben nicht gerecht.
Die Gefahr dieser Gesetzesregelung erkennt man allerdings nur, wenn man sich die Bedingungen für die obligatorisch vorgeschaltete Beratung genauer ansieht.
In § 218 b wird die Möglichkeit eröffnet, daß jeder beliebige Arzt die Voraussetzungen der Indikation feststellt.
Einzige Auflage für dieses sein Handeln ist, daß er nicht selbst den Schwangerschaftsabbruch vornimmt, seine Stellungnahme schriftlich niederlegt und sich — eventuell auch nur telefonisch — bei einer anerkannten Beratungsstelle über zur Verfügung stehende Hilfen informiert hat.
Hier wird doch die Beratung in unverantwortlicher Weise zu einer Farce entwertet.
Dabei hat die von der SPD/FDP-Koalition getragene Regierung in der 6. Legislaturperiode in ihrem damals vorgelegten Entwurf zur Reform des § 218 in der Begründung wörtlich gesagt — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten -Es kann keine Lösung in Betracht kommen, diejede neutrale Beurteilung ausschaltet. Eine neutrale Beurteilung der Indikation dient schließlich auch den Belangen der Schwangeren und ist im Interesse des ungeborenen Lebens notwendig.Ich zitiere weiter:Nicht jeder Arzt kommt als ärztlicher Berater in Betracht. Der Entwurf übernimmt nicht das in England eingeführte System des Votums durch einen nach vollkommen freier Wahl des behandelnden Arztes hinzugezogenen Arzt. Eine solche Regelung würde keine Gewähr für die Neutralität und Sachkunde des ärztlichen Beraters geben. Wenn nämlich zwei Ärzte in dem Sinne zusammenarbeiten, daß jeweils der eine die Eingriffe des anderen befürwortet, verliert die Beratung ihren Sinn.Ich zitiere immer noch aus der Begründung des damaligen Regierungsentwurfs.
Es liegt eine ausreichende Beratung nur vor, wenn der hinzugezogene ärztliche Berater in eine Liste der ärztlichen Berater für den Schwangerschaftsabbruch aufgenommen worden ist.
Diese Liste muß von einer im Bundesgebiet bestehenden Ärztekammer erstellt worden sein.
Welch auffallender Wandel der Meinung innerhalb von dreieinhalb Jahren! Warum war man denn heute nicht bereit, die Vorschläge entweder der Bundesärztekammer oder des Deutschen Richterbundes zu übernehmen? Sehen denn die Befürworter dieses Gesetzentwurfs nicht die große Gefahr, daß hier Abtreibungspraktiken, die teilweise in England geübt werden und auf die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil unter Hinweis auf die damit gemachten außerordentlich negativen Erfahrungen aufmerksam macht, Tür und Tor geöffnet werden?
Im Zusammenhang mit dieser abgewerteten Beratung muß man nun die Straffreiheit der Frau bei einem Schwangerschaftsabbruch nach Beratung in den ersten 22 Wochen nach der Empfängnis und zusätzlich noch mit dem Strafrechtsreformergänzungsgesetz vom 21. März 1974 — betreffend den § 200 f der RVO — sehen.Gestatten Sie mir hier noch ein Zitat aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil:Ein Blick in die im Strafrechtsreformergänzungsgesetz für das Gebiet des Sozialrechts vorgesehenen Regelungen zwingt zu dem Schluß, daß es sich hei dem Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen um einen Vorgang han-
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Frau Dr. Neumeisterdelt, dem rechtlich nichts Verwerfliches anhaftet und der deshalb auch sozialrechtlich gefördert und erleichtert werden darf. Denn: Gesetzliche Rechtsansprüche auf soziale Leistungen setzen voraus, daß der Tatbestand, bei dessen Erfüllung sie gewährt werden, keine rechtlich verbotene, mißbilligte Handlung darstellt. Die vorgesehene Gesamtregelung kann deshalb nur so gedeutet werden, daß der vom Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch während der ersten zwölf Wochen nicht rechtswidrig, also vom Recht erlaubt sein soll.Auch die Bundesregierung selber interpretiert in der Begründung ihres Gesetzentwurfs aus der letzten Legislaturperiode, daß die Rechtsordnung den Eingriff des Schwangerschaftsabbruchs vor Ablauf der Dreimonatsfrist in jedem Fall als einen normalen sozialen Vorgang anerkennt.Diese Aussagen gelten demnach auch für den uns heute vorliegenden Gesetzentwurf, nur mit dem Unterschied, daß hier nicht von zwölf Wochen, sondern von 22 Wochen die Rede ist, so daß demnach die Abtreibung im fünften Monat der Schwangerschaft ein normaler sozialer Vorgang wäre.
— Doch, hiernach schon. — Meine Damen und Herren, hier wird doch die Schutzfunktion, die der Gesetzgeber gegenüber seinen Bürgern zu erfüllen hat, gröblichst vernachlässigt.
Wir alle, die wir uns mit diesem Gesetz intensiver beschäftigt haben, wissen, daß die Frist von 22 Wochen bei Vorliegen der genetischen Indikation auf Grund der erschwerten Möglichkeit der Feststellung einer schweren Schädigung des Embryos ausnahmsweise einmal eingehalten werden muß. Doch ist es meines Erachtens einfach unverantwortlich, diese 22 Wochen praktisch als allgemeine Orientierung für einen Schwangerschaftsabbruch festzulegen.Es muß in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hingewiesen werden, welche gesundheitlichen Schäden die Frauen bei einem künstlichen Schwangerschaftsabbruch davontragen können. Auf die Spätfolgen auch legaler Interruptio wurde auf dem letzten Gynäkologenkongreß warnend hingewiesen. Nach englischen Angaben und Angaben aus sozialistischen Ländern kommt es nach einem Schwangerschaftsabbruch in 2 bis 5 % der Fälle zu Sterilität, zu doppelt so viel Bauchhöhlenschwangerschaften, bis zu 40 % mehr Frühgeburten.
Die perinatale Morbidität war nach der Statistik doppelt so hoch.Lassen Sie mich zusammenfassen. Inwieweit bringt der vorliegende Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen eine Lösung des seit Jahren leider immer mit zu viel Emotionen diskutierten § 218?Die Forderung des Bundesverfassungsgerichts, die Fälle des indizierten und des nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs präziser voneinander abzugrenzen, ist unseres Erachtens nicht erfüllt. Wir sind uns darüber im klaren, daß gerade bei der Einbeziehung der medizinisch-sozialen Indikation — unter der notwendigen Berücksichtigung der Ganzheitsmedizin — ein Beweis schwer zu erbringen ist. Aber gerade darum benötigt man ein kochqualifiziertes, neutrales Beratungs- und Feststellungsverfahren. Es ist Sache des Staates; auf Grund seiner Schutzfunktion seinen Bürgern gegenüber, aber auch aus der strafrechtlichen Bedeutung der Beratung heraus für ein fachlich befriedigendes Beratungsangebot zu sorgen. Ebenso sollte es ein weiteres Anliegen des Gesetzgebers sein, die Schwangere vor Risiken zu schützen, die mit dem Eingriff selber verbunden sind. Beide Aufgaben werden im vorliegenden Entwurf schwer vernachlässigt. Im Gegenteil, durch diese Pseudofristenregelung kann die Frau in ihrer freien Entscheidung von außen her erheblich behindert werden, woraus eine unwürdige Abhängigkeit resultieren kann.
Die Tatsache, daß von einem Teil der Bevölkerung der Wert des ungeborenen Lebens nicht mehr voll erkannt wird, gibt dem Gesetzgeber nicht das Recht zur Resignation,
aus der heraus dieser Gesetzentwurf zu resultieren scheint.
Er muß einen wirksamen Lebensschutz durch Regelungen gewährleisten, die auch vom allgemeinen Rechtsbewußtsein getragen werden.Lassen Sie mich hier auf den Vorwurf von Herrn von Schoeler zurückkommen, wir gingen im Gegensatz zur FDP mit Mißtrauen gegen die Ärzte an dieses Gesetz heran. Herr von Schoeler, das ist eine völlig falsche Voraussetzung. Wir haben Vertrauen zur deutschen Ärzteschaft, aber wir wollen sie vor einer Überforderung schützen.
(CDU/CSU) : Außerdem gibt es auch
unter denen Lumpen!)Denn der vorliegende Gesetzentwurf überträgt die gesamte Entscheidung ausschließlich einem einzelnen beliebigen Arzt, der nicht einmal die dafür notwendige Aus- und Fortbildung nachzuweisen braucht. Dadurch ist keineswegs die Gewähr für eine optimal abgewogene Indikationsstellung gegeben. Der Arzt wird jedoch mit einer eventuell untragbaren Verantwortung und einem im Einzelfall mitunter problematischen Entscheidungszwang belastet.
Es ist erstaunlich, daß in einer Zeit, in der die Spezialisierung in der Medizin geradezu auf die Spitze getrieben wird, für eine derart vielschichtige Aufgabe wie Beratung, Feststellung der Indikation, Anbieten sozialer Hilfen und natürlich auch die Ab-
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Frau Dr. Neumeistertreibung selbst keinerlei Nachweis von Kenntnissen oder einer Befähigung, keinerlei Kontrolle gefordert wird. Dabei geht es doch bei diesen Fällen immer um Leben oder Tod. Ist dies nun ein außerordentlicher Vertrauensbeweis für die Ärzte, oder liegt in diesem Verfahren die ganz große Gefahr, sie, die Ärzte, allein verantwortlich machen zu können, wenn dieses Gesetz sich als nicht praktikabel erweisen sollte?
Herr Kollege Engelhard hat gemeint, daß nach unserem Entwurf die schwangere Frau verpflichtet sei, zu einer Kommission, zu einem ermächtigten Arzt zu geben. Das stimmt keineswegs. Auch wir stehen auf dem Standpunkt, der Arzt des Vertrauens, der Hausarzt ist derjenige, der die Frau zuerst beraten muß.
Aber dieser Arzt muß die Möglichkeit haben, sich selber abzusichern und nicht etwa, wie Frau Kollegin Eilers sagt, die Frau vor ein Tribunal zu schleppen. Das sind doch Verfälschungen.
Meine Damen und Herren, Sie müssen unseren Gesetzentwurf einmal lesen. Ich meine, es sollte ruhig einmal ausgesprochen werden, daß der Ärzteschaft eine Verantwortung aufgebürdet wird, die allein mit gutem Fachwissen, aber vor allem einem ausgeprägten menschlichen Einfühlungsvermögen getragen werden kann. Das persönliche Engagement des einzelnen Arztes, der Vertragen zu wekken in der Lage ist, der die Beratung verzweifelter schwangerer Frauen im wahrsten Sinne des Wortes durchzuführen bereit ist, wird ein entscheidender Faktor für eine gute Lösung des Problems des § 218 sein. Die ärztliche Aufgabe wird es sein, sowohl bei der Stellung von Anträgen zu Schwangerschaftsabbrüchen wie auch bei der Prüfung solcher Anträge ein wohlabgewogenes Gleichgewicht zwischen mütterlicher Gesundheit, der körperlichen wie auch der seelischen, und dem Lebensrecht des Ungeborenen herzustellen. Ein Vertrauensvorschuß im Hinblick auf diese Aufgaben wäre sicherlich wohltuend und wäre besser, als zu dulden, daß durch unqualifizierte Angriffe in der Öffentlichkeit das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient systematisch zerstört wird.
Weiterhin sollte er aber auch die ärztlichen Standesorganisationen beflügeln, ihren Mitgliedern entscheidende Hilfen anzubieten. Herr Professor Dr. Prill aus Bad Godesberg sagte dazu: „Viele Ärzte sind aufgerufen zu dieser Arbeit, in der prozentual mehr junges Leben gerettet werden kann als mit der Karzinomprophylaxe. "Meine Damen und Herren in der Regierungskoalition, ich hätte so sehr gern dazu beigetragen, daß dieses Strafrechtsänderungsgesetz mit breiter Mehrheit verabschiedet würde. Ihre starre Haltungbei der Beratung einzelner, gerade entscheidender Punkte macht es uns jedoch nicht möglich zuzustimmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Rapp.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fragt man sich, was in der Bedenkzeit, die wir hinter uns haben, neu in die Diskussion um die Reform des § 218 StGB eingegangen ist, neu im Sinne der Erhellung der vielschichtigen, auch psychologischen Zusammenhänge und neu im Sinne weiterführender Denkansätze, so darf man auf die im Erfahrungsbericht des Deutschen Caritasverbandes — Münchner Ordinariats-Korrespondenz vom 25. September 1975 — nach Auswertung von 900 Unterlagen griffig getroffene Feststellung verweisen: Abtreibung nach Beratung kaum noch gefragt! Auch Beratungs-Teams und Beratungseinrichtungen in anderer als kirchlicher Trägerschaft scheinen diesbezüglich positive Erfahrungen gemacht zu haben. Ist dem aber so, dann kann es nicht fair, nicht angängig und schon gar nicht christlich —weil nicht wahrhaftig und nicht gerecht — sein, Gesetzentwürfe und Regelungsversuche als wertfrei zu denunzieren und der Vernachlässigung sittlicher Grundwerte zu zeihen, in denen gerade der in dieser vom Caritasverband artikulierten Einsicht gesetzgeberischer Ausdruck verliehen werden soll.
In beiden Gesetzentwürfen aus den Reihen der Koalitionsfraktionen, über die der Bundestag am 26. April 1974 zu befinden hatte, stand die Beratung und die Durchsetzung einer Beratung im Mittelpunkt, die die Schwangere zur Annahme ihrer Schwangerschaft und zum Austragen ihres Kindes motivieren sollte. Es hat so mancher von uns, meine Damen und Herren, in den hinter uns liegenden Monaten so manches Gespräch geführt, bei dem er mit Bitterkeit und Befremden konstatieren mußte, daß sein Gegenüber sich offenbar nicht der Aufgabe unterzogen hatte, die Zusammenhänge zu durchdenken, die die Entschließung der Koalitionsfraktionen vom 26. April 1974 zu verdeutlichen versucht hatte.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Erhard ?
Wenn ich einige Sätze weiter bin, damit ich den Gedanken abschließen kann.
Wer es tat, wer sich in diese Zusammenhänge hineindachte, der konnte und der durfte und der darf nicht davon sprechen, daß da gewollt gewesen sei, für das Töten ungeborenen Lebens einen pseudorechtlichen Freiraum zu schaffen. Bitte schön!
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15344 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Herr Kollege, könnten Sie hier von diesem Rednerpult aus dem Bundestag bestätigen, daß das Bundesverfassungsgericht sowohl in seinem Mehrheits wie in seinem Minderheitsvotum die von Ihnen damals vorgesehenen Beratungsvorschriften als nicht hinreichend zum Schutze des Lebens und als mit der Verfassung unvereinbar bezeichnet hat?
Herr Kollege Erhard, es wird nachher noch meine Aufgabe sein, nachzuwei sen, daß wir daraus Lehren gezogen haben.
Meine Damen und Herren, nicht auf die fruchtbaren und erforderlichen Diskussionen darüber spiele ich an, ob in jenen Entwürfen der Schutz des ungeborenen Lebens und die Verbesserung des Lebensschutzes zweckentsprechend organisiert waren oder nicht. Dieses war die legitime Diskussion. Es sollte, denke ich, deutlich geworden sein, was ich mit meiner Anklage über den Stil der Auseinandersetzung gemeint habe. Angenommen, es würde sich nachhaltig erweisen, daß durch Beratung Leben zu schützen sei, die Strafbedrohung der Schwangeren aber Lebensschutz nicht nur nicht bewirken, sondern gar noch den durch die Beratung erreichbaren Schutz zunichte machen könnte, angenommen also, es würde sich erweisen, daß das Verhältnis zwischen Beratung und Strafbedrohung der Schwangeren eher ein ausschließendes ist — wir, meine Damen und Herren, würden uns dann gleichwohl nicht herbeilassen, jene zu Mordkomplizen zu erklären, die die Strafbedrohung für das gewichtigere Schutzelement gehalten haben. Uns umgekehrt ist dieses widerfahren.Wer nun meinte, meine Damen und Herren, mit der Einsicht, daß eine einfühlsame und helfende Beratung ungeborenes Lebens zu schützen und zu erhalten vermag, sei für die hier zu führende Auseinandersetzung nicht viel gewonnen, der würde verkennen, daß zwischen den beiden Elementen — einerseits des beratenden und andererseits des bestrafenden Lebensschutzes — ein unaufhebbares Spannungsverhältnis besteht. Die Formel Beratung plus Strafbedrohung gleich optimaler Lebensschutz geht nicht auf. Sie ist papieren, hat nichts mit der bestimmten, in ihrer konkreten Lage ratlosen Schwangeren zu tun, die auf das Beratungsangebot nicht eingehen wird, wenn das Ergebnis der Beratung nicht in einer für sie überschaubaren Weise offen ist.Von welcher Schwangeren ist da die Rede? Ist es, meine Damen und Herren, nicht bemerkenswert, daß kaum je vernehmlich darüber nachgedacht wurde, für wen und auf wen hin wir hier überhaupt gesetzgeberisch tätig werden wollen und sollen?! Gewiß hat das Gesetz jede und jeden zum Adressaten. Aber es ist nicht für jede Schwangere relevant. Es wird nicht gemacht für die Frauen, für die es komme, was da wolle — außer Frage steht, daß das empfangene Leben anzunehmen und auszutragen sei. Es wird jedoch letztlich, tatsächlich, im Blick aufdas schützende Rechtsgut auch nicht gemacht und ohne Bedeutung sein für Frauen, die unter allen Umständen entschlossen sind, die Schwangerschaft abzubrechen. Im Zeitalter der offenen Grenzen zu anderen Ländern hin — um nur eine Ausweichmöglichkeit zu nennen — wird sich da wohl niemand irgendwelchen Illusionen hingeben. Selbst eine drastische Erhöhung des Strafrahmens, für die denn bemerkenswerterweise auch niemand plädiert hat, würde in bezug auf zum Abbruch fest entschlossene Schwangere ohne jede Wirkung sein.Für wen also machen wir die Reform des § 218 Strafgesetzbuch? Wir machen sie für jene schwangeren Frauen, die hin und hergerissen sind zwischen ihrem Gewissensanruf — auch ihrem Wunsch wahrscheinlich, das Kind auszutragen — und der Sorge um die für sie und andere zunächst unabsehbaren Folgen der Geburt des Kindes. Mit Relevanz für diese Frauen hat der Gesetzgeber tätig zu werden; sie fordern ihn: die Schwangeren, die der Beratung und der Hilfe bedürfen und die der Beratung dann zugänglich sein werden, sie dann suchen werden, wenn die Beratung — obzwar zur Annahme der Schwangerschaft ermutigend — im Ergebnis jedoch in überschaubarer Weise offen ist und jedenfalls nicht in die Strafbedrohung führt. Eine Veranstaltung, bei der auf einen anderen so eingewirkt wird, daß das Ergebnis dieser Einwirkung von vornherein feststeht, wird man schwerlich Beratung nennen können. Der strafrechtliche Schutz würde zum beratend helfenden Schutz dann eben nicht in einem komplementären, in einem flankierenden Verhältnis stehen; er bildete vielmehr die Barriere, die das im Ergebnis dem strafandrohenden Schutz überlegene Beratungsangebot ins Leere stoßen ließe.Die Formel Strafbedrohung plus Beratung gleich optimaler Lebensschutz stimmt nicht; ich sagte es schon. Sie reicht nicht an den in der Tat insoweit miserablen Zustand heran, als für das geltende Recht zutrifft, was in der Erklärung der katholischen Bischöfe der im Sinne eines wirksameren Lebensschutzes gebotenen Änderung des geltenden Rechts zugedacht ist: daß das Gesetz dem Töten einen pseudorechtlichen Freiraum gewähre. Damit ist der derzeitige Zustand beschrieben.Wer diese schlechte Wirklichkeit ändern will, muß dem aufgezeigten Spannungsverhältnis zwischen den beiden Komponenten — einerseits des helfend beratenden Lebensschutzes und andererseits des strafandrohenden Lebensschutzes — Rechnung tragen. Der vorliegende Gesetzentwurf kombiniert die beiden Elemente so, daß sie für sich Bestand haben und sich nicht gegenseitig aufheben. Er trägt den logischen und psychologischen Bedingungen Rechnung, unter denen Beratung angenommen wird. Dies gilt sowohl für die Organisation der Beratung als auch, was die Indikationen anbelangt, für das erforderliche Ausmaß überschaubarer und verantwortbarer Offenheit des von der Strafbedrohung gezogenen Entscheidungsrahmens.Frau Kollegin Dr. Neumeister, es ist doch nicht so, daß, was die Organisation der Beratung anlangt, alles auf einen Arzt abgestellt würde. Es istdoch nicht so! Der Arzt, der den Schwangerschafts-
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Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15345
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abbruch vornimmt, kann sich doch nicht einfach darauf berufen, daß er einen Wisch Papier in der Hand hat. Dies ist doch nicht so gedacht, kann doch so nicht sein.
Im übrigen, meine Damen und Herren, wahrt unser Entwurf die Würde der Frau.Ich weiß, daß das alles auch ganz anders gesehen werden kann. Ich weiß, daß unter dem Stichwort der sittenbildenden Kraft des Strafrechts das Bestreben darauf gerichtet sein kann, abstrakt die Norm hochzuhalten. Ich werte das nicht ab, habe aber zu wiederholen, da bei allzu hochgehaltener, in Strafbedrohung sich manifestierender Norm die konkrete Hilfe nicht ankommt. Beide Elemente lassen sich nicht beliebig addieren. Im Gegenteil: Sie können sich gegenseitig Abbruch tun.So manches in den letzten zwei Jahren auch mit mir in meinem religiösen Bekenntnis verbundenen Menschen geführte Gespräch hat sich auf die Frage hin zugespitzt, ob es um das Hochhalten der Norm oder um die Veränderung einer schlechten gesellschaftlichen Wirklichkeit geht. Beides zusammen —das ist meine These; ich meine, daß sie begründet ist — wird schwerlich zu haben sein. Gewiß, die meisten dieser meiner Gesprächspartner lehnten es ab, sich auf die Alternative in dieser Deutlichkeit einzulassen. Einige aber taten es und gaben mir zur Antwort, daß in einem solchen Konflikt das Hochhalten der Norm wichtiger sei. Was sich dann hinter einem solchen Schild abspiele, gehe auf das Konto menschlicher Unzulänglichkeiten.Hier, meine Damen und Herren, sind wir am Kern der Sache, am Kern des Problems. Wenn ich das so sage, werde ich mich gleichwohl hüten, Menschen dieser Denkart den Willen abzusprechen, ihrerseits Lebensschutz bewirken zu wollen. Aber wir sind am Kern des Problems, den mein Freund Erhard Eppler in einem das Thema übergreifenden Konflikt zwischen Wert- und Strukturkonservativismus angelegt sieht. Wer die Werte und hier den höchsten Wert — menschliches Leben — bewahren will, muß unter gewandelten gesellschaftlichen Bedingungen die Strukturen verändern. Daß sich die gesellschaftlichen Bedingungen gewandelt haben, kann doch in bezug auf unser Problem niemand in Abrede stellen, der nur daran denkt, daß heute die Reise nach Holland oder anderswohin nahezu allen erschwinglich ist.Strukturen verändern, in diesem Falle ein schlechtes, ein untaugliches, ein nicht mehr zielgemäßes Gesetz verändern, um die Werte erhalten zu können, darum geht es. Anders gesagt: Wer primär die Strukturen erhalten möchte, der wird — und sei es ungewollt — die Bewahrung der Werte gefährden. In diesem Zusammenhang und in dieser Auseinandersetzung geht es wohl auch ein wenig darum, daß es rechts angesiedelter Denkungsart gemäß ist —wenn ich mich einmal dieses unzulänglichen Schemas bedienen darf —, in die Institutionen und Regelungen größeres Zutrauen zu haben als in die Menschen, wohingegen links in die Menschen größeresVertrauen gesetzt wird als in gesellschaftliche Apparate und Regelungen.Die bisher mit der auf Lebensschutz gerichteten Beratung der Schwangeren gemachten Erfahrungen rechtfertigen und fördern das Vertrauen in die Menschen. Dabei sehe ich natürlich auch die in der von den Koalitionsfraktionen angebotenen Lösung steckenden Risiken. Sollte das heute zu verabschiedende Gesetz nach einer angemessenen Zeit seiner Wirksamkeit nicht halten, was man sich von ihm im Sinne besserer Gewährleistung des Lebensschutzes verspricht, so würde das Thema wieder auf dem Tisch liegen.Lassen Sie mich nochmals auf einen Gedanken zurückkommen. Dieser Gesetzentwurf wahrt auch die Würde der Frau. Auf dieses Postulat wird immer Bedacht genommen werden müssen, wie immer man an die Sache herangeht.Zum Schluß möchte ich noch einmal darum bitten, damit aufzuhören, uns gegenseitig den Willen abzusprechen, ungeborenes Leben schützen zu wollen.
Die bisher gegen uns vorgetragenen Attacken zeugten in oft befremdlicher Weise von einer Selbstsicherheit, die niemand haben kann, der sich vor Ort am konkreten Einzelfall die Probleme ansieht. Weniger Selbstgewißheit, aber allseits mehr den festen Willen, das Beratungsangebot zu verbessern und insgesamt kinderfreundlichere Verhältnisse in diesem Land zu schaffen!
Das Wort hat der Abgeordnete Köster.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mir vorgenommen, noch einmal vier Kernpunkte herauszuarbeiten, in denen nach unserer Meinung das Grundrecht auf Leben des Ungeborenen mißachtet wird.Der erste Punkt betrifft § 218 Abs. 3 Satz 2 StGB, um in der Gesetzessprache zu reden. Die Verfasser des Gesetzentwurfs wollen, daß die Schwangere nach einer Abtreibung immer ohne Strafe bleibt, wenn sie sich nur beraten ließ, das ungeborene Leben von einem Arzt getötet wurde und die Schwangerschaft die Mitte des 6. Monats nicht überschritten hat. Die Problematik dieser 22. Woche hat Frau Dr. Neumeister aufgerissen; ich möchte mich hier noch einmal für ihre Ausführungen bei ihr bedanken.
Zugegeben, das Wort „Straffreiheit" findet leicht Anklang, vernebelt aber den Sachverhalt. Die Frage, um die es hier geht, ist nicht „Bestrafung oder Straffreiheit für die Mutter?", sondern „Schutz oder Schutzlosigkeit für das ungeborene Leben?". In § 218 Abs. 3 Satz 2 StGB soll die strafrechtliche Schutzlosigkeit des ungeborenen Lebens festgelegt werden.
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15346 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
KösterDas ist frontal gegen die vornehmste Aufgabe des Staates gerichtet, das Schwache zu schützen. Und was ist schwächer als ein ungeborenes Kind?Straffreiheit — das ist der Kern der Problematik — ist für jede Abtreibung machbar geworden, wenn man sich nur an drei Bedingungen hält. Es braucht keine Indikation vorzuliegen, und doch kann man sicher sein, daß ein deutsches Gericht das ungeborene Leben nicht mehr schützen kann.
Hier wird die Wertordnung der Verfassung unterlaufen, wird der Forderung des Bundesverfassungsgerichts entgegengehandelt, daß der Staat das ungeborene Leben notfalls auch mit den Mitteln des Strafrechts gegen seine Mutter schützen muß.
Ich will Ihnen das an einem Beispiel erklären. Es ist ja möglich, daß für die werdende Mutter durch die Beratungsstelle alle Hilfen vermittelt werden, die die Fortsetzung der Schwangerschaft zumutbar machen, weil eben alle Wünsche der Mutter erfüllt wurden, und daß trotzdem der Wille, abzutreiben, unabänderlich feststeht.
Ein Gericht kann überhaupt niemandem mehr zum Schutz des Lebens des ungeborenen Kindes Strafe androhen, wenn sich die abtreibungswillige Mutter nur um einen Arzt außerhalb des Geltungsbereichs unseres Strafgesetzes bemüht. Daß das möglich ist, hat Herr Kollege Rapp, mein Vorredner, ganz deutlich dargelegt. Die Mutter hat ja eine Beratung über sich ergehen lassen und sich damit die Straffreiheit verschafft.
— Aber nicht der Arzt außerhalb des Geltungsbereichs des Strafgesetzbuches.
In den Beratungen des Strafrechtssonderausschusses haben wir darüber gesprochen. Ich bitte Sie, sich bei Ihren Kollegen zu erkundigen.Auch der Deutsche Richterbund ist der Meinung, daß diese Regelung eine verkappte Fristenregelung enthält und daß diese Vorschrift ihrem Wortlaut nach nur so verstanden werden kann, daß es der Schwangeren freisteht, die Abtreibung auch bei Nichtvorliegen einer Indikation an sich vornehmen zu lassen, sofern sie nur einen zur Abtreibung bereiten Arzt findet. Auch nach Meinung des Richterbundes wird diese Regelung dem Vorrang des Lebensschutzes vor dem Anspruch der Frau auf freie Lebensgestaltung nicht gerecht. Sie führt praktisch zu einer von 12 auf 22 Wochen erweiterten Fristenlösung für alle Frauen, die es sich leisten können, das ungeborene Kind im Ausland von einem Arzt töten zu lassen. Das begünstigt die finanziell Bessergestellten und deckt auch die frivoisten Falle der Abtreibung ab. Wer clever ist, kann sich Straffreiheit verschaffen, auch wenn die Leibesfruchtaus niedrigsten Beweggründen getötet werden soll.
Lassen Sie mich zum zweiten Punkt kommen, dem § 218 a Abs. 2 Nr. 3, der medizinischen Notlagenindikation, wie sie genannt wird. Die medizinische Indikation, die sich auf eine schwerwiegende Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustands beschränkt, wird durch den zweiten Absatz dieses Paragraphen ihrem Inhalt nach verändert. Hier nimmt der Gesetzgeber dem Arzt das Urteil aus der Hand und ersetzt die ärztliche Feststellung, ob eine schwerwiegende Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes vorliegt, durch eine Fiktion, der der Arzt nicht widersprechen kann. Hier macht sich der Gesetzgeber zum Arzt. Wer in ein Gesetz schreibt, daß etwa zur Vermeidung einer sozialen Notlage ungeborenes Leben getötet werden darf, zerschlägt unseren sozialen Rechtsstaat. Wer glaubt, daß es eine soziale Notlage für eine werdende Mutter gibt, die nicht durch die Zusammenfassung aller staatlichen und gesellschaftlichen Kräfte zu ändern sei, zerstört die sozialen Grundlagen unseres Zusammenlebens. Gibt es eine größere Brutalität als die, die das soziale Problem buchstäblich heranwachsen sieht und die soziale Notlage der Mutter dadurch lösen möchte, daß man durch Gesetz die Tötung des Ungeborenen rechtfertigt? Es dürfte in unserem Staat keine unabwendbaren sozialen Notlagen einer werdenden Mutter geben, die nicht gemeinsam von Staat und Gesellschaft in eine zumutbare Belastung für die Mutter und ihre Familie gemildert werden könnten. Sind nicht viele bereit, den jungen Menschen und zukünftigen Mitbürger zu garantieren und ihm seine Lebenschance zu geben?Lassen Sie mich aus der Diskussion des vorigen Jahres noch Herrn von Schoeler zitieren. Er sagte:Ich gestehe offen, daß ich auch nach einem Jahr Diskussion im Strafrechtssonderausschuß immer noch nicht weiß, was eine Notlage ist, daß ich mir immer noch nicht vorstellen kann, welche Fälle damit straffrei gestellt werden sollen und welche nicht . . .
Er sagt dann weiter:Jedesmal, wenn ich mich mit diesem Problem beschäftige, fällt mir ein Gespräch ein, das ich in England mit einem Arzt geführt habe. Ich habe ihn nämlich gefragt: Sie haben doch in Ihrem Gesetz eine Indikationenregelung; warum praktizieren Sie keine Indikationenregelung, warum praktizieren Sie dieses Gesetz als Gesetz, das den Schwangerschaftsabbruch praktisch straffrei läßt? Und er hat mir geantwortet:— deswegen zitiere ich dies hier, nicht wegen Ihrer Ausführungen, Herr von Schoeler —Ich habe, als dieses Gesetz in Kraft getreten ist,versucht, in jedem einzelnen Fall abzuwägen,
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Kösterob hier eine Notlage vorliegt, die einen straffreien Abbruch rechtfertigt oder nicht. Abernach einem Vierteljahr ist mir aufgegangen— so der englische Arzt —,daß meine Entscheidungen immer willkürlicher wurden, weil es eben keine festen Abgrenzungskriterien gibt. Hier ist eine Notlage vorhanden, dort nicht. Und weil die Willkür bei der Auslegung einer solchen Bestimmung groß ist, habe ich mich — sagte mir dieser Arzt — dafür entschieden, so zu handeln, als ob das Gesetz den Schwangerschaftsabbruch straffrei ließe; dieses läßt sich nicht anders machen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Schoeler?
Bitte schön!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Köster, wären Sie bereit, mir zuzugestehen, daß sich dieses Problem, das ich aus dem Gespräch mit dem englischen Arzt zitiert habe, für jeden stellt, der die schwierige, verantwortungsvolle Aufgabe hat, eine Indikationenregelung anzuwenden und zwar unabhängig davon, ob es sich um ein, zwei, drei, vier oder wieviel Ärzte oder Beratungsstellen auch immer handelt? Dies ist eben das Problem, daß hier ein Mensch über den anderen Menschen entscheiden muß. Das ist schwierig; das haben wir nie bezweifelt. Hier können auch Sie nichts ändern.
Das war keine Frage, ich brauch also keine zu beantworten.
Wir sind verpflichtet, dem Gesetzgeber ganz entschieden Widerstand zu leisten, wenn das Recht des Menschen auf Leben angetastet wird. Nur wer für das Lebensrecht des Schwachen und Gefährdeten, für sein Freiheitsrecht auf Leben eintritt, dient unserer freiheitlichen sozialen Ordnung. In unserem sozialen Rechtsstaat darf es keine glaubwürdige Notlagenindikation geben.Lassen Sie mich zum dritten Punkt kommen, der Beratung. Hier muß ich Herrn Engelhard von der FDP recht geben. Wenn die Beratung versagt, versagt sehr, sehr vieles, wenn nicht alles. Die Beratung soll die verfassungsrechtlich gebotene Schutzfunktion des Staates gegenüber dem ungeborenen Leben im wesentlichen gewährleisten und damit einen der Strafnorm vergleichbaren Schutz für das ungeborene Leben geben. Bei der sozialen Beratung wird es hauptsächlich darauf ankommen — so sagt das Bundesverfassungsgericht —, die Bereitschaft der werdenden Mutter zu stärken, die Schwangerschaft eigenverantwortlich anzunehmen und die Leibesfrucht zu vollem Leben zu bringen.Die in diesem Entwurf mit der Beratung zusammenhängenden Bestimmungen sind in keiner Weise geeignet, den notwendigen Schutz durch die soziale Beratung wirksam werden zu lassen.Nach dem Gesetzentwurf kann soziale Beratung auch nach der Feststellung einer Indikation erfolgen. Das ist ungeheuerlich. Damit würde die soziale Beratung zu einer Farce. Wenn soziale Beratung sinnvoll geleistet werden soll, muß sie vor der Feststellung einer Indikation erfolgen.Soziale Beratungen, insbesondere über Hilfen, die die Fortsetzung der Schwangerschaft erleichtern, können z. B. eine sogenannte Notlagenindikation erübrigen.Beratung muß weiterhin zum frühestmöglichen Zeitpunkt einsetzen. Beratung erfordert Zeit. Zeitdruck gefährdet den Erfolg jeder Beratung.Wirksamer Schutz für das ungeborene Leben ist weiter nur dann gesichert, wenn der Frau durch den Berater die angebotene Hilfe auch praktisch vermittelt werden kann. Auch das Bundesverfassungsgericht weist in seinem Urteil darauf hin und stimmt damit mit den Erfahrungen vieler Berater überein.Ungünstige Wohnverhältnisse, die Unmöglichkeit, neben einer Ausbildung oder Erwerbstätigkeit ein Kind zu versorgen, sowie wirtschaftliche Not und sonstige materielle Gründe, bei ledigen Schwangeren noch häufig die Angst vor gesellschaftlichen Sanktionen gehören zu den häufigsten Ursachen und Motiven für einen Schwangerschaftsabbruch.Der Berater — und da stimme ich wieder Herrn Engelhard zu — muß also die Möglichkeit haben, finanzielle, soziale und familiäre Hilfe zu leisten und praktisch zu vermitteln, wenn die Beratung wirksam zur Konfliktlösung beitragen soll.Ärzte sind im allgemeinen nicht in der Lage, diesen Anforderungen zu genügen, schon gar nicht, wenn die Qualifizierung der Ärzte, soziale Beratung durchzuführen, durch eine bloße Unterrichtung, etwa durch Informationsschriften, erfolgte. Es war bemerkenswert, daß Staatssekretär Zander in den Ausschußberatungen auf die Informationsreihe hinwies, die das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit schon herausgegeben habe, daß diese also nach seiner Meinung als eine geeignete Information für Ärzte und Schwangere angesehen werden kann.Der Berater muß also für eine soziale Beratung über eine entsprechende fachliche Vorbildung und berufliche Erfahrung verfügen. Soziale Beratung so verstanden ist für Ärzte, die laut Gesetzentwurf ebenfalls über soziale Hilfen beraten können, kaum zu verwirklichen.Das Bundesverfassungsgericht stellt dazu wörtlich fest:Von einem Arzt kann eine zuverlässige Unterrichtung über die gerade im Einzelfall bestehenden Ansprüche und Möglichkeiten nicht erwartet werden, zumal dafür häufig individuelle Bedürftigkeitsermittlungen erforderlich sind . Die Ärzte sind für eine solche Beratungstätigkeit weder nach ihrer Berufsausbildung qualifiziert noch steht ihnen im allgemeinen die für die individuelle Beratung erforderliche Zeit zur Verfügung.15348 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976KösterHier wird die Fassade, die Herr Dr. Bardens mit der Approbation aufgebaut hat, vom Bundesverfassungsgericht selber eingerissen. Es wird die Attrappe damit lange, bevor sie aufgebaut wurde, als solche erkennbar.Ärzte, die durch eine Approbation als Ärzte und gleichzeitig für soziale Beratung, also für eine völlig anderes beufliches Tun, qualifiziert werden, gibt es nicht. Soll also soziale Beratung in den Fällen sozialer Notlagen wirksam geleistet werden, muß sie durch dafür beruflich vorgebildete, erfahrene Fachleute, d. h. Sozialarbeiter, in den entsprechenden sozialen Beratungsstellen erfolgen.Nach dem Koalitionsentwurf kann derselbe Arzt sowohl die soziale Beratung durchführen wie auch die Indikation feststellen. Damit ist jedoch, besonders in den Fällen sozialer Notlage, die der Beratung innewohnende Chance, zum Schutz des Lebens wirksam zu werden, nicht mehr gewährleistet. Soziale Beratung und Indikationsfeststellung müssen voneinander getrennt wahrgenommen werden, weil ihre Zielsetzungen unter Umständen einander widerstreiten.In diesem Zusammenhang hat die unterschiedliche Erwartungshaltung der Schwangeren gegenüber der sozialen Beratung und der Indikationsfeststellung ihre besondere Bedeutung. Die Schwangere wird ihrerseits versucht sein, zur Erreichung einer Indikation besonders belastende Argumente und Gesichtspunkte vorzubringen, und es dem Berater damit erschweren, die eigentlichen Zusammenhänge und Hintergründe als Voraussetzung für eine individuelle Beratung und ein wirksames Angebot der Hilfe zu erkennen. Zu erwarten ist die Sorge der Schwangeren, nicht offen über alle Probleme reden zu können, weil sie gegebenenfalls negative Folgen befürchten muß.Beratung und Hilfe können nur in einem gegenseitigen Vertrauensverhältnis zwischen dem Berater und der Schwangeren wirksam geleistet werden. Offenlegung von Konflikten und damit Erkennen der Gesamtsituation durch den Berater ist nur in einem geschützten Freiraum der Beratung möglich. Dies ist nur dann der Fall, wenn zwischen dem Berater für die soziale Situation und dem Arzt, der eine Indikation feststellen kann, keine Identität besteht. Sinn und Chance der Beratung, Beitrag zur Entscheidungsfindung zu sein, Schutzwirkung zugunsten des ungeborenen Lebens zu entfalten, kommen bei einer Verbindung zwischen sozialer Beratung und Indikationsfeststellung nicht zum Tragen.Darüber hinaus kann die Bereitschaft, abzutreiben, auch bei einem Arzt primär vorhanden sein. Wenn dieser Arzt, der zur Feststellung einer Indikation berechtigt ist, gleichzeitig im Auftrage des Staates durch die Beratung der Schwangeren die Schutzfunktion für das ungeborene Leben haben soll, ist das ein Widersinn. In einem solchen Falle bedient sich der Staat des abtreibungswilligen Arztes, um seiner Schutzpflicht gegenüber dem ungeborenen Leben zu genügen. Es ist makaber, solche Verhältnisse durch dieses Gesetz zu ermöglichen.
Lassen Sie mich zum vierten Punkt kommen. Die Feststellung, ob eine medizinische Indikation vorliegt, soll nach dem Willen der Ausschußmehrheit durch einen Arzt erfolgen können, der nicht selbst den Schwangerschaftsabbruch vornimmt.Mit diesem § 219 ist es möglich, daß zwei beliebige Ärzte, die von niemandem ermächtigt zu sein brauchen, in kaum kontrollierbarer Zusammenarbeit legale Schwangerschaftsabbrüche praktizieren können. Das weckt den Verdacht, daß ein getarntes Fristenmodel von der Mehrheit des Ausschusses gewollt ist. Keiner dieser an einem solchen Schwangerschaftsabbruch beteiligten Ärzte braucht eine Anerkennung durch den Staat, ob er als Sozialberater auftreten möchte oder ob er eine medizinische, kriminologische oder Notlagenindikation stellen will. Zwei Ärzte können also nach diesem Gesetz ein selbständiges Abtreibungsteam bilden. Von einem Arzt wird die Indikation gestellt und beraten, und dann kann der Kollege nach mindestens drei Tagen den Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Die Rollen kann man sogar nach Belieben vertauschen.Die Stellungnahme des Bundesministeriums der Justiz vom 9. April 1975 zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts verurteilt die in diesem Gesetz vorgesehene Regelung schärfstens. Das Justizministerium schreibt u. a.:Das Gericht hält es für erforderlich, daß „der Staat" das Vorliegen der Indikationsvoraussetzungen prüft und „gegebenenfalls" bescheinigt; ... Weil die Prüfung dem „Staat" aufgetragen ist, reicht eine Begutachtung durch irgendeinen Arzt nicht aus; ...
Allerdings wird nicht zu verlangen sein, daß die Prüfung in der Hand einer staatlichen Behörde liegt; es wird ausreichen, daß der Prüfer zu seiner Aufgabe von einer Behörde legitimiert ist. Voraussetzung ist, daß der Prüfer neutral und für die in Betracht kommende Indikation sachverständig ist. Die vom Gericht geforderte „Prüfung" setzt ein Verfahren voraus, in dem die für die Begutachtung notwendigen Daten erhoben werden können. Soweit nicht sichere objektivierte Befunde, insbesondere Röntgenaufnahmen, vorhanden sind, wird es notwendig sein, daß der Prüfer die Schwangere persönlich sieht.Soweit das Bundesministerium der Justiz.
Mit Prof. Schreiber, Göttingen, sind wir der Meinung, daß das Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Pflicht des Staates betont, die Feststellung der Indikationsvoraussetzungen nicht dem Belieben einzelner zu überlassen, sondern als staatliche Aufgabe zu behandeln. Der Koalitionsentwurf gibt die Feststellung der Indikationsvoraussetzungen ohne Kontrolle in die Hand eines beliebigen Arztes. Wenn
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Kösterman sich die fast heimtückische Abstimmung der Beratungs- und Feststellungsregelung genau besieht, ist klar erkennbar, daß dieser Gesetzentwurf den vom Verfassungsgericht gelassenen Spielraum sprengt. Der Gesetzentwurf verstößt insoweit gegen tragende Gründe des Bundesverfassungsgerichtsurteils.Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie beklagt im gleichen Zusammenhang, daß der § 219 den Rahmen, der vom Bundesverfassungsgericht zum Schutz des ungeborenen Lebens gezogen wurde, auch aus ärztlicher Sicht übersteigt. Dieses Gesetz müßte nach Meinung der Gynäkologen die Garantie einschließen, daß das Vorliegen einer entsprechenden Indikation im Einzelfall tatsächlich mit allen Mitteln zweifelsfrei bewiesen wird. Das müßte sich hier auch Herr Dr. Bardens sagen lassen, daß sein eigener Berufsverband — ich spreche jetzt von den Ärzten —, der Berufsverband der Gynäkologen, seiner Aussage widerspricht, die Approbation genüge für alles.Während die Gesetzentwürfe hinsichtlich der Qualität der Beratung wenigstens noch Fassaden aufbauen, ist im ärztlichen Entscheidungsbereich die Sicherung der Indikationsstellung nicht einmal als Fassade entworfen. § 219 Abs. 2 erlaubt es bei offensichtlichen Mißständen im ärztlichen Bereich erst dann, die Erlaubnis, Indikationen festzustellen, zurückzuziehen, wenn das Hauptverfahren eröffnet ist ein völlig unzureichender Schutz gegen Mißbrauch. Das gleiche trifft für den § 219 a zu, der jedenfalls auch kaum ein Schutz hinsichtlich der ärztlichen Fehldiagnose sein kann.Aus diesen Gründen werden wir diesem Gesetzentwurf auch in Zukunft mit aller Entschiedenheit widersprechen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schleicher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wissen sehr wohl, daß sich in der Vergangenheit gerade in der Problematik des § 218 sehr unterschiedliche Standpunkte herauskristallisiert haben. Aber es gab auch drei Punkte, bei denen man zumindest von einer gemeinsamen Basis ausgehen konnte. Einmal sollte — das haben alle Beratungen auch in den Ausschüssen gezeigt durch eine neue Lösung des § 218 verhindert werden, daß mehr abgetrieben wird. Zum zweiten sollte die Abtreibung kein Mittel der Geburten- oder Familienplanung werden. Zum dritten sollte das Kernstück der gesamten Reform des § 218 die soziale Beratung sein, damit verhindert wird, daß sich in einem sozialen Rechtsstaat Frauen aus sozialen Gründen auf den Weg der Abtreibung gedrängt fühlen.Was ist nun aus diesen drei gemeinsamen Punkten geworden? Zunächst zu dem Ziel, zu verhindern, daß noch mehr abgetrieben wird: Die Regelung, die jetzt im Koalitionsentwurf gefunden worden ist, bringt uns englische Verhältnisse, d. h. mehr Abtreibungen. Das hat uns dort die Lage bewiesen. Noch dazu geschieht dies zu einem Zeitpunkt, da in England Bestrebungen im Gange sind, dieses Gesetz abzuändern.
Zum zweiten sollte das Gesetz kein Mittel zur Geburten- oder Familienplanung werden. Die völlige Straffreiheit der Frau wird aber den Druck auf die Frauen verstärken, und es wird dahin kommen, daß dieses Problem zunehmend ein rein „persönliches" Problem der Frauen wird und daß sich damit ihre bisher schon sehr schwierige Lage nur noch verschlechtern wird. Schließlich wird der Eindruck entstehen, die Abtreibung könne letztlich alle Probleme lösen. Damit wird Abtreibung zum Mittel der Geburtenregulierung und der Familienplanung, und genau das wollten wir nicht.
Das dritte war die soziale Beratung, die ausgebaut werden sollte und die, wie es auch das Bundesverfassungsgerichtsurteil mit angesetzt hat, auch im Gesetz verankert werden sollte. Wir wissen, daß schon heute auf Grund der Erfahrungen der bestehenden Beratungsstellen sehr viele Hilfen gegeben werden konnten und diese Beratungsstellen auch sehr positive Ergebnisse erzielten. Gerade dort, wo es darauf ankommt, dies im Gesetz zu verankern, wird im Gesetzentwurf der Koalition ausgeklammert.Wir könnten uns nun fragen, in welch einer Gesellschaft wir heute wohl leben. Wir hoffen doch alle, in einer offenen demokratischen Gesellschaft,
die letztlich dadurch gekennzeichnet ist, daß die Freiheit des einzelnen garantiert werden soll, diese Freiheit aber ihre Grenzen dort hat, wo die Freiheit des anderen in Frage gestellt wird.
Wenn wir es nicht verstehen, diese Grenzen gegenüber dem nächsten zu beachten, werden wir in eine sogenannte permissive Gesellschaft abgleiten, d. h. in eine Gesellschaft, in der alles erlaubt ist, aber auch in eine Gesellschaft, die entartet ist.
Die Probleme der Frauen sind sehr groß; ich möchte auch sagen, sie sind in diesem Zusammenhang für den weiblichen Teil der Bevölkerung größer als für den männlichen Teil. Gerade deshalb muß es unser aller Interesse sein, Lösungen zu finden, die sich letztlich nicht gegen die Frauen richten. Wir befinden uns ständig auf einer Gratwanderung. Das zahlenmäßige Ansteigen von Abtreibungen wirkt immer stärker als Beweis gegen die Frauen und damit auch gegen die Menschlichkeit. Deshalb können wir diesem Gesetz nicht zustimmen.
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15350 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Meine
Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen in der zweiten Beratung nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe die Art. 1, 2, 3, 4, 5, 6 in der Fassung der Ausschußdrucksache, Einleitung und Überschrift auf. Wer in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe!
Danke. Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist in dei zweiten Beratung angenommen.
— Ich bitte um Nachsicht, noch immer ist für das Präsidium die Übersicht etwas besser als für die Kollegen, die unten im Saal sitzen.
Um das zu beurteilen, sitzt das Präsidium letztlich
hier. Sonst könnten wir Ihnen das abtreten, Herr
Stücklen.
Meine Damen und Herren, wir treten ein in die
dritte Beratung.
Das Wort hat der Abgeordnete Eyrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Ende einer nunmehr vier Jahre dauernden Beratung, von der wir annehmen können, daß es die letzte im deutschen Bundestag sein wird, kann man für meine Begriffe nicht darauf verzichten, wenigstens in groben Zügen noch einmal — —
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte freundlichst Platz zu nehmen, damit der Redner auch in der dritten Beratung noch verständlich bleibt.
Man kann für meine Begriffe nicht darauf verzichten, wenigstens in groben Zügen noch einmal die Stationen nachzuzeichnen, die das Gesetz über die Reform des § 218 passiert hat. Um es an die Adresse der Koalition vorweg zu sagen: Es geht mir dabei weniger um die chronologische Aufzeichnung der Fakten, sondern um den Versuch, einmal festzustellen, ob wir in diesem Hause von einer Kontinuität in der Grundüberzeugung des Schutzes des ungeborenen Lebens sprechen können,
dies auch deshalb, weil von Anfang an sozusagen als Leitmotiv die angestrebte Reform des § 218 damit begründet wurde, daß die bisher geltende Regelung nicht mehr einem gewandelten Wertbewußtsein entspreche und zudem der bisherige § 218 nicht habe verhindern können, daß illegale Schwangerschaftsabbrüche stattgefunden hätten. Wieder an die Adresse der Koalition gerichtet: Es wäre gut, sie würde einmal nachlesen, was im ersten Entwurf,der diesem Hohen Hause im Jahre 1972 zugeleitet worden ist und der die Unterschrift des damaligen Bundeskanzlers Brandt trägt, in einzelnen Teilen geschrieben steht. Es war damals in der Tat möglich, in Übereinstimmung mit der Mehrheit der Koalition der SPD und FDP zu schreiben — ich zitiere —:Der Entwurf geht davon aus, daß das ungeborene Leben unabhängig von der Einstellung anderer schutzwürdig ist. Des rechtlichen Schutzes bedarf das ungeborene Leben gerade dann, wenn die Eltern nicht von sich aus zu seinem Schutze bereit sind.
Es heißt in dem damaligen Entwurf weiter — das ist die zweite Säule, auf der er damals unter Ihrem Vorgänger, Herr Minister, dem Herrn Justizminister Jahn, fußte —, daß es darauf ankomme, für besonders schwerwiegende Konfliktsituationen Lösungen zu finden, die den Wertentscheidungen der Verfassung Rechnung tragen. Natürlich hatte sich der damalige Entwurf der Bundesregierung, die heute noch die Bundesregierung ist, mit der Fristenlösung auseinandergesetzt und stellte treffend fest — ich zitiere wieder, nicht aus einem Schreiben der Opposition, sondern aus der vom damaligen Bundeskanzler Brandt unterschriebenen Begründung des Gesetzentwurfs —:Wenn die Gesellschaft das werdende Leben als schutzwürdiges Rechtsgut von vergleichsweise hohem Rang anerkennt, dann kann sie nicht die Vernichtung dieses Rechtsgutes von dem freien Belieben des einzelnen abhängig machen.
Diese drei Grundsätze waren damals und sind im Kern heute von derr weit überwiegenden Mehrzahl der Abgeordneten dieses Hauses anerkannt worden. Wir alle erinnern uns noch lebhaft daran, daß sich die Auseinandersetzungen im wesentlichen auf einzelne Bestimmungen, insbesondere die soziale Indikation, konzentrierten.Diese Grundüberzeugung hat die Koalition spätestens zu dem Zeitpunkt verlassen, als außer den 27 Kollegen diese Koalition in der 7. Legislaturperiode die Fristenregelung dem Parlament vorlegte, eine gesetzliche Regelung, die es von dem Belieben des einzelnen abhängig machte, ob das ungeborene Leben vernichtet wird oder nicht. Ich will es mir und auch Ihnen ersparen, zu wiederholen, was damals alles gesagt wurde. Auch im Namen des Schutzes des ungeborenen Lebens wurde damals diese Fristenlösung propagiert. Sie wurde wirklich entgegen allen Erfahrungen im Ausland als eine Lösung dargestellt, die im Interesse des ungeborenen Lebens geradezu notwendig sei. Es fehlte auch nicht an dem Versuch, das Selbstbestimmungsrecht der Frau am jeweiligen Entwicklungsstand des ungeborenen Lebens zu orientieren, ohne einsehen zu wollen, daß es sich in jedem Stadium der Entwicklung um ein und dasselbe schutzwürdige Rechtsgut handelt. Es fehlte und es fehlt heute noch an der Einsicht, daß ungeborenes Leben nicht teilbar ist. Die Fristenlösung war der Versuch,
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Dr. Eyrichjenes Belieben, von dem der damalige Entwurf der Regierung sprach und das er unter keinen Umständen verwirklicht sehen wollte, geradezu zur Maxime zu machen.Natürlich — das sei am Rande miterwähnt; es ist gar nicht so unbedeutend, das zu sagen — hat es auch nicht an der Behauptung gefehlt, daß es bei der Fristenlösung darum gehe, Konfliktsituationen zu vermeiden, ohne daß man allerdings, meine Damen und Herren von der Koalition, jemals den Versuch unternommen hat, aufzuzeigen, um welche konkreten Konfliktsituationen es sich nun tatsächlich handelt.
Als es dann schließlich zur entscheidenden Abstimmung in diesem Hohen Hause kam, hat manch ein Kollege, der zu den 27 Kollegen gehörte, die den Indikationsentwurf vertraten, der Fristenregelung nicht zuletzt mit der Begründung zugestimmt, daß eine Einigung auf ihr Modell nicht möglich gewesen sei. Meine Damen und Herren Kollegen von der Koalition, hier wird leider außer acht gelassen, daß zu jener Zeit durchaus Gespräche im Gange waren, die eine Einigung auf der Grundlage des sogenannten Ärztemodells anstrebten, Gespräche, die im Grunde genommen nichts anderes bewirken sollten als die Rückkehr zu einer einmal hier in diesem Hause vorhandenen Grundüberzeugung. Diese Gespräche sind damals gescheitert, weil man uns auf den Vermittlungsausschuß verwiesen hat, ohne später, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, jemals ernstlich eine Einigung zu wollen, weil das dem Koalitionsklima offenbar unzuträglich gewesen wäre.
Obwohl dann das Bundesverfassungsgericht in bezug auf die Fristenlösung nichts anderes gesagt hat als das, was schon immer der Überzeugung der CDU/CSU-Fraktion entsprach — und ich muß sagen: auch der Überzeugung dieser Bundesregierung in dem damaligen Entwurf —, stand weniger die Suche nach der notwendigen Gemeinsamkeit im Vordergrund als vielmehr das Bemühen, der früheren Fristenregelung durch Ausfüllung des, wie man so schön sagt, gegebenen Spielraums so nah wie möglich zu kommen, übrigen auch dann noch, als namhafte Verbände — der Kollege Vogel hat das schon gesagt — die jetzt gefundene Lösung als verkappte Fristenregelung bezeichneten.
Nun, meine Damen und Herren, stellt sich die Frage: Ist der nunmehr zur Abstimmung stehende Entwurf wenigstens in etwa der Versuch, zu einem wirksamen Schutz des ungeborenen Lebens zurückzukehren? Natürlich wird von der Koalition behauptet, dem sei so. Überall ist das Bemühen erkennbar — ich kann Ihnen nicht ersparen, das anzuhören —, die Vereinbarkeit mit dem Verfassungsgerichtsurteil zu betonen. Aber gleichzeitig wirdder Versuch gemacht, den Eindruck zu vermitteln, daß freilich im Ergebnis gar kein so bemerkenswerter Unterschied zur früheren Regelung bestehe.Herr Kollege Jahn hat vorhin die Zwischenfrage gestellt, wie es denn nun mit den in Zukunft möglicherweise zu erwartenden Abtreibungskliniken sei. Mein geschätzter Kollege Müller-Emmert hat ihm die Antwort gegeben, daß nicht unbedingt das, was im „Vorwärts" stehe, für das Parlament Gültigkeit haben könne. Lieber Kollege Müller-Emmert, ich möchte fast sagen: Ihr Wort in Gottes Ohr! Denn es wäre schrecklich, wenn es so wäre.
Aber diese Antwort allein kann, glaube ich, nicht befriedigen. Denn sie geht an einem anderen Zitat total vorbei. Ich werde nachher noch über manches andere etwas sagen, aber Ihnen das hier entgegenzuhalten, kann ich mir nicht verkneifen. Dann stellen Sie richtig, was dort steht. Dann sagen Sie uns allen, daß es nicht stimmt, was im „Vorwärts" vom 26. Juni 1975 steht, daß nämlich — es wird dort von den hohen Herren in Karlsruhe gesprochen — in einiger Zeit keine Frau mehr gezwungen sein wird, gegen ihren Willen ein Kind auszutragen. Meine Damen und Herren, ist das nicht genau jene Andeutung des Beliebens, das schon einmal eine Rolle spielte?
Weiter heißt es da, die Formulierung „um von der Schwangeren die Gefahr einer Notlage abzuwenden" sei im Grunde genommen umständlich, aber — und nun wörtlich — „über sie läßt sich praktisch jeder Schwangerschaftsabbruch legalisieren". Meine Damen und Herren, das ist das — nur das —,
was ich meine: Haben wir eigentlich nicht mehr die Kraft, zu jener Grundüberzeugung zurückzukehren, die einmal vorhanden war?Mit dem Hinweis, man wolle den Frauen helfen, wird nicht nur an frühere Argumentationen angeknüpft, sondern zugleich auch der Eindruck zu erwecken versucht, andere — natürlich, wer denn sonst: die Opposition — wollten das nicht. Darf ich Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, einmal die Frage stellen: Wer hilft denn nun den Frauen wirklich? Der — wie Sie es zu tun wünschen —, der neben einer unzulänglichen Beraterregelung und einer durchgängigen Straffreiheit der Frau eben diese Frau der wirklichen Entscheidungsfreiheit beraubt, weil sie mit dem Hinweis auf den relativ leicht zu erreichenden Schwangerschaftsabbruch vom Freund oder von Verwandten gedrängt wird, ihn vornehmen zu lassen? Oder hilft nicht vielleicht mehr derjenige der Frau, der ihr mit dem Bundesverfassungsgericht sagt, daß sie nicht über das zumutbare Maß hinaus zur Aufopferung eigener Lebenswerte im Interesse der Respektierung des Rechtsgutes des ungeborenen Lebens gezwungen werden soll? Es ist meine feste Überzeugung, daß die Mehrzahl der Frauen nicht will, daß man ihnen den leichtesten Weg zum Schwangerschaftsabbruch
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15352 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Dr. Eyrichaufweist, sondern ihren Sorgen, ihren durch vielerlei Gründe bedingten Nöten verständnisvoll begegnet,
ihnen Hilfen anbietet, Auswege aus ihrer Situation anbietet, aber sie auch dann, wenn es über ihre Kraft geht, das Kind zur Welt zu bringen, nicht zwingt, den Weg der Illegalität zu gehen? Der unserem Recht immanente Grundsatz, daß staatlicher Strafanspruch seine Grenze dort findet, wo jemandem ein anderes Verhalten nicht zumutbar ist, muß auch hier gelten.Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang etwas zu der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz vom 26. Januar 1976 sagen. Mein Kollege Friedrich Vogel hat bereits auf das Recht der Kirchen — ich würde ergänzen, auch die Pflicht der Kirchen — und auch anderer gesellschaftlicher Gruppen hingewiesen, sich zu diesen Fragen zu äußern. Daran kann kein Zweifel bestehen.Wenn es in der Erklärung der Bischofskonferenz heißt, der Hinweis auf soziale Probleme, die mit einer Schwangerschaft verbunden sein könnten, dürfe bei dem Entwicklungsstand unserer Gesellschaft überhaupt keine Berechtigung haben, dann wird man dem zustimmen können. Ebenso kritisch indessen möchte ich aber auch darauf hinweisen, daß viele soziale Probleme mit finanziellen Mitteln nicht zu beseitigen sind. Es ist mir in meiner beruflichen Laufbahn ungleich mehr an seelischer Not, an menschlicher Ausweglosigkeit und Verlassenheit als an materieller Not begegnet. Wir müssen uns allen Ernstes fragen — wir haben das in unserem Gesetzentwurf getan —, ob wir bei Vorliegen dieser Voraussetzungen die Menschen mit Mitteln des Strafrechts zu normgerechtem Verhalten zwingen wollen.Lassen Sie mich ein zweites Zitat aus der Denkschrift der Bischöfe bringen. Es heißt dort auf Seite 6:Ein Staat, der die Tötung ungeborener Kinder nur deshalb zuläßt, weil das Kind möglicherweise mit körperlichen oder geistigen Schäden zur Welt kommt, verachtet unsere Mitbürger, die mit solchen Schäden leben müssen, und hört auf, ein Rechtsstaat zu sein.Auch dem wird man im Ergebnis zustimmen können. Nur — ich muß auch das sagen —, wenn auch die Fraktion der CDU/CSU in ihren Mehrheitsentwurf im Rahmen der medizinischen Indikation die eugenische Indikation aufgenommen hat, dann nicht deshalb, weil wir das behinderte Kind nicht wollen, sondern deshalb, weil wir die Mutter, die am Wissen um die Krankheit ihres Kindes zu zerbrechen droht, nicht strafen wollen, wenn sie das Kind nicht zur Welt bringt. Es geht hier nicht — ich habe das schon einmal in der ersten Lesung des vorigen Entwurfs gesagt — um Entscheidung über Wert oder Unwert menschlichen Lebens, sondern allein um die Zumutbarkeit für die Mutter, die oft genug nicht weiß — auch heute in dieser Gesellschaft noch nicht weiß —, was mit ihrem Kind geschieht, wenn esihrer Fürsorge nicht mehr teilhaftig sein kann. Gerade weil wir die unheilvolle Vergangenheit unseres Volkes vor Augen haben, haben wir eine Lösung gesucht und auch gefunden, die nicht den Schluß aufkommen lassen kann, als wollten wir uns ein Urteil über Wert oder Unwert menschlichen Lebens anmaßen.Lassen Sie mich, meine Damen und Herren Kollegen, zum Schluß noch drei Dinge sagen. Es liegt nicht im Interesse der Rechtssicherheit, wenn das Hohe Haus heute ein Gesetz verabschiedet, das so vielen rechtlichen Bedenken begegnet. Es liegt auch nicht im Interesse unserer Rechtsordnung, daß dieses Gesetz ohne breiten Konsens verabschiedet wird. Ich bedauere, daß es nicht möglich gewesen ist, jenen im Jahre 1972 im Entwurf der Bundesregierung festgelegten Grundsatz zur Basis einer gemeinsamen Gesetzesvorlage zu machen. Die Basis sollte für uns lauten, daß wir dann, wenn besonders schwerwiegende Konfliktsituationen der Frau vorliegen, nicht zögern, dieser Frau die Hand zur Hilfe zu reichen, nicht zögern, ihr, wenn es für sie nicht verkraftbar ist, zu sagen: Wir wollen es mit Mitteln des Strafrechts nicht erzwingen. Ebenso deutlich sagen wir, daß wir uns nicht dazu entschließen können, eben jene Folgerung zu ziehen, die offenbar auch dieses Gesetz nicht ganz vermeidet, nämlich die, daß es am Ende ins Belieben der Frau gestellt sein könnte, ob ungeborenes Leben zur Disposition steht oder nicht.
Meine
Damen und Herren, das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Frau Kollegin Schleicher hat vorhin noch einmal deutlich gemacht, worin wir uns einig sind, und ich möchte betonen: auch noch sind, Frau Kollegin Schleicher. Einig waren und sind wir in dem Bestreben, einen Weg zu finden, daß die Zahl der tatsächlichen Schwangerschaftsabbrüche sinkt, daß sie nicht als Mittel der Familienplanung angesehen werden, und zum dritten in dem Bestreben, die flankierenden Maßnahmen — und das heißt Beratung und Hilfe — in den Mittelpunkt aller Maßnahmen zu stellen. Dies ist und bleibt unsere Auffassung.Nun haben wir aber mit einiger Betrübnis festgestellt, daß in den Reihen der Opposition eigentlich von den Hauptbetroffenen relativ wenig die Rede war, nämlich von der Situation der Frau und von den Lebenserwartungen des Kindes.
Es ist sehr viel von der Biologie die Rede gewesen. Aber ein Mensch besteht aus mehr als aus der Biologie, gerade ein hilfloses Kind, das in seiner Entwicklung auf die Hinwendung der Eltern ihre Liebe und auf eine gute häusliche Atmosphäre angewie-
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Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15353
Frau Funckesen ist. Von all dem ist leider wenig die Rede gewesen. Das aber ist unser Ansatzpunkt.
Eine Schwangerschaft ist nun einmal nicht einfach ein technischer Vorgang. In dieser Zeit wächst ein Kind heran, und es entstehen menschliche Bindungen und Verpflichtungen, hinüber und herüber.Das ist der Punkt, warum wir es für so problematisch halten, die Situation der Frau von außen zu beurteilen und Menschen damit zu beauftragen, darüber gültige Urteile abzugeben.
Sie meinen, Sie könnten nach irgendwelchen Kriterien oder Richtlinien oder Schulungen der Ärzte, die dafür vorgesehen werden sollen, eine auch nur irgendwie geartete gerechte Beurteilung für die Indikation im Einzelfall finden, und zwar nicht nur gerecht im Sinne der Gleichheit — die dürfte schwer sicherzustellen sein —, sondern auch gerecht im Sinne der Betroffenen, die nur aus ihrer individuellen Situation heraus richtig beurteilt werden können und nicht nach irgendwelchen objektiven Maßstäben.Darum steht für uns nach wie vor die Beratung im Vordergrund. Beratung heißt — Herr Kollege von Schoeler hat heute morgen schon darauf hingewiesen —, sich neben den Menschen zu stellen und nicht über ihn.
Beratung heißt, die Belastung des Ratsuchenden voll mitzutragen und nicht belehrend darüberzustehen und zu sagen: Da gibt es irgendein Heim für Mutter und Kind, da können wir dir vielleicht einen Platz besorgen! Beratung heißt, diesen Menschen in der ganzen Totalität seiner Situation, seiner physischen, seiner seelischen Belastung, seiner äußeren Umstände, seiner Situation in der Ehe und der vorhandenen Familie ganz ernst zu nehmen. Nur aus diesem wirklichen Bei-ihm-Stehen kann eine Beratung erfolgreich sein, die nicht unter der Pflicht steht: Der Frau muß auf jeden Fall ihre Absicht ausgeredet werden! Denn das ist doch dasjenige, was die Frauen bei bestimmten Beratungsstellen befürchten. Sie gehen deswegen lieber zu einem einzelnen Arzt. Sie haben einfach die Vorstellung: Hier wird man — und Ihr Gesetzentwurf sagt das ja auch in schöner Offenheit — lediglich belehrt, was man eigentlich zu tun haben sollte. Unter einem solchen Vorzeichen gehen nun einmal die Frauen nicht zur Beratung, dann gehen sie eben nach Holland.
Frau Abgeordnete Funcke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Becker ?
Frau Kollegin Funcke, können Sie es verantworten, die Beurteilung dessen, was gerecht ist — wovon Sie
sprachen, gerecht auf sozialem, biologischem, medizinischem Gebiet —, einem einzigen Arzt, der dafür nicht in jedem Fall vorgebildet ist, zu überlassen?
Herr Kollege, wir hatten ja die Fristenregelung im Auge, und da wäre das nicht notwendig gewesen.
— Ich komme ja darauf, wenn Sie mich aussprechen lassen. Ich sagte ja, daß es sehr schwer ist, den Einzelfall in der Verstrickung vielfältiger Umstände zu beurteilen. Aber ich bestreite, daß es vier oder drei Leuten besser gelingt als einem, schon allein deshalb, weil die Frau diesem einen gegenüber viel offener sein würde als gegenüber einem Gremium oder mehreren Gutachtern oder Beratern hintereinander. Ich sage das ja nicht von mir aus, sondern auf Grund der vorliegenden Erkenntnisse. Die evangelischen Beratungsstellen haben mit aller Deutlichkeit in Berlin ausgesprochen, daß Frauen schwer zur Beratungsstelle zu bringen sind, solange die Strafbestimmungen bestehen. Und dies um so mehr, als sie nicht wüßten, daß sie dort nur mit einem einzigen Berater sprechen würden. In einer Beratungsstelle kann es aber leicht vorkommen, daß gesagt wird: Holen wir einmal den Sozialberater oder den Psychologen dazu.Außerdem werden die Frauen nicht leicht zur Beratungsstelle gehen, solange sie nicht sicher sind, daß die Akten nicht in fremde Hände kommen.
Die Beschlagnahme der Unterlagen in der Drogenberatungsstelle der Caritas in Aachen macht doch das Problem besonders deutlich: Man weiß nicht, wo man eines Tages mit seinen Geständnissen bleibt. Dies alles ist doch gegeben, und Sie können diese psychologischen Hemmnisse nicht einfach wegwischen. Sie können versuchen, das rechtlich zu klären. Nur wird das sehr formal sein. Herr Vogel hat heute morgen gesagt, wir seien sehr formal. Nein, Sie sind es mit Ihren Vorschlägen.Ihre Konstruktion ist formal aus Ihrer Sicht zwar in Ordnung; nur gehen die Frauen nicht hin. Das ist doch das Problem.
Uns geht es darum, daß die Frauen wirklich aus dem Gefühl heraus hingehen: Hier steht jemand neben mir, der mich ernst nimmt, und nicht einer, der mich belehrt. Nur das eröffnet die Chance, daß wir zu dem kommen, was wir gern möchten, nämlich die Frau aus dem Gespräch heraus von sich aus zu motivieren, ja zu ihrem Kinde zu sagen, nicht auf Grund irgendwelcher Berederei oder Belehrung.Nun lassen Sie mich noch auf zwei Punkte eingehen, die heute angesprochen worden sind. Zum einen geht es um den Hinweis des Herrn Kollegen Vogel, daß wir, die Abgeordneten der Koalition, es abgelehnt hätten oder daß es nicht gelungen sei, zu einer größeren Übereinstimmung im Hause zu kom-
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15354 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Frau Funckemen. Sie wissen sehr wohl, Herr Kollege Vogel; daß wir uns wirklich darum bemüht haben. Aber Sie haben uns beim erstenmal gesagt: Wir können Ihnen nur einen Teil der CDU garantieren.
Die heutige Aussprache hat ja wohl deutlich gemacht, daß die Meinungen innerhalb der CDU/CSU sehr unterschiedlich sind. Ich respektiere das in vollem Ausmaße. Nur war das eben keine Grundlage für eine ganz große Mehrheit in diesem Haus. Sie haben uns nicht sagen können, mit welcher Vollmacht und für welchen Teil Ihrer Fraktion Sie zu den Gesprächen etwas Gültiges aussagen können. Sie haben doch durchblicken lassen, Herr Kollege Vogel — konkrete Dinge lagen ja nicht vor und wurden auch nicht von Ihnen vorgelegt —, daß die CDU/CSU das Gerichtsurteil nicht voll ausschöpfen möchte. Wir waren aber der Meinung, daß es voll ausgeschöpft werden mußte. Ich glaube, die Öffentlichkeit erwartet von uns, die wir mit absoluter Mehrheit in diesem Hause die Fristenregelung beschlossen haben, daß wir nun nicht noch hinter die Linien zurückgehen, die das Verfassungsgericht aufgezeigt hat.Lassen Sie mich noch etwas zu einem zweiten Punkt sagen. Hier ist die Rede davon gewesen: Die Kirchen würden den Koalitionsentwurf ablehnen. Ich stehe dafür, daß die Kirchen sagen dürfen und sagen dürfen müssen, was sie aus ihrer Verantwortung zu sagen haben. Sie werden von mir nicht ein Wort der Kritik an der Tatsache hören, daß sich die Kirchen äußern. Nur, Herr Kollege Vogel, wir kennen das ja nun aus der Evangelischen Kirche: Es gibt keine eindeutige Meinung in der Evangelischen Kirche hierzu. Es gibt sie schon gar nicht, nachdem ja, wie Sie sehr wohl wissen, die Synode der Evangelischen Kirche es zurückgewiesen hat, die Fristenregelung als sittlich nicht vertretbar anzusehen.
Hinter diese Auffassung kann man da ja dann wohl nicht mehr zurück. Es gibt in der Evangelischen Kirche aus unterschiedlichem Verständnis heraus unterschiedliche Meinungen. Wir kennen die Stellungnahmen aus dem Bereich derer, die etwas von Beratung — Familienberatung, Eheberatung — verstehen. Sie haben sich für eine sehr offene Lösung eingesetzt. Deswegen glaube ich nicht, daß wir hier die Dinge mit solchen Behauptungen eindeutig in die eigene Richtung ziehen können.Wir wollen helfen, daß die Frauen zu einer verantwortlichen Entscheidung kommen. Deswegen bedaure ich so sehr Ihr letztes Wort, Herr Eyrich, daß die Regelungen, wie sie die Koalition jetzt vorsieht, zur völligen Beliebigkeit führten. Nein, meine Damen und Herren, eine Frau wird nicht beliebig handeln, sondern sie wird aus der Gesamtsituation, ihrer Verantwortung, ihrer Lebenslage heraus und mit Rücksicht auf die Familie und — wie wir es vorsehen — nach verständnisvoller Beratung ihre Entscheidung fällen. Ich meine, dabei kann ihr sehrschwer jemand Anweisungen geben oder Verbote erteilen.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundesjustizminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der heutigen Debatte soll die Reform des § 218 StGB zum Abschluß gebracht werden. Nach jahrelangen, von großer Verantwortung getragenen Beratungen wird damit ein Schlußstrich unter ein Gesetzgebungswerk gezogen, das alle Beteiligten wie kaum ein anderes mit Grundproblemen des Rechts und der Ethik konfrontiert und uns überdies deutlich vor Augen geführt hat, daß die Macht des Gesetzgebers rascher, als vielen bewußt ist, an Grenzen stößt und daß die Antworten auf Fragen, die eine der elementarsten menschlichen Konfliktsituationen zum Gegenstand haben, letzten Endes nur aus dem Gewissen des einzelnen fließen können.Die große Plenardebatte vom 25. und 26. April 1974, die sicherlich zu den parlamentarischen Höhepunkten dieser Legislaturperiode zählt, hat all diese Aspekte deutlich hervortreten lassen. Der vorliegende Entwurf trägt diesen Einsichten Rechnung. Er löst eine Norm ab, die schon längst jeden Einfluß auf die Lebenswirklichkeit verloren hatte, die zum Zufallsstrafrecht denaturiert war, die auch dort starr mit Strafe und Ächtung drohte, wo nur Hilfe und Rat die Mutter auf den Weg der Vernunft führen kann, und die gerade deshalb ihren vorgeblichen Zweck, ungeborenes Leben zu schützen, weitgehend, wenn nicht vollständig, verfehlte. Es ist also eben dieses Motiv des besseren, des wirksameren Lebensschutzes, das dem Entwurf zugrunde liegt.Diejenigen, die dem Koalitionsentwurf diese Intention bestreiten, erheben folgerichtig den gleichen Vorwurf auch gegen den Entwurf der Opposition. Insbesondere spricht der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz in seiner jüngsten Erklärung ausdrücklich von d e n vorgelegten Entwürfen und richtet seine generelle Kritik in gleicher Weise und mit gleichem Gewicht gegen beide Vorschläge.Diese Kritik, die auf den eigentlichen Kernbereich dieser Auseinandersetzung zielt, auf den Kernbereich beider Entwürfe, ist unberechtigt; denn Lebensschutz verlangt nicht nach einer Vorschrift, die wegen ihrer Starre Papier bleibt, sondern erfordert eine Regelung, die dank ihrer sittlichen Überzeugungskraft und ihrer Lebensnähe akzeptiert und auch tatsächlich befolgt wird.
Diesem Verlangen aber entspricht der Entwurf, weil er die Not- und Konfliktslage, in der sich schwangere Frauen befinden können, nicht ignoriert, sondern ein praktikables Verfahren zur Wertung dieser Situationen und zur legalen BeendigungIder Konfliktslage in den Fällen eröffnet, in denen
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Bundesminister Dr. Vogelvon der Schwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft auch unter Würdigung des Lebensrechts des Ungeborenen nicht verlangt werden kann. Nur so wird auch der Weg zur Beratung und zum Arzt wirklich frei. Denn warum wohl sollte eine schwangere Frau ihre Notlage offenbaren, wenn sie von vornherein weiß, daß ihr auch in den drängendsten Fällen nicht geholfen werden kann und sie sich eigentlich nur einem schlimmen Verdacht aussetzt? Dann geht sie eben gleich zum Kurpfuscher. Dabei wissen wir, daß dieser niemals, eine Beratungsstelle und der Arzt die Frau aber in vielen Fällen zur Fortsetzung der Schwangerschaft bewegen werden.Diese Überlegung trägt und rechtfertigt auch die Bestimmung des Entwurfs, die der Frau, die sich beraten und den Eingriff von einem Arzt in einer Klinik vornehmen läßt, Straffreiheit zubilligt. Ohne eine solche Vorschrift wäre die Hemmschwelle gegenüber der Beratung noch immer zu hoch. Der vom Bundesverfassungsgericht geforderte strafrechtliche Schutz bleibt auch in diesem Fall erhalten, weil sich der Arzt, der den Eingriff vornimmt, ohne daß eine Indikation vorliegt, nicht nur standesrechtlich, sondern auch strafrechtlich zu verantworten hat. Auch bedeutet die Straffreiheit keineswegs eine Rechtfertigung des Tuns im Sinne der allgemeinen Strafrechtsnorm, sondern eben nur einen Verzicht auf die Festsetzung einer Strafe, den ja das Strafgesetzbuch auch an anderer Stelle unangefochten und unbestritten kennt.Was bleibt, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist also nicht die Auseinandersetzung darüber, ob werdendes Leben schutzwürdig ist, sondern die Frage danach, wie es am besten geschützt werden kann.
Für die Bundesregierung stelle ich mich in dieser Auseinandersetzung auf die Seite des Entwurfs, weil er gerade nicht dem Irrtum erliegt, Rigorosität mit Effektivität zu verwechseln.
Effektivität, nicht Rigorosität des Lebensschutzes aber ist der Auftrag unseres Grundgesetzes. In diesem entscheidenden Punkt besteht ein breiter Konsens, den auch die heutige Debatte nicht verdecken konnte.Die übrigen noch verbliebenen Streitpunkte sind trotz aller bemühten Anstrengungen gerade auch von seiten der Opposition gegenüber dieser Kernfrage und diesem Kernbereich von untergeordneter Bedeutung. Die Bundesregierung hält insoweit jeweils die Regelungen des Entwurfs in der Fassung der Ausschußberatung für vertretbar und zweckmäßig. Das gilt für die Einzelheiten der Beratung, zu der Ärzte auch im sozialen Bereich nicht schlechthin, sondern dann zugelassen sind, wenn sie als Mitglieder einer anerkannten Beratungsstelle mit sozialer Beratung betraut sind, diese Befugnis durch staatlichen Einzelakt erhalten haben oder sich im Einzelfall auf geeignete Weise über die für die Schwangere verfügbaren Hilfen unterrichtet haben.
Das gilt aber auch für die Befugnis zur Feststellung der Indikation. Hier hat der Ausschuß — und das ist gerade bei den kritischen Beiträgen der Opposition übersehen worden — die Verantwortung des Arztes noch stärker konkretisiert, indem er die unrichtige ärztliche Feststellung einer Indikation mit Strafe bedroht und der zuständigen Stelle die Möglichkeit und Befugnis eingeräumt hat, einem Arzt die Befugnis zur Feststellung von Indikationen zu entziehen, wenn er im Zusammenhang mit einem Schwangerschaftsabbruch eine strafbare Handlung begangen, also insbesondere eine falsche Indikation gestellt hat.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Köster?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr.
Herr Minister, ist Ihnen entgangen, daß der Ausschuß in seinen Beratungen die Verantwortlichkeit der Ärzte nicht konkretisiert, sondern verwässert hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist mir nicht entgangen, daß der Ausschuß ganz im Gegenteil eine zusätzliche Strafvorschrift mit dem Blick auf Ärzte eingefügt hat, die eine falsche Indikation stellen.
Damit ist die Einbindung in die Verantwortung verstärkt und gestützt worden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung hat den dringenden Wunsch, daß auf diesem wichtigen Gebiet nunmehr Rechtssicherheit und damit auch Rechtsfrieden einkehrt. Der vorliegende Entwurf bietet dafür geeignete, gute Voraussetzungen. Namens der Bundesregierung bitte ich, ihn jetzt Gesetz werden zu lassen.
Das
Wort hat Herr Abgeordneter Vogel .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mich haben in erster Linie einige Ausführungen der Frau Kollegin Funcke veranlaßt, noch einmal das Wort zu ergreifen. Frau Kollegin Funcke, Sie haben hier einige Äußerungen über die Gespräche, die geführt worden sind und an denen eine ganze Reihe von Kollegen beteiligt gewesen ist, gemacht, die, wenn nicht eine Irreführung der Öffentlichkeit eintreten soll, der Korrektur bedürfen. Sie haben gesagt, ich hätte Ihnen gesagt, ich könne nicht dafür garantieren, daß der Ihnen von mir vorgetragene mögliche Weg von der gesamten Fraktion mitgetragen werde. Ich habe überhaupt nichts garantiert. Sie haben vielmehr die Frage gestellt: Wie verhält es sich denn? Wie weit steht die Fraktion hinter dem, was hier vorgetragen worden ist? Sie hätten die Antwort auf diese Frage selbst finden können; denn das, was dort als ein
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Vogel
möglicher Weg vorgetragen worden ist, hat in dem Entwurf der CDU/CSU-Fraktion seine Konkretisierung gefunden, der von einer sehr breiten Mehrheit der Fraktion verabschiedet worden ist. Sie hätten, wenn Sie wirklich eine Basis gesucht hätten, erkennen können, daß also durchaus mit der CDU/CSU-Fraktion hätte geredet werden können. Dies ist das eine.
Das zweite, Sie haben gesagt, letztlich sei alles daran gescheitert, daß wir nicht bereit gewesen seien, die Möglichkeiten des Urteils voll auszuschöpfen. Ich muß hier nun sagen, in welchem Teil der Diskussion das von Ihnen gesagt worden ist. Es ging um die verfahrensrechtliche Frage. Es ist von uns in den Gesprächen sehr deutlich gesagt worden, daß wir die Verfahrensregelung, die Sie vorgeschlagen haben, unter gar keinen Umständen akzeptieren könnten, weil wir darin eine verkappte Fristenregelung sehen müßten.
Ich muß Ihnen also den Schwarzen Peter zurückgeben. Genau dies ist der Punkt, an dem die Aussicht auf Gespräche an Ihrer Haltung gescheitert ist — ich habe dazu schon einiges ausgeführt —, weil es darum ging, die wesentlichen Elemente der Fristenregelung, die das Verfassungsgericht verworfen hatte, auf dem Wege über die Verfahrensregelung dann doch wieder unterzubringen. Daran ist das Ganze gescheitert. Ich meine, es wäre nötig, dies jedenfalls so weit klarzustellen, damit darüber keine Irrtümer entstehen können.Darf ich, da ich schon einmal das Wort ergriffen habe, nun noch einige Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Bundesministers der Justiz machen.
Ich bitte freundlichst, dem Hause die Möglichkeit zu geben, den Redner zu hören.
Außerdem habe ich Zeit, Herr Präsident. Ich glaube, daß meine Redezeit noch längst nicht abgelaufen ist. Gestatten Sie mir also einige Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Bundesministers der Justiz.
Ich möchte unserer Freude darüber Ausdruck geben, daß wir am Schluß dieses Beratungsganges gehört haben, wo die Bundesregierung in dieser Frage steht.
Wir haben über Jahre hinweg von dieser Bundesregierung nicht gehört, wo sie steht.
Nachdem sie sich in der vorigen Legislaturperiode noch nicht zu einem Entwurf aufgerafft hatte, ist sie in dieser Legislaturperiode bezüglich dieser Frage von vornherein völlig ins Abseits getreten, und auch der Bundesminister der Justiz hat die Führungsfunktion, die ihm in der Rechtspolitik zukommt, nicht wahrgenommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
daß in der dritten Lesung immer die Bundesregierung sozusagen das letzte Wort hat.
Das
Wort hat Herr Abgeordneter Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich durchaus an die Gepflogenheiten des Parlaments bei der dritten Lesung halten. Weil aber eben von einem Sprecher der Oppositionsfraktion in diese dritte Lesung eines so wesentlichen Gesetzentwurfs etwas hineingebracht worden ist,
bin ich genötigt festzustellen: Die Opposition hat sich nicht dazu entschließen können, ihren von ihr selbst eingebrachten Gesetzentwurf hier zur Abstimmung zu stellen und ihn mit Hilfe von Anträgen in der zweiten Lesung einzubringen.
— Ich verstehe das. Ich mache Ihnen deswegen ja keine Schelte. Ich verstehe Ihre Situation. Nur dürfen Sie in der dritten Lesung dann nicht so tun, als wüßten Sie erst jetzt, was die Regierung der Koalition eigentlich selbst wolle. Sie wissen, daß Sie nur in einem Punkt übereinstimmen,
nämlich in dem Punkt, diese unsere faire Regelung abzulehnen. Sonst sind Sie uneinig.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Zur dritten Beratung ist namentliche Abstimmung beantragt. Der Antrag ist hinreichend unterstützt. Ich bitte, mit der Auszählung der Stimmkarten zu beginnen. —Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich schließe die Abstimmung.Folgendes darf ich noch bekanntgeben: Der Altestenrat nimmt unmittelbar im Anschluß an diese Abstimmung seine Beratungen auf.Das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung hat Herr Abgeordneter Ostman von der Leye.
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Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenIch bitte Sie freundlichst, Platz zu nehmen. Wir haben vor der Fragestunde noch eine Reihe von Beschlüssen zu fassen. Ich freue mich, wenn das Haus dabei so gut besetzt ist. — Meine Damen und Herren, nehmen Sie doch bitte Platz, während der Herr Abgeordnete hier das Wort ergreift.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erkläre hiermit zur Abstimmung, daß ich keiner wie auch immer gearteten Indikationenregelung zustimmen konnte.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Theorie von der Einheit des Lebens als verbindlich erklärt. Die biologische Auffassung hat sich damit durchgesetzt. Die Indikationen müssen nunmehr in völliger Abweichung vom bisherigen Recht als inhaltlich bestimmte Rechtfertigungsgründe zum Töten ausgestaltet werden. Sie stützen sich auf Zumutbarkeitserwägungen, die bisher nur Entschuldigungsgründe sein konnten.
Der Lebensschutz, den alle gefordert haben, ist meines Erachtens damit viel nachhaltiger geschädigt, als es eine Fristenregelung je hätte tun können. Die Tatbestandslosigkeit, die durch die Beratung und durch das ärztliche Gewissen beschränkt war, wäre wenigstens zeitlich eindeutig begrenzt gewesen.
So ist das ganze Rechtssystem gefährdet; denn die rechtfertigende Zumutbarkeit in Verbindung mit der Theorie von der Einheit des Lebens wirken über die Schwangerschaft hinaus weiter fort.
Vielleicht wird später eine andere Generation dieses Problem noch einmal neu überdenken. Ich muß mich dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts beugen. Aber ich bitte um Verständnis dafür, daß ich seinen Folgen keineswegs zustimmen konnte.
Meine Damen und Herren, ich schlage vor, daß wir die Beratung dieses Punktes bis zum Ende der Auszählung unterbrechen und fortfahren; denn wir haben heute eine sehr umfangreiche Tagesordnung.Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf :Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Zollgesetzes— Drucksache 7/4318 —Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/4611 —Berichterstatter: Abgeordneter Eilers
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er eine Ergänzung des Berichtes wünscht. — Das ist nicht der Fall. Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort zur Aussprache wird auch nicht begehrt.Ich rufe Art. i auf. Hierzu liegt zu Nr. 13 ein interfraktioneller Änderungsantrag auf Drucksache 7/4661 vor. Auf eine Begründung wird verzichtet.Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig gebilligt.Ich rufe Art. 1 in der soeben geänderten Fassung auf. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe Art. 2, 3, 4, 5, 6, Einleitung und Überschrift auf. Wer in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltung? — Es ist so beschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein. Das Wort wird in der Aussprache nicht begehrt.Wer dem Gesetzentwurf in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich frage nach Gegenstimmen. — Stimmenthaltungen? — Keine Gegenstimmen, keine Stimmenthaltungen. Der Gesetzentwurf ist in der dritten Beratung einstimmig gebilligt.Ich rufe nunmehr Punkt 7 der Tagesordnung auf :Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. Mai 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Finnland über die gegenseitige Unterstützung in Zollangelegenheiten— Drucksache 7/4175 —Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/4605 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Becker (Erste Beratung 201. Sitzung)Der Herr Berichterstatter wünscht keine Ergänzung des Berichts. Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort wird auch in der Aussprache nicht gewünscht.Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung und Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die Vorlage ist damit einstimmig so gebilligt.Ich rufe nunmehr Punkt 8 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den rechtlichen Status der Bundeswasserstraße Elbe-Seitenkanal— Drucksache 7/4381 —
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15358 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenBericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache 7/4588 —Berichterstatter: Abgeordneter Geldner
Vom Berichterstatter wird keine Ergänzung seines Berichts gewünscht. Ich danke dem Herren Berichterstatter.Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe § 1, 2, 3, 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetzentwurf in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit in der zweiten Beratung einstimmig gebilligt.Das Wort wird in der dritten Beratung nicht gewünscht, so daß wir zur Schlußabstimmung kommen. Wer dem Gesetz in derdritten Beratungzuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist somit auch in der dritten Beratung einstimmig gebilligt.Wir nehmen die unterbrochene Behandlung des Fünfzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes wieder auf. Ich gebe Ihnen nunmehr das Ergebnis der Abstimmung bekannt. In namentlicher Abstimmung haben 234 stimmberechtigte Abgeordnete und 14 Berliner Abgeordnete mit Ja gestimmt; 181 stimmberechtigte Abgeordnete und 6 Berliner Abgeordnete haben mit Nein gestimmt. Insgesamt haben sich 415 stimmberechtigte Abgeordnete und 20 Berliner Kolleginnen und Kollegen an der Abstimmung beteiligt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 415 und 20 Berliner Abgeordnete; davonja: 234 und 14 Berliner Abgeordnete nein: 181 und 6 Berliner AbgeordneteJa SPDAhlersDr. AhrensAnbuhlDr. Arndt AugsteinBaack Bäuerle BahrBarcheDr. BardensBatzBecker BiermannBlankDr. Böhme BörnerFrau von Bothmer BrandtBrandt
Bredl Brück Büchler
Dr. von Bülow BuschfortDr. BußmannCollet ConradiCoppikFrau Däubler-Gmelin Dr. von Dohnanyi DürrEckerlandDr. EhmkeDr. EhrenbergFrau Eilers Dr. EmmerlichDr. EndersEngholmDr. EpplerEsters Ewen FiebigDr. Fischer Frau Dr. FockeFranke FriedrichGanselGeigerGertzen Dr. Geßner Glombig Dr. Glotz Gnädinger Grobecker GrunenbergDr. Haack HaarHaase
Haase HaehserDr. HaenschkeHalfmeier Hansen HauckDr. Hauff HenkeHeroldHöhmann Hofmann Dr. Holtz HornFrau HuberHuonkerImmer
Jahn
Jaschke Jaunich Dr. Jens Junghans JunkerKaffkaKaterKernKoblitzKonradKratzDr. KreutzmannKrockert Kulawig Lambinus LattmannDr. Lauritzen LautenschlagerLempLendersFrau Dr. LepsiusLiedtke Löbbert LutzMahneMarquardt Marschall Frau MeermannDr. Meinecke Meinike (Oberhausen) MetzgerMöhringDr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller
Müller
Müller Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNeumann Dr.-Ing. OettingÖffergeld Pawelczyk PeiterDr. Penner PenskyPeterPolkehnPorznerRapp
Rappe RavensFrau Dr. RehlenReiserFrau Renger ReuschenbachRichterFrau Dr. Riedel-Martiny RöhligRohde RosenthalSaxowskiDr. Schachtschabel Schäfer
Dr. Schäfer ScheuFrau SchimschokSchinzel Schirmer Schlaga SchluckebierDr. Schmidt Schmidt (München) Schmidt (Niederselters) Schmidt (Würgendorf)Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeDr. SchöfbergerSchreiberSchulte
Dr. SchweitzerDr. Schwenk SeibertSimon SimpfendörferDr. SperlingSpilleckeStahl
Frau SteinhauerDr. StienenSuckSundTietjenFrau Dr. TimmUrbaniakVahlbergVitDr. Vogel VogelsangWaltematheWaltherDr. Weber
Wehner Wende Wendt Dr. WernitzWestphalWiefel Wilhelm Wimmer Dr. de WithWittmann WolfWolfram Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch ZeitlerBerliner AbgeordneteBühlingDr. DübberEgertGrimmingFrau Grützmann
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15359
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenLöfflerMänningDr. Schellenberg Frau SchleiSchwedler SieglerschmidtCDU/CSUSickBerliner AbgeordneteFrau Berger WohlrabeFDPDr. BangemannBaumDr. Böger ChristEngelhard Frau Funcke GallusGeldnerGenscher GrünerHölscher HoffieJungKirstKleinertDr. KreibaumDr.-Ing. LaermannDr. Graf Lambsdorff LogemannFrau LüdemannMertes Mischnick Möllemann OlleschOpitzPeters Schmidt (Kempten)von SchoelerFrau Schuchardt SpitzmüllerDr. VohrerWolfgramm WurbsZywietzBerliner Abgeordnete HoppeFraktionslosEmeisNeinSPDFreiherrOstman von der LeyeCDU/CSUDr. Aigner Albervon Alten-Nordheim Dr. AlthammerDr. ArnoldDr. Becher
Dr. Becker
Frau Benedix
BenzBerger BewerungeBiecheleBiehleDr. Dr. h. c. BirrenbachDr. von BismarckDr. Blümvon BockelbergBöhm
Braun Bremer Bremm Burger Carstens
Dr. Carstens
Dr. CzajaDammvan DeldenDreyer EigenEilers EngelsbergerErhard ErnestiEyDr. EyrichFreiherr von FircksFranke
Dr. FranzDr. FuchsGeisenhoferGerlach GierensteinDr. GölterDr. GötzDr. GruhlHaase
Dr. HäfeleDr. HammansHandlosvon HasselHauser Hauser (Krefeld)Dr. Hauser
Dr. HeckHöcherl HöslDr. HornhuesHorstmeierDr. HupkaDr. JaegerJäger
Dr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJosten Katzer Dr. KempflerKiechle KiepDr. Klein
Dr. Klein
Dr. KliesingDr. Köhler
Dr. Köhler KösterKrampeDr. KraskeDr. KreileKroll-SchlüterDr. Kunz LagershausenLampersbachLeicht LemmrichDr. Lenz LenzerLinkLöher Dr. LudaMaucherMemmelDr. MendeDr. Mertes MickDr. MikatDr. MiltnerMilzMöller
Dr. Müller Müller (Remscheid) Dr. Müller-Hermann Dr. NarjesFrau Dr. Neumeister NiegelNordlohneDr.-Ing. Oldenstädt OrgaßFrau PackPfeffermannPfeiferPicardPierothPohlmannRainerRaweReddemannFrau Dr. Riede Dr. Riedl( München)Dr. RitgenDr. RitzRöhnerRollmannRommerskirchenSauer Sauter (Epfendorf) Prinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinDr. SchäubleSchetterFrau Schleicher SchmidhuberSchmitz SchmöleFrau Schroeder Schröder (Lüneburg) Schröder (Wilhelminenhof) Schulte
Dr. Schulze-Vorberg Seiters
Dr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerSprangerDr. Sprung StahlbergDr. Stark Graf StauffenbergDr. StavenhagenFrau StommelStücklenSussetde TerraThürkDr. TodenhöferFrau Tübler Dr. Unland Frau VerhülsdonkVogel
VogtVolmerDr. WaffenschmidtDr. Waigel Dr. WallmannDr. Warnke WawrzikWeber WernerFrau Dr. Wex Frau Will-Feld Windelen WissebachDr. Wittmann Dr. WörnerFrau Dr. WolfBaron von WrangelDr. Wulff Dr. Zeitel ZeyerZieglerDr. ZimmermannZinkZoglmannBerliner AbgeordneteAmrehnDr. GradlKunz Müller (Berlin) Frau PieserStraßmeirDamit ist das Gesetz in dritter Beratung angenommen.
Wir haben noch über Nr. 2 und 3 des Antrags des Ausschusses abzustimmen. Wir stimmen zunächst über Nr. 2 ab. Wer Nr. 2 zuzustimmen wünscht, die besagt, den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/ CSU zur Änderung des Fünften Gesetzes zur Reform des Strafrechts auf Drucksache 7/4211 für erledigt zu erklären, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.Ich rufe Nr. 3 auf, mit der beantragt wird, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Dem ist entsprochen.Damit sind die zweite und dritte Beratung des Fünfzehnten Strafrechtsänderungsgesetzes abgeschlossen.Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
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15360 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenZweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Auflösung der Mühlenstelle und die Ubertragung von Zuständigkeit im Bereich der Mühlenwirtschaft— Drucksache 7/4327 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/4618 — Berichterstatter: Abgeordneter Löfflerb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 7/4617 —Berichterstatter: Abgeordneter Solke
Die beiden Herren Berichterstatter verzichten auf eine Ergänzung des schriftlichen Berichts. Ich danke den Herren Berichterstattern. Das Wort wird in der zweiten Beratung nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe Art. 1, 2, 3, 4, 5, 6, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetzentwurf in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich möchte noch einmal ausdrücklich auf die Änderungsanträge des Ausschusses hinweisen, die wir beschlossen haben.Das Wort wird in derdritten Beratungnicht gewünscht. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.Ich rufe Punkt 10 der heutigen Tagesordnung auf :Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Geflügelfleischhygienegesetzes— Drucksache 7/4413 —
— Drucksache 7/4660 — Berichterstatter: Abgeordneter Löfflerb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 7/4652 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Ritgen
Die Herren Berichterstatter verzichten auf eine Ergänzung ihres Schriftlichen Berichts. Ich danke Ihnen.In der zweiten Beratung wird das Wort nicht gewünscht. Ich rufe Art. 1, 2, 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung und in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Ich frage nach Gegenstimmen. — Keine Gegenstimmen. Ich frage nach Stimmenthaltungen. — Das Gesetz ist einstimmig verabschiedet.Ich rufe nunmehr den Punkt 12 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Pockenschutzimpfung— Drucksache 7/4375 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 7/4709 —Berichterstatter: Abgeordneter Egert
Auf eine Ergänzung des Schriftlichen Berichts wird verzichtet. Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15361
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenWortmeldungen liegen zur zweiten Beratung nicht vor. Ich rufe die §§ 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 11 a, 12, 13, 14, 15 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist in zweiter Beratung so beschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetz in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenstimmen? — Keine. Stimmenthaltungen? — Keine. Auch dieses Gesetz ist in dritter Beratung einstimmig gebilligt.Unter Ziffer 2 des Antrags des Ausschusses liegt noch folgender Entschließungsantrag vor:Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Deutschen Bundestag spätestens fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes über die Entwicklung der Pockenerkrankungen in der Bundesrepublik Deutschland und über die Entwicklung der Welt-Pockenlage insgesamt zu berichten.Das Wort zu dem Antrag wird nicht begehrt. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 13 auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 9. April 1975 über einen Finanziellen Beistandsfonds der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung— Drucksache 7/3869 —Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksachen 7/4129, 7/4726 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Sprung
Auf eine Ergänzung der schriftlichen Berichterstattung wird verzichtet. Ich danke dem Herrn Berichterstatter.Ich rufe in zweiter Beratung und Schlußabstimmung Art. 1, 2, 3, 4 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung und in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Ich frage nach Gegenstimmen und Stimmenthaltungen. — Es ist einstimmig so beschlossen.Wir haben noch über Nr. 2 des Ausschußantrages abzustimmen. Diese Nr. 2 ist Ihnen auf der Drucksache 7/4726 als Ergänzung zu dem Ausschußantrag auf Drucksache 7/4129 vorgelegt worden. Erhebt sich gegen diesen Antrag Widerspruch? — Das ist nicht der Fall; es ist so beschlossen.Wir kommen nunmehr zu Punkt 15.
— Dann schlage ich vor, daß wir mit den Punkten fortfahren, die noch ohne Schwierigkeiten verabschiedet werden können.Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kapitalverkehrsteuergesetzes
— Drucksache 7/4374 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/4658 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. von Bülowb) Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/4612 —Berichterstaater: Abgeordneter Dr. Schäuble
Eine Ergänzung der schriftlichen Berichte wird nicht gewünscht. Ich danke den Herren Berichterstattern. Wird das Wort in der Aussprache begehrt? — Das ist nicht der Fall. Wir können somit in die Abstimmung eintreten.Ich rufe Art. 1, 2, 3, 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenstimmen? — Keine. Stimmenthaltungen? — Keine. Somit ist das Gesetz in der dritten Beratung einstimmig angenommen.Ich rufe nunmehr die Punkte 20 bis 23 sowie die Punkte 26 und 27 unserer Tagesordnung auf:20. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen sowie des Gesetzes über die Entschädigung der ehrenamtlichen Richter— Drucksache 7/4599 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: RechtsausschußHaushaltsausschuß gemäß § 96 GO21. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Statistiken der Rohstoff- und Produktionswirtschaft einzelner Wirtschaftszweige— Drucksache 7/4603 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft InnenausschußHaushaltsausschuß
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15362 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen22. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Arbeitsförderungsgesetzes— Drucksache 7/4576 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung innenausschußHaushaltsausschuß23. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Bezirke der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften an die Gebietsreform— Drucksache 7/4594 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten26. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kündigungsschutzgesetzes— Drucksache 7/4519 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung27. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Regelungen auf dem Arzneimittelmarkt—Drucksache 7/4557 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie und GesundheitIch frage, ob das Wort begehrt wird? — Das ist nicht der Fall. Es werden auch keine Änderungsanträge zu den Überweisungsvorschlägen gestellt. Ich frage, ob das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden ist? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe nun, da zu den Punkten 24 und 25 eine Debatte vorgesehen ist, den Punkt 28 auf:Beratung der zustimmungsbedürftigen Verordnung der Bundesregierung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksache 7/4654 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für WirtschaftDas Wort wird dazu nicht begehrt. Der Ältestenrat schlägt Ihnen, wie Sie aus der gedruckten Tagesordnung ersehen, vor, die Vorlage dem Ausschuß für Wirtschaft zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe dann Punkt 29 auf:Beratung des Antrags des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung betr. Üpl. Ausgabe bei Kap. 10 02 Tit. 656 55 im Haushaltsjahr 1975— Drucksachen 7/4358, 7/4606 — Berichterstatter:Abgeordneter Löffler Abgeordneter Peters
Die Herren Berichterstatter — ich danke ihnen — verzichten auf eine Ergänzung des Berichtes. — Wer dem Antrag, die Unterrichtung zur Kenntnis zu nehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, inzwischen sind wir in der Lage — der Herr Berichterstatter ist jetzt anwesend —, nunmehr Punkt 15 zu behandeln.Ich rufe also Punkt 15 unserer Tagesordnung auf:Beratung der Sammelübersicht 52 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen und systematische Ubersicht über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 13. Dezember 1972 bis 31. Dezember 1975 eingegangenen Petitionen— Drucksache 7/4622 —Das Wort hat als Berichterstatter der Herr Abgeordnete Freiherr von Fircks.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das in unserer Verfassung verankerte Petitionsrecht ist ein entscheidendes Merkmal demokratischer Verfassungen. Das Recht der Bürger in demokratischen Staaten, sich mit Bitten und Beschwerden an ihr Parlament wenden zu können, ist ein Recht, das nicht nur auf dem Papier steht, sondern ist ein Wert in unserem Staate, der sicherlich entscheidend mit dazu beiträgt, daß Deutsche, die in totalitären Staaten leben, den Weg zu uns suchen, wenn ihnen die Möglichkeit gegeben ist.Das funktionierende Petitionsrecht ist, so meine ich, wesentliches Element zur Bestimmung der tatsächlichen und gefühlsmäßigen Einstellung des Bürgers zu unserem Staat.
Ich sage dies hier eingangs, weil ich nicht immer das Gefühl habe — hier meine ich die Legislative mit all ihren Organen ebenso wie die Exekutive —, daß wir selbst alle wissen, welche Bedeutung es hat, wie mit dem Petitionswesen und dem Organ, das dieses Bürgerrecht stellvertretend für das Parlament verwaltet, umgegangen wird.
Lassen Sie mich Ihnen nur an einigen Zahlen deutlich machen, wieviele und welche Bürger bei uns vom Petitionsrecht Gebrauch machen. Hierbei bezieht sich meine Darlegung aber nur auf die Petitionen, die an den Deutschen Bundestag gerichtet worden sind; denn eine Auswertung und Einbeziehung der Petitionen, die an die Landesparlamente und Senate gerichtet worden sind, ist im Augenblick leider nicht möglich. Ich will Ihnen und der Offentlichkeit in diesem ersten mündlichen Bericht über die Arbeit des Petitionsausschusses in diesem Jahr eine Übersicht über die Schwerpunkte und die Entwicklung der Petitionen im vergangenen Jahr geben.Wie die Jahresstatistik ausweist, gab es 1975 im IVergleich zu den Vorjahren einen weiteren deut-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15363
Freiherr von Firckslichen Anstieg der Petitionen. Erstmals wurde die Marke 10 000 nicht nur erreicht, sondern mit 11 400 deutlich überschritten. Noch zwei Jahre vorher waren es 9 000 und 8 000. Damit sind 1975 73 °/o mehr Petitionen eingegangen als vor zwei Jahren. Insgesamt gingen beim Deutschen Bundestag seit seinem Bestehen fast 200 000 Einzelpetitionen ein, neben etwa 1,2 Millionen Sammelpetitionen.Interessante Ergebnisse bringt eine Detailanalyse der Eingaben. Der Anteil der Männer liegt mit 63,5 °/o immer noch doppelt so hoch wie bei den Frauen mit 30,1 °/o. Immerhin ist der Anteil der Frauen bei den Petenten in den letzten Jahren von 25 auf 30 °/o gestiegen. Eine Aufgliederung der Petitionen nach Ländern zeigt, daß die Berliner am meisten petitionsbewußt sind. Von dort kamen 914 Petitionen auf 1 Million Einwohner, aus Schleswig-Holstein 523, aus Nordrhein-Westfalen 491, und das Schlußlicht bildet das Saarland mit 310. Das muß nicht nur am Bewußtsein liegen, es kann durchaus auch an den Verhältnissen in den Ländern liegen, die ja auch unterschiedlich sind. Da das Petitionsrecht bei uns jedermann zusteht, gab es auch 14 Petitionen aus der DDR sowie 285 Petitionen aus den deutschen Ostgebieten und aus dem Ausland.Ein recht vielschichtiges Bild gibt die Aufgliederung nach Sachgebieten. Sie reicht von Staats- und Verfassungsrecht über Umweltschutz, Wohnungsbau, Sozialversicherung bis zu auswärtigen Angelegenheiten. An der Spitze liegt der Bereich Sozialversicherung, Kinderbeihilfen, Alterssicherung der freien Berufe — mit insgesamt 17,1 °/o —, wovon der größte Teil auf die Sozialversicherung entfällt. Stark vertreten sind auch die Gebiete Zivil- und Strafrecht, allgemeine innere Verwaltung, besondere Verwaltungszweige, Ausländerrecht, Umweltschutz, Kommunalwesen, Statistik sowie das Kriegsfolgenrecht mit Lastenausgleich und Kriegsopferversorgung, jeweils 10 N. In den letzten Wochen kamen zunehmend auch Petitionen, die sich mit der Frage der Rentenzahlungen in die deutschen Ostgebiete und an Polen befassen.Interessant ist auch die Aufgliederung nach der Art der Erledigung der Petitionen. Relativ viele Eingaben konnten gar nicht behandelt werden, weil die Länder und damit die Petitionsausschüsse der Länderparlamente sachlich zuständig sind. Das waren allein 22 °/o. Diese Petitionen wurden weitergeleitet. Bei 10 °/o lag bereits ein rechtskräftiges Gerichtsurteil vor, schwebte ein Gerichtsverfahren oder war der Instanzenzug noch nicht betreten worden. Hier zeigt sich, daß unsere Bürger nicht immer voll davon unterrichtet sind, wann sie das Petitionsrecht in Anspruch nehmen können. Etwa 5 °/o konnten aus anderen Gründen nicht behandelt werden, weil sie z. B. anonym, verworren, beleidigend oder ohne Absender waren. Von den verbliebenen rund 60 °/o hat sich der größte Teil, nämlich 38 °/o, durch Rat, Auskunft, Verweisung an die zuständige Stelle, Übersendung von erbetenem Material oder auch, weil eine der genannten Bedingungen erfüllt war, durch Rücknahme der Petitionen erledigt. Diese Petitionen sind also als zum Teil erfolgreich abgeschlossen anzusehen, weil dem Anliegen des Petenten, z. B. mit einem Rat oder mit der Übersendung von Informationsmaterial, entsprochen werden konnte. Bei 6 °/o der Beschwerden, also Vorwürfen gegen ein bestimmtes Verwaltungshandeln, konnte direkt geholfen werden, weil die Verwaltungsbehörden auf Grund der Einschaltung des Petitionsausschusses bereit waren, dem Anliegen des Petenten zu entsprechen. Über 12 °/o der Eingaben mußten dagegen nach Prüfung der Sach- und Rechtslage als erledigt erklärt werden, weil dem Petenten z. B. wegen entgegenstehender gesetzlicher Vorschriften nicht geholfen werden konnte. Rund 2 °/o wurden an die Bundesregierung überwiesen, 4 °/o gaben wir an die Fachausschüsse oder die Fraktionen, vor allem dann, wenn es Bitten waren, die sich mit einer Änderung der Gesetzgebung befaßten.Obwohl es schwer möglich ist, statistisch exakt zu ermitteln, in wieviel Fällen dem Anliegen voll entsprochen werden konnte, zumal dies in einigen Fällen auch gar nicht sofort, sondern manchmal erst in späteren Jahren der Fall ist, kann man doch schätzen, daß insgesamt bei mehr als jedem dritten Petenten Hilfe möglich war. Geht man nur von den Petitionen aus, die überhaupt für eine Beratung geeignet sind, die also z. B. nicht Ländersache oder vielleicht wegen eines Gerichtsurteils ungeeignet zur Beratung sind, kommt man .praktisch zu einer Erfolgsquote von sogar etwas mehr als 50 °/o.Auf dem Gebiet der gesetzlichen Rentenversicherung haben in letzter Zeit die vereinzelt auch schon früher vorgebrachten Bitten zugenommen, beitragsfreie Arbeitsdienstzeiten vor dem 1. Oktober 1935, bei Frauen vor dem 1. September 1939, als Ersatzzeiten anzuerkennen. Vermutlich beruht diese Zunahme darauf — wie auch in manchen anderen Gebieten —, daß sich die Betroffenen nunmehr in wachsendem Maße dem Rentenalter nähern oder bereits Rente beziehen. Nach geltendem Recht ist eine Anrechnung dieser Zeiten, wie durch die Rechtsprechung bestätigt worden ist, leider grundsätzlich nicht möglich, weil eine gesetzliche Verpflichtung zur Ableistung von Arbeitsdienst erst zu dem genannten Zeitpunkt durch das Reichsarbeitsdienstgesetz bzw. seine Folgevorschriften eingeführt worden ist. Da die hier in Frage stehende Dienstleistung somit nicht auf Grund gesetzlichen Zwanges von den Betroffenen erbracht worden ist, sah sich der Petitionsausschuß auch nicht in der Lage, die von den Petenten gewünschte Gesetzesänderung zu befürworten. Diese hätte eine weitere, nicht mehr vertretbare Ausnahme von dem Grundsatz bedeutet, daß die gesetzliche Rentenversicherung ihre Leistungen auf Grund der von Versicherten in Form der Beiträge erbrachten Vorleistungen gewährt. Daran konnte auch die Einwendung einiger Petenten nichts ändern, daß der von ihnen geleistete Arbeitsdienst keineswegs ganz freiwillig angetreten worden sei, etwa, weil sie sich auf Grund der Anfang der 30er Jahre bestehenden Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage zur Aufnahme dieser Beschäftigung gezwungen gesehen hätten.Auf dem Gebiet des öffentlichen Dienstrechts gab es in den letzten Monaten zahlreiche Eingaben, die sich gegen Sparmaßnahmen des Haushaltsstrukturgesetzes wandten. Die Petenten fühlten sich insbe-
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15364 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Freiherr von Firckssondere durch die Verminderung des Ortszuschlags in bestimmten Fällen, das Hinausschieben der Altersgrenzen für den vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand und die Kürzung des Ausgleichs beim gesetzlich vorgezogenen Beginn des Ruhestandes betroffen. Sie bitten in der Regel, die bis zum 31. Dezember 1975 geltenden günstigen Bestimmungen wieder in Kraft zu setzen. Die Verminderung dieser Leistung im öffentlichen Dienst beruht, wie Sie wissen, auf einem gemeinsamen Beschluß aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien. Der Petitionsausschuß kann die Petenten deshalb in diesem Zusammenhang nur auf diesen vom Plenum gefaßten Beschluß verweisen.Auf dem Gebiet des Verteidigungswesens scheint sich neben den häufigen Beschwerden über die Ablehnung der Zurückstellung oder der Befreiung vom Wehrdienst und der Forderung, das Prüfungsverfahren für Wehrdienstverweigerer abzuschaffen, neuerdings ein weiterer Schwerpunkt abzuzeichnen. Es geht den Petenten um eine Amnestie für verurteilte Kriegsdienstverweigerer. Diese Forderung wird zumeist mit den im Bundestag eingebrachten Gesetzentwürfen zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes in Verbindung gebracht. Hier hat der Ausschuß zunächst die Bundesregierung um Stellungnahme gebeten.Im Zusammenhang mit der Arbeitsmarktsituation wurde an den Ausschuß eine Reihe von Problemen aus dem Kreise der Arbeitslosen herangetragen. Vielfach wurde die schleppende Auszahlung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe beanstandet. In einigen Fällen konnte hier durch telefonische Rücksprache mit dem jeweils zuständigen Arbeitsamt für schnelle Hilfe gesorgt werden. Diese Möglichkeit der schnellen telefonischen Hilfe ist ein praktischer Ausfluß aus den seit Juli gesetzlich festgelegten erweiterten Befugnissen des Petitionsausschusses. Die Arbeitsämter entschuldigen in der Regel die verzögerte Bearbeitung von Anträgen auf Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe mit dem Hinweis auf die arbeitsmäßige Überlastung; diese werde dadurch verstärkt, daß bei länger anhaltender Arbeitslosigkeit für den Betroffenen eine arbeitsintensive Überprüfung der Bedürftigkeit als Voraussetzung für die Gewährung von Anschlußarbeitslosenhilfe nach Ablauf der Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld erforderlich sei.In den letzten Monaten haben wir wieder in einer Reihe von Fällen sehr erfreuliche Erfolge erzielen können. Auch davon möchte ich hier einige anführen.So verhalf der Petitionsausschuß einer Rentnerin zu einer beträchtlichen Nachzahlung von fast 15 000 DM und einer zusätzlichen Rente von 400 DM monatlich an Stelle der bisherigen niedrigen Sozialhilfe. Die Frau war in eine finanzielle Notlage geraten und hatte für ihre Kinder einen Kredit aufnehmen müssen, den sie nicht zurückzahlen konnte. Ihr ging es nun darum, daß sie als Folge ihrer 1944\\ geschiedenen Ehe eine Zusatzrente erhielt. Diese war zunächst abgelehnt worden, weil infolge der Währungsreform der Ehemann nur noch zu einer so geringen Unterhaltszahlung verpflichtet gewesen war, daß nach seinem Tod angeblich kein Versicherungsanspruch für die Petentin bestand. Eine genaue Nachprüfung ergab aber, daß der Ehemann unabhängig von dem 1944 geschlossenen Scheidungsvergleich auch aus sonstigen Gründen zur Unterhaltszahlung verpflichtet gewesen war, so daß jetzt die Rente gewährt werden mußte. Die Petentin bedankte sich besonders herzlich für diese Hilfe durch den Petitionsausschuß und schrieb uns — dabei ist der Tenor ihres Schreibens zu beachten —: „Ich bin dadurch von der Sozialhilfe weggekommen und fühle mich wieder frei als Mensch." Hier liegt offensichtlich ein ganz falsches Verständnis des gesetzlichen Anspruchs auf Sozialhilfe vor. Es ist aber auch bedauerlich, daß die Petentin — wie dieser Fall zeigt — erst in eine Notlage geraten mußte, um dann unter Einschaltung des Petitionsausschusses zu klären, daß ihr eine monatliche Rente zusteht. Man fragt sich: Warum hat sie nicht früher eine richtige volle Beratung erhalten?
Eine Berliner Bürgerin hatte sich mit der Bitte an uns gewandt, dafür zu sorgen, daß die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Fahrkosten übernimmt, die ihr anläßlich einer Heilkur durch die Unterbringung ihres Kindes entstanden waren. Da die Frau in Berlin keine geeignete Pflegekraft gefunden hatte, hatte sie das Kind für die Dauer der Kur in die Obhut ihrer Eltern nach Bremen gebracht. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte übernahm zwar die Deckung der Kosten, die für die Betreuung des Kindes während der Dauer des Kuraufenthalts entstanden waren, einen Betrag in Höhe von 580 DM, lehnte eine Erstattung der Fahrkosten nach Bremen jedoch ab. Dabei ist von der Anstalt, wie wir dann feststellten, nicht beachtet worden, daß nach der damaligen Regelung die Erstattung von Reisekosten nicht ausgeschlossen ist. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte hat sich auf Grund der Petition nachträglich bereit erklärt, die Fahrkosten zu übernehmen.Bei nur einer Gegenstimme haben wir beschlossen und das mag vielleicht ein Schmunzeln hier im Hause auslösen —, die Bundesregierung aufzufordern, durch Erlaß im Gemeinsamen Ministerialblatt das Rauchen im Dienst zu regeln. Ein Petent hatte darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung im Rahmen ihrer Informationspolitik zwar erhebliche Summen für Zeitungsanzeigen ausgebe, die Öffentlichkeit jedoch nicht über die Folgen des Zigarettenrauchs aufgeklärt habe. Wie die Prüfung dieser Frage durch den Ausschuß ergab, ist zwar auch die Bundesregierung der Auffassung, daß sowohl das aktive Rauchen wie auch das passive Rauchen, also das Einatmen von Rauch durch den Nichtraucher, gesundheitsschädlich sein kann. Dies ergibt sich unter anderem aus der Beantwortung der Kleinen Anfragen aus den Jahren 1974 und 1975. Die Bundesregierung sah aber bisher keine Möglichkeit, das Rauchen im dienstlichen Bereich allgemein zu unter-binden. Hier hat sie lediglich in einem innerdienst-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15365
Freiherr von Firckslichen Schreiben organisatorische Empfehlungen an die obersten Bundesbehörden gerichtet, die dort je nach den Bedürfnissen der einzelnen Bereiche abgewandelt werden können. Dieser Erlaß enthält Vorschläge, wie die schädlichen Auswirkungen des Rauchens im Dienst durch geeignete Maßnahmen vermieden werden können.Der Ausschuß schloß sich demgegenüber der Bitte des Petenten an, die Bundesregierung aufzufordern, diese Richtlinien im Gemeinsamen Ministerialblatt zu veröffentlichen, um ihnen damit ein wesentlich größeres Gewicht als bisher zu geben.
Er überwies daher die Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung.Meine Damen und Herren, wenn Sie registrieren, daß die Vorsitzende des Petitionsausschusses und auch ich persönlich mehr oder weniger als Kettenraucher abgestempelt sind, dann sehen Sie, wie wenig solche persönlichen Dinge im Petitionsausschuß eine Rolle spielen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich damit schließen. Ich glaube, diese Übersicht des Jahres 1975 und die geschilderten Einzelfälle als Beispiele zeigen, welche Bedeutung das Petitionsrecht für unsere Bürger, die zunehmend davon Gebrauch machen, hat.Ich darf Sie abschließend bitten, der vorliegenden Sammelübersicht 52 Ihre Zustimmung zu geben.
Meine Damen und Herren, der Herr Berichterstatter hat uns leider nicht darüber unterrichtet, ob wir jetzt allgemein in den Ausschußsitzungen auf das Rauchen verzichten wollen. Aber diese Mitteilung können wir dann vielleicht beim nächsten Bericht entgegennehmen.
— Ja, Herr Kollege, manchmal gehört auch etwas Qualm und Feuer ganz allgemein in den Ausschüssen dazu.
Meine Damen und Herren, wer dem Antrag des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — So beschlossen.Ich rufe Punkt 30 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der von der Bundesregierung erlassenen Fünfzigsten Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste —Anlage zum AußenwirtschaftsgesetzEinundfünfzigsten Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste — Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz— Drucksachen 7/4331, 7/4332, 7/4587 — Berichterstatter: Abgeordneter ReuschenbachEs handelt sich hier um einen Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, von dem — wie Sie wissen — das Haus nur Kenntnis zu nehmen braucht, wenn keine Anträge aus der Mitte des Hauses gestellt werden. — Ich frage, ob Anträge gestellt werden. — Es werden keine Anträge gestellt.Das Haus hat von dem Bericht 7/4589 Kenntnis genommen.Ich rufe nunmehr die Punkte 31 bis 43 der Tagesordnung auf:31. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eineRichtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über gemeinsame Vorschriften für Hebezeuge und FördergeräteRichtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über elektrisch betriebene Aufzüge— Drucksachen 7/3959, 7/4659 —Berichterstatter:Abgeordneter Müller
32. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates über die Gewährung einer Umstellungsprämie im Weinbau— Drucksachen 7/4233, 7/4473 —Berichterstatterin:Abgeordnete Frau Dr. Riede
33. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 464/75 des Rates vom 27. Februar 1975, die ein Prämiensystem zugunsten von Rindfleischprodukten vorsieht— Drucksachen 7/4134, 7/4482 — Berichterstatter: Abgeordneter Rainer34. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen fürVizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhauseneine Verordnung des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Fischereierzeugnisseeine Verordnung des Rates über die Einfuhr von Fischereierzeugnissen mit Ursprung in Marokko in die Gemeinschafteine Verordnung des Rates über die Einfuhr von Fischereierzeugnissen mit Ursprung in Tunesien in die Gemeinschafteine Verordnung des Rates über die Einfuhr bestimmter Fischereierzeugnisse mit Ursprung in Marokko in die Gemeinschafteine Verordnung des Rates über die Einfuhr bestimmter Fischereierzeugnisse mit Ursprung in Tunesien in die Gemeinschafteine Verordnung des Rates zur Festlegung von gemeinsamen Vermarktungsnormen für bestimmte frische oder gekühlte Fischeeine Verordnung des Rates zur Festlegung gemeinsamer Vermarktungsnormen für Garnelen der Gattung Crangnoneine Verordnung des Rates über die Anerkennung der Erzeugerorganisation der Fischwirtschafteine Verordnung des Rates zur Festsetzung der Interventionspreise für frische oder gekühlte Sardinen und Sardellen für das Fischwirtschaftsjahr 1975eine Verordnung des Rates zur Festsetzung der Orientierungspreise für die in Anhang I Abschnitte A und C der Verordnung (EWG) Nr. ... aufgeführten Fischereierzeugnisse für das Fischwirtschaftsjahr 1975eine Verordnung des Rates zur Festsetzung der Orientierungspreise für die in Anhang II der Verordnung (EWG) Nr.... aufgeführten Fischereierzeugnisse für das Fischwirtschaftsjahr 1975eine Verordnung des Rates zur Festsetzung des gemeinschaftlichen Produktionspreises für Thunfische, die für die Konservenindustrie bestimmt sind, für das Fischwirtschaftsjahr 1975eine Verordnung des Rates über die Grundregeln für die Gewährung und die Bemessung von Erstattungen bei der Ausfuhr von Fischereierzeugnissen— Drucksachen 7/4185, 7/4480 — Berichterstatter: Abgeordneter Grunenberg35. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 766/68 betreffend die Gewährung von Erstattungen bei der Ausfuhr von Zucker, der im Rahmen einer Präferenzregelung in die Gemeinschaft eingeführt wurde— Drucksachen 7/4114, 7/4483 —Berichterstatter:Abgeordneter Müller
36. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates über eine gemeinsame Übergangsmarktordnung für Schaffleisch— Drucksachen 7/4131, 7/4490 —Berichterstatter: Abgeordneter Eigen37. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung zur Änderung der Haushaltsordnung in bezug auf die Mittelübertragungen zwischen dem Kapital „Nahrungsmittelhilfe" und der Abteilung „Garantie" des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft— Drucksachen 7/4186, 7/4548 —Berichterstatter:Abgeordneter Sauter
38. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates betreffend die Einführung einer Mindestlagermenge für Zucker— Drucksachen 7/4155, 7/4567 — Berichterstatter : Abgeordneter Schonhofen39. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eineVerordnung des Rates zur Verlängerung der Genehmigungspflicht in der Bundesrepublik Deutschland für synthetische Socken und in Frankreich für Handschuhe aus Wirkwaren mit Ursprung in der Republik KoreaVerordnung des Rates über die Einfuhrregelung für gewisse Textilerzeugnisse mit Ursprung in HongkongEmpfehlung betreffend den Abschluß einesAbkommens zwischen der EWG und Hongkong über den Handel mit TextilerzeugnissenVerordnung des Rates über den Abschluß des Abkommens in Form eines Brief-
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Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15367
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausenwechsels zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Zypern über die Regelung für die Einfuhr von sogenanntem „Cyprus Sherry" mit Ursprung in und Herkunft aus Zypern in die GemeinschaftVerordnung des Rates zur Änderung des Anhangs IV der Verordnung Nr. 816/70 zur Festlegung ergänzender Vorschriften für die gemeinsame Marktorganisation für Wein betr. die Änderung des Gemeinsamen ZolltarifsVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnungen Nr. 120/67, Nr. 950/68 und Nr. 1052/68 bezüglich der Zolltarifnomenklatur einiger Erzeugnisse der Sektoren Getreide und ZuckerVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 3174/74 hinsichtlich der Aufteilung der eröffneten Kontingentsmenge auf die drei RohmagnesiumqualitätenVerordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Rohmagnesium der Tarifstelle 77.01 A des Gemeinsamen ZolltarifsRichtlinie des Rates zur Angleichung derRechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betr.Meßanlagen für Flüssigkeiten
— Drucksachen 7/4352, 7/4392, 7/4251, 7/4418,7/4386, 7/4389, 7/4419, 7/4417, 7/4586 —Berichterstatter: Abgeordneter Schmidhuber40. Beratung des Berichts und des Antrags des Finanzausschusses zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Änderung der Richtlinie des Rates vom 24. Juli 1973 zur Koordinierung der die Aufnahme und Ausübung der Direktversicherung (außer Lebensversicherung) betreffenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften— Drucksachen 7/4136, 7/4597 —Berichterstatter:Abgeordneter Rapp
41. Beratung des Antrags des Innenausschusses zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (Euratom) des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Kernforschungsstelle, die in den Niederlanden dienstlich verwendet werden— Drucksachen 7/4420, 7/4596 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Schäfer
42. Beratung des Berichts und des Antrags des Finanzausschusses zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für einen Beschluß des Rates über die Annahme im Namen der Gemeinschaft von mehreren Anhängen zu dem Internationalen Übereinkommen zur Vereinfachung und Harmonisierung der Zollverfahreneine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 542/69 über das gemeinschaftliche Versandverfahreneine Verordnung des Rates über das gemeinschaftliche Versandverfahreneine Richtlinie des Rates über Steuerbefreiung der endgültigen Einfuhr von persönlichen Gegenständen durch Privatpersonen aus einem Mitgliedstaat— Drucksachen 7/3996, 7/4028, 7/4197, 7/4317, 7/4613 —Berichterstatter: Abgeordneter Schreiber43. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates betreffend die gemeinsame Maßnahme zur Verbesserung der Verarbeitungs- und Absatzbedingungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse— Drucksachen 7/4033, 7/4466 — Berichterstatter: Abgeordneter BewerungeEs handelt sich um Anträge der Ausschüsse zu Vorschlägen der Kommission der Europäischen Gemeinschaft.Ich frage, ob einer der Herren Berichterstatter das Wort wünscht. — Das ist nicht der Fall. — Ich danke den zahlreichen Berichterstattern.Wird das Wort zur Aussprache begehrt? — Auch das ist nicht der Fall.Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch.Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen 7/4659, 7/4473, 7/4482, 7/4480, 7/4483, 7/4490, 7/4548, 7/4567, 7/4586, 7/4597, 7/4596, 7/4613 und 7/4466.Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltung? — Ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, ich schlage vor, daß wir bis zum Beginn der Fragestunde die Sitzung für drei Minuten unterbrechen.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde— Drucksache 7/4707 —
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15368 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Vizepräsident von HasselWir kommen zunächst zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich rufe die Frage 50 des Abgeordneten Eigen auf:Welche Haltung wird die Bundesregierung bei den Ministerratsverhandlungen in Brüssel einnehmen in bezug auf den Vorschlag der Kommission, eine Zwangsbeimischung von 2 °/o Magermilchpulver in allen Futtermitteln zu verordnen, und wie wirkt sich eine solche Maßnahme eventuell auf die Produktionskosten der landwirtschaftlichen Veredlungsprodukte aus?Der Fragesteller ist anwesend. Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Logemann.
Herr Kollege Eigen, neben mittelfristigen Überlegungen zur Wiederherstellung des Marktgleichgewichts im Milchsektor müssen wegen der hohen Überschüsse an Magermilchpulver kurzfristig Maßnahmen ergriffen werden, um die vorhandenen Bestände und die weiterhin zu erwartende Überschußproduktion an Magermilchpulver abzubauen.
Dies ist nur dadurch zu erreichen, daß Magermilchpulver wieder in verstärktem Maße im Futtermittelsektor verwendet wird, wo es durch pflanzliches Eiweiß verdrängt worden ist. Hierfür stehen folgende Wege offen. Die eine Möglichkeit besteht in einer Verbilligung von Magermilchpulver auf das Preisniveau für pflanzliches Eiweiß. Dies erfordert in der Gemeinschaft einen zusätzlichen finanziellen Aufwand von 750 Millionen DM. Haushaltsmittel stehen hierfür nicht zur Verfügung und können auch nicht aufgebracht werden.
Die zweite Möglichkeit ist die von der Kommission vorgeschlagene Zwangsbeimischung, die nicht ohne ordnungspolitische Bedenken ist und deren Auswirkungen auf andere Bereiche der Landwirtschaft gesehen werden müssen. So würden sich bei einer zweiprozentigen Zwangsbeimischung von Magermilchpulver die Produktionskosten voraussichtlich wie folgt erhöhen: je Kilogramm Schlachtschwein um rund zehn Pfennig; je Kilogramm Geflügelfleisch um rund sieben Pfennig; je Ei um rund 0,4 Pf.
Bei den Diskussionen in Brüssel über die Zwangsbeimischung wird es entscheidend darauf ankommen, ob es möglich ist, die hier erwähnten Bedenken auf ein tragbares Maß zu reduzieren. Gleichzeitig muß ich aber daraufhinweisen, daß jede andere Lösung des Magermilchproduktproblems voraussetzt, daß die Finanzierungsfrage gelöst wird.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Eigen.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß es angesichts der Tatsache, daß viele hundert Millionen Menschen in aller Welt falsch und schlecht ernährt sind, besser wäre, wenn weitere Magermilchpulverbestände in die Entwicklungsländer gingen?
Logemann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, das ist im Kommissionsvorschlag rschl
sehen. Es sollen gerade für die Zwecke, die Sie eben
erwähnten, zusätzliche Mengen zur Verfügung gestellt werden.
Wie viele, Herr Staatssekretär?
Logemann, Parl. Staatssekretär: Etwa 230 000, 240 000 t.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Eigen.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht besser, wenn man schon vom Beimischungszwang redet, daß man dann diejenigen dafür sorgen läßt, daß der Berg abgebaut wird, die ihn auch haben entstehen lassen, indem man den Beimischungszwang vor allen Dingen für Kälberaufzucht und Mastfutter einführte? Bei einer um 10 °/o erhöhten Beimischung wären schon 200 000 t Magermilchpulver verbraucht.
Logemann, Parl. Staatssekretär: Ich unterstelle, daß die Kommission davon ausgeht, daß selbstverständlich solche Maßnahmen, wenn sie wirkungsvoll sein sollen, EWG-einheitlich durchgeführt werden.
Ich rufe die Frage 51 des Abgeordneten Niegel auf:Wird die Bundesregierung die Preisvorschläge der EG-Kommission im Hinblick auf eine angemessene Festsetzung, wie sie z. B. der Deutsche Bauernverband auf seiner Mitgliederversammlung gefordert hat, sowie den Abbau des Grenzausgleichs ablehnen, sich gegen die Aushöhlung des Marktordnungssystems stellen und zur Herstellung des Marktgleichgewichts nur solche Maßnahmen billigen, die die Einkommenssituation der Erzeuger nicht beeinträchtigen?Der Fragesteller ist anwesend. Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.Logemann, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat schon im Herbst des letzten Jahres bei ihren europapolitischen Beratungen festgestellt, daß wegen der schwierigen Situation auf einigen Agrarmärkten eine stärker am Marktgleichgewicht orientierte Preispolitik anzustreben ist. Wegen der sehr unterschiedlichen Kostenentwicklungen in den Mitgliedstaaten wird es dabei vermutlich, wie schon im letzten Jahr, nicht möglich sein, eine gemeinsame Preisanhebungsrate für alle Partnerländer festzusetzen.Änderungen im System der gemeinsamen Marktorganisationen, z. B. die auch von der Bundesregierung unterstützte Differenzierung der Preise für backfähigen Weichweizen und Massenweizen, tragen ebenfalls zur Verbesserung der Situation auf den Märkten bei, ohne daß deshalb eine Aushöhlung des Marktordnungssystems befürchtet werden muß.Die Bundesregierung läßt sich in ihrer Haltung bei den Preisdiskussionen davon leiten, daß ein ausgewogener Kompromiß sowohl die markt- und stabilitätspolitischen Erfordernisse als auch die berechtigten Einkommenswünsche der Landwirtschaft berücksichtigen muß.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15369
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Niegel.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung nun die Vorschläge der EG-Kommission, so wie sie jetzt vorliegen, ablehnen und sich mehr den Vorschlägen der COPA und des Deutschen Bauernverbandes annähern?
Logemann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich muß Ihnen leider sagen, daß ich Ihnen auf diese Frage heute keine konkrete Antwort geben kann. Die Verhandlungen laufen. Ich würde unsere Verhandlungsposition schwächen, wenn ich hier die eine oder die andere Lösung deutlich machte.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Niegel.
Herr Staatssekretär, welche Vorstellungen hat die Bundesregierung bezüglich der Preisregionalisierung für Weizen, und wie würde sich eine solche Preisregionalisierung insbesondere für die marktfernen Gebiete — ich denke hier an Bayern oder auch an Niedersachsen — auswirken?
Logemann, Parl. Staatssekretär: Wir haben bei allen Überlegungen immer wieder betont, daß bei neuen Regionalisierungsbestrebungen berücksichtigt werden muß, daß für die Landwirte in marktfernen Gebieten kein Einkommensausfall bei den in Frage kommenden Erzeugnissen eintreten soll.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Eigen.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß es sehr verwundern muß, wenn der Herr Bundesminister beim Abbau des Aufwertungsausgleichs für die deutsche Landwirtschaft fest zugesagt hat, daß er dafür in bezug auf den Grenzausgleich hart bleiben wolle, Sie nun aber sagen, daß der Grenzausgleich wegen differenzierter Preise möglicherweise doch abgebaut werden müsse?
Logemann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, das habe ich nicht gesagt. Sie müssen allerdings auch folgender Entwicklung, die ich jetzt einmal zahlenmäßig darstellen will, Rechnung tragen. Ich stelle jetzt nur einmal einen Vergleich mit unserem Nachbarland Frankreich an. Der Lebenshaltungskostenindex zeigt im Jahre 1974 folgende Entwicklung: Bundesrepublik: plus 7,0 %, Frankreich: plus 13,7 °/o. Für 1975 ergeben sich folgende Werte: Bundesrepublik: plus 6,0 %, Frankreich: plus 11,3 %. Nun zu den Auswirkungen auf die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise im Jahre 1975: Bundesrepublik: plus 12,2 %, Frankreich: plus 8,0 %. Landwirtschaftliche Betriebsmittel: Bundesrepublik: plus 6,6 %, Frankreich: plus 11,1 %. Nun kommt die Kommission mit ihrer objektiven Methode — Sie kennen die Berechnungsgrundlage sicherlich — zu folgendem Ergebnis. Wenn ich die Betriebsmittel plus die Löhne nehme, ergibt sich für den Zeitraum
von 1973 bis 1975 kumulativ eine Kostensteigerung von 28,8% in der Bundesrepublik und 45,1 % in Frankreich. Daß dies natürlich auf die Einkommensentwicklung durchschlägt, brauche ich Ihnen wohl nicht besonders zu sagen.
Keine weiteren Zusatzfragen. Wir sind damit am Ende Ihres Geschäftsbereiches angelangt. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Die Frage 118 wird auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Geldner, schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf.
Die Frage 76 wird auf Wunsch der Fragestellerin, der Abgeordneten Frau Schleicher, schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Auch die Frage 119 soll auf Wunsch der Fragestellerin, der Abgeordneten Frau Benedix, schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 120 soll auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Engelsberger, ebenfalls schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 121 des Herrn Abgeordneten Hösl. — Der Fragesteller ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 122 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die kubanische Regierung gegenüber dem angolanischen Volk eine offene Aggression begeht, und wenn ja, gedenkt sie, deswegen bei der kubanischen Regierung vorstellig zu werden und ihre Beziehungen zu Kuba zu überprüfen, sofern diese Aggression nicht eingestellt wird?
Ich schlage hierzu folgendes vor. Die Fragen 129 und 130 stehen in einem engen Zusammenhang mit der Frage 122 des Herrn Abgeordneten Jäger. Sind Sie damit einverstanden, daß wir diese drei Fragen nacheinander aufrufen? — Keine Bedenken. Dann werden wir so verfahren.
Zur Beantwortung der Frage 122 des Herrn Abgeordneten Jäger Herr Staatsminister Moersch, bitte.
Die Bundesregierung beobachtet mit Sorge die Entwicklung des Bürgerkriegs in Angola. Sie bedauert nicht nur, daß dieses Land von einem Bruderkampf rivalisierender Parteien erschüttert wird, sondern daß sich ausländische Mächte in die Auseinandersetzungen mit militärischen Mitteln einmischen. Die Bundesregierung hat diese ihre Auffassung auch mehrfach offen ausgesprochen. So hat der Bundesminister des Auswärtigen am 10. Januar 1976 erklärt, das Angola-Problem sei eine innerafrikanische Angelegenheit, die vor allem vom angolanischen Volk selbst nur mit Hilfe der afrikanischen
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Staatsminister Moersch
Staaten im Rahmen der Organisation für die afrikanische Einheit gelöst werden sollte. Der Bundesaußenminister hat am 23. Januar 1976 ausgeführt, die Bundesregierung spreche sich entschieden gegen jegliche Einmischung in Angola aus, von welcher Seite sie auch immer kommen möge.
Das Auswärtige Amt hat die kubanische Regierung auf diplomatischem Wege wissen lassen, daß nach unseren Vorstellungen dem Blutvergießen in Angola und einer weiteren Eskalation nur durch Verhandlungen im Rahmen einer politischen Lösung Einhalt geboten werden könne. Die Voraussetzung dafür bildet der Abzug aller ausländischen Militäreinheiten, nicht zuletzt der kubanischen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung, nachdem sie ja offensichtlich davon ausgeht, daß hier eine ausländische Intervention und damit wohl auch eine Aggression stattfinden, von der kubanischen Regierung eine Antwort erhalten, und wie lautet diese?
Moersch, Staatsminister: Wir haben diesen unseren Standpunkt mitgeteilt. Jetzt schon eine Antwort zu erwarten wäre sicherlich zu früh gewesen. Wir werden hören, wie sich die Kubaner dazu äußern. Ich darf übrigens darauf hinweisen, daß es notwendig ist, wenn Sie von „Intervention" sprechen, die Mehrzahl zu gebrauchen. Ich habe das in meiner Antwort auch getan.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger.
Herr Staatsminister, welche Schritte erwägt die Bundesregierung für den Fall, daß keine oder keine zufriedenstellende Antwort der kubanischen Regierung auf das Schreiben der Bundesregierung eingeht?
Moersch, Staatsminister: Das wird die Bundesregierung entscheiden, wenn sie eine Antwort hat bzw. wenn sich eine neue Entwicklung abzeichnet.
Meine Damen und Herren, der Fragesteller der Fragen 129 und 130, die wir mit dieser Frage verbinden wollten, ist nicht anwesend. Ich gehe davon aus, daß er über die Vorziehung seiner Fragen nicht unterrichtet wurde. Ich fahre deshalb zunächst in der Reihenfolge der Fragen fort.
Ich rufe die Frage 123 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Wieso ist das Ausreiseprotokoll mit Polen, das nach den Aussagen von Bundesminister Genscher im Bundestag am 26. November 1975 eine Konkretisierung der fortbestehenden und in unbefriedigender Weise erfüllten Rechtsverpflichtung Polens aus der .Information" von 1970 für die nächste Zeit sein soll, trotz der Unterschrift am 9. Oktober 1975 nodi nicht rechtswirksam, obwohl es völkerrechliche Bindungswirkung angeblich ohne Ratifikation haben soll und dem Wortlaut und Inhalt des Protokolls selbst eine aufschiebende Wirkung der Rechtswirksamkeit nach der Unterzeichnung nicht zu entnehmen ist?
Zur Beantwortung bitte Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Das Ausreiseprotokoll enthält eine Zusage. Die Erfüllung der Zusage steht — das ergibt sich ebenfalls aus dem Ausreiseprotokoll selbst — unter dem Vorbehalt der Erteilung der Zustimmung des Polnischen Staatsrats. Wie Sie wissen, ist das so ausgestaltete Protokoll am 9. Oktober 1975 — gemeinsam mit dem Rentenabkommen, dem Finanzkreditabkommen und dem Langzeitprogramm — in feierlicher Form unterschrieben worden. Ich darf im übrigen auf die Behandlung dieser Fragen im Auswärtigen Ausschuß verweisen. An diesen Verhandlungen haben Sie, Herr Abgeordneter, wenn ich mich recht entsinne, teilgenommen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, wenn die eigentliche Rechtsgrundlage der Ausreise die „Information" von 1970 ist und die polnischen Behörden festgestellt haben sollen, daß auf deren Grundlage bereits jetzt 125 000 Deutsche ausreiseberechtigt sind — in Absatz 4 des Ausreiseprotokolls diese Konkretisierung also liegen soll —, warum bekommen diese Deutschen dann im Gegensatz zur „Information" nach dem 9. Oktober 1975 laufend Absagen?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, zunächst zum tatsächlichen Sachverhalt. Dieses Ausreiseprotokoll bedeutet eine zeitliche Konkretisierung der „Information".
Mir ist bekannt, daß die Anträge, die seit dem 9. Oktober 1975 gestellt worden sind — soweit ich das aus den Berichten unserer Botschaft entnehmen kann —, zum Teil sehr zügig positiv beschieden worden sind. Ich bin sicher, daß wir in der nächsten Woche bei der allgemeinen Debatte über dieses Thema im Bundestag noch einige weitere Ausführungen machen können.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Geben Sie also, Herr Staatsminister, mit Ihrem Hinweis auf den Vorbehalt zu, daß die beiden Unterschriften der beiden Außenminister unter das Ausreiseprotokoll an sich noch keine Zusage und keine völkerrechtliche Rechtsverpflichtung erzeugt haben, mithin bei der parlamentarischen Behandlung der Zustimmungsgesetze eine solche Rechtsverpflichtung seitens Polen noch nicht besteht?Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, warten Sie bitte die nächste Woche ab und das, was im Bundesrat geschieht. Ich habe den Tatbestand festgestellt, und ich bitte zu beachten, daß dieses Ausreiseprotokoll — im Ausschuß ist ausführlich dar-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15371
Staatsminister Moerschgelegt worden, warum; das steht übrigens auch wörtlich drin — unter dem Vorbehalt der Erteilung der Zustimmung des Polnischen Staatsrats steht. Ihnen ist bekannt, daß diese Prozedur in Polen eingeleitet worden, aber noch nicht abgeschlossen ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, wie ist es mit Ihrer Antwort an den Kollegen Czaja in Einklang zu bringen, daß nach der amtlichen Mitteilung des Beauftragten der Bundesregierung für das erste Halbjahr 1975 pro Ausreiseerlaubnis knapp fünf Anträge notwendig waren, während in dem Jahresbericht, der uns vor kurzem zugegangen ist, festgestellt wird, daß pro Bewilligung einer Ausreise mehr als sieben Anträge im Gesamtjahr gestellt werden mußten, was ja zur Folge hat, daß im zweiten Halbjahr wesentlich mehr Anträge erforderlich waren, um mit dem Ausreisewunsch durchzudringen?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Aufklärung zu dieser Frage ergibt sich aus dem Wortlaut meiner Antwort von vorhin.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, Sie haben soeben Herrn Kollegen Czaja gesagt, Sie beobachteten, daß die Genehmigung von Aussiedlungsanträgen jetzt sehr zügig erfolge. Können Sie mir darin zustimmen, daß die Polen zuvor eine bewußt restriktive Methode angewandt haben?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich nehme nicht an, daß Sie der Meinung sind, Ihre Frage enthalte eine neue Feststellung. Ich teile hier noch einmal ausdrücklich mit — was ich wiederholt gesagt habe —, daß die Behandlung von Anträgen vor dem 9. Oktober für uns nicht befriedigend gewesen ist.
Ich rufe die Frage 124 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Hat die Bundesregierung an Hand der nach dem 9. Oktober 1975 deutscherseits erteilten Einreisesichtvermerke feststellen können, an wie viele Familien mit wie vielen Personen jener 20 000 Deutschen, für die sie vorher aus besonderen Härtegründen bei der polnischen Regierung durch Interventionen vorstellig wurde, nunmehr Einreisesichtvermerke der Bundesrepublik Deutschland auf Grund der auch nach dem 9. Oktober 1975 ausgestellten polnischen Ausreisedokumente und Pässe erteilt wurden? .
Zur Beantwortung der Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich habe in der Fragestunde vom 22. Januar dieses Jahres die Zahlenentwicklung auf diesem Gebiet erläutert. Auf eine Zusatzfrage des Kollegen Sauer habe ich weiterhin Ausführungen zum Arbeitsanfall bei unserer Botschaft in Warschau gemacht. Sie können sicher sein, Herr Abgeordneter, daß die Botschaft die Entwicklung auf diesem Gebiet sehr genau verfolgt. Dies zeigt die in der letzten Fragestunde genannte Zahl, wie ich denke. Ich bitte Sie aber um Verständnis dafür, daß es nicht möglich ist, zu jedem gegebenen Augenblick eine detaillierte Ubersicht darüber zu geben, welche Angehörigen einer Familie, zu deren Gunsten interveniert wurde, nunmehr gerade einen Sichtvermerk beantragt bzw. erhalten haben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, nachdem Sie ausdrücklich hier im Hause die Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über die deutsche Intervention in 20 000 Härtefällen bestätigt haben und nachdem Sie in Erfüllung Ihrer grundgesetzlichen Schutzpflicht Folgen und Ergebnis dieser Interventionen verfolgen mußten, frage ich Sie nicht, wie das geschätzte, also unbewiesene Ergebnis war, sondern wie viele Einreisesichtvermerke für diese in Ihrer Interventionsevidenz befindlichen Härtefälle seit dem 9. Oktober 1975 zwar nicht in jedem Augenblick, aber bis zu einem bestimmten von Ihnen zu ermittelnden Zeitpunkt erteilt wurden.
Moersch, Staatsminister: Zunächst möchte ich feststellen, daß auch Schätzungen beweiskräftig sein können. Jedenfalls muß da kein Gegensatz bestehen. Ich kann Ihnen nur mitteilen, daß wir nicht in der Lage sind — einfach aus technischen Gründen —, eine solche fortlaufende Statistik zu führen. Dies entspricht nicht der Besetzung und den Möglichkeiten, die wir dort haben. Ich entnehme aber aus dem letzten Bericht — um ein Beispiel zu nennen —, daß die Hälfte der in einem Zeitraum von vier Wochen erteilten Sichtvermerke solche Fälle betraf, in denen Interventionen erfolgt waren.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, wird überhaupt auf Grund der erteilten Sichtvermerke geprüft, ob es in Härtefällen in bezug auf die Ausreise, für die die Bundesregierung vorrangig aus ihrer grundgesetzlichen Pflicht heraus intervenieren mußte, zu einem positiven Ergebnis kommt?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, wir stellen das, soweit es uns technisch möglich ist, selbstverständlich fest. Andernfalls hätte ich Ihnen nicht sagen können, daß innerhalb von vier Wochen die Hälfte der behandelten Fälle auf solche Interventionen zurückzuführen ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
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15372 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Herr Staatsminister, können Sie mir vielleicht eine generelle Auskunft erteilen: ob in besonderen Härtefällen getrennter Familien, in denen ein Ehepartner hiergeblieben ist, die Angehörigen herausgelassen worden sind?
Moersch, Staatsminister: Das ist in mehreren Fällen geschehen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 125 des Abgeordneten Freiherr von Fircks auf:
Wie vereinbaren sich die Feststellungen des Auswärtigen Amts zu den Fragen Nr. 94 bis 96 und 101 in der Fragestunde vom 11. Dezember 1975 , daß Anhaltspunkte für das Verlangen polnischer Behörden nach entschädigungslosem Verzicht auf Grundbesitz vor Erteilung der Ausreisegenehmigung an ausreisewillige Deutsche bisher nicht bekanntgeworden seien, mit dem als Merkblatt Nr. 1 des Bundesausgleichsamts vom 9. Juni 1974 [Beilage zum Amtlichen Mitteilungsblatt des Bundesausgleichsamts Nr. 7 (1974)] bekanntgemachten Gutachten der zuständigen Heimatauskunftstelle, wonach die Erteilung der Ausreisegenehmigung „häufig von einem ensprechenden Vermögensverzicht zugunsten des polnischen Staats abhängig gemacht" wird und diese Übertragung „unentgeltlich und schuldenfrei zu erfolgen" hat?
Zur Beantwortung der Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Herr Präsident, ich wäre dankbar, wenn ich die Fragen 125 und 126 zusammen beantworten könnte.
Keine Bedenken. Ich rufe auch die Frage 126 des Abgeordneten Freiherr von Fircks auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß nach den Feststellungen in dem genannten Gutachten des Bundesausgleichsamts vom 19. Juni 1974 „etwa seit 1972 ... die polnischen Behörden dazu übergegangen , verschiedentlich die Erteilung der Aussiedlungsgenehmigung nicht nur von Verzichtserklärungen für die Vermögensobjekte der Antragsteller, sondern auch von entsprechenden Erklärungen der Miteigentümer oder Miterben, die im Bundesgebiet wohnen, abhängig zu machen"?
— Das ist so üblich, Herr Kollege.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, es ist keine generelle Regelung bekannt, wonach Umsiedlungsbewerber vor der Ausreise auf Grundbesitz — und nur darum geht es, nicht um Vermögen allgemein — entschädigungslos verzichten müssen. Dem Auswärtigen Amt ist nicht bekannt, daß sich die Rechtslage, die ich dem Kollegen Ey in der Fragestunde vom 11. Dezember 1975 geschildert habe, geändert hätte. Auch das Merkblatt des Bundesausgleichsamts führt keine dem widersprechende rechtliche Regelung an. Die polnischen Ausreisebestimmungen verlangen — das habe ich in der erwähnten Fragestunde gesagt; ich zitiere —
von den Umsiedlern vor ihrer Ausreise eine Bereinigung ihrer vermögensrechtlichen Angelegenheiten, insbesondere in bezug auf Grundbesitz, der veräußert werden muß.
Dabei ist sicher richtig, daß es unter den gegebenen Umständen schwierig ist, für Grundstücke einen ihrem Wert entsprechenden Erlös zu bekommen oder sie überhaupt mit Gewinn zu veräußern. Auch darf der Verkaufserlös nicht ins Ausland transferiert werden; auch dies habe ich damals dargelegt. Daraus kann jedoch nicht generell gefolgert werden, Ausreisegenehmigungen würden vom entschädigungslosen Verzicht auf Grundeigentum zugunsten des polnischen Staates abhängig gemacht.
Von dem Verlangen polnischer Behörden nach einem solchen Verzicht ist dem Auswärtigen Amt bisher nur in vier Fällen etwas bekanntgeworden. Das Auswärtige Amt konnte bisher nicht feststellen, auf Grund welcher weitergehenden Informationen das Bundesausgleichsamt zu der Aussage gelangt ist, ein solcher Verzicht werde „häufig" verlangt.
Unsere Botschaft hat auf Rückfrage inzwischen erneut bestätigt, daß ihr nicht bekannt sei, die Erteilung der Ausreisegenehmigung werde zunehmend von einem Verzicht auf Grundeigentum des Aussiedlungsbewerbers zugunsten des polnischen Staates abhängig gemacht. Das Auswärtige Amt ist aber bereit, wie bisher allen ihm mitgeteilten Einzelfällen nachzugehen.
Zu der zweiten Frage, wonach die polnischen Behörden dazu übergegangen seien, „verschiedentlich", wie es heißt, die Erteilung der Ausreisegenehmigung von entsprechenden Verzichtserklärungen der Miteigentümer oder Miterben, die im Bundesgebiet wohnen, abhängig zu machen, haben wir das Bundesausgleichsamt um Stellungnahme gebeten. Es hat uns mitgeteilt, daß ihm nur einige Einzelfälle bekanntgeworden sind. Genannt hat es drei Fälle, darunter den in der Fragestunde vom 11. Dezember 1975 behandelten Fall. Ich kann also auch insoweit auf meine früheren Ausführungen verweisen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Fircks.
Herr Staatsminister, nachdem doch offensichtlich dieser Sachverhalt den für die hier in Frage stehenden Vertreibungsgebiete zuständigen Gutachterstellen im Bundesgebiet bereits 1974 bekannt war, frage ich: Aus welchen Gründen und wieso hat dann die Bundesregierung hiervon keine Kenntnis genommen und nicht bereits sehr viel früher festgestellt, ob diese Feststellung des Bundesausgleichsamts zu Recht oder zu Unrecht besteht?Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich darf hier doch zur Aufklärung sagen — und ich bitte, meine Antwort da genau zu beachten —: Ich habe mir, wie Sie sich denken können, für diese Fragestunde eine Auskunft vom Bundesausgleichsamt geben lassen. Danach hat das Bundesausgleichsamt offensichtlich keine anderen Fälle als die hier genannten uns gegenüber konkret vorgebracht, so daß also auch gar keine Notwendigkeit bestand, etwa
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15373
Staatsminister Moerschnachzuprüfen, ob sich hier rechtlich oder tatsächlich etwas geändert hat. Wir haben laufend von unserer Botschaft darüber Berichte bekommen, die unsere Auffassung bestätigen. Die Bundesregierung ist nicht für Einzelformulierungen einer solchen Dienststelle verantwortlich zu machen.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Fircks.
Herr Staatsminister, nachdem doch von den Ihnen vom Bundesausgleichsamt dargelegten Fällen zumindest einige bekannt waren, frage ich, welche Konsequenzen die Bundesregierung aus der Tatsache ziehen wird, daß daß die zuständige Abteilung der deutschen Botschaft in Warschau offenbar nicht einen so klaren Einblick in die tatsächlichen Verhältnisse hat, daß die Auskünfte der Botschaft an das Auswärtige Amt eine vollkommene und bis ins letzte stichhaltige Übersicht über die tatsächliche Situation in den Aussiedlungsgebieten gäben.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Erfüllung des Anspruchs auf Vollkommenheit kann auch nicht von einer Botschaftsabteilung erwartet werden. Wenn sich unter vielen tausend Fällen jetzt insgesamt vier herausstellen, von denen hier zwei bekannt waren — oder auch ein dritter, der ja in der Frage der Miterben ein strittiger Fall war —, ist doch sicherlich einer Botschaftsabteilung kein Vorwurf daraus zu machen, daß sie zwei Fälle gekannt hat, aber nicht vier, wobei, wie gesagt, der vierte in seiner wirklichen Wirkung noch unklar ist. Ich glaube, daß die Auskunft — es gibt in diesem Punkte auch keine Meldepflicht etwa an die Botschaft —, die wir gegeben haben, in jedem Falle zutreffend ist und daß der Tatbestand wegen einer unscharfen Formulierung mißverständlich genannt werden kann.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Fircks.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung, nachdem sie von — wie Sie meinen — nur wenigen Einzelfällen — immerhin — Kenntnis bekommen hat, bereit, auf Grund der jetzigen Kenntnislage Gespräche mit der polnischen Seite mit dem Ziel aufzunehmen, solche Fälle, auch wenn es nur wenige sind, durch klare und eindeutige Vereinbarungen für die Zukunft auszuschließen?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat jeden einzelnen Fall, der ihr bekanntgeworden ist, auch die hier zur Sprache gebrachten, aufgenommen und mit der polnischen Seite besprochen; das habe ich hier auch mitgeteilt. Und ich sage noch einmal: Es sind die Fälle gegeben, die uns bekannt sind. Wenn Sie weitere Fälle haben, bitte ich um eine konkrete Mitteilung, damit wir sie entsprechend aufnehmen können. Aber Sie können doch die Zahlen, die nicht bezweifelt worden sind, nicht durch solche unscharfe Formulierungen in Zweifel ziehen wollen. Da müßten Sie Belege erbringen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Fircks.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, im Rahmen künftiger Gespräche mit der polnischen Regierung auch gegen den Inhalt des Dekrets über die Bewirtschaftung von Flächen in Städten und Siedlungen vom 14. Juli 1961 zu intervenieren, nach dessen Artikel 39 der zurückgelassene Grundbesitz deutscher Aussiedler an den polnischen Staat fällt, die bei der Ausreise ihre polnische Staatsangehörigkeit verlieren, was doch bei einem Verlassen Polens mit einem Ausreisevisum regelmäßig der Fall ist?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, das ist eine Frage des innerstaatlichen polnischen Rechts. Die Bundesregierung hat keine Legitimation, Verhandlungen über innerstaatliches Recht eines anderen Staates zu führen. Sie haben selbst die Jahreszahl genannt, wann dieses Dekret erlassen wurde. Ich habe hier eine andere Zahl; da steht 1951. Welche Zahl auch richtig sein mag, es ändert nichts an der Tatsache, daß jedenfalls diese Bundesregierung dann die Frage stellen muß, warum vor so vielen Jahren und bei einem Tatbestand, der so evident war, nicht andere einen der Frage entsprechenden Versuch gemacht haben. Sie haben ihn deswegen nicht gemacht, weil sie völkerrechtlich dazu ebensowenig legitimiert waren wie wir.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, wieso hat die Bundesregierung nicht die Verpflichtung, gegen dieses völkerrechtswidrige und sittenwidrige Verfahren in Artikel 39 des polnischen Gesetzes — ich berufe mich auf das, was auch der Justizminister von Nordrhein-Westfalen dankenswerterweise dazu an das Auswärtige Amt und alle deutschen Justizminister geschrieben hat — völkerrechtlich vorzugehen?Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, offen gestanden, ich verstehe die erneute Frage nicht. Ich glaubte, diese Frage beantwortet zu haben. Die Frage müßten Sie in diesem Zusammenhang an alle früheren Bundesregierungen stellen.
— Sie meinen also, man könne sich vor unangenehmen Aufgaben dadurch schützen, daß man zu anderen Staaten keine Beziehungen aufnimmt. Das ist wiederum eine völlig neue völkerrechtliche These. Ich stelle lediglich fest, daß die Rechtstheorie für das, was Sie hier verlangen, jedenfalls in dem, was uns als Völkerrecht bekannt ist — da mögen sich unsere Ansichten unterscheiden —, nicht gegeben
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15374 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Staatsminister Moerschist. Das ändert nichts daran, daß wir uns über die politischen Fragen, die damit im Zusammenhang stehen, unterhalten. Da muß ich allerdings sagen, die Voraussetzung dafür ist eine weitere Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen, wozu Sie sicherlich durch die Zustimmung zum Rentenabkommen beitragen können.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, nachdem Sie selbst eingewandt haben, daß schon die polnischen Rechtsbestimmungen zu unerträglichen Konsequenzen für die Aussiedlungswilligen führen können, frage ich Sie: Hat diese Bundesregierung, die als erste erhebliche massive Zahlungen an den polnischen Staat vereinbart hat, wenigstens den Versuch unternommen, im Verhandlungswege eine Veränderung des polnischen Rechts in dieser Richtung herbeizuführen?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, darf ich Sie bitten, das in der nächsten Woche in einem Beitrag in der Debatte über den Gesamtkomplex der deutsch-polnischen Beziehungen zu behandeln. Ich finde, es ist der Bedeutung dieser Thematik einfach nicht angemessen, wenn ich gezwungen bin, auf Fragen zu antworten, deren Inhalt zunächst einmal auf seine Richtigkeit untersucht werden müßte.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Ey.
Herr Staatsminister, beabsichtigt die Bundesregierung, die bekanntgewordenen Entschädigungsfälle der Auswanderer in der Bundesrepublik zu regulieren?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, wenn ich mich nicht sehr täusche — Sie mögen da besser informiert sein als ich —, gibt es eine Gesetzgebung dieses Hauses, die das regelt. Ich kann mir nicht denken, daß jemand in der Bundesrepublik Deutschland nicht bereit wäre, dieses Gesetz anzuwenden.
Bevor ich das Wort weitergebe, darf ich darauf aufmerksam machen, daß die letzte Zusatzfrage sicher nicht zu den beiden Grundfragen gehört. Sie müssen eine besondere Anfrage einbringen, die sich nur damit befaßt. Ich darf Sie bitten, bei den nachfolgenden Fragen zu beachten, was in den beiden Grundfragen steht.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Nordlohne.
Herr Staatsminister, können Sie meine Auffassung teilen, daß ein entschädigungsloser Verzicht auf Haus und Grundvermögen bereits darin zu erblicken ist, daß Beträge, die letztlich drüben noch ermöglicht werden können, nicht
einmal die Ausreisekosten decken, wie sie in Form
von Zloty bei den Sozialämtern abgerechnet werden?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, Sie haben in Ihrer Frage einen Tatbestand dargestellt, den ich hier im einzelnen aufklären müßte. Auch hier darf ich Sie bitten, da es sich um einen wichtigen Zusammenhang in den deutsch-polnischen Beziehungen handelt, die Stellungnahme der Bundesregierung in der nächsten Woche in ihren Einzelheiten abzuwarten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Nordlohne.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, in dieser wichtigen Frage der Praktizierung des Abrechnungsverfahrens beispielsweise einmal bei ein oder zwei Sozialämtern Rücksprache zu nehmen, die die Kostenerstattung bearbeiten?
Moersch, Staatsminister: Die Bundesregierung ist kraft Amtes verpflichtet, mit diesen Stellen Kontakt zu halten. Sie hat darüber entsprechende Informationen. Sie hat auch entsprechende Vorschläge zu Gesetzesänderungen in diesem Hause jeweils vorgelegt, wo dieses nützlich und notwendig erschien.
Letzte Zusatzfrage, der Abgeordnete Sauer.
Herr Staatsminister Moersch, darf ich Ihren bisherigen Antworten entnehmen, daß Sie — die Bundesregierung — mit mir der Auffassung sind, daß die derzeitige Formulierung des besagten § 39 zum Schaden der deutschen Volksgruppe in den Gebieten jenseits von Oder und Neiße gereicht?Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, diese Formulierungen im polnischen Recht sind allgemein geltende Gesetze, die für alle — —
— Herr Abgeordneter, vielleicht fragen Sie Ihren Kollegen Czaja. Der ist offensichtlich da sehr gut informiert.
— Die Bundesregierung hat ihren Standpunkt dargelegt: daß sie keine Möglichkeit hat, als Bundesregierung Abmachungen über innerstaatliche Gesetzaebuna in Polen zu schließen. Dem kann ich nichts hinzufügen. Ich kann nur noch einmal sagen,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15375
Staatsminister Moerschdaß die allgemeine Verbesserung der Beziehungen uns hoffentlich die Chance gibt, auch Härtefälle in dieser Hinsicht auszugleichen, was jahrelang überhaupt nicht der Fall war und was offensichtlich - wenn ich das sagen darf — auch niemand in Ihren Reihen damals gestört hat.
Die Fragen 127 und 128 des Abgeordneten Gerlach werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 129 des Abgeordneten Dr. Becher auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung das dem Prinzip des Gewaltverzichts widersprechende Verhalten Kubas in Angola?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich habe bereits auf die Anfrage des Herrn Abgeordneten Jäger erklärt, daß die Bundesregierung die Entwicklung des Bürgerkriegs in Angola, insbesondere die militärische Intervention ausländischer Mächte, mit Sorge betrachtet und dieser ihrer Sorge verschiedentlich klar Ausdruck gegeben hat.
Der Bundesminister des Auswärtigen hat sich vor einer Woche bei seinem Besuch in Lissabon öffentlich dahin gehend geäußert, daß die Frage, welche Regierung sich Angola gebe, nur von den Angolanern selbst entschieden werden dürfe und nicht von ausländischen Interventionsheeren. Das sowjetische und kubanische Eingreifen sei ein Versuch, neue Abhängigkeiten zu schaffen. Es gehe nicht an, daß die alten Kolonialstrukturen durch einen neuen ideologischen Kolonialismus ersetzt würden.
Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatsminister, kann die Bundesregierung die Meldungen bestätigen, denen zufolge Kuba bei seiner militärischen Invasion in Angola Waffen einsetzt, die von der Sowjetunion zur Verfügung gestellt werden?
Moersch, Staatsminister: Die Bundesregierung hat keine Möglichkeit, aus eigener Kenntnis diese Meldungen zu bestätigen, weil sie keine Vertretung in diesem Gebiet unterhält.
Zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Becher.
Herr Staatsminister, ausgehend davon, daß diese Meldungen der internationalen Presse allgemein bekannt sind und wohl auch nachgeprüft worden sind, möchte ich Sie fragen: Ist nach Ansicht der Bundesregierung das Vorgehen Kubas auch deshalb für uns bedeutsam, weil es die grundsätzliche Einstellung eines der
wichtigsten Vertragspartner der Bundesrepublik Deutschland, nämlich Sowjetrußlands, zur Politik der Entspannung und des Gewaltverzichts in Frage stellt?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich bin gerne bereit, Ihnen die Rede des Bundesaußenministers im Wortlaut zu geben, wo er auch zu diesem Fragenkomplex ausführlich Stellung genommen und auf die Unteilbarkeit des Friedens in der Welt hingewiesen hat.
Ich rufe die Frage 130 des Abgeordneten Dr. Becher auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Kuba abzubrechen?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatsminister. Moersch, Staatsminister: Die Antwort lautet nein.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Becher.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung der Überzeugung, daß wir uns in Afrika richtig verhalten, wenn wir die Verletzung der Menschenrechte auf der einen Seite durch diplomatischen und durch Wirtschaftsboykott, auf der anderen Seite offenbar durch Gewährenlassen, durch Zuschauen und durch Nichtstun beantworten?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß sie sich in Abstimmung mit ihren Partnern in der europäischen Gemeinschaft mit der Haltung, die sie in Afrika einnimmt, richtig, nämlich so verhält, wie es dem deutschen Interesse entspricht.
Zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Becher.
Herr Staatsminister, ist sich die Bundesregierung der Tatsache bewußt, daß wir durch die Aufrechterhaltung der diplomatischen Beziehungen zu Kuba einen Staat honorieren, dessen Aggression in Angola vielleicht morgen schon zur Abschnürung der Ölzufuhr nach Westeuropa und damit zur Entstehung von erschrekkenden Krisensituationen in jedem deutschen Haushalt beitragen könnte?Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich muß einer in Ihrer Frage geäußerten Ansicht heftig widersprechen, womit Sie den Eindruck erwecken, die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen oder die Pflege von diplomatischen Beziehungen sei eine Honorierung eines Staates.
Wenn ich diesen Gedanken zu Ende führe, dannmüßte ich aus Ihrer Frage entnehmen — und dashaben Sie hoffentlich nicht verstanden wissen wol-
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15376 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Staatsminister Moerschlen —, daß Sie der Meinung sind, wir sollten einen Staat durch eine gewaltmäßige Intervention daran hindern, eine solche Politik zu machen. Das kann ja wohl nicht gemeint sein. Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen bedeutet nach einer auf Grund geschichtlicher Erfahrungen möglichen Definition, daß man z. B. auf Beziehungen verzichtet, weil man glaubt, in kriegerische Auseinandersetzungen zu geraten. Die Aufnahme und Aufrechterhaltung von Beziehungen ist nicht ein Mittel der Anerkennung irgendeiner Form der Politik, sondern die Wahrnehmung eigener Interessen. Das gilt genauso in diesem Fall.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, nachdem Sie sich jetzt hinter der Abstimmung mit den europäischen Partnern verschanzen, frage ich Sie: Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um eine gemeinsame politische Intervention bei der kubanischen Regierung mit dem Ziel herbeizuführen, die Intervention in Angola einzustellen?
Moersch, Staatsminister: Die Bundesregierung — das habe ich Ihnen schon vorhin auf Ihre Frage gesagt — ist in der Sache diplomatisch tätig geworden. Sie handelt in Übereinstimmung mit ihren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lagershausen.
Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung in ihrer unterschiedlichen Bewertung des Verhaltens Kubas einerseits wie in diesem Falle und z. B. dem Spaniens andererseits eine Kontinuität ihrer auswärtigen Politik?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich fühle mich ein bißchen überfordert herauszufinden, welches der Kern der Frage gewesen sein soll. Wenn ich aber die die deutsche Sprache richtig deute, heißt das Gegenteil von „verbaler Betrachtung" gewaltmäßige Betrachtung. Diese will die Bundesregierung allerdings nicht anstellen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 131 und 132 des Herrn Abgeordneten Roser werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Auch die Fragen 133 und 134 des Herrn Abgeordneten Reddemann werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ebenso wird die Frage 135 des Herrn Abgeordneten Biehle auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 136 des Herrn Abgeordneten Dr. Holtz auf:
Aus welchem Grund hat sich die Bundesregierung bei der Abstimmung zur UN-Resolution über die Verurteilung des indonesischen Eingreifens in Timor der Stimme enthalten?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, zur Zeit der VN-Abstimmung über die Timor-Resolution war die Situation auf der Insel noch sehr unklar und unübersichtlich. Um nicht die Entwicklung zugunsten der einen oder anderen Partei zu präjudizieren, ohne dabei zu wissen, wie in Wahrheit der Wille der Mehrheit der Bevölkerung Ost-Timors war, einigten sich die Staaten der Europäischen Gemeinschaft auf eine einheitliche Stimmenthaltung. Die Unsicherheit über die auf Timor herrschende Situation kam auch in der Tatsache zum Ausdruck, daß die sonst in Fragen der Dekolonisierung stets einheitlich votierenden Staaten der dritten Welt in diesem Falle ganz unterschiedlich abgestimmt haben, wobei die asiatischen Nachbarn Indonesiens Indonesien selbst unterstützt haben.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 137 des Herrn Abgeordneten Stahl auf:
Hält die Bundesregierung die Politik Indonesiens gegenüber der de jure nodi unter portugiesischer Oberhoheit stehenden Kolonie Timor für vereinbar mit den Grundsätzen einer Friedenspolitik und den in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegten Rechten und Pflichten der Staaten, und wenn nein, wird sie innerhalb der Vereinten Nationen entsprechend tätig werden?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Herr Präsident, darf ich die Fragen des Herrn Abgeordneten Stahl und des Herrn Abgeordneten Schluckebier gemeinsam beantworten?
Ja. Ich rufe dann die Frage 138 des Herrn Abgeordneten Schluckebier ebenfalls auf:Welche Haltung nimmt die Bundesregierung zur Situation in und um Timor ein, und wird sie dieser Haltung innerhalb der Vereinten Nationen Ausdruck verleihen?Moersch, Staatsminister: Die Bundesregierung hält daran fest, daß in Übereinstimmung mit den Zielen und Grundsätzen der VN-Charta internationale Streitigkeiten durch friedliche Mittel unter Achtung des Rechts auf Selbstbestimmung der Völker beizulegen sind. Dies gilt auch im Falle Ost-Timors. Eine sichere Beurteilung der Verhältnisse auf OstTimor ist sehr schwierig. Bessere Kenntnisse über die Lage und über die Wünsche der Bevölkerung sind jedoch Voraussetzung für ein Tätigwerden der Bundesrepublik Deutschland in den Vereinten Nationen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß das Problem Ost-Timor unter Beteiligung aller Be-
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Staatsminister Moerschtroffenen auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts gelöst werden muß.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß die indonesische Regierung z. B. Hilfslieferungen für die Bevölkerung nicht durchgehen läßt, und wäre die Bundesregierung in der Lage und bereit, hier vermittelnd tätig zu werden?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich habe über diese Frage keine Nachrichten vorliegen. Wenn der Wunsch an uns herangetragen wird, werden wir selbstverständlich gesprächsbereit sein.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 139 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob Reiseunternehmen der Bundesrepublik Deutschland von der polnischen Botschaft in Köln die Auflage gemacht worden ist, die polnischen Namen der ostdeutschen Orte jenseits von Oder und Neiße in der Werbung zu gebrauchen und die deutschen Namen zu unterlassen, weil sonst die Genehmigung für Omnibusreisen wegfiele, und wenn ja, was gedenkt die Bundesregierung gegen derartige erpresserische Maßnahmen zu tun?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Die Bundesregierung ist über eine Auflage der polnischen Botschaft in Köln an deutsche Reiseunternehmen, polnische Namen für Orte jenseits von Oder und Neiße zu gebrauchen, nicht unterrichtet. Ich wäre Ihnen, Herr Abgeordneter, dankbar, wenn Sie derartige Ihnen möglicherweise zugehende Berichte möglichst umgehend den hierfür zuständigen Stellen der Bundesregierung zugänglich machten. Sollte sich herausstellen, daß derlei Ansinnen gestellt worden sind, würde die Bundesregierung in dieser Angelegenheit Verbindung mit der polnischen Regierung aufnehmen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Kann ich aus Ihrer Antwort schließen, Herr Staatsminister, daß wir der Meinung sind, daß bei der Ankündigung von Reisen in die Gebiete jenseits von Oder und Neiße die deutschen Ortsnamen zu wählen sind?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat ihren Standpunkt in dieser Frage hier in diesem Hohen Hause wiederholt deutlich gemacht. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß dies eine Frage ist, die die Unternehmen entscheiden müssen. Für uns heißt es natürlich nicht Strasbourg, sondern Straßburg. Es ist ebenso klar, daß dies unser Sprachgebrauch ist, so wie man in der deutschen Sprache Breslau sagt und in der polnischen Sprache einen anderen Namen dafür hat. Das ist also für mich keine Frage, die die Bundesregierung durch Beschluß entscheiden müßte, sondern das ist eine Frage des Gebrauches.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Welche Schlußfolgerungen sind aber daraus zu ziehen, Herr Staatsminister, daß seitens der Polen und vor allem auch seitens der polnischen Botschaft immer wieder der Versuch unternommen wird, deutschen Stellen aufzuzwingen, daß sie ausschließlich polnische Namen gebrauchen, was zum Beispiel bis in die Pässe hineingeht?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, Sie haben hier nach den Reiseunternehmen gefragt. Darüber liegt mir nichts vor. Was die Pässe betrifft, so hat die Bundesregierung hier ihren Standpunkt immer deutlich gemacht, daß in Urkunden die Namen zu verwenden sind, die bei Ausstellung, etwa bei Ausstellung der Geburtsurkunde, üblich und die amtlichen Kennzeichnungen gewesen sind. Wir haben Vereinbarungen darüber hier mitgeteilt. Bei diesem Standpunkt bleiben wir.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Darf ich Ihre vorherige Antwort, Herr Staatsminister, so verstehen, daß im amtlichen Verkehr die Bezeichnungsfrage für die Bundesregierung keine offene Frage ist, nachdem das Bundesverfassungsgericht durch eine verbindliche Entscheidung vom 7. Juli 1975 festgestellt hat, daß diese Gebiete aus der Zugehörigkeit zu Deutschland nicht entlassen sind und der tatsächlichen und rechtlichen Hoheitsgewalt im personalen und im territorialen Bereich Polen und der Sowjetunion nicht endgültig unterstellt sind, und andererseits das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 31. Juli 1973 allen Staatsorganen untersagt, Rechtspositionen Deutschlands zu mindern?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat sich über den Gebrauch im amtlichen Verkehr hier eingehend geäußert. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Nordlohne.
Herr Staatsminister, darf ich aus der Tatsache, daß nicht nur zu dieser letzten Frage, sondern auch zu den anderen Fragen, soweit sie das deutsch-polnische Verhältnis betreffen, sich in diesem Hause seit Wochen ausschließlich Fragesteller der Opposition betätigen und Mitglieder der Regierungskoalition so gut wie gar nicht, folgern, daß eventuell Mitglieder der Regierungsparteien — —
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Einen Augenblick, verehrter Herr Kollege. Das hat nichts mit den beiden Zusatzfragen zu tun. Dreiecksfragen sind hier im Hause nicht zugelassen. Niemand kann über die Regierung eine Frage an einen Abgeordneten richten, der Angehöriger einer anderen Fraktion ist.
Die Frage 140 des Abgeordneten Dr. Probst wird auf den Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir sind am Ende Ihres Sachbereichs angelangt. Ich darf Ihnen danken, Herr Staatcminister
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf.
Die Fragen 52 und 53 des Abgeordneten Milz sind vom Fragesteller zurückgezogen.
Wir kommen zu der Frage 54 des Abgeordneten Höcherl. — Der Fragesteller ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 55 und 56 des Abgeordneten Ziegler werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 57 des Abgeordneten Braun auf:
Teilt die Bundesregierung Befürchtungen, daß bei den Diskussionen um die Werkstätten für Behinderte die Behinderten selbst in den Hintergrund treten und die Strukur der Werkstättenkonzeption zu sehr im Vordergrund steht, und wenn ja, wird sie dagegen etwas unternehmen?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Buschfort.
Herr Kollege, Befürchtungen, wie sie in Ihrer Frage zum Ausdruck kommen, sind bisher an die Bundesregierung nicht herangetragen worden. Sie wären auch unbegründet und würden das humanitäre Anliegen verkennen, das hinter allen Bemühungen der Bundesregierung auf dem Gebiet der Rehabilitation Behinderter steht. Konzeption und Struktur der Behindertenwerkstatt sind kein Selbstzweck, sondern stehen im Dienste der Aufgabe der beruflichen Rehabilitation der Behinderten, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine Tätigkeit finden können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Braun.
Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß, wenn Sie heute bereits bei den Werkstätten für Behinderte zwischen voll anerkannten, vorläufig anerkannten und gleichgestellten unterscheiden, zumindest der Eindruck entstehen könnte, daß es hier in erster Linie um die Struktur und nicht um die Menschen geht, die darin tätig sind?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Bei der Einführung eines Gesetzes wird es immer einer bestimmten Anlaufphase bedürfen. Wir haben eine Zielvorstellung. Diese Zielvorstellung ist darauf abgestellt,
daß möglichst viele Behinderte in Werkstätten aufgenommen werden können.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Braun.
Sind Sie bereit, Herr Staatssekretär, bei der Frage der Anerkennung nicht nur die Größe der Werkstatt zu berücksichtigen, sondern vor allen Dingen auch die Arbeit, die in diesen betreffenden Werkstätten für die Behinderten geleistet wird, ebenso in gleicher Weise mit zu berücksichtigen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Braun, die Kriterien für die Anerkennung der Werkstätten sind den Trägern bekannt. Wir legen Wert darauf, daß im Einzelfall eine eingehende Prüfung erfolgt, müssen z. B. aber auch Wert darauf legen, daß in einem Ort oder in einer Stadt keine konkurrierenden Werkstätten auftreten. Wo immer es möglich ist, sollten sich dann kleinere Werkstätten zusammenschließen.
Die Frage 58 des Herrn Abgeordneten Susset wird auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 59 des Herrn Abgeordneten Rollmann auf:
Hält die Bundesregierung die Begrenzung von Überstunden für ein geeignetes Mittel, um die Arbeitslosigkeit zu verringern, und wenn ja, was will sie unternehmen, um dieser Auffassung Geltung zu verschaffen?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Rollmann, die Bundesregierung hat sich im Jahreswirtschaftsbericht zu Ihrer Frage geäußert. Sie erwartet, daß die Unternehmensleitungen und Belegschaften vor Überschreitung der tariflichen Arbeitszeit für die bereits Beschäftigten alle Möglichkeiten zur Neueinstellung insbesondere von Arbeitslosen ausschöpfen. Dazu gehört, daß der bestehende Rahmen der Arbeitszeitvorschriften von Unternehmensleitungen und Belegschaft nicht zu Lasten der Arbeitslosen ausgenutzt wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rollmann.
1st es nicht so, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, daß es in vielen Bereichen, wo Überstunden geleistet werden, oftmals gar keine geeigneten Arbeitslosen gibt, die eingesetzt werden könnten? Ich denke an gewisse Bereiche des Handwerks etwa.Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Rollmann, wenn man die Frage der Überstunden beurteilt, dann muß man wissen, daß nicht jede Überstundenleistung durch Neueinstellungen ersetzt werden kann. Wir meinen allerdings - und das will ich1 sehr deutlich sagen -, daß regelmäßige Überstunden
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Parl. Staatssekretär Buschfortund für einen längeren Zeitraum festgelegte Sonderschichten immer dazu führen sollten, Überlegungen anzustellen, ob solche Arbeitsleistungen nicht durch Neueinstellungen abgebaut werden können. Daß nicht jeder Arbeitsplatz mit einem Arbeitslosen besetzt werden kann und daß nicht jede Überstunde Anlaß zu Neueinstellungen geben kann, ist klar.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rollmann.
Ich habe Sie auf jeden Fall doch richtig verstanden, Herr Staatssekretär, daß die Bundesregierung gesetzliche Maßnahmen, wie sie kürzlich vom Herrn Bundeswirtschaftsminister angedeutet worden sind, in dieser Frage nicht plant?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Rollmann, zunächst kommt es darauf an, deutlich zu machen, daß die gesetzlichen Bestimmungen, die nicht immer eingehalten werden, künftig besser beachtet werden. Von daher war es notwendig, auf die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen — hier ist die Arbeitszeitordnung aus dem Jahre 1938 gemeint — noch einmal ausdrücklich aufmerksam zu machen. Sollte allerdings das Ausmaß der Überstunden und Sonderschichten unerträglich werden, muß man ernsthaft prüfen, ob nicht doch die Arbeitszeitordnung aus dem Jahre 1938 korrigiert werden muß.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauer.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung dabei berücksichtigt, daß in den Werken, in denen zur Zeit Sonderschichten gefahren werden, vor noch nicht allzu langer Zeit Kurzarbeit gewesen ist?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Das ist uns bekannt, und wir schätzen es gar nicht so sehr, daß man aus einer Kurzarbeitsphase heraus unmittelbar zu Sonderschichten übergeht.
— Nicht nur die Automobilindustrie, sondern wir meinen einfach, daß aus Gründen der Solidarität den Arbeitslosen gegenüber immer dort, wo es möglich ist, Neueinstellungen vorgenommen werden sollten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung zu dieser Frage bereits einmal die Meinung der betroffenen Arbeitnehmer eingeholt, oder wird sie das tun, wenn sie gesetzliche Maßnahmen plant?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, ich habe gerade gesagt, daß zur Zeit keine gesetzlichen Maßnahmen geplant werden. Ich habe zum Ausdruck gebracht: Wenn das Ausmaß der
Üherstundenleistung und der Sonderschichten unerträglich wird, dann müßten wir überlegen, ob das geltende Recht, d. h. die Arbeitszeitordnung von 1938, korrigiert werden muß.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Fircks.
Herr Staatssekretär, verhält sich die Bundesregierung im öffentlichen Dienst in allen Bereichen nach den gleichen Prinzipien, wie Sie sie eben als wünschenswert für die Privatwirtschaft dargelegt haben?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich sehe den Zusammenhang Ihrer Frage mit der hier gestellten Frage nicht so recht.
Denken Sie an die Polizei, an den Bundesgrenzschutz. Uns ist gestern gesagt worden: bis zu 1 000 Überstunden für einen Beamten.
Einen Augenblick, verehrter Herr Kollege von Fircks. Ich bin persönlich der Meinung, Herr Staatssekretär, daß diese Zusatzfrage durchaus zu der Grundfrage paßt, weil allgemein nach Überstunden gefragt wird. Aber es geht nicht an, daß wir hier in ein Zwiegespräch hineinkommen. Sie hatten eine Zusatzfrage gestellt. Bitte, Herr Staatssekretär, zur Beantwortung.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Fragesteller hatte mit seiner Frage doch wohl darauf hinweisen wollen, daß zur Begrenzung von Überstunden möglicherweise Neueinstellungen vorgenommen werden sollten. Es mag Ihnen überlassen bleiben, hier zu sagen, man könne auch zur Begrenzung von Überstunden im Bereich der Polizeibeamten Arbeitslose einstellen.
Eine Zusatzfrage, Herr
Abgeordneter van Delden.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, sind Sie bereit, bei der eben angekündigten Überprüfung der Arbeitszeitregelung auch zu bedenken, daß einige Betriebe, insbesondere Saisonbetriebe, ohne Überstunden und ohne gewisse Sonderschichten nicht auskommen? Ich will damit sagen, daß wir bei der Überprüfung nicht von einem Extrem ins andere fallen sollten.Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege van Delden, ich habe vorhin zum Ausdruck gebracht, daß wir zur Zeit keine Überprüfung hinsichtlich einer Änderung des Gesetzes anstellen. Mir ist klar, daß nicht für alle Überstunden Neueinstellungen vorgenommen werden können. Ich meine nur, wenn langfristig Überstundenleistungen und Sonderschichten anstehen, dann sollten Unternehmensleitungen und Betriebsräte sich für Neueinstellungen einsetzen.
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15380 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Ich rufe die Frage Nr. 60 des Herrn Abgeordneten Rollmann auf:
Ist es richtig, daß seit 1966 die sogenannten Lohnnebenkosten pro 100 DM Lohn von 43,40 DM auf nunmehr 60,90 DM angestiegen und neben der Lohnentwicklung und anderen yolks- und betriebswirtschaftlichen Faktoren der Grund für viele Firmenzusammenbrüche gerade in der personalintensiven mittelständischen Wirtschaft sind, und wenn ja, was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu unternehmen?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Rollmann, es ist richtig, daß die Lohnnebenkosten in den vergangenen zehn Jahren gestiegen sind. Die letzten Zahlen des Statistischen Bundesamtes über die Personal- und Personalnebenkosten im produzierenden Gewerbe betreffen das Jahr 1972. Danach ist ein Anstieg von 43,40 DM im Jahre 1966 auf 54,60 DM im Jahre 1972 festzustellen. Der von Ihnen genannte Betrag dürfte daher für die heutigen Verhältnisse ungefähr zutreffend sein.
Der Anstieg der Lohnnebenkosten hat nach Auffassung der Bundesregierung jedoch nichts mit den Firmenzusammenbrüchen der letzten Zeit zu tun. Strukturelle Probleme bestimmter Wirtschaftszweige und der allgemeine konjunkturelle Abschwung haben die Zahl der Konkurse ansteigen lassen, auch in der mittelständischen Wirtschaft. Abgesehen davon, daß nicht alle Mittelstandsbetriebe und nicht nur Mittelstandsbetriebe lohn- bzw. arbeitsintensiv sind, stehen in der Regel vom Produktionsprogramm her kostenmäßig ähnlich strukturierte Betriebe in Wettbewerb miteinander, so daß dem Anstieg personal- bzw. lohnbezogener Kosten nicht grundsätzlich eine Wettbewerbsverzerrung folgt. Im übrigen sind die Personalnebenkosten in kleinen und mittleren Unternehmen im allgemeinen niedriger als in großen Unternehmen, wie die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rollmann.
Ist es richtig, Herr Staatssekretär, daß, wenn die Entwicklung der Lohnnebenkosten so weitergeht wie in den letzten Jahren, in wenigen Jahren auf 100 DM Lohn gleichzeitig 100 DM Lohnnebenkosten entfallen werden, und ist eine solche Entwicklung das Ziel der Politik der Bundesregierung?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Rollmann, es ist sehr wohl so, wie Sie es gerade sagten; denn das Verhältnis der gesetzlich bedingten zu den betrieblich oder tariflich bedingten Lohnnebenkosten von 50 %: 50 % haben wir auch heute.
Nein, ich meine hier das Verhältnis 100 : 100, Herr Staatssekretär!
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Das geht nicht. Man kann nicht von 200 % ausgehen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rollmann.
Herr Staatssekretär, da Sie eben versucht haben, mich auf den Rücken zu legen,
darf ich fragen, ob, wenn auf 100 DM Lohn auch 100 DM Lohnnebenkosten gezahlt werden, nicht eine andere Situation vorliegt als heute, wo wir bei 100 DM Lohn 60,90 DM Lohnnebenkosten haben.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Ja, das ist prozentual in der Tat ein Unterschied. Man kann heute nicht absehen, wie sich die Lohnnebenkosten prozentual entwickeln werden. Selbst wenn sich die Entwicklung der letzten Jahre weiter so fortsetzte, dann würde doch einige Zeit vergehen, bis die von Ihnen genannte Relation erreicht wäre.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Ey.
Herr Staatssekretär, führt die sehr schnelle Erhöhung der Lohnnebenkosten, insbesondere --- wie Sie richtig sagten — in den größeren Betrieben, nicht dazu, daß sie sich verstärkt der Verwendung von Mikroprozessoren zuwenden und daß sie damit eine weitere Fülle von Arbeitsplätzen in kurzer Zeit gefährden und aufheben werden?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Entwicklung der Lohnnebenkosten hat natürlich unterschiedliche Ursachen. Zunächst einmal müßte ich hier sagen: Wir als Bundestagsabgeordnete haben insgesamt durch unsere Gesetzgebung auch dazu beigetragen, und zwar unterschiedslos; denn die Parteien bzw. Fraktionen haben den sozialpolitischen Gesetzen im wesentlichen alle zugestimmt. Der zweite Faktor ist auf die Tarifpolitik und auf die betrieblichen sozialen Nebenleistungen zurückzuführen. Alles zusammen führt natürlich zu einer Erhöhung der Lohnnebenkosten. Daß die Betriebe wiederum bemüht sind, diese Lohnnebenkosten durch Rationalisierungsmaßnahmen zu senken, ist allzu erklärlich und — wie ich glaube — aus dem internationalen Wettbewerb heraus oft auch notwendig. Was wir hier als Rationalisierung verstehen, dürfte an anderer Stelle Arbeitsbeschaffung bedeuten; denn wir bauen damit in bestimmtem Umfang einfache Arbeitsleistungen ab, um an anderer Stelle hochqualifizierte Maschinen erstellen zu können. So entsteht eine für die deutsche Industriestruktur angemessene Verlagerung.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Lampersbach.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Buschfort, Sie antworteten vorhin auf eine Frage, die ansteigenden Stückkosten hätten keinen ursächlichen Zusammenhang mit den Firmenzusammenbrüchen. Ist Ihnen bekannt, daß nach einer Untersuchung der Deutschen Industriebank das Ei-
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Lampersbachgenkapital gerade der mittelständischen Wirtschaft in den letzten vier Jahren auf etwas über 20 °/o abgeschmolzen ist? Sehen Sie darin nicht eine besondere Gefährdung für die Firmen und auch eine Ursache für die Firmenzusammenbrüche?
Verehrter Herr Kollege, wir sind bei der Frage der Relation von Lohn und Lohnnebenkosten und nicht der Kapitalausstattung der Unternehmen. Ihre Zusatzfrage hat nichts mit der Grundfrage zu tun. Sie müßten eine neue Frage einreichen.
Ich rufe die Fragen 61 und 62 des Abgeordneten Pohlmann auf:
Ist die Bundesregierung bereit, auf Grund des § 4 Abs. 2 des Schwerbehindertengesetzes den Pflichtsatz von 6 °/o gemäß § 4 Abs. 1 des Schwerbehindertengesetzes zu senken, nachdem Arbeitsplatzzählungen eine erhebliche Diskrepanz von Arbeitsplatzsoll für Schwerbehinderte bei Beibehaltung der jetzigen 6°/oigen Quote und wirklicher Zahl der zu beschäftigenden Schwerbehinderten offengelegt haben?
Hält die Bundesregierung an ihrer Beurteilung, wie sie sie seinerzeit in der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Schwerbeschädigtenrechts gab fest, daß ein zu großer Überhang an Pflichtplätzen zu einer ungerechtfertigten Belastung der Arbeitgeber führe, und sieht die Bundesregierung diesen Tatbestand nicht bei einem Überhang von ca. 390 000 nicht zu besetzenden Arbeitsplätzen für Schwerbehinderte als gegeben an?
Bitte zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die zur Zeit vorliegenden Zahlen lassen nicht auf ein Mißverhältnis zwischen Pflichtplatz-Soll und Pflichtplätzen, die von Schwerbehinderten besetzt sind, schließen. Zwar trifft es zu, daß sich nach einer hochgerechneten Teilerhebung der Bundesanstalt für Arbeit zum Stichtag 1. November 1975 rechnerisch ein Überhang von etwa 390 000 nicht besetzten Pflichtplätzen ergibt. In dieser Erhebung sind jedoch die Schwerbehinderten unberücksichtigt geblieben, die im Zeitpunkt der Erhebung noch nicht amtlich anerkannt waren. Nach den Statistiken der für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft zuständigen Versorgungsverwaltung wurden aber in den Monaten November und Dezember 1975 über 50 000 neu anerkannt. Ferner lagen am Jahresende bei den Versorgungsämtern etwa 235 000 unerledigte Anträge auf Feststellung der Behinderteneigenschaft vor, von denen nach bisherigen Erfahrungen über 70 °/o positiv entschieden werden dürften, und zwar mit Rückwirkung für das Jahr 1975. Es muß davon ausgegangen werden, daß ein großer Teil dieser Schwerbehinderten im Jahre 1975 bei beschäftigungspflichtigen Arbeitgebern tätig oder arbeitslos war. Der wirkliche Überhang an freien Pflichtplätzen wird daher ganz erheblich unter 390 000 liegen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Pohlmann.
Herr Staatssekretär, bei welchem in Zahlen ausgedrückten Überhang an Pflichtplätzen würde denn die Bundesregierung den von ihr selbst begründeten Tatbestand der ungerechtfertigten Belastung der Arbeitgeber sehen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pohlmann, das Schwerbehindertengesetz ist neu. Die vielen Anträge zeigen eigentlich, welche Bewegung hier zur Zeit stattfindet. Wir schlagen seitens der Regierung vor, zunächst einmal das Jahr 1976 abzuwarten, um dann ein abschließendes Urteil bilden zu können.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pohlmann.
Herr Staatssekretär, da Sie zugeben müssen, daß zunächst einmal 390 000 Plätze nicht besetzt sind, darf ich Sie fragen, ob Sie es nicht angesichts der enormen Kostenbelastungen, die letztlich auch zu dem Rekordpleitejahr 1975 geführt haben, für eine dringende wirtschaftliche Notwendigkeit halten, die Betriebe von vermeidbaren zusätzlichen Kosten zu entlasten.
Buschfort, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege Pohlmann, ich kann nicht zugeben, daß 390 000 Plätze nicht besetzt sind. Wie ich bereits vorhin ausführte, lagen allein in den Monaten November/ Dezember 50 000 Neuanerkennungen vor, und weit über 200 000 Anträge waren noch nicht abschließend bearbeitet. Das Gesamtbild sieht im Monat Februar schon ganz anders aus. Im Monat Mai werden wir wiederum andere Ergebnisse haben. Wenn Sie diese Bewegung aufgrund der laufenden Verfahren berücksichtigen, werden Sie erkennen, daß die Zahl 390 000 auch nicht annähernd zutreffend ist.
Ich rufe die Frage 63 des Abgeordneten Lampersbach auf:Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, Leistungen der Allgemeinen Ortskrankenkasse in Sonderfällen zu übernehmen — die wie im Beispiel des Durchgangswohnheims UnnaMassen darin ihren Ursprung haben, daß sämtliche Aussiedler sofort bei der AOK versichert sind —, um die Solidargemeinschaft nicht zu gefährden?Herr Kollege Lampersbach, Sie hatten um schriftliche Beantwortung gebeten, sind aber jetzt hier anwesend. Herr Staatssekretär, können Sie darauf antworten? — Bitte, zur Beantwortung.Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die AOK Unna erhält für die bei ihr versicherten arbeitslosen Umsiedler Beiträge nach ihrem erhöhten Beitragssatz von der Bundesanstalt für Arbeit. Die Beiträge bemessen sich nach einem fiktiven Entgelt, das sich nach der Ausbildungsposition und Tätigkeit des Aussiedlers im Aussiedlungsland richtet. Die Rentenantragsteller tragen bis zu Beginn der Rente die Beiträge selbst; in der Regel werden sie jedoch vom Träger der Sozialhilfe übernommen. Insofern besteht auf der Beitragsseite keine Ausnahmesituation.Ob und inwieweit die Umsiedler besonders hohe Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen, ist nicht bekannt. Nach mir vorliegenden Informationen hat die AOK Unna mit Erhebungen hierüber begonnen.Eine Gefährdung der Solidargemeinschaft der AOK Unna, wie sie von Ihnen, Herr Kollege, ange-
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15382 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Parl. Staatssekretär Buschfort
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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15384 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Eine Sekunde! Die Frage war an die Regierung und nicht an einen Kollegen gestellt. Wenn die Frage über die Regierung an einen anderen Kollegen gestellt worden sein sollte, wird sie nicht zugelassen. — Bitte schön, noch eine Frage.
Vielleicht darf ich Sie, Herr Staatssekretär, fragen, ob Sie bereit sind, im Zusammenhang zu zitieren. Sie stellten es in Ihrer Antwort ja so dar, als hätten Sie das überprüft. Sie müßten dann ja wohl auch die Ausführungen des Herrn Wohler hier zur Hand haben.
Schmidt, Parl. Staatssekretär: Ich kann nur noch einmal sagen, daß wir eine Frage zu beantworten hatten, die vom Kollegen Möhring eingereicht worden ist. Wenn direkte Zitate aus Zeitungen, die hier angeführt worden sind, gewünscht werden, sind wir gern bereit, sie Ihnen schriftlich oder, wenn es darauf ankommt, von mir aus auch mündlich zu übermitteln.
Die Frage 66 des Abgeordneten Böhm ist vom Fragesteller zurückgezogen.
Ich rufe die Frage 67 des Abgeordneten Dr. Schweitzer auf:
Kann der Bundesverteidigungsminister dafür Sorge tragen, daß von der geographischen Limitierung bei der Festsetzung von sogenannten .,Einöde-Standorten" dann abgewichen wird, wenn
zwar, wie zum Beispiel im Fall der Fliegerhorste Ulmen und Büchel in Rheinland-Pfalz, die „Grenze" um rund fünf Kilometer überschritten wird, andererseits aber in den Wintermonaten häufig die Angehörigen der Bundeswehr in diesen Standorten daran gehindert sind bzw. zu Redit auf dienstliche Anordnung hin daran gehindert werden, mit dem eigenen Pkw die nächstgelegenen Städte zwecks Freizeitgestaltung aufzusuchen?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Schmidt, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schweitzer, für Fahrten zu kameradschaftlichen und gesellschaftlichen Veranstaltungen können entsprechend den Bestimmungen der „Kraftfahrvorschrift für die Bundeswehr" Dienstkraftfahrzeuge im Einzugsgebiet des Standortes eingesetzt werden. Einzugsgebiet ist der Umkreis von 20 km um die Gemeinde, in deren Gebiet sich die Kaserne befindet. Die Teilnahme an diesen Fahrten ist für Angehörige der Bundeswehr kostenfrei; Familienangehörige dürfen nicht mitgenommen werden.
Die Begrenzung der Fahrten zu kameradschaftlichen Veranstaltungen auf das Einzugsgebiet des Standortes ist allgemein ausreichend. Sie war einzuführen, um einem Mißbrauch zu begegnen und die Fahrtstrecken auf ein sinnvolles Maß zu beschränken. Der Bundesrechnungshof hat mehrfach die mangelnde Begrenzung und die mißbräuchliche Benutzung von Dienstkraftfahrzeugen gerügt.
Die Kommandeure und Dienststellenleiter sind nach dem Erlaß „Trunkenheit am Steuer" gehalten, alle Soldaten anzuweisen, bei kameradschaftlichen oder geselligen Veranstaltungen nicht die eigenen, sondern bereitgestellte Dienstkraftfahrzeuge zu benutzen, wenn die Soldaten unter der Wirkung alkoholhaltiger Getränke stehen. Diese Maßnahme ist aus Fürsorgegründen getroffen worden.
Ein generelles oder auch nur jahreszeitlich bedingtes Verbot, den eigenen Wagen außerhalb des Dienstes, also zur Freizeitgestaltung, zu benutzen, darf dagegen nicht ausgesprochen werden. Dies ist auch weder in Büchel noch in Ulmen geschehen.
Anders ist es bei der „Durchführung von Betreuungsfahrten" zum gemeinsamen Besuch kultureller Veranstaltungen, z. B. Theaterveranstaltungen. Diese können im Umkreis von 100 km um die Kaserne besucht werden. Die Teilnahme ist für kasernierte Soldaten kostenfrei. Nichtkasernierte Soldaten, andere Bundeswehrangehörige oder Familienangehörige dürfen an Betreuungsfahrten teilnehmen, sofern freie Plätze verfügbar sind; sie haben sich in einem bescheidenen Ausmaß an den Fahrkosten zu beteiligen.
Keine Zusatzfrage. — Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt.Ich darf den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit aufrufen. Zunächst die Frage 69 der Abgeordneten Frau Lüdemann:Wieviel Einsatzplätze für den freiwilligen sozialen Dienst stehen in den verschiedenen Sozialbereichen gegenwärtig zur Verfügung, und wieviel dieser Plätze waren in den Jahren 1974 und 1975 besetzt?Bitte, zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Zander.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15385
Frau Kollegin Lüdemann, im Jahre 1974 leisteten 3 900, im Jahre 1975 4 500 Helfer ein freiwilliges soziales Jahr. Die Anzahl der Helfer ist jedoch mit der Zahl der bestehenden Einsatzplätze nicht identisch, da ca. ein Drittel der Helfer nicht den vollen Jahreseinsatz leisteten, die zur Verfügung stehenden Plätze jedoch in der Regel das ganze Jahr über besetzt waren.
Die Einsatzplätze befinden sich überwiegend in Krankenanstalten, Kindergärten und Kinderheimen, zu einem kleineren Teil in Altenheimen und sozialen Sondereinrichtungen. Eine genaue Aufgliederung nach den verschiedenen Sozialbereichen ist leider nicht möglich.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Lüdemann.
Herr Staatssekretär, woran liegt es, daß die Plätze nicht das ganze Jahr hindurch besetzt waren, sondern nur für eine bestimmte Zeit?
Zander, Parl. Staatssekretär: An der Entscheidung der jeweiligen Helfer.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 70 der Abgeordneten Frau Lüdemann auf:
In welchen Sozialbereichen sieht die Bundesregierung — insbesondere im Hinblick auf Jugendarbeitslosigkeit sowie Mangel an Ausbildungs- und Studienplätzen — Möglichkeiten, weitere Einsatzplätze zu schaffen, u. a. auch in Familien mit mehreren Kindern oder einer pflegebedürftigen Person und in Sozialstationen?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bitte.
Zander, Parl. Staatssekretär: Die Möglichkeiten, weitere Einsatzplätze einzurichten, sind aus verschiedenen Gründen begrenzt. Zum einen sind die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Fachkräfte des sozialen Bereichs zu beachten, zum anderen ziehen die Einrichtungen oftmals aus Kostengründen Zivildienstleistende und Praktikanten den Helfern vor.
Im Jahre 1976 werden weitere Einsatzmöglichkeiten geschaffen, indem mehrere neue Gruppen des freiwilligen sozialen Jahres gebildet werden, z. B. im offenen Einsatz etwa in Sozialstationen oder in ähnlichen Einrichtungen. Die für die pädagogische Betreuung dieser Gruppen benötigten zusätzlichen Mittel werden von der Bundesregierung im Rahmen des Bundesjugendplans bereitgestellt. Auch bei den neuen Gruppen werden die bisherigen Einsatzschwergewichte beibehalten. Ein offener Einsatz — auch in Familien — wird wegen der vorauszusetzenden Reife für junge Helfer nur in beschränktem Umfange in Betracht kommen können.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Lüdemann?
— Keine. Dann eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kroll-Schlüter.
Herr Staatssekretär, darf man sagen, daß die Bereitschaft zum sozialen Dienst größer ist als die Zahl der zur Verfügung stehenden Plätze?
Zander, Parl. Staatssekretär: Das kann man so pauschal nicht sagen, weil es keine Basis gibt, die es ermöglichen würde, die insgesamt in der Bundesrepublik vorhandenen Plätze, ausgedehnt auf die Fläche, nun mit den jeweils an bestimmten Punkten vorhandenen Personen zu vergleichen. Daher ist eine solche Aussage schwer möglich.
Ich rufe die Frage 71 des Abgeordneten Egert auf:
Treffen Berichte zu, wonach die gesundheitspolitisch wünschenswerte Angabe von Nikotin- und Kondensatwerten bei Zigaretten durch die Hersteller bisher an Bedenken des Bundeskartellamts scheitert, und was gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls dagegen zu tun?
Bitte, zur Beantwortung Herr Staatssekretär.
Zander, Parl. Staatssekretär: Die auch nach Ansicht der Bundesregierung erwünschte Bekanntgabe von Nikotin- und Rauchkondensatwerten bei Zigaretten durch den einzelnen Hersteller ist kartellrechtlich unbedenklich. Zahlreiche Unternehmen sind auch bereits zur Angabe der Werte übergegangen. Sofern jedoch eine Vereinbarung über die einheitliche Handhabung für die Angabe der Nikotin- und Rauchkondensatwerte zwischen den Herstellern abgeschlossen ist, bedarf sie nach Auffassung des Bundeskartellamts der kartellrechtlichen Legalisierung. Eine derartige Vereinbarung hat die Zigarettenindustrie aber noch nicht vorgelegt.
Unabhängig von diesem Sachverhalt beabsichtigt das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, die in dem neuen Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz für diesen Komplex vorgesehene Ermächtigung zum Erlaß einer Rechtsverordnung demnächst auszuschöpfen.
Eine Zusatzfrage?
— Keine. Dann rufe ich die Frage 72 des Abgeordneten Egert auf:Welche Regelungen beabsichtigt die Bundesregierung auch auf Grund der Ermächtigungen im Lebensmittelgesetz zu treffen, um den Verbraucher auf die Gefahren des Rauchens hinzuweisen?Zur Beantwortung Herr Staatssekretär, bitte.Zander, Parl. Staatssekretär: Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit beabsichtigt, den Aufdruck eines Warnhinweises auf allen Zigarettenpackungen vorzuschreiben. Diese Regelung soll sich auch auf die Zigarettenwerbung erstrecken.
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15386 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Egert.
Herr Staatssekretär, können Sie uns etwas darüber sagen, wie diese Regelung aussehen wird?
Zander, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen das noch nicht genau sagen, weil die entsprechenden Entwürfe noch nicht vorliegen und noch nicht abgestimmt sind. Unsere Überlegungen gehen allerdings dahin, uns an der internationalen Entwicklung zu orientieren. Da gibt es ja etwa in Großbritannien oder in den USA bereits entsprechende Vorschriften. Ich kann Ihnen zitieren, was dort an Warnhinweisen auf den Packungen bzw. in der Werbung vorgesehen ist. In den USA ist es der Satz „Warnung! Die oberste Gesundheitsbehörde hat festgestellt, daß Zigarettenrauchen für Ihre Gesundheit gefährlich ist." In Großbritannien heißt es: „Warnung durch die Regierung Ihrer Majestät: Rauchen kann Ihrer Gesundheit schaden."
Unsere Überlegungen gehen in die Richtung, etwas ähnliches vorzusehen. Aber dies muß sorgfältig abgestimmt werden, und wir sind noch nicht so weit.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Egert.
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, bis wann die Regierung ihre Absichten in die Tat umsetzen wird?
Zander, Parl. Staatssekretär: Das hängt von der Dauer des Abstimmungsverfahrens ab. Aber ich könnte mir, wenn sich das jetzt in Kürze abwickeln läßt, vorstellen, daß wir möglicherweise noch vor der Sommerpause den Bundesrat mit diesem Verordnungsentwurf erreichen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger .
Herr Staatssekretär, gehört zu den von der Bundesregierung beabsichtigten Maßnahmen auch das gute Beispiel, das der Bundeskanzler dadurch geben könnte, daß er persönlich das Rauchen einstellt?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, über gute Beispiele entscheidet jeder selbst.
Ich rufe die Frage 73 des Abgeordneten Kroll-Schlüter auf:
Ist der Referentenentwurf des neuen Jugendhilfegesetzes dem Deutschen Bundestag wegen der finanziellen Mehrausgaben der Städte und Gemeinden nicht zugeleitet worden, und — wenn ja — wie hoch hätten sich die Mehrausgaben belaufen?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kroll-Schlüter, auf ähnliche Fragen hat die Bundesregierung bereits in der 139. Sitzung am 19. Dezember 1974 und in der 189. Sitzung am 1. Oktober 1975 geantwortet. Ich wiederhole und bestätige hiermit nochmals, daß die Bundesregierung nach vorausgegangener einheitlicher Meinungsäußerung der Regierungschefs aller Länder angesichts der finanziellen Gesamtsituation in Bund, Ländern und Gemeinden wegen der finanziellen Folgen eines neuen Jugendhilfegesetzes zunächst davon abgesehen hat, den Entwurf den gesetzgebenden Körperschaften zuzuleiten.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage nach der Höhe der Mehrausgaben auf Grund eines neuen Jugendhilfegesetzes ist zu sagen, daß sich diese nach damaliger Schätzung und nach grober Schätzung der beteiligten Bundesressorts auf etwa 1,8 Milliarden DM belaufen hätten. Von den erwähnten Erörterungen mit allen Länderregierungschefs abgesehen, hatte jedoch keine detaillierte Erörterung der Kostenschätzung mit den Ländern und Kommunen stattgefunden, da das üblicherweise dem Gesetzgebungsprozeß und dem Entwurf in einem weitergehenden Stadium vorbehalten bleiben sollte.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kroll-Schlüter.
Herr Staatssekretär, ich frage nur zur Präzisierung: 1,8 Milliarden DM pro Jahr nur für die Städte und Gemeinden?
Zander, Parl. Staatssekretär: Ich habe nicht gesagt, daß das ein Betrag pro Jahr ist. Es ist vielmehr ein Betrag, der teilweise Investitionskosten über einen gewissen Zeitraum — ein Jahr oder mehrere Jahre; das hängt davon ab, in welchem Tempo die Gemeinden das leisten können — beinhaltet und darüber hinaus laufende Kosten, die auch nur grob geschätzt werden konnten. Das ist also keine Angabe, die sich lediglich auf ein Jahr bezieht.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kroll-Schlüter.
Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich diese Frage deshalb gestellt habe, weil Sie im Begriff sind, die Gemeinden durch die Mehrwertsteuererhöhung erheblich zu belasten? Da macht es Ihnen nichts aus, sie zu belasten, und im Jugendsektor sind Sie nicht bereit, über mehrere Jahre 1,8 Milliarden DM auszugeben.
Zander, Parl. Staatssekretär: Ich verstehe die Konsequenz Ihrer Frage nicht. Wenn die Bundesregierung aus gesamtstaatlicher Verantwortung Belastungen von den Gemeinden fernhält, ist das doch wohl kaum zu rügen.
Ich rufe die Frage 74 des Abgeordneten Braun auf:
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15387
Vizepräsident von HasselWann gedenkt die Bundesregierung die Rechtsverordnung 'zum Gesetz über Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime für Volljährige zu den § 3, 5 und 14 vorzulegen?Bitte, Herr Staatssekretär, zur Beantwortung.Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Braun, in der Fragestunde am 17. September 1975 hatte ich Ihnen erklärt, daß die Verordnung zu § 3 des Heimgesetzes dem Bundesrat bereits seit Ende 1974 zur Zustimmung vorliegt. Diese Zustimmung konnte bisher nicht herbeigeführt werden, weil die Frage der Kosten der Verordnung und der hieraus zu ziehenden Konsequenzen mit den Finanzministern von Bund und Ländern nicht abschließend geklärt werden konnte.Die Bundesregierung hat vorgeschlagen, die Verordnung in zwei Teile zu gliedern: einen Teil für Neubauten, der sich weitgehend auf schon bestehende baurechtliche Vorschriften stützt und so dem Träger nicht mehr auferlegt, als er auch nach diesen Bestimmungen schon erbringen muß, und einen Teil für Altbauten, der eventuell später in Kraft treten kann und mit Rücksicht auf die technische und wirtschaftliche Situation im Einzelfall weitgehende Befreiungsmöglichkeiten enthält.Die bisherigen Verhandlungen mit den Ländern lassen es zweifelhaft erscheinen, ob die Länder zur Zeit bereit sind, einer solchen Verordnung zuzustimmen. Ohne ihre Zustimmung aber — das wissen Sie, Herr Kollege — kann die Verordnung von der Bundesregierung nicht erlassen werden.Die Vorbereitungen für den Erlaß der Verordnung zu § 5 des Heimgesetzes sind unter Beteiligung der Trägerverbände weitgehend abgeschlossen. Ich rechne damit, daß die Verordnung im Sommer des Jahres nach Zustimmung durch den Bundesrat erlassen werden kann.Zum Erlaß der Verordnung zu § 14 des Heimgesetzes besteht keine zwingende Verpflichtung. Es ist jedoch beabsichtigt, die Verordnung wegen ihrer Bedeutung bei der Finanzierung von Einrichtungen zu erlassen. Die hierbei anstehenden Probleme, insbesondere der Sicherung von Finanzierungsbeiträgen, sind indessen äußerst schwierig und komplex. Sie gehen weit über den sozialpolitischen Bereich hinaus und bedürfen zu ihrer praktischen Lösung zunächst eingehender fachlicher Analysen und gutachtlicher Stellungnahmen. Diese sind inzwischen veranlaßt. Ein Termin für den Erlaß der Verordnung läßt sich bei dieser Sachlage noch nicht absehen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Braun.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie auch weiterhin bestrebt sind, die Verordnungen mit den kommunalen Spitzenverbänden und mit den Trägern insbesondere abzustimmen, damit vermieden wird, daß durch diese Verordnungen nicht vertretbare Kosten entstehen oder aber auch eine Minderung der Heimplätze eintritt?
Zander, Parl. Staatssekretär: Genau das wollte ich deutlich machen, daß wir mit den Betroffenen in einem Diskussionsprozeß schrittweise das erreichen, was einerseits zur Verbesserung der Situation beiträgt, andererseits finanziell verkraftbar ist.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Braun.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, was bisher in der Praxis geschehen ist, um dieses Gesetz, das bereits über ein Jahr in Kraft ist, entsprechend seinen Zielen in die Praxis umzusetzen?
Zander, Parl. Staatssekretär: Sie wissen, daß die Durchführung nicht der Bundesregierung obliegt. Ich haben Ihnen am Beispiel der Antwort gezeigt, daß wir schon geraume Zeit eine Verordnung im Bundesrat zur Zustimmung liegen haben. Es ist Sache der Länder, diese Entscheidung herbeizuführen und die Zustimmung zu erteilen. Aus den von mir genannten Gründen ist es sehr schwierig, weshalb wir auch keine Veranlassung sehen, nun in diesem Prozeß etwa drängend einzugreifen, um zu einer Entscheidung zu kommen. Dies muß wirklich mit Blick auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten gemacht werden.
Ich rufe die Fragen 75 und 76 der Abgeordneten Frau Schleicher auf. Sie bittet um schriftliche Beantwortung. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt, Herr Staatssekretär. Ich darf Ihnen danken.
Wir haben noch zwei Minuten für die Fragestunde. Ich kann noch einige Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen aufrufen, zunächst die Frage 77 des Herrn Abgeordneten Dr. Ahrens:
Wann ist nunmehr mit den Entscheidungen über die Trassenführung der Bundesbahn-Neubaustrecke Hannover—Kassel zu rechnen?
Der Fragesteller ist anwesend. Bitte schön, zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege, der Bundesminister für Verkehr hat im vergangenen Jahr der Deutschen Bundesbahn eine Reihe betriebswirtschaftlicher Fragen gestellt. Eine Antwort hierauf steht zur Zeit noch aus. Wir gehen davon aus, daß auf Grund dieser Ergebnisse die Entscheidung über die Trasse im Frühjahr 1976 gefällt werden kann. Die endgültige Entscheidung über die Linienführung im einzelnen bleibt dem landesrechtlichen Raumordnungsverfahren vorbehalten.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Ahrens.
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15388 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß die Deutsche Bundesbahn an dem Vorhaben des Baues dieser Schnellstrecke trotz der geänderten finanziellen Situation festhält?
Haar, Parl, Staatssekretär: Ich bin sicher, daß die weiteren Unterlagen, die wir angefordert haben, im Entscheidungsprozeß eine positive Aussage ermöglichen. Aber ich bitte Sie abzuwarten, bis wir die Unterlagen des Vorstandes der Bundesbahn, wie ich dargestellt habe, selbst geprüft haben.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Ahrens.
Könnte die Bundesregierung, Herr Staatssekretär, die zur Entscheidung berufenen Stellen mit einigem Nachdruck darauf hinweisen, daß wegen der langen Dauer des Planungsverfahrens eine Vielzahl von privaten und gemeindlichen Planungen und Vorhaben seit Jahren blokkiert ist?
Haar, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, im Hinblick auf diese Problematik, die dem Bundesverkehrsminister bekannt ist, haben wir bereits darauf gedrängt, diese Unterlagen in Kürze zu erhalten.
Meine Damen und Herren, die Zeit ist abgelaufen. Wir sind am Ende der Fragestunde angelangt. Die in dieser Woche nicht beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe den Punkt 16 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes
— Drucksache 7/4604 —
aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/4730 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Schröder
bb) Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/4705 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Vohrer
b) Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuer- und Gewerbesteuergesetzes
— Drucksache 7/3667 —
aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/4730 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Schröder
bb) Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksache 7/4705 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Vohrer
Ich danke den Berichterstattern. Ich frage sie, ob sie zu einer mündlichen Ergänzung das Wort wünschcn. Das ist nicht der Fall.
Ich teile dem Hause folgendes mit. Wir haben in der vorigen Woche mit dem Versuch begonnen, die Arbeitszeit einzuteilen, und haben für einen wichtigen Tagesordnungspunkt eine bestimmte Behandlungszeit durch interfraktionelle Gespräche und im Ältestenrat festgelegt. Das ist in der vorigen Woche gelungen. Das gleiche gilt für die heutige Beratung. Wir haben noch eine umfangreiche Tagesordnung abzuwickeln, die uns bis in die Nacht beschäftigen wird. Wir haben daher für diesen Tagesordnungspunkt eine Gesamtredezeit von 90 Minuten vorgesehen, verteilt mit 55 Minuten auf Regierung und Koalition und mit 35 Minuten auf die Opposition.
Ich eröffne die zweite Beratung und mache darauf aufmerksam, daß dazu ein Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 7/4725 vorliegt.
In der Aussprache hat zunächst der Abgeordnete Dr. Schäuble das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die CDU/CSU-Fraktion möchte ich den Antrag auf Drucksache 7/4725 begründen, der in der Sache darauf abzielt, den Verlustrücktrag bereits für den Veranlagungszeitraum 1974 mit der Möglichkeit des Rücktrags auf den Veranlagungszeitraum 1973 einzuführen, und ihn nicht, wie es in der von der Mehrheit im Finanzausschuß beschlossenen Fassung vorgeschlagen wird, erstmals auf den Veranlagungszeitraum 1975 anzuwenden. Wir meinen, daß der Verlustrücktrag bereits auf den Veranlagungszeitraum 1974 mit der Möglichkeit des Rücktrags auf 1973 angewendet werden muß, weil wir nur so eine wirksame Soforthilfe für die gefährdeten Mittel- und Kleinbetriebe durch den Verlustrücktrag erzielen können. Dies, meine Damen und Herren, ist das gemeinsame Ziel aller Fraktionen in diesem Hause, das wir mit der Einführung des Verlustrücktrages verfolgen. Wir wollen erreichen, daß notleidende steuerpflichtige Betriebe durch die Möglichkeit, ihre Verluste mit Gewinnen aus einem früheren Veranlagungszeitraum für die Besteuerung zu verrechnen, eine Liquiditätshilfe bekommen. Meine Damen und Herren, angesichts der aktuellen Situation, in der sich viele Betriebe, insbesondere Klein- und Mittelbetriebe, befinden, ist es dringend erforderlich, daß diese finanzielle Entlastungswirkung für die Betriebe sofort und nicht erst mit der Wirkung für spätere Jahre geschaffen wird.Würde, wie dies die Koalition vorsieht, der Verlustrücktrag mit einer erstmaligen Anwendung im
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15389
Dr. SchäubleVeranlagungszeitraum 1975 eingeführt werden, dann, meine Damen und Herren, wäre die Konsequenz, daß alle diejenigen Betriebe, die bereits 1974 Verluste erzielt haben, von diesem Verlustrücktrag heute überhaupt keinen Gebrauch machen können, weil sie in 1974 keine Gewinne erzielt haben, mit denen sie die Verluste des Jahres 1975 verrechnen könnten. Da wir wissen, daß sich die Ertragssituation der Betriebe, um die es uns gemeinsam geht, in den letzten Jahren eben so entwickelt hat, daß die Gewinne letztmals im Veranlagungszeitraum 1973 angefallen sind, müssen wir, wenn wir mit dem Verlustrücktrag nicht nur einen Schaueffekt erzielen wollen, sondern eine wirkliche Hilfe anstreben, den Verlustrücktrag so konstruieren, daß er in 1973 verrechnungsfähig hineinwirkt.Ich füge hinzu, meine Damen und Herren: Die praktische Situation der Steuerveranlagungen ist doch so, daß der Verlustrücktrag nur dann einen Soforteffekt hat, wenn wir ihn bereits für den Veranlagungszeitraum 1974 machen können, und zwar ganz einfach deshalb, weil sich die Veranlagungen 1975 noch über Monate, noch über mehr als ein Jahr hinziehen werden. Und erst im Rahmen der Veranlagung 1975 würde ja dann die Entlastungswirkung durch die Verrechnung eintreten. Wenn wir aber schon für den Veranlagungszeitraum 1974, wie wir dies beantragen, die Verrechnungsmöglichkeit haben, dann ist es uns möglich, schon in den nächsten Wochen und Monaten für die Betriebe, um die es geht, eine Entlastungswirkung zu erzielen.Meine Damen und Herren, im Jahre 1974 sind die Unternehmensgewinne noch einmal um 2,5 "/u zurückgegangen. Ich zitiere dies aus dem von der Bundesregierung in diesen Tagen vorgelegten Jahreswirtschaftsbericht 1976. Diese Ziffer unterstreicht die Dringlichkeit unseres Anliegens: daß wir eben den Betrieben bereits im Jahre 1974 diese Entlastungswirkung ermöglichen müssen. Meine Damen und Herren, wir hatten im Jahre 1974 mehr als 7 700 Konkurse und Vergleiche. Wir hatten im Jahre 1975 mehr als 9 200 Konkurse und Vergleiche.
Wenn Sie nicht wollen, daß sich diese schreckliche Zahlenkette im Jahre 1976/77 fortsetzt, dann, meine Damen und Herren, müssen Sie zustimmen, daß wir mit dem Verlustrücktrag eine sofort wirksame spürbare Entlastung für die notleidenden Klein-und Mittelbetriebe erzielen.Ich weiß, daß von Ihnen gegen unseren Antrag geltend gemacht wird, daß er zu einer Mehrbelastung für die Steuerverwaltung führen würde. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, wenn die Einführung des Verlustrücktrages für den Veranlagungszeitraum 1974 eine Mehrbelastung für die Steuerverwaltung bedeutet, dann tragen Sie allein die Schuld für diese Mehrbelastung. Denn Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, haben im Deutschen Bundestag, in diesem Hohen Hause und im Finanzausschuß, seit dem Herbst 1974 die Verantwortung dafürübernommen, daß dieser Verlustrücktrag nicht schon seit Jahr und Tag in Kraft getreten ist.
Wir haben diesen Antrag bereits im November 1974 gestellt, der Bundesrat hat ihn im Februar 1975 verabschiedet. Und ein Jahr später kommen Sie mit dem Argument, daß man jetzt das, was eigentlich notwendig sei, nicht mehr machen könne, weil man damit die Steuerverwaltung belasten würde. Das müssen Sie sich doch auf Ihre eigenen Fahnen schreiben und können Sie nicht unserem sachlich richtigen und begründeten Anliegen entgegenhalten.
Im übrigen, meine Damen und Herren von der Koalition, ist diese Mehrbelastung, die sich für die Steuerverwaltung aus einer Anwendung des Verlustrücktrags auf den Veranlagungszeitraum 1974 ergeben würde, eine einmalige Angelegenheit. Es ist eine sehr begrenzte Mehrbelastung — wenn überhaupt — der Steuerverwaltung, die sich in den folgenden Jahren gegenüber dem, was Sie vorschlagen, nicht als Mehrbelastung darstellt. Im Vergleich zu dem, was wir mit dem Antrag anstreben, ist dieses ein gering zu gewichtendes Argument. Ich möchte herzlich an Sie appellieren, Ihren Standpunkt noch einmal zu überprüfen.Sie haben dann im Finanzausschuß, auch schon in der ersten Lesung, Frau Kollegin Huber, unserem Antrag entgegengehalten, es würde zu höheren Steuerausfällen führen, wenn wir den Verlustrücktrag schon für 1974 einführten.
— Der Finanzminister von Bayern, Herr Kollege, sagt dieses nicht. Es war der Wirtschaftsminister, der dieses aber inzwischen als eine mißverständliche Äußerung zurückgezogen hat. Sie werden es in den nächsten Tagen bekommen, Frau Kollegin Huber. Haben Sie etwas Geduld. Die Post braucht ja dank der Verdienste Ihres Ministers manchmal länger, als wir das alle wünschen.
Aber bei der Frage der Ausfälle möchte ich Sie doch darauf hinweisen, daß es ein merkwürdiger Widerspruch ist, wenn Sie für die von Ihnen vorgelegte Formulierung argumentieren, es würden überhaupt keine Ausfälle entstehen, weil es nur Steuerverlagerungen seien, was richtig ist. Wir teilen diesen Standpunkt. Das entspricht der Wirklichkeit. Es entstehen echte Steuerausfälle nur in den zahlenmäßig begrenzten Fällen, wo ein Betrieb endgültig in Konkurs fällt. Wenn dies so ist, dann müssen wir bei diesen Steuerausfällen doch überlegen, ob wir den Konkurs nicht gerade durch eine wirkungsvolle Einführung des Verlustrücktrags verhindern können.
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15390 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Dr. SchäubleMeine Damen und Herren, wenn es uns gelingen sollte, wenigstens einen Teil jener über 7 000 Konkurse im Jahre 1974 und der beinahe 10 000 Konkurse und Vergleiche im Jahre 1975 durch die Einführung des Verlustrücktrags zu vermeiden, dann wären die Steuereinnahmen, die dadurch nicht verlorengehen würden, um ein Vielfaches höher als das, was das carry-back überhaupt. an Steuerverlagerungen, an Einnahmeverlagerungen bedeuten kann.Ich habe in diesen Tagen aus dem statistischen Werk der Freien und Hansestadt Hamburg, ich glaube, „Hamburg in Zahlen" heißt diese Zeitschrift, im Heft 12 eine Übersicht über die geschätzten Steuerausfälle durch die Konkurse im Land Hamburg gelesen. Ich will Ihnen das für die Monate Januar bis September 1975 einmal vorrechnen. In diesem Zeitraum gab es 218 Insolvenzfälle mit einem Forderungsausfall in der Größenordnung von 487 Millionen DM, die bei den Gläubigern abgeschrieben werden, wodurch entsprechende Steuerausfälle für den Fiskus entstehen. Wenn Sie nur einen kleinen Bruchteil davon nehmen, haben Sie einen viel größeren Betrag als das, was wir beim carry-back anstreben.Meine Damen und Herren, es geht nur um eine Verlagerung. Es geht mit der Anwendung des Verlustrücktrags auf das Jahr 1974 darum, eine wirkungsvolle Hilfe für die Klein- und Mittelbetriebe zu schaffen. Es geht darum, hier nicht einen Formelkram in das Gesetz hineinzunehmen, nach der Methode: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß; entlaste die Betriebe, aber verursache keinen Steuerausfall." Wer die Betriebe entlasten will, der muß bereit sein, Einnahmeverlagerungen hinzunehmen.Ich appelliere herzlich an Sie, wenigstens diesem unserem Änderungsantrag zuzustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Huber.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! In dem Antrag ist das Petitum wiederholt worden, das in der Bundesratsdrucksache enthalten war und das auch die Opposition im Finanzausschuß aufgegriffen hat: Verlustrücktrag für zwei Jahre. Ich möchte in vier Punkten darlegen, warum wir diesem Antrag nicht folgen können.
Erstens. Wie in der ersten Lesung hier schon einmal vorgetragen, würde dieses einen unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand verursachen. Bei der derzeitigen Personallage sind die Veranlagungsstellen und die Finanzkassen nicht in der Lage, das zu bewältigen. Das ist uns von der Verwaltung signalisiert worden. Im Gegenteil, man hat die Hoffnung, daß die frühe Vorlage von Bilanzen ein Zusammenlegen von Arbeitsgängen möglich macht, was hoffentlich dazu führt, daß keine unerträgliche Arbeitsüberlastung entsteht. Wie Sie wissen, haben wir den Finanzämtern sowieso genügend Arbeit aufgebürdet.
Das zweite, was ich anführen möchte, sind die Kosten. Wir haben schon den merkwürdigen Vorgang um die Bezifferung der Kosten hier in der ersten Lesung diskutiert. Das schwankte von 350 Millionen DM nach den Aussagen des Vertreters des bayerischen Finanzministeriums im Finanzausschuß bis zu den berühmten 2 Milliarden DM von Herrn Jaumann. Uns liegt ja der Brief vor, in welchem dies geschrieben steht. Es kann sich also nicht um einen Hörfehler oder ähnliches handeln. Es ist schriftlich vermerkt. Daraus ist uns nur klargeworden, wie unsicher die Bezifferung der Kosten war. Es ist in der Tat schwierig, die Kosten auszurechnen, aber am sichersten sind noch die Bezifferungen des Finanzministeriums. Diese gehen davon aus, daß bei einem zweijährigen Rücktrag 800 Millionen DM Steuerausfall entsteht, bezöge man die Gewerbesteuer ein, sogar 1 Milliarde DM. Die haben Sie auch nicht aufgegriffen, die Gemeinden haben sich sehr dagegen verwahrt.
Das dritte ist ein steuersystematisches Bedenken, das ich vortragen möchte. Wir haben das carryback — damit waren Sie einverstanden — auf alle Einkunftsarten ausgedehnt. Die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung als Hemmnis für einen Rücktrag ist aber erst mit der Steuerreform, also im Jahre 1974, weggefallen. Wir können nicht in allen Einkunftsarten zurücktragen, weil vor 1974 dieses Hemmnis Ordnungsmäßigkeit der Buchführung, das bis dahin auch für den Verlustvortrag galt, noch bestand und erst ab 1974 wegfällt.
Der vierte Grund ist — das hatte ich hier schon gesagt — nun in der Tat eine politische Frage. Wir hatten gesagt, das carry-back kann und soll nur eine Hilfe für Unternehmen in akuten Schwierigkeiten, aber mit Chancen, zu überleben, sein. Wir haben nicht die Möglichkeit, Konkurse besonders zu finanzieren. Das geht nicht. Es geht auch nicht aus dem Gedanken der Leistung im Wettbewerb. Man kann nicht für Wettbewerb sein und dann dagegen verstoßen, indem man Betrieben mit negativem Ergebnis besondere Hilfen gibt. Wo bleibt denn dann der Wettbewerb?
Aus all den vier Gründen stimmen wir dem zweijährigen carry-back nicht zu. Wir möchten aber sagen, daß auch wir Entlastung wollen, und zwar möglichst bald. Das hängt davon ab, ob die Bilanzen jetzt schnell vorgelegt werden, damit das verrechnet werden kann.
Dies ist kein Schaueffekt, sondern wir halten es für eine sehr gute Sache.
Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst Herrn Dr. Schäuble fragen, ob er zur dritten Lesung oder jetzt in der Aussprache das Wort wünscht.
Dann stelle ich fest, daß zur zweiten Lesung keine weiteren Wortmeldungen vorliegen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15391
Vizepräsident von HasselWir kommen zur Abstimmung. Sie werden mit mir einverstanden sein, daß wir zunächst über den Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion — Drucksache 7/4725 —, der eben begründet wurde und Gegenstand der Debatte war, abstimmen. Wer dem Änderungsantrag — er liegt Ihnen vor — zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt worden.Ich rufe dann zur Abstimmung Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ohne Gegenstimmen und ohne Enthaltungen so beschlossen.Ich rufe nun diedritte Beratungauf. Das Wort in dritter Beratung hat Frau Abgeordnete Huber gewünscht.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Nach sehr zügiger Beratung im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages kann nun heute der Verlustrücktrag als ein neues steuerliches Instrument verabschiedet werden, daß das starre Prinzip des Wirtschaftsjahres als Gewinnermittlungszeitraum und des Kalenderjahres als steuerlichen Veranlagungszeitraum ergänzend zu dem bisher schon vorhandenen Verlustvortrag in seinen Härten korrigiert. Wenn die Unternehmen, in denen sich 1975 ein Verlust ergeben hat, 1974 aber noch Gewinn vorhanden war, die Bilanzen jetzt erstellen und dem Finanzamt vorlegen, so können die Vorauszahlungen des Jahres 1974, wie ich eben schon gesagt habe, alsbald erstattet oder verrechnet werden.Wir behandeln heute zwei Vorlagen, nämlich die des Bundesrates und die der Koalitionsfraktionen. Sie stimmen nur im Prinzip und in einem Punkt überein, nämlich in der 5-Millionen-DM-Grenze. Im übrigen haben wir in unseren Vorschlag entgegen der Bundesratsvorlage die Ausdehnung auf alle Einkunftsarten hineingeschrieben. Wir halten das für ein Gebot der Gerechtigkeit. Denn die Härten der Periodenbesteuerung ergeben sich nicht nur bei den Gewinneinkünften. Künftig werden auch Verluste aus anderen Einkünften auf die nächsten fünf Jahre vorgetragen und aus dem Gewinnjahr um ein Jahr zurückgetragen werden können. Damit verlängert sich der Ausgleichszeitraum insgesamt auf sechs Jahre. Verluste aus Vermietung und Verpachtung durch Inanspruchnahme des § 7 b können z. B. von Arbeitnehmern bei Arbeitslosigkeit oder auch von Rentnern, die im Vorjahr noch Arbeitseinkommen hatten, nun ebenfalls geltend gemacht werden. Eine Schlechterstellung hätte gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen.Die in der Bundesratsdrucksache vorgesehene Ausdehnung auf zwei Jahre — das habe ich eben ausgeführt — wäre steuersystematisch nicht denkbar gewesen. Ich erspare es mir, die Ausführungen zu wiederholen, die ich vorhin schon dazu gemacht habe.Der Verlustrücktrag ist nicht in erster Linie als neues konjunkturpolitisches Instrument gedacht, sondern als eine strukturelle Verbesserung des Steuerrechts und daher als eine Dauerregelung. Ganz ohne Zweifel kommt er jedoch zu einem konjunkturpolitisch richtigen Zeitpunkt, einerseits unter dem Aspekt der jetzt besonders notwendigen Liquiditätshilfe, vor allem für kleine und mittlere Unternehmen, andererseits unter dem Aspekt der Wirkungen der Steuererstattung insgesamt.Wir unterstützen hier die Auffassung der Regierung, die gemeint hat, der Zeitpunkt etwa Ende 1974 sei nicht dazu angetan, das carry-back einzuführen, und die damals vor der Entscheidung stand, eine Investitionszulage von 7,5 % ohne Verlustrücktrag oder von 5 % mit Verlustrücktrag einzuführen. Sie hat sich damals für die Investionszulage entschieden. Dies hat eine lange Diskussion ausgelöst. Im nachhinein haben wir gesehen, daß nur 10% des vorgesehenen Volumens nicht ausgeschöpft worden sind. Das Ganze hat Bund und Länder nicht 8 Milliarden DM, sondern 7 Milliarden DM Belastung gebracht. Der Verlustrücktrag, wäre er damals eingeführt worden, wäre jedoch sicherlich voll ausgeschöpft worden und ohne Wirkung auf die Investitionen geblieben.
— Die dauerhafte Wirkung ist uns auch angenehm.
— Das ist Ihre These, aber völlig unbewiesen. Jedenfalls wäre zur damaligen konjunkturellen Situation sicherlich eine andere Wirkung der Erstattung eingetreten als jetzt. Wir halten den jetzigen Zeitpunkt in beider Hinsicht, nämlich sowohl bezüglich der Wirkung für die Unternehmen selbst als auch konjunkturell im Hinblick auf die Preise, für eine wichtige Sache. Das Argument habe ich nur deswegen gebracht, weil Sie sicherlich den Zeitpunkt des Beschlusses heute hier anführen. Wir glauben, daß dies nunmehr der richtige Zeitpunkt ist, das carry back einzuführen.Außer den konjunkturbedingten Neuinvestitionen sind natürlich die auf lange Sicht geplanten großen Investitionen zu berücksichtigen, die üblicherweise in einem Gewinnjahr in Angriff genommen und dann weitergeführt werden müssen, damit keine Investitionsruinen entstehen. Fehlen nun in einem Verlustjahr die finanziellen Mittel, das Investitionsprogramm zu erfüllen, kann die Steuererstattung auf Grund des Verlustrücktrages auch dort eine wertvolle finanzielle Hilfe darstellen.In beiden Fällen also gibt es Vorteile, die auch die Sachverständigen in ihrem Jahresgutachten 1975 dazu bewogen haben, für den Verlustrücktrag zu plädieren. Grundsätzlich steht natürlich auch für uns das carry-back als Dauereinrichtung unter dem Aspekt einer längerfristigen Verbesserung des Investitionsklimas. Ein anderer oft diskutierter steuerlicher Weg über Maßnahmen zur Steigerung des privaten Verbrauchs wäre wesentlich kostspieliger.
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15392 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Frau HuberEr würde aber darüber hinaus die mit dem Verlustrücktrag beabsichtigte gezielte Hilfe für mittlere und kleinere Unternehmen nicht bewirken.Von mancher Seite wird bestritten, daß der heute zu beschließende Verlustrücktrag, wie wir betonen, wirklich eine Mittelstandsmaßnahme ist. Allein die Begrenzung auf 5 Millionen DM macht deutlich, daß der Verlustrücktrag kein Wundermittel für Großunternehmen ist, sondern eben nur kleineren Unternehmen die Chance gibt, eine entscheidende Hilfe aus dem Verlustausgleich zu ziehen.
— Das wird nicht in meiner Fraktion bestritten. Aber es gibt solche Stimmen. Indem Sie dies fragen, zeigen Sie mir, daß Sie die Zeitungen gelesen haben, Herr Becker.
— Ja natürlich, ich auch.Der Verlustrücktrag bedeutet eine Verbesserung der Wettbewerbsposition der kleinen Unternehmen gegenüber den großen und ist eine Maßnahme, die sich nunmehr in den Katalog unserer Mittelstandsmaßnahmen einfügt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß der Verlustrücktrag nicht auf bestimmte Unternehmensgrößen fixiert und begrenzt ist. Wir müssen hier zugeben, daß es uns, ähnlich wie bei den Betroffenen selbst, bei vielen Erörterungen bisher nicht gelungen ist, eindeutige Abgrenzungskriterien für die branchenweise außerordentlich unterschiedlichen Strukturen zu finden und daß es uns jetzt in so kurzer Zeit eben nicht möglich ist, den Liquiditätsvorteil selektiv gerecht zu verteilen.Die bei den kleinen und mittleren Unternehmen durchschlagende Liquiditätsverbesserung wird in zweiter Stufe dazu beitragen, daß Kapitalvernichtung verhindert wird. Dies wird wiederum dem Konzentrationsprozeß entgegenwirken. Die Verringerung der Steuerschuld verbessert außerdem die Bonität des Unternehmens, was wegen der ganz anderen Kreditbedingungen gerade für die kleinen Unternehmer, nicht aber bei der Fünfmillionengrenze für die großen Unternehmen von Bedeutung ist.Es soll nicht verschwiegen werden, daß der Verlustrücktrag in erster Linie gesunde Unternehmen begünstigt, die vorübergehend Verluste erleiden. Konkursreife Betriebe — das hatte ich schon zu Ihrem Antrag gesagt — kann auch der Verlustrücktrag nicht retten. Ein zu ausgedehnter Verlustrücktrag wäre auch nicht wettbewerbsgerecht, d. h. leistungsgerecht.Ich sprach soeben von der Leistungsfähigkeit. Sie ist es, die als Leitgedanke alle Mittelstandsmaßnahmen von Koalition und Regierung bisher beherrscht hat. Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist nicht an Unternehmensgröße gebunden. Es gibt genügend Funktionen in unserer Wirtschaft, in denen der Mittelstand nicht nur eine Chance, sondern sein ganz spezielles Leistungsfeld hat.Eine Studie der Prognos-AG, die im Auftrag des Wirtschaftsministeriums erstellt worden ist, beleuchtet die hohe Konstanz der Unternehmensstruktur in den einzelnen Branchen und zeigt auch deutlich die Chancen auf, die den mittelständischen Wirtschaftsunternehmen durch Spezialisierung und Individualisierung in Produktion und Dienstleistung auch heute gegeben sind.
— Prognos kommt zu der Auffassung, daß es trotzdem eine große Chance dieser Unternehmen am Markt gibt. Aber im übrigen wird nicht bestritten, daß Konkurse stattfinden. Das hängt zum Teil in kritischen Zeiten auch damit zusammen, mit welchem Risiko man in ein Geschäft eingestiegen ist.
— Nein, Herr Kollege Schäuble, da würde ich sagen: Betrachten Sie einmal die Umfragen. Die Leute finden, daß es uns doch relativ gut geht.
— Aber, Herr Schäuble, es ist doch nicht zu verheimlichen, daß einige Unternehmer auch nur gedacht haben, daß es ihnen gut geht. Daß eine Reihe von Konkursen auch auf solche Ursachen zurückzuführen sind, darüber gibt es doch gar keinen Zweifel.
— Das sage ich genauso den Arbeitslosen, weil diese ja auch Opfer von solchen Geschäften sind, die nicht ganz redlich und solide finanziert worden sind. Es haben doch nicht alle Konkurse die gleiche Ursache, sondern in manchen Zeiten, in denen das Geld reichlich fließt, gibt es auch Leute, die in ihrem Geschäftsgebaren etwas leichtsinnig werden.
— Daß Sie mit so einer globalen Behauptung hier zwischenfunken, finde ich nicht besonders gut, Herr Müller-Hermann. Das ist das Einfachste von der Welt.Aber wir reden hier ganz konkret über carry back. Wir waren uns in der Maßnahme ja einig. Nur der Gesichtspunkt, unter dem wir das betrachten, ist sicherlich ein anderer. In den großen Diskussionen über die Wirtschaft — —
— Ja, sicherlich auch.Ich möchte fortfahren. Die Mittelstandspolitik steht natürlich nicht unter dem Gesichtspunkt der Strukturerhaltung. Auch das carry-back kann nichtDeutscher Bundestag 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15393Frau Huberunter diesem Aspekt gesehen werden, sondern als Beitrag zur Verbesserung der Leistung und Wettbewerbsfähigkeit. Neben verbesserter Information und Verhinderung von Machtmißbrauch ist natürlich die Investitionsfinanzierung wichtig. Darauf zielt das Programm auch ab.Das carry-back ist nur eine — das möchte ich hier ausdrücklich sagen — Maßnahme im Gesamtkonzept, bestehend aus finanziellen Hilfen des Bundeshaushalts, aus ERP-Krediten und den ergänzenden Maßnahmen der Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Lastenausgleichsbank.Der Mittelstandsbericht, der zur Zeit im Wirtschaftsministerium erarbeitet wird, gibt genau Auskunft über die Ausgaben der Bundesregierung, die von Jahr zu Jahr gestiegen sind, nämlich Ausgaben für Handwerk, Handel, Gewerbe, für die kleinen und mittleren Industrieunternehmen. Diese Mittel sind auch im Zeichen äußerster Sparsamkeit — das muß hier einmal erwähnt werden — immer wieder erhöht worden und sind jetzt höher als je. Auch die ERP-Kredite haben in diesem Jahr, nachdem sie immer gewachsen sind, zum erstenmal die Grenze von einer halben Milliarde DM weit überschritten.Der Verlustrücktrag stellt also eine finanzielle Hilfe dar, die nicht allein auf weiter Flur steht, sondern im Zusammenhang mit den vielschichtigen und differenzierten Maßnahmen zur Unterstützung von Existenzgründung, Beratung, Forschung, Aus- und Fortbildung, Rationalisierung usw. zu sehen ist. Diese Maßnahmen erstrecken sich auch auf Kooperationserleichterungen, den Schutz vor Diskriminierung — ich erinnere hier an das Kartellrecht-und das Sozialrecht. In diesem Zusammenhang erinnere ich an die Öffnung der Rentenversicherung im Jahre 1972. Im Zuge der Steuerreform sind bei der Erbschaft- und Vermögensteuer die Freibeträge großzügig erhöht worden. Bei der Gewerbesteuer ist der Freibetrag so gestaltet worden, daß die Hälfte aller kleinen Betriebe aus der Gewerbebesteuerung herausfielen.
— Das habe ich nicht bestritten.Wenn die Frage gestellt wird, warum von uns gerade dieser Weg über die Unternehmen, insbesondere über die mittelständischen Unternehmen, gewählt wurde, so liegen die Argumente ganz klar auf der Hand. Es geht hier um unser aller Wohl und nicht um Gewinne oder Vergünstigungen für einzelne oder besondere Gruppen. Die Hilfen für den Mittelstand sind ein Teil einer langfristigen wirtschaftlichen Zukunftssicherung und dienen in erster Linie der Arbeitsplatzsicherheit.Auch wenn das Problem der Rationalisierung in diesem Zusammenhang von uns keineswegs übersehen wird, so ist doch nicht zu leugnen, daß ohne die notwendige — auch technische — Vorwärtsentwicklung langfristig alle Arbeitsplätze gefährdet sind. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen aber haben besonders viele Arbeitsplätze. Nach Auskunft der Bundesanstalt für Arbeit verfügen sie über zwei Drittel aller Arbeitsplätze, und sie bietenauch besonders viele Ausbildungsplätze an, nämlich 55 °/o aller Ausbildungsplätze. Jeder zweite männliche Facharbeiter oder Angestellte in der Industrie hat in diesen Betrieben seine Ausbildung erhalten. Auch von hier aus erhält das ganze Programm sein besonderes Schwergewicht.Die Koalitionsfraktionen haben mit ihrem Entwurf zum Verlustrücktrag jedoch auch das Ziel angestrebt, keine Manipulationen zuzulassen. Deswegen haben wir uns gegen das zunächst von der Opposition im Finanzausschuß angestrebte Wahlrecht ausgesprochen. Es muß eine zwingende Regelung sein, damit a) die Steuern nicht manipuliert werden können und es b) nicht zuviel Verwaltungsaufwand gibt.Alles in allem soll der Entwurf der Koalitionsfraktionen durch Steuererstattung oder -anrechnung bei akuten Schwierigkeiten Hilfestellung leisten. Er soll darüber hinaus auf Dauer das Maß der möglichen Gerechtigkeit vergrößern und zusammen mit den übrigen, hier nur kurz umrissenen Maßnahmen dem Ziel dienen, das der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung im Mai 1974 hervorgehoben hat, nämlich insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen im Selbstbehauptungswillen zu unterstützen.Wir stimmen dem Gesetzentwurf zu.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schäuble.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt grundsätzlich die Einführung des Verlustrücktrags. Der Verlustrücktrag ist Teil der wirtschafts- und finanzpolitischen Alternativen, die wir seit 1974 der verfehlten und fehlgeschlagenen Regierungspolitik entgegengestellt haben.
Frau Kollegin Huber, ich habe Ihnen mit großem Vergnügen zugehört und festgestellt, daß Sie heute eine ganz andere Begründung dafür geliefert haben, daß wir den Verlustrücktrag erst heute verabschieden können, obwohl wir dies schon Ende 1974 hätten tun können. Vor 14 Tagen haben Sie — allerdings zu späterer Stunde, als dies heute der Fall ist — argumentiert, dies sei alles so schwierig gewesen, daß man so lange gebraucht habe, bis man dies geschafft habe; die Zeit sei erforderlich gewesen, um all die großen Schwierigkeiten zu beseitigen. Heute dagegen haben Sie gesagt, die konjunkturelle Lage sei damals ganz anders gewesen als heute; jetzt sei der richtige und einzig mögliche Zeitpunkt zur Einführung des Verlustrücktrags. Ich bin gespannt, ob Sie, falls Sie noch einmal zu diesem Thema sprechen, eine dritte Erklärung für die merkwürdige Verzögerung vorbringen.Ich jedenfalls muß Ihnen in allem Ernst — genauso wie vor 14 Tagen — sagen: Die Verzögerungspolitik, die Sie bei der Einführung des Verlustrücktrages betrieben haben, ist schlechterdings unerträg-
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Dr. Schäublelieh. Sie haben mit dieser Verzögerung den Zusammenbruch vieler kleiner und mittlerer Betriebe in unserem Lande verursacht. Frau Huber, dies wird auch dadurch nicht besser, daß Sie sich jetzt hier hinstellen und sagen: Diese 18 000 Betriebe, die zwischenzeitlich zusammengebrochen sind, werden schon alle selber schuld haben; hätten sie solide finanziert, wäre dies nicht passiert.
— So haben Sie es sinngemäß gesagt. Ich füge hinzu: Sie haben durch Ihre Verzögerungspolitik den Verlust zahlloser Arbeitsplätze verursacht.
Ich habe das ganz bewußt gefragt, ob Sie auch diesen Betroffenen das zum Trost sagen wollen.Sie bestreiten hier, daß der Verlustrücktrag einen entscheidenden Beitrag zur Linderung der miserablen Entwicklung der letzten Monate hätte leisten können. Ich empfehle Ihnen, einmal den Jahreswirtschaftsbericht 1976 Ihrer Bundesregierung zu lesen. Dort wird nämlich der Optimismus der Bundesregierung im Hinblick auf den Aufschwung im Jahre 1976 zu einem ganz wesentlichen Teil gerade auf die Einführung des Verlustrücktrags gegründet. Wenn das so ist, ist es ja wohl nur logisch, da ßder Verlustrücktrag, wenn er ein Jahr früher eingeführt worden wäre, auch bereits ein Jahr früher zur Lösung der Probleme beigetragen hätte. Dies unterlassen zu haben ist es, was wir Ihnen vorwerfen. Nach unseren Vorschlägen hätte der Verlustrücktrag bereits Ende 1974 verabschiedet werden können.
Meine Damen und Herren, weil Sie es nicht gern hören, daß Sie sich mit dem Verlustrücktrag so schwergetan haben, möchte ich Ihnen hier doch einmal vorlesen, was die Ihnen nahestehende „Frankfurter Rundschau" am 15. Januar dieses Jahres geschrieben hat. Sie schreibt — ich zitiere —:Endlich scheint die Einrichtung des steuerlichen Verlustrücktrags — auf Bonner Amtsdeutsch „Carry-back" — ihre Irrfahrt durch den Koalitionsslalom hinter sich zu haben.Meine Damen und Herren, ich will Ihnen diesen Koalitionsslalom einmal ein bißchen vorführen.
— Die Goldmedaille kommt auch noch, Herr Huonker.Der „Vorwärts", der Ihnen noch nähersteht, schreibt am 22. Januar 1976, daß die SPD nicht ohne Grund so lange gezögert habe, den Verlustrücktrag einzuführen.Herr Kollege Dr. Häfele hat in der Sitzung des Finanzausschusses am 18. Dezember 1974 die Einführung des Verlustrücktrages gefordert. Laut Protokoll des Finanzausschussse — 64. Sitzung, Seite 12— wurde von den Vertretern der Koalitionsfraktionen damals vorgetragen, sie stünden einem Verlustrücktrag grundsätzlich positiv gegenüber.
Dies war im Dezember 1974. Wir wollen nun einmal schauen, wie lange Sie brauchten, um den Verlustrücktrag durchzusetzen.Im April 1975 lesen wir in der „Frankfurter Rundschau": „Carry-back auf langer Bank". Am 16. April 1975 hat laut einer Pressemeldung in der „Welt" der Kollege Graf Lambsdorff die Sturheit des Herrn Apel beklagt, der einen falschen Sinn für Proportionen habe und offenbar aus parteitaktischen Gründen das Thema „Verlustrücktrag" verschleppe.
Am 6. Mai bezieht sich das „Handelsblatt" auf Äußerungen des Herrn Staatssekretärs Offergeld und folgert daraus: „Der Verlustrücktrag ist ohne jede Chance". Am 22. April schreibt dasselbe Presseorgan: „Bonn sagt nur Jein zum Verlustrücktrag".Am 26. April erklärt der Herr Bundesfinanzminister, der Verlustrücktrag sei noch nicht endgültig zu den Akten gelegt.
Am 25. Juli 1975 sieht die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" auf Grund neuer koalitionsinterner Gespräche dann wieder eine neue Chance für den Verlustrücktrag, fügt allerdings ein Fragezeichen bei. Am 17. Oktober ist im Koalitionsgespräch sogar von Steuerentlastungen in Höhe von 10 Milliarden DM die Rede; die Entscheidung wird für den Donnerstag der kommenden Woche angekündigt. Nach diesem Spitzengespräch muß am 24. Oktober aber wieder berichtet werden: „Noch keine Klarheit über Steuererleichterungen".
Dies setzt sich so fort.Auf dem Mannheimer Parteitag, auf dem die Sozialdemokratische Partei durch ihren Vorsitzenden ja nicht nur den Wahlkampf eingeläutet hat, sondern zugleich auch den Stil, den sie im Wahlkampf pflegen will, vorgeprägt hat, hat sich der Bundesfinanzminister endlich für den Verlustrücktrag starkgemacht. Und auf einmal hat sogar der Bundesfinanzminister — Frau Huber, hören Sie gut zu— festgestellt: „Kleinen Unternehmen geht es verdammt dreckig". So Ihr Finanzminister.
Um die Kurven zu vollenden, haben sich die Jungsozialisten — die gehören ja auch zu Ihnen — nocham 17. Januar dieses Jahres gegen den Verlustrück-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15395
Dr. Schäubletrag ausgesprochen. Deswegen mußten Sie ja dagegen argumentieren.Das ist in der Tat — um die „Frankfurter Rundschau" noch einmal aufzugreifen — ein fast beispielloser Kurvenslalom und eine Irrfahrt der Koalition. Dafür gibt es nicht, wie bei Rosi Mittermaier, eine Goldmedaille, sondern damit haben Sie jene 18 000 Insolvenzen und den Verlust an Arbeitsplätzen mitverursacht.
Herr Kollege Huonker, wenn Sie sich einmal in den Statistiken der Bundesbank anschauen, wie sich das Verhältnis von Ertrag und Umsatz in den deutschen Betrieben und Unternehmen insgesamt gerade im Jahre 1974 zu einem neuen Rekordtief von, ich glaube, noch 1,5 °/o Ertrag am Umsatz entwickelt hat,
dann werden Sie doch vielleicht irgendwann einmal erkennen, daß Sie mit dieser Politik der Überbelastung der Unternehmen, mit jener Politik, mit der Sie den Unternehmen die Ertragskraft und über die Ertragskraft auch die Investitionsfähigkeit genommen haben, jenes Elend verursacht haben, an dessen Kurieren wir heute miteinander zu arbeiten haben.
Sie können doch nicht übersehen, Herr Huonker, auch wenn Sie hier noch so schreien, daß dem Ertragsanteil am Umsatz von 1,5 °/o ein Minus der Investitionen im selben Jahre in realen Beträgen von 8,1 °/o — immer nach den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank — entspricht. Das alles zusammen müßte für Sie doch endlich einmal Grund zum Nachdenken darüber sein, daß mit mittelstandsfreundlichen Reden von prominenten und weniger prominenten Vertretern der FDP niemandem geholfen ist, sondern, meine Damen und Herren von der FDP, daß es darauf ankommt, wie Sie im Deutschen Bundestag abstimmen.
Da hat die FDP eben fünf Vierteljahre lang mit ihrem Koalitionspartner zusammen dafür gesorgt, daß es nicht möglich gewesen ist, den Verlustrücktrag rechtzeitig einzuführen.Sie haben in diesem Hause trotz unzähliger anderslautender Erklärungen bei Wirtschaftsverbänden und in der Öffentlichkeit die Einführung des Verlustrücktrags seit November 1974 bis zum heutigen Tage blockiert. Ich finde, es ist schon — wenn ich das einmal sagen darf — ein enormes Maß an Dreistigkeit, der CDU/CSU vorzuwerfen, sie zeige keine Alternativen auf, wenn Sie im selben Atemzug in diesem Hohen Hause mit Ihrer Geschäftsordnungsmehrheit verhindern, daß unsere Alternativenim Bundestag auch nur behandelt werden können.
Nach den Erfahrungen, die wir ja nun gemeinsam mit der Investitionszulage gesammelt haben, darf ich Sie noch daran erinnern: Wir haben schon damals im Finanzausschuß als Alternative zur Investitionszulage unser Paket vorgeschlagen, in dem der Verlustrücktrag eine ganz wesentliche Rolle spielte. Ich glaube, Herr Häfele ist es gewesen, der damals gesagt hat: Wir stimmen der Investitionszulage als zweit- oder drittbester Möglichkeit zu; aber unsere Vorschläge wären sehr viel besser gewesen. Alledem haben Sie nicht zugestimmt.Frau Kollegin Huber, wenn Sie vor 14 Tagen gesagt haben, Sie hätten dieses Jahr noch gebraucht, um herauszufinden, daß der Verlustrücktrag nicht nur für die Einkünfte aus Gewerbebetrieben, sondern für alle Einkunftsarten eingeführt werden müsse
— ja, das war eine der Schwierigkeiten, mit denen Sie vor 14 Tagen argumentiert haben —
— Herr Böhme, wenn Sie zuhören würden, könnten Sie sich Ihren Zwischenruf ersparen —, dann darf ich Sie daran erinnern, daß der Bundesvorstand meiner Partei bereits am 20. Januar 1975 in Berlin die Einführung eines Dreijahreszeitraums für den Lohnsteuerjahresausgleich gefordert hat. Das ist in der Sache genau das gleiche wie die Ausdehnung des Verlustrücktrags für alle Einkunftsarten.
Über alle diese Punkte hätten wir uns rechtzeitig verständigen können, und wir hätten den Verlustrücktrag bereits Ende 1974 verabschiedet haben können.
Das hätte bedeutet, daß die Argumente bezüglich der Verwaltungsmehrbelastung, mit denen Sie gerade eben die Einführung des Verlustrücktrags auch für den Veranlagungszeitraum 1974 scheinheilig begründet haben, nicht zugetroffen hätten.
Wir stimmen dem Verlustrücktrag auch in dieser schlechten Fassung, wie Sie ihn mit Ihrer Mehrheit beschlossen haben, zu. Aber wir sagen auch, daß der Verlustrücktrag in dieser Fassung wesentliche Mängel enthält.Wer über einen Verlustrücktrag Unternehmen, die vorübergehend in die Verlustzone geraten sind, wirklich eine Hilfe geben will, muß, wenn er es ernst meint, den Verlustrücktrag eigentlich für einen
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Dr. SchäubleZweijahreszeitraum einführen — ganz einfach deswegen, weil es bei Betrieben in aller Regel nicht einen scharfen Übergang von der Gewinn- in die Verlustzone gibt, weil ein Betrieb nicht in einem Jahr Gewinne macht und im nächsten Jahr genauso hohe Verluste, die man dann verrechnen kann, sondern weil sich dies zunächst einmal über eine Zone des sogenannten Nullwachstums — um in Ihrer Terminologie zu bleiben — vollziehen wird.
— Herr Böhme, das ist doch keine Hilfe. Das ist dann die nächste Rede, daß Sie denen, die, in Konkurs gegangen sind, sagen: Wenn ihr noch drei Jahre wartet, kriegt ihr dann über den Verlustvortrag vielleicht irgendeine Hilfe. Das ist doch kein Argument.Warum eigentlich dehnen die Niederlande, die die Erfahrungen mit dem einjährigen Verlustrücktrag haben, gerade in diesen Tagen den Verlustrücktrag auf zwei Jahre aus? Einfach deswegen, weil die Niederlande aus ihren praktischen Erfahrungen gelernt haben, daß man eben, wenn man es richtig machen will, den zweijährigen Rücktragszeitraum braucht.
Ich sage noch einmal: Wir lernen ja sonst so viel von unseren Nachbarn, und in der Europäischen Gemeinschaft ist das auch angemessen. Das Beispiel der Niederlande, die praktische Erfahrungen gesammelt haben — um dies zu wiederholen —, zeigt, daß der Sachverstand der Praxis dafür spricht, den zweijährigen Rücktragszeitraum einzuführen. Wir meinen — um noch einmal an unseren Antrag aus der zweiten Lesung zu erinnern —, daß wir auf jeden Fall, wenn der Verlustrücktrag in der Landschaft des Jahres 1976 überhaupt einen Sinn haben soll, in den Rücktragszeitraum 1973 hineinkommen müssen — mit einer Anwendung erstmals im Veranlagungszeitraum 1974 —, weil wir nur so die erforderliche Sofortentlastung erzielen.Wir meinen auch, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, daß das Wahlrecht bei der Ausübung des Verlustrücktrags in der Tat von der Sache her durchaus angemessen ist. Weil Sie immer so sehr mit Verwaltungsschwierigkeiten arbeiten, will ich Ihnen doch einmal vorrechnen, daß Sie mit dem, was Sie jetzt beschließen wollen, alle Veranlagungen des Jahres 1975, die schon abgeschlossen sind — und es werden ja einige sein, bis das Gesetz verkündet ist —, im Finanzamt noch einmal herauskramen und von Amts wegen überprüfen müssen, weil Sie ja den Verlustrücktrag von Amts wegen für 1975 anwenden müssen. Sie müssen also alle abgeschlossenen Veranlagungen des Jahres 1975 überprüfen, und dies ist eine enorme Mehrbelastung.Im übrigen, meine verehrten Damen und Herren von der Koalition, schaffen Sie, wenn Sie das Wahlrecht ablehnen, zugleich die zwangsläufige Folge, daß etwa der Haushalts- und der Altersfreibetrag für diejenigen, die vom Verlustrücktrag Gebrauch machen, nach § 32 Abs. 2 und 3 des Einkommensteuergesetzes verlorengeht.Ich sage noch einmal: Für uns ist der Verlustrücktrag ein Schritt in die richtige Richtung, aber dieser Schritt ist in der Form, wie wir ihn heute beschließen, verspätet und unzureichend. Was wir brauchen, ist eine nachhaltige Verbesserung der Ertragssituation der Unternehmen und eine Stärkung der Investitionsfähigkeit. Dem dient das Gesamtprogramm, das die CDU/CSU vorgelegt hat und das in seinem steuerpolitischen Teil neben dem Verlustrücktrag eine Verbesserung der Abschreibungsmöglichkeiten und eine Reduzierung der Vermögensteuer vorsieht, die ja gerade in Zeiten der Rezession in die Substanz der Unternehmen eingreift und deswegen reduziert werden muß. Dabei schlagen wir im übrigen ja auch vor, die Zurechnung der Dauerschulden und der Dauerschuldzinsen bei der Gewerbesteuer abzuschaffen.Demgegenüber, meine Damen und Herren von der Koalition aus SPD und FDP, betreiben Sie eine Politik massiver Steuererhöhungen. Dies ist der sozialistische Weg der Erhöhung des Staatsanteils. Dieser sozialistische Weg ist schuld an jener wirtschaftlichen Lähmung, unter der wir leiden. Mit dieser Ausweitung des Staatsanteils erdrosseln Sie die Unternehmen und die soziale Marktwirtschaft mehr und mehr.
Sie müßten doch endlich einmal erkannt haben, Herr Kollege Böhme, daß die höchsten Steuersätze nichts nützen, wenn Sie die reale Steuerkraft nicht mehr bei den Steuerpflichtigen haben. Die gesamt- und einzelwirtschaftliche Leistungskraft ist doch die alleinige Grundlage der realen Steuereinnahmen des Staates.Herr Präsident, wenn ich noch einen letzten Gedanken sagen darf: — —
Meine Damen und Herren, mit vielen Zwischenrufen verlängern Sie natürlich die Redezeit.
Ich hatte auch — wenn ich das sagen darf, Herr Präsident — in Erinnerung, daß Sie gesagt haben, daß wir insgesamt 35 Minuten Redezeit hätten. Deswegen war ich nicht auf 15 Minuten eingestellt. Ich bitte um Vergebung.Ich will es ganz kurz machen. Wir meinen auch, daß die Politik der Steuererhöhungen, die Sie weiter betreiben — Mehrwertsteuer, Branntweinsteuer, Tabaksteuer —, statt endlich unserem Alternativprogramm Ihre Zustimmung zu geben, dazu führt, daß Sie einen neuen Inflationsschub verursachen werden, der eintreten wird, sobald tatsächlich der von uns allen erhoffte Aufschwung kommt.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15397
Dr. SchäubleMeine Damen und Herren, auch der Bundeskanzler wird ja inzwischen erkannt haben, daß jene Alternative, an die er vielleicht geglaubt hat — Arbeitslosigkeit oder Inflation —, verfehlt ist. Wir haben inzwischen statt „5 °/o Inflation oder Arbeitslosigkeit" über 5 °/o Inflation u n d über 5 °/o Arbeitslosigkeit.
Nicht Ihre sozialistische Ausweitung des Staatsanteils am Bruttosozialprodukt, sondern eine Begrenzung des zu hoch gewordenen Staatsanteils kann die Arbeitslosigkeit und die Rezession überwinden und kann auf Dauer die soziale Marktwirtschaft sichern.Dem dient der von uns vorgeschlagene Verlustrücktrag, aber er wird dieses Ergebnis nur erzielen, wenn ihm weitere Maßnahmen folgen. Den Schaden, den Sie durch Ihre falsche Wirtschaftspolitik angerichtet haben, sollten Sie nicht weiter vermehren. Stimmen Sie jetzt unseren Alternativen zu!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Vohrer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben von dem Kollegen Schäuble eine Rede nach dem alten oppositionellen Strickmuster gehört: zwölf Minuten ablehnen und drei Minuten begründen, weshalb man doch zustimmt.
Im übrigen kann die unlogische Begründung, die Sie hier über den sozialistischen Staat versucht haben, nur an Sindelfingen erinnern, und sie war dort genausowenig in sich stimmig, wie Sie sie hier vorgetragen haben, Herr Schäuble.
Eines steht doch fest: daß die These von der Ausweitung des Staatsanteils überhaupt nicht zutrifft. Sie wissen so gut wie wir, daß in den letzten Jahren der Staatsanteil, also die Steuerlastquote, zwischenzeitlich zurückging und daß wir jetzt bei 23 °/o liegen
— bei 23 °/o, was selbst in Zeiten Ihrer Regierungsverantwortung übertroffen wurde.
Wenn Sie hier behaupten, Sie hätten großartige Alternativen geboten, so muß ich sagen, Sie haben natürlich immer wieder ein Bündel von Wahlgeschenken angeboten, wobei Sie es völlig unterlassen haben, dem Hause vernünftige und verantwortungsbewußte Deckungsvorschläge für die hier aufgestellten Forderungen zu präsentieren.
Aus dem Grunde sollten Sie hier nur etwas Alternative nennen, bei dem Sie auch, gleichzeitig zum Ausdruck gebracht haben, wie Sie es haushaltsmäßig verantworten wollen, wo Sie Deckungsvorschläge haben.
Ihre Alternativen sind Globalvorstellungen, die jedesmal, wenn es ums Konkrete geht,
von Ihnen völlig nebulös beschrieben werden. Und wenn immer es darum geht, hier auch im sozialen Bereich einmal zu zeigen, wo Sie sparen wollen, lesen wir doch in den Zeitungen wieder, daß alle vernünftigen Ansätze, die bisher in die Diskussion gebracht wurden, von Ihnen abgelehnt wurden.
Herr Abgeordneter Dr. Vohrer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Bockelberg?
Bitte schön!
Herr Kollege, würden Sie mir bitte einmal den Deckungsvorschlag der Koalition für die Investitionszulage nennen?
Herr von Bockelberg, wir sehen die gesamte Finanzierung im Zusammenhang mit dem Haushaltsstrukturgesetz und mit den steuerlichen Maßnahmen, die ja fast alle von Ihnen abgelehnt werden.
— Natürlich, Sie wollen die Mehrwertsteuererhöhung, die wir hier als eine Möglichkeit sehen, ablehnen.
— Wir sehen das aber politisch in einem Gesamtzusammenhang, Herr Jenninger. Sie greifen einzelne Punkte heraus und abstrahieren von der finanziellen Gesamtsituation. Von Ihnen kam ja übrigens jene stramme Bemerkung, daß Ansätze, in der Arbeitslosenversicherung Ausgaben an den Stellen einzusparen, wo unerwünschte Inanspruchnahmen festgestellt wurden, als soziale Demontage bezeichnet werden.
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15398 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Dr. VohrerSie lehnen damit jede vernünftige Einsparung in den Bereichen ab, wo notwendigerweise gespart werden muß.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten von Bockelberg?
Bitte schön!
Herr Kollege Dr. Vohrer, Ihnen ist doch bekannt, daß die Investitionszulage als gesondertes Gesetz vorgelegt worden ist. Ich darf Sie noch einmal fragen, welche Kosten im Vorblatt zu diesem Gesetzentwurf angegeben waren.
Ich werde auf die Kostensituation der beiden alternativen Entwürfe noch zu sprechen kommen. Ich kann Ihnen eines versichern, daß wir ausgabenwirksame Gesetze nicht vorschlagen würden, wenn wir das nicht im Zusammenhang mit Einsparungen im Haushalt und mit steuerlichen Mehreinnahmen sähen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Huonker?
Bitte schön!
Herr Kollege Vohrer, können Sie bestätigen, daß es sich bei den Ausgaben, die die Investitionszulage mit sich bringt, um einmalige Ausgaben handelt, während das sogenannte steuerrechtliche Alternativprogramm der Opposition dauerhafte Änderungen des Steuersystems bedeutet, und können Sie ferner bestätigen, daß z. B. die Forderung nach Verbesserung der degressiven Abschreibung, die hier genannt worden ist, völlig ungezielt mit der Gießkanne jenen Unternehmen zugute kommt, die ohnedies gut verdienen, weil nur derjenige abschreiben kann, der Gewinne erzielt, und nicht etwa jenen Unternehmen, die konkursgefährdet sind?
Zwischenfragen sollten eigentlich kurz sein.
So ist es, Herr Huonker. — Ich darf fortfahren.Die Freien Demokraten begrüßen die von ihnen schon lange geforderte Einführung des Verlustrücktrages als eine Erweiterung und Verbesserung des wirtschaftspolitischen Instrumentariums. Der im geltenden Recht bestehende Verlustvortrag auf einen Zeitraum von fünf Jahren reicht nach unserer Meinung nicht aus, die Nachteile der steuerlichen Gewinnermittlung bei einjähriger Periodenabgrenzung aufzuheben. Vom Verlustvortrag profitieren nur diejenigen Unternehmen, die bereits aus der Verlustzone wieder heraus sind. In der gegenwärtigen konjunkturellen Situation, die im Jahre 1975 von einem Exporteinbruch in Höhe von 40 Milliarden DM gekennzeichnet ist, wird durch die Einführung des Verlustrücktrags gerade den Unternehmen geholfen, die din meisten einer Unterstutzung bedürfen, gerade weil sie in die Verlustzone gerieten. Für diese Unternehmen bedeutet der Verlustrücktrag eine direkte Liquiditätshilfe, denn sie können Verluste aus dem Jahre 1975 in das Jahr 1974 rücktragen und mit den dort anfallenden Gewinnen verrechnen. Dadurch erhalten sie Steuerrückerstattungen. Diese Hilfe ist auch für Investitionen bedeutsam, bei denen zunächst nur Kosten anfallen und deren Erträge erst in Zukunft zu erwarten sind. Die Unternehmen besitzen durch die Möglichkeit des Verlustrücktrages eine Art Eigenkapitalreserve, die sie im Falle von Verlusten mobilisieren können.Die kurzfristige und konjunkturpolitische Intention bei der Einführung des Verlustrücktrages ist die schnelle Hilfe für Unternehmen, die in ihrer Liquidität bedroht sind. In diesem Zusammenhang ist der Verlustrücktrag als entscheidender Beitrag zur Sicherung und Anhebung des Beschäftigungsniveaus zu sehen.Die mittel- und langfristige Absicht, die zugleich eine steuersystematische Änderung darstellt, zielt auf die Beseitigung der Nachteile der derzeitigen Periodenbesteuerung hin. Der auf Dauer angelegte Verlustrücktrag entfaltet seine Wirkung auch in einer Phase der Hochkonjunktur, in der in Teilbereichen der Wirtschaft strukturelle Ertragseinbrüche auftreten können, die dann durch eine Besteuerung nach der heute geltenden Gewinnabgrenzung zu Liquiditätsengpässen führen müssen. Der vorgeschlagene Verlustrücktrag räumt mit diesen unerwünschten Auswirkungen auf und bringt Gewinnermittlungsvorschriften, die der strukturellen Problematik in stärkerem Maße angepaßt sind.In der Ausdehnung des Verlustrücktrages wie auch des geltenden Verlustvortrages auf alle Einkunftsarten sehen wir Freien Demokraten einen wesentlichen Schritt zur Verbesserung der Steuergerechtigkeit. Erstmals sind damit auch Arbeitnehmer in der Lage, steuerlich berücksichtigungsfähige Aufwendungen im Jahre 1975 trotz fehlendem steuerpflichtigen Einkommen beispielsweise auf Grund von Arbeitslosigkeit durch Rücktrag oder Vortrag bei Einkünften anderer Jahre wie Sonderausgaben abzusetzen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum Arbeitnehmer nicht die gleichen steuerlichen Erleichterungen erhalten sollen, wie sie anderen Steuerpflichtigen schon durch den Vortrag gewährt werden. Ich lege Wert auf die Feststellung, daß die Freien Demokraten keine einseitige Wirtschafts- und Steuerpolitik für die eine oder andere Gruppe betreiben, sondern immer auf die Ausgcwogenheit im Sinne einer sozialen Symmetrie be-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15399
Dr. Vohrerdacht sind. Dieses Anliegen wurde von der FDP immer wieder betont, und sie wird weiterhin für dieses Prinzip eintreten.Übrigens, Herr Kollege Schäuble, Sie meinten uns vorwerfen zu müssen, daß wir von der FDP die Einführung des Verlustrücktrages in böser Absicht unnötig hinausgezögert hätten. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß Sie in der Eile im Bundesratsentwurf diese Frage der sozialen Symmetrie übersehen haben und erst von uns darauf hingewiesen werden mußten. Bei der Verwirklichung Ihres Vorhabens hätten die Arbeitnehmer wieder einmal das Nachsehen gehabt.
Mit Recht hat die Mehrheit des Finanzausschusses die Forderung der Opposition nach einem Verlustrücktrag auf zwei Jahre zurückgewiesen. Die mit Ihrem Vorschlag verbundene Mehrarbeit hat meine Kollegin Huber geschildert. Was die Mehrbelastung der Verwaltung betrifft, können Veranlagungen für das Verlustjahr und für das vorangegangene Gewinnjahr oftmals in einem Arbeitsgang erledigt werden. Das Prinzip, das Sie uns immer wieder vorhalten, nämlich daß Finanzgesetze einfach und verwaltungstechnisch leicht zu handhaben sein sollten, wird von unserem Vorschlag wesentlich besser berücksichtigt; auf das rasche Greifen ist durch unseren Vorschlag, nach dem die Steuerpflichtigen zukünftig nur die Möglichkeit des Verlustrücktrages haben sollen, am ehesten gewährleistet. Wenn Sie den Verlustrücktrag als Wahlrecht sehen, dann ist die Möglichkeit der Soforthilfe nicht in dem Maße gegeben, wie es unser Vorschlag gewährleistet.
Auch der Forderung der Opposition, den Verlustrücktrag erstmals für das Jahr 1974 einzuführen, müssen wir widersprechen. Hier muß ebenfalls auf die erhebliche Mehrarbeit der Finanzverwaltung hingewiesen werden. Hinzu kommt als gewichtiges Argument auch die problematische Finanzierbarkeit, Herr von Bockelberg. Die beiden Oppositionsforderungen nach erstmaliger Anwendung für 1974 sowie Rücktrag auf zwei Jahre sind mit Steuermindereinnahmen von über 800 Millionen DM verbunden. Die Schätzungen des Bundesrates in Höhe von 450 Millionen DM erscheinen uns als viel zu niedrig gegriffen.Wir übersehen nicht die Möglichkeit, daß durch eine Verbesserung der Ertragslage der Unternehmen und einen Anstieg der Konjunktur in der Zukunft steuerliche Mehreinnahmen zu erwarten sind. Diese Erkenntnis hilft jedoch in der augenblicklichen Haushaltssituation nicht weiter. Die Kassenüberschüsse des Finanzministers Ende des Jahres 1975 dürfen nicht den Blick für die Tatsache verstellen, daß auch nach 1976 eine sehr hohe Schuldenaufnahme des Bundes notwendig ist.
Herr Abgeordneter Dr. Vohrer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Bockelberg?
Bitte schön!
Herr Kollege Vohrer, da Sie vorhin keine Antwort geben konnten, gestatten Sie, daß ich aus der Drucksache 7/2979 — Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Investitionen und Beschäftigung, eingebracht von SPD und FDP — zu den Kosten folgendes zitiere:
Bei der gegebenen Wirtschaftslage können jedoch die Anstoßwirkungen so hoch veranschlagt werden, daß sich über den gesamten Wirkungszeitraum für die öffentlichen Haushalte im ganzen keine Belastungswirkung ergeben dürfte.
Das ist ein Deckungsvorschlag.
Herr Abgeordneter von Bockelberg, ich habe starke Zweifel, ob man das noch als Frage bezeichnen kann, vor allem wenn ich an Ihren Schlußsatz denke.
Sie sind doch durchaus in der Lage, das auch anders zu formulieren.
Herr von Bockelberg, es geht hier um die Haushaltsauswirkung im Jahr 1976, und für 1976 ist die Lösung, die Sie hier vorschlagen, nicht zutreffend. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, diese Überschüsse — ich rede jetzt von den 75er-Überschüssen — zum Beweis dafür heranziehen, daß für den Bundeshaushalt nunmehr höhere Belastungen möglich seien, d. h. Ihre Vorschläge finanzierbar seien, dann führen Sie den Wähler aus wahltaktischen Gründen hinters Licht.
Denn gleichzeitig behaupten Sie doch, daß dieser Staat den Offenbarungseid zu leisten habe. Haben Sie denn diesen Widerspruch, der immer wieder in. den von Ihnen gemachten Vorschlägen steckt, noch nicht bemerkt?Und, Herr Kollege Schäuble, wo bleiben denn Ihre konkreten Finanzierungsvorschläge zu dem Gesamtpaket? Wenn Sie uns hier vorschlagen, daß wir gleichzeitig die degressive Abschreibung auf das Zweieinhalbfache des linearen Satzes bringen sollen, die Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen als Sonderausgaben einführen, eine mittelfristige Senkung der Vermögensteuern vornehmen, Steuererleichterungen im Rahmen des § 7 b des Einkommensteuergesetzes gewähren, den ganzen Katalog der Sonderabschreibung für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen verwirklichen, Investitionszulagen für diese Investitionen gewähren sowie Verzicht auf die Hinzurechnung von Dauerschulden und Dauerschuldzinsen bei der Gewerbesteuer einführen sollen, dann haben Sie damit ein riesiges Volumen an Steuer-
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15400 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Dr. Vohrermindereinnahmen aufgezeigt, ohne gleichzeitig entsprechende Deckungsvorschläge vorzulegen.
Herr Abgeordneter Dr. Vohrer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäuble?
Ja, wenn es zeitlich gutgeschrieben wird.
Ja, ich schreibe es Ihnen schon gut. Ihre Redezeit wird um rund fünf Minuten verlängert.
Herr Kollege Vohrer, da Sie mich nach unseren Deckungsvorschlägen gefragt haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, hier zuzugeben, daß ich, als ich vor 14 Tagen dieses Alternativprogramm hier vorgetragen habe, sehr streng zwischen kurz- und mittelfristigen Maßnahmen unterschieden habe, und ob Sie darüber hinaus nicht auch bereit sind, mir zuzugeben, daß für unser Alternativprogramm mindestens auch der Satz aus der Drucksache 7/2979 gelten würde, den die Koalition als Deckungsvorschlag für ihr Investitionszulagengesetz vorgetragen hat und den Herr von Bockelberg vorhin zitiert hat?
Wenn Sie das hier als mittelfristige Vorschläge unterbreiten, dann sollten Sie auch sagen, was Sie unter „mittelfristig" verstehen.
Wenn Sie das Wort „mittelfristig" im wirtschaftspolitischen Sinne nehmen, dann wäre das in vier, fünf Jahren. Dann sollten Sie aber auch den Unternehmern deutlich machen, daß ihre Vorschläge erst 1978 oder 1979 gelten sollen.
Aber dann helfen Sie doch überhaupt keinem Unternehmen aus der jetzigen konjunkturellen Situation heraus.
Eines steht doch fest: Sie haben hier alle Beiträge, die wir zur Konsolidierung der Staatsfinanzen vorgelegt haben,
konsequent abgelehnt
und hier lediglich Beiträge geliefert, die geeignet waren, das Defizit zu vergrößern.
Die Begrenzung des Verlustrücktrages auf 5 Millionen DM wird von der FDP als gezielte Hilfe für die mittelständische Wirtschaft begrüßt. Den kleinen und mittleren Unternehmen haben in der Regel nicht die Möglichkeiten zum internen steuerwirksamen Verlustausgleich. Aus diesem Grunde haben wir uns für diese Begrenzung entschieden, um den Nachteil dieser Unternehmensgruppe gegenüber den Konzernen und verschachtelten Unternehmen, die doch genügend Möglichkeit haben, Gewinne eines Betriebes gegen Verluste des anderen aufzurechnen, auszugleichen. Der gewaltige Einbruch der Exportnachfrage bringt aber gerade die kleinen spezialisierten Unternehmen in Schwierigkeiten. Wir haben hier einen Vorschlag gemacht, wie gezielt geholfen werden kann.Wir leisten auch einen Beitrag zur Stärkung in einem Unternehmensgrößenbereich,
dessen Bedeutung für die Erstellung des Sozialproduktes gerade an den Zahlen von Baden-Württemberg besonders deutlich aufgezeigt werden kann. Dort sind 15 000 der insgesamt 16 000 gewerblich produzierenden Betriebe mittelständische Betriebe. Hinzu kommen mehr als 100 000 Handwerksbetriebe und knapp 100 000 Unternehmen des Handels und Verkehrs. In ihnen ist die Hälfte aller Erwerbstätigen in Baden-Württemberg beschäftigt. Indem wir dieser Unternehmengruppe gezielt helfen, leisten wir nicht nur einen Beitrag zur Überwindung des Konjunkturtales und zur Sicherung der Arbeitsplätze in diesen Unternehmungen, sondern auch zur Stärkung des Wettbewerbes und damit zur Effizienz unserer Volkswirtschaft schlechthin.Zusammenfassend möchte ich feststellen: Die Koalitionsvorlage in der Fassung der Beschlüsse des Finanzausschusses ermöglicht eine schnelle Hilfe für Unternehmen, die von Verlusten bedroht werden. Sie leistet damit einen Beitrag zur Verbesserung der Investitionsfähigkeit, wodurch die Arbeitsplätze sicherer werden und im Zuge des Konjunkturaufschwungs auch zusätzliche Arbeitsplätze bereitgestellt werden können.
Die Hilfe kommt gezielt den mittelständischen Bereichen zugute. Dadurch wird der Wettbewerb, den wir als wesentliche Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit unserer Wirtschaftsordnung ansehen, gefördert. Die Finanzverwaltung wird mit den Vorschlägen, die wir hier vorlegen, nicht überfordert, so daß die Maßnahmen umgehend wirksam werden können. Die steuerlichen Ausfälle halten sich im Haushalt 76 in vertretbaren Grenzen. Der Gesetzentwurf berücksichtigt das Anliegen der sozialen Symmetrie. Das heißt, es wird den Anliegen der Arbeitnehmer und der Unternehmer Rechnung getragen.Aus diesen Gründen werden die Freien Demokraten der Vorlage in der Fassung, wie sie jetzt vom Finanzausschuß verabschiedet wurde, zustimmen.11.
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Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15401
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! In der Debatte ist überraschend auch die Frage der Investitionszulage noch einmal hochgekommen, über die wir ja damals hier diskutiert haben und auch mit unterschiedlichen Meinungen diskutiert haben, bevor wir sie verabschiedet haben. Ich möchte daher die Gelegenheit nützen, Sie davon zu unterrichten, daß das Ifo-Institut uns seinen Abschlußbericht vorgelegt hat. Wir hatten ja damals in der Debatte gesagt, wir wollen ein unabhängiges Institut beauftragen, die Wirkung dieser Investitionszulage zu begutachten.
— Ich wußte nicht, daß Herr Professor Ehmke beim Ifo-Institut beschäftigt ist.
— Nein, Präsident des Ifo-Instituts ist Herr Professor Hettlage, den Sie wahrscheinlich kennen und dessen politische Richtung Sie sicherlich auch kennen.
Ich will Ihnen nicht vorenthalten, was das IfoInstitut gesagt hat, weil ich es nicht uninteressant finde in einer Debatte, wie wir sie heute haben. Das Ifo-Institut kommt zu dem Ergebnis, daß, gewichtet mit dem Umsatz, 80 °/o der befragten Firmen in der verarbeitenden Industrie positiv auf die Investitionszulage reagiert haben. Das heißt, sie haben in dem Zeitraum vom 1. 12. 1974 bis zum 30. 6. 1975 Investitionsaufträge erteilt, die sie ohne Zulage nicht oder später erteilt hätten. Bei einer ersten Befragung im März 1975 war nur für 40 % der verarbeitenden Industrie eine positive Reaktion ermittelt worden. In der Zeit von März bis Juni hat also ein großer Teil der Firmen seine Investitionspläne offensichtlich entweder nach oben korrigiert oder vorgezogen. Es war ja die Diskussion, ob das gelingen würde oder nicht. Interessant ist bei der Ifo-Untersuchung, daß sie zu dem Ergebnis kommt, daß dies vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen zutreffe, die am Anfang des Jahres noch deutlich skeptischer geurteilt hätten, insgesamt aber die Investitionszulage dann positiv angenommen hätten.
— Ich habe im Moment lediglich einen Auszug vor mir liegen, der mir erst heute vorgelegt worden ist. Wir kommen aber noch zu ein paar konkreten Zahlen, Herr Abgeordneter. Ich erwähne das deswegen, weil wir damals sehr lange darüber diskutiert haben, ob die mittleren Unternehmen es überhaupt annehmen, ob sie überhaupt in der Lage sind zu investieren, ob es nur den großen Unternehmen zugute kommt. Darüber war ja hiereine sehr offene Aussprache. Ich möchte hier ohne jede Polemik und Schärfe sagen, was das jetzige Ergebnis ist. Bei den positiven Reaktionen handelt es sich nach Auskunft der Unternehmen insbesondere um zeitliches Vorziehen und zu einem kleineren Teil um zusätzliche Aufträge. Dabei sind die zusätzlichen, d. h. die über die ursprüngliche Planung hinausgehenden Aufträge — und das ist interessant — relativ stärker von kleineren Unternehmen plaziert worden. Das heißt, nach der Untersuchung haben die größeren mehr vorgezogen, die kleineren ihre eigentliche Investitionsplanung mehr nach oben korrigiert. Insgesamt schätzt das Ifo-Institut das zulagebegünstigte Auftragsvolumen — dies ist jetzt eine absolute Zahl — im Bereich der verarbeitenden Industrie — mehr habe ich im Moment nicht vor mir liegen — auf 26 Milliarden DM, so daß im Bereich der verarbeitenden Industrie eine Zulagenhöhe von 2 Milliarden DM in Frage kommt. Das ist das, was wir im Augenblick vorliegen haben. Ferner kann ich feststellen, daß das Auftragsloch, über das wir ja auch lange diskutiert haben, nach Auslaufen der Zulage im zweiten Halbjahr, wenn ich vom Monat August absehe, nicht eingetreten ist. Das war aber nicht anders zu erwarten.Interessant ist vielleicht noch eine Feststellung von Ifo: Das Institut kommt zu dem Ergebnis, daß ohne die Zulage der Investitionsrückgang der Industrie im vergangenen Jahr etwa doppelt so stark ausgefallen wäre wie mit der Zulage. Ich glaube, es ist heute nicht der Zeitpunkt der Bewertung; wir werden das bei der Diskussion des Jahreswirtschaftsberichts tun. Ich wollte aber nicht versäumen, diese Meinungen eines immerhin renommierten Instituts dem Hohen Hause zur Kenntnis zu bringen.Zum Verlustrücktrag: Herr Abgeordneter Dr. Schäuble, Sie haben — wie könnte das in einer Olympia-Woche anders sein — den Werdegang des Gesetzes mit Bezug auf eine Fraktion dieses Hauses mit Slalomlauf verglichen. Slalomlauf wird im Moment sicher sehr hoch bewertet nach den Ergebnissen der letzten Tage und mit Hoffnung auf den Freitag. Ich persönlich pflege mich in einer anderen Disziplin im Skisport zu betätigen, nämlich im Langlauf. Vielleicht gilt auch hier: Ausdauer hat sich auch in diesem Fall offensichtlich ausgezahlt. Jedenfalls sind wir ans Ziel gekommen, vielleicht nur mit Silber und nicht mit Gold; aber immerhin: Medaillen sind, egal aus welchem Material, hier etwas wert.
Ich möchte nur noch auf eines hinweisen, nämlich darauf: Wir sollten bei der Diskussion hier — die Abgeordnete der sozialdemokratischen Fraktion hat darauf mit Recht hingewiesen — nicht vergessen, daß es sich bei dem Verlustrücktrag nicht um eine einmalige Konjunkturmaßnahme handelt. Dies kann doch nicht das Ziel sein. Ich gebe zu, der Zeitpunkt ist konjunkturpolitisch richtig gewählt, ihn jetzt einzuführen. Aber das Ziel ist es doch, ihn als ein dauerhaftes Instrument zur Glättung der Steuerzahllast der mittleren und kleineren Unternehmen einzusetzen. Deswegen trägt das Gesetz am Ende auch zu einer Verstetigung des Konjunkturverlaufs bei.
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15402 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Bundesminister Dr. FriderichsIch betrachte es auch nicht als ein Trostpflästerchen nur für die mittleren und kleinen.Erlauben Sie mir, noch auf etwas hinzuweisen. Ich sehe diesen Gesetzentwurf — und, wie ich hoffe, ab heute dieses Gesetz — in einem Zusammenhang mit den übrigen Maßnahmen, die wir für diese Größenklassen durchgeführt haben. Ich möchte hier als Stichworte nur nennen die Aufstockung des ERP-Programms, die verstärkte Bereitstellung von Mitteln der Kreditanstalt für Wiederaufbau im Konjunkturprogramm vom Dezember 1974, die Konzentration der Mittel im ERP-Programm auf kleine und mittlere Unternehmen. Dementsprechend sieht ja auch der Entwurf des Plans 1976 eine Erhöhung des Mittelansatzes auf immerhin jetzt 657 Millionen DM vor. Und weil immer gefragt wird, ob eigentlich für die mittleren und kleinen Unternehmen etwas getan wird —: Dies ist schlicht und einfach eine Steigerung um 38 % gegenüber dem Vorjahr bei diesem einen Ansatz.Und wie sieht das Programm zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen vom August letzten Jahres aus, das durch seine spezielle Ausgestaltung vor allem kleine und mittlere Unternehmen im Bau-und Ausbaugewerbe angesprochen hat? Ich glaube, man muß das auch im Kontext sehen mit einer Verstärkung der Förderungsmittel, die die Bundesregierung seit 1970 vorgenommen hat. Ich möchte hier doch einmal ein paar Zahlen nennen:Die Mittel für die ERP-Programme zur Förderung von Investitionen kleiner und mittlerer Unternehmen stiegen von 342 Millionen DM im Jahre 1970 auf 457 Millionen DM im Jahre 1975. Wir haben in diesem Zeitraum, seit 1970, über 40 000 Kredite aus dem ERP-Vermögen an mittlere und kleine Unternehmen in einem Gesamtbetrag von 2,75 Milliarden DM zur Verfügung gestellt. Für die Maßnahmen zur Leistungssteigerung kleiner und mittlerer Unternehmen haben wir Haushaltsmittel von 1970 auf 1975 um 110 % erhöht, nämlich von 61,6 auf 127,3 Millionen DM. Das heißt, wir haben insgesamt in den fünf Jahren mehr als 570 Millionen DM eingesetzt. Auf die Förderung von Rationalisierung, Forschung, Entwicklung und Innovation entfielen 334 Millionen DM, auf die Förderung von Beratung, Information und Kooperation 149 Millionen DM, auf die Förderung der beruflichen Aus- und Weiterbildung von Unternehmen und Mitarbeitern noch einmal fast 87 Millionen DM.Ich glaube, man kann sagen, daß sich der Verlustrücktrag, so wie er jetzt beschlossen wird, hiermit in eine Summe vielfältiger Maßnahmen zugunsten mittlerer und kleiner Unternehmungen einreiht. Ich würde es nicht für richtig halten, ständig von der Katastrophe der mittleren und kleinen Unternehmungen zu sprechen. Die Untersuchungen über die Eigenkapitalstruktur dieser Unternehmungen im Vergleich zu der der Großindustrie ist nicht uninteressant.Meine Damen und Herren, seien wir doch ehrlich, es sind doch immer wieder mittlere und kleinere Unternehmungen, die nicht nur mit Innovationen, sondern auch mit Vorstößen in mittlere und größereGrößenordnungen als belebendes Element da sind. Ich glaube, wir sollten ihnen nicht durch eine permanente Schwarzmalerei den Mut zur unternehmerischen Betätigung nehmen, wenn sie selbst ihre Lage anders beurteilen.Die auf Unternehmensgrößen abgestellte Strukturpolitik steht jedoch nicht allein da. Sie ist nur ein Teil der gesamten Strukturpolitik. Hier werden wir allerdings auch am Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe festhalten.Ich möchte hier noch einmal offen sagen, daß wir eine Politik zur Konservierung von Strukturen — auch das wird häufig, auch aus dem Parlament, wobei ich gar keine Seite des Hauses ausnehmen will, vorgeschlagen —, die dann zu einer Schutzzaunpolitik führen würde, weiterhin ablehnen müssen; denn eine Konservierungspolitik auch in diesem Bereich bedeutet am Ende nichts anderes als die Vernichtung von Wachstumspotential und damit auch die Vernichtung in der Zukunft entstehender Arbeitsplätze.Alle Maßnahmen müssen doch darauf abzielen, die Wirtschaftsstruktur so anzupassen und weiterzuentwickeln, daß sich die Unternehmen auf ver- änderte Marktbedingungen einstellen können.Lassen Sie mich wegen einer öffentlich gewordenen Diskussion der letzten Tage hinzufügen: Das bedeutet nach meiner Überzeugung, daß die Steuerung der Strukturen durch den Markt erfolgen muß, nicht nur aus Effizienzgründen, sondern auch, um den Autonomiespielraum der am Wirtschaftsprozeß Beteiligten aufrechtzuerhalten. Im Rahmen der Strukturpolitik kann es deshalb nicht angehen, daß durch staatliche Maßnahmen bestimmt wird, in welchen Branchen und von welchen Unternehmen investiert wird, wann und in welchem Umfang Kapazitäten errichtet werden. Das ist in einem freiheitlichen Staat einzig und allein der Entscheidung des jeweiligen Unternehmens überlassen.
Ziel der Förderungspolitik der Bundesregierung muß es sein, Hilfen dazu zu geben, daß die Unternehmen in vollem Umfang in den Markt und in den Wettbewerb zurückkehren können, so daß sich der Staat nach Erreichen der Wettbewerbsfähigkeit auch wieder systematisch zurückziehen kann, also ein Ja zur Anpassungssubvention und ein Nein zur Erhaltungssubvention.
Nur, wenn wir diesen Weg der Steuerung der Strukturen über den Markt gehen, behält dieser seine Lenkungsfunktion, die im übrigen — und das ist ein Fehlschluß, der draußen häufig gezogen wird — nicht nur gegenwarts-, sondern auch zukunftsbezogen ist; denn in Angebot und Nachfrage kommen eben nicht nur kurzfristige Dispositionen, sondern
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15403
Bundesminister Dr. Friderichsauch längerfristige Erwartungen und Absichten zum Tragen.Wir haben im Jahreswirtschaftsbericht eine Art strukturpolitischer Bilanz gezogen und auch deutlich gemacht, daß wir uns nicht nur mit den sogenannten Selbstheilungskräften begnügen, so, als ob wir alles dem Zahn der Zeit allein überlassen wollten.Nein, wir werden auch weiterhin, vor allem zur Förderung des technologischen Fortschritts, zur Erhöhung der Mobilität der Produktionsfaktoren spezielle Maßnahmen ergreifen und regional und sektoral Friktionen, die zu unerwünschten gesamtwirtschaftlichen Folgen oder zu unzumutbaren Härten führen könnten, entgegenwirken.Die Antwort der Bundesregierung auf die verstärkten Anforderungen des strukturellen Wandels kann allerdings auch in Zukunft nicht in einer branchenbezogenen Wachstumspolitik liegen. Lassen Sie mich hinzufügen: Eine solche Politik würde einen hohen Grad an Treffsicherheit für längerfristige Branchenprognosen voraussetzen. Diese können wir nicht hinreichend genau geben. Deshalb besteht die Gefahr, daß durch solche Vorgaben Fehlinvestitionen am tatsächlichen Bedarf vorbei provoziert würden. Letztendlich könnte das nur in einem beschleunigten Interventionsprozeß des Staates enden. Meine Damen und Herren, ein Blick über unsere Grenzen, auch zu Partnern in der Gemeinschaft, die ein solches System bevorzugen, kann mich nicht zur Nachahmung verleiten. Die Bundesregierung wird auf die strukturellen Herausforderungen nicht mit einem staatlichen Eingriff in die einkommenspolitischen Entscheidungen der autonomen Gruppen antworten. Vielmehr ist es primär Sache der Tarifpartner, die Zusammenhänge zwischen einer branchenmäßig wenig differenzierten Arbeitskostenentwicklung und dem Verlust von Arbeitsplätzen in strukturell schwachen Branchen zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ebenso wie in gesamtwirtschaftlicher Sicht kann der Einfluß der Einkommenspolitik der autonomen Gruppen für die Wirtschaftsentwicklung nicht übersehen werden. Die Einkommensentwicklung ist nicht einseitig abhängig von der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung, sondern die Einkommensentwicklung und -verteilung ist zugleich und vor allem auch eine Determinante des Wirtschaftswachstums und damit der Gesamtbeschäftigung. Die Bundesregierung wird deshalb ihre bisherige Politik der globalen Beeinflussung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und der besonderen strukturellen Abfederung weiterhin fortsetzen. Beides geschieht mit dem Ziel, eine nachhaltige Verbesserung des Beschäftigungsniveaus bei gleichzeitigen weiteren Fortschritten in der Preisstabilisierung zu erreichen.Es kann nicht bestritten werden, meine Damen und Herren, daß in den vergangenen Jahren der einzelwirtschaftliche Finanzierungsspielraum durch die Verschlechterung der Ertragslage der Unternehmen eingeengt worden ist. Eine Verbesserung der Ertragserwartungen ist deshalb mittelfristig aus beschäftigungspolitischen Gründen unumgänglich.
Da es aus stabilitätspolitischen Gründen aber nach wie vor notwendig bleibt, die Kostenüberwälzungsspielräume begrenzt zu halten, muß die Entlastung von der Kostenseite her kommen. Nicht zuletzt deshalb entscheiden wir heute über den Verlustrücktrag. Gleichzeitig kann allerdings nicht der Beitrag übersehen werden, der von der Einkommens- und Preisentwicklung für die Wiedergewinnung und Aufrechterhaltung eines angemessenen Wachstumspfades geleistet werden muß, und zwar jetzt und in den kommenden Jahren.Ich danke dem Parlament und seinen Ausschüssen, daß es dieses eine Element zügig beraten hat, daß es sich in die Reihe anderer Maßnahmen einfügt und damit dazu beiträgt, mittelfristig eine bessere Wachstumsvoraussetzung zu schaffen.
Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Schlußabstimmung in dritter Lesung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimme. Enthaltungen? — Keine Enthaltung. Einstimmig angenommen.
Ich muß nun noch über den Gesetzentwurf auf Drucksache 7/3667 abstimmen lassen. Es wird in Ziffer 2 des Ausschußantrags vorgeschlagen, ihn abzulehnen. Wer für die Ablehnung ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? -- Die Ablehnung ist mit Mehrheit beschlossen.
Die eingegangenen Petitionen sollen für erledigt erklärt werden. — Ich höre keinen Widerspruch. Das ist auch beschlossen.
Ich rufe nun Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung — Strafvollzugsgesetz (StVollzG)
— Drucksache 7/4662 —
Berichterstatter: Minister Dr. Schwarz
Wir kommen zunächst zu einer mündlichen Ergänzung des schriftlichen Berichts durch den Berichterstatter. An Stelle des verhinderten Berichterstatters spricht der Abgeordnete Dürr als Berichterstatter. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Strafvollzugsgesetz liegt Ihnen mit der Drucksache 7/4662 der Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses vom 28. Januar 1976 vor. In Vertretung des schleswig-holsteinischen Justizministers Herrn Dr. Schwarz, der an der Berichterstattung verhindert ist, habe ich die Ehre, Ihnen zur Erläuterung das Folgende vorzutragen.
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15404 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
DürrZu dem von dem Hohen Hause am 6. November 1975 beschlossenen Strafvollzugsgesetz hat der Bundesrat am 28. November 1975 den Vermittlungsausschuß angerufen. Dieser Ihnen mit Drucksache 7/4378 mitgeteilten Entschließung lagen vornehmlich finanzielle Erwägungen zugrunde. Die Länder sahen sich bei der bekannten angespannten Haushaltslage nicht imstande, das Gesetz in der am 6. November 1975 beschlossenen Fassung auszuführen. Die Länder verweisen darauf, daß auch niemand übersehen könne, von welchem Zeitpunkt ab mit einer grundlegenden Verbesserung der Finanzverhältnisse gerechnet werden könne. Nach ihrer Auffassung kann das dem Gesetz zugrunde liegende Reformkonzept nur schrittweise verwirklicht werden, wobei vermieden werden müsse, schon heute gesetzliche Pflichten für künftige Zeitpunkte festzulegen, ohne daß man wisse, ob zu gegebener Zeit die Erfüllung der Pflichten möglich sein wird.Die auf diesen Erwägungen beruhenden Wünsche des Bundesrats zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes sind zusammengefaßt folgende. Hinsichtlich des Arbeitsentgelts für die Gefangenen, dessen Einführung nach dem Gesetz in drei Stufen vorgesehen ist, soll lediglich die ersten Stufe — unter ersatzloser Streichung der weiteren — zum 1. Januar 1977 wirksam werden. Die Einbeziehung der Gefangenen in die Sozialversicherung soll unbefristet zurückgestellt werden. Ferner soll nach dem Wunsch des Bundesrats eine Reihe kostenträchtiger Vorschriften gewissermaßen entschärft werden, z. B. durch Umwandlung in Soll- oder Kann-Vorschriften. Schließlich sollen die Anforderungen an bereits vorhandene Vollzugsanstalten in den Übergangsvorschriften weiter ermäßigt werden.Wegen der Einzelheiten verweise ich auf die Gründe, die zur Anrufung des Vermittlungsausschusses geführt haben. Die auf finanziellen Erwägungen beruhenden Änderungsvorschläge sind in der Drucksache 7/4378 unter Nr. 1 der Anrufungsgründe zusammengefaßt.Der Vermittlungsausschuß vermag sich grundsätzlich den finanziellen Bedenken des Bundesrats nicht zu verschließen, ist allerdings den dargestellten Änderungswünschen nur zum Teil gefolgt.Aus dem Bereich der Sozialversicherung kommt der Einbeziehung der Gefangenen in die Arbeitslosenversicherung im Hinblick auf die soziale Eingliederung nach der Haftentlassung vorrangige Bedeutung zu. Der Ausschuß empfiehlt daher, die einschlägigen Vorschriften zum 1. Januar 1977 in Kraft zu setzen und das Wirksamwerden der weiteren sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften einer späteren Entscheidung des Gesetzgebers vorzubehalten.In bezug auf das Arbeitsentgelt folgt der Ausschuß in der Sache dem Bundesrat, hält es jedoch für angebracht, in dem einschlägigen § 200 zum Ausdruck zu bringen, daß mit der Einführung des Arbeitsentgelts in Höhe einer Eckvergütung von 5 % der Bezugsgröße der Reichsversicherungsordnung lediglich ein erster Schritt getan wird mit derNotwendigkeit, zum Ablauf des Jahres 1980 über eine Anhebung dieser Vergütung zu entscheiden.Den in den Anrufungsgründen unter Nr. 1 Buchstaben a) bis g) zu einer Reihe kostenträchtiger Vorschriften geäußerten Wünschen des Bundesrats, den zwingenden Charakter dieser Bestimmungen zu beseitigen, ist der Ausschuß im wesentlichen nicht gefolgt. Dem Verlangen nach Ermäßigung der Übergangsforderungen an bestehende Anstalten nach § 201 ist, wie aus Nr. 1 g der Beschlüsse des Ausschusses ersichtlich ist, teilweise Rechnung getragen worden.Die nach allem nach Auffassung des Vermittlungsausschusses bei den gegenwärtigen Verhältnissen unumgänglichen Abstriche von dem ursprünglichen Gesetzgebungsvorhaben sind von der Sache her außerordentlich zu bedauern. Sie berühren jedoch nicht das dank der gründlichen Beratungen im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform unter den Beteiligten — mit Einschluß der Landesjustizverwaltungen — erzielte Einvernehmen über das grundsätzliche Reformkonzept und die bei der Weiterentwicklung des Strafvollzugs einzuschlagende Richtung.Die vom Bundesrat vorgebrachten Änderungswünsche, die nicht auf Kostenerwägungen beruhen, betreffen fachtechnische Einzelfragen verschiedener Art, ohne in das Gesamtkonzept des Gesetzes einzugreifen. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen, im wesentlichen diesen Wünschen Rechnung zu tragen, wie aus den Nummern 2 bis 35 der Anlage des Ihnen vorliegenden Antrags des Vermittlungsausschusses hervorgeht.Was die Einzelbegründungen angeht, so verweise ich auf die entsprechenden Anrufungsgründe des Bundesrates in der Drucksache 7/4378. Nrn. 2 bis 36 a. Der Ausschuß ist den in der zuletzt erwähnten Drucksache unter den Nrn. 20 b, 33 und 36 b aufgeführten Änderungswünschen nicht gefolgt und hat den Vorschlag unter Nr. 34 nur mit Einschränkung übernommen.Dabei verdient das unter Nr. 36 b vorgebrachte Anliegen eines besonderen Hinweises. Der Bundesrat hatte zu § 189 gebeten, bei der Neufassung des § 10 der Justizverwaltungskostenordnung für die auf strafrechtlicher Grundlage in psychiatrischen Krankenhäusern und in Entziehungsanstalten untergebrachten Personen eine Regelung zu treffen, die es abweichend von den für Strafgefangene geltenden Vorschriften gestattet, die Erhebung der Unterbringungskosten an die Verhältnisse solcher Patienten anzugleichen, die nach Landesrecht zwangsweise untergebracht sind. Der Ausschuß erachtet zwar den besonders von ärztlicher Seite betonten Gesichtspunkt der Gleichbehandlung der Patienten in einem Krankenhaus für bedeutsam. Die kostenmäßige Gleichbehandlung wäre jedoch gegenwärtig nur im Wege einer Schlechterstellung der nach dem Strafgesetzbuch untergebrachten Personen im Vergleich zu den Strafgefangenen in einer Justizvollzugsanstalt zu erreichen. Der Ausschuß sieht darin keine befriedigende Lösung und empfiehlt, es bei der im Strafvollzugsgesetz vorgesehenen Neufas-
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Dürrsung des § 10 der Justizverwaltungskostenordnung zu belassen, die sich in der erörterten Frage an das geltende Recht anschließt. Unabhängig davon bleibt allen verantwortlichen Stellen die Aufgabe gestellt, sich außerhalb des Strafvollzugsgesetzes weiterhin um eine Lösung der aufgezeigten Probleme in psychiatrischen Krankenhäusern zu bemühen.Zur redaktionellen Fassung der Anlage zum Antrag des Ausschusses in Drucksache 7/4662 darf ich zusätzlich noch auf folgendes hinweisen. Bei der Absetzung des Einigungsvorschlages ist übersehen worden, daß die Ziffern 11 und 12 des § 190 die gesetzliche Unfallversicherung für Gefangene betreffen. Diese erstreckt sich schon heute auf die Gefangenen. Die Ziffern 11 und 12 stellen die redaktionelle Anpassung an das Arbeitsentgelt her und müssen daher ebenfalls am 1. Januar 1977 in Kraft treten. In Nr. 1 d letzter Satz der Anlage zum Antrag muß es daher heißen: „ ... § 190 Nrn. 1 bis 10, 13 bis 18, § 191 bis 193 — Sozialversicherung —."Für den Vermittlungsausschuß bitte ich das Hohe Haus, eine Änderung des Strafvollzugsgesetzes nach Maßgabe des Ihnen schriftlich vorliegenden Antrages vom 28. Januar 1976 mit der soeben vorgetragenen Berichtigung zu beschließen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Der Vermittlungsausschuß hat beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über sämtliche Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Grundlage ist der Antrag Drucksache 7/4662 einschließlich der soeben erfolgten mündlichen Berichtigung. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Dann ist es einstimmig so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Förderung von Wohnungseigentum und Wohnbesitz im sozialen Wohnungsbau
— Drucksache 7/4663 —
Als Berichterstatter hat Herr Abgeordneter Jahn das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Gesetz zur Förderung von Wohnungseigentum und Wohnbesitz im sozialen Wohnungsbau hat der Bundesrat am 30. Mai 1975 den Vermittlungsausschuß mit dem Ziel angerufen, in sechs Punkten eine Änderung des Gesetzes herbeizuführen. Diesem Begehren ist der Vermittlungsausschuß in seiner Sitzung am 12. Juni 1975 in zwei Punkten gefolgt. Der Deutsche Bundestag hat den Vorschlägen am 19. Juni 1975 zugestimmt. Demgegenüber hat der Bundesrat am 11. Juli 1975 beschlossen, dem Gesetz nicht zuzustimmen. Die Bundesregierung hat dann am 28. Juli 1975 erneut die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangt. In seiner Sitzung am 17. Oktober 1975 hat sich der Vermittlungsausschuß wiederum mit der Vorlage befaßt. Dabei wurde im wesentlichen dem Anrufungsbegehren des Bundesrates entsprochen. Ich verweise dazu auf die Bundestagsdrucksache 7/4180. Der Bundestag ist den Vorschlägen des Vermittlungsausschusses auch in seiner Sitzung am 24. Oktober 1975 gefolgt. Dagegen hat der Bundesrat am 7. November 1975 beschlossen, dem Gesetz nicht zuzustimmen.
Durch den Deutschen Bundestag ist der Vermittlungsausschuß am 26. November 1975 erneut angerufen worden. Der Vermittlungsausschuß hat Ihnen hiermit den aus der Drucksache 7/4663 ersichtlichen Vermittlungsvorschlag vorgelegt. Er sieht vor, daß bereits mehr als die Hälfte der Wohnbesitzberechtigten und nicht, wie bisher vorgeschlagen, 60 °/o die Umwandlung des Wohnbesitzes in Wohnungseigenturn verlangen kann. Das Übertragungsverlangen kann erstmals nach Ablauf von sieben Jahren, nicht erst nach zehn Jahren, wie bisher vorgeschlagen, seit Bezugsfertigkeit der Wohnbesitzwohnungen gestellt werden. Eine Wiederholung ist erforderlichenfalls erst nach Ablauf von zwei Jahren möglich.
Nach Ansicht des Vermittlungsausschusses ist damit ein Kompromiß gefunden, der es auch dem Bundesrat erlaubt, dem Gesetz endgültig zuzustimmen. Ich bitte, dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses in diesem Hause zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich erteile das Wort zu Erklärungen, zuerst dem Abgeordneten Waltemathe.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Opposition und ihr Sprecher Dr. Jahn werden zweifellos so tun, als hätten sie dem Wohnbesitzbrief zum Durchbruch und dem Wohnungseigentum und Wohnbesitz im sozialen Wohnungsbau zum Gesetz verholfen. Sicherlich würde es zu weit führen, die negative Haltung zu diesem Gesetz und den programmierten Zickzackkurs zwischen Opposition dieses Hauses und den Unions-regierten Ländern chronologisch darzustellen.Nach zwei Vermittlungsverfahren und der Ablehnung dieses Gesetzes durch die CDU/CSU im Bundesrat am 7. November 1975 glaubte die Opposition, dieses Gesetz endlich begraben zu können. Sie war peinlich berührt, als die SPD/FDP-Koalition am 28. November 1975 im Bundestag ein drittes Vermittlungsverfahren begehrte. Denn uns war und ist dieses Gesetz so wichtig, daß wir die Möglichkeiten des Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes voll ausgeschöpft haben. Sie sahen sich nur in der Lage, sich der Stimme zu enthalten.Nun, ob endlich gut wird, was lange währt, mag unterschiedlich beurteilt werden. Sicher ist aber,
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Waltemathedaß die endgültige Verabschiedung eines wohnungs- und vermögenspolitisch wichtigen Gesetzes besser ist als ein Boykott durch Gesetzgebungsorgane. Die sozialliberale Koalition sieht sich deshalb heute darin bestätigt, daß es richtig war, wenn der Bundestag das Gesetz zur Förderung von Wohnbesitz und Wohnungseigentum im sozialen Wohnungsbau nach dreimaliger Ablehnung des Bundesrates nicht hat fallen lassen. Die am 28. November 1975 von diesem Hause beschlossene erneute Anrufung des Vermittlungsausschusses hat sich gelohnt.Wir haben immer hervorgehoben, daß uns die erleichterte Vermögensbildung von Wohnungssuchenden im sozialen Wohnungsbau ein hervorragendes Anliegen ist, das es noch in dieser Legislaturperiode durchzusetzen gilt. Dabei gehen Sozial-und Freie Demokraten davon aus, daß für große Teile der Bevölkerung grundbuchlich eingetragenes Eigentum am Eigenheim oder an einer Wohnung ein erstrebenswertes Ziel der sicheren Wohnungsversorgung ist. Diesem Ziel dienen die Priorität der öffentlichen Mittelvergabe und die erst durch dieses — heute erneut anstehende — Gesetz zu schaffenden Erleichterungen der Aufbringung von Eigenkapital. Dabei soll künftig für kinderreiche Familien und junge Ehepaare bereits eine Eigenleistung von 10 °/o der Herstellungskosten genügen, um zu eigenen vier Wänden zu kommen. Der Mietkauf wird ebenso ermöglicht wie das Nachsparen noch nicht vorhandener Einzahlungsgelder.Über diese künftig geltenden allgemeinen Verbesserungen hinaus war und ist die sozialliberale Koalition der Auffassung, daß auch Bürger, die kein Eigentum erwerben können oder wollen, die Möglichkeit erhalten sollten, über die Mietzahlung für eine Sozialwohnung zu eigener Vermögensbildung beizutragen. Deshalb sind wir für die neue Rechtsform des Wohnbesitzes eingetreten. Der Sozialmieter kann ein Dauerwohnrecht, verknüpft mit einem konkreten Vermögensbeteiligungspapier, erwerben. Er erhält dann sämtliche Steuervergünstigungen und Bausparprämienvorteile, die sonst nur Eigentümer geltend machen können. Der Deutsche Mieterbund hat bei seiner eigenen Wohnbesitzanlage in Köln errechnet, daß durch Abschreibungsvorteile und Steuerersparnisse der Wohnbesitzer einer 77 qm großen Wohnung um ca. 170 DM monatlich weniger belastet ist als ein bloßer Mieter. Die Wohnbesitzwohnung wird in gleicher Höhe gefördert wie eine Eigentumswohnung. Schon aus diesen kurz angedeuteten Gründen lohnt sich die Verabschiedung des Gesetzes.Die strittige Frage, welche Schwelle für die Umwandlung von Wohnbesitz in grundbuchlich eingetragenes Eigentum gelten soll, war für die SPD und für die FDP zu keiner Zeit eine dogmatische Frage, sondern immer ein Problem des Minderheitenschutzes, des Schutzes derjenigen Wohnbesitzer, die kein Eigentum wollen und deshalb einer Umwandlung nicht zustimmen. Der Vorschlag des Vermittlungsausschusses ist zwar aus unserer Sicht nicht ideal, aber akzeptabel, nachdem eine Wartefrist für das Umwandlungsverlangen gesetzlich vorgeschrieben werden soll. Die Praxis des Wohnungsmarktes wirdzeigen müssen, ob sich die neue Rechtsform einesMittelweges zwischen Miete und Eigentum bewährt.Namens der sozialliberalen Koalition danke ich dem Vermittlungsausschuß für seinen Vorschlag und insbesondere für die Einstimmigkeit, die erwarten läßt, daß nunmehr auch Opposition und Bundesrat die Vorlage akzeptieren werden. Selbstverständlich werden die Fraktionen der SPD und der FDP in diesem Hause dem Vermittlungsvorschlag zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Jahn .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gebe ich zur Abstimmung folgende Erklärung ab.Geduld, Geradlinigkeit und Standfestigkeit sind Tugenden, die sich auch in der Politik auszahlen. Die dreimalige Anrufung des Vermittlungsausschusses brachte die SPD zur Einsicht, die FDP zur Vernunft und der CDU/CSU das Verdienst, für unsere sozial schwachen Bürger im Lande eine Lanze gebrochen zu haben.
Wir, wir allein haben es durchgesetzt, daß der Wohnbesitzbrief zur Durchgangsstufe zum privaten Eigentum ausgestaltet wird, was Sie, meine Damen und Herren von der SPD und der FDP, in allen Beratungen des Ausschusses und selbst noch bei der ersten Anrufung des Vermittlungsausschusses kategorisch abgelehnt haben.Der Wohnbesitzbrief wurde also zur Durchgangsstufe. Sieben Jahre nach Bezugsfertigkeit der Wohnbesitzwohnungen können 51 °/o der am Fonds beteiligten Wohnbesitzberechtigten für alle Wohnbesitzberechtigten die Umwandlung ihrer Wohnbesitzwohnung in eine Eigentumswohnung verlangen. Die CDU/CSU — ich sage das noch einmal — hat sich durchgesetzt. Wir sagten: Wer 15 °/o der Bausumme der Wohnung, die er bewohnen will, neben der Kostenmiete auf den Tisch legen soll, dem muß auch eine reelle Chance eingeräumt werden, echtes privates Eigentum an seiner Wohnung zu begründen.Dank des gesunden Menschenverstandes unserer Kleinverdiener stieß die Haltung der SPD und FDP zunächst auf Widerspruch. Die sozial schwach gestellten Bürger klagten: ich zahle mein erspartes Geld, aber Herr in der eigenen Wohnung werde ich nicht. Der Apfel „Wohnbesitzbrief" im Sinne Ihres Modells, meine Damen und Herren von der SPD und der FDP, war uns zu rot. Er schmeckte uns einfach nicht. Es steckte der Wurm drin. Deshalb haben wir nach einer besseren Lösung gesucht.Meine Damen und Herren, ich darf für unsere Fraktion heute vier Punkte feststellen.
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Dr. Jahn
Erstens. 51 % der Wohnungsbaumittel sollen künftig zum Bau von Eigenheimen und eigengenutzten Eigentumswohnungen verwendet werden. Dies haben wir alle miteinander gemeinsam beschlossen.Zweitens. CDU und CSU haben durchgesetzt: Die breite Streuung privaten Eigentums bleibt selbständiges, im Gesetz verankertes Ziel des Zweiten Wohnungsbaugesetzes.Drittens. CDU und CSU haben mit Erfolg darauf bestanden, daß die Wohnungsbauförderung in erster Linie den Interessen unserer Bürger und nicht denen der Wohnbaugesellschaften zu dienen hat. Wir sagten deshalb ja zum Wohnbesitzbrief, nicht aber zu den Präferenzen, die dieses Modell nach den Vorstellungen der Koalition haben sollte. SPD und FDP wollten den Wohnbesitzbrief mit absolutem Vorrang vor dem herkömmlichen privaten Mietwohnungsbau in die öffentliche Förderung einbeziehen. Dieser Giftzahn ist nun ebenfalls gezogen.Viertens und letztens. CDU und CSU haben erreicht, daß SPD und FDP auf den gebotenen Kurs der Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung eingeschwenkt sind. Wer neben der Kostenmiete 15% der Baukosten der Wohnung, die er selbst bewohnt, auf den Tisch legt, erhält nunmehr siehen Jahre nach Bezugsfertigkeit einen Rechtsanspruch auf Umwandlung der Wohnbesitzwohnung in eine Eigentumswohnung, wenn die Mehrheit der am Fonds beteiligten Wohnbesitzberechtigten dies wünscht. Die CDU/CSU hat es erreicht: auch durch Wohnbesitzbrief zum Volleigentum.Trotz mancher weiterer Bedenken gegenüber dem Wohnbesitzbrief sagen wir: Unsere Mindestforderungen, die wir von Anfang an bei den Beratungen an dieses Gesetz gestellt hatten, sind erfüllt. Die Verbesserungen des Gesetzes sind unser Werk; dies nehmen wir für uns in Anspruch. Die Federn gehören daher nicht an den sozialliberalen, sondern an den christlich-demokratischen Hut.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die CDU/CSU stimmt den Vorschlägen des Vermittlungsausschusses zu.
Werden weitere Erklärungen abgegeben? — Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung. Es ist nur eine einzige Änderung vorgeschlagen. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 7/4663 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Stimmenthaltungen? — Keine Enthaltung. Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich komme zu Punkt 4 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zur Abgabenordnung (AO 1977)
Drucksache 7/4664 -
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Becker
Das Wort als Berichterstatter hat Herr Abgeordneter Dr. Becker .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesrat hat am 18. Dezember 1975 beschlossen, zu der vom Bundestag am 27. November 1975 verabschiedeten Abgabenordnung den Vermittlungsausschuß anzurufen, um eine Abänderung des Gesetzesbeschlusses in insgesamt acht Punkten zu erreichen.Der Vermittlungsausschuß hat das Anrufungsbegehren in seiner Sitzung vom 28. Januar dieses Jahres beraten. Er schlägt in der Ihnen vorliegenden Drucksache 7/4664 eine Abänderung in insgesamt nur fünf Fällen vor.In Ziffer 1 seines Anrufungsbegehrens hatte der Bundesrat zu § 3 Abs. 4 begehrt, daß das Aufkommen aus den Säumniszuschlägen wie bisher verwaltenden Körperschaften zufließen soll. Demgegenüber sieht der Gesetzesbeschluß vor, daß die Säumniszuschläge ebenso wie das Aufkommen der Zinsen den jeweils steuerberechtigten Körperschaften zustehen sollen.Von seiten des Bundesrates ist im Anrufungsbegehren geltend gemacht worden, daß die Gleichstellung der Säumniszuschläge mit dem Aufkommen aus Zinsen einer Berechtigung entbehre; durch die Säumniszuschläge würden zu einem erheblichen Teil Aufwendungen abgegolten, die der Steuerverwaltung als Folge der Säumnisse entstünden. Bei der Beratung dieser Frage im Vermittlungsausschuß wurde von Vertretern des Bundesrates ergänzend darauf hingewiesen, daß nach der bisherigen Rechtsprechung Zinsen und Säumniszuschläge unterschiedlich behandelt worden seien, wodurch die Erwägungen des Bundestages in steuersystematischer Hinsicht entkräftet würden.Der Vermittlungsausschuß hat sich unter Berücksichtigung der Haushaltsinteressen der Länder einstimmig für das Begehren des Bundesrates entschieden, das heißt, er schlägt vor, es hinsichtlich der Säumniszuschläge bei der bisher geltenden Praxis zu belassen.Ziffer 2 des Anrufungsbegehrens des Bundesrates hatte eine Änderung des § 27 zum Ziel, um aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung Zuständigkeitsvereinbarungen zwischen den verschiedenen Finanzbehörden auch ohne Zustimmung der Betroffenen zu ermöglichen. Dieses Anrufungsbegehren ist im Vermittlungsausschuß nicht aufgegriffen worden. Der Vermittlungsausschuß hat sich also auf die Seite der Steuerzahler gestellt.In Ziffer 3 der Anrufung hatte der Bundesrat zu § 61 Abs. 3 begehrt, daß bei dem nachträglichen Wegfall des gemeinnützigen Zwecks von Körperschaften die entsprechenden begünstigenden Steuerbescheide in weiterem Umfang nachträglich geändert werden können, soweit sie Steuern betreffen, die innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre vor der Änderung der Bestimmung über die Vermögensbindung entstanden waren. Damit soll insbesondere Mißbräuchen bei der Inanspruchnahme von Steuerbegünsti-
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Dr. Becker
gungen begegnet werden. Der Vermittlungsausschuß hat sich hier — und zwar wiederum einstimmig —dem Anrufungsbegehren des Bundesrates angeschlossen und schlägt eine entsprechende Neufassung des § 61 Abs. 3 Satz 2 vor.Ziffer 4 des Anrufungsbegehrens betrifft die Haftung des Erwerbers eines Betriebes für bestimmte Steuerschulden, die seit dem Beginn des letzten vor der Übereignung des Betriebes liegenden Kalenderjahres entstanden sind. § 75 sieht hierzu eine Festsetzungsfrist von nur einem Jahr vor, damit der Betriebsübernehmer möglichst bald die Höhe der Steuern kennt, für die er in Anspruch genommen werden kann. Der Bundesrat hat hier die Ausdehnung der Festsetzungsfrist auf zwei Jahre verlangt. Dieses Anrufungsbegehren fand im Vermittlungsausschuß nur geringe Unterstützung, so daß hinsichtlich des § 75 keine Änderung des Gesetzesbeschlusses vorgeschlagen wird.Ziffer 5 des Anrufungsbegehrens des Bundesrates hat zum Ziel, durch Änderung des § 110 Abs. 2 Satz 1 die Frist für Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprechend der Regelung in anderen Rechtsgebieten aus Gründen der Rechtseinheit auf zwei Wochen und nicht auf einen Monat festzulegen. Bei der Beratung im Vermittlungsausschuß wurde zugunsten der Gesetzesfassung u. a. geltend gemacht, daß die sonst geltende ZweiWochen-Frist Gerichtsverfahren betreffe, während es hier um ein Verwaltungsverfahren bei den Finanzämtern gehe, so daß eine besondere Regelung durchaus gerechtfertigt sei. Das Anrufungsbegehren des Bundesrates fand keine Mehrheit, so daß es auch insoweit bei der bisherigen Gesetzesfassung des Bundestages geblieben ist.In Ziffer 6 und 7 hatte der Bundesrat eine Änderung des § 163 Abs. 3 und des § 227 Abs. 3 verlangt. Damit sollte insbesondere sichergestellt werden, daß für diese Sachbereiche ergehende Richtlinien der Bundesregierung der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Da diesem Anrufungsbegehren unterschiedliche Auffassungen des Bundesrates und der Bundesregierung hinsichtlich der Auslegung des Artikels 107 Abs. 7 des Grundgesetzes zugrunde liegen, einigte sich der Vermittlungsausschuß darauf, jeweils den Absatz 3 zu streichen, so daß die jeweiligen Rechtsstandpunkte unberührt bleiben. Das gilt auch für § 234 Abs. 4.Schließlich hatte der Bundesrat in Ziffer 8 seiner Anrufung zu § 234 insbesondere verlangt, daß bei der Einkommen-, Körperschaft-, Umsatz-, Grund-und Gewerbesteuer im Gegensatz zu sonstigen Steuern keine Stundungszinsen erhoben werden sollen. Dies wurde damit begründet, daß bei den genannten Veranlagungssteuern die Zinserhebung eine zu große Verwaltungsbelastung mit sich bringe. Bei der Beratung im Vermittlungsausschuß wurde zugunsten der Gesetzesfassung geltend gemacht, daß aus Gründen der steuerlichen Gleichbehandlung die Regelung der vom Bundestag beschlossenen neuen Abgabenordnung beibehalten werden solle. Dem hat sich die Mehrheit des Vermittlungsausschusses angeschlossen.Ich darf noch darauf hinweisen, daß der Vermittlungsausschuß beschlossen hat, daß über seine Vorschläge gemeinsam abgestimmt werden soll.Namens des Vermittlungsausschusses darf ich bitten, den Änderungsvorschlägen zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich möchte an den Herrn Berichterstatter eine Frage richten. Bei Ziffer 3 heißt es: „Zu § 164 Abs. 3." Darunter steht: „§ 163 Abs. 3 wird gestrichen." Es handelt sich aber doch wohl in beiden Fällen um denselben Paragraphen?
Es muß also auch in der Überschrift „§ 163" heißen. Gut, dann wird das berichtigt.
Ich danke noch einmal dem Herrn Berichterstatter. Wir kommen nunmehr zur Abgabe von Erklärungen. Als erster der Abgeordnete Meinike, bitte sehr!
— Im allgemeinen geht es nach der Stärke der Parteien.
— Vorhin wurde sogar eigens darum gebeten, den SPD-Redner zuerst sprechen zu lassen. Ist der Abgeordnete Dr. Becker bereit, als erster zu sprechen? — Bitte sehr! Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dr. Becker (Mönchengladbach) als Redner.
Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat mich gebeten, zu diesem Vorschlag des Vermittlungsausschusses folgende Erklärung zur Abstimmung abzugeben.Die CDU/CSU-Fraktion hatte in der zweiten Lesung der Abgabenordnung die Verzinsung bei Stundung von Steuern nach § 234 des Entwurfs abgelehnt. Sie setzt sich für den Vorschlag des Bundesrates, bei den wichtigsten Steuern Stundungszinsen nicht zu erheben, ein. Sie will nicht ausgerechnet den Steuerzahlern, für die nach § 222 der Abgabenordnung die Einziehung erwiesenermaßen eine erhebliche Härte bedeutet, Zinsen auferlegen. Seit 1935 sind alle rückständigen Steuern zinsfrei. Das wurde vom Bundestag im Jahre 1961 auch nochmals bestätigt. Der wichtigste Grund ist: Vereinfachung und Entlastung der Verwaltung. Diese Mollvation gilt nach Auffassung der Verwaltung, der wir uns hier anschließen, unverändert.
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Dr. Becker
Da über die Vorschläge des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 7/4664 nur geschlossen abgestimmt werden kann, lehnt meine Fraktion den Vermittlungsvorschlag insgesamt ab.
Nunmehr nimmt der Abgeordnete Meinike das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es mußte, glaube ich, erst erkennbar werden, ob es in diesem Punkt keine gemeinsame Basis gibt, von der man eigentlich hätte ausgehen können, nachdem der Bundestag am 27. November 1975 in dritter Lesung diese Abgabenordnung einstimmig angenommen hat.
Davon sind wir bislang ausgegangen. Das ist auch der Grund für das Zögern, eine Erklärung abzugeben, die nicht notwendig gewesen wäre, wenn diese gemeinsame Zustimmung auch heute im Parlament erkennbar gewesen wäre. Aber auch in der Politik und in der Gesetzgebung gibt es gelegentlich Unverständliches. Bisweilen gelingt es dabei noch, in die Nähe des Verständnisses zu kommen. Nur muß ich Ihnen sagen, Herr Kollege Becker: für das heutige Verhalten der Opposition fehlt mir beim besten Willen jegliches Verständnis,
nachdem Sie am 27. November 1975 nicht nur dieser Abgabenordnung gemeinsam mit uns zugestimmt, sondern sie fast als einen Fortschritt auf dem Wege einer Reform des Steuerrechts gefeiert haben.
Es muß unbegreiflich bleiben, Herr Dr. Häfele, daß Sie über Nacht die Blockierung der Abgabenordnung hier erreichen wollen,
um so mehr, Herr Kollege Dr. Häfele, als die Einwendungen des Bundesrates — diese acht genannten Punkte — nicht Ihre Einwendungen waren, die Sie in zweiter Lesung vor zehn Wochen hier vorgetragen haben. Ihre beiden Anträge hielt nicht einmal die CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat für wert, als Grundlage für das Vermittlungsverfahren aufgegriffen zu werden. Beide Anträge hat der Bundesrat nicht aufgegriffen und nicht unterstützt.
Der Bundesrat hat den Vermittlungsausschuß aus eigener Initiative in acht Punkten angerufen, die nicht deckungsgleich mit dem sind, was Sie vor zehn Wochen hier haben ändern wollen. Bei diesen Beratungen im Vermittlungsausschuß ist eine abgewogene Lösung gefunden worden. Es ging um zwei sicherlich wichtige politische Fragen. In der Abgewogenheit eines Kompromisses hat man sich, wie ich meine, darauf verständigt, dem Anliegen
der Länder Rechnung zu tragen, die Säumniszuschläge — sprich: 40 Millionen DM — zugunsten der Länder zu verändern, und dafür dann mit Mehrheit die Bereitschaft bekundet, daß dafür demnächst Stundungszinsen auch von den Steuern erhoben werden, die wir, glaube ich, als gerechtfertigt ansehen. Auch hinsichtlich der Umsatzsteuerrückstände, d. h, hinsichtlich von Steuerbeträgen, die der Steuerschuldner treuhänderisch vom Verbraucher bereits eingenommen hat, lehnen Sie es heute auf einmal wieder ab, daß dafür Stundungszinsen gezahlt werden sollen. Wir halten diese Stundungszinsenregelung für einen ersten Schritt auf dem Weg der doch auch von Ihnen bejahten Vollverzinsung.
Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie grundsätzlich für eine Vollverzinsung eintreten, d. h. auch Zinsen für Steuernachzahlungen vor dem Fälligkeitstermin erheben wollen, dann erscheint es mir logisch, den ersten Schritt mit uns zu gehen, doch wenigstens für die Steuerfestsetzungen, die fällig sind und gestundet werden, Zinsen zu bezahlen.
Insoweit, meine ich, bleibt das hier unbegreiflich.
Die SPD begrüßt den Kompromißvorschlag des Vermittlungsausschusses. Wir werden diesem Vorschlag hier unsere Zustimmung geben.
Abschließend habe ich die Bitte an Sie, die ich auch deshalb äußern darf, weil die Beratungen der Abgabenordnung im Unterausschuß, im Fachausschuß von hervorragender Sachlichkeit getragen waren, an diesem Punkte eines von uns allen gewünschten Gesetzes nicht einen Versuch zu wagen, der die Abgabenordnung nicht treffen sollte.
Meine Damen und Herren, da es sich um die Abgabe von Erklärungen handelt, sind Zwischenfragen nicht möglich. Der Gang der Beratung, bei der ein Redner nach dem anderen in bestimmter Reihenfolge, die nicht die übliche ist, sprechen will, zeigt, daß die Auffassung richtig ist, daß sich Erklärungen von Reden eigentlich nur durch zwei Dinge unterscheiden: durch eine größere Kürze und dadurch, daß man keine Zwischenfragen stellen kann.
Meine Damen und Herren, wünscht noch jemand eine Erklärung abzugeben? — Das ist nicht der Fall.Dann komme ich zur Abstimmung. Es muß, wie der Berichterstatter festgestellt hat, gemeinsam über die fünf Änderungen — mit der vorhin bekanntgegebenen Berichtigung abgestimmt werden.Wer dem Bericht des Vermittlungsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung mit Mehrheit beschlossen.
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Vizepräsident Dr. JaegerDamit sind die Berichte des Vermittlungsausschusses erledigt.Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes
— Drucksache 7/4328 —Bericht und Antrag des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform— Drucksache 7/4529 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Eyrich Abgeordneter Lambinus
Ich danke den Berichterstattern, den Abgeordneten Dr. Eyrich und Lambinus, für ihren Bericht. Eine mündliche Ergänzung ist wohl nicht notwendig.Dann, meine Damen und Herren, komme ich zur zweiten Beratung und rufe die Art. 1, 2, 3, 4, 5, Einleitung und Überschrift, auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. Es ist so beschlossen.Wir kommen zurdritten Beratung.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Lambinus.
- Es geht immer in der Reihenfolge der Fraktionen.Nachdem die Regierung nicht gesprochen hat,spricht üblicherweise die stärkste Fraktion. WollenSie nicht sprechen, Herr Abgeordneter Lambinus?— Sie stehen auf der Liste an erster Stelle. — Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst darf ich denjenigen Kollegen der CDU/CSU, die in letzter Minute den Meinungsumschwung in ihrer Fraktion zu diesem Gesetz zustande gebracht haben, recht herzlich danken. Ich glaube, hier hat letztlich auch einmal bei Ihnen die Vernunft gesiegt.
Ich habe nie verstanden, aus welchen Gründen sich die Vertreter der Opposition im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform bis zuletzt gegen die Streichung des § 13 des Bundeszentralregistergesetzes gewehrt haben. Die darin enthaltene Registrierungspflicht der nach Landesrecht zwangsuntergebrachten psychisch Kranken und Suchtkranken war nach unserer Auffassung rehabilitationsfeindlich und ungerecht; rehabilitationsfeindlich deshalb, weil das Wissen von der Eintragung sich gerade bei diesen betroffenen Personen negativ auf den Heilungsprozeß auswirkt. Nicht ohne Grund waren alle Ärzteverbände, aber auch die Sozial- und Gesundheitspolitiker quer durch alle Fraktionen seit langer Zeit der Auffassung, daß § 13 des Bundeszentralregistergesetzes ersatzlos zu streichen sei. Hier darf ich nur an die einstimmigen Beschlüsse der Gesundheitspolitischen Kommission der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft erinnern. Ungerecht war die bisherige Regelung deshalb, weil sie in der Praxis zu einer unterschiedlichen Behandlung der betroffenen Kranken führte. Ein aus „sogenanntem guten Hause" kommender Suchtkranker beispielsweise hat es in aller Regel nicht auf eine Zwangseinweisung ankommen lassen. Er ließ sich in aller Regel freiwillig behandeln. Also wurde er nicht registriert. Eine Frau mit einer kurzzeitigen Schwangerschaftspsychose, die in der Regel eine Zwangseinweisung notwendig machte, war trotz hundertprozentiger Heilung lebenslänglich im Bundeszentralregister verewigt. Außerdem ist die Einweisungspraxis in den einzelnen Ländern so unterschiedlich, daß Bleichgelagerte Fälle im Bundesland X zur Eintragung, im Bundesland Y nicht zur Eintragung führten. Ein kleines Beispiel: In Hessen sind 49,3 °/o aller Behandelten zwangseingewiesen, in Baden-Württemberg nur 6,4 °/o aller Behandelten. Dieses Problem ist mit der Streichung des § 13 dieses Gesetzes erledigt.
Wir sind darüber hinaus der Auffassung, daß es keine kriminalpolitische Begründung für die Beibehaltung dieser Regelung gibt. Wir glauben, daß die Streichung des § 13 dieses Gesetzes angewandter Datenschutz für Kranke ist.
Die übrigen Bestimmungen dieses Entwurfs waren unumstritten; ich brauche deshalb darauf nicht näher einzugehen. Meine Kollegen der SPD-Fraktion
und ich darf dies zugleich für die Kollegen von der FDP erklären - werden der vorliegenden Ausschußfassung zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Eyrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht hier bei der Beratung der Änderung des Bundeszentralregistergesetzes im Grunde genommen darum, zu versuchen, einen Ausgleich zwischen der Forderung nach der Möglichkeit der Resozialisierung, wie es auch Herr Kollege Lambinus zu Recht gesagt hat, und dem Interesse der Sicherheit der Allgemeinheit zu finden. In der Tat kann eine angemessene Tilgungsfrist dazu beitragen, die Wiedereingliederung zu ermöglichen oder mindestens zu erleichtern. Es ist auch zwischen allen Fraktionen unbestritten, daß wir jede Möglichkeit zur Erleichterung der Resozialisierung und der Wiedereingliederung wahrnehmen sollen. Andererseits und das ist der Zielkonflikt — darf das auf Sicherheit gerichtete Interesse der Allgemeinheit nicht außer acht gelassen werden. Genau dieser Interessengegensatz war es auch, der uns im Ausschuß bewogen hat, über zwei Vorschriften — wovon Herr Kollege Lambinus eine hier genannt hat — eine längere Diskussion zu führen.
Den Gründen, die Sie genannt haben, Herr Kollege Lambinus, die dann schließlich zu der Mehrheitsentscheidung im Ausschuß geführt haben nämlich den § 13 des Bundeszentralregistergesetzes er-
Dr. Eyrich
satzlos zu streichen, können wir uns anschließen. Allerdings tun wir dies unter großen Bedenken. Ich kann mich noch sehr gut an die zweite und dritte Beratung dieses Gesetzes in der 6. Legislaturperiode erinnern. Damals hat die Ausschußmehrheit einschließlich der Opposition immer wieder darauf hingewiesen, daß die Ermittlungsbehörde ein gewisses Interesse hat, zu wissen, ob jemand bereits zwangsweise untergebracht war oder nicht. Auf der anderen Seite hat es auch damals nicht an dem Hinweis gefehlt, daß es — Sie haben das heute zu Recht betont — den Heilungsprozeß dieser Menschen erschweren könnte, wenn sie wissen, daß sie im Register eingetragen sind.
Der erstere Gedanke war es, der uns im Ausschuß bewogen hat, der Streichung des § 13 nicht zuzustimmen. Wenn wir heute zustimmen, dann deswegen, weil wir auch von den Kollegen, die im gesundheitspolitischen Arbeitskreis unserer Fraktion tätig sind, immer wieder darauf hingewiesen wurden, daß es eben doch notwendig sei, die therapeutischen Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Wir verbinden mit unserer Zustimmung die Hoffnung, daß die Streichung des § 13 nicht teilweise zum Nachteil des Betroffenen ausschlägt. Denn darüber kann kein Zweifel sein: Die Eintragung in das Bundeszentralregister war doch auch ein Stück weit Schutz für den psychisch Kranken, weil er dadurch in vielen Fällen davor bewahrt blieb, daß ein Ermittlungsverfahren über ihn hereinbrach oder gar noch ein gerichtliches Verfahren abgespult werden mußte, bis die Erkenntnis kam, daß ihm die Bestimmung des damaligen § 51 Abs. 1 — des jetzigen § 20 — des Strafgesetzbuches zur Seite steht.
Der zweite Punkt — den Sie nicht erwähnt haben — war die Frage, ob wir in Zukunft, wie es dem Vorschlag des Bundesrates entsprach, nicht nur den Gerichten und Staatsanwaltschaften sowie den obersten Bundes- und Landesbehörden, sondern auch den Verkehrsbehörden, die über die Erteilung und den Entzug von Fahrerlaubnissen zu entscheiden haben, ein unbeschränktes Auskunftsrecht geben sollten. Im Grundsatz kann es durchaus vertretbar sein, auch den Verkehrsbehörden solche Rechte einzuräumen. Da bei der Erteilung von Fahrerlaubnissen unbestritten zwischen allen unbestritten auch die charakterliche Eignung eine nicht zu unterschätzende Bedeutung hat, ist der Wunsch des Bundesrates verständlich.
Der Ausschuß hat sich schließlich dazu entschlossen, dem Vorschlag der Bundesregierung zuzustimmen, dem § 50 einen Absatz 2 anzufügen, wonach eine frühere Tat fürderhin in einem Verfahren berücksichtigt werden darf, das die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat, wenn die Verurteilung wegen dieser Tat in das Verkehrszentralregister einzutragen oder eingetragen war. Dies geschah aus der Erkenntnis, daß es gerade bei der Erteilung einer Fahrerlaubnis oder deren Entzug wichtig ist, und zwar im eindeutigen Interesse der anderen Verkehrsteilnehmer, also im Interesse der Mehrzahl der Bürger, daß die Behörde auch nach längerer Zeit noch davon Kenntnis bekommt, welche Umstände möglicherweise gegen die
Erteilung einer Fahrerlaubnis sprechen könnten. Daß diese Auskunft darauf beschränkt wird, daß die frühere Verurteilung in das Verkehrszentralregister eingetragen oder einzutragen war, wird zwar nicht allen wünschenswerten Anforderungen gerecht, scheint jedoch ausreichend zu sein.
Unter diesen Voraussetzungen und bei Deutlichmachung gewisser Bedenken gegen die so gefundene Regelung werden wir der Vorlage zustimmen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Anbetracht der zwischen den Fraktionen zustande gekommenen Einigung beschränke ich mich darauf, für die Bundesregierung diese Einigung zu begrüßen und allen sehr herzlich zu danken, die daran mitgewirkt haben, daß der Entwurf heute endgültig im Bundestag verabschiedet werden kann.
Das Haus dankt, glaube ich, einmütig dem Herrn Bundesjustizminister für die Kürze seiner Darlegungen. Dann wird wahrscheinlich auch niemand mehr das Wort ergreifen. Ich kann also die Aussprache schließen und zur Schlußabstimmung kommen.
Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Dann ist das Gesetz einstimmig beschlossen.
Ich komme damit zu Punkt 17 der Tagesordnung:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes
— Drucksache 7/4601 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Wird der Gesetzentwurf begründet? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Halfmeier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hinter der nüchternen Bezeichnung dieses Gesetzentwurfs — „Änderung des Bewertungsgesetzes" — verbirgt sich der Versuch, jungen und weniger bekannten bildenden Künstlern eine gewiß dringend notwendige Hilfe zuteil werden zu lassen. Der Künstlerbericht der Bundesregierung, der uns seit einem Jahr vorliegt, hat bekanntlich in erschreckender Weise die einfach nicht mehr zu verantwortende wirtschaftliche und soziale Situation des größten Teils unserer Künstler und Autoren offengelegt. Wenn das Existenzminimum für viele dieser Menschen schon ein Wunschtraum ist, dann, meine Damen und Herren, kann dies in einem Land, das sich doch nicht nur als Rechtsstaat, sondern auch als Sozialstaat und Kulturstaat versteht, nicht länger tatenlos hingenommen werden.
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15412 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
HalfmeierDieses Problembewußtsein ist in letzter Zeit seit der Vorlage des Künstlerberichts in erfreulicher Weise gewachsen. Ich glaube, wir sind in diesem Hause alle darin einig, daß jeder von uns aufgerufen ist, sich in seinem Verantwortungsbereich dieser Frage anzunehmen, und daß wir uns gemeinsam diesem Problem stellen müssen. Für parteipolitische Scharmützel ist dies kein Feld.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat im vergangenen Jahr eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe Kultur-Sozialpolitik eingesetzt, die sich schwerpunktmäßig mit der sozialen Sicherung der Künstler und Autoren beschäftigt und ein Modell für eine umfassende Renten- und Krankenversicherung der Künstler und Autoren durch Bundesgesetz entwikkelt hat. Dem hat auch der Bundeskanzler seine Unterstützung bereits zugesagt. Gestern hat der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft den Künstlerbericht in dritter Lesung beraten und diesen Vorschlag in seine Empfehlungen an den federführenden Ausschuß aufgenommen, so daß nun damit gerechnet werden kann, daß erste gesetzgeberische Konsequenzen aus dem Künstlerbericht konkrete Gestalt gewinnen.Die Empfehlungen an den federführenden Ausschuß enthalten darüber hinaus aber auch die Feststellung, daß Änderungen im Steuerrecht notwendig sind, um die Auftragslage der Künstler und Autoren zu verbessern. Darauf zielt auch der uns hier vorliegende Entwurf, der die Befreiung sogenannter junger Kunst von der Vermögensteuer wiederherstellen möchte.Meine Damen und Herren, es ist zu begrüßen, daß die Länder mit diesem Gesetzentwurf ihre Bereitschaft zum Ausdruck bringen, auf ihnen allein zustehende Steuereinnahmen zu verzichten. Aber man muß auch davor warnen, zu große Erwartungen für die Verbesserung der Situation unserer bildenden Künstler daran knüpfen. Die Länder wissen genau, daß ihr Einnahmeausfall nur sehr gering sein wird und überhaupt nicht nennenswert ins Gewicht fällt.Nach Angaben der Berufsverbände werden überhaupt nur einige hundert Sammler junger Kunst in der Bundesrepublik durch dieses Gesetz betroffen und begünstigt. Nur etwa 60 °/o dieser Begünstigung entfällt davon auf junge deutsche Kunst, da ausländische Kunst bekanntlich gleich behandelt werden muß und ebenfalls unter dieses Gesetz fällt. Da bleibt weiß Gott nicht mehr viel, von dem man hoffen könnte, daß es eine Belebung der Auftragslage und eine Erweiterung des viel zu eng gewordenen Marktes für junge deutsche Kunst bewirken könnte. Das aber ist das Kernproblem. Dem sollten wir uns bei der Behandlung dieses Gesetzentwurfs im Finanzausschuß mit allem Ernst zuwenden; denn die Zeit drängt. Die wirtschaftliche Lage der bildenden Künstler hat sich seit der Vorlage des Künstlerberichts noch deutlich verschlechtert. Die Künstler erwarten voller Ungeduld, aber mit Recht Maßnahmen von uns, die wirksam sind und an der richtigen Stelle ansetzen. Ob dies durch Begünstigungen im Einkommensteuergesetz geschehen sollte, muß ernsthaft geprüft werden.Sehr erwägenswert erscheint mir die Überlegung, analog der Sparprämie etwa eine „Förderprämie Junge Deutsche Kunst" oder nach dem Modell des Berlin-Förderungsgesetzes Vergünstigungen in diesem Bereich zu gewähren. Darüber hinaus bedarf es sicher eines ganzen Bündels von Maßnahmen, um die wirtschaftliche und soziale Lage der Künstler und Kulturschaffenden in unserem Lande wirksam zu verbessern.Die Bundesregierung hat angekündigt, daß sie in Kürze ein Programm abgestimmter Maßnahmen vorlegen wird. Wir gehen davon aus, daß die Überlegungen der Bundesregierung in die Beratungen dieses Gesetzentwurfs mit einfließen können. Es ist zu wünschen, daß dieser Gesetzentwurf dabei in seinem Stellenwert noch verbessert werden kann.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird dem Überweisungsvorschlag zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kreile.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Monaten, wenn nicht seit Jahren reden die politischen Parteien, redet dieses Parlament, dikutieren wir alle in Podiumsdiskussionen von der und über die Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage der Künstler. Es werden Pläne für eine Einbeziehung der Künstler in die Rentenversicherung entworfen. Darüber wird nächste Woche hier gesprochen werden. Der Bundeskanzler macht bei einer Preisverleihung, die ihm gegolten hat, Andeutungen, daß jetzt etwas geschähe. Geschehen aber ist bisher nichts.
Doch es ist höchste Zeit, daß den Worten auch Taten folgen; sonst kommen wir zu spät. Deutlich hat dies dieser Tage ein Künstler ausgedrückt in einer, wie ich hoffe, nicht nur mich quälenden Form. Er meinte nämlich, all die Überlegungen der Politiker zur Schaffung von fiktiven Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung, um den Künstlern einmal zu einer Rente zu verhelfen, gingen ins Leere, wenn die Maler, die Bildhauer und Graphiker nicht jetzt, nämlich hier und heute, so viele Aufträge bekämen, daß sie überhaupt derzeit davon leben können. Die Rente für Künstler sei das Problem für diejenigen, die diese Rente überhaupt erlebten. Jetzt sei es aber an der Zeit, eine Situation zu schaffen, daß Aufträge gegeben werden könnten.
Um Taten also geht es. Der hier vorliegende Gesetzentwurf des Landes Baden-Württemberg und der anderen CDU/CSU-regierten Länder, die kunst-und kulturfeindlichen Restriktionen des Vermögensteuergesetzes 1974 zu beseitigen, zielt darauf ab. Die Zielsetzung ist ganz deutlich: Es geht um die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der selbständigen bildenden Künstler in Deutschland, und es geht um die Förderung der zeitgenössischen Kunst. Man fragt sich ohnehin, wie es geschehen konnte, daß eine vernünftige, kunst- und kultur-
Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15413
Dr. Kreile
freundliche Bestimmung, wie sie im alten Vermögensteuergesetz enthalten war, nämlich daß Kunstgegenstände, wenn sie von deutschen Künstlern geschaffen wurden, die noch leben oder nicht länger als 15 Jahre verstorben sind, von der Vermögensteuer und damit auch von der Erbschaftsteuer frei wurden, im Zuge der Steuerreform, die doch die sozialen Aspekte berücksichtigen wollte, wegfiel.
Man fragt sich des weiteren, wie die ab 1974 geltende Bestimmung, daß nämlich diese Bilder, Grafiken und Lithographien wie Geschäftsanteile an Kapitalgesellschaften oder wie Hochseeyachten und Brillanten also wie Luxusartikel — bewertet werden, gerechtfertigt werden konnte und noch kann. Ein Volk wie das deutsche, das auf seine kulturelle Vergangenheit stolz ist, hat nur dann das Recht zu diesem Stolz, wenn es weiß und sich danach verhält, daß Kunst kein Luxus ist;
wenn es ferner weiß, daß Kunst zum Leben gehört, daß es die Aufgabe der Gesellschaft und damit auch die Aufgabe des Staates ist, für Künstler die Voraussetzung zu schaffen, daß diese ihre Kunst — und ihre Kunst ist auch unsere — gestalten können.
Der Antrag, daß rückwirkend zum 1. Januar 1974 alle Werke lebender und nicht länger als 15 Jahre verstorbener in- und ausländischer Künstler von der Vermögensteuer freigestellt werden, kann eine solche Hilfe darstellen. Er kann mithelfen, wieder Rahmenbedingungen zu geben, in denen die Kunst gedeihen kann. Was wir hier wollen, ist ganz klar: Wir wollen ein unsinniges Ergebnis einer auch in vielen anderen Hinsichten nicht sehr sinnvollen Steuerreform in die richtige Richtung rückgängig machen. Wenn dieser Paragraph nicht verschwindet, wie dies eine treffliche Kolumne im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ausgedrückt hat, dann verschwindet alle namhafte gegenwärtige Kunst in Deutschland noch vor den nächsten Wahlen.
Es nützt nicht, Künstlerbund und Künstlergewerkschaften zu fördern, einen Künstler-Report erstellen zu lassen, ein Folgerecht zu beschließen, den Künstlern Honorare für ausgestellte Werke zu versprechen, wenn man die einzige ökonomische Grundlage der bildenden Kunst, nämlich den Kauf eines Kunstwerks, nahezu unmöglich oder zunichte macht.
Nun ist es im Interesse der Kunst — und nur dieses sollte für die parlamentarische Auseinandersetzung maßgebend sein, nicht aber fiskalische Interessen — erfreulich, daß die CDU/CSU mit ihren Forderungen nach Vermögensteuerfreiheit der modernen Kunst offenbar nicht ganz allein steht. Mit großer Befriedigung habe ich von dem Sprecher der SPD — ich muß allerdings sagen: zum erstenmal in diesem Kontext — gehört, daß man sich diesem Anliegen nicht ganz verschließt.
Auch von seiten der FDP wurde durch eine Rede in
Berlin beim Kolloquium „Kunst und Staat" des
Deutschen Künstlerbunds signalisiert, daß auch sie
die Vermögensbesteuerung für Kunstwerke noch lebender oder nicht länger als 15 Jahre verstorbener Künstler nicht für gerechtfertigt hält. Doch ebenso haben der Bundesfinanzminister und manche andere SPD-Abgeordnete ihren Standpunkt beteuert, daß diese Vermögensbesteuerung der modernen Kunst bestehen bleiben müsse.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Halfmeier?
Herr Kollege Dr. Kreile, wenn Sie nun schon meinen, parteipolitischen Honig daraus saugen zu müssen, möchte ich Sie fragen, warum Sie seinerzeit bei der Beratung im Ausschuß Ihre Stimme nicht gegen diese Bestimmung im neuen Vermögensteuergesetz und in der Änderung des Bewertungsgesetzes erhoben haben. Damals wurde einstimmig votiert.
Das Vermögensteuergesetz, die sogenannte Vermögensteuerreform wurde im Rahmen des Vermittlungsverfahrens im Wege eines Kompromisses einstimmig beschlossen, mit dem man manches hinnehmen und bei dem man sich auch vornehmen mußte, manches wieder zu korrigieren. Wir haben es hier mit einem Punkt zu tun — ich habe das seinerzeit bereits im Finanzausschuß gesagt —, der einer Korrektur bedarf. Es ist ein kleiner Punkt, aber ein für eine kleine, wichtige Gruppe in unserem deutschen Vaterland ganz entscheidend wichtiger Punkt. Herr Kollege Halfmeier, ich habe mit großer Freude festgestellt, daß auch Sie offenbar der Meinung sind, daß wir damals nicht ganz richtig beschlossen haben. Ich würde mich freuen, wenn es hier mit Ihrer Stimme zu einer Änderung dieser — ich wiederhole es noch einmal — unsinnigen Vermögensbesteuerung der modernen Kunst käme.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Halfmeier?
Herr Dr. Kreile, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich mich keineswegs so ausgedrückt habe, sondern durchaus meine Zweifel daran zum Ausdruck gebracht habe, daß allein mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf den Künstlern zu helfen ist, denen wir gemeinsam helfen wollen.
Dies nehme ich auf Ihre Frage hin erstens gern zur Kenntnis. Zweitens aber bedauerte ich es, wenn ich Sie vorhin dahin gehend falsch verstanden hätte, daß Sie sich der Zielrichtung dieses Gesetzentwurfes nicht verschließen wollen. Andere aus den Reihen der SPD, die in der Öffentlichkeit hierzu Erklärungen abgegeben haben, haben sich dieser Zielrichtung in der letzten Zeit
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15414 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
Dr. Kreileaber verschlossen. Erlauben Sie mir daher, auf die Argumente, die viele Sozialdemokraten in dieser Hinsicht vorgetragen haben, etwas näher einzugehen.Erstens: Das Hauptargument der Sozialdemokraten für die Vermögensbesteuerung der modernen Kunst ist, die Vermögensteuerfreiheit für Bilder, Plastiken und Graphiken sei eine Begünstigung der Sammler. Man ging so weit, um nicht zu sagen, man verstieg sich dazu, von einer „Flucht in die künstlerischen Sachwerte" zu sprechen, die zu unterbinden sei. Was für eine kunstfremde, tern der Wirklichkeit stehende Einstellung spricht hieraus! Weiß man denn nicht, daß gerade die bildende Kunst nur bestehen kann, wenn es Menschen gibt, die persönlich bereit sind, für ein Werk der bildenden Kunst etwas zu bezahlen, nämlich den Künstler zu bezahlen? So wichtig die von Staat und Gemeinden unterhaltenen Museen sind, so wichtig es ist, daß die Etats jetzt in der Zeit dieser Finanznot nicht in unerträglicher Weise gekürzt werden, nämlich zu Lasten der lebenden Künstler, so bedeutsam es also ist, daß der Staat und die Gemeinden ihre Kunstförderung aufrechterhalten, so wichtig ist es auch, daß es den lebendigen Zusammenhang zwischen Künstler und Kunstsammler gibt. Dieser kann durch nichts ersetzt werden.Der Kunstsammler ist nicht, wie es das denunziatorische Wort von der „Flucht in die künstlerischen Sachwerte" suggeriert, ein Spekulant. Man hängt sich als Sammler Bilder nicht als blue chips, als eingerahmte Aktien an die Wand, sondern um die lebendige Beziehung zum Kunstwerk zu haben. Diese lebendige Beziehung wird aber durch die Besteuerung empfindlich gestört.Da hilft auch das zweite Argument nichts, bei der Vermögensteuerreform seien ja die Freibeträge wesentlich erhöht worden. Man trägt hier vor, einer vierköpfigen Familie — zwei Ehegatten und zwei Kinder — würden viermal 70 000 DM, also insgesamt ein Freibetrag in Höhe von 280 000 DM eingeräumt. Wer so argumentiert, vergißt völlig, daß diese Freibeträge nicht einmal ausreichen, um die inflationäre Entwicklung, die eingetreten ist, einigermaßen abzufangen.Wenn man sich schon mit dem immer wieder zu hörenden Argument auseinandersetzen muß, die Vermögensteuerbefreiung für moderne Kunst begünstige im Grunde genommen nur die Reichen, so muß gegenüber einer solchen ideologisierenden Argumentation festgehalten werden: Das Sammeln moderner Kunst, das Sammeln moderner Graphiken und Plastiken ist kein Privileg für die Reichen, es ist vielmehr die Leidenschaft kunstsachverständiger und kunstliebender Menschen, die bereit sind, Beträge, die sie sonst für eine Urlaubsreise ausgeben, für eine Lithographie auszugeben, die bereit sind, auf die Wiederanschaffung eines Mittelklassewagens vielleicht ein oder zwei Jahre länger zu warten und sich für diesen Betrag eine Plastik in die Wohnung zu stellen. Wer das dann einige Jahre getan hat, wer mit Glück, Liebe zur Kunst und Kunstverstand dann einen Maler oder Bildhauer oder Graphiker entdeckt hat, dessen Werke im Wert wachsen, dersoll dann als Spekulant betrachtet werden, der soll also hierfür Vermögensteuer bezahlen?Wir wissen, die Vermögensteuer ist als eine Steuer gedacht gewesen, die als eine zusätzliche Einkommensteuer auf das fundierte Einkommen gezahlt werden sollte. Wer wagt es, bei moderner Kunst von fundiertem Vermögen zu sprechen? Es ist Leidenschaft zur Kunst, um die es hier geht, aber nicht um zu bewertende Wirtschaftsgüter.
Die Politiker der SPD behaupten — Herr Halfmeier, ich nehme Sie gerne aus —, die Vermögensteuerbefreiung käme nahezu ausschließlich dem Kunsthandel zugute. Hier kann man, wenn man sich um Sachverstand sowohl in Fragen der Kunst wie in Fragen der Steuer bemüht, nur fragen, wie es zu diesem Argument kommt;
denn die Vermögensteuer, um die es hier geht — ich lasse Ihre Zwischenfrage sofort zu; wenn Sie mir gestatten, eben noch meinen Satz zu Ende zu bringen —, bezieht sich auf den Erwerber, den bleibenden Erwerber eines Bildes, eines Kunstgegenstandes, nicht aber auf den Händler, dessen Aufgabe es ist, ein Bild von dem Künstler zu dem Sammler zu bringen. Ich habe den Verdacht, daß der Ideologiegesichtspunkt, der zu Ihrem unglücklichen Maklerbeschluß geführt hat, auch bei der Verteufelung der Kunsthändler eine Rolle spielt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Halfmeier?
Jetzt gerne.
Herr Dr. Kreile, wollen Sie behaupten, daß ich das gesagt hätte? Man müßte doch außerordentlich naiv sein, wenn man das sagen oder auch aus dem, was ich gesagt habe, entnehmen würde. Ich möchte Sie bitten, mir doch einmal zu sagen, auf welchen Pappkameraden Sie eigentlich einschlagen.
Ich hätte nun fast geantwortet, daß Sie diese Frage an Ihren Kollegen Dieter Lattmann hätten richten sollen, als Sie vorhin im Plenum neben ihm saßen. Der kann Ihnen nämlich sehr gut sagen, wer in Ihrer Gruppe „Kunst" immer die Meinung vertritt, daß diese Vermögensteuerbefreiung nur für die Kunsthändler gelte.Ich darf es noch einmal ausdrücklich sagen — vielleicht habe ich mich vorhin zu undeutlich ausgedrückt —: Sie haben das nicht gesagt, und ich habe das hervorgehoben. Ich habe gesagt: Aber andere aus Ihrer Partei sagen das, und ich versuchte dieses Argument zu widerlegen.
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Dr. KreileVon außerordentlicher Wichtigkeit scheint mir bei diesem Gesetzentwurf zu sein: Die Künstler sind es müde, davon hören zu müssen, daß sie unterstützt werden müssen — das allerdings ist vorhin auch gesagt worden —, mit Preisen, mit einer Art Berlin-Hilfe wie Künstlerhilfe. Künstler wollen keine Subventionen, sondern sie wollen in einem Land leben, dessen Gesetze so ausgestaltet sind, daß Kunst gedeihen kann.
Sie wollen im konkreten Fall, daß in Deutschland Werke der modernen Kunst gekauft und gesammelt werden können ohne steuerliche Sanktionen.Was wir vorschlagen, ist eine Einzelmaßnahme, gewiß. Wenn ihre Wirkung auch nicht überschätzt werden soll, so ist doch eines klar: Sie ist aktuell hilfreich. Wir sollten wissen, daß die Künstler es leid sind, stets auf das vertröstet zu werden bzw. auf das warten zu müssen, was in der Stellungnahme der Bundesregierung als — ich darf zitieren — „entsprechende und aufeinander abgestimmte Maßnahmen" bezeichnet wird, die baldmöglichst beschlossen werden sollen. Wer sich vornimmt, zuviel aufeinander abzustimmen, der kommt nicht weiter. Deshalb sollte man dem Bundestag zu diesem Gesetzentwurf das sagen, was Hans Sachs zu Walther von Stolzing, als er merkte, daß in ihm ein moderner, wichtiger Künstler steckte, sagte: „Fanget an!" — Fangen wir mit diesem Gesetz an, für die Künstler mehr zu tun als bisher!
Das Wort hat der Abgeordnete Zywietz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorgelegt zur ersten Lesung ist dem Hause ein Gesetzentwurf des Bundesrats zur Änderung des Bewertungsgesetzes. Dahinter steckt die Absicht — so die erklärte Zielsetzung —, die wirtschaftliche Lage der selbständigen bildenden Künstler in der Bundesrepublik verbessern zu helfen. Als Therapie wird ein Zurückversetzen in den alten steuerlichen Stand, der bis zum 31. Dezember 1973 gültig war, vorgeschlagen: Kunstgegenstände und nicht nur, wie früher, Werke deutscher Künstler sollen beim sonstigen Vermögen nicht erfaßt werden. Durch die damit verbundene vermögensteuerliche Entlastung werden wohl ein erweiterter Markt, mehr Umsatz und damit letztlich mehr Einkommen für die Künstler erhofft.So sehr ich die vorgegebene Absicht, bildenden Künstlern wirtschaftlich zu helfen, begrüße — diese Absicht wird von der FDP voll getragen —, muß ich sagen, daß der vorgeschlagene Weg nicht wirksam ist und daß ich nicht annehme, daß keine Alternative, wie auf dem Deckblatt ausgewiesen, zu diesen Vorschlägen gegeben ist. Ich bezweifle dies zur Stunde und hoffe, daß die Ausschußberatungen bessere Unterstützungsmöglichkeiten für die Künstler, nicht nur für die bildenden Künstler, sichtbar und praktikabel werden lassen.Die in diesem Gesetzentwurf vorgeschlagene Unterstützung durch Befreiung von der Vermögensteuer kann nicht sehr wirksam sein, wenn der Einnahmeausfall — wenn ich den Entwurf richtig gelesen habe — bei der Vermögensteuer, der von den Ländern getragen wird, selbst von den Initiatoren gering eingeschätzt wird. Das heißt doch im Klartext, daß keine wesentliche Nachfrageausweitung zu erwarten ist und damit doch wohl auch keine helfende oder stimulierende Wirkung auf die Einkommenssituation dieser Künstler. Zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Künstler muß nach meiner Meinung wirklich etwas breiter und auch wirksamer vorgegangen werden, wie dies auch Absicht der Bundesregierung ist. Die Situation erfordert dies ganz gewiß, und ich meine auch, daß Eile geboten ist. Das möchte ich auch von dieser Stelle an die Adresse der Bundesregierung sagen. Ein Bericht über die Lage der Künstler ist sicherlich zuwenig, wenn die praktischen Folgerungen nicht gezogen werden.
Kritisch geprüft werden muß bei weiteren Beratungen meines Erachtens, ob die gewählte Zielgruppe des Gesetzes vertretbar ist. Es geht hier doch lediglich um eine Maßnahme für den Bereich der bildenden Kunst, der bekanntlich neben Musik und darstellender Kunst nur einen Teilbereich und bei weitem nicht den Gesamtkomplex ausmacht. Um einige Zahlen anzumerken: Von 62 000 Künstlern gehört laut Künstler-Bericht nur ein Drittel zur Gruppe der bildenden Künstler, und von diesen gehören wiederum nur etwa 7 500 zum Bereich der Maler und Bildhauer, der sogenannten Objektkünstler. Ich zweifle also nicht nur an der Wirksamkeit der vorgeschlagenen Regelung, sondern meine auch, daß die Zielgruppe bildende Kunst eindeutig zu knapp geraten ist.Bereits bei erster Durchsicht des Gesetzentwurfs hatte ich den Eindruck, daß dies nicht ein helfendes Gesetz für bildende Künstler in schlechter wirtschaftlicher Situation ist, sondern ein Gesetz für Kunstsammler und Kunsthändler in eher guter wirtschaftlicher Situation.
Es erscheint mir hilfreich für diejenigen, die ihre Vermögensteuervergünstigungen bereits ausgeschöpft haben: Freibeträge und Freigrenzen, die nach der Vermögensteuerreform dieser Legislaturperiode ja recht ordentlich bemessen sind. Die Freigrenze für Kunstgegenstände und Sammlungen ist pro Person auf immerhin 20 000 DM angehoben worden — bei einer vorsichtigen Bewertungspraxis, die, wenn ich recht informiert bin, in diesem Bereich üblich ist. Auch die Tatsache einer vermögensteuerlichen Freistellung selbst bei Werken von Künstlern, die bereits vor 15 Jahren verstorben sind, scheint mir ein weiteres Indiz dafür zu sein, daß nicht auf den bildenden Künstler, sondern mehr auf den Kunstsammler und Kunsthändler besonderer Potenz abgestellt wurde.
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15416 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976
ZywietzIch möchte noch anmerken: Die Freistellung bildender Kunstwerke bis zum 31. Dezember 1973, also bis zur Reform der Vermögensteuer, widersprach, wie ich meine, dem Grundsatz gleichmäßiger Erfassung aller Vermögensgegenstände. Diese alte Regelung, die mit guten Gründen abgeschafft wurde — und, Herr Dr. Kreile, ich meine mich auch daran zu erinnern, daß Sie in den Ausschußberatungen nicht dagegen argumentiert haben, wie Sie es eben von dieser Stelle aus getan haben —, sollte nicht wieder aufleben, weil sie die Umschichtung z. B. von Geldvermögen in steuerfreies Vermögen in. Form von künstlerischen Sachwerten steuerlich begünstigt, ohne daß es dafür meines Erachtens im Vergleich zu anderen Anlageformen akzeptable Gründe gäbe.Wir von der FDP haben auch die Absicht, Künstlern in wirtschaftlich schlechter Situation Unterstützung zuteil werden zu lassen, und mahnen deswegen mit Nachdruck die Regierung, in zügiger Arbeit die Folgerungen aus dem Künstlerbericht zu ziehen. Vermögensteuerliche Entlastung erscheint aber kaum überzeugend als geeignet, insbesondere jüngeren und wirtschaftlich nicht gesicherten Künstlern wirksame Hilfe zu gewähren.Man könnte vielleicht zusammenfassen: Ja zur Absicht, aber Skepsis gegenüber den vorgeschlagenen Mitteln. Der Leidenschaft zur Kunst wollen wir seitens der FDP, Herr Dr. Kreile, ganz gewiß keinen Abbruch tun; wir wollen sie nach Kräften unterstützen.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir kommen zur Überweisung.
Der Ältestenrat empfiehlt, den Entwurf an den Finanzausschuß zu überweisen. Ich bin nicht beauftragt und nicht befugt, von dieser Stelle aus Anträge zu stellen, aber nach Rücksprache mit dem Vorsitzenden des Haushaltausschusses stelle ich von meiner Seite die Anregung zur Diskussion, die Vorlage auch dem Haushaltsausschuß nach § 96 der Geschäftsordnung zuzuweisen. Ich glaube, das entspricht wohl der Übung.
Wenn kein Widerspruch erfolgt, würden wir also diese Doppelüberweisung vornehmen. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe nun Punkt 18 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes
— Drucksache 7/2593 —
Bericht und Antrag des Innenausschusses
— Drucksachen 7/4699, 7/4716 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Schäfer Abgeordneter Dr. Gruhl
Abgeordneter Wolfgramm
b) Beratung des Antrags des Innenausschusses zu dem Bericht der Bundesregierung über die Beseitigung von Autowracks
— Drucksachen 7/1760, 7/4695 — Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Gruhl Abgeordneter Schäfer
Ich gehe davon aus, daß im Rahmen der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs eine verbundene Debatte geführt wird, und gebe Herrn Abgeordneten Schäfer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit der Vorlage des Umweltprogramms der Bundesregierung 1971 sind für die vier Hauptgebiete des Umweltschutzes — Wasserhaushalt, Luftreinhaltung, Lärmbekämpfung und Abfallbeseitigung — notwendige rechtliche Voraussetzungen für einen besseren Schutz der Umwelt geschaffen worden. In vielen Fällen hat die Bundesrepublik dabei gesetzgeberisches Neuland betreten, da entsprechende internationale Erfahrungen z. B. im Bereich der Abfallbeseitigung nicht vorlagen.Schon bei der Verabschiedung des Abfallbeseitigungsgesetzes im Juni 1972 war klar, daß damit das Recht der Abfallbeseitigung nicht abschließend geregelt sein konnte. In der Tat zeigten sich beim Vollzug des Gesetzes, vor allem im Bereich gefährlicher Abfälle, erhebliche Mängel auch rechtlicher Art, die die anstehende Gesetzesnovellierung beheben will.Das geltende Abfallrecht unterscheidet Abfälle nicht nach dem Grad ihres Gefährdungspotentials. Für Hausmüll und gefährlichen Müll gelten z. B. die gleichen gesetzlichen Bestimmungen. Dies, meine Damen und Herren, ist ein unhaltbarer und untragbarer Zustand, wie es sich — für jedermann übrigens durch Giftmüllskandale und Gerichtsverhandlungen in diesem Zusammenhang offenkundig und deutlich geworden — beim Gesetzesvollzug erwiesen hat.Ins Abfallbeseitigungsgesetz wird nunmehr für problematische Abfälle aus Industrie und Gewerbe der Begriff „Sonderabfälle" aufgenommen. Daran werden bestimmte Rechtsfolgen geknüpft. In Anlehnung an entsprechende Regelungen im Bundes-Immissionsschutzgesetz ergeben sich die Tatbestandsmerkmale aus dem Gefährdungs- und Schädigungspotential der problematischen Abfälle. Diese werden im einzelnen von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bestimmt. Mit dieser wesentlichen, wie die gesamte Novelle übrigens vom Ausschuß einstimmig beschlossenen Neuerung werden nicht nur gefährliche Abfälle gesondert behandelt, sondern auch
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 221. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Februar 1976 15417
Schäfer
im gesamten Bundesgebiet einheitliche Tatbestandsmerkmale vorgesehen. Die Beseitigung und Behandlung problematischer Abfälle bestimmt sich künftig aus der Gefährlichkeit der jeweiligen Stoffe als dem entscheidenden Kriterium. Sachfremde Überlegungen wie etwa die vorhandenen oder nicht vorhandenen Kapazitäten von Abfallbeseitigungsanlagen scheiden damit aus.Meine Damen und Herren, die besten Gesetze nützen bekanntlich wenig, wenn ihr sachgerechter Vollzug nicht gewährleistet ist. Die Erfahrungen zeigen, daß für den Bereich der Sonderabfälle für Einsammeln, Befördern und Beseitigen besondere Pflichten und Kontrollen gesetzlich festgelegt werden müssen, um gesundheits- und umweltgefährdende Müllbeseitigung zu verhindern. Sonderabfälle dürfen künftig nur dann eingesammelt und befördert werden, wenn vom Betreiber einer Abfallbeseitigungsanlage eine schriftliche Bescheinigung über die Bereitschaft zur Annahme dieser Abfälle vorliegt. Auf Anfrage muß die zuständige Behörde dem zur Abfallbeseitigung Verpflichteten Auskunft über vorhandene geeignete Abfallbeseitigungsanlagen erteilen. Nach dem Vorbild des BundesImmissionsschutzgesetzes wird ein Betriebsbeauftragter für Abfall eingeführt. Damit wird die behördliche Überwachung durch eine ständige betriebsseitige Kontrolle ergänzt.Meine Damen und Herren, die Schaffung und der Ausbau von Abfallbeseitigungseinrichtungen hat sich langsamer vollzogen als die Zunahme des Abfallaufkommens. Einige Zahlen dazu: Im Jahre 1975 sind etwa 18 Millionen Tonnen Hausmüll, 5 bis 6 Millionen Tonnen hausmüllähnliche Gewerbeabfälle und mehr als 3 Millionen Tonnen produktionsspezifische Sonderabfälle in der Bundesrepublik angefallen. Auch wenn in Zukunft mit einer Verringerung der Zuwachsraten der Müllmengen zu rechnen ist, verdeutlichen die Zahlen, welche Kapazitäten von Abfallbeseitigungs- bzw. -verwertungsanlagen notwendig sind. Für den Bereich der Sonderabfälle stellt sich das Mißverhältnis von Abfallmengen auf der einen und Abfallbeseitigungs- bzw. -verwertungsanlagen auf der anderen Seite besonders zugespitzt dar, so daß die sachgerechte Beseitigung und Verarbeitung von Sonderabfällen ernstlich gefährdet ist.Meine Fraktion kann und will nicht auf die engagierte Mitwirkung der Behörden wie der betroffenen Bürger im Planfeststellungs- oder Genehmigungsverfahren verzichten. Dies gilt auch für die Frage von Standorten von Abfallbeseitigungsanlagen. Auf der anderen Seite besteht aber auch aus gesundheits- und umweltpolitischer Sicht eine vitale Notwendigkeit für die Errichtung von Abfallbeseitigungs- und -verwertungsanlagen auch für Sonderabfälle. Deshalb kann zukünftig unter im Gesetz besonders festgelegten Bedingungen unter dem Vorbehalt des Widerrufs mit der Errichtung einer Abfallbeseitigungsanlage begonnen werden, bevor eine rechtskräftige Entscheidung vorliegt.Die Verbesserung des strafrechtlichen Umweltschutzes ist eine der vorrangigen Aufgaben der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition.Die Vorarbeiten für ein Sechstes Gesetz zur Reform des Strafrechts — Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität — sind weit fortgeschritten. Angesichts der hohen Sozialschädlichkeit von Umweltdelikten und des im geltenden Recht zu schwachen strafrechtlichen Schutzes gegen unbefugtes und unsachgemäßes Ablagern gesundheitsgefährdender Abfälle ist ein verbesserter strafrechtlicher Schutz mit den vorgesehenen abgestuften, teilweise erhöhten Strafandrohungen unerläßlich.Meine Damen und Herren! Abfallbeseitigung ist nur ein Teil im Abfallbereich. Der Begriff Abfallwirtschaft umschreibt die gesamten Aufgaben. Dem Vorsorgeprinzip entsprechend muß dabei die Priorität nicht der Beseitigung angefallener Abfälle, sondern der Reduzierung der Abfälle gelten. Die Bundesregierung bekennt sich in ihrem Abfallwirtschaftsprogramm 1975, das übrigens ohne internationales Beispiel ist, ausdrücklich zu dieser Priorität. Die Ziele dieses Abfallwirtschaftsprogramms werden von uns ausdrücklich begrüßt, nämlich:Erstens. Reduzierung der Abfälle auf Produktions-und Verbraucherebene unter folgenden Gesichtspunkten: Verringerung der Produktionsabfälle, Anwendung umweltfreundlicher Produktionsverfahren, Überprüfung des Materialeinsatzes hinsichtlich der Zweckbestimmung von Erzeugnissen, Erhöhung der Haltbarkeit von Produkten, Steigerung der Mehrfachverwendung von Produkten.Zweitens. Steigerung der Nutzbarmachung von Abfällen durch Verwertung von Abfällen im Produktionsprozeß, Nutzung des Energieinhalts von Abfällen.Drittens. Schadlose Beseitigung von Abfällen.Viertens. Zuordnung der Kosten nach dem Verursacherprinzip.Ein Teil dieser Zielvorstellungen ist im bestehenden Umweltrecht bereits realisiert. So hat der Bundestag zum Beispiel bei der Verabschiedung des Abfallbeseitigungsgesetzes die vom Bundesrat vorgeschlagene Lösung abgelehnt, sämtliche Autowracks zu Abfällen zu erklären. Die Auffassung des Bundestages, wonach Autowracks nicht notwendigerweise Abfälle sein müssen, sondern in überwiegendem Umfang auch Wirtschaftsgüter sein können, die möglichst weiterverwertet und dem Produktionsprozeß wieder zugeführt werden sollen, wird durch den Bericht der Bundesregierung über die Beseitigung von Autowracks vom 4. März 1974 und seine Fortschreibung anläßlich der Erarbeitung des Abfallwirtschaftsprogramms nachdrücklich bestätigt. Die Menge der Autowracks belief sich demnach 1974 auf zwischen 1,3 und 1,5 Millionen Tonnen. Ein Autowrack entspricht durchschnittlich einer Tonne. Von diesem Anfall von Autowracks sind nach Angaben des Berichtes zwischen 90 und 95 Prozent der alten Fahrzeuge den Weg über den Schrotthandel gegangen. Vor allem 1974 war die Nachfrage nach Autoschrott stark. Konjunkturbedingt ist für das Jahr 1975 durch den Rückgang der Stahlnachfrage zum Teil die Verwertung von Autowracks durch Preisnachlässe an die Grenze der Wirtschaftlichkeit gelangt. Alles in allem aber hat
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sich auch 1975 die im Abfallbeseitigungsgesetz vorgeschlagene Regelung bewährt. Das ist auch nicht weiter verwunderlich. Schließlich sind die verwertbaren Teile 70 Prozent Schrott und Grauguß, 5 Prozent Nichtmetalle und 25 Prozent Reststoffe, die zu beseitigen sind, vergleichsweise günstig.Angesichts dieser Sachlage besteht gegenwärtig keine Notwendigkeit, zur Regelung der Autowrackbeseitigung von vornherein bei jeder Neuzulassung eines Kraftfahrzeugs eine Autowrackgebühr zu erheben.Die Abfallwirtschaft erfüllt wichtige Aufgaben des Umweltschutzes. Ihr Auftrag ist — ich zitiere aus dem Sachverständigenumweltgutachten 1974 —, „sowohl das Abfallaufkommen als auch die Abfallbeseitigung so zu ordnen, daß die Gesundheit von Menschen nicht gefährdet und die gesellschaftlich gewünschte Nutzung von Umweltgütern nicht eingeschränkt wird."Mit der rechtlichen Verbesserung der Abfallbeseitigung wird ein weiterer wichtiger Schritt zur Verwirklichung des Umweltprogramms der Bundesregierung zurückgelegt. Trotzdem — das Abfallwirtschaftsprogramm weist dies aus — sind weitere Maßnahmen im Sinne vorsorgenden Umweltschutzes, aber auch aus gesamtvolkswirtschaftlichen Interessen notwendig, gegebenenfalls bis zum Verbot besonders umwelt- und gesundheitsgefährdender Produktionsverfahren und -erzeugnisse.Mit dem Antrag auf Vorlage des Abfallwirtschaftsprogramms der Bundesregierung als Bundestagsdrucksache und der Beratung im Plenum und in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages verbinden wir die Erwartung, daß die von der Bundesregierung angekündigten bzw. erwogenen Maßnahmen beschleunigt verwirklicht werden und gegebenenfalls in die Gesetzgebung Eingang finden.Meine Damen und Herren, meine Fraktion unterstützt die Bundesregierung bei der Verwirklichung ihres Abfallwirtschaftsprogramms. Dabei wird in zunehmendem Maße deutlich werden, daß die oft beschworene Alternative „Ökonomie oder Ökologie" in vielen Bereichen eine Scheinalternative bedeutet. Eine effiziente Abfallwirtschaft dient nicht nur der Umwelt, sondern stellt auch eine ökonomische Notwendigkeit dar.
Das Wort hat der Abgeordnete Gruhl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Innenausschuß hat nach bewährtem Verfahren für die Novellierung des Abfallbeseitigungsgesetzes eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Als Vorsitzender darf ich vielleicht den beteiligten Vertretern der Länder und den Vertretern der Bundesregierung für die Arbeit in dieser Arbeitsgruppe danken, die uns sehr schnell zu diesem Ergebnis geführt hat. Die meisten sachlichen Bemerkungen hat der Kollege Schäfer bereitsvorgetragen. Darum lassen Sie mich nur noch kurz einiges ausführen.Das vorliegende Abfallbeseitigungsgesetz ist ein Vorschlag des Bundesrates. Es erschien uns seinerzeit etwas früh, bereits zwei Jahre nach Inkraftsetzen des Abfallbeseitigungsgesetzes eine Novellierung vorzunehmen. Man wurde den Eindruck nicht los, daß diese Novellierung ein klein wenig ihren Ursprung darin hatte, daß man seinerzeit einen Schuldigen suchte. Es passiert sehr oft, daß die Behörden auch bei eigenem Versagen dann sehr schnell nach einer Änderung des Gesetzes rufen.Da wir das Gesetz nun ohnehin zu ändern hatten, haben wir gleich einige andere Punkte mit hineingebracht und auch die Bundesregierung aufgefordert, ihrerseits Erfahrungen einzubringen, um gleich andere Dinge mitzuregeln. Das betrifft besonders die Definition der Sonderabfälle, wie wir sie jetzt genannt haben. Ursprünglich war von gefährlichen Abfällen die Rede. Aber wir haben uns überzeugt, daß gefährliche Abfälle auch im normalen Müll anfallen können und daß es nicht allein auf die Gefährlichkeit ankommt, sondern eben auch auf die Frage: Wie sind sie zu beseitigen? Es können also weniger gefährliche Abfälle durchaus Sondermüll sein, weil sie ein anderes Verfahren der Abfallbeseitigung erfordern.Auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, daß es im politischen Bereich noch sehr oft an dem Willen mangelt, sich der produktionsspezifischen Abfälle in der gesetzlichen Problematik konsequent anzunehmen. Hier hatten wir als Bundesgesetzgeber in den letzten Jahren mit einer intensiveren Ausgestaltung der organisatorischen Regelungen durch die Länder gerechnet. In § 6 des gültigen Gesetzes hieß es nämlich schon:Die Länder stellen für ihren Bereich Pläne zur Abfallbeseitigung nach überörtlichen Gesichtspunkten auf. In diesen Abfallbeseitigungsplänen sind geeignete Standorte für die Abfallbeseitigungsanlagen festzulegen. Dabei sind die in § 3 Abs. 3 genannten Abfälle— das sind die sogenannten Sonderabfälle — besonders zu berücksichtigen.Diese Bestimmung wurde nur als Organisationsnorm aufgefaßt und hatte daher nicht die Wirkung, die nun als nötig erachtet wurde und die infolge der vom Kollegen Schäfer aufgeführten Punkte nun ins Gesetz mit eingebracht worden ist.Wir hatten bei der Beratung über diese Novelle auch wieder die Frage der Fristen für die Aufstellung der Abfallbeseitigungspläne der Länder zu behandeln. Die Beratung hat ergeben, daß es nicht genügen würde, hier eine Frist zu setzen, sondern daß dies wahrscheinlich nur zu einer formalen Erfüllung dieser Frist geführt hätte. Darum gingen wir davon aus, daß die Länder diese Pläne schnellstmöglich aufstellen. Sie stoßen hier zweifellos auf einen wachsenden Widerstand umweltbewußt gewordener Bürger. die sich dagegen wehren, Abfallbeseitigungsanlagen in der Nähe ihrer Wohngebiete
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Dr. GruhlI oder in Erholungsgebieten zu akzeptieren. Diese Schwierigkeiten müssen überwunden werden. Hier hilft es nicht, durch gesetzliche Vorschriften Termine erzwingen zu wollen. Wir haben aber auch eine Vorschrift eingebaut, die den Ländern die Durchsetzung etwas erleichtern soll.Meine sehr verehrten Damen und Herrn, ich habe nur noch zu erwähnen, daß verschiedene Schwierigkeiten mit dem Abfallbeseitigungsgesetz auch dadurch auftreten, daß die zuständigen Behörden sich nicht immer ganz ihrer Pflichten bewußt waren oder sich ganz darüber klar waren, welches ihre Pflichten sind. Deshalb gibt es auf einigen Gebieten unterschiedliche Regelungen. Auch wird die Abfallbeseitigung von den einzelnen Behörden verschieden gehandhabt. Dies betrifft z. B. die Verbrennung von Gartenabfällen, die nach diesem Gesetz schon von Anfang an in bebauten Gebieten nicht mehr gestattet ist. Es ist bekannt, daß dies hier und da einem Gartenbesitzer Schwierigkeiten bereiten kann. Auf der anderen Seite wünschen wir nicht wieder einen Rückschritt dahin, daß überall in den Gärten innerhalb bebauter Gebiete Gartenabfälle verbrannt werden. Einige Behörden haben den Ausweg gewählt, dubiose Sondergenehmigungen zu erteilen, die aber leider mit dem Gesetz nicht vereinbar sind.
Die inzwischen erlassenen Landesregelungen sind an und für sich einwandfrei, wenn sie entsprechend gehandhabt werden.
— Ja, wenn sie entsprechend gehandhabt werden, Herr Konrad.Ebenso sind sich einige Behörden offensichtlich nicht darüber im klaren, daß sie für Sonderfälle, wie z. B. Bauschutt, entsprechende Beseitigungsmöglichkeiten nachzuweisen haben. Das führt immer wieder zu Schwierigkeiten.Bezüglich der Autowracks wurden schon Ausführungen gemacht. Es ist zu begrüßen, daß die Tendenz dahin geht, daß die Fahrzeuge langfristiger benutzt werden und infolge dieser längeren Lebensdauer weniger Kraftfahrzeuge als Schrott anfallen. Das gleiche trifft für die Altreifen zu. Durch die geringere Stahlerzeugung der letzten Jahre ist der Schrottpreis wieder gesunken. Es wird der ständigen Aufmerksamkeit der Bundesregierung bedürfen, um in Fällen, in denen die Beseitigung wirtschaftlich nicht mehr gewährleistet ist, mit anderen Maßnahmen zu helfen.Es ist völlig klar, daß die Abfallbeseitigung grundsätzlich nur lösbar ist, wenn man immer mehr Abfälle einer Wiederverwendung zuführt. Dies ist der Fall. Darüber sind auch Untersuchungen im Gange. Der Anwendungsbereich für die Wiederverwendung wächst langsam. Er wird in Zukunft sicher etwas schneller wachsen müssen, weil hoffentlich auch aus wirtschaftlichen Gründen immer mehr Abfall der Wiederverwendung zugeführt wird.
— Ich hoffe es, Herr Konrad. Wo dies aus eigener Kraft der Wirtschaft nicht automatisch erfolgt, wird es nötig sein, durch gesetzgeberische Maßnahmen nachzuhelfen.Alle Gesetze — das haben wir in der Vergangenheit schon besonders auf dem Umweltgebiet festgestellt — helfen wenig, wenn nicht auch bei den unteren Behörden — und nicht nur bei den Ländern — der entsprechende Wille vorhanden ist, diese Bestimmungen auch durchzusetzen und sinngemäß anzuwenden. Da mag manches noch nicht ganz in Ordnung sein und der Verbesserung bedürfen.Wir hoffen, daß wir mit dieser gemeinsamen Novellierung die weiteren Voraussetzungen geschaffen haben, daß bei der Abfallbeseitigung in Zukunft weniger Skandale und weniger aufsehenerregende Vorfälle sich ereignen. Wenn uns das gelänge, dann hätten wir einen weiteren Schritt nach vorn getan.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Frau Präsident! Meine Damen! Meine Herren! In den letzten Jahren ist immer deutlicher geworden, daß die Industriestaaten das Abfallproblem energischer anpacken müssen. Der vorliegende Entwurf versucht, dies zu tun.Einen entscheidenden Forschritt bei der Lösung dieses existentiellen Umweltproblems stellte die Verabschiedung des Abfallbeseitigungsgesetzes im Jahre 1972 dar. Dieses Gesetz enthielt erstmals bundeseinheitlich eine umfassende Regelung der gesamten Rechtsmaterie und erfüllte damit ein wichtiges Anliegen der umweltpolitischen Vorstellungen der Freien Demokraten. Bei der vorliegenden Novellierung des Abfallbeseitigungsgesetzes geht es um die Fortentwicklung und Verbesserung des Abfallrechts und der Berücksichtigung der Erfahrungen von Verwaltung und Wirtschaft sowie der Erkenntnisse der Wissenschaft. Ziel der Gesetzesänderung ist es, auf Grund der Vollzugserfahrungen hervorgetretene Mängel des Abfallbeseitigungsgesetzes zu beseitigen, die Überwachungsmöglichkeiten zu verbessern, die vorgesehenen Verwaltungsverfahren zu beschleunigen und entsprechend dem Bundesimmissionsschutzgesetz einen Betriebsbeauftragten für Abfall einzuführen und nicht zuletzt — das ist schon angesprochen worden — die strafrechtlichen Bestimmungen zu verschärfen und effizienter zu gestalten. Durch den Wegfall des bisher geforderten Nachweises, daß das Leben oder die Gesundheit anderer durch die Handlung gefährdet sind, wird die praktische Anwendung der Strafdrohung gesichert. Aus den Beweisschwierigkeiten der bisherigen Strafprozesse werden die richtigen Konsequenzen gezogen.Ein Kernstück der Novellierung stellt die Regelung der Beseitigung von den Abfällen dar, bei denen schädliche Urnwelteinwirkungen zu befürchten sind. Für solche Sonderabfälle wird eine eigene neue Regelung eingeführt. Durch die Rechtsverord-
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Wolfgrammnung der Bundesregierung soll bestimmt werden, welche Abfälle als Sonderabfälle anzusehen sind. Damit wird die bisherige unterschiedliche Anwendung des Abfallbeseitigungsgesetzes vermieden, und es werden Wettbewerbsverzerrungen verhindert.Zu unterstützen ist im Grundsatz auch die Einführung des § 7 a, wonach widerruflich unter näher bezeichneten Voraussetzungen mit der Errichtung einer Abfallbeseitigungsanlage vor Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens begonnen werden kann. Eingrenzende Voraussetzungen, wie z. B. die potentielle Schadensersatzpflicht des Trägers des Vorhabens, lassen erwarten, daß mit dieser Vorschrift kein Mißbrauch getrieben wird. In diesem Zusammenhang ist an die Verwaltung zu appellieren, im Einzelfall die Konsequenzen der vorläufigen Zulassung von Abfallbeseitigungsanlagen genau zu überdenken. Dazu gehört besonders die Standortfrage der Abfallbeseitigungsanlagen. Nicht zuletzt auf Grund des steigenden Umweltbewußtseins der Bürger, das in zahlreichen Bürgerinitiativen deutlich zum Ausdruck kommt, wird die Verwaltung bei der Zulassung von Abfallbeseitigungsanlagen ohnehin zu einer genauen Überprüfung unter Abwägung aller Belange kommen.Jeder, auch der engagierteste Umweltschützer, sieht die Notwendigkeit der Errichtung von Abfallbeseitigungsanlagen, aber meist nur mit dem Verdrängungsanruf des St. Christophorus. Von dem mündigen Bürger muß erwartet werden, daß er bei seinen von regionalen Belangen geprägten Forderungen gegenüber der Verwaltung diesen Interessenkonflikt berücksichtigt.
Meine Damen, meine Herren, es findet den Beifall der FDP-Fraktion, daß der Anfall von Sonderabfall nicht mehr von Fall zu Fall dem Zufall der Beseitigung überlassen bleibt.Meine Fraktion bejaht voll das Umweltprogramm der Regierung und unterstützt die Regierung bei der weiteren Ausfüllung des Programms.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Baum.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige kurze Bemerkungen zu der Novelle.Das Abfallbeseitigungsgesetz, das erstmals die Abfallbeseitigung als Rechtsmaterie in einem eigenständigen Gesetz zusammengefaßt hat, ist erst dreieinhalb Jahre in Kraft. Wir können aber schon heute sagen, daß sich das Gesetz insgesamt gut bewährt hat. Die Bundesregierung hat seitdem mit Nachdruck auf den Erlaß der Rechtsverordnungen zu diesem Gesetz hingewirkt. Mit der Abfallnachweisverordnung, der Abfallbeförderungsverordnung und der Abfalleinfuhrverordnung ist den Ländern das erforderliche Instrumentarium zum Vollzug desGesetzes an die Hand gegeben worden. In Vorbereitung ist eine Verordnung über das Aufbringen von Abwasser, Klärschlamm und Fäkalien sowie ähnlichen Stoffen auf landwirtschaftlich genutzte Böden.
— Ihre Ermahnung wird sicher im Protokoll verzeichnet sein, Herr Kollege, und die nötige Aufmerksamkeit finden.Das Abfallbeseitigungsgesetz in seiner geltenden Fassung konnte jedoch aus verschiedenen Gründen eine Lücke im sonst geschlossenen System der Abfallbeseitigung noch nicht vollständig und befriedigend schließen, nämlich das Problem der im gewerblichen Bereich anfallenden gefährlichen Abfälle. Diese Abfälle stellen zwar kein Mengenproblem dar; sie sind aber wegen ihrer gefährlichen Beschaffenheit ein schwieriges Problem.Die Bundesregierung begrüßt daher die vorliegende Novelle, die auf einen Vorschlag des Bundesrates zurückgeht, aber sich im Laufe des Verfahrens — das haben meine Vorredner schon dargestellt — wesentlich weiterentwickelt und ausgeweitet hat, mit den vier Schwerpunkten: 1. der Definition des Sonderabfalls und den daraus abgeleiteten Rechtsfolgen, 2. der Einführung des Betriebsbeauftragten für Abfälle, 3. der Vereinfachung des Verfahrens bei der Planfeststellung und 4. der Änderung der Strafvorschrift.Hierzu darf ich folgendes sagen. Wir waren schon immer der Meinung, daß Umweltdelikte keine Kavaliersdelikte sind. Jetzt ist hier festgelegt, daß die Bestrafung nicht erst dann erfolgt, wenn eine konkrete Gefährdung eingetreten ist. Bereits die abstrakte Gefährdung, also die Ablagerung gefährlichen Abfalls außerhalb der vorgesehenen Anlagen, genügt, um eine Bestrafung herbeizuführen. Selbstverständlich ist es, meine Damen und Herren, mit dem Gesetz allein nicht getan. Die Lösung dieser Probleme setzt unter anderem die Schaffung ausreichender Beseitigungseinrichtungen durch die Länder voraus. Dazu bedarf es der Entwicklung geeigneter Verfahren für eine schadlose Beseitigung oder effektiver Vermeidungsstrategien.Die Bundesregierung bedauert, daß es nicht gelungen ist, die Genehmigungspflicht für das Einsammeln und Befördern auf den nunmehr fest abgrenzbaren Bereich der Sonderabfälle zu beschränken. Dies hätte zu einer erstrebenswerten Vereinfachung des Vollzugs und zu einer Konzentration der Kontrolle auf die Sonderabfälle führen können.Die vorliegende Novellierung kann die Rechtsentwicklung auf dem Gebiete der Abfallbeseitigung natürlich nicht beenden. Das Abfallwirtschaftsprogramm der Bundesregierung ist hier schon von meinen Vorrednern genannt worden. Es wendet sich an die Produzenten, Verteiler und Verbraucher, aber auch an Bund, Länder und Gemeinden. Die Bundesregierung erwartet, daß diese Adressaten die im Programm enthaltenen Forderungen freiwillig erfüllen. Dazu sind auch Anreize gegeben. Sollte sich herausstellen, daß diese Erwartungen im Wege der
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Dann werden gesetzgeberische Maßnahmen unumgänglich sein.
Ich nenne nur ein Beispiel. Darauf haben Sie, Herr Kollege Schäfer, schon hingewiesen. Wir stehen vor einem Müllberg nicht gekannter Größenordnung: 24 Millionen Tonnen Haus- und Gewerbemüll im Jahre 1975; das entspricht einer Zunahme von etwa 4 % seit 1970; 18 Millionen Tonnen davon sind Hausmüll. Die Beseitigung allein dieses Hausmülls erfordert etwa 2,5 Milliarden DM pro Jahr. Während das Recycling im landwirtschaftlichen und industriellen Bereich bereits seit längerer Zeit und in erheblichem Umfang erfolgreich praktiziert wird, steht die Rückgewinnung von Wertstoffen aus dem Hausmüll in der Bundesrepublik praktisch noch am Anfang, und zwar sowohl in technischer als auch in organisatorischer und nicht zuletzt auch in wirtschaftlicher Hinsicht.
Noch ein Wort zur Beseitigung der Autowracks. Ich teile hier die Meinung meiner Vorredner. Die ordnungsgemäße Beseitigung verlief seit der Vorlage des Autowrackberichts im Jahre 1974 ohne wesentliche Störungen. Bei der Ausarbeitung des Abfallwirtschaftsprogramms 1975 der Bundesregierung wurde der Anfall von Autowracks und Altreifen und deren Beseitigung erneut geprüft. Danach ist zu erwarten, daß sich die Zunahme der Autowrack- und Altreifenmenge bis 1980 gegenüber den Angaben im Bericht verringern wird. Der sich abzeichnende Aufschwung in der Stahlindustrie bringt auch eine Verbesserung der Wirtschaftlichkeit des Schrottabsatzes und damit eine weitere Stabilisierung der Beseitigung dieser Wracks mit sich. Die Bundesregierung hält daher nach wie vor zusätzliche staatliche Maßnahmen, etwa die Erhebung einer Abgabe — Sie haben drauf hingewiesen, Herr Kollege Schäfer — in diesem Bereich nicht für erforderlich.
Grundlegendes Ziel der Abfallbeseitigung muß es sein, die traditionelle „Durchflußwirtschaft" durch Rohstoffkreisläufe zu ersetzen. Der Anfall von Abfall kann nicht mehr als schicksalhafte Größe hingenommen werden. Die Bundesregierung wird weiterhin alles mit Nachdruck fördern, was zu einer gezielten Abfallwirtschaft hinführt.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Lesung. Wer den Artikeln 1 bis 4, der Einleitung und der Überschrift in zweiter Lesung die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe die
dritte Beratung
auf. — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer in dritter Lesung die Zustimmung geben will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Wir müssen noch über die Anträge 2 und 3 des Ausschusses abstimmen. Wer ihnen seinen Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ebenfalls einstimmig beschlossen.
Wir beschließen noch über den Antrag des Ausschusses zu Punkt 18 b, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr die Punkte 24 und 25 der Tagesordnung auf:
24. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Modernisierung von Wohnungen
— Drucksache 7/4550 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
25. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Wohnverhältnisse
— Drucksache 7/4551 —Üherweisungsvorschlag des Altestenrates:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Vielen Dank. Auf Begründung wird verzichtet. — Auf Debatte wird ebenfalls verzichtet.
Dann kommen wir zur Überweisung. Sie ersehen die Vorschläge aus der schriftlichen Tagesordnung. — Ich höre keinen Widerspruch; die Überweisung ist so beschlossen.
Wir sind am Ende der für heute vorgesehenen Tagesordnung.
Ich berufe das Haus auf Freitag, den 13. Februar 1976, 9.00 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.