Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, zunächst einmal teile ich Ihnen mit, daß Ihnen eine Liste von Vorlagen vorliegt, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die wir gemäß § 76 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überweisen können:
Betr.: Bericht über den Ersten Teil der 21. ordenlichen Sitzungsperiode der Versammlung der Westeuropäischen Union vom 26. bis 29. Mai 1975 in Bonn
Betr.: Entschließung des Europäischen Parlaments zum Bildungswesen in der Europäischen Gemeinschaft
— Drucksache 7/4118 — zuständig: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Betr.: Entschließung des Europäischen Parlaments mit der
Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat für eine Entscheidung über die Änderung des Zeitplans für die Ausarbeitung des Jahresberichts über die wirtschaftliche Lage der Gemeinschaft
— Drucksache 7/4119 — zuständig: Ausschuß für Wirtschaft
Betr.: Bericht der Bundesregierung zu Fragen des Leistungsrechts des Arbeitsförderungsgesetzes gemäß .. Ehtschließung des Deutschen Bundestages vom 12. Dezember 1974
- Drucksache 7/4120 —
zuständig: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Erhebt sich gegen die vorgeschlagenen Überweisungen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Ich stelle .fest, daß wir so beschlossen haben.
Wir treten in den einzigen Tagesordnungspunkt der heutigen Plenarsitzung ein:
Fragestunde
— Drucksache 7/4138 —
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf.
Die Frage 89 des Abgeordneten Sauer ist zurückgezogen.
Ich rufe die Frage 90 des Abgeordneten Zeyer auf:
Treffen Presseberichte zu, wonach der frühere Bundesinnenminister Genscher den damaligen Bundeskanzler Brandt Ende Mai 1973 nur vage darüber informierte, daß jemand aus dem Bundeskanzleramt nach den Erkenntnissen des Bundesamts für Verfassungsschutz für die DDR arbeiten solle?
Zur Beantwortung bitte, Frau Parlamentarischer Staatssekretär Schlei !
Herr Kollege, der 2. Untersuchungsausschuß dieses Bundestages hat die Sache Guillaume geprüft. Gegenstand der Beweisaufnahme war auch der von Ihnen angesprochene Sachverhalt. Die beiden von Ihnen genannten Politiker haben vor dem Untersuchungsausschuß in öffentlicher Sitzung dazu ausgesagt. Es ist nicht Sache der Bundesregierung, dem etwas hinzuzufügen. Die Protokolle des Untersuchungsausschusses sind Ihnen, sehr geehrter Herr Kollege, gemäß § 21 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zugänglich, wie Ihnen sicher bekannt ist.
Eine Zusatzfrage,. der Abgeordnete Zeyer.
Frau Staatssekretärin, ist es richtig, daß der frühere Bundeskanzler Brandt bei seiner Zeugenvernehmung im Düsseldorfer Landesverratsprozeß erklärt hat, daß Herr Genscher nicht von einem konkreten Verdacht gegen- den Referenten Guillaume gesprochen habe, sondern lediglich gesagt- daß etwas aufgetaucht sei, was sich auf einen Mitarbeiter mit einem französisch klingenden Namen beziehe?
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es kann nicht Sache der Bundesregierung sein, Aussagen, die im parlamentarischen Untersuchungsverfahren oder, wie Sie jetzt anführen, im Strafverfahren gemacht werden, zu kommentieren.
Zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Zeyer.Zeyer;- :. Frau ,Staatssekretärin, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die von dem früheren Bundeskanzler Brandt in dem Düsseldorfer Landesverratsprozeß behauptete vage Warnung durch den damaligen Bundesinnenminister den Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz und der Schwere des möglichen Verrats, wie es sich im Mai 1973 darstellte, entsprach?Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung bildet sich keine Auffassungen zu dem jetzt
Metadaten/Kopzeile:
13392 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1975
Parl. Staatssekretär Frau Schleilaufenden Verfahren und überläßt die Beweisführung und Beschlußfindung dem Gericht.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Czaja.
Frau Staatssekretärin, nachdem doch inzwischen Aussagen vorliegen, die noch nicht Gegenstand der Untersuchung des Untersuchungsausschusses waren, warum antwortet die Bundesregierung eigentlich nicht auf die gestellten Fragen, die zutiefst die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betreffen?
Frau Schiel, Pari. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, so wie ich es bisher abgelehnt habe, zu antworten, werde ich mich auch jetzt nicht an der Zunge ziepen lassen.
Ich rufe die Frage 91 des Abgeordneten Zeyer auf:
Hat der damalige Bundeskanzler Brandt seinen Referenten Guillaume nur deshalb im Jahr 1973 an seinen Urlaubsort in Norwegen mitgenommen, weil er nicht im einzelnen über die vorliegenden Verdachtsmomente unterrichtet worden war und außerdem davon ausging, daß Guillaume in Norwegen observiert werde?
Bitte, zur Beantwortung, Frau Staatssekretär!
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es gibt im Bundeskanzleramt keine Akten oder Unterlagen, aus denen sich für die Beantwortung Ihrer Frage irgend etwas entnehmen läßt. Herr Brandt hat sich vor dem 2. Untersuchungsausschuß in öffentlicher Sitzung auch hierzu sehr ausführlich geäußert. Er ist außerdem in dem Strafverfahren, das zur Zeit vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf gegen das Ehepaar Guillaume durchgeführt wird, als Zeuge vernommen worden, und seine Aussage ist in der Presse vielfältig kommentiert worden. Nun kann es aber nicht Sache der Bundesregierung sein, auch noch so intelligente Ausführungen der Presse ihrerseits zu kommentieren. Das müssen Sie als früherer Richter ja auch wissen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Zeyer.
Frau Staatssekretärin, die Bundesregierung wird aber doch wohl in der Lage sein, darüber Auskunft zu geben, ob der Bundesminister Genscher den damaligen Bundeskanzler Brandt eingehend über den Verdacht gegen den Referenten Guillaume unterrichtet hat.
Frau Schlei, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich muß Sie noch einmal darauf verweisen, daß zu diesem Komplex keine Akten, keine Vermerke, keine protokollarischen Eintragungen im Bundeskanzleramt vorliegen.
Letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Zeyer.
Frau Staatssekretärin, wer hat denn eigentlich den damaligen Bundeskanzler Brandt unterrichtet?
Frau Schiel, Parl. Staatssekretär: Es hat ein Gespräch stattgefunden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 92 des Abgeordneten Schröder wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich danke Ihnen für die Beantwortung, Frau Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Ich rufe zunächst die Frage 93 des Abgeordneten Hösl auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung Äußerungen, die Auffassung des Senats von Berlin zum Viermächteabkommen seien unbefugt und läppisch, und was hat die Bundesregierung getan, um demgegenüber deutlich zu machen, daß sie und der Senat von Berlin nichts anderes tun, als die Bindungen zwischen dem Bund und dem Land Berlin zu entwickeln, wie dies durch das Viermächteabkommen bestätigt worden ist?
Der Fragesteller ist anwesend. Zur Beantwortung, Herr Staatsminister Moersch.
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat nicht die Absicht, vor dem Deutschen Bundestag Presseäußerungen zu kommentieren. Ich habe dieses Prinzip hier schon mehrfach darlegen können. Die Bundesregierung wird vielmehr fortfahren — hier geht es um Ihre inhaltliche Frage —, in enger Abstimmung mit den Drei Mächten sowohl öffentlich als auch in Gesprächen mit der Sowjetunion an hoher Stelle klarzustellen, daß die Aufrechterhaltung und Entwicklung der Bindungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin unverzichtbare Elemente ihrer Politik sind und daß sie nicht bereit ist, eine Schmälerung dieser im Viermächteabkommen ausdrücklich bekräftigten Rechte hinzunehmen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hösl.
Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung nicht die Notwendigkeit einer Stellungnahme dann, wenn die Äußerungen des Senats von Berlin, die ja nur die Rechtsposition dieser Stadt ausdrücken, in der Weise wie geschehen kommentiert werden? Will die Bundesregierung dem nicht öffentlich entgegentreten, zumal die Anklage bzw. die Verächtlichmachung oder Herabsetzung dieser Aussage öffentlich erfolgte?Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich habe bereits dargelegt, daß die Bundesregierung keine Presseäußerungen kommentiert — es handelt sich hier um Presseäußerungen — und daß sie ihren
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1975 13393
Staatsminister MoerschStandpunkt auf den ihr zur Verfügung stehenden Wegen selber darlegt.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Hösl.
Herr Staatsminister, Sie sehen also keine Veranlassung, seitens der Bundesregierung den Senat von Berlin in der Wahrung seiner Rechte zu unterstützen?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, diese in der Frage enthaltene Aufforderung stellt hier nicht das Problem dar, sondern hier kommt es darauf an, daß die Bundesregierung keine Veranlassung sieht, Presseäußerungen zu kommentieren. Das schließt keineswegs aus — ich habe das ja in der Sache klar beantwortet —, daß die Bundesregierung denselben Standpunkt vertritt wie der Senat von Berlin. Ich hatte versucht, das hier darzulegen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Mertes .
Herr Staatsminister, wie beurteilt denn die Bundesregierung die Verwendung des Begriffs „ihre Verbindungen zu West-Berlin unterhalten und entwickeln" für das Verhältnis zwischen der Sowjetunion und Berlin sowie der DDR und Berlin (West) im Vertrag zwischen der UdSSR und der DDR vom 7. Oktober 1975?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, wenn ich die Frage jetzt beantwortete, wäre einer Ihrer Kollegen, der eine ähnliche Frage gestellt hat, um die Antwort betrogen. Ich bitte, zu warten, bis ich zur Beantwortung dieser Frage komme.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, bedeutet der Rückzug auf die formale Position, daß die Bundesregierung nicht zu Presseverlautbarungen Stellung nehme, in diesem konkreten Fall des Kollegen Hösl nicht eigentlich, daß die Regierung hier den Senat von Berlin im Stich läßt?
Moersch, Staatsminister: Nein, Herr Abgeordneter, das können Sie aus dem, was ich vorhin zur Sache gesagt habe, nicht schließen.
Ich rufe die Frage 94 des Abgeordneten Hösl auf:
Trifft die Meldung des „Tagesspiegel" vom 30. September 1975 zu, der Regierende Bürgermeister von Berlin habe den Berlinern empfohlen, notfalls auf Reisen in Ostblockländer zu verzichten, falls ihnen zugemutet werde, eine andere Angabe statt der Staatsangehörigkeit „deutsch" zu machen, und was hat die Bundesregierung unternommen, um die betreffenden Mitglieder des Warschauer Paktes zu veranlassen, ein dem deutschen Staatsangehörigkeitsrecht entsprechendes Verhalten der Reisenden zu respektieren und anzuerkennen?
Moersch, Staatsminister: Die von Ihnen, Herr Abgeordneter, erwähnte Meldung des „Tagesspiegel" vom 30. September 1975 gibt inhaltlich die Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage des Mitglieds des Berliner Abgeordnetenhauses Bodo Thomas vom 3. September 1975 wieder.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage, Herr Abgeordneter, teile ich mit, daß in allen Fällen, in denen das Auswärtige Amt Kenntnis davon erhält, daß deutsche Staatsbürger gezwungen werden sollen, unkorrekte Staatsangehörigkeitsangaben zu verwenden, die notwendigen diplomatischen Schritte bei den entsprechenden Regierungen unternommen werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hösl.
Herr Staatsminister, gibt es Absprachen mit allen Ostblockländern darüber, daß diese Staatsangehörigkeitsbezeichnung von ihnen anerkannt wird?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat nirgends und nie einen Zweifel daran gelassen — auch nicht gegenüber den Staaten, die Sie soeben erwähnt haben —, daß „deutsch" bzw. „Deutscher" für uns die einzig korrekten Bezeichnungen unserer Staatsangehörigkeit sind. Ich darf hinzufügen, daß über Staatsangehörigkeitsbezeichnungen keine gegenseitigen Abkommen zu schließen sind, übrigens nirgends in der Welt. Jeder Staat bestimmt souverän, welche Staatsangehörigkeitsbezeichnung er hat, genauso wie er seinen Namen selbst bestimmt.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hösl.
Herr Staatsminister, darf ich daraus schließen, daß für Westberliner Bürger hier klare Absprachen mit den Ostblockländern nicht bestehen?
Moersch, Staatsminister: Ich verstehe, offen gestanden, den Inhalt Ihrer Frage nicht. Ich habe soeben gesagt, daß es keinerlei Absprachen mit einem anderen Land über die Staatsangehörigkeitsbezeichnungen bedarf, daß es vielmehr international üblich ist, daß ein Land seine Staatsangehörigkeitsbezeichnung selbst feststellt und daß andere dies hinzunehmen haben, wie wir umgekehrt die Staatsangehörigkeitsbezeichnungen anderer hinzunehmen haben. Wenn ich Ihrer Frage folgte — was mir ein bißchen schwerfällt, weil ich vielleicht den Sinn nicht ganz verstanden habe —, würden wir andere zum Richter für unsere Staatsangehörigkeitsbezeichnungen machen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Herr Staatsminister, ist Ihnen entgangen, daß Sie jenen Teil der Frage nicht beantwortet haben, der darauf zurückzuführen ist,
Metadaten/Kopzeile:
13394 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1975
Dr. Czajadaß die Bundesregierung nach dem Grundgesetz verpflichtet ist, gegenüber dritten Staaten die Respektierung der deutschen Staatsangehörigkeitsrechte und aller Rechtspositionen durchzusetzen, und daß ein Rückzug auf die rein völkerrechtliche Position dieser staatsrechtlichen Verpflichtung nicht voll gerecht wird?Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, es fällt mir schwer, Ihnen ganz zu folgen. Erstens möchte ich gern den Beweis dafür haben, daß die Bundesregierung irgendwann das Grundgesetz verletzt hat, und zweitens würde mich interessieren was der Unterschied zwischen „rein völkerrechtlich" und Ihrer Auffassung ist. Ich denke, daß die Bundesregierung immer „rein völkerrechtlich" vorgeht. Das Gegenteil wäre „unrein völkerrechtlich", und das wäre wohl nicht sinnvoll.
Bevor ich im Aufruf der Fragen fortfahre, möchte ich aus gegebener Veranlassung auf folgendes hinweisen. Herr Kollege Hösl, jeder Fragesteller hat nur zwei Zusatzfragen. Sie hatten beide konsumiert. Insofern konnte ich eine weitere Zusatzfrage nicht zulassen. Zusätzliche Fragesteller haben dann nur eine Zusatzfrage. Herr Kollege Hösl, Sie haben zwei Zusatzfragen, für beide Fragen insgesamt vier Zusatzfragen, gestellt.
Ich rufe die Frage 95 des Abgeordneten Dr. Arndt auf:
Trifft die insbesondere von amtlichen sowjetischen Stellen mehrfach aufgestellte Behauptung zu, der Text der Schlußakte von Helsinki der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sei im Westen und insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland nicht oder nicht vollständig veröffentlicht worden?
Zur Beantwortung der Herr Staatsminister, bitte.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, für die Bundesrepublik Deutschland trifft das, was in der Frage gesagt wird, nicht zu. Über die Veröffentlichung der KSZE-Schlußakte in den übrigen westlichen Staaten hat die Bundesregierung keine vollständigen Informationen. Es ist allerdings bekannt, daß sich in einigen Staaten die amtlichen Veröffentlichungen noch in Vorbereitung befinden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Arndt.
Herr Staatsminister, trifft es also zu, daß sich jedermann in diesem Lande über den vollen Wortlaut — von der Präambel bis zum letzten Satz — unterrichten kann, ohne Schwierigkeiten dabei zu haben?
Moersch, Staatsminister: Zu einer solchen Unterrichtung bestehen mehrere Möglichkeiten, einschließlich der Möglichkeit, das Bulletin der Bundesregierung zu lesen — wenn Sie zugestehen, daß es keine besondere Mühe macht, dieses zu lesen.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Arndt.
Ist die Bundesregierung bereit, allen offiziellen Besuchern der Sowjetunion, von deren Reise sie ja Kenntnis erhält, die Informationen mitzugeben, die erforderlich sind, um ihren sowjetischen Gesprächspartnern gegenüber auf die Möglichkeit hinzuweisen, sich zu informieren?
Moersch, Staatsminister: Wo immer es gewünscht wird, gibt die Bundesregierung Informationen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mertes .
Herr Staatsminister, wie erklärt sich die Bundesregierung die vom Kollegen Arndt zu Recht beanstandete sowjetische Behauptung?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, das ist eine Frage, die Sie dem Kollegen Dr. Arndt stellen müssen. Ich weiß ja nicht, warum Herr Dr. Arndt diese Frage gestellt hat.
Der Kollege Arndt hat von einer sowjetischen Behauptung gesprochen, und ich frage Sie: Wie erklärt sich die Bundesregierung diese Behauptung sowjetischer Dienststellen, die auch gegenüber Herrn Ministerpräsident Dr. Kohl geäußert worden ist?
Moersch, Staatsminister: Sie erklärt sich daraus, daß derjenige, der diese Behauptung in der Sowjetunion aufgestellt hat, offensichtlich nicht ausreichend informiert gewesen ist.
Ich rufe Frage 96 des Abgeordneten Dr. Arndt auf:Ist die Bundesregierung in der Lage, dem Deutschen Bundestag mitzuteilen, welche Veröffentlichungen des vollständigen Textes der KSZE-Schlußakte von Helsinki von ihr veranlaßt oder ihr bekanntgeworden sind?Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatsminister.Moersch, Staatsminister: Die KSZE-Schlußakte ist in unserem Lande in folgender Weise veröffentlicht worden:1. Bundestagsdrucksache 7/3867 vom 23. Juli 1975; Auflage angeblich 4 000.2. Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 102/75; Auflage 25 000.3. Broschüre „Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa", herausgegeben vom Bundespresseamt; Auflage 20 000.4. Der „Vorwärts" vom 14. August 1975; Auflage 71 000.5. „Das Parlament" vom 23. August 1975; Auflage 103 000.6. „Europa-Archiv", Sonderdruck; Auflage 4 200.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1975 13395
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Arndt.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung über ihren Botschafter in Moskau Gelegenheit genommen, den Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, als dieser den Vorsitzenden des Ministerrats der RSFSR besucht hat, ebenfalls zu unterrichten, damit dieser seinen sowjetischen Gesprächspartner entsprechend antworten konnte?
Moersch, Staatsminister: Ich müßte das nachprüfen. Ich habe den Eindruck gehabt, daß Herr Kohl und seine Begleiter sehr wohl darüber informiert gewesen sind, wo dies erschienen ist, zumal es sich bei der Begleitung um zwei Mitglieder des Bundestages handelte und ich annehmen darf, daß sie die Drucksachen, die hier verteilt werden, zur Kenntnis nehmen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 97 des Abgeordneten Reiser auf:
Ist die Bundesregierung weiterhin der Ansicht, daß die Sicherheit von Staatsbürgern und Touristen aus der Bundesrepublik Deutschland in Spanien gewährleistet ist, nachdem von der spanischen Polizei ein deutscher Staatsbürger erschossen worden ist und ein Bildreporter des „Stern" in Ausübung seines Berufs von der dortigen Polizei mißhandelt wurde?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Herr Kollege, der erste II Ihrer Frage genannte Zwischenfall, der zum Tode von Frau Leckelt geführt hat, war Gegenstand der Fragestunde vom 12. Juni 1975. Ich darf mich insofern auf meine damaligen Ausführungen beziehen.
Der zweite tragische Zwischenfall, den Sie erwähnen, ereignete sich am 27. September dieses Jahres. Herr Frank wurde bei Port-Bou nach Überfahren sowohl der französischen wie der spanischen Zoll- und Grenzsperren von spanischer Polizei erschossen. Der Botschafter in Madrid hat wegen beider Vorfälle bei der spanischen Regierung protestiert. Er hat auch den Fall des Bildreporters des „Stern" zum Gegenstand einer Demarche gemacht. In allen Fällen hat das spanischen Außenministerium eine Untersuchung angeordnet. Es laufen auch Verhandlungen über einen Schadenersatz an den Hinterbliebenen von Frau Leckelt.
Generell darf ich sagen, daß deutschen Spanienreisenden im Hinblick auf die erheblichen innenpolitischen Spannungen in Spanien zur Zeit besondere Vorsicht anzuraten ist. Aus dieser Tatsache haben auch deutsche Zeitungen, Reisebüros und die Automobilklubs, zum Teil auf Veranlassung unserer Botschaft in Madrid und des Auswärtigen Amtes, die Folgerung gezogen und Reisenden zu gewissen Vorsichtsmaßregeln geraten. Bei Beachtung dieser Ratschläge, die größtenteils eine Selbstverständlichkeit sind oder sein sollten, besteht keine Gefahr für Deutsche in Spanien, die eine weitergehende Warnung rechtfertigen würde.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Reiser.
Herr Staatsminister Moersch, bleiben Sie denn bei der Auskunft, die Sie in der Fragestunde vom 12. Juni 1975 gegeben haben, als Sie sagten, die Bundesregierung sei grundsätzlich nicht der Ansicht, daß die Sicherheit deutscher Touristen in Spanien stärker gefährdet ist als in anderen Ländern?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, damals ging es um die Frage etwa der Inhaftierung nach Verkehrsunfällen und ähnliches mehr. Ich glaube, wenn neue Tatbestände eintreten, sind neue Überlegungen anzustellen. Ich habe hier vorgetragen, worauf es ankommt, was die Sicherheit betrifft. Ich habe in dem Fall, den ich eben erwähnt habe, feststellen müssen, daß der betroffene und zu unserem großen Bedauern ums Leben gekommene deutsche Staatsbürger die Grenz- und Zollsperren von zwei Staaten überfahren hat. Ich glaube, es gehört zu den Hinweisen, die der Allgemeine Deutsche Automobilklub gegeben hat, die ich übrigens für eine Selbstverständlichkeit halte, daß man in einem solchen Falle, wo man der Staatsgewalt eines anderen Staates gegenübertritt, sich an deren Anweisungen zu halten hat, wenn man nicht ein persönliches Risiko laufen will. Das ist der Unterschied zu dem Fall der Frau Leckelt, wo es sich offensichtlich um ein Mißverstehen handelte. Wir haben den Fall im Juni hier behandelt.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Reiser.
Herr Staatsminister, könnten Sie bitte noch auf ,den Punkt meiner Frage eingehen, wo es um den „Stern"-Reporter geht, der mißhandelt worden ist.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, dazu habe ich Ihnen gesagt, daß wir von der Botschaft aus demarchiert haben und daß eine Untersuchung angeordnet worden ist. Von Ihrem Berufsweg her dürfte Ihnen allerdings die Tatsache nicht unbekannt sein, daß es im journalistischen Beruf, vor allem dort, wo man Zwischenfälle fotografieren will, gewisse erhöhte Risiken gibt, die sozusagen dem Beruf immanent sind. Dennoch wird es immer Aufgabe der Bundesregierung sein — sie hat diese Aufgabe auch stets wahrgenommen —, dann, wenn es zu solchen Verwicklungen von Personen deutscher Staatsbürgerschaft kommt, die mit diesen Zwischenfällen selbst gar nichts zut un haben, entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, soweit dies möglich ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.
Herr Staatsminister, ich möchte Sie — das, was Sie zuletzt gesagt haben, voraussetzend — fragen, ob das Risiko für Journalisten, die
Metadaten/Kopzeile:
13396 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1975
HansenAufnahmen machen, in Spanien — darum geht es doch in dieser Angelegenheit — nicht größer ist als bei uns.Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich weiß nicht, auf was Sie mit Ihrer Frage zielen. Ich hatte dies für eine Selbstverständlichkeit gehalten, da ich bei uns in jüngster Zeit glücklicherweise keine Tätlichkeiten auf der Straße erlebt habe. Dort, wo es Tätlichkeiten auf der Straße gibt, in die man als Zuschauer hineingezogen werden kann, geht man nach aller Lebenserfahrung ein größeres Risiko ein als dort, wo es solche Tätlichkeiten nicht gibt. Sich diesem Risiko zu entziehen, ist mit ,dem journalistischen Beruf aber eben nicht ohne weiteres vereinbar, denn die Berichterstattung setzt die Nähe zum Geschehen voraus.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 98 und 99 sind vom Fragesteller, dem Abgeordneten Dr. Schulz , zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage 100 des Abgeordneten Spranger auf:
Würde nach Auffassung der Bundesregierung die Herausgabe der Bahr-Protokolle an die Staatsanwaltschaft München im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen Bundesminister Bahr wegen Falschaussage vor Gericht nicht auch der Klärung dienen, inwieweit die früher veröffentlichten „Bahr-Papiere" der Wahrheit entsprechen, oder welche Nachteile muß die Bundesregierung bei Herausgabe der Bahr-Protokolle befürchten?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatsminister!
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, es ist entschieden worden, daß die Protokolle nicht herausgegeben werden. Das Auswärtige Amt wird dies gemäß § 96 der Strafprozeßordnung der Staatsanwaltschaft München mitteilen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Spranger.
Herr Staatsminister, können Sie erklären, welche Nachteile die Bundesregierung gemäß § 96 StPO offenbar durch die Herausgabe der Akten befürchtet?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, der Deutsche Bundestag hat den § 96 so gefaßt, daß diese Erklärung eben nicht gegeben wird, und zwar aus ,den Gründen, die in Ihrer Frage liegen.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Spranger.
Herr Staatsminister, wie kann die Bundesregierung bei Nichtherausgabe dieser Akten zukünftig den Vorwurf vermeiden, hier eine mögliche Straftat eines Mitglieds der Bundesregierung gedeckt zu haben?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, hier müßte ich Ihnen als Staatsanwalt die Gegenfrage stellen, warum der Gesetzgeber eine Strafbestimmung erläßt, die angeblich zu solchen Konsequenzen führt, wie sie in Ihrer Frage angesprochen worden sind.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Frage 101 ist von dem Herrn Abgeordneten Gierenstein eingebracht. — Der Herr Abgeordnete ist nicth im Saal. Dann wird die Frage 101 und ebenso die Frage 102 des Herrn Abgeordneten Gierenstein schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 103 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den neuen Freundschaftsvertrag zwischen der DDR und der UdSSR und insbesondere den Wegfall jener Bestimmungen in den früheren entsprechenden Verträgen, in denen auf die Einheit Deutschlands Bezug genommen wurde?
Bitte schön, Herr Staatsminister!
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, nach Ansicht der Bundesregierung hat sich die rechtliche und politische Lage in Deutschland durch den Abschluß des neuen Freundschaftsvertrages zwischen der UdSSR und der DDR nicht geändert. Zur Begründung dieser Beurteilung weise ich nur auf folgende Punkte hin.
Erstens. Ein Vertrag, den die Sowjetunion mit der DDR schließt, kann die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte für Deutschland als Ganzes nicht berühren.
Zweitens. Durch die Unberührtheitsklausel des Art. 10 des Vertrages bleiben außerdem auch im Verhältnis zwischen der Sowjetunion und der DDR die von der Sowjetunion gegenüber den Drei Mächten bezüglich Deutschland als Ganzes eingegangenen Verpflichtungen ausdrücklich unberührt.
Drittens. Der Vertrag ändert schließlich auch nichts an den Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zur Sowjetunion und zur DDR, die durch den Moskauer Vertrag von 1970 bzw. den Grundlagenvertrag von 1972 bestimmt werden. Wie allseits bekannt, wurde beim Abschluß dieser beiden Verträge die deutsche Frage durch die widerspruchslose Entgegennahme des Briefes zur Einheit der Nation ausdrücklich offengehalten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang insbesondere jenen Teil der Präambel des Vertrages zwischen der Sowjetunion und der DDR, in dem gesagt wird — ich zitiere —, daß die Staaten sich vom Streben geleitet sehen, gemäß den Grundsätzen und Zielen der sozialistischen Außenpolitik die günstigsten internationalen Bedingungen für die Errichtung des Sozialismus und Kommunismus zu gewährleisten, und steht dies nicht in direktem Widerspruch zu der Verpflichtung in
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1975 13397
Jäger
Art. 1 des Grundlagenvertrages, normale und gutnachbarliche Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland herzustellen?Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich vermag dem, was Sie hier zum Ausdruck bringen, deswegen nicht zu folgen, weil es ja, wenn Sie recht hätten, so wäre, daß die DDR und die Sowjetunion in der Lage wären, einen Vertrag, den wir mit anderen Staaten geschlossen haben — etwa auch mit der DDR —, zu ändern.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatsminister, um die Frage von vorhin noch einmal zu verdeutlichen: Sind Sie nicht der Meinung, daß Verträge, die wir mit der DDR geschlossen haben, durch diesen Vertrag zwar nicht geändert, durch die aggressive Zielsetzung des neuen Freundschaftsvertrages wohl aber praktisch unterlaufen werden können?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich halte es nicht für sinnvoll, in Frageform in dieser Weise zu argumentieren. Die Bundesregierung hat ihren Standpunkt zu den hier gestellten Fragen dargelegt. Sie hat dem nichts hinzuzufügen. Ich verstehe nicht, weshalb Sie widersprechen wollen, wenn wir feststellen — das ist nach Auffassung der Völkerrechtler durchaus korrekt —, daß solche Verträge unberührt bleiben, d. h. in ihrem ganzen Gehalt unberührt bleiben müssen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, sind Sie nicht der Auffassung, daß dieser Vertrag von Moskau dem Grundvertrag und dem Moskauer Vertrag, wie sie die Bundesrepublik Deutschland auslegt, widerspricht?
Moersch, Staatsminister: Nein, Herr Abgeordneter. Das ist ein Vetrag, der unseren Vertrag nicht berühren kann, also ihm auch nicht widersprechen kann.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Mertes.
Herr Staatsminister, wie steht es mit der Weitergeltung der beiden Verträge zwischen der DDR und der UdSSR von 1955 und 1964 nach diesem neuen Vertrag zwischen den beiden Staaten?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, das ist im Vertrag selbst angeschnitten. Ich habe soeben zitiert; ich darf das wiederholen. Art. 10 des Vertrages enthält eine Unberührtheitsklausel. Ich nehme an, daß diese Unberührtheitsklausel genau das zum Inhalt hat, was sie ausdrückt.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 104 des Abgeordneten Jäger auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Teil des neuen Freundschaftsvertrags zwischen der DDR und der UdSSR, der sich auf Berlin bezieht, und insbesondere den Umstand, daß darin der Passus des Viermächteabkommens über die Bindungen von Berlin an die Bundesrepublik Deutschland einseitig und verfälschend wiedergegeben wird?
Moersch, Staatsminister: Auch hier, Herr Abgeordneter, möchte ich zunächt feststellen, daß sich an der Rechtsstellung Berlins nichts geändert hat. Ein Vertrag, den die Sowjetunion mit der DDR abschließt, kann weder die originären Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte für Deutschland noch die Regelungen, die zwischen diesen vier Mächten am 3. September 1971 getroffen wurden, berühren.
Soweit mit dem Vertrag der Versuch unternommen werden soll, über eine einseitige und entstellende Wiedergabe einzelner Teile und Worte des Viermächteabkommens bekannten politischen Zielvorstellungen näherzukommen, ist dies ein unrealistisches Unterfangen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Jäger .
Herr Staatsminister, darf ich dieser Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung die Auffassung teilt, die in meiner Frage zum Ausdruck kommt, daß der Vertrag zwische der DDR und der UdSSR die Teile des Berlin-Abkommens, auf die dort Bezug genommen wird, verfälschend, unrichtig und sinnentstellend wiedergibt?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, Sie dürfen meinen Antworten immer das entnehmen, was ich gesagt habe. Was Sie dann selbst dazu kommentieren, ist Ihre Sache. Ich habe nicht die Absicht, meine Antworten zu kommentieren.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Jäger.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung bemerkt, daß in Art. 7 des Vertrages in ganz bewußter Form — wie übrigens, wenn ich das einflechten darf, auch Herr Bundesminister Franke heute im Innerdeutschen Ausschuß ausdrücklich erklärt hat — eine undeutliche und unklare Verschiebung der Aussage zum Status von Berlin erfolgt ist, da er jenen Schluß aus dem Viermächteabkommen nicht enthält, in dem es heißt: Die Bindungen zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik Deutschland sollen aufrechterhalten und entwickelt werden?Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, erstens sehe ich mich nicht in der Lage, Gegenstände, die heute morgen in der Ausschußberatung, an der ich nicht teilgenommen habe, von der Bundesregierung behandelt worden sind, hier zusätzlich zu
Metadaten/Kopzeile:
13398 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1975
Staatsminister Moerschkommentieren. Ich bin ganz sicher, daß das, was die Bundesregierung dort gesagt hat, richtig ist. Ob es im einzelnen hier erörtert werden muß, ist eine zweite Frage.Zum anderen möchte ich Ihnen sagen, daß all das, was ich zum Prinzip erwähnt habe, auch bei der Betrachtung und Meinungsbildung hier angewandt werden sollte. Ich meine das Prinzip, daß die vorhandenen Rechte gar nicht geschmälert werden können.Ich darf noch hinzufügen, daß die Bundesregierung in enger Abstimmung mit den Drei Mächten auch künftig auf der Aufrechterhaltung und Entwicklung der Bindungen von Berlin an den Bund und der Außenvertretung von Berlin (West) durch den Bund, so wie dies im Viermächteabkommen ausdrücklich bekräftigt wurde, als einer essentiellen Voraussetzung zur Erhaltung der Lebensfähigkeit der Stadt bestehen wird. Dies sei gesagt, um Ihre Zweifel zu beseitigen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Mertes.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bei der Darstellung der Verträge von Moskau und Warschau, des innerdeutschen Grundvertrages und des Viermächteabkommens über Berlin in den Jahren 1971 bis 1973 bereits davon ausgegangen, daß unsere östlichen Vertragspartner auch nach diesen Verträgen und Abkommen den Status quo in West-Berlin rechtlich und politisch offensiv in Frage stellen?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich beziehe mich auf die gesamten Erörterungen in den Ausschüssen. Da gibt es eingehende Unterlagen; sie sind Ihnen vollständig bekannt. Die Bundesregierung muß bei allem, was sie tut, selbstverständlich Möglichkeiten ins Auge fassen, die in der Zukunft Wirklichkeit werden könnten. Ich hoffte nur, daß dies auch in der Vergangenheit von allen Betroffenen und Verantwortlichen immer geschehen wäre. Das beginnt im Zusammenhang mit dieser Frage mit der Entstehungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, welche Gedanken hat sich die Bundesregierung darüber gemacht, daß die Sowjetunion als einer der Vertragspartner dieses neuen Freundschaftspaktes das Berlin-Abkommen in so einseitiger Weise verkürzt und in ein neues Abkommen einbringt?
Moersch, Staatsminister: Die Bundesregierung hat gesagt, daß das, was Sie soeben zum Ausdruck gebracht haben, nicht möglich ist. Das Abkommen kann nicht in einseitiger Weise verkürzt werden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneter Wehner.
Herr Staatsminister, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung nicht daran denkt, am Wortlaut und am Geist der von ihr mit anderen abgeschlossenen Verträge deuteln zu lassen, durch welche Interpretationen immer, bzw. auch am Geist und an den Tatsachen der Abkommen und besonders des Abkommen, das die Vier Mächte über Berlin abgeschlossen haben?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, eben das glaubte die Bundesregierung mit den Antworten auf die Fragen 103 und 104 zum Ausdruck gebracht zu haben. Ich bedanke mich dafür, daß Sie mir Gelegenheit geben, das noch einmal zu bestätigen, weil das offensichtlich nicht im ganzen Haus verstanden worden war.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Ist der Bundesregierung bekannt, ob die drei mit uns verbündeten Mächte als Mitunterzeichner des Viermächteabkommens diesbezüglich — gerade zu dem, was Herr Wehner jetzt sagte — bereits diplomatische Schritte unternommen haben, oder steht die Bundesregierung in Verbindung mit den drei verbündeten Mächten, damit sie zur Wahrung dieses Standpunktes in dieser Richtung entsprechende Schritte unternehmen kann?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung steht in allen Fragen, die Berlin betreffen, immer in Verbindung mit den Drei Mächten. Auch die Antworten, die die Bundesregierung, soweit Berlin hier betroffen ist, gibt, sind mit den Drei Mächten abgestimmt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Pfeffermann.
Herr Staatsminister, darf ich Sie unter Bezugnahme auf die Frage des Kollegen Wehner fragen, ob die Bundesregierung gleichwohl mit ansehen muß, daß andere in ihrer politischen Zielsetzung regelmäßig an den geschlossenen Verträgen, und zwar an Geist und Inhalt, rütteln?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, es tut mir leid, Ihnen bei dieser Art der Fragestellung nicht folgen zu können; denn ich habe eher den Eindruck, daß Sie mit solchen Zusatzfragen der Position der Drei Mächte und unserer Position — sicherlich unbeabsichtigt — gar keinen Gefallen tun. Ich verstehe nicht, wie man solche Fragen stellen kann.
Ich rufe die Frage 105 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1975 13399
Vizepräsident von HasselIst es richtig, wie polnischerseits verlautbart worden ist, daß die Zahl von 120 000 bis 125 000 Aussiedlern bis 1979 sowohl Aussiedler in die Bundesrepublik Deutschland als auch Aussiedler in die DDR umschließt?Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatsminister!Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, wenn Sie unter Verlautbarung eine regierungsamtliche Äußerung verstehen, ist der Bundesregierung eine solche nicht bekannt.Sollten Sie auf einen Artikel in „Trybuna Ludu" vom 19. August 1975 Bezug nehmen, in dem von Ausreisen in die Bundesrepublik Deutschland und in die DDR gesprochen wird, ist hierzu festzustellen, daß die polnische Seite unmißverständlich erklärt hat, daß es sich hierbei um die Meinung des Verfassers und nicht um die Auffassung der polnischen Regierung handelt. Außenminister Olszowski hat das gegenüber dem Bundesminister des Auswärtigen anläßlich seines Besuchs in Warschau bestätigt. Zwischen den beiden Regierungen besteht Einvernehmen darüber, daß die im Ausreiseprotokoll genannte Zahl von 120 000 bis 125 000 ausschließlich Fälle der Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland betrifft.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung denn darüber informiert, in welcher Weise die Deutschen, die in die DDR aussiedeln wollen, von dieser Möglichkeit Gebrauch machen können?
Moersch, Staatsminister: Hier gelten wohl die Kriterien, die in der „Information" niedergelegt worden sind. Aber das ist eine Sache, die die Bundesregierung jetzt nicht zu vereinbaren hatte. Wir haben 1970 diese Möglichkeit durchaus ins Auge gefaßt.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Wenn Sie sich, Herr Staatsminister, soeben auf die „Information" beziehen: Können Sie mir darin zustimmen, daß die „Information" seitens der polnischen Regierung an sich als erfüllt gilt?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, wir werden sicher noch Gelegenheit haben, diese Frage
diesem Hause zu diskutieren. Ich möchte der Diskussion darüber nicht vorgreifen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, ist durch Wortlaut und Inhalt des Protokolls oder ähnlicher Texte sichergestellt, daß es sich bei den 125 000 Personen um Deutsche handeln wird, und welche objektiven Kriterien wird die Bundesregierung bei der Beurteilung dieser Frage beachten?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, der Wortlaut des Protokolls ist Ihnen bekannt. Ich darf das unterstellen, so daß ich ihn nicht zu verlesen brauche. Ich nehme an, daß Sie deutsche Volkszugehörige oder deutsche Staatsangehörige nach unserem Recht meinen. Habe ich Sie da recht verstanden?
— Was soll ich dazu erklären? Es ist doch bekannt, wer deutscher Volkszugehörigkeit und wer deutscher Staatsangehöriger nach unserem Recht ist.
— Das steht im Protokoll drin.
— Das steht drin unter Bezugnahme auf die „Information"; ich bitte Sie!
— Soll ich Ihnen das vorlesen, Herr Abgeordneter? Dadurch würde sich die Sachlage leicht klären lassen.
Die Frage 106 der Abgeordneten Frau von Bothmer wird schriftlich beantwortet, da die Fragestellerin nicht im Saal ist. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 107 und 108 des Abgeordneten Schinzel werden wegen Abwesenheit des Fragestellers ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 109 des Abgeordneten Dr. Mertes auf:
Welches ist der Stand des Zustimmungs- oder Ratifikationsverfahrens zum Atomwaffensperrvertrag in Japan, Israel, Brasilien und Indien?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatsminister!
Moersch, Staatsminister: Die japanische Regierung setzt sich für eine baldige Ratifizierung ein. Es wird damit gerechnet, daß das japanische Parlament das Zustimmungsverfahren möglicherweise in der ersten Hälfte des Jahres 1976 abschließt.
Für Israel, Brasilien und Indien läßt sich zur Zeit nicht absehen, ob und gegebenenfalls wann diese Länder dem NV-Vertrag beitreten werden. Brasilien hat den Vertrag von Tlatelolco über eine kernwaffenfreie Zone in Lateinamerika unterzeichnet und das Ratifizierungsverfahren abgeschlossen. Da noch nicht alle Länder dieser Zone den Vertrag in Kraft gesetzt haben, ist er allerdings zur Zeit auch in Brasilien noch nicht in Kraft.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mertes.
Metadaten/Kopzeile:
13400 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1975
Herr Staatsminister, mit welchen Argumenten ist die Ratifizierung des NV-Vertrags in Japan bisher verzögert worden?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich will das im einzelnen nachprüfen. Aber, ich glaube, es kann nicht Sache der Bundesregierung sein, über die Argumente anderer Regierungen zu befinden.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Mertes.
Herr Staatsminister, nach der Zündung eines Kernsprengkörpers durch Indien 1974 stellte ich die Frage, ob Indien dem NV-Vertrag überhaupt noch beitreten kann, nachdem dieser Vertrag als Nuklearmächte nur diejenigen fünf Staaten anerkennt, die vor dem 1. 1. 1967 eine Kernwaffe oder einen sonstigen Kernsprengkörper hergestellt oder gezündet haben.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich bedaure, daß ich diese Frage im Augenblick nicht beantworten kann. Das müßte erst von rechtskundiger Seite geprüft werden. Ich bin dann gern bereit, diese, wie ich meine, im Augenblick hypothetische Frage zu erörtern; denn Indien hat bisher nicht die Absicht zum Beitritt bekundet.
Ich rufe die Frage 110 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Kommentar des stellvertretenden ZK-Mitglieds Ryszard Wojna, daß es sich beim „Protokoll" nur um „eine Familienzusammenführungsaktion" handelt und bedeutet das, daß Deutsche auf Grund „unbestreitbarer deutscher Volkszugehörigkeit" nicht mehr aussiedeln dürfen?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, der Bundesregierung sind polnische Presseäußerungen bekannt, nach denen eine weitere Aktion der Familienzusammenführung auf der Grundlage des Ausreiseprotokolls durchgeführt werden soll. Ausschlaggebend sind jedoch nicht derartige Pressestimmen, sondern der Text des Protokolls, der klarstellt, daß ausreiseberechtigt der in der „Information" beschriebene Personenkreis sein soll. Das ist übrigens auch noch einmal eine Antwort auf die vorherige Zusatzfrage.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, ist Ihnen denn nicht auch aufgefallen, daß bei dem beschriebenen Personenkreis, auf den Sie sich eben bezogen haben, die Deutschen mit „unbestreitbarer deutscher Volkszugehörigkeit", so wie es in der „Information" stand, nicht mit erwähnt sind?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, in dem Protokoll steht folgendes — das kann die Dinge vielleicht klären —:
Minister Olszowski erklärte die Bereitschaft der
Regierung der Volksrepublik Polen, unter Berücksichtigung aller Aspekte dieser Angelegenheit und im Bestreben nach ihrer umfassenden Lösung sich an den Staatsrat der Volksrepublik Polen zu wenden, um das Einverständnis zur Ausreise einer weiteren Personengruppe auf der Grundlage der „Information" und in Übereinstimmung mit den in ihr genannten Kriterien und Verfahren zu erlangen.
Ich halte das für eine umfassende und klare Beschreibung.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Wie erklären Sie sich denn aber, Herr Staatsminister, daß derartige polnische Pressestimmen zu hören sind wie die von Herrn Ryszard Wojna? Ryszard Wojna ist ja nicht irgendein Journalist in einem freien Land, sondern er ist stellvertretendes ZK-Mitglied und d e r Journalist der „Trybuna. Ludu". Er wird also nichts schreiben dürfen, was sich nicht in Übereinstimmung mit der Haltung der polnischen Regierung befindet.
Moersch, Staatsminister: Ich schätze die Äußerungen des polnischen Außenministers höher ein als die Meinungsäußerung von Herrn Wojna. Wir haben Abmachungen mit der Regierung der Volksrepublik Polen getroffen. Ich habe nicht einen Augenblick Grund zu zweifeln, daß dies der zuständige Adressat für Abmachungen war und nicht der Leitartikler von „Trybuna Ludu".
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Sauer.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung Informationen über die Tatsache eingeholt, daß Herr Ryszard Wojna geschrieben hat, die polnische Regierung habe noch einmal ein Entgegenkommen in bezug auf Familienzusammenführung unterbreitet?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, auch hier gilt, was ich vorhin gesagt habe: Die Bundesregierung sieht sich nicht in der Lage, Presseäußerungen zu kommentieren. Es handelt sich hier um Presseäußerungen und nicht um Äußerungen der polnischen Regierung.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, ist Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß in dem eben verlesenen Absatz von 125 000 Personen überhaupt nicht die Rede ist, sondern von den innerstaatlichen Bemühungen in Polen, und daß im nächsten Absatz, wo von 125 000 Personen die Rede ist, nur von Personen gesprochen wird und nicht von Deutschen?Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, das ist meiner Aufmerksamkeit überhaupt nicht ent-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1975 13401
Staatsminister MoerschBangen. Ich hätte offensichtlich, um Sie von der Last weiterer Zusatzfragen zu befreien, das ganze Protokoll vorlesen sollen.
Ich verstehe überhaupt nicht, wie man versuchen kann, sozusagen in Zusatzfragen, einen so klaren Text, wie er hier steht, gegen unsere eigenen Interessen auszulegen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Wehner.
Herr Staatsminister, wird sich die Bundesregierung darum bemühen, daß diese „Protokollnotiz", die einen hohen Rang bekommen hat, auch tatsächlich ausgefüllt wird und daß das nicht durch die Art und Weise gestört oder verhindert wird, in der hier im Deutschen Bundestag und um ihn herum der Versuch gemacht wird, es überhaupt nicht zu einer ordnungsgemäßen Erfüllung kommen zu lassen, wobei immer darüber gestritten wird, wie viele es eigentlich zu sein hätten?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Meinungsfreiheit ist in diesem Lande ein hohes Gut. Aber sie korrespondiert, wie ich meine, für diejenigen, die sich Demokraten nennen, mit der Pflicht zur Interessenwahrnehmung für das ganze deutsche Volk.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, da ich mir vom Kollegen Wehner keinen Maulkorb umhängen lasse, frage ich Sie noch einmal zu diesem Thema: Wie wollen Sie es rechtfertigen, daß, wie Sie sich ausdrücken, der Glaubwürdigkeit des polnischen Außenministers ein höherer Grad zugemessen werden muß als der des Herrn Wojna, nachdem doch der ganzen deutschen Öffentlichkeit bekannt ist, daß der polnische Außenminister, der dies unterschrieben hat, im Jahre 1974 die Ausreise von 50 000 Deutschen aus Polen zugesagt hat und diese Zusage nachher nicht einhalten konnte, weil er offenbar zu weit gegangen war?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Beantwortung dieser Frage fällt unter die Kategorie meiner Antwort von vorhin.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 111 des Abgeordneten Höcherl wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 112 des Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Wurde die Ausreise Deutscher aus den Oder-Neiße-Gebieten durch das am 7. August 1975 paraphierte Protokoll dahin gehend „konkretisiert" , daß eine eindeutige völkerrechtliche Verpflichtung Polens zur Genehmigung der Ausreisen, die „nicht an Bedingungen geknüpft" sind, entsteht und die Wahrnehmung der grundgesetzlich gebotenen Schutzpflicht der Bundesrepublik Deutschland durch Ausübung des diplomatisch-konsularischen Schutzes für Deutsche seitens der Volksrepublik Polen eindeutig zugestanden wird?
Zur Beantwortung, Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Im Ausreiseprotokoll hat die polnische Seite eine verbindliche Zusicherung über die Möglichkeit der Ausreise für 120 000 bis 125 000 Angehörige des in der „Information" beschriebenen Personenkreises gegeben. Mit dieser Zusage sind keine Bedingungen verknüpft. Die von Ihnen wiederholt aufgeworfene Frage der Schutzpflicht und der praktischen Grenzen, auf die angesichts der gegebenen Umstände ihre Wahrnehmung stößt, ist sowohl in den Fragestunden des Deutschen Bundestages als auch in den Sitzungen des Auswärtigen Ausschusses nicht zuletzt auf Grund der von Ihnen gestellten Fragen ausführlich erörtert worden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Welche Teile des Protokolls enthalten nach Wortlaut und Sinn eine völkerrechtliche Verpflichtung und nicht nur eine Information über innerstaatliche Vorgänge ohne Verpflichtungscharakter?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, der Deutsche Bundestag wird in Kürze Gelegenheit haben, über diesen Gesamtkomplex zu sprechen. Die Bundesregierung wird ihre Vorlage entsprechend erläutern und kommentieren. Ich möchte bitten, diese Debatte hier nicht vorwegzunehmen.
Noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Hat die Bundesregierung nach den bisherigen zahlreichen Erfahrungen mit der generellen Zurückweisung der Schutzpflicht der Bundesrepublik für Deutsche durch Polen, nunmehr im Protokoll irgendwo die Wahrnehmung dieser verfassungsmäßigen Pflicht vertraglich gesichert? Würden Sie darüber die Öffentlichkeit auch in der Fragestunde aufklären?Moersch, Staatsminister: Ich bin bereit, die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, wenn Sie einen ganz bestimmten Punkt nennen, an Hand dessen ich diese Frage beantworten kann.Ich darf aber noch einmal in Erinnerung rufen, daß Sie von der falschen Prämisse ausgehen, die Frage,
Metadaten/Kopzeile:
13402 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1975
Staatsminister Moerschwelche Staatsangehörigkeit jemand besitze, sei zwischen uns und der Volksrepublik Polen unumstritten. Wahr ist vielmehr, daß die polnische Seite viele Staatsbürger, die nach Art. 116 unseres Grundgesetzes die deutsche Staatsangehörigkeit beanspruchen können, als polnische Staatsbürger ansieht. Wahr ist auch, daß die polnische Seite nie bereit war, über Fragen, die nach ihrer Meinung allein nach ihrem Rechte zu klären sind, mit anderen Staaten Verträge abzuschließen. Es geht also hier um Positionen, die Sie rechtlich nicht auf einen Nenner bringen können. Ich brauche jetzt nicht die ganze Vorgeschichte zu bemühen, um zu erläutern, warum das so ist.Ich darf auch darauf hinweisen, daß z. B. die Vokabel „unbestreitbar deutsche Volkszugehörigkeit" ein Verb enthält, das unter normalen Umständen nicht nötig wäre, weil „Volkszugehörigkeit" nach unserer Meinung klar ist. Daß es aber offensichtlich bestreitbare Volkszugehörigkeiten gibt, ist auf Grund der gesamten geschichtlichen Bedingungen nicht von der Hand zu weisen. Ich glaube, viele von uns haben eigene Erfahrungen in Einheiten der Deutschen Wehrmacht sammeln können, in denen es Soldaten gab, die nach ihrer eigenen Auffassung Polen, nach Auffassung des damaligen Deutschen Reiches aber Deutsche waren und deswegen zum deutschen Wehrdienst herangezogen worden sind. Wenn Sie diese Streitfrage im Auge haben, dann wissen Sie, wie unmöglich es jetzt ist, hier Antworten zu geben, die alle Teile voll zufriedenstellen könnten.
Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Staatsminister, liegt es nicht im Interesse der Bundesrepublik Deutschland insgesamt, daß diese Protokolle — „Notizen", wie man sie häufig nennt , die im Zusammenhang mit der Unterzeichnung der Abkommen am 9. Oktober durch den Herrn Bundesminister des Auswärtigen ihren besonderen Rang erhalten und behauptet haben, nun nicht herabsetzend eingestuft werden?
Moersch, Staatsminister: In der Tat, Herr Abgeordneter, es ist so. Deswegen will die Bundesregierung dies auch dem Deutschen Bundestag in entsprechender Form zur Kenntnis bringen. Der Deutsche Bundestag wird dann sicher Gelegenheit haben, dazu seine Meinung zu äußern, auch wenn es sich nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt.
Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, können Sie den von Herrn Wehner soeben apostrophierten „besonderen Rang" auch insofern klären, daß ein Protokoll etwas anderes ist als ein Vertrag und daß es ja wohl sein Bewenden haben muß, daß Polen hinsichtlich der Aussiedlung der Deutschen eben keinen Vertrag und kein Abkommen abgeschlossen, sondern sich nur zu einem Protokoll bereit erklärt hat?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich habe vorhin zu erklären versucht, wo gemeinsame Positionen möglich waren und wo nicht. Die Frage ist damit beantwortet. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß wir Absprachen getroffen haben, die in einer bilateralen Vereinbarung gemündet haben und die wir hier im einzelnen erläutern werden. Sie werden sicherlich noch Gelegenheit haben, dieses Thema hier in kommentierender Form und nicht nur in fragekommentierender Form anzusprechen. Dann wird die Bundesregierung entsprechend Stellung nehmen.
Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Friedrich.
Herr Staatsminister, ist es nicht verwunderlich, daß die Opposition heute diese Fragen hier stellt, obwohl der Herr Bundesminister des Auswärtigen selbst gestern im Auswärtigen Ausschuß eine erschöpfende Auskunft über den Rang des Protokolls gegeben hat und zugesichert worden ist, daß dies den Abgeordneten auch schriftlich mitgeteilt wird?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, für mich sind diese Fragen nach aller Erfahrung in der Vergangenheit nicht verwunderlich.
Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Dr. Mertes.
Herr Staatsminister, nachdem Sie mir einmal in einer früheren Fragestunde geantwortet haben, die „Information" sei die Geschäftsgrundlage des Warschauer Vertrages gewesen, darf ich Sie nun fragen: Ist die Bundesregierung bereit, das Hohe Haus, insbesondere den Abgeordneten Wehner, darüber zu informieren, welche Abgeordneten auf Erfüllung dieser feierlichen polnischen Zusage stets gedrängt haben?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, sicherlich ist es möglich, dies zu tun. Aber Sie wissen aus den Verhandlungen im Auswärtigen Ausschuß und auf Grund anderer Gelegenheiten sicherlich auch, welche Probleme wirklich vorhanden waren und welche Probleme vorhanden sind.
Ich rufe die Frage 113 des Herrn Abgeordneten Roser auf:Wie vereinbart sich die von der Bundesregierung in New York feierlich erklärte Absicht, bis 1980 0,7 % des Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen, mit der vor wenigen Tagen von der Bundesregierung beschlossenen mittelfristigen Finanzplanung, die im Entwicklungshilfeetat für 1979 nominal weniger öffentliche Entwicklungshilfe vorsieht als 1975, so daß sich der Anteil der gesamten öffentlichen Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt nach Schätzungen 1979 lediglich auf 0,25 % des Bruttosozialprodukts belaufen wird?Bitte zur Beantwortung, Herr Staatsminister!
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1975 13403
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, in der Schlußresolution der 7. Sondergeneralversammlung bestätigen die entwickelten Länder ihre Verpflichtungen bezüglich der Leistungsziele gemäß der internationalen Entwicklungsstrategie, die sie früher eingegangen sind. In ihrer Beitrittserklärung zur internationalen Entwicklungsstrategie hatte die Bundesregierung dem 0,7 %-Ziel zwar zugestimmt, aber keine Verpflichtung bezüglich des Zeitzieles übernommen. Sie hatte vielmehr erklärt, daß sie sich bemühen wird, dieses Ziel zu einem möglichst frühen Zeitpunkt zu erreichen. Diese Erklärung gilt weiter.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, angesichts der Tatsache, daß die Bundesregierung die deutsche Delegation feierlich und ohne Vorbehalt der Schlußdeklaration mit dem Zeitziel 1980 hat zustimmen lassen, sowie angesichts der Tatsache, daß wir im Jahre 1980 bei zur Verfügungstellung von 0,7 % des Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe 11,1 Milliarden DM aus dem Einzelplan 23 aufbringen müßten, die Bundesregierung in der mittelfristigen Finanzplanung für 1979 aber nur 3,5 Milliarden DM vorgesehen hat, frage ich Sie, wie die Bundesregierung ihre feierliche und ohne Vorbehalt eingegangene Verpflichtung, bis 1980 0,7 % des Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen, tatsächlich einlösen will?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, in Ihrer Frage sind Prämissen enthalten, die so nicht zutreffend sind. In der Frage 114, die Sie gestellt haben, werde ich darauf kurz eingehen. Darf ich sie sofort beantworten? Das klärt vielleicht die Sachlage.
Dann rufe ich die Frage 114 gleich mit auf:
Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung nicht — ähnlich anderen EG-Staaten — in der Frage des 0,7 %-Ziels angesichts ihrer mittelfristigen Finanzplanung einen Vorbehalt eingelegt?
Sie haben die gleiche Anzahl von Zusatzfragen.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat einer Bemühensklausel zugestimmt. Es war daher sachlich nicht erforderlich, hierzu eine Erklärung abzugeben. Unsere Haltung war allen Konferenzteilnehmern bekannt. An ihr hat nach der Annahme der Resolution kein einziges Land der Dritten Welt gezweifelt.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Roser.
Herr Staatsminister, wie wollen Sie meine These widerlegen, daß die Bemühensklausel sich ausdrücklich auf die Länder bezieht, von denen es heißt — ich zitiere wörtlich —: „Die entwickelten Länder, die sich noch nicht an diese Ziele gebunden haben, verpflichten sich, sie noch innerhalb dieses Jahrzehnts nach besten Kräften anzustreben." Sie bezieht sich also nicht auf die Bundesrepublik, die diese Verpflichtung früher bereits ohne zeitliche Festlegung im Sinne einer Bemühensbekundung eingegangen ist.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich kann Ihrer Auslegung auf Grund der mir vorliegenden Texte nicht folgen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schluckebier.
Herr Staatsminister, wie bewertet die Bundesregierung angesichts der Frage des Herrn Kollegen Roser das ausdrückliche Lob des Vorsitzenden des Ausschusses für Entwicklungshilfe der OECD, Maurice Williams, das er auf dem entwicklungspolitischen Kongreß der CDU der Bundesregierung wegen der großen Steigerung ihres Mittelflusses und ihrer Entwicklungshilfeauslagen gezollt hat?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, falls Sie mit dieser Frage ausdrücken wollen, daß es innerhalb der Opposition zu gewissen Meinungsänderungen gekommen ist, so bewerte ich das als eine Erfahrung, die dem politischen Leben entspricht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl.
Herr Staatsminister, ist es nicht verwunderlich, und welche Gründe könnten dafür sprechen, daß Herr Roser, der bei der 7. Sondergeneralversammlung als Beobachter für seine Fraktion teilgenommen hat und bei sämtlichen Gesprächen und Beratungen zugegen war, einen so schlechten Informationsstand besitzt, daß er glaubt, derartige Fragen hier im deutschen Plenum stellen zu müssen?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, es ist der meiner Ansicht nach berechtigte Wunsch eines Abgeordneten, seine eigenen Entscheidungen, die einmal in Kommentaren zum Ausdruck gekommen sind, noch einmal von der Bundesregierung überprüfen zu lassen. Ich bewerte die Fragen des Herrn Abgeordneten Roser als eine Hilfe für die Bundesregierung, ihren Standpunkt noch einmal verdeutlichen zu können.
Im übrigen mache ich den Fragesteller darauf aufmerksam, daß Dreiecksfragen von einem Abgeordneten über die Regierung zu einem anderen Abgeordneten hier im Bundestag nicht üblich sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schleifenbaum.
Herr Staatsminister, stimmen Sie mir zu, daß es ja die Möglichkeit einer spä-
Metadaten/Kopzeile:
13404 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1975
Schleifenbaumteren Korrektur der mittelfristigen Finanzplanung in Richtung des in New York erklärten Ziels, nämlich des 0,7 %-Ziels, weiterhin gibt und daß es im Auge behalten werden muß, wenn dies auf Grund der Haushaltsentwicklung möglich ist.Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat über ihre Zielsetzungen Klarheit geschaffen. Sie hat das noch einmal in vielen Erklärungen verdeutlicht, aber sie hat auch auf die gegenwärtige Lage hingewiesen. Ich möchte den Kollegen, die sich in der Voraussage sicher fühlen, was in fünf Jahren etwa sein wird, in Erinnerung rufen, daß es das Schicksal aller solcher Voraussagen war, von der Wirklichkeit verändert zu werden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Todenhöfer.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung durch ihre mittelfristige Finanzplanung und durch den Beschluß, 1979 weniger Geld für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen als in diesem Jahr, nicht letztlich beschlossen, ihre in New York feierlich erklärte Absicht, 0,7 % des Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen, nicht zu verwirklichen, und sind Sie nicht der Auffassung, daß Sie der Glaubwürdigkeit der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik in New York einen sehr schlechten Dienst erwiesen haben?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, dieser Auffassung bin ich nicht.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Roser.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich meine von einem Kollegen hier zitierte Erklärung ausdrücklich auf die Dauer meines Besuches als Beobachter in New York bezogen hat und nicht auf das Schlußdokument und schon gar nicht auf das angesichts der Rede des Bundesaußenministers nun wahrhaftig nicht zu erwartende Ergebnis, und sind Sie weiter bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich in dieser meiner Erklärung ausdrücklich festgestellt habe, bezogen auf die Dauer meines Besuches, daß die Entwicklungsländer ihre großen Ziele der Durchsetzung der Majoritätsbeschlüsse der 6. Sondergeneralversammlung nicht aufgegeben haben und daß ebenso deutlich ihr Wille erkennbar ist, solidarische Geschlossenheit walten zu lassen?
Verehrter Herr Kollege, ich darf Sie bitten, in Zukunft die Richtlinien für die Fragestunde zu beachten, wonach die Fragen und auch die Zusatzfragen kurz gefaßt werden müssen.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich will dem Rat des Präsidenten folgen und kurz antworten: Ich bin ein Freund der Aufklärung.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Köhler .
Herr Staatsminister, bei aller Skepsis gegenüber mittelfristigen Planungen: Würden Sie mir freundlicherweise Ihre Erfahrung mitteilen, aus der man ableiten könnte, daß sich ein für 1979 beschlossener Mittelansatz von 3,5 Milliarden DM innerhalb eines Jahres um mehr als das Dreifache erhöhen würde? Welche Erfahrungen haben Sie, um so etwas für denkbar zu halten?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich will meine Erfahrungen prüfen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Wehner.
Herr Staatsminister, nachdem ich hier zu meinem Erstaunen und Erschrecken habe feststellen müssen, daß hochwichtige Reden, die da in New York gehalten worden sind und gehalten werden, offensichtlich nicht den Teil dieses Parlaments erreichen, der gerne lernen möchte: Könnte die Regierung auf Grund der Belehrungen in dieser Fragestunde nicht daran denken, Bandaufnahmen solcher bedeutsamer Reden in einer besonderen Kemenate ständig vorspielen zu lassen?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, vielleicht könnten wir dafür eine Kassette anlegen.
Ich rufe die Frage 115 des Abgeordneten Dr. Todenhöfer auf:
Wie vereinbart die Bundesregierung die Aussage von Bundesminister Bahr am 17. September 1975, „In New York wurde ein Durchbruch zugunsten der Entwicklungsländer erreicht", dem die Bundesregierung vorbehaltlos zugestimmt habe, mit dessen Aussage vom 27. September 1975 gegenüber der Deutschen Welle —nachdem Kritik an der Haltung der Bundesregierung aufgekommen war —, daß die Industrieländer und Entwicklungsländer bei ihren alten Positionen bleiben und daß niemand Grundsatzpositionen und Grundsatzwünsche aufgegeben habe, und worin besteht nach Auffassung der Bundesregierung der „Durchbruch" zugunsten der Entwicklungsländer?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatsminister.
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, der Durchbruch liegt darin, daß sich beide Seiten, Industrieländer und Entwicklungsländer, ohne Aufgabe von Grundsatzpositionen verständigt haben, die Lösung konkreter Probleme in Angriff zu nehmen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Todenhöfer.
Herr Staatsminister, da dies keine Antwort war, frage ich Sie, ob Sie
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1975 13405
Dr. Todenhöferder — auch in der Wochenzeitschrift „Die Zeit" vom 10. Oktober 1975 vertretenen — Auffassung zuneigen, daß die Bundesregierung die wahren Gründe für ihr Abstimmungsverhalten in New York nicht offen darlegt, weil sie — ich zitiere — glaubt, die Öffentlichkeit sei noch nicht reif genug, um die Richtigkeit und Notwendigkeit einer solchen Politik einzusehen?Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Beibringung von Zitaten ist kein Beweis für die Richtigkeit dessen, was der Kommentator gesagt hat. Das gilt auch für Ihre Äußerung vorher zu meiner Antwort.
Zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Todenhöfer.
Herr Staatsminister, ich hatte nicht nur die „Zeit" zitiert, sondern eine Frage gestellt, die Sie nicht beantwortet haben.
Ich möchte Sie fragen: Sind die Aussagen der Bundesregierung bezüglich der freien Weltwirtschaftsordnung vor der Abstimmung zum Schlußdokument und nach der Abstimmung zum Schlußdokument — leider nicht während der Abstimmung — von demselben Grad des politischen Durchsetzungswillens getragen wie die vorbehaltlose Zustimmung der Bundesregierung zur Festsetzung des Zeitziels 1980 für das 0,7-Prozent-Ziel?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich muß jetzt davon absehen, die Unterstellungen oder die mißverständlichen Interpretationen, die Sie in Ihre Frage hineingelegt haben, zurückzuweisen. Wir haben noch viele Fragen zu beantworten. Ich bin nicht der Meinung, daß ich Sie überzeugen kann.
Immerhin muß ich Ihnen sagen, daß die Bundesregierung in ihrer praktischen Politik niemals einen Zweifel daran gelassen hat, daß sie eine Verbesserung, aber nicht eine Abschaffung der Weltwirtschaftsordnung wünscht. Niemand in der Dritten Welt ist über diese Meinung der Bundesregierung im Zweifel. Sie hatte gerade gestern in Paris bei der Vorbereitung der Konferenz der Verbraucher-und Erzeugerländer Gelegenheit, dies in dem internationalen Dialog noch einmal deutlich zu machen, und dies ist mit Erfolg geschehen. Ich verstehe nicht, welchen praktischen Anhaltspunkt Sie haben könnten, zu behaupten, die Bundesregierung sei von dieser Meinung abgewichen.
Die Bundesregierung bemüht sich, in geduldiger Weise andere von der Richtigkeit ihrer Ansichten zu überzeugen. Sie hat konkrete Vorschläge zu dem Themenkreis gemacht. Die Rede des Bundesaußenministers in New York ist die Grundlage für die Weiterentwicklung dieser Vorschläge. Sie wissen, glaube ich, ganz gut, wie die Dinge dort tatsächlich gelaufen sind. Ich möchte Ihnen sagen, daß ich es immer wieder bewundere, wenn jemand nach dem Motto handelt: „Wer halb zitiert, hat ganz gewonnen."
Eine Zusatzfrage, der Abgeordneten Kaffka.
Herr Staatsminister, hält die Bundesregierung es nicht für bedenklich, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, daß es nach Abschluß der 7. Sondergeneralversammlung noch um ideologische Konfrontation zwischen Industrie- und Entwicklungsländern gehe, nachdem sich alle Beteiligten darauf verständigt haben, zunächst konstruktive Sachlösungen unter Hintanstellung von Grundsatzfragen voranzutreiben?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich teile die in der Frage enthaltene Meinung in vollem Umfang. Bei einigen Fragen, vor allem nachdem ich Einlassungen aus früheren Erklärungen kennengelernt habe, verstärkt sich bei mir ein bißchen der Eindruck, daß hier gelegentlich sozusagen Opposition der Opposition wegen getrieben wird, also l'art pour l'art.
Meine Damen und Herren, ich darf darauf verweisen, daß die Richtlinien für die Fragestunde vorschreiben, daß Wertungen in eine Frage nicht aufgenommen werden dürfen. Ich meine mit Blick auf die Regierung, daß mit Rücksicht darauf, daß die Abgeordneten nicht werten dürfen, auch in der Antwort eine gewisse Zurückhaltung mit Wertungen eintreten müßte.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Werner.
Herr Staatsminister, nachdem Sie gerade als den Standpunkt der Bundesregierung dargelegt haben, daß die bisherige Weltwirtschaftsordnung grundsätzlich beibehalten, allerdings in einzelnen Teilen verbessert werden sollte — ich glaube Sie so richtig verstanden zu haben —, muß ich Sie fragen, wieso die Bundesregierung ihrerseits in den Schlußdokumenten und in der Schlußabstimmung die Bekräftigung der Ziele der in Abs. 2 der Schlußdeklaration genannten neuen Weltwirtschaftsordnung durch ihre Unterschrift ausdrücklich akzeptiert und gebilligt hat.Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich bedaure, daß Sie nicht geduldig genug sind, die Antworten auf die anderen Fragen abzuwarten. Ich werde hier noch einmal darlegen können, was die Erklärung der Neun bedeutet und wie die Erklärungen der Bundesregierung zur 6. Sondergeneralversammlung zu werten sind, die unverändert fortbestehen. Ich sage Ihnen noch einmal: Ich bin einfach überrascht, daß solche Zweifel in dieser Form hier geäußert werden, nachdem die betroffenen Länder in der übrigen Welt keinerlei Zweifel an unserer Haltung haben.
Metadaten/Kopzeile:
13406 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1975
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Stahl.
Herr Staatsminister, kann die Bundesregierung bestätigen, daß zahlreiche Mitglieder der Gruppe der 77 die konstruktive Haltung der Bundesregierung ausdrücklich begrüßt haben und daß dadurch ein wesentlicher Beitrag zum erfolgreichen Abschluß der 7. Sondergeneralversammlung geleistet worden ist?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, so ist es. Und ich gehe darüber hinaus: Eine Reihe von Gesprächspartnern aus der Dritten Welt, mit denen ich inzwischen gesprochen habe, haben sehr nachdenklich auf unsere Einlassungen bezüglich der Grundlagen der Weltwirtschaftsordnung reagiert und haben mir zugestimmt in den Erläuterungen dessen, was wir den marktwirtschaftlichen Mechanismus in der Welt nennen. Ich glaube, daß die Bundesregierung mit ihrem Vorgehen einen wesentlichen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion, zur Entemotionalisierung und zur Entideologisierung geleistet hat. Ich würde es bedauern, wenn der Bundesregierung im eigenen Lande unterstellt würde, dies sei nicht der richtige Weg. Der Weg der Konfrontation hat jedenfalls zum Gegenteil geführt. Wir haben es mit dem Weg der Kooperation versucht.
Ich rufe die Frage 116 des Abgeordneten Dr. Todenhöfer auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß sie — nachdem sie dem Schlußdokument der 7. Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen „ohne Vorbehalt" zugestimmt hat — auf der kommenden 4. Welthandelskonferenz auf ihre früheren Vorbehalte zurückkommen kann, ohne bei den Entwicklungsländern erweckte Erwartungen zu enttäuschen?
Zur Beantwortung bitte, Herr Staatsminister!
Moersch, Staatsminister: Ich beantworte diese Frage mit Ja.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Todenhöfer.
Herr Staatsminister, nach dieser ausführlichen Auskunft möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht der Auffassung sind, daß ein Zurückkommen auf die alten Vorbehalte der 6. Sondergeneralversammlung die Konfrontation eher verstärken wird, mit anderen Worten, daß die Konfrontationsgefahr wachsen wird, wenn die Vorbehalte der 6. Sondergeneralversammlung bei der vierten Welthandelskonferenz oder bei einer anderen UNO-Sondersitzung wieder vorgebracht werden, und daß dies daher keine Verbesserung der Kooperation zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern bedeutet?
Moersch, Staatsminister: Die Bundesregierung fühlt sich in ihrer Haltung und ihrer Zielsetzung durch die praktischen Folgerungen, die bereits aus der 7. Sondergeneralversammlung gezogen worden sind, bestätigt und kann spekulative Befürchtungen nicht teilen.
Die Resolution der 7. Sondergeneralversammlung hat insbesondere Anhaltspunkte für die Art der auf der 4. Tagung der UNCTAD zu behandelnden Themen gegeben, ohne das Ergebnis dieser Ende Mai 1976 stattfindenden Konferenz vorwegzunehmen.
Ich verweise im übrigen auf die Antwort der Bundesregierung auf die Fragen 89 und 90, Anlage 10 zum Protokoll der 190. Sitzung des Deutschen Bundestages am 2. Oktober 1975, wo dies ausführlich dargestellt worden ist.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Dr. Todenhöfer.
Herr Staatsminister, sehen Sie wirklich ein Bekenntnis zur freien Weltwirtschaftsordnung in der Präambel, der Sie vorbehaltlos zugestimmt haben und in der es heißt, daß die Zusammenarbeit in Zukunft auf den Prinzipien der Deklaration und des Aktionsprogramms einer neuen Weltwirtschaftsordnung, die bekanntlich planwirtschaftliche Elemente enthält, beruhen soll?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, erstens ist die Art der Verbindlichkeit der Präambel, so glaube ich, in der ganzen Welt klar.
Zweitens frage ich Sie, ob der jetzige Zustand in der Weltwirtschaft, in der es ganz offensichtlich wirksame Kartelle gibt, Ihren Vorstellungen von einer freien Weltwirtschaftsordnung entspricht.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Köhler .
Herr Staatsminister, wenn ich akzeptiere, daß Sie es als Ziel der Bundesregierung bezeichnen, eine freie Weltwirtschaftsordnung zu erhalten und zu verbessern und geduldig andere Partner davon zu überzeugen, dann frage ich Sie, wie diese Auffassung mit den Äußerungen des Herrn Bundesministers Bahr vereinbar ist, der kürzlich vor der Friedrich-Ebert-Stiftung das neue Weltwirtschaftssystem als ein System der Koexistenz zwischen Planwirtschaft und Marktwirtschaft beschrieben hat.Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen in diesem Punkt mit der Frage nicht folgen; denn daß andere Staaten andere wirtschaftliche Vorstellungen haben als wir, ändert doch überhaupt nichts daran, daß wir auf unserer Basis der marktwirtschaftlichen Vorstellungen mit ihnen Handel treiben.Ich habe noch nie gehört, daß die Bundesregierung ausgezogen wäre, die ganze Welt nach ihren Gesichtspunkten der Marktwirtschaft ordnen zu wollen; da könnten wir den Welthandel weitgehend einstellen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1975 13407
Staatsminister MoerschHerr Bahr hat doch einen Zustand beschrieben, der in der Welt vorhanden ist. Daß auch Staatshandelsländer sich an marktorientierte Preise halten müssen, wenn sie etwa auf dem Weltmarkt einkaufen, ist doch völlig unbestritten.Entschuldigen Sie, wenn ich hier sage: Ich glaube fast, wir streiten hier um des Kaisers Bart.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schleifenbaum.
Herr Staatsminister, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß der Begriff „freie Weltwirtschaft" nicht ein Glaubensbekenntnis an sich sein kann, sondern daß wir — ähnlich wie wir es auf nationaler Ebene haben — auch einmal den Begriff „sozial" in diese Diskussion einführen könnten?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich will jetzt nicht vertiefen, wie es mit bestimmten Vokabeln steht. Gelegentlich muß man sie vom Lateinischen ins Deutsche rückübersetzen oder auch vom Deutschen ins Lateinische, um die Ursprungsgründe offenzulegen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hofmann.
Herr Staatsminister, bekomme Sie nicht allmählich wie ich die Auffassung, daß die Kampagne der CDU/CSU gegen die Ergebnisse der 7. Sondergeneralversammlung bestenfalls dahin führt, daß es hier nicht zu einer kooperativen Lösung der aktuellen Wirtschaftsprobleme kommt, sondern daß dieser Komplex eher zu einer Konfrontation in der Innenpolitik mißbraucht wird?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich habe nicht die Befürchtung, daß die Meinungsäußerungen der Opposition — Sie haben von einer „Kampagne" gesprochen; ich vermag das nicht ganz so zu sehen — die Bundesregierung irgendwie daran hindern könnten, in Fragen der Weltwirtschaft und in den Debatten der Generalversammlung der Vereinten Nationen das zu entscheiden und das zu tun, was die Bundesregierung auf Grund ihrer Pflichten für richtig hält.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Wehner.
Herr Staatsminister, bei allem Streit um die Vortrefflichkeit sogenannter wirtschaftlicher Modelle: Kommt es nicht darauf an, daß sich in diesem Bereich unser Staat, die Bundesrepublik Deutschland, vor allem als ein Partner erweist, mit dem man arbeiten und rechnen und auf den man zählen kann?
Moersch, Staatsminister: Die Bundesregierung hat versucht, diese Maxime in allen Teilen zu befolgen, und ich meine, die Ergebnisse sprechen eindeutig für die Bundesregierung. Das sehen Sie u. a. daran, daß es ja Industriestaaten des Westens gegeben hat, die ursprünglich unseren methodischen Vorstellungen nicht folgen wollten, sich aber inzwischen unseren Vorstellungen in vollem Umfang angeschlossen haben. Ich glaube, das bestätigt die Richtigkeit unserer Position.
Eine letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Roser.
Herr Staatsminister, wollen Sie es angesichts der Rede des Herrn Bundesaußenministers in New York tatsächlich ausschließen, daß die Zustimmung der deutschen Delegation am Ende — die zweifelsfrei in Widerspruch zu dieser Rede steht — nicht doch aus innenpolitischer Rücksichtnahme angesichts laufender Diskussionen erfolgte?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich kann das ausschließen. Das steht nicht, wie Sie vermuten, in einem Widerspruch. Das ist Ihre Meinung. Ich habe darüber eine andere Meinung. Die Bundesregierung hat sich zu der Zustimmung und zu ihrer Verhaltensweise nicht etwa aus einer plötzlichen Laune heraus entschieden, sondern nach sorgfältiger Rücksprache mit allen Betroffenen und Verantwortlichen.
Ich rufe die Frage 117 des Abgeordneten Dr. Köhler auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß in Ziffer I/3 der Schlußdokumente der 7. Sondergeneralversammlung für die 4. Welthandelskonferenz im nächsten Frühjahr bezüglich des von ihr bisher stets abgelehnten integrierten Rohstoffprogramms nicht nur ein Prüfungsauftrag, sondern auch ein Konkretisierungsauftrag erteilt wurde, wobei einzelne Punkte eines solchen integrierten Rohstoffprogramms durch Aufführung in den Auftrag bereits präjudiziert werden?
Zur Beantwortung der Herr Staatsminister bitte.
Moersch, Staatsminister: Auf der 7. Sondergeneralversammlung wurde entschieden, daß über Rohstoff-Fragen erst auf der 4. Tagung der UNCTAD im Mai 1976 Beschlüsse gefaßt werden sollen. Der in der Entschließung aufgeführte Katalog umfaßt alle wesentlichen Themen auf dem Rohstoffsektor, die international diskutiert werden. Daraus wird klar, daß auf der 7. Sondergeneralversammlung keine Konkretisierung oder Präjudizierung in der einen oder anderen Richtung getroffen wurde.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Köhler.
Herr Staatsminister, wenn Sie hier eine Präjudizierung durch diesen sehr detaillierten Katalog einzelner Beschlußmöglichkeiten ausschließen, dann frage ich allerdings — da sich ja eine ganze Reihe von Beschlüssen darunter befindet, die nach mehreren Aussagen der Bundesregierung nicht wünschenswert sind —, warum man überhaupt der Prüfung dieser einzelnen Möglichkeiten zugestimmt hat.
Metadaten/Kopzeile:
13408 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1975
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, das ist eine entscheidende Frage im internationalen Verkehr der Staaten untereinander. Man kann aus einer tiefen Überzeugung heraus sagen: da wollen wir überhaupt keine Zeit verlieren und nein sagen. Damit habe ich aber andere, die nach unserer Auffassung eine Methode empfehlen, die nicht wirksam sein kann, noch lange nicht überzeugt. Wenn ich dagegen bereit bin, in aller Unvoreingenommenheit und geleitet vom Willen zur Objektivität Fakten zu prüfen, wenn sie auf den Tisch gelegt sind, wenn ich mich also dieser Mühe unterziehe und dann zu dem gleichen Ergebnis komme, von dem ich überzeugt bin und zu dem wir durch lange interne Diskussion längst gekommen sind, dann ist das für niemanden, der früher einen anderen Standpunkt eingenommen hat, verletzend. Deswegen empfehle ich dieses Vorgehen, das die Bundesregierung sich zu eigen gemacht hat, und nicht ein teutonisches Nein am Anfang.
Noch eine Zusatzfrage? — Bitte schön, eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, würden Sie mir dann aber zustimmen, daß damit, zumal keinerlei Vorbehalte gemacht wurden — Vorbehalte bedeuten ja noch kein Nein —, die Gefahr späterer harter Konfrontationen entsteht, dann allerdings zu einem Zeitpunkt, in dem Sie als Regierung nicht mehr die Handlungsfreiheit haben, die Sie bei der 7. SGV noch hatten?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich teile diese Befürchtung nicht. Sehen Sie, wir haben früher in einem anderen Fall die Grenze ganz genau markiert, über die wir niemals gehen können, und wir haben erfahren, daß durch geduldige bilaterale Gespräche viele andere sich inzwischen unseren Auffassungen angenähert haben. Wir haben im übrigen bei allen gebotenen Gelegenheiten unsere Auffassung nicht nur dargelegt, sondern begründet. Diese Argumente sind den anderen zur Kenntnis gekommen. Wir haben dies erst vor wenigen Tagen hier im Lande noch einmal deutlich getan. Es kann also niemand einen Zweifel hinsichtlich unserer Grundposition haben. Wenn ich aber von anderen verlange, daß sie ihre Position überdenken sollen, muß auch ich bereit sein, meine eigenen Positionen in die Überlegungen einzubeziehen; sonst verlange ich von den anderen ein Verhalten, das ich selber nicht praktizieren möchte.
Ich rufe die Frage 118 des Abgeordneten Dr. Köhler auf:
Weshalb hat die Bundesregierung, im Gegensatz zur amerikanischen Regierung, Studien über direkte und indirekte Preis-indexierungsverfahren mit dem Ziel konkreter Vorschläge für die 4. Welthandelskonferenz zugestimmt, obwohl sie immer wieder beteuert, eine Preisindexierung komme für sie nicht in Betracht?
Moersch, Staatsminister: Die Bundesregierung hat dem Studienauftrag zugestimmt, weil sie davon überzeugt ist, daß die Studien die Richtigkeit der Auffassungen der Bundesregierung bestätigen werden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Köhler.
Gehen Sie, Herr Staatsminister, also davon aus, daß die Prüfung durch den Generalsekretär der UNCTAD zu dem Ergebnis kommen wird, daß ein solches Modell nicht praktikabel ist, oder warum haben Sie, wenn Sie anderer Erwartung sind, nicht doch Vorbehalte angemeldet?
Moersch, Staatsminister: Wir gehen davon aus, wenn ich diese Vokabel aufnehmen darf, daß die Prüfung zu einer Versachlichung der Diskussion führt und daß unsere gewichtigen Argumente dabei berücksichtigt werden.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Köhler.
Herr Staatsminister, nachdem uns nun genügend Berichte gerade der Presse der Entwicklungsländer vorliegen, aus denen hervorgeht, daß in diesen Fragen das Abstimmungsergebnis als der Sieg der Dritten Welt über die USA verstanden worden ist, glauben Sie wirklich, daß Sie nach der vorbehaltlosen Zustimmung der Bundesregierung ohne Glaubwürdigkeitsverlust auf der Vierten Welthandelskonferenz solche Modelle ablehnen können?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, Berichte dieser Art, die Sie zitieren, mag es geben. Ich kann sie im einzelnen jetzt nicht nachprüfen. Dies ändert doch aber nichts daran, daß diejenigen Beobachter, die sachkundige Beobachter genannt werden dürfen, diese Auffassung, die Sie eben zitiert haben, nicht teilen. Davon habe ich mich selbst in vielen Gesprächen überzeugen können, und das ist wichtig. Es kommt nicht auf den Umfang von kritischen Veröffentlichungen an, sondern auf die Qualifikation derer, die diese Entscheidungen kommentieren, und hier können wir sehr zufrieden sein mit dem Echo aus der Dritten Welt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Todenhöfer.
Herr Staatsminister, das war ein Zitat aus einer algerischen Zeitung. Dies aber nur zur Erklärung.Wie erklärt sich die Bundesregierung die Tatsache, Herr Staatsminister, daß Staatssekretär Rohwedder auf der Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung am 14. Oktober 1975 im Namen der Bundesregierung zwar Regierungsabkommen über Mengen und Preise sowie eine Indexierung bei Erdöl abgelehnt
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1975 13409
Dr. Todenhöferhat, aber diese Ablehnung ausdrücklich nicht auf andere Rohstoffe erstreckt hat?Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, war das jetzt ein Zitat aus der algerischen Zeitung, oder war das Ihre Frage? Sie haben gesagt, Sie würden ein Zitat aus einer algerischen Zeitung bringen.
Herr Staatsminister, ich kann diese Frage von Ihnen nicht ernst nehmen.
Einen Augenblick, bitte. Herr Staatsminister, der Fragesteller hat an eine Meldung aus einer algerischen Zeitung angeschlossen und eine Frage gestellt. So habe ich das als Präsident aufgefaßt. Es war nicht ein Zitat aus einer Zeitung, sondern er hat an ein Zitat angeknüpft. Bitte, Herr Staatsminister!
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat Vorschläge zur Erlösstabilisierung bei Rohstoffen gemacht, die sich auf eine Reihe von Rohstoffen beziehen können. Es gibt ja Abkommen über Rohstoffe in der Welt. Ich vermag jetzt nicht zu sagen, ob Sie Herrn Rohwedder zitiert haben, ob das also ein Zitat aus seiner Rede gewesen ist. Ich bin sicher, daß Herr Rohwedder etwas Richtiges gesagt hat.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Werner.
Herr Staatsminister, ich möchte auf den Kern der Frage des Kollegen Köhler zurückkommen. Sie haben zur Frage der Indizierung ausgeführt, daß Sie es als eine Angelegenheit der diplomatischen Geschicklichkeit erachteten, Prüfungsvorschlägen und Prüfungsaufträgen Ihre Zustimmung zu geben. Mit Bezug darauf möchte ich Sie fragen, ob Sie der Auffassung sind, daß der Vertreter der Vereinigten Staaten, als er den Vorbehalt zu dem möglichen Ergebnis eines solchen Prüfungsauftrages im Hinblick auf eine mögliche Indizierung ausdrücklich zu Protokoll gegeben hat, ebenfalls im Sinne der Rubrik „diplomatische Geschicklichkeit" gehandelt hat.
Moersch, Staatsminister: Das ist eine gute Frage, Herr Abgeordneter. Ich habe die Entscheidungen anderer Regierungen nicht zu kommentieren. Ich will Ihnen sagen, daß die neun europäischen Regierungen zu einer bestimmten Entscheidung gekommen sind, die wir hier zu vertreten haben.
Ich rufe die Frage 119 des Abgeordneten Werner auf:
In welchen Punkten, in denen von anderen Ländern — insbesondere von den USA — Vorbehalte gegen das Schlußdokument der 7. Sondergeneralversammlung gemacht wurden, teilt die Bundesregierung die dort formulierten Bedenken, und in welchen Punkten bestehen Meinungsverschiedenheiten?
Bitte, Herr Staatsminister!
Moersch, Staatsminister: Es muß jedem Staat überlassen bleiben, selbst zu beurteilen, inwieweit es möglich oder nützlich ist, Bemerkungen oder Klarstellungen zu einer Entschließung abzugeben. Die Bundesregierung hat stets ihre Position deutlich gemacht, so z. B. auf der 6. Sondergeneralversammlung und bei der Annahme der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten. Zur Schlußresolution der 7. Sondergeneralversammlung hat die Bundesregierung zusammen mit ihren EG-Partnern durch den Sprecher der Europäischen Gemeinschaft die Erklärung abgeben lassen, die zur Klarstellung ihrer Haltung notwendig und ausreichend war.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Werner.
Herr Staatsminister, darf ich zunächst darauf hinweisen, daß sich in der Erklärung seitens der EG auf der 6. SGV nichts auf die freie Weltwirtschaft und deren Veränderung durch eine Charta der wirtschaftlichen Rechte bezieht, und Sie fragen, inwieweit Sie der Auffassung sind, daß durch das Außerachtlassen und Verschweigen dieses Vorbehalts nicht doch die Vorbehalte, soweit sie auf der 6. SGV gemacht worden waren, unterlaufen werden?
Moersch, Staatsminister: Das ist international eindeutig geklärt. Niemand ist der Meinung, daß man früher gemachte Vorbehalte und abgegebene Erklärungen damit aus der Welt schaffen kann, daß man sie bei der nächsten Gelegenheit nicht wiederholt. Sie gelten vielmehr bis zum Widerruf. Das gilt auch hier. Das hat die Bundesregierung ausdrücklich erklärt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Holtz.
— Sie bekommen gleich das Wort zu Ihrer zweiten Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, trifft es zu, daß die Vorbehalte, die — von welcher Seite auch immer — gemacht worden sind, nicht während der abschließenden Plenardebatte, sondern nur in den Ad-hoc-Ausschüssen vorgelegt worden sind?
Moersch, Staatsminister: Das muß ich prüfen, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Werner.
Herr Staatsminister, im Hinblick auf Ihre vorige Antwort möchte ich Sie konkretisierend fragen, ob Sie nicht auch der Auffassung sind, daß es zweckdienlicher gewesen wäre, sich so ähnlich wie die Vereinigten Staaten zu verhalten und noch einmal gleichsam einen Katalog der Vorbehalte vorzulegen, die gegenüber den
Metadaten/Kopzeile:
13410 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1975
Wernermöglicherweise aus der Bekräftigung der Präambel des beschlossenen Schlußdokuments sich ergebenden Folgen gemacht werden konnten.Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hielt es für zweckmäßig, sich so zu verhalten, wie sie sich verhalten hat. Zur Verdeutlichung möchte ich noch einmal sagen, was hier offensichtlich überhört worden ist: Es war sehr wertvoll, daß die neun Staaten der Europäischen Gemeinschaft sich hier einheitlich verhalten haben. Ich glaube, Sie sollten den Wert dieser gemeinsamen Verhaltensweise der Neun nicht zu gering achten.
Es ist unbestritten so, daß die Vereinigten Staaten ein wichtiger, ja, der wichtigste Bündnispartner sind, den wir haben. Das schließt aber nicht aus, wie sich etwa in der Rohstoff- und Energiekrise vor zwei Jahren ergeben hat, daß die Vereinigten Staaten auf Grund ihrer besonderen Lage, ihrer eigenen Rohstoffvorkommen, ihrer eigenen Ressourcen, ihrer eigenen Interessen zu anderen methodischen Entscheidungen kommen als etwa die europäischen Staaten, die sich eben in einer anderen Lage befinden. Das ändert, ich wiederhole es, nichts daran, daß wir die gleiche Zielsetzung haben. Es kann aber sehr wohl sein, daß z. B. über die Methoden, wie man Vorbehalte anmeldet, wie man sich auf einer solchen Tagung verhält, vom amerikanischen Standpunkt aus anders geurteilt werden kann als vom deutschen Standpunkt aus. Entscheidend ist doch, daß auch diese Unterschiede in der äußeren Darbietung nicht darüber hinwegtäuschen dürfen, daß im Kern zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Gemeinschaft Übereinstimmung besteht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Todenhöfer.
Herr Staatsminister, ist Ihr Hinweis auf den europäischen Verbund, auf das gemeinsame Auftreten nicht etwas fadenscheinig, wenn man erstens bedenkt, daß ein Teil der Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft zu Einzelpunkten sehr wohl spezielle Vorbehalte angemeldet hat, und wenn man zweitens bedenkt, daß die Bundesrepublik Deutschland noch vor drei Tagen bei der Sitzung der Entwicklungshilfeminister in Luxemburg eine gemeinsame weltweite europäische Entwicklungspolitik wieder einmal durch ihr Nein zu einem finanziellen Fonds blockiert hat?
Moersch, Staatsminister: Herr Präsident, Sie haben — die Geschäftsordnung zitierend — uns vorhin auf beiden Seiten ermahnt, keine Wertungen vorzunehmen, weder in Fragen noch in Antworten. Ich möchte jetzt die Frage an Sie stellen, Herr Präsident, ob das Wort „fadenscheinig" zu den Wertungen gehört, die nicht erlaubt sind.
Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Herr Staatsminister, ich habe das
Wort „fadenscheinig" im Moment nicht gehört. Wenn es gefallen sein sollte, was ich im Protokoll feststellen lassen werde, dann ist von Ihnen, Herr Kollege, in der Tat nicht enstprechend den Richtlinien für die Fragestunde verfahren worden. In diesem Fall müßte ich Sie bitten, in Zukunft von Wertungen abzusehen.
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatsminister!
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, darf ich diese Frage nachher zusammen mit einer schriftlich gestellten Frage beantworten?
Welche Frage wäre das?
Moersch, Staatsminister: Die Frage 120, die als nächste aufgerufen wird.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Köhler .
Herr Staatsminister, trifft es denn zu, daß sich die deutsche Delegation während der Verhandlungen über den sogenannten link ursprünglich gemeinsam mit den USA dagegen ausgesprochen hat, später bei der Schlußabstimmung dann aber aus Gründen, die Sie mir noch erläutern müßten, sich allein die USA dazu äußern ließ?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, es hat bei allen Entscheidungen von beiden Seiten her Entwicklungen gegeben. Es ist aber nicht üblich, daß man einzelne Stationen der Meinungsbildung darlegt. Das Ergebnis zählt, und das Ergebnis haben wir meiner Ansicht nach mit guten Gründen so akzeptieren können. Ich bin bereit, dies im Rahmen einer Antwort auf eine andere Frage nachher noch im einzelnen darzulegen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl.
Herr Staatsminister, können Sie mir erklären, warum die CDU/CSU auf der einen Seite stets lautstark die Europäisierung und Harmonisierung der Entwicklungspolitik fordert, auf der anderen Seite aber plötzlich nichts dabei finden würde, die gemeinsame Linie der Europäischen Gemeinschaft bei der 7. Sondergeneralversammlung zu verlassen?
Moersch, Staatssekretär: Herr Abgeordneter, man kann sich darüber Gedanken machen; erklären kann man es in der Tat nicht.
Meine Damen und Herren, die Fragestunde darf nicht in der Form fort-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1975 13411
Vizepräsident von Hasselgeführt werden, wie wir es gegenwärtig tun. Die Fragen sollten offen gestellt und offen beantwortet werden. Wir wollen uns aber um der Sache willen bemühen, das in einer Form zu tun, wie sie unsere Richtlinien vorschreiben.Ich gebe die letzte Zusatzfrage Herrn Roser. Dann gehen wir weiter zur Frage 120. Bitte schön, Herr Roser!
Herr Staatsminister, wäre es nicht gerade unter europapolitischen Gesichtspunkten geboten gewesen, angesichts der Tatsache, daß die einzelnen nationalen Vorbehalte der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft von der Gemeinschaft vorgetragen wurden, unsere Vorbehalte innerhalb der Gemeinschaft deutlich werden und sie über die Gemeinschaft vortragen zu lassen?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, es ist uns gelungen, in der allgemeinen Erklärung der Gemeinschaft die Punkte unterzubringen, die für uns von großer Bedeutung gewesen sind. Ich habe vorhin darauf hingewiesen, daß unsere bei früheren Gelegenheiten abgegebenen Erklärungen voll weitergelten. Wir haben uns nach Abwägung des Für und Wider für die hier praktizierte Form entschieden und glaubten, damit unseren Interessen am besten zu dienen.
Ich rufe die Frage 120 des Abgeordneten Werner auf:
Hätte es nach Meinung der Bundesregierung den viel beschworenen europäischen Verbund gestört, wenn die Bundesregierung wie die fünf EG-Staaten Frankreich, Großbritannien, Italien, Irland und Luxemburg ihrerseits ebenfalls ihre Vorbehalte in wesentlichen Fragen zu Protokoll gegeben hätte, und wenn ja, inwieweit?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, diese Frage hat sich für die Bundesregierung nicht gestellt. Die nach Ihrer Ansicht notwendigen Klarstellungen waren in dem allgemeinen Teil der EG-Erklärung enthalten, so daß gesonderte Bemerkungen von deutscher Seite nicht erforderlich waren.
Ich bedaure, daß das eben schon in der Antwort auf eine Zusatzfrage dem Abgeordneten Roser gesagt werden mußte.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Werner.
Darf ich Sie in diesem Zusammenhang noch einmal fragen, Herr Staatsminister, ob die Bundesregierung der Auffassung ist, daß die fünf Mitgliedstaaten, die Vorbehalte angemeldet haben, die gemeinsame Linie der EG-Staaten, sofern eine solche ihrer Auffassung nach vorhanden war, verlassen haben?
Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich glaube, die Erklärung selbst gibt darauf erschöpfend Antwort. Es handelte sich ja um Punkte, die spezieller, nicht allgemeiner, Natur waren. Die Tatsache, daß der italienische Präsident für alle Staaten gesprochen hat, ist in der ganzen Welt außerordentlich stark beachtet worden. Ich halte das für ein sehr gutes Verfahren. Warum sollen nicht spezielle Probleme einzelner Staaten noch einmal in der Erklärung der EG-Ratsmacht dargestellt werden?
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Werner.
Herr Staatsminister, da es sich offensichtlich beim Erreichen des vorhin schon angesprochenen 0,7-Prozent-Zieles um eine spezielle Angelegenheit auch dieses Staates handelt, darf ich Sie fragen, warum nicht auch die Bundesregierung zumindest in diesem Punkt den Mut aufgebracht hat, einen Vorbehalt anzumelden, ohne deswegen von der gemeinsam vereinbarten Linienführung abzukommen.
Moersch, Staatsminister: Ich glaube, man kann hier nicht von einem Mangel an Mut sprechen. Die Bundesregierung hat wiederholt — ich habe es heute wieder getan — dargelegt, warum sie sich in der Frage des 0,7-Prozent-Zieles bei einer Bemühensklausel so verhalten hat, wie sie sich verhalten hat. Hypothetische Fragen nachträglich noch einmal aufzurollen, ändert nichts daran, daß wir die Auffassung teilen, daß dies eine realistische und akzeptable Entscheidung von unserer Seite gewesen ist. Ich werde Sie hier in der Fragestunde sicherlich nicht von unserer Ansicht überzeugen können. Das würde auch der Sache jeden Reiz nehmen.
Meine Damen und Herren, ich lasse jetzt nur noch eine Zusatzfrage zu. Wir wollen sehen, daß wir noch die anderen Fragen erledigen. Ich habe bereits über 30 Zusatzfragen zu dem gesamten Komplex zugelassen.
Letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Roser.
Herr Staatsminister, da Art. 110 und 111 der Römischen Verträge, wie mir scheint, mit großer Deutlichkeit ein Eintreten der Europäischen Gemeinschaft für die Prinzipien einer liberalen Weltwirtschaftsordnung vorschreiben, frage ich Sie anknüpfend an die Frage von Herrn Werner, was Sie seitens der Bundesregierung unternommen haben, um diesen Vertragsbestimmungen auch EG-intern Geltung zu verschaffen.Moersch, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich weiß nicht, ob Sie auf die Landwirtschaftspolitik in der EG anspielen wollen. Ich verstehe die Frage nicht ganz. In der EG selbst haben wir uns entschieden für eine Verbesserung der Weltwirtschaftsordnung, nämlich der freiheitlichen Weltwirtschaftsordnung, ausgesprochen. Wir sind bereit, dort, wo sie in der Tat gefährdet ist, Verbesserungen vorzunehmen. Das haben wir gesagt. Ich meine, es entspricht voll dem Auftrag dieses Vertrages, wie wir uns verhalten haben. Im Gegenteil, wir wurden ja zum Teil angegriffen, weil wir zu beständig auf diese Prinzipien, die für uns sehr erfolgreiche Prinzipien sind, hingewiesen haben. Auch von Partnern in der Gemeinschaft wurde dies gelegentlich mo-
Metadaten/Kopzeile:
13412 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 193. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. Oktober 1975
Staatsminister Moerschniert. Die Tatsache, daß sich die Bundesregierung mit ihren Argumenten hat durchsetzen können, zeigt, daß ihre Argumente überzeugend gewesen sind, übrigens auch ihre Methode.Und wenn ich das noch sagen darf: Es ist vielleicht kein Zufall — oder vielleicht ist es doch ein Zufall —, daß der Sprecher der Europäischen Gemeinschaft in diesem Punkte ein Mann gewesen ist, der Ihnen politisch sicherlich sehr nahe stehen dürfte, nämlich der italienische Außenminister Rumor.
Ich rufe die Frage 121 des Abgeordneten Josten auf:
Sieht die Bundesregierung nicht die Gefahr eines bedenklichen Glaubwürdigkeitsverlustes, wenn sie international erklärt, sie habe die Absicht, bis 1980 0,7 % des Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe bereitzustellen — das wären nach Schätzungen 11,1 Milliarden DM im Einzelplan 23 —, während sie zugleich national in der mittelfristigen Finanzplanung für 1979 lediglich 3,5 Milliarden DM vorsieht und damit für jedermann offen zutage liegend beschlossen hat, ihre international erklärte „Absicht" nicht zu verwirklichen?
Ich darf darauf aufmerksam machen, daß es zu diesem Fragenkomplex bereits eine Reihe von Zusatzfragen gegeben hat.
Bitte schön, zur Beantwortung.
Moersch, Staatsminister: Deshalb, Herr Präsident, verweise ich auf meine Antwort zur Frage 113 des Abgeordneten Roser.
Eine Zusatzfrage, Herr Josten.
Herr Staatsminister, teilen Sie im Hinblick auf die hier gestellten Fragen meine Meinung, daß die Bundesregierung bei ihren Äußerungen gegenüber den Entwicklungsländern besonderen Wert auf Wahrheit und Klarheit legen muß, damit kein Zweifel an unserer Glaubwürdigkeit entsteht?
Moersch, Staatsminister: Das tut die Bundesregierung, Herr Abgeordneter, und sie hat immer die zehn Gebote vor Augen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten.
Herr Staatsminister, Sie erwähnten vorhin, es komme auf die Qualität der Aussage an. Halten Sie Ihre Antwort auf meine Frage für von besonderer Qualität?
Moersch, Staatsminister: Ich halte sie für besonders kurz; denn die Zeit ,der Fragestunde ist gleich abgelaufen.
Die Fragestunde ist abgelaufen; die 90 Minuten sind um.
Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Außer den Fragen 53 des Abgeordneten Reiser, 60 des Abgeordneten Hansen, 62 des Abgeordneten Kiechle und 72 des Abgeordneten Dr. Arnold, die von den Fragestellern zurückgezogen worden sind, werden die nicht beantworteten Fragen schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 17. Oktober 1975, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.