Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Ich habe die große Freude, dem Kollegen Wolfgang Schwabe zu seinem 65. Geburtstag nachträglich zu gratulieren. Alle guten Wünsche!
Die Fraktion der FDP schlägt für den aus dem Deutschen Bundestag ausgeschiedenen Abgeordneten Dr. Hirsch Herrn Wolfram Dorn, Bonn, als Mitglied des Verwaltungsrates der Filmförderungsanstalt vor, der dort bisher stellvertretendes Mitglied war. Als stellvertretendes Mitglied im Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt wird Herr Horst Dahl-meyer, Bonn-Bad Godesberg, benannt.
Ich frage, ob das Haus mit diesen Vorschlägen einverstanden ist. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Damit sind Herr Dorn als Mitglied, Herr Dahlmeyer als Stellvertreter in den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt gewählt.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat mit Schreiben vom 29. September 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Pfeifer, Burger, Dr. Fuchs, Dr. Gölter, Hauser , Dr. Hornhues, Frau Hürland, Hussing, Dr. Probst, Schedl, Schmidt (Wuppertal), Seiters und der Fraktion der CDU/CSU betr. Ausbildungschancen für behinderte Jugendliche — Drucksache 7/3915 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/4095 verteilt.
Der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau hat mit Schreiben vom 6. Oktober 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Mick, Dr. Schneider, Katzer, Dr. Kohler , Dr. Prassler, Geisenhofer, Orgaß, Link, Klein (Stolberg) und Genossen betr. Zinserhöhungen für kommunale Wohnungsbaudarlehen — Drucksache 7/4042 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/4111 verteilt.
Die Mündlichen Anfragen für den Monat August werden zusammen mit den dazu erteilten schriftlichen Antworten als Drucksache 7/4130 verteilt.
Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 7. Oktober 1975 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgende, bereits verkündete Vorlage keine Bedenken erhoben hat:
Verordnung des Rates über den Abschluß eines Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den Vereinigten Mexikanischen Staaten
— Drucksache 7/3960 —
Meine Damen und Herren, wir treten ein in die
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Verbesserung der Haushaltsstruktur
— Drucksache 7/4127 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Das Wort zur Bégründung der Regierungsvorlage hat der Herr Bundesfinanzminister Dr. Apel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Entwurf eines Haushaltsstrukturgesetzes der Bundesregierung ist in seinem politischen wie in seinem ökonomischen Kontext nur verständlich aus der Gesamtperspektive, aus der Gesamtoperation, die die Bundesregierung zur Überwindung der Haushaltsschwierigkeiten beschlossen hat, die wir Ihnen schrittweise vortragen und für die wir um Ihre Zustimmung bitten.Dieser Kontext stellt sich folgendermaßen dar: Wir sind der Meinung, daß wir im Interesse der Wiedergewinnung eines hohen Beschäftigungsstandes in unserem Lande für 1975 das volle Haushaltsdefizit hinnehmen müssen. Aus diesem Grunde haben wir Ihnen bereits einen Nachtragshaushalt vorgelegt, der das möglich macht. Wir sind allerdings der Meinung, daß 1976 mit dem Abbau der Haushaltsdefizite begonnen werden muß. Teil dieses Vorhabens ist das vorliegende Haushaltsstrukturgesetz. Schließlich sind wir der Meinung, daß 1977 ein weiterer entscheidender Schritt zum Abbau der Haushaltsdefizite getan werden muß. Wir werden Ihnen zu gegebener Zeit Gesetze vorlegen, die die Einnahmen des Bundes beträchtlich verbessern, indem wir Ihnen Steueranhebungen zum 1. Januar 1977 zur Zustimmung vorlegen werden.Diese Abfolge zur Rückgewinnung einer niedrigen Nettoverschuldung der öffentlichen Hände in drei Stufen erklärt sich ökonomisch daraus, daß Staatsausgaben wesentliches Element des Aufschwungs
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13320 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975
Bundesminister Dr. Apelsind. Wir dürfen und wir wollen nicht versuchen, in der Tiefe der Rezession durch Kürzung von öffentlichen Ausgaben die Rezession selbst noch weiter zu vertiefen. Andererseits — und das scheint nicht hinlänglich genug bekannt zu sein; in den Beratungen des Finanzplanungsrates sind sich die Finanzminister von Bund und Ländern, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit, hier allerdings stets einig — gibt es keine weitgehend flexiblen Staatsausgaben. Es ist nicht möglich — selbst wenn wir wollten, selbst wenn wir ökonomisch könnten —, Staatsausgaben in dem Maße zu kürzen, wie es manchmal in der öffentlichen Debatte gefordert wird. Ein wesentlicher Teil der Staatsausgaben liegt fest. Personalausgaben sind nur noch in ihren Steigerungsraten zu beeinflussen, auch nur noch zu beeinflussen in der Ausweitung des Personalkörpers der öffentlichen Hände. Bei vielen anderen Staatsausgaben ist das, wie Sie wissen, ganz genauso. Dies gesetzlichen Vorgaben zwingen uns sogar sehr oft zu einer Dynamisierung, die sich dann auch politischer Einflußnahme entzieht. Aus diesem Grunde ist auch ein Haushaltsstrukturgesetz notwendig, weil wir für eine Vielzahl von Einsparungsmöglichkeiten durch Sie, meine Damen und Herren, gesetzlichen Rückhalt benötigen.Schließlich — auch das begrenzt die Sparfähigkeit der öffentlichen Hände — wollen wir hier erneut erklären, daß wir das Netz sozialer Sicherheit, aber auch die innere und die äußere Sicherheit unseres Landes nicht zerstören werden.Die Verbesserung der Haushaltsstruktur vollzieht sich in folgenden Schritten:Der erste Schritt ist von der Bundesregierung bereits Wir haben für die Jahre 1976 und folgenue in dem Ihnen in diesen Tagen zugehenden reuen Finanzplan die Finanzplanungsansätze für die einzelnen Ressorts verändert, was konkret heißt, wir haben die Erwartungen der Ressorts für die vor uns liegenden Jahre zurückgeschraubt. Ich muß darauf hinweisen, daß einzelne Ressorts auch im Jahre 1976 durchaus Zuwächse gegenüber früheren Finanzplanungen erfahren, was deutlich macht, daß hier kein einfacher Abzug von den projektierten _ Ausgaben erfolgt ist, sondern daß in der Tat ein politischer Wille hinter der Reduzierung der Ansätze der mittelfristigen Finanzplanung steckt. Wenn es uns möglich war, die realen Ansätze im Entwurf des Haushaltsplans für 1976 um 5,1 Milliarden DM unter die Zahlen der Finanzplanung zu bringen, so ist das ein politischer Kraftakt gewesen, der nur dank der Einsicht aller Beteiligten möglich war, denn die Finanzplanung war für 1976 schon sehr knapp bemessen. Es war keineswegs so, daß da Luft drin war. Wir hatten schon bei der Aufstellung der Finanzplanung vor gut einem Jahr die Zuwachsraten sehr knapp bemessen.Wir haben schließlich zweitens Maßnahmen zur Verbesserung der Haushaltsstruktur zu einem Teil gesetzlich durchgesetzt, und zwar Einsparungen von 7,9 Milliarden DM.Dieses bringt für das Haushaltsjahr 1976 gegenüber dem geltenden Finanzplan eine Reduzierung der Nettokreditaufnahme um 13 Milliarden DM, die andernfalls notwendig geworden wäre. Für 1977 bringen insbesondere die Maßnahmen zur Verbesserung der Haushaltsstruktur sehr viel mehr Geld ein, weil viele der Sparmaßnahmen, die wir Ihnen zur Beschlußfassung vorschlagen, erst langsam wirksam werden. Sie bringen erst Geld im Laufe des Vollzugs des Haushalts 1976 und dann im Haushalt 1977, so daß wir Ihnen sagen können, daß die Maßnahmen zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Jahre 1977 nicht 7,9 Milliarden DM wie' im Jahre 1976, sondern 12,2 Milliarden DM bringen werden. Die dazu projektierten Steuererhöhungen tun ihr übriges, so daß wir 1977 ein Defizit des Bundeshaushaltes von nur noch 22 Milliarden DM erwarten gegenüber 38,9 Milliarden DM im kommenden Haushaltsjahr. 1978 und 1979 werden wir, wie die mittelfristige Finanzplanung ausweist, bei allergrößter Sparsamkeit des Bundeshaushalts — dazu werden wir auch weiter aufgefordert sein — die Nettokreditaufnahme schnell zurückführen, für 1979 auf eine Größenordnung von 11,3 Milliarden DM.
Das Kernstück der Perspektive, die ich eben skizziert habe, ist der vor Ihnen liegende Entwurf eines Haushaltsstrukturgesetzes. Wir sollten allerdings in der öffentlichen Debatte nicht den falschen Eindruck erwecken, daß uns nur die Dinge Schwierigkeiten machen, die in dem vor uns liegenden Gesetzentwurf begründet sind und die der Beratung in den parlamentarischen Gremien anheimgegeben werden. Wir haben genauso viele Schwierigkeiten politischer wie auch ökonomischer Art, auch in der Überzeugung unserer Bürger, bei den Sparmaßnahmen, die nicht durch gesetzliche Änderungen in diesem vorliegenden Gesetzentwurf notwendig werden, sondern dadurch, daß wir Haushaltsansätze für 1976 kürzen. Die generelle 3 %ige Kürzung — Variationen sind natürlich möglich gewesen — für alle Zuwendungsempfänger des Bundes, für alle wissenschaftlichen Gesellschaften, die wir unterstützen, ist zumindest genauso einschneidend, wie es Kürzungen im Haushalt des Bundesministeriums für Forschung und Technologie sind.Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf bringt Änderungen für den Bereich des öffentlichen Dienstes, für die Soldaten, für die Landwirtschaft, im Bereich der Arbeitsförderung und im Bereich der Berufsausbildung.Manche haben in den letzten Wochen gemeint, aus dieser Liste schließen zu sollen, daß die Leistungskürzungen einseitig ausgerichtet sind und es zu einer sozialen Ausgewogenheit nicht gekommen ist. Ich kann dieser Kritik nicht zustimmen. Denn man kann eben nicht nur die Kürzungen betrachten, die in diesem Gesetzentwurf vorgesehen sind, sondern muß auch die Reduzierungen der Ansätze im Finanzplan hinzunehmen, muß das hinzunehmen, was wir Ihnen im Haushaltsgesetz, im Haushaltsplan für 1976 an Kürzungsvorschlägen machen werden. Dies alles zusammen ergibt dann das Tableau der Kürzungen, und dann wird deutlicher, daß wir so sozial ausgeglichen, wie es möglich ist — das muß ich hinzufügen —, sparen wollen.
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Bundesminister Dr. ApelWenn ich sage „wie es möglich ist", so deshalb weil eben der Bundeshaushalt und damit der Bundesgesetzgeber Verantwortung nur für einen Teil der gesellschaftlichen, der staatlichen Hilfen in unserem Lande haben. Ein Teil wird über die autonomen und souveränen Gebietskörperschaften dei anderen Ebenen geleistet, der Länder, der Gemeinden, der Kreise, und insofern kann der Bund in der Tat — und dies kann nicht bestritten werden — nur dort kürzen, nur dort sparen, wo er eigene Kompetenzen hat. So werden natürlich die Bereiche, die der Bundeskompetenz unterliegen und von Bundeszuschüssen leben, gekürzt, und andere Bereiche werden durch diese Gesetzgebung nur indirekt betroffen.Die Tatsache, daß wir den Bereich der inneren und der äußeren Sicherheit und auch das soziale Netz ungeschoren gelassen haben, bedeutet natürlich, daß wir einzelne Sektoren bewußt und absichtlich politisch ausgespart haben.Ich erwarte mir im übrigen von den Beratungen, die in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages nun vor uns liegen, und auch von der abschließenden Plenarberatung dieses Gesetzentwurfes eine Reihe von wertvollen Anregungen. Es ist selbstverständlich, meine Damen und Herren, daß Sie als der Gesetzgeber dieser Republik die Möglichkeit haben, diesen Gesetzentwurf zu verändern. Um was ich als Bundesfinanzminister Sie bitte, ist allerdings, die Gesamtsumme dessen, was über dieses Vorhaben eingespart werden soll, möglichst auf der vorgesehenen Höhe zu lassen; wenn Sie zusätzliche Sparvorschläge finden, ist das gut.
Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit mit einer Frage beschäftigen, die ich später noch ansprechen will, die aber doch auch in diesem Zusammenhang immer eine Rolle spielt, mit der Frage nämlich, ob die Anhebung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nicht doch eine Steueranhebung wäre und insofern nicht als Sparvorschlag der Regierung akzeptiert werden könnte. Ich kann dieser Argumentation nicht folgen, und zwar aus folgenden Gründen. Es handelt sich bei den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung nicht um eine Steuer, sondern um einen solidarisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern geleisteten Versicherungsbeitrag, der normalerweise die Kosten, die aus dieser Versicherung durch Arbeitslosigkeit und durch Kurzarbeit entstehen, abdeckt und abdecken soll. Insofern ist es eigentlich nicht im Sinne dieser Arbeitslosenversicherung, daß sie auf Dauer zum Kostgänger des Bundeshaushalts wird. Wenn wir in so exzeptionell schwierigen Zeiten sind, wie das gegenwärtig der Fall ist, ist es selbstverständlich, daß der Bundeshaushalt Zuschüsse leistet. Und trotz der Anhebung der Versicherungsbeiträge um einen halben Prozentpunkt für die Arbeitnehmer und einen halben Prozentpunkt für die Arbeitgeber wird der Bundeshaushalt 1976 noch 6 Milliarden DM — noch 6 Milliarden DM, meine Damen und Herren! — an die Bundesanstalt für Arbeit zahlen müssen.Würden wir die Definition akzeptieren, die sagt, diese Erhöhung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge sei ein Teil Steueranhebung, müßten wir weitergehen und auch sagen, die. Tatsache, daß wir die Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung nicht so, wie es vielleicht wünschenswert wäre, erhöhen können, und die dadurch ausgelöste Beitragsanhebung bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung seien ebenfalls Steueranhebung und die Einsparungen beim Bund könnten nicht als Sparen akzeptiert werden. Es ist eben so: Sparen der öffentlichen Hände vollzieht sich nicht im luftleeren Raum, sondern — das wissen wir — Sparen heißt Opfer — und Opfer natürlich auch für die Betroffenen.Wir haben seit der ersten großen Debatte in diesem Hause bzw. den Regierungserklärungen des Herrn Bundeskanzlers nach dem Ende der Parlamentsferien einige Wochen öffentlicher Debatten gehabt, auch Debatten in parlamentarischen Gremien. Wir haben diese Debatten mit großem Interesse verfolgt, weil wir wissen wallten, ob es vielleicht Alternativen, zusätzliche Erkenntnisse zu diesem Programm geben könnte. Eine erste Ubersicht über das, was zu diesem Programm gesagt worden ist und was man als Ergänzung verstehen könnte, liegt mir heute vor.Der Finanzausschuß des Bundesrates hat diesen Gesetzentwurf bereits einmal debattiert. Neben einer wohl von einer Mehrzahl der Länder geforderten Reduzierung des Abbaues des Sparkassenprivilegs stellen wir fest, daß die Mehrheit des Bundesrates, also die CDU/CSU-regierten Länder, die Anhebung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags ablehnt und der Meinung ist, daß der Abbau des Aufwertungsausgleichs für die Landwirtschaft nicht in der Form, wie es die Regierung vorschlägt, vorgenommen werden sollte, sondern langsamer.Dieses ist — das kann ich in aller Bescheidenheit sagen — kein Beitrag zu mehr Sparsamkeit beim Bundeshaushalt, meine Herren von der CDU/CSU, sondern ein Votum, das, wenn es Gesetzeskraft erlangte, im Jahre 1976 die Defizite beim Bundeshaushalt vergrößern und eine Erhöhung der Nettokreditaufnahme des Bundes in 1976 um 4 Milliarden DM und in 1977 um 5,1 Milliarden DM bedeuten würde.Wir stellen also fest, meine Damen und Herren, daß der Bundesratsfinanzausschuß, der sich mit diesen Fragen beschäftigt hat und in dem die CDU/CSU mitwirkt, nicht zusätzliche Sparvorschläge gemacht, sondern Mehrausgaben des Bundes in 1976 von 4 Milliarden DM und in 1977 von 5,1 Milliarden DM produziert hat.
Dieses ist natürlich kein Beitrag zur aktuellen Debatte.
Herr Kollege Haase hat mir schließlich — das ist der zweite Punkt — am 26. September ein Paket
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Bundesminister Dr. Apelvon Sparvorschlägen überreicht. Ich glaube, Herr Althammer, an dieser Operation waren Sie nicht ganz unschuldig.
— Darauf komme ich jetzt.Ich stelle fest: Eines dieser Gutachten — das hatte ich Ihnen ja sofort gesagt — stammt noch aus der Zeit, als Franz Josef Strauß Finanzminister war. Das hatten Sie wohl übersehen. Die anderen Dinge sind entweder bereits durch Zeitablauf erledigt, oder aber sie fordern Mehrkosten im Bereich des öffentlichen Personenverkehrs, sie sind Ländersache oder zu allgemein.Es bleiben allerdings einige konkrete Ideen übrig. Ich will die Opposition fragen — da mir dieses Paket ja von der Opposition gütigst überreicht wurde —, ob denn das vielleicht Ihr Beitrag zu erhöhter Sparsamkeit bei den öffentlichen Ausgaben ist.So wird in diesem Paket vorgeschlagen, die flexible Altersgrenze in Frage zu stellen, sie minde- stens von 63 auf 64 Jahre anzuheben. Es wird die Vorsorgepauschale für Beamte in Frage gestellt; sie sollte möglichst wegfallen. Es wird empfohlen, von der Bruttolohnformel bei den Rentnern auf die Nettolohnformel zu gehen. Es wird schließlich empfohlen — ich will das nicht alles vorlesen — —
— Das steht alles in den Papieren, die Herr Althammer mir überreicht und von denen er gesagt hat, damit hätte ich Sparvorschläge. •
Die haben wir uns angeguckt, und nun seid ihr beleidigt!
Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?
Herr Minister, sind Sie bereit, einzuräumen, daß auf den jeweiligen Sparvorschlägen auch derjenige deutlich aufgeschrieben stand, der diese Vorschläge gemacht hat, z. B. der Bund der Steuerzahler?
Dr. Apel, 'Bundesminister der Finanzen: Dazu bin ich natürlich bereit. Aber, Herr Kollege Althammer, was ist denn das für eine Opposition, die ein Bündel von bedrucktem Papier, von Gutachten der verschiedensten Art, aus den verschiedensten Zeiten, zu den verschiedensten Themen, sich wendend an die verschiedensten Gebietskörperschaften, auf den Tisch dieses Hauses legt und sagt: So, Herr Finanzminister, Sie fordern doch Sparvorschläge — hier haben Sie welche!
Und wenn ich sie dann prüfe und sie Ihnen vorhalte, dann sagen Sie, so gehe das ja nicht, das gehe sie überhaupt nichts an. Da frage ich mich wirklich, wo wir denn nun eigentlich sind.
Aber ich habe am 11. Oktober in einer Meldung — —
Herr Bundesfinanzminister, ich entnehme Ihrer Geste, daß Sie die Zwischenfrage zulassen. — Bitte, Herr Kollege!
Herr Kollege Apel, wollen Sie bitte davon ausgehen, daß Vorschläge, die von der CDU/CSU-Fraktion kommen, im Kopf auch den CDU/CSU-Fraktionstitel haben müssen?
Ob ich davon ausgehen kann, weiß ich nach der Erfahrung vom 26. September nicht, aber ich hoffe das, Herr Kollege Müller-Hermann,
weil es natürlich keinen Zweck hat, die Bundestagsbibliothek zu plündern, sie in das Plenum zu schleppen und zu sagen: Hier sind unsere Ideen.
Meine Damen und Herren, es gibt — ich entnehme das einer Meldung von ddp — eine Aussage des Kollegen Leicht, die besagt, Sie würden Sparvorschläge bringen, die nicht nur die Erhöhung der Arbeitslosenversicherung überflüssig machten, sondern darüber hinaus die Neuverschuldung des Staates herabdrückten. Er sagt dann weiter — ich hoffe, daß diese ddp-Meldung exakt ist —: Die Oppositionsfraktion werde während der parlamentarischen Beratung des Gesetzentwurfs zur Verbesserung der Haushaltsstruktur — des vorliegenden Gesetzentwurfs — entsprechende Gesetzesänderungen beantragen. Ich finde das sehr gut. Denn das heißt ja— die Arbeitslosenversicherung bringt nächstes Jahr 3,8 Milliarden DM —, daß wir von Ihnen Sparvorschläge in der Größenordnung von 5 bis 6 Milliarden DM bekommen werden. Wir werden das alles sehr genau prüfen. Es muß nur, Herr Kollege Leicht, konkret sein, und es muß für 1976 wirken.
— Warum sollten wir das tun? Alle Dinge werden geprüft. Nur, Herr Kollege Leicht, in einem sollten wir uns einig sein: Es hat überhaupt keinen Zweck, hier mit Patentrezepten zu operieren. Patentrezepte sind für mich solche, die in den vor uns liegenden
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Bundesminister Dr. ApelHaushaltsjahren — und das werden die beiden schwierigen sein: 1976 und 1977 — kein Geld bringen. Dennoch dürfen wir uns alle der Debatte über den Abbau des Defizits der Bundesbahn nicht entziehen. Wir werden über die Personalkosten wie auch über eine höhere Effizienz der staatlichen Leistungsdarbietung reden müssen.Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, einige Bemerkungen zu den Personalkosten machen, weil sie in den letzten Tagen in der öffentlichen Debatte eine Rolle gespielt haben. Hier muß ich erst einmal die Zahlen zurechtrücken, damit deutlich wird, wo die Personalkosten gewachsen sind, wo die Personalkosten stark explodiert sind, ohne daß ich daraus Vorwürfe ableiten will.Das Personal des Bundes, für das die Bundesregierung Verantwortung trägt, hat sich von 1970 bis 1974 um etwa 4 %, das der Länder um mehr als 18 % und das der Gemeinden um mehr als 14 % erhöht. Wenn also von seiten der Opposition über eine massive Aufblähung der Personalkörper gesprochen wird, dann bitte differenzieren, und wenn über den Bundeshaushalt gesprochen wird, dann bitte von 4 °/o Personalsteigerung in vier Jahren reden und nicht immer die Globalzahlen verwenden!Der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 9. Oktober, also von der letzten Woche, entnehme ich einen weiteren Sparvorschlag der Opposition. Ich unterstelle, daß Sie mit diesem Zeitungsartikel irgend etwas zu tun haben, daß irgendwo in einer Arbeitsgruppe so gedacht wird. Ich habe ihn mir deswegen genauer angeguckt. Sie wollen — laut „Frankfurter Allgemeiner Zeitung", auch anderer Zeitungen — jährlich 35 000 Beamte einsparen, d. h. also, die Personalkörper von Bund, Ländern und Gemeinden bis 1980 um 140 000 Personen reduzieren. Dies würde für den Bund bei dem Anteil des Bundes am Gesamtpersonal eine Reduzierung um 48 000 Personen für den Zeitraum bis 1980 bedeuten. Ich muß Sie darauf hinweisen, daß wir allein bei der Bahn und bei der Post rund 100 000 öffentliche Bedienstete einsparen wollen, beim Bund im nächsten Jahr 1 000. Dies wird der Beginn sein.
— Darauf komme ich gleich, Herr Stücklen. — Damit wird deutlich, daß wir das, was Sie vorschlagen, übererfüllen.Nur, Herr Kollege Stücklen, in einem bin ich natürlich völlig mit Ihnen einig: Wer Reduzierung des Personals im öffentlichen Dienst fordert — und dies fordert die CDU fortlaufend —, der muß auch Verminderung der Leistungen des öffentlichen Dienstes für die Bürger wollen,
Sie können sich nicht hier hinstellen und nur den Zwischenruf machen: „Du willst bei der Post abbauen; wer soll die Briefe austragen?", wo Sie doch das gleiche selber vorschlagen.
Wer hier A sagt, muß auch B sagen. Ich will in aller Deutlichkeit darauf hinweisen, daß ich hier Grenzen des Abbaus des öffentlichen Dienstes sehe, wie ich überhaupt uns alle, mich eingeschlossen, davor warnen möchte, den öffentlichen Dienst zum Prügelknaben der gegenwärtigen Spardebatte zu machen.
Schließlich schlagen Sie vor, bis 1980 jede strukturelle Verbesserung auszusetzen. Ich kann Sie beruhigen: Wir haben in der mittelfristigen Finanzplanung dafür keinerlei Mittel vorgesehen. Unsere politischen Absichten werden daraus sichtbar.Schließlich ist in den letzten Tagen vom Kollegen Strauß neben einer Reihe anderer Ideen, die wir kennen und die hier genügend erörtert worden sind, gesagt worden, wir müßten nun endlich die Kraftfahrzeugsteuerreform in die Tat umsetzen, weil .die Kraftfahrzeugsteuer eine Vielzahl von öffentlichen Bediensteten für falsche Aufgaben binde.
Sie wissen, daß die Bundesregierung zu Beginn dieser Legislaturperiode einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht hat. Sie wissen, daß die Kraftfahrzeugsteuer eine reine Ländersteuer ist. Der Ertrag dieser Steuer fließt ausschließlich den Ländern zu. Ich bitte nun wirklich, die Tatsache, daß die Kraftfahrzeugsteuerreform zum Stillstand gekommen ist, nicht in die Spardebatte des Bundes einzuführen, weil dies nicht in Ordnung ist. Tatsache ist — Herr Müller-Hermann, Sie schütteln den Kopf; ich habe mir das sehr genau angeguckt —, daß es doch augenscheinlich unmöglich ist, mit den elf Bundesländern — hier muß ich alle Bundesländer ansprechen; die Kraftfahrzeugsteuer ist ihre Steuer — zu einer Übereinkunft über das System zu kommen. Die einen wollen drei Steuerklassen, die anderen vier, der nächste fünf, der nächste zwei — so das Land Rheinland-Pfalz, wir mir eben von hinten signalisiert wurde —, andere sagen: alles drauf auf die Mineralölsteuer, und so geht es kunterbunt.Ich erkläre vor diesem Hause: Auch ich halte eine Kraftfahrzeugsteuerreform für notwendig.
Aber ich fordere die Bundesländer auf, uns nun endlich mal zu sagen, was ihre Konzeption ist.
Tatsache ist doch, lieber Herr Kollege Stücklen, daß wir uns dort festgefressen haben.
— Nein, nein, diese Art von Arbeitsteilung — wir den Ärger und die Länder das Vergnügen — mache ich nicht mit.
Lassen Sie mich abschließen. Das Gesamtkonzept der Ausgabenkürzungen und der Einnahmeverbesserungen sieht folgendermaßen aus. Für 1976 neh-
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Bundesminister Dr. Apelmen wir gegenüber dem geltenden Finanzplan Ausgabenkürzungen in Höhe von 12,5 Milliarden DM vor bei einer Einnahmeverbesserung von 0,5 Milliarden DM. 1976 beträgt also das Verhältnis von Ausgabenkürzungen zu Einnahmeverbesserungen 12,5 zu 0,5. 1977 werden dann die Verbrauchsteuererhöhungen wirksam. Das Verhältnis von Ausgabenkürzungen zu Einnahmeverbesserungen wird sich dann auf 17,9 zu 9,0 verändern. Unbestreitbar bleibt, daß über die gesamte Mifrifi die Ausgabenkürzungen 63 Milliarden DM umfassen und ,die Einnahmeverbesserungen 33 Milliarden DM. Das ist ein Verhältnis von 2 zu 1. Damit wird deutlich, daß es ein echtes Sparprogramm ist, das wir Ihnen vorlegen, und kein Steuererhöhungsprogramm. Selbst wenn Sie sagen: Die Mifrifi interessiert uns nicht, wir wollen die tatsächlichen. Kürzungen vergleichen, selbst dann sind Ausgabenkürzungen von 40 Milliarden DM und Einnahmeverbesserungen von 33 Milliarden DM gegenüberzustellen; auch dann überwiegen noch die Ausgabenkürzungen.Ich erwarte von der vor uns liegenden Parlamentsdebatte, in den Ausschüssen und dann wieder hier, daß wir uns alle bewußt sind, daß jede Kürzung auch eine gesellschaftspolitische Weichenstellung ist, daß die Koalition ihrem bisherigen Kurs treu bleibt, die soziale Gerechtigkeit zu erhalten und die Sicherheit nach innen und nach außen nicht abzubauen. Wenn wir uns dennoch dem schmerzhaften Prozeß der Kürzung öffentlicher Leistungen unterziehen müssen, dann deswegen, weil das ein Beitrag zur konjunkturellen Stabilisierung ist. Vorrang hat nicht der Ausgleich des Bundeshaushaltes, sondern die Überwindung der Rezession.
Meine Damen und Herren, damit ist ,der Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur begründet.
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Windelen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Im Mittelpunkt der Einbringungsrede zum Haushaltsstrukturgesetz des Herrn Bundesfinanzministers standen Angriffe auf die Opposition
und ein Ausweichen auf Nebenkriegsschauplätze.
Wenn ich die Aussage des Herrn Bundesfinanzministers auf ihren Kern reduziere, dann hat er eigentlich nur festgestellt, daß in dieser verfahrenen Situation nicht mehr sehr viel geht.
In dieser Feststellung wird ihm kaum jemand widersprechen können. Das Produkt des Nachdenkens derBundesregierung darüber, was nach ihrer Meinungjetzt noch geht, liegt dem Hause mit dem Entwurf eines „Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur", wie Sie dies nennen, vor.In dieser Debatte, in der ersten Lesung des Haushaltsstrukturgesetzes, zieht der Deutsche Bundestag aber zugleich Bilanz über sechs Jahre SPD/FDP-Regierung.
Damals, im Jahre 1969, als Sie begannen, versprachen Sie dem deutschen Volk den Anbruch eines neuen Zeitalters
mit Stabilität, mit Vollbeschäftigung, mit weniger Steuern, mit großen Reformen. Das, was Sie uns heute hier vorlegen, Herr Bundesfinanzminister, ist das traurige Ergebnis Ihrer nun sechsjährigen Regierungszeit und das erste Teileingeständnis Ihres Scheiterns.
Wir wollen nicht ungerecht sein.
Wir wollen Ihre Arbeit keineswegs an den Wünschen unserer Bürger messen.
Wir werden Ihre Arbeit auch nicht an den Vorstellungen der Opposition messen. Wir wollen sie nur an dem messen, was Sie selbst unserem Volk zu tun und zu leisten versprachen:
in den Regierungserklärungen, in vielen Reden in diesem Hause und draußen im Land. Wir müssen Sie an den Versprechungen messen, die Sie auch dann noch gemacht haben, als Sie wissen und erkennen mußten, daß sich dies alles gar nicht mehr finanzieren läßt,
Versprechungen teilweise gegen besseres Wissen, als Sie z. B. vor den Wahlen im Mai dieses Jahres den Aufschwung für den nun hinter uns liegenden Sommer fest versprachen. Ich will hier die vielen einschlägigen Zitate von Helmut Schmidt, den wir bei der Beratung über diesen wichtigen Teil seiner Politik auf seinem Platz vermissen, von Hans Apel und von Heinz Kühn nicht wiederholen. Das bringt uns jetzt kein Stück weiter.Meine Damen und Herren, nun sagt uns diese Regierung schlicht, man habe sich eben geirrt. Das mag ja sein. Wer aber trotz der vielen Warnungen nicht nur der Opposition, sondern auch der Wirtschaft und der Wissenschaft so elementar irrt, hat doch den Nachweis seiner Unfähigkeit erbracht.
Das, was Sie, meine Damen und Herren von der Koalition und der Regierung, einmal für Konjunkturschwalben gehalten haben, hat sich doch inzwischen längst als Pleitegeier entpuppt.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975 13325WindelenApropos Pleitegeier: Die Zahl der Konkurse steigt immer weiter an. In diesem Jahr wird, wenn sich das Ergebnis des ersten halben Jahres fortsetzt, die Zahl doppelt so hoch sein wie vor drei Jahren. 4 515 Insolvenzen gab es im Jahre 1972. In diesem Jahr wird die Zahl auf 10 000 steigen, wenn die Entwicklung des ersten Halbjahres anhält. Da dies überwiegend die kleinen und die mittleren Betriebe betrifft, ist klar, wem die Politik dieser Regierung letztlich nutzt: den Großbetrieben, die dann die Stelle der kleinen Betriebe einnehmen und Wettbewerb und Mobilität immer weiter einengen.
Nun mag es sein, daß das Schicksal dieser Tausenden von Kleinunternehmen den Herrn Bundeskanzler und diese Regierung nicht besonders rührt. Er vermutet zu Recht, daß er dort nicht besonders viele Wähler für sich finden wird. Meine Damen und Herren, hier geht es ja aber nicht nur um die Vernichtung von Tausenden von mittelständischen Existenzen, sondern hier geht es zugleich um die Vernichtung von Milliarden von Volksvermögen und um die Vernichtung von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen.
— Aber der Herr Bundeskanzler ist ja der Meinung, daß diese Flut von Konkursen ein Zeichen dafür sei, daß bei uns die Marktwirtschaft noch funktioniere. Er fügte in seiner markigen Art hinzu, wer in diesem Lande schlecht wirtschafte, gehe nach den Gesetzen der Marktwirtschaft eben unter. Meine Damen und Herren, hier muß doch die Frage erlaubt sein: Wer hat denn in diesem Lande eigentlich schlecht gewirtschaftet?
Wie war es denn z. B. bei der Hessischen Landesbank, die doch nach den Gesetzen der Marktwirtschaft hätte untergehen müssen?
Wie war es denn mit den Nahverkehrsplänen derBundesregierung? Was ist denn aus dem Krankenhausfinanzierungsgesetz geworden, was aus derDeutschen Bundesbahn? Ein Unternehmer hätte beieiner solchen Fülle von Fehlentscheidungen dochlängst den Weg zum Konkursrichter gehen müssen.
Aber diese Regierung — der Herr Bundesfinanzminister hat dafür eben ja wieder ein treffliches Beispiel geliefert — sucht auch jetzt wieder die Schuld nur bei den anderen.
Dabei sind durch die staatlich beeinflußten Preisevom August vorigen Jahres bis jetzt fast genaudoppelt so stark gestiegen wie die allgemeinen Lebenshaltungskosten.
Seit Monaten haben Mitglieder dieser Regierung immer wieder verkündet, sie sähen einen Silberstreifen am Horizont. Damit haben sie vermutlich, ohne es zu wissen, völlig recht behalten, denn der Horizont — Sie können dies im Lexikon nachlesen — ist eine imaginäre Linie, die sich in dem gleichen Maße entfernt, wie man sich ihr nähert.
Das ist wohl die exakte Beschreibung der Lage, in der wir heute sind.Gewiß: In einigen Bereichen der Wirtschaft sind wir diesem Silberstreifen ein wenig nähergekommen, z. B. in der Kfz-Industrie. Wir freuen uns darüber; wir hoffen, daß dies anhält.
— Aber gleichzeitig, Herr Kollege von Bülow, hat doch eine neue Talfahrt in anderen wichtigen Bereichen — in der Stahlindustrie, in der Chemie — erst begonnen.
Gehen Sie doch einmal an die Ruhr, und schauen Sie sich die Halden dort an, die doch wieder in bedrohlicher Weise wachsen. Es sind die gleichen Halden, die nur dadurch zusammengeschmolzen waren, daß die Rohölpreise erhöht wurden. Über diese für den Bergbau höchst positive Folge der Rohölpreiserhöhung schweigt sich die Regierung natürlich aus. Olscheichs kann man vortrefflich einsetzen, wenn man sie für die Probleme dieser Regierung verantwortlich machen kann; aber sie eignen sich natürlich nicht als Beispiel dafür, daß uns in manchen Bereichen auch Entlastungen beschert wurden.
Wir hatten, meine Damen und Herren — Sie werden sich dessen sicher erinnern, und deswegen brauche ich das nicht zu wiederholen —, vor dieser Entwicklung immer wieder und nachdrücklich gewarnt.
Sie haben uns ausgelacht, und Sie lachen ja auch jetzt noch.
Seien Sie überzeugt: Das Lachen wird nicht nur Ihnen, sondern dem ganzen deutschen Volk bald vergehen, wenn Sie so weitermachen!
Sie haben uns als Panikmacher, Sie haben uns als Schwarzmaler verteufelt. Jetzt aber, wie Kollege Barzel neulich hier sagte, wollen Sie — die Blaulichtfahrer — ausgerechnet uns — der Opposition — den Rotstift in die Hand drücken. Nun, meine Damen und Herren, dieser Rotstift hätte längt schon regieren müssen.
Wir haben Sie immer wieder dazu gemahnt; nichtnur im Haushaltsausschuß, sondern auch hier, HerrKollege Kirst, in jeder Haushaltsdebatte seit 1969.
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13326 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975
WindelenAber statt des Rotstiftes hatten eben bei Ihnen die „roten Stifte" das Sagen.
— Sie haben es, Herr Kollege Westphal, offenbar auch heute noch. Zu dieser Überzeugung komme ich, wenn ich mir die Auseinandersetzung draußen im Lande und auf Ihren Parteitagen über Investitionskontrolle und Verstaatlichung anhöre. Dazu mußten Sie, Herr Kollege Apel, sagen, man sollte diesen Quatsch doch éndlich sein lassen. Ich kann mich dem nur anschließen.
Nur haben Sie sich ja in dieser Auseinandersetzung in weitesten Bereichen Ihrer eigenen Partei nicht durchsetzen können.Die rosa Zeiten, die Sie dem deutschen Volk einst versprochen haben, sind längst passé.
Heute leben wir im Zeitalter der roten Zahlen, die manche Leute offenbar für ein Zeichen von Progressivität halten.
Zwar haben wir nun seit gut einem Jahr einen neuen Kanzler — der Herr Kollege Wehner weiß ja, warum wir ihn haben —, aber die Probleme sind dieselben geblieben. Es sind die Probleme, die der Finanzminister Schmidt dem Bundeskanzler Schmidt, den wir hier immer noch auf seinem Stuhl vermissen, hinterlassen hat. Darüber sollte man sich nicht bei uns beklagen, sondern man sollte die Schuld und die Verantwortung dort suchen, wo sie hingehören, nämlich bei der Bundesregierung selbst.Manchmal weiß ich wirklich nicht, in welcher Welt dieser Bundeskanzler eigentlich lebt.
Noch in der vergangenen Woche, Herr von Bülow — Sie werden gleich dazu Stellung nehmen, Sie sind ja schon gemeldet —,
stritt der Herr Bundeskanzler in einer Fernsehdiskùssion einen desolaten Zustand der Staatsfinanzen ausdrücklich ab. Er hat gesagt, unsere Finanzen seien recht gut in Ordnung.
Heute, nur eine Woche später, muß sich sein Finanzminister hinstellen und hier begründen — er hat sich vor dieser Begründung ja weitgehend gedrückt —,
weshalb zur Sanierung der „völlig geordneten" Staatsfinanzen in 44 Gesetzesartikeln eine ganze Reihe von gesetzlichen Leistungsansprüchen der Bürger gekürzt oder abgeschafft werden muß, obwohl dieser gleiche Bundeskanzler noch vor guteinem Jahr in einer Regierungserklärung feierlich für seine Regierung versprochen hat:Wir schließen die Beschränkung von Leistungsansprüchen aus, die den Bürgern gesetzlich zugesichert sind.
So viel und so lange gilt das Wort eines Bundeskanzlers in einer Regierungserklärung vor dem Parlament, meine Damen und Herren.Das Artikelgesetz, das wir jetzt vorliegen haben, ist aber — alle wissen das, auch Sie wissen das doch — nur die Spitze eines Eisberges. Dahinter steht doch — und dies wenigstens hat der Finanzminister mit in die Diskussion eingebracht — die massivste Steuererhöhung der Nachkriegszeit überhaupt, die allerdings aus durchsichtigen und verständlichen Gründen erst nach der Bundestagswahl in Kraft 'treten soll — vorgeschlagen von einer Regierung, die ebenfalls noch vor gut einem Jahr durch den Mund ihres Bundeskanzlers hier erklärte:Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, die Mehrwertsteuer zu erhöhen.
Ein Jahr lang, mindestens noch bis zu den Landtagswahlen dieses Jahres, wurde die sogenannte Steuerreform als „Geschenk des Jahres" oder, wie Sie, Herr Kollege Möller, es bezeichnet hatten, als eine „Jahrhundertreform Erzbergerschen Formats" gefeiert.Jetzt wird— dies sagt Jens Feddersen in der NRZdem Bürger
— ich weiß, daß Sie das stört und ärgert, aber ich kann es Ihnen nicht ersparen —wieder aus der Tasche gezogen, was ihm zunächst zugesteckt wurde.Wann fängt für den Bundeskanzler eigentlich ein desolater Zustand der Staatsfinanzen an, wenn er bis jetzt sagt, es gebe ihn nicht, bei uns herrsche in den Finanzen relative Ordnung? Wie lange wollen Sie denn eigentlich unser Volk noch hinters Licht führen und die wirkliche Lage verheimlichen?
Und wenn Sie die wirkliche Lage der Staatsfinanzen nicht erkennen, sind Sie eben einfach fehl am Platze, und Sie sollten die notwendigen Konsequenzen daraus ziehen.
Das Artikelgesetz, das uns jetzt vorliegt und das weiß Gott, Herr Kollege Haehser, weder für Sie noch für uns noch für unsere Bürger ein Anlaß zu fröhlichem Gelächter ist,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975 13327
Windelendas Artikelgesetz, über das Sie sich hier zu freuen und dessen Vorlage bei Ihnen so fröhliche Stimmung verbreitet, ist doch — und Sie wissen das — der erste Schritt zum Eingeständnis Ihrer gescheiterten Politik. Die nächsten Schritte — auch das wissen zumindest Sie, Herr Haehser — folgen doch schon, sie sind doch schon in Vorbereitung.
Dieser Entwurf bedeutet den Abschied von den Reformversprechen, mit denen die gegenwärtige Regierungskoalition 1969 angetreten ist.
— Sie, Herr Wehner, haben ja damals wie heute dabei eine führende Rolle gespielt. Jahrelang setzten sich diese Koalition und diese Regierung über die Binsenwahrheit hinweg, daß doch nur das verteilt und umverteilt werden kann, was vorhanden ist, was erwirtschaftet, was erarbeitet wird. Sie glaubten offenbar, daß Sie mit Ihrer Mehrheit auch die Gesetze der Volkswirtschaft außer Kraft setzen könnten.Wieder einmal ist deutlich geworden: Wer mehr verteilt, bezahlt die Rechnung durch Inflation, durch Arbeitslosigkeit oder jetzt z. B. durch die Beitrags- und Mehrwertsteuererhöhung, d. h., es zahlt immer wieder der kleine Mann, der doch nach Ihrer Auffassung Nutznießer Ihrer Weltbeglückungspläne werden sollte.
Wir werden es nicht zulassen, daß Sie hier und draußen, wie es auch der Bundesfinanzminister eben getan hat, die Auswirkungen dieses Artikelgesetzes schönfärberisch verharmlosen. Bundeskanzler und Bundesfinanzminister versuchten, den Eindruck zu erwecken, als ob durch dieses Gesetz doch eigentlich nur „Wildwuchs" beseitigt würde. Was Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, jetzt als „Wildwuchs" bezeichnen, hatten Sie doch vorgestern noch als stolze Erfolge Ihrer großartigen Reformpolitik hinausposaunt.
Im Jahre 1969 wurde der Landwirtschaft feierlich versprochen, den Einkommensverlust durch die Aufwertung voll auszugleichen; so hieß die Vokabel.
Wie lange gilt dieses Wort der Bundesregierung?
Jetzt wollen Sie die damals von Ihnen gesetzlich verbürgte Aufwertungsausgleichung in vier Stufen als „Wildwuchs" beseitigen. Dies alles, was Sie damals versprochen haben, ist heute also „Wildwuchs". Nun, ich bin davon überzeugt: Nicht nur die Landwirte werden wissen, was sie in Zukunft von den Versprechungen dieser Regierung zu halten haben.
Im Jahre 1969 wurde im öffentlichen Dienstrecht von der Regierung der Großen Koalition dieBewährungsbeförderung beschlossen, die jetzt im Artikelgesetz wieder beseitigt werden soll. Meine Damen und Herren, ist es wirklich nur eine sinnvolle Beseitigung von „Wildwuchs", wenn die damals doch aus wohlerwogenen Gründen beschlossene Neuregelung heute Hals über Kopf, und zwar einseitig zu Lasten der jungen Beamten, einseitig nur im Beamtenbereich und hier wieder am Anfang der Laufbahn, zurückgedreht wird, während bei den parallel dazu vermehrten höheren Beförderungsämtern offenbar alles beim alten Stand bleiben soll?Die Neuregelung der Ortszuschläge für Ehepaare im öffentlichen Dienst bedeutet — das wissen Sie ja, und das haben Ihnen die Vertreter dieses Bereichs genauso wie uns vorgetragen — für sich allein bei Familien mit zwei Kindern ein Einkommenseinbuße von 230 DM, bei Familien mit vier Kindern sogar etwa 320 DM monatlich im Laufe der nächsten zwei Jahre. Diese familienbezogenen Teile der Ortszuschläge sind doch im vorigen Jahr bei der Neuregelung des Familienlastenausgleichs, wo auch dieses Thema zur Debatte gestanden hat, unberührt geblieben. In vielen Fällen ist damals, vor einem Jahr, sogar noch etwas draufgelegt worden, was heute auf einmal „Wildwuchs" sein soll.Auch bei der Spar- und der Wohnungsbauprämie wurden die Sätze im Rahmen der sogenannten Steuerreform doch auf Vorschlag der Regierung neu festgelegt. Jetzt werden diese Sätze auf einen Schlag um 25 % gesenkt. Wollen Sie die betroffenen, doch ohnehin schon so inflationsgeschädigten Bausparer und Sparer wirklich glauben machen,, dies sei nur eine sinnvolle, durchdachte und notwendige Zurückschneidung von Wildwuchs?
— Ich weiß, Sie wollen wieder kneifen.
Sie wollen sich — als Mitglied der Regierung, schlicht auf die Bank des Parlamentariers zurückgezogen — jetzt von dem distanzieren, was Ihr Finanzminister soeben selbst vorgetragen hat.
Zugunsten der Einrichtungen des Nahverkehrs wurde vor wenigen Jahren auf Vorschlag der Bundesregierung festgelegt, daß von der Mineralölsteuer dafür ein bestimmter Teil verwendet werden soll. War idas wirklich „Wildwuchs", der jetzt beschnitten werden muß? War oder ist das, was Sie im Jahre 1971 verabschiedeten und als große Tat gefeierten Bundesausbildungsförderungsgesetz jetzt einschränken wollen, nach Ihrer Aufassung wirklich Wildwuchs, oder war das eine Regelung auf Vorschlag eben dieser Regierung?
— Herr Kollege Möllemann, üblicherweise wird dieEinzelberatung in den Ausschüssen stattfinden. Dort
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13328 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975
Windelenwerden Sie unsere Auffassung sehr dezidiert zu hören bekommen.
— Zu was- hat idenn der Finanzminister geredet? Ich rede Punkt für Punkt zu den Artikeln des Gesetzes, das diese Regierung diesem Hause vorgelegt hat.
I'ch werde es um so eingehender und gründlicher tun, je nervöser Sie reagieren.
— Das ist Ihr Urteil. Ich möchte mein Urteil über Ihre Reden hier nicht dem 'Protokoll anvertrauen.
Ist es, so frage ich weiter, wirklich nur eine Beschneidung von Wildwuchs, — —
— Die Fröhlichkeit ist Ihnen längst vergangen, Herr Ehrenberg. Ich weiß ,das.
— Dann wird sie Ihnen in Kürze vergehen. Seien Sie davon überzeugt!Ich frage Sie weiter, ob Sie wirklich die Feststellung aufrechterhalten wollen,
daß es „Wildwuchs" sei, wenn 'den Studenten, von besonderen Härtefällen abgesehen, im nächsten Jahr die gesetzlich vorgeschriebene Anpassung ihrer Förderung an die gestiegenen Lebenshaltungskosten verweigert werden soll.
Die Begrenzung der Bundesleistungen nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz führt doch — und Sie wissen das — zu einem ganz 'erheblichen Teil nur zu einer Verlagerung der Lasten vom Bund auf andere Kostenträger, nämlich auf Länder und Gemeinden, soweit wegen der Bedarfslage die Investitionen nicht aufgeschoben werden können. Inwiefern liegt eigentlich vor .dem Hintergrund dieser Mehrbelastung der Länder und Gemeinden die Beseitigung von Wildwuchs vor?Es ist doch einfach eine Täuschung der Bürger, wenn sich z. B. im Bereich des Wohngeldes, im Bereich der Ausbildungsförderung oder des Arbeitsförderungsgesetzes 'der Bund entlastet, aber gleichzeitig über die teilweise Abwälzung dieser Ausgaben auf die Sozialhilfeetats der Gemeinden den gleichen Bürgern wieder in die Tasche greift.Im Arbeitsförderungsgesetz ist Umschulungs- und Fortbildungswilligen mit den Stimmen aller Parteien 1969 großzügige Förderung als Rechtsanspruch ausdrücklich zuerkannt worden. Wenn jetzt das Unterhaltsgeld für neue Fälle stark gekürzt wird — von bisher 90 % des Nettoarbeitsentgeltes teils auf 80 %, teils auf 58 % —, wenn gleichzeitig der begünstigte Personenkreis erheblich verkleinert und entgegen der ursprünglichen Zielsetzung des Gesetzes 'z. B. Hausfrauen, die nach dem Heranwachsen ihrer Kinder einen Beruf ergreifen wollen, weitgehend ausgeschlossen werden, so ist das nach unserer Auffassung doch zweifelsfrei nicht Beseitigung von Wildwuchs, sondern eindeutig ein Eingriff in die Substanz dieses — so haben wir es damals gemeinsam verstanden — sozialen Leistungsgesetzes.
Noch eines: Alle Finanzminister der letzten Jahre — Herr Kollege Möller, Herr Schiller, Herr Schmidt, Herr Apel — haben es fast täglich in verbalen Bekenntnissen mit der Sparsamkeit gehabt. Wenn das nun auf einmal Wildwuchs ist, was ich nur beispielhaft aufgeführt habe — zu Ihrer großen Freude, wie ich feststelle; ich könnte die Liste endlos fortsetzen — und
was sonst noch an Gesetzen eingeschränkt oder abgebaut werden soll, z. B. bei den Altersgrenzen für Beamte, Richter und Soldaten, der Förderung der Graduierten, der Gewährung von Kuren für Kriegsopfer usw. bis hin zu den steuerlichen Regelungen für Sparkassen und Raiffeisenbanken, dann frage ich Sie, weshalb diese Einschränkungen nicht schon längst eingeführt worden sind, um damit in der Vergangenheit Steuererhöhungen zu vermeiden oder sie doch wenigstens zu verringern.
Wir verlangen Offenheit und Erhlichkeit gegenüber den Betroffenen, denen gegenüber wir es als ungerecht empfinden, daß die ihnen nun auferlegten Opfer als Beseitigung nur von Wildwuchs bezeichnet werden.
Wir werden es nicht zulassen, daß sich diese Regierung erneut aus ihrer Verantwortung herausmogelt und daß sie erneut vergessen macht, was sie gestern und vorgestern gesagt und getan hat.Es ist doch einfach die Unwahrheit, wenn Sie die Gründe für die Finanzlage nur in der weltweiten Rezession suchen.
Das ist doch allenfalls ein Viertel der Wahrheit. Der Rest ist doch durch diese Regierung selbstverschuldet.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975 13329
WindelenDer Wissenschaftliche Beirat beim Herrn Bundesfinanzminister — ich weiß, daß das hier schon zitiert worden ist,
aber man kann es gar nicht oft genug wiederholen, weil ja auch die Regierung immer wieder wiederholt, nicht sie, sondern alle anderen seien an dieser Entwicklung schuld —
hat in seinem Gutachten als Gründe für das strukturbedingte Defizit im Haushalt von 30 Milliarden DM— und darum geht es hier — die — so wörtlich —„übermäßige Ausweitung der Staatsfinanzen, unwirtschaftliche Programme und die häufige Nichtbeachtung gebotener Sparsamkeit" genannt.
Allgemeinverständlich formuliert heißt das: Die Zerrüttung der Staatsfinanzen ist auch nach dem Urteil der wissenschaftlichen Berater des Herrn Bundesfinanzministers
die Folge einer schludrigen Finanzpolitik, für dieseit über drei Jahren der heutige Bundeskanzler dieunmittelbare, die persönliche Verantwortung trägt.
— Ich habe mehrmals gefragt, wo der Bundeskanzler ist, bekomme aber auch darauf keine Antwort. Aber das sind wir von dieser Regierung ja gewohnt.Die Krise, die jetzt offensichtlich wird, kommt keineswegs aus heiterem Himmel, wie es die Propagandisten dieser Regierung heute darstellen möchten.
Herr Bundeskanzler, die Behauptung, das Scheitern der Politik der SPD/FDP-Koalition sei primär eine Folge weltweiter Rezession,
können Sie doch selbst nicht glauben.
— Das Gutachten welcher Sachverständigen?
— Ich habe Ihnen doch eben eins zitiert, das ein wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung abgegeben hat. Wenn Sie noch des Lesens und Verstehens mächtig sind, läßt diese Aussage doch eine solche Interpretation gar nicht zu.
Herr Abgeordneter, erlauben Sie mir eine kurze Unterbrechung.
Auf der Tribüne haben der Vizepräsident des Parlaments der Republik Indonesien, Herr Domo Pranoto, und eine Delegation Platz genommen. Ich habe die Ehre, sie zu begrüßen.
Es ist uns eine besondere Freude, die Kollegen aus Indonesien als Gäste im Deutschen Bundestag willkommen zu heißen.
Ich bin davon überzeugt, daß der Herr Bundeskanzler bei den Geistesgaben, über die er ja verfügt, intern über die Gründe der krisenhaften Entwicklung unserer Finanzen ganz anders denkt und spricht als vor der Öffentlichkeit. Ich meine, der Herr Bundeskanzler sollte endlich den Mut haben, den er ja zuweilen doch bewiesen hat, vor der deutschen Öffentlichkeit zuzugeben, daß unser Volk heute für die Sünden der Vergangenheit, für eine von dieser Regierung zu verantwortende falsche Politik zahlen soll und nicht etwa für die Untaten und die Fehler irgendwelcher Regierungen im Ausland.
Die Bundesregierung sollte doch zugeben, daß sie sich übernommen hat, daß mit der von SPD und FDP verwirklichten Forderung, immer mehr Staat zu schaffen, immer mehr Aufgaben und damit Ausgaben auf den Staat übertragen, den Staatsanteil am Bruttosozialprodukt innerhalb von nur sechs Jahren von 37 % auf 47 % zu erhöhen und damit, in absoluten Beträgen gerechnet, rund 100 Milliarden DM zu Lasten der produktiven Sektoren auf den Staat umzuschichten, ein falscher Weg beschritten wurde.
Der hat uns in die jetzige Finanzlage hineingeführt. Der neue Finanzplan zeigt ja — Herr Kollege Möllemann, ich hoffe, nicht nur Ihnen —, daß Sie inzwischen eingesehen haben, daß dieser Weg falsch war, denn sonst würden Sie in diesem Plan doch nicht als offizielles Ziel ausgeben, in den kommenden Jahren die Staatsausgaben wesentlich geringer wachsen zu lassen als das Bruttosozialprodukt.
Hier ist doch die Antwort. Im Ergebnis haben Sie selbst einsehen müssen — jedoch nur unter dem Zwang der Verhältnisse —, daß der bisherige Weg falsch war und daß er für die Misere in der wir heute sind, ursächlich ist.
— Ich wundere mich, daß ausgerechnet Liberale eine solche Politik hier auch noch vertreten und verteidigen!
Das haben wir andernorts und von anderen Sprechern ganz anders gehört: Man habe bremsen wollen, habe sich aber leider nicht durchsetzen können.
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13330 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975
WindelenWir sehen hier, daß man sich selbst in dieser Frage bei den Liberalen nicht einig ist.
Seit 1969 haben Sie systematisch eine Politik der ständigen und massiven Erhöhung des Staatsanteils verfolgt.
Ich meine, Herr Bundeskanzler — ich bitte, es ihm zu sagen —, Sie sollten Ihren Linken endlich einmal vorrechnen, zu was dies geführt hat, den Linken, die immer noch nach noch mehr Staat rufen und dabei doch im Grunde und insgeheim diesen Staat ablehnen, weil sie eben ganz andere Ziele verfolgen, Ziele, von denen der amtierende Bundesminister Franke erklärte, das käme dem sehr nahe, was in der DDR heute sei.
Gegenüber den Fehlern von Willy Brandt fand der Bundeskanzler starke Worte; gegenüber den eigenen Fehlern ist dieser gleiche Bundeskanzler blind und stumm.Der richtigen Zielsetzung des Finanzplans, nämlich den Staatsanteil allmählich wieder zurückzuführen, entsprechen die Vorschläge der Regierung in dem Artikelgesetz, das uns jetzt vorliegt, aber nur zum Teil, denn das Schwergewicht der Sanierungsmaßnahmen liegt eben nicht im Bereich der Kürzung, sondern bei Steuer- und Beitragserhöhungen. Die gegenteilige Behauptung des Bundeskanzlers in seiner verunglückten — auch in anderer Weise sehr verunglückten — Regierungserklärung vom 17. September dieses Jahres, daß nämlich auf einen Teil Steuererhöhungen drei Teile Ausgabenkürzungen kommen, ist damals ja unverzüglich von Professor Carstens als falsch zurückgewiesen und widerlegt worden.
Nach den von der Regierung selbst veröffentlichten Zahlen machen die Ausgabenkürzungen für die Jahre 1976 bis 1979 19 Milliarden DM, die Einnahmeverbesserungen durch Steuer- und Beitragserhöhungen dagegen fast dreimal so viel, nämlich 51 Milliarden DM, aus.
Das alles können Sie im Bulletin dieser Bundesregierung — ich glaube, in der Nummer vom 3. September dieses Jahres — nachlesen.Die von der Regierung beschlossenen Ausgabenkürzungen — so schmerzhaft sie für die Betroffenen im einzelnen sind — sind noch nicht einmal so hoch wie die Zinsen für die neuen Schulden nur der Jahre 1975 und 1976, die künftig Jahr für Jahr den Steuerzahler mindestens 7 Milliarden DM kosten werden.Ebensowenig wie die bisherigen laufenden Steuererhöhungen — 1971 Verlängerung der Heizölsteuer, 1972 Erhöhung von Branntwein-, Mineralöl- und Tabaksteuer, 1973 neue Erhöhung der Mineralölsteuer, 197-1 Beseitigung der Abzugsfähigkeit der Zinsen als Sonderausgaben —, ebensowenig wie die Welle von Tarifanhebungen bei Bahn und Post und ebensowenig wie die laufende Inanspruchnahme der sogenannten heimlichen Steuererhöhungen in der Vergangenheit die Probleme lösen konnten, ebensowenig können neue Steuer- und Beitragserhöhungen den beispiellosen Anstieg des Staatsanteils stoppen.
Ein Programm, daß das Schwergewicht auf Steuererhöhungen legt, ist deswegen in dieser Situation die falsche Medizin.
Nicht deshalb, weil wir zu niedrige Steuern, sondern deswegen, weil wir zu hohe Ausgaben haben, können die Probleme nicht in erster Linie durch Steuererhöhungen, sondern nur durch weitere Ausgabenkürzungen in allen öffentlichen Haushalten gelöst werden.Die Lage ist leider sehr viel ernster, als die Regierung auch heute zuzugeben bereit ist. Schon jetzt ist doch absehbar, daß die Mehrwertsteuererhöhung, die 1977, also nach der Bundestagswahl, in Kraft treten soll, noch nicht einmal die Probleme eben dieses Jahres 1977 lösen kann. Die im neuen Finanzplan für die Jahre bis 1977 angesetzten Steuereinnahmen als Berechnungsgrundlage für den Sanierungsplan werden doch nur dann erzielt, wenn nicht nur 1976, sondern auch in den Jahren danach das Bruttosozialprodukt real um 5 %, nominal um 91/2 bis 10 % steigt. Dies ist die Prämisse für die Erfüllung Ihres Finanzplanes für die Jahre bis 1979.Nach den Berechnungen des Bundesministers für Wirtschaft aber setzt dies für 1976, das heißt schon für das nächste Jahr, eine Steigerung der Anlageinvestitionen der Wirtschaft um 8 bis 9 %, real um 4 %, und der öffentlichen Hand von nominal 7 % voraus. Von 1977 bis 1979 hält das Wirtschaftsministerium im Jahresdurchschnitt bei den gewerblichen Investitionen eine Wachstumsrate von real 9 % und nominal gut 14 % für nötig, um das Wachstumsziel beim Bruttosozialprodukt und damit auch die veranschlagten Steuern zu erreichen. Ich wiederhole noch einmal: Nach den Berechnungen des Bundeswirtschaftsministeriums dieser Regierung wäre bei den gewerblichen Investitionen eine Wachstumsrate von real 9 % und nominal 14 % notwendig! — Nun, meine Damen und Herren, sagen Sie mir doch einmal: Woher sollen diese Wachstumsraten bei Ihrer unklaren und zerstrittenen Politik eigentlich kommen?
Das Bundeswirtschaftsministerium dieser Regierung setzt also von spätestens 1977 an auf einen ungewöhnlichen Investitionsboom, dessen Ausmaß noch viel deutlicher wird, wenn man sich die Wachstumsraten der letzten Jahre einmal vor Augen hält. Das durchschnittliche Wachstum der Investitionen von 1970 bis 1974 — dies kann jeder nachprüfen — belief sich auf gut 2 %. Jetzt wollen Sie von 1977 an 9 % erreichen!
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975 13331
WindelenIn den sechziger Jahren — und das waren, wie heute unsere Bürger wissen und Sie hoffentlich einsehen, gute Jahre; die besten Jahre, die dieses Land unter Führung der CDU/CSU erlebt hat —
beliefen sich die Wachstumsraten auf real 4,5 bis 5 %. Sie setzen in Ihren Prognosen für das Jahr 1977 eine Steigerungsrate von real 7 % voraus. In welcher Welt leben Sie eigentlich!
Bislang gibt es von der Bundesregierung keinerlei Begründung für die Annahme, daß die Investitionen der Wirtschaft künftig um so viel stärker steigen werden. Wir haben noch nicht den mindesten Anlaß, anzunehmen, daß diese Regierung mit investitionsfördernden Maßnahmen diese Vorausestzung wenigstens einleiten, viel weniger, daß sie sie schaffen wird.Fest steht jedenfalls, daß nach den Finanzplanungen aller Gebietskörperschaften — und die liegen uns ja zur Einsicht vor — die investiven Ausgaben des Staates keinen wesentlichen Beitrag zum Wachstum des Sozialprodukts leisten können en — einfach wegen der Enge der Haushalte. Im Gegenteil: Im Bundeshaushalt geht die Investitionsquote, die in den Jahren 1971 bis 1973 bei rund 18 % gelegen hat, nach dem jetzigen Finanzplan dieser Regierung auf 12 % im Endjahr 1979 zurück. Das heißt, sie steigt nicht — sie bleibt nicht einmal stehen —, sondern sie wird drastisch zurückgeführt. Und nach Ihren Zahlen, nach den Zahlen, die dem Finanzplanungsrat vorgelegen haben, werden angesichts der Haushaltssituation auch bei den Ländern und den Gemeinden die investiven Ausgaben eher zurückgehen denn gehalten werden können.
Ein geradezu klassisches Beispiel, wie Sie die Probleme dieses Landes wieder einmal unter den Teppich kehren, bietet die Erinnerung an die Worte des Bundeskanzlers zu den Rentenbeschlüssen im Jahre 1972. Damals sagte Helmut Schmidt, daß die Rentenbeschlüsse und besonders die flexible Altersgrenze in Zukunft nur dann finanziert werden könnten, wenn Sozialdemokraten bis 1985 für kontinuierliche Vollbeschäftigung in diesem Lande sorgten. Nun, man muß schon sagen: dieser Bundeskanzler wird mit Sicherheit nicht aus Mangel an Bescheidenheit zugrunde gehen, meine Damen und Herren.
Wie es seit längerem mit der Vollbeschäftigung in diesem Lande aussieht, die Voraussetzung — und damit widersprechen wir Helmut Schmidt nicht — für alle die Berechnungen war, auf denen die Politik der Regierung damals fußte, wissen wir. Und die Aussichten dafür, daß die Sozialdemokraten uns zur Vollbeschäftigung zurückführen, sind wahrlich nicht gerade die besten. Die Tatsache, daß Sie selbst für 1976 und auch die Jahre danach mit einem erhöhten Beitrag zur Arbeitslosenversicherung rechnen und darüber hinaus weitere Milliarden-Beträge aus dem Haushalt zur Überweisung an die Bundesanstalt für Arbeit eingeplánt haben, zeigt doch deutlich, daß Sie noch für längere Zeit hohe Arbeitslosenquoten erwarten.Wie wollen Sie denn eigentlich die Probleme lösen, die damit in der sozialen Rentenversicherung verstärkt auf uns zukommen? Aus der Umgebung des Arbeitsministers hört man seit Monaten von Plänen, die Rentenleistungen zu nivellieren
— Sie haben völlig richtig gehört. Ich wundere mich, daß Sie das noch nicht wußten —, d. h., die Rente desjenigen, der einen hohen Beitrag gezahlt hat, zugunsten jener zu kürzen, die einen niedrigeren Beitrag gezahlt haben.
— Herr Wehner, Sie werden nicht bestreiten,
daß diese Überlegungen im Ministerium des Herrn Arendt angestellt worden sind.
— Dann frage ich mich nur, warum die FDP gesagt hat, daß sie das nicht mitmachen würde, wenn Sie sagen, das gäbe es überhaupt nicht.
— An Phantasie, Herr Wehner — das bekenne ich neidlos —, sind Sie mir weit überlegen.
An anderen Dingen auch, aber ich möchte hier nicht in Einzelheiten gehen.
— Deswegen, nämlich daß jemand. Herrn Wehner in dieser Hinsicht unterlegen ist, braucht niemand neidisch zu sein.
Und was geschieht, meine Damen und Herren, mit den ungelösten Problemen der Krankenversicherung, um nur ein weiteres Beispiel zu nennen? Schenken Sie der Bevölkerung doch endlich reinen Wein ein! Herr Bundeskanzler, Sie können uns nicht weismachen, daß Ihnen die Zusammenhänge und Probleme unbekannt sind. Ich meine, der Bundeskanzler sollte nicht versuchen, sich mit Hilfe eines Programms zur Erhöhung von Steuern und Abgaben über den Wahltermin hinwegzuretten. Das zu verhindern ist nicht nur das gute Recht, sondern die Pflicht der Opposition. Würden wir uns anders verhalten, machten wir uns mitschuldig an einer gefährlichen Entwicklung. Je länger Sie die Proble-
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Windelenme treiben lassen, um so schwerer werden sie zu lösen sein.Im übrigen haben Sie, Herr Kollege Apel, am 3. Juni 1975 in einem Vortrag erklärt: Im gegenwärtigen Zeitpunkt Steuererhöhungen anzuvisieren heißt in der Tat, die Rezession zu verstärken und zu vertiefen.
Was Sie damals für eine Steuererhöhung gesagt haben, muß doch erst recht für eine Beitragserhöhung im Bereich der Arbeitslosenversicherung gelten, die nicht nur für die Zukunft anvisiert, sondern die ab 1. Januar 1976 realisiert werden soll. Eine überzeugende Erklärung, weshalb das damals richtig war und jetzt auf einmal falsch sein sollte, sind Sie uns bis jetzt immer noch schuldig geblieben.Die Beitragserhöhung bei der Arbeitslosenversicherung ist keineswegs die einzige Mehrbelastung für Wirtschaft und Arbeitnehmer 1976. Dazu kommt die im Ausmaß eher noch größere Beitragserhöhung bei den Krankenversicherungen als Folge der Kostenexplosion in diesem Bereich. Der durchschnittliche Krankenversicherungsbeitrag belief sich 1974 auf 9,5 % und 1975 schon auf 10,5 %. Die Barmer Ersatzkasse geht jetzt auf 12,1 %. Der Herr Kollege Glombig hat gesagt, das liege an ihren zu hohen freiwilligen Leistungen. Dann frage ich mich nur: Woran liegt es, daß die Ortskrankenkassen in Bottrop und in Wanne-Eickel auf 12,5 % und die in Duisburg auf 12,9 % gehen mußten?
Schon am 16. Januar 1975, als die Beiträge zur Sozialversicherung 29 % betrugen, sagte Minister Arendt, daß bei dem gegenwärtigen Einkommensniveau die Belastbarkeit der Versicherten mit Beiträgen fast erreicht sei. Für das nächste Jahr wird die Beitragsbelastung auch ohne Erhöhung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge schon auf 32 % steigen. Wollen Sie diese Entwicklung wirklich so weiter laufen lassen? Wollen Sie nicht endlich unseren Bürgern klaren Wein einschenken?
Herr Kollege Windelen, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ja, ja, ich komme gleich zum Schluß.
Wir sehen in dieser Beitragserhöhung eine Maßnahme, die zu diesem Zeitpunkt den Aufschwung behindert, statt ihn, wie es dringend notwendig wäre, zu fördern.
Dies ist die Lage, wie sie sich uns nach sechs Jahren SPD-FDP-Regierung darstellt.
Nun versuchen wir, die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Die Opposition ist ja bereit — sie hat das erklärt, und sie wird danach handeln —, auch unpopuläre Entscheidungen mitzutragen, im übrigen anders als Sie damals bei der Verabschiedung des Haushaltssicherungsgesetzes im Jahre 1966.
Aber wenn das so sein soll, dann muß am Anfang eine klare Bestandsaufnahme stehen. Die Opposition ist also bereit, nach vernünftiger und gründlicher Prüfung der von Ihnen vorgeschlagenen Einzelmaßnahmen in den Ausschüssen Verantwortung für Entscheidungen zu übernehmen, die Sie, die Regierung, zu vertreten haben.
Denn Ihre verfehlte Politik, deren Scheitern unseren Bürgern doch immer ideutlicher wird, trifft nicht nur Ihre getäuschten und enttäuschten Wähler, sie trifft unser ganzes Volk. Sie trifft auch jene Wähler, die diese Politik und diese Regierung gar nicht wollten, und um dieser Bürger willen, für die wir uns mitverantwortlich fühlen, sind wir bereit, Verantwortung zu tragen und Solidarität zu üben. Wir, die CDU/CSU, bekennen uns zur Solidarität der Demokraten. Das kann aber' nicht heißen — und auch dies möchte ich ganz deutlich sagen —, daß wir auch dort ja sagen, wo Sie sich wieder anschicken, das Falsche zu tun.
Wir wollen auch nicht, wie es der heutige Bundeskanzler 1966 gefordert hat, die Schuldigen ins Gefängnis bringen, weil sie uns, wie er damals sagte, eine so grauenhafte Situation hinterlassen haben. Obschon die Situation heute weit grauenhafter ist als damals, wollen wir Helmut Schmidt und Hans Apel nicht ins Gefängnis schicken, wohl aber endlich in den verdienten Ruhestand.
Ja. — Dies ist Ihre Vorlage, meine Damen und Herren, dies sind Ihre Vorschläge, die Sie zu verantworten haben als Folge Ihrer verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik. Wir sind nach gewissenhafter Einzelprüfung bereit, bei positivem Ausgang dieser Prüfung zuzustimmen oder Alternativen zu unterbreiten.
Ich sagte aber bereits, daß sich dies nur auf solche Maßnahmen beziehen kann, die wir dem Grunde und der Richtung nach für vertretbar halten.
Herr Abgeordneter, Sie haben Ihre Redezeit wirklich sehr weit überschritten.
Ich komme zum Schluß. Der Herr Bundeskanzler hat am 11. Mai dieses Jahres erklärt: „Die finanzpolitische Situation des Jahres 1975 macht mir überhaupt keine Sorge." Dann kann ich doch nur fragen: Was macht diesem Bundeskanz-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975 13333
Windelenler eigentlich Sorge außer der Frage, wie er Bundeskanzler bleibt?
Uns, Herr Bundeskanzler, macht ,die finanzpolitische Situation dieses Landes Sorge. Aus dieser Sorge heraus sind wir bereit, Verantwortung zu übernehmen, um wieder zu stabilen Verhältnissen in unserem Lande zu kommen, und deswegen sind wir bereit, an der Beratung dieser Vorlage konstruktiv mitzuarbeiten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Bülow.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen begrüßen es natürlich, daß der erste Sprecher der Opposition seine Bereitschaft zur Mitberatung des Haushaltsstrukturgesetzes bekundet hat. Wir hatten allerdings wesentlich mehr erwartet. Wir hatten erwartet, daß entweder Herr Strauß oder Herr Leicht Vorschläge machen würde,
welche Sparmaßnahmen durchgesetzt werden sollen, wo die Alternativen der Opposition liegen, wo etwa Subventionen abgebaut werden sollen, wo ihr famoser Personalabbau durchgeführt werden soll,
wo ein Leistungsabbau oder die Privatisierung staatlicher Leistungen stattfinden soll. All dies gehört zu dem Thema, das Sie in den letzten Tagen hochgekocht haben,
zu dem Sie aber hier kein einziges Wort vorgetragen haben.
Etwa 5 0/o der Rede von Herrn Windelen gehörten zur Thematik; der Rest bezog sich auf Dinge, die mit dem Haushaltsstrukturgesetz überhaupt nichts zu tun haben.
Meine Damen und Herren, in der 7. Legislaturperiode sind 346 Gesetze verabschiedet worden. Von diesen 346 Gesetzen haben Sie nur 19 nicht zugestimmt.
Allein 11 ausgabewirksame Gesetze haben Ihre Zustimmung nicht gefunden, aber nicht etwa deshalb, weil sie zu teuer gewesen wären, sondern weil Sie höhere Ausgaben gewollt haben oder weil Sie siemit Mindereinnahmen des Staates verbinden wollten. So sieht Ihre Alternative zur Finanzpolitik dieser Regierung aus, und dazu müssen Sie sich stellen.
Hierzu hätten wir einige Ausführungen erwartet.
Herr Windelen, Sie haben eine Vorgabe von Ihrem großen Vorsitzenden Franz Josef Strauß bekommen: 7 Milliarden DM zusätzlich müssen auf den Tisch; nicht nur das, was die Regierung jetzt vorschlägt,
sondern weitere 7 Milliarden DM müssen gespart werden. Wir wollen, Herr Althammer, nicht hören, daß die Buchstaben a, b, c irgendeines Gesetzes geändert werden sollen, sondern wir wollen hören, welche großen Brocken die 7 Milliarden DM ausbringen.
Meine Damen und Herren, wir haben mit diesem Haushaltsstrukturgesetz ein Paket von gesetzgeberischen Maßnahmen vor uns. In 44 Artikeln werden Änderungen bestehender Gesetze vorgeschlagen. Das finanzielle Ergebnis dieses Haushaltsstrukturgesetzes sollen Einsparungen im Jahre 1976 von 7,9 Milliarden DM sein, ansteigend bis zum Jahre 1979 auf 12,6 Milliarden DM. Darunter fällt natürlich auch die Erhöhung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages mit 3,8 bis 5 Milliarden DM.Es ist völlig klar: Wir hatten eine Reihe von Jahren mit günstiger, sehr günstiger Wirschaftslage, teilweise sogar mit überhitzter Wirtschaftslage und damit auch günstiger Finanzlage dieses Staates hinter uns. Das ist überhaupt nicht zu bezweifeln. In dieser Zeit ist es gelungen, die Infrastruktur dieses Landes beispiellos auszubauen. Es ist gelungen, das Straßennetz durch neue Autobahnen wesentlich zu erweitern. Es ist gelungen, U-Bahn- und S-Bahn-Systeme in den Ballungsgebieten aufzubauen. Denken Sie nur an das Münchener U-und S-Bahn-System. Die Zahl der Schulen und Hochschulen ist wesentlich ausgeweitet worden. Das Gesundheitswesen ist wesentlich verbessert worden. Die innere Sicherheit ist ausgebaut worden, und nicht zuletzt das Netz der sozialen Sicherheit eng geknüpft worden. Ich erinnere an die Dynamisierung der Kriegsopferrenten, an die flexible Altersgrenze, die vorgezogene Rentenanpassung, die Unverfallbarkeit von Betriebsrenten, die Erhöhung des Arbeitslosengeldes und vieles andere mehr. Hinzu kommen Lohn- und Gehaltssteigerungen in beträchtlichem Umfang und der Abbau von Besoldungsungerechtigkeiten. Auch dies muß einmal gesagt werden, wenn später vom öffentlichen Dienst gesprochen wird. Niemand in diesem Saal erinnert sich offensichtlich noch an die Zeit von 1969, als die Post keine Briefträger mehr bekam, einfach weil die Angehörigen dieser unteren Gehaltsgruppen miserabel besoldet gewesen sind.
Diese schlechte Besoldung ist abgebaut worden.Natürlich hat dies — auch das darf nicht verschwiegen werden — zu Problemen bei der Bundes-
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Dr. von Bülowpost und bei der Bundesbahn geführt. Es besteht gar kein Zweifel, daß die defizitäre Entwicklung zum Teil darauf zurückzuführen ist und daß dieses Problem nur langfristig gelöst werden kann. Gleichzeitig ist von dieser Regierung die durch die Boom-Jahre ausgelöste Inflationsentwicklung energisch bekämpft worden, energischer als in jedem anderen Staat, was zur Folge hatte, daß wir die niedrigsten Inflationsraten der westlichen Welt haben. Auf diese Leistung sind wir stolz, auch wenn ein noch niedrigerer Satz natürlich noch besser wäre.Gleichzeitig — auch daß muß festgestellt werden — sind die Staatseinnahmen teilweise auf die hohe Kante gelegt worden. Wir haben in den vergangenen Jahren 8 Milliarden DM bei der Bundesbank stillgelegt. Die Länder haben weitere 4 Milliarden DM stillgelegt. Es hat also nicht nur die erwähnten Leistungen gegeben, sondern auch eine sehr geringe Verschuldung des Bundes in den Jahren 1970 bis 1973. Die Verschuldung war viel geringer, als etwa noch in der Finanzplanung der vorigen Regierung, als Franz Josef Strauß Finanzminister war, vorgesehen wurde. Bei der Bundesbank sind also auch noch Gelder stillgelegt worden. Diese Gelder nutzen wir jetzt zur Beseitigung der konjunkturellen Schwächen.Wir befinden uns heute in einer anderen Situation. Die Landschaft hat sich verwandelt. Wir haben die Situation, daß sich die Rohstoffe um mehr als 100 °/o verteuert haben. Die Ölpreise haben sich um über 300 °/o erhöht. Wir haben die Situation, daß in allen westlichen Ländern — verschleiert auch in den Ostblockstaaten — eine erhebliche Inflationsrate zu verzeichnen ist. Dies hat dazu geführt, daß wir nach Jahren der Hochkonjunktur eine weltweite Rezession haben, die uns in der Bundesrepublik besonders stark treffen muß, weil wir das Land sind, das mit dem Welthandel am stärksten verflochten ist. 25 % unserer jährlichen Wertschöpfungen und Einnahmen stammen aus dem Ausland. Wenn sich das Volumen der Auslandsnachfrage um 40 Milliarden DM reduziert, so hat das Folgen für die Steuereinnahmen und für die Arbeitsplatzsituation. Mit dieser Problematik haben wir es jetzt auch in den öffentlichen Haushalten zu tun. Die Steuerschätzungen von August 1974 auf August 1975 lassen erwarten, daß der Bund Mindereinnahmen in Höhe von etwa 15 Milliarden DM zu verzeichnen hat. Die Rezession bringt zusätzliche Ausgaben des Bundes für die Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von 8 Milliarden DM mit sich. Diese Ausgaben sind allein als Folgen der Rezession zu bewältigen.Hinzu kommt — dies ist hier ja schon mehrfach ausgeführt worden — die Steuerreform, die wir gemeinsam beschlossen haben. Es ist schwierig für den Finanzminister, dies beides — die Folgen einer weltweiten Rezession, die ja auch nur weltweit behoben werden kann, und gleichzeitig die Folgen der Steuerreform — aufzufangen. Ich begrüße es, daß die Regierung mit sehr viel Mut und großer Ehrlichkeit gegenüber dem Bürger
gerade in der jetzigen Situation die Konjunktur-programme fährt und sagt: Wir dürfen gerade inder jetzigen Situation nicht den Stimmen nachgeben, die sagen: Ihr müßt jetzt auch noch die staatlichen Leistungen voll abbauen; ihr müßt die Wirtschaft zusätzlich noch dadurch treffen, daß ihr durch Einsparungen im Bundeshaushalt die Aufträge, die aus dem Bundeshaushalt an die Wirtschaft gehen, auch noch abbaut. — In dieser Situation, in der Konjunkturprogramme aufgelegt werden, soll gleichzeitig die langfristige Konsoldierung des Bundeshaushalts und zum Teil auch — wenn Sie die vorgesehenen Maßnahmen in bezug auf Mehrwertsteuer sowie Tabak- und Branntweinsteuer mit tragen — der Haushalte der Länder und Gemeinden eingeleitet werden.Meine Damen und Herren, ich bin fest davon überzeugt, daß diese Konsolidierungsphase der öffentlichen Finanzen in sämtlichen wesentlichen Industriestaaten eingeleitet werden muß. Nur: Die Bundesrepublik ist dasjenige Land, welches als erstes in dieser Frage mit Mut vorangeht.
Schauen Sie sich die Finanzlage, die Haushaltslage etwa der Vereinigten Staaten mit dem Defizit von 80 Milliarden DM an; schauen Sie sich die Finanzlage unseres Nachbarn Holland an; schauen Sie sich die Finanzlage von Großbritanien an. Glauben Sie nur ja nicht, daß diese Staaten um dieselbe Konsolidierungsphase herumkommen, die wir jetzt einleiten.
Dies hat nichts mit sozialistischen Experimenten oder irgendwelchen Theorien zu tun, sondern das ist einfach die Folge, wenn man mit seinen Staatsschiffen durch eine solche Schlechtwetterphase hindurch muß.
Dieses Haushaltsgesetz ist ja auch in andere Maßnahmen eingebettet; es ist ein Teil eines ganzen Bündels von Maßnahmen. Wir haben auf Grund des Haushaltsstrukturgesetzes nicht nur die Haushaltsverbesserungen, die ich vorhin genannt habe, sondern wir haben auch Ausgabenkürzungen gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung. Ich möchte diese Kürzungen hier noch einmal in Erinnerung rufen: 1976 werden 5,1 Milliarden DM gegenüber den bisherigen Planungen abgestrichen; bis 1978 werden 11,4 Milliarden DM von der ursprünglichen Planung abgestrichen, weil wir uns nach der Decke strecken müssen. Jedermann draußen im Lande hat doch Verständnis dafür, daß wir uns in den Zeiten, in denen die Steuereinnahmen nicht voll fließen, insgesamt mehr nach der Decke strecken müssen.Die Mehrwertsteuererhöhung in Verbindung mit der Erhöhung der Tabak- und Branntweinsteuer wird ab 1977 8,2 Milliarden DM, 1978 10 Milliarden DM, 1979 11 Milliarden DM zusätzlich bringen. Die Summe aller dieser Bemühungen werden Mehreinnahmen bzw. Minderausgaben in 1976 von 13 Milliarden DM, in 1977 von 76,9 Milliarden DM und in 1978 von 32,9 Milliarden DM sein. Damit soll der Kreditbedarf des Bundes von 38,9 Milliarden DM im Jahre 1976 auf 11,3 Milliarden DM im Jahre 1979 zurückgeführt werden.
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Dr. von BülowSo soll die Sanierung der Staatsfinanzen bis zum Jahre 1979 aussehen. Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie die. Forderung nach zusätzlich 7 Milliarden DM Einsparungen erheben, müssen wir im Grunde genommen erst einmal miteinander die Gesamtrechnung aufmachen. Ich wäre froh, wenn Herr Althammer darauf einginge; Sie lehnen ja die. Erhöhung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung ab — das macht 4,6 Milliarden DM im Jáhré 1977 aus — Sie lehnen die MehrwertSteuererhöhung ab, was 7 Milliarden DM im Jahre 1977 ausmacht. Dabei rechne ich nicht einmal das mit ein, was an die Länder geht, die in ihren Haushalten ebenfalls einen Konsolidierungsbedarf haben. Zusammen macht das also 11,6 Milliarden DM aus.Wenn ich den Herrn Windelen in seinem Jammern hier richtig verstanden habe, wird nach Meinung der Opposition die vorgesehene Summe in der Landwirtschaft nicht zusammenkommen, wird ebenfalls im öffentlichen Dienst die entsprechende Summe nicht aufgebracht; bei anderen Positionen gelte das ganz genauso. Das heißt, Sie müßten — weit über die 11,6 Milliarden DM hinaus — sagen, wo Ihre Kürzungsprioritäten liegen werden.Dann müssen Sie auch noch sagen, ob Sie, wenn diese Rechnung richtig ist, mit 22 Milliarden DM Kreditaufnahme zufrieden sind, die im Regierungskonzept für 1977 vorgesehen ist. Wenn Sie der Meinung sind, 22 Milliarden DM seien auch noch zu hoch — wenn ich Ihre öffentliche Darstellung lese, komme ich zu dem Schluß, daß Sie das behaupten werden —, dann müssen Sie noch mehr sparen, dann müssen Sie Summen in einer Größenordnung von 16, 17 Milliarden DM aus dem Staatshaushalt herausnehmen. Dann kahn man wirklich erwarten, daß Sie die großen Brocken nennen.Lassen Sie mich noch etwas zum Subventionsabbau sagen. Natürlich ist das von der Regierung sehr intensiv geprüft worden. Wir sind nach wie vor dabei, noch weitere Prüfungen anzustellen Nur: Sie kommen da sehr schnell an sehr enge Grenzen, denn zunächst einmal sind im Zuge der Steuerreform enorm viele Subventionen abgebaut worden. Das, was jetzt noch an- Subventionen zu verzeichnen ist, wirkt sich unmittelbar auf Arbeitsplätzeaus. Wenn Sie beispielsweise bei der Werftindustrie die Subventionen, die übrigens von allen Küstenstaaten der Welt gegeben werden, abbauen, führen Sie diese Industrie in eine unhaltbare Konkurrenzsituation mit der Folge des Verlustes von Arbeitsplätzen.
Herr Althammer, Sie haben dem Herrn Finanzminister neulich durch Herrn Haase dieses schöne Paket überreichen lassen. Darin befindet sich das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats zur jetzigen Finanzsituation. Ich habe es sehr sorgfältig durchgearbeitet; ich hoffe, Sie haben das genauso getan. Ich fand, daß dieses Gutachten sehr allgemein gehalten ist und keinen einzigen konkreten Vorschlag enthält. Ich habe mich mit dem Wissenschaftlichen Beirat in Verbindung gesetzt und gebeten, mir seine Unterlagen zu geben. Mir wurde mitgeteilt: es gibt keine Unterlagen. — Das ist also ein ziemlich frei schwebendes .Gutachten ohne jeden konkreten Zugriff griff auf bestimmte Positionen und s- mit ohne wesentlichen. Wert. .-Meine Damen und Herren von der Opposition, es gibt einen Bestseller — ich glaube, 26 DM soll er kosten; ich habe ihn mir noch nicht gekauft —, da stehen auf dem Umschlag einige Kraftsprüche zur, Wirtschafts- und Konjunkturpolitik, die weiteren 200 bis -300 Seiten sind 'leer., Überschrift: „Konjunkturpolitik, Alternative der Opposition".
Ich finde es eine bemerkenswerte unternehmerische Leistung, ein solches Buch auf den Markt zu bringen und es so gut zu verkaufen. Es scheint ein großer Bedarf vorhanden zu sein. — Dasselbe Buch könnte für die Finanzpolitik der Opposition aufgelegt werden. Auch da — ob auf 200 oder 1 000 Seiten, ist völlig unerheblich — einige irre Zahlenspielchen, vielleicht noch untermalt mit einigen Blabla-Angaben. Sie haben zuerst gesagt, es sei nicht Aufgabe der Opposition, überhaupt Alternativen anzubieten; das sei Sache der Regierung.
— Sie haben das in der jetzigen Auseinandersetzung gesagt: das ist nicht Aufgabe der Opposition.
Dann haben Sie eine Studie zur Frage der Sozialpolitik ausarbeiten lassen. Dort ist angedeutet, daß man im Rentenbereich und im Kriegsopferbereich gezielte Kürzungen vornehmen müsse. Kaum ist das in die Öffentlichkeit gespielt worden, haben Sie fallenlassen wie eine heiße Kartoffel. Dann haben Sie offensichtlich eine Studie zur Frage Personaleinsparungen machen lassen. Damit haben Sie die Schlagzeilen gemacht: 35 000 jährlich können an Personal eingespart werden. Sie haben das offensichtlich einigen. ganz wenigen, -ausgewählten -Journalisten gegeben; sie haben dann in, Ihrem. Auftrag den Drachen steigen, die ganze Welt darauf sehen lassen. Dann aber haben Sie das schnell wieder eingezogen und- den Stempel „Geheim" Baraufgesetzt.
— Natürlich! Wir warten darauf, zu erfahren, welche konkreten Vorstellungen Sie hier haben. Immerhin geht es da Jahr für Jahr um 35 000 Stellen. Wenn Sie Bahn und Post — der Finanzminister hat das ja bereits erwähnt — einschließen — ich nehme an, Sie tun das —, haben wir allein mehr als 30 000 Stelleneinsparungen bei diesen beiden Bundesunternehmen.Sie wollen bei Bund, Ländern und Gemeinden einsparen. In dieser Studie sagen Sie dann aber: Bildung und Verteidigung dürfen aber auf gar keinen Fall berührt werden. Auch bei Ländern und Ge-
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Dr. von Bülowmeinden, sagen Sie, darf gar nicht so viel eingespart werden. Es läuft also alles auf den Bund hinaus. Schaut man sich aber die Bundesrechnung der letzten Jahre an, stellt man fest, daß der Bund hinsichtlich der Ausweitung seines Personals trotz Arbeitszeitverkürzung am sparsamsten gewesen ist.
Der Bund hat von 1970 bis 1975 eine Personalausweitung um ganze 5,3 % gehabt, die Länder ohne das Jahr 1975 — das müßte noch dazugerechnet werden — eine Ausweitung um 21,1 % — also ein Verhältnis von 5 : 21 — und die Gemeinden um 15,9 %.Sie operieren hier also mit Taschenspielertricks, mit denen wir in den Haushaltsberatungen kein Stück weiterkommen. Ich kann an Sie nur appellieren: Geben Sie diese Studie an die Öffentlichkeit heraus, damit man sich intensiv mit ihr beschäftigen kann!
Ich halte es für völlig illusorisch, Jahr für Jahr 35 000 Stellen einzusparen. Dies 'ist nicht möglich.
Es ist nur dann möglich, wenn Sie in erheblichem Umfang Leistungen dieses Staates abbauen.Meine Damen und Herren, man muß sich diese Einsparungen natürlich auch einmal vor dem Hintergrund der CDU-Länder anschauen.
Die Vertretung von Herrn Kohl hier in Bonn, die Landesvertretung, ist um weit mehr als 100 % ausgeweitet worden — in wenigen Jahren!
Nehmen Sie das Land Baden-Württemberg mit seiner Kommunalreform! Das ist ein Land, das ich einigermaßen beurteilen kann. Da hat es früher die Landesregierung mit ihren Ministerien gegeben; da hat es die Regierungspräsidien gegeben; da hat es die Kreise gegeben; da hat es die Gemeinden gegeben. Die Landschaft, die wir jetzt vorfinden, ist, daß wir neben den Regierungspräsidien die Regionen mit neuem Personalapparat installiert haben. Die Kreise bleiben trotz der eingeführten Regionen bestehen. Die Gemeinden sind zwar gestärkt worden, aber gleichzeitig gibt es Ortsvorsteher, gibt es Ortsdiaftsräte.Die Einräumigkeit der Verwaltung, die einmal angestrebt worden ist, ist aus lauter Angst vor harten Einschnitten völlig aufgegeben worden. Man wollte ursprünglich den Mut aufbringen, die Sonderbehörden in die allgemeinen Behörden einzugliedern, z. B. Wasserwirtschaftsämter, Gewerbeaufsichtsämter, Landwirtschaftsämter. Aber all das bleibt in Baden-Württemberg so bestehen, wie es seit 50 oder 100 Jahren bestanden hat. Es gibt keinen Mut, Rationalisierungsreserven zu eröffnen.Ich kann Sie nur auf die sehr hübsche Studie des Landesrechnungshofs von Baden-Württemberg hinweisen, wonach der Entwurf eines Antwortbriefs auf die Frage eines norddeutschen Abiturienten, wo man in Baden-Württemberg eine Gärtnerlehre absolvieren könne, von etwa 30 Ministerialbeamten abgezeichnet worden ist.
Ich kann Ihnen nur sagen: So sieht die Realität aus. Und da wollen Sie uns hier im Bund sagen: Bund, Länder und Gemeinden müssen 35 000 Stellen einsparen; dabei müssen Länder und Gemeinden weitgehend ausgenommen werden; es muß möglichst alles beim Bund gemacht werden. Aber wiederholen Sie erst einmal das, was wir seit 1973 im Haushaltsausschuß als Regierungskoalition zusammen mit der Regierung durchgesetzt haben, nämlich eine Absenkung des Personalbestandes unter den von 1973!
— Herr Leicht, natürlich stimmt es. Nur sieht eben die Rechnung Ihres Fraktionsvorsitzenden Carstens einfach so aus, daß er sich nur — —
— Melden Sie sich doch zu einer Zwischenfrage!
— Gut, dann lassen Sie es sein!Herr Leicht, beschäftigen Sie sich doch einmal ernsthaft mit den — natürlich nicht voll sachverständigen — Äußerungen Ihres Fraktionsvorsitzenden Carstens zur Ausweitung des Personals der öffentlichen Hand. Er läßt sich da einfach die Beamtenzahlen vortragen und berücksichtigt überhaupt nicht, daß einige Angestelltenstellen in Beamtenstellen umgewandelt worden sind, so daß unter dem Strich keinerlei Ausweitung stattgefunden hat. Aber mit den falschen Zahlen wird von Ihnen operiert.Meine Damen und Herren, die Alternative zur Lösung der Regierung besteht nur darin, das Netz der sozialen Sicherheit abzubauen. Nur darin kann es bestehen. Nur dadurch kriegen Sie die Finanzmassen heraus. Das ist die entscheidende Frage zwischen uns. Das war sie auch in den dreißiger Jahren in der Weltwirtschaftskrise. Entweder wird eine Rezession mit erheblicher Arbeitslosigkeit durchgestanden, in dem die Gemeinschaft in Solidarität für die Schwierigkeiten und für diejenigen einsteht, die betroffen worden sind, für diejenigen, die auf Grund dieser Entwicklung schwach werden, oder aber Sie sagen: Zugunsten der Starken, zu Lasten der Schwachen, d. h. etwa Abbau der Arbeitslosenversicherung, Abbau der Rentenhöhe, Abbau der Kriegsopferversorgung. Nur das ist idie Alternative, und dazu müssen Sie sich hier stellen.
Nun, meine Damen und Herren, zum Haushaltsstrukturgesetz selbst. Wir werden in den Ausschüssen dazu eine Fülle von Einzelberatungen in einem
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Dr. von Bülowsehr komplizierten Verfahren durchführen müssen. Wir halten dieses Strukturgesetz, dieses Paket zwar nicht im Detail, aber insgesamt für ein sich ausgewogen. Es handelt sich hier nicht nur um Auswüchse und Mißstände beim Arbeitsförderungsgesetz. Tun Sie doch nicht so, als ob das 1969 nicht von uns gemeinsam verabschiedet worden wäre, nachdem es Herr Katzer in der damaligen Fassung vorgelegt hatte! Da müssen einige Dinge zugunsten derjenigen bereinigt werden, die in die Arbeitslosenversicherung einzahlen.Die Ausbildungsförderung wird, wenn man vorher nichts eingezahlt hat, nicht so eingeschränkt, Herr Windelen, daß die berufstätige Frau, die einige Jahre ausgeschieden ist, um ihre Kinder zu erziehen, und nachher wieder in den Arbeitsprozeß eingegliedert wird, keine Möglichkeit hat, ihre Umschulung bezahlt zu bekommen. Wie Sie genau nachlesen können, ist hier vielmehr vorgesehen, daß die Darlehen, die gegeben werden, in Zuschüsse umgewandelt werden können, wenn die betreffende Person nachher in das Arbeitsleben eingegliedert wird. Ihr Beispiel ist also eine Verfälschung des gesetzlichen Tatbestandes, wie er in der Gesetzesvorlage der Regierung enthalten ist.
Es wird auch eingeschränkt — dies ist ein Wildwuchs, ein Mißbrauch; wir bleiben dabei —, daß z. B. hinsichtlich der Regelung bei der Kurzarbeit die gesetzlichen Feiertage von der Bundesanstalt für Arbeit bezahlt werden, was clevere Unternehmer natürlich ausgenutzt haben, weil die gesetzliche Grundlage dafür gegeben ist.
Das muß beseitigt werden, und das wird beseitigt werden!
Es wird, was im Einzelfall ebenfalls etwas schmerzlich sein mag, aber insgesamt vernünftig ist, die „Zumutbarkeit" im Hinblick auf die Aufnahme alternativer Arbeit etwas enger gefaßt werden. Ich hoffe, daß Sie zu diesen Maßnahmen ja sagen werden.In anderen Bereichen — das sei gar nicht verschwiegen — werden Opfer verlangt. Daß der langsame Abbau des Aufwertungsausgleichs für die Landwirtschaft ein Opfer ist, unterliegt gar keinem Zweifel, obwohl darauf hingewiesen werden muß, daß die Regierung von Anfang an gesagt hat, daß das ein vorübergehender Ausgleich für die Schwierigkeiten ist, die durch die Aufwertung verursacht worden sind.Auch beim Bundesausbildungsförderungsgesetz ist es nicht Wildwuchs, sondern der Verzicht auf die Erhöhung der Sätze, auf die Erhöhung der Freigrenzen. Das ist problematisch, muß aber bei der jetzigen Finanzsituation hingenommen werden.Ich komme auf den öffentlichen Dienst zu sprechen. Das, was hier vorgesehen ist, ist nicht etwa Ausfluß der kritischen Unterströmung, die in der öffentlichen Meinung gegen den öffentlichen Dienst ständig geschürt wird. Wir schätzen sehr hoch ein die Bereitschaft und das Engagement des öffentlichen Dienstes zur Verbesserung des Gemeinwohls,
seinen Einsatz für Gerechtigkeit, für mehr Effizienz, mehr Genauigkeit. Die großartige Infrastruktur unseres Staatswesens ist doch zum großen Teil darauf zurückzuführen, daß wir sehr viele, sehr tüchtige, sehr engagierte, gut arbeitende Beamte haben.
Das muß an dieser Stelle gesagt werden.
Auf der anderen Seite muß festgestellt werden, daß, wenn alle anderen Arbeitnehmer mit einer Beitragserhöhung bei der Arbeitslosenversicherung in Höhe von einem halben Prozent — was der Bundesanstalt für Arbeit zufließt — belastet werden, um die Rezessionsschwierigkeiten zu überwinden, natürlich dann in dieser Situation auch der öffentliche Dienst gewisse Opfer bringen muß.Nun gibt es zahllose Eingaben — Herr Windelen, Sie haben darauf abgestellt —, die lauten:Absatz 1: Sparen, Ja! Da sind wir alle dafür. Absatz 2: Opfer müssen auch bei uns sein.Absatz 3: Es dürfen aber nicht die Opfer sein, die ihr uns hier vorgeschlagen habt.So lauten die Stellungnahmen sämtlicher Verbände.
Ich nehme nur die Ortszuschlagsregelung als Beispiel, die natürlich ihre Ungerechtigkeiten hat. Dabei muß man sagen, daß, wenn es von diesem Parlament so beschlossen wird, nur der familienbezogene und kinderbezogene Teil des Ortszuschlags eines der Ehegatten, die beide im öffentlichen Dienst stehen, abgebaut wird. Es soll nicht der ganze Ortszuschlag abgebaut werden, wie weitum in der Bevölkerung gemeint wird.Es gibt Probleme bei den Fahrtkostenzuschüssen. Da besteht gar kein Zweifel. Es gibt auch das Problem der Kumulierung dieser Lasten bei wenigen Gruppen. Hier können Details noch geändert werden.Meine Damen und Herren, ich möchte nur ein Beispiel zum Ortszuschlag bringen, damit das auch von den Betroffenen etwas besser verstanden wird: Nehmen wir einen Beamten, der nach A 12 besoldet wird. Er erhält ein Monatsgehalt von rund 1 300 DM — Dienststufe 5 —. Der Ortszuschlag beträgt, wenn er ledig ist, 422 DM, wenn er verheiratet ist, 513 DM, und wenn beide Ehepartner im öffentlichen Dienst arbeiten, erhalten sie zweimal 513 DM. Wenn ein Kind da ist, sind es nicht 513 DM, sondern 590 DM, d. h., der Betrag, den Verheiratete bei einem Kind mehr erhalten als ohne Kinder, verdoppelt sich bei diesem Beamtenehepaar auf 160 DM für das Kind. Nun bitte ich Sie, die Bestrebungen der Steuerreform zu berücksichtigen, nach denen das Kindergeld für alle gleich sein sollte, 50 DM, 70 DM, 120 DM.
Vergleichen Sie das bitte mit dem, was im öffentlichen Dienst unter dem Titel Besitzstandswahrungeingeführt worden ist. Deswegen liegt es nicht völlig
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Dr. von Bülowaußerhalb der Überlegungen, in diesem Bereich zu sagen: Diese kinderzahlbezogene Leistung gibt es nur für einen und nicht für beide Partner, die im öffentlichen Dienst arbeiten.Das Haushaltsstrukturgesetz Ist sozusagen ein Paketangebot der Regierung zum Sparen.Wir Sozialdemokraten sind der Meinung, daß der finanzielle Rahmen dieser Einsparungen unter allen Umständen gehalten werden muß.
Wir sind äffen für den Austausch. von Elementen innerhalb dieses Pakets. Wir sind bereit, Anregungen nachzugehen und sie sorgfältig zu prüfen. Wir sind natürlich besonders gespannt auf die Anregungen und Vorschläge der Opposition, werden sie vor allen Dingen an den eigenen großen Vorankündigungen messen, die sie uns vorgetragen hat. Nur ist unser Erwartungshorizont leider Gottes auf Sparflamme herabgesetzt worden durch die Rede des Herrn Abgeordneten Windelen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Althammer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der Vorbesprechung dieser Debatte hatten mein Kollege Windelen und ich eigentlich übereinstimmend die Auffassung vertreten, daß wir im Endergebnis eine wohlwollende Prüfung der Vorschläge und konstruktive Mitarbeit zusagen wollen. Ich muß Ihnen sagen: Nach dem, was wir heute vormittag, beginnend mit dem Herrn Bundesfinanzminister, erlebt haben, fällt es der Opposition außerordentlich schwer, diese konstruktive Haltung beizubehalten.
— Ich möchte Ihnen das gleich begründen. Es ist unerträglich, wenn der Opposition dauernd unterstellt wird, sie dächte an die Demontage sozialer Leistungen.
Es ist einfach heuchlerisch, wenn Sie im ersten Satz fragen, wo denn unsere Alternativen seien,
um dann im zweiten Satz sofort zu sagen: Aber das und das und das ist ungeheuerlich, und das werden wir draußen ausschlachten. So geht das nicht.
Sie müssen sich auch einmal überlegen, daß Sie, wenn Sie demagogisch verfahren, genauso, wie das Sprichwort sagt — wenn jemand lügt —, ein gutes Gedächtnis brauchen. Sie können nicht im gleichen Atemzug sagen, diese Opposition habe 300 und soundso vielen Gesetzen zugestimmt — „wo bleibt denn eure Ablehnung?" —, und, die Opposition sei der Neinsager. Das paßt einfach nicht zusammen. Entweder oder.
— Herr Kollege Wehner, ich werde Ihrem Wissensdurst gleich nachkommen. Ich möchte mich jetzt sehr konkret mit dieser Vorlage auseinandersetzen.
Herr Kollege Wehner, ich beginne dabei gleich mit der Überschrift des Gesetzes.
Wissen Sie, wenn man sich die Gesetzesbezeichnungen so durchliest, wie sie bei dieser Regierung neuerdings Mode werden, wird man ein bißchen an Orwells „1984" erinnert. In der Gesetzesüberschrift wird immer genau das Gegenteil von dem gesagt, was im Gesetz steht. Hier heißt es, das sei ein Gesetz zur Haushaltsverbesserung
Was soll aber mit dem Gesetz selber bewirkt werden? Mit dem Gesetz selber werden Leistungen abgebaut. Ich meine, es ist nicht die Aufgabe der Volksvertretung, ein Gesetz danach zu beurteilen, welchen Nutzen es der Regierung und dem Staate bringt, sondern unsere Aufgabe ist, darauf zu achten, welche Belastungen und welche Auswirkungen für die Bevölkerung, für die Menschen in unserem Lande entstehen.
Wenn Sie das Gesetz unter diesem Aspekt betrachten, dann besteht wirklich kein Anlaß zur Freude unid zum Selbstlob. Der Herr Bundesfinanzminister ist mir bei seiner Selbstbelobigung so vorgekommen wie ein Kind, das erst einen Krug zerbricht und dann noch dafür gelobt werden will, daß es versucht, ihn wieder zu kitten.Lassen Sie mich eine zweite allgemeine Vorbemerkung machen. In der Begründung dieses Gesetzes befindet sich ein Satz der In der Gesetzgebung dieses Parlaments einmalig ist. Da heißt es in Ziffer 4 der allgemeinen Bemerkungen:Im Bereich des öffentlichen Dienstes und in den Geldleistungsgesetzen des Bundes können darüber hinaus noch Ungereimtheiten vorhanden sein.Der Gesetzgeber selbst sagt also in der Begründung seines Gesetzentwurfes, er habe in dieses Gesetz Ungereimtheiten hineingeschrieben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn das kein Offenbarungseid für die Leistungsfähigkeit einer solchen. Gesetzgebungsmaschinerie ist, gibt es eine Unfähigkeit auf diesem . Sektor überhaupt nicht mehr.Es ist dann davon die Rede, daß in ,diesem Gesetz eine ganze Reihe von -Dingen noch verbessert wer-
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Dr. Althammerden müsse. Es ist merkwürdig, daß dieselben Leute von der SPD, die uns dauernd fragen, was wir denn für Einzelalternativen hätten, für sich selbst in Anspruch nehmen, zu sagen: Wir werden im Laufe der Beratungen unsere Änderungsvorschläge noch machen. Sie nehmen für sich nicht in Anspruch, das auch hier vortragen zu müssen. Ich glaube, auch da sollten wir uns einigen. Entweder belassen wir die Details in den Einzelberatungen, oder aber jeder legt seine Dinge offen auf den Tisch.
Daß dieses Gesetz, obwohl man seit Mai dieses Jahres Zeit hatte, mit heißer Nadel gemacht worden ist, ergibt sich auch daraus, daß in einer ganzen Reihe von Fällen überhaupt keine wirklich haltbaren Zahlen genannt sind, z. B. im Bereich des Arbeitsförderungsgesetzes. In einem anderen Bereich, wo z. B. Steuervorteile für das Beamtenheimstättenwerk und andere Wohnungsbauförderungseinrichtungen des Bundes genannt werden, kann überhaupt nicht gesagt werden, wer denn eigentlich von diesem Gesetz betroffen ist. Das sind eine Reihe von Ungereimtheiten, die hoffentlich im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens noch ausgeglichen werden.Wenn der Herr Finanzminister gemeint hat, er müsse bereits jetzt gegen einige Änderungsvorschläge des Bundesrates polemisieren, dann hätte er gerechterweise auch sagen sollen, daß der Finanzausschuß des Bundesrates ein dickes Heft von Detailverbesserungen in der Absicht vorgelegt hat, diesen schlechten Gesetzentwurf wenigstens in eine Form zu bringen, daß man ihn der deutschen Öffentlichkeit vorlegen kann.
Es ist auch noch ein anderer Punkt zu beachten. In einer Reihe von Fällen wird eine sogenannte Verbesserung des Bundeshaushalts schlicht und einfach dadurch erreicht, daß man die finanziellen Belastungen den Ländern und ,den Gemeinden auferlegen will. Besonders hervorstechend ist hier z. B. der Fall des Krankenhausfinanzierungsgesetzes. Es ist natürlich sehr einfach, wenn der Bund Krankenhausfinanzierung als ein großes Reformvorhaben hinstellt und die Länder und Gemeinden zu großen finanziellen Engagements veranlaßt, um dann nach einigen Jahren zu sagen: Ich zahle jetzt aber nicht mehr, ihr, Länder und Gemeinden, könnt gefälligst diese Sache allein finanzieren. Da frage ich mich, wie ein solches Verhalten des Bundes zu qualifizieren ist.
Ein anderer Bereich, auf den auch schon von seiten der Gemeinden mit Besorgnis hingewiesen worden ist, ist der, daß durch dine Reihe von Kürzungsmaßnahmen unter Umständen Leute der Sozialfürsorge zur Last fallen, z. B. Jugendliche, die jetzt aus Förderungsmaßnahmen herausfallen. Auch dort findet also schlicht und einfach eine Verlagerung statt, keineswegs aber eine echte Einsparung.Daß dieses Gesetz mit sehr heißer Nadel gemacht worden ist, ergibt sich auch daraus, daß man es versäumt hat, wenigstens vorher die sachkundige Stellungnahme der betroffenen Organisationen einzuholen. Man redet seit 1969 von mehr Demokratie in diesem Lande und geht dann bei so schwerwiegenden Dingen einfach über die Betroffenen hinweg. Auch dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchten wir von der Opposition gern korrigieren, indem wir verlangen, daß zu den maßgeblichen Punkten Hearings stattfinden. Ich möchte hier schon ankündigen, wenn das in den Fachausschüssen, wo wir das gerne abhandeln würden, nicht möglich sein sollte, werden wir von unserem Recht als Opposition Gebrauch machen und diese Anhörung der Betroffenen im federführenden Ausschuß veranlassen.
Wenn man die Hauptkomplexe dieses Gesetzentwurfes betrachtet, muß man leider an den Anfang eine sehr böse Äußerung stellen, die aus der Baracke gekommen ist und die dem Sinne nach darauf hinausgelaufen ist, daß es gewisse Bevölkerungsgruppen gebe, denen besondere Belastungen aufzuerlegen seien, z. B. dem öffentlichen Dienst, z. B. der Landwirtschaft.
— Wissen Sie, Herr Kollege Wehner, wenn ich in die Wüste ziehe, nehme ich meistens die Kamele mit.
Ich habe den Wortlaut dieser Erklärung hier, und wenn es Ihnen besondere Freude macht, kann ich Ihnen vorlesen, was Ihre Mitarbeiter in der Baracke gesagt haben
zu den Aufbaumaßnahmen, die im öffentlichen Dienst und in der Landwirtschaft unbedingt notwendig wären.Kommen wir also zum Bereich des öffentlichen Dienstes. Hier ist eine interessante Diskussion im Gange, und es wäre wirklich einmal interessant gewesen, zu hören, wie sich eigentlich die Koalitionsfraktionen — vielleicht wird Herr Kirst das noch tun — zu den ganz anderen Vorschlägen, die z. B. vom DGB gemacht werden, einstellen. Man hört hier ganz unterschiedliche Meinungen. Es gibt eine Auffassung, die sagt: Jawohl, diese Idee, an Stelle der Einzelrestriktionen eine Reduzierung um 0,5 % in Analogie zu dem vorzunehmen, was die Arbeitnehmer bei der Arbeitslosenversicherung zu leisten haben, wäre überlegenswert. Dann hört man von der FDP wieder, nein, das käme überhaupt nicht in Frage, weil der Vorschlag des Herrn Ministers Maihofer ja, ach, um so vieles besser wäre. Ich werde mich damit jetzt gleich noch beschäftigen, aber das sind Fragen, bei denen Sie auch vergessen haben, zu sagen, wie Sie sich eigentlich zu solchen Vorschlägen einstellen.Was wir an diesem Komplex besonders beanstanden, ist die soziale Unausgewogenheit, die darin besteht, daß dem Teil des öffentlichen Dienstes, der im
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Dr. AlthammerBeamtenverhältnis ist, nun Lasten auferlegt werden und auf der anderen Seite, Herr Minister Maihofer, bis heute darüber geschwiegen wird wie eigentlich das Prinzip der Gleichbehandlung von Beamten auf der einen, Angestellten und Arbeitern auf der anderen Seite z. B. bei der Regelbeförderung im Verhältnis zum Bewährungsaufstieg zu bewerkstelligen ist.Herr Minister, wir von der CDU/CSU fordern Sie hier auf, der Offentlichkeit zu erklären, wie Sie diese Mißverhältnisse, die dadurch entstehen, daß in dem einen Bereich nun solche Eingriffe vorgesehen sind, während man von dem anderen Bereich nichts hört, auflösen wollen. Wir würden uns sehr darüber freuen, wenn Sie uns auf diese Frage eine verbindliche, klare und eindeutige Antwort geben würden.
Das ist ein Problem, das besonders den einfachen und den mittleren Dienst betrifft. Man muß sich vorstellen: Hier steht ein kleiner Beamter neben einem Angestellten. Der eine hat die Benachteiligungen hinzunehmen, und der andere ist im Moment nicht betroffen. Das sind soziale Ungerechtigkeiten, und wir sind nicht bereit, das auf Dauer hinzunehmen!
Es gibt Stimmen, die der Auffassung sind, daß hinter solchen Entwürfen und solchen Vorschlägen die Absicht steht, auf kaltem Wege das Berufsbeamtentum auszuschalten.
— Sie brauchen nicht „Oho" zu schreien; es gibt Leute, die sehr ernsthafte Überlegungen in dieser Richtung angestellt haben.
Ich sehe mich, weil jetzt gerade wieder im Zusammenhang mit diesen Ungerechtigkeiten, die ich eben angesprochen habe, dieses Thema hochkommt, veranlaßt, hier die Position der CDU/CSU eindeutig klarzulegen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die CDU/CSU ist für die Beibehaltung und die Fortentwicklung des Berufsbeamtentums.
— Herr Kollege Wehner, es scheint notwendig zu sein, das zu betonen, wenn man die Entwicklung dieser Tage sieht.
Wir sind deshalb dafür, weil sich gerade mit Blick auf Nachbarländer zeigt, wie ungeheuer wichtig das Berufsbeamtentum für die Dienstleistungen für unsere Bevölkerung ist, sei es im Bereich der Bahn, sei es bei der Post, sei es bei den sonstigen Ämtern. Hier sind wir der Auffassung, daß es gerechtfertigtist, daß man dann, wenn eine Berufsgruppe von sich aus immer wieder deutlich erklärt, sie nehme das Streikrecht nicht für sich in Anspruch, dieser Berufsgruppe auch eine Existenzberechtigung erhält.Nun möchte ich eine Bemerkung zu diesem jetzt schon wiederholt angesprochenen Problem der Stellenausweitung machen. Es ist ja geradezu abenteuerlich, was wir zu diesem Sektor heute wieder gehört haben. Der Herr Minister Apel erklärt hier im Hause, das alles sei ja überhaupt nicht aufregend, das, was in den letzten Jahren bei Stellenausweitungen passiert ist, sei alles gerechtfertigt. Ich habe aber das Presseecho auf seine Rede nachgelesen, die er am vergangenen Samstag wohl vor den Betriebsräten in Hamburg gehalten hat, eine Rede, die uns auch in anderer Hinsicht wieder einmal daran erinnert hat, daß er nach eigenen Bekundungen vom Pferd getreten worden ist.Ich möchte mich aber jetzt nur mit diesem Teil befassen. In dieser Rede sagte Minister Apel ausdrücklich, es sei richtig, daß in den letzten Jahren im öffentlichen Dienst eine zu hohe Stellenvermehrung eingetreten ist. Jetzt hören wir wieder von Herrn von Bülow und vom Minister selber, das alles sei gar nicht so. Dabei werden natürlich immer nur die Komplexe herangezogen, die man gerade brauchen kann. Es wird nicht erwähnt, daß z. B. am Anfang dieser neuen Koalition ein ungeheurer Stellenschub — z. B. im Bundeskanzleramt insgesamt eine Verdoppelung der Stellen — eingetreten ist. Es wird auch nicht darauf hingewiesen, daß in anderen Bereichen, z. B. bei der Bundesbahn, seit 1972 pro Jahr 10 000 Stellen abgebaut wurden, während seit 1970 im Schnitt jeweils 10 000 neue Stellen geschaffen worden sind. Das gehört auch in diesen Gesamtkomplex der Diskussion über den Stellensektor.Ich glaube also, es wäre am besten, wenn die Regierungskoalition sich darauf einigen könnte, daß sie in dieser Richtung in der Vergangenheit zuviel getan hat und daß es dringend notwendig ist, hier zu steuern.Nun lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu unserem Arbeitsvorschlag mit der Einsparung von 35 000 Stellen pro Jahr machen. Herr Minister Apel sagte dazu heute hier, das alles werde durch das in Schatten gestellt, was die Regierung selber tue, weil sie z. B. bei der Bahn und bei der Post nächstes und übernächstes Jahr viel mehr als diese 35 000 Stellen einsparen wolle. Herr Kollege von Bülow sagte, das sei alles illusorisch; so viele Stellen könne man gar nicht einsparen.
— Ja, genau das, Herr Kollege. Wer sich nämlich die Mühe macht, genau nachzulesen, was dieser Vorschlag besagt, wird feststellen, daß nicht nur der Bundesbereich gemeint ist, daß nach diesem Vorschlag kein einziger im öffentlichen Dienst sein innegehabtes Amt verliert, also freigestellt werden soll, sondern daß im Wege des natürlichen Abbaus diese Maßnahmen möglich und durchführbar sind,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975 13341
Dr. Althammerwenn man nur den ernsthaften Willen hat, das zu tun.Lassen Sie mich einen nächsten Punkt ansprechen — das geht auch wieder Herrn Minister Maihofer an —, der in diesem Gesetz sehr problematisch ist, nämlich das Problem der Einschränkungsmaßnahmen und -absichten im Bereich der Beamten, die eine Fachhochschulausbildung haben. Wenn das realisiert würde, was hier vorgeschlagen wird, würde es drei Gruppen mit verschiedenen Eingangsämtern bei gleicher Vorbildung, nämlich Fachhochschule, geben. Es gäbe danach den in einer Fachhochschule ausgebildeten Fachlehrer, der die Eingangsgruppe A 12 hat, dann den technischen Beamten, der bei Fachhochschulausbildung A 10 hat, und den nichttechnischen Beamten, der A 9 hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Regierung, die immer auch auf diesem Sektor soviel vor großen Reformen geredet hat, muß sich in einem solchen Vorschlag bescheinigen lassen, daß sie ein totales, ein unhaltbares Wirrwarr anrichtet, eine Sache, die sozial einfach nicht haltbar ist.
Der zweite Komplex, meine sehr verehrten Damen und Herren, der für uns bei der Betrachtung dieses Gesetzes im Mittelpunkt steht, ist der soziale Bereich. Weil auch Herr von Bülow von Wildwuchs gesprochen hat, zunächst noch einmal eine Darstellung der Größenordnungen, in denen sich dieser Wildwuchs angeblich bewegen soll. Es wird also im Jahr 1976 für den sozialen Bereich eine Kürzung von insgesamt 900 Millionen DM vorgeschlagen — allein beim Arbeitsministerium 1979 2 Milliarden DM —; mit steigenden Zahlen in vier Jahren insgesamt 6 Milliarden DM.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist ein Wort! Ich habe eben von meinem Kollegen Jenninger einen Artikel im „Handelsblatt" bekommen, in dem ein sehr prominenter Mann des Gewerkschaftsbundes, der IG Metall, sich mit diesem Sektor auseinandersetzt. Meine Damen und Herren, ich habe mir einmal überlegt, was die SPD sagen würde, wenn die CDU/CSU solche Vorschläge im sozialpolitischen Raum gemacht hätte!
— Ich werde auf diesen Punkt noch am Schluß meiner Rede kommen, sehr verehrter Herr Kollege. Aber ich bin der Auffassung, daß gerade dieser Bereich sehr, sehr gründlich untersucht werden muß.
— Herr Kollege von Bülow, seien Sie bitte vorsichtig; denn wie ich höre, wollen auch Sie das nicht so passieren lassen, wie es die Regierung vorgelegt hat. Darum haben Sie also alle Veranlassung, sich erst einmal unsere Überlegungen zu diesem Sektor anzuhören.
Da gibt es z. B. den Bereich der jugendlichen Arbeitnehmer. Durch eine Änderung des Gesetzestextes soll jemand, der eine Ausbildung abgeschlossen hat — sei es, daß er eine weiterführende Schule besucht oder eine einfachere Ausbildung absolviert hat —, nicht mehr die Möglichkeit haben, in .den Genuß der Arbeitslosenunterstützung zu kommen. Man muß sich einmal die Situation dieser jungen Menschen darstellen, die dann im Notfall eben sofort zum Sozialamt gehen müssen. Das zeigt, daß hier ein Punkt angesprochen ist, der allen Parlamentariern größte Sorge machen müßte. Es ist ein unmöglicher Zustand, wenn junge Menschen heute in diese Situation gebracht werden.Ich möchte hier jetzt auch noch eine Anmerkung zu dem machen, was Herr von Bülow vorhin gesagt hat. Er hat gemeint, jetzt habe man wieder Bewerber bei den Postschaffnern, 1969 dagegen sei es sehr schwer gewesen, für diese Tätigkeit überhaupt noch jemanden zu bekommen. Da haben Sie sehr recht, Herr von Bülow. Aber bitte, dann fügen Sie der Ehrlichkeit halber auch hinzu, daß es wegen der Vollbeschäftigung, die wir damals hatten, jedem Menschen möglich war, den Beruf zu wählen, den er wollte,
und daß hier ein Angebot vorhanden war, das besonders für die jungen Leute attraktiv war. Wir erleben es nun Tag für Tag, wie die Situation heute ist.
Zu unserer Zeit, als die CDU/CSU die Regierungsverantwortung hatte, konnte ein junger Mann wählen, welchen Beruf er ergreifen wollte. Er war begehrt, man hat ihn umworben. Heute muß er froh sein, wenn er überhaupt ein Unterkommen findet.
Im äußersten Fall muß er eben auf eine Berufstätigkeit verzichten.
— Etwas besseres fällt Ihnen auch nicht mehr ein.Lassen Sie mich noch einen anderen, sehr wichtigen Bereich ansprechen, nämlich den Bereich der Kriegsopfer. Auch hier ist vom Bundesrat bereits ein Änderungsvorschlag gemacht worden. Es entsteht hier für diejenigen Personen, die einen Schwerbeschädigten pflegen und die seit Jahren davon ausgehen konnten, daß sie für diese Tätigkeit Beihilfeleistungen erhalten, eine soziale Situation, die, glaube ich, von niemandem akzeptiert werden kann. Jetzt sagt man diesen Menschen — das sind also Ehefrauen oder Kinder, unter Umständen auch Ehemänner solcher Schwerbeschädigten Personen —, die keiner anderen beruflichen Tätigkeit nachgegangen sind, weil sie eben die Pflege ihres Angehörigen ausüben wollten, daß sie diese Leistungen nicht mehr erhalten sollen. Ich glaube, das ist sozial unzumutbar. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte hoffen, daß das geändert wird.
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13342 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975
Dr. Althammer— Wenn Sie das nachlesen, was die Fachleute des Bundesrates dazu sagen, dann werden Sie feststellen, daß das so ist. Aber wir können uns noch sehr gern über die Details unterhalten.
Das alles, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind soziale Härten, die von der CDU/CSU nicht akzeptiert werden und die für uns im Mittelpunkt der Auseinandersetzung über dieses Gesetz stehen.
Und ich möchte hier noch eine generelle Begründung anführen. Es war die CDU/CSU, die unser Land nach dem totalen Zusammenbruch aus der fürchterlichen Situation des Jahres 1945 herausgeführt hat.
— Herr Kollege Wehner, natürlich ist es das deutsche Volk gewesen,
das diese Leistung erbracht hat. Aber, Herr Kollege Wehner, jetzt müssen Sie eines dazu sägen: daß es nämlich nur eine Regierungspolitik ermöglicht hat, diese Leistung zu erbringen, die eben nicht die Schäden herbeigeführt hat, die Sie jetzt in fünf Jahren verursacht haben.
— Ich habe gehört, es ist jetzt ein Buch erschienen, Herr Kollege Wehner, über das, was Sie in diesen Jahren gesagt haben. Ich konnte es leider noch nicht lesen, aber ich glaube es wird Ihnen nicht viel Freude machen, wenn Sie nachlesen, was die Opposition damals gesagt hat. Wir von der CDU/CSU haben die sozialen Sicherungen eingeführt. Wir haben das geschaffen, was Sie heute das Netz der sozialen Sicherungen nennen. Und wir verbitten es uns, daß Sie uns dauernd unterstellen, wir wollten den sozialen Besitzstand angreifen.
Ich darf noch einen anderen Punkt, der mir sehr wesentlich erscheint, ansprechen. Das ist die im Gesetz beabsichtigte Kürzung der Antragsfristen für Aufbaudarlehen im Lastenausgleichsgesetz und in anderen gleichgelagerten Gesetzen. Hier soll die Frist von bisher fünf Jahren auf zwei Jahre verkürzt werden. Die CDU/CSU hat gegen diesen Vorschlag erhebliche Bedenken, gerade auch im Hinblick auf die noch zu erwartenden Aussiedler aus den osteuropäischen Staaten und aus dem anderen Teil Deutschlands. Wir sind der Auffassung, daß man hier eine gewisse Frist der Eingewöhnung und der Orientierung belassen muß und daß zwei Jahre zu kurz sind für diese Menschen, um sich entscheiden zu können, ob sie ein Existenzgründungsdarlehen in Anspruch nehmen oder andere hier vorgesehene Maßnahmen sofort ergreifen wollen. Auch dazu ist von seiten der CDU/CSU-Länder im Bundesrat bereits ein Vorschlag unterbreitet worden, über den wir uns, glaube ich und hoffe ich, sehr konkret unterhalten werden.Ein zentraler Punkt im Bereich der sozialen Sicherung ist das Problem der Anhebung oder Nichtanhebung der Beitragsleistung für die Arbeitslosenversicherung. Ich muß dem Herrn Minister Apel grundsätzlich widersprechen, wenn er dieses Problem einfach damit auf die Seite schieben will, daß er sagt, das seien doch keine Steuerleistungen, das seien Beitragsleistungen, das habe also mit dem Bereich „Ablehnung von Steuererhöhungen" nichts zu tun. Herr Minister Apel, wir von der CDU/CSU sehen dieses Problem sehr viel grundsätzlicher. Wir gehen von der Frage aus: Welche Belastungen kommen auf den einzelnen Staatsbürger zu? Wenn ich die Frage stelle, welche Belastungen ihm zugemutet werden, muß ich eben alle Belastungen gemeinsam sehen. Denn letztlich ist es für den Arbeitnehmer nicht so sehr entscheidend, wofür er im einzelnen Abzüge bekommt; er sieht darauf, wie hoch die Gesamtsumme seiner Abzüge ist. Deshalb ist das eine so bedenkliche Maßnahme.Aber hier zeigen sich eben jetzt grundsätzliche Auffassungsunterschiede. Wir von der CDU/CSU sind der Auffassung, daß eine Staatsanteilsquote am Bruttosozialprodukt von 47 %, — eine Steigerung in wenigen Jahren, von 1969 bis 1974, von 37 % auf 47 % — ein öffentlicher Skandal ist, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wir registrieren, daß die Sozialisten in ihren mittelfristigen Programmen genau die gegenteilige Auffassung vertreten, daß sie nämlich einen höheren Anteil haben wollen. Ich stelle mir oft die Frage, ob hier von den Sozialisten nicht die Schlachten des19. Jahrhunderts noch einmal geschlagen werden, indem man nämlich die Funktionen des Staates in der sozialen Leistungsgesellschaft versucht hat besser herauszuarbeiten. Wir sehen aber am Ende des20. Jahrhunderts das Verhältnis von Staat und Bürger ganz anders, nämlich nicht in der Weise, daß der Staat mehr Leistungen, mehr vom Sozialprodukt in Anspruch nehmen soll, den Bürger stärker verwalten soll; wir sind der Auffassung, daß der Bürger, wo es eben möglich ist, von unangemessener Inanspruchnahme durch den Staat befreit werden muß.
Wir sehen die Gefahr, daß eine totale Verbürokratisierung, daß eine Umverteilung am Schluß nicht zum Nutzen unserer Bürger ist, sondern diese sich am Schluß schlechter stehen als dann, wenn der Staat dem Bürger die Eigenvorsorge ermöglichte und erst dann eingriffe, wenn die Eigenvorsorge nicht mehr möglich ist. Die Subsidiarität des staatlichen Eingriffs also ist für uns eine zentrale Frage dieser Auseinandersetzung.Das ist der Grund, warum wir uns so leidenschaftlich gegen eine unbesehene Erhöhung der Gesamtlast zugunsten der öffentlichen Hand gegen den einzelnen wenden. Das ist auch der Grund dafür, daß wir durch Versagung einer sofortigen Zustimmung
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975 13343
Dr. Althammerzu einer solchen neuen Maßnahme den Staat zwingen wollen, sich etwas Besseres einfallen zu lassen, als bloß die Arbeitslosigkeit zu verwalten und zu finanzieren. Wir sind der Auffassung, daß es dringend notwendig ist, Maßnahme zum Abbau der Arbeitslosigkeit, zur Wiedereingliederung der arbeitslosen Bürger zu treffen.Und wenn wir diese Frage stellen, dann muß ich jetzt wirklich fragen: Wie lange soll das Hickhack in der Koalition über die Frage, ob jetzt steuerliche Entlastungsmaßnahmen für die Wirtschaft eingeführt werden sollen oder nicht, eigentlich noch dauern? Wir lesen jede Woche etwas anderes über dieses Thema. Einmal wird gesagt, das sei ausgestanden, das komme nicht in Frage. Dann heißt es wieder, das Bundeswirtschaftsministerium arbeite intensiv an Vorschlägen. Schließlich hört man, der Herr Wirtschaftsminister und der Herr Finanzminister hätten sich zu einem Gespräch getroffen. Nach dem letzten Stand hören wir jetzt, der Herr Bundeskanzler wolle demnächst diese Frage entscheiden.
Ich möchte Sie sehr herzlich bitten, nachdem die CDU/CSU seit vielen Wochen sehr konkrete Vorschläge zu diesem Thema gemacht hat: Kommen Sie endlich mit solchen Maßnahmen heraus! Denn wir brauchen sie dringend,
damit die Wirtschaft wieder investitionsfähig wird und damit, Herr Kollege Wehner, endlich einmal der Unfug mit der Investitionslenkung aufhört.
Ich habe heute im „General-Anzeiger" gelesen, daß man sich jetzt über die Vorlage für Ihren Mannheimer Parteitag einig geworden sei; man wolle lediglich eine Registrierungssstelle einrichten. Ich sehe mit Schrecken schon vor mir, daß hier eine neue Behörde mit Beamten entsteht, die alle Investitionen registrieren, die geplant sind. Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, daß dann gesagt wird: Warum sollen sie nur registrieren? Sie müssen noch ein bißchen mehr tun als nur registrieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist dringend notwendig, daß die Regierung im Bereich des Abbaus der Arbeitslosigkeit endlich einmal antritt oder der Öffentlichkeit mindestens sagt, ob sie ein solches Entlastungsprogramm einführen will oder nicht.Der dritte Komplex neben dem öffentlichen Dienst und den sozialen Fragen ist für uns die Situation der deutschen Landwirtschaft. Wir sind auch hier der Auffassung, daß das, was die Regierung in diesem Gesetzentwurf vorgelegt hat, sozial unausgewogen und so, wie es vorgelegt worden ist, unhaltbar ist.
In den Jahren von 1969 bis 1970 ist das Agrarpreisniveau in der Bundesrepublik durch die Aufwertung um 8,5 % gesenkt worden. Der Ausgleich wurde damals in der 3 %igen Erhöhung der Umsatzsteuer in Form dieses Aufwertungsausgleichs gefunden. Die Bundesregierung, insbesondere Landwirtschaftsminister Ertl, hat damals erklärt, daß der Landwirtschaft aus der Aufwertung kein Nachteil entstehen sollte. Jetzt plötzlich setzen sich diese Bundesregierung und, Herr Ertl, auch Sie über diese verbindliche Zusage hinweg.
Die Bundesregierung schlägt vor, daß dieser Abbau, wenn man die Länderanteile mit einrechnet, in folgender Weise durchgeführt werden soll: 1976 soll die Landwirtschaft 307 Millionen DM weniger erhalten, 1977 667 Millionen DM, 1978 über 1 Milliarde DM, 1979 1,5 Milliarden DM. Das macht insgesamt in vier Jahren eine Minderung des Einkommens der deutschen Landwirtschaft von 3,5 Milliarden DM aus.
Wir sind der Auffassung, daß dieser Vorschlag völlig unberücksichtigt läßt, daß die deutsche Landwirtschaft die 1969/70 eingetretenen Verluste aus der Agrarpreissenkung bis heute nicht beseitigen konnte und daß — Herr Minister Ertl, hören Sie zu! — im Agrarbericht 1975 noch einmal festgehalten worden ist, daß der Aufwertungsausgleich nach Auffassung der Bundesregierung weitergeführt werden müsse, weil die Landwirtschaft eine schlechte Einkommensentwicklung habe und weil das ungünstige Verhältnis zwischen landwirtschaftlichen Erzeugerpreisen und Betriebsmittelpreisen weiterbestehe.
Also noch im letzten Agrarbericht ist diese ganze Problematik ausdrücklich angesprochen worden. Wenige Monate später will man das nun vom Tisch fegen.
Der Vorschlag der Bundesregierung führt erstens zu einer direkten Einkommenssenkung in der deutschen Landwirtschaft. Zweitens ist er unausgewogen im Verhältnis zu dem gesamten Sparvolumen dieses Gesetzes. Zum ersten Punkt: In der Endphase soll die Landwirtschaft pro Jahr über 1,5 Milliarden DM weniger erhalten. Das bedeutet konkret eine Einkommenssenkung zwischen 8 und 12 %.
Ich will Ihnen das einmal an Hand eines Beispiels illustrieren: Dies bedeutet im Falle eines 25-HektarBetriebes, der einen Umsatz von etwa 100 000 DM hat, daß pro Jahr 3 000 DM an Einkommen verlorengehen. Ich glaube, wenn Sie diese Zahlen auf sich wirken lassen, müssen Sie feststellen, daß keiner anderen Bevölkerungsgruppe solche Opfer zugemutet werden. Ganz nebenbei wird damit auch die Investitionsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft,
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13344 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975
Dr. Althammerauf die der Herr Bundeskanzler insgesamt ja immer so großen Wert legt, entscheidend beeinträchtigt.
Der Vorschlag ist deshalb unausgewogen, weil er die Landwirtschaft 1976 mit 5 %, 1979 aber bereits mit 20 % an diesem Sparopfer beteiligen würde.
Ich erinnere noch einmal daran, daß in jenem berühmten Papier aus der SPD-Baracke auch die Landwirtschaft als einer der Teile genannt wurde, die hier besonders heranzuziehen wären.Wir von der CDU/CSU werden zu diesem Komplex einen sehr konkreten Alternativvorschlag auf der Basis dessen machen, was die Länder Bayern und Schleswig-Holstein bereits vorgeschlagen haben. Wir werden dann sehen, inwieweit der Herr Landwirtschaftsminister und seine Freunde bereit sind, eine Korrektur mitzumachen.
Ich möchte auch keinen Zweifel daran lassen, daß das Ergebnis dieser Beratungen für uns ein wesentliches Kriterium dafür sein wird, wie wir die gesamte Gesetzesvorlage in der abschließenden dritten Lesung beurteilen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mein Kollege Windelen hat in seiner Eingangsrede bereits mit Recht darauf hingewiesen, daß dieses Gesetz leider nur ein erster Schritt auf dem bitteren Weg zu weiteren Konsolidierungsmaßnahmen der öffentlichen Finanzen sein wird. Diese Misere hat ihre Wurzel in zwei wesentlichen Punkten; einmal darin, daß die Leistungsfähigkeit unserer deutschen Wirtschaft entscheidend zurückgegangen ist — mit den Folgen für die Steuereinnahmen, die auch der Herr Finanzminister hier schon aufgezeigt hat. Der zweite Grund der Misere ist, daß sich die Ausgaben in den letzten Jahren von den Einnahmen strukturell so weit wegentwickelt haben, daß sie — auch nicht durch die jetzt in Aussicht genommenen Maßnahmen — einfach nicht mehr zusammenzubringen sind.Herr Minister, damit komme ich zu Ihren skeptischen Anmerkungen eingangs Ihrer Rede. Sie haben gesagt, es gebe ja nur einen geringen Bewegungsspielraum im Haushalt, weil überhaupt nur ein ganz kleiner Teil disponibel sei. Das ist richtig. Das zeigt doch aber, Herr Minister, daß eine wirkliche Wiederherstellung der Solidität unserer Finanzen nur unter ganz anderen Dimensionen möglich ist. Dies ist doch der Punkt, über den wir uns dauernd unterhalten. Wir müssen die Aufgabenstellung des Staates kritisch und konstruktiv in Frage stellen. Wir müssen uns fragen, ob all die Dinge, die man sich jetzt von seiten des Staates zu tun angewöhnt hat, wirklich notwendig sind. Ich möchte dies jetzt gleich klarstellen, damit es nicht wieder zu jener Diffamierung hinsichtlich der sozialen Leistungen kommt. Ich möchte darauf hinweisen, daß in einer kürzlich veröffentlichten Studie festgestellt worden ist, welche Erfolge z. B. diePrivatisierung gewisser Unternehmen — besonders im kommunalen Bereich, zugegebenermaßen — gebracht hat. Der Bund der Steuerzahler kommt in seiner ersten Berechnung zu dem groben Ergebnis, daß, wenn solche Tendenzen konsequent weiterverfolgt würden, in diesem Bereich allein 17 Milliarden DM eingespart werden könnten und daß die privaten Unternehmer, die solche Aufgaben übernähmen — Betrieb von Schlachthöfen, Müllabfuhren usw. —, sogar noch Steuerleistungen erbrächten.So ist meines Erachtens auch der Sektor des öffentlichen Dienstes zu sehen. Wir müssen eine Verwaltungsreform in Grundzügen anpacken. Der Kollege von Bülow hat vorhin aus seinem Heimatland das Beispiel von der Abzeichnung einer Anfrage, wo man Gärtnerei lernen könne, gebracht. Herr Kollege von Bülow, Sie brauchen da nicht nach Baden-Württemberg zu gehen. Wissen Sie, was mir jüngst passiert ist?
— Nein, hier in Bonn! In meinem Wahlkreis hat eine Pfarrei den Antrag gestellt, ein Pfarr-Zentrum zu bauen. Mein SPD-Kollege aus Augsburg hat daraufhin sofort in die Presse gesetzt, es sei gelungen, einen Bundeszuschuß dafür zu erreichen. Großartig! Dann kam der Pfarrer zu mir und sagte: Herr Abgeordneter, Sie müssen mir helfen, da ist jetzt in Bonn entdeckt worden, daß zur Rubrik 5 irgendeine Bescheinigung zwei Tage zu spät eingegangen ist. — Es stellte sich heraus, daß die Bearbeitung dieses geringen Zuschusses folgendermaßen vor sich geht: Einreichung beim Landratsamt, Prüfung durch die Regierung, Weiterleitung an die Landesregierung — Wirtschaftsministerium —, Endentscheidung beim Bundesbauministerium. Sie müssen sich einmal vorstellen, wieviel Ministerialbeamte ein so dickes Paket an Anträgen durchprüfen. Das ist doch ein kompletter Unsinn, meine sehr verehrten Damen und Herren!
— Da gebe ich Ihnen in gewisser Weise recht. Ich habe in meiner letzten Rede schon gesagt: Leider ist das Problem der Verwaltungsreform, das 1966 angepackt wurde, liegengeblieben.
Ich habe eingangs gesagt: Es fällt uns schwer, jetzt zu sagen, daß wir bereit sind, diese Vorschläge kritisch zu prüfen, eben weil leider am Anfang dieser Auseinandersetzung schon wieder Polemik seitens der Regierung getrieben wurde. Wir sind dazu bereit, wir werden aber sicher Unsoziales, Unzumutbares, Unmögliches ablehnen. Wir werden im konkreten Einzelfall unsere Alternativvorschläge machen und sehr genau darauf achten, wie Sie in den Ausschüssen diese Vorschläge behandeln.Wir gehen davon aus, daß wir notfalls bis in den Vermittlungsausschuß gehen müssen, um unsere Intentionen durchsetzen zu können.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975 13345
Dr. AlthammerAber wir halten daran fest, daß für uns die Bereiche Sozialpolitik, öffentlicher Dienst und Landwirtschaft von entscheidender Bedeutung dafür sind, ob wir am Schluß unsere Zustimmung geben können. Der Herr Kollege Wehner hat — ich sage das, weil er jetzt auch wieder davon angefangen hat, wie das früher gewesen sei, als die SPD noch Opposition war —1966, als man damals die SPD fragte, ob sie beim damaligen Haushaltssicherungsgesetz nicht konstruktiv mitwirkte — dieses Haushaltssicherungsgesetz war damals so klein im Verhältnis zu dem, was wir jetzt haben —, gesagt: Wir sind anständige Leute, wir waschen doch nicht-die schmutzige Wäsche anderer! -- Meine sehr verehrten Damen und Herren, die CDU/CSU verhält sich da etwas anders. Wenn wir sehen, daß ein anderer so einen Haufen schmutziger Wäsche hat und damit nicht fertig wird, dann sind wir hilfsbereit und helfen bei der Wäsche. Ich möchte aber betonen: Es ist und bleibt Ihr e schmutzige Wäsche.
Meine Damen und Herren, zuerst möchte ich Herrn Bundesminister Ertl darauf aufmerksam machen, daß von der Regierungsbank keine Zwischenrufe gemacht werden dürfen.
Sodann möchte ich dem Haus bekanntgeben, daß die Fragestunde unmittelbar im Anschluß an diese Debatte, also ohne Unterbrechung, stattfindet. Ich sage es deshalb, weil vorerst nur noch ein Redner gemeldet ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Kirst.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Althammer, im Anschluß an Ihre Schlußbemerkung meine ich: Es' geht hier nicht um Wäsche irgendwelcher Qualifikation, sondern es geht um saubere Finanzen.Im übrigen haben Sie hier Ihre Unterlagen liegenlassen; ich brauche die nicht.
Die heutige Debatte kann sicher nicht daran vorübergehen, daß sozusagen die Generaldebatte zu diesem Haushaltsstrukturverbesserungsgesetz weitgehend in den zweitägigen Auseinandersetzungen am 17. und 18. September vorweggenommen wurde. Deshalb ist es sicher auch erklärlich, daß wir, wie es aussieht, in relativ kurzer Zeit mit dieser ersten Lesung hier fertig werden können.Diese erste Lesung hat die dritte Etappe eines umfassenden Programms zum Gegenstand, welches die Regierung am Ende der Sommerpause beschlossen hat. Ich darf daran erinnern: Wir haben mit dem Programm für Bau- und andere Investitionen begonnen — das ist verabschiedet, das läuft —; wir haben den Nachtragshaushalt hier als Bundestag verabschiedet. Wir hoffen, daß er demnächst auch im Bundesrat Billigung finden wird. Die dritte Etappe ist jetzt dieses Haushaltsstrukturgesetz. Als vierte Etappe werden wir in vierzehn Tagen, drei Wochen die Haushaltsberatungen haben und zur gleichen Zeit wahrscheinlich dann noch die Beratung der Gesetze über die angekündigten Steuererhöhungen für 1977 und die folgenden Jahre.Sehen wir uns einmal die Bilanz der vier Wochen zwischen der Debatte am 17. und 18. September und heute an! In diesen vier Wochen ist eine breite öffentliche Diskussion über die Vorstellungen geführt worden, die damals erstmalig von der Regierung dem Parlament hier vorgetragen wurden. Wir haben dabei — ich glaube, das darf man wohl sagen — viel Zustimmung im Grundsätzlichen gefunden, manche Kritik — das sei nicht verschwiegen und auch nicht ignoriert —, teils sachlich, teils weniger sachlich bis hin zur totalen Unsachlichkeit im einzelnen. Dabei kann man fast sagen: Diese Abstufung deckt sich mit der jeweiligen Interessenbezogenheit der Kritik an diesen Vorschlägen.Wir haben bis heute mittag 11.45 Uhr von der verehrten Opposition, Kritik, Kritik, Kritik, Vorbehalte, Vorbehalte, Negation, Negation, aber nicht eine einzige brauchbare Alternative erhalten.
Das müssen wir Ihnen immer wieder sagen. Die „Welt" hat in einem Artikel, der sonst nicht hundertprozentig korrekt ist, zum Schluß ja auch angekündigt — und insofern war sie richtig informiert —, daß die Opposition auch in dieser Sitzung nicht bereit sein werde, konkrete Alternativen vorzulegen.Lassen Sie mich gleich noch ein Wort zu diesem „phantastischen" Vorschlag für Einsparungen im öffentlichen Dienst sagen. Darauf ist eigentlich schon ausgiebig vom Kollegen Bülow und auch vom Finanzminister Bezug genommen worden. Man macht es sich da sehr leicht, indem man den Gesamtbereich von Bund, Ländern und Gemeinden anspricht. Wir haben darauf hingewiesen, daß das, was Sie wollen, für den Bund bei Bahn und Post eigentlich schon erreicht würde. Aber hier geht es ja zunächst einmal um die Entscheidungen für den Bundeshaushalt.Zur Kritik der Verbände und anderer möchte ich sehr deutlich sagen: Vorschläge und Alternativen zu Lasten Dritter sind nicht hilfreich. Wir haben es in den letzten Wochen immer wieder erlebt, daß man gesagt hat: Natürlich, ihr müßt sparen, das ist völlig richtig; aber dort, wo wir betroffen sind, ist das entweder grundsätzlich oder im Detail falsch; woanders könnt ihr sparen. — Solche Vorschläge zu Lasten Dritter sind nicht hilfreich. Und ich sage sehr deutlich gleich zu Beginn: Dies gilt auch für Belastungsverschiebungen von Gruppe zu Gruppe innerhalb eines Gesamtbereichs.Ich komme später noch im einzelnen auf manches zurück, was der Kollege Althammer gesagt hat, aber lassen Sie mich dies eine hier vorziehen: Die absolute Gleichbehandlung der Bereiche Tarif und Besoldung ist nicht nur ein frommer Wunsch der FDP, sie ist Gegenstand der Regierungsvorlage und wird es bleiben. Denn wozu hätte die Regierung das beschlossen, wenn sie nicht bereit wäre, es
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Kirstdurchzuhalten. Es gibt da technische Probleme — das sei gar nicht verschwiegen —, aber mit denen werden wir in geeigneter Form fertig werden. Da sind wir erfindungsreich genug. Ich will das hier nicht weiter vertiefen.Was Sie im übrigen mit diesen 0,5 % aufgebracht haben, ist doch eine etwas schiefe Argumentation, weil natürlich niemand in Zeiten, in denen der Arbeitslosenversicherungsbeitrag gekürzt war, zu umgekehrten Schlußfolgerungen gekommen ist. Wir wollen ja diese Maßnahme im öffentlichen Dienst nicht auf Zeit treffen — das ist übereinstimmende Meinung der Regierung; die Regierung hat diese Entscheidung ja in Abstimmung mit den Koalitionsfraktionen getroffen —, während die Erhöhung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung, auf die ich im übrigen dann noch einmal zurückkomme, zeitlich befristet sein soll.Meine Damen und Herren, wir müssen uns zunächst einmal darüber im klaren sein: Es gibt keine realen Alternativen zu diesem Programm.
Welches wären denn die Alternativen? Noch mehr Kredite? Wollen Sie das? Können wir das? Nein! Zweitens: Steuererhöhungen früher und stärker. Wer dieses Programm einschließlich der nicht gesetzlichen Maßnahmen nicht will, muß die Mehrwertsteuer nicht erst 1977 erhöhen, sondern muß sie schon 1976 um 2 % und 1977 um 5 % erhöhen. Das sind doch die harten Tatsachen, die jeder bestätigen wird, der rechnen kann.Aber Sie reden immer nur so. Ich muß das einmal sagen. Wenn ich an die Reden denke, die Sie hier und draußen halten, und an die Erklärungen, die Sie zu diesem Punkt abgeben, dann muß ich sagen: Sie benehmen sich wie Leute, die nach dem heutigen technischen Stand zwar auf dem Mond leben wollen, aber ohne einen Weltraumanzug anzulegen. Das kann nicht gut gehen.
Als dritte Alternative bliebe das Sparen an anderer Stelle. Da warten wir natürlich gespannt. Wir werden länger als auf Godot auf Ihre Vorschläge warten; sie werden nämlich überhaupt nicht kommen.Meine Damen und Herren, was das Sparen an anderer Stelle anlangt, so will ich hier auch aus Zeitgründen nicht das wiederholen, was ich — nicht zum erstenmal — im September über die Haushaltsstruktur dargelegt habe, was aber doch nur den Schluß zuläßt: Wer mit diesen Milliardenbeträgen an anderer Stelle sparen will, muß in die Substanz der sozialen Sicherung und in die Substanz unserer Verteidigungsfähigkeit eingreifen. Anders geht es nicht. Sie kennen den Haushalt gut genug, um das selber zu wissen.Dies schließt aber nicht aus — damit es keine Mißverständnisse gibt —, daß wir uns, Herr Leicht, zusätzlich natürlich bemühen, weitere Einsparungen zu erbringen. Wir sind aber realistisch genug, zu sehen, daß dies nur noch sehr viele kleine Schritte sein können und nicht mehr die großen Schritte, die wir jetzt vor uns haben.Es war schwierig, dieses Programm aufzustellen; es war verdammt schwierig. Das wissen alle Beteiligten und die Beobachter. Wir wissen auch, daß die Kritik leicht ist.Die FDP steht deshalb zu diesem Programm insgesamt und in seinen Teilen, so wie es ist. Damit kein Mißverstandnis ensteht: Wir tun dies nicht aus irgendeinem falschen Hurra-Patriotismus. Wir tun es aus Einsicht in die Notwendigkeit und nicht aus Lust oder Spaß an der Sache. Vorhin wurde hier von irgendeinem — ich glaube, es war Herr Althammer — der Verdacht erregt, wir fanden das alles so furchtbar lustig. Das tun wir bestimmt nicht. Wir würden uns auch lieber mit angenehmeren politischen Dingen beschäftigen.Wir leugnen auch nicht, daß dieses Programm hart trifft. Aber der Ausweg wäre ja zu bequem — deshalb ist er auch verschlossen —, etwa bei den investiven Ausgaben kürzen zu wollen. Das habe ich vorhin noch nicht erwähnt, füge es jetzt aber der Vollständigkeit halber hinzu. Natürlich können Sie theoretisch 4 Milliarden DM weniger für den Straßen- und Autobahnbau ausgeben. Aber können Sie das konjunkturpolitisch verantworten?Die Schwierigkeiten — meine Damen und Herren, das an Ihre Adresse, ich sage es aber auch an die Adresse des ganzen Hauses; das kann nicht oft genug gesagt werden —, die auftreten, wenn man einmal gesetzlich festgelegte Ausgaben ändern will, müssen allerdings ein zusätzliches Argument sein, bei neuen Ausgaben noch vorsichtiger, noch mißtrauischer als bisher zu sein.
Gerade wir, meine Freunde, meine Kollegen im Haushaltsausschuß, sollten uns überlegen, ob es nicht gelegentlich angebracht ist, auch einmal Gutachten darüber anzufordern, ob angebliche Kostenschätzungen stimmen.
Wir haben im vergangenen Jahr gemeinsam das Gesetz über die Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung beschlossen. Es sollte 50 bis 100 Millionen DM kosten. Wir haben mit Mühe und Not dafür sorgen müssen, Erweiterungen abzuwehren, die Ihre Kollegen von der Opposition im Ausschuß schon beschlossen hatten. Während man erst sagte, daß das 50 bis 100 Millionen DM kosten werde, besteht heute die Gefahr, daß es Milliardensteuerausfälle bringt. Diese Erfahrungen müssen wir in Zukunft beherzigen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich, bevor ich in ein paar konkreten Punkten auf die Herren Windelen und Althammer eingehe, noch etwas Grundsätzliches sagen.
Auch ich sehe es so, daß wir mit der Verabschiedung dieses Gesetzes nicht die dahinterstehende Problematik vergessen können. Sie wird uns noch
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975 13347
Kirstfür einige Jahre begleiten. Dieses Programm verlangt von allen in diesem Lande den Beweis für ihr Staatsbewußtsein und ihr Staatsverständnis oder die Offenbarung, wie ihr Staatsbewußtsein und ihr Staatsverständnis aussehen.25 Jahre — und die Geschichte dieser Bundesrepublik fängt nicht erst 1969 an — haben zu einem perfekten Sozialstaat für alle geführt. Es sei unbestritten, daß daran alle beteiligt waren. Man darf nur nicht immer die Beteiligung reklamieren, wenn es darum geht, dies als Leistung zu feiern, und die Beteiligung abstreiten, wenn man sich mit den Konsequenzen auseinanderzusetzen hat.Das hat den Willen — und das müssen wir sehen — zu Eigenverantwortung und Eigenleistung und den Stolz auf das Bestehen aus eigener Kraft in unserem Lande verkummern lassen. Das müssen wir alle gemeinsam auch sehr deutlich sehen.Es ist geradezu zum Gesellschaftsspiel geworden, immer neue Spielarten der Befriedigung von Bedürfnissen auf Kosten der Gemeinschaft, d. h. letzten Endes auf Kosten der anderen, zu erfinden. Jedes Eigeninteresse wird dabei gekonnt zum Allgemeinwohl hochstilisiert und mit ihm identifiziert. Das sehen wir eben auch bei den Reaktionen auf bestimmte Sparvorschläge. Ich sage sehr deutlich — damit es da keine Mißverständnisse gibt —: das ist keine gruppen- oder schichtenspezifische Erscheinung, sondern hier gibt es einen unedlen Wettstreit aller Gruppen und aller Schichten in diesem Lande miteinander und gegeneinander.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun noch ein paar Bemerkungen zu dem machen, was die Kollegen der Opposition, wenn schon nicht an Alternativen und überzeugenden Argumenten, aber eben doch so geboten haben.Kollege Windelen, bei uns entstand der Eindruck, die Opposition habe ihre Inflation an wirtschaftspolitischen Sprechern fortgesetzt. Mit dem Zählen kommen wir nicht so ganz mit. Das Ahlener Programm haben Sie allerdings trotz Ihrer räumlichen Nähe zu dieser Stadt vergessen. Aber das ist Ihr Problem.
Ihre Rede wirkte zeitweilig wie eine einstudierte Musterrede für den Spitzenkandidaten in ihrem Landesverband, heiße er nun Barzel oder Biedenkopf.
Sie haben von den staatlichen Preisen gesprochen.
Ich hoffe, das nicht so mißverstehen zu müssen, daß Sie plötzlich zum Anhänger des Nulltarifs geworden sind.
Auch staatliche Unternehmen müssen ihre Kostendecken. Wenn sie das eine Zeitlang nicht tun, — —
— Verehrter Herr Kollege Reddemann, die wissen das. Denen brauche ich das nicht zu sagen.Hamburg hat — das will ich hier auch einmal sagen — länger als jede andere deutsche Kommune eine vorbildliche Tarifpolitik betrieben. Das ist heute auch nicht mehr ganz so wie früher. Aber länger als jede andere Großstadt haben wir da eine vernünftige Politik betrieben, alle drei Fraktionen gemeinsam. Ich will hier jedoch nicht abschweifen. Ich habe nur Stellung genommen, weil Sie diesen Einwurf machten.Ich hoffe, daß Sie, Herr Kollege Windelen, nicht zum heimlichen Anhänger des Nulltarifs geworden sind; denn, wer den öffentlichen Unternehmen die notwendigen Preiskorrekturen verweigert, muß sich diesen Vorwurf gefallen lassen. Ein Verzicht auf diese Anpassung führt nämlich in Raten zum Nulltarif.Im übrigen, Herr Kollege Windelen, möchte ich Ihnen als Nachhilfe sagen: Sie haben hier von der selbstverschuldeten Situation gesprochen. Ich darf Ihnen noch einmal die Stichworte nennen: Da ist die Steuerreform, die von Ihnen mitbeschlossen und noch im Bundesrat verteuert wurde. Das hat zu 15 Milliarden DM Einnahmeausfall geführt.Als zweites nenne ich den mit der konjunkturellen Entwicklung verbundenen Steuerausfall in Höhe von 17 Milliarden DM und die gleichzeitig notwendigen Mehrleistungen an die Bundesanstalt für Arbeit. Ich verweise im übrigen auf das, was ich zu dieser Problematik hier wiederholt gesagt habe. Sie wollen es entweder nicht begreifen oder Sie dürfen es nicht begreifen; aber dieser Vorwurf der selbstverschuldeten Situation ist eben unbegründet und unberechtigt.Sie haben von gescheiterter Reformpolitik gesprochen. Nun, wir werden ja in den kommenden Monaten genug Gelegenheit haben, die Reformbilanz dieser Regierung vorzuweisen, die sich sehen lassen kann, genauso wie die von 1969 bis 1972.
Und soweit diese Reformen mit Geld verbunden waren, waren Sie diejenigen, die immer noch mehr gewollt haben.
Sie haben von Wildwuchs gesprochen.
— Heute haben Sie von Wildwuchs gesprochen. — Sie haben dabei außer acht gelassen, daß dieses Programm sicher auch Wildwuchs beseitigt, aber eben nicht nur. Etwas anderes haben wir nie gesagt. Es ging immer nur darum, zu zeigen, daß man an verabschiedeten Gesetzen Änderungen vornehmen kann, ohne ihre Substanz zu beeinträchtigen.
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13348 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975
KirstUm noch einen letzten Punkt von Ihnen, Herr Windelen, aufzunehmen. Sie haben gesagt, wir hätten ja lieber rechtzeitig Ausgaben senken sollen statt immer Steuern zu erhöhen. Ich frage Sie: Wann haben wir eigentlich Steuern erhöht? Wir haben die Steuern massiv gesenkt 1975. Einmal in den sechs Jahren — ein einziges Mal — haben wir die Steuern erhöht. Das betraf die Mineralölsteuer und die Tabaksteuer. Dabei dürfen Sie aber nicht vergessen, wofür. Ausschließlich, um den Ländern mehr Anteile an der Mehrwertsteuer geben zu können.
Davon ist dem Bund leider nicht ein Pfennig geblieben. Steuererhöhungen müssen wir tatsächlich erstmals jetzt für das Jahr 1977 zugunsten des Bundes ins Auge fassen.Nun haben Sie, Kollege Althammer, uns vor Demagogie gewarnt. Erstens ist diese Warnung natürlich unbegründet, und zweitens stimme ich Ihnen darin zu; denn in Demagogie können wir Sie als Opposition nun einmal nicht übertreffen. Das versuchen wir auch gar nicht erst.
Sie haben über den Namen des Gesetzes gesprochen. Ich kann nur sagen: Wenn es keine Strukturverbesserung ist, wenn ich Ausgaben senke, Einnahmen erhöhe, den Kreditbedarf damit per Saldo senke, dann weiß ich nicht, was Strukturverbesserung sein soll.Krankenhausfinanzierung: Hier haben Sie die Sache falsch verstanden. Hier geht es nicht darum, daß der Bund zu Lasten Dritter, zu Lasten der Länder out Gemeinden Geschäfte macht, sondern es geht darum, daß wir uns gemeinsam bemühen wollen, daß nicht 'irgendwo im weiten Land überflüssige Bettenkapazitäten geschaffen werden. Das müßte doch eigentlich nach dem, was Sie immer sagen, auch Ihr Anliegen sein.
Herr Althammer, ich habe mich überzeugt: Die Geschäftsordnung gibt Ihnen das Recht, Hearings zu verlangen. Ich erwarte idann allerdings auch die Bereitschaft der Opposition, im Haushaltsausschuß notfalls Sonderschichten zu fahren; denn den Terminplan müssen wir einhalten. Davon müssen Sie ausgehen.
Den Terminplan müssen war einhalten, weil dieses Gesetz um 1. Januar in Kraft treten muß. Wenn es zu diesem Zeitpunkt nicht in Kraft treten kann, tragen Sie dafür allein die Verantwortung.
Herr Abgeordneter Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Althammer?
Bitte schön.
Herr Kollege Kirst, ich frage Sie jetzt als Kollege, als Parlamentarier: Halten Sie es für in Ordnung, daß die Regierung seit Mai dieses Jahres die Möglichkeit hat, ein Gesetz auszuarbeiten, und daß man vom Parlament verlangt, solche wichtigen Dinge dann in zwei Wochen durchzupeitschen.
Von Durchpeitschen kann keine Rede sein.
Wir sind bereit, gründlich zu beraten. Aber den Versuch, mit Hearings Verzögerungstaktik zu betreiben, muß ich mit der Aufforderung beantworten, dann auch sozusagen Überstunden zu leisten, damit die Zeitplanung eingehalten werden kann.
— Das ist nicht wahr, Herr Leicht. Wir können das nachprüfen; das ist einfach nicht wahr, Herr Leicht.
— Wenn die FDP zufällig einmal eine Fraktionssitzung oder sonst etwas hat, wird sie wohl erwarten dürfen, daß dieselbe Rücksicht genommen wird wie auf andere.
Ich habe schon vom Bereich des öffentlichen Dienstes gesprochen. Ich will das jetzt nicht wiederholen. Herr Althammer, .Sie hatten in diesem Zusammenhang auch noch einmal den wissenschaftlichen Beirat zitiert. Sie müssen dabei sehen, daß dies für Bund und Länder gemeinsam gilt.Das Stichwort Jugendarbeitslosigkeit habe ich mir noch aufgeschrieben. Auch da müssen Sie natürlich korrekt argumentieren. Sicher war es im Jahre 1969 für einen Jugendlichen, der die Schule verließ, leichter, einen Ausbildungsplatz zu finden, als 1975, — aber doch nicht, weil wir inzwischen diese Regierung haben! Dann müssen Sie einmal so fleißig sein und sich die Bevölkerungsstatistik ansehen. Die Wurzel liegt doch darin, daß wir, wenn wir einmal von 1969 15 oder 16 Jahre zurückrechnen, 1953/54 ganz andere Geburtenraten als sechs Jahre später, Ende der 50er Jahre, hatten und als wir sie noch bis Mitte der 60er Jahre gehabt haben. Man kann doch nicht immer nur die Symptome sehen, man muß auch die Ursachen genau analysieren. Sie machen sich das einfach: alles, was gut ist, wollte die Opposition, und alles, was schlecht ist, hat die Regierung verschuldet. Sie befassen sich nicht mit den Ursachen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975 13349
KirstDas gilt auch für die Problematik des Wiederaufbaus, Herr Althammer. 1974 sind so viele Reden über die 25 Jahre des Bestehens der Bundesrepublik gehalten worden. Wir sollten dabei nicht vergessen, wie sehr wir bei diesem Wiederaufbau auch von der Hilfe von draußen abhängig gewesen sind, während wir heute mit Schwierigkeiten von draußen fertig werden müssen.
Das ist der entscheidende Unterschied.
— Es ist immer leichter, von Null anzufangen, als Hundert zu bewahren. Das ist doch eine allgemeine Lebenserfahrung.
Herr Kollege Althammer hat dann vom Beitrag zur Arbeitslosenversicherung gesprochen. Hier muß man einmal die Frage stellen — wenn Sie so wollen, ist das eine Kritik an der Regierung, aber wir haben ja auch noch eine Bundesanstalt, die hätte kommen und sagen müssen, daß sie höhere Beiträge braucht —, ob nicht der ermäßigte Satz zu lange gegolten hat, ob man nicht früher zu den normalen 2 % hätte zurückkehren sollen. Dann hätte man größere Reserven gehabt. Dies hätte zumindest den Bund in die Lage versetzt, nur Darlehen zu geben und nicht, nachdem wir mit 2,5 Milliarden DM als Darlehen zur Kasse gebeten worden waren, jetzt ausschließlich Zuschüsse leisten zu müssen. Es kann kein Zweifel bestehen, daß es eigentlich auch den Vorstellungen der Opposition entsprechen müßte — sie kann das nicht zugeben, weil sie es nicht zugeben will —, daß es in diesem Falle richtiger ist, die nötige Finanzmasse sozusagen beim Verursacher zu holen, statt allgemeine Steuermittel einzusetzen, d. h. also das Versicherungsprinzip voll anzuwenden.Im übrigen ist in den letzten Jahren die Sozialquote sprunghaft gestiegen, nicht die Staatsquote. Die Staatsquote ist nur ein Teil der Sozialquote — das muß man sehr deutlich unterscheiden —, und diese Staatsquote ist nur sehr wenig gestiegen, sie ist fast gleichgeblieben. Was diese wohl alle bestürzenden Ausmaße verursacht hat, ist der Anstieg des Sozialteils, jenes Teils, der über Beiträge finanziert wird. Das mag zu dem, was ich eben sagte, in Widerspruch stehen, aber das eine ist nötig, das andere ist eine Feststellung. Wenn Sie sich aber, meine Damen und Herren von der Opposition, die Sozialgesetzgebung der letzten Jahre ansehen — und da liegt zum großen Teil die Wurzel dafür —, dann trifft ganz entschieden zu, was ich eben schon sagte, daß die Opposition nämlich immer mitgemacht hat und am liebsten noch mehr gemacht hätte. Das muß man doch einmal bei dieser Gelegenheit sehr deutlich sagen.Was soll im übrigen dieser Popanz mit der Registrierungsstelle für Investitionen? Das ist für uns natürlich kein Thema.
Jede Partei kann sich mit dem beschäftigen, was sie für gut hält; das nehmen wir für uns in Anspruch, und das müssen wir anderen auch zubilligen. Auch Ihnen billigen wir das zu — selbst daß Sie sich in Nostalgie wieder mit dem Ahlener Programm beschäftigen.
Nun noch ein sehr ernstes Wort zum Thema Aufwertungsausgleich. Auch hier trifft zu, daß die Opposition zunächst immer dagegen ist, daß sie aber dann, wenn die Regierung etwas ändern will, wogegen die Opposition ursprünglich war, es plötzlich für gut hält. Die Opposition hat sich — vielleicht haben Sie das vergessen, verehrter Kollege Althammer — Ende 1969 im Deutschen Bundestag gegen die Einführung des Aufwertungsausgleichs über die Mehrwertsteuer ausgesprochen, da dies ihrer Ansicht nach — so damals der Kollege Krammig — ein fragwürdiges Mittel darstelle und das Mehrwertsteuerrecht damit mißbraucht werde.Ich will nicht sagen, daß wir dies jetzt deshalb änderten; Sie wissen, aus welchen Gründen wir das ändern müssen. Man kann ja dabei dann auch daran erinnern, daß z. B. im Jahre 1967 durch das Finanzänderungsgesetz vom 23. Dezember der vor der Bundestagswahl 1965 versprochene Getreidepreisausgleich praktisch wieder zurückgenommen, d. h. auf die aus dem EAGFL bereitgestellten Mittel beschränkt wurde, obwohl damals das dicht geknüpfte Netz sozialer Sicherung für die Landwirtschaft nicht vorhanden war, das wir heute haben und für das allein im Jahre 1976, wie Sie alle wissen, 2,7 Milliarden DM bereitgestellt werden.Sie haben nur den Agrarbericht, der sich auf das Agrarwirtschaftsjahr 1973/74 bezieht, zitiert. Aber wenn Sie über Maßnahmen ab 1976 diskutieren, müssen Sie die Ergebnisse des Agrarwirtschaftsjahres 1974/75 berücksichtigen, bei denen eine nominelle Zuwachsrate von 8 % gegeben ist; und nach allem, was wir wissen, wird sich diese Entwicklung in den kommenden Monaten noch erheblich verstärken.Im übrigen sei bei dieser Gelegenheit daran erinnert, daß der Aufwertungsausgleich in diesen vergangenen Jahren mit immerhin 10,6 Milliarden DM zum Ausgleich beigetragen hat. Sie wollten das seinerzeit nicht.
— Ich habe den Kollegen Krammig zitiert. Das werden Sie ja wohl nicht abstreiten.
Herr Abgeordneter Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
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13350 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975
Herr Kollege Kirst, würden Sid dann freundlicherweisè áûch ergänzend hinzufügen, daß sich die CDU/CSU bereits ,damals, im Jahre 1969, für ein Grenzausgleichssystem ausgesprochen hat, das dann ja später auch eingeführt worden ist? Das war die Begründung für unsere damalige Stimmenthaltung!
Aber wenn ich mich recht entsinne, haben wir beides gemacht, das eine wie das andere.
— Wir haben damals jedenfalls beides gemacht; daran kann kein Zweifel bestehen.
— Nein, nein, das tun wir auch nicht.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie doch, dem Redner zuzuhören.
Meine Damen und Herren, wir haben heute keine eigenen Vorstellungen der Opposition vorgelegt bekommen. Ich will nicht so weit gehen, zu sagen, daß sie immerhin den Punkten zustimmt, die sie nicht ausdrücklich kritisiert hat oder bei denen sie nicht ausdrücklich Zweifel angemeldet hat. Aber da blieb auch nicht allzu viel von Bedeutung übrig; was der Kollege Althammer nicht angezweifelt hat, hatte vorher der Kollege Windelen angezweifelt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sollten diese erste Lesung nicht über Gebühr ausdehnen; ich habe das am Anfang begründet. Der Erfolg des Gesetzes — das möchte ich noch einmal sagen, auch im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit dem Kollegen Althammer eben — hängt auch- und ganz entscheidend von- seinem rechtzeitigen Inkrafttreten -ab, Es muß dies alles per 1. Januar 1976
Recht-werde,-und deshalb Müssen n wir auf einer zügigen Verabschiedung bestehen. Wir werden — Herr Kollege Leicht, darauf können Sie sich verlassen — einer solchen zügigen Verabschiedung nicht im Wege stehen, sondern im Gegenteil alles tun, damit wir das erreichen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Schluß dieser Aussprache noch ein kurzes Wort der Erwiderung auf einige Ausführungen, vor allem auf Ihre, Herr Althammer, sagen. Das dürfen Sie auch erwarten.Die vorgesehenen Sparmaßnahmen im öffentliehen Dienst beziffern sich — wie Sie ja' wissen' für den, Bundeshaushalt 1976. auf 1,140 Milliarden DM. Hiervon entfallen auf Maßnahmen des vorliegenden Strukturgesetzes etwa 500 Millionen DM. Die weiteren etwa 600 Millionen DM .sollen- durchEinsparungen im nichtgesetzlichen Bereich, durch maßvolle -Tarifabschlüsse im- Jahre -1976 und entsprechende Maßnahmen im Besoldungsbereich eingespart wenden. Dies sage ich einleitend, um Ihnen noch einmal vor Augen zu stellen, daß diese Sparmaßnahmen somit nur zu einem Teil durch Sie hier im Parlament auf gesetzgeberischem Wege durchgesetzt werden können. Sie erfordern zugleich ein entsprechendes Verhalten der Tarifpartner im öffentlichen Bereich, das verantwortliche Einsicht in die haushaltsmäßigen Notwendigkeiten verlangt. Ich zähle auf diese klare Einsicht unserer gewerkschaftlichen Tarifpartner in die -gewiß- bitteren Notwendigkeiten, vor denen wir hier stehen. Ich sage ebenso klar: Die Gewerkschaften haben Mut und Kraft, eine Tarifpolitik des vernünftigen Augenmaßes auch und gerade bei den letzten Tarifabschlüssen eindrucksvoll bewiesen: Niemand wird das bestreitenIch habe danach die feste Zuversicht, daß die Tarifautonomie die große Bewährungsprobe überzeugend bestehen wird, die ihr mit der solidarischen Durchführung der gleichgerichteten' Sparmaßnahmen auch im Bereich der Arbeitnehmer abgefordert wird.Ohne einen solchen Gleichklang — um auch das deutlich zu sagen — zwischen den Maßnahmen im gesetzlichen Bereich der Beamten und denen des tariflichen Bereiches der Angestellten und Arbeiter ist eine soziale Ausgewogenheit aller Sparmaßnahmen nicht zu gewährleisten.
Diese -Gleichbehandlung aller Bereiche-des öffentlichen Dienstes aber ist für mich die unabdingbare Voräussetzung,unter -der wir den einzelnen Bereichen überhaupt schmerzliche Belastungen und Opfer zumuten können, wenn dieselben Einsparungen auch alle vergleichbaren anderen treffen.
Das gilt — um nur zwei verschieden gelagerte Bei-spiele herausztigreifen — einnial für die Streichung der sogenannten Regelbeförderung im Bereich der Beamten und für die entsprechenden Auswirkungen auf den sogenannten Bewährungsaufstieg im Bereich der Arbeitnehmer. Das gilt ebenso aber auch für den Abbau der Doppelgewährung der familien- und kinderbezogenen Anteile des Ortszuschlags und die entsprechenden, hier in automatischer Konsequenz eintretenden Auswirkungen auch auf die sogenannten Sozialzuschläge der Arbeitnehmer.Herr Kollege Althammer, wenn Sie einen Blick in die Begründung der Bundestagsdrucksache zum Artikelgesetz geworfen hätten, hätten Sie dort die vollständige Antwort auf Ihre hier aufgeworfenen Fragen bereits gefunden. Dort ist nicht nur bei den Grundsätzen, von denen sich die Bundesregierung hat leiten lassen, zu lesen, daß die notwendigen Einsparungen im Bereich des öffentlichen Dienstes
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975 13351
Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihoferim „Gleichklang zwischen den Tarifbereichen des öffentlichen Dienstes und dem gesetzlichen Bereich erfolgen" müssen. Dort ist auch ausdrücklich gesagt — auch dazu nur ein Beispiel —, daß die Streichung der sogenannten Regelbeförderung durch Abschaffung des Bewährungsaufstiegs auch im Tarifbereich „vertraglich umgesetzt werden muß", wie es wörtlich heißt.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Althammer?
Aber gerne.
Herr Minister, der Sinn meiner Ausführungen war der — danach möchte ich Sie jetzt fragen —, ob Sie bereit sind — ich verstehe Ihre Ausführungen jetzt so —, von sich aus — Sie sind ja Tarifpartner — als Teilnehmer dieser Tarifrunde die notwendigen Kündigungen durchzuführen, um diese Gleichbehandlung herbeizuführen?
Ich möchte Ihnen noch einmal ganz differenziert antworten: Zu einem Teil bedarf es schon deshalb gar keiner Kündigungen, weil die gesetzlichen Regelungen mit automatischer Konsequenz nicht nur im Bereich der Angestellten, bei der Ortszuschlagsregelung durchgreift, sondern auch im Bereich der Arbeiter bei den Sozialzuschlägen. In anderen Fällen ist es so, daß wir in der Tat tarifliche Kündigungen oder jedenfalls neue Vereinbarungen erreichen müssen. Dazu ist bereits zu einem ersten Gespräch noch in diesem Monat eingeladen. Darüber besteht auf der Seite der Arbeitgeber der öffentlichen Hände in jeder Hinsicht vollständiges Einvernehmen. Das ist meine Antwort auf Ihre Frage.
— Ich habe Ihnen ja gesagt, worauf meine Zuversicht gründet. Das ist eine Zuversicht, die für mich das Markenzeichen dieser sozialliberalen Koalition überhaupt ist. Wir werden ja sehen, ob sie sich bewahrheitet oder nicht.
Nun noch ein letztes Wort zu Ihnen. -Ich finde, geradezu abenteuerlich ist Ihre hier getroffene Feststellung, Herr Kollege Althammer — und deshalb vor allem bin ich hier oben —, das ganze sei ja nichts anderes als ein erster Schritt zur Abschaffung des Berufsbeamtentums.
Nun, daß dies eine ganz und gar haltlose Unterstellung ist, müßte Ihnen schon ein Blick auf die Verfassungsgarantie des Berufsbeamtentums in Art. 33
des Grundgesetzes zeigen, es sei denn — ich darf es etwas spaßig sagen —, Sie wollten damit unterstellen, daß Sie in der Opposition zu einer solchen verfassungsändernden Mehrheit beitragen wollten. Sie wird es für uns Freien Demokraten hier in diesem Hause nicht geben.
Darüber hätte Sie aber. auch — und das ist noch viel wichtiger mein eigenes — wie das meines Vorgängers — klares Bekenntnis zum Berufsbeamtentum belehren müssen, mit dem ich wiederholt den heute so beliebten pauschalen Kritiken entgegengetreten bin, mit denen die Beamten zum Prügelknaben der Nation gemacht werden sollen. Nun, das sagt Ihnen nicht irgend jemand, sondern einer, der als Beamten-Minister hier die ressortmäßige Verantwortung in dieser Regierung trägt. An diesen Worten können Sie mich zu jeder Zeit messen.
Es scheinen hier neue Formen des Umgangs eingeführt zu werden, Herr Abgeordneten Dr. Althammer. — Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Minister, ist Ihnen nicht klar, daß es neben der formellen Abschaffung, formellen Beseitigung des Berufsbeamtentums, der in der Tat die Schranke des Grundgesetzes entgegensteht, auch eine stufenweise Aushöhlung gibt und daß es Äußerungen, insbesondere von SPD-Seite, gibt, die diesen Verdacht begründen?
Es gibt eine klare Politik der Bundesregierung und ihr zugrunde liegende eindeutige Bekenntnisse zur Aufrechterhaltung des Berufsbeamtentums. Daran sollten Sie sich, glaube ich, als Opposition ebenso halten.
Daß es Parteitagsbeschlüsse, daß es Einzeläußerungen — in allen Parteien, wohlgemerkt — zu diesen und jenen Fragen des öffentlichen Dienstes gibt, wissen wir ja alle. Aber die Frage ist: Wo ist der mehrheitliche Wille dieser Koalitionsfraktionen, und wie steht ,die Regierung zu dieser Frage? Das ist doch allein hier wichtig.
Herr Bundesminister, gestatten Sie nun eine Frage des Herrn Abgeordneten Stücklen?
Herr Bundesinnenminister, auf wen können Sie sich nach Ihrer Meinung hinsichtlich der Frage der Aufrechterhaltung des Berufsbeamtentums mehr verlassen: auf die CDU/CSU oder auf Ihren Koalitionspartner SPD?
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13352 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975
Herr Kollege Stücklen, das ist doch wohl mehr eine rhetorische Frage, auf die Sie keine ernsthafte Antwort verlangen werden. Wir bekennen uns in dieser Regierungskoalition eindeutig zur Einrichtung des Berufsbeamtentums, daran gibt eis nicht den allermindesten Zweifel.
Ich möchte Ihnen mit einer abschließenden Bemerkung nochmals verdeutlichen, warum das so ist. Bei aller von den Betroffenen selber anerkannten Notwendigkeit einer Reform auch des heutigen Beamtenrechts, vor allem des derzeitigen Besoldungs- und Beförderungssystems, ist gerade die heutige Beamtenschaft unseres Landes nicht weniger als die Arbeitnehmerschaft im öffentlichen Dienst nicht nur im internationalen Vergleich eine der besten Errungenschaften unseres freiheitlichen Staates, sondern auch im historischen Vergleich mit der Weimarer Republik eine der stärksten Gewährleistungen unseres jungen Staates als eine freiheitliche rechtsstaatliche und sozialstaatliche Demokratie. Ich meine — und das darf ich nun mit allem Ernst auch Ihnen, Herr Althammer, sagen —: Wenn das so ist, dann sollten wir auch nicht aus solchem Anlaß durch parteiliche Polemiken diesen Tatbestand zerreden. Diesen polemischen Attacken steht — Sie werden mir nicht verdenken, wenn ich das sage — die Unglaubwürdigkeit auf der Stirne geschrieben.
Meine Damen und Herren, wird das Wort gewünscht? — Das ist offenbar nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Sie entnehmen die Uberweisungsvorschläge des Ältestenrates der Tagesordnung. Ergänzungsvorschläge oder Änderungsvorschläge werden nicht gemacht. Dann ist das Haushaltsstrukturgesetz in diesem Sinne überwiesen.
Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde
— Drucksache 7/4138 —Der Ältestenrat hat vorgeschlagen, daß wir auch in dieser Woche zwei Fragestunden, abweichend von den Richtlinien mit einer jeweiligen Dauer von 90 Minuten, durchführen. Gemäß § 127 unserer Geschäftsordnung muß diese Abweichung von der Geschäftsordnung beschlossen werden. — Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wir können nunmehr in die Fragestunde eintreten. Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf.
Frage 1 des Abg. Dr. Schweitzer:
Welche Sofortmaßnahmen müßten und könnten nach Auffassung der Bundesregierung ergriffen werden, um der im jungsten ZVS-Zuteilungsverfahren erneut sichtbar gewordenen Numerusclausus-„Lawine" an den Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland entgegenzuwirken?
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Glotz.
Herr Kollege Schweitzer, nach den erheblichen Anstrengungen von Bund und Ländern zum Ausbau der Hochschulen muß jetzt ,die volle Nutzung der mit Milliarden-Beträgen geschaffenen Kapazitäten sichergestellt werden. Dies erfordert strukturelle und auch organisatorische Veränderungen in den Hochschulen und die inhaltliche Reform der Studiengänge. Allein mit weiteren Baumaßnahmen sind die hochschulpolitischen Probleme nicht zu bewältigen. Bund und Länder haben mit der Verabschiedung des 5. Rahmenplans noch einmal unterstrichen, daß der Maßnahmenkatalog des 4. Rahmenplans zur intensiveren Nutzung der Hochschulkapazitäten rasch verwirklicht werden muß. Das Hochschulrahmengesetz, das gegenwärtig, wie Sie wissen, 'im Vermittlungsausschuß beraten wird, stellt die Weichen für ein solches leistungsfähigeres Hochschulsystem.
Die im Hochschulrahmengesetz vorgesehene Neuordnung des Studiums und des Zulassungswesens wird dazu beitragen, idie jetzigen überlangen Studien- und Verweilzeiten im Hochschulbereich auf ein erträgliches Maß zu reduzieren, vor allem durch die Einführung von Regelstudienzeiten. Eine Übergangsvorschrift, die der Bundesrat allerdings abgelehnt hat — darauf muß ich hinweisen —, sorgt dafür, idaß bestimmte Sofortmaßnahmen in dieser Richtung möglichst bald greifen sollen. Ferner gehören in diesen Zusammenhang alle Bestimmungen, die, wie beispielsweise die Nichtanrechnung des Parkstudiums im Zulassungsteil und die Eingrenzung von Fachwechsel und Zweitstudium, dazu führen, bisher doppelt in Anspruch genommene Kapazitäten für eine , größere Zahl von Zulassungen freizumachen. Auch diese Vorschriften können schneller wirksam werden als die übrigen Teile des Gesetzes, nämlich spätestens zum 31. Dezember 1976.
Schließlich enthält das Hochschulrahmengesetz auch Bestimmungen über die Ausschöpfung der vorhandenen Kapazität, die strengere Maßstäbe setzen als der gegenwärtige Staatsvertrag und deshalb zu einer Erhöhung der Zulassungszahl führen. In diesem Punkt hat der Bundesrat freilich eine Fassung gewünscht, bei der sich im Verhältnis zum geltenden Recht nichts ändern würde.
Der entscheidende Beitrag für durchgreifende Maßnahmen liegt nach Auffassung der Bundesregierung daher in der Verabschiedung des Hochschulrahmengesetzes.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schweitzer.
Herr Staatssekretär, können Sie Pressemeldungen bestätigen und, wenn ja, diesem Hause noch kurz erläutern, wonach kürzlich auf einer Kundgebung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Herr Bundesminister Rohde erklärt
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975 13353
Dr. Schweitzerhat, zahlreiche Beispiele — er hat an die Behandlung des Hochschulrahmengesetzes und, wie er es formuliert haben soll, das „Hin und Her in der Zulassungsfrage" erinnert — seien ein Beweis dafür — jetzt zitiere ich aus dieser Meldung —, daß „Kulturhoheit ohne gesamtstaatliche Verantwortung in die Krise des Bildungssystems führen" müsse?Dr. Glotz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schweitzer, ich glaube, es ist offen sichtbar, daß es eine Reihe von schwerwiegenden bildungspolitischen Problemen gibt, die in absehbarer Zeit gelöst werden müssen. Dazu gehört die Zulassungsregelung, die Minister Rohde in der von Ihnen zitierten Äußerung angesprochen hat. Dazu gehört beispielsweise auch — um ein anderes Problem herauszugreifen — die Abstimmung zwischen dem Lernort Betrieb und dem Lernort Schule im Bereich der Berufsbildung. Dazu gehört ferner die gemeinsame Auswertung der Modellversuche. Eine Reihe solcher Strukturprobleme müssen dringend gelöst wenden. Sie können aber nur gelöst werden, wenn Bund und Länder gemeinsam an diese Probleme herangehen. In der Tat steht bei diesen wichtigen Entscheidungen in den. nächsten Jahren das Funktionieren des kooperativen Föderalismus auf dem Bildungssektor — ich betone: auf dem Bildungssektor — auf ,dem Spiel.
Eine zweite Frage, Herr Abgeordneter Dr. Schweitzer.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir darin zustimmen, daß es wünschenswert wäre, wenn die Bundesregierung eine breitere Öffentlichkeit noch stärker über die Hintergründe der sehr bedauerlichen Situation im Bereich des Zulassungswesens an unseren Hochschulen und insbesondere auch über die bisherigen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten der Bundesländer in diesem Zusammenhang aufklärte?
Dr. Glotz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schweitzer, lassen Sie mich zuerst sagen: Meine Antworten gehen davon aus, daß die Probleme im bestehenden Verfassungssystem gelöst werden können, daß dazu aber die Bereitschaft aller Seiten gehört.
Was die Aufklärung betrifft, so haben wir versucht, dies so deutlich wie möglich zu machen. Seit Mai/Juni 1974 haben wir die Frage der Zulassung in das Zentrum der Debatte über das Hochschulrahmengesetz gestellt, wo früher ganz andere Probleme standen. Daß man dies vielleicht noch verstärken könnte und daß man auch deutlich machen sollte, wo die eigentlichen Verantwortlichkeiten im Zusammenwirken von Bund und Ländern liegen, auch wo die Verantwortung der Länder — und auch die des Bundes — liegt, will ich gerne einräumen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bewußt, wenn hier die Verantwortung der Länder angesprochen wurde und die Schwierigkeiten in der Bildung und Ausbildung offenbar zumindest zum Teil den Ländern und unserer Grundgesetzordnung zugeschoben werden sollen, daß in anderen Staaten etwa in Frankreich, die dortigen Schwierigkeiten in der Bildung und Ausbildung gerade dem zentralistischen System zugeschrieben werden?
Dr. Glotz, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Schulze-Vorberg, wir sollten weder den Ländern noch dem Bund einseitig die Schuld an bestimmten Problemen zuschieben. Aber in der Frage der Hochschulzulassung haben alle erkannt, daß das jetzige Zulassungssystem so nicht mehr funktionieren kann.
Auf der anderen Seite sehen die Länder, daß sie mit dem Instrument eines Staatsvertrages zwischen den Ländern nicht mehr weiterkommen, da die Interessenunterschiede zwischen den Ländern so groß sind, daß eine einstimmige Beschlußfassung über die schwierige Materie durch die Bundesländer nicht möglich sein wird. In dieser Situation zeigt sich, daß eine bundesgesetzliche Regelung dringend notwendig ist. Das ist, glaube ich, die besondere Situation gerade der Zulassungsdiskussion.
Ich meine, daß die schwerwiegenden bildungspolitischen Probleme insgesamt nur überwunden werden können und man Lösungen wirklich nur in die Tat umsetzen kann, wenn die Kooperationsbereitschaft zwischen Bund und Ländern noch stärker wird. Es gibt dafür einige Beispiele. Ich erinnere an das Fernunterrichtsgesetz, über das wir demnächst debattieren werden. Wir werden sehen, wie diese Kooperationsbereitschaft auf allen Seiten aussieht.
Keine weitere Zusatzfrage. Da die Frage 2 zurückgezogen worden ist, darf ich Ihnen, Herr Staatssekretär, danken.Die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit sind zurückgezogen worden.Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Die Frage 5 des Abgeordneten Freiherr von Kühlmann-Stumm soll schriftlich beantwortet werden. — Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Frage 6 ist von dem Abgeordneten Niegel eingebracht. — Herr Niegel ist nicht im Saal. Diese Frage wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Dr. Kunz auf:Ist die Bundesregierung in der Lage, einen Überblick zu geben nach Zahl und Umfang der Anträge auf Forderung landwirtschaftlicher Althofsanierung, welche zur Zeit bei den zustandigen Stellen eingereidit werden, und welcher Anteil mit den zur Verfugung stehenden Haushaltsmitteln Berücksichtigung finden kann?Herr Staatssekretär Logemann!
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13354 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975
Herr Kollege Dr. Kunz, die Bundesregierung ist nicht in der Lage, einen Überblick zu geben nach Zahl und Umfang der Anträge auf Förderung von Althofsanierungen, die zur Zeit bei den zuständigen Stellen eingereicht werden, und welche Anteile mit den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln berücksichtigt werden können.
Nach § 9 Abs. 1 des Gemeinschaftsaufgabengesetzes ist die Durchführung der Maßnahmen und damit auch die Bearbeitung der Anträge allein Sache der Länder. Die Länder unterrichten nach § 9 Abs. 2 dieses Gesetzes die Bundesregierung über die durchgeführten Maßnahmen und den Stand der Gemeinschaftsaufgabe. Über die Durchführung des Rahmenplans 1975 werden die Länder die Bundesregierung erst im kommenden Jahr unterrichten.
Der Bundesregierung ist allerdings bekannt, daß in einigen Ländern mehr Anträge vorliegen, als Haushaltsmittel bereitstehen. Die Ursache ist unter anderem in der 7,5 %igen Investitionszulage zu sehen, die im ersten Halbjahr gewährt werden konnte.
Zusätzliche Haushaltsmittel können nicht bereitgestellt werden. Die Bundesregierung wird aber alle Bemühungen der Länder unterstützen, durch Umschichtungen im Rahmenplan für das Einzelbetriebliche Förderungsprogramm Mittel freizubekommen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz.
Herr Staatssekretär, sehen Sie sich angesichts der Tatsache, daß in manchen Bundesländern bis zu doppelt so viele Anträge vorliegen, wie vom Volumen der zur Verfügung stehenden Mittel her abgedeckt werden können, in der Lage, zu gewährleisten, daß dann wenigstens im kommenden Jahr die nötigen Mittel bereitgestellt werden, um die Antragsteller nicht zu lange warten zu lassen?
Logemann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Kunz, dies hängt von den in den Haushaltsplan 1976 einzusetzenden Mitteln ab. Ich habe gesagt, daß wir uns bemühen werden, die Länder zu unterstützen, damit nach Möglichkeit den vorliegenden Anträgen entsprochen werden kann.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, macht sich die Bundesregierung angesichts der Tatsache, daß beispielsweise in Bayern mit dem vorhandenen Volumen nur 800 Anträge abgedeckt werden können, aber 1 500 Anträge vorliegen, und daß in den nächsten Jahren gleichzeitig auch der Anteil des Volumens, der für die Zinszuschüsse notwendig ist, steigen wird, keine Gedanken darüber, wie die Planung für die künftigen Jahre aussehen soll? Es ist ja sicherlich bekannt, daß das Volumen für die Zinszuschüsse in den nächsten zehn Jahren in Bayern beispielsweise um 5 Millionen DM jährlich steigt. Das muß sich doch irgendwie in den Planungen der Bundesregierung niederschlagen.
Logemann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Kunz, wir bemühen uns in den Gesprächen wirklich, dieser Situation, die Sie eben erwähnt haben, laufend Rechnung zu tragen. In der letzten Woche hat ein Gespräch der Amtschefs in Saarbrücken stattgefunden. Weitere Gespräche folgen. Es geht hier auch um die Überlegung, ob man nicht bei den Gemeinschaftsaufgaben verstärkt Schwerpunkte setzen soll. Dies alles ist, wie gesagt, jetzt in der Aussprache, und wir sehen auch diese Probleme.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Höcherl auf:
Ist die Bundesregierung bereit, ihre neue Konzeption für die europäische Agrarpolitik bekanntzugeben?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Logemann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Höcherl, die Bundesregierung wird im Rahmen der europapolitischen Beratungen in der Kabinettsitzung am 22. Oktober 1975 voraussichtlich auch die Bestandsaufnahme der europäischen Agrarpolitik behandeln. Von der Kabinettsentscheidung wird die deutsche Haltung bei den Erörterungen des EG-Agrarministerrates über dieses Thema abhängen. Die Ergebnisse der Kabinettsberatung werden in der üblichen Form bekanntgegeben werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Höcherl.
Herr Staatssekretär, war die Meldung falsch, die über Rundfunk und Fernsehen ging, daß Sie bereits eine neue Konzeption haben und daß diese neue Konzeption so ausschauen soll, daß Sie Ihre Preispolitik nach Angebot und Nachfrage einrichten wollen?
Logemann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Höcherl, wir haben immer neue Konzeptionen. Sie wissen j'a nur zu gut aus eigener Erfahrung, daß
man in der EWG-Agrarpolitik immer nach vorn denken muß. So haben wir auch durchaus Überlegungen in verschiedenster Hinsicht angestellt. Das sind Vorschläge, die aus dem BML kommen und in den soeben genannten Sitzungen noch beraten werden müssen.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Höcherl.
Hielten Sie es unter dem Titel „Mehr Demokratie" nicht für richtig, daß Sie diese neue Konzeption hier einmal vor dem Hause erklären und die Zustimmung des Hauses dazu einholen?Logemann, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Höcherl, wir werden es so halten, wie es im BML
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975 13355
Parl. Staatssekretär Logemannimmer üblich gewesen ist — auch zu Ihrer Zeit —: Wir werden die Vorschläge dann bekanntgeben, wenn sie wirklich die Billigung des Kabinetts gefunden haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz.
Herr Staatssekretär, können Sie noch nichts über den Zeitpunkt Ihres Vorhabens sagen?
Logemann, Parl. Staatssekretär: Die Termine sehen so aus: Kabinettsitzung über Bestandsaufnahme in der EWG-Agrarpolitik und dazu gemachte Vorschläge am 22. Oktober 1975; Beratung im Agrarrat am 29. und 30. Oktober 1975.
Noch eine Zusatzfrage. Bitte sehr!
Herr Staatssekretär, können Sie Pressemeldungen bestätigen, nach denen Herr Minister Ertl Äußerungen gemacht hat, daß in der Konzeption für eine neue Agrarpolitik auch wesentliche Preissenkungen für Marktordnungsprodukte und dafür finanzielle Ausgleiche aus dem Bundeshaushalt enthalten sein sollen? Wie ist so etwas mit der Haushaltssituation, die wir haben, zu vereinbaren?
Logemann, Parl. Staatssekretär: Wenn ich auf diese Frage heute eingehen würde, griffe ich in den Beratungen vor. Das kann ich nicht. Ich habe solche ' Pressemeldungen auch gelesen, kann dazu heute aber aus den erwähnten Gründen keine Angaben machen.
Keine Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Ich rufe zunächst die Frage 9 des Abgeordneten Stahlberg auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Informationsschrift zum Bauinvestitionsprogramm die bauwilligen Antragsteller erst erreichte, als die zinsverbilligten Mittel bereits vergeben waren?
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Haack zur Verfügung.
Das vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau herausgegebene Faltblatt zum Bauinvestitionsprogramm informiert über die Programmteile „Wohnungsmodernisierung" und „Bausparzwischenfinanzierung". Anträge auf Gewährung von Mitteln zur Wohnungsmodernisierung konnten nach einer mit den Spitzenverbänden der Kreditwirtschaft und den Bundesländern getroffenen Vereinbarung nur auf den dafür vorgesehenen einheitlichen Antragsformularen gestellt werden.
Ein Muster dieser Antragsformulare ist gemeinsam von Vertretern der kreditwirtschaftlichen Spitzenverbände, des Bundes und einem Vertreter der Länder erarbeitet worden. Im Anschluß an die gemeinsame Sitzung dieses Gremiums am Freitag, dem 5. September 1975, sind die Formulare zur Drucklegung freigegeben worden. Der erst von diesem Zeitpunkt an mögliche Druck und die Verteilung der Formulare ist auf deren ausdrücklichen Wunsch von den Kreditinstituten selbst übernommen worden.
Die Druckfreigabe für das genannte Faltblatt erfolgte am Montag, dem 8. September 1975. Wegen des wesentlich größeren technischen Aufwands ist nicht auszuschließen, daß der Druck des Faltblatts ein bis zwei Tage länger in Anspruch genommen hat, als dies bei dem Antragsformular der Fall war. Die Auslieferung der Faltblätter erfolgte ab 11. September 1975 durch zwei Druckereien nach den Listen der kreditwirtschaftlichen Spitzenverbände direkt an Kreditinstitute und Bausparkassenfilialen.
Es kann festgestellt werden, daß Druckfreigabe der Antragsformulare und des Faltblatts sowie deren Verteilung entsprechend den getroffenen Vereinbarungen nahezu gleichzeitig erfolgten.
Nach einer vom Bundesbauministerium bei den Leitinstituten der einzelnen Bundesländer am 24. September durchgeführten Erhebung waren zu diesem Zeitpunkt, also 13 Tage nach Auslieferung des Faltblattes, erst in der Hälfte aller Bundesländer, die Mittelkontingente für die Wohnungsmodernisierung belegt.
Die für die Bausparzwischenfinanzierung zur Verfügung gestellten Mittel sind bis heute noch in keinem Bundesland verbraucht.
Die Behauptung, daß die Informationsschrift zum Bauinvestitionsprogramm bauwillige Antragsteller erst erreichte, als die zur Verfügung gestellten Mittel bereits vergeben waren, ist nach dem Stand der Dinge unzutreffend.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahlberg.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, die konkreten Angaben, die win Antragstellern so eingebracht wurden, entgegenzunehmen, um dann mit den Kreditinstituten und den Ländern feststellen zu lassen, daß die Information zutrifft und nicht als falsch bezeichnet werden kann?Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Wenn Sie Einzelfälle haben, können Sie mir die gern zustellen. Zunächst einmal aber würde ich empfehlen, daß sich die Antragsteller, wenn sie eine berechtigte Beschwerde haben, unmittelbar an die Kreditinstitute wenden, denn dort muß dann offensichtlich ein Fehler liegen. Ich bin gern bereit, Einzelbeschwerden, die Sie mir zugänglich machen, prüfen zu lassen.
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13356 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahlberg.
Ist die Bundesregierung bereit, die Kosten dieser Aktion bekanntzugeben?
Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Welche Aktion meinen Sie bitte?
Drucklegung und ähnliches mehr.
Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Das ist selbstverständlich möglich. Die Auflagenhöhe dieses Informationsblattes war 4,5 Millionen, die Kosten betrugen ca. 400 000 DM. Die 4,5 Millionen Exemplare sind auch ausgeliefert worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhm.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie es sich, daß nicht nur dem Kollegen Stahlberg, sondern auch mir gegenüber eine ganze Reihe von Bürgern in Nordhessen erklärt hat, daß sie erst Zugang zu der Informationsschrift bekommen hätten, als ihnen die Banken mitteilten, daß die zur Verfügung stehenden Mittel aufgebraucht seien?
Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Das ist uns unverständlich. Ich darf auf das verweisen, was ich vorhin zu der Frage des Herrn Stahlberg gesagt habe. Ich habe Ihnen auch die Daten geschildert. Am 11. September ist das Faltblatt des Presse- und Informationsamtes an die Kreditinstitute und an die Filialen herausgegangen. Das Programm , war aber etwa am 20. oder 25. September noch nicht überbelegt. Es ist uns also völlig unverständlich, wie es vorkommen konnte, daß Kunden nicht rechtzeitig in den Besitz des Faltblattes gekommen sind.
Herr Abgeordneter Dr. Evers.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit einzuräumen, daß vor Erscheinen des Faltblattes zwar nicht eine Vergabe der Mittel, aber möglicherweise eine bankeninterne Disposition über die voraussichtlich verfügbaren Kontingente so erfolgt ist, daß diejenigen, die sich nach Erhalt des Faltblattes zu ihren Banken begeben haben, banken-intern keine Berücksichtigung mehr finden konnten?
Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Das wäre nach dem Programm, wie es vorgesehen war, unzulässig. In einem Lande, in Nordrhein-Westfalen, wird zur Zeit schon vom Rechnungshof geprüft, ob hier Unregelmäßigkeiten vorgekommen sind. Das entzieht sich aber zunächst der Kenntnis der Bundesregierung; es ist auch Sache der Länder, die für den Vollzug dieses Programms zuständig sind. Aber der Sache muß nachgegangen werden, wenn sich an Hand konkreter Fälle herausstellt, daß hier offensichtlich nicht richtig vorgegangen worden ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben Leuten mit berechtigten Beschwerden empfohlen, zu ihrem Kreditinstitut zu gehen. Was würde die Rechtsfolge sein, wenn Beschwerdeführer so etwas tun? Würden sie noch mit Zuteilungen rechnen können, die ihnen vorher abgelehnt worden sind?
Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Da die Programme in allen Ländern besetzt sind, ist das nicht möglich.
Herr Abgeordneter Schulze-Vorberg, Sie haben nur eine Zusatzfrage,
Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Die Empfehlung, Herr Kollege Schulze-Vorberg, ist trotzdem sinnvoll. Wenn ein Antragsteller nicht zum Zuge gekommen ist, so ist das eben unter Umständen die Schuld seines Kreditinstituts, wenn er zu spät auf die Möglichkeiten hingewiesen worden ist, wenn ihm zu spät eine Information gegeben worden ist.
Die Bundesregierung — wenn ich das hier vielleicht noch einmal allgemein sagen darf — ging davon aus, daß es sich hier um ein Baukonjunkturprogramm handelt. Die Mittel, die wir zur Verfügung stellen, etwa bei der Altbaumodernisierung in Höhe von 700 Millionen DM, müssen also schnell abfließen. Da es bei staatlichen Bewilligungsstellen länger dauert, haben wir den Abfluß der Mittel den Kreditinstituten übertragen — im Rahmen eines Konkurrenzkampfes. Es ist nun Sache der Kreditinstitute, zu prüfen, ob sie leistungsfähig sind, ob sie untereinander konkurrenzfähig sind. Ein Kunde, der sich benachteiligt fühlt, sollte sich daher an sein Kreditinstitut wenden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordnete Dr. Kunz .
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, mir jetzt oder auch später schriftlich mitzuteilen, wie hoch der Anteil der „Neuen Heimat" an der Vergabe der Mittel für das Bauinvestitionsprogramm ist?Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Das kann ich Ihnen gleich mitteilen, Herr Kollege Kunz. Sie haben hier mit dieser in solchen Diskussionen sehr üblichen Frage Pech. Bekanntlich haben wir in diesem Modernisierungsprogramm ein Limit nach oben gesetzt: Es kann pro Antragsteller ein Investitionszuschuß nur für Modernisierungskosten bis zu einem Betrag von 300 000 DM in Anspruch genommen wer-
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Parl. Staatssekretär Dr. Haackden. Damit ist sichergestellt, daß ein Antragsteller Modernisierungszuschüsse nur für bis zu etwa 15 Wohnungen bekommen kann, so daß eben gerade die großen Baugesellschaften hier ausgenommen sind. Dieses Modernisierungsprogramm dient ausschließlich den kleineren Hauseigentümern. Insofern brauchen Sie Ihre Sorge nicht zu haben.
Keine weitere Zusatzfrage? Dann komme ich zu der Frage 10 des Abgeordneten Stahlberg:
Worin sieht unter diesen Gegebenheiten die Bundesregierung den Sinn einer solchen Information?
Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahlberg, den Sinn von Informationsfaltblättern der vorliegenden Art sieht die Bundesregierung im hohen Informationswert für den Empfängerkreis solcher Hilfen. Sie tragen dazu bei, eine möglichst große Zahl von Bürgern über die Möglichkeiten, die sich ihnen hier bieten, zu unterrichten. Sie sind zugleich Hilfe bei der Antragstellung gerade für die Bürger, die nur über wenig Erfahrung in diesem Bereich verfügen. Insofern war es sinnvoll, ein solches Informationsblatt von seiten der Bundesregierung in diesem speziellen Fall zu erstellen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Stahlberg.
Herr Staatssekretär, sind Sie, unterstellt, daß die Aktion wegen der zeitlichen Verschiebung nicht ganz gelungen ist, nicht der Meinung, daß dies einen Keil zwischen Hausbesitzer und Mieter getrieben hat? Die Mieter sind natürlich der Auffassung: Ich habe es ja gelesen, daß er Geld kriegen konnte. In Wirklichkeit ist der Vermieter auf Grund der zu spät erfolgten Information bei seinem Bankinstitut nicht mehr zu den Mitteln gekommen, um im Wohnungsbau modernisieren zu können.
Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Ich kann dem, was in Ihrer Frage liegt, nicht zustimmen. Ich muß mich überhaupt über die Kritik mancher Kreise in den letzten Tagen wundern. Wir können hier den Beweis antreten, daß ein spezielles Konjunkturprogramm — in dem Falle die Modernisierung — in kürzester Zeit tatsächlich gewirkt hat. Es ist ja gerade der Sinn eines solchen Investitionsprogramms, daß die Mittel schnell abfließen. Natürlich sind die Mittel immer beschränkt, d. h., wenn sie abgerufen sind, kann ein neuer Antragsteller nicht mehr in ihren Genuß kommen. Aber die Tatsache, daß die, 700 Millionen DM in schnellster Zeit, in drei Wochen, abgeflossen sind, sehen wir als einen ganz großen Erfolg dieses Programms an. Sonst wird immer kritisiert, daß die staatlichen Mittel wegen bürokratischer Schwierigkeiten zu spät an den Mann kommen. Jetzt haben wir durch unser Programm erreicht, daß es innerhalb von drei Wochen möglich war, die 700 Millionen DM zu verteilen. Jetzt wird kritisiert, daß die Mittel schnell abgeflossen seien. Ich kann mich dieser Kritik nicht anschließen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Stahlberg.
Herr Staatssekretär, sind Sie denn nicht bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß in der Informationsschrift steht, daß man sich noch heute an sein Bankinstitut wenden möge, um solche Mittel zu erreichen? Diese Schrift lag bei der Bank aus, und stante pede ging der Mann zum Schalter und kriegte dort erklärt: Diese Mittel gibt es nicht mehr.
Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Ich darf es jetzt zum drittenmal in dieser Fragestunde sagen. Wenn wir dieses Faltblatt von Bonn aus am 11. September versenden, müssen wir davon ausgehen, daß es sich etwa am 15. September bei allen Bankinstituten und auch bei den Filialen befindet. Die Mittel in den Instituten waren aber erst am 20. oder 25. September ausgebucht, so daß normalerweise jeder Kunde noch in den Genuß des Faltblattes und zu der Möglichkeit kommen konnte, solche Mittel zu erhalten.
Keine weitere Zusatzfrage.Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Geisenhofer auf:Bis wann und mit welcher Zielrichtung ist die Bundesregierung bereit, die auch von ihr fur reformbedurftig gehaltene und mit dem Entwurf eines Wohnungsmodernisierungsgesetzes in Aussicht gestellte Anderung der Ermachtigungsgrundlage zum Erlaß der Zweckentfremdungsverordnungen vorzulegen?Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Geisenhofer, die Bundesregierung hat am 24. September beschlossen, den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Modernisierung von Wohnungen einzubringen. Der Entwurf ist am 26. September dem Bundesrat zugestellt worden. Er wird zur Zeit in den Ausschüssen des Bundesrats beraten.Der eingebrachte Entwurf enthält keine Vorschriften über die Zweckentfremdung von Wohnraum. Sie sind nicht mehr notwendig, nachdem das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 4. Februar 1975 entschieden hat, daß Art. 6 § 1 Abs. 1 Satz 1 und § 2 des Gesetzes zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs vom 4. November 1971 mit dem Grundgesetz vereinbar ist, und in seiner Entscheidung alle rechtsbedeutsamen Fragen untersucht und im Sinne der Vorstellungen der Bundesregierung beantwortet hat.Nach dem Urteil steht u. a. fest, daß der Eigentümer bewohnbaren Wohnraum auch dadurch zweckentfremden kann, daß er ihn Leerstehen läßt, abbricht oder absichtlich unbrauchbar macht. Ferner ist geklärt, unter welchen Voraussetzungen die Verwaltung eine Genehmigung zur Zweckentfremdung erteilen kann.Das Urteil ist in der juristischen und der wohnungswirtschaftlichen Literatur mehrfach veröffentlicht worden und daher allen fachlich interessierten Kreisen bekannt. Wir sehen deshalb — anders, als es vielleicht noch im Jahre 1974 der Fall gewesen ist — keine unmittelbare Veranlassung, das Problem
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Parl. Staatssekretär Dr. Haackder Zweckentfremdung in diesem neuen Wohnungsmodernisierungsgesetz zu regeln.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Geisenhofer.
Herr Staatssekretär, in welchem Zusammenhang ist die Verabschiedung des Bundesbaugesetzes zu sehen? Ist mit dem Inkrafttreten des neuen Instrumentariums des Bundesbaugesetzes — Benutzungsgebot; Instandsetzungsgebot, Abbruchgenehmigung — die Zweckentfremdungsverordnung noch notwendig, oder decken das, Bundesbaugesetz und das, was Sie jetzt gesagt haben, das ursprüngliche Anliegen der Zweckentfremdungsverordnung voll und ganz ab?
Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Der neue Gebotskatalog des Bundesbaugesetzes, der bereits in den Beratungen des zuständigen Ausschusses verabschiedet worden ist, deckt dieses Problem nicht völlig ab, weil es beim Bundesbaugesetz, wie schon der Name und die Zielrichtung sagen, im wesentlichen um städtebauliche Probleme geht, während es sich hier beim Zweckentfremdungsverbot auch um ein wohnungswirtschaftliches Problem handelt. Das Problem wird nicht ganz, sondern nur teilweise gelöst. Neben den neuen Instrumentarien des Bundesbaugesetzes ist daher nach wie vor eine Vorschrift wie das Zweckentfremdungsverbot notwendig.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 12 des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg auf:
Welle Erfahrungen besitzt die Bundesregierung in bezug auf das sogenannte „Windhund-Verfahren", das sie bei ihrem Sonderfinanzierungsprogramm vorschreibt, und trifft es zu, daß dieses Verfahren zu erheblichen Nachteilen für die vielen Bürger ohne besondere Beziehungen fahren muß, die sich ein Haus bauen oder ihr Famihenheim modernisieren wollen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. Haack, Parl: Staatssekretär: Herr- Kollege Schulze-Vorberg, bei der Durchführung des Sonderprogramms „Bausparzwischenfinanzierung", mit dem vor allem im Eigenheimbau Investitionen zeitlich vorgezogen werden sollen, haben sich keinerlei Beanstandungen der von Ihnen angesprochenen Art ergeben. Dieses Sonderprogramm kann schon wegen seiner Bedingungen — Kopplung mit der Gewährung eines Bausparzwischenkredits und Beantragung der Baugenehmigung nach dem 27. August dieses Jahres— erst allmählich anlaufen.
' Beim Sonderprogramm „Wohnungsmodernisierung" ist es unter dem Druck einer geradezu stürmischen. Nachfrage ,nach ,den Zuschüssen bei der Abwicklung durch die Kreditinstitute zu Verfahrensproblemen gekommen. Ich kann mich eigentlich insofern auch auf das beziehen, was wir vorhin bereits hier diskutiert haben. Die außerordentlich rasche Überzeichnung der Mittelkontingente in- einzelnen Ländern hat dabei den Verdacht aufkommen lassen, daß verschiedene Kreditinstitute zunächst nicht formgerecht gestellte Anträge zur Einplanung
bei den Leitinstituten angemeldet haben. Das war das Problem, das vorhin am Rande schon eine Rolle spielte. Deshalb hat das Bundesbauministerium bereits am 12. September die zuständigen Länder gebeten, ihre Leitinstitute anzuweisen, die bisher eingereichten Listen an die Kreditinstitute zurückzugeben und sich generell bei der Einreichung von Listen versichern zu lassen, daß nur solche Anträge in die Liste aufgenommen worden sind, die auf den dafür vorgesehenen Formularen unter gleichzeitiger Vorlage der notwendigen Antragsunterlagen eingereicht und vom Kreditinstitut geprüft worden sind.
Inzwischen sind in einzelnen Ländern, wie z. B. in Nordrhein-Westfalen, — ich habe vorhin bereits bei der Beantwortung einer Zusatzfrage darauf hingewiesen — Überprüfungen durch den Landesrechnungshof veranlaßt worden.
Im übrigen ist davon auszugehen, daß die Kreditinstitute bis zur Erschöpfung der Mittelkontingente alle Anträge gleichermaßen bearbeitet und weitergeleitet haben.
Eine. Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Antworten so zusammenfassen, ,daß Sie heute selbst bedauern, ein unmögliches Verfahren gewählt zu haben, von dem Ihr Minister gesagt hat, hier sei Schnelligkeit vor Gerechtigkeit gegangen, und daß dieses unmögliche Verfahren, das Sie wählten, dieses Windhundverfahren, eben dazu geführt hat, daß nur die Windhundk-unden der Banken tatsächlich in den Genuß dieser Vergünstigungen kamen, daß also bevorzugte Kunden bestimmter Banken bevorrechtigt bedient worden sind, während der einfache Mann auf der Strecke bleiben mußte?Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Das war natürlich nicht Sinn unseres Programms. Es wird nun Aufgabe der Nachprüfung `sein — etwa wie in Nordrhein-Westfalen durch den Rechnungshof —, zu ermitteln, ob hier tatsächlich entgegen der Zielrichtung dieses Programms versucht worden ist, zu manipulieren. Die Bundesregierung kann, wenn sie ein Programm verabschiedet, doch zunächst einmal nicht davon ausgehen, daß von den zuständigen Bankinstituten manipuliert wird. Sie muß doch zunächst einmal unterstellen, daß die Leute sich -an das Gesetz oder in dem Fall an die Richtlinien halten. Wenn sich allerdings nachträglich herausstellt; daß entgegen den Verwaltungsvére'inbarungen mit den Länldern, entgegen den Richtlinien manipuliert worden ist, "dann muß ein solcher Fall selbstverständlich geprüft werden und muß in Zukunft zu den entsprechenden Konsequenzen führen. Sie können aber der Bundesregierung dafür nicht die Schuld geben. Die Bundesregierung mußte davon ausgehen, daß ,'hier vernünftig unter Abwägung der Interessen und auch mit 'gleichen Chancen für alle Kunden der verschiedenen Kreditinstitute gehandelt wird.
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Parl. Staatssekretär Dr. HaackIch möchte dazu noch eine Bemerkung machen: Wenn Sie sagen: „Schnelligkeit vor Gerechtigkeit", kann ich dem nicht zustimmen.
— Das ist auch richtig. Ich kann Ihnen nicht zustimmen, wenn eine solche Äußerung jetzt kritisch gesehen wird. Ich möchte sagen, was diese Äußerung zu bedeuten hat. Sie soll sagen, daß es sich um ein Konjunkturprogramm handelt. Die Mittel müssen schnell laufen. Es kann in der Tat im Einzelfall zu einer ungerechten Behandlung kommen. Es mag vielleicht im Einzelfall dann sozial ungerecht sein, aber das können Sie bei einem Konjunkturprogramm nicht ausschalten. Die soziale Komponente eines Konjunkturprogramms — auch das möchte ich hier noch einmal betonen — mit einem schnellen Mittelabfluß liegt darin, daß schnell Arbeitsplätze geschaffen bzw. Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft über den Winter hinaus gesichert werden. Das ist die soziale Komponente des Konjunkturprogramms.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schulze-Vorberg.
Darf ich Ihre zweite Antwort so verstehen, daß idie Schnelligkeit, die Ihnen wichtig war, so wichtig gewesen ist, daß Sie die soziale Komponente, die darin liegt, daß der kleine Mann auch Geld bekommt, daß der Eigenheimbesitzer auch Geld bekommt, ,daß der, der sein Eigenheim umbauen will, Geld 'bekommt, bewußt vernachlässigt haben?
Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Nein, genau das können Sie nicht aus dieser Beantwortung schließen. Denn wir wollten mit unserem Programm gerade auch den Eigenheimbesitzer bedienen. Ich darf Sie noch einmal daran erinnern, daß wir für die möglichen Zuschüsse eine absolute Grenze gesetzt haben, damit eben nicht die großen Wohnungsbaugesellschaften in den Genuß der Modernisierungsmittel kommen. Mit der Begrenzung — maximal pro Antragsteller 15 Wohnungen — sollte gerade erreicht werden, daß wir den Hauptteil der Mittel auf die „kleinen" Wohnungseigentümer und damit auch auf die Eigenheimer lenken. Wir mußten davon ausgehen, daß 'dieses Programm vernünftig läuft. Wir konnten nicht 'davon ausgehen, daß, wie es unter Umständen in Einzelfällen geschehen sein mag, manipuliert wird.
Keine Zusatzfrage.
Die Fragen 13 und 14 des Abgeordneten Dr. Schneider werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. _
Ich komme zur Frage 15 des Abgeordneten Niegel:
Wie setzt sich das nach dem „Windhund-Verfahren" zu verteilende Sonderprogramm zur Altbaumodernisierung in absoluten und relativen Zahlen der zu berücksichtigenden Antragsteller und Wohnungen, getrennt nadi Einfamilienhäusern, Mehrfamilienhausern, privaten Wohnungsunternehmen und gemeinputzigen
Wohnungsunternehmen sowie den Anteilen der einzelnen Bankengruppen, zusammen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Niegel, da das Bewilligungsverfahren zu dem Sonderprogramm zur Wohnungsmodernisierung noch in keinem Land abgeschlossen ist, können statistische Daten noch nicht vorliegen.
Die Länder werden nach Durchführung der Maßnahme, spätestens bis zum 31. Januar 1976, dem Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau über den Endstand 'der Bewilligungen berichten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem die Gelder ja praktisch schon verteilt sind, was sowohl Sie für das Ministerium als auch die Banken bestätigen, liegt doch zumindest ein Erfahrungswert darüber vor, wie die Verteilungen nunmehr vorgenommen worden sind. Können Sie über diese Erfahrungen berichten?
Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Niegel, ein Erfahrungswert liegt bisher noch nicht vor. Ich möchte allerdings einräumen, daß der Termin, den ich gerade genannt habe — 31. Januar 1976 —, der auch in der Verwaltungsvereinbarung mit den Ländern steht, auf Grund der Tatsache, daß die Gelder so schnell abgerufen worden sind, sicher vorverlegt werden kann. Das heißt: da das alles so schnell gegangen ist, ist es durchaus denkbar, daß wir vielleicht schon im November oder im Dezember über gesicherte Zahlen verfügen. Aber jetzt, Mitte Oktober, haben wir die Zahlen von den Ländern noch nicht mitgeteilt bekommen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niegel.
Gehen Sie mit mir einig, Herr Staatssekretär, daß die an und für sich unbürokratische Art des Verfahrens, nämlich ohne Auflagen eine Förderung zu gewähren — was schließlich der Anreiz dieses Verfahrens war —, eine Grundlage für die Änderung des jetzt vom Kabinett beschlossenen Gesetzentwurfs zur Modernisierung sein könnte?Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Wir haben in diesem Wohnungsmodernisierungsgesetz, über das ich vorhin ja schon gesprochen habe, Rücksicht darauf genommen, daß bestimmte bürokratische Schwierigkeiten, die im bisherigen Modernisierungsprogramm nach den bestehenden Richtlinien aufgetaucht sind, beseitigt werden müssen und hier manches vereinfacht werden muß. Allerdings muß nach unserer Auffassung eine grundsätzliche Förderung der Altbaumodernisierung etwas anders gesehen werden als eine Altbaumodernisierung im Rahmen eines Konjunkturprogramms. Hier kam es nur dar-
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13360 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975
Parl. Staatssekretär Dr. Haackauf an, daß die Mittel schnell abgerufen werden, während beim normalen Programm der Altbaumodernisierung auch andere Gründe gesehen werden müssen, wie z. B. städtebauliche Gründe im Rahmen einer konzentrierteren Förderung des Althausbestandes. Insofern können Sie den Bestandteil „Altbaumodernisierung" des Konjunkturprogramms nicht gleichsetzen mit der normalen, außerhalb eines Konjunkturprogramms laufenden Förderung der Altbaumodernisierung.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Böhm .
Herr Staatssekretär, -geben Sie mir zu, daß die privaten Hausbesitzer gegenüber den Wohnungsbauunternehmen mit ihren Geschäftsführern und ihrem Verwaltungsapparat wesentlich benachteiligt waren, wenn wir das angewandte Informationssystem sehen und im Rahmen des sogenannten Windhund-Prinzips betrachten?
Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Nein, das kann ich Ihnen nicht zugeben, Herr Kollege Böhm. Ich darf noch einmal betonen, daß den Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften dieses Altbaumodernisierungsprogramm im Rahmen des Konjunkturprogramms fast gar nicht zugute gekommen ist; denn es war gezielt auf die „kleinen" Wohnungseigentümer, auf die Eigenheimer. Die Genossenschaften konnten schwerpunktmäßig gar nicht in den Genuß dieses Programms kommen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Narjes.
Herr Staatssekretär, können Sie mir darin zustimmen, daß der Zielkonflikt zwischen Schnelligkeit und Gerechtigkeit von Ihnen im Sinne der individuellen Gerechtigkeit wesentlich besser hätte gelöst werden können, wenn Sie das Programm im Juni statt im September verabschiedet hätten?
Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Über Termine kann man sich natürlich immer streiten. Ich glaube nur, das Sonderproblem, das jetzt zum Tragen gekommen ist, wäre dann auch zu dem Zeitpunkt entstanden. Aber jedenfalls hat dieses Programm dazu beigetragen — das ergibt ja die Fragestunde —, daß zumindest die Beschäftigung des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bauministerium sichergestellt ist.
Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereiches angelangt. Ich danke Ihnen für die Beantwortung.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Die Fragen 16 und 17 des Abgeordneten Dr. Franz, 18 und 19 des Abgeordneten
Schwabe, 20 des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen, 21 des Abgeordneten Wüster und 22 des Abgeordneten Dr. Kraske werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Die Frage 23 des Abgeordneten Spranger wird auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Böhm auf:
Für welche Delikte wird in der DDR im „Besonderen Teil" des Strafgesetzbuches die Todesstrafe angedroht?
Bitte zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. de With!
Im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik wird für 21 Delikte neben einer zeitigen oder lebenslänglichen Freiheitsstrafe die Todesstrafe angedroht. Straftaten, auf deren Begehung die Todesstrafe allein angedroht ist, kennt das StGB der DDR nicht. Es handelt sich im einzelnen um folgende Tatbestände: Planung und Durchführung von Aggressionskriegen; besonders schwere Fälle der Vorbereitung und Durchführung von Aggressionsakten; Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wenn der Täter hiermit vorsätzlich besonders schwere Folgen verursacht; unter der soeben genannten Voraussetzung der Tatbestand des Kriegsverbrechens; besonders schwere Fälle des Hochverrats, der Spionage, des landesverräterischen Treubruchs, wenn dieser durch Auslieferung oder Verrat geheimzuhaltender Nachrichten begangen wurde; besonders schwere Fälle des Terrors, der Diversion und der Sabotage. Bei den zuletzt genannten sieben Delikten kann nach § 111 unter bestimmten Voraussetzungen auf eine geringere Strafe erkannt oder von Strafe abgesehen werden, so wenn sich der Täter den Sicherheitsorganen stellt und sich offenbart.Ich darf mit der Aufzählung fortfahren: Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, kann unter bestimmten in § 112 Abs. 2 enumerativ aufgezählten qualifizierenden Voraussetzungen mit dem Tode bestraft werden. Weiterhin können nach § 283 Abs. 2 in besonders schweren Fällen folgende Militärstraftaten mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe oder mit Todesstrafe bestraft werden, jedoch nur dann, wenn die Tat im Verteidigungszustand begangen wird: die Fahnenflucht nach § 254, die Wehrdienstentziehung und -verweigerung nach § 256, die Befehlsverweigerung und Nichtausführung eines Befehls nach § 257, die Feigheit vor dem Feind nach § 260 sowie Angriff, Widerstand und Nötigung gegen Vorgesetzte, Wachen, Streifen und andere Militärpersonen nach § 267. Endlich sind noch zu nennen die besonders schweren Fälle der Meuterei nach § 259, gewisser Straftaten einer in Gefangenschaft geratenen Militärperson nach § 276, der Gewaltanwendung und Plünderung nach § 277 und der Ausplün-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975 13361
Parl. Staatssekretär Dr. de Withderung Gefallener, Verwundeter oder Kranker nach § 278.Der Vollständigkeit halber möchte ich anfügen, daß gegen Jugendliche bis zu 18 Jahren die Todesstrafe nicht ausgesprochen wird. Außerdem wird nach § 60 Abs. 2 gegen Frauen, die zur Zeit der Tat, der Verurteilung oder der anstehenden Vollstrekkung schwanger sind, sowie gegen Täter, die nach der Verurteilung geisteskrank geworden sind, die Todesstrafe nicht angewandt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Böhm .
Herr Staatssekretär, da ohne Zweifel ein Großteil der Delikte, die Sie genannt haben, einer politischen Wertung unterliegt, frage ich Sie, ob Sie die DDR für berechtigt halten, im Namen von Recht und Demokratie gegen bedauerliche Todesurteile in anderen Teilen der Welt zu protestieren.
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Der Standpunkt der Bundesregierung ist insoweit deutlich und klar. Einmal — das steht schon im Grundgesetz — wenden wir uns in jeder Hinsicht gegen die Anwendung der Todesstrafe; zum zweiten ist es wohl geboten, wenn im eigenen Land insoweit Unzulänglichkeiten bestehen sollten, mit entsprechenden Empfehlungen zurückhaltend zu sein.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Böhm.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß auch die automatischen Tötungsanlagen entlang der Demarkationslinie quer durch Deutschland eine Androhung der Todesstrafe gegen solche Bürger der DDR darstellen, die versuchen, von ihrem Recht auf Freizügigkeit in Deutschland Gebrauch zu machen?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, das, was Sie jetzt gefragt haben, steht nicht im Zusammenhang mit der von Ihnen eingereichten Frage.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger .
Herr Staatssekretär, können Sie uns darüber Auskunft geben, ob die Fassung der Straftatbestände, von denen Sie soeben gesagt haben, daß unter anderem auch die Todesstrafe angedroht wird, so eng und präzise ist, daß sie eine willkürliche und auf staatspolitischen Überlegungen beruhende Verurteilung zur Todesstrafe ausschließt?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Durch die Fassung eines Straftatbestandes kann nie ausgeschlossen werden, daß es Fehler der Willkür gibt. Willkür kann allein dadurch ausgeschlossen werden, wie ich meine, daß die Richter und Staatsanwälte entsprechend den Gesetzen handeln.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ey.
Herr Staatssekretär, ist nach Ihrer Auffassung diese Praxis der Todesstrafe mit den Grundsätzen der UNO-Menschenrechtskommission vereinbar?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Es gibt mehrere Staaten, die die Todesstrafe anwenden. Soweit ich sehe, hat es bisher insoweit keine Widerstände gegeben. Der Standpunkt der Bundesregierung zu diesem Punkt ist, wie ich bereits ausgeführt habe, eindeutig und klar.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kiechle.
Herr Staatssekretär, würde nach den von Ihnen genannten im Strafrecht der DDR verankerten Bestimmungen auch der Mord an Polizisten mit der Todesstrafe geahndet werden können?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Dies kann durchaus sein, bedürfte aber jeweils der näheren Prüfung. Ich bin gern bereit — —
— Es kommt wohl z. B. darauf an, ob im Dienst oder nicht im Dienst. Ich könnte das schriftlich eindeutiger beantworten.
Ich rufe Frage 25 des Abgeordneten Böhm auf:Wieviel Todesurteile wurden in der DDR seit 1949 verhangt und vollstreckt?Bitte, zur Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär Dr. de With.Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Bei der Beantwortung Ihrer zweiten Frage stütze ich mich auf die Angaben der Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben. Nach den dieser Bundesanstalt zugänglichen Erkenntnisquellen ist in der Zeit von 1949 bis heute die Todesstrafe in der Deutschen Demokratischen Republik insgesamt 210mal verhängt worden.Eine genaue Aufschlüsselung nach der Art der begangenen Straftaten ist nicht möglich. Es steht aber mit großer Sicherheit fest, daß bis zum Jahre 1964 allein wegen NS-Gewaltverbrechen 90 Todesurteile ausgesprochen wurden; von 1964 bis heute waren es noch vier Urteile.Wegen Verstoßes gegen die Staatsschutzbestimmungen, wie ich sie vorhin aufgezählt habe, ist nach Angaben der Bundesanstalt in 71 Fällen die
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Parl. Staatssekretär Dr. de WithTodesstrafe verhängt worden, wobei die zwei letzten Fälle aus dem Jahre 1962 registriert sind.Die Bundesanstalt hat schließlich 25 Todesurteile wegen Mordes erfaßt. Bei diesen Todesurteilen wegen Mordes dürfte sich nach der Einschätzung der Bundesanstalt die größte Dunkelziffer ergeben.Allgemein ist die Bundesanstalt zu der Erkenntnis gekommen, daß die Justizorgane der Deutschen Demokratischen Republik etwa seit dem Jahre 1968 eine deutliche Zurückhaltung bei der Verhängung der Todesstrafe üben; das entspricht auch meinem Eindruck. Andererseits — und jetzt komme ich zum zweiten Teil Ihrer Frage — wird man aber davon ausgehen können, daß die Todesstrafe, wenn sie schon ausgesprochen wurde, aúch vollstreckt wird. Allerdings läßt sich, Herr Kollege, diese Aussage nach unseren Unterlagen nicht belegen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Böhm .
Wie wird die Todesstrafe in der DDR vollstreckt?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Nach § 60 Abs. 1 Satz 2 ist die Todesstrafe dort durch Erschießen zu vollstrecken.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger .
Herr Staatssekretär, darf ich einmal die Frage stellen, wie die Bundesregierung dazu kommt, diese Frage Ihrem Ressort statt dem eigentlichen zuständigen zuzuweisen, von dem Sie ja auch Ihre Informationen beziehen, nämlich dem Ministerium für innerdeutsche Beziehungen?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Dies ist eine Frage, die allein die Bundesregierung angeht.
Aber ich meine, nach der Natur der Sache ist offenkundig, daß dies durchaus zu diesem Ressort gehört.
Keine weiteren Zusatzfragen. Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs angelangt; ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Ich rufe Frage 26 des Abgeordneten Dr. Wagner auf. — Der Fragesteller ist nicht anwesend; dann wird die Antwort als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 27 des Abgeordneten Dr. Evers auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Versuch, mit Hilfe sogenannter Steuermodelle die Finanzierung öffentlicher Einrichtungen, z. B. von überortlichen Kläranlagen, in einer Zeit vorzunehmen, in der die schwierige
Lage der öffentlichen Haushalte eine Streckung derartiger Vorhaben erzwingt und die öffentliche Hand damit nicht in dem volkswirtschaftlich notwendigen Maß antizyklisch tätig werden kann,
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Offergeld.
Herr Kollege, die Finanzpolitik der Bundesregierung ist in hohem Maße antizyklisch angelegt. Jüngstes Beispiel dafür ist das Programm zur Förderung von Bau- und anderen Investitionen.
Die Bundesregierung hat kürzlich ein Modell eines kommunalen Immobilienfonds zur Finanzierung und Schaffung kommunaler Einrichtungen geprüft. Dabei zeigte sich, daß das vorgeschlagene Abschreibungsmodell nur eine lockere Verbindung zu den beteiligten Kommunen hatte und daß die Folgelasten für die Gemeinden nicht zu übersehen waren.
Die wechselnde Betonung des privaten und des öffentlichen Charakters der zu fördernden Investitionen läßt den Wunsch erkennen, privaten Anlegern ein Höchstmaß an Steuervergünstigungen und den Kommunen mittelbar Finanzhilfen zu verschaffen. Dabei tritt der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung in den Hintergrund. Unvertretbare, kostspielige Folgewünsche aus anderen Bereichen sind nicht auszuschließen.
Gelegentlich wird sogar die Erwartung geäußert, das Steuerrecht solle solchen Fondskonstruktionen durch besondere Vorschriften entgegenkommen. Solche Änderungen des Steuerrechts kämen allen Abschreibungsmodellen zugute; sie ließen sich nicht auf die kommunalen Investitionsvorhaben beschränken. Die Bundesregierung könnte aber z. B. einer teilweisen Aufhebung einer so bedeutsamen Fortentwicklung des Steuerrechts wie der Verlustklausel des § 7 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes nicht zustimmen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Evers.
Bedeutet eine derartige Einstellung der Bundesregierung nicht, daß Sie einen Verzicht auf dringend notwendige öffentliche Investitionen in Kauf nehmen, um den von Ihnen vorgetragenen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen, und meinen Sie nicht, daß dies doch eine sehr stark prozyklische Wirkung hat?
Offergeld, Parl. Staatssekretär: Nein, das hat keine prozyklische Wirkung, Herr Dr. Evers; aber- der entscheidende Punkt Ihrer Frage ist natürlich der, ob wir nicht besondere Steuervergünstigungen, Abschreibevergünstigungen für solche Fondskonstruktionen schaffen sollten. Sie wären, wie gesagt, nicht auf kommunale Fondskonstruktionen zu beschränken. Wir lehnen sie ab, weil die Abschreibungsvergünstigungen ein besonders anstößiger Punkt in der Steuerpolitik der Vergangenheit waren.
Eine zweite Zusatzfrage.
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Glauben Sie nicht, daß es genügen würde, den sogenannten Spezial-LeasingErlaß, den Leasing-Erlaß bezüglich des sogenannten Spezial-Leasing, so umzuformulieren, daß derartige Konstruktionen dann möglich sind, wenn die zu tätigenden Investitionen öffentliche Investitionen sind?
Offergeld, Parl. Staatssekretär: Dies sind niemals öffenliche Investitionen, wenn es um privatrechtliche Fonds geht. Es ist möglich, daß später die Gegenstände, die durch solche Investitionen geschaffen werden, mietweise z. B. den Kommunen zur Verfügung gestellt werden. Das kann aber vorher nie mit Sicherheit gesagt werden. Auch dieser Zweck, der möglicherweise durch solche Fonds erreicht wird, läßt es nach meiner Auffassung und nach Auffassung der Bundesregierung nicht zu, daß man besondere Steuervergünstigungen schafft.
Ich rufe die Frage Nr. 28 des Abgeordneten Dr. Evers auf:
Ist die Bundesregierung bereit, ihren grundsätzlichen Widerstand gegen derartige Finanzierungsformen dann aufzugeben und die Finanzbehörden zu einer entsprechend positiven Einstellung anzuhalten, wenn es sich um die Finanzierung offentlicher Aufgaben mit Hilfe privater Kapitalanleger handelt, und kann damit gerechnet werden, daß die Erlasse, durch die die Steuergesetze für die Finanzierung von Wohnungsvorhaben mit Hilfe dieser Modelle einengend interpretiert worden sind, für die Finanzierung öffentlicher Vorhaben auf diesem Wege aufgehoben werden?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär!
Offergeld, Parl. Staatssekretär: Mit meiner ersten Antwort habe ich auch Ihre zweite Frage teilweise beantwortet.
Zusätzlich darf ich darauf hinweisen, daß der grundsätzliche Widerstand gegen die von Ihnen angesprochenen Finanzierungsmodelle nicht gegen die Projekte kommunaler Investitionen gerichtet ist. Er richtet sich vielmehr gegen die exzessive Inanspruchnahme von Steuervergünstigungen und gegen die verschachtelte Konstruktion der Finanzierungsmodelle. Außerdem fordern Abschreibungsgesellschaften geradezu dazu heraus, umfangreiche Finanzierungen auf eine schwache Eigenkapitalbasis zu stellen. Gegenüber diesen Bedenken muß nach Auffassung der Bundesregierung ein möglicher Vorteil — ein mög1icher Vorteil — der Gemeinden aus diesen Finanzierungsmodellen zurücktreten.
Eine Zusatzfrage.
Interpretiere ich Sie richtig, Herr Staatssekretär Offergeld, daß Sie sagen: Es ist uns notfalls lieber, daß dringende öffentliche Investitionsvorhaben für Abwasserbeseitigung, für Umweltschutz, für Verwaltungsbauten unterbleiben, als daß sie privat finanziert werden, weil wir sonst in Kauf nähmen, daß einige Leute sich dabei möglicherweise Steuervorteile zu eigen machen. Wie bringen Sie das mit der Aussage des Bundeskanzlers in Verbindung, daß die Investitionen von heute die Arbeitsplätze von morgen seien?
Offergeld, Parl. Staatssekretär: Zunächst muß ich darauf hinweisen, daß mir keine Projekte bekannt sind, die darauf hinauslaufen, Umweltschutzvorhaben zu finanzieren. Es ging bisher lediglich um Bauten. Auch die Förderung von Investitionen, Herr Dr. Evers, rechtfertigt nicht, daß man jedes steuerrechtliche Mittel anwendet. Wir sind durchaus nicht gegen solche Fondsmodelle, aber dagegen, daß dadurch exzessive Steuervorteile entstehen. Das ist der entscheidende Punkt.
Zu einer zweiten Zusatzfrage, Herr Dr. Evers!
Wären Sie bereit, mit mir ein derartiges Modell zu prüfen, das die Errichtung einer Kläranlage für 100 Millionen DM vorsieht, die sonst erst in späteren Jahren gebaut werden könnte, und damit zu prüfen, ob dies ein Weg wäre, eine Ausnahme von Ihrer Einstellung zuzulassen?
Offergeld, Parl. Staatssekretär: Wir werden keine Ausnahme von der grundsätzlichen steuerrechtlichen Regelung — Verhinderung von Abschreibungsmißbräuchen — zulassen. Das ist ganz sicher. Das schließt aber nicht aus, daß solche Fondskonstruktionen gewählt werden. Selbstverständlich sind wir auch bereit, im Benehmen mit der zuständigen Landesfinanzbehörde solche Modelle zu prüfen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, haben der Deutsche Städtetag, der Deutsche Gemeindetag und der Landkreistag ein solches Ansinnen an die Bundesregierung im Sinne des Fragestellers gerichtet?
Offergeld, Parl. Staatssekretär: Mir ist bislang keines bekannt.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Narjes.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihren Antworten schließen, daß Sie haushaltsrechtliche Bedenken gegen diese Konstruktionen nicht haben?
Offergeld, Parl. Staatssekretär: Wir haben gegenüber den uns bisher vorgelegten Konstruktionen — ich kann mich nur auf das beschränken, was uns bisher zur Prüfung vorgelegt worden ist; das ist im wesentlichen ein Modell — keine haushaltsrechtlichen Bedenken gesehen.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 29 des Abgeordneten Eigen auf:Haben die Vorschläge der Bundesregierung zur Einsparung im EAGFL-Fonds in Brüssel die mit 8 zu 1 abgelehnt wurden, dem deutschen Ansehen in der Europäischen Gemeinschaft sehr geschadet, und warum hat die Bundesregierung nicht behutsame Verhandlungen eingeleitet?Der Fragesteller ist anwesend. — Bitte zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
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13364 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975
Offergeld, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, in Ihrer Frage kommt die Auffassung zum Ausdruck, daß die Sparvorschläge der Bundesregierung zum EG-Haushalt dem deutschen Ansehen geschadet haben könnten. Ich kann diese Auffassung nicht teilen.Die Bundesregierung hat die deutschen Anliegen im Budget-Rat mit der gebotenen Behutsamkeit eingeführt. Sie hat nicht nur ihre Vorstellungen in den beiden Ratssitzungen vom 22. und 29. September 1975 erläutert, sondern auch die übrigen Mitgliedstaaten vor der entscheidenden Beratung am 29. September 1975 detailliert über ihre Auffassung unterrichtet.Mit der Verabschiedung der gemeinsamen Erklärung des Rates, die den Wunsch nach weiteren Einsparungen zum Ausdruck bringt, hat der Rat sein Verständnis für die deutsche Haltung bekundet. In der Öffentlichkeit hat die Bundesregierung neben vereinzelter Kritik durchaus Zustimmung oder Verständnis für ihre Forderungen gefunden, zu einer wirtschaftlicheren und wirksameren Mittelverwendung auch im Agrarbereich zu gelangen.
Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Eigen.
Herr Staatssekretär, wie verträgt sich diese Ihre Aussage mit der Tatsache, daß die Einsparungsvorschläge des Staatssekretärs Hiehle im Ministerrat mit 8 : 1 Stimmen — d. h. alle Länder der Europäischen Gemeinschaft haben gegen die Bundesregierung gestimmt —, abgelehnt worden sind?
Offergeld, Parl. Staatssekretär: Zunächst darf ichdarauf hinweisen, daß unsere Einsparungsvorschläge ein Volumen — ich habe es jetzt nicht ganz genau im Kopf — von ungefähr 900 Millionen Rechnungseinheiten hatten und daß davon durch entsprechende Beschlüsse etwa 600 Millionen Rechnungseinheiten akzeptiert worden sind.
Außerdem hat der Rat in seiner abschließenden Sitzung eine Entschließung ,gefaßt, in der der Wunsch nach weiteren Einsparungen im weiteren Verlauf ,des Verfahrens ausgedrückt worden ist. Hier kommt also durchaus eine wohlwollende Tendenz gegenüber den deutschen Forderungen zum Ausdruck.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie empfinden Sie denn eine solche Politik, daß auf der einen Seite gerade erst auf der Konferenz in Dublin den Engländern von seiten des Bundeskanzlers Schmidt in bezug auf die Finanzierung des Regionalfonds wie auch in bezug auf einige Probleme der Agrarmarktordnung besondere Zugeständnisse gemacht worden sind, auf der anderen Seite aber nun mit einem Male kurzfristig, gerade auch in bezug auf den Regionalfonds, die entscheidenden Streichungen durchgeführt werden sollen, obgleich wir wissen, daß eines der entscheidenden Probleme der
Europäischen Gemeinschaft eben die unterschiedliche Struktur in den Ländern und Teilen der Länder der Europäischen Gemeinschaft ist?
Offergeld, Parl. Staatssekretär: Ich muß noch einmal darauf hinweisen — ich habe es bereits in der Beantwortung Ihrer Frage gesagt —: Der Bundesregierung geht es darum, zu einer wirksameren und wirtschaftlicheren Verwendung der Mittel innerhalb des Fonds zu kommen, nicht um eine Kürzung und damit um eine 'entscheidende Änderung der Politiken.
Keine Zusatzfrage? — Damit sind wir .am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt. Ich darf Ihnen für die Beantwortung der Fragen danken.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage Nr. 30 ides Abgeordneten Dr. Arnold 'auf:
Hat die Bundesregierung eine genaue Ubersicht daruber, wieviel Firmen in der Bundesrepublik Deutschland im bisherigen Verlauf des Jahres 1975 in Konkurs oder Vergleich gingen, und kann sie insbesondere sagen, wieviel kleine und mittlere Betriebe es sind?
In der Zeit vom Januar 'bis August 1975 wurden in der Bundesrepublik Deutschland 5 904 Konkursverfahren eröffnet. Im gleichen Zeitraum betrug die Zahl der Vergleichsverfahren 267. An Hand der verfügbaren statistischen Daten kann nicht festgestellt werden, wie viele kleine und mittlere Betriebe von Insolvenzen betroffen worden sind. Es gibt keine Aufgliederung der Statistik der Konkurse und Vergleichsverfahren nach Beschäftigten- oder Umsatzgrößenklassen.
Ich möchte im übrigen auf die Beantwortung der Fragen des Herrn Abgeordneten Spranger in der 162. Sitzung des Deutschen Bundestags vom 10. April 1975, des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer in der 167. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 24. April 1975 sowie 'des Herrn Abgeordneten Professor Dr. Zeitel in der 180. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 18. Juni 1975 hinweisen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welche Hauptursachen würden Sie als Vertreter der Bundesregierung für diese doch sehr bedenkliche Entwicklung, die in diesen Zahlen zum Ausdruck kommt, nennen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Hauptursachen sind die weltweite Rezession und die daraus resultierenden strukturellen Anpassungsschwierigkeiten in der deutschen Wirtschaft.
Eine zweite Zusatzfrage.
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Glauben Sie nicht auch, daß speziellere Punkte, die in der deutschen Wirtschaftspolitik liegen, wesentlich mitursächlich sein könnten?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, darin sehe ich keine Veranlassung. Im Gegenteil, ich bin der Meinung, daß die marktwirtschaftliche Ordnung der Bundesrepublik am ehesten in der Lage ist, mit diesen wirtschaftlichen Schwierigkeiten fertig zu werden, und daß wir in diesem Punkte gegenüber anderen, in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindlichen Ländern sogar einen Vorsprung haben.
Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Gerster.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß die Bundesregierung keinerlei Anhaltspunkte dafür hat, wie groß der Anteil der mittleren und kleineren Betriebe an den Konkursen in diesem oder auch im vergangenen Jahr tatsächlich ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es trifft zu, daß keinerlei statistische Unterlagen darüber gegeben sind, so daß zu dieser Frage keine Auskunft erteilt werden kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß ein ganz Teil der Konkurse sicherlich oder wahrscheinlich auch auf unternehmerische Fehldispositionen und auf innerbetriebliche Gründe zurückzuführen ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es ist ganz selbstverständlich, daß jeder Zusammenbruch vielfältige Ursachen hat und Zusammenbrüche in einzelnen Branchen auch mit der Fähigkeit des Managements zu tun haben. Ich habe auf die Hauptursache, nach der ich gefragt worden bin, hingewiesen. Die sehe ich in der Weltrezession, die uns ja, wie wir alle wissen, sehr hart getroffen hat.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Narjes.
Herr Staatssekretär, wird, wenn man die Weltrezession als Hauptursache betrachtet nicht völlig übersehen, daß die Ursachen vor der Weltrezession auch eine Rolle gespielt haben? Sind Sie in der Tat der Ansicht, daß diese Ursachen — Wirtschaftspolitik vor der Weltrezession — jetzt überhaupt keine Rolle mehr spielen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, dieser Ansicht bin ich nicht. Es gibt viele Ursachen für wirtschaftliche Schwierigkeiten. Ich habe auf die Hauptursache hingewiesen, und es ist ja in der Debatte des Bundestages deutlichgemacht worden, daß allein an Auslandsnachfrage gegenüber unseren gemeinsamen Erwartungen in diesem Jahr bei uns 40 Milliarden DM Nachfrage ausgefallen sind. Ich glaube, damit ist deutlich geworden, wo die Hauptursache der wirtschaftlichen Schwierigkeiten liegt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kiechle.
Herr Staatssekretär, wie soll man Ihre Aussage, daß hauptsächlich die Weltrezession schuld an den zunehmenden Insolvenzen sei, verstehen angesichts der Tatsache, daß die Exporte — die jetzt nicht an Erwartungen gemessen werden sollen, sondern an den tatsächlichen Exporten des Jahres 1974 — im Jahre 1975 etwa gleichgeblieben sind oder gleichbleiben werden? An Erwartungen geht doch ein Betrieb nicht zugrunde, sondern nur an den Fakten.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Schwierigkeiten sind zu sehen in dem realen Rückgang unserer exportintensiven Industrie gegenüber dem Jahre 1974. Auch wenn wir im Jahre 1975 noch einen realen Leistungsbilanzüberschuß erzielen werden, ist der Rückgang der Nachfrage aus dem Ausland gegenüber dem Jahre 1974 und gegenüber den Erwartungen, die wir weltweit in das Wachstum des Handels gesetzt haben, die eigentliche Ursache unserer heutigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Eigen.
Darf ich dann die Frage stellen, Herr Staatssekretär: Wie verhält es .sich mit der Exportentwicklung von 1973 zu 1974?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich müßte im Grunde genommen nun auf diese Fragen hier einen Vortrag über die verschiedenen Ursachen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten halten. Ich glaube nicht, daß das der Sinn der Fragestunde ist.
Die Frage 31 des Abgeordneten Breidbach wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 32 des Abgeordneten Wolfram auf.
Wie beurteilt die Bundesregierung die Auswirkungen der von den OPEC-Staaten beschlossenen Ölpreiserhohungen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich möchte gern, wenn Sie erlauben, die Fragen 32 und 33 zusammenhängend beantworten.
Einverstanden; auch Frage 33 des Abgeordneten Wolfram wird aufgerufen:Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Realisierung des fortgeschriebenen Energiekonzepts?
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13366 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975
Grüner, Parl Staatssekretär: Die auf der Ministerkonferenz der OPEC am 26. September 1975 beschlossene Preisanhebung für Rohöl ab 1. Oktober 1975 ist mit 10 % sehr hoch ausgefallen. Dies bedeutet, wenn sie tatsächlich in dieser Höhe verwirklicht wird, eine Verteuerung des Rohöls um zirka 20 DM pro Tonne. Die OPEC-Staaten errechnen die damit verbundenen Mehreinnahmen auf jährlich 10 Milliarden Dollar. Für die Bundesrepublik ergeben sich zusätzliche Belastungen der Zahlungsbilanz in einer Größenordnung von 3 Milliarden DM jährlich.Ob und in welchem Umfange eine Uberwälzung der höheren Rohölkosten auf die Produktenpreise erfolgen wird, hängt wesentlich von der Wettbewerbssituation auf den einzelnen Produktenmärkten ab. Angesichts der insgesamt unbefriedigenden Ertragslage der Raffineriegesellschaften wird allerdings davon auszugehen sein, daß die Gesellschaften versuchen werden, die zusätzlichen Kosten an die Verbraucher weiterzugeben.Auch dieser jüngste OPEC-Beschluß bestätigt die Bundesregierung in der Zielsetzung der Fortschreibung des Energieprogramms: Zurückdrängung des Mineralölanteils an der Energieversorgung, beschleunigte Entwicklung alternativer Energiequellen sowie verstärkte Energieeinsparung bleiben weiterhin vorrangige Ziele unserer Energiepolitik. Auf der anderen Seite unterstreicht die jetzige Preisanhebung nochmals die in der Fortschreibung enthaltene These, daß die vor uns liegenden energiepolitischen Aufgaben auch einen fairen Interessenausgleich mit den Ölförderländern erfordern. In diesem Sinne hat sich die Bundesregierung an den Vorbereitungen des Dialogs mit den Förderländern aktiv beteiligt.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Wolfram.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist zu befürchten, daß parallel zur Ölpreissteigerung auch die Preise für andere Energien, z. B. Erdgas, steigen werden, und können Sie uns sagen, mit welcher Auswirkung durch die Ölpreissteigerung auf den Preisindex für die Lebenshaltungskosten Sie rechnen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich kann darüber keine Aussagen machen. Da eine gewisse Bindung anderer Energiepreise an den Ölpreis besteht, sind hier Auswirkungen nicht auszuschließen. Ich habe aber in meiner Antwort auf die Frage nach der Ölpreiserhöhung schon deutlich gemacht, daß hier sehr sorgfältig beobachtet werden muß, welche Wirkungen sich tatsächlich am Markt ergeben werden.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Wolfram.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wird die Bundesregierung im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften und auf der jetzt in Vorbereitung befindlichen Energiekonferenz alles tun, um weitere Olpreisexplosionen möglichst zu verhindern?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das ist das Ziel unserer Verhandlungen auf allen Ebenen.
Eine weitere Zusatzfrage, der Abgeordnete Wolfram.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist die Bundesregierung durch die erneuten Ölpreissteigerungen, aber auch durch die Aussagen des saudiarabischen Olministers Jamani am 14. Oktober vor der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Erkenntnis bestärkt worden, das alternative Energien, insbesondere die heimische Kohle, gefordert werden sollten.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das ist das Ziel unseres Energieprogramms.
Letzte Zusatzfrage, der Abgeordnete Wolfram.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung, nicht zuletzt mit Blick auf wachsende Kohlehalden, ihren ganzen Einfluß geltend machen, damit Öl stärker substituiert wird, z. B. im Kraftwerksbereich?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Auch das ist ein wichtiger Punkt unseres fortgeschriebenen Energieprogramms.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Kiechle.
Herr Staatssekretär, können Sie, da Sie soeben zweimal sagten, die Förderung der Kohle sei das Ziel, mir mitteilen, wie weit Sie bei dieser Zielansprache seit dem Zeitpunkt, als die Misere der Energiepreiserhöhungen einsetzte, schon gekommen sind?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es sind hierzu eine Reihe von Gesetzen verabschiedet worden, z. B. das Verstromungsgesetz, das den erhöhten Kohleeinsatz in der Wirtschaft fördert. Das hat auch zu einem entsprechenden Absatz an Kohle geführt, der allerdings im Augenblick von der konjunkturellen Wirkung des Rückgangs der Nachfrage nach Energie sehr stark überlagert ist.
Keine Zusatzfragen.Ich rufe die Frage 34 des Abgeordneten Dr. Jahn auf. — Der Fragesteller ist nicht anwesend. Sie wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Das gleiche gilt für die Frage 35 des Abgeordneten Dr. Jahn.Ich rufe die Frage 36 des Abgeordneten Wende auf. — Ist der Fragesteller anwesend? — Das ist nicht der Fall. Sie wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 37 des Abgeordneten Dr. Kunz auf. — Sie wird auf Wunsch des Frage-
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Vizepräsident von Hasselstellers schriftlich beantwortet, ebenfalls die Frage 38 des Abgeordneten Schmidhuber. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 39 der Abgeordneten Frau von Bothmer auf:Wird die Bundesregierung einen Antrag der Kraftwerk-Union auf Ausfuhrgenehmigung für ein Kernkraftwerk nach Südafrika positiv oder negativ bescheiden, und welche Gründe werden für ihre Entscheidung ausschlaggebend sein?Die Fragestellerin ist anwesend. Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatssekretär!Grüner, Pari. Staatssekretär: Frau Kollegin, die KWU nimmt an einer internationalen Ausschreibung teil, bei der auch Unternehmen der Vereinigten Staaten, Frankreichs, der Schweiz und Japans ihre Angebote abgegeben haben. Gegenstand dieser Ausschreibung ist die Lieferung eines normalen mit Kernkraft betriebenen Elektrizitätswerks. Dieser Kraftwerkstyp ist ein Ergebnis des technischen Fortschritts. Er wird in Zukunft weltweit immer stärker an die Stelle der bisher üblichen Kohle- und 01kraftwerke treten. Zur Zeit arbeiten 117 Kernkraftwerke in 15 Ländern.Ein Antrag der KWU auf die nach dem Außenwirtschaftsgesetz erforderliche Ausfuhrgenehmigung liegt den Genehmigungsbehörden zur Zeit noch nicht vor. Die Entscheidung wird von einer Reihe von Umständen abhängen, die bei Exportgeschäften dieser Art stets zu berücksichtigen sind. Nicht zuletzt werden hier auch international abgestimmte Lieferbedingungen, die in Erfüllung des Nichtverbreitungsvertrages aufgestellt worden sind, eine Rolle spielen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete von Bothmer.
Wird die Bundesregierung bei ihrer Entscheidung ihre außenpolitischen Leitsätze strengstens beachten und sich der Tatsache bewußt werden, daß man zwar verbal Politik und Handel trennen kann, daß aber Handel und Wirtschaftsbeziehungen unmißverständlich Politik machen können und daß das in Südafrika der Fall ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung wird bei der Prüfung eines entsprechenden Antrages, der noch nicht vorliegt, wie ich ausgeführt habe, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik im Auge haben und bei der Entscheidung über einen solchen Antrag prüfen, ob etwa die auswärtigen Beziehungen durch die Genehmigung einer solchen Antrages gestört werden. Ich möchte der Entscheidung der Bundesregierung allerdings hier in keiner Weise vorgreifen, auch nicht durch Bestätigung oder Ablehnung der in Ihrer Frage liegenden Wertung.
Eine zweite Zusatzfrage der Abgeordneten Frau von Bothmer.
Ich möchte dann, ohne daß es zu einer Wertung kommen muß, die Frage aufwerfen, ob die Bundesregierung eventuell darüber nachdenkt, daß die südafrikanische Regierung in wenigen Jahren eine schwarze sein könnte.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, alle denkbaren außenpolitischen Überlegungen werden bei unserer Entscheidung eine Rolle spielen. Lassen Sie mich aber doch hinzufügen, daß in jedem Falle ein Kraftwerk nach Südafrika geliefert werden wird, auch wenn der Auftrag nicht an die deutsche Industrie vergeben werden sollte. Ich habe hier ja dargestellt, wie viele Bewerber sich im Augenblick in Südafrika um die Lieferung dieses Kraftwerks bemühen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung die Frage einer Bundesbürgschaft und die Frage der Ausfuhrgenehmigung im Zusammenhang behandeln, nicht aber das eine ohne das andere?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Diese beiden Fragen sind untrennbar miteinander verbunden. Deshalb werden sie auch im Zusammenhang behandelt werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Müller .
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß sich in einem ähnlichen Fall — nämlich im Falle des Baus eines Kraftwerks in Mozambique, wo ja ein Regierungswechsel stattgefunden hat — inzwischen herausgestellt hat, daß der Bau — ganz gleich, um welche Regierung es sich handelt — für das Volk auf jeden Fall nützlich war?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich bin der Meinung, daß es für jede Regierung und das. Volk jedes Landes nützlich ist, wenn eine Infrastrukturmaßnahme von solcher Bedeutung in Arbeit ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Böhme .
Herr Staatssekretär, steht zu erwarten, daß im Falle der Lieferung des Kernkraftwerkes nach Südafrika der Export — ähnlich wie im Falle Brasilien — mit der Lieferung von Natururan in die Bundesrepublik gekoppelt ist, und sieht die Bundesregierung in der Tatsache, daß Brasilien und Südafrika dann die Hauptlieferanten von Natururan sein werden, nicht in der Weise eine Gefährdung, daß wir uns von diesen beiden Ländern abhängig machen?Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen, daß es sich hier um die Lieferung eines normalen, mit Kernkraft betriebe-
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Parl. Staatssekretär Grünernen Elektrizitätswerks handelt, so daß deshalb auch der Vergleich mit Brasilien hier nicht angezogen werden kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kiechle.
Herr Staatssekretär, da Sie hier ausdrücklich festgestellt haben, es liege noch kein Antrag vor, frage ich Sie, ob es Voranfragen oder Sondierungen der betroffenen Firma gegeben hat und ob diese schon beschieden worden sind.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es besteht in dieser Frage ein Kontakt mit den zuständigen Behörden. Es hat auch einen Antrag gegeben, der zurückgezogen worden ist. Wir erwarten, daß dieser Exportantrag in differenzierter Form wieder vorgelegt wird. Es liegt darüber hinaus — das ist in der Öffentlichkeit ja auch schon mehrfach betont worden — ein Antrag auf Hermes-Deckung vor. Dieser Antrag ist von dem — noch nicht vorliegenden — Antrag auf Exportgenehmigung zu unterscheiden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gerster.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, dem Kollegen Böhme zu verdeutlichen, daß wir hinsichtlich der Uranlieferungen natürlich an die Länder gebunden sind, die Uranvorkommen haben, und daß andere Staaten — wie etwa der Vatikanstaat, Andorra oder Liechtenstein — ausscheiden, wenn es um die Lieferung von Uran geht?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich sehe in diesem Hinweis keine Veranlassung zu einer Reaktion meinerseits.
Außerdem hat diese Zusatzfrage mit der Grundfrage betreffend Südafrika nichts zu tun. — Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 40 des Herrn Abgeordneten Marschall auf:
Vertritt die Bundesregierung die Auffassung, daß es in unserer Wirtschaftsordnung keinerlei Formen der Investitionslenkung gibt oder daß in einzelnen Wirtschaftsbereichen differenzierte Beeinflussungsmöglichkeiten des Staates vorhanden sind?
Bitte schön, zur Beantwortung, Herr Staatssekretär!
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß es keinerlei Formen der staatlichen Investitionsbeeinflussung gibt. Diese Formen sind jedoch nicht mit der derzeit in der öffentlichen Diskussion stehenden Investitionslenkung zu verwechseln. So hat der Bundesminister für Wirtschaft mehrfach und unmißverständlich dargestellt, daß die Investitionen grundsätzlich durch 'den Markt gelenkt werden sowie durch staatliche Vorhaben im Bereich der Ordnungs-, Konjunktur-und Strukturpolitik mittelbar beeinflußt werden.
Selbstverständlich gibt es differenzierte Beeinflussungsmöglichkeiten in bestimmten Wirtschaftsbereichen durch den Staat, so z. B. in der Energiewirtschaft. Ein aktuelles Beispiel ist auch das am 28. August 1975 vom Bundeskabinett verabschiedete Programm zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Marschall.
Herr Staatssekretär, ist es mit Ihrer Darstellung zu vereinbaren, daß ein Angehöriger Ihres Hauses undifferenziert die Auffassung vertritt, die Investitionslenkung führe zur Lahmlegung der Wirtschaft, und — an anderem Ort — daß man die Finger von allen Formen der Investitionslenkung lassen. solle?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich weiß nicht, auf welche Äußerung Sie sich beziehen. Wenn aber mit „Investitionslenkung" — dieser Begriff wird in vielfältiger Weise gebraucht — eine diskretionäre Investitionslenkung gemeint ist, würde ich eine solche Auffassung, wie Sie sie hier zitieren, teilen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Müller .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, würden Sie die zwar vereinfachende, aber doch treffende Darstellung des Herrn Bundesfinanzministers mit der Formulierung „Laßt doch diesen Quatsch!" als die allgemeine Meinung der Bundesregierung betrachten?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Es steht mir nicht zu, eine so plastische Formulierung zur Meinung der Bundesregierung zu erklären.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Prof. Dr. Schachtschabel.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß im Rahmen der Globalsteuerung, begründet durch das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz, eine weitgehend unverbindliche, aber immerhin gegebene Investitionslenkung eingeschlossen ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe versucht, das mit der staatlichen Investitionsbeeinflussung zu umschreiben. Ich glaube, daß wir in der Sache völlig übereinstimmen. Ich habe auch das Beispiel der Energiewirtschaft genannt. Es gibt eine Fülle von staatlichen Investitionsbeeinflussungen im Rahmen unserer marktwirtschaftlichen Globalsteuerung, die wir ja kennen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Narjes.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975 13369
Herr Staatssekretär, können Sie mir darin zustimmen, daß die öffentliche Diskussion durch eine bewußte Verwischung und Vernebelung zweier grundverschiedener Tatbestände verwirrt wird, nämlich einmal der globalen Beeinflussung bei Investitionsentscheidungen und zum anderen der Einwirkungen in irgendeiner, auch wettbewerbswürdigen Form von einzelnen Investitionsentscheidungen der Unternehmen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin der Meinung, daß die Diskussion außerordentlich kontrovers und vernebelnd geführt wird. Ich kann nicht beurteilen, inwieweit bei den verschiedenen Beteiligten dabei Absicht im Spiele ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lenders.
Herr Staatssekretär, nach dieser Frage möchte ich Sie fragen, ob Sie die Entscheidung eines Verwaltungsgerichts, der Firma STEAG zu untersagen, ein Kraftwerk zu bauen, als eine Maßnahme der globalen Steuerung oder als eine Maßnahme der Investitionslenkung betrachten.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Weder/noch, Herr Kollege, sondern hier wird ein Gesetz, das wir erlassen haben, mit den entsprechenden Konsequenzen durch ein Gericht angewandt, wobei die Frage, ob diese Entscheidung bestehenbleibt, bis zum Abschluß des Rechtszuges ja noch offenbleibt.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Marschall.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht gerade angesichts der vorletzten Zusatzfrage der Auffassung, daß ihr Bemühen, den in der Fachdiskussion üblichen Ausdruck „Investitionslenkung" zu vermeiden, einen verwirrenden Effekt gerade auf die öffentliche Diskussion haben könnte?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin nicht dieser Meinung. Ich habe diesen Begriff „Investitionslenkung" bewußt vermieden, weil er politisch ausdeutbar geworden ist. Ich habe klargemacht, was wir unter globaler Beeinflussung in unserer marktwirtschaftlichen Ordnung für richtig halten. Ich habe das mit dem Ausdruck „Investitionsbeeinflussung" umschrieben.
Noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kiechle.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß diejenigen, die mit dem Wort „Investitionslenkung" gleichzeitig „Verstaatlichung" , „Sozialisierung", „Meldeämter", „Bürokratie" und ähnliches in ganz konkreten Anträgen verbinden, inzwischen durchaus für eine Klarstellung des Begriffs gesorgt haben?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Soweit mit diesem Begriff solche Vorstellungen verbunden sind, bin ich der Meinung, daß das in der öffentlichen Diskussion klargeworden ist. Ich bin aber ebenfallls der Meinung, daß keine relevanten politischen Kräfte in der Bundesrepublik diese von Ihnen genannten Ziele verfolgen.
Wir haben jetzt genügend Zusatzfragen zugelassen. Sie können unter Umständen gleich bei der nächsten Frage weitere entsprechende Zusatzfragen stellen.
Ich rufe die Frage 41 des Herrn Abgeordneten Marschall auf:
Welche Möglichkeit sieht die Bundesregierung, zu einer Versachlichung der offentlichen Diskussion über Formen der Investitionslenkung beizutragen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat zur Versachlichung der Diskussion durch eindeutige Stellungnahmen des Bundeskanzlers, des Bundesministers für Wirtschaft sowie des Bundesministers der Finanzen beigetragen. Die Bundesregierung hat dabei keinen Zweifel gelassen, daß sie einer diskretionären Investitionslenkung durch den Staat, durch Kartelle oder durch irgendwelche kollektiven Gremien eine klare Absage erteilt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Marschall.
Ist die Bundesregierung bereit, durch eine Zusammenstellung vorhandener investitionslenkender Maßnahmen im Rahmen der Strukturpolitik und anderer Bereiche zur Versachlichung der öffentlichen Diskussion beizutragen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Dieses Instrumentarium ist allgemein bekannt, so daß zu einer besonderen Zusammenstellung aus der Sicht der Bundesregierung keine Veranlassung besteht.
Keine weiteren Zusatzfragen? — Dann rufe ich die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Wie steht die Bundesregierung zu Äußerungen des Agrarkommissars Lardinois, die Bundesrepublik Deutschland sei der eigentliche Gewinner der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gewesen, denn ein wesentlidier Teil des Bruttosozialproduktes von ca. 1 Billion DM sei durch die EWG bedingt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung, Herr Kollege Eigen, vertritt die Auffassung, .daß ,die Aussage des Agrarkommissars Lardinois, falls sie so gemacht sein sollte, in dieser Form nicht nachweisbar ist. Alle Mitgliedstaaten haben aus der Integration innerhalb der Europäischen Gemeinschaft Vorteile ziehen können. Sie lassen sich allerdings nicht einmal der Größenordnung nach sicher quantifizieren.
13370 Deutscher Bundestag —17. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober, 1975
Parl. Staatssekretär Grüner
Wenn die Bundesrepublik Deutschland überdurchschnittliche Vorteile aus der EG gezogen haben sollte, so wären dafür ihre günstige Industriestruktur, die liberale Handelspolitik und die marktwirtschaftliche Wirtschaftsverfassung maßgeblich.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Eigen.
Damit, Herr Staatssekretär, sagen Sie aber doch selbst, daß die Bundesrepublik Deutschland große Vorteile gehabt habe. Wie vereinbart sich denn damit das hektische Bemühen der Bundesregierung in bezug auf die Einsparung von Mitteln für die Europäische Gemeinschaft, die ja dann auch vorwiegend anderen Ländern zugute kommen können?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich habe betont, daß sich die Vorteile nicht zugunsten einzelner Länder quantifizieren lassen und daß ich deshalb zurückhaltend bin in der Beurteilung der Äußerungen von Kommissar Lardinois, die ich im übrigen nicht kenne. Diese Beurteilung der günstigen Entwicklung der EG insgesamt, die allen Staaten zugute gekommen ist, hat überhaupt nichts mit dem Bemühen der Bundesregierung zu tun, die Verwaltungen der Europäischen Gemeinschaft so sparsam wie möglich zu gestalten.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Eigen.
Hat es eine Möglichkeit für Sie gegeben, auf Grund der Statistik des Exports und des Imports der Bundesrepublik Deutschland in Länder wie Frankreich und die Niederlande im Vergleich zu Drittländern klarzustellen, in welcher Weise besonders die Bundesrepublik Deutschland Nutzen aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gehabt hat?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist leider nicht möglich. Auch die Kommission hat dafür bisher keine plausiblen Zahlen vorlegen können, weil hier eine monokausale Zurechnung eben nicht denkbar ist. Man kann nur allgemein feststellen, daß die Integration der Volkswirtschaften allen Ländern zugute gekommen ist. Es besteht eine Vermutung dafür, daß die Bundesrepublik mit ihrer günstigen Wirtschaftsstruktur, mit ihrer liberalen Handelspolitik und mit ihrer marktwirtschaftlichen Verfassung 'aus dieser Integration besondere Vorteile gezogen hat. Dafür besteht eine Vermutung, aber es läßt sich nicht im Sinne der von Ihnen erwähnten Äußerung von Kommissar Lardinois quantifizieren. Daraus resultiert auch meine Zurückhaltung in der Beantwortung dieser Frage.
Keine weiteren Zusatzfragen mehr? — Dann sind wir am Ende Ihres Geschäftsbereiches angelangt. Ich danke Ihnen für die Beantwortung.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Wir kommen zunächst zur Frage 43 des Herrn Abgeordneten Dr. Dübber. Diese Frage wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 44 des Herrn Abgeordneten Dr. Haenschke auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung einen Vorschlag des Marburger Bunds, durch Einfuhrung von Gebührenzuschlägen bzw. -abschlägen der ärztlichen Unterversorgung in bestimmten Gebieten entgegenzuwirken?
Der Fragesteller ist anwesend: Zur Beantwortung, bitte Herr Parlamentarischer Staatssekretär Buschfort.
Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß Sie mit Ihrer Frage den Bereich der kassenärztlichen Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ansprechen wollen. Für die Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung tragen die Kassenärztlichen Vereinigungen in den einzelnen Ländern die Verantwortung. Das geltende Recht läßt zu, daß sie in bestimmtem Umfang auch finanzielle Anreize für eine Niederlassung von Ärzten in nicht ausreichend versorgten Gebieten schaffen können. Dies geschieht bereits. Im Interesse einer Verstärkung solcher Bemühungen hat die Bundesregierung in ihrem dem Deutschen Bundestag vorliegenden Entwurf zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts gerade auch zur Konkretisierung einer solchen Verflechtung Vorschläge gemacht.
Die Möglichkeit, auch über die Vergütung des Kassenarztes auf die Versorgung Einfluß zu nehmen, haben die Selbstverwaltungen der Kassenärztlichen Vereinigungen in eigener Verantwortung zu prüfen. Soweit ersichtlich, sind auch in dieser Richtung Überlegungen angestellt worden. So hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung im vergangenen Jahr an die Kassenärztlichen Vereinigungen Empfehlungen gerichtet. Darin wurde u. a. die Möglichkeit der Gewährung von Sicherstellungszulagen für vordringlich zu besetzende Arztpraxen über die Dauer von mehreren Jahren oder erhöhte Wegegelder für Landarztpraxen vorgeschlagen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Haenschke.
Herr Staatssekretär, da der Gesetzentwurf zur Reform des Kassenarztrechts ja schon die Feststellung des Versorgungsgrades der einzelnen Gebiete vorschreibt, frage ich: Wäre nicht daran zu denken, daß hier über die Gebührenordnung leicht ein zusätzliches Lenkungsinstrument zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung, besonders in ländlichen Gebieten, zur Verfügung stünde?Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich befürchte, wenn das Problem über eine Gebührenerhöhung geregelt würde, könnten weitere Mehrbelastungen auf die Versichertengemeinschaft zukommen. Allerdings besteht jetzt schon die Möglichkeit, im Rahmen des geltenden Rechts unterschiedliche
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975 13371
Parl. Staatssekretär BuschfortSätze für bestimmte ärztliche Tätigkeiten, insbesondere im Hinblick auf den Versorgungsgrad im ländlichen Raum, zu handhaben.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Haenschke.
In dem hier angesprochenen Vorschlag des Marburger Bundes ist im besonderen darauf hingewiesen worden, daß man in überversorgten Gebieten Gebührenabschläge vornehmen könne. Insofern könnte ich Ihre Meinung nicht teilen, daß die Kassen dadurch stärker belastet werden könnten. Sehen auch Sie das so?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich sehe das so. Aber den Kassenärztlichen Vereinigungen ist schon jetzt freigestellt, im rechtlich zulässigen Rahmen eine andere Honorarregelung zu finden.
Keine Zusatzfrage mehr.
Ich rufe die Frage 45 des Abgeordneten Dr. Kempfler auf:
Ist die Behauptung des Informationsdienstes des Bayerischen Bauindustrieverbands richtig, daß Baufirmen vom Arbeitsamt den Bescheid erhalten, deutsche Bauarbeiter stünden — auch im Rahmen des überbezirklichen Vermittlungsausgleichs — nicht zur Verfügung und daß gleichzeitig die Arbeitserlaubnis fur ausländische Bauarbeiter unter Hinweis auf Zuzugsperren verweigert wird?
Bitte schön, zur Beantwortung der Herr Staatssekretär!
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Wenn es gestattet ist, würde ich die Fragen 45 und 46 gern gemeinsam beantworten.
Einverstanden. Ich rufe auch die Frage 46 des Abgeordneten Dr. Kempfler auf:
Was gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls gegen solche Mißstände zu unternehmen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Nach Mitteilung der Bundesanstalt für Arbeit kann die Vermittlung deutscher Baufacharbeiter in bestimmten Ballungszentren, z. B. München und Stuttgart, auch nach Einschaltung des überbezirklichen Vermittlungsausgleichs im Einzelfall schwierig sein. Dies gilt jedoch nicht schlechthin für Bauarbeiter. Hier standen Ende September dieses Jahres rund 69 000 Arbeitslosen nur 27 000 offene Stellen gegenüber. Es ist weiter zutreffend, daß für eine Arbeitsaufnahme in bestimmten überlasteten Gebieten Arbeitserlaubnisse an ausländische Arbeitnehmer grundsätzlich nicht erteilt werden. Dies beruht auf einer BundLänder-Absprache mit Wirkung vom 1. April dieses Jahres und soll den weiteren Zuzug ausländischer Arbeitnehmer in solche Siedlungsgebiete begrenzen, um die bereits stark beanspruchte soziale Infrastruktur nicht zu überfordern.
Zu Ihrer zweiten Frage möchte ich folgendes bemerken. Unter den gegebenen Umständen kommt es zur Deckung der Arbeitskräftenachfrage auch in der Bauwirtschaft darauf an, alle Vermittlungsmöglichkeiten der Bundesanstalt durch Intensivierung des überbezirklichen Vermittlungsausgleichs und den Einsatz der Vermittlungshilfen nach dem Arbeitsförderungsgesetz — u. .a. Gewährung von Reisekosten, Arbeitsausrüstung, Trennungsbeihilfen — auszuschöpfen.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf hinweisen, daß arbeitslose Leistungsempfänger ein zumutbares Arbeitsangebot nur aus wichtigem Grund ablehnen können. Andernfalls tritt für den Bezug der Leistungen eine Sperrzeit ein. Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur sieht zudem eine Konkretisierung des Begriffs der Zumutbarkeit vor.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Kempfler,
Herr Staatssekretär, versprechen Sie sich also von diesem Gesetz eine weitere Minderung eventuell vorhandener Mißstände?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Es ist auch Sinn und Zweck dieser vorgeschlagenen Gesetzesänderung, daß es künftig besser möglich ist, offene Arbeitsstellen zu besetzen.
- Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Kempfler.
Herr Staatssekretär, würden Sie diesem Problem auch sonst ein besonderes Augenmerk widmen, eventuell durch präventive Maßnahmen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, bereits in der Vergangenheit wurde mit gezielten Maßnahmen in bestimmten Bereichen das von Ihnen genannte Problem angegangen. Das wird auch künftig eine Aufgabe bleiben.
Keine Zusatzfrage mehr.
Ich rufe die Frage 47 des Abgeordneten Stahl auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, wie groß die Zahl der Firmen ist, die über die im Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vorgeschriebene Dreimonatsfrist, vom 31. Mai 1975, nach § 11 des Gesetzes die Meldung unterlassen haben, und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für beide Parteien — Arbeitgeber und Arbeitnehmer?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Wenn es gestattet ist, würde ich auch die Fragen 47 und 48 im Zusammenhang beantworten.
Keine Bedenken. Ich rufe auch die Frage 48 des Abgeordneten Stahl auf:Wird die Bundesregierung, und in welcher Form, darauf drängen, daß die Meldungen nach Maßgabe des Gesetzes nachgeholt werden, damit die Rechte der betroffenen Beschäftigten nicht geschmalert werden?
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13372 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Bisher haben über 35 000 Unternehmer die Meldepflicht nach § 11 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung erfüllt. Der Bundesregierung ist nicht bekannt, wie groß die Zahl der Unternehmen ist, die diese Meldung noch unterlassen haben. Das Ausmaß der bereits vorliegenden Meldungen läßt jedoch den Schluß zu, daß die Zahl derjenigen Unternehmen, die ihre Meldepflicht noch nicht erfüllt haben, nicht nennenswert ins Gewicht fällt.Arbeitgebern, die ihre gesetzliche Meldepflicht nicht erfüllen, droht nach § 12 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung eine Geldbuße bis zu 5 000 Deutsche Mark.Arbeitnehmer — damit möchte ich zugleich auf Ihre zweite Frage eingehen — haben durch die Verletzung der Meldepflicht durch den Arbeitgeber keine Nachteile zu befürchten. Sie erhalten im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers die Leistungen des Pensions- und Sicherungsvereins nach dem Gesetz auch dann, wenn der Arbeitgeber seine Meldung unterlassen hat. Aus diesem Grunde sind besondere Maßnahmen der Bundesregierung, die auf eine Erfüllung der Meldepflicht gerichtet sind, nicht erforderlich.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl .
Herr Staatssekretär, ist es aber nicht so, daß, wenn das Unternehmen dem Pensionsversicherungsverein keine Meldung gemacht hat, der Arbeitnehmer nach § 7 seine Ansprüche dann eventuell einklagen muß?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, hier wird es in der Regel so sein, daß die Meldung über den Eintritt der Insolvenz über den Konkursverwalter erfolgt. Ich lasse diese Frage gern prüfen und werde Ihnen dann eine Antwort zuleiten.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, die Praxis sieht in den Betrieben doch so aus, daß die Arbeitnehmer natürlich zu ihrer Vertretung, dem Betriebsrat, gehen und ihn um Hilfe bitten. Wenn das Gesetz hier keine klare Aussage darüber macht, daß diese Meldepflicht in jedem Fall erfüllt werden muß, ist natürlich der Betriebsrat in seinem Bestreben, die Arbeitnehmer zu vertreten und die Inanspruchnahme ihres Rechts zu ermöglichen, eingeschränkt.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dazu antworte ich Ihnen folgendes: Die betriebliche Altersversorgung ist eine Sozialeinrichtung; Sozialeinrichtungen des Betriebes zum Nutzen der Arbeitnehmer unterliegen der Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Wenn der Unternehmer seine Verpflichtungen nicht erfüllt, ist es meines Erachtens auch Aufgabe des Betriebsrates, auf Erfüllung zu dringen. Ich gehe davon aus, daß die Anmeldung dann im Rahmen der Mitbestimmung erreicht werden kann.
Eine letzte Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, Sie sagten eben, daß diese Pensionsrückstellungen der Mitbestimmung des Betriebsrates unterliegen. Dies ist aber in verschiedenen' Bereichen nach dem BVG nicht der Fall. Ich habe 1973 eine gleichartige Frage an Sie gestellt, und Sie haben mir das bestätigt. Ich meine, daß für die Unternehmen, wo die Rückstellungen nur in der Bilanz erscheinen, eine Mitsprache oder Mitbestimmung des Betriebsrats nicht immer gegeben ist.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie haben in bezug auf die Buchungsvorgänge natürlich recht. Der Gedanke ist aber insofern nicht richtig, als er sich auf die Mitbestimmung bei der Organisationsform von Sozialeinrichtungen, in diesem Fall der betrieblichen Altersversorgung, bezieht. Von daher unterliegt natürlich die Altersversorgung der Mitbestimmung. Aber unabhängig davon, ob nun diese Anmeldung vorgenommen wird oder nicht, ist es immer so, daß der Arbeitnehmer Anspruch auf Erfüllung seiner Forderungen durch den mittlerweile in Köln gegründeten PensionsSicherungs-Verein hat.
Eine letzte Zusatzfrage. Ich hatte schon etwas gekürzt. Die Fragestunde ist an sich abgelaufen. Ich wollte nur noch den Geschäftsbereich beenden. Wir haben noch zwei Fragen. Darf ich bitten, sich kurz zu fassen.
Herr Staatssekretär, würden Sie bitte dafür Sorge tragen, daß die Auslegung, die Sie eben vorgetragen haben, auch in der entsprechenden Form den Betriebsräten unseres Landes zugestellt wird, damit sie sich darauf einstellen können.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, daß es etwas schwierig wäre, diese Antworten nun allen Betriebsräten zuzustellen. Aber ich gehe davon aus, daß die großen gesellschaftlichen Organisationen — z. B. die Gewerkschaften — diese Antwort lesen werden und sie dann entsprechend weiterleiten.
Meine Damen und Herren, obwohl wir die Zeit überschritten haben, rufe ich noch zwei Fragen auf, damit wir den Geschäftsbereich beenden können. Ich bitte, damit einverstanden zu sein, daß ich dann die Zahl der Zusatzfragen auf das Minimum begrenze.Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Ziegler auf:Trifft die Meldung der „Welt" vom 4. Oktober 1975 zu, der Bundesminister fur Arbeit und Sozialordnung habe sich geweigert, die vom Bundesminister der Finanzen und vom Bundes-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975 13373
Vizepräsident von Hasselminister für Wirtschaft für den zum 31. Oktober 1975 vorzulegenden Rentenanpassungsbericht beigebrachten Grundannahmen zu akzeptieren, weil dann der Beitragssatz von 18 0/o spätestens 1978 erhöht werden müßte, und wie will die Bundesregierung gleichwohl ihrer gesetzlichen Pflicht nachkommen, die von ihr für wahrscheinlich gehaltenen Annahmen zu nennen und auf dieser Grundlage ihren Vorschlag für die Höhe des Beitragssatzes zu unterbreiten?Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung wird den Rentenanpassungsbericht 1976 termingerecht vorlegen. In diesem Bericht wird, wie bisher, ausführlich über die Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherungen berichtet werden. Die Annahmen und Methoden, die den neuen 15jährigen Vorausberechnungen zugrunde liegen, beruhen auf den Beratungsergebnissen des Abstimmungskreises für die Grundlagen der finanziellen Vorausberechnungen in den Rentenversicherungen der Arbeiter und Angestellten, der am 30. September 1975 in Bonn getagt hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ziegler.
Herr Staatssekretär, treffen Meldungen zu; daß unter den verschiedenen Annahmen, die die Bundesregierung ihren Modellrechnungen zugrunde gelegt hat, die Arbeitslosigkeit mit Zahlen von 1,5 0/o, 2 % und 2,5 % angesetzt wird, und wie stimmen diese Zahlen mit den Realitäten, mit den wirklichen Arbeitsmarktverhältnissen überein?
Buschfort, ,Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wie die Realitäten in einigen Jahren aussehen werden, wissen wir heute nicht. Da man nicht auf 15 Jahre voraussehen kann, wie sich z. B. die Arbeitslosigkeit entwickeln wird, wurden mehrere realistische Annahmekombinationen ausgearbeitet. Wir werden im Rentenanpassungsbericht zu einem Ergebnis kommen und sagen: Bitte, dies sind aus der Sicht der Bundesregierung innerhalb der statistisch abgrenzbaren Erfahrungswerte der Vergangenheit die wahrscheinlichen Annahmen. Die Einzelheiten werden dem Parlament in Kürze im Rentenanpassungsbericht vorgelegt.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ziegler.
Da ja die Abstimmung unter den verschiedenen Bundesressorts von ausschlaggebender Bedeutung ist, frage ich Sie: Wie erklären Sie sich dann, daß die Bundesanstalt für Arbeit im Gegensatz zu den Prozentzahlen an Arbeitslosigkeit, die bei der Rentenversicherung zugrunde gelegt worden sind, für ihren Haushalt 1976 von Arbeitslosenzahlen ausgeht, die bei 5 %, also bei einer tatsächlichen Arbeitslosigkeit von 1,1 Millionen im Jahresdurchschnitt, liegen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Ziegler, die Arbeitsverwaltung hat natürlich haushaltsplanmäßig vorauszuberechnen, was im nächsten Jahr geschieht. Bei der Réntengesetzgebung müssen wir auf 15 Jahre vorausberechnen. Sie wissen so gut wie ich — wenn wir einmal die Vergangenheit betrachten —, daß es unzulässig ist, die Arbeitslosenquote dieses Jahres mittelfristig oder gar langfristig hochzurechnen.
Ich rufe die Frage 50 des Abgeordneten Ziegler auf:
Welche Bedeutung kommt der Vorlage von vier, die jährliche beitragsgerechte Rentenanpassung nivellierenden, Modellen im Unterausschuß Rentenversicherung der sozialpolitischen Gesprächsrunde zu, und inwieweit stimmen solche Überlegungen mit der Zusage überein, die beitragsgerechte Rentenanpassung nicht abzubauen?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatssekretär.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung bekräftigt noch einmal den bereits in der Fragestunde am 17. September dieses Jahres vertretenen Standpunkt, daß sie am Prinzip der leistungsbezogenen Rente festhält. Demgemäß wird der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung dem Bundeskabinett vorschlagen, in dem Entwurf eines 19. Rentenanpassungsgesetzes zum 1. Juli des nächsten Jahres eine Erhöhung um 11 % vorzusehen.
Zu dieser Auffassung steht es nicht in Widerspruch, wenn im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung gemeinsam mit den relevanten Gruppen unserer Gesellschaft das System der gesetzlichen Rentenversicherung daraufhin überprüft wird, ob und inwieweit es verbessert werden kann, um etwaigen Ungerechtigkeiten und Fehlentwicklungen rechtzeitig entgegenzuwirken. Schon jetzt möchte ich aber betonen, daß eine Rentennivellierung für die Bundesregierung nicht in Betracht kommt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ziegler.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir überein, daß es, wenn, die Bundesregierung tatsächlich nicht die Absicht hat, gespaltene Anpassungssätze einzuführen, nach dem Motto „Wehret den Anfängen" zweckmäßig wäre, solche Überlegungen, wie sie hier angesprochen worden sind, überhaupt nicht anzustellen?Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen als Sozialexperte, daß wir aus der Vergangenheit noch einiges an sozialen Ungerechtigkeiten zu bewältigen haben. Ich denke nur einmal an die Benachteiligung der Frauen oder an die Frage der Benachteiligung bei Anordnung von Ausbildungszeiten. Es gibt also schon noch einiges zu tun, um unverschuldete Benachteiligungen zu beseitigen. Das wird bei der kommenden Rentenanpassung sicherlich nicht möglich sein. Aber daß wir fortwährend ein gewisses Augenmerk auf die Benachteiligungen richten müssen, wird von uns allen anerkannt. Wir haben in der Vergangenheit durch strukturelle Veränderungen auch immer wieder korrigiert, was uns als ungerecht erschien. Ich glaube, es ist richtig, wenn ich sage: So sollte es auch zukünftig bleiben.Daß man dabei natürlich zu unterschiedlichen Überlegungen kommen kann, zeigt schon die derzeitige Diskussion. Aber wichtig erscheint mir, noch
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13374 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 192. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Oktober 1975
Parl. Staatssekretär Buschforteinmal zu unterstreichen, daß die Bundesregierung eine Rentennivellierung nicht beabsichtigt und daß auch zukünftig Beitragshöhe und Beitragszeit aus- schlaggebend sein sollen für die zu erwartende Rente.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe noch die Fragen 51 und 52 des Abgeordneten Dr. Wittmann auf. Die Fragen werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen (C) abgedruckt. .
Wir sind — mit Überschreitung der Zeit um fünf Minuten — am Ende der Fragestunde angelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 16. Oktober 1975, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.