Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der FDP schlägt für die aus der Beratenden Versammlung des Europarates ausscheidende Abgeordnete Frau Schuchardt den Abgeordneten Dr. Vohrer als Vertreter vor, der bisher stellvertretendes Mitglied war. Als Stellvertreter wird an Stelle des Abgeordneten Vohrer der Abgeordnete Opitz vorgeschlagen. Erhebt sich kein Widerspruch? — Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Haushaltsausschusses zu dem Programm zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen
— Drucksachen 7/4013, 7/4044 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. von Bülow
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Bülow.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat ein Konjunkturprogramm zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen gemäß § 6 des Stabilitätsgesetzes vorgelegt. Die Debatte über dieses Programm gehört zu dem großen Themenbereich Wirtschaft und Finanzen, der uns nicht nur in der letzten Woche beschäftigt hat, sondern der uns auch in den nächsten Wochen und Monaten, mindestens bis zur Verabschiedung des Haushalts 1976 beschäftigen wird.In der letzten Woche hat eine Fülle von verschiedenen Programmpunkten der Regierung im Mittelpunkt der Diskussion gestanden. Im wesentlichen ging es um die Analyse der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzsituation. Es bleibt aus dieser Debatte festzuhalten, daß im Augenblick ein Auftragsvolumen aus dem Ausland in Höhe von 40 Milliarden DM nicht in die Wirtschaft der Bundesrepublik fließt und daß sich diese 40 Milliarden DM Minderaufträge nicht nur in der Beschäftigungssituation, sondern auch in der Finanzsituation derBundesanstalt für Arbeit bis hin zu der Situation bei den Steuereingängen niederschlagen müssen. Natürlich ist die schwierige konjunkturelle Situation nicht nur auf das geringere Auftragsvolumen aus dem Ausland zurückzuführen, sondern sie erstreckt sich auch auf den inländischen Bereich, vornehmlich die Bauwirtschaft. Das vorliegende Programm soll gezielt der Bauwirtschaft helfen.In dieser Woche stehen die Handlungen auf Grund dieser Analyse im Vordergrund. Es hat im westlichen Lager eine weltweite Abstimmung der Konjunkturpolitiken gegeben. Dies ist vorausgelaufen. Es hat mehrere Konjunkturprogramme der Bundesregierung gegeben. Dies ist ein neues, gezieltes Programm für Bauinvestitionen. Ein weiterer Punkt der Handlungen von seiten der Regierung ist der Nachtragshaushalt, der morgen hier im Plenum zur Debatte stehen wird.Die Opposition hat eine kleine Änderung ihrer Analyse der Situation vorgenommen, indem sie nicht mehr behauptet, alle Schwierigkeiten seien allein hausgemacht, sondern in der letzten Woche hat sie zumindest zugegeben, daß einiges vom Ausland mitverursacht sei. Wer die Haltung und die Ausdrucksweise der Opposition über die Jahre verfolgt hat, wird daraus schließen können, daß dies praktisch ein Einschwenken auf die Analyse des Bundeskanzlers darstellt.
So schön dieses leichte Einschwenken und das Nachholen von Erkenntnissen ist, so bedauerlich ist es, daß die Opposition in dieser Situation offensichtlich nach wie vor handlungsunfähig bleibt. Das gilt nicht nur für die Haushalts- und Spardiskussion, die in den letzten Wochen, ausgehend von dem Programm, das die Bundesregierung vorgelegt hat, in den Reihen der Opposition geführt worden ist. Wir werden morgen ein weiteres Beispiel bekommen, und das wird den Nachtragshaushalt betreffen. Wir werden ein Volumen von 15 Milliarden DM, bedingt durch Steuermindereinnahmen und durch zusätzliche Ausgaben für die Bundesanstalt für Arbeit, nachfinanzieren müssen.
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13124 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975
Dr. von BülowDie CDU/CSU wird dieses Programm, wenn die Haltung ihrer Gruppe im Haushaltsausschuß für die gesamte Opposition maßgebend werden sollte, ablehnen, weil sie fordert, daß diese 15 Milliarden DM im Haushalt 75 erspart werden sollen. Dies bedeutet für denjenigen, der Konjunktur- und Wirtschaftspolitik zu betreiben hat, eine völlig unmögliche Forderung; denn dies würde prozyklisch einen zusätzlichen Nachfrageausfall auch bei der öffentlichen Hand erzwingen, anstatt diese Nachfrage voll durchzuhalten. Ich kann mir vorstellen, daß im gesamten Lande die Antwort auf diese Forderung nach Einsparung von 15 Milliarden DM noch im Haushalt 1975 nur ein Kopfschütteln sein wird, ganz abgesehen davon — dies wird morgen zu behandeln sein — daß natürlich keinerlei Vorschläge kommen, wo gespart werden soll, weder für 1975 noch für 1976.Die Veto-Gruppen sind bereits formiert: Es darf bei der Verteidigung nicht eingegriffen werden, es darf bei der Entwicklungshilfe nicht eingegriffen werden, es dürfen keine Investitionen abgebaut werden, es darf bei der Landwirtschaft nicht gekürzt werden, es darf nach Möglichkeit auch bei den Beamten nicht gekürzt werden. Wenn das alles nicht gemacht werden darf, dann müssen nicht nur im Zusammenhang mit den 7 Milliarden DM Vorschläge auf den Tisch, sondern wir erwarten morgen auch, daß Sparvorschläge in Höhe von 15 Milliarden DM, noch auf den Haushalt 1975 bezogen, vorgelegt werden, wenn das Ganze nicht einen Aberwitz einer Haltung einer Opposition darstellen soll.
Die SPD-Fraktion begrüßt und unterstützt das neue Konjunkturprogramm der Bundesregierung. Es ist, wie schon gesagt, gezielt auf die Stärkung der Bauwirtschaft ausgerichtet, um darauf aufbauend generelle positive Beschäftigungsimpulse auszulösen. Das Programm hat sowohl konjunktur- als auch strukturpolitische Bedeutung. Wir erwarten, daß sein konjunkturpolitischer Effekt erheblich über die unmittelbar ausgewiesenen öffentlichen Mittel von 5,8 Milliarden DM hinausgeht. Sachverständige schätzen das Anstoßvolumen, das insgesamt erreicht wird, auf 10 bis 12 Milliarden DM.Dieses Programm nimmt Rücksicht auf die Finanzsituation der Gemeinden. Gleichzeitig wird die Kooperationsbereitschaft der Gemeinden bedeutsam für das Greifen des Gesamtprogramms sein.Die Bundesregierung hat beim Beschluß des Konjunkturprogramms und bei seiner Vorlage die Verzahnung der deutschen Wirtschaft mit der Weltwirtschaft und alle daraus erwachsenden Probleme deutlich gemacht. Der Bundestag hat in der letzten Woche diesen Komplex des Zusammenhangs von Binnenwirtschaft und Außenwirtschaft eingehend diskutieren können.Die Bundestagsdebatte der vorigen Woche hat die Unterschiede zwischen Koalition einerseits und Opposition andererseits deutlich gemacht. Im Gegensatz zu Ihnen von der Opposition sind wir derAuffassung, daß die Bundesregierung im Konjunkturverlauf zeitlich und sachlich richtig gehandelt hat. Ich erinnere nur daran, daß das erste Sonderprogramm vom Frühjahr 1974 Ausgaben in Höhe von 900 Millionen DM für Gebiete mit speziellen Strukturproblemen vorgesehen hatte. Es folgte noch im September 1974 das Programm zur regionalen und lokalen Abstützung der Beschäftigung mit ebenfalls ungefähr 950 Millionen DM, gefolgt von dem dritten Sonderprogramm vom Dezember 1974 mit 1,73 Milliarden DM. Es muß noch das hinzugerechnet werden, was über die Steuer- und Kindergeldreform an Nachfragepotential — leider kommt es im Augenblick bei der gegenwärtigen Sparquote nicht voll zum Tragen — in die Volkswirtschaft hineingegeben wurde.Hinzu kam — dies ist wiederum ein Beispiel für die geradezu schizophrene Haltung der Opposition —die Forderung aller Parteien dieses Hauses, sämtliche Investitionsmaßnahmen des Bundeshaushalts in die erste Jahreshälfte vorzuziehen. Dies ist geschehen; dann aber entfallen natürlich entsprechende Einsparungsmöglichkeiten in der zweiten Hälfte des Jahres.Für die Finanzierung der Konjunktursonderprogramme einschließlich des jetzt vorliegenden konnte auf die stillgelegten Mittel des Bundes und der Länder bei der Bundesbank zurückgegriffen werden. Dies ist ein Beispiel sehr vorsorgender Politik und das Gegenteil von dem Finanzchaos, das Sie hier im Plenum und draußen an die Wand malen.Die SPD hält den Vorwurf der Opposition, dieses Programm komme zu spät, für Effekthascherei; denn noch in der Bundesratssitzung vom 19. Juni haben die Wirtschaftsminister aller Länder, also auch die dort vorhandene Mehrheit der CDU/CSU-Wirtschaftsminister, beschlossen, daß erst nach einer gewissen Beobachtungspause und nach Vorliegen von aussagekräftigem Material zu entscheiden sei, ob neue konjunkturpolitischen Maßnahmen zu ergreifen seien. Dies war also die Aussage der Fachleute innerhalb der Opposition; die Leute, die in den Ländern die Verantwortung tragen und nicht nur reden, waren damals für Abwarten. Insofern kann man nicht heute, wenige Wochen später, schon wieder behaupten, das Konjunkturprogramm komme zu spät.Ich will kurz auf die Finanzierung eingehen. Die Finanzierungsmittel werden geteilt. Das Gesamtprogramm hat 5,7 Milliarden DM zum Umfang. Davon trägt der Bund mehr als die Hälfte, die Länder tragen 1,35 Milliarden DM und die Gemeinden 750 Millionen DM. Auch der Programmteil, der auf die Länder entfällt, wird — genauso wie der, der auf den Bund entfällt, mit Ausnahme einer Größenordnung von 600 Millionen DM — über die Rücklagen bei der Bundesbank finanziert.Nun einiges zum Inhalt. Der Inhalt dieses Konjunkturprogramms ist in der hitzigen Debatte der letzten Woche zu kurz gekommen; deshalb heute bei der abschließenden Beratung eine ausführlichere Darstellung.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975 13125
Dr. von BülowDas Programm untergliedert sich in Ausgaben für die kommunale Infrastruktur einschließlich Stadtsanierung in Höhe von 2,45 Milliarden DM, die Mittel für Wohnungsmodernisierung ein Programm, das sehr schnell abzulaufen scheint — in Höhe von 700 Millionen DM, die Zwischenfinanzierung von Bausparverträgen in Höhe von 300 Millionen DM, bundeseigene Investitionen in den verschiedenen Bereichen in Höhe von 1,2 Milliarden DM und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen durch die Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von 600 Millionen DM. Das macht zusammen 5,25 Milliarden DM. Dazu kommen noch Darlehen zur Erleichterung der Finanzierung kommunaler Investitionen und zur Verstärkung der ERP-Umweltschutzprogramme von zusammen 1 Milliarde DM, wovon 500 Millionen DM zur Finanzierung des kommunalen Eigenanteils verwendet werden. Das Gesamtprogramm kommt mit diesen 500 Millionen DM auf 5,75 Milliarden DM. Sie sehen, daß der Schwerpunkt dieses Konjunkturprogramms bei den Kommunen liegt, daß der Finanzsituation der Kommunen Rechnung getragen wird, indem der Anteil, den die Gemeinden aufzubringen haben, gering ist; er beträgt 10 bis 20 %.Nun zu den Programmteilen im einzelnen.Programmteil kommunale Infrastruktur: Von diesem Programmteil werden in besonders starkem Maße neben den konjunkturellen auch zahlreiche strukturpolitische Effekte im Sinne des Regierungsprogramms ausgehen. Für die Kommunen im ganzen Bundesgebiet einschließlich Berlin stehen Zuschüsse in Höhe von 1,2 Milliarden DM zur Verfügung, die bis zu 80 % — im Zonenrandgebiet erreicht dieser Prozentsatz 90 % — der Investitionskosten durch die Finanzierung Bund-Länder bereitgestellt werden. Zu dem Programm gehören Zuschüsse für Abwasserbeseitigung, Abwasserreinigung, Luftreinhaltungsanlagen, Müllverbrennungsanlagen, Müllverwertungsanlagen, die Erschließung von Industriegelände, die Erschließung von Einrichtungen des Fremdenverkehrs, Errichtung und Ausbau von berufsbildenden Schulen, Errichtung von Aus- und Fortbildungsstätten, kommunale Mineralölbevorratungsanlagen, Parkhäuser, Fußgängerzonen, Omnibusbahnhöfe, Straßenbau im kommunalen Bereich, Altersheime, Altenpflegeheime, Altentagesstätten, Kinderhorte. Ich will nicht die volle Palette dessen, was hier in Aussicht genommen ist, zitieren; die Aufzählung soll nur klarmachen, wie breit dieses Programm angelegt ist und wie schnell dadurch die Möglichkeit gegeben ist, dieses Geld tatsächlich in Umsätze und Aufträge für die Bauwirtschaft umzugießen. Es können Baumaßnahmen zugunsten alter Menschen, Kinder und Jugendlicher gefördert werden, wenn Träger der Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege angehören oder Kirchen oder sonstige Religionsgesellschaften sind.Es folgt ein Programm zur Stadtsanierung mit Mitteln in Höhe von 500 Millionen DM, das je zur Hälfte von Bund und Ländern finanziert wird und bei dem die Gemeinden einen Eigenanteil von 10 % im Zonenrandgebiet und von 20 °/o im übrigen Bundesgebiet zu erbringen haben.Schlagzeilen hat das Sonderprogramm Wohnungsmodernisierung gemacht. Im Gegensatz zu dem letzten Konjunkturprogramm ist man diesmal davon abgegangen, die Mittel von der Bürokratie verwalten zu lassen. Die Durchführung dieses Programms wird statt dessen über das Bankenwesen organisiert. Das hat zur Folge gehabt, daß schon heute mehr als die Hälfte der Länder signalisiert haben, daß dieses Programm überbelegt ist.
Mit insgesamt 700 Millionen DM wird die Instandsetzung und Modernisierung von rund 250 000 bis 300 000 Wohnungen gefördert. Begünstigt sind alle Wohnungen einschließlich Eigentumswohnungen und Einfamilienhäuser, die bis zum 31. Dezember 1960 bezugsfertig waren. Der einmalige Zuschuß wird z. B. für Modernisierungsmaßnahmen im Bereich der sanitären Einrichtung, der Beleuchtung, der Beheizung und des Wärme- und Schallschutzes gewährt. Der Zuschuß beträgt zwischen 15 und 30 °/o der Investitionskosten.Ein interessanter Hinweis für Sie von der Opposition: Dieses Programm widerlegt einmal mehr,daß es der SPD darum gehe, etwa Eigenheimbesitzer von ihrem Eigenheim zu trennen. Dieses Programm ist ganz im Gegenteil darauf angelegt, Eigenheime zu modernisieren, gezielte Hilfen in diesem Bereich zu geben. So wird das wohl auch von der Öffentlichkeit verstanden werden.Ein weiteres Programm soll Bauaufträge vorziehen, indem Zwischenfinanzierungsmöglichkeiten bei Bausparverträgen eingeräumt werden.
— Ich würde gern auf Zwischenrufe eingehen, aber sie müßten ein bißchen lauter sein. — Mit diesem Sonderprogramm in Höhe von 300 Millionen DM werden Zwischenfinanzierungshilfen für den Bau von steuerbegünstigten Ein- und Zweifamilienhäusern sowie für Eigentumswohnungen gegeben. Wir erreichen damit, daß kurzfristig realisierbare Baunachfrage vorgezogen werden kann. Die Zinsverbilligung beträgt 2,5 % und wird für die Zwischenfinanzierung von Bausparverträgen mit eingezahlter Mindestansparsumme bis zur Zuteilung, längstens für die Dauer von drei Jahren, gewährt.Nun kommt ein weiteres Programm: bundeseigene Investitionen. Das Bundesprogramm in Höhe von 1,2 Milliarden DM für bundeseigene Investitionen umfaßt zu zwei Dritteln Hochbaumaßnahmen; hier liegt der Schwerpunkt der Schwierigkeiten im Bereich der Bauwirtschaft. Der Rest geht in den Tiefbau. Es sind Baumaßnahmen beim Bundesgrenzschutz, in der zivilen Verteidigung, beim Gewässerschutz, beim Bundesprogramm zur Sanierung von Rhein und Bodensee vorgesehen. Es kommen Projekte einiger Bundesanstalten aus dem Bereich verschiedener Ministerien hinzu. Die Deutsche Bundesbahn wird einen Investitionszuschuß in Höhe von 365 Millionen DM erhalten. Weitere 195 Millionen DM fließen in den Wasserstraßenbau und in den Bundesfernstraßenbau. Im Verteidigungsbereich sind zusätzliche Aufträge in Höhe von 350 Mil-
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13126 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975
Dr. von Bülowlionen DM vorgesehen. Der Bereich Forschung und Technologie erhält 61 Millionen DM.
— Ich bin der Meinung, daß das in der Offentlichkeit viel zu stark untergegangen ist und daß es deshalb in Breite dargestellt werden muß
und daß es natürlich das Anliegen der Opposition sein muß, nach Möglichkeit nur in die Polemik auszuweichen, ohne irgendwelche Alternativvorschläge zu machen.
Hier liegt ein konkretes Programm vor, das in der Öffentlichkeit dargestellt werden muß. Das soll hier nachgeholt werden, nachdem es in der letzten Woche zu kurz gekommen ist.
Es kommt darauf an, daß die Auftragsvergabe, die auf Grund der Bereitstellung dieser Mittel möglich geworden ist, schnell erfolgt. Es ist vorgesehen, daß die Auftragsvergabe bis zum 31. Dezember 1975 durchgeführt werden muß und daß die Durchführung bei der Mehrzahl der Maßnahmen bis Ende 1976 abgeschlossen sein soll.Ich erwähne noch Mittel in Höhe von 600 Millionen DM für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die die Bundesanstalt für Arbeit bekommt, um in Zusammenarbeit mit den Kommunen und anderen Trägern Aufträge zur Erhaltung der Beschäftigung vergeben zu können. Diese Aufträge fließen ebenfalls weitgehend in die Bauwirtschaft.Die Bauwirtschaft ist einer der Kernbereiche der inländischen Nachfrageschwäche. Zur Jahresmitte 1975 hat sich die Nachfrage nach Bauten auf dem stark abgesunkenen Niveau zwar etwas stabilisiert, aber die weitere Entwicklung bleibt mit erheblichen Unsicherheiten belastet, und es besteht die Gefahr, daß es infolge des Fehlens von Anschlußaufträgen zu einem zu starken Kapazitätsabbau kommt, nachdem wir in den letzten Jahren einen ungeheuren Boom in der Bauwirtschaft hatten, der zu vielfältigen Fehlerscheinungen geführt hat.Das vorliegende Programm, das in der Bauwirtschaft kurzfristige Beschäftigungsrisiken vermindern soll, wird Impulse auch über den Baubereich hinaus auf andere Wirtschaftszweige geben. Es muß jetzt schnell in die Tat umgesetzt werden.Meine Damen und Herren, das Parlament hat dieses Programm in außergewöhnlicher Schnelle beraten und durch die Ausschüsse gebracht. Es wird jetzt an den Genehmigungsbehörden gerade im kommunalen Bereich liegen, daß die entsprechenden Baugenehmigungen so schnell wie möglich und unbürokratisch erteilt werden, damit die Aufträge noch vor Beginn der Winterphase zur Ausführung kommen können.Lassen Sie mich zum Schluß noch eine Bemerkung über die Mitwirkung des Parlaments machen. Wir sind uns, glaube ich, in allen Ausschüssen darüber einig, daß das Stabilitäts-und-Wachstums-Gesetz insofern geändert werden sollte, als die Beteiligungsmöglichkeit des Parlaments auszubauen ist. Es genügt völlig, wenn angesichts der Notwendigkeit, ein solches Konjunktur-Programm schnell durchzuziehen, eine Frist gesetzt wird, binnen deren sich das Parlament einschalten kann. Es ist aber nicht notwendig, daß in diesem Gesetz, wie damals, im Jahre 1967, geschehen, bestimmt wird, daß dieses Parlament nur ja oder nein sagen oder Kürzungen, aber keine Änderungen anbringen kann. Ich glaube also, es würde ausreichen, wenn man in Zukunft das Stabilitäts-und-Wachstums-Gesetz so fassen würde, daß ein Fristablauf eine schnelle Verabschiedung in diesem Hause erzwingt. Aber es ist keineswegs notwendig, die Mitwirkung des Parlaments so zu beschneiden, wie es dort geschehen ist.Die Bundestagsfraktion der SPD stimmt dem Konjunkturprogramm, so wie es vorgelegt ist, in vollem Umfang zu. Ich bitte das Haus, dem zu folgen.
Das Wort hat Herr Abgeordnete Dr. Zeitel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das Regierungsprogramm zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen — in der öffentlichen Diskussion mit dem Kurznamen „Überwinterungsprogramm" bezeichnet — stellt das zweite Hauptelement der wirtschafts- und finanzpolitischen Operationen dar, um eine Wiederbelebung der wirtschaftlichen Aktivität herbeizuführen. Die Zweckmäßigkeit und die Erfolgschance der vorgesehenen Maßnahmen sind nur im Hinblick auf die gegebene Lage, ihre Ursachen und die angestrebten Ziele zu beurteilen.Dies gibt Anlaß — und ich will gerade auch nach den Ausführungen von Herrn Kollegen von Bülow noch einmal diesen Versuch unternehmen —, Trennendes und Gemeinsames in den Auffassungen der Regierungsvertreter und der Opposition zu verdeutlichen. Dazu fordern nicht zuletzt die wohltemperierten und wohlgezielten Ökonomieübungen des Herrn Wirtschaftsministers heraus.
Dabei ist nicht nur von Interesse, was der Herr Wirtschaftsminister gesagt hat, sondern auch wie er es gesagt hat — vielleicht wäre etwas weniger Oberlehrerpose sachgerechter gewesen —
und ebenso, was er nicht gesagt hat.Zunächst wenige Bemerkungen zu den Ursachen.Erstens. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß die gegenwärtigen Schwierigkeiten nicht, wie der Herr Bundeskanzler vorgetragen hat, allein
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975 13127
Dr. Zeitelund nicht primär weltwirtschaftlich bedingt sind, sokann dieses vorgelegte Programm als Beleg dienen.
Es zielt auf die Überwindung der schwierigen Lage in der Bauwirtschaft, insbesondere in der Wohnungswirtschaft, die spezifische, und zwar binnenwirtschaftliche und nicht weltwirtschaftliche, Ursachen hat.
Da der Herr Wirtschaftsminister die Bedeutung der binnenwirtschaftlichen Einflußfaktoren prinzipiell anerkannt hat — nunmehr hat das auch Herr von Bülow getan —, möchte ich noch ein Wort zur Frage der Gewichtsverteilung zwischen binnen- und außenwirtschaftlichen Einflußfaktoren sagen. Die so viel zitierte und überall zu hörende Zahl von 40 Milliarden DM Nachfrageausfall beim Export dürfte nach allen Unterlagen, die uns bislang zur Verfügung stehen, schlicht und einfach nicht realistisch sein. Ein gewisser Rückgang der Auslandslieferungen indessen war — das hat doch der Herr Wirtschaftsminister immer gesagt — nach der extrem positiven Entwicklung 1974 zu erwarten. Es wäre daher gut wenn die Bevölkerung in unserem Landenicht immer weiter über die Ursachen der Fehlentwicklung getäuscht würde.
Zweitens. Im Unterschied zur Regierungsmeinung ist die CDU/CSU-Fraktion der Auffassung, daß binnenwirtschaftlich eine Hauptquelle der Fehlentwicklung in der zu expansiven Haushaltsgestaltung bestand. Die inflationäre Entwicklung hat bei den öffentlichen Haushalten — wie im übrigen auch in anderen Bereichen — zu Scheinausweisen der finanziellen Leistungskraft geführt, die der realen Entwicklung nicht entsprechen. Ich möchte in diesem Zusammenhang vor allem auf die inflationsbedingten Steuermehreinnahmen in den zurückliegenden Jahren verweisen, die im Volumen — es gibt ja Zahlen dazu — über das hinausgingen, was Sie jetzt als Steuermindereinnahmen beklagen. Wenn eine anhaltende Inflationstendenz vermieden werden soll, darf man eben in der Finanzplanung nicht mit den nominellen Steigerungsraten rechnen, mit denen man bislang gerechnet hat. Man darf vor allem nicht die inflationsbedingten Steuermehreinnahmen noch überwiegend verausgaben. Dieser Sachverhalt wird in der öffentlichen Diskussion leider immer verschwiegen.Drittens. Wir haben in den wirtschaftspolitischen Debatten immer wieder darauf hingewiesen, daß die gegenwärtige Entwicklung nicht nur konjunkturpolitisch begriffen werden kann. Abgesehen von den von uns nie geleugneten weltwirtschaftlichen Einflüssen sind auch tiefgreifende binnenwirtschaftliche Strukturänderungen bedeutsam. Die Ertragsrückgänge und Verluste, die bedrückende Zahl von Konkursen und Geschäftsaufgaben sind eben nicht nur die Folge eines Normalisierungsprozesses, wie Sie, Herr Minister, zumindest in früheren Debatten in diesem Hause gemeint haben. Nun sprechen auch Sie von spezifischen Struktureinflüssen, aber in Ihren langen Ausführungen findet sich kein entscheidender Ansatz, der geeignet wäre, etwa den berechtigten Sorgen der mittelständischen Wirtschaft gerecht zu werden. Das kann durch noch so gelehrt klingende Globalbetrachtungen nicht verdeckt werden. Die Zahl der Konkurse und die Zahl der freiwilligen Geschäftsaufgaben, die weniger bekannt ist, haben eine Rekordhöhe erreicht, wie wir sie niemals in der Nachkriegszeit kannten, und nehmen immer noch zu.Alle marktwirtschaftlichen Deklamationen von Ihrer Seite ändern doch nichts an der Tatsache, daß wir gegenwärtig den stärksten Konzentrations- und marktwirtschaftlichen Erosionsprozeß der Nachkriegszeit haben.
Dies ist die Tatsache. Die Marktwirtschaft beruht nun einmal auf einer breiten Basis mittlerer und kleinerer Unternehmungen.Die gegenwärtige Entwicklung ist nicht zufällig. Sie ist die Folge der von Ihnen betriebenen Politik, die zu einseitigen Mehrlasten bei kleineren und mittleren Betrieben führte.
Gerade im Bereich der Wohnungswirtschaft, den wir hier diskutieren, und in der Verkehrswirtschaft vollziehen sich Strukturänderungen, denen die von Ihnen betriebene Politik nicht gerecht wird; Ihre Politik weist sogar in die falsche Richtung — und hierüber haben wir in diesem Hause eine lange Debatte gehabt —, wie steigende Subventionen beweisen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schachtschabel?
Herr Kollege Zeitel, stimmen Sie mir zu, daß Sie bei Ihren Betrachtungen sehr global vorgehen, und würden Sie einräumen, daß bei dem Rückgang der Betriebe und der Beschäftigtenzahlen im Baugewerbe in erster Linie die großen Betriebe betroffen worden sind, während sich die kleinen und mittleren Betriebe sehr gut und sehr flexibel dem Leistungsangebot der veränderten Marktlage anpassen konnten?
Herr Kollege Schachtschabel, ich bin gerade dabei, Ihnen zu erklären, daß es eben nicht um die globale Betrachtung geht, sondern daß wir in bezug auf strukturelle Änderungsprozesse in wesentlichen Bereichen etwas schärfer zusehen müssen. Sie haben in der Tat recht, daß sich die kleinen und mittleren Unternehmungen — im Unterschied zu den großen — eben länger über die Runden plagen — unter Hinnahme von Verlusten, die andere in der gleichen Weise nicht tragen können, die aber nicht so rechenhaft sind. Die Situation in der mittelständischen Wirtschaft, auch in der
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Dr. Zeitel
Bauwirtschaft, sollte Ihnen so hinlänglich bekannt sein, daß Sie nicht den Eindruck erwecken sollten, als ob es in den mittelständischen und kleineren Unternehmen besonders rosig zuginge.
Ich meine, Herr Wirtschaftsminister, der Verantwortung bei den Strukturfragen können Sie sich nicht entziehen.
Viertens. Der so viel beklagte Rückgang der Investitionen kommt nicht zufällig. Er ist auch nicht allein, wie das in den Debatten des Hauses der letzten Tage immer wieder dargestellt wurde, das Ergebnis der fehlenden Nachfrage. Bei den öffentlichen Investitionen ist als Ursache des Rückgangs Ihre konsumtiv orientierte Finanzpolitik eindeutig nachweisbar. Im Bereich der privaten Investitionen ist er entscheidend mitbegründet durch die übermäßige Einengung der Ertragsspannen der Unternehmungen, deren Kehrseite die von Ihnen beklagte hohe Lohnquote ist. Herr Wirtschaftsminister, bei der Investitionsentscheidung ist doch nicht nur die Nachfrage, sondern immer auch die Rendite maßgeblich. Sie reden von der Nachfrage und vernachlässigen die Rendite — noch in der Debatte der letzten Woche. Die Erhöhung der Lohnquote wurde als großer Erfolg der Verteilungsgerechtigkeit gefeiert. Sie haben, was die CDU/CSU-Fraktion als einseitig bezeichnet hat, eine Investitionssteuer eingeführt, als die Investitionsneigung zunahm. Als die letzten Abgaben dieser Art noch gezahlt wurden, gewährten Sie die Investitionsprämie, die 8 Milliarden DM gekostet und 5 Milliarden DM Mehrinvestitionen initiiert hat. Eine kräftige Wiederbelebung der Investitionen setzt unseres Erachtens nicht nur eine Mehrnachfrage, sondern ebenso eine verbesserte Ertragssituation der Unternehmungen voraus. Eine hohe Investitionsneigung bedingt überdies — lassen Sie mich das mit Deutlichkeit sagen — eine Kontinuität in der Wirtschaftspolitik und sichere Dispositionsgrundlagen.
Fünftens. Die unsichere Dispositionsgrundlagen sind gegenwärtig nicht nur durch die veränderte internationale Datenkonstellation bedingt, sondern durch anhaltende ordnungspolitische Diskussionen, die wir in den letzten Tagen in den Reihen der SPD erneut und verschärft erlebt haben. Außerdem haben wir Regierungsvorlagen, die mit den Stimmen der Freien Demokraten beschlossen worden sind, die Unruhe an der ordnungspolitischen Front ausgelöst haben. Der Bundeswirtschaftsminister, assistiert von Graf Lambsdorff, verkündet in der Öffentlichkeit die Notwendigkeit von Steuersenkungen, beschlossen werden aber Steuererhöhungen. Sie lamentieren über funktionsgerechte Mitbestimmung, stimmen aber einer nicht funktionsgerechten Vorlage zu. Und Sie unterstützen Vorlagen zur beruflichen Bildung und zum Baugesetz, die erneut erhebliche Abgabenlasten zur Folge haben. Gestern wurde im Hearing festgestellt, daß das Berufsausbildungsgesetz möglicherweise Mehrkosten von 2 Milliarden DM verursacht. Dann darf man sich über manche Konsequenzen nicht wundern.
Lassen Sie mich auch dies hinzufügen: Nicht einzelne Maßnahmen, wohl aber das Zusammenwirken der zahllosen Maßnahmen führt zu mehr Staat, zu mehr Dirigismus und damit in eine Richtung, die die CDU/CSU-Fraktion für verhängnisvoll hält.
Die ordnungspolitische Verunsicherung ist unseres Erachtens jedenfalls ein entscheidendes Element des Ursachengeflechts, das die gegenwärtige Misere bestimmt.
Auf der Grundlage — das wollten Sie ja hören, Herr Wirtschaftsminister — einer anderen Wertung der Verursachungsfaktoren der gegenwärtigen Entwicklung haben wir darüber hinaus — lassen Sie mich versuchen, auch das deutlich zu machen, weil Sie ja Fakten hören wollen — eine andere Einschätzung bestimmter Entwicklungstendenzen. Ich will die wesentlichen nennen.
Erstens. Der Einfluß einer Nachfragebelebung beim Export sollte unseres Erachtens nicht überschätzt werden, weil die im Augenblick exportgünstige Wechselkursgestaltung möglicherweise nicht dauerhaft ist und weil — auch darauf haben Sie hingewiesen; nur müssen dann Konsequenzen gezogen werden — wir es eben auch mit längerfristig wirksamen Wettbewerbs- und Standortverschiebungen zu tun haben.
Zweitens. Der zu erwartenden privaten Verbrauchsmehrung und den vermehrten Vorratsinvestitionen wirkt unseres Erachtens die zu erwartende Kapitalmarktentwicklung entgegen. Über die Situation am Kapitalmarkt haben Sie, Herr Wirtschaftsminister, kein einziges Wort verloren. Wenn Sie sich diese Lage ansehen, müssen Sie zugeben, daß sie nicht anders als trist bezeichnet werden kann.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Herr Kollege Zeitel, darf ich Sie fragen, woher diese schnelle Urteilsveränderung kommt, nachdem wir vom Kollegen Müller-Hermann in der vorigen Woche noch gehört haben, daß zur Zeit günstige Bedingungen am Kapitalmarkt herrschen.
Ich wüßte nicht, daß Herr Kollege Müller-Hermann, dem die Lage am Kapitalmarkt bekannt ist, diese Situation als günstig bezeichnet hat.
— Graf Lambsdorff, Sie sind ein großer Polemiker und ein Erfolgsmelder. Halten wir uns doch einfach an die Tatsachen! Die Tatsachen aber — das werden Sie doch nicht bestreiten — sehen so aus — —
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Dr. Zeitel— Dann ist es doch gut! Was soll dann die Polemik, Graf Lambsdorff!Daß Sie gut polemisieren können, wird doch gar nicht bestritten. Aber wir wollen uns hier doch sachlich auseinandersetzen.
Die Situation am Kapitalmarkt ist jedenfalls trist. Wenn der Kapitalmarkt nicht durch anhaltende Notenbankkäufe gestützt wird, ist eine Umkehr auf dem Wege der Zinsentwicklung — das muß man doch heute sehen, damit Sie hinterher nicht wieder sagen: wir haben uns geirrt — gar nicht zu vermeiden. Es muß auch gegenwärtig schon gefragt werden — lassen Sie mich auch das in allem Ernst sagen —, ob die Operationen der Zentralbank gegen den Markt nicht schon eine Zinsdifferenzierung gegenüber dem Ausland und im Innern eine Spaltung des Kapitalmarktes herbeigeführt haben, die man als fragwürdig bezeichnen muß.Es muß auch gefragt werden, ob nicht gegenwärtig in der Bankenliquidität ein Inflationspotential aufgebaut wird. Spätestens mit der von Ihnen unterstellten Wirtschaftsbelebung ist möglicherweise eine schnelle Umkehr in der Zinsentwicklung wahrscheinlich. Mit der proklamierten kurzfristigen Staatsverschuldung ist diese Entwicklung nicht zu vermeiden. Vielmehr ergeben sich andere finanz- und kapitalmarktpolitische Probleme in der Folgezeit.Lassen Sie mich auch dies im Blick auf Ausführungen, die namentlich von Herrn Kollegen Möller gemacht worden sind, deutlich machen. Unsere Bedenken gegen eine hohe Staatsverschuldung resultieren nicht aus konjunkturpolitischen Erwägungen. Sie resultieren vor allen Dingen aus den finanzpolitischen Konsequenzen, von denen wir glauben, daß sie in der Finanzplanung nicht genügend berücksichtigt sind.
Dritte Anmerkung zu den Entwicklungstendenzen. Wenn die Entwicklung so verlaufen soll, wie es aus den von Ihnen vorgelegten Daten ersichtlich ist, müßten die privaten Investitionen 1976 in einem Maße steigen, das wir für unwahrscheinlich halten. Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben doch zu Recht ausgeführt, daß eine erhebliche Produktionsausweitung in der nächsten Zeit möglich ist, ohne daß ein spezieller Anlaß zu hohen Nettoinvestitionen besteht. Die kräftige Wiederbelebung der privaten Investitionen ist indessen das Schlüsselproblem für die weitere Entwicklung in unserem Lande schlechthin, insbesondere für die Sicherung der Arbeitsplätze sowie die Sicherung der sozialen Sicherheit. Um eine hohe Investitionsneigung zu bewirken, genügt unseres Erachtens das vorliegende Bauprogramm nicht. Es kann nur dazu beitragen, einen weiteren Kapazitätsabbau in der Bauwirtschaft aufzufangen, aber es ist nicht ausreichend, um eine kräftige und von uns als notwendig erachtete Investitionsbelebung herbeizuführen.
Das gilt um so mehr, als gefragt werden muß, inwieweit hierdurch nicht nur Umdispositionen in den öffentlichen Haushalten bewirkt werden. Das werden wir abzuwarten haben. Darüber hinaus lösen die anderen Elemente Ihres Sanierungsprogramms, insbesondere die Abgaben- und Steuererhöhungen, gegenläufige Einflüsse zu diesem Programm aus.Viertens. Werden die vorgesehenen Abgabenlasten, Herr Wirtschaftsminister, wie Sie das unterstellen, voll auf den Verbraucher überwälzt, programmieren Sie den nächsten Preisschub vor. Die Gefahr eines nächsten Inflationsschubes ist ohnehin groß. Dies würde uns weiter von der angestrebten Preisstabilität wegführen. Eine erneute Verfestigung der Inflationstendenzen verschärft aber alle Probleme, die wir gegenwärtig beklagen, insbesondere im Beschäftigungs- und sozialen Sicherheitsgefüge.Wir halten also die von Ihnen speziell dem hörenden und dem lesenden Arbeitnehmer vorgeführte Ursachenanalyse für irreführend und die beabsichtigte wirtschaftspolitische Zangenoperation für unzulänglich bzw. einzelne Teilelemente für widersprüchlich und strukturell verfehlt.Auf weitere Widersprüche des Konjunkturprogramms werden meine Kollegen noch näher eingehen. Nur auf ein Element möchte ich hinweisen. Die Bauwirtschaft und damit auch die Konjunktur wird gegenwärtig nur noch durch den privaten Eigenheimbau gestützt.
Was sollen eigentlich die Eigenheimbauer denken, wenn ihnen kurzfristig, noch dazu im Windhundverfahren, Zinszuschüsse angeboten und im gleichen Augenblick erneut verminderte Bausparprämien in Aussicht gestellt werden?
Lassen Sie mich abschließend in der gebotenen Kürze einige konzeptionelle Folgerungen ziehen.
Die CDU/CSU-Fraktion hält das Konjunkturprogramm für geeignet, Schlimmeres zu verhüten.
Als Teilelement der Gesamtmaßnahmen zur Wiederbelebung unserer Wirtschaft bleibt es unzulänglich und ergibt überhaupt kein abgestimmtes Konzept.
Dieses müßte erst noch von der Regierung entwikkelt und vorgelegt werden.
Dazu gehört nach unserer Auffassung:
Erstens: Die Verunsicherung im Bereich der Ordnungspolitik, die mit einer Reihe bedeutsamer Gesetzesvorlagen noch immer verschärft wird, muß abgebaut werden. Konjunktur- und Ordnungspolitik stellen verbundene Elemente der Wirtschafts-
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13130 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975
Dr. Zeitelpolitik dar. Ohne eine Beruhigung an der Ideologiefront und mehr Kontinuität in der laufenden Gestaltung fehlen unseres Erachtens wesentliche Voraussetzungen der dringend gebotenen Investitionsbelebung.
Zweitens. Wir halten zur kräftigen Belebung der privaten Investitionstätigkeit, durch die allein die Arbeitsplätze wieder dauerhaft gesichert werden können, nicht nur eine Nachfragebelebung, sondern ebenso eine gezielte Ertragsverbesserung der Unternehmungen für zweckmäßig. Daher hält die CDU/ CSU-Fraktion im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht Steuererhöhungen, sondern Steuersenkungen als Mittel der Initialzündung für notwendig und angebracht. Das ist nach unserer Meinung keine Sache des mittelfristigen Programms, sondern eine Frage kurzfristig herbeizuführender Anreize.
— Sie müssen ein bißchen klarer reden.
Drittens. Durch die Maßnahmen der Regierung wird ein weiterer Preisschub vorprogrammiert,
der die Inflationstendenzen gefährlich verschärfen kann.
Eine später in Erwägung gezogene Steuersenkung wäre, Herr Wirtschaftsminister, unseres Erachtens konjunktur- und preispolitisch falsch, weil sie in eine Aufschwungsphase hineinfällt mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben.Viertens. Bei den unvermeidlich größeren Sparmaßnahmen in den öffentlichen Haushalten geht es unseres Erachtens nicht primär um eine etatistischfiskalistisch orientierte Streichaktion, sondern um strukturelle Änderungen der öffentlichen Leistungsdarbietung, wie sich am Beispiel der Wohnungswirtschaft, der Bauwirtschaft, der Verkehrswirtschaft, des Krankenhauswesens zeigen läßt. Gucken Sie sich doch nur Ihre Politik im Bereich der Verkehrswirtschaft an!
Erst ging es gegen das Automobil, dann merkten Sie das Unheil, dann zurück zur Bundesbahn mit zunehmenden Milliardeninvestitionen und -subventionen. Bis heute haben Sie in der Verkehrspolitik kein Programm zustande gebracht. Das ist doch die Wahrheit.
— Herr Ehrenberg, Sie sind doch ein ehrenwerter Mann. Sprechen Sie sich doch bitte klarer aus.Wir sind der Auffassung, daß wir mit dem von uns vorgezeichneten Ansatz ein Abbau der Arbeitslosigkeit und nicht zuletzt ein Mehr an Steuereingängen — das doch nur aus einer schnellen Wiederbelebung kommen kann — eher zu erreichen ist als mit den punktuell und zum Teil widersprüchlich angelegten Teilprogrammen, die Sie uns vorlegen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wurbs.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute steht ein Programm für die Bauwirtschaft zur Diskussion. Ich habe aber den Eindruck gewonnen, daß bei der Opposition ein gewisser Nachholbedarf für diejenigen Debattenredner besteht, die in der letzten Woche nicht zum Zuge gekommen sind.
Herr Kollege Zeitel, ich will keine Zensuren verteilen.
Aber wenn Sie dem Bundeswirtschaftsminister schulmeisterliches Verhalten vorwerfen, dann müssen Sie gegen sich gelten lassen, einen professoralen Ton angewandt zu haben;
denn Herrn Kollegen Ehrenberg mit dem Prädikat ehrenwert zu belegen, liegt doch wohl außerhalb Ihrer Kompetenz.
— Herr Kollege Zeitel, Sie wissen doch, wie ich das gemeint habe. Zensuren zu verteilen, ob ein Kollege ehrenwert ist oder nicht — ich meine, das ist hier doch durchaus deplaciert. Sie haben sich da im Ton vergriffen.Ein Kollege meiner Fraktion wird auf die einzelnen Punkte, die Sie hier dargelegt haben, noch eingehen. Aber ich möchte doch Ihrer Behauptung widersprechen, daß allein die Inflation für die Gesamtsituation in der Bauwirtschaft verantwortlich sei. Ich will hier auch nicht darüber streiten, ob man von einer hausgemachten oder einer importierten Inflation sprechen kann. Unbestritten ist doch wohl, daß in der Bauwirtschaft strukturelle Probleme hinzukommen und wesentlich zu der gegenwärtigen Situation in der Bauwirtschaft geführt haben. Daß selbstverständlich Einbrüche im Export die Expansion in der Bauwirtschaft verlangsamt und gestoppt haben, ist nicht zu bestreiten.Eine weitere Bemerkung. Es wurde hier kritisiert, daß das Programm nicht den Interessen des Mittelstandes entgegenkomme. Wir sind der Auffassung, daß gerade der mittelständische Bereich durch dieses Programm gefördert wird.
Und wenn Sie, Herr Kollege Zeitel, sagten, daß dieBundesregierung zu wenig für die Ertragsverbesserung in der Wirtschaft getan habe und dies im
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975 13131
WurbsZusammenhang mit der Investitionszulage gesagt haben, so muß ich Ihnen entgegenhalten, daß diese 8 Milliarden DM, wenn nicht unmittelbar, so doch mittelbar zur Verbesserung der Ertragssituation der Wirtschaft beigetragen haben.
Daß Sie an dem Programm der Regierung Kritik üben würden, habe ich erwartet. Nur die Konsequenz, die Sie aus Ihrer Kritik gezogen haben, scheint mir nicht schlüssig zu sein. Denn letztlich haben Sie dem Programm ja zugestimmt, ohne Alternativen aufgezeigt zu haben.Nun möchte ich mich dem Programm selbst zuwenden. Wenn ich heute für die Freien Demokraten zu dem Programm zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen Stellung nehme, so tue ich das mit einem gewissen Bedauern, zugleich aber auch mit Genugtuung; mit Bedauern deshalb, weil die Notwendigkeit, ein solches Programm aufzulegen, zeigt, wie sehr ein Bereich unserer Wirtschaft, der Bausektor, mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat. So war die Entwicklung in der Bauwirtschaft von Anfang des Jahres bis jetzt maßgeblich durch eine minimale Marktnachfrage und eine schrumpfende Produktion gekennzeichnet. Lediglich im Auftragseingang des Hoch- und Tiefbaues war für den gleichen Zeitraum eine gewisse Stabilisierung gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen. Was ich bereits in der Debatte auf die Große Anfrage der Opposition im Sommer zur Lage der Bauwirtschaft gesagt habe, hat sich weiter bestätigt. Der grundsätzlich notwendige, volkswirtschaftlich vertretbare Schrumpfungsprozeß konnte noch nicht aufgefangen werden, was nötig wäre, um wieder zu einer mittelfristigen Wachstumsrate zu kommen. Grund dafür, darüber sind wir uns alle einig, waren nicht nur konjunkturelle, sondern vor allem strukturelle Anpassungsprobleme. Nachdem die Bauwirtschaft Anfang der siebziger Jahre einen nie erlebten Boom zu verzeichnen hatte und auf Halde produzierte, steht sie nun vor der Schwierigkeit und Notwendigkeit, sich den neuen Rahmenbedingungen anzupassen. Der Markt, vor allem im Mietwohnungsbau, ist weitgehend gesättigt. Das Wirtschaftswachstum hat sich verringert, die öffentlichen Finanzen wurden knapper, und der Kunde — der König ist — wird als Konkurrent im eigenen Lager immer stärker. Dies tritt — das ist wohl nicht zu bestreiten — im mittelständischen Bereich besonders stark in Erscheinung.So notwendig dieser Anpassungsprozeß auch sein mag, wir Freien Demokraten haben nie ein Hehl daraus gemacht, daß wir eine über das notwendige Maß hinausgehende strukturelle Veränderung der Bauindustrie hin zu einer volkswirtschaftlich nicht zu verantwortenden Situation nicht hinnehmen werden. Dies ist keine Erkenntnis, die uns erst dann einfällt, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, sondern ein allgemeines Prinzip, das ich bereits in der Bundestagsdebatte am 25. Oktober 1967 angesprochen und in der Debatte über die Große Anfrage der Opposition vertieft habe.Mit Genugtuung stelle ich nunmehr fest, daß die Bundesregierung alles daransetzt, den Abbau weiterer Kapazitäten, die für die mittelfristige Entwicklung unserer Wirtschaft dringend notwendig sind, zu verhindern. In diesem Rahmen ist das von der Bundesregierung vorgelegte zusätzliche Investitionsprogramm zu sehen. Ziel dieses Programmes ist es, kurzfristig realisierbare Nachfrage nach Leistungen des Baugewerbes hervorzurufen. Dementsprechend hat die Bundesregierung alles getan, eine möglichst schnelle und reibungslose Durchführung des Sonderprogramms z. B. für die Wohnungsmodernisierung zu garantieren.Dieses Ziel war nur im Wege des sogenannten Windhundverfahrens zu erreichen und ist auch erreicht worden. Die mir vorliegenden Zahlen vom 23. September dieses Jahres über bereits abgerufene Mittel sprechen eine deutliche Sprache. All den Weisen, die hinterher immer schlauer sind als vorher und die heute monieren, daß 50 % aller Mittel über eine deutsche Großbank abgerufen wurden oder werden, muß bei dieser Gelegenheit wohl ein deutliches Wort gesagt werden. Bisher hat sich gezeigt, daß immer dann, wenn ein solches Verfahren über die Bürokratie abgewickelt wurde, Pannen auftraten und der beabsichtigte Effekt, schnell zu helfen, nur bedingt erreicht wurde.
Nun macht man sich diese Erkenntnis zu eigen und läßt den Markt sich seiner eigenen Mechanismen bedienen. Da aber schimpft man wieder und will den bestraft wissen, der ohne jede Startvorgabe — das will ich noch einmal deutlich sagen; Ihnen dürfte bekannt sein, meine Damen und Herren, daß die Information der Kreditwirtschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgte, so daß hier niemand einen Startvorteil besaß — am schnellsten reagiert hat.Meine Damen und Herren von der Opposition, man kann nicht auf der einen Seite den Gedanken der Investitionslenkung weit von sich weisen, aber auf der anderen Seite dann, wenn der Markt funktioniert und sich erfolgreich seiner eigenen Mechanismen bedient, von Ungerechtigkeit und falscher Abwicklung sprechen.
— Bitte melden Sie sich doch; ich kann hier nicht jeden Zwischenruf auffassen.Mit dieser Haltung also macht man sich nur unglaubwürdig. Vielmehr kann die Bundesregierung für sich Anspruch mit diesem ProgrammBedingungen geschaffen zu haben, die es — im Gegensatz zu den bisherigen Programmen — ermöglichen, daß die Mittel voll ausgeschöpft werden bzw. schon sind. Diese Tatsache spricht doch für sich, und das wird auch allgemein anerkannt und bestätigt.Lassen Sie mich einige Pressestimmen zitieren. Herr Hans-Günther Sohl führte am 25. August aus: „Ein Programm, das die Bauwirtschaft stützt, ohne Zweifel situationsgerecht." Der Zentralverband der deutschen Haus-, Wohnungs- und Grundstückseigen-
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13132 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975
WurbsUlmer begrüßte es am 29. August als besonders vorteilhaftes, unbürokratisches Verfahren.Natürlich, meine Damen und Herren, will ich nicht verhehlen, daß hier und da Härtefälle aufgetreten sind, daß mancher zu spät kam. Deshalb ist zu überlegen, ob nicht möglicherweise, soweit die finanziellen Mittel dazu vorhanden sind, eine neues Programm oder das bereits vor diesem Sofortprogramm initiierte Programm zur Modernisierung mit den gleichen Konditionen ausgestattet werden könnte, um hier zusätzliche Impulse zu geben.Meine sehr geehrten Damen und Herren, die einzelnen Programmteile sind wie folgt aufgelegt — ich kann mich hierbei kurz fassen, weil ja Herr Kollege von Bülow die Details schon im einzelnen dargelegt hat —: Die bundeseigenen Investitionen in einer Größenordnung von 1,2 Milliarden DM, kommunale Infrastruktur- und Sanierungsmaßnahmen in der Größenordnung von 2,45 Milliarden DM, werden also ergänzt durch komplementäre Maßnahmen, so z. B. durch 700 Millionen DM für die Modernisierung und durch jeweils 300 Millionen DM für die Zwischenfinanzierung. Es geht also nicht nur um Beträge in der Größenordnung von insgesamt 5,75 Milliarden DM, sondern hierzu kommen noch Komplementärmittel, vor allen Dingen aus dem privaten Sektor, so daß sich alles in allem wohl ein Mobilisierungseffekt in der Größenordnung von etwa 10 bis 12 Milliarden DM ergeben wird.Die bundeseigenen Investitionen im Umfang von 1,2 Milliarden DM umfassen zu rund zwei Dritteln Hochbaumaßnahmen. Der Rest fließt vornehmlich in den Tiefbaubereich. Hier ist die unterschiedliche Entwicklung von Hoch- und Tiefbau entsprechend berücksichtigt.Ich darf hier vielleicht einen Einschub machen. Der Tiefbau, der nicht so lohnintensiv und sehr stark mechanisiert ist, wird, wenn hier Impulse gegeben werden, den Arbeitsmarkt nicht so sehr entlasten, wie es beim Hochbau — vorn Wohnungsbau zum Teil einmal abgesehen — der Fall sein mag.Darüber hinaus wird man auch den unterschiedlichen Bedürfnissen im Hochbaubereich gerecht. Bei der vorgenommenen Differenzierung wird nämlich vermieden, daß bei mittelfristig begrenzter Nachfrage nach Wohnraum durch konjunkturelle Stützungsmaßnahmen die bereits bestehenden Ungleichgewichte am Markt weiter verstärkt werden.Für die Auswahl der Projekte waren bestimmte Kriterien maßgebend. Es sind Fristen für die Auftragsvergabe vorgesehen. Die Einzelpunkte der Gesamtfinanzierung will ich hier nicht weiter darlegen.Das Hauptgewicht des Gesamtprogramms ist in einem Kommunalprogramm zu sehen, das die Förderung der kommunalen Infrastruktur und der Stadtsanierung zum Ziel hat. Hierfür werden insgesamt 1,7 Milliarden DM anteilig von Bund und Ländern bereitgestellt. Das Sonderprogramm zur Förderung der kommunalen Infrastruktur für Kommunen sieht Zuschüsse in der Größenordnung von insgesamt 1,2 Milliarden DM vor. Diese können im Einzelfall sogar 80 v. H., im Zonenrandgebiet 90 v. H. der Investitionskosten erreichen.In dem Sonderprogramm für Stadtsanierung werden weitere 500 Millionen DM von Bund und Ländern zur Verfügung gestellt. Die Höhe der Zuschüsse entspricht der Höhe der Zuschüsse des Sonderprogramms zur Förderung der kommunalen Infrastruktur. In diesen Maßnahmen muß über den unmittelbaren Nutzeffekt der Sanierung hinaus die Möglichkeit gesehen werden, der Entvölkerung der City-Bereiche entgegenzuwirken und berechtigten Belangen der Denkmalspflege und des Umweltschutzes im weitesten Sinne Rechnung zu tragen.Mit dem Sonderprogramm Wohnungsmodernisierung in Höhe von 700 Millionen DM werden die Instandsetzung und die Modernisierung von ca. 250 000 bis 300 000 Wohnungen gefördert. Hier wird eine kurzfristige realisierbare Nachfrage nach Leistungen des Bau- und Ausbaugewerbes vor allem im mittelständischen Bereich angeregt. Ich möchte hier noch einmal ausdrücklich betonen, daß diese Leistungen im wesentlichen dem Mittelstand zugute kommen. Das Programm — dies trifft sicherlich zu — wäre in der Absicht verfehlt gewesen, wenn wir diese Zielsetzung nicht verfolgt hätten, da die Auslastung der Unternehmen im mittelständischen Bereich nicht in jedem Fall gesichert ist, da der mittelständische Bereich nicht auf Auslandsmärkte ausweichen kann, wie es der Großindustrie möglich ist. Das auch tatsächlich mittelständische Unternehmen beschäftigt werden und das Geld nicht für Schwarzarbeit ausgegeben wird, ist durch die Rechnungslegungspflicht gesichert. Insgesamt fallen unter dieses Programm Wohnungen, die bis Ende 1960 bezugsfertig geworden sind.Das Sonderprogramm „Zwischenfinanzierung von Bausparverträgen" hilft bei der Zwischenfinanzierung für den Bau von steuerbegünstigten Ein- oder Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen. Auch hier wird kurzfristig realisierbare Nachfrage vorgezogen.Lassen Sie mich hierzu aber noch eine Bemerkung machen. Dieses Programm stimmt in seiner Ausgestaltung im Kern mit den Empfehlungen überein, die der Sachverständigenrat in seinem jüngsten Gutachten gibt. Ich zitiere:Der Förderung des sozialen Wohnungsbaus steht entgegen, daß es in der Bundesrepublik zur Zeit mindestens 200 000 Wohnungen gibt. Angesichts dieses Angebotsüberschusses auch im sozialen Wohnungsbau ist eine generelle Unterstützung des Neubaus von Wohnungen nicht in jedem Fall gerechtfertigt.Das deckt sich mit dem, was sich als Schlußfolgerung aus dem Bekenntnis zur Marktwirtschaft ergibt.In diesem Zusammenhang möchte ich aber der Opposition noch etwas sagen. Noch im Dezember 1974 haben Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, der Bundesregierung eine bewußte Vernachlässigung des Baus von Ein- und Zweifamilienheimen unterstellt.
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Wurbs— Lassen Sie mich doch den Satz beenden, dann werden Sie verstehen, was ich hier mit dieser Berner-kung sagen möchte.
— Sie stören mich doch nicht; durch Zeitungslesen können Sie mich nicht stören! Mit so einem lapidaren Zwischenruf bringen Sie mich nicht aus der Fassung.
— Danke vielmals! Ihre große Güte ist ja nicht zu übertreffen.Es hat sich gerade während der letzten Monate gezeigt, daß diese Eigentumsmaßnahmen ein stabilisierender Faktor für die Bauwirtschaft waren. Um so unverständlicher ist es, daß Sie dem Wohnungseigentumsgesetz nicht Ihre Zustimmung gegeben haben; denn diese Stabilisierung hätte noch verstärkt werden können, wenn das Gesetz zur Eigentumsbildung im sozialen Wohnungsbau bereits in Kraft wäre. Gerade die Eigentumsmaßnahmen sollten mehr als zur Hälfte gefördert werden was bisher nur in einer Größenordnung von 30 % erfolgte. Hier hat der Bundesrat ganze Arbeit geleistet und das Gesetz scheitern lassen. Dabei hätte dieses Gesetz keinen Pfennig mehr gekostet, da die Mittel lediglich umgeschichtet werden sollten.Ein letzter Punkt: Der Bundesanstalt für Arbeit werden weitere 600 Millionen DM für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zur Verfügung gestellt. Auch diese Mittel kommen überwiegend der Bauwirtschaft zugute.Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir Freien Demokraten sind der Auffassung, daß das vorgelegte Programm ausgewogen ist und mit Sicherheit schnell eine fühlbare Hilfe für die Bauwirtschaft bringt. Wir stimmen dem Gesetz zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Junghans.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wollte eigentlich, Herr Dr. Zeitel, auf den Tagesordnungspunkt zurückkommen, der hier ausgedruckt ist: „Beratung des Berichts und des Antrags des Haushaltsausschusses ... zu dem Programm zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen".
— Das hindert mich auch nicht daran, zu Herrn Dr. Zeitel einige Bemerkungen zu machen.
- Nein, es hat gar nichts weh getan; ich sage es Ihnen gleich.Herr Dr. Zeitel, Sie müssen begreifen, daß es sich bei dieser Rezession um eine Nachfragekrise handelt, die durch die Weltrezession verschärft worden ist. Wir haben also keine Angebotskrise. Ich will Ihnen folgendes sagen: Mit Steuersenkungen, gleichgültig, auf welchem Gebiet — ertragsunabhängige Steuern usw. —, verkaufen Sie nicht eine Tonne Stahl mehr in den Vereinigten Staaten oder generell auf den Auslandsmärkten. Das müssen Sie einmal begreifen.Das andere, was ich Ihnen auch noch einmal sagen wollte, ist: Sie sagen hier in der ordnungspolitischen Diskussion, wir hätten mehr Dirigismus gemacht. Ich muß schon sagen: Wir haben die Kartellrechtsnovelle in dieser Legislaturperiode gegen Ihren Widerstand in vielen Fällen durchgesetzt, wir haben die Fusionskontrolle hier durchgesetzt, und dann sagen Sie: „Mehr Dirigismus". Dann kann ich Sie nur so verstehen, daß Sie unter „mehr Dirigismus" die Bemühungen der Koalitionsparteien um mehr Wettbewerb verstehen. Sie verstehen also unter mehr Wettbewerb mehr Dirigismus, Herr Dr. Zeitel.Herr Dr. Zeitel, ich will mich nicht sehr lange damit befassen das lohnt sich gar nicht , aber in einer Sache muß man sich doch mit Ihnen noch auseinandersetzen. Mit einer so gravierenden Fehleinschätzung, wie Sie sie gegeben haben, und mit so viel unbewiesenen Behauptungen haben Sie keinen Beitrag zur Beruhigung der Wirtschaft, sondern wiederum wie immer aus Ihren Reihen ein Beitrag zur weiteren Verunsicherung der Wirtschaft hier geleistet.
— Meine Damen und Herren, ich habe aufmerksam zugehört. Wenn Sie das auch tun würden, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Aber dazu sind Sie ja nicht in der Lage, wenn es hier um Sachdiskussionen geht; Sie sind nur in der Lage zu applaudieren, wenn es um polemische Auseinandersetzungen geht. Bei Sachdiskussionen sind Sie nicht bereit, hier zuzuhören.
Meine Damen und Herren, ich halte es deshalb für notwendig, auf die beachtliche ökonomische Bedeutung dieses zu verabschiedenden Konjunkturprogramms erneut hinzuweisen. Die Bedeutung liegt zunächst auf konjunkturpolitischem Gebiet; darauf wurde schon hingewiesen. Das Programm hilft dabei, Arbeitsplätze zu sichern. Darüber hinaus liegt seine Bedeutung auch auf dem Gebiet der Strukturpolitik. Hier werden viele anstehende strukturelle Probleme bereinigt und eine Reihe von Maßnahmen ergriffen und gefördert, die dem Bürger unmittelbar Nutzen bringen.
Meine Damen und Herren, Herr Dr. Zeitel hat hier wiederum über das Volumen des Konjunkturprogramms gesprochen. Ich meine, die Auswirkun-
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Junghansgen des Konjunkturprogramms sollen nicht überschätzt, aber vor allen Dingen auch nicht unterschätzt werden. Wenn erklärt wird, das Programm reiche in keiner Weise aus, so muß auch gesagt werden, wie ein noch größeres Programm finanziert werden sollte. Dazu müssen Sie dann Stellung nehmen.
Aber auf jeden Fall, meine Damen und Herren von der Opposition, paßt eine solche Erklärung schlecht zu der Aufforderung, der Bund müsse weitere Einsparungen vornehmen, die weit über das hinausgehen, was in diesen Wochen an mittelfristigen Sparmaßnahmen beschlossen wird. Die Opposition muß sich endlich aus ihren Widersprüchen lösen und sagen, welche Politik sie verfolgen will: ob sie Brüningsche Deflationspolitik will oder ob und mit welchem Mittel sie wirklich den Arbeitslosen helfen will.
Ich will nicht das alles wiederholen, was hier in der vergangenen Woche debattiert worden ist. Ich möchte nur noch betonen und auch voll unterstreichen, daß die Anstoßwirkungen, die von den 5,75 Milliarden DM ausgehen, etwa 10 bis 12 Milliarden DM betragen werden.Meine Damen und Herren, dieses Programm ist nicht isoliert zu sehen, sondern im Zusammenhang mit den Programmen, die seit Dezember vorigen Jahres begonnen worden sind. Nun entschuldigen Sie einmal: Im Dezember haben Sie gesagt: „Zu früh, zu viel", im Februar haben Sie gesagt: „Zu spät, zu wenig". Sie können sich jeweils aussuchen
-- Sicher, das haben Sie alles gesagt! Ich will hier keine Zitate bringen — das machen Sie ja alles; Sie haben die Zitatenbücher —, aber das haben Sie gesagt.
Meine Damen und Herren, „nicht überschätzen" heißt in diesem Zusammenhang, daß wir sehen müssen — das können Sie nicht leugnen —, daß die Bundesrepublik Deutschland in einem Maße von der Weltwirtschaft abhängig ist wie kein anderes Land der Welt. Ich habe hier von Professor Arndt eine Zusammenstellung über Exportwirtschaft. Er kommt sogar zu dem Schluß, daß im Jahre 1974 die Bundesrepublik Deutschland die größte Handelsnation der Welt sei. Meine Damen und Herren, Sie müssen auch sehen: Wir haben nicht die Ressourcen wie andere Länder, wie z. B. die Vereinigten Staaten, wir sind in viel größerem Maße von unserer Außenwirtschaft abhängig.
— Entschuldigung, nun seien Sie mal ganz vorsichtig: Wollen Sie der Bundesregierung vielleicht anlasten, was in Amerika, was in der UdSSR und was bei den Ölscheichs passiert? Sie stellen sich immer hin und tun so, als ob Sie die Verteidiger der Marktwirtschaft wären.
— Nun lassen Sie mich doch einmal ausreden! Ich kann nicht gegen fünf Zwischenrufer auf einmal ansprechen.
Das ist sehr schön. Sie stellen sich hier immer als die Gralshüter der Marktwirtschaft hin. Wenn es in der Marktwirtschaft zyklisch zugeht, dann tun Sie so, als ob der Herr Bundeskanzler Befehlsgewalt über den Präsidenten der Vereinigten Staaten und über die amerikanische Wirtschaft hätte, als ob er Befehlsgewalt über die Ölscheichs,
über Herrn Wilson, über Herrn Breschnew und wer immer da sei, hätte.
Das tun Sie so. Davon müssen Sie abkommen.
50 °/o der deutschen Industrie sind exportorientiert, damit Sie das mal wissen.
Meine Damen und Herren, im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß die wichtigsten Teile dieses Programms auch mit unseren Partnerländern abgestimmt worden sind. Es gebührt insbesondere dem Bundeskanzler Helmut Schmidt Dank dafür,
daß diese Programme nicht isoliert in der Bundesrepublik Deutschland gefahren werden, sondern gleichzeitig und gleichgewichtig in Frankreich, in den Vereinigten Staaten, in den Niederlanden und in Italien.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975 13135
Junghans— Herr Maucher, Sie verstehen ja sowieso nichts davon.
„Nicht unterschätzen" heißt, das Programm zur Stärkung von Bau und anderen Investitionen soll in erster Linie der Bauwirtschaft helfen. Dieser Bereich wurde von der Konjunkturschwäche besonders stark getroffen. Nur eine Anmerkung, Herr Dr. Zeitel: Natürlich ist auch die Bauwirtschaft durch die Weltrezession betroffen. Wenn die exportierende Industrie keine Bauinvestitionen mehr vornimmt, entstehen doch Nachfragelücken auf dem Binnenmarkt, die hier durch Nachfrage des Staates ersetzt werden. Das müssen Sie begreifen.
Die Entwicklung auf dem Baumarkt — Herr Wurbs hat darauf hingewiesen — hat sich derzeit auf einem relativ niedrigen Niveau stabilisiert, ist aber für die Wintermonate und das Frühjahr noch mit weiteren Unsicherheiten behaftet. Das Problem ist hier, einerseits nicht zuzulassen, daß mittelfristig notwendige Kapazitäten vernichtet werden, und andererseits keine überschüssigen Kapazitäten künstlich aufrechtzuerhalten oder aufzubauen. Über die konkrete Ausgestaltung der Förderungsmaßnahmen in der Bauwirtschaft wird noch zu sprechen sein.Ich möchte noch auf einen Punkt hinweisen: Über die konjunkturellen Effekte hinaus verfolgt das Programm zahlreiche strukturpolitische Zielsetzungen der sozialliberalen Koalition. Denn einmal liegt der Schwerpunkt des Programms bei einem Kommunalprogramm zur Förderung der kommunalen Infrastruktur und der Stadtsanierung. Mit Hilfe der den Gemeinden zur Verfügung gestellten Zuschüsse in Höhe von 1,7 Milliarden DM werden viele gemeindliche Vorhaben ermöglicht, die dem Bürger unmittelbaren Nutzen bringen. Auch diesen Aspekt muß man einmal sehen.
— Es ist nicht wichtig, ob Schulen, ob Straßen und ähnliches gebaut werden? Was Sie da wieder reden: „ist nicht wichtig!"
— Ist es nicht wichtig, daß Kläranlagen gebaut werden, ist es nicht wichtig,
daß Umweltschutz gefördert wird, ist es nicht wichtig, daß Ortsumgehungen gebaut werden?
— Entschuldigen Sie, dann müssen Sie hierher kommen.
Ich will mit Ihnen darüber nicht so sprechen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sick?
Nein, in diesem Ton nicht. Präsident Frau Renger: Keine Zwischenfrage, gut!
Bei solchen undisziplinierten Zwischenrufern habe ich keinen Spaß daran.
Fahren Sie fort, Herr Abgeordneter!
Wenn es so ist, stehe ich nicht an, mich bei Ihnen zu entschuldigen, damit Sie das genau wissen. Aber wissen Sie, Sie dürfen nicht zu Fünft durcheinandersprechen. Wenn immer nur einer spricht, kann man Zwischenrufe nicht mißverstehen.
Meine Damen und Herren, es geht bei Umweltschutzinvestitionen zur Reinhaltung von Luft und Wasser und zur Müllbeseitigung, immerhin zum Beispiel auch um einen kleinen Posten von 30 Millionen DM zur Verbesserung der Wasserqualität von Bodensee und Rhein. Es geht um Anlagen zur Energieversorgung, zur Wasserversorgung, um berufsbildende Schulen, Altersheime, Kindergärten, Sportanlagen und den kommunalen Straßenbau. Auch die Mittel von rund 1,5 Milliarden DM für städtische Sanierungsmaßnahmen, nämlich für die Modernisierung von Wohnungen und die Zwischenfinanzierung, kommen dem Bürger unmittelbar zugute.Auch der Bund führt eine Reihe von Maßnahmen durch, die der strukturellen Verbesserung dienen. Ich denke hier an die Bundesbahn, aber z. B. — da bitte ich die Kollegen, sich diese Positionen einmal genau durchzusehen; es sind über 55 Positionen — auch an die Ortsumgehungen und Verlegungen. Ich erinnere mich noch an viele Besuche mit Delegationen an die besonderen regionalen Probleme bei Bundesstraßen. Das geht von der B 462 — Ortsumgehung Gausbach — bis zur B 199 — Verlegung bei Flensburg–Handewitt. Wir, die wir häufig mit Delegationen draußen im Lande waren, finden hier viele alte Bekannte wieder. Hier werden nun auch solche regionale Probleme gelöst.Im letzten Teil des Programms wird dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung nochmals die Möglichkeit gegeben, mit dem Betrag von 600 Millionen DM Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahmen durchzuführen.
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13136 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975
JunghansMeine Damen und Herren, die bundeseigenen Investitionen wurden so ausgewählt, daß sie kurzfristig konjunkturell wirksam werden können und andererseits nicht mittelfristig den ohnehin angespannten Haushalt belasten. Die Aufträge sollen demnach bis Ende 1975 vergeben und die Vorhaben bis Ende 1976 durchgeführt sein. Folgekosten — auch das ist eine wichtige Sache — werden weitgehend vermieden.Bei den kommunalen Vorhaben ist der Bund auf die Mitwirkung der Gebietskörperschaften angewiesen. Nun liegt es an den Ländern und Gemeinden, durch eine beschleunigte Vergabe der öffentlichen Bauaufträge und eine möglichst schnelle Erteilung von Baugenehmigungen zu einem raschen Wirksamwerden der Maßnahmen beizutragen. Hierzu kommt es darauf an, daß in enger und unbürokratischer Kooperation für eine schnelle Umsetzung im Interesse der Bürger gesorgt wird.Um die Zustimmung der Koalitionsfraktionen zu diesem Konjunkturprogramm zu verdeutlichen, haben wir dem Hohen Hause den Entschließungsantrag Drucksache 7/4058 vorgelegt. In dem Entschließungsantrag wird eine angemessene Einschätzung der Auswirkungen des Programms zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen, in erster Linie auf die Baukonjunktur, vorgenommen. Weiter wird auf den unmittelbaren Nutzen zahlreicher Maßnahmen für den Bürger hingewiesen und an die Gemeinden appelliert, ihre Chancen zu nutzen und damit gleichzeitig zur Sicherung der Arbeitsplätze beizutragen.Ich bitte daher das Hohe Haus, diesem Entschließungsantrag zuzustimmen und -damit seiner Entschlossenheit Ausdruck zu verleihen, die Bundesregierung bei der Ausübung dieser schwierigen Operation zu unterstützen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schneider.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum zweitenmal innerhalb von vier Monaten stehen wir im Deutschen Bundestag vor einer wohnungs- und bauwirtschaftlichen Diskussion. Dies ist sicherlich ein Novum. Denn mit den Problemen der Bau- und Wohnungswirtschaft befaßt sich der Bundestag nur äußerst spärlich. Das kann auch nicht verwundern, weil die Bau- und Wohnungswirtschaft keineswegs in den vorderen Reihen der Prioritätenskala dieser Bundesregierung rangiert. Der Bundeskanzler hat auch bei seiner Regierungserklärung vom 17. September 1975 diesen Problemkreis der Finanz- und Wirtschaftspolitik nur mit einer abstrakten Unverbindlichkeit berührt — ganz am Rande. Er ist nach meiner Auffassung der zentralen Bedeutung dieses Wirtschaftszweiges keineswegs gerecht geworden. Die heutige Themenstellung entspricht auch nicht der bauwirtschaftlichen Neigung der Bundesregierung, sondern dem Gesetz der Not, dem Zwang und dem Druck der Gewerkschaften und der Verbände. Denn jetzt haben es alle begriffen, auch die Verantwortlichen der Bundesregierung, daß ein längeres tatenloses, hilfloses Zuwarten die Verhältnisse nur verschlimmert und ihre Heilung erheblich und nachhaltig erschwert.Der zuständige Ressortminister, Bundesminister Ravens, hat im Zusammenhang mit der Aussprache über unsere Große Anfrage zur Lage der Wohnungspolitik noch am 15. Mai geglaubt erklären zu können, es bestehe kein Anlaß zu größeren Besorgnissen. Als ich ihm damals vorhielt, daß ich den Eindruck gewonnen hätte, er sei mit seinen politischen und regierungsamtlichen Bemühungen innerhalb des Kabinetts isoliert, hat er dies lebhaft bestritten und wörtlich erklärt — ich darf zitieren :Ich denke, auch wir sollten jetzt den nötigen Atem haben, um das Auslaufen der Konsolidierungsphase und ihr Einmünden in einen neuen Aufschwung abzuwarten. Die Bundesregierung hat durch die Kombination von konjunkturpolitischen Maßnahmen auf der Ausgaben- und Einnahmenseite deutliche Zeichen gesetzt.Der Minister hielt damals die Rahmenbedingungen im Gesamtbereich des sozialen Wohnungsbaus für günstig.
Damals befaßte sich der Deutsche Bundestag auf Grund des Anstoßes, der von der Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion ausging, mit diesen zentralen Problemen der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik.Aber das war ja nicht zum erstenmal, daß die Opposition die Bundesregierung aufgefordert hat, bekanntzugeben, von welchem Leitbild sie ausgeht, von welchen Grundsätzen sie sich leiten läßt und welche Zielprojektionen sie mittel- und langfristig auf diesem Felde entwickelt. Bereits am 7. Januar 1974, als sich die Krise abgezeichnet hat, brachten wir eine Kleine Anfrage betr. die Krise im sozialen Wohnungsbau ein. Die Antworten darauf waren in jeder Hinsicht beschönigend, beruhigend, aber im Ergebnis falsch. Am 4. Juli brachten wir erneut eine Kleine Anfrage ein betr. die Lage auf dem Bau- und Wohnungsmarkt. Die Bundesregierung glaubte damals, ihre Maßnahmen reichten aus, die Bauwirtschaft zu stabilisieren, und sie erklärte dann, sollte dies wiederum nicht der Fall sein, werde sie rechtzeitig eingreifen.Nun, dies geschah am 12. Dezember 1974. Die damals getroffene Konjunkturmaßnahme hat ihre Wirkung weitgehend verfehlt. Die Bundesregierung ist uns bis heute eine Erfolgskontrolle dazu schuldig geblieben. Sie bleibt aufgefordert, zu erklären, ob die Erwartungen, die sie damals an diese Maßnahme geknüpft hat, erfüllt worden sind.
Wir wissen, daß sich auf dem Gebiete der Bauwirtschaft nichts geändert hat, daß die Arbeitslosenzahlen weiter zunehmen und daß die Zahl der Konkurse ebenfalls in einem beängstigenden Maße weiter steigt.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975 13137
Dr. SchneiderDamals wollten wir im Fachausschuß erreichen, daß auch Eigentumsmaßnahmen in dieses Konjunkturprogramm aufgenommen werden.
Gegen unsere Stimmen hat es die Bundesregierung damals abgelehnt, Eigentumsmaßnahmen einzubeziehen. Nunmehr liegt uns ein neues Programm vor, das „Programm zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen" vom 5. September 1975. Meine Damen und Herren, um es ganz schlicht zu sagen: Dieses Programm kommt zu spät, es ist zu knapp bemessen, in weiten Teilen in sich widersprüchlich und verfahrenstechnisch dilettantisch ausgerichtet.
Sie werden mit diesem Programm konjunkturpolitisch vielleicht ganz leichte Erfolge — und die nur kurzfristig — erreichen, aber keineswegs ist dies ein Programm, das den Namen verdient, den Sie diesem Programm gegeben haben, nämlich „Programm zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen". Nein, hier werden allenfalls steckengebliebene Investitionen nachgeholt. Im einzelnen bietet das Programm keineswegs das, was es eigentlich bringen soll.Sie, verehrter Herr Kollege Wurbs — ich darf auf Sie eingehen —, haben die so kühne Meinung vertreten, daß wir sogar eine stimulierende Konjunkturwirkung ausgelöst hätten, wenn wir bereit gewesen wären, dem Wohnbesitzbrief unsere Zustimmung zu geben.
Ich gehe mit Ihnen jede Wette ein — und zwar einseitig: Nur ich bezahle, Sie brauchen mir nichts zu geben —: Sie werden im ganzen Deutschen Reich, sogar in den alten Grenzen, keinen einzigen finden, der Ihnen mit dieser Auffassung recht gibt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wurbs?
Ja, bitte sehr!
Herr Kollege Schneider, stimmen Sie mir zu, daß das Gesetz, daß Sie soeben haben, aus zwei Teilen besteht und daß es nicht ganz richtig ist, wenn Sie immer nur auf den Wohnbesitzbrief abheben? Das Gesetz besteht, wie gesagt, aus zwei Teilen. Ich glaube, das ist Ihnen bekannt. Das sollte man der Fairneß halber hier auch einmal sagen.
Ich werde darauf gern eingehen. — Lassen Sie mich nunmehr zum Sonderprogramm Wohnungsmodernisierung kommen. Bei diesem Programm handelt es sich in der Sache selbst um Prämien zur Verbesserung der Modernisierungskredite in Höhe von 700 Millionen DM.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Henke?
Bitte sehr!
Herr Dr. Schneider, stimmen Sie mir zu, daß der von Ihnen soeben kritisierte Wohnbesitzbrief gar nicht so schlecht sein kann, weil er auch ohne unser Gesetz am Markt vorhanden war und sich schon durchgesetzt hat?
Ich kann Ihnen leider nicht zustimmen, Herr Kollege Henke. Denn wenn es diesen Brief schon gibt und er sich auf dem Markt bereits durchgesetzt hat, dann frage ich die Bundesregierung, warum sie dann überhaupt ein völlig unnötiges Gesetz eingebracht hat.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Ja, bitte!
Herr Dr. Schneider, stimmen Sie mir zu, daß trotz dieses faktischen Vorhandenseins des Wohnbesitzbriefs eine Reihe von rechtlichen Unsicherheiten es notwendig machen, die Position des Wohnbesitzbrieferwerbers abzusichern, und daß dies u. a. ein wesentliches Anliegen des Gesetzes ist?
Herr Kollege Henke, ich bin der Meinung, daß es heute weniger darauf ankommt, rechtliche Unsicherheiten zu beseitigen, sondern vielmehr darauf, den Wohnungsbau dort zu aktivieren, wo er aktiviert werden kann, nämlich dort, wo echtes Eigentum gebildet wird.
Meine Damen und Herren, eine Reihe anstehender Modernisierungswünsche können mit diesem Programm erfüllt werden. Da und dort wird es auch möglich sein, eine denkmalspflegerische Maßnahme zusätzlich zu fördern. Freilich, meine Damen und Herren: Dieses Programm stellt den Bundesgesetzgeber keineswegs von seiner Verpflichtung frei, denkmalspflegerische Aufwendungen der privaten Haus- und Grundeigentümer wesentlich stärker als bisher steuerlich zu fördern.
Auf keinen Fall darf diese mehr zufällige und beiläufige Hilfe für den Denkmalschutz als deutscher Beitrag zum Europäischen Denkmalsschutzjahr gewertet werden.
— Ich bleibe durchaus im Rahmen der haushaltspolitischen Möglichkeiten. Nur darf, wie gesagt, dieses Programm nicht gleichzeitig als ein wirkungsvoller Beitrag zum Denkmalsschutzjahr 1975 angesehen werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schwencke?
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13138 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975
Auch das gestatte ich gerne.
Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Kollege Schneider, darf ich Sie fragen, ob Sie zur Kenntnis genommen haben, daß das Programm nicht nur im Hinblick auf Wohnungsmodernisierung, sondern auch im Hinblick auf Infrastrukturmaßnahmen und das „Sonderprogramm Stadtsanierung" ausdrücklich Denkmalschutzmaßnahmen einschließt, daß außerdem beim Bundesinnenminister eine Extrasumme für nationale kulturelle Denkmäler zur Verfügung steht und daß darüber hinaus auch für diesen Bereich ERP-Mittel günstig zu haben sind?
Herr Kollege Dr. Schwencke, auch das weiß ich natürlich. Ich weiß, daß alle drei Programme denkmalschützende Maßnahmen im konkreten Fall möglich machen. Wenn Sie aber den Etatposten in Höhe von 3,3 Millionen DM beim Bundesinnenminister nennen, muß ich sagen: Dieser Ansatz von 3,3 Millionen DM ist direkt proportional zum Denkmalschutzwillen dieser Bundesregierung — und dies noch im europäischen Denkmalschutzjahr. 3,3 Millionen DM würde ich also gar nicht erst erwähnen. Dieser Ansatz ist sozusagen selbst als Feigenblatt zu klein. Man braucht ein Feigenblattmikroskop, um dies überhaupt haushaltspolitisch darstellen zu können.
Eines an diesem Programm ist erfreulich. Es ist im Gegensatz zu den Richtlinien für das Modernisierungsprogramm 1975 des Bundes auf die Bedürfnisse der Praxis ausgerichtet. Es kennt keine Belegungsbindung, keine Modernisierungszonen, keine degressive Aufwendungssubvention. Der Förderungsgegenstand ist weiter und sachgerechter abgemessen. Daß dabei die soziale Symmetrie zu kurz kommt, hat die Bundesregierung zu vertreten. Dieses Programm ist unter hektischen Bedingungen zustande gekommen. Dann kann bekanntlich nichts Besseres herauskommen. Es ist ein Feuerwehrprogramm; dann werden eben Rotlichte überfahren. Es steht unter dem Motto: Schnelligkeit vor Gerechtigkeit. Aus dem Wettrennen der Windhunde wird nicht der Bedürftigste, sondern der Schnellste als Sieger hervorgehen. Daß dieses Ergebnis unter allgemeinen sozialstaatlichen Grundsätzen bedenklich erscheinen muß, haben uns die kritischen Stimmen der Presse unüberhörbar wissen lassen.
Das Kreditgewerbe hat das gewählte Verfahren massiv kritisiert. Es gibt in jüngerer Zeit kein von der Bundesregierung zu vertretendes Verfahren, das auf einen so einmütigen, einheitlichen und so heftigen, beißenden, ironischen, sarkastischen Widerstand aller gestoßen ist, die mit diesen Dingen zu tun haben und von der Sache selbst etwas verstehen.
Die Bundesregierung konnte sich bis heute noch nicht überzeugend des Vorwurfs erwehren, das von ihr gewählte Antragsverfahren sei dilettantisch. Beim Langstreckenlauf um 700 Millionen DM fand
ja nicht nur ein Wettlauf der Antragsteller, sondern auch der Kreditinstitute untereinander statt. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, unabhängig davon, ob vorher Aufträge an das Baugewerbe vergeben worden sind oder nicht. Die Bundesregierung wird sich zu den gegen sie in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwürfen im einzelnen noch zu äußern haben.
Das Programm betreffend die Zwischenfinanzierung ist als Beitrag zur Baufinanzierung im Prinzip zu begrüßen. Eine konjunkturstimulierende Wirkung wird davon aber sicherlich nicht ausgehen. Viele nach dem Zweiten Wohnungsbauprogramm antragsberechtigte Mitbürger sind nämlich im Besitz eines zuteilungsreifen Bausparbriefes, der keiner Zwischenfinanzierung bedarf, und sehen sich dennoch außerstande, mit dem Bauen zu beginnen oder eine fertige Eigentumswohnung zu kaufen. Den Bewilligungsstellen liegt eine erhebliche Zahl geplanter, auf den Bedarf hin geprüfter — das ist ganz entscheidend und bei ermäßigtem Kapitalmarktzins durchfinanzierter Projekte vor, die wegen des Mangels an öffentlichen Mitteln bisher zurückgestellt werden mußten.
Zudem muß gesagt werden, daß in der wohnungsund bauwirtschaftlichen Lage der Gegenwart das Fehlen langfristiger Kredite ein erheblicher Mangel ist. Zu diesem Thema müßte noch Näheres gesagt werden. Die Bausparzwischenfinanzierung steht in einem krassen Widerspruch zu dem Plan der Bundesregierung, die Regelsätze der Bausparprämien von 23 % auf 18 % herabzusetzen. Eine solche Maßnahme führt zu längeren Wartezeiten und löst einen nicht zu überschauenden negativen psychologischen Effekt aus. Die Bundesregierung setzt mit dieser Entscheidung ihre hektische und in sich widersprüchliche Konjunkturpolitik fort. Durch diese Maßnahme verbreiten sich weiter Unsicherheit bei den Bausparern und eine allgemeine Unruhe im Kreise der Bauanwärter. Dabei muß bedacht werden, daß 55 % aller Bausparmittel in den Neubau fließen. Von dieser Kürzungsmaßnahme würde am meisten der kleine Regelsparer betroffen, nicht der potente Anleger, dem jetzt die Zwischenfinanzierung einen sozial nicht weiter motivierten Vermögensvorteil bringt.
Schon die Steuerreform 1974 hat auf diesem Gebiet erhebliche Einschnitte gebracht. Die Zusatzprämie wurde ersatzlos gestrichen, das prämienbegünstigte Höchstsparvolumen für Alleinstehende von 1 600 auf 800 DM herabgesetzt, die Einkommensgrenze für Ledige auf 24 000, für Verheiratete auf 48 000 DM festgesetzt, die Grundprämie bei gleichzeitiger Einführung von Kinderzuschlägen um zwei Punkte ermäßigt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Grafen Lambsdorff?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte!
Herr Kollege, hätten Sie es für richtig gehalten, daß der Abstand der Begünstigung zwischen den Kontensparern und den
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975 13139
Dr. Graf LambsdorffBausparern so wesentlich vergrößert worden wäre, wie das der Fall wäre, wenn man bei Ihren Darlegungen bliebe? Sehen Sie die Gefahr, daß dann vom Kontensparen auf Bausparen umgebucht wird, und sehen Sie die Gefahr, die daraus für den Kapitalmarkt und insbesondere für die Baufinanzierung entstehen würde?
Ich sehe die Probleme durchaus. Sie haben drei Fragen gestellt, ich werde auch auf alle drei Fragen eingehen, möchte aber eine Antwort sofort an dieser Stelle geben: Ohne die Aufrechterhaltung des Bausparens würde es für den kleinen Mann im Bereich des Wohnungsbaus keine Chance mehr geben, zu Eigentum zu kommen.
Wer ja sagt zur Vermögensbildung für den kleinen Mann, der muß ja sagen zum Bausparen. Ob auf dem Gebiete des Bausparwesens durch gesetzliche Eingriffe gewisse Fehlentwicklungen, die Sie angedeutet haben, reguliert werden können, darüber ist durchaus zu reden, und wir sind auch durchaus bereit, darüber zu reden Man muß nämlich wissen. Herr Kollege Graf Lambsdorff: im Gegensatz zum Kontensparer bleiben beim Bausparer die Sparbeträge weit über die Steuer- und prämienrechtlichen Sperrfristen hinaus gebunden. Der Zeithorizont der Bausparer ist erheblich weiter gespannt. Bausparen ist die einzige Sparform, bei der nur ein Teil des Sparprogramms gefördert wird. Die Begünstigung beschränkt sich auf den Zeitraum bis zur Zuteilung.
Ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt: Die Bausparförderung zeichnet sich durch einen erheblichen Multiplikatoreffekt aus. Der Multiplikator bewegt sich zwischen 7 und 8, d. h. den Aufwendungen der öffentlichen Hand für die Bausparförderung, z. B. die Wohnungsbauprämien und die Steuerausfälle nach § 10 Einkommensteuergesetz, von beispielsweise einer Milliarde DM stehen Auszahlungen der Bausparkassen für bauwirtschaftliche Maßnahmen in Höhe von 7 bis 8 Milliarden DM gegenüber.
Der Bausparförderung kommt auch eine hohe gesellschaftspolitische Bedeutung zu. Sie ist auf breit gestreute Vermögens- und Eigentumsbildung gerichtet. Keine andere Art der Vermögensbildung seit 1949 vermag die spezifischen Kriterien des Eigentums besser zu erfüllen als der Besitz an Haus und Wohnung. Unsere Vermögensbildungspolitik hat überhaupt nur auf diesem Felde eindeutige, greifbare und vor allen Dingen zeitlich lang wirksame Erfolge gebracht.
Keine andere Art als die Sachherrschaft über dingliches Eigentum in der Form der selbst genutzten Familienwohnung verdient so sehr die Sorge und Förderung durch den öffentlichen Gesetzgeber. Der Anteil der Bausparkassen an der Mitfinanzierung von Eigenheimen stieg übrigens vom Jahre 1963 bis heute von 46 auf 90 % an. Wo wären wir denn hingekommen, wenn wir den Bausparbrief nicht gehabt hätten?! Der Bausparer ist trotz gigantischer Kapitalmarktzinsen immer bei seiner eigenen Last
geblieben. Diese Solidargemeinschaft der Bausparer darf nicht zerstört werden.
Meine Damen und Herren, nun aber allgemein einige Gedanken zur Lage der Bauwirtschaft. Die Grenzen der strukturellen Bereinigung des Baugewerbes und der Bauwirtschaft sind längst überschritten. Diese These kann niemand bestreiten.
Ich muß leider feststellen, daß die Bundesregierung, jedenfalls was ihr Handeln angeht, diese These bisher nicht zur Kenntnis genommen hat. Die Bauproduktion und damit auch die Beschäftigtenzahlen im Bauhauptgewerbe werden in den kommenden Monaten weiter abnehmen, obschon wir heute dieses Programm beschließen werden. Dafür sprechen alle Nachfragedaten. Im Wohnungsbau ist keine Belebung zu erwarten. Dafür bringt dieses Programm überhaupt nichts. Es gibt keinen Wirtschaftszweig, der seit 1973 seinen Personalbestand so stark abgebaut hätte wie das Baugewerbe. Der Abbau beträgt 23,1 %, während in der gleichen Zeit der öffentliche Dienst um 3,9% zugenommen hat.
Hier zeigt sich die Einengung der Investitionskraft der öffentlichen Haushalte durch an anderer Stelle ausufernde Staatsausgaben. Das ist derzeit das größte Problem der Staatsfinanzen und auch das größte Problem bei der Bewältigung der Schwierigkeiten auf dem wohnungs- und bauwirtschaftlichen Sektor.
Ende Juni 1975 war die Beschäftigtenzahl des Bauhauptgewerbes 13,3 °/o niedriger als im Vorjahr. Im ersten Halbjahr 1975 wurden im Bauhauptgewerbe 17,3 % weniger Arbeitsstunden als 1974 geleistet. Bei den Wohngebäuden sind die Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser im ersten Halbjahr 1975 leicht angestiegen, dagegen die für Mehrfamilienhäuser kräftig zurückgegangen. Das ist ja ganz klar: weil kein Mensch im frei finanzierten Wohnungsbau mehr ein Mietshaus bauen kann. Bei Kostenmieten, die bei 15 DM pro Quadratmeter und Monat liegen, kann niemand mehr vermieten. Aber leider haben wir bereits den Zustand erreicht, der so gespenstisch ist, daß wir selbst im sozialen Mietwohnungsbau nicht mehr vorankommen können, weil auch dort die Wohnungen leer bleiben; denn die Finanzierungsart — ich komme darauf noch zurück — ist so angelegt, daß auch hier nach dem KostenmietenPrinzip Mieten verlangt werden müßten, die die finanzielle, wirtschaftliche Leistungskraft der einzelnen Mieter weit überfordern.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Conradi?
Bitte schön!
Herr Kollege Dr. Schneider, könnte der Rückgang im Wohnungsbau vielleicht
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13140 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975
Conradiauch damit etwas zu tun haben, daß wir in diesem Land zum erstenmal seit 60 Jahren gleich viel Haushaltungen wie Wohnungen haben?
Dem stimme ich durchaus zu. Ich will Ihnen aber gleich sagen: Es fällt mir auf, daß die Bundesregierung das erst jetzt zur Kenntnis genommen hat.
— Das steht in der Bau-Enquete. Aber die Bundesregierung gibt wissenschaftliche Gutachten in Auftrag und ist noch nicht einmal bereit, das Vorwort dieser Gutachten zu lesen. Die Bundesregierung hat im Jahre 1971 die Bau-Enquete in Auftrag gegeben — vier Bände mit 2 000 Seiten — und hat bisher überhaupt nicht zu erkennen gegeben, was sie von dieser Enquete hält. Nur eines ist sicher: An die Erkenntnisse dieser Enquete hat sie sich zu keinem einzigen Zeitpunkt gehalten.
Und, Herr Kollege Conradi, wenn Sie fragen, ob das auch damit zusammenhängt: Natürlich wissen wir, daß wir bei 22,2 Millionen Haushaltungen etwa 23,6 Millionen Wohnungseinheiten haben, wobei die jeweilige Qualität dieser Wohnungen unterschiedlich ist. Ich weiß, daß welche dabei sind, die den Begriff Wohnung in unserem technischen Sinne — Ausstattung, hygienische Einrichtungen — nicht mehr verdienen.
Aber dann muß ich Ihnen sagen: Im Mai 1972 habe ich mit meinen Freunden eine Kleine Anfrage eingebracht, um einige Auskünfte zu erhalten. Die Bundesregierung hat am 6. Juni 1972 geantwortet und gesagt, daß sie gewährleiste, daß in Zukunft jährlich 200 000 bis 250 000 Sozialwohnungen gebaut würden.
In den nächsten zehn Jahren sollten fünf Millionen Wohnungen gebaut werden. Es heißt — ich muß das wirklich vorlesen, weil man das heutzutage gar nicht mehr glauben kann; ich lese das auch deshalb vor, weil sich der SPD-Parteitag am 13. Oktober 1972 in Dortmund dann diese Zahlen zu eigen gemacht hat — wörtlich:
Wir wollen auch in den kommenden Jahren mindestens 200 000 bis 250 000 Sozialwohnungen fördern.
Heute sind wir froh, daß wir — mit allen Hilfsmaßnahmen — knapp an die 100 000 herankommen. Und wir wissen bereits, daß wir im nächsten Jahr die 70 000-Grenze vielleicht nicht erreichen werden.
Damals allerdings hat die Bundesregierung geantwortet:
Ziel des Langfristigen Wohnungsbauprogramms
ist es, gemeinsam mit Ländern und Gemeinden
jährlich 200 000 bis 250 000 Wohnungen und
Heimplätze im sozialen Wohnungsbau zu schaffen. Die Bundesregierung geht dabei davon aus, daß es mit Hilfe der direkten und indirekten Wohnungsbauförderung möglich sein wird, im Laufe der nächsten zehn Jahre im sozialen Wohnungsbau und im freifinanzierten Wohnungsbau insgesamt rd. 5 Millionen neue Wohnungen zu errichten
— jetzt kommt das Entscheidende, und darin steckt einige Hilflosigkeit und Blindheit Ihrer Wohnungspolitik; denn es heißt —
und damit die Voraussetzungen für eine allmähliche Entspannung auf den Wohnungsmärkten zu schaffen.
Also 1972 hat man gesagt: Wenn wir fünf Millionen Wohnungen zusätzlich gebaut haben, dann beginnt erst die allmähliche Entspannung auf dem Wohnungsmarkt. Da wundern Sie sich, daß Bauunternehmer, auf Sie vertrauend, wie wild losgebaut haben und heute auf ihren Halden sitzengeblieben sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Henke?
Bitte schön.
Herr Kollege Dr. Schneider, stimmen Sie zu, wenn ich feststelle, daß die von Ihnen genannten Zahlen damals auch von Ihrer Partei und von den Oppositionsparteien insgesamt gefordert wurden und daß ein Umdenken im Sinne der neuen Erkenntnisse quer durch dieses Haus erst Anfang 1974 begonnen hat?
Herr Kollege Henke, ich stimme Ihnen zu, daß wir die gleichen Expertisen gelesen haben, daß wir vor allen Dingen vielleicht der Bundesregierung mehr vertraut haben, als richtig gewesen ist.
Nur in einem unterscheiden wir uns: wir haben mit diesen 250 000 Sozialwohnungen pro Jahr damals keinen Wahlkampf geführt und die Wahl nicht gewonnen. Das ist der Unterschied.
Das Programm zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen kommt zu spät. Es ist volumenmäßig zu knapp bemessen, es ist widersprüchlich und, wie gesagt, verfahrenstechnisch dilettantisch. Daß dem verehrten Städtebauminister bei seinem Kampf gegen die auf seinem Felde auftretende Not die Ressortkollegen aus Wirtschaft und Finanzen nicht zu Hilfe kommen, ist ganz eklatant. Denn sonst wären einige Entscheidungen überhaupt nicht erklärbar. Wenn es stimmt, was aus Kreisen der Wohnungswirtschaft zu hören war, dann waren Sie, Herr Minister Ravens, zu den entscheidenden bau- und wohnungspolitischen Besprechungen in dem Ferienort Brahmsee überhaupt nicht eingeladen. Da saß
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Dr. Schneiderder Kanzler mit seinem Wirtschaftsminister und seinem Finanzminister beisammen, und man hat die Dinge offensichtlich viel, viel zu leicht genommen. Wenn ich mir die Hektik, die Widersprüchlichkeit, die Zerfahrenheit und die innere Zerrissenheit der wohnungs- und baupolitischen Maßnahmen dieser Bundesregierung ansehe, dann muß ich überhaupt feststellen, daß die Bundesregierung auf diesem Gebiet seit langem nicht mehr regiert, sondern nur mehr reagiert, und das zur falschen Zeit, mit den falschen Mitteln und in die falsche Richtung.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich meine immer noch, regieren käme von regere, lenken, leiten, gestalten, voraussehen. Genau das fehlt in dieser Politik.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Burger?
Herr Dr. Schneider, es ist mir bekannt, daß es eine Untersuchung der Bundesregierung gibt, wonach die Familien mit mehreren Kindern wohnungsmäßig besonders schlecht untergebracht sind. Bringt nun dieses Programm wenigstens für diesen Teilbereich einige Möglichkeiten der Verbesserung?
Keineswegs. Dieses Programm fördert keinen einzigen Neubau.
— Ja, darauf gehe ich ein. Wohnungspolitisch hat das Programm nur einen Bezug zu dem Zwischenfinanzierungskredit.
Herr Kollege, können sie verstehen, wieso die Bundesregierung diese Notlage nicht erkannt hat und diesen Familien nicht helfen will?
Ich darf Ihnen sagen, mir ist das Psychogramm der Bundesregierung nicht ganz geläufig. Ich weiß nur, daß sie sich fortwährend in einem wohnungspolitischen Verzug befindet.
Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu etwas ganz Wesentlichem kommen. Alle Welt in Deutschland, vor allen Dingen die Fachwelt, hat erwartet, daß dieses Konjunkturankurbelungsprogramm auf dem Gebiet des sozialen Wohnungsbaues — ich meine den Neubau — eine erhebliche Stärkung bringen wird. Ich bin als sicher davon ausgegangen, diese Bundesregierung wird sagen: Wir werden ein Programm im Umfang von etwa 100 000 Neubauwohnungen auflegen. Das ist nicht geschehen. Die Bundesregierung muß sich in Zukunft bei ihrem Anspruch, mehr Sozialstaatlichkeit zu verwirklichen, mit dem Maßstab dieser Entscheidung messen lassen,
um so mehr, als sie 1972 so große Sprüche gemacht hat. Damals wollte man das moderne Deutschland bauen. Heute müssen wir an den Hochbauruinen, die leer stehen, vorbeifahren und uns sorgen, wie wir mit dieser Problematik eines Tages fertig werden. Bezahlt hat ohnedies schon der Steuerzahler.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Henke?
Herr Kollege Dr. Schneider, können Sie bestätigen, daß diese Hochbauruinen nicht das Ergebnis der Politik der Bundesregierung sind, sondern das Ergebnis des von Ihnen so viel beklatschten und zitierten freien Marktes?
Herr Kollege, wenn jemand eine Stradivari-Geige in die Hand nimmt — ich meine mal, die Marktwirtschaft ist die Stradivari-Geige — und darauf rumkratzt, dann liegt die Schuld nicht an der Geige, sondern an dem, der spielt. Man muß darauf auch spielen können.
Nun darf ich sagen, die Bundesregierung ist auch ganz unehrlich, und sie hat die Öffentlichkeit ganz grob getäuscht. Wieso? Wir haben im Juli eine Kleine Anfrage — bezogen auf die Absichten der Bundesregierung auf dem bau- und wohnungspolitischen Felde — eingebracht. Die Bundesregierung hat am 7. August 1975 darauf geantwortet, und da heißt es wörtlich:Entsprechend der Zielsetzung der Wohnungspolitik der Bundesregierung werden zusätzliche öffentliche Mittel zur Förderung des Wohnungsbaus vorrangig zur Eigentumsbildung privater Haushalte und zur Versorgung kinderreicher Familien eingesetzt.Am 7. August noch hat die Bundesregierung in einer Antwort auf die Anfrage der Opposition regierungsamtlich erklärt, sie werde neue Wohnungen bauen. Am 5. September kommt das Programm — am 27. August im Kabinett beschlossen — zustande, und nicht ein einziges Projekt steckt darin. Meine Herren der Bundesregierung, das müssen Sie selbst sehen und verantworten.Dabei muß ich sagen, die Bundesregierung verkennt die Bedeutung der Bauwirtschaft insgesamt im Rahmen des volkswirtschaftlichen Geschehens. Dabei müßte sie doch wissen, daß die Bauwirtschaft zu 8,5 % zum Bruttoinlandsozialprodukt beiträgt, daß die ganze Elektro- und Elektronikwirtschaft nur mit 6,5 % beiträgt, daß die Chemie nur zu 5,9 % beiträgt, daß die Nahrungs- und Genußmittelindustrie nur zu 5,3 % beiträgt, daß die gesamte Stahlwirtschaft mit Maschinenbauindustrie und Kraftfahrzeugbau nur mit knapp über 10 % beiträgt. Wenn
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Dr. Schneiderman diese führende Position noch ruiniert, weil man falsche Programme aufstellt und diese konjunkturpolitisch falsch einordnet, dann braucht man sich doch nicht zu wundern, daß die letzte Hoffnung in den Reihen derer, die hier unternehmerisch handeln sollen, dahinschwindet.
Meine Damen und Herren, die Entscheidung der Bundesregierung ist auch noch in anderer Hinsicht widersprüchlich und überhaupt in jeder Hinsicht unverständlich. Warum? Was heute nottut, ist eine echte Konjunkturankurbelung. Hätte die Bundesregierung ein Programm von 100 000 Wohnungen aufgelegt, so hätte sie mit diesem Programm 200 000 Beschäftigten Arbeit und Brot gegeben. Dies hätte ein Bauvolumen im Umfang von 10 Milliarden DM in Gang gesetzt, dies hätte zu einem Plus an Steuereinnahmen von 2 Milliarden DM geführt, dies hätte zu Sozialleistungen und Krankenversicherungsbeiträgen in Höhe von etwa 2 Milliarden DM geführt, dies hätte zu weniger Ausgaben für Arbeitslosenversicherung bzw. Arbeitslosenhilfe in Höhe von etwa 1,1 Milliarden DM geführt. Wir hätten also insgesamt ein Plus von etwa 5 Milliarden DM gehabt.
— Ach was? Wenn Sie es nicht wissen, gehen Sie in die Klippschule der Volkswirtschaft!
— Warum die Bayern das nicht mitmachen? Oder überhaupt die Länder? Auf diese Frage eine Antwort: Das ist doch ganz klar. Man hat den Ländern, nachdem man monatelang gezögert hat, von heute auf morgen mitgeteilt: wollt ihr bei diesem Programm mitmachen?
Hier fehlte doch jede rechtzeitige Abstimmung, hier fehlte doch jede rechtzeitige Koordination. Was ist denn im Finanzplanungsrat, was ist denn im Konjunkturrat darüber gesprochen worden? Wo hat man denn überhaupt einmal langfristig an ein solches Programm gedacht? Man hat zwar immer von Schubladenprogrammen gesprochen, aber wo sind sie denn geblieben? Den Bundesländern können Sie hier nicht den geringsten Vorwurf machen; der Bund kann sich auf dem Gebiet der Bau- und Wohnungspolitik nicht ständig zu Lasten der Länder exkulpieren. Dies ist einmal unfair, und zum anderen ist es auch total falsch.
Meine Damen und Herren, die Prognosen, die die Bundesregierung bisher gegeben hat, haben sich samt und sonders als falsch erwiesen.
Ich kenne keine einzige Prognose, die gestimmt hätte. Und nunmehr sagt uns der Herr Bundesstädtebauminister, es sei in Zukunft eine jährliche Neubauquote von 400 000 bis 450 000 Wohneinheiten zu erwarten. — Oh nein, ich kenne keinen einzigen Fachmann aus den Reihen der Wohnungswirtschaft, der Kreditwirtschaft, der einschlägigen Verbände, der diese Annahme bestätigen würde. Ich habe die Bundesregierung schon am 15. Mai gefragt, wie sie denn auf diese Einheiten gekommen sei. Ich weiß, daß es hierzu Gutachten verschiedener Institute gibt. Ich weiß aber auch, daß man von einer Methode mit falschen Ansatzpunkten ausgeht. Wenn man heute wieder 450 000 Wohnungen programmiert, muß ich fragen: Wer soll sie denn bauen, wo sind die Leute, die sie unter den heutigen Konditionen bauen können? Heute gibt es in unserem Lande Zigtausende, die ihr Eigenkapital angespart haben und gerne bauen würden, aber nicht bauen können, weil es an öffentlichen Mitteln fehlt.
Neuerdings höre ich — auch der Bundesvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat dies am Abend des 23. September im Deutschen Fernsehen gesagt —, daß dieses Programm mehr oder minder auch ein Investitionslenkungsprogramm sei. Sie wissen ganz genau, daß die öffentliche Förderung des Wohnungsbaus und der kommunalen Bautätigkeit nicht unter die wirtschaftstheoretische Kategorie der Investitionslenkung fällt. Adenauer, Erhard und Schäffer haben als Kanzler bzw. Wirtschafts- und Finanzminister 1949 begonnen, den sozialen Wohnungsbau als Werk des Wiederaufbaus, der Behebung der Wohnungsnot sowie der Eigentums- und Vermögensbildung breiter Bevölkerungsschichten öffentlich zu fördern. Wer möchte diese drei Persönlichkeiten in die geistige und politische Nähe von Befürwortern der Investitionslenkung bringen?Der soziale Wohnungsbau hat seine Sozialqualität verloren, weil er unter Kosten- und Preisbedingungen finanziert werden muß, die die finanziellen Kräfte des Staates und die soziale Leistungsfähigkeit der davon betroffenen Bürger gleichermaßen überfordern. Wer unter den gegenwärtigen Bedingungen, und das mit steigender Tendenz, von einem Sozialmieter mehr als ein Drittel des Familieneinkommens für Miete verlangt, hat die soziale Qualität des öffentlich geförderten Wohnungsbaus zerstört. Hier warne ich vor einer Täuschung und Verfälschung der Wahrheit in der Offentlichkeit. Es wird gesagt, 15 % sei der Durchschnitt. Nein! Wenn man alles zusammenzählt und den Adenauer-, Erhard- und Schäffer-Bonus hinzunimmt, dann stimmt es. Ich stelle aber auf diejenigen Mieter ab, deren Lage Sie zu verantworten haben, die Wohnungen bezogen haben, die unter der Wohnungs-, Wirtschafts-, Finanz- und Konjunkturpolitik während Ihrer Regierungszeit entstanden sind.
Diese Wohnungen sind faul und unsolide finanziert.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975 13143
Dr. SchneiderIn diesen Wohnungen steckt ein staatliches Finanzierungsdefizit von etwa 5 Milliarden DM. Man hat sie mit degressiv gestaffelten Zinsaufwendungsbeihilfen mit der Maßgabe finanziert, daß die Zinssubvention alle drei Jahre fällt und dann natürlich die Kostenmiete ansteigt. Das hat zur Folge, daß heute bereits die Fluktuation in diesen neuen Wohnbereichen in einem erschreckenden Maße zunimmt. Wenn die Miethöhe 6,50 oder 7 DM erreicht, ziehen die Mieter aus und suchen sich billigere Wohnungen. Wenn dann das „Konjunkturwasser", das „Defizitwasser" wieder angestiegen ist, steigen sie aus und versuchen, erneut in billigere Wohnungen zu ziehen.
Die Krankheit, die Schwäche, die darin steckt, muß bereinigt werden. Sie werden diese fehlfinanzierten Wohnungen eines Tages umfinanzieren müssen, und dazu brauchen Sie mindestens 5 Milliarden DM. Diese Zahl ist niedrig geschätzt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Maucher?
Bitte!
Herr Kollege Schneider, ist Ihnen irgendeine Statistik bekannt oder von der Regierung vorgelegt worden, aus der hervorgeht, wie viele auf Grund der Entwicklung der Einkommen vor allem in diesem Jahr in Einzelfällen nicht mehr in der Lage sind, die von ihnen gebaute Eigenheimwohnung zu erhalten? Mir ist z. B. ein Fall bekannt, in dem jemand gebaut hat, der im Jahre 1974 ein Jahresbruttoeinkommen in Höhe von 40 000 DM hatte.
Verehrter Herr Kollege, das ist keine Zwischenfrage mehr; das ist schon eine Stellungnahme.
Kurz und bündig: im Jahre 1975 wird sein Einkommen 16 000 DM weniger betragen. Er kann die Belastung nicht mehr aufbringen.
Auch das ist keine Zwischenfrage.
Herr Kollege Maucher, mir ist durchaus bekannt, daß die Eigenheimer, die im sozialen Wohnungsbau gebaut haben, in dieselbe finanzielle Zwickmühle geraten wie die Mieter. Der eine kommt in Schwierigkeiten wegen des hohen Mietzinses, der andere wegen der steigenden Kapitallast zur Finanzierung seines Eigenheims oder seiner Eigentumswohnung.
Werter Herr Kollege, Ihre Redezeit läuft ab. Sie ist schon einmal verlängert worden.
Vielleicht ist die heutige Debatte eine Gelegenheit für den Bundesbauminister, zu sagen, wann die Bundesregierung bereit ist, die derzeitige Finanzierungsmethode umzustellen. Dies ist eine ganz entscheidende Frage; denn nur wenn die Methode umgestellt wird, besteht überhaupt eine Chance, auf diesem Felde noch zu einigermaßen sicheren Ufern zu kommen.
Ich komme zum letzten Satz und stelle fest: Die Wohnungsbaupolitik dieser Bundesregierung ist, gemessen an ihren Ansprüchen, auf allen Gebieten gescheitert. Dieses Programm zur Stärkung von Bau und anderen Investitionen wird kein Beitrag zur Investitionsankurbelung sein, wird die Konjunktur auf dem Gebiet der Bauwirtschaft nicht beleben und wird die Krise auf dem Felde der Wohnungs- und Bauwirtschaft nur noch weiter verschärfen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Herr Bundesminister Ravens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute morgen keine wohnungspolitische Debatte, sondern wir wollen uns mit dem Bau- und Investitionsprogramm der Bundesregierung und den darin liegenden Hilfen für die Bauwirtschaft beschäftigen. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, hier wird heute eigentlich Stück für Stück Ihre Strategie aufgeblättert. Zunächst einmal geht es nach dem Motto: Liebe Bundesregierung, du sparst in deinem Haushalt viel zu wenig, du mußt zusätzlich 7 Milliarden DM sparen.Gleichzeitig verlangt der Herr Kollege Zeitel weitere Steuersenkungen für Unternehmen, verlangt der Herr Kollege Schneider Steuersenkungen für die Denkmalspflege, beschwert sich der Herr Kollege Schneider über Sparvorschläge, die im Rahmen der Sparförderung gemacht werden. Dies alles summiert sich zu einem Betrag von 7 Milliarden DM, die man „zusätzlich sparen" soll. Oder wie soll ich das verstehen?
Hier ist heute die Methode klargeworden, die läuft. Der Herr Kollege Carstens, der Herr Kollege Kohl haben vorige Woche hier gestanden und sagten: „Wir erklären für die Opposition: keine finanzwirksamen Forderungen für die kommende Zeit; wir ziehen auch die finanzwirksamen Gesetzentwürfe zurück, weil wir meinen, daß wir damit einen Beitrag leisten!"Jeden Tag wird Stück um Stück daraus etwas herausgebrochen, wenn es in die Landschaft paßt, weil man glaubt, daß das, was vorgestern der Vorsitzende gesagt hat, übermorgen vergessen ist. Diese besonderen Wünsche werden vorgetragen in der Hoffnung, niemand merke diesen faulen Köder.
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13144 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975
Bundesminister RavensIch finde, daß dies keine seriöse Methode ist. Dies zeigt, daß es innerhalb der Opposition nichts Gemeinsames gibt außer den zwei Sätzen: der Bundesregierung die notwendige Erhöhung der Mehrwertsteuer ab 1977 zum Ausgleich der Haushalte bei Bund, Ländern und Gemeinden, damit die Bewegungsfähigkeit der staatlichen Haushalte erhalten bleibt, zu verweigern und zu sagen, es muß mehr gespart werden, ohne allerdings zu erklären, wo dies geschehen soll. Auf jedem Einzelfeld wird jeder Einzelsprecher der Opposition seine besonderen Wünsche nach Mehrausgaben oder Steuereinschränkungen weiter ungeniert vortragen — wie gesagt: in der Hoffnung, draußen merke man das nicht.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Zeitel?
Ja, natürlich.
Herr Bundesminister, ist Ihnen nicht bekannt, daß die Bundesregierung zur Deckung der Investitionsprämien dem Hohen Hause vorgeführt hat, daß die Ausgaben allein aus den initiierten Steuermehreinnahmen zu decken sind? Wenn das so ist, würden Sie dann nicht zustimmen, daß eine Wiederbelebung der Wirtschaft die vordringlichere und auch für die Staatsfinanzen bessere Lösung ist?
Herr Kollege Zeitel, für die Wiederbelebung der Wirtschaft hat diese Bundesregierung während der letzten anderthalb Jahre ihre Aufgaben erfüllt.
Sie hat immer wieder aufs neue — und wir reden hier heute über ein Stück praktischer Politik — Aufträge in die Bauwirtschaft hineingebracht. Wollen wir doch einmal überlegen: Was würde innerhalb der Bauwirtschaft geschehen, wenn uns nichts anderes einfallen würde als das, was Ihnen einfällt, nämlich Steuersenkung für den Bauunternehmer?
Der wird sagen: „Schönen Dank, aber damit kann ich nicht bauen und meine Leute nicht beschäftigen. Ich brauche im Augenblick Aufträge." Wir wollen sie ihm mit diesem Programm an die Hand geben und möglich machen, um von daher an die Dinge heranzukommen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schneider?
Gerne, Herr Kollege Schneider!
Herr Bundesminister Ravens, haben Sie mich dann mißverstanden, wenn Sie meinen, ich hätte gefordert, die Bundesregierung müsse jetzt dieses Denkmalschutzgesetz vorlegen oder sie müsse jetzt steuerrechtlich die Leistungen der privaten Hauseigentümer für mehr Denkmalschutz realisieren? Habe ich nicht vielmehr gesagt, daß diese drei Sonderprogramme keineswegs die Bundesregierung von ihrer Verpflichtung befreien, auf diesem Felde gesetzgeberisch etwas zu tun? Das bedeutet nicht heute, sondern das bedeutet überhaupt für den Denkmalschutz. Denkmalschutz ist ja ein langfristiges und kein kurzfristiges Programm.
Herr Kollege Schneider, das ist doch — sagen wir — eine jetzt nachgezogene Schutzbehauptung. Wenn Sie das verstanden haben wollen auf das Jahr 1980, dann ist das kein aktueller Beitrag. Was wir im Augenblick zu tun haben, ist, die Instrumente einzusetzen, die wir haben. Wir haben gestern — ich will hier keine Ausschußdebatte nachvollziehen — dem Ausschuß den Bericht über die Möglichkeiten, die es im einzelnen gibt, gezeigt, und ich denke, wir sollten hier auch miteinander nicht verschweigen, daß zum Beispiel im Rahmen der Modernisierungsrichtlinien gemeinsam mit den Ländern oder im Rahmen der Städtebauförderung wesentliche Elemente der Hilfen für diesen Bereich berücksichtigt sind.
Wir sollten vor allen Dingen nicht so tun, als läge der verfassungsmäßige Auftrag hier beim Bund. Ich bekomme jedesmal, wenn ich über dieses Thema rede, Briefe von den in den Ländern Zuständigen, die mir sagen, dies sei aber ihre alleinige Aufgabe; wir könnten ihnen dabei helfen. Dies wollen wir tun, und dafür haben wir eine Reihe von Instrumenten geschaffen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine dritte Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jahn?
Wenn mir das nicht auf die Redezeit angerechnet wird und der Bundestag mir deswegen nicht böse ist, gerne!
Herr Bundesminister, Sie nannten den Denkmalschutz. Ist Ihnen nicht bekannt, daß wir gestern im Ausschuß einstimmig eine Entschließung gefaßt haben, wonach im gegenwärtigen Zeitpunkt für den Denkmalschutz keine besonderen Mittel bereitgestellt werden können?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975 13145
Nur habe ich hier heute die Forderung gehört, daß diese Mittel erhöht werden müssen. Dies steht dann noch im Widerspruch zu dem, was man gestern sogar beschlossen hat, und ich denke, auf diesen Widerspruch muß man dann hinweisen.
Man kann ja nicht in der Vertrautheit des Ausschusses so tun und hier vor dem Mikrofon des Bundestages und der Öffentlichkeit etwas anderes darstellen. Ich halte dies nicht für ganz redlich.
Herr Kollege Burger — wenn ich auch dies noch einmal aufnehmen darf —, Sie haben gefragt, ob die Bundesregierung in diesem Konjunkturprogramm Hilfen für die Familien hat. Ich habe es bedauert — ich habe dies auch gesagt —, daß die Länder sich nicht in der Lage gesehen und bereitgefunden haben, ein zusätzliches Programm für den sozialen Wohnungsbau mit aufzulegen. Wir haben das zu akzeptieren, denn nach unserer Verfassungslage — Art. 104 a — werden Konjunkturprogramme von Bund und Ländern gemeinsam finanziert. ich bedauere es, daß das so ist, aber ich kann es heute nicht ändern. Nur wollte ich hinzufügen: Die Bundesregierung hat in diesem Jahr den Ländern bei dem Einsatz der Darlehensmittel, die die Bundesregierung an die Länder gibt, ausdrücklich ihre Zustimmung gegeben, daß zur Verbesserung der Finanzierung gerade für den Bereich der kinderreichen Familien und für den Bereich der alten Menschen die Einzeldarlehen pro Wohnungseinheit verdoppelt werden können, um eine Sicherung für diesen Bereich zu gewährleisten, d. h., auf diesem Feld ist einiges geschehen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Orgaß?
Danke schön, Herr Präsident. Ich möchte jetzt gerne weiterkommen. Es tut mir leid, Herr Kollege, ich möchte gerne, daß wir die Debatte abschließen können.Meine Damen und Herren, dieses Konjunkturprogramm, dieses Bauinvestitionsprogramm ist zu sehen vor der Entwicklung der Bauwirtschaft, die während der ersten Hälfte des Jahres 1975 durch eine sich langsam auf niedrigem Niveau stabilisierende Nachfrage, aber weiter zurückgehende Produktion gekennzeichnet war.Diese Stabilisierung geht einher mit einer Stabilisierung des Kostenniveaus in den Unternehmen bei wesentlich niedrigerem Zinsniveau. Sie wurde nicht zuletzt durch die drei Konjunkturprogramme der Bundesregierung vom vergangenen Jahr — und hier vor allem durch die Investitionszulage für den Mietwohnungsbau — ermöglicht.Nach den Jahren der boomartigen Expansion kam es für die Bauwirtschaft darauf an, sich den neuen Rahmenbedingungen anzupassen. Diese Rahmenbedingungen sind: verringertes Wirtschaftswachstum,Bevölkerungsstagnation und Bedarfssättigungstendenzen vor allen Dingen auch auf Teilmärkten des Mietwohnungsbaus. Erstmals seit 60 Jahren — Herr Kollege Conradi hat vorhin in der Zwischenfrage darauf hingewiesen — haben wir einen zahlenmäßig ausgeglichenen Wohnungsmarkt in der Bundesrepublik. Das führt zu Verschiebungen. Nach den Boomjahren mit bis zu 714 000 Fertigstellungen ist eine Baufertigstellung derartigen Ausmaßes für die Zukunft nicht mehr notwendig. Dies heißt nicht, daß wir nicht in besonderen Bereichen immer noch unseren Bedarf haben werden.Das heißt auch, daß wir darauf zu achten haben, daß der strukturelle Anpassungsprozeß, der konjunkturell überlagert wurde, nicht dazu führt, daß wir Kapazitäten abbauen, die für die mittelfristige Entwicklung in der Bauwirtschaft dringend benötigt werden. Hier liegt unsere Aufgabe. Dazu hat die Bundesregierung — um dies einmal hinzuzufügen — im Jahre 1975 neben den Konjunkturprogrammen 1974/75 im Haushalt selber ihre Mittel für den Wohnungsbau verstärkt. Wir haben mit den beiden Modernisierungsprogrammen von 1974 und 1975 ebenfalls auf die Nachfragestrukturverschiebung im Bereich des Wohnungsbaus Rücksicht genommen. Wir haben also gehandelt. Dazu kommen die Konjunkturprogramme vom vergangenen Jahr, die uns eine Stabilisierung brachten.Es kommt darauf an, der Bauwirtschaft die Rahmenbedingungen so zu setzen, daß sie den Übergang von der Stabilisierungsphase zu einem mittelfristigen Wachstumspfad allein schafft. Dem dient das vorgelegte Investitionsprogramm der Bundesregierung. Es kommt nahezu ausschließlich der Bauwirtschaft zugute. Es berücksichtigt darüber hinaus die unterschiedliche konjunkturelle Entwicklung bei Hoch- und Tiefbau; denn während im Tiefbau der Auftragseingang im ersten Halbjahr 1975 den Vorjahresstand bereits wieder um 13,3 % überschritt, erreichte er im Hochbau lediglich das Niveau des Vorjahres.Meine Damen und Herren, der Schwerpunkt des Programms ist die Förderung von kommunaler Infrastruktur und Stadtsanierung. 1,7 Milliarden DM stehen bereit, die von Bund und Ländern gemeinsam aufgebracht werden. In den Aufgabenbereich meines Hauses fällt das mit 500 Millionen DM ausgestattete Sonderprogramm „Stadtsanierung", mit dem in Sanierungs- und Entwicklungsgebieten bereits durchgeplante Vorhaben der wohnnahen Infrastruktur, wie beispielsweise Kindergärten, Altenstätten, Sportstätten, Parkhäuser, Fußgängerzonen, realisiert werden Darüher hinaus kann — dies sollte ich noch einmal betonen, weil es in der Öffentlichkeit bislang wohl noch gar nicht genügend bekannt geworden ist — auch der Aus- und Umbau erhaltenswerter Gebäude durch Zuschüsse gefördert werden. Das ist eine Hilfe für unsere erhaltungswürdigen Stadtteile und Gebäude in den Städten und damit ein Beitrag zum Denkmalschutz.Der Bund und die Länder übernehmen hier in der Regel bis zu 80 %, im Zonenrandgebiet sogar bis zu 90 % der Investitionskosten, weil wir gesehen haben, daß die Umsetzung dieses Programms mit sei-
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13146 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975
Bundesminister Ravensner starken städtebaulichen Komponente sonst möglicherweise durch die uns bekannten Finanzierungsschwierigkeiten in den kommunalen Haushalten beeinträchtigt werden könnte. Nach unseren Informationen ist dieser Programmteil inzwischen gut angelaufen. Die Abwicklung durch die Länder hat keine Probleme aufgeworfen. Wir sind eigentlich sicher, daß der finanzielle Rahmen von 500 Millionen DM schon bald ausgeschöpft sein wird.Ein zweiter Schwerpunkt des Programms ist die Förderung von Modernisierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen und die Bausparzwischenfinanzierung. Beide Maßnahmen sollen dazu beitragen, konjunkturelle und saisonale Risiken in der Beschäftigung in den kommenden Monaten sowohl für das Ausbau- als auch für das Bauhauptgewerbe zu begrenzen.Wie Sie wissen, hätte die Bundesregierung als dritte Komponente gern noch ein spezielles Programm für den sozialen Wohnungsbau aufgelegt. Wie gesagt, wir sind hier nicht auf die Bereitschaft der Länder gestoßen. Unvorbereitet, Herr Kollege Schneider, hat es die Länder nicht getroffen. Es stimmt eben nicht, daß der Bundesstädtebauminister hier in Isolation zu seinen Kollegen Wirtschafts- und Finanzminister steht. Beide haben ihrerseits im Finanzplanungsrat und im Konjunkturrat der öffentlichen Hand diese Forderung unterstützt. Wir haben im Kabinett bedauert, daß eine Mitwirkung der Länder nicht möglich war; denn hiervon wäre sicherlich ein weiterer Impuls ausgegangen. Auf der anderen Seite müssen wir sehen, daß wir hier auch auf die Mitwirkung der Länder angewiesen sind. Aber sie haben jeweils mit unterschiedlichen Motivationen gesagt, sie sähen sich dazu nicht in der Lage. Das Angebot, der Bund möge es allein finanzieren, verbot sich schon wegen des Art. 104 a unseres Grundgesetzes. Hier wäre es notwendig gewesen, auch bei den Länderfinanz- und -wirtschaftsministern ein Mehr an Interesse und Verständnis zu finden.Für die Förderung von Modernisierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen haben wir insgesamt 700 Millionen DM bereitgestellt. Bauherren können bei Kreditinstituten ihrer Wahl einmalige Zuschüsse zwischen 15 und 30 v. H. der Investitionskosten bis zur Höhe von 20 000 DM beantragen. Mit diesem zusätzlichen Fördervolumen von 700 Millionen DM erhöhen sich die insgesamt für die Altbaumodernisierung in den Jahren 1975 und 1974 bereitgestellten Mittel auf rund 1,5 Milliarden DM. Das neue Programm wird über die laufenden Maßnahmen hinaus noch einmal rund 250 000 bis 300 000 Wohnungen modernisieren bzw. instandsetzen können. Es bewegt damit ein Investitions- bzw. Auftragsvolumen von rund 3,5 Milliarden DM. Ich denke, das ist in der jetzigen Konjunkturlage keine unerhebliche Größe.Lassen Sie mich einige Bemerkungen zur Abwicklung des Programms machen, weil es hier offenbar immer noch Mißverständnisse gibt. Herr Kollege Schneider, ich muß den Hinweis zurückweisen, dieses Programm sei unsozial, dilettantisch und gehe an der Sache vorbei. Eigenartigerweise hängt Ihre Betrachtungsweise wohl immer davon ab, auf welcher Seite des Tisches Sie gerade sitzen. 1966/1967 ließ die Bundesregierung der Großen Koalition ein Modernisierungsprogramm anlaufen.
— Dieses Modernisierungsprogramm lief nach den gleichen Konditionen ab wie das jetzige Programm. Es lief auf dem gleichen Weg. Es bediente sich des Wettbewerbs im Bankenapparat und hat mit Zuschüssen in der gleichen Form und im „Windhundverfahren" gearbeitet. Komischerweise war das damals in Ordnung. Heute sitzt man in der Opposition und findet das alles nicht mehr gut, was man früher gemacht hat.Nein, Herr Kollege, wir haben ganz bewußt für die Abwicklung dieses Programms wie auch des Zwischenfinanzierungsprogramms den Weg über die Kreditinstitute ausgewählt. Wir sind nämlich davon ausgegangen, daß die Umsetzung des Programms über den Wettbewerb zwischen den einzelnen Instituten unter der Prämisse, aus konjunkturellen Gründer schnell handeln zu wollen, am besten gelingt.
Gestatten Sie, Herr Bundesminister, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Professor Zeitel?
Herr Bundesminister, würden Sie mit uns wenigstens darin übereinstimmen, daß die Situation der Wohnungs- und Bauwirtschaft, namentlich der Wohnungswirtschaft, 1967 fundamental anders war als heute und daß sich aus einer anderen Situation auch die Notwendigkeit zu anderen Maßnahmen ergibt?
Herr Kollege Zeitel, es tut mir leid, daß Sie hier zwei Dinge miteinander verwechseln. Wir reden im Augenblick von einem Konjunkturprogramm, das der Modernisierung von Wohnungen dient und sich an viele Einzeleigentümer von Einfamilienhäusern und kleinen Mietbesitz wendet und dann auf das Ausbaugewerbe und die Bauwirtschaft durchgreift. Was das mit der Situation der Wohnungswirtschaft zu tun hat, weiß ich nicht. Wir zielen auf Modernisierung, d. h., wir haben die gleiche Zielsetzung, wie sie 1966/67 gewesen ist. Es tut mir leid, aber ich habe den Eindruck, daß Sie das noch nicht ganz begriffen haben. Aber ich will das gern nach der Plenarsitzung mit Ihnen privat noch einmal besprechen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Orgaß?
Ich habe dem Kollegen Orgaß vorhin nein gesagt; dafür will ich diesmal ja sagen.
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Herr Minister, wie beurteilen Sie denn das von Ihnen vorgelegte zusätzliche Modernisierungsprogramm im Hinblick auf Ihr sonstiges Konzept, das ja dem Vermieter bis zu 30 % Hilfe bietet — im konkreten Fall bis zu 20 000 DM — und es erlaubt, die Wertverbesserung in der Miete dem Mieter bis zu 70 DM monatlich aufzubürden, wie beurteilen Sie die Auswirkungen auf das künftige Wohngeld, wenn dieses nicht verbessert wird, und wie beurteilen Sie dieses Konzept auch im Hinblick auf sonstige Konzepte bei der Bodenrechtsreform, zu denen es heißt, daß Aufwendungen, die die öffentliche Hand erbringt, nicht ohne Leistung dem Eigentümer zufallen sollen, sondern wieder abgezogen werden sollen?
Herr Präsident, das waren vier Fragen. Ich will sie Ihnen gern beantworten. Lassen Sie mich aber zunächst zu den Verfahrensregeln noch etwas sagen. Ich meine, man sollte dies einmal hintereinander bringen.Wir haben durch gleichzeitige Information und gemeinsame Erarbeitung von Verfahrensregelungen mit den Gruppen der Kreditwirtschaft unter Beteiligung autorisierter Ländervertreter gleiche Startbedingungen für alle Kreditinstitute geschaffen. Uns vorliegende Informationen aus den Ländern haben ergeben, daß diese gleichen Startbedingungen — wir haben dies noch einmal nachgeprüft — von den Kreditinstituten auch so gesehen werden. Von diesem Zeitpunkt an setzt dann allerdings der Wettbewerb der Institute untereinander ein. Wer dies nicht will, muß sagen, daß er den Wettbewerb nicht will. Wir haben bisher gemeint, daß Wettbewerb auch eine der Antriebskräfte im wirtschaftlichen Bereich ist. Hier haben wir uns dieses Wettbewerbs bewußt bedient.Nach uns vorliegenden Informationen aus den Ländern ist die Modernisierungsförderung auf ein unerwartet hohes Interesse gestoßen. Nach ersten Tendenzmeldungen scheinen die bereitgestellten Mittel in einigen Bundesländern bereits mit Anträgen voll belegt zu sein. Da die Leitinstitute laufend den Eingang zusätzlicher Anträge melden, kann man mit Sicherheit davon ausgehen, daß die Mittel für das Sonderprogramm Wohnungsmodernisierung innerhalb kurzer Zeit ausgeschöpft sein werden.Hier komme ich zu Ihren Fragen, Herr Kollege Orgaß. Ich möchte aber zuvor eine andere Frage beantworten, weil diese mir auch in der Öffentlichkeit gestellt wird. Könnte es sein — so wird draußen gefragt - daß durch das Windhundverfahrenunter Umständen eine kleine Zahl großer Wohnungsbauträger nunmehr für sich einen großen Batzen vorab reserviert hat? Meine Antwort heißt: Nein, dies kann nicht sein, und es ist auch nicht so. Wenn Sie in den Verwaltungsvereinbarungen, die mit den Ländern abgeschlossen sind, die Eckwerte des Konjunkturprogramms nachlesen, werden Sie sehen, daß wir die zu begünstigenden Investitionen auf 300 000 DM pro Antragsteller begrenzi haben. Ein Antragsteller kann nur einen Antrag stellen und diesen im Höchstfall auf 300 000 DM, d. h.für 15 Wohnungen. Man sieht, daß wir hier sorgfältig darauf geachtet haben, durch diese Begrenzung eine breite Streuung dieses Programms zu erhalten. Die erste Frage ist also klar mit Nein zu beantworten.Wir haben um der konjunkturellen Wirkung, also der Sicherung von Arbeitsplätzen willen auf Bindungen verzichtet. Dieses Programm hat eine andere Zielrichtung als unsere Modernisierungsprogramme mit den Ländern gemeinsam. Die Bund-Länder-Pro- gramme haben städtebauliche und sozialpolitische Zielsetzungen im Bereich unserer Wohnungs- und Städtebaupolitik. Hier kam es darauf an, möglichst schnell umzusetzen und möglichst hohe Anreize zu schaffen. Darüber waren sich eigentlich die Beteiligten, als sie dieses Programm konzipierten, klar. Es galt, die Investitionsbereitschaft zu wecken.Damit verbindet sich natürlich die Frage, wie das nun mit Mietüberwälzungsmöglichkeiten in diesem Bereich ist. Ich sehe das. Lassen Sie mich dazu zweierlei sagen.Erstens. Wir sehen - und dies war auch gewollt —. daß sehr viele dieser Mittel in den Einfamilienhausbau fließen und einer großen Zahl von Menschen helfen, ihr Einfamilienhaus, dessen Modernisierung eigentlich seit Jahren notwendig gewesen wäre, jetzt zu modernisieren. Hier spielt also die Mietfrage keine Rolle.Zweitens. Wir stellen fest, daß ein Großteil dieser Mittel in die grundlegende Instandsetzung von Wohngebäuden fließt. Auch hier ist eine Überwälzung auf den Mieter nicht möglich. Bleibt der Teil, in dem wir es Modernisierung im Mietwohnungsbau zu tun haben. Hier haben wir geglaubt, daß wir eine solche Maßnahme so gestalten können wie hier — Nichtanrechnung —, weil wir erstens sehen, daß die Marktsituation eine volle Überwälzung von Modernisierungskosten in der Regel nicht zulassen wird, und weil zweitens nach wie vor der § 541 BGB in Kraft ist. Das heißt: Der Mieter hat eine Modernisierung zu dulden, wenn sie ihm zumutbar ist. Mein Appell geht ebenso wie der vor wenigen Tagen geäußerte Appell des Präsidenten des Haus- und Grundeigentümerverbandes in die Richtung, der Hauseigentümer möge sich vor der Modernisierung über Umfang, Kosten und zukünftige Miete mit seinem Mieter unterhalten. Denn sonst könnte es sein, daß im Widerspuchsverfahren alle Fristen verlorengehen. Hier ist ein vom gesamten Bundestag gewollter Schutzparagraph, der in dieser Richtung wirksam wird.
— Nein, der ist dann nicht weggelaufen, weil die Antragsverfahren, Herr Kollege Orgaß, zunächst ohne die Zustimmung eingeleitet sein müssen. Aber bevor der Hauseigentümer mit der Modernisierung beginnt, sollte er sich mit seinem Mieter darüber unterhalten. Ich meine, dies gehört auch zum partnerschaftlichen Verhältnis, das auf diesem Feld so oft beschworen wird.
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Bundesminister RavensNeben dem Modernisierungsprogramm haben wir mit dem Zwischenfinanzierungsprogramm eine zusätzliche Hilfe. Herr Kollege Schneider, hier werden wir für den Bau von etwa 60 000 bis 80 000 Eigentumswohnungen, Ein- und Zweifamilienhäusern Mittel bereitstellen können in Form einer Zinsverbilligung von 2,5°/o auf einen Bausparvertrag, längstens für die Dauer von drei Jahren.
— Ich gehe davon aus, daß hier ein Teil mobilisiert wird, der ohne öffentliche Mittel baut — wie schon bisher im Bereich des Bausparkassenwesens, auch wenn er innerhalb der Einkommensgrenzen des öffentlich geförderten Wohnungsbaus lag. Das, was wir im Augenblick von den Kreditinstituten hören, zeigt, daß auch hier ein großes Interesse vorhanden ist.Nun ist es sicherlich richtig, daß die Anlaufzeiten hier ein wenig länger sind. Denn nicht jeder Bauherr, der hier angesprochen wird, hat einen fertigen Bauantrag in der Schublade liegen.Meine Damen und Herren, erste Reaktionen bei Kreditinstituten und Bauwirtschaft haben meinen Eindruck verstärkt, daß dieses Investitionsprogramm die erhoffte nachhaltige Stabilisierung bringen wird. Schon jetzt zeichnet sich ab, daß die Bereitschaft, sich für einen Neubau oder für eine Modernisierungsmaßnahme zu verschulden, gestiegen ist. Immerhin setzt ja die Inanspruchnahme der öffentlichen Förderung voraus, daß der Bauherr bereit ist, zwischen 70 % und 85 % der Investitionskosten aus eigenen oder fremden Mitteln zuzuschießen. Diese Risikobereitschaft und das Vertrauen in die wirtschaftliche Stabilität unseres Landes sind also gestiegen. Ich meine, wir sollten nicht gering achten, was hier auf diesem Feld geschieht.Das Programm zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen wird ein zusätzliches Investitionsvolumen von bis zu 12 Milliarden DM erzeugen können. Es ist damit mehr als ein Winterhilfswerk. Es wird dazu beitragen, Produktion und Beschäftigung in der Gesamtwirtschaft zu sichern, weil gerade eine erhöhte Nachfrage nach Bauleistungen nicht nur in der Bauwirtschaft zu einer Produktionssteigerung führt, sondern in vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereichen zusätzliche Impulse wirksam werden läßt. Dies gilt im gleichen Maße für die Beschäftigungswirkungen. Denn Berechnungen haben ergeben, daß zwei Beschäftigte im Baugewerbe in vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereichen wiederum Beschäftigung für eine weitere Arbeitskraft garantieren.Entscheidend ist jetzt — auch ich möchte darauf noch einmal hinweisen —, daß die Baubehörden bei Ländern und Gemeinden die von ihnen abzuwickelnden Programmteile zügig umsetzen. Ich weiß, daß dies nicht mit der gleichen Geschwindigkeit wie bei den Kreditinstituten möglich ist. Wenn sich aber jeder Verantwortliche darüber im klaren ist, daß er nicht nur über einen Bauantrag entscheidet, sondern „vor Ort" auch Konjunkturpolitik macht und damit über die Beschäftigung seiner Mitbürger entscheidet, dann können wir es schaffen, die vor uns liegenden schwierigen Wintermonate ohne weitere Beschäftigungseinbrüche zu überstehen. Wenn bereits in den Herbstmonaten dieses Jahres deutliche Nachfragewirkungen am Markt spürbar werden, dann können wir nicht nur die schwierigen saisonalen Probleme lösen, sondern auch den strukturellen Anpassungsprozeß der Bauwirtschaft meistern.Lassen Sie mich hier nach meinem Appell an die Verantwortlichen in den Gemeinden und in den Ländern folgendes hinzufügen. Ich weiß, was von den Mitarbeitern dort jetzt an Arbeitsleistungen verlangt wird. Ich sehe auch mit großer Genugtuung, daß in sehr vielen unserer Städte und Gemeinden große Anstrengungen gemacht werden, um diese Beschleunigung nunmehr zu erzielen. Ich bitte allerdings auch um Verständnis dafür, daß in einigen Fällen — dieses sage ich an die Adresse vieler Mitarbeiter in den kommunalen und Kreisbehörden —, in denen sich Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den Baugenehmigungen ergeben, weil Dispense und andere Dinge eingeholt werden, längere Zeiträume in Anspruch genommen werden. Diese Fälle sollten bei der Kritik nicht als Maßstab genommen werden; sie können nicht Maßstab sein.Ich fasse zusammen. Das Programm läuft mit hoher Geschwindigkeit ab. Die Nachfrage ist über Erwarten groß. Es gab noch vor vier Wochen skeptische Stimmen, die bezweifelten, ob es denn möglich sei, die Mittel so schnell umzusetzen. Einige Länder haben inzwischen darauf hingewiesen, daß die ihnen für die Modernisierung zur Verfügung stehenden Mittel wahrscheinlich schon belegt sind.Auch die Zwischenfinanzierung findet starkes Interesse. Auch bei den Gemeinden ist die Bereitschaft, mitzumachen, die Bereitschaft zur Übernahme des Programms sehr gut. Die Aufnahmebereitschaft, die dieses Programm gefunden hat, sichert den Erfolg, zeigt, daß wir auf dem richtigen Weg sind, und signalisiert gleichzeitig wachsendes Vertrauen der Investoren in die wirtschaftliche Zukunft. Man muß wohl darauf verweisen, daß jeder ja noch einmal seinen eigenen Beitrag dazu leisten muß. Meine Damen und Herren, ich denke, daß die Bundesregierung mit diesem Programm einen zusätzlichen Schritt getan hat, um ihrer Verantwortung gegenüber der Bauwirtschaft und gegenüber der Wirtschaft überhaupt gerecht zu werden.Ich bin dem Deutschen Bundestag, diesem Hohen Hause, dankbar, daß dieses Programm in so zügiger Weise in den Ausschüssen hat beraten werden können, damit es schnell umgesetzt werden kann. Die Bundesregierung hat ihrerseits — daran erinnere ich noch einmal — im Laufe der letzten anderthalb Jahre gerade im Hinblick auf den Bereich der Bauwirtschaft ihre Aufgabe — Abstützung eines strukturellen Anpassungsprozesses in schwieriger konjunktureller Lage ernstgenommen und durch die Zahl der Maßnahmen gezeigt, daß sie im richtigen Moment jeweils die richtigen Schritte getan hat.
— Es wäre ja wohl eine falsche Politik gewesen,Herr Kollege Nordlohne, noch einmal die Sünden
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Bundesminister Ravensder Landwirtschaftspolitik von 1962 zu begehen, d. h. hier Strukturen aufrechtzuerhalten, die wir für den mittelfristigen Bedarf nicht benötigen.
Marktwirtschaft heißt auch darauf zu achten, daß Strukturwandlungs- und Strukturanpassungsprozesse im richtigen Moment laufen. Soziale Marktwirtschaft heißt, daß der Staat Mitverantwortung dafür trägt, daß dies nicht auf dem Rücken von Arbeitnehmern, kleinen und mittleren Unternehmern geschieht, sondern daß dies sozial erträglich und volkswirtschaftlich vernünftig abgefedert laufen kann. Der bisherige Anpassungsprozeß in einer so schwierigen konjunkturellen Situation zeigt, daß wir diese Aufgabe weitgehend gemeinsam mit den Unternehmern in der Bauwirtschaft, gemeinsam mit den Arbeitnehmern, gemeinsam mit den Gewerkschaften in der Bauwirtschaft vernünftig haben meistern können.
Meine Damen und Her ren, bevor wir in der Aussprache fortfahren, möchte ich einiges zur Arbeitslage des Vormittags sagen. Interfraktionell hat man sich dahin verständigt, daß alle Punkte der heutigen Tagesordnung — außer der Fragestunde — noch vor der Mittagspause behandelt werden. Das heißt, daß ich notfalls — unter Verkürzung der Mittagspause — über 13 Uhr hinaus weitertagen lassen muß. Um 14 Uhr beginnt dann die Fragestunde. Ich habe jetzt noch zwei Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt vorliegen. Ich gehe davon aus, daß wir dann zur Abstimmung kommen. Nachher ist lediglich noch eine Runde von Sprechern in einer ersten Beratung vorgesehen. Ich wäre dankbar, wenn man sich auf diesen Zeitplan, den wir uns gesetzt haben, in der Rededauer in etwa einstellen könnte.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Waigel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik der Namensgebung der Bundesregierung für ihre bisherigen Konjunkturprogramme folgte, wäre das nunmehr vorliegende Programm unnötig. Das Programm vom September 1974 nannte sich „Programm zur regionalen und lokalen Abstützung der Beschäftigung". Kurz danach überschritt die Arbeitslosenzahl die magische Grenze einer Million. Das im Dezember 1974 verabschiedete Programm nannte sich „Programm stabilitätsgerechter Aufschwung", die wirtschaftliche Entwicklung jedoch widerlegte Namen, Prognosen und Versprechungen. Auch dieses Programm hier ist von Anlage, Konzeption, Finanzierung und im Zusammenhang mit mittelfristig fehlenden Perspektiven nicht geeignet, die Literatur der bisherigen Programme zu ersetzen und dem Reichtum an Wortschöpfungen abzuhelfen, die im umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Wirkung auf die Wirtschaft stehen.Auch wenn die Opposition diesem Programm insgesamt die Zustimmung nicht versagt, muß an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß die vorgesehenen Maßnahmen keineswegs ausreichen können, um eine grundlegende Wiederbelebung der Wirtschaftstätigkeit in der Bundesrepublik einzuleiten. Darauf haben meine Vorredner bereits hingewiesen. Auch hier liegt wieder kein mittelfristiges Gesamtkonzept vor. Wir sind sicher, daß nur kurzfristig angelegte Maßnahmen ohne die Einbettung in ein mittelfristig orientiertes Gesamtkonzept insbesondere für eine Wiederherstellung einer ausreichenden betrieblichen Rentabilität sowie für die Sanierung der zerrütteten Staatsfinanzen nicht ausreichen.Das Programm der Bundesregierung zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen ist im wesentlichen als reines Ausgabeprogramm konzipiert und damit, wie schon die Erfolglosigkeit der drei vorangegangenen Konjunkturprogramme gezeigt hat, nicht geeignet, eine nachhaltige Besserung der derzeitigen Wirtschaftslage herbeizuführen. Hier muß auch gesagt werden, daß unter Berücksichtigung des Multinicht ausreichen, insbesondere im Hinblick darauf, daß in nicht ausreichendem Umfange zusätzliche Nachfrage erzeugt wird. 5 Milliarden DM, sofern sie ganz der Bauwirtschaft zugute kommen, machen nur rund 3 %einer Jahresbauproduktion aus. Es wäre jetzt bereits hohe Zeit und notwendig, über Anschlußaufträge und deren Finanzierung nachzudenken und nicht nach der Devise zu handeln: Sind wir erst einmal über den Winter, wird ohnehin alles besser. Dies ist eine „go and stop"-Politik der Bundesregierung, die bisher erfolglos war und durch die Isoliertheit dieses Programms vom gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang nicht erfolgreich sein kann.
Bei dem Bauhilfsprogramm handelt es sich zwar um einen momentan arbeitsmarktpolitisch wichtigen Schritt; aber ein einmaliges und kurzfristiges Programm reicht nicht aus, um eine Konjunkturwende herbeizuführen. Die Förderung des privaten Wohnungsbaus kommt zu kurz, die Verbilligung der Vorfinanzierungskosten von Bausparverträgen weckt keine starken Impulse. Hier geht es darum, daß eine unabdingbare Voraussetzung für die Rückkehr zur Vollbeschäftigung die wesentliche Verbesserung der Ertragserwartungen gewesen wäre. Herr Bundesminister Ravens, die dadurch entstehenden Kosten und Belastungen auch für mittelfristige Programme wären insgesamt sicher niedriger und kämen der Volkswirtschaft besser zugute als nacheinander rasch verpuffende Konjunkturprogramme, die bisher keinen Effekt gezeigt haben, die nur Ausdruck für ein hektisches Denken, für ein Kurieren an Symptomen sind.Lassen Sie mich einige Bemerkungen zur Struktur des Programms machen. Es ist, wie ich bereits vorher erwähnt habe, im Grunde ein Ausgabe- und Vorziehungsprogramm ohnehin anstehender Maßnahmen. Die Bundesregierung gibt dabei keine Antwort auf die Frage, wie die Kapazitätsauslastung der Bauwirtschaft nach Durchführung dieser Vorhaben verbes-
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Dr. Waigelsert werden kann und wie der Gefahr eines Investitionsloches begegnet werden soll. Wir stehen doch vor der Tatsache, daß ein Teil der Gemeinden und Kreise jetzt nur etwas vorzieht, was ohnehin im Frühling bzw. im Laufe des nächsten Jahres passiert wäre. Damit stellt sich die Frage: Was passiert in einem Jahr wenn die Gemeinden dann nicht mehr die notwendige Finanzdecke haben, um durch die Vergabe von Aufträgen im öffentlichen Bereich tätig werden zu können? Es fehlen auch Kosten- und Leistungskontrollen hinsichtlich der Wirksamkeit der vorhergegangenen Programme. Dies muß sich insbesondere deswegen nachteilig auswirken, weil auch bei einer Wiederbelebung der Konjunktur das Steueraufkommen im Jahre 1976 nicht entsprechend ansteigen wird, da die Investitionszulage aus dem Konjunkturprogramm vom Dezember 1974 in Form des Abzugs von der Steuerschuld gewährt wurde und 1976 das Steueraufkommen belastet.Die Frage der Finanzierbarkeit weiterer öffentlicher Investitionen im nächsten und übernächsten Jahr stellt sich daher bereits heute, nachdem ein Teil der nunmehr durchzuführenden Maßnahmen ohnehin in den Haushalten 1976 vorgesehen waren.Noch einige Bemerkungen zur Finanzierung des Programms durch die Gebietskörperschaften. Zunächst zum Bundesanteil: Dieser Bundesanteil wird in Höhe von 2,5 Milliarden DM durch die Inanspruchnahme noch verfügbarer Konjunkturausgleichsrücklagen, in Höhe der restlichen 650 Millionen DM durch zusätzliche Kredite auf Grund der Ermächtigung in § 6 Abs. 3 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes finanziert.Während beim Bund zusätzlich zu dieser genannten weiteren Verschuldung immerhin 2,5 Milliarden DM zusätzlicher Mittel zur Verfügung stehen, entspricht die Aufteilung des Länderanteils der restlichen Konjunkturausgleichsrücklage nicht den Mitleistungsverpflichtungen. Einige Länder — darüber sollten wir uns keinen Illusionen hingeben — werden gezwungen sein, die Unterdeckung zusätzlich auf dem Kreditmarkt zu finanzieren. Dabei wird sich ohne Zweifel das Problem ergeben, daß die Mittel aus der obligatorischen Konjunkturausgleichsrücklage bereits voll zur Finanzierung der Haushalte 1976 in die Haushaltspläne 1976 eingestellt sind. Die sich zwangsläufig ergebende Erhöhung der Kreditaufnahme im Jahre 1976 zur Finanzierung des Ausgabeprogramms bringt einen Teil der Bundesländer an den Rand des haushaltsmäßig und von der Kreditaufnahme, von der Kreditermächtigung her Vertretbaren.Die Gefahr ist daher groß, daß nur solche Maßnahmen auf das Jahr 1975 vorgezogen werden, die bereits im Haushalt 1976 vorgesehen waren. Damit kann aber doch die Intention des Programms nicht erfüllt sein, das auf zusätzliche Maßnahmen im Jahre 1975 gerichtet ist. Durch diese Art einer verfassungsrechtlich nicht unproblematischen Mitleistungspflicht der Länder werden diese dazu gezwungen, entweder mit einer entsprechend erhöhten Kreditfinanzierung ihren Komplementäranteil aufzubringen oder darauf zu verzichten, die ihnen angebotenen Mittel voll auszuschöpfen. Der Entscheidungsspielraum der Länder wird dadurch nicht unerheblich eingeschränkt, und die Schelte des Bundeskanzlers gegenüber der Verschuldungspolitik einzelner Länder wird durch eine solche Handlungsweise des Bundes geradezu zur Farce.
Während bei den finanzstarken Ländern der Anteil aus der Konjunkturausgleichsrücklage so groß ist, daß sie damit nicht nur ihren Part im Bund-Länder-Programm finanzieren können, sondern teilweise darüber hinaus eigene Konjunkturprogramme finanzieren, reichen die Mittel — —
— Entschuldigen Sie, Herr Professor Schäfer, ich könnte ja auch einmal aus Ihrer Dissertation vorlesen. Vielleicht wäre das interessanter.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975 13151
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das Programm zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen schließt als drittes Konjunkturprogramm
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13152 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975
Wolfgramm
an die Programme von September und Dezember 1974 an. Einschließlich der früheren Programme, der Investitionszulage und der Entlastungen durch die Steuer- und Kindergeldreform wird es über 30 Milliarden DM Nachfrage mobilisieren. Die in den Jahren 1970 bis 1973 zu zwei Dritteln vorn Bund und zu einem Drittel von den Ländern und den Kommunen gebildeten Konjunkturrücklagen werden mit diesem Bauinvestitionsprogramm aufgelöst. Zwei Länder, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, werden jeweils ein zusätzliches eigenes Programm in Höhe von rund 150 Millionen DM anschließen.Im besonderen unterstreichen die Freien Demokraten, Herr Dr. Waigel, daß das Programm ein klares Konzept und eine Einbettung in unsere gesamte konjunkturpolitische, finanzpolitische und strukturpolitische Vorstellung kurz- und mittelfristig beinhaltet. Es ist eingebettet in die Vorstellungen der Sparmaßnahmen für das Jahr 1976 abgestimmt mit dem Haushaltsvoranschlag 1976, dem Nachtragshaushalt, und den Steuererhöhungen 1977.Wir meinen, daß dieses Programm zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen strukturpolitisch die Kapazitäten in der Bauwirtschaft stützt und die Arbeitsplätze sichert, daß es konjunkturpolitisch über die ausgeworfenen 5,5 Milliarden DM durch die entsprechenden Komplementärmittel einen erheblichen Kumulationseffekt entfalten wird. Wenn Sie, Herr Dr. Waigel, den konjunkturpolitischen Effekt so intensiv bestreiten, müßten Sie sich allerdings fragen, ob Ihre letzte Schlußfolgerung, daß hiermit die Arbeitsplätze gesichert werden können, stimmt. Ich meine, daß Ihr Ansatz hier falsch ist. Sie müßten dann auch konsequent sein, die Konjunkturmittel hierfür nicht einsetzen und das Programm ablehnen.Wir meinen — drittens —, daß durch schnelles Handeln, wie es das Stabilitäts- und -WachstumsGesetz vorschreibt, eine kurzfristige Auftragsvergabe mit kurzer Durchführungszeit möglich ist.Die grundsätzlichen Erwägungen im Haushaltsausschuß, auf die der Berichterstatter, Dr, von Bülow, in seiner Vorlage abgehoben hat, möchte ich in bezug auf den Teil des Programms, der sich mit der kommunalen Infrastruktur, der Stadtsanierung und dem Umweltschutz beschäftigt, noch ergänzen.Es ist etwas problematisch, daß durch die Vorgabe der zu fördernden Investitionsbereiche eine Begrenzung der Entscheidungsmöglichkeiten der kommunalen Parlamente — ich darf diesen Ausdruck zur Verdeutlichung des Problems einmal verwenden — eintritt, da eine Reihenfolge der Investitionsprioritäten, die ein Rat oder ein Kreistag beschlossen hat, in der Regel nicht eingehalten werden kann. Vielleicht sollten wir bei zukünftigen Programmen dieser Art noch flexibler sein und gerade, wenn wir die Kommunen einbeziehen, eine noch breitere Palette anbieten, zumal tatsächlich die Folgekosten nur in der einen oder anderen Weise geringer gehalten werden können.Die Reichweite der Auftragsbestände im Bauhauptgewerbe beliefen sich im Juni Juli auf zweieinhalb Monatsproduktionen; am Jahresbeginn waren es nur zwei. Wir haben also hier tatsächlich eine echte Anschlußposition erreicht.Ich möchte in diesem Zusammenhang auf zwei Anmerkungen eingehen, die der Kollege Zeitel hier gemacht hat. Er hat sich zum Problem der Anregung einer Ausweitung des Produktionspotentials kritisch geäußert. Er hat gefordert, daß wir das jetzt und gleich tun sollten. Wir Freien Demokraten meinen, um zu einem intensiveren konjunkturellen Belebungsprozeß zu kommen, ist eine Ausweitung des Produktionspotentials für 1976 nicht erforderlich. Dies hat auch der Bundeswirtschaftsminister in seiner Stellungnahme in der vergangenen Woche sehr deutlich gesagt. Es geht also hier um eine Ausschöpfung der vorhandenen Kapazitäten. Mittelfristig ist natürlich der Sicherung und der Ausweitung des Beschäftigungsstandes eine besondere Priorität einzuräumen. Auch dies tun wir mit diesem Programm.Lassen Sie mich das Thema Steuererhöhungen, das der Kollege Zeitel hier angeschnitten hat, auch noch einmal klar und deutlich herausarbeiten. Bei den Steuererhöhungen geht es um die Frage des Zeitpunktes. Wir stellen auf den 1. Januar 1977 ab. Das bedeutet, daß zu diesem Zeitpunkt einer Wiederbelebung der Konjunktur eine Überwälzung der Mehrwertsteuer auf den Verbraucher durch die Industrie vorgenommen werden kann und es nicht zu einer Ertragsschmälerung bei der Wirtschaft kommt.Die neuesten Zahlen über die Annahme des Modernisierungsteils des Programms weisen aus, daß Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz bereits voll belegt oder sogar schon überbelegt sind. Bei den anderen Ländern lassen die Zahlen eine Vollbelegung in Kürze erwarten. Auch die gegengezeichneten Verwaltungsvereinbarungen von RheinlandPfalz, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen und Niedersachsen liegen bereits vor. Deshalb glauben wir, daß dem Programm ein guter Weg beschieden ist.Wir meinen, daß dieses Programm in keiner Weise eine Benachteiligung der Bausparer bringt. Herr Kollege Schneider, auch langfristig gesehen bedeutet dieses Programm, daß hiermit eine Menge von Überhangswünschen der Bausparer gerade im Modernisierungsbereich erfüllt werden können. Sie wissen, daß die Möglichkeiten des Bauspargesetzes zusätzlich auch auf Modernisierungsmaßnahmen abheben. Die FDP unterstreicht deutlich die Bedeutung des Bausparens und wird sich auch zukünftig dafür einsetzen; aber es muß eine vernünftige Relation zwischen Bau- und Kontensparen gewahrt bleiben.Im übrigen meine ich, daß die Kommunen nach dem Bauboom der letzten Jahre im Augenblick gar nicht in der Lage sind, genügend Baugelände auszuweisen, so daß es hier primär nicht um die Frage einer Begrenzung der Bausparmittel des einzelnen Bausparers geht. Die entscheidende Frage ist vielmehr, ob Baugelände überhaupt zur Verfügung steht.Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Lassen Sie mich noch einige Ausführungen zu den ord-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975 13153
Wolfgramm
nungspolitischen Anmerkungen des Kollegen Zeitel machen. Wir meinen, daß wirtschaftliche Aktivitäten nach liberaler Auffassung nur in einzelwirtschaftlichen und dezentralisierten Entscheidungssystemen die notwendige Flexibilität und Elastizität entfalten und damit die Anpassungsfähigkeit garantieren, rasch auf veränderte Konjunktursituationen zu reagieren. Das ist für uns der Kernpunkt der Marktwirtschaft. Ein zentrales Planungsmodell kann eine solche Marktflexibilität nicht bieten. So hat bei einer nicht marktgerechten Investitionsentscheidung eines Einzelunternehmens diese Fehlentscheidung nur begrenzte Auswirkungen auf die Volkswirtschaft. Globale Fehlleistungen einer zentralen Planungsinstanz würden dagegen erhebliche Folgen für die Gesamtwirtschaft zeitigen.Als Beispiel auch hier ein Hinweis auf die Haltung der Opposition zu dem Problem der dirigistischen Investitionslenkung. Wir haben bei den Beratungen des Haushalts 1975 gehört, daß sowohl der CDU-Mittelstandskreis als auch der Vorsitzende der Opposition im Deutschen Bundestag, Herr Professor Carstens, das System des französischen Orientieungsesetzes „loi Royer”besonders unterstützen, ein dirigistisches System, das festlegt, welche Verkaufsquadratmeterfläche pro Einwohner nicht überschritten werden darf. Wir halten das — darauf hat auch Graf Lambsdorff seinerzeit hingewiesen — für einen „Rückfall in die Zunft des Mittelalters", wie er es formuliert hat.Meine Damen und Herren, die Höhe des Programms ist ausgewogen. Das Programm reicht aus, um einer Beeinträchtigung der Kapazitäten der Bauwirtschaft und ihrer Zulieferer zu wehren. Die Freien Demokraten werden sich immer für eine aktive, planvolle Strukturpolitik einsetzen. Dem entspricht das zur Beschlußfassung anstehende Programm. Die Freien Demokraten werden diesem Programm und dem Entschließungsantrag zustimmen.
Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist erschöpft. Wir kommen zur Abstimmung.
Wir stimmen zunächst ab über den Antrag des Haushaltsausschusses auf der Ihnen vorliegenden Drucksache 7/4044. Wer diesem Antrag seine Zustimmung zu geben wünscht, gebe bitte das Handzeichen!
— Meine Damen und Herren, wir sind in der Abstimmung. Ich darf noch einmal diejenigen uni das Handzeichen bitten, die zuzustimmen wünschen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Wir haben alsdann noch abzustimmen über den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP auf Drucksache 7/4058. Dieser Entschließungsantrag liegt Ihnen vor. Wer diesem Entschließungsantrag auf Drucksache 7/4058 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen! — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war eindeutig die Mehrheit.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen
— Drucksache 7/3919 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Zur Einbringung hat das Wort der Herr Bundesminister der Justiz, Herr Vogel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wäre reizvoll, wenn in dem Vorblatt jeder Gesetzesvorlage jeweils die Anzahl der Lebensvorgänge beziffert würde, die voraussichtlich von der beabsichtigten Regelung beeinflußt werden. Unter diesem Kriterium bräche der jetzt zu behandelnde Entwurf alle Rekorde; denn die Zahl der Rechtsgeschäfte, die allein innerhalb eines einzigen Jahres nach Maßgabe Allgemeiner Geschäftsbedingungen abgewikkelt werden, dürfte mit einigen Milliarden eher zu niedrig als zu hoch veranschlagt sein. Es gibt wohl niemanden in der Bundesrepublik, der nicht fast täglich mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Berührung kommt, sei es bei der Benutzung einer Straßenbahn, sei es beim Einschalten von Strom, Gas oder Wasser, sei es beim Einfahren in ein Parkhaus, beim Erwerb hochwertiger Wirtschaftsgüter wie Autos, Möbel oder Elektrogeräte, sei es beim Abschluß einer Versicherung, eines Abonnements oder auch beim Erwerb eines Eigenheims, sei es bei Aufnahme eines Kredits und bei zahllosen anderen Gelegenheiten.In der Praxis sind diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen weitgehend an die Stelle des Gesetzes, insbesondere an die Stelle der schuldrechtlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs getreten. Das heißt, für wesentliche Bereiche des täglichen Lebens gilt nicht die gesetzliche Ordnung, sondern das Regelwerk, das der wirtschaftlich Stärkere seinen Partnern durch seinen Willensentschluß auferlegt hat, einen Willensentschluß, der nicht de jure, aber de facto den Charakter der Normsetzung beansprucht und als eine Art privater Gesetzgebung in eigener Sache bezeichnet werden kann.Für diese Entwicklung, diese Ersetzung öffentlicher durch private Gesetzgebung, gibt es einleuchtende, durchaus nicht von der Hand zu weisende Gründe. Zunächst die, daß der Gesetzgeber selbst den sich immer rascher wandelnden tatsächlichen Gegebenheiten nicht mit der notwendigen Schnelligkeit zu folgen vermag, daß er nicht flexibel genug ist, um rasch neu auftauchende Probleme und Konflikte zu lösen oder neue Vertragstypen zu entwickeln. Auch gewährleisten die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht das Maß an Gleichartigkeit und Berechenbarkeit der Rechtsfolgen von Lebensvorgängen, das für die rationelle Abwicklung massenhafter Austausch- und Leistungsgeschäfte unerläßlich ist.Deshalb sind Allgemeine Geschäftsbedingungen für unser Wirtschaftsleben unentbehrlich. Es wäre
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Bundesminister Dr. Vogeltöricht, sie in einem Anfall juristischer Maschinenstürmerei etwa insgesamt abschaffen oder auch nur diskriminieren zu wollen.Dies ist auch nicht die Absicht des Regierungsentwurfs. Sein Ziel ist es vielmehr, dem Mißbrauch dieses Instrumentes zu begegnen und den Schwächeren — das ist in aller Regel der Kunde — vor Nachteilen zu schützen, die er selbst nicht abwenden kann; denn die da und dort vertretene Ansicht, der Kunde könne sich durch ein kritisches Studium der Geschäftsbedingungen und durch die Ablehnung unbilliger Klauseln selber helfen, erweist sich in der Rechtswirklichkeit als reine Illusion. Abgesehen davon, daß der Kunde meist gar nicht die Chance hat, die Bedingungen zu lesen und ihre Tragweite zu erfassen, reduziert sich doch die Vertragsfreiheit des Verbrauchers in aller Regel darauf, sich entweder den Bedingungen zu unterwerfen oder auf den Erwerb wichtiger Güter oder die Inanspruchnahme wichtiger Dienste überhaupt zu verzichten.Die Rechtsprechung hat diesen Mißstand nicht in ausreichender Weise steuern können. Sie hat in manchen Fällen geholfen und hat in mutiger Weise Grundsätze entwickelt, an denen die Angemessenheit und Wirksamkeit der Allgemeinen Geschäftsbedingungen gemessen werden kann. Dieser Rechtsprechung ist jedoch die notwendige Breitenwirkung insgesamt versagt geblieben.Der Entwurf legt deshalb das bisher in Einzelentscheidungen zersplitterte, nur schwer überschaubare Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen umfassend und so konkret wie möglich fest, wobei die bisherige Rechtsprechung fortentwickelt wird. So gehen die Vorschriften über die sogenannte Geltungsvereinbarung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen über die von der Rechtsprechung entwickelten Mindesterfordernisse hinaus und legen zum Schutz der Kunden die Voraussetzungen fest, unter denen Allgemeine Geschäftsbedingungen überhaupt Bestandteil des Einzelvertrages werden können. Es folgen Vorschriften über die inhaltliche Gestaltung Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Diese Vorschriften umfassen einen Katalog unzulässiger Klauseln, die wegen unangemessener Benachteiligung der Kunden künftig überhaupt nicht mehr verwendet werden dürfen. Als Beispiele hierfür nenne ich den Haftungsausschluß bei grober Fahrlässigkeit, die Rechtlosstellung des Kunden bei Leistungsverzug und die abschließende Beschränkung der Gewährleistungsansprüche des Käufers auf Nachbesserung, gelegentlich sogar unter Überbürdung der Kosten dieser Nachbesserung auf den Kunden. Dem Katalog der unzulässigen Einzelklauseln ist ein allgemeiner Auffangtatbestand zur Seite gestellt, wonach Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen immer dann unwirksam sind, wenn sie die Interessen der an dem Vertrag Beteiligten nicht nach den Geboten von Treu und Glauben in angemessener Weise ausgleichen.Weiter nennt der Entwurf eine Reihe von gefährlichen Klauseln, die nur dann gelten, wenn sie sich im konkreten Einzelfall im Rahmen der Angemessenheit halten und in diesem Einzelfall aus besonderen Gründen gerechtfertigt sind. Hier nenne ich als Beispiel den Vorbehalt, daß sich ein Vertragspartner einseitig von seiner Leistungspflicht lösen kann oder daß er das Recht haben soll, die versprochene Leistung zu ändern oder von ihr abzuweichen. Ferner nenne ich hier die Vereinbarung ausländischen Rechtes für die Geltung eines Rechtsgeschäftes, das im Inland abgewickelt wird, eine Vereinbarung, die stets besonderer Rechtfertigung bedarf.Der Entwurf beruht auf den Vorarbeiten einer Arbeitsgruppe, in der Richter, Hochschullehrer, Repräsentanten der Wirtschaft und der Verbraucher und Fachleute aus den Justiz- und Wirtschaftsressorts des Bundes und der Länder mitgewirkt haben. Die Arbeitsgruppe hat ihrerseits an die Rechtsprechung, aber auch an die Ergebnisse der wissenschaftlichen Diskussion angeknüpft, die vor 40 Jahren von Ludwig Raiser mit seiner bahnbrechenden Arbeit über das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen eingeleitet worden ist.Unter allen Beteiligten besteht Übereinstimmung darüber, daß zur vollen Entfaltung der materiell-rechtlichen Vorschriften die Einführung von Verfahrensvorschriften notwendig ist. Die Bundesregierung teilt selbstverständlich diese Auffassung. Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf enthält allerdings solche verfahrensrechtlichen Vorschriften noch nicht. Diesbezügliche Vorschläge wird die Bundesregierung in einem weiteren Gesetzentwurf unterbreiten, sobald die Empfehlungen der Kommission ausgereift und in sorgfältig geprüfte Gesetzesformulierungen umgesetzt worden sind.Dabei ist es auch hier unerläßlich, daß die betroffenen Kreise — und namentlich die Landesjustizverwaltungen — Gelegenheit erhalten, sich detailliert zu den komplizierten Einzelfragen eines Kontrollverfahrens zu äußern. Ich darf hier nur — sozusagen als Fußnote — erwähnen, daß mein Haus zu den materiell-rechtlichen Bestimmungen des Entwurfs nicht weniger als 150 Verbände, Gruppen und Institutionen gehört hat. Es würde aber den Interessen der Verbraucher zuwiderlaufen, wenn wir bis dahin auf die materiell-rechtlichen Vorschriften und auf die positiven Wirkungen verzichteten, die schon jetzt von den materiell-rechtlichen Regelungen für die Verbraucher ausgehen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Opposition hat ihrerseit einen Entwurf vorgelegt. Er hat das Haus vor einiger Zeit in erster Lesung beschäftigt. Es wäre müßig, angesichts dessen einen für den Bürger recht nutzlosen Streit um das Erstgeburtsrecht auszutragen. Das Erstgeburtsrecht gebührt nämlich unstreitig der Kommission, deren Vorlage unserem Entwurf zugrunde liegt und deren Vorlage sich auch die Opposition inhaltlich, zum Teil sogar im Wortlaut, zu eigen gemacht hat, ein Umstand, den die Bundesregierung keineswegs beklagt, sondern deswegen begrüßt, weil er zu einer nicht mehr alltäglichen Übereinstimmung der Vorlagen geführt hat und die Beratungen gewiß erleichtern wird. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn sich die Opposition entschließen könnte, ihre Verfahrensvorschläge so lange zurückzustellen, bis die Fachleute aus den Bundes- und Landesjustizverwaltungen, aus den Wirtschaftsverwaltungen, aus
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Bundesminister Dr. Vogelder richterlichen Praxis sowie vor allem auch aus den betroffenen Kreisen der Verbraucher und der Wirtschaft ausreichend Möglichkeit zur Prüfung, zur Stellungnahme und zur Diskussion gehabt haben.Namens der Bundesregierung gebe ich abschließend der Hoffnung Ausdruck, daß der heutigen ersten Lesung noch in dieser Legislaturperiode die zweite und dritte Lesung folgen werden. Der Bundestag würde damit den sozialen Auftrag des Grundgesetzes in einem weiteren für die breiten Schichten unseres Volkes bedeutsamen Punkte konkretisieren.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache in der ersten Beratung.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Däubler-Gmelin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Problem der Allgemeinen Geschäftsbedingungen hat die Gemüter schon vor 100 Jahren bewegt. Schon 1879 mußte das Reichsgericht über die Gültigkeit der allgemeinen bzw. der bremischen Seerechtsversicherungsbedingungen aus den Jahren 1867 oder 1875, über die Anwendbarkeit von allgemeinen Feuerversicherungsbedingungen und auch des Reichsbahnbetriebsreglements aus den Jahren 1874 bzw. 1876 entscheiden. Schon damals überlagerte also das Kleingedruckte, dieses Recht des wirtschaftlich Stärkeren, die gesetzlichen Regelungen, damals typischerweise im Verkehrs-, Beförderungs- und Versicherungssektor.In den folgenden Jahrzehnten griff es mit Blitzgeschwindigkeit auf alle Bereiche von Wirtschaft und Handel über, in denen Massengeschäfte getätigt wurden. In welchem Ausmaß das geschah und wie rigide dieses um 1930 ohne jeden Anstoß so bezeichnete „selbstgeschaffene Recht der Wirtschaft" zu Lasten des Verbrauchers zeitweise auch von höchsten deutschen Gerichten als „fertig bereitliegende Rechtsordnung, der sich der Vertragspartner eben unterwerfe", qualifiziert wurde, mag derjenige, der sich speziell für dieses Problem interessiert, in den einschlägigen Werken der juristischen Literatur nachlesen. Mir kam es hier lediglich darauf an, das eindrucksvolle Bild der ungeheuer vielen betroffenen Lebensvorgänge, der Vielfalt der Anwendungsbereiche und auch der Farbigkeit der Beispiele, das uns soeben Bundesminister Vogel gezeichnet hat, um die historische Dimension zu ergänzen und Ihnen zugleich aufzuzeigen, daß die erfreulicherweise zu beobachtende Einigkeit über das Vorhaben der gesetzlichen Kontrolle dieses wirtschaftlichen „Nebenrechts" im Grundsatz sicherlich auch aus der hundert Jahre langen Reifezeit dieses Problems herrührt. Selbst ein Savigny könnte ja wohl heute nicht mehr am „Beruf unserer Zeit" zu dieser Gesetzgebung zweifeln.Nach 100 Jahren Problemreifung auf diesem Gebiet haben wir nun gleich zwei Gesetzentwürfe vorliegen. Einmal ist es der Regierungsentwurf, den uns soeben der Bundesjustizminister ausführlich vorgestellt hat. Er beruht auf der hervorragenden Arbeit der beim Justizministerium eingesetzten Kommission. Für diese Arbeit sei ihr hier von uns ausdrücklich ebenso herzlich gedankt wie dem ehemaligen Bundesjustizminister Jahn, der ja im Jahre 1972 die Initiative dazu ergriffen hat.
Neben diesem Regierungsentwurf haben wir denGesetzentwurf der Abgeordneten Vogel, Thürk undanderer Kollegen der CDU/CSU-Fraktion vorliegen.Bevor ich im folgenden eine kurze Bestandsaufnahme beider Entwürfe versuche, lassen Sie mich einen Punkt aus der ersten Lesung dieses Entwurfs im Mai aufgreifen. Sie wissen, sehr geehrter Herr Thürk, daß ich an dieser Lesung nicht teilnehmen konnte. Doch ist mir bei der Lektüre des Sitzungsprotokolls ein Punkt ganz besonders unangenehm aufgefallen. Sie haben im Laufe Ihres Vortrags sinngemäß bemerkt — und das gleich an mehreren Stellen —, es sei doch erstaunlich, daß sich die SPD nur zu Wahlzeiten verbraucherfreundlich zeige. Wenn Sie das im Ernst gemeint und nicht nur im Augenblick der Erregung, vielleicht auch der etwas verzerrenden späten Stunde so dahingesagt haben, dann ist diese Bemerkung, verzeihen Sie, etwas töricht. Denn wer hat denn seit 1969 umfassende Vorhaben auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes in Angriff genommen? Wer hat denn — nur um einiges zu nennen — die Widerrufsmöglichkeit und die günstige haftungsrechtliche Stellung des Ratenkäufers ins Abzahlungsgesetz gebracht? Wer hat denn die Preisauszeichnungsverordnung, die Maklerverordnung, die Änderung des Gewerberechts, den Mieterschutz, ja, die Lebensmittelgesetzgebung und die Arzneimittelrechtsreform durchgesetzt bzw. in Angriff genommen?
Das war doch diese sozialliberale Koalition, unterstützt von den durch SPD und FDP regierten Bundesländern.
Das ergibt doch zusammen mit den noch vor uns liegenden Aufgaben der Eindämmung des Kreditwuchers, Herr Stark, der Regelung des Reiseveranstaltervertrags, des Ehevermittlervertrags und des Schutzes des Verbrauchers vor Übervorteilung an der Haustür und auf Kaffeefahrten das dringlich erforderliche Netz verbraucherfreundlicher Bestimmungen, das von Ihnen während der zwei Jahrzehnte Ihrer Regierungsverantwortung eben nicht geknüpft wurde.
Und wenn Sie jetzt sagen, Sie hätten diese Vorhaben häufig mitgetragen, so gestehe ich Ihnen das gern zu. Ich rechne ja auch mit Ihrer Zustimmung in
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Frau Däubler-Gmelindem vorliegenden Fall. Sie sind häufig für dasselbe oder beinahe dasselbe eingetreten,
nachdem unsere Vorhaben eingebracht oder von uns angekündigt worden waren.Nur das eine bleibt festzuhalten: Die Zahl Ihrer originären Verbraucherschutzinitiativen war weder vor 1969 noch danach so hervorragend, daß sie dieser falschen und hochmütigen Bemerkung aus der ersten Lesung Ihrer Vorlage einen Schein der Berechtigung verleihen könnte.Doch jetzt, meine Damen und Herren, zu der angekündigten Bestandsaufnahme. Ich wage vorauszusagen, daß das Ergebnis der sorgfältigen Beratungen beider Vorlagen im Rechtsausschuß mehr dem Regierungsentwurf gleichen wird als dem der Opposition, und dies keineswegs nur wegen der Koalitionsmehrheit, obwohl auch diese verpflichtet, wie man am Regierungsentwurf sieht, sondern einfach deshalb, weil der Regierungsentwurf ungeachtet denkbarer Ergänzungsmöglichkeiten im Einzelfall, beispielsweise im Anwendungsbereich, schlicht besser, verbraucherfreundlicher und, um Herrn Kleinerts Worte aus der ersten Lesung zu Ihrem, dem CDU-Entwurf, aufzugreifen, eben ausgewogener ist.
— Danke schön, Herr Stark; das wollte ich endlich einmal anerkannt haben.
Ich will Ihnen dazu einige Punkte aufzeigen.Für seine hervorragende Durcharbeitung spricht zunächst, daß der Regierungsentwurf den Prüfstand eines Anhörungsverfahrens durchlaufen hat, an dem, wie der Bundesjustizminister ausführte, 150 betroffene Spitzenverbände teilgenommen haben. Sicher, ich weiß, daß auch Sie im Laufe Ihrer Vorarbeit etwas Ähnliches versucht haben, Herr Thürk.
Es ist mir auch bekannt, daß das Hearing im letzten April oder Mai im Adenauer-Haus stattgefunden hat. Gestatten Sie mir bloß die Anmerkung: Diese Veranstaltung würde man, gemessen an dem Sachgegenstand, dort, wo ich herkomme, bestenfalls als „Hearingle" bezeichnen.
— Natürlich, das tun wir auch. Wir sind gerade dabei. Daher ja meine Prognose, daß unser Entwurf bestehen wird.Für den Gesetzentwurf der Bundesregierung schlägt weiter zu Buche, daß er viel klarer aufgebaut und prägnanter formuliert ist. Das macht ihn erheblich leichter verständlich. Auch dies will ich Ihnen durch ein Beispiel belegen. In § 5 Ihres Entwurfs, also des Entwurfs der CDU/CSU-Opposition, wollenSie ja im Grundsatz genau das gleiche wie der Regierungsentwurf, nämlich die Regelungen über die Folgen der Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Nur, abgesehen davon, daß Sie nicht zwischen Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit differenzieren, ist auch Ihre anschließende Folgen-Formulierung wenig faßbar. Denn was ist die ersatzweise eintretende — und jetzt zitiere ich — „der geltenden Rechtsauffassung folgende Regelung", wie das bei Ihnen in § 5 steht? Da ist doch der Hinweis auf die gesetzlichen Vertragstypen, die ersatzweise eingreifen, im Regierungsentwurf erheblich klarer.Der Regierungsentwurf ist auch verbraucherfreundlicher als Ihre Vorlage. Auch dies will ich Ihnen zeigen. Der Regierungsentwurf erklärt klipp und klar, daß zwischen den Vertragspartnern, also beispielsweise zwischen einem Kunden und einem Verkäufer, die individuell ausgehandelten Bedingungen den schriftlichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorgehen. Sie wollen nun diese Regelung sofort wieder einschränken, wenn Sie dem Aufsteller von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, also dem regelmäßig wirtschaftlich Gewandteren, die Möglichkeit einräumen, mündliche Einzelabreden durch seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen von vornherein auszuschließen. Was soll denn das, wo wir doch wissen, daß sich hier ein Hauptbereich des Mißbrauchs befindet? Was soll das denn? Ihre Regelung führt doch nur dazu, daß auch der kleine Käufer die mit ihm vereinbarten mündlichen, günstigeren Bedingungen — nur hier wird es ja praktisch — auch dann nicht vor Gericht einklagen kann, wenn er deren Vereinbarung ausnahmsweise einmal beweisen kann. Das halte ich nicht für richtig.Und noch einen Fall: Der Regierungsentwurf — auch hierauf hat der Bundesjustizminister schon hingewiesen — enthält eine ganze Latte von stets unzulässigen Vertragsklauseln. So soll das gesetzliche Leistungsverweigerungsrecht des Kunden, z. B. sein gesetzliches Zurückbehaltungsrecht, durch Allgemeine Geschäftsbedingungen nicht ausgeschlossen werden können. Es soll auch unzulässig sein, in Allgemeinen Geschäftsbedingungen die einseitige Erhöhung des Kaufpreises vorzusehen. Ihr Entwurf, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, enthält diese Bestimmung im Grundsatz auch; nur erklären Sie diese Klauseln nicht für stets unzulässig, sondern Sie wollen sie dann doch zulassen, wenn beispielsweise ein Kaufhauskonzern als aufstellende Partei „triftige Gründe" dafür nachweist, die — und jetzt zitiere ich wieder — „nicht lediglich auf ihrem Interesse beruhen". Ich meine, solche Gründe nachzuweisen dürfte nicht sehr schwierig sein. Auch hier haben Sie wieder ein Schlupfloch parat, und im Interesse der Verbraucher kann ich das nicht für richtig halten.Für die Solidität des Regierungsentwurfs — und dies begründet meine Prognose ebenfalls — spricht schließlich — und manch einen von Ihnen wird es zunächst überraschen, daß ich das jetzt hier anführe —, daß er sich auf die inhaltlichen Regelungen beschränkt. Sie wissen natürlich, daß die Sozialdemokraten wie Sie der Auffassung sind, daß der
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Frau Däubler-Gmelinmaterielle Teil nur der erste Teil eines durch den Verfahrensteil erst zur vollen Wirksamkeit gebrachten Gesamtkomplexes sein kann. Doch — und ich glaube, Ihr Verfahrensteil bestätigt dies, wenn auch ungewollt - war es durchaus richtig, daß in dem Regierungsentwurf eben nicht so getan wurde, als sei die Diskussion um die Verfahrensbestimmungen schon so weit fortgeschritten, daß eine Festschreibung durch den Gesetzgeber jetzt erfolgen könnte.
— Wenn etwas Gutes daraus werden soll — fragen Sie einmal den Kollegen Klein —, brauchen wir zu Recht länger. — Man mag bedauern, daß der Diskussionsstand noch nicht so weit gediehen ist; ich tue dies ausdrücklich. Nur, ich kann nicht erkennen, Herr Stark und Herr Thürk, daß Ihr Vorschlag, der Vorschlag einer Art von Unterlassungsanspruch, von Ansätzen einer Verbandsklagemöglichkeit von Verbraucherorganisationen von Ihnen in Kenntnis und vor allen Dingen nach reiflicher Diskussion aller im Gespräch befindlichen Möglichkeiten eingebracht wurde. Solche Möglichkeiten gibt es aber heute in erheblichem Umfang. Sie werden in der Wissenschaft und in der Praxis diskutiert; Sie wissen das ja alles.Die schon erwähnte Arbeitsgruppe beim Bundesjustizminister hat im März dieses Jahres einen zweiten Teilbericht vorgelegt, der doch ein ganzes Bündel von Vorschlägen enthält. Ich halte es für richtig, diese Vorschläge eines abstrakten Prüfungsverfahrens, eines Musteraufstellungsverfahrens und der Einrichtung von Verbraucherschutzbehörden einer sehr genauen Prüfung zu unterziehen. Ich halte es für dringend erforderlich, auch weitere Möglichkeiten zu durchdenken,
etwa die einer Vorabkontrolle durch die Einführung einer Genehmigungspflicht für Allgemeine Geschäftsbedingungen. Sie werden, Herr Erhard, doch im Zweifel gar nichts dagegen haben werden, daß man hier einmal ein bißchen gründlicher denkt.
— Ach, wissen Sie, so lange hätten wir im Interesse der Verbraucher keinesfalls Zeit.Die Möglichkeit einer fakultativen Genehmigung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen muß ebenso bedacht werden wie z. B. die Möglichkeit einer vorbeugenden Grobkontrolle im Rahmen einer Registrierung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder auch die Möglichkeit einer kollektiven Vereinbarung von Branchen-AGB, ähnlich den Erscheinungen, die wir ja heute in vielen Bereichen — ich nenne hier nur den Bereich des Kfz-Reparaturhandwerks — durchaus haben.Gerade deswegen, weil seriöserweise wohl niemand sagen kann, die Verfahrensüberlegungen seien hier und jetzt durchdacht, verabschiedungsreif, sollten wir uns auf den materiellen Teil beschränken. Wenn wir dies tun, gemeinsam tun, und wenn wir dann von seiten aller Fraktionen unseren Bekenntnissen zur zügigen Behandlung dieser verbraucherpolitischen Dinge auch Taten folgen lassen, dann haben wir eine echte Chance, diesen Schritt hin zu einer stärkeren Stellung des Verbrauchers in unserer Wirtschaft bis zum Ende der Legislaturperiode zu vollziehen. Die Sozialdemokraten in diesem Hause, meine Damen und Herren, werden dies versuchen.
Das Wort hat der Abgeordnete von Schoeler.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind uns in dem Ziel, das mit dem vorgelegten Entwurf verfolgt wird, in diesem Hause erfreulicherweise weitgehend oder sogar völlig einig. Wir wollen den Verbraucher vor einseitigen, vor unbilligen und vor überraschenden Bestimmungen in dem berühmten „Kleingedruckten" schützen. Wir wissen alle, daß Allgemeine Geschäftsbedingungen heute in einer modernen industriellen Massengesellschaft unentbehrlich sind. Wir wissen, daß sie der Vereinfachung der Vertragsabwicklung und der Rationalisierung des Geschäftsablaufs dienen. Auch ist bei ihnen die Möglichkeit einer raschen Anpassung an veränderte wirtschaftliche und technische Gegebenheiten und Entwicklungen besser als bei gesetzlichen Regelungen. Wir müssen aber leider feststellen, daß es im Zuge der zunehmenden Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gleichzeitig eingerissen ist, daß in diesen Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine unbillige Überwälzung von Geschäftsrisiken auf den Verbraucher vorgenommen wird. Dem wollen wir alle gemeinsam begegnen.Die Rechtsprechung hat in den vergangenen Jahren die notwendige Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zunehmend verschärft. Dennoch hat dies nicht ausgereicht, um einen wirksamen Verbraucherschutz zu gewährleisten. Deshalb ist eine gesetzliche Regelung auch nach unserer Auffassung unumgänglich. Sie ist nicht nur notwendig, um den Verbraucher als den wirtschaftlich Schwächeren bei der Abwicklung dieser Geschäfte wirksam zu schützen, sondern sie ist auch notwendig, um eine bestehende Rechtsunsicherheit auf diesem Gebiet zu beseitigen. Sie liegt daher nach unserer Auffassung im Interesse aller an der Abwicklung solcher Geschäfte Beteiligten.Neben diesem Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen wird es auch in Zukunft notwendig sein, bestimmte, im BGB nicht ausdrücklich geregelte Vertragstypen in Spezialgesetzen zu regeln. Das ist erforderlich, um die auf bestimmten Spezialgebieten erforderliche Detailregelung auch in klarer Form vornehmen zu können.Wir sind uns auch — trotz der einen oder anderen Alternativformulierung, die wir im Rechtsausschuß überprüfen werden — über die grundsätzliche Systematik des Gesetzentwurfes einig. Wir brauchen erstens Bestimmungen, die stets ungültige Klauseln
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von Schoeleraufführen, und zweitens Bestimmungen, die Klauseln aufführen, die nur unter bestimmten Voraussetzungen ungültig sind. Wir benötigen darüber hinaus eine Generalklausel. Über die Formulierung der einzelnen Bestimmungen des Gesetzes werden wir uns im Ausschuß unterhalten müssen, ebenso über die Formulierung der Generalklausel, bei der wir sicherlich noch die eine oder andere Verbesserung — auch unter Einbeziehung der Diskussionsbeiträge des Deutschen Juristentages — vornehmen können.Meine Damen und Herren, wir wollen im Bereich der privaten Wirtschaft gegen Mißbräuchliches im Kleingedruckten vorgehen. Wir sind aber, so meine ich, nur dann glaubwürdig, wenn wir gleichzeitig gegen unbillige und einseitige Bestimmungen in entsprechenden Vorschriften aus dem Bereich der öffentlichen Hand vorgehen. Gesetze, Verordnungen, Satzungen, Benutzungsordnungen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene bieten sicherlich eine zu weiteren Tätigkeiten anregende Lektüre, und die Verbraucher werden uns für eine solche Tätigkeit dankbar sein.
— Wir sind alle aufgerufen, dies zu tun, Herr Erhard. Sie werden zu dieser Diskussion hoffentlich auch mit beitragen, auf welcher Ebene dies auch immer sei.
— Wir sind bereit, jeden Vorschlag, der in diese Richtung geht, sorgfältig zu prüfen und Regelungen zu finden, die dem Interesse der Verbraucher — auch im Bereich der öffentlichen Hand — Rechnung tragen.Meine Damen und Herren, es gibt keinen Zweifel daran, daß die Wirksamkeit der Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht allein von den materiellen Bestimmungen abhängig ist, sondern daß dazu verfahrensrechtliche Ergänzungsvorschläge notwendig sind. Auch hierüber besteht Einigkeit. Ich meine, es dient der Debatte wenig, wenn wir uns nun abstrakt darüber unterhalten, ob diese verfahrensrechtlichen Bestimmungen jetzt oder zu einem späteren Zeitpunkt ergänzend hinzugefügt werden können. Wir sollten uns über zwei Dinge einig sein, erstens darüber, daß wir materielle Bestimmungen über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen noch in dieser Legislaturperiode parlamentarisch verabschieden wollen, und zweitens darüber, daß wir alles tun werden, um zu prüfen, ob diese materiellen Bestimmungen schon jetzt durch verfahrensrechtliche Bestimmungen ergänzt werden können. Wir sollten im Rechtsausschuß an Hand der bereits vorliegenden Vorschläge prüfen, ob eine solche verfahrensrechtliche Ergänzung möglich ist oder ob die Prüfung dieser Fragen noch nicht mit der gebotenen Ausführlichkeit vorgenommen werden konnte.Der Bundesjustizminister hat, wie ich meine zu Recht, darauf hingewiesen, daß ein Streit um das Erstgeburtsrecht uns nicht weiterführt. Ich meine, wir sollten nicht darüber streiten, wer das Ei zuerst gelegt hat, sondern uns gemeinsam damit beschäftigen, es möglichst schnell auszubrüten. Dazu werden I wir Freien Demokraten unseren Beitrag leisten.
— Von der Henne zu sprechen, habe ich vermieden, um Sie nicht zu beleidigen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Thürk.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Endlich ist es der Bundesregierung gelungen, im Plenum des Deutschen Bundestages einen eigenen Gesetzentwurf über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen einzubringen. Wer aber geglaubt hat, Herr Bundesminister, daß das, was lange währt — wie Frau Däubler-Gmelin ja bereits gesagt hat — nun endlich gut werde, sieht sich bei der Durcharbeitung des Entwurfs leider doch erheblich getäuscht. Selbst der nicht sachkundige Leser merkt bereits bei einer oberflächlichen Durchsicht des Gesetzentwurfes, daß dieser sicher kein Meisterwerk ist, und zwar sowohl formell als auch materiell.Schon vor fast drei Jahren hatte die Bundesregierung eine Kommission eingesetzt, der sie die Aufgabe gestellt hatte, das sogenannte „Kleingedruckte" in Verträgen und Formularen einer gesetzgeberischen Überarbeitung zu unterwerfen. Aber noch nicht einmal diese Idee — Frau Däubler-Gmelin, insoweit sind Sie offensichtlich historisch nicht ganz genau informiert; aber das macht nichts, nach dem geschichtlichen Exkurs, den sich der Herr Bundeskanzler neulich hier geleistet hat, als er von einem Fettnäpfchen ins andere sprang, können Sie sich das durchaus leisten —
ist auf Ihrem Mist gewachsen. Denn die Idee kam von dem bayerischen Justizminister Dr. Held. Er mußte nämlich — das sollten Sie wenigstens anerkennen — den früheren Bundesjustizminister Jahn mehr oder weniger dazu zwingen, selbst initiativ zu werden und diese Kommission einzusetzen.
Daran kommen Sie nun einmal nicht vorbei, lieber Herr Sieglerschmidt.
— Nein, die Geschichten macht Ihr Bundeskanzler. Das ist keine Geschichte, da ist noch ein „n" hinten dran.Wie es so üblich ist, wurde dann eine Kommission eingesetzt, die den heute vorliegenden Entwurf erarbeitet hat. Parallel dazu hat allerdings auch eine Kommission der CDU/CSU gearbeitet, nur mit dem Unterschied, daß diese bereits Ende 1974 ihren Entwurf vorgelegt hat, und zwar einen abgerundeten Entwurf, der sowohl materielle wie formelle Bestimmungen enthielt.Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben nun alle geschäftsordnungsmäßigen Tricks
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Thürkausgespielt, um zu verhindern, daß dieser Entwurf ins Plenum kommt. Ich habe mit Interesse gehört, daß heute überall, vom Minister bis zu den Abgeordneten, dargelegt wird, man solle sich doch nicht darüber streiten, wer das erste Ei gelegt hat. Dann frage ich die Koalitionsfraktionen, warum sie denn so verzweifelt versucht haben zu verhindern, daß der fix und fertige Entwurf der Opposition hier beraten wurde, wie es hinterher tatsächlich geschehen ist. Allerdings konnten wir erst am 25. April unter Androhung einer Geschäftsordnungsdebatte erreichen, daß der Entwurf hier ins Haus kam und in erster Lesung behandelt wurde,
sonst hätten wir ihn heute noch nicht. Dann hat man sich eines weiteren Tricks bedient und hat dasselbe Schicksal, allerdings unvorhergesehenermaßen, dem Regierungsentwurf bereitet. Er wurde damals in letzter Minute am Freitagnachmittag, als alle Abgeordneten bereits auf der Reise in ihre Wahlkreise waren, zur Diskussion gestellt, um nach Möglichkeit kein Publikum mehr zu haben. Auch damals war die Pressebank leider leer.Trotzdem konnte die Bundesregierung nicht verhindern, daß der Gesetzentwurf der Opposition in der Öffentlichkeit besprochen und auch die Frage gestellt wurde, wo denn nun eigentlich das — ich darf das ohne Anspielung sagen — Ei des Bundesjustizministers geblieben ist. Diese Frage stellte man sich natürlich auch im Bereich der Opposition, da wir nicht ohne weiteres annehmen konnten, daß die Sachverständigen — Frau Däubler-Gmelin, darin stimmen wir überein —, die das Bundesjustizministerium aus allen Kreisen von Wissenschaft, Rechtsprechung, aus der Praxis usw. berufen hat, nun wesentlich schlechter oder überhaupt schlechter sein sollten als unsere Sachverständigen, die wir hinzugezogen haben. Allerdings muß ich eines sagen — Sie haben bestätigt, daß Sie das Protokoll der Plenarsitzung vom 25. April studiert haben —, daß sich hier einiges abgespielt hat, was doch irgendwie als jämmerlich bezeichnet werden muß. Herr Jahn hatte offensichtlich überhaupt kein Interesse an dem Gesetzentwurf, und das kam in seiner Erwiderung ganz deutlich zum Ausdruck.
Er hat nach unserer Auffassung diesen Gesetzentwurf in seinem Hause in keiner Weise gefördert. Dies geschah erst — das muß man dem heutigen Bundesjustizminister zugutehalten — mit dem Amtsantritt des heutigen Bundesjustizministers. Aber dadurch kamen zeitliche Verzögerungen hinein, die wir in der Zwischenzeit beklagt haben.
Bedauerlich ist nur, daß das ein Fragment geworden ist und daß wir noch keine Verfahrensvorschriften haben. Die besten materiellen Bestimmungen nützen nämlich nichts, wenn nicht klar ist, wie sie hinterher in der Wirklichkeit gehandhabt werden sollen. Das bedeutet, daß wir unbedingt Verfahrensvorschriften benötigen, die die Stellung desVerbrauchers allgemein, die Stellung der Verbraucherverbände beschreiben, die zeigen, welche Möglichkeiten sie vor Gericht haben und was sie aus diesem Gesetzentwurf tatsächlich machen können. Dies alles fehlt. Statt dessen haben wir vom Bundesjustizministerium in den letzten Tagen eine Broschüre über Vorschläge zur Verbesserung des Schutzes der Verbraucher gegenüber den Allgemeinen Geschäftsbedingungen erhalten, die allerdings komischerweise auf den März 1975 vordatiert worden ist. Ich wüßte nicht, wo sie so lange gelegen haben soll, bis sie herausgegeben wurde.
Dagegen wäre an und für sich nichts zu sagen, wenn diese Überlegungen und Thesen der Kommission früher herausgekommen wären und heute bereits in Gesetzesform zur Beratung vorlägen. So aber ist dieses Vorgehen, nämlich ein Verfahrensrecht nicht präsentieren zu können, dafür aber die Kommissionsthesen vorzulegen, eigentlich ein Armutszeugnis Ihres Hauses, Herr Minister.Zusammenfassend stelle ich fest, daß die Kornmission zur Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen beim Bundesjustizministerium wesentlich früher eingesetzt wurde --- und das ist die einzige Feder, die Sie sich an den Hut stecken können — als bei der CDU/CSU-Fraktion. Gleichwohl hat die Kommission der Opposition bereits Ende 1974 ihren Entwurf vorgelegt, Sie dagegen den Ihren beinahe erst zum Jahresende 1975. Außerdem ist der Entwurf der Opposition wesentlich abgerundeter und enthält alles, was wir für ein Verfahren brauchen.
— Es ist kein Fragment, es ist ein vollständiger, in sich abgerundeter Entwurf. Das muß bei Ihrem Entwurf überhaupt erst einmal zustande gebracht werden.Es ist bereits mehrfach darauf hingewiesen worden, daß bei den materiellen Vorschriften eine weitgehende inhaltliche Übereinstimmung der beiden Gesetzentwürfe festzustellen ist. Herr Jahn meinte damals in der Debatte vorn 25. April 1975, wir hätten seinen Gesetzentwurf abgeschrieben. Das ist ja nun wirklich das Letzte an Lächerlichkeit, was man bieten kann. Derjenige, der mit seinem Gesetzentwurf ein Jahr früher vor die Öffentlichkeit getreten ist, derjenige, der einen kompletten Entwurf statt eines Fragmentes vorgelegt hat, soll hei dem abgeschrieben haben, der hinterherkleckert und außerdem noch kümmerliche Ergebnisse vorlegt. Das ist nun wirklich das Allerletzte, was man uns bieten kann.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin?
Bitte schön.
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13160 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975
Herr Thürk, sind Sie wirklich der Meinung, daß wir die Vorstufe dessen, was sich bei Ihnen in der Entwurfsherstellung abgespielt hat, nicht kennen, oder warum verbreiten Sie sich in vollkommen unzutreffender Weise über die Vorgeschichte?
Ich habe keine unzutreffenden Dinge von der Vorgeschichte erzählt, sondern genau das, was wahr ist. Aber das paßt Ihnen natürlich nicht in den Kram.
Das, was Sie vorgelegt haben — das soll hier einmal gesagt werden —, ist eine kümmerliche Arbeit.
Und, Frau Däubler-Gmelin, wenn Sie mich jetzt schon so ansprechen, muß ich Ihnen noch etwas anderes sagen. Sie selbst sind ja bei mir gewesen und haben mich gebeten — weil das Bundesjustizministerium auch zu Ihrem Kummer nicht vorangemacht hat —, dafür Sorge zu tragen, daß unser Entwurf in die Diskussion kommt. So ist es doch!
Ich hätte das nicht gesagt, wenn Sie mir jetzt nicht diese Vorhaltungen gemacht hätten.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin?
Bitte schön.
Lieber Herr Thürk, ich bin Ihnen für diese — wenn auch unzutreffende — Aussage sehr dankbar; denn ist es nicht so — das hatte ich bis vor zwei Minuten angenommen , daß eigentlich Sie derjenige gewesen sein wollen, der von sich aus das Gesetzgebungsverfahren vorantreiben wollte?
Frau Däubler-Gmelin, ich muß Ihnen allerdings zugestehen, daß Sie damals nicht hier waren und die näheren Umstände der Lesung nicht kannten. Unsere Fraktionsgeschäftsführer haben ab Januar 1975 versucht, unseren Entwurf auf die Tagesordnung zu bringen. Ihr heute zu meinem großen Bedauern nicht anwesender Fraktionsvorsitzender Wehner hat das mit allen Tricks verhindert.
Ich habe ja vorhin ausdrücklich gesagt — da haben Sie wahrscheinlich nicht zugehört —, daß wir die erste Lesung überhaupt erst unter Androhung einer Geschäftsordnungsdebatte erzwingen konnten.
Was nun den Inhalt selbst angeht, so muß man zunächst feststellen, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung — im Gegensatz zu dem, was die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen gesagt haben — nach unserer Auffassung unübersichtlich ist. In den §§ 8 und 9 werden die gefährlichen Klauseln abgehandelt, wobei § 8 die relativ unwirksamen Klauseln enthält, die jeweils im Einzelfall zu überprüfen sind, und § 9 die absolut unzulässigen Klauseln, deren Gefährlichkeit der Gesetzgeber in jedem Fall unterstellt. Aber dieser § 9 ist in 17 Einzelziffern unterteilt, die zum Teil noch einmal in Buchstaben untergliedert sind. Dagegen hat der Gesetzentwurf der Opposition die fraglichen Punkte zusammengefaßt und jeweils in einem Paragraph mit einer Überschrift abgehandelt.Die Bundesregierung sollte allmählich gelernt haben, daß ihre Gesetze nicht nur für sachkundige Juristen verständlich sein müssen, sondern für die breite Öffentlichkeit. Gerade dieses Gesetz ist für den Endverbraucher geschaffen worden und sollte sich deshalb auch an seinem juristischen Verständnis orientieren.In diesem Zusammenhang ist öfter darauf hingewiesen worden, daß eine große Übereinstimmung der beiden Entwürfe besteht. Das kann zumindest den verfahrensrechtlichen Teil überhaupt nicht betreffen, da wir bis heute nicht wissen, was die Bundesregierung in dieser Hinsicht endgültig vorlegen wird. Beim materiellen Teil aber ist das kein Wunder; denn beide Kommissionen haben sich — das hat der Bundesjustizminister richtig ausgeführt — an der bisherigen Rechtsprechung der obersten Gerichte orientiert und von daher die gesetzliche Regelung formuliert. Aber in der Einzelausgestaltung ergeben sich doch erhebliche Unterschiede.Bisweilen hat man den Eindruck, daß die Bundesregierung ihren Vorschriften andere Überschriften gegeben hat, um nicht in den Verdacht zu kommen, nun ihrerseits von der Opposition abgeschrieben zu haben, was ja viel näher liegt. § 1 überschreibt sie mit „Anwendungsbereich", doch gibt sie in Wirklichkeit, genauso wie die Opposition, eine Definition der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Die ist an sich ja auch richtig und notwendig, weil der Begriff der AGB bisher nur in der Rechtsprechung, aber nicht in der Gesetzgebung fixiert ist.Auch andere Überschriften dienen nicht der Klarheit und dem Verständnis. Statt in § 7 beispielsweise eine einfache und einleuchtende Überschrift, nämlich „Generalklausel" zu verwenden, bringt der Entwurf die in meinen Augen und für den Laien nichtssagende Überschrift: „Grundsatz des angemessenen Interessenausgleichs". Das ist für Juristen, aber doch nicht für Verbraucher und für die Verbraucherverbände verständlich, die nicht alle einen Juristenstab zur Verfügung haben. Gleichwohl spricht die Bundesregierung in ihrer eigenen Begründung von einer Generalklausel. Dort bringt sie den Begriff wieder. Man muß sich fragen, warum dieses nicht auch im Gesetzestext geschehen ist. Tatsächlich hat man immer wieder den Eindruck krampfhaften Bemühens, sich wenigstens in den Überschriften, in Definitionen von der Opposition
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975 13161
Thürkzu unterscheiden. Wenn die Bundesregierung derart unsicher ist, müssen wir dies bedauern.Was wir im Entwurf beispielsweise vermissen, ist eine Unklarheitsregelung dahin, daß Zweifel bei der Auslegung von AGB zu Lasten des Verwenders gehen. Auch suchen wir im Gesetzentwurf vergeblich eine Kollisionsklausel bei Zusammentreffen mehrerer allgemeiner Geschäftsbedingungen. In diesen Bereich gehört auch das Umgehungsverbot, das verhindern soll, daß durch die vielgestaltigen Vertragsmöglichkeiten in der Wirtschaft der gesetzgeberische Zweck umgangen wird, indem eine andere Vertragsgestaltung gewählt wird.Bedenklich stimmen auch die Ausnahmen in § 11. Dort sind einige Verträge angeführt — das muß man Herrn von Schoeler sagen —, z. B. die Verträge der Energie- und Versorgungsunternehmen, Versicherungsverträge und ähnliche. Wenn diese Ausnahmen bestehenbleiben, wilde der Schutzzweck der AGB in weiten Bereichen illusorisch werden. Der Schutz würde eliminiert.Problematisch ist auch der persönliche Ausnahmebereich des § 12. So sollen beispielsweise die Bestimmungen über die unzulässigen Klauseln auf Verträge gegenüber einem Kaufmann, soweit jene zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehören, nicht angewandt werden. Diese Vorschriften haben auch der Opposition Sorge bereitet; das sei ohne weiteres zugegeben. Auf der einen Seite steht der Grundsatz, daß derjenige, der ein Handelsgeschäft führt, natürlich mit den Schwierigkeiten des Erwerbslebens vertraut sein muß. Deswegen nimmt ihn ja auch das Handelsgesetzbuch von einigen Schutzvorschriften ausdrücklich aus. Andererseits wird dem Einzelhandelskaufmann die Schwierigkeit aufgeladen, im Verhältnis zum Endverbraucher den AGB unterworfen zu sein, aber im Verhältnis zu seinem Lieferanten nicht. Der Einzelhandelskaufmann, der mit Sicherheit nicht der stärkste und potenteste Partner im Wirtschaftsleben ist, würde somit zu einem Puffer zwischen Industrie und Endverbraucher werden, eine Funktion, der er auf die Dauer sicher nicht gerecht werden kann. Es ist deshalb auch keine Lösung, daß wenigstens die Generalklausel auf Kaufleute Anwendung findet. Hier werden die Ausschußberatungen zeigen müssen, welche Wege man gemeinsam in vernünftiger Weise gehen kann.Wenn Sie, Frau Kollegin Däubler-Gmelin, dann noch angeführt haben, daß der Ausschluß der mündlichen Nebenabrede bei uns anders geregelt ist, so würde ich Sie bitten, auch einmal darüber nachzudenken, daß der schriftlich fixierte Vertrag zugunsten des Verbrauchers da ist, daß aber die mündliche Nebenabrede, die von einem versierten und gerissenen Vertreter dem anderen Vertragspartner untergeschoben und hinterher bewiesen wird, indem er vor Gericht dafür einsteht, den Verbraucher in große Kalamitäten bringt. Diesen Überlegungen sollten Sie sich nicht verschließen und sollten daran denken, wenn wir die Beratungen im Ausschuß führen. Das, was Sie hier nämlich zum Schutz des Verbrauchers zu tun glauben, schlägt per Saldo in das Gegenteil um.
Insgesamt darf man feststellen, daß über den Regierungsentwurf in den Ausschußberatungen durchaus noch verhandelt werden kann. Er bringt allerdings gegenüber der bisherigen Rechtsprechung und gegenüber dem Entwurf der Opposition nichts wesentlich Neues. Der Bundesregierung wäre wahrlich kein Stein aus der Krone gefallen, wenn sie ihren eigenen Gesetzentwurf zurückgehalten und sich zur Beratung ausschließlich des Entwurfs der Opposition bereit gefunden hätte. So hat sie sich jedoch dem Vorwurf kleinlicher Rechthaberei mit unvollkommenen Mitteln ausgesetzt.
— Nein, ich sicher nicht.
Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist erschöpft.Wir kommen zur Abstimmung in erster Beratung. Gemäß Beschluß des Ältestenrates ist vorgeschlagen, wie folgt zu überweisen: Rechtsausschuß federführend, außerdem Ausschuß für Wirtschaft. — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist es so beschlossen.Ich darf Sie bitten, noch einen Moment zu verweilen, weil ich sämtliche Tagesordnungspunkte jetzt noch vor 1 Uhr erledige.Punkt 4 ist von der Tagesordnung abgesetzt.Ich rufe auf die Punkte 5, 6 und 7 der Tagesordnung:5. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch— Drucksache 7/4017 --Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Sonderausschuß für die Strafrechtsreform6. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Neuorganisation der Marktordnungsstellen— Drucksache 7/4021 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Haushaltsausschuß7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Wehrdisziplinarordnung— Drucksache 7/4027 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Verteidigungsausschuß InnenausschußRechtsausschußHaushaltsausschuß gemäß § 96 GOIch sehe, daß das Wort zur Aussprache in erster Beratung nicht gewünscht wird. Die Überweisungsvorschläge ersehen Sie aus Ihrer Tagesordnung. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist es so beschlossen.Die Punkte 8, 9 und 10 sind von der Tagesordnung abgesetzt,
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13162 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975
Vizepräsident von HasselIch rufe die Punkte 11 bis 13 der Tagesordnung auf:11. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung betr. Aufhebung der Immunität der Abgeordneten— Drucksache 7/4035 — Berichterstatter: Abgeordneter Dürr12. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung betr. Aufhebung der Immunität der Abgeordneten— Drucksache 7/4036 —Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Dr. Timm13. Beratung des Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung betr. Aufhebung der Immunität der Abgeordneten— Drucksache 7/4037 —Berichterstatter:Abgeordneter Mertes
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Auch das Wort zur Aussprache wird nicht begehrt. Dann kann ich wohl davon ausgehen, daß das Haus damit einverstanden ist, daß wir gemeinsam abstimmen. — Ich sehe keinen Widerspruch.Wer den Anträgen zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. -- Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe den Zusatzpunkt zur Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes
— Drucksache 7/3721 —Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen
— Drucksache 7/4056 —Berichterstatter:Dr. Freiherr Spies von BüllesheimIch danke dem Berichterstatter. Wünscht dieser das Wort? -- Das ist nicht der Fall.Wir treten in die zweite Beratung ein. Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die zweite Beratung und komme zur Abstimmung. Wer dem Entwurf in der in Drucksache 7/3721 enthaltenen Formulierung — Art. 1, 2 und 3, Einleitung und Überschrift — zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Wir kommen zurdritten Beratung.Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die dritte Beratung.Wer dem Gesetz in der beschlossenen Fassung seine Zustimmung gibt, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich unterbreche die Sitzung bis zur Fragestunde um 14 Uhr.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Fragestunde
— Drucksache 7/4038 —Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamentarischer Staatssekretär Schlei zur Verfügung. Ich rufe die Frage 75 des Herrn Abgeordneten Hösl auf:
Wann hat das Gespräch bzw. haben die Gespräche zwischen Ministerialdirektor Sanne mit dem Staatssekretär im Ostberliner Außenhandelsministerium stattgefunden, und wann sind der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen, der Leiter der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin und der Regierende Bürgermeister von Berlin jeweils von der Tatsache des einzelnen Gesprächs und von dessen Inhalt unterrichtet worden,?
Bitte schön, Frau Staatssekretär!
Herr Kollege Hösl, zur Vorbereitung der Gespräche des Bundeskanzlers mit Herrn Honecker in Helsinki haben sich die von Ihnen genannten Herren vor der Konferenz getroffen. Bei dem Gespräch in Helsinki blieben einzelne Fragen offen, deren Klärung vor Wiederaufnahme der Verhandlungen durch Staatssekretär Gaus nützlich erschien. Deshalb haben diese beiden Mitarbeiter nach den Gesprächen von Helsinki erneut Gespräche geführt.Nachdem nun diese Fragen inzwischen geklärt worden sind, werden die Verhandlungen durch Staatssekretär Gaus in der nächsten Woche wieder aufgenommen. Heute hat Herr Staatssekretär Gaus die Vorbereitungsgespräche für die Wiederaufnahme der Verhandlungen geführt und den 29. und 30. September als Verhandlungstermine erreicht.Nun zum zweiten Teil Ihrer Frage, die sich auf die Unterrichtung über die Gespräche bezieht. Der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen und der Leiter der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin sind von Anfang an über diese Gespräche unterrichtet worden. Staatssekretär Gaus ist ferner als zentraler Verhandlungsführer an der Auswertung der seine Verhandlungen betreffenden Fragen beteiligt worden.Für eine Unterrichtung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin vor der Konferenz in Helsinki bestand keine sachliche Notwendigkeit, weil es in dieser Phase hauptsächlich um protokollarische Fragen ging und die Sachpositionen zwischen der Bundesregierung und dem Senat von Berlin in den vor-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975 13163
Parl. Staatssekretär Frau Schleiangegangenen Monaten laufend sorgfältig abgestimmt waren. In der Phase nach Helsinki wurde der Regierende Bürgermeister von Berlin durch den Senator für Bundesangelegenheiten, Herrn Stobbe, bezüglich der Berlin betreffenden Fragen unterrichtet.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretär, darf ich also davon ausgehen, daß die von mir genannten Stellen immer im jeweilig gebotenen Zeitraum über die Gespräche informiert wurden und auch vom Inhalt Kenntnis erlangten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
So ist es, Herr Kollege.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretär, können Sie es sich erklären, wie es zu Pressemeldungen gekommen ist, wonach diese Stellen eben nicht zeitgerecht informiert worden seien?
Dies hängt sicherlich mit der vereinbarten Vertraulichkeit zwischen beiden Seiten zusammen. Es ist auf beiden Seiten, d. h. auf unserer Seite und auf der DDR-Seite, vereinbart worden, über einzelne Daten, zum Treffpunkt, was den Ort angeht, nichts verlauten zu lassen. Dann ergeben sich eben Spekulationen, Herr Kollege.
Keine Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Treffen Meldungen zu, der Chef des Bundespresseamts habe vertrauliche Kontakte des zuständigen Abteilungsleiters des Bundeskanzleramts mit dem Staatssekretär im Ostberliner Außenhandelsministerium mit Treffen zwischen Beauftragten miteinander verbündeter Regierungen verglichen, und wie wirkt
bejahendenfalls — die Bundesregierung dem Eindruck entgegen, die Beziehungen zu Ost-Berlin wären von der gleichen Qualität wie die zu den Partnern im Nordatlantischen Bündnis?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Hösl, meine Antwort ist jetzt nur noch eine Ergänzung dessen, was Frau Staatssekretär Schlei soeben gesagt hat. Ihre Frage bezieht sich auf ein Interview, das ich am 14. September der Berliner Morgenpost" gegeben habe Ich habe dabei auf die Frage des Journalisten nach den „Geheimkontakten" zwischen Ministerialdirektor Sanne und einem Gesprächspartner aus Ost-Berlin gesagt, das Wort „Geheimkontakte" sei fehl am Platze, und habe weiter formuliert: „Wir sollten uns daran gewöhnen, daß Begegnungen zwischen hohen Beamten dieser beiden Regierungen so wenig sensationell sind wie die Treffen zwischen Beauftragten miteinander verbündeter Regierungen, die ja nicht jedesmal unter Angabe von Zeit und Ort anderntags mitgeteilt werden". Diese Antwort, Herr Abgeordneter,
bezog sich unmißverständlich allein auf den informationstechnischen Vorgang, nämlich daß Gespräche zwischen hohen Regierungsbeamten, auch wenn sie zwischen Verbündeten stattfinden, nicht in jedem Fall am anderen Tag unter Angabe von Ort und Zeit mitgeteilt werden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie meine Sorge teilen, daß eine solche Aussage von Ihnen die Bestätigung der These der DDR beinhalten könnte, welche unsere Bundesregierung immer wieder mit dem Hinweis ablehnt, daß zwischen beiden deutschen Staaten ein besonderes Verhältnis besteht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein. Ich glaube, Herr Abgeordneter Hösl, diese Sorge ist völlig unbegründet; denn hier ging es mir allein darum, darzutun, daß der informationstechnische Vorgang überhaupt nicht anomal sei, sondern genau den Usancen entspricht, die auch in den diplomatischen oder politischen Kontakten zwischen Regierungen, die miteinander befreundet sind, beachtet werden, bei denen die Qualität der Beziehungen sicherlich eine andere ist als die der Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesregierung.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, dann darf ich davon ausgehen, daß diese Presseverlautbarung, auf die sich meine Frage stützt, nicht dem wirklichen Ablauf entspricht, wie Sie ihn jetzt wiedergeben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Doch. Was ich in diesem Interview gesagt habe, um das Äußere des Vorgangs zu charakterisieren, entspricht dem tatsächlichen Hergang. Daran ist kein Zweifel.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, zeigt nicht der Abdruck dieses Interviews im „Neuen Deutschland", und zwar unter Aufnahme dieser Passage, die Sie soeben erwähnt haben, daß hier für die Ostberliner Regierung eine höchst willkommene Gelegenheit war, die sehr mißverständliche Wortwahl, die Sie darin gebraucht haben, zugunsten ihrer Propagandazwecke auszuschlachten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube nicht, Herr Abgeordneter Jäger, daß es richtig ist, wenn Sie meine Formulierung als „mißverständlich" qualifizieren. Sie ist auch nirgendwo sonst als mißverständlich empfunden worden. Aus der Tatsache, daß dieses Interview in einigen Zeitungen der DDR
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13164 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975
Staatssekretär Bölling abgedruckt worden ist, den Schluß zu ziehen, diese Formulierung sei dort als Bestätigung eigener Auffassungen aufgefaßt worden, dafür gibt es, glaube ich, keinen Anlaß. Es wird Ihnen, der Sie Fachmann auf dem Felde der innerdeutschen Beziehungen sind, nicht entgangen sein, daß dort nicht redigiert worden ist, sondern daß unsere Auffassungen, sofern sie sich in bestimmten Formulierungen ausdrücken, genauso abgedruckt worden sind. Im übrigen ist es auch nicht meine Sache, darüber zu spekulieren, welche Gründe man dort hatte, dieses Interview abzudrucken.
Keine Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär Bölling.
Wir kommen zum Geschäftsbreich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Moersch zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 77 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Welche Gründe haben die Bundesregierung veranlaßt, im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft mitzubeschließen, daß sie, die Gemeinschaft, zur Hilfe an Portugal bereit sei, da eine demokratische Entwicklung als möglich erscheine, und hält es die Bundesregierung für demokratisch nach der Wertordnung des Grundgesetzes, daß Parteien der Mitte nach wie vor diskriminiert werden, totalitäre Parteien in die Regierungsarbeit mit einbezogen werden sollen und die freie persönliche Initiative in Wirtschaft und Gesellschaft angesichts der bisherigen Entwicklung großen Einschränkungen unterliegt?
Herr Abgeordneter, der Europäische Rat hat am
17. Juli 1975 die Bereitschaft der Europäischen Gemeinschaft zu Gesprächen über engere politische, wirtschaftliche und finanzielle Zusammenarbeit mit Portugal bestätigt. Er hat dabei aber gleichzeitig darauf hingewiesen, daß die Europäische Gemeinschaft in Übereinstimmung mit ihrer bisherigen europäischen Politik und Geschichte nur eine pluralistische Demokratie unterstützen kann.
Bei ihrem Treffen in Venedig am 11./12. September dieses Jahres haben die Außenminister der Neun die jüngsten Erfolge der demokratischen Kräfte in Portugal geprüft und ihrer Hoffnung Ausdruck gegeben, daß es die künftige Entwicklung der Gemeinschaft ermöglichen wird, den Beschluß des Europäischen Rates zu verwirklichen. Dies ist der aktuelle Stand der Überlegungen in der Gemeinschaft über die Beziehungen zu Portugal.
Die Bundesregierung trägt diese Beschlüsse, Überlegungen und Hoffnungen voll und ganz mit. Sie sieht keinen Grund, warum sie sich anders verhalten sollte, da sie die Entwicklung in Portugal für ermutigend hält.
Die Bundesregierung befindet sich damit, Herr Abgeordneter in Übereinstimmung mit der Europäischen Union Christlicher Demokraten, die zum Abschluß einer dreitägigen Konferenz am letzten Wochenende in Zürich die Europäische Gemeinschaft aufgefordert hat, Portugal wesentliche finanzielle, wirtschaftliche und technische Hilfe zu gewähren.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung bei den künftigen Beratungen -sicherlich vertreten durch den Außenminister -davon ausgehen, daß zu einer pluralistischen Demokratie auch Parteien der Mitte — wie z. B. die Christlich-Demokratische Partei und konservative Parteien gehören und diese nicht verboten werden dürfen?
Herr Abgeordneter, ich kann mir nicht vorstellen, daß die Konferenz der Europäischen Union christlicher Demokraten eine Erklärung abgegeben hätte, die etwa im Widerspruch zu den Interessen der Christlich-Demokratischen Partei in Portugal stünde. Mir ist auch bekannt, daß in Portugal die dort jetzt nicht durch Personen in der Regierung vertretenen Parteien — Sie wissen, daß das eine Personenregierung, keine Koalitionsregierung im eigentlichen Sinne ist, weil es noch kein Parlament gibt, das Vertreter entsenden könnte ausdrücklich erklärt haben, daß sie diese Regierung unterstützen wollen. Ich glaube, damit ist die Frage beantwortet.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Friedrich.
Herr Staatsminister, würden Sie als Ausdruck der Besorgnis um die Parteien der Mitte auf der iberischen Halbinsel auch die Einladung an den Generalsekretär der Falange, Solis, durch die CSU werten?
Herr Abgeordneter, mir ist gestern bekanntgeworden, daß Herr Solis Ruiz dieser Einladung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht folgen kann.
Keine weitere Zusatzfrage.Die Fragen 78 und 79 sollen auf Bitte der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 80 des Herrn Abgeordneten Schröder auf. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 81 des Herrn Abgeordneten Spranger auf. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 82 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:In welchem Umfang treffen in- und ausländische Pressemeldungen zu, die Außenminister der USA, Frankreichs, Großbritanniens und der Bundesrepublik Deutschland seien bei einem informellen Gespräch am 5. September 1975 in New York zu der Ansicht gelangt, die Sowjetunion beabsichtige allen Entspannungsbeteuerungen bei der Helsinkier KSZE-Konferenz zum Trotz, den kalten Krieg wieder zu intensivieren und an verschiedenen europäischen Krisenherden die Spannung zu gegebe-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975 13165
Vizepräsident Frau Funckener Zeit wieder anzuheizen, und welches ist die Konzeption der Bundesregierung, einer solchen sowjetischen Politik gegebenenfalls zu begegnen?Bitte schön, Herr Staatsminister)
Herr Abgeordneter, Außenminister Kissinger hat am 5. September in New York für seine Kollegen aus Frankreich, Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland ein Abendessen gegeben, bei dem wie üblich in einer Tour d'horizon zahlreiche Themen erörtert worden sind. Daß die Außenminister zu der Meinung gelangt seien, die Sowjetunion wolle den kalten Krieg erneut aufnehmen, ist eine Mutmaßung des diplomatischen Korrespondenten des „Guardian", der im 17.9. über das Dinner in höchst spekulativer Weise berichtet hat.
Alle dem Auswärtigen Amt vorliegenden Artikel der deutschen Presse beziehen sich auf den „Guardian"-Aufsatz als Quelle. Bereits am 17.9. hat der Sprecher des Auswärtigen Amts offiziell erklärt, daß die Presseäußerung im „Guardian" den Gang der Unterhaltung nicht wiedergibt. Auch die britische Seite hat sich von dem „Guardian"-Bericht distanziert.
Im übrigen ist die Bundesregierung nach wie vor der Überzeugung, daß die in der Schlußakte der KSZE von Helsinki niedergelegten Absichtserklärungen von allen Unterzeichnerstaaten — und damit auch von der Sowjetunion — für die Gestaltung ihrer Beziehungen untereinander maßgebend sind und in die Tat umgesetzt werden. Dies schließt künftige Interessenkonflikte nicht aus. Die Bundesregierung wird hierbei im engen Einvernehmen mit ihren Verbündeten und unter Wahrung der gemeinsamen Interessen ihre auf Entspannung und Zusammenarbeit in Europa ausgerichtete Politik fortsetzen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, kann ich aus der Tatsache, daß Sie den Kern der hier enthaltenen Behauptungen in der Sache nicht dementieren, sondern nur davon sprechen, daß der Verlauf des Gesprächs nicht zutreffend wiedergegeben sei, schließen, daß man sich in der Tat unter den vier westlichen Außenministern darüber im klaren ist, daß die Sowjetunion demnächst den kalten Krieg wieder anheizen wird?
Herr Abgeordneter, wenn ich sage, daß der Bericht den Verlauf des Gespräches nicht wiedergibt, dann können Sie bei logischer Anwendung der deutschen Sprache daraus schließen, daß dieser Bericht den Verlauf der Diskussion nicht wiedergibt und deswegen auch den Kern nicht richtig wiedergibt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich noch etwas konkreter werden und Sie fragen, Herr Staatsminister, ob sich die Außenminister bei dieser Unterredung insbesondere mit dem Fall Jugoslawien befaßt haben und ob dabei Befürchtungen geäußert worden sind, die Sowjetunion könne im Falle eines Ablebens des gegenwärtigen Staatspräsidenten militärisch intervenieren, um ein ihr gefügiges Regime dort zu installieren?
Herr Abgeordneter, das können Sie deswegen nicht, weil erstens dafür kein Anhaltspunkt gegeben ist, wie ich gesagt habe. Zweitens würde jede Antwort, die ich hier in der Sache gebe, dem vertraulichen Charakter eines solchen Gespräches nicht gerecht werden. Dafür gibt es vertrauliche Ausschußberatungen. Ich kann Ihnen nur sagen, daß es sich um einen spekulativen Bericht handelt. Es ist genauso die Freiheit der Presse zu spekulieren wie die Freiheit von Abgeordneten.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Frage 83 des Herrn Abgeordneten Coppik soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Fragen 84 und 85 des Herrn Abgeordneten Werner auf:
Wie beurteilt der Bundesminister des Auswärtigen die von Bundesminister Bahr gegenüber dem Nachrichtenmagazin „Time" gemachten Ausführungen über die Gewohnheiten, politischen Einstellungen und Interessen der amerikanischen Bevölkerung?
Sieht die Bundesregierung in der Behauptung von Bundesminister Bahr im „Time-Magazine", der US-Normalverbraucher sei „schrecklich dumm", einen zum weiteren Ausbau der deutschamerikanischen Beziehungen hilfreichen Beitrag?
Bitte schön!
Herr Abgeordneter, die Art, in der das Magazin „Time" die Ausführungen von Bundesminister Bahr wiedergegeben hat, deutet auf eine positive Bewertung seiner Reise hin. Der Bundesminister des Auswärtigen kann naturgemäß die persönlichen Eindrücke, die übrigens bei einer Urlaubsreise gewonnen wurden — wie Sie sicher selbst gelesen haben, falls Ihnen das Original zur Verfügung stand , die der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf seiner Reise gewonnen hat, nur begrenzt selber beurteilen.Sie stützen sich mit Ihrer Frage offensichtlich auf eine falsche Übersetzung in der „Welt". Die entsprechende Stelle ist anderswo, nämlich in der „Wirtschaftswoche", so übersetzt worden:Zwei Wochen lang war es mir überhaupt nicht möglich, zu erfahren, was in der Welt passiert. Zeitungen, Radio- und Fernsehstationen vermittelten den Eindruck, als ob Amerika auf einer Insel liege. Die Menschen dort sind sehr unwissend.Bundesminister Bahr hat die „Welt" um die Richtigstellung der sinnentstellenden Übersetzung gebeten, damit kein falscher Eindruck entsteht. Ich nehme an, Herr Abgeordneter, daß Sie — Sie sind Philologe, wenn ich recht informiert bin — zugeben
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13166 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975
Staatsminister Moerschwerden, daß es sich bei der Wiedergabe in der „Welt" um eine höchst freizügige Art der Übersetzung handelt, die insofern singulär ist, als alle einschlägigen Lexika nie das Wort „ignorant" mit „dumm" übersetzt haben — mit der Ausnahme eines deutschen Lexikons —. Alle anderen deutschen und englischsprachigen Lexika, die einem Anglisten sicher vertraut sind, übersetzen das mit „unwissend" oder „uninformed".
Eine Zusatzfrage.
Vielen Dank, Herr Staatsminister, vor allen Dingen auch für Ihre Aufklärungen bezüglich Philologismen! Darf ich die Frage an Sie stellen, ob Sie nicht der Auffassung sind, daß die Gesamtheit der Aussagen, so wie ich sie dem Original entnehme, eine Art läppischer Schulmeisterei gegenüber dem US-Bürger darstellt, die, wie ich meine, gerade von einem deutschen Minister vermieden werden sollte?
Herr Abgeordneter, das sind Bewertungsfragen. Ich habe bei der Lektüre einen ganz anderen Eindruck gewonnen. Offensichtlich hat auch ein Redakteur in Ulm nach der Lektüre des Originals bei Ihrer Anfrage einen anderen Eindruck gewonnen; denn er schrieb:
Obwohl von Kennern der englischen Sprache „ignorant" im allgemeinen mit „unwissend" übersetzt wird, verdeutlicht Werner die Worte Bahrs dergestalt, der Bundesminister habe den US-Normalverbraucher „schrecklich dumm" genannt. Der Ulmer Oberstudienrat muß es wissen, denn er hat Englisch studiert.
Sie sehen also: Man kann höchst unterschiedliche Eindrücke selbst von einer Frage gewinnen, viel mehr noch von einem Reisebericht.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da Sie die Frage in Ihrem Kern, worauf ich abzielte, nicht beantwortet haben, möchte ich Sie anders fragen: Sind Sie mit der „Frankfurter Rundschau" der Auffassung, daß Bundesminister Bahr die Pfade der Politikersprache in diesem Interview mehrmals verlassen hat?
Bundesminister Bahr ist von Beruf Journalist, und der amerikanische Reporter hatte sicher die Absicht, nicht einen amtlich geprüften Reisebericht zu veröffentlichen, sondern einen journalistisch lebhaften. Das ist ihm voll gelungen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Lagershausen.
Herr Staatsminister, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß Sie eventuell auf eine entsprechende Frage hin Ihrem Minister empfehlen würden, sich ähnlich zu artikulieren, wie Herr Bahr es getan hat?
Ich gebe Ministern niemals Empfehlungen, Herr Abgeordneter. Das können Sie von der Abgeordnetenbank aus tun. Für Parlamentarische Staatssekretäre wäre das, wie Sie wissen, nicht dem Dienstrang entsprechend.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Friedrich.
Herr Staatsminister, würden Sie die Wertung der Kritik des Herrn Kollegen Werner in einer baden-württembergischen Zeitung für angemessen erachten, die mit der Überschrift erschien: „Der Staatsmann und das Würstchen"?
Herr Abgeordneter, dieses Zitat erweckt einen falschen Eindruck, wenn es ohne Zusammenhang genannt wird, wie das so oft bei Zitaten der Fall ist. Es handelt sich darum, daß Minister Bahr gesagt hat, wenn man die ganze Woche Hamburger gegessen habe — dort, wo die Zeitung erscheint, heißt es „Fleischküchle" —, habe man Sehnsucht nach Abwechslung. Dann gebe es im Zweifel zur Abwechslung nur heiße Würstchen, und das sei auf die Dauer nicht so gut wie das, was man zu Hause esse. Das ist eine Wertung, die Kenner der amerikanischen Szenerie durchaus teilen können, vor allen Dingen, wenn man längere Zeit das Vergnügen hatte, nach einer solchen Speisekarte leben zu müssen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Stahl, aber bitte nicht eine aus der Gastronomie.
Herr Staatssekretär, Sie zitierten eben aus dem Artikel der „Südwestpresse". Kann ich daraus entnehmen, daß Sie die Meinung des Journalisten teilen?
Das können Sie nicht tun; denn ich kenne die Szenerie in Ulm nicht so gut wie der dort ansässige Journalist.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Werner.
Herr Staatsminister, glauben Sie, daß die Amerikaner davon erbaut sind, in diesem Interview zu erfahren, daß sie von Bundesminister Bahr in die Reihe unwissender, von Lethargie gekennzeichneter Leute eingeordnet werden?
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Herr Abgeordneter, die Antwort habe ich bereits gegeben. Das vermag ich in der Tat nicht zu beurteilen. Ich weiß auch nicht, wie stark das Erbauungsvermögen in Amerika in dieser Gegend entwickelt ist, die Herr Bahr besucht hat.
Noch eine Zusatzfrage.
Nachdem Sie nunmehr versuchen, hier das Ganze so darzustellen, daß es den Charakter des etwas Komischen erlangt, frage ich Sie: Sind Sie mit mir der Auffassung, daß weniger die Frage nach Sachverhalt und Einschätzung des Interviews als die Art, in der sich Bundesminister Bahr geäußert hat, indem er sich nämlich in lauter Oberflächlichkeiten erging, etwas komisch zu bewerten ist?
Entschuldigung! Wie Sie wissen, dürfen nach den Grundsätzen der Fragestunde die Fragen und auch die erbetenen Antworten keine Wertungen enthalten. Ihre Frage verlangt aber eine Wertung. Ich kann sie daher nicht zulassen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatsminister, erweckt das angesprochene Interview nicht den Eindruck, daß derjenige, der es gegeben hat, hier im Grunde nur seine Vorurteile über das so offenbar isolationistische Amerika bestätigt sehen wollte?
Herr Abgeordneter, das Interview kann diesen Eindruck schon deswegen nicht erwecken, weil in ihm bezüglich Amerika durchaus auch Gegenteiliges enthalten ist, nämlich auch politisch sehr Positives. Aber im übrigen, Herr Abgeordneter, ist es weder meine Aufgabe, Eindrücke, die man beim Lesen von Interviews gewinnt, zu werten, noch, Eindrücke beim Lesen von Fragen zu werten.
Ich hatte zunächst vermutet, die Frage des Abgeordneten Werner beruhe darauf, daß in einer Zeitung eine nicht zutreffende Übersetzung erschienen ist. Nun sehe ich in der Zeitung, daß sie „terrible ignorant" ausdrücklich mit „schrecklich dumm" übersetzt hat, was den Anglisten Werner sicher gleich auf den Gedanken gebracht haben könnte, daß es sich hier um eine singuläre, d. h. exklusive Übersetzung handelt, die sonst nirgends zu finden ist und deswegen auch exklusiv dementiert werden kann.
Keine Zusatzfrage mehr. Damit sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich, Herr Staatsminister, beantwortet. Ich danke Ihnen.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für
das Post- und Fernmeldewesen. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Jung zur Verfügung.
Die Fragen 53 und 54 des Abgeordneten Wolfram sowie die Frage 55 des Abgeordneten Flämig werden auf Bitten der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 56 des Abgeordneten Reiser auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß neue, künftige Mediensysteme öffentlich-rechtlich oder anders organisiert werden sollten, nachdem in letzter Zeit dazu Stellungnahmen von Regierungsmitgliedern abgegeben wurden?
Herr Kollege, die Länder haben die Kompetenz, die Organisationsformen für die Veranstaltung von Rundfunk zu regeln. Nach zur Zeit überwiegender Rechtsauffassung ist kabelgebundener Rundfunk dem drahtlosen gleichzusetzen. Die Bundesregierung hat bereits darauf hingewiesen, daß mit der Einführung des Kabelfernsehens möglicherweise die Frage zu überprüfen Ist, ob in Ergänzung zu den gesetzlichen Regelungen für den eigentlichen Ätherrundfunk unter Umständen eine für die Veranstaltung und Verbreitung von Kabelrundfunk spezifische Gesetzesregelung zweckdienlich erscheint.
Eine Zusatzfrage.
Gehen Sie denn davon aus, daß künftige Systeme technisch von der Post unterhalten und betrieben werden?
Davon gehe ich aus. Das ist Aufgabe der Deutschen Bundespost.
Eine weitere Zusatzfrage.
Würden Sie gegebenfalls den Gedanken unterstützen, daß man in Verbindung mit der Störung von Fernsehempfang durch Hochhäuser zu Kabelwegen finden und deshalb ein bestimmtes Kabelsystem entwickeln muß?
Dies ist bereits in mehreren Städten im Gange. Insbesondere ist das aber Aufgabe der Betroffenen, dafür zu sorgen, daß der Empfang, der durch Hochhäuser gestört wird, durch Verkabelung ermöglicht wird.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Sieglerschmidt, bitte!
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung die Regelung der Fragen, die sich aus der Verkabelung wegen Abschattung er-
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13168 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975
Sieglerschmidtgeben, für allein über das Länderrecht lösbar, oder hat sich die Bundesregierung hierüber noch keine abschließende Meinung gebildet?
Wir gehen bisher davon aus, daß die Länder eine Regelung finden und die Deutsche Bundespost nur die technischen Voraussetzungen zu schaffen haben wird, wenn eine solche Regelung gefunden ist.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 57 des Herrn Abgeordneten Ey auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 65 des Herrn Abgeordneten Böhm auf:
Trifft es zu, daß der Staatssicherheitsdienst der DDR Fahrzeuge westdeutscher Herkunft einsetzt und mißbräuchlich mit polizeilichen Kennzeichen aus der Bundesrepublik Deutschland ausstattet, um Berlin-Reisende auf den Transitstrecken zu überwachen, festzuhalten und zu verhören?
Bitte schön!
Herr Kollege Böhm, die Bundesregierung hat zu dieser Frage bereits mehrfach Stellung genommen. Ich erinnere an die Beantwortung der Frage des Kollegen Josten im Dezember des vergangenen Jahres. Sie kann auch heute Meldungen, nach denen Angehörige des Staatssicherheitsdienstes der DDR auf den Transitstrecken von und nach Berlin Fahrzeuge mit Kennzeichen aus der Bundesrepublik Deutschland verwenden, nicht bestätigen.
Eine Zusatzfrage.
Ist der Bundesregierung tatsächlich nicht bekannt, daß das BMW- Fahrzeug mit dem Kennzeichen B — RN 448 ein Fahrzeug des Staatssicherheitsdienstes ist und daß in dieser Weise eine mißbräuchliche Benutzung westdeutscher Kennzeichen auf den Transitwegen erfolgt?
Herr Kollege Böhm, der Bundesregierung ist bekannt, daß das Fahrzeug mit dem Kennzeichen B — RN 448 am 31. Mai 1974 völlig legal, und zwar infolge eines Erbfalles in die DDR überführt wurde. Weiter kann der von Ihnen behauptete Tatbestand von der Bundesregierung nicht bestätigt werden, zumal Sie sich auf eine Pressemitteilung der „Berliner Morgenpost" berufen, die ohne nähere Angaben ist, so daß der von Ihnen behauptete Tatbestand nicht überprüft werden konnte. Ich darf aber darauf verweisen, daß auf Grund früherer Meldungen diese Angelegenheit auch in der Kommission nach Art. 19 des Transitabkommens angesprochen wurde und daß die DDR-Delegation ein solches
Vorgehen des Staatssicherheitsdienstes in Abrede gestellt hat.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung bereit, diesen konkreten Einzelfall erneut aufzugreifen und sich mit denjenigen in Verbindung zu setzen, die ich Ihnen nennen werde — allerdings nicht hier, wie Sie verstehen werden —, um diese Angelegenheit restlos aufzuklären und auf alle Fälle dafür zu sorgen, daß auf den Transitstrecken ein mißbräuchlicher Einsatz westdeutscher Kennzeichen unterbleibt?
Herr Kollege Böhm, die Bundesregierung hat ihre Bereitschaft, solche konkreten Fälle in der Kornmission vorzutragen, immer wieder bekundet. Ich muß hier nun allerdings auch meiner Verwunderung darüber Ausdruck geben, daß Sie offenbar Informationen haben, die Sie hier nicht weiter bekanntgeben wollen, die uns aber wichtig wären, um bei diesen Verhandlungen dann wirklich auch konkret auf den Fall verweisen zu können. Ich bitte Sie deshalb sehr, uns diese Information zu übergeben.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, wäre nicht die Tatsache, daß hier ein Abgeordneter derartige Fragen einreicht, die ja offensichtlich auf wohlbegründeten Tatsachenerkenntnissen beruhen, für die Bundesregierung Anlaß, sich mit diesem Abgeordneten in Verbindung zu setzen und dann von sich aus das Notwendige zu veranlassen?
Ich fürchte, Herr Kollege Jäger, daß der Abgeordnete mit dieser Frage ganz gewisse Absichten verbunden hat. Ich hielte es für besser — ich bin ja selber Abgeordneter —, daß ein Abgeordneter, wenn ihm solche Dinge bekannt werden, der Bundesregierung — gleichgültig, ob er in der Opposition oder in der Koalition steht — diese Information übergibt, damit die Bundesregierung so, wie er es offenbar wünscht, auch tätig werden kann.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, wenn ich feststelle, daß in letzter Zeit von seiten der Opposition viele derartige Fragen gestellt werden und daß es, wie Sie dargestellt haben, zweckmäßiger wäre — wohl auch aus der Verantwortung dieses Parlaments —, derartige Fragen mit Ihnen persönlich zu besprechen?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975 13169
Diese Frage kann ich
nicht zulassen. Eine Frage des Herrn Abgeordneten Hösl.
Herr Staatssekretär, da Sie erklärten, das betreffende Auto sei im Erbwege in die DDR überführt worden, darf ich fragen: Sehen Sie in der Weiterbenutzung des bundesdeutschen Kennzeichens — von wem auch immer — nicht eine Rechtswidrigkeit?
Herr Kollege Hösl, dies ist natürlich der Fall. Aber in dieser Pressemitteilung sind keine näheren Angaben gemacht. Weder Zeitpunkt noch Ort sind in ihr exakt dargelegt. Daher kann sich die Bundesregierung darauf nicht stützen. Wenn der Kollege, wie er sagt, genauere Angaben darüber hat, so bin ich froh, wenn ich diese von ihm bekomme.
Keine Zusatzfragen?
Dann rufe ich die Frage 66 des Hern Abgeordneten Böhm auf:
Sieht die Bundesregierung in den Vorfällen vom 16. und 29. August 1975 am Kontrollpunkt Hirschberg auf der Transitstrecke nach Berlin, bei denen Bürger der Bundesrepublik Deutschland aus unbekannten Gründen in einem Fall 45 Minuten und in einem anderen Fall mehr als 1 1/2 Stunden von bewaffneten DDR-Organen festgehalten wurden, Anlaß, über die routinemäßigen Erörterungen in der Transitkommission hinaus energische Proteste bei der DDR vorzunehmen?
In dem Fall, der sich am 16. August 1975 abgespielt hat, handelt es sich um eine Durchsuchung eines Reisenden, seiner Gepäckstücke und seines Transportmittels. In dem anderen Fall, dem vom 29. August 1975, ist der Reisende offenbar zur Prüfung der Frage, ob eine Durchsuchung angezeigt sei, 45 Minuten lang zurückgehalten worden, ohne dann allerdings durchsucht worden zu sein.
Nach Art. 16 Ziffer 2 des Transitabkommens, der in Übereinstimmung mit Abschnitt 2.d) der Anlage I zu dem Viermächteabkommen über Berlin steht, kann eine solche Durchsuchung vorgenommen werden,
wenn im gegebenen Falle aufgrund bestimmter Tatsachen oder konkreter Anhaltspunkte eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, daß ein Mißbrauch der Transitwege beabsichtigt ist, begangen wird oder begangen worden ist.
Die Bundesregierung hält es für sachgemäß, wenn derartige Fälle, in denen das Vorliegen eines solchen Verdachtes streitig sein kann, auf dem in dem Transitabkommen vorgesehenen Wege, nämlich in der Transitkommission, erörtert werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie nicht das Vorgehen der bewaffneten Grenzorgane der DDR in diesem Fall für so gravierend, daß über die rein routinemäßige Behandlung dieser Frage in der Transitkommission hinaus ein energischer Protest bei der Regierung der DDR vorgenommen werden müßte?
Herr Kollege, die Bundesregierung hat durch ihren Vertreter in dieser Kommission diese Fälle zur Sprache gebracht. Es ist dort aber darauf hingewiesen worden, daß — entsprechend dem soeben zitierten Wortlaut des Art. 16 Ziffer 2 des Transitabkommens — in beiden Fällen Momente vorgelegen hätten, die hier angesprochen sind und die dazu führten, daß in einem Falle eine Durchsuchung vorgenommen, in dem andern Fall davon Abstand genommen worden ist.
Sie können also davon ausgehen, daß die Bundesregierung zunächst einmal diesen Sachverhalt in dieser Kommission abgeklärt und entsprechend interveniert hat, daß — entsprechend dem Abkommen — nur dort Durchsuchungen durchgeführt werden können, wo es tatsächlich abkommensgemäß ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie viele vergleichbare Fälle meiner Meinung nach rechtswidriger Durchsuchungen und rechtswidrigen Festhaltens von Bürgern, die die Transitwege benutzen, kommen vor, und sind Sie bereit, darüber die Öffentlichkeit zu informieren?
Herr Kollege Böhm, wenn Fälle vorkommen, die dem Transitabkommen nicht entsprechen, bin ich selbstverständlich bereit, die Öffentlichkeit und den Deutschen Bundestag darüber zu informieren. Sie werden aber dafür Verständnis haben, daß ich im Augenblick eine Zahl nicht parat habe. Bislang sind die Fälle, die bekanntgeworden sind oder die nach Ihrer Meinung eben nicht dem Abkommen gemäß sind, hier im Deutschen Bundestag immer wieder behandelt worden.
Eine Zusatzfrage hat der Herr Abgeordnete Jäger.
Herr Staatssekretär, da Sie selber vorhin zutreffend gesagt haben, daß nach dem Transitabkommen nur bei Vorliegen eines konkreten Mißbrauchsverdachts sowohl die Durchsuchung als auch das Zurückhalten zulässig ist, möchte ich Sie fragen: Hat die DDR-Regierung bei der Beratung in der Transitkommission in diesen beiden konkreten Fällen einen konkreten Mißbrauchsverdacht vorgetragen, und ist die Bundesregierung — nach dem Vorbringen der DDR zu der Auffassung gelangt, daß das Verhalten der Grenzbehörden in diesen beiden Fällen rechtswidrig bzw. rechtmäßig war?
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13170 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975
Herr Kollege Jäger, in der Sitzung vom 18. September sind diese beiden Fälle angesprochen worden. Ich betone noch einmal: Die Durchsuchung ist nur in einem Fall geschehen, im anderen Falle nicht. Die Delegation der DDR hat zu beiden Fällen mitgeteilt, daß auf Grund konkreter Anhaltspunkte in dem einen Fall die Untersuchung erfolgt ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lagershausen.
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, welche konkreten Anhaltspunkte die DDR für einen Mißbrauchsverdacht und damit die Untersuchung angegeben hat?
Nein.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Gradl.
Herr Staatssekretär, ist die Übung so, daß es in der Kommission genügt, wenn die DDR erklärt, es habe konkrete Anhaltspunkte gegeben, oder ist es Übung, daß dann auch präzisere Angaben über diese Anhaltspunkte gemacht werden?
Herr Kollege Gradl, ich selbst war noch nie in dieser Kommission. Ich bin also persönlich mit der Praxis nicht so vertraut. Aber natürlich ist die Bundesregierung frei, auch hier präziser nachzufragen — und das tut sie auch.
Keine weiteren Zusatzfragen. Damit sind die Fragen aus diesem Geschäftsbereich beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Jung!
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Haack zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 58 des Herrn Abgeordneten Dr. Waigel auf:
Sind der Bundesregierung noch andere Mängel beim Antragsverfahren für die Gewährung von Zuschüssen nach dem Programm der Bundesregierung zur Bausparzwischenfinanzierung und Wohnungsmodernisierung bekanntgeworden?
Herr Kollege Waigel, der Bundesregierung sind Mängel des Antragsverfahrens als solchem nicht bekannt. Die zwischen Bund und Ländern abgeschlossene Verwaltungsvereinbarung verpflichtet die sich an der Durchführung des Sonderprogramms beteiligenden Kreditinstitute, die eingereichten Anträge
unverzüglich mit der banküblichen Sorgfalt zu prüfen und an die vom Land bestimmte zentrale Stelle weiterzuleiten. Daß Kreditinstitute unzulässigerweise Anträge nach sachlich nicht zu rechtfertigenden Gesichtspunkten selektiert haben, ist der Bundesregierung nicht bekanntgeworden.
Ich möchte der Vollständigkeit halber aber noch auf folgendes hinweisen. Es trifft zu, daß die Antragsformulare für Zuschüsse aus dem Sonderprogramm zur Wohnungsmodernisierung und Bausparzwischenfinanzierung nicht zum gleichen Zeitpunkt bei allen Kreditinstituten verfügbar waren. Dies ist jedoch nicht auf das Verfahren selbst zurückzuführen. Auf der Länderreferentenbesprechung am 3. September wurde Übereinstimmung darüber erzielt, einweitliche Antragsformulare von einer Kornmission der Kreditwirtschaft unter Beteiligung eines Landesvertreters erarbeiten zu lassen. In einer Besprechung am 5. September einigte sich diese Kornmission, an der alle Spitzenverbände der Kreditwirtschaft beteiligt waren, über Text und Aufbau der Formulare. Anschließend wurde das Formular von unserem Ministerium zur Drucklegung freigegeben. Dieses Verfahren wurde gewählt, um sich im Interesse einer schnellen Abwicklung der Sonderprogramme des Wettbewerbs der Kreditinstitute untereinander zu bedienen. Durch die stets gleichzeitige Information und die gemeinsame Erarbeitung der Antragsformulare waren für alle Institutsgruppen und deren Kunden gleiche Startchancen gewährleistet.
Die in Zeitungsberichten beschriebenen Schwierigkeiten sind darauf zurückzuführen, daß Kreditinstitute listenmäßige Zuschußmeldungen an die vorgesehenen Leitinstitute der Länder eingesandt haben, die nicht auf formgerechten Anträgen mit den erforderlichen Unterlagen beruhten. Eine mit Zustimmung eines Landes durchgeführte Stichprobe hat dies bestätigt. Einzelne Länder haben inzwischen — einem Fernschreiben unseres Ministeriums entsprechend — veranlaßt, daß solche eingesandten Listen an die Kreditinstitute zurückgegeben werden. In anderen Ländern werden die Kreditinstitute vom Leitinstitut aufgefordert, innerhalb einer Ausschlußfrist von einer Woche nachträglich eine verbindliche Erklärung darüber abzugeben, welche in den Listen aufgeführten Zuschußanträge allen Anforderungen entsprechen und vom Kreditinstitut ordnungsgemäß geprüft worden sind. Es geht also nicht um das Verfahren, sondern höchstens um die Umstände im Rahmen des Verfahrens, die aber nicht von einer staatlichen Stelle zu vertreten sind.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, treffen dann Meldungen zu, daß eine unterschiedliche Weitergabe von Anträgen innerhalb der Banken erfolgt ist und daß eine Bevorzugung von gewissen Kunden zu verzeichnen war?
Das ist genau das, was ich hier meinte. Das ist tatsächlich einge-
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Parl. Staatssekretär Dr. Haacktreten. Das hängt aber nicht an dem Verfahren, sondern hängt damit zusammen, daß eine große Bank in der Lage war, diese Antragsformulare schneller an ihre Kunden weiterzugeben. Der Wettbewerb in der freien Marktwirtschaft hat sich hier dargestellt — auch mit nachteiligen Wirkungen. Wir haben die Abwicklung des Programms aber gerade an die Kreditinstitute übertragen und nicht an staatliche Stellen, um einen schnellen Mittelabfluß zu gewährleisten. Wenn manche Kunden zu spät gekommen sind, ist es Schuld der Kreditinstitute dieser Kunden, daß sie nicht so schnell gewesen sind wie andere Banken.
Eine weitere Zusatzfrage.
Gedenkt die Bundesregierung etwas zu tun, um denen, die zu spät gekommen sind, was sie nicht zu vertreten haben, gerecht zu werden und ihnen zu helfen?
Das geht selbstverständlich nicht, aber es ist auch nicht zu dramatisieren, weil sich nach einer Umfrage, die wir gestern noch gehalten haben, herausgestellt hat, daß erst etwa bei der Hälfte der Bundesländer die Programme voll besetzt sind. Ich glaube also, daß nicht allzu große Schäden eingetreten sind. Sollte sich aber einer benachteiligt fühlen, soll er sich an sein Kreditinstitut wenden und es dafür verantwortlich machen, daß es im Konkurrenzkampf an der zweiten oder dritten Stelle gelandet ist. Für uns ging es darum, ein Konjunkturprogramm zu machen, bei dem die Mittel schnell abfließen. Darum haben wir uns nicht der staatlichen Bewilligungsstellen bedient, sondern der Kreditinstitute, und bei diesen liegt die Verantwortung.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Hösl.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß dieses Verfahren an Kompliziertheit sicherlich nichts mehr zu wünschen übrig läßt, und sind Sie nicht ebenso mit mir der Meinung, daß die regionalpolitisch und sachlich angestrebten Ziele in der Wohnungsmodernisierung mit dem Zugriffverfahren nicht erreicht werden?
Sie müssen sehen, Herr Kollege Hösl, daß es sich hier um ein Konjunkturprogramm handelt und daß es darauf ankommt, die Mittel schnell zum Fließen zu bringen. Es war von seiten der Bundesregierung nicht vorhersehbar, daß verschiedene Kreditinstitute nicht in der Lage sein würden, ebenso schnell zu arbeiten wie andere. Wir hatten gedacht, daß die Chancengleichheit hier gewährleistet ist. Insofern meine ich, manche Kreditinstitute müßten einmal über ihre Leistungsfähigkeit nachdenken.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 59 des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider auf. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal; seine Frage wird schriftlich beantwortet. Dies gilt auch für seine Frage 60. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 61 und 62 sollen auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden ebenfalls als Anlagen abgedruckt.
Damit sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Haack, beantwortet. Ich danke Ihnen.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Herold zur Verfügung. Die Frage 63 stellt der Herr Abgeordnete Lagershausen:
Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung dagegen, daß von DDR-Grenzorganen Rentnern, die noch nicht 65 Jahre alt sind, trotz Vorlage des Rentenbescheids bei der Einreise in die DDR der Zwangsumtausch von 13 DM je Tag abverlangt wird?
Frau Präsidentin!
Herr Kollege Lagershausen, ich beantworte Ihre Anfrage wie folgt:
Nach der Anordnung Nr. 2 der DDR über die Durchführung eines verbindlichen Mindestumtausches von Zahlungsmitteln vom 10. Dezember 1974 sind vom verbindlichen Mindestumtausch Altersrentner, d. h. Männer über 65 und Frauen über 60 Jahre, befreit. Den Altersrentnern gleichgestellt werden lediglich Invaliden und Unfallrentner. Diesen 1 rentenrechtlichen Begriffen der DDR entsprechen in der Bundesrepublik im wesentlichen Berufsunfähigkeitsrentner, Erwerbsunfähigkeitsrentner und Unfallrentner. Andere Rentner, insbesondere solche, welche die Möglichkeit der flexiblen Altersgrenze ausnutzen und frühzeitig aus dem Berufsleben ausscheiden, werden durch die erwähnte Anordnung Nr. 2 nicht vom Mindestumtausch befreit. Nicht jeder Rentenbescheid berechtigt somit zur Befreiung vom Mindestumtausch. Die Bundesregierung ist jedoch um eine Erweiterung des Kreises der vom Mindestumtausch befreiten Rentner bemüht.
Eine Zusatzfrage.
Schönen Dank, Herr Staatssekretär, für die umfangreiche Antwort. Hat die Bundesregierung darüber hinaus Schritte unternommen, um die vollständige Zurücknahme des Zwangsumtausches zu erreichen?
Herr Kollege Lagershausen, ich habe meine Antwort zunächst in Richtung auf eine Erweiterung des begünstigten Personenkreises bezogen. Selbstverständlich — das ist von mir im Auftrage der Bundesregierung mehrfach erklärt worden — wird auch in Richtung auf eine Rücknahme des gesamten Zwangsumtausches etwas unternommen.
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Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich darüber hinaus noch fragen, ob die Bundesregierung außerdem Schritte unternommen hat, um zu erreichen, daß jüngere DDR-Bürger nach Westdeutschland reisen können, bevor sie das Alter erreicht haben, in dem sie dort normalerweise durch den SED-Staat ausgebeutet werden?
Sie wissen, daß wir in den jetzt bestehenden Möglichkeiten den Anfang für weitere Begegnungsmöglichkeiten sehen. Wir haben ja Gott sei Dank für den Personenkreis der Nichtrentner die Möglichkeit der Besuche in dringenden Familienangelegenheiten. Darüber hinaus besteht, leider beinahe nur in einer Richtung, die Möglichkeit des Jugend- und Sportaustausches. Aber wir werden bei den Gesprächen mit der DDR immer wieder auf eine Ausweitung drängen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneter Jäger.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung die einengende Praxis der DDR beim Rentnerbegriff für im Einklang mit den getroffenen Abmachungen stehend angesichts der Tatsache, daß doch die Befreiung der Rentner vom Zwangsumtausch nicht in erster Linie mit dem Alter dieser Personen etwas zu tun hat, sondern eben mit der eingeschränkten Einkommenssituation der nicht mehr im aktiven Erwerbsleben Stehenden?
Das ist der Punkt, den wir zum Anlaß nehmen, unsere Wünsche zu begründen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Böhm.
Herr Staatssekretär, da bisher immer nur von einer Freistellung der Rentner vom Zwangsumtausch gesprochen worden ist, frage ich Sie: Warum hat die Bundesregierung diese von der flexiblen Altersgrenze Gebrauch machenden Rentner bisher nicht darauf hingewiesen, daß die DDR von ihnen den Zwangsumtausch erhebt?
Sie täuschen sich, Herr Kollege Böhm. Natürlich haben wir darauf hingewiesen, daß die DDR bei Rentnern in der flexiblen Altersgrenze im Moment noch nicht bereit ist, diesen Personenkreis auch zu begünstigen.
Ich mache darauf aufmerksam — nur um Ihnen das in Erinnerung zu rufen —: Es geht nicht nur um den Zwangsumtausch der eben genannten Rentner,
sondern es sind ja auch Jugendliche bis zum 16. Lebensjahr vom Zwangsumtausch befreit. Auch daran sollte erinnert werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller.
Herr Staatssekretär, Sie haben bei der Beantwortung der eingebrachten Frage zweimal gesagt, daß Sie sich immer wieder um die Angelegenheit bemühen. Mit welchem Erfolg haben Sie sich bisher bemüht?
Erwarten Sie, sehr verehrter Kollege, darauf eine Antwort? Mir wäre es lieber, ich könnte Ihnen sagen: Wir haben schon Erfolg gehabt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sieglerschmidt.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung das, was etwa seit dem Jahre 1969 — im Vergleich zu der Entwicklung seit 1960 — in dieser Frage erreicht worden ist, nicht für einen erheblichen Erfolg — ich denke insbesondere auch an den Status, den Rentner und Grenzgänger in Berlin vorher gehabt haben —, und ist sie mit mir der Meinung, daß auch weitere Erfolge nur auf diesem mühsamen Weg erreicht werden können?
Herr Kollege Sieglerschmidt, ich kann das nur bestätigen. Ich wundere mich nur, wie man an solchen Zahlen einfach vorbeigehen kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Abelein.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung die weitere Perfektionierung der Grenzeinrichtungen auch für einen solchen Erfolg?
Herr Kollege Abelein, ich habe ja die Freude, Ihnen nachher noch auf diese Frage Antwort geben zu müssen. Ich glaube, ich kann jetzt darauf verzichten.
Bevor ich die Frage des Herrn Kollegen Dr. Abelein aufrufe, müssen noch einige andere Fragen beanwortet werden.Ich rufe die Frage 64 des Herrn Abgeordneten Lagershausen auf:Welche Schritte hat die Bundesregierung dagegen unternommen, daß am 16 August 1975 ein westdeutsches Ehepaar bei der Einreise in die DDR aus unbekannten Gründen am Grenzkontrollpunkt Drewitz festgehalten, in getrennte Vernehmungszimmer gebracht und erst 11/4 Stunde später ohne Angaben von Gründen ihre Fahrt zu Verwandten in die DDR fortsetzen konnte?
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Frau Präsident! Herr Kollege Lagershausen! Der Vorfall, den Sie ansprechen, ist der Regierung selbstverständlich bekannt. Ich möchte mich im großen und ganzen den Ausführungen anschließen, die mein Kollege Staatssekretär Jung soeben zu einem anderen Fall gemacht hat.
Ich darf nur noch einmal anmerken, daß es sich hier tatsächlich um Einzelfälle handelt. Herr Kollege Lagershausen, Sie kennen so wie ich die Zahlen: Von Januar bis August dieses Jahres haben über 10 Millionen Menschen die Transitstrecken benutzt. Wenn ich im Vergleich dazu das Jahr 1974 nehme, sind das über eine Million Personen mehr. Ich bin leider nicht in der Lage, Ihnen die genauen Zahlen mitzuteilen. Ich bin aber gerne bereit, das sofort nachzuholen, wenn diese Fälle in der Transit-Kommission und den anderen Gesprächsebenen vorgelegen haben. Dann werden Sie sehen: Es ist wirklich ein ganz minimaler Prozentsatz, wenn hiervon überhaupt die Rede sein kann.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie auf die Antworten des Kollegen Jung verwiesen haben und ich dabei den Eindruck hatte, daß darin eine gewisse Hilflosigkeit der Bundesregierun gegenüber den Problemen zum Ausdruck kam, darf ich Sie jetzt konkreter fragen: Hat die Bundesregierung bei Bekanntwerden dieses Falles energisch protestiert? Hat sie bei diesem energischen Protest, falls ein solcher erfolgt ist, darauf hingewiesen, daß das in keinem Fall in Übereinstimmung steht mit gutnachbarlichen Beziehungen, wie sie im Grundvertrag ja zum Ausdruck gekommen sind?
Herr Kollege Lagershausen, natürlich hat die Bundesregierung protestiert. Ich kann Ihnen außerdem sagen: In dem Fall, den Sie angesprochen haben, hat sich der zuständige Offizier der Volkspolizei anschließend entschuldigt. Das sollten Sie vielleicht auch wissen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Hösl.
Herr Staatssekretär, um keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen, darf ich Sie fragen, ob Sie mit mir der Meinung sind, daß es nicht auf die Zahl der rechtswidrigen Vorkommnisse ankommt, sondern darauf, daß die Bundesregierung jedes rechtswidrige Vorkommnis verurteilt und auch dagegen protestiert.
Das hat die Bundesregierung bei jeder Gelegenheit getan. Aber man muß doch auch einmal die entsprechenden Zahlen gegenüberstellen; sie sind doch wirklich eindrucksvoll. Selbstverständlich duldet die Regierung offenkundige Verstöße nicht. Sie hat von dieser Stelle
aus — auch durch andere Persönlichkeiten — ihre Meinung dazu eindeutig gesagt.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Böhm.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß für die gesamte Dauer des Aufenthalts des festgehaltenen Ehepaars der männliche Ehepartner an beiden Händen gefesselt war, und hat sich die Volkspolizei auch dafür entschuldigt?
Jawohl.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, daran schließt meine Zusatzfrage an. Da es sich hier nicht um einen Fall der Transit-Reisenden handelte, sondern um den Fall einer Einreise in die DDR, möchte ich fragen: Hat die Bundesregierung die Absicht, in absehbarer Zeit mit der DDR in Gespräche darüber einzutreten, daß auch für Reisende, die nicht den Transitweg nach Berlin benutzen wollen, sondern die auf Grund anderer Abmachungen in die DDR einreisen, ähnliche Schutzbestimmungen vorgesehen werden, wie sie im Transit-Abkommen für die Benutzung der Transitwege und die dort vorgesehenen Kontrollen vorhanden sind?
Herr Kollege Jäger, ich kann nur wiederholen, was ich schon seit Monaten von dieser Stelle immer wieder sage: Wir bemühen uns weiterhin um einen besseren Schutz, um mehr Menschlichkeit in all diesen Bereichen. Ich könnte Ihnen hier an praktischen Beispielen, die mir bekanntgeworden sind, sagen, was wir unternommen haben und wie die Reaktion war. Das sollte doch auch Sie davon überzeugen, daß die Bundesregierung alles in ihren Kräften Stehende tut.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Maucher.
Herr Staatssekretär, wir wollen Ihnen gerne zugestehen, daß Sie sich große Mühe geben und Anstrengungen unternehmen. Was würde an sich praktisch erspart werden, wenn diese Mühen nicht notwendig wären! Es sind nämlich Bemühungen, Verstöße gegen die Menschlichkeit abzuwehren. Wäre es nicht besser, wenn die Sozialisten ein besseres Vorbild gäben?
Herr Kollege Maucher, ich kann hier nur sagen: Dank für den ersten Teil Ihrer Frage!Zweitens, selbstverständlich sollten sie bessere Beispiele geben. Nur frage ich mich: Was würden
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Parl. Staatsskretär Herolddann einige Kollegen mit der Fragestunde machen, wenn das so wäre?
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Sauer.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihren Antworten und auch denen des Kollegen Jung entnehmen, daß die Bundesregierung alle Verstöße gegen den Grundlagenvertrag und gegen das Transit-Abkommen in einer Dokumentation festhält, die gegebenenfalls jedes Jahr dem Ausschuß vorgelegt werden wird?
Wir brauchen nicht von einer Dokumentation zu reden. Die Einzelfälle sind bekannt. Wenn der Innerdeutsche Ausschuß es wünschte, hat er bisher immer von uns entsprechende Informationen bekommen. Darüber besteht überhaupt kein Zweifel.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Westphal.
Herr Staatssekretär, würden Sie bei solchen Zusammenfassungen oder Dokumentationen vielleicht auch festhalten, wann Sie bei Ihren Bemühungen erfolgreicher gewesen sind: wenn Sie durch Verhandlungen und Gespräche etwas durchsetzen wollten oder wenn Sie Proteste vorgetragen haben?
Ich danke Ihnen, Herr Kollege Westphal, für diese Zusatzfrage. Ich muß sagen, in diesem Bereich wäre es viel besser, man würde manches von Kollege zu Kollege besprechen und dann unsere Möglichkeiten nutzen, um gewisse Dinge aus der Welt zu schaffen, wie wir es bis zur Stunde versucht und erfolgreich praktiziert haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lampersbach.
Herr Staatssekretär, in welcher Form ist die Entschuldigung seitens der DDR durchgeführt worden: gegenüber den betroffenen Personen oder auch gegenüber der Bundesregierung?
Soweit ich informiert worden bin, ist das gegenüber den betreffenden Personen geschehen.
Keine Zusatzfragen mehr? — Dann rufe ich die Frage 67 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Welche Schritte hat die Bundesregierung bereits unternommen oder wird sie unternehmen, um künftig zu verhindern, daß in Einzelfällen von DDR-Kontrolleuren an den Grenzkontrollstellen zur Bundesrepublik Deutschland in der sogenannten Zählkarte die Eintragung der Staatsangehörigkeit ''deutsch" beanstandet und durch die Eintragung „BRD" ersetzt wird?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Jäger, Ihre Frage beantworte ich wie folgt. Die Bezeichnung der Staatsangehörigkeit unserer Bürger richtet sich allein nach der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Die korrekte Angabe der Staatsangehörigkeit in Zählkarten und in anderen amtlichen Formularen der DDR, die Deutsche bei ihren Reisen in die DDR ausfüllen müssen, ist daher „deutsch". Der Regierung der DDR ist dieser Standpunkt eindeutig bekannt. Die Bundesregierung hat davon Kenntnis, daß die Angabe „deutsch" von DDR-Kontrollorganen in Einzelfällen ergänzt oder abgeändert worden ist. Dabei handelt es sich nach meiner Einschätzung um fehlerhafte Entscheidungen von einzelnen Grenzorganen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege!
Herr Staatssekretär, nachdem der Bundesregierung solche Verstöße in Einzelfällen bekannt sind, möchte ich Sie fragen, ob Schritte bei der DDR-Regierung mit dem Ziel unternommen worden sind, daß diese ihre nachgeordneten Grenzbehörden anweist, derartige Verstöße künftig zu unterlassen?
Das ist geschehen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die DDR auch darauf hingewiesen worden, daß solche Eingriffe in die Staatsangehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland nach neuestem Stand, nämlich vom 1. August dieses Jahres, gleichzeitig auch einen Verstoß gegen die Prinzipien der KSZE-
Schlußakte von Helsinki darstellen, nach denen die Nichteinmischung von allen beteiligten und unterschreibenden Staaten ausdrücklich als Verpflichtung übernommen worden ist?
Herr Kollege Jäger, ich weiß nicht, von welchem Fall Sie jetzt sprechen. Ich habe im Hinblick auf einen Fall geantwortet, der sich vor langer Zeit zugetragen hat.
Wir haben in diesem Zusammenhang über 350 Personen befragt, die in der Zeit nach diesem Fall den Grenzorganen berichtet haben. Eine Wiederholung dieses Falles ist nicht mehr bestätigt worden. Auch die Länder wurden benachrichtigt und gebeten zu sagen, ob ihnen Fälle bekanntgeworden sind. Auch dies ist verneint worden. Sollten wir denn auf diesem Gebiet über das, was wir bereits gemacht haben, noch hinausgehen und diese Dinge vielleicht mit einem Gewicht versehen, das ihnen nicht zukommt?
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Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Böhm.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen nicht bekannt, daß es eine seit Jahrzehnten praktizierte kommunistische Taktik ist, mit immer wieder neuen Einzelfällen schließlich dahin zu kommen, daß aus einem Einzelfall eine generell praktizierte Anwendung wird?
Wenn ich mir den gesamten von Ihnen angesprochenen Bereich ansehe, muß ich sagen: Bis zur Stunde ist das, was Sie befürchten, nicht eingetreten.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 68 des Herrn Abgeordneten Dr. Abelein auf:
Hält die Bundesregierung die zunehmend brutale Praxis der DDR bei angeblichen Grenzverletzungen durch Einwohner der Bundesrepublik Deutschland für vereinbar mit den durch den Grundvertrag vereinbarten gutnachbarlichen Beziehungen?
H
Frau Präsidentin! Herr Professor Abelein, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten: Die Bundesregierung hat stets sowohl gegenüber der Offentlichkeit als auch gegenüber der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik in angemessener Weise und zweifelsfrei zu erkennen gegeben, welchen Standpunkt sie zu den von der DDR an ihrer Grenze getroffenen Maßnahmen einnimmt. Die Bundesregierung wird wie in der Vergangenheit, so auch in Gegenwart und Zukunft die Bestimmungen des Vertrages über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik mit dem Ziel einsetzen, an der Grenze Zustände herbeizuführen, die mit diesem Standpunkt übereinstimmen.
Eine Zusatzfrage?
Hat die Bundesregierung, Herr Staatssekretär, Anhaltspunkte dafür, daß die Behörden der DDR bei ganz offensichtlich unbeabsichtigten und geringfügigen sogenannten Grenzverletzungen aus der Sicht der DDR eine zunehmende Härte und brutalere Methoden an den Tag legen?
Ich kann Ihnen nur sagen, daß in all diesen Fragen eine enorme Perfektion eingetreten ist. Alles andere kann ich nur dann beurteilen, wenn Sie entsprechende Einzelfälle an mich herantragen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, haben Sie den Bericht des Bundesgrenzschutzes über die Situation entlang der innerdeutschen Grenzlinie in der zweiten Quartalsphase des Jahres 1975 gerade zu diesem Punkt gelesen, und, unterstellt, Sie haben ihn gelesen, wieso machen Sie dann dazu keine präziseren Angaben?
Sie haben in Ihrer Frage
— nein, nein —, auf deren Beantwortung ich mich, wie Sie mich kennen, sehr sorgfältig vorbereitet habe, nicht auf diesen Bericht Bezug genommen. Davon ist erst in der nächsten Frage die Rede. In der Antwort darauf werde ich Ihnen vielleicht im Detail mit dem dienen können, was Sie hören wollen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, sind wir uns darüber einig, daß die Praxis, die soeben Gegenstand des Frage- und Antwortspiels zwischen dem Kollegen Abelein und Ihnen war, im Gegensatz zu der im Grundvertrag niedergelegten Pflicht der DDR zu einem gutnachbarlichen Verhalten steht?
Von einem „Spiel" zwischen Herrn Professor Abelein und mir möchte ich nicht reden, sondern ich möchte sagen, daß die Bundesregierung, zuletzt, wenn Sie so wollen, erst gestern und vorgestern wieder in der Vollversammlung der Vereinten Nationen, was die Menschlichkeit anbetrifft, klare Aussagen gemacht hat.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 69 des Herrn Abgeordneten Dr. Abelein auf:
Sieht die Bundesregierung in den Methoden und den Einrichtungen der DDR zur Menschenjagd entlang der Grenze, wie sie in dem letzten Bericht des Bundesgrenzschutzes über das 2. Quartal des Jahres 1975 dargestellt sind, eine Verwirklichung der Grundsätze der KSZE über die menschlichen Erleichterungen des Korbs III?
Frau Präsidentin! Herr Professor Abelein, ich sehe den Zusammenhang der von Ihnen bemängelten Zustände nicht nur hinsichtlich des Korbes III , sondern auch hinsichtlich des Korbes I (zu Fragen der Sicherheit in Europa) der Beschlüsse von Helsinki. Allerdings meine ich, daß aus dem Zusammenhang des Korbes I deutlicher wird, daß wir es erst mit einem beginnenden Prozeß der Entspannung in Europa zu tun haben. Entspannungspolitik heißt — und das hat die Bundesregierung immer deutlich gemacht — Politik mit dem Ziel der Entspannung. Wenn wir be-
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Parl. Staatsskretär Heroldreits geregelte Verhältnisse in Europa hätten, wäre Helsinki wohl nicht notwendig gewesen.Erst darauf ergibt sich der Zusammenhang mit den menschlichen Erleichterungen, die ein primäres Ziel der Politik der Bundesregierung sind und um deretwegen sie die mit dem Grundlagenvertrag begründeten Beziehungen zur Deutschen Demokratischen Republik aufgenommen hat. Im übrigen, sehr geehrter Herr Kollege, haben wir doch wohl alle nicht angenommen, daß sich die Verhältnisse im Grenzbereich der DDR sofort und unmittelbar nach Abschluß der KSZE entsprechend unseren Vorstellungen ändern werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung in der zunehmend weiteren Einrichtung automatischer Selbstschußanlagen des Typs SM 70 entlang der innerdeutschen Grenzlinie durch die DDR eine Verletzung des Grundlagenvertrags, der von gutnachbarschaftlichen Beziehungen spricht, und sieht sie darin auch eine Verletzung der Prinzipien des Dokuments über die KSZE, in dem u. a. zum Ausdruck kommt, daß sich die Partner zum Ziel setzen, die freiere Bewegung und Kontakte zwischen Menschen zu erleichtern? Für den Fall, daß sie darin eine Verletzung sieht: Was unternimmt die Bundesregierung ganz konkret, um dieser weiteren Entwicklung Einhalt zu gebieten?
Als erstes darf ich Ihnen antworten: Bitte, stellen Sie es nicht so dar, Herr Professor Abelein, als hätten diese Sperrmaßnahmen erst nach dem Abschluß der KSZE ihren Anfang genommen. Seit über 30 Jahren gibt es diese Sperrmaßnahmen in unserem Lande.
Auch die von Ihnen angesprochene SM 70 ist vor dem Abschluß des KSZE-Gipfels montiert worden. Ich habe dazu im Auftrage der Bundesregierung eindeutige Erklärungen dahin gehend abgegeben, daß wir diese Schußapparate wie die gesamten Sperranlagen als unmenschlich bezeichnen.
Ich meine: hier im Parlament. Aber ich habe noch eine zweite Zusatzfrage.
Bitte schön!
Herr Staatssekretär, wieso hat die Bundesregierung das Parlament gleichgültig, auf welcher Ebene; z. B. im innerdeutschen Ausschuß — nicht über den Inhalt dieses Berichts des Bundesgrenzschutzes über diese rechtswidrigen Entwicklungen entlang der innerdeutschen Grenze unterrichtet? War das Motiv dafür etwa, daß die Bundesregierung das als störend für ihre Erfolgsbilanz in der Deutschlandpolitik ansieht?
Das letzte möchte
ich auf das entschiedenste zurückweisen. Herr Professor Abelein, diese Bundesregierung — ich konnte es nicht zu weit verfolgen — hat schon früher im Innenausschuß, auch im innerdeutschen Ausschuß, auf Verlangen über diese Berichte des Bundesgrenzschutzkommandos Bericht erstattet. Wenn es gewünscht wird, wird dies auch in Zukunft geschehen.
Diese Berichte werden nicht erst seit dem 1. Januar 1975 gegeben, sondern schon seit der Zeit, da ich Parlamentarischer Staatssekretär bin. In der Zeit vorher wird das bestimmt auch schon der Fall gewesen sein. Diese Berichte haben noch nie eine andere größere Rolle gespielt. Sie dienen der Information, sie sind wichtig, und sie werden von uns entsprechend ausgewertet.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Müller.
Herr Staatssekretär, können Sie konkrete Anhaltspunkte nennen, an denen abzulesen ist, wann der von Ihnen genannte langsame Prozeß der Entspannung begonnen hat?
Herr Kollege Müller, Sie sind mir nicht böse: ich bin ein normaler Mensch und habe keine prophetische Begabung. Deswegen werde ich hier in diesem Hause nie einen Zeitpunkt nennen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Arndt.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß die Bundesregierung im Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen eingehend über die genannten Berichte unterrichtet hat und daß allerdings in einer Sitzung, an der Herr Abelein, wie häufig, nicht teilgenommen hat — hierbei den Abgeordneten sogar Fotodokumentationen mit genauen Abbildungen, mit Fotografien dieser Instrumente ausgehändigt worden sind?
Herr Kollege Arndt, natürlich haben wir berichtet, nur nicht über den Bericht 2/75, um es genau zu sagen. Aber der vorherige Bericht ist besprochen worden.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, Ihnen ist ja sicher bekannt, daß die Schlußakte von Helsinki kein ratifikationsbedürftiger Vertrag ist, sondern eine Bleichlautende Reihe von Selbstverpflichtungserklärungen darstellt, die mit dem Tag der Unterzeichnung für alle beteiligten Staaten in Wirksamkeit traten. Ich frage Sie deshalb: Wann sehen Sie, da Sie davon ausgehen, daß die DDR
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Jäger
nicht über Nacht und nicht sofort bereit und in der Lage ist, sich an diese dort getroffenen Abmachungen zu halten, den Zeitpunkt gekommen, zu dem die Bundesregierung die DDR an die Einhaltung dieser ihrer Selbstverpflichtung von Helsinki erinnern wird?
Wir haben das bisher schon getan und werden das in zukünftigen Gesprächen immer wieder tun, sogar bei jedem Einzelfall, wenn uns solche Verstöße bekannt werden.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Kreutzmann
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß dieser Bericht 2/75 von einer Zeitung bereits veröffentlicht worden ist, ehe er den Spitzen der Ministerien vorgelegen hat?
Ich möchte dazu, Herr Kollege Kreutzmann, nichts sagen, weil ich diese Frage im Augenblick nicht sachgerecht beantworten kann.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Seiters.
Herr Staatssekretär, da Sie von einer Beratung dieses Berichts auch im Innenausschuß gesprochen haben, darf ich Sie fragen, wann diese Sitzung des Innenausschusses gewesen ist.
Ich darf Ihnen nur sagen, daß diese Berichte auf Anfragen immer auch im Innenausschuß zur Diskussion stehen. So wollte ich das verstanden wissen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Gradl.
Herr Staatssekretär, da Sie sich von dem Kollegen Arndt eben zu einer falschen Antwort haben verleiten lassen, die den Eindruck erwecken könnte, daß wir im Ausschuß geschlafen hätten, als dies erörtert wurde, darf ich darauf aufmerksam machen, daß der Bericht, um den es hier geht, der Bericht für das zweite Quartal dieses Jahres ist. Dies ist vor Beginn der Sommerpause noch gelaufen, und ich erinnere mich nicht, daß wir in der gestrigen Sitzung darüber diskutiert haben.
Herr Kollege Dr. Gradl, das habe ich nicht gesagt.
Ich bin nur auf die Frage von Herrn Kollegen Dr. Arndt nach diesen Berichten eingegangen. Er sprach nicht von diesem. Ich habe ja richtiggestellt, daß es sich nicht um den Bericht 2/75 handeln kann. Aber wir haben Berichte des Bundesgrenzschutzes, vor allen Dingen, als es speziell um die SM 70 ging, im Ausschuß behandelt und hatten sogar das ganze Material — Fotografien, genaue Beschreibungen usw. — da. Davon wollte ich hier sprechen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Böhm.
Herr Staatssekretär, in der Hoffnung, daß die Information der zuständigen Ausschüsse auf Grund der heutigen Intervention im Parlament nun in Zukunft wenigstens noch erfolgen wird, möchte ich Sie fragen, ob Sie darüber hinaus auch bereit sind, das, was in diesen Berichten des Bundesgrenzschutzes steht, einer breiten Öffentlichkeit als Dokumentation darüber zuzuleiten, daß noch immer Unmenschlichkeit in Deutschland praktiziert wird.
Ich darf dazu sagen: Wenn der Innenausschuß das wünscht — er ist der zuständige Ausschuß —, dann wird der Antrag gestellt, und der Innenminister wird meines Erachtens dazu entsprechende Ausführungen machen. Sollten die Kollegen des innerdeutschen Ausschusses auch diesen Wunsch haben, dann wird der Ausschußvorsitzende bestimmt in der Lage sein, diesen Vortrag auch im Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen auf die Tagesordnung zu bringen.
Ob der Bericht veröffentlicht werden soll oder nicht, liegt nicht in meiner Entscheidungsbefugnis. Das kann geklärt werden in den Diskussionen mit dem zuständigen Ressortminister, in diesem Fall dem Herrn Innenminister.
Keine weiteren Zusatzfragen.Damit sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich beantwortet. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Herold.Ich rufe nunmehr als letzten Geschäftsbereich den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf.Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Hauff zur Verfügung.Ich rufe die Frage 70 des Herrn Abgeordneten Dr. Laermann auf:
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Vizepräsident Frau FunckeIst die Bundesregierung der Ansicht, daß die mit öffentlichen Mitteln geförderten Forschungseinrichtungen, wie z. B. die Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt e. V. , auch eine Funktion als sachverständiger Berater des Deutschen Bundestages wahrnehmen sollten?
Herr Kollege Laermann, die Antwort ist ja. Es ist eine der satzungsgemäßen Aufgaben der DFVLR, auf dem Gebiet der Luft- und Raumfahrt die zuständigen Stellen der Bundesrepublik Deutschland zu beraten und zu unterstützen.
Zusatzfrage.
Darf ich dann davon ausgehen, daß es in Zukunft möglich ist, Gutachten und Studien, die in den Großforschungseinrichtungen erstellt worden sind, dem Parlament oder Mitgliedern des Parlaments zugängig zu machen, bevor sie durch das Filter der Bundesregierung gegangen sind?
Herr Kollege Laermann, es ist Aufgabe der Bundesregierung, das Parlament auf seinen Wunsch hin zu unterrichten. Es ist geübte Praxis, daß die Bundesregierung dabei auch zu den Ausarbeitungen, die in den Großforschungseinrichtungen erarbeitet wurden, Stellung nimmt. Insofern ist eine Vorlage nur über die Bundesregierung möglich.
Eine weitere Zusatzfrage.
Besteht in Zukunft auch die Möglichkeit, daß vom Parlament aus Anträge für Studien oder Gutachten an die Großforschungseinrichtungen gegeben werden?
Herr Kollege Laermann, es kann nicht Aufgabe der Bundesregierung sein, darüber zu urteilen, welche Möglichkeiten sich das Parlament selbst schafft.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 71 des Herrn Abgeordneten Dr. Laermann auf:
Sind der Bundesregierung Gründe dafür bekannt, warum der Vorstand der DFVLR keine ausführliche und informative Beantwortung des Fragenkatalogs für eine Anhörung zum Basisprogramm für die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie durch drei Ausschüsse des Deutschen Bundestages übersenden konnte?
Der Vorstand der DFVLR hat sich in seiner Stellungnahme vom 27. Juni 1975 lediglich aus der Sicht der Forschungsanstalt geäußert und keine Antworten zu wirtschaftlichen bzw. industriebezogenen Fragen geben wollen. Ihrer Aufgabe als sachverständiger Berater ist die DFVLR jedoch inzwischen dadurch gerecht geworden, daß sie vor zwei Wochen eine ausführliche
Materialsammlung zur Beantwortung des Fragenkatalogs und einen Vorschlag zur Durchführung
einer Studie an den Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages, den Kollegen Dr. Narjes, übersandt hat.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß diese zusätzliche Stellungnahme nicht die Unterschrift der Leitungsgremien der DFVLR trägt, sondern daß sie mit dem Anschreiben übersandt worden ist, daß es sich dabei um Überlegungen der Mitarbeiter handele?
Herr Kollege Dr. Laermann, ich glaube, gerade dann, wenn man an der Mobilisierung von Sachverstand interessiert ist, geht es weniger um die Unterschriften, die ein solches Dokument, das doch aus fachlicher Sicht Stellung nehmen soll, trägt, sondern mehr um die inhaltliche Gewichtung.
Zusatzfrage.
Ja, ich habe noch eine Zusatzfrage.
Sie haben ausgeführt, daß es nicht Aufgabe der DFVLR gewesen sei, zu wirtschaftlichen Fragen Stellung zu nehmen. Wenn aber die DFVLR als eine staatliche Großforschungseinrichtung u. a. auch die GfW integriert hat, so ist das doch mit der Maßgabe geschehen, daß sie selbstverständlich auch Studien bezüglich der Wirtschaftlichkeit anzustellen hat. Ich könnte mir vorstellen, daß es zumindest für die Zukunft — —
Herr Kollege, das Vorstellen hat keinen Zweck. Sie müssen fragen.
Könnten Sie sich vorstellen, daß es dann zu den zukünftigen Aufgaben der DFVLR gehören könnte, auch Aussagen bezüglich der Wirtschaftlichkeit zu machen, wie sie es in anderen Fällen gemacht hat?
Ja.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich zum Schluß die Frage 72 des Abgeordneten Niegel auf:
Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung unternommen, um den steigenden Uranbedarf zu decken, insbesondere warum hat sie die Möglichkeiten der Erschließung der RoessingUranmine bei Swakopmund in Südwestafrika nicht genutzt, wie zum Beispiel Großbritannien, Frankreich und Japan?
Herr Kollege Niegel, die Bundesregierung hat sich intensiv und erfolgreich um die langfristige Deckung des Bedarfs an Kernbrennstoffen bemüht. Sie hat in den vergangenen Jahren in verstärktem Maße Mittel eingesetzt, um die langfristige Versorgung deutscher
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 187. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. September 1975 13179
Parl. Staatssekretär Dr. HauffKernkraftwerke mit Natururan zu sichern. Allein in dieser Legislaturperiode wurden und werden für die Suche nach neuen Uranlagerstätten und die Beteiligung an Uranbergwerken rund 140 Millionen DM ausgegeben, um die Prospektion von Uran zügig einzuleiten. Das ist erheblich mehr als in allen früheren Legislaturperioden zusammengenommen; denn von 1956 bis 1972 sind nur etwa 94 Millionen DM für die Sicherung der Uranversorgung bereitgestellt worden. Darüber hinaus strebt die Bundesregierung eine Beteiligung der Elektrizitätsversorgungsunternehmen an den Prospektionsausgaben an, um damit die Gesamtaktivitäten noch weiter auszubauen und sicherzustellen, daß die Stromgestehungskosten der Kernreaktoren nicht durch staatliche Subventionen verzerrt werden.In diesem Jahr werden in neun Ländern 38 Hauptprospektionsprojekte durchgeführt. Hinzu kommt noch eine Reihe von Vorerkundigungen, die bei günstigen Ergebnissen im kommenden Jahr den Beginn der Hauptprospektion rechtfertigen.Die Bundesregierung hält es mit Rücksicht auf den umstrittenen Status des Territoriums, auf dem die Roessing-Uranmine liegt, nicht für angebracht, die Ausbeutung dieser Mine mit öffentlichen Mitteln zu fördern.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß sich die Deutsche Urangesellschaft auf Druck der Bundesregierung im Jahre 1971 aus dem bereits geschlossenen Vertrag zurückziehen mußte?
Herr Kollege Niegel, ich halte die Darstellung, die Sie hier geben, für unzutreffend.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie es, daß sich z. B. Großbritannien, Frankreich und Japan an der Ausbeutung und der Erschließung der Roessing-Uranmine in Südwestafrika beteiligen, wobei es sich um demokratisch regierte Länder handelt, während die Bundesregierung das ablehnt? Hängt das vielleicht damit zusammen, daß die Bundesregierung dort jetzt eventuell das Konsulat schließen muß?
Herr Kollege Niegel, es kann nicht Aufgabe der Bundesregierung sein, sich in den Meinungsbildungsprozeß anderer Staaten einzumischen. Aber wir haben stets mit Nachdruck betont, daß wir die Uranversorgung auf Grund von Prospektionsmaßnahmen in anderen, politisch nicht umstrittenen Gegenden sicherstellen zu können glauben. Auf der Grundlage dieser Einschätzungen sind die Entscheidungen getroffen worden, die die Bundesregierung in diesem Zusammenhang gefällt hat. Von einer Schließung des Konsulats kann, wie Sie auf Grund der Verhandlungen im Auswärtigen Ausschuß selber wissen, nicht die Rede sein.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Spies.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, Sie haben bei der Beantwortung der Frage sehr deutlich auf die Bemühungen zur Sicherung der langfristigen Versorgung abgehoben. Ich darf Sie fragen, wie Sie die Versorgungslage mittelfristig, also bezogen auf einen Zeitraum von etwa drei bis acht Jahren, beurteilen.
Herr Kollege Spies von Büllesheim, als Mitglied des Ausschusses für Forschung und Technologie sollten Sie bezüglich dieser Frage auf das Dokument zurückgreifen, das die Bundesregierung diesem Ausschuß vor wenigen Wochen zugänglich gemacht hat, in dem ausführlich und im einzelnen die Versorgungsanlage bei der Natururanversorgung wie bei der Wiederaufarbeitung quantitativ dargelegt ist.
Die Fragen 73 und 74 des Abgeordneten Konrad werden auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde und auch am Ende unserer heutigen Sitzung.
Ich berufe das Haus auf morgen, Freitag, den 26. September 1975, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.