Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Der Herr Kollege Dr. Hirsch hat mit Wirkung vom 5. Juni 1975 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als sein Nachfolger ist am 5. Juni 1975 der Herr Abgeordnete Schleifenbaum in den Bundestag eingetreten.
Der Herr Abgeordnete Dr. Farthmann hat ebenfalls mit Wirkung vom 5. Juni 1975 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als sein Nachfolger ist am 10. Juni 1975 der Herr Abgeordnete Müntefering in den Bundestag eingetreten.
Ich wünsche den beiden Kollegen, die auf ihr Amt verzichtet haben, in ihren neuen Funktionen als Minister in der Landesregierung von NordrheinWestfalen alles Gute. Ich begrüße gleichzeitig die neuen Kollegen sehr herzlich und wünsche ihnen eine erfolgreiche Mitarbeit im Deutschen Bundestag.
Der Herr Abgeordnete Wurche hat mit Wirkung vom 3. Juni 1975 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 11. Juni 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß, Leicht, Höcherl, Dr. Althammer, Dr. Häfele, Dr. von Bockelberg und der Fraktion der CDU/CSU betr. Haushaltsentwicklung des Bundes 1975 — Drucksache 7/3703 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/3759 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 11. Juni 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß, Leicht, Höcherl, Dr. Althammer, Dr. Häfele, Röhner und der Fraktion der CDU/CSU betr. Haushaltsentwicklung des Bundes 1976 — Drucksache 7/3709 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/3760 verteilt.
Meine Damen und Herren, damit können wir in die Tagesordnung eintreten. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Umweltverträglichkeit von Wasch- und Reinigungsmitteln
— Drucksache 7/2271 —
Bericht und Antrag des Innenausschusses
— Drucksache 7/3702 —Berichterstatter: Abgeordneter Biechele Abgeordneter Dr. Haenschke
Abgeordneter Dr. Hirsch
Wünschen die Herren Berichterstatter als Berichterstatter das Wort? — Bitte, Herr Abgeordneter Biechele.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe eine kleine Änderung mitzuteilen, und zwar zu § 5 a auf Seite 9 des Ausschußberichtes. Dort hat sich ein Versehen eingeschlichen. In § 5 a heißt es:
In den Fällen des § 3 Abs. 3, § 4 Abs. 2 und 3 sowie § 5 Abs. 2 ist ... zu hören.
Statt „§ 5 Abs. 2" muß es heißen „§ 5 Abs. 1".
Ich danke Ihnen, Herr Berichterstatter.
Ich frage den Herrn Abgeordneten Haenschke, ob er eine Ergänzung des schriftlichen Berichtes wünscht. — Das ist nicht der Fall. Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe die §§ 1, 2, 3, 4, 5, 5 a — in der vom Berichterstatter vorgetragenen geänderten Fassung —, 6, 7, 8, 9 — § 10 entfällt —, 11, 12, 13, 14, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir treten ein in die
dritte Beratung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Biechele.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Bundestagsfraktion der CDU/CSU gebe ich zur dritten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Umweltverträg-
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12428 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Biechelelichkeit von Wasch- und Reinigungsmitteln — Drucksache 7/2271 — folgende Erklärung ab.Durch die Bestimmungen des Waschmittelgesetzes über die Umweltverträglichkeit von Wasch- und Reinigungsmitteln sollen die schädlichen Einwirkungen von Wasch- und Reinigungsmitteln auf Flüsse und Seen verhindert werden. Dieser moderne vorbeugende Gewässerschutz ist ein dringendes Gebot, weil der steigende Trinkwasserbedarf mehr und mehr aus Oberflächengewässern gedeckt werden muß. Damit dient auch dieses Gesetz der Reinhaltung der Gewässer und der Sicherung der Wasserversorgung.Im Sinne der Zielsetzung des Gesetzes sollen in Rechtsverordnungen bestimmte Anforderungen an die in den Wasch- und Reinigungsmitteln enthaltenen Stoffe festgesetzt und die Verwendung gewässerschädigender Stoffe verboten oder eingeschränkt werden. Die möglichst frühzeitige und umfassende Kenntnis dieser Inhaltsstoffe wird durch die gesetzliche Verpflichtung gewährleistet, die Rahmenrezepturen nebst allen Änderungen dem Umweltbundesamt mitzuteilen. Dort können dann die zentral erfaßten Daten von den für die Überwachungsmaßnahmen zuständigen Behörden jederzeit abgerufen werden.Von besonderer Bedeutung ist der Phosphatanteil in Wasch- und Reinigungsmitteln. Phosphate in Waschmitteln gelten als umweltfeindlich. Wenn sie mit dem Abwasser fortgeschwemmt und den Gewässern zugeführt werden, führen sie zur bekannten Überdüngung, zur Eutrophierung der Gewässer, durch die das Algenwachstum gefördert, der Sauerstoffgehalt abgebaut und unter Umständen ein Umkippen des Gewässers bewirkt werden. Von dieser Gefahr sind vor allem stehende Gewässer bedroht.Ich möchte diesen beunruhigenden Sachverhalt am Beispiel des Bodensees verdeutlichen. Der Bodensee — der größte Trinkwasserspeicher Europas, aus dem mehr als drei Millionen Menschen ihr Trinkwasser beziehen — hat sich in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum von einem oligotrophen zu einem eutrophen Gewässer entwickelt. Untersuchungen der internationalen Gewässerschutzkommission haben für den Bodensee ergeben, daß die Zufuhr der eutrophierenden Stoffe von außen kommt. Aus heutiger Sicht liegt gerade in diesem Problem die größte Gefahr für den Bodensee. Der Waschmittelanteil am Gesamteintrag von gelösten Phosphaten von außen in den Bodensee liegt nach neueren Forschungen wohl über 50 %. Da alle größeren Kläranlagen am Bodensee und in seinem Einzugsgebiet mit der dritten Reinigungsstufe zur Eliminierung der Phosphate ausgestattet werden sollen, wird man die Phosphatgefahr meistern können; doch sind zur Bekämpfung dieser Gefahr sofortige flankierende Maßnahmen notwendig, wie sie mit dem Waschmittelgesetz angeboten werden.Nach Wasserhärte abgestimmte Dosierungsvorschriften müssen auf jede Waschmittelpackung aufgedruckt sein. Die Wasserversorgungsunternehmen werden jetzt verpflichtet, die Wasserhärten regelmäßig der Bevölkerung mitzuteilen. Diese Informationen sagen dem Verbraucher, wie er mit dem geringstmöglichen Verbrauch an Wasch- und Reinigungsmitteln den bestmöglichen Reinigungserfolg erzielen kann. Er soll diese Mittel umweltfreundlich verwenden; das hat für ihn auch finanzielle Vorteile. Durch dieses umweltfreundliche Verhalten kann der gefährliche Phosphateintrag in den Bodensee — und dies gilt in vergleichbarer Weise für alle stehenden Gewässer - sicher erheblich vermindert werden.Das Waschmittelgesetz enthält auch die Ermächtigung, Höchstmengen für den Phosphatgehalt in Wasch- und Reinigungsmitteln festzulegen. Gerade mit dieser Möglichkeit wird man den Phosphatanteil merklich reduzieren können.Leider kann die Verwendung von Phosphaten in Wasch- und Reinigungsmitteln derzeit noch nicht grundsätzlich verboten werden. Der Forschung ist es — auch im internationalen Bereich — bisher noch nicht gelungen, ein Phosphatsubstitut bis zur Produktionsreife zu entwickeln, das alle Anforderungen, auch die ökologischen, in jeder Hinsicht erfüllen könnte. Wir gehen davon aus, daß die Bundesregierung entsprechende Forschungsvorhaben unterstützt und Forschungsaufträge mit dieser Zielsetzung erteilt.In den Beratungen des Innenausschusses konnten die Zielrichtungen des Gesetzes durch wichtige Änderungen und Ergänzungen positiv verstärkt werden. Wir hoffen, daß durch einen konsequenten Vollzug des Waschmittelgesetzes die von uns allen gewünschten Wirkungen dieses Gesetzes erreicht werden. Der Erfolg des Gesetzes hängt aber — das wissen wir — entscheidend von der Mitwirkung der Bürger ab. Wir appellieren an Sie, vor allem an die umweltbewußte Hausfrau, Wasch- und Reinigungsmittel umweltfreundlich zu gebrauchen und damit einen Beitrag dafür zu leisten, daß uns das für uns alle unentbehrliche Wasser als Lebensgrundlage erhalten bleibt.Die Fraktion der CDU/CSU stimmt dem Gesetzentwurf zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Haenschke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst meine Befriedigung darüber zum Ausdruck bringen, daß zum erstenmal — jedenfalls nach meiner Erinnerung — eine Umweltdebatte wenn nicht vor überfülltem Hause, so doch zu einer Stunde stattfindet, die die Debattenrunde einer Woche eröffnet und nicht abschließt.Ich freue mich besonders darüber, daß dies anläßlich eines Gesetzes geschieht, für das ich mich in meinem kurzen Hiersein in diesem Hause besonders eingesetzt habe. Deshalb erlauben Sie mir, daß ich die Gelegenheit nütze, zunächst einige allgemeine und exemplarische Bemerkungen über die Umweltpolitik zu machen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975 12429
Dr. HaenschkeIn der Diskussion um den Umweltschutz ist immer wieder die Meinung zu hören, daß zwischen Ökologie und Ökonomie ein Grundwiderspruch bestehe. Dem entspricht auch die weit verbreitete Einschätzung des Umweltschutzes als ein mehr ästhetisches Problem und das Mißverständnis, daß Umweltpolitik schlicht „Kampf gegen Verschmutzung" bedeute. Hier werden die Wirkungen mit den Ursachen verwechselt.Umweltprobleme sind die Folge eines falschen Umgangs mit unserer natürlichen Lebensbasis. Wenn zur Erhaltung dieser natürlichen Umwelt, z. B. für den Kläranlagenbau oder die Abfallbeseitigung, öffentliche Mittel direkt oder indirekt ausgegeben werden müssen, die nicht aus dem Prozeß stammen, der die betreffende Umweltbeeinträchtigung hervorgerufen hat, dann ist dies nicht etwa das unvermeidliche Ergebnis intensiver wirtschaftlicher Tätigkeit, sondern ein sicheres Anzeichen dafür, daß nicht vernünftig gewirtschaftet worden ist. Die gesamtwirtschaftlich entstehenden Kosten werden durch den Ertrag nicht gedeckt.Ziel einer rationellen Umweltpolitik muß es deshalb sein, Kosten und Erträge zur Deckung zu bringen. Das kann auf zweierlei Art erfolgen: durch Erhöhung der Erträge, d. h. des Preises, um private oder öffentliche Investitionen zur Beseitigung der Umweltbelastungen zu finanzieren, oder durch Senkung der Kosten, was durch umweltfreundlichere Technologien und Produkte oder durch Einschränkung des Verbrauchs auf das Unvermeidbare erreicht werden könnte. Am Beispiel der Gewässerbelastung durch Waschmittel läßt sich die Folgerichtigkeit dieser Überlegungen für jedermann einsichtig darstellen.Wasser gehört zu den erneuerbaren Lebensgrundlagen. Das heißt, im Verlauf der biologischen Geschichte der Erde hat es sich trotz ständiger Belastung mit Abfällen aus den Lebensprozessen in gleicher Qualität erhalten. Die Ursache dafür ist ein perfektes Zusammenspiel in einem ökonomischen System mit drei Partnern, den Herstellern , den Verbrauchern (Konsumenten) und den Abfallverwertern (Destruenten). Die Produzenten erzeugen aus anorganischen Stoffen, Kohlendioxyd und Licht, die Produkte Biomasse und Sauerstoff. Die Konsumenten leben von den Produzenten unter Erzeugung von Abfällen, die dann von den Abfallverwertern wieder in Mineralstoffe, Kohlendioxyd und Wasser, also die Lebensbasis für die Produzenten, zerlegt werden. Eine Überbelastung eines solchen Ökosystems kann entweder dadurch eintreten, daß Menge oder Art der Konsumentenabfälle die Destruenten vor unlösbare Aufgaben stellen und das Gewässer zu einer sich ständig weiter füllenden Mülldeponie werden lassen, oder dadurch, daß durch übermäßige Zufuhr mineralischer Nährstoffe die Produzenten derartig vermehrt werden, daß die Konsumenten ihrer vielleicht gerade noch Herr werden können, die Abfallverwerter wegen der naturgesetzlichen Begrenzung des Sauerstoffgehalts im Wasser aber nicht mehr mitkommen.Diese sogenannte Eutrophierung der Gewässer durch Überdüngung wird nach heutiger Kenntnis vorallem durch Stickstoffverbindungen und Phosphate hervorgerufen, die mit den Abwässern und durch Ausschwemmung landwirtschaftlich genützter Böden ins Wasser gelangen. Während die Nitrate -die für die Trinkwasserhygiene zunehmend zum Problem werden — fast ausschließlich aus der landwirtschaftlichen Düngung stammen, resultieren die Phosphate zum größeren Teile aus dem steil angestiegenen Verbrauch phosphathaltiger Wasch- und Reinigungsmittel und nur zu kleineren Teilen aus Düngemitteln oder menschlichen Ausscheidungen in die häuslichen Abwässer.Wegen der überagenden Bedeutung eines guten Gewässerzustandes für die Wasserwirtschaft, die Fischerei, für Gesundheit und Erholung müssen zunehmend mehr Mittel aufgewendet werden, um Schadstoffe von den Gewässern fernzuhalten. Im Falle der hier zu erörternden Waschmittel werden die finanziellen Aufwendungen für den Abbau der organischen Inhaltsstoffe in Kläranlagen und für die zukünftig notwendig werdende Eliminierung der Phosphate nicht aus den Erträgen gedeckt, die für die Waschmittel erlöst werden. Gesamtwirtschaftliche Kosten und Erträge für das Produkt stehen also in einem Mißverhältnis.Das ist der Ansatzpunkt für unsere Umweltpolitik. Von ,den beiden möglichen Wegen, Erlös und Ertrag zur Deckung zu bringen, nämlich einerseits Abwälzung der Umwelterhaltungskosten auf den Preis der Waschmittel durch eine zu erhebende besondere Abgabe oder andererseits die Entstehung von Umwelterhaltungskosten von vornherein zu vermeiden, wird im vorliegenden Gesetzentwurf der letztere gewählt.Mit dem Waschmittelgesetz soll die Bundesregierung ermächtigt werden, den Phosphatgehalt in Wasch- und Reinigungsmitteln gesetzlich zu begrenzen, nach Übergangszeiten weiter einzuschränken und nach Vorliegen eines geeigneten Phosphat-Ersatzstoffes auf Null abzusenken. Die in § 8 des Gesetzes vorgesehene Vorschrift, die den Hersteller oder Importeur zur Mitteilung der Rahmenrezeptur an das Umweltbundesamt verpflichtet, soll den verantwortlichen Stellen die notwendige Marktübersicht sichern und verhindern helfen, daß unbemerkt der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben wird, d. h. beispielsweise Phosphat-Ersatzstoffe in den Gebrauch kommen, die zwar andere, aber ebenso schwerwiegende Umweltbelastungen herbeiführen würden.Weitere Vorschriften des Gesetzes gelten dem Verbot schwer abbaubarer oder sonstwie schädlicher Inhaltsstoffe von Wasch- und Reinigungsmitteln sowie der Verbraucheraufklärung. Durch die gesetzliche Verpflichtung der Wasserwerke zur öffentlichen Bekanntgabe der örtlichen Wasserhärte und der Hersteller, auf ,die Packungen Dosierungsempfehlungen entsprechend vier Wasserhärtebereichen aufzudrucken, wird jeder einzelnen Hausfrau die Möglichkeit geboten, ihren persönlichen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten. Wer zukünftig nur noch so viel Waschmittel einsetzt, wie zur Erzielung eines guten Wascherfolges unbedingt not-
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12430 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Dr. Haenschkewendig ist, schont nicht nur die Umwelt, sondern auch den eigenen Geldbeutel.Das Waschmittelgesetz ist nur ein Teilstück unserer Politik für reine Gewässer. Die ergänzenden Teile unseres geschlossenen politischen Konzepts, das Abwasserabgabengesetz, das Wasserhaushaltsgesetz und ein Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes liegen dem Bundestag ebenfalls zur Beratung vor. Es ist bedauerlich, daß diese Gesetze infolge der Blockade durch die CDU/CSU-Opposition heute hier nicht ebenfalls zur abschließenden Beratung und Schlußabstimmung anstehen.Trotz seiner sicherlich begrenzten Bedeutung ist das Waschmittelgesetz nach Ansicht der Sozialdemokraten ein weiterer Meilenstein sozialliberaler Umweltpolitik. Wir begrüßen das Gesetz und erwarten von der Bundesregierung, daß durch den baldigen Erlaß der einschlägigen Rechtsverordnungen die Wirkungen des Gesetzes spürbar werden. Unsere Hoffnung beruht dann auf dem Fortschritt umweltfreundlicherer Technik und auf Deutschlands Hausfrauen!
Das
Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu dem Gesetz und seinem Inhalt ist hier schon von den Vorrednern ausreichend Stellung genommen worden. Lassen Sie mich einige allgemeine Bemerkungen über den Umweltschutz machen.Umweltschutz ist gewiß nicht wie eine Blume zu betrachten, die man sich in Zeiten wirtschaftlicher Blüte sozusagen als top-flower, zum guten politischen Ton gehörend, an den Rockaufschlag steckt. Umweltschutz gehört aber auch ebensowenig in den Bereich der Emotionen und ist nicht als eine Bewegung zu betrachten, die sich hinter der Fahne des Fanatismus sammelt. Umweltschutz ist vielmehr heute als wichtiger integraler Bestandteil der Politik, als unsere politische Aufgabe zu betrachten.Die Fragen und Probleme des Umweltschutzes und seine Bedeutung für die Menschen heute und mehr noch für die Menschen in der Zukunft verlangen Nüchternheit in der Beurteilung, Sachlichkeit und Offenheit in der Diskussion, in den Regierungen, in den Parlamenten, aber auch und vor allem in den Diskussionen mit dem Bürger, den wir hier repräsentieren.Umweltpolitik ist systemanalytisch, im Sinne der Lehre von den Wirkungsgefügen zu betreiben. Es ist meines Erachtens völlig abwegig, Umweltpolitik isoliert zu betrachten oder nur dem einen oder anderen Bereich zuzuordnen. Es ist meines Erachtens völlig abwegig, Umweltpolitik etwa als ein Instrument oder als Teil der Wirtschaftspolitik anzusehen, sich also nach der jeweiligen wirtschaftlichen Situation zu orientieren und in Zeiten der Rezession von der bisherigen Handhabung abzuweichen. Weil nämlich unsere natürlichen Lebensgrundlagen bereits in solchem Maße belastet sind, daß die elementarsten menschlichen Ansprüche auf die Unversehrheit des Lebens bei weiterer Belastung nicht mehr erfüllt werden könnten und damit konsequenterweise auch die wirtschaftlichen Belange und das wirtschaftliche Wachstum deutlich beeinträchtigt würden, sind die Anforderungen an einen vernünftigen Umweltschutz lebensnotwendig. Wir müssen daher von vornherein allen Versuchen energisch entgegentreten, aus ökonomischen Gründen — oder aus welchen Gründen auch immer — die bestehenden Umweltschutzmaßnahmen auszusetzen oder neue erforderliche Maßnahmen zu verhindern. Umweltpolitik kann und darf nicht von wirtschaftlichen Schönwetterperioden abhängig gemacht werden!Überdies ist ein beachtlicher Teil unserer Wirtschaftskapazität schon heute im Bereich des Umweltschutzes gebunden. Denken wir nur an die Bereiche des städtischen Tiefbaus, der Kläranlagen und Filteranlagen, um nur einige Beispiele zu nennen. Oder lassen Sie mich auf die derzeit stattfindende Ausstellung in München hinweisen, an der mehr als 400 ausstellende Firmen beteiligt sind und die sich ausschließlich mit Fragen des Umweltschutzes beschäftigt.Meine Damen und Herren, Umweltschutz geht jeden einzelnen an. Jeder einzelne Bürger in diesem Lande hat für seine Umwelt einzustehen. Wir in diesem Hause haben die politische Aufgabe, ihn problembewußt zu machen. Das bedeutet selbstverständlich, daß wir selber uns über die Probleme voll und ganz im klaren sind und ihre Bedeutung auch bis zum letzten erfassen. Es ist unsere politische Aufgabe, vom Bürger auch seinen Beitrag zum Umweltschutz zu fordern. Wir müssen klar zum Ausdruck bringen, daß Umweltschutz seinen Preis hat.Wir alle, die Konsumenten, zu denen wir ebenfalls gehören, nehmen bereitwilligst die Angebote der technischen Entwicklung in Anspruch. Wir müssen dann aber auch bereit sein, die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu tragen. Es gibt mit Sicherheit kein Zurück in der technischen Entwicklung. Wir dürfen aber unsere biologische Existenz deshalb nicht aufs Spiel setzen. Ich möchte keineswegs fordern, daß wir unsere schmutzige Wäsche — um den Bezug zu dem herzustellen, worüber wir heute hier reden — wie in Vorzeiten wieder in den Flüssen und Bächen waschen — ohne Waschpulver, ohne Phosphate, ohne Detergentien und sonstige Zusätze. Statt dessen haben wir uns — und das ist der Anlaß, aus dem wir heute hier stehen — mit dem Waschmittelgesetz zu befassen.Wir haben mit dem Gesetz über die Umweltverträglichkeit von Wasch- und Reinigungsmitteln einen sehr wichtigen weiteren Schritt in die Richtung eines wirksamen Umweltschutzes getan. Das gilt nicht nur für den Bereich repressiver Maßnahmen, auf den wir uns wegen des Umfangs der Aufgabenstellung in der Umweltschutzpolitik leider häufig beschränken müssen, vielmehr werden hier auch präventiv wirksame Regelungen geschaffen.Für meine Fraktion darf ich die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf bekunden und unsere Genug-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975 12431
Dr.-Ing. Laermanntuung darüber zum Ausdruck bringen, daß es uns wieder einmal gelungen ist, ein dringendes Umweltproblem mit, wie es uns scheint, marktkonformen Mitteln zu lösen. Schon die frühere gesetzliche Regelung war wegweisend. Auch die Europa-Richtlinie von 1973 ist auf Initiative der Bundesregierung entstanden. Wir haben also auf diesem Gebiet einen Ruf zu verteidigen.Gerade deshalb kann ich es mir hier nicht versagen, noch einmal auf die grundsätzliche Regelungsproblematik für das Wasserrecht zu verweisen und — wie es bereits der Kollege Haenschke getan hat — an die Opposition zu appellieren, sich einer sachgerechten Lösung auf Dauer nicht zu verschließen. Der Bund braucht die Kompetenz. Gewässerschutz darf nicht an Gemeinde- und Landesgrenzen scheitern. Wenn wir im internationalen Bereich bestehen wollen, müssen wir wirksame nationale, d. h. bundeseinheitliche Gesetze schaffen.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Herr Schmude.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Inkrafttreten des Ihnen zur zweiten und dritten Beratung heute vorliegenden Gesetzentwurfs wird ein Hauptziel des Umweltprogramms von 1971, durch Überwachung und Reinhaltung der Gewässer die Sicherung der Wasserversorgung zu erreichen, um ein gutes Stück vorangetrieben. Die Notwendigkeit, diese Aufgabe zu bewältigen, ist in den letzten vier Jahren gewiß nicht geringer geworden. Im Gegenteil, das Lebensgut „sauberes Wasser" ist, wie auch den Bürgern in unserem Lande zunehmend bewußter wird, in einem erschreckenden Maße knapp geworden.Die kritische Ausgangslage, die dem Umweltprogramm zugrunde lag und in der wir uns auch heute befinden, will ich hier nur kurz andeuten. Bis auf wenige positive Ausnahmen hat der teilweise besorgniserregende Grad der Verschmutzung der Gewässer trotz erheblicher Anstrengungen zu ihrer Reinhaltung noch nicht abgenommen. Es ist auch keine Wende dahin zu sehen, daß sich die Schere zwischen Abwasseranfall und Reinhaltungsleistung schließt. Diese besorgniserregende Entwicklung muß vor dem Hintergrund eines ständig steigenden Wasserbedarfs gesehen werden. Nach dem vom Battelle-Institut 1972 erstellten Gutachten über die Entwicklung des Wasserbedarfs in Industrie, Haushalten, Gewerbe, öffentlichen Einrichtungen und Landwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland wird der gesamte Wasserbedarf von etwa 27 Milliarden cbm im Jahre 1969 auf rund 44 Milliarden cbm im Jahre 2000 ansteigen. Im gleichen Maße wird natürlich die Abwassermenge steigen. Die schon jetzt weithin als unerträglich empfundene Verschmutzung droht dann weiterhin zuzunehmen, wenn nicht schnell und wirkungsvoll gehandelt wird.Dieses Handeln kann in einem Land, das — wie die Bundesrepublik Deutschland — eine der höchsten Belastungsdichten der Welt hat, nicht in bloßem Reagieren auf akute Schäden bestehen. Vielmehr ist eine in ihren Zielen relativ weitreichende Umweltpolitik, besonders auf dem Gebiete des Gewässerschutzes, eine wesentliche Voraussetzung für eine auch in Zukunft harmonische Entwicklung unseres Landes als Industrienation. Dieses Ziel ist jedoch bekanntlich nur durch ein entsprechendes gesetzliches Instrumentarium zu erreichen, das — zwar von bewährten Grundlagen ausgehend — mit den stetig wachsenden Anforderungen an die vielseitige Nutzbarkeit unserer Gewässer und mit den damit verbundenen Problemen Schritt halten kann.Ebensowenig, wie die geltende Fassung des Wasserhaushaltsgesetzes, an dessen dringend notwendige Novellierung ich in diesem Zusammenhang ebenfalls nachdrücklich erinnere, solchen Anforderungen entspricht, konnte es auch mit den Maßnahmen sein Bewenden haben, die bereits seit dem Detergentiengesetz von 1961 zum Schutz der Gewässer zur Verfügung stehen. Die Vorreiterrolle, die das eben erwähnte Gesetz jahrelang für ähnliche Bestimmungen auf der Welt, auch für die EG-Richtlinie von 1973, spielte, ist nunmehr durch die tatsächliche Entwicklung überholt worden. Es bedarf heute umfassender gesetzlicher Maßnahmen.So baut das Waschmittelgesetz zwar auf dem Fundament des alten Gesetzes auf, geht jedoch in seiner Zielsetzung, alle auf Wasch- und Reinigungsmittel zurückzuführenden schädlichen Einwirkungen auf die Gewässer soweit wie möglich zu verhindern, weit darüber hinaus.Dieser Zielsetzung entsprechend ist sein Instrumentarium auch auf das Zusammenwirken von drei Faktoren ausgerichtet, die ich hier noch einmal kurz erwähne. Neben der Möglichkeit, auf die Zusammensetzung von Wasch- und Reinigungsmitteln Einfluß zu nehmen, muß eine umfassende und frühzeitige Kenntnis von allen — auch neu entwickelten — Stoffen sichergestellt werden. Der Erfolg solcher gesetzlichen Maßnahmen hängt jedoch — wie im gesamten Recht des Umweltschutzes so auch hier — wesentlich von der verstärkten Mitwirkung des Bürgers ab. Ein erfolgreicher Umweltschutz ist auf den persönlichen Einsatz des einzelnen angewiesen. Ohne ihn werden staatliche Initiativen — mögen sie von noch so fundiertem Sachverstand getragen sein — weitgehend über vielversprechende Ansätze nicht hinauskommen. Insofern halte ich den Appell des Kollegen Haenschke zum Schluß seiner Rede durchaus für angemessen.Aus diesen Gründen zielt das Gesetz nicht zuletzt darauf ab, beim Verbraucher durch sachgerechte Information eine bewußt „gewässerfreundliche" Verwendung von Wasch- und Reinigungsmitteln zu erreichen. In diesem Sinne ist auch der in dem Bericht und Antrag des Innenausschusses neu vorgeschlagene § 5 a zu verstehen, der nunmehr in Anlehnung an eine entsprechende Regelung im Immissionsschutzgesetz die Anhörung der beteiligten Kreise vor dem Erlaß der Rechtsverordnungen vorsieht. Als beteiligte Kreise sind dort ausdrücklich
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12432 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Parl. Staatssekretär Dr. Schmudedie Vertreter der Verbraucher aufgeführt. Sie werden somit Gelegenheit haben, ihre Belange unmittelbar bei der Ausgestaltung der näheren Ausführungsvorschriften zu dem Gesetz geltend zu machen.Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf hat in den bisherigen Beratungen eine erfreulich positive Aufnahme gefunden, die sich auch heute in dieser Schlußbehandlung widerspiegelt. Mit seinem Inkrafttreten in absehbarer Zeit sind wir zwar, wie ich eingangs sagte, wieder ein gutes Stück vorangekommen. Ein Blick auf die übrigen von der Bundesregierung zum Schutz der Gewässer vorgelegten Gesetzentwürfe — einige Kollegen haben hier dankenswerterweise einen Blick darauf geworfen — zeigt aber zur Genüge, wieviel noch zu tun ist. Unsere heute übereinstimmend bekundete Bereitschaft zum wirksamen Umwelt- und besonders Gewässerschutz bleibt deshalb weiterhin gefordert.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wer in der dritten Beratung dem vorgelegten Entwurf des Waschmittelgesetzes zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Wir kommen noch zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Ich gehe davon aus, daß das Haus dem zustimmt. — Ich danke Ihnen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 1. Juni 1973 über die Schiffahrt auf dem Bodensee und zu dem Vertrag vom 1. Juni 1973 über die Schiffahrt auf dem Untersee und dem Rhein zwischen Konstanz und Schaffhausen
— Drucksache 7/3439 —
Bericht und Antrag ,des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
- Drucksache 7/3736 —
Bericherstatter: Abgeordneter Hoffie
Wünscht der Herr Berichterstatter eine Ergänzung seines Berichts? — Er verzichtet auf eine Ergänzung. Danke schön!
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Biechele.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Fraktion der CDU/CSU gebe ich zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 1. Juni 1973 über die Schiffahrt auf dem Bodensee und zu dem Vertrag vom 1. Juni 1973 über die Schiffahrt auf dem Untersee und dem Rhein zwischen Konstanz und Schaffhausen — Drucksache 7/3439 — folgende Erklärung ab.Seit Jahren waren die drei Bodenseeuferstaaten bemüht, die Regelung der Schiffahrt auf dem Bodensee den geänderten Verhältnissen und dem Stand der Technik anzupassen und damit die veralteten Bestimmungen der internationalen Schifffahrts- und Hafenordnung für ,den Bodensee vom 22. September 1867 durch einheitliche Schiffahrtsvorschriften zu ersetzen. Die neuen vertraglichen Regelungen wurden nach jahrelangen Verhandlungen am 1. Juni 1973 auf dem Motorschiff „Konstanz" auf dem Bodensee durch die Regierungsvertreter der drei Uferstaaten unterzeichnet. Die Bundesrepublik Deutschland wird die neuen Verträge als letzter Vertragsstaat jetzt durch die Entscheidung der gesetzgebenden Körperschaften ratifizieren.Die Vertragsstaaten, die Bundesrepublik Deutschland, die Republik Österreich und die Schweizerische Eidgenossenschaft werden für die Schiffahrt nach den Bestimmungen des Artikels 5 des Übereinkommens einheitliche Vorschriften erlassen, die die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gewährleisten, aber auch Gefahren und Nachteile abwehren, die durch die Schiffahrt verursacht werden können. Die rechtlichen Grundlagen für die unbedingt notwendigen Umweltschutzmaßnahmen, auf die wir am Bodensee schon sehr lange warten, sind nunmehr gegeben.Der Bodenseeraum nimmt in vielfacher Beziehung eine Sonderstellung ein. Sie wird durch seine Doppelfunktion als bedeutender Erholungsraum und als attraktiver Siedlungs- und Wirtschaftsraum be-. stimmt und durch die Bedeutung des Bodensees als größter europäischer Trinkwasserspeicher nachdrücklich herausgehoben. Dieser Sonderstellung müssen auch die Umweltschutzmaßnahmen der Schiffahrtsvorschriften entsprechen.Folgende Aspekte des Übereinkommens und des Vertrags sind für uns wesentlich. Erstens. Die Fraktion der CDU/CSU begrüßt die neuen vertraglichen Abmachungen, welche die Ordnung für den Bereich der Schiffahrt auf dem Bodensee gewährleisten. Sie ist davon überzeugt, daß die Abmachungen im Geist freundnachbarlicher Beziehungen praktiziert werden.Zweitens. Die Fraktion der CDU/CSU geht davon aus, daß die Uferstaaten nach Inkrafttreten des Übereinkommens die Durchführungsbestimmungen, für die gemeinsame Entwürfe vorliegen, sehr rasch erlassen. Den Umweltschutzmaßnahmen, insbesondere der Beschränkung des Motorbootverkehrs, kommt hierbei die größte Bedeutung zu. Die Verschmutzung des Bodensees durch Schiffe und Boote muß auf ein ungefährliches Mindestmaß beschränkt werden. Die Einschränkung des Motorbootverkehrs wird dann wirkungsvoll erfolgen können, wenn die Zulassung der Boote durch die unmittelbar im Uferbereich befindlichen Behörden und nicht durch entferntliegende
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975 12433
BiecheleZentralstellen erfolgt. Wir ersuchen die Bundesregierung, sich für eine solche Regelung einzusetzen.Drittens. Die Fraktion der CDU/CSU drückt die Hoffnung aus, daß durch die neuen vertraglichen Abmachungen ein Beitrag dafür geleistet wird, daß die Bodenseelandschaft als ein einheitlicher Kultur- und Siedlungsraum mit einer großen Vergangenheit in eine fruchtbare gemeinsame Zukunft geht, und dies zum Besten der hier lebenden Menschen.Wir stimmen dem Gesetz zu.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Gnädinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich als ein Abgeordneter, der gleichfalls vom Bodensee kommt, zu diesen Beratungen über das deutsch-österreichischschweizerische Übereinkommen und über den Vertrag zwischen der Bundesrepublik und der Schweiz das Wort ergreife, so tue ich dies in erster Linie, um zu danken.
Im April dieses Jahres anläßlich der ersten Beratung habe ich darum gebeten, daß diese Vorlage im Deutschen Bundestag zügig und rasch behandelt wird. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß die Schweiz und Österreich den Vertrag bereits ratifiziert haben. Heute gebührt jenen Kollegen, die für diese zügige Beratung gesorgt haben, der Dank.
Das Inkrafttreten der Verträge schafft nämlich eine wichtige Grundlage für weitere Umweltschutzmaßnahmen am Bodensee; denn auf Grund der Verträge wird es möglich, durch besondere Schiffahrtsvorschriften den Motorbootverkehr auf dem Bodensee zu beschränken. An die entsprechenden Stellen in Österreich und der Schweiz sowie in BadenWürttemberg möchte ich die Aufforderung richten, den Entwurf der entsprechenden Verordnung, die gleichlautend sein soll, nun bald zu verabschieden. Geschieht dies, so haben wir neben den großen Hilfen des Bundes für den Kläranlagenbau am Bodensee einen weitern Schritt für die endgültige Wiedergesundung dieser Erholungslandschaft getan.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffie. Er kommt allerdings aus Hessen, aber dort bei uns fließt der Rhein ja durch, nachdem er im Bodensee sauberer geworden ist.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die FDP-Fraktion begrüßt, daß es nach jahrelangen Vorbereitungen und Verhandlungen zur Ratifizierung des Gesetzes kommt, ,das Rechtsgrundlage für den Erlaß einheitlicher und moderner schiffahrtspolizeilicher Vorschriften auf dem Bodensee und auf der Rheinstrecke zwischen Konstanz und Schaffhausen ist.Die technische Entwicklung der letzten 100 Jahre und die Veränderung schiffahrtspolizeilicher Erfordernisse begründen allein schon die Notwendigkeit, daß die internationalen Schiffahrtsvorschriften aus dem Jahre 1867 durch neue Übereinkommen zwischen den betroffenen Bodensee- und Rheinanliegerstaaten abzulösen sind. Gesetz und Zusatzverträge regeln deshalb die Schiffahrtsfreiheit, die Gleichbehandlung der Fahrzeuge, die Erhebung von Abgaben, das Freihalten der Wasserflächen für die Schiffahrt und die Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen schiffahrtspolizeiliche Vorschriften.Die zu bildende internationale Kommission für die Bodenseeschiffahrt wird eine nützliche Organisation für den Informationsaustausch, insbesondere über technische und nautische Fragen, sein. Die Bildung einer neutralen Schiedskommission bietet die Gewähr für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten über Auslegung und Durchführung des Übereinkommens sowie der Schiffahrtsvorschriften.Die FDP begrüßt insbesondere, daß es mit dem internationalen Übereinkommen vom 1. Juni 1973 trotz der unterschiedlichen Auffassungen Osterreichs und der Schweiz über den Grenzverlauf im Obersee, die die Verhandlungen ja erheblich erschwerten, zu einem Kompromiß gekommen ist, der festschreibt, daß Hoheitsverhältnisse außerhalb der Schiffahrt — vor allem der Verlauf von Staatsgrenzen — nicht berührt werden und selbst die Frage offengelassen wurde, ob es auf dem Bodensee überhaupt Staatsgrenzen gibt.Als Berichterstatter des Verkehrsausschusses habe ich schon darauf hingewiesen, daß die Verkehrspolitiker ebenso wie der Innenausschuß erwarten, daß die zu erlassenden schiffahrtspolizeilichen Vorschriften dem Umweltschutz gegen Lärm und Verunreinigung von Wasser und Luft ausreichend Rechnung tragen. Hier erwarten wir von den Ländern Bayern und Baden-Württemberg, die bei den Ausarbeitungen der Verträge ständig beteiligt waren, eine Klärung, inwieweit Maßnahmen zur Beschränkung der Schiffahrt vorzusehen sind, nachdem Artikel 5 Absatz 4 dieses Übereinkommens die Möglichkeit bietet, das Befahren des Sees mit bestimmten Arten von Fahrzeugen zu verbieten oder die Schiffahrt auf bestimmten Seeteilen oder zu bestimmten Zeiten ganz zu untersagen. Der Appell der Opposition zur Ausfüllung des Gesetzes hinsichtlich der optimalen Berücksichtigung aller Umweltschutzaspekte richtet sich also direkt und ganz besonders an die eigene politische Adresse.Meine Damen und Herren, es würde den Rahmen dieser kurzen Debatte überschreiten, würden wir an dieser Stelle die öffentliche Bodenseediskussion zwischen Sportschiffahrt und Umweltschützern einerseits und zwischen den Fremdenverkehrsexperten andererseits darüber fortsetzen, ob zum Beispiel Zweitakter bis zu 10 PS zugelassen werden sollen, oder inwieweit pflanzliche Schmiermittel beim Schiffahrtsbetrieb die Umweltgefahren durch die herkömmlichen Motorschmieröle verhindern könnten. Hier sind alle Beteiligten gefordert, einen möglichst gerechten und ausgewogenen Interessenausgleich herbeizuführen. Die FDP-Fraktion wird
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12434 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Hoff ieihren Beitrag dazu leisten und stimmt dem Gesetzentwurf zu.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich verbinde die Abstimmung der zweiten Beratung mit der Schlußabstimmung und rufe Artikel 1, 2, 3, 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung und in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr in einer verbundenen Debatte die Punkte 4 bis 7 auf:
4. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung
— Drucksache 7/3649 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Innenausschuß
5. Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung terroristischer krimineller Vereinigungen
— Drucksache 7/3661 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Sonderausschuß für die Strafrechtsreform Innenausschuß
6. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Bundesrechtsanwaltsordnung
— Drucksache 7/3729 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Sonderausschuß für die Strafrechtsreform Innenausschuß
7. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Strafverfolgung krimineller Vereinigungen
— Drucksache 7/3734 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Sonderausschuß für die Strafrechtsreform Innenausschuß
Meine Damen und Herren! Zur Begründung der Vorlagen rufe ich zunächst die erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs auf der Drucksache 7/3661, dann die erste Beratung des von der Fraktion der SPD und der FDP auf Drucksache 7/3729 eingebrachten Entwurfs und dann die beiden anderen Entwürfe auf.
Das Wort zur Begründung der Vorlage auf der Drucksache 7/3661 hat der Herr Abgeordnete Vogel .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren. Fast auf den Tag genau vor einem Vierteljahr, am 13. März dieses Jahres, hat der Deutsche Bundestag die letzte umfassende Debatte zur inneren Sicherheit geführt. Wir hatten seither in diesem Hause wiederholt Veranlassung, uns mit Fragen der inneren Sicherheit in unserem Lande zu befassen. Wenn wir heute erneut zum Teil zu denselben Gegenständen wie am 13. März Fragen der inneren Sicherheit behandeln müssen, so erfüllt uns das mit tiefer Besorgnis, weil darin zum Ausdruck kommt, daß SPD und FDP hartnäckig und beharrlich über viele Monate hinweg notwendige gesetzliche Regelungen verweigert haben und offenbar immer noch trotz eines unverkennbaren zwischenzeitlichen Annäherungsprozesses von der Fähigkeit zur Einsicht in das zum Schutz unseres Rechtsstaates und seiner Bürger Erforderliche zu weit entfernt sind.
Meine Damen und Herren, die Fähigkeit zu starken, diffamierenden Worten gegenüber der demokratischen parlamentarischen Opposition ist im Regierungslager jedenfalls weitaus ausgeprägter als die Fähigkeit zum klaren und entschiedenen Wort gegenüber allem, was unsere innere Sicherheit und unseren inneren Frieden gefährlich bedroht.
An eine Umkehr zur Einsicht vermögen wir von der CDU/CSU nicht zu glauben, wenn wir die Vorgeschichte des Zustandekommens der heute hier in erster Lesung anstehenden Gesetzentwürfe meiner Fraktion, des Bundesrates und der SPD/FDP sowie die Begleitmusik zu diesen Gesetzentwürfen bis zur heutigen Debatte betrachten.In den Jahren Ihres Regierens, meine Damen und Herren von der SPD und der FDP, haben Sie zu keinem Zeitpunkt eine klare und beständige Linie in den Fragen der inneren Sicherheit gefunden, sondern ein Bild der Zerrissenheit, der Konzeptionslosigkeit und des kurzatmigen Opportunismus geboten.
Die Bundesregierung hat nicht geführt, sondern ist hinter den Ereignissen hergelaufen.
Sie haben sich, meine Damen und Herren, so in die vermeidbare peinliche Situation hinmanövriert, sich gegen den Vorwurf verteidigen zu müssen, jetzt parallel zu einem laufenden Gerichtsverfahren in den Gang dieses Verfahrens hineinwirkende Gesetzesänderungen vornehmen zu müssen.Kaum haben Sie sich endlich — ich würde sagen: viel zu spät — dazu aufgerafft, einen Gesetzentwurf mit mehr als überfälligen Regelungen im Bundestag einzubringen, da werden Sie aus Ihren eigenen Reihen, ausgerechnet unter Anführung des Herrn Kollegen Ehmke, mit dem Vorwurf bedacht, die Schwelle rechtsstaatlicher Prinzipien überschritten zu haben.Meine Damen und Herren, Sie sind nicht fähig, diesen freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat so
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Vogel
zu schützen, wie es nötig wäre. Sie haben sich immer schwer getan, das Recht so zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung einzusetzen, wie es die Verhältnisse erforderten. Sie und ihre Freunde haben das rechtsstaatliche Begriffspaar „Gesetz und Ordnung" — law and order — zu einem Schimpfwort gemacht, in der Hoffnung, damit eine wirksame Waffe gegen die Opposition gewinnen zu können.
Welch eine Verkennung der Begriffe! Sie haben die Regierung mit dem Ziel angetreten, den sozial Schwächeren, also den Schwachen, zu schützen. Wie anders wollen Sie denn in einem demokratischen Staat den Schwächeren schützen, wenn nicht durch das Recht? Wie anders wollen Sie denn dem Schwächeren eine Ordnung garantieren, in der er unbehelligt und gesichert leben kann, wenn nicht durch das Recht? Der Schutz des Schwächeren, meine Damen und Herren von der Koalition, ist nicht nur erforderlich in den Bereichen des Verbraucherschutzes, des Umweltschutzes oder ähnlichen Gebieten, es muß gleichermaßen Schutz vor Gewalt und Terror geboten werden. Freiheit und Ordnung erscheinen uns oft wie Gegensätze, aber sie bedingen einander auch. „Die Freiheit kann nicht einen einzigen Tag ohne die Ordnung leben, und die Ordnung kann nicht bestehen, wenn sie nicht ständig durch die Freiheit verwandelt und erneuert wird." Dieses Wort von Eduard Heimann hat der Bundeskanzler in der Sicherheitsdebatte im März dieses Jahres hier zitiert. Ich bedaure, daß es dem Bundeskanzler offensichtlich nicht möglich ist, seiner Fraktion und der die Bundesregierung mittragenden Fraktion der FDP diese gleiche Einsicht zu vermitteln.Noch beherzigenswerter scheint mir das zu sein, was der Bundeskanzler am letzten Wochenende auf dem rechtspolitischen Kongreß der SPD gesagt hat:Gefährlicher, ja, existenzbedrohend wäre es, wenn der Rechtsstaat die Solidarität und die Selbstidentifikation seiner Bürger verlöre. Der Staat kann aber diese Solidarität dann verlieren, wenn er seinen Bürgern nicht genug Schutz gäbe ... Schutz müssen wir den Bürgern, den staatlichen Institutionen und ihren Repräsentanten bieten, und zwar, wie es in einem freiheitlich-demokratischen Staat nicht anders sein kann, Schutz durch das Recht.Hierzu — das zeigt der Verlauf der Debatten in den letzten Monaten — fehlt es bei SPD und FDP auf breiter Front an der Bereitschaft. Ich brauche hier, abgesehen von den neuesten Fragen der Verteidigerüberwachung, des Verteidigerausschlusses und der Bekämpfung terroristischer krimineller Vereinigungen, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, nur an das Demonstrationsstrafrecht und an das Haftrecht zu denken. 1970 wurde gegen unsere Stimmen das Dritte Strafrechtsreformgesetz verabschiedet, das einen weitgehenden Abbau der Strafvorschriften zum Schutze des Gemeinschaftsfriedens brachte.Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, hatten im Liberalisierungsrausch für unsere Position damals nur Hohn und Spott.
— Herr Kleinert, man weiß nicht immer, wie man Ihre Zwischenrufe nehmen soll, deswegen bin ich Ihnen gegenüber manchmal besonders nachsichtig. Herr Kollege Müller-Emmert bezeichnete unsere Änderungsanträge seinerzeit als „olle Kamellen".
Herr Kollege de With, inzwischen zum Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz reüssiert, meinte, die Oppositionsparteien seien wieder einmal im vorletzten Graben liegengeblieben. Nun, welche Ironie, meine Damen und Herren: Die Eskalation der Gewalt hat Herrn de With zwar noch nicht in den Graben gezwungen, aber er residiert in einem Ministerium, das einer Festung gleicht, abgeschirmt durch Stacheldraht und Bundesgrenzschutz; Zutritt nur nach strenger Personalkontrolle.Ein anderes augenfälliges Beispiel für die wenig vorausschauende und widersprüchliche Rechtspolitik der Koalition auf dem Gebiet der inneren Sicherheit ist das Haftrecht. Als wir 1970 eine Änderung der Strafprozeßordnung verlangten, um die Gefährdung der Allgemeinheit durch Wiederholungstäter, insbesondere im Falle der Serienkriminalität, zu beseitigen, wurden unsere Forderungen als „Lawand-order"-Reden und „Schattenboxen" abgekanzelt. Als wir gar zur Änderung des Haftrechts einen Gesetzentwurf einbrachten, mußten wir nicht nur fünf Monate auf die erste Lesung warten, sondern mußten uns in der ersten Lesung von dem damaligen Bundesminister der Justiz noch sagen lassen, der CDU/CSU-Entwurf sei eine klare und endgültige Absage an die Gemeinsamkeit, und wir betrieben ein Geschäft mit der Angst. Herr de With sprach von einer Methode des „feste druff". Ein halbes Jahr später nach diesen Auslassungen hätte der eine oder andere Koalitionspolitiker sicher gewünscht, er hätte das damals nicht gesagt; denn unter dem Eindruck des Terrors der Baader-Meinhof-Bande mußte die Koalition ihren jahrelangen Widerstand aufgeben; das Haftrecht wurde unter Zustimmung der Koalition geändert. Heute stehen wir vor der Notwendigkeit, weitere Korrekturen am Haftrecht vorzunehmen.Meine Damen und Herren, meine Fraktion kann für sich in Anspruch nehmen, die Anfänge der Gewalt und ihren Verlauf frühzeitig erkannt zu haben. Wir haben nicht nur gewarnt, sondern haben mit einer Reihe von parlamentarischen Initiativen versucht, der Entwicklung Einhalt zu gebieten. Wie es uns dabei ergangen ist, habe ich an den Beispielen des Demonstrationsstrafrechts und des Haftrechts gezeigt.
Nichts anderes haben wir bei großen Teilen der heute zur ersten Beratung anstehenden Gesetzesinitiativen erfahren müssen. Das unrühmliche Bild
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der Koalition wird durch ihr Verhalten in der Frage des Verteidigerausschlusses und der Verteidigerüberwachung vervollständigt. Bereits im Mai 1973 brachte meine Fraktion einen Entschließungsantrag ein, die Bundesregierung möge ein Gesetz zur Regelung des Ausschlusses von Verteidigern im Strafprozeß vorlegen. Erst ein Jahr später, im Mai 1974, hat die Bundesregierung einen derartigen Entwurf eingebracht, dabei aber selbst überhaupt noch nicht an die Möglichkeit einer Überwachung des Verteidigerverkehrs gedacht, obwohl ihr seit 1972 bekannt war, daß inhaftierte Mitglieder der Baader-Meinhof-Bande mit Hilfe ihrer Verteidiger ein Informationssystem untereinander und zu Bandenmitgliedern außerhalb der Haftanstalten unterhielten.
— Herr Kollege Arndt, ich bin Ihnen dankbar für den Zwischenruf. Der Bundestag, vor allen Dingen die Mitglieder des Rechtsausschusses und des Innenausschusses, hat erstmals im November nach dem Mord an Herrn von Drenkmann von dem erfahren, was die Bundesregierung bis dahin seit langem wußte.
Das hat uns gehindert, initiativ zu werden, das hat das Parlament gehindert, initiativ zu werden. Die Bundesregierung ist offenbar nicht auf den Gedanken gekommen, initiativ zu werden. Das ist die Problematik in dieser Frage!
Im übrigen ein Beispiel dafür, wie die Bundesregierung hinter den Ereignissen herrennt, statt eine vorausschauende Politik in den Fragen der inneren Sicherheit zu betreiben.
Wir haben doch erlebt, meine Damen und Herren, wie es dann, ich würde sagen, Hals über Kopf in Beratungen gehen mußte, nachdem die innere Sicherheitslage im November wieder besonders prekär geworden war und der Bundesjustizminister durch die außerordentliche Justizministerkonferenz aufgefordert worden war, eine Formulierung vorzulegen, die die Überwachung des Verteidigerverkehrs regeln sollte. Damals hat der Bundesjustizminister sich nicht etwa davon distanziert, sondern diesen Auftrag erfüllt und der Öffentlichkeit zur Begründung dafür mitgeteilt, es „bestehe Grund zu der Annahme, daß insbesondere Anwälte, die als Verteidiger von mutmaßlichen Angehörigen einer kriminellen Vereinigung tätig sind, die ihnen vom Gesetz eingräumten Rechte dazu benutzen, um den Kontakt der Mitglieder der kriminellen Vereinigung untereinander aufrechtzuerhalten und die Begehung von weiteren Straftaten zu fördern".Damals, meine Damen und Herren, ist aus den Reihen der Koalition zu hören gewesen, daß die vom Bundesjustizminister vorgelegte Formulierung streng rechtsstaatlich sei. Der Kollege Schäfer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD, hat die Vorlage als ausgewogen und dem Rechtsstaat angemessen bezeichnet. Der Bundesinnenminister hat sie als streng rechtsstaatlich bezeichnet. Na, von all dem war nicht mehr die Rede, meine Damen und Herren, als es darum ging, im Ausschuß und im Bundestag durch Handaufheben ja zu dieser Vorlage zu sagen. Dann hat man sich schnell an die bereits vorliegende Vorlage zum Ausschluß von Verteidigern erinnert und hinterher so getan, als sei einem der Ausschuß eingefallen, um etwas Wirksameres als die Überwachung zu bekommen. Das ist doch die Tatsache in diesem Bereich.Meine Damen und Herren, wir haben der Ausschlußregelung im Dezember zugestimmt. Wir haben ihr zugestimmt, damit wenigstens die Minimallösung am 1. Januar in Kraft treten konnte, wir, die CDU/CSU-Fraktion, haben aber in weiser Voraussicht dessen, was kommen würde, bereits im Januar den Entwurf zur Verkehrsüberwachung wieder eingebracht, um das jedenfalls im parlamentarischen Beratungsgang zu haben. Dafür haben wir uns in der Sicherheitsdebatte im März einen Vorwurf des Bundesjustizministers eingehandelt, den ich heute anläßlich der eigenen Vorlage des Bundesjustizministers noch einmal vorlesen möchte. Der Bundesjustizminister hat uns damals Panikmache vorgeworfen mit den Worten:Wer die Furien der Angst, — das war sehr eindrucksvoll —des Mißtrauens, ja der Panik über unser Land jagt, um dann selbst ... in der Gloriole des Retters auftreten zu können, mag seine politische Macht, auch sein subjektives Machtgefühl, vielleicht sogar seine Chancen für seinen weiteren politischen Aufstieg festigen,
aber er tut es auf Kosten unseres Staates, auf Kosten seiner friedens- und lebensschützenden Funktion, und das ist ein hoher, ein zu hoher Preis.Soweit das Zitat.Zehn Tage später hat der Generalbundesanwalt Buback, der unmittelbaren Kontakt zu diesen Problemen hat und wahrscheinlich auch ein besseres Einsichtsvermögen besitzt, vor der Presse erklärt: „Wir haben Anzeichen dafür, daß das neue Gesetz über den möglichen Ausschluß von Verteidigern bisher nicht abschreckend gewirkt hat."Erst nach dem Überfall auf die deutsche Botschaft in Stockholm hat die Bundesregierung zu der Einsicht gefunden, daß doch wohl eine Überwachungsregelung notwendig wäre. Ich kann nur sagen: In einer so wichtigen Frage wie dieser hat sich die Bundesregierung durch Wankelmütigkeit und Konzeptionslosigkeit ausgezeichnet, aber nicht durch Klarheit und durch politischen Mut.
Wir haben nun den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung terroristischer krimineller Vereini-
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sondern verbreitet Angst und Unsicherheit.Es ist höchste Zeit, eine alle Probleme der inneren Sicherheit und Stabilität in unserem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat erfassende Gesamtkonzeption aufzustellen, die endlich wieder eine vorausschauende Politik und rechtzeitiges Handeln ermöglicht. Wer zu einer solchen, aus einem Gesamtkonzept abgeleiteten Politik befähigt sein will, muß natürlich bereit sein, auch das mit einzubeziehen, was mein Kollege Dregger hier am 13. März wie folgt beschrieben hat — ich zitiere wörtlich —:... innere Sicherheit hat vor allem auch eine geistige, eine moralische und eine politische Dimension.
Diese Dimension müssen wir ausfüllen mit dem Willen zur Erhaltung und Verteidigung unserer Freiheit und dieses Staates, der, meine Damen und Herren, der freiheitlichste ist, den es auf deutschem Boden je gab.
Die innere Stabilität und damit die innere Sicherheit sind mehr, als wir ertragen können, gefährdet durch eine geistig-politische Labilität, die sich der Werte dessen, was unsere freiheitliche Demokratie ausmacht, nicht mehr klar genug bewußt ist.
Wenn wir erst einmal nicht mehr bereit und in der Lage sind, im Inneren demokratie- und rechtsstaatsfeindlichen Ideologien und Aktivitäten zu widerstehen, entziehen wir unserer freiheitlichen Existenz und damit der inneren Sicherheit und Stabilität die Basis.
Wir werden trotz aller hysterischen Reaktionen, vor allem aus den Reihen der SPD, nicht aufhören, immer wieder die geistige Auseinandersetzung über die Grundlagen unserer freiheitlich-demokratischen Existenz herauszufordern. Es ist schon infam, wenn das SPD-Bundesvorstandsmitglied Rudi Arndt im SPD-Pressedienst deshalb von einer „Hetzkampagne der CDU/CSU" spricht, die dem Bürger weismachen wolle, terroristische Anarchistengruppen seien Ableger der SPD. Ich habe Derartiges von niemandem in der CDU und der CSU gehört, meine Damen und Herren.
— Herr Kollege Conradi, wir haben aktenkundig in den Protokollen des Bundestags, daß Herr Wehner und Jungsozialisten es waren, die Politikern der CDU/CSU Geistesverwandtschaft mit den Terroristen unterstellten. Das ist die Wahrheit!
Und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Sie jetzt wieder so reagieren, weil Sie der notwendigen geistigen Auseinandersetzung wegen der Schwierigkeiten in Ihren eigenen Reihen aus dem Wege gehen wollen.
Es geht mir nicht um das, was ich Ihnen allerdings auch nicht ersparen kann — und auch nicht ersparen will —, nämlich um die jahrelange Verharmlosung
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der Baader-Meinhof-Bande in der SPD, die den Bemühungen, den Sumpf auszutrocknen, in dem die Bande gedeihen konnte, und das geistige Umfeld zu beackern, um diese Terroristen tatsächlich isolieren zu können, im Wege gestanden hat. Das zu begreifen fällt natürlich solchen Leuten besonders schwer, denen ein CDU-Ministerpräsident „weitaus gefährlicher" für die Demokratie erscheint als die anarchistischen linksextremistischen Terroristen.
Meine Damen und Herren, mir geht es heute um Vorgänge der jüngsten Zeit, die ich nur als Versuch der Öffnung zum orthodoxen Kommunismus werten kann, als eine Entwicklung, die mehr als alles andere, mehr vor allem auch als der brutale anarchistische Terror, auf längere Sicht unsere freiheitlich-rechtsstaatliche Existenz bedrohen muß.Als das SPD-Bundesvorstandsmitglied Rudi Arndt auf einer Vorstandssitzung des SPD-Bezirks HessenSüd am 24. Mai 1975 verkündete, das Programm der DKP verstoße weder — man muß das hören — gegen das Grundgesetz noch gegen die hessische Verfassung,
und die „Diktatur des Proletariats" meine nichts anderes als Machtausübung durch parlamentarische Mehrheit, — —
Natürlich!
— Entschuldigen Sie, Herr Kollege Arndt, ich werde Ihnen an Hand dessen, was Rudi Arndt in der Folge im SPD-Pressedienst veröffentlicht hat, nachzeichnen, daß es kein Zufall gewesen ist, daß das so geäußert worden ist.
„Diktatur des Proletariats nichts anderes als Machtausübung durch parlamentarische Mehrheit" ! Meine Damen und Herren, ich mochte damals noch geneigt sein, anzunehmen, daß es sich hier um eine momentane Aktion gegen den hessischen Kultusminister Krollmann gehandelt haben könnte. Aber in der Zwischenzeit hat Herr Arndt ja seine These vorgestern im offiziellen Parteipressedienst der SPD wiederaufgenommen und sie sogar noch untermauert, Herr Kollege Arndt . Es heißt dort:Man müsse feststellen, ob der einzelne sich etwa nur zum Parteiprogramm der DKP bekenne, was 1969 ja auch von der Regierung Kiesinger als nicht gegen die Verfassung verstoßend bezeichnet worden sei,— eine glatte Unwahrheit im übrigen; zu keinem Zeitpunkt hat die Regierung Kiesinger diese Auffassung vertreten —oder ob er darüber hinaus die sich aus der kommunistischen Praxi s vor allen Dingen in der DDR, aber auch in anderen kommunistisch beherrschten Staaten ergebenden Widersprüche zur demokratischen Grundordnung billige.Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist an der Zeit, sich mit solchen Auffassungen, wie sie Herrn Arndt hier vertreten hat, näher auseinanderzusetzen, zumal da ihm bislang niemand in der SPD widersprochen hat.
Bisher hat niemals ein Zweifel bestanden, daß die DKP „die seit ihrer Gründung im Jahre 1968 bestehende verfassungsfeindliche Zielsetzung unverändert beibehalten" hat.
Ich habe jetzt aus dem Verfassungsschutzbericht von 1972 des Bundesministeriums des Innern zitiert. Wir müssen nun feststellen, daß die Äußerungen des Herrn Arndt einen Beurteilungswandel bei der SPD signalisieren, dem, wenn ich es richtig sehe, man wohl eine sensationelle und historische Bedeutung beimessen muß. Es ist sehr ernst, was ich hierzu jetzt zu sagen habe. Denn so ganz allein steht Herr Arndt mit seiner Äußerung nicht. Er selbst beruft sich auf den Kollegen Wehner, der es schon im Januar 1972 in der „Augsburger Allgemeinen" als „verfassungswidrig" bezeichnet habe, „Mitglieder einer bestimmten politischen Partei vom öffentlichen Dienst auszuschließen". Nehmen wir dazu die Erklärung des nordrhein-westfälischen Justizministers Posser vom Mai 1974 im Bundesrat. Herr Posser hat damals wörtlich ausgeführt: „Es ist doch selbstverständlich, daß ein Bewerber, der dieser neuen KPD angehört, völlig unmöglich in den öffentlichen Dienst aufgenommen werden kann." Meine Damen und Herren, verfassungswidrig ist es, ein Mitglied der DKP nur wegen seiner Mitgliedschaft nicht in den öffentlichen Dienst aufzunehmen, und es ist völlig unmöglich, jemanden aufzunehmen, der der KPD angehört. Damit wird doch deutlich, daß die demokratische Trennungslinie nicht mehr zwischen den demokratischen Parteien und der DKP, sondern zwischen dieser und der KPD verlaufen soll. Das ist das, worum es hier ging. Ich habe 1972 — —
— Herr Kollege Ehmke, wir haben sehr wohl die Fähigkeit, zu unterscheiden zwischen extremistischer verfassungsfeindlicher politischer Betätigung und Terrorismus.
Aber wenn Sie so auffällig eine Trennungslinie zwischen DKP und KPD ziehen wollen, dann kann das doch wohl nur bedeuten, daß die Programmatik der DKP anders beurteilt werden soll als die Pro-
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grammatik der KPD. Eben das kommt doch in dem zum Ausdruck, was Rudi Arndt in seinem Beitrag im SPD-Pressedienst gesagt hat. Deshalb regt uns das auf und deshalb müssen wir hier darüber sprechen. Sie haben die Möglichkeit, sich hier und heute klar und deutlich von dem zu distanzieren, was Rudi Arndt im SPD-Pressedienst von sich gegeben hat.
Meine Damen und Herren, ich habe schon 1972 den Verdacht geäußert, daß es offenbar darum gehe, aus welchen Gründen auch immer, der DKP die unbehelligte Teilnahme am politischen Leben in der Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen. Vieles, was seitdem geschehen ist, deutet in die gleiche Richtung. Das ist eine Frage, in der wir nicht übereinstimmen können, sondern wo wir in krassem Gegensatz zu diesen Auffassungen stehen und wo wir in krassem Gegensatz zu Ihnen stehen, wenn Sie sich diesen Auffassungen anschließen wollten.
Deshalb haben Sie — —
— Herr Kollege Kleinert, ich war leider nicht in der Lage, die Qualität Ihres Zwischenrufes hier festzustellen, weil ich ihn akustisch nicht mitbekommen habe.
Es ist schon ein erregender Vorgang, wenn eine Persönlichkeit von hohem politischem Rang in der SPD wie Herr Arndt, Mitglied des Bundesvorstandes, der DKP den Persilschein ausstellt, daß ihr Programm nicht gegen die Verfassung verstoße, folglich nicht verfassungsfeindlich sei, und dazu noch die unwahre Behauptung aufstellt, das sei ja schon Auffassung der Kiesinger-Regierung 1969 gewesen. Herr Kollege Ehmke, Sie wissen das aus den damaligen Kabinettsberatungen sicher sehr viel besser und haben ja die Möglichkeit, das klarzustellen.
Die Bundesregierung hat wiederholt — zuletzt bei der Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichts 1974 — öffentlich erklärt, daß die DKP nach ihrer Auffassung verfassungsfeindliche Ziele verfolge. Die Bundesregierung hält an dieser Auffassung fest.Ich wäre sehr froh, wenn die Bundesregierung, die SPD-Fraktion und die FDP-Fraktion hier im Bundestag sich dazu ebenso klar äußerten, sich insbesondere äußerten zu den Äußerungen des Herrn Rudi Arndt.
— Das würde uns erheblich beruhigen können. — Ich sage das, weil hier eine Frage aufgetaucht ist, bei der es um unser Verständnis von diesem freiheitlich-demokratischen Staat und von den Grenzen politischer Betätigung in diesem freiheitlich-demokratischen Staat geht.
— Wenn diese Auffassung, das sage ich Ihnen, die Auffassung von SPD und FDP werden würde, würde sich für uns die Verbotsfrage aktuell neu stellen müssen. Das ist die Situation.
Ich glaube, es ist schon ein wichtiger Punkt. Lassen Sie mich deshalb doch noch einige Worte darauf verwenden.
— Vielleicht ist es Ihnen entgangen, daß ich den Zusammenhang der Gesamtthematik hergestellt habe, Herr Kollege Dürr. Nur ist es so — und hier zeigt sich eben Ihre Empfindlichkeit immer wieder an derselben Stelle —: wenn wir auf die Grundladen der inneren Stabilität, der inneren Sicherheit, auf die Fragen der geistigen Auseinandersetzung zu sprechen kommen, dann reagieren Sie allergisch. Das deutet nur auf die Schwierigkeiten hin, die Sie in Ihren eigenen Reihen in diesen Fragen haben. Sie haben es ja in den letzten Tagen bei der Beratung der Entwürfe gemerkt, die heute hier vorliegen.Es ist ein erregender Vorgang — ich sage es noch einmal —, wenn in der SPD eine Tendenz um sich greift, nicht mehr das Parteiprogramm der DKP, sondern nur noch die Widersprüche, wie Herr Arndt es formuliert hat, zur demokratischen Grundordnung in der kommunistischen Praxis, vor allem in der DDR, als verfassungsfeindlich anzusehen, also nur noch die Identifikation der DKP mit dem SED-Regime in der DDR. Das würde doch bedeuten: wenn die DKP bereit ist, etwa nach Art der KPI, eine größere Unabhängigkeit von SED und KPdSU zu entwickeln, dann soll sie die von ihr angestrebte Rolle als Ordnungsfaktor am linken Rande des demokratischen Parteienspektrums übernehmen dürfen.
Das würde, Herr Kollege Arndt, der Auffassung Ihres Parteifreundes, des ehemaligen stellvertretenden Juso-Vorsitzenden Karsten Voigt, entsprechen, der eine — ich zitiere wörtlich — „verstärkte Notwendigkeit einer international abgestimmten sozialistischen Strategie" betont hat, in die „auch diejenigen sozialistischen und kommunistischen Parteien einzubeziehen" seien „wie die KPI und die KPF, die für den Erfolg einer derartigen internationalen demokratisch-sozialistischen Strategie von Relevanz sind". So wörtlich Karsten Voigt. Und in Verfolg dieser Linie ist die derzeitige Juso-Vorsitzende Wieczorek-Zeul am 5. Mai dieses Jahres
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mit Renzo Imbeni, dem Nationalsekretär des Bundes Junger Italienischer Kommunisten, zusammengetroffen, um mit ihm, wie es hieß, „allgemeine Fragen und gegenseitige Interessen zu diskutieren".
Interessant ist, daß das im italienischsprachigen Gastarbeiterfunk bekanntgegeben worden ist und nicht über die allgemeinen Nachrichten. Wir möchten wissen, was die Bundesregierung, die Koalitionsfraktionen oder auch die FDP als Partei zu dieser Beurteilung innerhalb der SPD zu sagen haben.Der Verfassungsschutzbericht, den der Bundesinnenminister kürzlich für das Jahr 1974 vorgelegt hat, macht deutlich — wenn auch in etwas verklausulierten Redewendungen —, wo die Gefahr liegt. Ich darf das zum Abschluß wörtlich zitieren:Die Gefährdung der inneren Sicherheit durch Linksextremisten— dazu gehört auch die DKP —wird sich auch künftig in engen Grenzen halten, wenn die Bereitschaft demokratischer Kräfte zur Gegenwehr in politischen und gesellschaftlichen Organisationen, insbesondere in den Gewerkschaften sowie innerhalb der Jugend und der Studentenschaft, wächst.Das heißt: Sie wird sich nur dann in engen Grenzen halten, wenn diese Voraussetzung — die offenbar zur Zeit als nicht gegeben angesehen wird — künftig vorliegen wird. Ich glaube, hier wird sehr deutlich, wo der Bundesinnenminister die Gefahren sieht.Es heißt dann weiter:Voraussetzung dafür ist ferner, bei sozialistisch orientierten nichtkommunistischen Vereinigungen die Erkenntnis zu wecken,— bei „sozialistisch orientierten nichtkommunistischen Vereinigungen" ; meine Damen und Herren, ich frage mich, wo es außerhalb der SPD nennenswerte sozialistisch orientierte nichtkommunistische Vereinigungen gibt, und warum das nicht deutlich angesprochen wird —daß eine Zusammenarbeit mit Kommunisten erfahrungsgemäß deren revolutionäre Ansätze fördert, die eigene politische Position jedoch schwächt.Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist gut, wenn wir uns bei allen Fragen zur inneren Sicherheit immer wieder bewußt sind, daß es nicht nur darum gehen kann, ein administratives, ein gesetzliches Instrument zur Verfügung zu haben, sondern daß es immer auch darum geht, aus welchem Geist heraus, aus welcher Haltung heraus diese unsere freiheitliche Ordnung, die innere Sicherheit, die innere Stabilität unseres Landes gewährleistet werden sollen, aus welchem Geist heraus die freiheitliche Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland verteidigt wird.
Meine Damen und Herren, zur Begründung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Bundesrechtsanwaltsordnung — Drucksache 7/3729 — hat 'das Wort der Herr Abgeordnete Gnädinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Voraussage, der Abgeordnete Friedrich Vogel werde den Gesetzentwurf seiner Fraktion begründen, hat sich als offensichtliche Fehlmeldung herausgestellt; denn das, was hier vorgetragen worden ist, war ein Brei, der alle möglichen Dinge zusammenfaßt und mir nicht sehr gut schmecken mag.
Was Ihre Zerrissenheit angeht, möchte ich auf das Papier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Überwachung von Anarchistenverteidigern hinweisen, insbesondere auf die Ausführungen von Herrn Justizminister Theisen. Dort finden Sie in der Tat dokumentarisch niedergelegt, wie unterschiedlich die Auffassungen ,der Opposition zu dieser Frage sind.
— Herr Carstenz, ich möchte mich jetzt darauf beschränken.
— Ich kann das gern vorlesen. Dort steht: Die beschlossene Änderung der Strafprozeßordnung sollte zeitlich begrenzt sein. — Sie schlagen also ein Maßnahmegesetz vor: die Strafprozeßordnung nur für einen gewissen Zeitraum, nämlich für die Dauer des Baader-Meinhof-Prozesses, zu ändern und nachher wieder auf die alte Strafprozeßordnung zurückzugehen.
Das ist sehr unterschiedlich gegenüber dem, was aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sonst vorgetragen wird. — Herr Reddemann, auf das, was Sie sagen, gehe ich sowieso nicht ein.
Herr Präsident, ich möchte jetzt tatsächlich den von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straf-
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Gnädingergesetzbuches, der Strafprozeßordnung und anderer Gesetze für die Koalitionsfraktionen begründen.
Dieser Gesetzentwurf richtet sich erklärtermaßen gegen alle, die Mitglieder und Helfer einer kriminellen Vereinigung sind. Bevor ich darlege, welche gesetzlichen Maßnahmen in dem vorliegenden Initiativentwurf vorgeschlagen werden und warum wir diese Maßnahmen für notwendig, aber auch für ausreichend halten, möchte ich einige einleitende Bemerkungen machen.Zunächst ein Wort zur Erscheinungsform der terroristischen Vereinigungen, mit denen wir es heute in unserem Lande zu tun haben. Es ist ganz offenbar, daß die terroristischen Gewalttäter ihre Aktivitäten gesteigert haben und nun auch mittels Geiselnahme die Befreiung von Gewalttätern aus den Gefängnissen betreiben. Das haben insbesondere die Ermordung des Berliner Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann, die Entführung von Peter Lorenz, aber auch der Anschlag auf die deutsche Botschaft in Stockholm gezeigt. Zur Erscheinungsform des heutigen Terrorismus gehört auch, daß sowohl die Inhaftierten untereinander in engem Kontakt stehen als auch eine Kommunikation zwischen inhaftierten und auf freiem Fuß befindlichen Terroristen besteht. Die sich daraus ergebenden Möglichkeiten, aus den Zellen heraus in Ruhe neue Verbrechen zu planen und die für die Durchführung von Anschlägen notwendige Aufgabenverteilung sorgfältig vorzubereiten, machen die Gefährlichkeit dieser Organisationen aus. Nach unseren Erkenntnissen wird diese Kommunikation hauptsächlich durch einige Anwälte ermöglicht, die zum Teil selbst den kriminellen Vereinigungen als Mitglieder zuzurechnen sind. Gerade die Mitwirkung einiger Anwälte ermöglichte eine hervorragende juristische Beratung der Bandenmitglieder. Die Verbindung von hoher krimineller Energie mit juristischem Sachverstand hat eine neue Form von bei uns bisher nie erfahrener Kriminalität entstehen lassen.Hinzu kommt, daß es die Anarchisten nicht nur darauf angelegt haben, Gewalttaten zu begehen, sondern daß sie ganz bewußt auch darauf aus sind, durch ihren hemmungslosen Angriff auf die Rechtsordnung die Verantwortlichen dieses Staates dazu zu verleiten, bei der Abwehr der Gefahren rechtsstaatliche Prinzipien beiseitezuschieben. Diese erwartete Reaktion soll dann die nachträgliche Begründung für die unwahren Behauptungen der Terroristen über den Zustand unseres Staates liefern. Dazu darf es nicht kommen. Wir sind entschlossen, alle rechtsstaatlichen Mittel, die zulässig sind, auszunutzen, aber wir sind ebenso entschlossen, die Grenzen des Rechtsstaates bei der Bekämpfung des Terrorismus nicht zu überschreiten. Auf diesen Erfolg warten die Anarchisten vergebens.Es ist sicher richtig — Herr Vogel hat dies ausgeführt —, daß es in erster Linie darauf ankommen wird, sich mit den Terroristen geistig auseinanderzusetzen und andererseits auch die Möglichkeiten der Polizei zu erweitern. Gerade ,die Sicherheitsbehörden bedürfen weiterhin unserer Solidariät. Es sollte jedoch ebenso klar sein, daß auch der Gesetzgeber durch entsprechende Anpassung sowohl des Strafgesetzbuches als auch der Strafprozeßordnung seinen ihm möglichen Beitrag in der Auseinandersetzung leisten muß. Dies bedeutet nicht, nach Maßnahmegesetzen zu rufen, die auf den Einzelfall gemünzt sind und daurch einen bestimmten Beigeschmack bekommen. Es bedeutet schon gar nicht, sich dem Gedanken zu verschreiben, man könne mit Gesetzgebung von Fall zu Fall Abhilfe schaffen. Ein derartiges Denken würde eine Automatik und Dynamik entfalten, die uns alle überrollen könnte. Es ist jedoch nichts Ungewöhnliches, daß gesetzliche Bestimmungen dann geändert werden, wenn sich das geltende Recht als nicht ausreichend erwiesen hat.Gerade bei Eingriffen in die Prozeßordnung ist dabei besondere Sorgfalt geboten. Intensiver als das materielle Recht ist nämlich das Verfahrensrecht ein wesentlicher Bestandteil unseres Rechtsstaates. Die Möglichkeit, einen frei gewählten, unabhängigen Verteidiger zu haben, der Anspruch auf ein faires Verfahren, der auch für Terroristen gilt, und die Chancengleichheit vor Gericht sin d elementare Grundsätze unseres Rechtsstaates und dürfen nur relativiert werden, wenn eine funktionsfähige Rechtspflege und die Sicherheit unserer Bürger nicht anders aufrechterhalten werden können.Bei den Aktivitäten der kriminellen Vereinigung ist der Kontakt zwischen den in Haft befindlichen und den in Freiheit befindlichen Terroristen von besonderer Bedeutung. Er wird nach unseren Erkenntnissen weitgehend von Strafverteidigern wahrgenommen, von Personen also, die nach unseren Gesetzen besondere Privilegien genießen. Sie können unbeaufsichtigt mit ihren Mandanten Gespräche führen und können unzensiert ihren Briefverkehr abwickeln. Diese Vorteile machen es leicht, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Ich sage hier mit allem Nachdruck: Wir sind aus rechtsstaatlichen Erwägungen und im Sinne der Ermöglichung einer angemessenen Verteidigung eines jeden Beschuldigten weiterhin für diese Privilegien. Aber wir meinen gleichzeitig, daß dort, wo diese Vorteile mißbraucht werden, wo sich ein Verteidiger bereit findet, an der Fortsetzung der kriminellen Vereinigung mitzuwirken, entschieden Einhalt geboten werden muß.In diesem Zusammenhang bleiben wir bei unserer Auffassung, daß die Ausschließung des Verteidigers das wirksamste und nachhaltigste Mittel zur Unterbrechung dieses Kontaktes bleibt.Für rechtsstaatlich bedenklich halten wir jedoch nach wie vor den Ausschlußtatbestand der Verfahrenssabotage. Denn wer will die Frage beantworten, wo eine alle legalen Mittel ausnützende und dadurch unbequeme Verteidigung vor Gericht aufhört und wo die sogenannte Verfahrenssabotage beginnt? Gerade der schwere Eingriff des Ausschlusses eines Anwalts verlangt klare und eindeutige Tatbestände. Darüber hinaus ist anzumerken, daß die zu Beginn dieses Jahres neu in Kraft getretenen Bestimmungen über die Strafprozeßordnung an mehreren Stellen Vorsorge getroffen haben, daß ein Prozeß nicht unter Mißbrauch der Rechte des Anwalts verschleppt
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Gnädingerwerden kann. Aus all diesen Gründen finden Sie den von der Fraktion der CDU/CSU und der Mehrheit des Bundesrats gemachten Vorschlag einer Einführung des Ausschlußtatbestandes der Verfahrenssabotage nicht in unserem Initiativgesetzentwurf.Bevor die Koalitionsfraktionen diesen Entwurf eingebracht haben, haben wir die entsprechenden Gerichtsbeschlüsse zu den bereits erfolgten Verteidigerausschlüssen sorgsam studiert. Wir haben auch die Aktivitäten des jetzt untergetauchten Rechtsanwalts Haag im Zusammenhang mit dem Anschlag auf unsere Stockholmer Botschaft zur Kenntnis genommen. Wir alle wissen, daß sich im Zusammenhang mit dem Überfall auf die Botschaft, Inhaftierte, die mittels dieses Anschlags befreit werden sollten, auf die Freilassung vorbereitet haben, also zuvor über den Gewaltakt unterrichtet waren.All dies zeigt, daß die Kommunikation unter den Bandenmitgliedern nicht nur besteht, sondern daß sie jetzt ein Ausmaß angenommen hat, das in der Tat als eine neue Situation zu beurteilen ist. Die Koalitionsfraktionen zögern nicht, sich auf diese Situation einzustellen.
- Neben die Möglichkeit des Verteidigerausschlusses, Herr Eyrich, muß daher, allerdings mit anderen Voraussetzungen, als Opposition und Bundesrat dies vorschlagen, die Möglichkeit der Überwachung des Kontakts zwischen Verteidiger und Inhaftierten treten, dies jedoch nicht im Sinne einer allgemeinen Überwachungsregelung, wie sie z. B. vom Bundesrat vorgeschlagen wird, die dann Platz greifen soll, wenn der Verdacht von Straftaten aller Art vorliegt. Wir meinen, der Anwendungsbereich für eine Überwachungsregelung muß enger gefaßt werden und kann nur greifen, wenn dem Beschuldigten die Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird. Allerdings sind wir auch der Meinung, daß innerhalb dieses sehr engen Anwendungsbereiches die Wirkung der Überwachung gesteigert werden muß. Es muß Schluß damit sein, daß Pläne für neue Verbrechen, nur weil sie die Aufschrift „Verteidigerpost" tragen, ungehindert passieren können. Ich habe Anlaß, zu sagen, daß dies die einheitliche Auffassung meiner Fraktion darstellt.Ich habe soeben von dem neuen Tatbestand einer terroristischen Vereinigung gesprochen. Vereinigungen, deren Gefährlichkeit dadurch gekennzeichnet ist, daß ihre Zwecke und Tätigkeiten auf die Begehung schwerster Delikte gerichtet sind, sollten in Zukunft einer größeren Strafandrohung unterliegen. Deshalb sind wir der Meinung, daß für solche Vereinigungen ein besonderer Straftatbestand geschaffen werden muß.Eine weitere Vorschrift im Gesetzentwurf dient der besseren Aufklärung von Straftaten terroristischer Vereinigungen. Die besonderen Schwierigkeiten bei der Verfolgung von Terroristen in einem Lande, in dem sich jeder fast jedes beliebige Hilfsmittel leicht kaufen kann, sind bekannt. Der Gesetzentwurf macht den Versuch, einen Beitrag zur Beseitigung des Ermittlungsnotstands zu leisten. DieAufklärung der Straftat von kriminellen Vereinigungen ist ohne die Mitwirkung von Mittätern in manchen Fällen unmöglich. Der Entwurf sieht daher vor, daß solche Beteiligten milder bestraft werden oder daß bei ihnen gar von Strafe abgesehen wird, wenn sie wesentlich dazu beigetragen haben, daß die Tat aufgeklärt oder Rädelsführer und Hintermänner ergriffen werden konnten.Einem praktischen Bedürfnis entspricht es, wenn der Entwurf vorsieht, die Zuständigkeit für die Verfolgung von Straftaten einer terroristischen Vereinigung beim Generalbundesanwalt zu konzentrieren.Mit der vorgeschlagenen Einführung des Straftatbestands der terroristischen Vereinigung sind zwei weitere Gesetzesveränderungen verbunden. Sie beziehen sich auf das Haftrecht und auf die Anzeigepflicht für diejenigen, die von einer bevorstehenden strafbaren Handlung erfahren. Die Verhängung von Untersuchungshaft für Beteiligte einer terroristischen Vereinigung wird so geregelt, wie dies heute schon im Falle der Beschuldigung eines Mordes gegeben ist.Der Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion und der Mehrheit des Bundesrats, auch bei der einfachen kriminellen Vereinigung, also z. B. bei Hehlerringen, zu einer Verschärfung des Haftrechts zu kommen, erscheint uns als zu weitgehend. Eine derartige Automatik bei der Verhängung von Untersuchungshaft würde uns in Konflikt mit der Unschuldsvermutung der Menschenrechtskonvention bringen.Die vorgeschlagene Erstreckung der Anzeigepflicht auf bevorstehende Aktivitäten im Sinne einer terroristischen Vereinigung erscheint geboten. Dies geschieht in der Absicht, den Kreis der Mitwisser terroristischer Vereinigungen zu veranlassen, die bisher durch Schweigen gewährte Deckung zu entziehen.Ein letzter Hinweis gilt der im Entwurf vorgesehenen Möglichkeit, innerhalb der anwaltschaftlichen Ehrengerichtsbarkeit durch rasche und tatangemessene Reaktion auf Fehlverhalten von Verteidigern antworten zu können.Nachdem ich in großen Zügen, wie es einer ersten Lesung angemessen ist, die Einzelpunkte der Ihnen vorliegenden Gesetzesinitiative erläutert habe, möchte ich einige abschließende Bemerkungen machen.Der Initiativgesetzentwurf stellt keine Wunderwaffe gegen den Terrorismus dar und wird auch nach Verabschiedung dieser Vorschläge — in welcher Form auch immer — Konspiration nicht mit letzter Sicherheit ausschließen. Wir sind aber der Meinung, daß das gesetzgeberisch Notwendige und das rechtsstaatlich Zulässige getan werden muß. Wir entziehen damit jenen den Boden, die auf den Gedanken kommen könnten, verfassungsrechtlich Bedenkliches vorzuschlagen.Gegen die Vorschläge, insbesondere gegen die beabsichtigte Einführung der Überwachung des mündlichen Verteidigergesprächs, sind in der Öffentlichkeit sowohl von Einzelpersonen als auch von Verbänden zum Teil erhebliche Bedenken geltend ge-
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Gnädingermacht worden. Ich habe darzulegen versucht, warum wir die Schaffung von Möglichkeiten vorgeschlagen haben, die dazu beitragen können, den unmöglichen Zustand zu beenden, daß aus unseren Gefängnissen heraus Verbrechen weiterhin geplant werden.All denen aber, die besorgt sind, darf ich versichern, daß ihre Auffassungen bei den nun beginnenden Beratungen der Ausschüsse des Deutschen Bundestages mit einbezogen werden. Sowohl die Notwendigkeit als auch die Wirksamkeit der einzelnen zu schaffenden gesetzlichen Möglichkeiten werden dabei von uns noch einmal sorgfältig geprüft werden. In dem Bemühen, das wirksamste Gesetz zu schaffen, werden wir uns von niemandem übertreffen lassen.
Die Koalitionsfraktionen, meine Damen und Herren, stimmen der Überweisung aller Entwürfe an die zuständigen Ausschüsse zu. Wir würden es sehr begrüßen, wenn die Initiative von SPD und FDP Beratungsgrundlage wäre. Denn die von der Opposition und der Bundesratsmehrheit vorgeschlagenen Maßnahmen sind zum Teil in ganz erheblichem Maße bedenklich und können daher nicht zum Ausgangspunkt der weiteren Beratungen gemacht werden.
Meine
Damen und Herren, zur Begründung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung — Drucksache 7/3649 — hat als Mitglied des Bundesrats der Herr Staatsminister der Justiz des Freistaates Bayern, Hillermeier, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der inneren und äußeren Verbindung der hier zur Beratung stehenden Entwürfe ließ es sich von der Sache her nicht vermeiden, daß schon zu dem einen oder anderen Punkt und auch zu dem, was ich hier im Namen der Bundesratsmehrheit zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung zu sagen habe, einige Ausführungen gemacht wurden. Gleichwohl glaube ich, daß gerade sowohl von der Entstehungsgeschichte all dieser Bemühungen als auch vom Inhalt der Entwürfe her — nämlich des Unionsentwurfs bzw. des Entwurfs des Bundesrats und des heute in erster Lesung beratenen Entwurfs der Bundestagsfraktionen der SPD und der FDP — so gravierende Unterschiede bestehen, daß der Bundesrat hierzu noch einmal eine eigene Stellungnahme abgeben muß.Meine sehr verehrten Damen und Herren des Hohen Hauses! Ich möchte eingangs einige Bemerkungen dazu machen, was der Hintergrund, was das Motiv der gesetzgeberischen Initiative des Bundesrats war, nämlich schlicht und einfach zu verhindern, daß mit Hilfe von Strafverteidigern die Sicherheit und Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflegegefährdet wird. Deshalb wurde am 21. Februar 1975 auf Antrag der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein vom Bundesrat dieser Entwurf beschlossen. Er ist in seiner Zielsetzung eng verwandt mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung terroristischer krimineller Vereinigungen der Fraktion der CDU/CSU, den Sie soeben in erster Lesung behandelt haben. Ich gestatte mir, doch noch einmal in aller Bescheidenheit darauf hinzuweisen, daß die Bayerische Staatsregierung zuvor im Bundesrat einen entsprechenden, inhaltsgleichen Gesetzentwurf eingebracht hatte und daß mit diesem Entwurf die meisten der in den Entwürfen der Bundesregierung und der Fraktionen der SPD und FDP enthaltenen Rechtsänderungen erstmals schon vorgeschlagen wurden. Es geht uns, meine Damen und Herren, darum, mit diesen Entwürfen die Gefahren abzuwehren, die von den Angriffen des radikalen Terrorismus auf unsere freiheitliche, rechtsstaatliche Ordnung und unsere freie Gesellschaft ausgehen. Ich freue mich, feststellen zu dürfen, daß die von uns seit Jahren erhobenen Forderungen wenigstens teilweise Eingang in die Gesetzentwürfe gefunden haben, die die Bundesregierung und die Fraktionen der SPD und der FDP in ,den letzten Tagen beschlossen haben. Ich muß allerdings einige Verwunderung, sehr verehrter Herr Kollege Gnädinger, darüber zum Ausdruck bringen, daß Sie eben die Meinung geäußert haben, erst jetzt habe sich eine neue Situation ergeben und die Koalitionsfraktionen hätten jetzt sozusagen spontan darauf reagiert.
Die Situation war doch schon längst da.
Wenn ich Sie, Herr Kollege Gnädinger, daran erinnern darf, daß die Bundesregierung schon in ihrer eigenen Dokumentation vom 29. November 1974
festgestellt hat, daß eine Kommunikation zwischen den einzelnen Haftanstalten besteht und daß offensichtlich auch ein Kommunikationssystem aus den Haftanstalten heraus besteht, dann hört sich diese Feststellung doch etwas wunderlich an — um es nicht mit einer anderen Formulierung zu bedenken.
Der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrats trägt der neuen kriminellen Wirklichkeit Rechnung, daß der Zusammenhalt krimineller Banden eben nicht an den Gefängnistoren endet. Alle Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit sprechen dafür, daß aus den Zellen der Haftanstalten heraus Befehle und andere Instruktionen an die Bandenmitglieder überbracht werden, Nachrichten in die Gefängnisse eingeschmuggelt werden und die innere Struktur krimineller Vereinigungen über die Mauer der Vollzugsanstalten hinaus aufrechterhalten wird.Als Mittelsmänner dienten — so besteht der dringende, inzwischen bestätigte Verdacht — auch ein-
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Staatsminister Dr. Hillermeier
zelne Verteidiger, die als Organe der Rechtspflege besondere Rechte und Pflichten haben.Wer die neuesten Gerichtsentscheidungen über den Ausschluß von Verteidigern liest, meine Damen und Herren, der wird hier reiches Anschauungsmaterial vorfinden.Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verlangt der Bundesrat zunächst gewisse Verbesserungen der Regelungen über die Ausschließung von Verteidigern, die durch das Gesetz zur Ergänzung des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts in die Strafprozeßordnung eingeführt wurden. Vor allem zähle ich hierzu den Vorschlag, Strafverteidiger auszuschließen, die die Sicherheit von Vollzugsanstalten gefährden oder ihre Ordnung erheblich beeinträchtigen.Die in dem jetzt gültigen Ergänzungsgesetz enthaltenen Regelungen sind nach unserer Meinung jedoch unzureichend.Der Bundesrat wünscht darüber hinaus, daß ein Verteidiger dann von der Mitwirkung in einem Verfahren auszuschließen ist, wenn er mit rechtswidrigen Mitteln die geordnete Durchführung der Hauptverhandlung absichtlich und gröblich gefährdet, sofern die Ausschließung erforderlich ist, um weiteren Gefährdungen zu begegnen. Herr Kollege Gnädinger, ich verstehe deshalb Ihre Zweifel nicht, die Sie im Hinblick auf die Vereinbarkeit dieses Entwurfes mit der Rechtsstaatlichkeit geäußert haben; denn es ist expressis verbis zum Ausdruck gebracht, daß es selbstverständlich nur um den Mißbrauch geht, bei dem rechtswidrige Mittel eingesetzt werden.Die Bundesregierung hat uns in ihrer Gegenäußerung zu diesem Punkt vorgeworfen, wir wünschten einen schillernden — so ist es formuliert — und vielschichtigen Begriff der Verfahrenssabotage ins Gesetz einzuführen. Meine Damen und Herren, ich bin der Überzeugung, daß wir eine klare und sauber abgegrenzte Definition gefunden haben, die an die Verwendung rechtswidriger Mittel durch den Verteidiger mit dem Zweck, das Verfahren zum Scheitern zu bringen, anknüpft. Ich kann mir schwer vorstellen — lassen Sie mich dies in aller Deutlichkeit sagen —, daß die Bundesregierung weiterhin die Gerichte gegenüber Ausschreitungen im Sitzungssaal hilflos stellen, Zeugen sanktionslos offenen Bedrohungen aussetzen oder eine Kompromittierung der Rechtspflege durch ständige Mißachtung prozeßrechtlicher Vorschriften hinnehmen will, wenn diese Angriffe von Verteidigern ausgehen. Wir gehen nicht so weit, Prozeßstrafen gegen Verteidiger zu fordern, wie sie etwa in dem zweifellos rechtsstaatlichen angloamerikanischen Rechtskreis an der Tagesordnung sind. Aber wir wollen auch nicht zulassen, daß einzelne Verteidiger mit dem gerichtlichen Verfahren unsere freiheitliche Rechtsordnung insgesamt herabsetzen und in den Augen unseres Volkes ad absurdum führen.
Meine Damen und Herren, der eigentliche Schwerpunkt des Gesetzentwurfes des Bundesrates liegt indessen bei dem Vorschlag, die gesetzliche Möglichkeit zu schaffen, daß der schriftliche und mündlicheVerkehr des Beschuldigten mit dem Verteidiger durch einen Richter überwacht wird. Der Entwurf des Bundesrats sieht hierfür genaue rechtsstaatliche Umgrenzungen vor. Er knüpft die Anordnung zur Überwachung des Verkehrs an ein geordnetes Verfahren. Vor allem bindet er die Überwachung an die Voraussetzung, daß der Verteidiger selbst in dem Verdacht steht, den Verkehr mit dem Beschuldigten zur Begehung einer schweren in § 100 a StPO bezeichneten Straftat zu mißbrauchen. Wir meinen auch, daß insoweit unser Entwurf geeigneter ist, die Überwachungsmaßnahmen von seriösen Strafverteidigern fernzuhalten, als der kürzlich vorgelegte Gesetzentwurf der Bundesregierung und der Fraktionen von SPD und FDP, der lediglich auf den gegen den Beschuldigten bestehenden Tatverdacht abstellt. Andererseits scheint es uns ungenügend, wenn nach den Entwürfen der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen eine Überwachung nur möglich sein soll, wenn eine Straftat nach dem geplanten § 129 a des Strafgesetzbuches Gegenstand der Untersuchung ist. Der Schutzbereich einer solchen Vorschrift wäre einfach zu eng. Er klammert insbesondere den Bereich der Staatsschutzstraftaten von einer Überwachungsmöglichkeit aus. Dies erscheint uns nicht richtig.Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, in diesem Zusammenhang ein Wort an die deutsche Anwaltschaft zu richten. Es geht uns nicht um eine Einschränkung der Rechte der Strafverteidiger, die in ihrer überwältigenden Mehrheit ihren Beruf integer und in Übereinstimmung mit den Gesetzen ausfüllen. Wir streben nicht an, das intime Gespräch des Verteidigers mit seinen Mandanten der Schnüffelei auszusetzen, um etwa auf diese Weise Belastungsmaterial für die Hauptverhandlung zu erhalten. Daher sieht unser Entwurf ein Verwertungsverbot für solche Kenntnisse dés überwachenden Richters vor, die mit den den Anlaß der Überwachung bildenden Tatsachen nicht in Zusammenhang stehen. Es geht uns also nicht um eine Überwachung des Inhalts und der Strategie der Verteidigung durch das Gericht, sondern darum, daß das Menschenmögliche getan wird, um Leib und Leben unserer Bürger zu schützen. Es geht uns um Vorkehrungen gegen konspirativ arbeitende Gesetzesbrecher und um nichts anderes.
Gegen eine Überwachungsregelung ist auch eingewendet worden, sie könne — und dies ist heute wiederholt worden — kein wirksames Gegenmittel gegen die Praktiken gewitzt arbeitender Strafverteidiger darstellen, da sich diese z. B. im Gespräch oder Schriftverkehr eines Codes bedienen könnten. Meine Damen und Herren, wir dürfen doch davon ausgehen, daß Richter, denen die Aufgabe der Überwachung übertragen wird, alle Informationen erhalten müssen, die zur Erfüllung ihrer schweren Aufgabe nötig sind. Es sollen nach unserem Entwurf auch die hierzu geeigneten Richter durch das Präsidium des Oberlandesgerichts für dessen Bezirk bestellt werden, ein Vorschlag, den man in dem jüngsten Entwurf der Bundesregierung und der Fraktionen der SPD/FDP ebenfalls vermißt.
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Staatsminister Dr. Hillermeier
Meine Damen und Herren, wir waren wiederholt Zeuge, wie die Solidarität der Demokraten bei der Wahrung der inneren Sicherheit beschworen wurde. Wir bejahen sie uneingeschränkt. Wenn aber gerade im Zusammenhang mit der von uns vorgeschlagenen Sicherheitsüberwachung von Verteidigern, wie jetzt vor wenigen Tagen auf dem rechtspolitischen Kongreß der SDP in Düsseldorf — ich muß noch einmal darauf zurückkommen —, davon gesprochen wird, es handle sich bei unserem Vorhaben um eine „Back-lash"-Bewegung im Rechtsbereich oder um „eilig zusammengezimmerte Adhoc-Gesetze", oder wenn gar Zweifel an unserem entschiedenen Willen zur rechtsstaatlichen Ordnung geäußert werden, so verträgt sich das doch wohl schlecht mit dieser viel beschworenen Solidarität der Demokraten.
Was wir aus Düsseldorf gehört haben, muß ebenso wie der jüngste Beschluß des Bezirksparteitages Südbayern der SPD, in dem die Vorschläge für eine Sicherheitsüberwachung von Verteidigern als verfassungswidrig bezeichnet wurden, bei uns den Eindruck erwecken — ein Eindruck, der schon immer vorhanden war und bisher nicht getilgt wurde, weder von seiten der Bundesregierung noch von seiten der Koalition —, daß bei ihnen nach wie vor tiefgreifende Meinungsunterschiede in der Sache vorliegen,
die durch die Beschwörung der Solidarität der Demokraten nicht verdeckt werden können und dürfen.Als die Justizminister und -senatoren nach dem Mord an dem Präsidenten des Kammergerichts am 14. und 15. November 1974 einstimmig verlangten, es solle eine Überwachung des Verkehrs des Verteidigers mit dem Beschuldigten bei Gefahr konspirativen Zusammenwirkens vorgenommen werden, hat zwar das Bundeskabinett am 27. November 1974 eine entsprechende Formulierungshilfe für den Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages beschlossen. Aber schon im Dezember, also wenige Tage später, wurde die Bundesregierung von den Koalitionsfraktionen bei der Beratung des Ergänzungsgesetzes zum Ersten Strafverfahrensreformgesetz — ich kann dies nicht anders formulieren — desavouiert. Die CDU/CSU-Fraktion und die Bundesratsmehrheit sahen sich in der unangenehmen Lage, dem Gesetz trotz schwerer Bedenken ihre Zustimmung geben zu müssen, um wenigstens das zeitgerechte Inkrafttreten einer Minimallösung zu sichern. Die von uns schon damals für richtig gehaltene Lösung wurde mit dem Entwurf weiterverfolgt, den wir heute beraten.Nachdem uns die Ereignisse leider in bedrückender Weise recht gegeben haben, hat die Justizministerkonferenz von Anfang Mai dieses Jahres — wiederum mit einer überzeugenden Mehrheit, auch mit wesentlichen Stimmen aus dem Lager der SPD/FDP-regierten Länder — unter dem frischen Eindruck des Terroranschlags in Stockholm nochmals die Einführung einer Überwachungsregelung verlangt. Ich stelle hier mit einiger Befriedigung fest, daß derHerr Bundeskanzler und der Herr Bundesminister der Justiz mit uns, jedenfalls im Grundsatz, einig gehen, daß eine Überwachungsregelung notwendig ist. Die skeptischen Stimmen, die auf dem schon erwähnten rechtspolitischen Kongreß der SPD in Düsseldorf von prominenter Seite laut geworden sind, legen freilich die besorgte Frage nahe, wieweit die Bundesregierung bei ihren Bestrebungen aus ihren eigenen Reihen abermals im Stich gelassen werden wird.Meine sehr verehrten Damen und Herren, um den Zickzackkurs, den die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen in diesem Bereich gegangen sind, zu verdeutlichen, darf ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten den Sprecher des Bundesjustizministeriums aus der Veröffentlichungsreihe „Das Recht" vom 15. Mai 1975 zitieren, in der zum bayerischen Gesetzentwurf zur verschärften Bekämpfung terroristischer krimineller Vereinigungen Stellung genommen wird. Hier wird ausgeführt:Scharf zurückgewiesen werden muß aber der durchsichtige Versuch, solche Initiativen mit unbegründeten Vorwürfen gegen die sozialliberale Koalition zu verbinden und damit der Gesetzesinitiative zusätzliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Wäre es der Bayerischen Staatsregierung ernst mit ihrem Bemühen— so heißt es hier —um eine Verbesserung des Schutzes gegen terroristische Gewalttäter und ihre Sympathisanten, dann sollte sie ihre gesetzgeberischen Vorschläge nicht mit einem publizistischen Tamtam garnieren, das Gräben aufreißt und der Klärung dieser Frage keinesfalls förderlich ist.
Nun, da muß man doch, meine sehr verehrten Damen und Herren, die berechtigte Frage stellen: Ist dies immer noch die Meinung der Bundesregierung? Wenn ja, dann ist es tieftraurig, wenn nein, müßte sie darangehen, ihre Sprecher besser zu informieren.
Ich kann zwar verstehen, daß die Bundesregierung einigen Arger darüber empfindet, daß die Bayerische Staatsregierung — nicht zum erstenmal — und die Unionsfraktionen der Bundesregierung zuvorgekommen sind, aber offensichtlich — dies geht doch aus dieser sehr hochmütig
abgefaßten Bemerkung deutlich hervor — scheint die Bundesregierung nach der Devise zu handeln: Gut ist eben nur, was von uns selbst vorgelegt wird. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist doch ein sehr merkwürdig verklemmtes Demokratieverständnis.
Lassen Sie mich abschließend in dieser ernsten Situation noch einmal darauf hinweisen, daß wir alle miteinander zwingend daran mitarbeiten sollten, daß die Solidarität der Demokraten bei der
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Staatsminister Dr. Hillermeier
Wahrung der rechtsstaatlichen Ordnung und der inneren Sicherheit in der Bundesrepublik kein Lippenbekenntnis bleibt, sondern durch Taten bestätigt wird. Ich darf das Hohe Haus bitten, nach diesen Grundsätzen zu handeln.
Meine
Damen und Herren, zur Begründung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Strafverfolgung krimineller Vereinigungen — Drucksache 7/3734 — hat das Mitglied des Bundesrates, der Herr Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Posser, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesrat hat am 25. April dieses Jahres beschlossen, den Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Strafverfolgung krimineller Vereinigungen im Deutschen Bundestag einzubringen. Der Gesetzentwurf geht auf einen Antrag der Regierung des Landes NordrheinWestfalen zurück. Aus diesem Grunde bin ich beauftragt worden, den Bundesrat im Deutschen Bundestag und seinen Ausschüssen zu vertreten.Bei dem Gesetzentwurf handelt es sich nicht, wie oft angenommen, um den Vorschlag, den sogenannten Kronzeugen nach angloamerikanischem Beispiel in unsere Rechtsordnung einzuführen, obwohl ich vermute, daß diese Bezeichnung des Vorschlages aus der öffentlichen Diskussion nicht herauszubringen sein wird. Sachlich zutreffender sollte man von einer Erweiterung des Anwendungsbereiches der sogenannten tätigen Reue sprechen. Tätige Reue liegt nämlich nicht nur dann vor, wenn ein Täter die Ausführung einer strafbaren Handlung freiwillig aufgibt, also vom Versuch zurücktritt; vielmehr ist bei einem Organisationsdelikt wie der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung als tätige Reue auch die Verhinderung des Fortbestehens der kriminellen Vereinigung oder die Verhinderung weiterer geplanter Verbrechen anzusehen. Die vorgeschlagene Regelung lehnt sich deshalb auch folgerichtig an bereits bestehende und vergleichbare Vorschriften im deut sch en Strafgesetzbuch und in der deutschen Strafprozeßordnung an.Der Regelung liegen im wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde. Die Ergreifung und Überführung anarchistischer Gewalttäter, die Mitglieder einer kriminellen Vereinigung sind, hat sich insbesondere in jüngster Zeit als außerordentlich schwierig erwiesen. In einigen Fällen scheint der bestehende Ermittlungsnotstand nur durch einen Aufklärungsbeitrag von Mitgliedern der kriminellen Vereinigung behoben werden zu können. Der Gesetzentwurf soll daher für die Mitglieder besonders gefährlicher krimineller Vereinigungen einen Anreiz dafür schaffen, bei der Sachaufklärung mitzuwirken.Auf diese Weise soll einmal die Verwirklichung des staatlichen Strafanspruches gegen die übrigen Mittäter ermöglicht werden. Gleichzeitig soll aber auch durch die Festnahme der Täter verhindert werden, daß die Mitglieder der kriminellen Vereinigung weiterhin schwerste Verbrechen begehen. Es ist imübrigen zu erwarten, daß bereits die in dem Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen zu einer Verunsicherung der Mitglieder krimineller Vereinigungen führen werden. Das gegenseitige Vertrauen der einzelnen Mitglieder, das gerade auch durch die Unbedingtheit der Strafandrohung für alle und durch die Furcht vor Ergreifung und Bestrafung gefördert wird, dürfte erheblich gemindert werden, wenn jedes Mitglied damit rechnen muß, daß ein anderes Mitglied durch seine Mitwirkung bei der Aufklärung der Tat Straffreiheit, Strafmilderung oder Befreiung von der Strafverfolgung erlangen kann.Der Gesetzentwurf soll also sowohl der Verbesserung der Strafverfolgungsmöglichkeiten und damit der Verwirklichung der materiellen Gerechtigkeit als auch der Abwehr zukünftiger schwerwiegender Straftaten dienen. Die Erwägungen des Bundesrates lassen sich danach in folgendem Satz zusammenfassen: Es ist besser, wenn e i n Mitglied einer hochkriminellen Vereinigung straffrei ausgeht oder mit einer stark ermäßigten Strafe davonkommt, als wenn alle Mitglieder der kriminellen Vereinigung unentdeckt und ungestraft bleiben und weiterhin schwere Verbrechen begehen können.Der Gesetzentwurf knüpft die Vergünstigungen, die sich das Mitglied einer kriminellen Vereinigung verschaffen kann, an folgende sehr enge Voraussetzungen:Erstens. Es muß eine kriminelle Vereinigung bestehen, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung schwerster, zumindest im qualifizierten Tatbestand mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohter Verbrechen gerichtet ist. Als solche Verbrechen werden in dem Gesetzentwurf die Straftaten des Mordes, des Totschlags, des erpresserischen Menschenraubes und der Geiselnahme genannt.Zweitens. Der Täter muß wesentlich dazu beigetragen haben, daß die Tat über den eigenen Tatbeitrag hinaus aufgeklärt werden konnte oder daß die Rädelsführer oder Hintermänner der kriminellen Vereinigung ergriffen werden konnten. Es reicht danach nicht aus, wenn sich der Aufklärungsbeitrag nur auf Mitläufer der kriminellen Vereinigung bezieht; vielmehr muß er sich auf die besonders gefährlichen Straftäter erstrecken, die für die Vereinigung eine maßgebende Rolle spielen.Drittens. Im konkreten Fall muß ein Ermittlungsnotstand vorgelegen haben, d. h. ohne den Aufklärungsbeitrag des Täters müßte die Aufklärung der Tat oder die Ergreifung der Rädelsführer oder Hintermänner wesentlich erschwert gewesen sein.Sind die genannten drei Voraussetzungen erfüllt, so kann nach dem Gesetzentwurf das Gericht an Stelle einer lebenslangen Freiheitsstrafe eine Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren verhängen, eine nicht lebenslange Freiheitsstrafe bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe mildern oder von einer Bestrafung ganz absehen.
Diese Vergünstigungsmöglichkeiten beziehen sichnicht nur auf die Straftat nach § 129 des Strafgesetzbuches, sondern auch auf die in Tateinheit damit
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Minister Dr. Posser
begangenen Straftaten. Darüber hinaus hat die Staatsanwaltschaft nach § 153 b der Strafprozeßordnung die Möglichkeit, mit Zustimmung des Gerichts von der Erhebung der öffentlichen Klage abzusehen und das Verfahren einzustellen.Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Bundesrechtsanwaltsordnung, der von den Fraktionen der SPD und der FDP eingebracht worden ist und gleichfalls heute beraten wird, soll ebenfalls die Bekämpfung terroristischer Gewalttäter erleichtern. Es freut mich, daß der Entwurf in dem von mir behandelten Teilbereich weitgehend mit Idem vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf übereinstimmt. Er weicht allerdings insoweit von ,dem Entwurf des Bundesrates ab, als der Kreis der Delikte weiter gefaßt ist. Der Entwurf der Koalitionsfraktionen knüpft bezüglich der Tätigkeit und der Zwecke der kriminellen Vereinigung auch an die Straftaten der Vergiftung und an zahlreiche gemeingefährliche Straftaten an. — Für eine solche Erweiterung gibt es gewiß gute Gründe.Der Gesetzentwurf sieht darüber hinaus — anders als der Gesetzentwurf des Bundesrates — bei Straftaten, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, nur die Möglichkeit der Strafmilderung, nicht aber die Möglichkeit des Absehens von der Bestrafung vor. Nach den Erwägungen und dem Willen des Bundesrates soll durch die von ihm vorgeschlagene Regelung ausgeschlossen werden, daß einzelne Mitglieder einer kriminellen Vereinigung andere Mitglieder zur Begehung von Straftaten veranlassen, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, um dadurch eine engere Bindung zwischen den Mitgliedern der Vereinigung herzustellen. Die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung darf, um es mit anderen Worten zu sagen, in keinem Fall von deren Rädelsführern an die „Bewährungsprobe Mord" geknüpft werden.Im übrigen ergibt sich aus dem Gesetzentwurf des Bundesrates, daß in den Fällen, in denen an sich eine lebenslange Freiheitsstrafe verwirkt ist, nur ausnahmsweise ein völliger Verzicht auf den staatlichen Strafanspruch in Betracht kommt.Ich darf es bei diesen kurzen Erläuterungen des Gesetzentwurfes bewenden lassen. Der Bundesrat würde es begrüßen, wenn das Gesetz, das nach seiner Meinung einen wichtigen Beitrag zur Festigkeit der inneren Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland leisten wird, bald verabschiedet werden könnte.
Die in den Punkten 4, 5, 6 und 7 der Tagesordnung aufgeführten Gesetzentwürfe sind begründet. Wir treten in die verbundene Debatte ein. Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer dieser Debatte zuhört, wird an mehr als einer
Stelle zweifeln, ob hier Demokraten miteinander über die Frage diskutieren, wie der von ihnen gemeinsam geschaffene Rechtsstaat in rechtsstaatlicher Weise gegen neuartige Herausforderungen geschützt werden kann. Vielmehr muß er gerade nach Ihren Ausführungen, Herr Kollege Vogel, und leider auch nach einigen Ihrer Bemerkungen, Herr Kollege Hillermeier, glauben, die Feinde des Rechtsstaates, die es zu entlarven und in erster Linie zu bekämpfen gelte, seien gar nicht primär die Terroristen, nein, nach den eigentlichen Feinden müsse zunächst in den Koalitionsparteien und vor allem in der SPD gesucht werden.
Was sollen eigentlich diese Übertreibungen? Wem hilft diese ganz unsinnige Schlachtordnung?
Herr Bundesjustizminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogel ?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gern.
Herr Bundesminister, sind Sie in der Lage, zu belegen, wo irgendwo zum Ausdruck gebracht worden ist, daß die eigentlichen Feinde in den Reihen der SPD oder der Koalitionsparteien zu suchen sind? Sind Sie in der Lage, das zu belegen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Vogel, ich bin dazu in der Lage, sobald das Protokoll über Ihre heutigen Ausführungen vorliegt, über die breiten Passagen, in denen Sie sich nicht mit dem Thema, sondern mit Darlegungen und Auffassungen zur Verfassungswidrigkeit der DKP beschäftigt haben. Die konnten nur so verstanden werden.
Ich frage noch einmal, und zwar bewußt, das ganze Haus, was sollen eigentlich diese Übertreibungen, was hilft diese ganz schiefe und deshalb unsinnige Schlachtordnung? Keiner bestreitet der Opposition das Recht zur Kritik, jeder erwartet von ihr alternative Vorschläge. Aber warum eigentlich, meine Damen und Herren von der Opposition, verdächtigen Sprecher aus Ihren Reihen immer wieder jede abwägende Prüfung, jeden Zweifel, der an der Eignung einzelner Maßnahmen geäußert wird, sogleich als eine versteckte Hilfe für die Terroristen?
Was ist denn eigentlich, so frage ich, wichtiger, die gemeinsame Abwehr terroristischer Anschläge — und gerade ich werbe für diese Gemeinsamkeit, seitdem ich mein Amt bekleide — oder der Graben gegenüber der Koalition, der offenbar nicht tief genug gezogen werden kann? Wer führt denn eigentlich die Feder? Diejenigen, die auch in Ihrem Lager nicht müde werden, die Gemeinsamkeit der Demokraten zu beschwören, oder diejenigen, die das alles für „blödes Zeug" — wörtliches Zitat — erklären?
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12448 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Bundesminister Dr. VogelÜbrigens, die von Herrn Kollegen Vogel zutreffend zitierte Äußerung von mir aus der Sicherheitsdebatte bezog sich — das wissen Sie ganz genau, Herr Kollege Vogel — nicht auf die Frage der Überwachung, sondern auf die bekannten Sonthofener Auslassungen. An dieser Charakteristik halte ich übrigens ausdrücklich auch heute und in dieser Stunde fest.
— Ach, Herr Kollege, wessen Trauma diese Sonthofener Ausführungen wirklich sind, diese Frage sollte gerade in diesen Tagen und Wochen noch sorgfältiger geprüft werden.
Im übrigen weise ich die konkreten Vorwürfe mit allem Nachdruch zurück. Soweit sie sich gegen mich selbst richten, empfinde ich sie geradezu als absurd. Sie wissen doch ganz genau, daß ich schon Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre als Oberbürgermeister einer großen Stadt jeder Gewaltanwendung entschieden entgegengetreten bin und vor den Folgen gewarnt habe, übrigens in einer Zeit, in der man selbst in Kreisen, die Ihnen nahestehen, in der Beurteilung dieser neuartigen Vorgänge noch keineswegs sicher und gefestigt, sondern ratlos war.
Natürlich gab und gibt es im Lager der Koalition Meinungsverschiedenheiten darüber, — —
— Ich weiß gar nicht, wovon Sie reden wollten, wenn es die 16. Etage nicht gäbe, Herr Kollege.Natürlich gab und gibt es im Lager der Koalition Meinungsverschiedenheiten darüber, wie dem Mißbrauch des Verteidigerverkehrs am besten begegnet werden kann. Es ist gar kein Hehl daraus zu machen, daß es Ende letzten Jahres nach langer Diskussion keine Zustimmung zur Formulierungshilfe der Bundesregierung gab, sondern an Stelle der Überwachungsregelung die Ausschlußregelung Gesetz wurde. Einige Kollegen innerhalb der Koalitionsfraktionen hegen — das ist völlig am Tage — auch heute noch Zweifel an dieser Überwachungsregelung. Aber ist es denn eigentlich eine Schande, Zweifel zu haben? Nur Diktaturen kennen keine Zweifel
oder diskutieren sie zumindest nicht. Ist es nicht eher ein Zeichen von Stärke, wenn ein Rechtsstaat zweimal mit sich zu Rate geht, bevor er in wichtige Rechte inhaftierter Beschuldigter eingreift?Außerdem: Diese Zweifel gibt es doch auch in Ihrem Lager. Tun Sie doch bitte nicht so, als ob alle Vorschläge, die aus Ihren eigenen Reihen kommen, bei Ihnen völlig unumstritten seien und als ob es nicht auch bei Ihnen in einzelnen Punkten Bedenken, zweite und dritte Überlegungen gäbe!Meine sehr verehrten Damen und Herren, wollen Sie wirklich alle, die hier Sorge äußern, als BaaderMeinhof-Sympathisanten in einen Dunstkreis rücken, den Deutschen Anwaltverein, die Bundesrechtsanwaltskammer und eine ganze Anzahl von Rechtswissenschaftlern von Rang? Man kann sich sachlich mit den Argumenten auseinandersetzen. Aber man sollte den bösen Schein, der an jeden Zweifel gehängt wird, meiden.
— Entschuldigung, ich muß Ihnen ehrlich sagen: wenn ich die von mir vorhin zitierte Rede lese, dann kann ich das nicht anders charakterisieren. Ich habe Ihnen doch nicht Panikmache vorgeworfen, es sei denn, Sie identifizieren sich mit dem, was dort an apokalyptischen Visionen entwickelt worden ist.
Natürlich — auch das ist offen einzuräumen — hat die Bundesregierung Zeit benötigt, um die Vorschläge der Innenministerkonferenz und der Justizministerkonferenz und eine Reihe anderer Vorschläge zu prüfen. Sie hat bewußt darauf verzichtet, jeweils kurzfristig nach jedem einzelnen Anschlag sofort Vorschläge zu unterbreiten, um damit ebenso kurzfristige Effekte zu erzielen. Sie hat auch neue Erkenntnisse und Erfahrungen, die nach dem 1. Januar 1975 gewonnen wurden, unbefangen und unvoreingenommen geprüft und ausgewertet. Daher ist die Bundesregierung jetzt in der Lage, einen ausgewogenen und ausgereiften Entwurf in das Gesetzgebungsverfahren zu bringen, einen Entwurf, der einen breiten und allgemeinen Konsens finden kann.Deshalb trifft die Bundesregierung auch ein Vorwurf nicht, der von anderer Seite erhoben wird; nämlich der Vorwurf, sie habe überstürzt gehandelt. Wer das behauptet, der übersieht, daß die besonders umstrittenen Punkte bereits seit Monaten Gegenstand der Beratungen sind. Der Vorschlag, den mein Kollege Posser hier gerade erläutert und begründet hat, befindet sich seit Anfang März 1975 in der öffentlichen Diskussion und im Gesetzgebungsverfahren. Die Verhinderung des Mißbrauchs von Verteidigerbesuchs- und von Verkehrsrechten ist schon seit dem letzten Jahr diskutiert worden. Sie war übrigens auch Gegenstand einer außerordentlichen Justizministerkonferenz und ist von dort einer Arbeitsgruppe „Strafverfahrensrecht" überwiesen worden, die sich in einer mehrtägigen Sitzung mit der Problematik beschäftigt hat. Von einer Übereilung, von einer vorschnellen Adhoc-Gesetzgebung kann überhaupt nicht gesprochen werden.Abwegig ist auch der etwas verklausuliert erhobene Vorwurf des Plagiats, des Abschreibens. Vorschläge etwa über die wirksamere Gestaltung der Zuständigkeit des Generalbundesanwalts in der entscheidenden Zugriffsphase und zum sinnvollen Ausbau der Sanktionen in der Berufsgerichtsbarkeit der Rechtsanwälte hat überhaupt nur die Bundesregierung gemacht, in der Zuständigkeitsfrage des Generalbundesanwalts übrigens gegen den Widerstand und gegen den Widerspruch der Länder, die zunächst bedauerlich wenig Verständnis für das Bedürfnis des Bundeskriminalamtes zeigten, bei Angehörigen terroristischer Vereinigungen in der Zu-
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Bundesminister Dr; Vogelgriffsphase nur einen Ansprechpartner zu besitzen. In anderen Punkten hat die Bundesregierung die Vorschläge in entscheidender Weise fortentwickelt — Idas Haftrecht übrigens sogar überzeugend, daß sich der Rechtsausschuß des Bundesrats der Vorlage der Bundesregierung bereits angeschlossen hat und hier interessanterweise zwischen der Vorlage der Opposition und dem, was aus dem Bundesrat auf uns zukommt, eine aufschlußreiche Divergenz besteht.Die Bundesregierung hat in der Frage der Überwachung — das war eine Frucht der langen Beratungen und Diskussionen — jetzt in systematisch richtiger Weise nicht mehr am Verteidiger, sondern am Beschuldigten angeknüpft. Denn das Recht auf ein Gespräch unter vier Augen, auf unüberwachten Verkehr, ist ja primär ein Recht des Beschuldigten, fließt aus dem Recht des Beschuldigten auf seine Verteidigung und ist nicht ein primäres Recht des Verteidigers. Wir können mit Sanktionen doch nur bei dem anknüpfen, der sein Recht mißbraucht und dadurch die Rechtsordnung nötigt, auf diesen Mißbrauch zu reagieren.
Bei der terroristischen Vereinigung rät die Bundesregierung darübe hinaus dazu, das sogenannte Parteienprivileg zu streichen. Nach Auffassung der Bundesregierung ist bei der Schwere der Kriminalität, die dieser neue Tatbestand umschreibt, die Berufung auf das Parteienprivileg unzulässig und der Rechtsgedanke der Verhinderung des Rechtsmißbrauchs zwingend.Die Bundesregierung hat sehr nüchtern unter folgenden Kriterien geprüft, was zu geschehen hat. Sie hat gefragt: Wo weist unsere Rechtsordnung Lücken auf? Sie hat weiter gefragt: Wo können diese Lücken rechtsstaatlich und effektiv geschlossen werden? Als Ergebnis dieser Prüfung hat sie eine Reihe von Vorschlägen abgelehnt.Die Bundesregierung, Herr Kollege Hillermeier, muß daran festhalten, daß der Begriff der Verfahrenssabotage bisher nicht in einer Art und Weise definiert worden ist, die diesen Begriff justitiabel macht. Der Gedanke und das Problem werden durchaus gesehen; es ist aber bisher nicht gelungen, zu Abgrenzungen zu kommen, die den Gerichten tatsächlich eine Grundlage für verantwortungsbewußte und haltbare Entscheidungen geben.Die Bundesregierung hat es weiter abgelehnt, eine Vermutung für das Vorliegen des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr einzuführen, wie sie in einer Vorlage zu finden war, weil ein solcher Quasi-Automatismus mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Konflikt geraten würde.Die Bundesregierung hat schließlich, von ihrer eigenen seinerzeitigen Vorlage ausgehend, die Überwachungsregelung auf die gravierenden und wirklich relevanten Fälle des § 129 a beschränkt, weil der Mißbrauch nur in diesen Fällen unerträgliche Gefahren schafft. Andere Vorschläge — die, die sich auch im Entwurf der Koalitionsfraktionen finden hat sie ergänzt, fortentwickelt und aufgenommen. Zur Begründung ist bereits das Erforderliche gesagt worden.Lassen Sie mich nur noch kurz auf zwei Punkte zu sprechen kommen, weil sie in der Diskussion besonders umstritten sind.Zum einen sind die Maßnahmen zur erleichterten Aufklärung von Taten terroristischer Vereinigungen zu nennen. Die Bundesregierung hat im Anschluß an den Vorschlag des Bundesrates nicht die unserem Recht fremde Figur des Kronzeugen nach angelsächsischem Muster übernommen. Ich stimme Herrn Kollegen Posser ausdrücklich zu, wenn er den Sprachgebrauch mit dem Stichwort „Kronzeuge" für irreführend und deswegen bedenklich hält. Die Bundesregierung hat den im deutschen Strafrecht bereits seit alters vorhandenen Gedanken der Strafmilderung wegen tätiger Reue fortentwickelt und sich im wesentlichen die Gedankengänge zu eigen gemacht, die Herr Kollege Posser soeben vorgetragen hat. Einzelheiten werden noch der sorgfältigen Überprüfung bedürfen, insbesondere die Frage, ob völlige Strafbefreiung auch im Falle des Mordes möglich, erträglich, notwendig ist.Zur Frage der Überwachung kann ich feststellen, daß die Notwendigkeit der Überwachung des schriftlichen Verkehrs heute eigentlich im wesentlichen unstreitig geworden ist. Schwieriger liegen die Dinge beim Besuchsverkehr. Jeder wird zustimmen, daß die Aussprache des Beschuldigten mit seinem Verteidiger unter vier Augen den Kernbereich des Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant darstellt und daß sie qualifizierten Schutz genießen muß. Eingriffe sind hier nur unter ganz besonderen Voraussetzungen möglich, in den in Betracht kommenden Fällen aber auch geboten. Die Bundesregierung hat folgende Voraussetzungen in ihren Entwurf aufgenommen.Erstens. Der Beschuldigte muß nach § 129 a StGB inhaftiert sein.Zweitens. Die Anordnung der Überwachung muß an bestimmte Tatsachen anknüpfen, die den Verdacht begründen, daß der Beschuldigte gerade dieses sein Recht auch aus der Haft heraus mißbraucht, um die terroristische Vereinigung fortzuführen oder die dort genannten schweren Straftaten vorzubereiten.Drittens. Der Richter, der zuhört, ist zum Schweigen verpflichtet. Er hat lediglich in den Fällen sein Wissen zu offenbaren, in denen jeder Bürger dieses Staates nach § 138 des Strafgesetzbuches zur Anzeige verpflichtet wäre.Es sind Zweifel an der Wirksamkeit einer solchen Maßnahme geäußert worden. Meine Damen und Herren, ich stimme jedem zu, der sagt, eine solche Maßnahme könne keinen absoluten Schutz bieten. Natürlich verbleiben noch bestimmte Möglichkeiten, auch wenn ein Richter dabeisitzt. Ich sage aber ebenso klar, daß die Gefahr des Mißbrauchs durch die Anwesenheit des Richters entscheidend verringert wird. Ich glaube, wir können in dieser Situation auf mögliche Mittel zur Verringerung der Gefahr nicht deswegen verzichten, weil wir nicht eine
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Bundesminister Dr. Vogel100 %ige Sicherheit, sondern nur eine 50- oder 55 %ige Sicherheit erreichen.
Meine Damen und Herren, es ist ein ganz allgemeiner Rechtsgedanke, daß wir auch dort Vorsorge treffen, wo wir die absolute Sicherheit, die absolute Wahrheit, die absolute Gerechtigkeit nicht erreichen können.Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 25. April 1975 die Entschlossenheit der Bundesregierung zur Verteidigung des Rechtsstaates mit rechtsstaatlichen Mitteln betont. Die Vorlage der Bundesregierung entspricht dieser Ankündigung. Sie bietet keinen absoluten Schutz, . aber sie antwortet auf die Herausforderungen ,der Terroristen nicht nur mit Deklamationen und nicht mit Schaum vor dem Mund. Sie schielt nicht nach momentanen Stimmungen. Sie tut entschlossen und mit Festigkeit das Notwendige, um die lebens- und friedensschützende Funktion, aber auch die weitere Reformfähigkeit unseres Staates zu sichern.Die Bundesregierung steht mit dieser Vorlage in einer gesicherten demokratischen, rechtsstaatlichen und republikanischen Tradition, in einer Tradition, die Friedrich Ebert und Gustav Radbruch nach den Mordanschlägen der Jahre 1921 und 1922 begründet haben und die von den Vätern des Grundgesetzes auf Grund schmerzlichster Erfahrungen aufgenommen und konkretisiert wurde, in der Tradition der ihrer selbst sicheren und zur Selbstbehauptung mit allen verfassungsmäßigen Mitteln entschlossenen kämpferischen Demokratie.
Das Wort hat der Abgeordnete Erhard .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesjustizminister schloß fast pathetisch mit den Worten von der entschlossenen parlamentarischen, demokratischen Grundhaltung. Wir haben heute bei den Begründungen und bei nur oberflächlichem Hinsehen schon sehr deutlich feststellen können, daß das reine Worte sind. Die Taten zeugen von einer genau gegenteiligen Haltung.
Wir wollen zuerst das parlamentarische Verfahren betrachten. Zunächst haben wir die Bundesregierung, nachdem wegen einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts der Ausschluß von Verteidigern nicht mehr möglich war, obwohl er bisher nach unserer Rechtsordnung von den Gerichten praktiziert wurde,
hier im Parlament aufgefordert, und zwar im Frühjahr 1973
— ich vergesse nichts, Herr Gnädinger; ich will nur daran erinnern, daß Sie vergeßlich sind —,
die dadurch offenkundig gewordenen Lücken des Strafprozeßrechts zu schließen. Dann haben wir aus dem Bundesjustizministerium große Aufsätze in der juristischen Fachliteratur lesen können, nicht von irgendwem, sondern vom Leiter der dafür zuständigen Abteilung, Herrn Ministerialdirektor Rudolph, daß das eigentlich überhaupt nicht nötig wäre.
Die Bundesregierung hat ein Jahr gebraucht, bis sie schließlich einen Gesetzentwurf vorlegte, der die Problematik, die damals schon vollständig auf dem Tisch lag, völlig ausklammerte. Wir sind nicht zur Beratung gekommen. In den Ausschüssen hat die Koalition die Beratung immer wieder verzögert. Erst die schreckliche Tatsache des Todes von Herrn von Drenkmann brachte dann schließlich Bewegung in die Regierung, und siehe da, dann wurde ein Kabinettsbeschluß über eine Gesetzesvorlage gefaßt, und dieser wurde als Formulierungshilfe in den Rechtsausschuß gebracht. Dann sind die beiden Parteien der Koalition ihrer eigenen Regierung in den Rücken gefallen und haben das, was vorgeschlagen worden war, abgelehnt.
— Ich werde gleich noch ein paar Worte dazu sagen. Herr Gnädinger, Sie haben, noch ehe die Sachdiskussion und die Anhörung von Sachverständigen überhaupt begonnen hatten, im Rechtsausschuß schon gesagt, Sie wollten das nicht, Sie wollten etwas anderes.Schließlich kam, nachdem die entscheidenden Dinge, die jetzt vorgeschlagen werden, abgelehnt worden waren und wir schon während der Beratungen gesagt hatten: „Das bleibt auf dem Tisch", der Gesetzentwurf der CDU im Januar hier auf den Tisch. Siehe da: die Regierung und die Mehrheit beeilten sich, dafür zu sorgen, daß in den Ausschüssen möglichst nicht beraten werden konnte, und zwar mit der Begründung, es liege auch ein Vorschlag des Bundesrates vor. Dann hat die Bundesregierung die Einlassungsfrist von drei Monaten zu den Vorschlägen des Bundesrates, voll ausgeschöpft. Die Vorschläge sind im übrigen auf der Grundlage der Entscheidungen der Justizministerkonferenz gemacht worden — wir haben gehört, daß diese einstimmig getroffen worden sind; also hat ihnen auch der Bundesjustizminister zugestimmt.
Dann kam das Hochinteressante, was wir heute hier sehen: Da man nicht mehr verhindern konnte, daß die Gesetzentwürfe im Plenum beraten werden,
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Erhard
beschloß die Regierung wiederum einen Gesetzentwurf. Damit wollte sie ihre eigenen Fraktionen disziplinieren, indem sie sie zwang, den Gesetzentwurf selbst zu unterschreiben und hier einzubringen.
[CDU/CSU]: Sehr
richtig!)Dieser Entwurf liegt uns heute vor.
Der Herr Kollege Gnädinger und vorsichtig auch der Herr Bundesjustizminister haben hier den Eindruck erwecken wollen, als seien neue Tatsachen in Erscheinung getreten, die nun eine andere Beurteilung notwendig machten.
Meine Damen und Herren, wenn alle Erklärungen so durchsichtig wären wie diese, wäre es für uns schon ein Stückchen leichter. Aber diese ist so durchsichtig, daß man sich eigentlich wundert, daß diejenigen, die hier solche Erklärungen abgeben, dabei nicht äußerlich rot werden und nicht nur die Parteifarbe Rot tragen.
Die Bundesregierung wußte, daß im Jahre 1973 die Interkommunikation innerhalb der Zellen und nach außen über die Anwälte außerordentlich gut funktionierte.
— Im Jahre 1973 wurde das Gros der Kassiber und der Zellenzirkulare gefunden. Die Bundesregierung hat aber erst im Dezember des vorigen Jahres eine Dokumentation darüber herausgegeben, auf jeden Fall aber vor der Diskussion über den Gesetzentwurf im Rechtsausschuß.Im Rechtsausschuß haben uns die Staatsanwälte, die dort zu der Frage gehört wurden, ob man eine Überwachung brauche, auf diese außerordentlich umfangreichen Materialien, die bei der zuständigen Strafverfolgungsbehörde liegen, ausdrücklich aufmerksam gemacht. Aber sowohl SPD als auch FDP haben Ohren und Augen verschlossen; sie wollten nicht. Sie wollten sich lieb Kind machen bei den Anwälten, die nicht unterscheiden können zwischen Anwaltsrecht und der Notwendigkeit der Sicherung der Freiheit in unserem Staate.
— Herr Kleinert, das läßt sich ja nachweisen. Ich werde Ihnen gleich noch etwas aus Ihrer Fraktion zitieren; Sie können mir ja dann darauf antworten, ob ich hier falsch lese.Die jetzt vorgelegten Regelungen sind ja wiederum von Halbherzigkeit an den verschiedensten Stellen gekennzeichnet.
Wie ist es denn z. B. mit der Verfahrenssabotage?Die Justizminister erklären uns seit über einem Jahr:Es ist eine Verfahrenssabotagebestimmung unbedingt notwendig. Jemand, der als Strafverteidiger schon an den verschiedensten Strafgerichten gestanden hat, weiß ganz genau, welchen Mißbrauch, wenn man es will, ein Verteidiger durchaus üben kann.
Wenn man erkennt, in welcher Weise der Mißbrauch vorbereitet, gebilligt und praktiziert wird, wenn man die Erfahrungen aus allen Ländern dieser Bundesrepublik kennt und wenn man dann trotzdem diesen Tatbestand hier wieder ausschließt, dann ist das ein deutliches Zurückweichen vor der Notwendigkeit und das Gegenteil von dem, was uns der Herr Bundesjustizminister hier glauben machen will.
Aber auch in der Überwachung, meine Damen und Herren, gehen Sie hinter die Entscheidungen Ihrer Regierung vom vorigen Dezember zurück. Sie wollen die Überwachung jetzt so eng begrenzen, daß sie unwirksam wird. Durch diese enge Bestimmung — das müssen Sie sich sagen lassen — schaffen Sie selbst den Vorwurf gegen dieses Gesetz, der eigentlich nicht entstehen dürfte, nämlich daß Sie hier ganz speziell ein Maßnahmengesetz machen wollen; und das darf nicht sein.
Im dritten Bereich, bei dem es sich um das Standesrecht und die Wirksamkeit ehrengerichtlicher Entscheidungen handelt, sind Sie ebenfalls sogar hinter den Anregungen und Überlegungen des Deutschen Anwaltsvereins, des Deutschen Anwaltstages und der Strafrechtskommission des Anwaltstages zurückgeblieben. Das, was notwendig wäre, um diesen Berufsstand einigermaßen sauberzuhalten und sich nicht zu einer Hilfsorganisation für Linksradikale entwickeln zu lassen, wird nicht angefaßt.
Das bleibt vor der Tür, obwohl die entsprechenden Anregungen schriftlich auf dem Tisch liegen. Wir werden im Ausschuß darüber zu sprechen haben.Natürlich möchten Sie uns am liebsten auch noch dafür verantwortlich machen, daß Sie nichts tun.
Am liebsten möchten Sie uns noch dafür verantwortlich machen, daß es solche terroristischen Banden überhaupt gibt. Wir dürften uns ja beinahe nicht einmal trauen, die Leute als „terroristische Banden" zu bezeichnen. Aber nachdem Herr Gnädinger das heute getan hat, ist auf diesem Gebiet eine kleine Bereinigung eingetreten.Sehen Sie, der Herr Kollege von Schoeler von der FDP hat bei der Beratung und Verabschiedung des jetzt zu novellierenden Gesetzes am 18. Dezember letzten Jahres — wir können ja alle ganz leicht rechnen: es ist noch nicht einmal ein halbes Jahr her — gemeint, uns seine außerordentlich breit angelegten persönlichen Erfahrungen in der Verteidi-
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Erhard
gung von Angeklagten, sie politisch umsetzend, um die Ohren hauen zu müssen.
Und er hat dann hier ausgeführt:
Ich glaube nicht, daß das, was Herr Kollege Kunz gesagt hat, zutrifft. Er hat gesagt, Sie machten Rechtspolitik mit dem Rechtsstaat im Auge.Wir machen das, und ich betone: das wollen wir, und das tun wir auch. Wir machen Rechtspolitik mit dem Rechtsstaat im Zielpunkt. Und dann sagte er:Ich glaube, daß Sie Rechtspolitik nicht mit dem Rechtsstaat, sondern mit der Wahlurne im Auge machen.
Sehen Sie, das war die kluge Einlassung, daß er im übrigen sogar gemeint hat, es könnte in Zukunft kein gescheiter Verteidiger jemanden verteidigen, wenn man eine Überwachungsvorschrift einbaut. Nun, das ist sein persönliches Problem.
Die „Kölner Rundschau" hat sich zu diesem Fragenkomplex am 15. Mai wie folgt geäußert:Mit ihrer Annäherung an die Überwachungsvorlage des Bundesrates enthüllt die Bundesregierung ihre Stellungnahmen zur Gewaltkriminalität als plumpe Abwiegeleien vor der Wahl.
— Die war natürlich schon vorbei, sonst könnte man das nicht sagen.Jetzt, nachdem in Nordrhein-Westfalen die Würfel am 4. Mai gefallen sind, gibt der Bundesjustizminister zu: Der Terrorismus ist doch gefährlicher als vermutet, der harte Bandenkern ist doch härter als gedacht. Der Staatsbürger ist hinters Licht geführt worden. Der Justizminister schwankt. Haben die Verantwortlichen die Übersicht verloren?
Meine Damen und Herren, das läßt sich ein kleines bißchen vertiefen. Herr Minister Vogel, ich weiß nicht, wie Sie Ihre so ausgeprägte Stärke
und Ihre politische Weitsicht eigentlich zum Ausdruck bringen können und wollen. Sie hatten in Übereinstimmung mit den Landesjustizministern bestimmte Regelungen für notwendig gehalten. Sie haben sich in Ihrem eigenen Ministerium in der Sache nur sehr mühsam durchsetzen können, und auch nur ein kleines Stück. Und dann haben Sie sich, nachdem Sie bei den Beratungen der Koalition, Ihrer Partei und der FDP, nicht durchgekommen sind, hier an diesen Platz, an dem ich jetzt stehe, hingestellt und haben am 18. Dezember verkündet, daß das, was die Mehrheit des Rechtsausschusses beschlossen habe, besser sei als das, was Sie selbst vorgelegt hätten. Die Bundesregierung habe auch keinen Anlaß, dieser Regelung zu widersprechen oder ihr entgegenzutreten. Die Meinung, die richterliche Überwachung sei gegenüber dem Ausschluß der mildere Eingriff, sei falsch, haben Sie gesagt. Genauso unrichtig sei aber auch die hier wiederholte Behauptung, die Ausschlußregelung sei ein unzulängliches Mittel zur Verhinderung der Konspiration.Nein, Herr Minister, Sie haben ausführlich unter dem Punkt 1, den Sie anführten, betont, daß das die bessere und weitergehende Regelung sei und daß sie griffiger sei als das, was Sie selbst vorgeschlagen hätten. Sie haben dann wörtlich gesagt:Der Bundesjustizminister stellt mit Genugtuung fest, daß der Rechtsausschuß in diesem Punkt, aber auch hinsichtlich der Zahl der Wahlverteidiger ... gegenüber den Vorschlägen der Bundesregierung ein ganzes Stück weiter gegangen ist.
Und Sie haben vor dem Deutschen Anwaltstag wiederum die gleiche Auffassung vertreten und gesagt:Die Ausschließung ist gegenüber der Überwachung das einschneidendere Mittel. Sie ist aber auch wirksamer als die Überwachung.Wirksamer! Darauf liegt das Schwergewicht. Warum wollen Sie dann jetzt die Überwachung vorschlagen, wenn die Ausschließung wirksamer ist?
Sie reicht eben nicht! Das ist der Grund.
Herr Minister, Sie haben dann jetzt im Mai durch Presseerklärungen und andere Verlautbarungen Ihre Auffassung dargestellt; und nunmehr sagen Sie der erstaunten Öffentlichkeit, Sie hätten ja damals diese Regelung, die der Rechtsausschuß und dann der Bundestag beschlossen hätten, nicht gewollt, das sei gegen Ihre Bedenken Gesetz geworden. So lese ich im „Spiegel" vom 26. Mai, und so lese ich im „Stern" vom 28. Mai.
Und Sie hätten nicht die Lust, das, was andere gemacht hätten, sich anlasten zu lassen. Ja du liebe Zeit! Was ist denn das für ein Justizminister,
der hergeht und so tut, als wäre es sein allergrößtesAnliegen, die Rechtsstaatlichkeit hervorzuheben unddafür mit aller Leidenschaft zu kämpfen! Hier ver-
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Erhard
trat er eine Meinung als die seine und die der Regierung — und sogar noch bessere Sachen, als er selbst erdacht habe. Wenige Monate später muß er hier der Öffentlichkeit gestehen, er habe ja eigentlich etwas ganz anderes gewollt.
Haben Sie sich in Ihrer Regierung durchgesetzt? Es sieht so aus. Haben Sie dann nach den Ereignissen in Stockholm Schützenhilfe vom Herrn Bundeskanzler bekommen?
Hat Ihre Fraktion nunmehr den Willen, das, was Sie hier vorgeschlagen haben und was die Fraktion unterschrieben hat, auch zu machen?Ich bin der Meinung, wir sollten dafür sorgen, daß wirksame allgemeine Regeln geschaffen und nicht Maßnahmengesetze gemacht werden. Wir können nicht unentwegt — wie bei einer Eieruhr — die Strafprozeßordnung ändern. Das schafft Unrecht, Unfrieden und vor allem Unübersichtlichkeit des Rechts, Rechtsunsicherheiten. Die taugen nichts. Auf keinen Fall dürfen Maßnahmengesetze gemacht werden, so, wie es hier den Anschein hat.Aber das, was gemacht werden muß, muß deutlich machen: Ein Terrorist, ein aktiver Sympathisant, ein größerer oder kleinerer Helfer müssen von dieser Rechtsordnung als Unrechtstäter definiert werden. Bei der Ziehung dieser Grenze darf nicht vor dem Stande der Anwälte haltgemacht werden.
Ich bin selbst Anwalt. Es darf auch nicht vor der Angst der Entscheidenden hinsichtlich der Ausnutzung der in ihre Hände gelegten Macht haltgemacht werden.Freilassungen von Leuten, von denen man weiß, daß sie sogar Verbindungen ins Ausland haben — möglicherweise nur deshalb, weil ihre Wohnung nicht hinreichend sicher ist —, sind bestürzende Elemente der Erfahrungen der Gegenwart.
Meine Damen und Herren links, rechts und in der Mitte des Hauses, wenn wir davor die Augen verschließen, dann werden wir einen Trümmerhaufen an Stelle eines geordneten Rechtsstaates haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr vereehrten Damen! Meine Herren! Die innere Zerrissenheit der Fraktionen, die die Regierung tragen, und der Regierung ist von Ihnen sehr anschaulich beschrieben worden.
Ich meine aber, deutliche Akzentverschiebungen zwischen dem, was zunächst Herr Vogel vorgetragen hat, und dem herausgehört zu haben, was dann Herr Erhard ausgeführt hat.
Es gibt da etliche Punkte, wo auch Sie nicht so einig zu sein scheinen.Ich möchte Ihnen ganz zu Anfang etwas sagen, was mir für die ganze Sache von besonderer Bedeutung zu sein scheint. Marie von Ebner-Eschenbach hat gesagt: „Gelassenheit ist die anmutigste Form des Selbstbewußtseins."
Es handelt sich um die Frage, wie der Rechtsstaat, den wir alle wollen, und den wir alle auch sehr bewußt und sehr entschlossen verteidigen wollen, auf das reagieren soll, was ihm hier von einer zahlenmäßig im Verhältnis zur Bevölkerung unseres Landes überhaupt nicht mehr faßbaren Gruppe an Herausforderung angetragen wird.Ich bin der Meinung: Wir haben uns in dieser Sache nicht immer so gelassen verhalten, wie wir das auf Grund eines gesunden, durch unsere bisherigen Taten gerechtfertigten Selbstbewußtseins dieser Gruppe gegenüber hätten tun sollen.
Wer insbesondere das Ansehen dieses Staates durch die mangelnde Gelassenheit bei hektischen Vorschlägen, natürlich Maßnahmengesetze zu erlassen — was denn sonst? —, in eine gewisse, ich sage bewußt: in eine gewisse Gefahr gebracht hat, um dieser Gefährdung zu begegnen, das sind die Angehörigen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gewesen. Das setzt sich seit geraumer Zeit so fort.
Wir haben eine ganz klare Linie gehabt, Herr Vogel, die sie bezweifeln.
Ich kann Ihnen das nicht übelnehmen. Sie haben hier die Vorlage der Bundesregierung kritisiert, zum Teil sogar deshalb, weil sie das bringt, was Sie selbst vorschlagen, nur dann nach Ihrer Auffassung natürlich zu spät. Sie haben aber nicht darauf hingewiesen, daß hier zum erstenmal der Versuch gemacht worden ist, die verschiedenen Komponenten, die verschiedenen Maßnahmen, die hier möglich sind, einigermaßen umfassend zusammenzutragen, insbesondere für die Bereiche, die zwar gar nicht spektakulär sind, die für die öffentliche Auseinandersetzung nichts ergeben, die aber im Grunde viel besser wirken können.Ich darf z. B. hinweisen auf die Maßnahmen im Bereich einer Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung, die einschränkenden Möglichkeiten bei Disziplinarmaßnahmen, d. h. eine Erleichterung der
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KleinertAnwendung solcher Disziplinarmaßnahmen, und etliche andere Dinge, die von Ihnen noch nie gekommen sind, weil sie sich für die öffentliche Auseinandersetzung nicht eignen, weil sie nicht spektakulär genug sind.Die Fraktionen der SPD und der FDP haben den Entwurf der Bundesregierung, der, wie ihnen bekannt ist, vom Bundeskabinett verabschiedet wurde, eingebracht, damit ganz klar auf dem Tisch liegt, was die Bundesregierung will. Wir haben das wegen dieser technischen Hilfe getan.
Wir betonen bei dieser Gelegenheit auch, daß damit die verantwortlichen Entscheidungen jedenfalls unserer Fraktion — für die andere Fraktion haben andere zu sprechen — nicht vorweggenommen sind, sondern daß wir in den Ausschußberatungen genau in Verfolgung der Linie, die wir stetig eingehalten haben, unter besonderer Berücksichtigung der Belange des Rechtsstaates in allen Einzelheiten prüfen werden, ob aus praktischen Gründen, ob auf Grund wirklich einleuchtender Erfahrungen etwas geändert werden muß, oder ob wir bei dem, was wir in diesem Hause oft genug begründet haben und deshalb nicht zu wiederholen brauchen, bleiben müssen.Zu den wesentlichen Punkten gehört die Einführung des Kronzeugen. Herr Posser hat, wie bei seiner hervorragenden juristischen Begabung gar nicht anders zu erwarten war, die Sache so formuliert, daß dies auf einen Sonderfall der tätigen Reue hinausläuft. Das ist selbstverständlich für uns viel sympathischer als das Wort Kronzeuge. Sosehr auch das angloamerikanische Rechtssystem gelobt wird, der Kronzeuge ist für uns von Haus aus eine ungewöhnlich bedenkliche und für unser Rechtssystem besonders untypische Erscheinung. Wir müssen über diese Sache wirklich ganz in Ruhe nachdenken
und sie sehr gründlich überlegen. Das hat nichts damit zu tun, daß wir die Diskussion durch die Einbringung des Gesetzes eröffnet haben. Wir haben das bewußt getan. Wir gehen keiner Diskussion aus dem Wege, wenn es darum geht, irgendwelche zusätzlichen Möglichkeiten zur Verteidigung des Rechtsstaates zu erschließen; dann aber bitte nur mit rechtsstaatlichen Mitteln!An dieser Stelle darf ich eine Bemerkung zu den Erwägungen von Herrn Erhard einschieben. Er kritisierte am Entwurf der Bundesregierung, daß die Verfahrenssabotage nicht aufgeführt sei. Wenn eine solche Äußerung hier getan wird, darf man doch verlangen, Herr Erhard, daß gesagt wird, was denn in ihrer Vorstellung Verfahrenssabotage ist.
Wenn die rechtlichen Möglichkeiten — so haben Sie es eigentlich dargestellt — von einem Verteidiger, der sich zum Sympathisanten macht, der sich zum Komplizen macht oder der nur gerissen ist und sich groß herausbringen will, mißbraucht werden, umdas Verfahren aufzuhalten — ernstlich sabotieren wird es es nicht können, wenn der Vorsitzende seiner Aufgabe gewachsen ist —, wenn das geschieht, dann bringt Ihr Entwurf gar nichts dagegen; denn in Ihrem Entwurf heißt es: Wenn der Verteidiger mit rechtswidrigen Mitteln das Verfahren behindert. Da sind Sie doch genau am Ausgangspunkt angelangt. Denn Sie werden nicht nachweisen können, daß er das mit rechtswidrigen Mitteln tut. Er wird es natürlich mit den von der Rechtsordnung, vom Strafprozeßrecht gegebenen Mittel tun, und dann sind Sie wieder am Ende. In Ihrem Entwurf steht, ich wiederhole es: „mit rechtswidrigen Mitteln". Daß er es mit rechtswidrigen Mitteln tut, werden Sie, wie gesagt, nicht nachweisen können. Deshalb ist diese Bestimmung aus wohlerwogenen Gründen weggeblieben.
Warum wollen wir denn so tun, als ob wir etwas machen könnten, wenn wir genau wissen, daß es eben nicht möglich ist? Deshalb ist es hier unterblieben. Wenn Sie in der Lage sind, zu sagen, wie man mit rechtswidrigen Mitteln Verfahrenssabotage betreiben kann, ohne daß das zur Zeit nicht abzustellen ist, können wir ja wieder in die Sache eintreten. Aber der Bundesregierung hier den pauschalen Vorwurf zu machen, ohne dies darzulegen, das geht nicht.
Herr Abgeordneter Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfragen des Abgeordneten Dr. Eyrich?
Bitte schön!
Herr Kollege Kleinert, gestehen Sie mir zu, daß die Möglichkeit besteht, die von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Mittel zu mißbrauchen, und glauben Sie nicht, daß man wenigstens hätte versuchen müssen, in Gesetzesform zu fassen, daß derjenige, der ein ihm zur Verfügung gestelltes Recht mißbraucht, von diesem Recht ausgeschlossen wird?
Den Versuch zu machen, wäre der Mühe wert; ich sagte es bereits. Aber ich habe mich auf Ihren Entwurf eingelassen und habe darauf hingewiesen, daß das, was Sie soeben wieder verlangen, mit Ihrem Entwurf in gar keiner Weise geleistet werden kann,
weil Sie auf die Rechtswidrigkeit des Gebrauchs dieser Mittel abstellen. Das steht so in Ihrem Entwurf; der Text liegt auf dem Tisch. Deshalb sage ich, es ist nicht gerechtfertigt, hier der Bundesregierung den Vorwurf des Unterlassens zu machen. Das ist eine ganz klare juristische Angelegenheit.
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Herr Kollege gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Eyrich?
Herr Kollege Kleinert, ist Ihnen bekannt, daß in die Beratungen auch des Rechtsausschusses die Frage eingegangen ist, ob wir diese Sache nicht möglicherweise mit dem Begriff „rechtsmißbräuchlicher Gebrauch eines Rechtes" in den Griff bekommen könnten?
Herr Kollege Eyrich, ich habe den Entwurf nicht mit hochgenommen, weil ich der Meinung war, es würde nicht notwendig sein, hier unter uns, die wir uns etwas intensiver mit der Sache befaßt haben, auf solche Einzelheiten einzugehen. Wenn mir jetzt jemand den Entwurf gibt, dann werde ich Ihnen beweisen, daß das, was Sie sagen, nach Ihrem Entwurf nicht richtig ist. Denn Sie haben nicht allein die Rechtsmißbräuchlichkeit angesprochen — was ja rechtsstaatlich auch sehr bedenklich wäre; ich will das gar nicht tadeln —, sondern Sie haben gesagt: mit rechtswidrigen Mitteln. Sie sprechen — genau wie Herr Kollege Erhard vorhin — davon, daß es sich um rechtmäßige Mittel handelt. Sie gehen wirklich an der Sache vorbei.
— Ich bedanke mich sehr herzlich. — Nein, das ist nicht der richtige Entwurf. Es liegen ja immerhin vier Entwürfe auf dem Tisch.
— Herr Kollege Erhard!
Herr Kollege Kleinert, ich gebe Ihnen ja zu, daß man sich über die einzelnen Formulierungen sicherlich wird unterhalten müssen. Glauben Sie, daß eine Formulierung, die wir vorschlagen und die auf Bedenken stößt, es rechtfertigt, daß die Bundesregierung überhaupt nichts tut und gar nichts vorschlägt?
Diese Frage halte ich, nach all dem, was wir heute hier miteinander besprochen haben, für unverständlich. Sie haben einen Gesetzentwurf auf dem Tisch liegen, von dem ich gerade gesagt habe, daß ihn die Koalitionsfraktionen mit Rücksicht auf den etwas langwierigen Gang über den Bundesrat von der Bundesregierung wortwörtlich übernommen haben. Daher kann ich wirklich nicht verstehen, warum Sie der Bundesregierung hier jetzt Untätigkeit vorwerfen wollen, ganz abgesehen davon, daß die Bundesregierung auch im Dezember durchaus tätig geworden ist. Herr Müller-Meiningen schreibt heute in der „Süddeutschen Zeitung", daß wohl bereits gegen das, was wir im Dezember 1974 verabschiedet haben, eine Reihe von Bedenken angebracht wären, daß aber das, was heute in einigen Entwürfen vorgeschlagen wird, sicherlich über das Ziel hinausschießt. Das ist doch unser Problem, und dem wollen wir uns doch einmal ohne Rücksicht auf Fraktionen und parteipolitische Interessen sachlich stellen. Das ist unser Problem: daß es unerhört schwierig ist, den Rechtsstaat effizient zu verteidigen und dabei die Rechtsstaatlichkeit in aller Konsequenz zu wahren; denn wir würden die Verteidigung des Rechtsstaates, z. B. mit polizeilichen Mitteln, sonst ganz unsinnig machen, wenn wir selber in der Gesetzgebung den Rechtsstaat — in einzelnen Punkten zumindest — aufgäben oder in Frage stellten. Das ist die große Gefahr, die in einigen der vorgelegten Entwürfe drinsteckt.Herr Vogel hat beklagt, daß die Bundesregierung die Opposition über die schändlichen Umtriebe der Verteidiger im unklaren gelassen habe und daß die Opposition erst im Spätherbst 1974 in der Lage gewesen sei, zu erkennen, was da passiert. Ich habe mir inzwischen eine etwas dickere Mappe mit Zeitungsausschnitten aus den Jahren 1973, 1974 besorgt. In dieser Sammlung sind einige sehr bekannte Zeitungen, z. B. „Der Spiegel" und andere, vertreten, es sind jedoch auch die weniger bekannten, aber in Ihrem Kreise trotzdem gelesenen Zeitungen wie der „Rheinische Merkur" vertreten. Ich kann Ihnen nur sagen, daß der „Tagesspiegel" im August 1973 einen ausführlichen Artikel über Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen Baader-Meinhof-Anwälte wegen Konspiration gebracht hat, daß die „Berliner Morgenpost" und „Die Welt" am 8. August 1973 darüber geschrieben haben. Das alles hat Sie in Ihrer betonten Sorge um das, was hier geschieht, noch nicht aufrütteln können. Dazu brauchen Sie doch nicht die Bundesregierung, wenn diese Zeitungen das eineinhalb Jahre früher geschrieben haben. Sie haben genau gewußt, was vorgeht.Ich stehe im übrigen nicht an, zu erklären: Wir haben das auch genau gewußt. Aber wegen unserer Sorge, daß wir dem Rechtsstaat in unserem Bemühen, ihn zu verteidigen, schaden könnten, haben wir uns an das Bündel von Maßnahmen gehalten, die wir meinten vertreten zu können. Wir haben alle Möglichkeiten vorausgesehen. Die Debatte ist in ihrem Sachgehalt durch die schrecklichen Ereignisse von Stockholm nicht verändert worden. Es ist ein neues Licht auf die Szene gefallen. Aber insbesondere die Sachkenner dürfen sich nicht damit herausreden, daß dadurch in der Qualität irgend etwas verändert worden wäre. Nur die Beleuchtung hat sich geändert.Herr Erhard, Sie können das als Vorwurf gegen uns münzen. Ich sage in aller Offenheit, in allem Freimut: Wir haben das gesehen, und wir sind noch heute der Meinung, daß die Verteidigung des Rechtsstaats, wenn sie sinnvoll sein soll, nur mit rechtsstaatlichen Mitteln erfolgen kann und darf. Daran wollen wir uns auch in Zukunft halten. Wir werden bei den Ausschußberatungen sehr sorgfältig darauf achten, daß das der Fall ist.Wir werden uns auch nicht neuen Tatsachen, sofern sie in Einzelpunkten offenbar werden sollten, verschließen, und wir werden uns auch nicht scheuen, ein gewisses Maß an Pragmatismus in unsere Erwägungen einfließen zu lassen in der Ab-
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Kleinertwägung der rechtsstaatlichen Güter gegen das, was zugunsten des Rechtsstaats, zu dessen Verteidigung erreicht werden muß. Dann muß man uns aber mit ganz klaren Tatsachen kommen, dann muß das sehr konkret sein. Nur dann werden — mit äußersten Bedenken — wir bereit sein, noch etwas weiterzugehen, als wir vorher in voller Erkenntnis der Lage schon gegangen sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Penner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Erhard hat eine sehr engagierte Rede gehalten. Das ist sicherlich sein gutes Recht; das will ihm niemand nehmen. Es ist sicherlich auch sein gutes Recht, die Regierung scharf anzugreifen, Andersmeinende mit Kritik zu bedenken.
Nur eines geht nicht, Herr Erhard. Sie haben sinngemäß ausgeführt, bei unserer Zurückhaltung gegenüber den Regeln zur Verteidigerüberwachung sei für uns folgendes Motiv maßgebend: wir wollten uns damit bei denen lieb Kind machen, die Gegenstand der besonderen Problematik sind, bei den Verteidigern nämlich, mit denen wir es zu tun haben.
Herr Kollege Erhard, das ist genau das, was nicht geht; das ist genau das, was vorhin der Bundesjustizminister rügend hervorgehoben hat. Das bedeutet, daß Sie uns in die Nähe derer rücken, die wir allesamt bekämpfen sollten,
und das kann nicht Gegenstand der Erörterung sein. Herr Kollege Erhard, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dies in Ordnung bringen könnten,
um die gemeinsame Ebene unseres gemeinsamen Wollens wiederherzustellen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Erhard?
Bitte schön!
Herr Kollege Penner, würden Sie mir zugestehen, daß die organisierte Anwaltschaft gefordert hatte und bis zur Stunde fordert, jede Verteidigerüberwachung abzulehnen, und daß im Rechtsausschuß, als diese Forderungen geltend gemacht wurden, in der Koalition die Vorstellung sichtbar wurde, auf diese Forderung einzugehen? Ich habe nicht von den Verteidigern in den betreffenden Verfahren gesprochen.
Herr Kollege Erhard, ich weiß zwar nicht, in welchem Zusammenhang zu meinenAusführungen Ihre Frage zu sehen ist, aber ich glaube, Sie haben zu dem, was ich gesagt habe, nicht Stellung genommen. Ich meine, Sie sollten sich das noch einmal überlegen; vielleicht ist Ihnen das im Laufe der freien Rede so herausgerutscht; jedenfalls geht das nicht. Wenn das so ist, wie ich es verstanden habe, ist das geeignet, denen in die Hände zu arbeiten, die sich die Bekämpfung dieses Rechtsstaates zum Ziel gesetzt haben.
— Ich möchte jetzt fortfahren und zu dem kommen, was mich eigentlich hierher führt.Meine Damen und Herren, das Problem anarchistischer Gewaltkriminalität ist nicht neu. Es hat zu allen Zeiten Menschen gegeben, die mit organisierter Gewalt oder individuellem Terror versucht haben, selbst abstruse Vorstellungen, die vernünftigerweise nicht nachvollziehbar sind, zu verwirklichen. Besonders für freiheitliche Staatsformen wie die der Bundesrepublik führen solche Aktivitäten zu schweren Belastungen. Denn einerseits gehört es zu unserem Selbstverständnis von Freiheit und Demokratie, sich auch bei gewissen Risiken zu unserem von Freiheitsrechten geprägten Rechtsstaat zu bekennen; andererseits müssen wir darauf bedacht sein, das Vertrauen der Bürger in diesen Staat als Grundlage jedes sozialen Fortschritts zu bewahren und zu sichern.Es ist nicht verwunderlich, daß die Reaktionen auf Gewalt durch kriminelle Vereinigungen so unterschiedlich sind. Sie reichen vom Ruf nach dem starken Mann, der es — wie man meint — diesen Verbrechern schon zeigen würde, bis zu jenen Verharmlosem, die immer noch nicht ganz wahrhaben wollen, daß schwere und schwerste Kriminalität in Frage steht.Das entschlossene Handeln der Verantwortlichen dieses Staates in einer Zeit ungewöhnlicher Herausfoderung hat das Vertrauen unserer Bürger in die Ordnung der Bundesrepublik Deutschland gestärkt. Leider aber wird manches durch parteipolitische Betriebsamkeit der Opposition wieder in Frage gestellt. Die vom Kollegen Jenninger aufgestellte These von einer — ich zitiere — gewissen Mitschuld der Koalitionsfraktionen, allerdings nicht im strafrechtlichen Sinne — vielen Dank für den Freispruch! —, zeichnet sich gewiß — — Aber ich will jetzt hier nicht werten; ich glaube, die These ist aussagekräftig genug. Ich meine nur, daß solche Äußerungen der Bewältigung des uns gemeinsam angehenden Problems nicht dienlich sein können.
Der Deutsche Bundestag sollte sich auch der Gefahr bewußt sein, jeweils neuen Handlungsvarianten der Gegner unseres Rechtsstaates mit ständig neuen Gesetzgebungsakten zu begegnen.
Denn schon heute steht eine Vielzahl gesetzlicherInstrumente zur Verfügung, mit denen schwierige
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Dr. PennerSituationen gemeistert werden können. Es ist zu warnen vor der Neigung, gesetzgeberisch immer spezialisierter zu reagieren.Wir Sozialdemokraten haben uns entschlossen, diesen Gesetzentwurf mit einzubringen, obwohl auch in der Öffentlichkeit zahlreiche Stimmen von Gewicht die Tragfähigkeit und Tauglichkeit einzelner Regelungen bezweifeln. Allesamt sind wir übereinstimmend der Auffassung, daß die Herausforderungen des Rechtsstaats angenommen werden müssen und ihnen wirksam zu begegnen ist. Wir sind der Auffassung, daß alle Kernprobleme, die einer gesetzlichen Regelung zugänglich sind, in unserer Vorlage berücksichtigt sind. Wir sind aber nicht auf den einen oder anderen Vorschlag unwiderruflich festgelegt. Wenn im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens bessere Regelungen, bessere Lösungsvorschläge möglich sind, werden wir uns nicht dagegen wehren.Die neue Vorschrift, welche die Bildung terroristischer Vereinigungen mit besonders empfindlicher Freiheitsstrafe bedroht, ist dem Kern nach schon im geltenden Recht enthalten. Aber es ist ein Unterschied, ob sich eine Gruppe zur Begehung von Ladendiebstählen oder zur Begehung von Mord, Totschlag oder Geiselnahme bildet. Diesen Unterschied in der Gewichtung von Kriminalität soll eine Differenzierung des § 129 des Strafgesetzbuchs deutlich machen. Ein Wundermittel zur Bekämpfung der Bandenkriminalität ist dies jedoch nicht. Daher wäre es verfehlt, die direkte praktische Auswirkung dieser neuen Vorschrift überzubewerten. Denn wer auf Grund blinder gesellschaftlicher Aggressivität einmal entschlossen ist, sich einer Gruppe anzuschließen, die schwere Straftaten begehen will, Straftaten, die zum Teil mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, der hat praktisch mit seiner bürgerlichen Existenz gebrochen. Die Aussicht auf Umkehr bei diesem fanatisierten, von Verbohrtheit beherrschten Tätertyp ist gering. Das hat jüngst zu Recht auch der Präsident des Bundesgerichtshofs hervorgehoben. Wer kann denn ernsthaft annehmen, daß für diesen Tätertyp die Strafandrohung auch einer neuen Vorschrift eine abschreckende Wirkung haben könnte?Auch ist zu bedenken, daß der Schuldnachweis für die Gründung oder das Fortführen einer kriminellen Vereinigung oft, wenn überhaupt, nur schwer zu führen ist. Dagegen sind Mord, Totschlag oder Raub, Straftaten also, auf deren Verwirklichung eine kriminelle Vereinigung abzielt, häufiger sehr viel leichter nachweisbar. Gerade die Verfahren gegen Mitglieder krimineller Vereinigungen sollten bei der ohnehin bekannten Schwerfälligkeit nicht noch zusätzlich mit Beweisschwierigkeiten befrachtet werden.Mehr und mehr stößt die Dauer dieser Strafverfahren in der Öffentlichkeit auf Unverständnis. Von dem Ziel, daß ,der Tat die Strafe möglichst zügig folgen müsse, sind wir noch weit entfernt. Durch die nicht zu leugnenden Schwierigkeiten bei der Überführung ist der Gesetzgeber auch aufgerufen, nach neuen Wegen zu suchen.Der von den Koalitionsfraktionen getragene Vorschlag lehnt sich an das überkommene Rechtsinstitut der tätigen Reue an, enthält jedoch der Sache nach auch Elemente des angelsächsischen Kronzeugen. Die vorgeschlagene Regelung soll die Aussagebereitschaft eines Mitglieds einer terroristischen Vereinigung erhöhen. Denn wenn er zur Aufklärung der Bandenkriminalität beiträgt, kann er sich Straffreiheit oder zumindest Strafmilderung verdienen, und das selbst dann, wenn er als Bandenmitglied schwerste Straftaten begangen hat. Im übrigen bezweckt die Regelung, den Zusammenhalt solcher Vereinigungen zu erschüttern.Das Ziel dieses Vorschlages muß sicherlich rückhaltlos begrüßt werden. Trotzdem sollte der Gesetzgeber die Zurückhaltung beachten, mit der gerade Generalstaatsanwälte sowie außerordentlich profilierte Wissenschaftler die Vorschläge zur Einführung des Kronzeugen aufgenommen haben. Es gilt, die Eigenheiten des deutschen Strafprozeßrechts zu berücksichtigen, wenn sich auch anders als bei dem ursprünglichen Vorschlag des Landes Nordrhein-Westfalen die Vorschläge der Koalitionsfraktionen und des Bundesrates jetzt an das überkommene Rechtsinstitut der tätigen Reue anlehnen.Dennoch, die Freistellung von Strafe unter bestimmten Voraussetzungen hat Auswirkungen auf das Legalitätsprinzip und ist nicht ganz zu Unrecht gelegentlich als „Demütigung des Rechtsstaates" bezeichnet worden. Ausnahmen vom Verfolgungszwang kennt die Strafprozeßordnung aus wohler wo-genen Gründen nur in engen Grenzen. Der teilweise, besonders aber der totale Strafverzicht wird in der Öffentlichkeit schwerlich auf Verständnis rechnen können, wenn der Begünstigte eigentlich eine lange Freiheitsstrafe verwirkt hätte. Gerade auch die Betroffenen, die unschuldigen Opfer und ihre Familien werden sich kaum damit abfinden können, daß der Täter straffrei oder milde bestraft davonkommt. Das allein dem Staat zuerkannte Recht, zu strafen, könnte an innerer Glaubwürdigkeit und Kraft verlieren. Denn berührt wäre eine wesentliche psychologische Barriere dagegen, daß sich der Bürger sein Recht auf eigene Faust sucht.Privatjustiz wäre auch aus ganz anderen Gründen zu befürchten. In amerikanischen Vollzugsanstalten müssen vielfach Sonderabteilungen für Kronzeugen eingerichtet werden, um diese vor Rachsucht und Mordabsichten von Mitgefangenen zu schützen.Aber auch grundsätzlich — und das werden wir bei den Beratungen beachten müssen —: Das deutsche Strafprozeßrecht kennt den Unterschied zwischen Zeugen der Krone oder der Anklage einerseits und den Zeugen der Verteidigung andererseits nicht; darauf ist zu Recht in Öffentlichkeit und wissenschaftlicher Literatur immer wieder hingewiesen worden. Alle Zeugen, ob von der Anklage oder von der Verteidigung benannt, genießen vor Gericht die gleiche Stellung. Anders im angelsächsischen Recht. Dort wird der Kronzeuge im Bereich des Vagen gehalten, nachdem oft ein lukrativer Handel zwischen dem Ankläger und der Verteidigung vorausgegangen ist.
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Dr. PennerÄhnlich problematisch — auch das sollte sorgfältig bedacht werden — ist in diesem Zusammenhang der Beweiswert der Aussage eines solchen Zeugen. Denn hat er sich einmal zur Aussage entschlossen, wird er aus seiner Interessenlage alles tun, in den Genuß der Straffreiheit oder Strafmilderung zu kommen. Der Beweiswert solcher Aussagen dürfte stets zweifelhaft sein. Es ist nicht auszuschließen, daß jemand durch solche Aussagen zu Unrecht ent- oder belastet wird. Bessere Aufklärungsmöglichkeiten, gerade bei Verfahren gegen kriminelle Vereinigungen, sind dringend geboten. Auf Sicht gesehen, dürfte nach meinen Erfahrungen polizeiliche Ermittlungsarbeit, durch wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfahrungen ständig unterstützt, das geeignetste Mittel zur Tatsachenfeststellung auch in diesem Bereich bleiben.Was die von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagene Überwachung des mündlichen Verkehrs zwischen Verteidiger und Mandant angeht — sie knüpft an den neuen Straftatbestand des § 129 a des Strafgesetzbuches an —, so wird jeder Einsichtige das Regelungsmotiv ohne Einschränkung begrüßen. Es ist für unsere Rechtsordnung unerträglich, wenn der Beschuldigte noch aus der Untersuchungshaft heraus seine verbrecherische Tätigkeit fortsetzen und sich dabei der Hilfe seines Verteidigers bedienen kann. Daß solche Kontakte unterbunden werden müssen, wird kein vernünftiger Mensch bestreiten. Aber die Tauglichkeit der vorgeschlagenen Regelung bedarf ernsthaft der Untersuchung.Standesorganisationen der Rechtsanwälte haben gegen diese von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagene Überwachungsregelung mit Vehemenz Bedenken angemeldet. Die Versuchung liegt nahe, solche Bedenken mit dem Hinweis abzuwehren, den Rechtsanwälten stehe ja nach der Bundesrechtsanwaltsordnung das Instrumentarium zur Verfügung, sich von Berufskollegen mit standeswidrigem Verhalten zu trennen, und sie hätten dies nicht in ausreichendem Maße genutzt. Denn ein Selbstreinigungsprozeß ist gerade dann mit allem Nachdruck zu fordern, wenn es sich nicht lediglich um die Beeinträchtigung der Standesorganisation, sondern um die Gefährdung staatlicher Funktionen handelt. Es ist zu hoffen, daß die Ehrengerichte der Rechtsanwälte von den vorgeschlagenen differenzierten Möglichkeiten der Reaktion auf standeswidriges Verhalten in angemessenem und erforderlichem Maße Gebrauch machen.Obwohl also auch hier drei Finger auf jenen zurückweisen, der mit einem Finger auf den Gesetzgeber zeigt, sind die grundsätzlichen Bedenken der Rechtsanwaltschaft und die Vorbehalte gegen die praktische Anwendbarkeit der Überwachung des mündlichen Verkehrs zwischen Verteidigern und Mandanten ernst zu nehmen. Denn tatsächlich bedeuten die vorgeschlagenen Änderungen einen tiefen Eingriff in strafverfahrensrechtliche Positionen eines Beschuldigten und seines Verteidigers.Die Strafprozeßordnung ist das Ergebnis von Prozeßerfahrungen aus vielen Jahrhunderten. Die Einsicht, dem Staatsanwalt einen Verteidiger gegenüberzustellen, der ausschließlich — im Rahmen desRechts — dem Beschuldigten zu dienen hat, darf nicht verlorengehen. Der Verteidiger ist das kalkulierte Gegengewicht gegen den Vertreter der Anklage. Nur so, im dialektischen Prozeß der Wahrheitsfindung, ist auf Dauer die gerechte Entscheidung gewährleistet. Ein Verschieben dieser kalkulierten Gewichte ist nicht bedenkenfrei. Das ist die eine Seite.Die andere aber zeigt die besonderen Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit: auf welche Weise Vereinigungen anarchistischer Terroristen enge Kontakte über weitere Personen, oft Rechtsanwälte, unterhalten, dabei ihre Tätigkeit schwerer Kriminalität fortsetzen, die Bevölkerung verunsichern und diejenigen, die für diesen Staat Verantwortung tragen, vor schwerwiegende Entscheidungen stellen.Die Frage ist also: Wie weit darf der Gesetzgeber gehen? Das Problem ist in seinen Grundzügen bekannt. In den Jahren 1963 und 1964 wurde über genau diese Frage mit hohem Ernst, sehr viel Sachkenntnis und nach gründlicher Vorbereitung in diesem Haus, an dieser Stelle diskutiert. Damals entschied man sich dafür, die bis dahin bestehende Möglichkeit abzubauen, in eng eingegrenzten Fällen den schriftlichen und mündlichen Verkehr zwischen dem Verteidiger und seinem Mandanten zu überwachen. Viele der seinerzeit vorgebrachten Argumente und Fragen müssen uns auch heute noch bewegen; wir können sie nicht einfach übergehen.Aber wir dürfen auch nicht übersehen, daß dieser neue Typ des hochqualifizierten Kriminellen mit seiner anarchistischen Geisteshaltung, befangen in strikter Ablehnung der Voraussetzungen unseres Rechtsstaates, neue Tatsachen zur Beurteilung gesetzt hat. Und wenn das Maß der Gefahr so groß ist, daß die Verfassungsgarantie in diesem besonderen, eng umschriebenen Fall zurückzutreten hat, müssen wir nach einem geeigneten gesetzgeberischen Weg suchen. Aber niemand wird den Trugschluß ziehen, daß die vorgeschlagene gesetzliche Regelung, für sich allein genommen, jede weitere Gefährdung ausschließen könnte. Denn die Hauptverhandlung soll auch weiterhin überwachungsfrei bleiben. Gegenteiliges wird jedenfalls nicht in Erwägung gezogen.Im übrigen werden wir im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens prüfen müssen, ob für einen Richter, der zu ganz anderen Aufgaben ausgebildet und berufen ist, diese Regelung praktikabel ist. Wir brauchen eine Regelung, die mit großer Wahrscheinlichkeit konspiratives Zusammenwirken unterbindet. Diese kann in der Wirkung sogar tiefgreifender und grundlegender sein als die vorgeschlagenen Regelungen. Beispielsweise wäre daran zu denken, besondere Sicherheitsvorkehrungen beim Vollzug der Untersuchungs- oder Strafhaft zu ergreifen.Zwei weitere Vorschläge der Koalitionsfraktionen bedürfen der Hervorhebung.Zum einen: Es erscheint erfolgversprechend, dem Generalbundesanwalt die erste Zuständigkeit für die Verfolgung terroristischer Gewalttaten zu geben. Denn die Vergangenheit hat gezeigt, wie notwendig die Konzentration von Ermittlungsmaßnah-
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Dr. Pennermen bei einer Stelle ist. Dies wird durch die vorgeschlagene Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes gefördert.Zum anderen: § 138 des Strafgesetzbuches soll mit der erweiterten Verpflichtung versehen werden, bestimmte Straftaten, von denen man Kenntnis erhalten hat, anzuzeigen. Diese Gesetzesänderung führt jedem Bürger eindringlich vor Augen, daß er nicht tatenlos schweigen und zusehen darf, will er sich nicht selbst schuldig machen. Das trifft insbesondere jene, die von Kriminalisten als Sympathisanten der aktiven terroristischen Gewalttäter bezeichnet werden.Ein letztes Wort zu dem von der CDU/CSU vorgeschlagenen Ausschlußgrund wegen Verfahrenssabotage. Auch hierbei erscheint der Beweggrund für die Vorlage einleuchtend. Natürlich muß die in manchen Prozessen vorgebrachte Flut von Anträgen befremden, weil sie die zügige Abwicklung des Strafverfahrens behindert. Andererseits ist gerade der Beweisantrag ein Hauptschwerpunkt für sachgerechte Verteidigung. Das hat schon vor 50 Jahren der sicherlich allen unverdächtige Max Alsberg bewiesen. Ein Verteidiger ist einfach verpflichtet, im Rahmen des Rechts jede Chance für seinen Mandanten wahrzunehmen.Im übrigen lehrt ein Blick auf ein verwandtes Rechtsinstitut, daß solche Regelungen für die Rechtspraxis kaum Bedeutung haben. Das geltende Recht sieht nämlich vor, daß Beweisanträge als unzulässig abgelehnt werden dürfen, wenn sie zum Zwecke der Prozeßverschleppung gestellt werden. Die jüngsten Entscheidungen des Bundesgerichtshofes dazu machen die Gründe für die Zurückhaltung der Gerichte im Hinblick auf diese Möglichkeit hinreichend deutlich.Wir alle sollten bei den Ausschußberatungen gerade in diesen Fragen um ein Höchstmaß an Übereinstimmung und Sachlichkeit bemüht sein. Fragen des materiellen und des formellen Strafrechts, Probleme der inneren Sicherheit dürfen nicht zum Feld parteipolitischer Polemiken werden.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wollen wir uns über die Notwendigkeit der heute zur Beratung anstehenden gesetzgeberischen Maßnahmen gegen den Terrorismus als Teil unseserer Gegenstrategie gegen diese gewalttätige Herausforderung unseres freiheitlichen Rechtsstaates schlüssig werden, so müssen wir uns zunächst die Strategie der terroristischen Vereinigungen vergegenwärtigen, mit denen wir es zu tun haben.Entgegen der marxistisch-leninistischen Strategie, die auf kollektiven Terror der revolutionären Massen setzt, hält der vor allem aus der Strategiekonzeption der südamerikanischen Stadtguerilla auch in unser Land importierte Terrorismus den individuellen Terror von revolutionären Gruppen für das geeignete Mittel, das als „Klassenherrschaft" und „Gewaltherrschaft" denunzierte System der freiheitlich rechtsstaatlichen Demokratie umzustürzen. Eine irreale Strategie, bezogen auf eine irreale Situation! Denn eben für die hier vorausgesetzte revolutionäre Situation besteht in der Wirklichkeit unserer liberalen und sozialen Demokratie keinerlei Ansatz und Anlaß. Also soll sie durch die terroristische Strategie zunächst überhaupt erst herbeigeführt werden.Folgerichtig sieht diese Strategie des Terrorismus ihr erstes Ziel darin, das reformerische Potential in unserer Gesellschaft zwischen den eskalierenden Fronten zu zerreiben, um so die angebliche „Reformunfähigkeit der Gesellschaft", die den Vorwand für die eigene revolutionäre Strategie liefern soll, notfalls herbeizubomben. Zu der für den Erfolg dieses strategischen Konzepts erforderlichen Gewinnung einer wachsenden Schar revolutionärer Sympathisanten soll der freiheitliche Rechtsstaat so herausgefordert und gedemütigt, so provoziert und diffamiert werden, daß er sich in Überreaktionen wie ein Polizeistaat verhält. „Natürlich darf dazu auch geschossen werden!", wie die terroristische Parole heißt. Moralisch bemäntelt wird diese Erlaubnis, zu töten, durch die Unterscheidung von Menschen und Unmenschen — wie gehabt. Letztere sind die als „Schweine" bezeichneten Repräsentanten dieses unseres freiheitlichen Staates. Das ist blanker Linksfaschismus. Am Ende dieser menschlichen Verirrung stehen pure Ahumanität und brutaler Terror von nach gemeinem Strafrecht strafbarem Mord und Raub, von strafbarer Entführung und Erpressung.Dieser heute weltweit verbreitete Terrorismus kann auch in freiheitlichen Staaten, wie wir sehen, da auftreten, wo in der Jugend eines Volkes revolutionäre Impulse, im Streben nach einer besseren Welt und einer menschlicheren Gesellschaft, entstehen und sich nicht rechtzeitig und zureichend in ein reformerisches Engagement innerhalb des politischen Systems umsetzen und übersetzen. Dies ist offenbar in einigen Gruppen der 1968 in außerparlamentarischer Opposition ins Abseits auch unserer Gesellschaft geratenen, wie man damals sagte, „unruhigen Jugend" aus nahezu ausschließlich bürgerlicher Herkunft geschehen. Für sie ist dann das Hineinträumen in eine pseudorevolutionäre Situation zur geistigen Sackgasse geworden, die sie immer weiter in die Kriminalität gemeinen Mordes und Totschlags hineingeführt hat.Gegen diesen so als Ersatzrevolution, ja, als eine Art Ersatzkrieg betriebenen individuellen Terrorismus bleibt dem freiheitlichen Rechtsstaat bei allem Verstehen von Ursachen keine andere Wahl als die, sich mit seinen äußersten Mitteln gegen solche Herausforderung zur Wehr zu setzen. Denn: zwar stellen diese Terroristen ohne Rückhalt in der breiten Bevölkerung keine Gefahr für den Bestand unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung dar, wohl aber eine ernsthafte Gefahr für Leben und Freiheit der von ihnen mit brutalem Terror bedrohten Bürger und damit für die innere Sicherheit unseres
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Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihoferfreiheitlichen Staates, wie ich schon im letzten Verfassungsschutzbericht 1974 festgestellt habe.Das aber heißt mit anderen Worten: ernsthaft gefährlich an diesem Terrorismus sind nicht seine politischen Zielsetzungen eines gewaltsamen Umsturzes unseres politischen Systems; sie sind und bleiben irreal und illusionär. Real aber sind, das müssen wir illusionslos sehen, die kriminellen Auswirkungen dieses Terrorismus auf Leben und Freiheit unserer Bürger; nicht also — mit anderen Worten — die in ihm steckende politische Strategie, sondern die aus ihm folgende apolitische und antisoziale Kriminalität gemeiner Straftaten solcher terroristischen Vereinigungen.
Gilt auch und gerade für einen freiheitlichen Rechtsstaat doch: Mord ist Mord und Raub ist Raub, ohne Rücksicht auf pseudopolitische Motivationen solcher gemeinen Verbrechen.Nur wenn so der Terrorismus seiner heutigen Bemäntelungen als, wie manche auch heute noch sagen, politische Kriminalität entkleidet und als das aufgefaßt und bekämpft wird, was er in Wirklichkeit und in Wahrheit ist, als gemeine Kriminalität, werden wir aus den menschlichen Verwirrungen herausfinden, die sich heute in manchen Köpfen breitgemacht haben.
Sowenig für uns heute auf dem Felde der Außenpolitik noch der Krieg als die „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" gilt, sondern als das, was er wirklich ist: ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, so wenig kann für uns heute auf dem Felde der Innenpolitik der Terror als „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" gelten,
sondern als das, was er wahrhaft ist, ein Verbrechen gegen Menschen, ihr Leben, ihre Freiheit.Die Bekämpfung dieses Terrorismus ist, wie aus Vorgesagtem leicht zu erkennen ist — dazu wäre vieles noch zu sagen und wird an anderer Stelle noch zu sagen sein —, nicht nur ein polizeiliches Problem, sondern ein Problem auch der Erforschung und Auseinandersetzung mit den geistigen Ursachen dieser verbrecherischen Verirrungen. Aber sie ist auch ein polizeiliches Problem, und darüber möchte ich aus meiner Sicht als Beitrag zu dieser Debatte reden.Die Bundesregierung räumt dementsprechend in Übereinstimmung mit den Ländern der Bekämpfung des Terrorismus erste Priorität vor allen anderen polizeilichen Aufgaben ein. Bund und Länder haben dazu nach dem Wiederauflodern terroristischer Aktionen mit der Ermordung des Berliner Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann ihre beiderseitige Zusammenarbeit bei der Bekämpfung solcher Gewaltverbrechen noch weiter verstärkt.Danach ist inzwischen durch einvernehmliche Regelungen in der Innenministerkonferenz nicht nur die zentrale Steuerung der Sammlung und Auswertung der polizeilichen Informationen im gesamten Bereich des Terrorismus auf das Bundeskriminalamt übertragen worden, sondern zuletzt durch Beschlüsse vom 11. April 1975 auch die zentrale Steuerung aller polizeilichen Operationen gegen Terroristen, sowohl derer, die mit Kräften des Bundes, als auch derer, die mit Kräften der Länder durchgeführt werden.Die Bundesregierung hat zur Erfüllung der damit dem Bundeskriminalamt zugewachsenen neuen Aufgaben bei der zentralen Steuerung aller Operationen gegen den Terrorismus in unserem Lande eine neue Abteilung „Terrorismus" beim Bundeskriminalamt geschaffen, die inzwischen, wie ich hier mit Befriedigung feststellen kann, ihre Tätigkeit mit einem Personalbestand von über 200 Kräften voll aufgenommen hat.Durch diese in enger Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern verstärkten, teilweise neuartigen Bekämpfungsmaßnahmen, von denen hier begreiflicherweise im einzelnen nicht die Rede sein kann, sind allein seit Oktober 1974 insgesamt 44 Terroristen festgenommen worden , und zwar unter anderem — ich greife nur einige besonders bedeutsame Fälle heraus —: am 1. Oktober 1974 sieben Personen, darunter der mutmaßliche Mörder des früheren Anarchisten Ulrich Schmücker und seine Gehilfen; am 26. November 1974 sechs Personen anläßlich der „Aktion Winterreise", darunter der Fälschungsspezialist Dieter Hartmann; am 20. März 1975 Petra Krause und Elisabeth van Dyck wegen Sprengstoffattentaten in der Schweiz, die in enger Zusammenarbeit mit den schweizerischen Behörden festgenommen wurden — sie kommen möglicherweise auch als Unterstützer der Täter in Betracht, die den Sprengstoffanschlag auf das Bundesverfassungsgericht durchgeführt haben —; am 24. April 1975 fünf Terroristen nach dem Überfall auf die Botschaft in Stockholm; am 28. April 1975 vier Anarchisten in Berlin, von denen drei nach dem Inhalt eines Kassibers, der als Schuldeingeständnis anzusehen ist, als Entführer von Peter Lorenz in Betracht kommen — das ist schon mehr als die Hälfte derer, die wir als Entführer verdächtigen —; am 9. Mai 1975 drei Anarchisten in Köln-Gremberg, und am 6. Juni 1975, also vor nicht einer Woche, ein als besonders gefährlich eingeschätzter Terrorist in Berlin, der seit langem gesuchte Till Meyer.Das sind insgesamt, wie ich meine, erfreuliche Erfolge, hier und dort — wie immer — durch glückliche Zufälle begünstigt, aber auch sichtbares Ergebnis zäher und geduldiger polizeilicher Arbeit, die wir vielen namenlosen, unbekannten Polizisten zu danken haben, die mit hohem persönlichen Risiko ihre alltägliche Pflicht zum Schutze unserer Bürger tun.
Diese positive Bilanz darf uns allerdings nicht den Blick dafür verstellen, daß noch vieles zu tun ist. Denn: neben den 24 im Untergrund lebenden gefährlichen Terroristen, die den Sicherheitsbehörden namentlich bekannt sind und die mit Haftbefehl gesucht werden, haben wir mit einem weiteren Umfeld von gefährlichen Mittätern zu rechnen, deren Zahl unter 100 liegt. Die genauere Zahl ist hier selbstverständlich nicht öffentlich zu erörtern; das werden
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Bundesminister Dr. Dr. h. c. MaihoferSie begreifen. Hinzu kommt eine Zahl von zwischen 200 und 300 aktiven Sympathisanten, die als Unterstützer oder Begünstiger in Betracht kommen, und ein weiterer Kreis von zwischen 2 000 und 3 000 Personen, die als potentielle Sympathisanten in Frage kommen.Diese nüchternen und auch ernüchternden Zahlen zeigen, daß hier Grund weder für Übersteigerung noch für Verharmlosung der die Sicherheit unserer Bürger bedrohenden Gefahren vorhanden ist. Eines aber ist nach dem Urteil der Fachleute klar: Das Problem des Terrorismus wird uns angesichts der internationalen Verflechtung der terroristischen Szene, selbst bei größten Erfolgen im Inland, noch über Jahre beschäftigen.
: Leider wahr!)
Hier gilt der alte Grundsatz: Mit dem Schlimmsten rechnen, und das Äußerste dagegen unternehmen!Dem dienen auch die gesetzgeberischen Maßnahmen, die von seiten der Koalition heute zur ersten Beratung im Parlament eingebracht worden sind und zu denen Herr Kollege Vogel für die Regierung im einzelnen Stellung genommen hat. Mit Ihnen werden die juristischen Konsequenzen aus den neuartigen Erscheinungsformen des organisierten Terrorismus gezogen, und ich glaube, abschließend gezogen, so wie es nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geboten ist: so eng wie möglich angesetzt, so streng wie möglich umschrieben, um den spezifischen Gefährdungen zu begegnen, die von solchen terroristischen Organisationen ausgehen, vor allem so lange — und das ist ja hier das spezifische Problem —, wie ein Teil dieser Vereinigungen in den Zellen sitzt, ein anderer Teil aber noch im Untergrund draußen tätig ist. Hier droht die für solche terroristischen Vereinigungen typische Gefahr, daß die Initiatoren dieser Organisationen ihre Aktivitäten auch nach ihrer Inhaftierung fortsetzen, sie aus den Zellen heraus weiter planen und steuern, bis hin zur Planung und Steuerung ihrer Selbstbefreiung. Darüber haben wir nun in Hülle und Fülle gesicherte Erkenntnisse. Dem muß ein Ende gesetzt werden! Durch streng rechtsstaatliche, möglichst eng begrenzte und doch möglichst wirksame Regelungen. Sie sind — lassen Sie mich das abschließend feststellen — für einen Liberalen eine bittere Notwendigkeit. Aber sie sind auch und gerade für einen Liberalen, dem die Verteidigung unseres freiheitlichen Rechtsstaates über alles geht, eine Notwendigkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Spranger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Mord an dem Berliner Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann, die Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Lorenz, der Anschlag auf die Stockholmer Botschaft ließen SPD- und FDP-Politiker hinterher immer erklären, daß der Rechtsstaat „nicht kapitulieren" werde, daß man ihn mit der „Solidarität der Demokraten" und allen rechtsstaatlichen Mitteln verteidigen werde oder — wie es Herr Gnädinger heute getan hat —, daß man sich beim Schutz des Rechtsstaates „von niemandem übertreffen lassen" werde.
Allerdings haben wir von der CDU/CSU bis heute auf echte Taten der Bundesregierung warten müssen.
Ich weiß nicht, ob sich diese Dame heute in gleicher Weise über Terroristen äußern würde.
— Herr Wehner, Herr Kleinert hat von Gelassenheit und Selbstbewußtsein gesprochen. Es wäre empfehlenswert, wenn Sie sich ebenfalls in gleicher Art verhalten würden.
Um diese Gelassenheit und dieses Selbstbewußtsein zu zitieren, Herr Kleinert, so glaube ich nicht, daß diese Gelassenheit und dieses Selbstbewußtsein denen viel geholfen hat, die zwischenzeitlich zu Opfern der Terroristen geworden sind.Wenn Sie sagen, Sie hätten in der Vergangenheit eine ganz klare Linie verfolgt, so meine ich, daß man den Zickzackkurs der Regierung zwischen Untätigkeit oder halbherziger Reaktion auf Aktionen der CDU nicht origineller umschreiben könnte. Wenn Sie schließlich sagen, Teile dieses Entwurfs stellten den Rechtsstaat in Frage, dann muß ich feststellen: Das ist eine Diskreditierung der CDU/ CSU. Ich meine, es stellen jene Politiker den Rechtsstaat in Frage, die nicht in angemessener und klarer Haltung gegen die Rechtsbrecher zum Schutz der Bürger vorgehen.Herr Bundesminister Maihofer schließlich hat in seiner Rede eine Reihe von Erfolgen aufgezählt, die man im Rahmen der Terroristenbekämpfung erreicht haben will. Ich will diese Erfolge nicht schmälern. Ich möchte aber auch vor einer zu euphoristischen Bewertung solcher Meldungen warnen.Denn es hat ja schon früher solche euphoristischen Erfolgsmeldungen gegeben. Ich darf hier einige mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren.So erklärte der Bundesinnenminister bereits am 14. November 1974 im Deutschen Bundestag, daß12462 Deutscher Bundestag — '7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975Sprangerder harte Kern der kriminellen Vereinigung Baader-Meinhof zerschlagen worden sei. Es sei überdieseine Vielzahl von weiteren Erfolgen zu vermelden.
Wir kennen auch noch die bekannte Aussage des damaligen FDP-Vorsitzenden, Herrn Scheel, am 16. November 1972 vor dem Fernsehen:Von Baader-Meinhof-Gruppe spricht man heute nur noch in den Gerichtssälen, doch nirgendwo sonst mehr.Im Lagebericht des BKA vom Oktober 1974 steht schließlich:Die nach dem Todestag des Studenten Ohnesorg benannte Anarchistengruppe „2. Juni" ist seit 1972 zerschlagen. Nach der Festnahme ihres Kommandos gilt die Gruppe als nicht mehr existent.Ich möchte auch Herrn Kleinert noch nachträglich zu Wort kommen lassen. Herr Kleinert hat bereits am 7. Juni 1972 im Deutschen Bundestag erklärt — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —,... daß sich nun von Mitgliedern des Kerns der Baader-Meinhof-Gruppe/Bande— bitte, zur Auswahl: der Baader-Meinhof-Bande also —seit heute nur noch zwei Personen auf freiem Fuß befinden. Das sind Dinge, die man vorzeigen kann.Sein Bundesminister muß sich hier nun heute herstellen und deutlich zum Ausdruck bringen, daß man noch jahrelang mit diesen terroristischen Erscheinungsformen zu rechnen habe. Diese Regierung ist heute nun tatsächlich gezwungen — obwohl sie sich lange gesträubt hat —, Gesetzesinitiativen zu ergreifen.Wir müssen feststellen, daß verbale Kraftmeierei und fade Propagandasprüche bisher die zum Schutz von Staat und Bürger dringend nötige rechtspolitische Offensive der Bundesregierung gegenüber gefährlichen und skrupellosen Rechtsbrechern ersetzt haben. Die jahrelangen Versäumnisse kann die Bundesregierung nicht damit vertuschen, daß ihre Fraktionen endlich die Aufgaben der Regierung übernommen und doch noch einen mager begründeten Gesetzentwurf zur Terrorbekämpfung vorgelegt haben. Er greift jene Initiativen auf, die bereits im Bundesrat, vor allem von den Ländern Bayern und Baden-Württemberg, sowie von der CDU/CSU-Fraktion entwickelt wurden. Diese Initiativen sind noch vor wenigen Wochen in nahezu unglaublicher Weise von Bundesminister Dr. Vogel als „publizistisches Tamtam" abqualifiziert worden.Meine Damen und Herren, selbst dazu wäre es aber sicherlich nicht ohne den massiven Druck der Öffentlichkeit und die Empörung der Bürger über die Untätigkeit der Bundesregierung gekommen.Ihr Versagen bei der Terrorbekämpfung beruht allerdings nicht nur auf Schlafmützigkeit und Schlamperei. Vielmehr konnte sich jene Minderheit in SPD und FDP, die angesichts der unerträglich gewordenen Bedrohung einer entschlosseneren Terroristenbekämpfung das Wort redete, nicht durchsetzen. Stärker waren jene, die aus ideologischen Gründen, falscher Toleranz, wirklichkeitsfremder Auslegung oder gefährlicher Verwechselung der Rechtsstaatsprinzipien mit Verständnis, Nachgiebigkeit oder Untätigkeit gegenüber Schwerkriminellen lieber eine so große Gefährdung des Rechtsstaates in Kauf nahmen, daß selbst sie heute — zum Teil jedenfalls — grünes Licht zu Gesetzesinitiativen geben müssen.Zu dieser Gefährdung hätte es nicht zu kommen brauchen, wenn nicht linke Gruppen innerhalb und außerhalb von SPD/FDP jahrelang die wahre Brutalität und Gefährlichkeit der linksradikalen Terroristen verharmlost und verniedlicht hätten, obwohl jeder Vernünftige den Weg dieser Linksradikalen seit 1968 klar vorhersehen konnte.
— Herr Arndt, diese Gruppe bezeichnet sich selbst so. Wenn Sie das Programm lesen, werden Sie zugeben, daß sie linke Argumente verwenden und linke Zielsetzungen verfolgen. Eine Reihe von Zitaten könnte dies beweisen; ich möchte mir dies ersparen.Man warb geradezu um Verständnis, um Sympathie und Toleranz für die „jungen engagierten Menschen", mystifizierte sie als unverschuldet irregeleitete Weltverbesserer und stabilisierte damit den gefährlichen Sympathisantenkreis, ohne deren Opfer und ihrer Angehörigen auch nur in annähernd gleicher Weise zu gedenken.Mitglieder der Regierungsparteien taten sich dadurch hervor, daß sie der CDU/CSU, die immer wieder auf die bedrohliche Entwicklung hinwies und konkrete Maßnahmen und entschlossenes Handeln forderte, Panikmache und Angstmacherei vorwarfen. Anstatt die Linksradikalen zu bekämpfen, erschöpften sich SPD-Mitglieder ohne Widerspruch dieser Bundesregierung in kriminellen Verbalexzessen und Verteufelungsorgien gegenüber der CDU/CSU und ihren Repräsentanten.
— Sie wissen genau, was die Jungsozialisten am 13. Dezember 1974 in Bremen beschlossen haben und was ebenfalls unwidersprochen Klaus Matthiesen im Rahmen des schleswig-holsteinischen Wahlkampfes von sich gegeben hat.Ich wies schon darauf hin, daß man mit euphorischen Erfolgsmeldungen die Öffentlichkeit zu täuschen versuchte. Eine derartige Geisteshaltung erklärt, warum die Öffentlichkeit jahrelang über Aktivitäten und Gefahren des Terrorismus höchst mangelhaft unterrichtet wurde, warum eine verschleppte Dokumentation des Bundesinnenministeriums keinerlei Aufklärung enthielt über die Straftaten der Baader-Meinhof-Bande und über jene gewissen pseudointellektuellen Hilfstruppen, die als Hochschullehrer, Publizisten, Theologen, Philosophen oder Fernsehjournalisten, vor allem aber als sogenannte „Rechtsanwälte" den Terroristen moralisch
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975 12463
Sprangerdas Feld bestellten, sie in Schutz nahmen und das rechtmäßige, pflichtgemäße Vorgehen von Polizei und Justiz als Terror und Folter verleumdeten und einen Sympathisantenkreis bildeten, der nun strafrechtlich erfaßt werden soll.Diese verderbliche Entwicklung hat die Bundesregierung nicht gebremst. Sie hat bis heute kaum einen Finger krumm gemacht, um sie zu verhindern. Sie hat Initiativen der CDU/CSU überlassen, und diesen dann noch Widerstand entgegengesetzt. Ich erinnere an Demonstrationsrecht, Haftrecht, gerichtliche Ordnungsgewalt und Verteidigerüberwachung.
Durch dieses Verhalten wurde die verderbliche Entwicklung sogar noch gefördert, weil die von ihr seit Jahren betriebene Liberalisierung des Strafrechts zur Schwächung und Aushöhlung des Rechtsstaates führte.
— Hören Sie sich einmal bei den Polizeibeamten und bei den Staatsanwälten um. Wenn Sie den Bezug zur Praxis nicht völlig verloren hätten, Herr Dr. Arndt, würden Sie die Situation ebenso wie ich bewerten.
Die Funktionsfähigkeit der Strafverfolgungsbehörden wurde ebenso beeinträchtigt wie der Wille staatlicher Organe, geschriebenes Recht auch wirklich durchzusetzen. Ich erinnere an die Erscheinungsformen bei den Hausbesetzungen in Frankfurt, bei den dortigen Demonstrationen oder auch an das skandalöse Verhalten der Angeklagten und Verteidiger in den APO-Prozessen der 60er und 70er Jahre. Die extreme Beanspruchung grundrechtlicher Freiheiten einerseits, die ständige Diskreditierung staatlicher Hoheitsrechte, ,die Verketzerung von Recht und Ordnung, insbesondere aber auch gezielte Kampagnen der Verächtlichmachung von Justiz und Polizei durch linke Gruppen führten zu einer unerträglichen Verunsicherung der Staatsmacht. Die Folgen waren eine Erosion des Rechtsbewußtseins, ein Schwund der Gesetzestreue, ein Ansteigen der Kriminalität, immer größere Schäden an Personen und Sachen, ständig sinkende Aufklärungsquoten. Der Bericht des Bundeskriminalamtes 1974 beweist dies.Das alles hat das Verständnis vieler Bürger überstrapaziert, ihr Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttert. Diese Tatsache und die Meinung des Volkes — so sprachen sich nach einer Umfrage des Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts z. B. im September 1974 78 % der Bevölkerung für eine stärkere Bekämpfung von Verbrechen aus — —
— Wenn Sie hier von gesundem Volksempfinden sprechen, Herr Dr. Arndt, muß ich sagen: Wir haben das Wort „Mehr Demokratie wagen" nicht in die Welt gesetzt,
aber wir beachten die Meinung des Volkes. Wenn Sie sich dem Volk verpflichtet fühlen, sollten Sie solche Meinungen, die sich mit so hohen Prozentsätzen für eine bestimmte politische Haltung einsetzen, ernst nehmen, jedenfalls ernster, als Sie es bisher getan haben.
Das alles hätte längst ein Überdenken, eine Neubesinnung und konkrete gesetzgeberische Konsequenzen zur Folge haben müssen, wie sie die CDU/ CSU jahrelang vergeblich gefordert hat.Angesichts dieses nun von SPD- und FDP-Regierung zu verantwortenden Allgemeinzustandes der inneren Sicherheit ist der Gesetzentwurf der SPD/ FDP unzureichend. Wir begrüßen es zwar, daß endlich die dringlichsten Anliegen der CDU/CSU zur besseren Bekämpfung terroristischer krimineller Vereinigungen von SPD und FDP aufgegriffen wurden. Wir bedauern aber auch, daß die Vorschläge der SPD/FDP in einzelnen Punkten hinter den Vorschlägen der CDU/CSU zurückbleiben, etwa bei der Einstufung des § 129 a als bloßes Vergehen, bei der Einengung dieser Norm auf wenige schwerwiegende Straftaten, bei der Beschränkung der Anzeigepflicht in § 139 Abs. 3 und bei der Weigerung, § 239 b auf die politische Erpressung auszudehnen.Von einem „Paket" oder „Gesetzesbündel" kann — im Gegensatz zu realitätsblinden Hofpropagandisten — bei diesem schlichten Änderungsgesetz keineswegs gesprochen werden. Dazu läßt es zu viele notwendige und von uns geforderte Verbesserungen unter den Tisch fallen, wie etwa die Beschleunigung von Strafverfahren, insbesondere bei Großverfahren; prozessuale Hilfen gegen rechtswidrige Verfahrenssabotage; Straffung des Rechtsmittel- und Instanzenzuges; die Erweiterung der Überwachungsbefugnisse der Polizei gegenüber den als nicht besserungsfähig anerkannten und erkannten gefährlichen Verbrechern; eine wirksame Überwachung der Verteidiger, die ihr Mandat mißbrauchen, gemäß den Vorstellungen des Bundesrates; eine Verbesserung des Schutzes des Gemeinschaftsfriedens — entsprechend den Vorstellungen des Bundesrates — und des Waffengebrauchsrechts für Polizeibeamte; schließlich eine wirksamere vorbeugende Verbrechensbekämpfung, z. B. durch bessere Aufklärung und Warnung der Bevölkerung, als es in den letzten Jahren geschehen ist.Deswegen werden wir von der CDU/CSU in den Beratungen alles daransetzen, daß SPD/FDP nicht noch hinter ihren unzulänglichen Entwürfen zurückbleiben, wie es bedauerlicherweise bei den Beratungen über den Verteidigerausschuß und beim Strafvollzug der Fall war. Wir hoffen, daß sich nicht jene in der Koalition durchsetzen, die wie Altbundespräsident Heinemann oder der frühere Justizminister Neuberger in den letzten Tagen sogar die unzureichenden Vorschläge der SPD/FDP als „fragwürdig" bezeichneten und „ungute Gefühle" bekamen, oder jene Gruppe in der SPD/FDP, die laut dpa vom 11. Juni 1975 ausgerechnet unter Federführung eines Herrn Ehmke als Vorreiter „rechtstaatliche" Bedenken äußerten. Wenn Herr Bundesminister Vogel
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12464 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Sprangervorhin seine Hoffnung zum Ausdruck gebracht hat, daß hier ein breiter Konsens des Hauses erzielt werde, so dürfte diese Hoffnung nicht unbedingt der CDU/CSU gegenüber zum Ausdruck gebracht werden, sondern es wäre dringlicher, daß Sie Ihre eigene Fraktion ansprechen.Wir erwarten, daß die Beratungen unverzüglich aufgenommen und durchgeführt werden und daß die Bundesregierung nicht wieder in einen sicherheitspolitischen Dornröschenschlaf versinkt, sondern die Vorschläge der CDU/CSU ernster nimmt als bisher. Auch die Bundesregierung sollte endlich nach der Erkenntnis handeln, daß die innere Sicherheit ein wesentliches und unverzichtbares Merkmal staatlicher Hoheit und für den einzelnen Bürger die Voraussetzung eines Lebens in Frieden, Freiheit und Ordnung ist. Deswegen fordern wir die Bundesregierung erneut auf, wenigstens zukünftig alle rechtsstaatlichen Mittel gegenüber denjenigen einzusetzen, die die Grundlagen der Freiheits- und Friedensordnung unseres Staates gefährden und den sozialen Rechtsstaat bedrohen.
Meine Damen und Herren, es liegen zwar noch weitere Wortmeldungen vor, aber wir treten jetzt dennoch in die Mittagspause ein.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14.00 Uhr.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Wie treten in die Fragestunde
— Drucksachen 7/3737, 7/3754 —
ein.
Zunächst liegen zwei Dringlichkeitsfragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen vor. Ich rufe die Dringlichkeitsfrage 1 des Abgeordneten Schmidt auf:
In welchem Umfang ist die Bundesregierung bereit, dafür Sorge zu tragen, daß die Angehörigen der Unfallopfer des Eisenbahnunglücks von Warngau schnelle und unbürokratische finanzielle Hilfen erhalten?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Haar.
Herr Kollege, für die Bundesregierung hat der Bundesminister für Verkehr bereits versichert, daß diese versuchen werde, alles Menschenmögliche zu tun, um zu helfen. Hierzu gehört auch die Sorge darum, daß eine entsprechende Zusage des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn verwirklicht wird.
Die Bundesbahndirektion München hat für eine unbürokratische und schnelle Hilfe bereits die erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen getroffen. Die Bundesbahndirektion München hat auf I Anfrage mitgeteilt, daß sie über alle personellen und sachlichen Mittel verfüge, um die Ansprüche der Geschädigten schnell und unbürokratisch abzuwikkeln.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schmidt .
Herr Staatssekretär, ist beabsichtigt, im Wege von Vorleistungen und Vorauszahlungen eine ganz schnelle Hilfe zu leisten, schon bevor die Unfallursache und die Ansprüche im einzelnen geprüft worden sind?
Diese Frage kann ich nach Kenntnis der Sachlage mit Ja beantworten.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Schmidt.
Ist die Bundesregierung bereit, Herr Staatssekretär — nachdem man sich fast daran gewöhnt hat, daß nach Unglücken immer schnelle und unbürokratische Hilfe versprochen wird, dieses Versprechen dann aber manchmal nicht eingehalten wird —, darauf zu achten und auch zu kontrollieren, daß diese Hilfe, die die Bundesbahn zugesagt hat, auch in der zugesagten Weise ausbezahlt wird?
Wir haben keinen Zweifel daran, daß eine solche unbürokratische Hilfe, wie sie schon in der Vergangenheit ermöglicht worden ist, auch künftig erfolgt — im Rahmen der rechtlichen Verpflichtungen und Möglichkeiten, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Geisenhofer.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß bei der Deutschen Bundesbahn Erwägungen angestellt werden, eine Schadensersatzpflicht dann abzulehnen, wenn der Fahrdienstleiter von Warngau die Schuld an dem Schadensereignis tragen sollte?
Nein.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Riedl .
Herr Staatssekretär, warum hat der Vorstand der Deutschen Bundesbahn am Morgen nach dem Unglück versucht, alle Schuld dem Fahrdienstleiter in Warngau zuzuschieben, während Präsident Vaerst am Abend des-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975 12465
Dr. Riedl
selben Tages einen — wie er sagte — fahrplanmäßigen Fehler zugeben mußte, und was noch schlimmer ist, nicht mehr ausschließen konnte, daß es bei uns in der Bundesrepublik Deutschland noch weitere ähnliche Todesfahrpläne gibt, und ist das für die Bundesregierung nicht Grund genug, Herrn Vaerst und den Vorstand der Deutschen Bundesbahn wegen voller Verantwortlichkeit hierfür zur Rechenschaft zu ziehen und gegebenenfalls zu entlassen?
Ich weiß nicht, Herr Kollege Riedl, ob es zum jetzigen Zeitpunkt, da die Ermittlungen nach diesem folgenschweren Unfall noch in vollem Gange sind, schon berechtigt ist, in dieser Form Fragen an die Bundesregierung zu stellen. Ich kann Ihnen nur bestätigen, daß der Bundesverkehrsminister noch in derselben Nacht selbst am Unfallort war und sich orientiert und informiert hat, auch bei den zuständigen verantwortlichen Beamten, daß in der Zwischenzeit ein unabhängiger Sachverständiger benannt worden ist, der auch entsprechende Auskünfte bei den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gibt, daß also Gewähr geboten ist, daß unabhängig von der Administration alles, was zur Aufhellung der Unfallursache beitragen kann, auch zusammengetragen und dargestellt wird.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Müller-Hermann.
Herr Staatssekretär, wie ist es möglich, daß nach der ähnlichen Verkehrskatastrophe bei Radevormwald seitens der Regierung und seitens des Vorstands der Bahn nichts getan worden ist, um mehr Verkehrssicherheit auf diesen eingleisigen Strecken sicherzustellen?
Ich bezweifle, Herr Kollege Müller-Hermann, ob Ihre Frage in einem Zusammenhang mit der ursprünglich gestellten Frage steht.
— Ich darf annehmen, daß ich eine solche Feststellung hier treffen darf.
Ich möchte hier feststellen, daß die Mittel für das Sicherheitsprogramm des Jahres 1971 ungekürzt zur Verfügung stehen und es Sache des Vorstandes der Bundesbahn ist, im Einzelfall die Investitionsentscheidungen nach dem Sicherheitsprogramm zu treffen. Weitere Anforderungen, etwa nach dem Stand des Jahres 1974, sind dem Bundesverkehrsminister vom Bundesbahnvorstand quantifiziert nicht übermittelt worden.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Lenzer.
Herr Staatssekretär, können Sie zu dieser Stunde konkrete Angaben darüber machen, auf welche Weise der Herr Bundesverkehrsminister sein Versprechen einzulösen gedenkt, das er gestern bei der Trauerfeier gegeben hat, nämlich alles Menschenmögliche zu tun, um den Hinterbliebenen schnell und ohne Umstände zu helfen?
Der Bundesverkehrsminister läßt sich durch die Bundesbahndirektion München und durch den Vorstand der Deutschen Bundesbahn täglich informieren, und er hat bereits veranlaßt, daß in der nächsten Sitzung des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages der Vorstandsvorsitzende selbst über die Gesamtsituation berichtet.
Ich rufe die zweite Dringliche Frage, die des Abgeordneten Dr. Riedl , auf:
Treffen Pressemeldungen zu, wonach den Hinterbliebenen und Verletzten des Zugunglücks von Warngau unter Umständen überhaupt keine Entschädigung gewährt wird, und wie ist eine solche Feststellung vereinbar mit dem Versprechen der Deutschen Bundesbahn, den Unfallopfern unbürokratisch zu helfen?
Derartige Pressemeldungen treffen nicht zu. Die Deutsche Bundesbahn wird ihrer Haftung für den Unfall im Rahmen des geltenden Haftpflichtrechts in vollem Umfange nachkommen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Riedl .
Herr Staatssekretär, ich habe mich bei meiner Frage auf eine in der Münchner „Abendzeitung" auf Seite 3 wiedergegebene Äußerung des Bundesbahndirektors Peter Weber, 44 Jahre alt, von der Bundesbahndirektion München bezogen. Sie können das hier nachlesen. Es heißt da: Kein Pfennig Schmerzensgeld, wenn der Fahrdienstleiter die Hauptschuld trägt. Was haben Sie, Herr Staatssekretär, unternommen, um den Herrn Bundesbahndirektor auf die Rechtslage aufmerksam zu machen, wenn Sie hier im Bundestag diese Antwort geben?
Herr Kollege Riedl, ich habe diese Zeitungsveröffentlichung im Augenblick nicht zur Hand, kann also auch zu einer Einzeläußerung eines Beamten der dortigen Bundesbahndirektion nicht Stellung nehmen. Ich kann Ihnen aber sagen: Die Deutsche Bundesbahn haftet immer für Personenschäden ohne ein Verschulden ihrer Bediensteten nach dem Reichshaftpflichtgesetz. Der Schadensersatz, der im Rahmen dieser sogenannten Gefährdungshaftung zu leisten ist, beläuft sich nach geltendem Recht auf eine Jahresrente von höchstens 15 000 DM; der Höchstbetrag bei einer Kapitalabfindung beträgt 250 000 DM. Von diesen Beträgen gehen offensichtlich auch die erwähnten Pressemeldungen aus.
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12466 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, um es einmal ganz konkret zu wissen: Das Unglück ist am Sonntagabend passiert, heute ist Donnerstag. Was hat die Deutsche Bundesbahn bis zu dieser Stunde getan, um den Unfallopfern und den Hinterbliebenen finanziell zu helfen?
Es sind inzwischen bereits Abschlagszahlungen geleistet worden. Dem Bundesverkehrsminister ist bis zum Augenblick keine Beschwerde eines einzelnen betroffenen Familienangehören darüber bekannt, daß bislang irgend etwas nicht unbürokratisch und so rasch wie möglich im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten gehandhabt worden wäre.
Meine Damen und Herren, ich lasse noch weitere Zusatzfragen zu, möchte aber darauf aufmerksam machen, daß sie sich ausdrücklich auf die Grundfrage beziehen müssen. Ich darf bitten, das zu berücksichtigen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Geisenhofer.
Herr Staatssekretär, Sie hatten gesagt, daß der Bundesverkehrsminister alles tun wird, seine Zusage, die er bei der gestrigen Trauerfeier gegeben hat, einzuhalten. Darf ich konkret fragen — und wenn Sie die Frage nicht beantworten können, können Sie mir die Antwort vielleicht schriftlich geben —: Mit welchem Schmerzensgeld können die Unfallopfer bzw. die Hinterbliebenen rechnen, und bis wann wird die Deutsche Bundesbahn ihre Entscheidung über die Zahlung des Schmerzensgeldes treffen können?
Herr Kollege, nach den bisherigen Erfahrungen sind natürlich im Einzelfall auch gerichtliche Verfahren zu erwarten. Das läßt sich zumindest nach den Erfahrungen auch früherer Eisenbahnkatastrophen wenige Tage nach dem Unfall zeitlich nicht genau fixieren. Ich kann Ihnen aber versichern, daß der Bundesverkehrsminister im Rahmen seiner Aufsichtspflicht die Bundesbahn immer wieder darauf hinweist, daß sie schnell und unbürokratisch auch in der Form von Abschlagszahlungen ohne Anerkennung von Rechtspflichten das tun sollte, was möglich ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Wittmann !
Herr Staatssekretär, muß ich dann Ihre Antwort so interpretieren, daß die Deutsche Bundesbahn eventuell auch über die Begrenzungen des Reichshaftpflichtgesetzes hinsichtlich der Summen und auch hinsichtlich des anspruchsberechtigten Personenkreises oder auch hinsichtlich des anspruchsbegründenden Tatbestands — z. B. in Sachen Schmerzensgeld, denn meiner Erinnerung nach ist die Zahlung von Schmerzensgeld im Reichshaftpflichtgesetz nicht geregelt — hinausgeht?
Die Bundesbahn kann in bezug auf Abschlagszahlungen ohne Anerkennung einer Rechtspflicht unbürokratisch handeln. Sie kann aber ein Urteil oder die Feststellung des tatsächlichen Sachverhalts bzw. die Unfallursache bei ihren Entscheidungen nicht vorwegnehmen, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt .
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß das Reichshaftpflichtgesetz zum letzten Mal im Jahre 1943 geändert worden ist, und stimmen Sie mir zu, daß die Grenze von 15 000 DM für totale Berufsunfähigkeit längst überholt ist? Wäre das nicht ein Anlaß, angesichts dieses tragischen Ereignisses diese Grenze aufzuheben oder sie jedenfalls nach oben hinauszuschieben? Wäre eine Initiative durch die Bundesregierung in diesem Zusammenhang möglich?
Für die Bundesregierung darf ich Ihre kritische Frage bejahen. Federführend in dieser Sache ist der Bundesminister der Justiz. Nach einem Referentenentwurf des Bundesministers der Justiz soll der Jahresbetrag von 15 000 auf 30 000 DM erhöht werden. Dem hat der Bundesverkehrmsinister im Rahmen einer Harmonisierung des Haftpflichtrechts für den Straßen-, den Schienen- und den Luftverkehr bereits zugestimmt. Zur Zeit werden aber die kostenmäßigen Auswirkungen des Gesetzes auch auf Haftpflichtbeiträge in der Zukunft noch geprüft, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Schmidhuber.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, die Öffentlichkeit darauf hinzuweisen, daß diese Höchtsgrenzen nach dem Reichshaftpflichtgesetz nur dann gelten, wenn keine Bundesbahnbediensteten ein Verschulden an dem Unfall trifft, was angesichts der Sachlage doch höchst unwahrscheinlich ist?
Wir wollen das gerne tun. Im übrigen ist die Sachlage, auch die rechtliche Sachlage nicht unbekannt.
Keine weiteren Zusatzfragen. Wir sind damit am Ende der Beantwortung der beiden Dringlichkeitsfragen angelangt. Ich darf Ihnen für die Beantwortung, Herr Staatssekretär, danken.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975 12467
Vizepräsident von HasselIch rufe auf den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes, die Frage 51 des Abgeordneten Dr. Narjes:Hält der Bundeskanzler die Erklärung seines Bundesfinanzministers, nach dem Ende der Rezession die Steuern zu erhöhen, für geeignet, die Investitionsbereitschaft der deutschen Wirtschaft zu fördern?Zur Beantwortung Frau Parlamentarischer Staatssekretär Schlei.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Dr. Narjes, niemand wird behaupten wollen, daß Steuererhöhungen die Investitionsbereitschaft fördern würden. Ich nehme an, daß sich Ihre Frage auf eine mögliche Behinderung der Investitionsbereitschaft bezieht. Dazu ist zu sagen: Es gibt gegenwärtig innerhalb der Bundesregierung keine Plänen, die auf eine Steuererhöhung zu irgendeinem Zeitpunkt hinausliefen. Die Bundesregierung hat bereits mehrfach betont, daß in der gegenwärtigen konjunkturellen Lage keine Aussagen über die Entwicklung der Staatseinnahmen und über die Finanzierungsmöglichkeiten am Kapitalmarkt im Jahr 1976 möglich sind. Eine solche Aussage läßt sich erst machen, wenn wir das Ausmaß des konjunkturellen Aufschwungs für das Jahr 1976 auch quantitativ abschätzen können. Die Bundesregie. rung hält deshalb eine sachlich fundierte Entscheidung der Frage, ob Steuererhöhungen notwendig sind oder nicht, zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht für möglich. Die Bundesregierung wird bei einer Entscheidung zu dieser Frage insbesondere auch berücksichtigen, daß den Unternehmen am Kapitalmarkt die notwendigen Mittel für die Finanzierung der Investitionen zur Verfügung stehen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Narjes.
Frau Staatssekretär, können Sie meine Ansicht teilen, daß unabhängig von den Erwägungen, die noch nicht abgeschlossen sind, der pure Ankündigungseffekt der Äußerung des Herrn Bundesfinanzministers bereits den Schaden auslöst, den Sie zu verhindern sich jetzt noch bemühen?
An der Börse zumindest, die ja ein interessanter Indikator ist, ist kein Schaden zu erkennen. Ich kann Ihrer Ansicht auch deshalb nicht folgen, weil angesichts der Geldpolitik der Bundesbank, angesichts der im Vergleich zu anderen Industrienationen niedrigen Preissteigerungsraten, angesichts der verantwortungsbewußten Tarifabschlüsse dieses Jahres, angesichts der durch die Steuerreform gesteigerten Kaufkraft, angesichts des umfangreichsten Konjunkturprogramms in der Geschichte der Bundesrepublik und angesichts der auf Sicherheit des sozialen Klimas angelegten Sozialpolitik in der Bundesrepublik überhaupt eine solche Ansicht nicht gerechtfertigt ist, Herr Kollege Narjes.
Eine zweite Zusatzfrage.
Angesichts des Umstandes, Frau Staatssekretär, daß keiner der von Ihnen angezogenen Maßstäbe die Frage beantwortet, möchte ich Sie fragen, ob Sie die Ansicht des Staatssekretärs Schlecht — so zu lesen in „Bild am Sonntag" vom 8. Juni 1975 — teilen: „Es war konjunkturpolitisch nicht gerade der Weisheit letzter Schluß, Steuererhöhungen zu diesem Zeitpunkt anzukündigen."
Ich habe als Sprecher des Bundeskanzlers nicht die Zeitungsinterviews eines Staatssekretärs zu zensieren.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Müller-Hermann.
Frau Staatssekretär, Sie werden verfolgt haben, daß in den letzten Wochen, ja Monaten aus dem Lager der Regierung auch zum Thema „Steuererhöhungen oder nicht" die widersprüchlichsten Aussagen gemacht worden sind. Glauben Sie nicht, daß ein Bild der Verwirrung in der Öffentlichkeit entstehen muß, wenn der Bundeskanzler nicht in der Lage ist, eine Koordinierung in den Aussagen seiner maßgeblichen Minister herzustellen? Oder ist das nur ein Hinweis darauf — was Herr Apel auch gesagt hat —, daß die Bundesregierung in Zukunft bei Reformprogrammen intelligenter als bisher vorgehen wird?
Ich kann Ihnen sagen, daß die Verwirrung nicht bei demjenigen entstehen kann, der die sehr differenzierten Einzelaussagen vergleicht.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich mache darauf aufmerksam: die Frage 52 des Abgeordneten Niegel wird beim Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft beantwortet.
Ich rufe die Frage 53 — des Abgeordneten Windelen, der Fragesteller ist anwesend — auf:
Hat die Bundesregierung die Absicht, etwa 60 000 Exemplare einer vom Karl Wunschow-Verlag herausgegebenen „Wandkarte Deutschland" anzukaufen und gegebenenfalls zu welchem Zweck?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Bölling.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Windelen, ich glaube nicht, daß Ihre Frage Gegenstand einer Kontroverse zu sein braucht. Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung hat, wie Sie richtig in Ihrer Frage geschildert haben, den Karl Wunschow-Verlag in München mit der Herstellung von 60 000 Exemplaren einer Deutschland-Wandkarte beauftragt. Die Karte ist
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12468 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Staatssekretär Böllingzur Verwendung im Rahmen der politischen Öffentlichkeitsarbeit im Ausland bestimmt, unter anderem zur Verteilung an sogenannte Multiplikatoren der Gastländer, weiter zum Aushang in Räumen mit Publikumsverkehr, z. B. Warteräumen in unseren diplomatischen Missionen, Lesehallen usf., und auch zur Verwendung in Instituten und Schulen der Gastländer.Meine Antwort auf Ihre zweite Frage, Herr Abgeordneter, kann kurz kein. Hier mag sich vielleicht terminologisch — —
Soll gleich die nächste Frage beantwortet werden?
— Beide getrennt behandeln.
Eine Zusatzfrage zu Frage 53 des Abgeordneten Windelen.
Herr Staatssekretär, verfolgt die Bundesregierung bei Verbreitung dieser Karte auch ihren grundgesetzlichen Auftrag, auf die Teilung Deutschlands hinzuweisen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, diese Frage kann ich uneingeschränkt mit Ja beantworten. Die Karte, die Sie vielleicht schon gesehen haben werden, ist noch nicht fertig. Ich habe ein Belegstück hier. Wenn Sie daran interessiert sind, kann ich sie Ihnen später zeigen. In dieser Karte wird genau dieser grundgesetzliche Auftrag erfüllt. Beispiel dafür ist, daß die Grenzen zu unseren westlichen Nachbarn als Staatsgrenzen ganz klar signifikant werden, daß aber die Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR als eine Grenze anderer Qualität, nämlich als eine Grenze im Sinne Ihrer Fragestellung, deutlich wird.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, hat es besondere Gründe und auch Überlegungen gegeben, daß eine solche Deutschland-Karte erst in Auftrag gegeben werden mußte? Wir haben doch sehr viele Kartenverlage in Deutschland, die jederzeit mit Deutschland-Karten dienen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, dies hat mit Sicherheit, Herr Abgeordneter Dr. Hupka, keinerlei politische Hintergründe. Das ist eine Karte, die nach kartographischen Maßstäben in besonderer Qualität hergestellt worden ist. Es gab also keine Veranlassung, aus irgendwelchen politischen Gründen eine neue Karte zu machen, sondern einfach einen Mangel an einer neuen und qualitativ überzeugenden Karte.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja!
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung bei dem Auftrag sichergestellt, daß die verschiedenen Grenzen Deutschlands ohne Minderung der Rechtsposition ganz Deutschlands auf der Karte auch in der rechtlichen Qualität gekennzeichnet werden, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts — Ziffer V 2 — nach dem Grundgesetz und den Normen des Völkerrechts allein zulässig ist, also in der rechtlichen Qualität der dort ausdrücklich genannten Grenze des Deutschen Reiches vom 31. 12. 1937?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Czaja, zu einem Teil ist Ihre Frage durch meine Antwort an den Herrn Abgeordneten Windelen schon beantwortet. Zum anderen ging es hier nicht um die Darstellung Deutschlands in den Grenzen von 1937 oder in anderen Grenzen, sondern es ging um die kartographische Darstellung des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, und dabei ist das, was uns durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufgegeben ist, strikt beachtet, genauso wie auch der besondere Status Berlins kartographisch unmißverständlich markiert sein wird.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Freiherr von Fircks.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß auf Grund der Darstellung, die Sie in der Beantwortung der Frage von Herrn Dr. Czaja gegeben haben, gerade bei den Auslandsvertretungen und Auslandsinstituten der Eindruck entstehen muß, daß die Bundesregierung entgegen dem Auftrag, der aus der Begründung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts hervorgeht, Deutschland nur noch in den Teilen Bundesrepublik und DDR darstellt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, sicherlich haben Karten manchmal auch eine besondere politische Bedeutung. Hier ging es, wie ich schon habe ausführen können, allein um die Darstellung des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Andere Fragen waren hier nach dem kartographischen Auftrag gar nicht relevant.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Wittmann .
Muß ich davon ausgehen, daß Sie die Karten dann so haben schneiden lassen, daß keinerlei Berührungspunkt mit der Oder-Neiße-Linie vorhanden ist, und wenn nein, sagen Sie mir bitte, ob die Oder-Neiße-Linie auch
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975 12469
Dr. Wittmann
besonders gekennzeichnet ist oder so wie die Staatsgrenze gegenüber westeuropäischen Nachbarn?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, sollten Sie — ich bin dessen nicht sicher — mit Ihrer Frage andeuten wollen, daß hier aus irgendwelchen vermeintlichen Beschwichtigungsgründen ein kartographischer Auftrag definiert worden ist, so täuschen Sie sich. Ich darf in konkreter Beantwortung Ihrer Frage sagen, daß nach Art. I des Vertrages mit der Volksrepublik Polen vom Dezember 1970 die Vertragspartner übereinstimmend festgestellt haben, daß die in ihrem Verlauf im einzelnen gekennzeichnete Oder-Neiße-Grenze „die westliche Staatsgrenze der Volksrepublik Polen" bildet. Aber wie ich vorhin schon sagte: Der Auftrag an den Verlag war der, das Gebiet der Bundesrepublik und der DDR dazustellen.
Ich rufe die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Windelen auf:
Zeigt diese Karte Deutschland in den Grenzen, von denen das Grundgesetz und das Bundesverfassungsgericht ausgehen oder beschränkt sie sich auf die Darstellung West- und Mitteldeutschlands?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich würde diese Frage eigentlich nur durch eine Wiederholung dessen beantworten können, was ich vorhin schon gesagt habe. Es kann sich, sagte ich, vielleicht eine terminologische Unklarheit eingeschlichen haben. weil da und dort von einer Deutschlandkarte die Rede war. Faktisch handelt es sich aber, wie ich schon zweimal sagen konnte, um eine Karte, die das Gebiet der Bundesrepublik und der DDR zeigt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Windelen.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie daraufhin fragen, ob dann die Bezeichnung nicht „Darstellung Deutschlands" lautet, sondern „Darstellung der Bundesrepublik Deutschland und der DDR" ?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist absolut korrekt, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Arndt.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß das Grundgesetz keine verfassungsrechtliche Festlegung der Ostgrenzen des weiterbestehenden deutschen Gesamtstaates, verstanden als Deutschland im Sinne der Viermächte-Verantwortung, enthält?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dies kann ich bestätigen, Herr Abgeordneter. Ich darf auf Ihre Frage noch anmerken, daß ja grundsätzlich — und dies ist die Usance seit vielen Jahren — die kartographischen Bezeichnungen nicht in jedem Fall eine Rechtsauskunft darstellen und authentisch nichts über die rechtliche Beschaffenheit einer Grenze mitteilen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, wie ist diese Karte nun bezeichnet, da Sie dem Kollegen Windelen soeben gesagt haben, die Karte heiße nicht „Wandkarte Deutschland"? Heißt sie dann vielleicht „Teilungskarte Deutschlands"?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein. Es ist ja nicht zu leugnen, Herr Abgeordneter Dr. Hupka, daß sogar ein Mann wie Herr Honecker nicht in Abrede stellt, daß es sich bei den Bürgern der DDR um Deutsche handelt. Insofern würde ich es nicht für gravierend halten, wenn die Karte allgemein als eine Deutschlandkarte bezeichnet wird. Die Überschrift der Karte, die ich auch Ihnen nachher gern zeigen kann, lautet klipp und klar: Bundesrepublik Deutschland und DDR.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann .
Da Sie offensichtlich die Lektüre eines Artikels mit der kartographischen Bezeichnung verwechseln, frage ich Sie nochmals, Herr Staatssekretär: Wie ist kartographisch die Oder-Neiße-Linie als Grenzlinie gegenüber Polen eingezeichnet? Ist sie genauso gezeichnet und dargestellt wie die Grenze gegenüber unseren westlichen Nachbarn, oder hat sie eine besondere Bezeichnung wie etwa die Grenze zur DDR?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein. Im Sinne dessen, was ich Ihnen, Herr Abgeordneter, vorhin sagen konnte, ist die Grenze zur Volksrepublik Polen, so wie es dem Inhalt des Vertrages von 1970 entspricht, tatsächlich als Staatsgrenze gekennzeichnet.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, haben Sie bei Ihren gegebenen Antworten berücksichtigt, daß die Bundesrepublik Deutschland nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes als nicht abtrennbarer Teil zum einheitlichen Staatsgebiet des Deutschen Reiches, das Deutschland gleichzusetzen ist, gehört und daß nach diesem Urteil ,die Rechtspositionen Deutschlands durch Maßnahmen der Bundesrepublik nicht gemindert werden dürfen, sondern bewußt — auch gegenüber dem Ausland — erhalten
Metadaten/Kopzeile:
12470 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Dr. Czajawerden müssen, und haben Sie schließlich berücksichtigt, daß der Bundesjustizminister in zwei Gutachten — einem eigenen und einem unabhängigen Gutachten — festgestellt hat, daß Art. I des Warschauer Vertrages keine Verfügung über Teile Deutschlands hatte und haben konnte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Czaja, ich habe mich in der Vorbereitung auf die Frage des Abgeordneten Windelen davon unterrichtet, daß sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 31. Juli 1973 über den Grundlagenvertrag mit der Frage, wo die Grenzen des als fortdauernd angenommenen Deutschen Reiches verlaufen, nicht befaßt hat. Im übrigen erbitte ich Ihr Verständnis dafür, daß eine Karte primär kartographischen Notwendigkeiten zu entsprechen hat, wobei ich schon vorhin deutlich machen konnte, daß das, was hierbei an politischen Elementen zu berücksichtigen ist, von uns, sowohl was die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten als auch was den besonderen Status von Berlin anbelangt, berücksichtigt worden ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing.
Da Sie vorhin zur Darstellung dieses kartographischen Werkes Art. I Abs. 1 des Warschauer Vertrages herangezogen haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie persönlich in der Lage sind, mir die in Art. I Abs. 1 des Warschauer Vertrages beschriebene Grenzlinie auf der Karte zu zeigen, wobei ich darauf aufmerksam machen möchte, daß Art. I Abs. 1 des Warschauer Vertrages insofern einen geographischen Unsinn beinhaltet, als dort die 1945 festgelegte Oder-Neiße-Linie und die Linie in ihrem heutigen Verlauf miteinander identifiziert werden, obwohl bekanntlich zwischen beiden Linien ein erheblicher Unterschied im Raum Stettin besteht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube, dies ist alles schon lange geklärt. Der Text des von Ihnen eben zitierten und von mir vorhin angeführten Artikels ist glasklar. Im übrigen erinnere ich noch einmal daran, daß es nicht unsere Absicht war, mehr zu tun, als die geographische Beschaffenheit der beiden deutschen Staaten in modernster Weise darzustellen. Wir können und wollen eine Karte nicht zum politischen Schlagstock machen, vor allem nicht dort, wo Fragen durch Verträge eindeutig geklärt worden sind.
Zur letzten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Freiherr von Fircks.
Herr Staatssekretär, trägt Ihr Amt oder die Bundesregierung die Verantwortung für die Karte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Verantwortung trägt in summa natürlich die Bundesregierung. Wir haben die sachliche Kompetenz dafür.
Wir sind am Ende der Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich angelangt. Ich danke den beiden Staatssekretären für die Beantwortung.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf, zunächst die Frage 55 des Abgeordneten Rollmann:
Entspricht die Behauptung des Direktors des Warschauer Instituts für Auswärtige Politik, Marian Dobrosielski, in der „Zeit" Nr. 23 vom 30. Mai 1975 den Tatsachen, daß die Zahl der aus Polen in die Bundesrepublik Deutschland und die DDR 1971 bis 1974 ausgereisten Personen mit 60 000 höher ist „als die in den Verhandlungen 1970 von Bonn genannte" ?
Zur Beantwortung Herr Staatsminister Moersch.
Herr Abgeordneter, die Antwort auf Ihre Frage ist: Nein. Die Bundesregierung hat in den Verhandlungen des Jahres 1970 mit der polnischen Regierung wesentlich höhere Zahlen genannt. Sie hat hierfür die damals dem Deutschen Roten Kreuz vorliegende Zahl der Umsiedlungsanliegen herangezogen, die etwa viermal so hoch war wie die von Botschafter Dobrosielski genannte Zahl.
Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Rollmann.
Herr Staatsminister, habe ich Sie soeben akustisch richtig verstanden, daß Sie in den Verhandlungen 1970 eine viermal höhere Zahl genannt haben, als sie Herr Dobrosielski in der „Zeit" angeführt hat?
Sie haben richtig verstanden.
Zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Rollmann.
Da die Position eines Direktors des Warschauer Instituts für Auswärtige Politik mindestens eine offiziöse ist, darf ich fragen, Herr Staatsminister, in welcher Weise die Bundesregierung diese Äußerung von Herrn Dobrosielski in der „Zeit" gegenüber der polnischen Regierung richtiggestellt hat.
Dazu bestand keine Notwendigkeit. Die Bundesregierung hat ihren Standpunkt wiederholt eindeutig dargelegt, und es ist nicht ihre Aufgabe, an dieser Diskussion teilzunehmen. Ich habe hier soeben Gelegenheit gehabt, dies noch einmal richtigzustellen.
Ich rufe die Frage 56 des Abgeordneten Dr. Wittmann auf:
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975 12471
Vizepräsident von HasselIst etwa auch die Bundesregierung der Auffassung, daß sie sich im Rahmen der deutsch-polnischen Beziehungen lediglich um die Ausreise von 100 000 Deutschen zu bemühen brauche, während der danach verbleibende größere Tell auf etwaige Absichtserklärungen zum Abschluß der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa verwiesen werden solle, oder bekennt sich die Bundesregierung zu ihrer Rechtspflicht, bei der polnischen Regierung darauf hinzuwirken, daß allen Deutschen unter polnischer Herrschaft die Ausreise ermöglicht wird?
Ich habe an dieser Stelle, Herr Abgeordneter, letztmals in der Fragestunde vom 5. Juni 1975 erklärt, daß die Bundesregierung unverändert beabsichtigt, auf eine vollständige Erfüllung der „Information" der Regierung der Volksrepublik Polen hinzuwirken. Die Bundesregierung bemüht sich, allen Personen, auf die die Kriterien der „Information" zutreffen und die in die Bundesrepublik Deutschland übersiedeln wollen, die Ausreise zu ermöglichen.
Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Wittmann.
Im Anschluß an die Antwort auf die vorhergehende Frage darf ich Sie nochmals fragen: Sie gehen also nicht davon aus, daß es sich nur um 100 000 Personen handelt?
Herr Abgeordneter, ich habe Ihre Frage soeben beantwortet und habe gesagt: Nein, wir gehen davon aus, daß alle, die umsiedeln wollen, in der Lage sein sollten, umzusiedeln.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, kann die Bundesregierung also bestätigen, daß die im „Kölner Stadt-Anzeiger" vom 3. Juni 1975 behaupteten Ergebnisse der Kontakte des außenpolitischen Sprechers der SPD mit der Warschauer Regierung die Auffassung der Bundesregierung nicht decken?
Ich weiß nicht, Herr Abgeordneter, worauf Sie hier konkret anspielen. Deswegen bin ich nicht in der Lage, diese Frage zu beantworten.
Ich rufe die Fragen 57 und 58 des Abgeordneten Dr. Schwencke auf. Beide Fragen werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 59 des Abgeordneten Hansen auf:
Was wird die Bundesregierung unternehmen, um der wirtschaftskriegsähnlichen Kampagne interessierter US-Konzerne und ihrer Lobbyisten gegen die deutsch-brasilianischen Kernenergiekooperationspläne gebührend zu begegnen?
Zur Beantwortung, Herr Staatsminister, bitte!
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat keine konkreten Informationen und Anhaltspunkte darüber, ob und in welchem Umfang, wie Sie in der Frage sagen, „interessierte US-Konzerne und ihre Lobbyisten" an der publizistischen Kontroverse über die deutsch-brasilianische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie beteiligt waren und sind. Selbstverständlich ist die Bundesregierung mit der amerikanischen Regierung auch über die in den Medien verbreiteten Spekulationen und Unrichtigkeiten hinsichtlich des deutschbrasilianischen Abkommens auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie im Gespräch.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Staatsminister, kann ich davon ausgehen, daß die Bundesregierung in dem deutsch-brasilianischen Vertrag alle möglichen rechtlichen Sicherungen getroffen hat, die den in der Öffentlichkeit behaupteten Mißbrauch praktisch ausschließen, obwohl Brasilien den Atomwaffensperrvertrag nicht unterschrieben hat?
Herr Abgeordneter, der Tatbestand, der nachher in der Antwort auf eine andere Frage noch einmal aufgehellt werden wird, ist folgender. Wir haben in diesem Abkommen vorgesehen, daß nicht nur die vom NV-Vertrag geforderten Sicherheitsbestimmungen eingehalten werden, sondern daß wir auch darüber hinausgehende Zusicherungen des Vertragspartners erhalten. Diese Zusicherungen sind von der brasilianischen Seite gemacht worden.
Ich verweise in diesem Zusammenhang darauf, daß von der amerikanischen Regierungsseite her, und zwar von dem Sprecher des State Departement, am 4. Juni 1975 festgestellt wurde — ich begrüße sehr, daß dies geschehen ist —, die bilateralen Konsultationen zwischen der Bundesregierung und der amerikanischen Regierung seien nützlich gewesen, sie seien sehr offen geführt worden, und die amerikanische Seite habe den Eindruck, daß wir zusätzliche Sicherungsmaßnahmen forderten.
Es ist also von amerikanischer Seite bestätigt worden, daß wir über die Bestimmungen, die international als verbindlich gelten, noch hinausgehen. Wir müssen Wert darauf legen, daß auch ein Abkommen mit einem Staat, der bisher nicht Teilnehmer am Nichtverbreitungsvertrag ist, diese Dinge berücksichtigen muß. Wir wissen natürlich auch, daß Brasilien, gleichgültig, ob wir ein solches Abkommen schließen oder nicht, zu den Schwellenmächten gerechnet wird.
Zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Hansen.
Habe ich Sie recht verstanden, daß alle Unternehmungen aus dem deutsch-brasilianischen Kooperationsvertrag der Internationalen Kernenergiebehörde unterworfen werden?
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12472 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Herr Abgeordneter, bei der Beantwortung der nächsten Frage wird vielleicht noch deutlicher, was ich damit gemeint habe. Wir werden ein Rahmenabkommen schließen, welches sich in der Bindung der Firmen an unser Außenwirtschaftsgesetz anschließt. Es ist ganz selbstverständlich, daß Firmen im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen Lieferauflagen unterworfen sind. Der Staat hat sozusagen auszufüllen, was er gesetzlich ausfüllen kann.
Es ist für uns keine Frage, daß sich die Firmen und der Vertragspartner daran halten. Die Brasilianer haben auch zugesagt, daß sie bei Zusammenarbeit im sensitiven Bereich mit dritten Staaten bei der Abfassung entsprechender Abkommen die deutsche Seite jeweils mit heranziehen. Das ist etwas, was bisher im internationalen Verkehr sicherlich nicht üblich ist.
Aber ich gebe zu: Das Problem selbst hat sich in dieser Frage, weil es früher keine Kernenergie gab, nicht gestellt. Deswegen glaube ich, daß wir berechtigt sind — die Gesprächspartner haben es voll verstanden —, außergewöhnliche Bitten auszusprechen.
Ich rufe die Frage 60 des Abgeordneten Reiser auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, gegen Aktivitäten des südkoreanischen Geheimdienstes vorzugehen, wie sie wiederum in einer Fernsehsendung zum Ausdruck kommen, und (gegebenenfalls) auf welche Weise soll das geschehen?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatsminister!
Herr Abgeordneter, die Fernsehsendung „Monitor" vom 2. Juni 1975 greift Beschwerden von Koreanern auf, die in der Bundesrepublik Deutschland leben und sich angeblich vom koreanischen Geheimdienst verfolgt fühlen. Der Fernsehfilm bringt zwar einige Aussagen über die angebliche Tätigkeit von koreanischen Agenten, aber keine schlüssigen Beweise.
Voraussetzung für eine Beschwerde, der wir nachgehen könnten, wäre ein nachprüfbarer Tatbestand, z. B. ein Strafverfahren, für dessen Einleitung ja, wie Sie wissen, die Länderbehörden zuständig sind. Es wäre also Sache der zuständigen Strafverfolgungsbehörden, diese Fälle aufzugreifen. Von laufenden oder abgeschlossenen Verfahren dieser Art ist dem Auswärtigen Amt und der Bundesregierung jedoch nichts bekannt.
Sollten sich die Behauptungen der „Monitor"-Sendung als zutreffend erweisen, wird die Bundesregierung sicherlich die Frage neu prüfen und die entsprechenden Konsequenzen ziehen.
Der in der Sendung erwähnte Fall der Verbringung von 17 Koreanern aus der Bundesrepublik Deutschland nach Korea liegt — daran darf ich erinnern — acht Jahre zurück und ist inzwischen zu unserer Zufriedenheit bereinigt worden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Reiser.
Ist Ihnen bekannt, Herr Staatsminister, daß es seit Mitte der 60er Jahre durch den südkoreanischen Geheimdienst auf dem Boden der Bundesrepublik immer wieder illegale Aktionen gegeben hat? Haben Sie die registriert?
Herr Abgeordneter, ich glaube, Ihrer Frage liegt ein Mißverständnis zugrunde. Die Bundesregierung kann nur auf Grund festgestellter Tatbestände tätig werden. Wenn es also diese Aktionen gibt, die Sie behaupten, muß es ja wohl die Möglichkeit geben, diese Aktionen strafrechtlich verfolgen zu lassen. Dann wird Anzeige zu erstatten sein. Sie wissen, daß die Bundesregierung nicht die Justizverwaltung innehat und Justizhoheit besitzt. Hier können nur die zuständigen Justizbehörden der Länder tätig werden.
Wenn die zuständigen Justizbehörden der Länder zweifelsfrei strafrechtlich relevante Sachverhalte festgestellt haben, wird die Bundesregierung ihrerseits sicherlich die Konsequenzen ziehen, die aus einer illegalen Tätigkeit fremder Mächte auf dem Boden der Bundesrepublik zu ziehen sind. Das gilt hier wie überall: Zunächst einmal muß einwandfrei festgestellt werden, daß es sich um Handlungen handelt, die unseren Gesetzen zuwiderlaufen. Diese Feststellung kann nicht in Form von Meinungen getroffen werden, sondern nur durch Gerichtsentscheidung oder durch die Strafverfolgungsbehörden, die dafür zuständig sind. Das ist nun einmal ein rechtsstaatliches Gebot, das Privatpersonen gegenüber genauso gilt wie gegenüber anderen Staaten.
Zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Reiser.
Herr Staatsminister, ich bestreite ja keine rechtsstaatlichen Gebote, sondern ich wollte Sie nur fragen: Wissen Sie, ob es zwischen diesem Vorgang 1968 und den Übergriffen, die jetzt behauptet werden, irgendwelche von Ihnen registrierten Vorgänge darüber hinaus gegeben hat?
Uns sind keine Vorgänge aktenkundig, die diese Illegalität belegen würden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Lambinus.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß auf Grund der Vorfälle im Jahre 1968 ganz besonderer Anlaß besteht, die Aktivitäten von Südkoreanern in der Bundesrepublik zu beobachten?
Herr Abgeordneter, die Bundesrepublik Deutschland hat zur Beobachtung illegaler Aktivitäten die entsprechenden Einrichtungen und Organe. Ich unterstelle zunächst bis zum Beweis des Gegenteils, daß diese von uns geschaffenen und finanzierten öffentlich-rechtlichen Einrichtungen ihre gesetzliche
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975 12473
Staatsminister MoerschPflicht erfüllen. Wenn Sie den Eindruck haben, daß dies da und dort nicht geschehen sei, müßten Sie konkrete Beispiele hierfür nennen; dann könnte man dem nachgehen. Ich bin sicher, daß die Landtage ein interessantes Feld für solche Überprüfungen darstellen; denn sie sind die eigentliche Aufsichtsbehörde.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Arndt.
Herr Staatsminister, kann die Bundesregierung zusagen, daß sie dann, wenn Veranlassung hierzu besteht, die gleichen Methoden der Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und Mitgliedern dieses Hauses anwenden wird wie 1968, als dies zur Befreiung der dort Inhaftierten und besonders auch des weltberühmten Komponisten Isang Yun führten?
Herr Abgeordneter, es besteht nicht der geringste Zweifel daran, daß die Bundesregierung ein einmal bewährtes Verfahren — wem gegenüber auch immer — wieder anwenden wird; aber ich hoffe mit Ihnen, daß das nie mehr notwendig sein wird.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl.
Herr Staatsminister, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß sich in der Bundesrepublik Deutschland bisher kein südkoreanischer Staatsbürger bei Bundes- und Landesbehörden darüber beschwert hat, daß eine derartige Tätigkeit in unserem Land wahrgenommen wird?
Sie können meiner Antwort entnehmen, daß der Bundesregierung keine Unterlagen darüber vorliegen. Ich kann nicht ausschließen, daß sich irgendwo irgend jemand beschwert hat. Wir haben auf Grund dieser Frage versucht, dies festzustellen, und sind nicht fündig geworden. Deswegen kann ich bis zum Beweis des Gegenteils nichts anderes sagen.
Ich rufe die Frage 61 des Abgeordneten Reiser auf:
Ist die Bundesregierung der Ansicht, daß nach Vorgängen auf Gran Canaria und dem spanischen Festland die Sicherheit von Touristen aus der Bundesrepublik Deutschland in Spanien gegenüber Übergriffen der dortigen Polizeibehörden umfassend gesichert ist, oder beabsichtigt die Bundesregierung in dieser Hinsicht diplomatische Schritte?
Bitte zur Beantwortung, Herr Staatsminister!
Herr Abgeordneter! Die Bundesregierung nimmt an, daß mit den in der Frage erwähnten Vorgängen in Spanien die einwöchige Inhaftierung des deutschen Staatsangehörigen Gottfried Hozak auf Gran Canaria und die tödliche Verletzung der deutschen Staatsangehörigen Felicitas Leckelt durch den Schuß eines Polizeibeamten in San Sebastian gemeint sind. Zu dem tragischen Fall Leckelt habe ich dem Kollegen Schwencke gegenüber bereits ausführlich Stellung genommen. Da er die Frage hier nicht mündlich abgerufen hat, bin ich bereit, den Sachverhalt noch einmal vorzutragen, wenn es notwendig erscheint. Sonst erscheint meine Antwort im Protokollanhang.
Was die Inhaftierung des Herrn Hozak anbetrifft, so hat sich dieser im vergangenen Monat bereits mit einer Eingabe an das Auswärtige Amt gewandt. Daraufhin ist die Botschaft in Madrid um Prüfung der Angelegenheit gebeten worden. Sobald das Ergebnis dieser Prüfung vorliegt, darf ich Sie hierüber auf schriftlichem Weg unterrichten.
Unabhängig von dem Prüfungsergebnis im Falle Hozak und trotz des folgenschweren Vorgehens eines spanischen Polizeibeamten im Falle Leckelt ist die Bundesregierung grundsätzlich nicht der Ansicht, daß die Sicherheit deutscher Touristen in Spanien stärker gefährdet ist als in anderen Ländern. Inwieweit für die drei baskischen Provinzen, die hier in Rede stehen, Abweichendes gilt, habe ich bereits bei der Beantwortung der Frage des Herrn Kollegen Schwencke zum Ausdruck gebracht. Gerechtigkeitshalber muß festgestellt werden, daß die Zahl von Zwischenfällen mit spanischen Sicherheitsorganen im Verhältnis zur Zahl der jährlich aus der Bundesrepublik Deutschland nach Spanien reisenden Touristen gering ist.
Wie Sie aus meiner dem Herrn Kollegen Schwencke gegebenen Antwort entnehmen können, hält die Bundesregierung deshalb über die im Falle Leckelt unternommenen Schritte hinaus diplomatische Schritte allgemeiner Art zum Schutz deutscher Touristen in Spanien nicht für erforderlich. Was eventuell noch im Zusammenhang mit dem Fall Hozak zu veranlassen ist, kann erst nach dem Eingang des diesbezüglichen Berichts unserer Botschaft entschieden werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reiser.
Sie haben eben von geringen Zahlen gesprochen. Können Sie mir freundlicherweise diese Zahlen geben?
Das sind die Fälle, die ich eben genannt habe. Ich habe andere Fälle nicht im Kopf; aber wir haben bestimmte Erfahrungswerte und Vergleichsmöglichkeiten über Zwischenfälle im Ausland, z. B. Inhaftierungen wegen Verkehrsunfällen und vieles andere mehr. Und das in Relation zur Zahl der deutschen Touristen ist in Spanien gering, etwa im Vergleich zu anderen Ländern, in denen deutsche Touristen unseren diplomatischen und konsularischen Schutz in Anspruch nehmen. Ich bin aber jetzt nicht in der Lage, in der Antwort auf Ihre Zusatzfrage hier weltweites Zahlenmaterial darzulegen.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reiser.
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12474 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Da dies eine Frage ist, die für Touristen wirklich wichtig ist: Wie beurteilen Sie die Schlußbemerkung, das Fazit, das der ja von Ihnen selber erwähnte Bürger Hozak aus Bad Segeberg in einer Dokumentation an den Bundesaußenminister gezogen hat, wo gesagt wird: „Vom deutschen Konsul kann man keine Hilfe erwarten."?
Das beurteile ich als die Meinung eines Betroffenen. Gegenstand der Untersuchung wird sein, herauszufinden, ob es richtig oder falsch ist. Wenn ich das Ergebnis habe, werde ich dieses Urteil hier abgeben können. Die Lebenserfahrung lehrt, daß, wie bei Gericht, die jeweiligen Kläger die Sache möglicherweise einseitig darstellen. Ich will damit nicht sagen, daß es einseitig dargestellt ist. Ich kann auch nicht ausschließen, daß bei mehr als 200 Wahlkonsuln, die wir im Ausland haben, und mehreren Dutzend Berufskonsuln der eine oder andere dabei ist, der seiner Aufgabe nicht so gerecht geworden ist, wie ein Staatsbürger das erwarten kann. Wann immer wir konkrete Anhaltspunkte dafür haben, werden wir hier tätig. Aber ich bin nicht in der Lage, vor Abschluß einer Untersuchung öffentlich irgendein Urteil, ein negatives oder positives, über deutsche Beamte oder deutsche Wahlkonsuln abzugeben. Ich bitte dafür um Verständnis.
Ich rufe die Frage 62 des Abgeordneten Stahl auf:
Trifft der Bericht der Sendung „Monitor" vom 2. Juni 1975 zu, wonach der südkoreanische Geheimdienst in der Bundesrepublik Deutschland lebende Südkoreaner beobachtet, bespitzelt und unter Druck setzt, weil sie Christen sind oder sich gegen das Regime Park Chung Hee ausgesprochen haben?
Bitte zur Beantwortung, Herr Staatsminister!
Herr Abgeordneter, die erste Frage ist bereits durch die Antwort auf die Frage des Abgeordneten Reiser beantwortet.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatsminister, aus Ihrer Antwort entnehme ich, daß zwar der Bundesregierung von Bundesbehörden eine derartige Tätigkeit nicht gemeldet und nicht bekannt ist. Kann ich daraus schließen, daß bei Länderbehörden derartige Sachen zur Kenntnis genommen wurden?
Nein, das können Sie nicht. Sie können keine weiteren Schlüsse aus dem ziehen, was ich nicht gesagt habe. Die Tatsache ist, daß die Bundesregierung keine Strafverfolgungsbehörden unterhält, wenn ich von der Bundesanwaltschaft einmal absehe, die hier sicherlich kaum in Frage kommt, jedenfalls erst in Frage kommt, wenn sie von Landesbehörden eingeschaltet wird, so daß in jedem Fall die Länder das wissen. Auf Grund einer hier eingereichten Frage bemühen wir uns, in der zur Verfügung stehenden Zeit über die Justizbehörden herauszufinden, ob es Vorgänge gibt; und ich habe bis zur Stunde keinen Vorgang herausgefunden. Sollte sich einer finden, werde ich Ihnen das zusätzlich mitteilen.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl.
Herr Staatsminister, Sie sagten soeben, Sie würden sich über die Behörden der Länder bemühen, derartige Sachen festzustellen. Wann kann dann mit einem Ergebnis gerechnet werden, das Sie mir mitteilen können?
Herr Abgeordneter, die Umfrage bei diesen Länderjustizbehörden hat auf Grund der Frage stattgefunden. Sie war bisher negativ. Ich werde die Länder bitten, falls sie neue zusätzliche Erkenntnisse haben, sie mitzuteilen. Ich kann Ihnen keinen Zeitpunkt dafür nennen. Wir haben ja gerade deswegen auch die Zeit der Einreichung der Fragen etwas vorverlegt — Sie wissen, daß es neuerdings ein ausgedehntes Wochenende auch bei Behörden gibt —, damit wir solche Rückfragen noch mit Gewinn starten können. Wir sind jedenfalls zwischen der letzten Woche und heute hier nicht fündig geworden. Wenn wir fündig werden, werden wir es unmittelbar mitteilen. Ich unterstelle, Herr Abgeordneter, daß es Nachrichtenmedien gibt, die im Mitteilen solcher Dinge schneller sind als die Bundesregierung. Wenn es solche Fälle gäbe, hätte doch sicherlich der Redakteur der Sendung auf diese Tatsache hingewiesen, nämlich darauf, daß hier Ermittlungsverfahren laufen. Diese scheinen ihm ebenfalls nicht bekantgeworden zu sein, so daß es naheliegt, zu behaupten, daß möglicherweise keines vorhanden ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reiser.
Herr Staatsminister, ist Ihnen unter Umständen bekannt, daß es in der südkoreanischen Botschaft in der Bundesrepublik inquisitorische Verhöre mit südkoreanischen Staatsbürgern gibt, die in der Bundesrepublik tätig sind, und daß zum Teil Pässe entzogen worden sind?
Herr Abgeordneter, das ist eine Frage, die damit nicht im Zusammenhang steht. Das bitte ich zu beachten. Ich kann nur über das Auskunft geben, was uns amtlich bekanntgeworden ist, und wir haben keine Möglichkeit, amtliche Erkenntnisse über Vorgänge in fremden Botschaften zu sammeln. Das gilt für alle Botschaften. Ich darf hinzufügen, daß es — ich bitte, das zu beachten — Unterschiede in der Behandlung von Staatsbürgern in sehr vielen Staaten der Welt gibt, daß es dort Vorgänge gibt, die sicherlich unseren Vorstellungen nicht entsprechen; das sage ich jetzt ohne Ansehen des Landes, das hier genannt ist. Das ist eine Tatsache, mit der wir leben müssen, wie es eine Tatsache ist, daß be-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975 12475
Staatsminister Moerschstimmte Vorstellungen, die in unserem Grundgesetz verankert sind, nicht weltweit respektiert werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Haase .
Herr Staatsminister, Sie sprechen immer von den Landesjustizbehörden. Darf ich daraus entnehmen, daß Sie keine Umfragen beim Bundesamt für Verfassungsschutz und bei den Verfassungsschutzämtern der Länder gestartet haben?
Wenn wir Fragen bekommen, dann fragen wir die zuständigen Behörden. Das ist in diesem Fall das Bundesjustizministerium, und dieses verkehrt nach der Geschäftsordnung — er gibt eine strenge Kleiderordnung im öffentlichen Leben, wie Sie wissen — mit den Landesjustizbehörden. Die Verfassungsschutzämter sind Hilfsorgane bei der Ermittlung in solchen Fällen. Ich habe mich also an jeweils eine Adresse zu wenden und muß mich auf diese Adresse verlassen. Sie werden mir zugeben: Das ist eine gute Adresse in Bonn.
Ich rufe die Frage 63 des Herrn Abgeordneten Stahl auf:
Ist die Bundesregierung bereit, angemessene Konsequenzen zu ziehen, falls sich diese Berichte als wahr erweisen?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatsminister!
Falls sich diese Berichte, die von den zuständigen Strafverfolgungsbehörden nachzuprüfen wären, als zutreffend erweisen sollten, wird die Bundesregierung angemessene Konsequenzen ziehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl.
Herr Staatsminister, gibt es zumindest einen Verdacht auf einen Zusammenhang zwischen der Verfolgung von oppositionellen Politikern in Südkorea und der Tätigkeit derartiger Geheimdienste in der Bundesrepubilk?
Herr Abgeordneter, um es einmal klar zu sagen: Eine Tätigkeit eines fremden Geheimdienstes auf unserem Boden ist grundsätzlich illegal. Aber von der Meinung, daß Geheimdienste tätig sind, bis zu dem Beweis, daß sie tätig sind, ist oft ein weiter Weg. Wenn Sie mir Beweise liefern, bin ich Ihnen dankbar, dann können wir nämlich die Sache klären.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl.
Herr Staatsminister, in Anbetracht Ihrer Aussage ist doch davon auszugehen, daß diese Sache in der Bundesrepublik künftig besser verfolgt wird und daß für den Fall, daß ein derartiger Fall auftritt, mit der Botschaft oder ' der Regierung von Südkorea einmal offen über diese Sache gesprochen wird?
Herr Abgeordneter, ich habe mich eben bemüht, dies auf Ihre schriftlich eingereichte Frage zu antworten. Das ist eben das Problem: Wenn Sie jemanden erwischt haben, können Sie ihn verurteilen, wenn Sie ihn nicht erwischt haben, können sie das eben nicht tun.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing.
Herr Staatsminister, würde es die Arbeit der Bundesregierung nicht erleichtern, wenn Journalisten, die über gravierendes Material verfügen, dies der Bundesregierung in angemessener Form zur Kenntnis brächten?
Nein, Herr Abgeordneter. Ich glaube, dieses Verfahren sollten wir nicht empfehlen. Journalisten sind keine Hilfsorgane der Staatsanwaltschaft.
Ich rufe die Frage 64 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Welche Wirkung im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR haben solche Kollektivverträge aus der Zeit vor 1939 und nach 1945, deren Wiederanwendung die DDR einseitig erklärt, insbesondere dann, wenn eine Bekanntmachung über deren Anwendbarkeit im innerdeutschen Verhältnis im Bundesgesetzblatt nicht erfolgt?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatsminister!
Erklärungen der DDR über die „Wiederanwendung" von Kollektivverträgen des Deutschen Reichs aus der Zeit vor 1939, den Vorkriegsverträgen, begründen im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland vertragliche Beziehungen erst vom 21. Juni 1973 an, nämlich dem Inkrafttreten des Grundvertrages. Solche vertraglichen Beziehungen kommen jedoch nicht zustande, wenn wir dies wegen der besonderen innerdeutschen Beziehungen ausschließen, soweit sie einer Anwendung der vertraglichen Bestimmungen zwischen den beiden deutschen Staaten entgegenstehen. Aus den jeweiligen Bekanntmachungen im Bundesgesetzblatt wird erkennbar werden, welche Rechtswirkungen wir Wiederanwendungserklärungen der DDR im Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander zuerkennen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Ist also aus dem Unterlassen einiger Bekanntmachungen zu schließen, daß die betreffenden Abkommen im Verhältnis zwischen den beiden Staaten in Deutschland nicht als Völkerrecht gelten?
Herr Abgeordneter, es fällt mir schwer, in dieser
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12476 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Staatsminister Moerschkomplizierten Rechtsmaterie auf Anhieb den Inhalt Ihrer Frage zu erkennen. Ich möchte nur betonen, daß aus dem, was von uns nicht getan oder nicht gesagt wird, zunächst nichts geschlossen werden kann.
Zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Können Sie wenigstens bestätigen, daß eine Anwendung solcher Verträge als Völkerrecht zwischen den Staaten in Deutschland im Widerspruch mit der allein verfassungskonformen Auslegung des Grundvertrages, der zwischen den Staaten in Deutschland nur innerdeutsche Beziehungen zuläßt, steht und daß sich die DDR dies auch entgegenhalten lassen muß?
Das ist eine hypothetische Frage, wenn ich das recht verstanden habe. Wir werden sie sorgfältig prüfen.
Ich rufe die Frage 65 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
In welcher Weise werden die Auslandsmissionen der Bundesrepublik Deutschland den Tag der Deutschen Einheit am 17. Juni als Nationalen Gedenktag begehen, oder ist dieser Tag bereits zugunsten des 23. Mai für offizielle Veranstaltungen im Ausland aus dem Kalender gestrichen?
Bitte, Herr Staatsminister, zur Beantwortung!
Die Frage beantworte ich wie folgt, Herr Abgeordneter:
Die Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland sind auch in diesem Jahre ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß der 17. Juni, der „Tag der Deutschen Einheit", unverändert gesetzlicher Feiertag und als solcher zu behandeln ist.
Den Vertretungen ist darüber hinaus wie in den Vorjahren anheimgestellt worden, in ihrem Bereich in internen Veranstaltungen der Bedeutung dieses Tages zu gedenken.
Zum zweiten Teil der Frage darf ich feststellen, daß zwischen der Behandlung des 17. Juni und der des 23. Mai kein Zusammenhang besteht. Wenn Sie unter offiziellen Veranstaltungen diplomatische Empfänge verstehen, wie sie in diesem und im vorigen Jahr am 23. Mai gegeben wurden, dann ist zu sagen, daß am 17. Juni niemals diplomatische Empfänge dieser Art stattgefunden haben.
Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, was verstehen Sie unter dem in Ihrer Antwort verwendeten Ausdruck „interne Veranstaltungen"?
Das sind Veranstaltungen in der Botschaft.
Ohne Hinzuziehung anderer Gäste?
Es gab Veranstaltungen — und gibt es wohl auch — mit Gästen, und es gibt Veranstaltungen, auf denen in der Botschaft die Deutschen dort in einer Gedenkstunde auf die Bedeutung dieses Tages hingewiesen werden.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, wäre es aber nicht dem Nationalen Gedenktag 17. Juni, dem Tag der Deutschen Einheit, angemessen, daß unsere Mission, wo auch immer sie im Ausland ist, eine besondere Repräsentation bietet, wie das auch andere Staaten machen, etwa die Schweiz mit dem 1. August, Frankreich oder Amerika?
Herr Abgeordneter, zunächst darf ich feststellen, es gibt da und dort solche Veranstaltungen. Aber ich glaube, daß zwischen dem 1. August in der Schweiz, dem 14. Juli in Frankreich und dem 17. Juni ein entscheidender Unterschied besteht, auf den ich kürzlich schon hingewiesen habe. Bei den Schweizern ist das Anlaß, ihre Föderation und ihre Verfassung zu feiern, bei den Franzosen ist es Anlaß, den Sturz des Obrigkeitsstaates zu feiern.
Ich rufe die Frage 66 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Ist die Bundesregierung entschlossen, entprechend der vom Deutschen Roten Kreuz aktualisierten Aussiedlerzahl für 280 000 aussiedlungswillige Deutsche jenseits von Oder und Neiße unter Berufung auf die „Information" zum Warschauer Vertrag einzutreten, oder ist sie bereit, von dieser Zahl als einer „maximalistischen Position" abzurücken?
Bitte zur Beantwortung, Herr Staatsminister!
Ich kann, Herr Abgeordneter, in meiner Antwort auf das Bezug nehmen, was ich den Kollegen Rollmann und Dr. Wittmann gegenüber vorhin erklärt habe. Im übrigen hat Frau Staatssekretärin Schlei in der letzten Woche zu einer von Ihnen gestellten Frage ausführlich Stellung genommen.
Zur ersten Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, die Bundesregierung wird sich also auf keinen Fall etwa auf eine Zahl von 80 000 oder 150 000 Aussiedlungswilligen, für die sie sich einsetzen muß, einlassen, solange vom Deutschen Roten Kreuz die Zahl von 280 000 auf dem Tisch liegt?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat ihren früheren Erklärungen in dieser Frage nichts hinzuzufügen. Sie selbst hat keine Zahlen genannt.
Eine zweite Zusatzfrage hat der Abgeordnete Dr. Hupka.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975 12477
Wie aber beurteilt die Bundesregierung die Zahl des Deutschen Roten Kreuzes, die ja der Bundesregierung bekannt ist, nämlich die Zahl von 280 000 Aussiedlungswilligen?
Das ist eine wichtige Zahl, die die Bundesregierung selbst immer wieder zitiert hat.
Ich rufe die Frage 67 des Abgeordneten Lenzer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung Einwände aus den USA zu dem mit Brasilien geplanten Kooperationsabkommen über friedliche Nutzung der Kernenergie?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatsminister!
Die Bundesregierung hat die amerikanische Regierung — ich darf hier insofern auch auf das verweisen, was ich vorhin schon dem Kollegen Hansen geantwortet habe — über die Verhandlungen mit Brasilien und ihr Ergebnis frühzeitig und vollständig unterrichtet. Vermutungen in den USA, wonach befürchtet wird, daß die mit Brasilien vereinbarten Sicherungsmaßnahmen nicht ausreichend seien, sind nach Auffassung der Bundesregierung unbegründet.
Das Abkommen dient der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Es sieht umfassende Kontrollvereinbarungen vor, die mit unseren Verpflichtungen aus dem NV-Vertrag übereinstimmen und in wesentlichen Punkten darüber hinausgehen. Das habe ich vorhin ebenfalls schon darlegen können.
Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Lenzer.
Herr Staatssekretär, können Sie Angaben darüber machen, welche konkreten Termine in Verfolgung dieses Abkommens zwischen den beiden Regierungen vereinbart worden sind?
Sie wissen, das Abkommen hat eine sehr lange Laufzeit. Ich glaube, es sind insgesamt 15 Jahre vorgesehen.
Eine zweite Zusatzfrage hat der Abgeordnete Lenzer.
Verzeihung, Herr Präsident, ich meinte, wenn ich dem Herrn Staatsminister das zur Erhellung des Sachverhalts sagen darf, nicht den Ablauf des Abkommens, sondern die Termine für die Unterzeichnung der entsprechenden Vereinbarung seitens der Bundesregierung.
Das ist in Kürze vorgesehen, Herr Abgeordneter.
Eine weitere Zusatzfrage hat der Abgeordnete Lenzer, weil die erste Zusatzfrage nicht genau angekommen ist.
Vielen Dank, Herr Präsident! — Herr Staatsminister, stimmen Sie mir zu, daß es für die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu befreundeten Staaten in Verfolgung solcher Kooperationsabkommen wenig hilfreich ist, wenn, wie es in der Frage 59, die Sie eben schon beantworten mußten, geschehen ist, Kraftausdrücke gebraucht werden wie — ich zitiere — „wirtschaftskriegsähnliche Kampagne interessierter US-Konzerne und ihrer Lobbyisten", eine Diktion, die man normalerweise dem „Neuen Deutschland" entnehmen kann?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat nicht die Aufgabe, Fragestellungen von Abgeordneten zu zensieren — sonst würde die Fragestunde erheblich verlängert werden —, und zwar gilt das nicht für irgend jemanden, sondern für sehr viele. Unbeschadet dessen steht die Bundesregierung zu den Formulierungen, die sie gebraucht hat, und die sind unmißverständlich und nicht verletzend.
Ich rufe die Frage 68 des Abgeordneten Lenzer auf:
Welche Maßnahmen wird sie gegebenenfalls ergreifen, um die deutsche kerntechnische Industrie vor Diskriminierungen zu schützen und ihr den Weg zum Weltmarkt zu öffnen?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Es besteht kein Grund zur Annahme, daß die deutsche kerntechnische Industrie von Diskriminierungen bedroht ist. Den Weg zum Weltmarkt muß die Industrie selbst finden.
Die Bundesregierung unterstützt Forschung und Entwicklung auf kerntechnischem Gebiet im Rahmen des Vierten Atomprogramms, das dem Bundestag bekannt ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lenzer.
Herr Staatsminister, hielte es die Bundesregierung für ungewöhnlich, wenn man davon ausgeht, daß sie selbstverständlich auch ihren diplomatischen Einfluß geltend macht, um der deutschen kerntechnischen Industrie Unterstützung angedeihen zu lassen, wie das z. B. für die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika und die französische Regierung in vielfältigen wirtschaftlichen Bereichen eine Selbstverständlichkeit zu sein scheint?
Herr Abgeordneter, die Tatsache, daß wir den Nichtverbreitungsvertrag unterzeichnet und ratifiziert haben — wenn das in diesem Hause auch nicht unumstritten war, wie Sie wissen —, die Tatsache, daß wir mit vielen Staaten in der Welt unsere Beziehungen verbessert, mit anderen diese Beziehungen aufgenommen haben, und daß wir uns bemühen, klarzustellen, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht die geringste Ambition hat, etwa
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12478 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Staatsminister Moerschals Quasi-Kernwaffenmacht zu erscheinen, sondern daß sie alle ihre Forschungsprogramme ausschließlich der friedlichen Nutzung widmet, ist meiner Ansicht nach eine nachdrückliche Hilfe für die Exportmöglichkeiten der deutschen Industrie und hat sich gerade in diesem Falle, wie ich sagen darf, durchaus bewährt.Die Bundesregierung bemüht sich selbstverständlich, in allen Fragen, die unsere Wirtschaft betreffen, die Interessen der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten. Sie wird nicht in der Lage sein, etwa bei konkurrierenden deutschen Unternehmen einseitig für ein Unternehmen Partei zu ergreifen. Das ist selbstverständlich. Das muß man sagen, weil durchaus denkbar ist, daß solche Vorstellungen bestehen. Aber sie wird durch die Qualität ihrer Beziehungen zu anderen Staaten den eigenen Initiativen der Industrie sicherlich nützlich sein. Ich glaube, das ist die Art, wie man zwischen Wirtschaftsinteressen und Regierungstätigkeit abgrenzen und diese gleichzeitig harmonisieren kann.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Lenzer.
Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten darauf drängen, daß auch bei den in regelmäßigen Abständen stattfindenden Überprüfungen des Nichtverbreitungsvertrages — des Art. 3 z. B., in dem die friedliche Nutzung der Kernenergie angesprochen wird — noch präzisere Formulierungen gefunden werden, die dann über jeden Zweifel und über jede Diskussion erhaben sind?
Herr Abgeordneter, wir haben ja gerade eine solche Konferenz in Genf hinter uns. Ich bin gerne bereit, Ihnen die Eingangsrede zu geben, die ich dort im Namen der Bundesrepublik Deutschland vorgetragen habe und worin eben ,das ein wichtiger Punkt gewesen ist. Sie sehen daran, daß das eine Richtlinie für unsere Verhandlungen war und auch künftig sein wird.
Die Frage 69 des Abgeordneten Biehle wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 70 des Abgeordneten Engelsberger auf:
Welches sind für die Bundesregierung die entscheidenden Gründe, die Bemühungen der USA um eine stärkere Annäherung Spaniens an die NATO nicht zu unterstützen, und wie glaubt angesichts der starken sowjetischen Aufrüstung die Bundesregierung mit ihrer ablehnenden Haltung dem Sicherheitsbedürfnis Westeuropas noch gerecht werden zu können, da Spanien gerade auf Grund der kritischen Entwicklung in Portugal zweifelsohne einen wichtigen Eckpfeiler im Verteidigungskonzept der NATO darstellt?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatsminister Moersch.
Die Bundesregierung ist sich der strategischen Bedeutung Spaniens für die Sicherheit Europas bewußt. Sie verfolgt deshalb mit Interesse die militärische Zusammenarbeit Spaniens mit einigen Bündnispartnern, insbesondere mit den USA.
Beim gegenwärtigen Stand, Herr Abgeordneter, der Entwicklung und der Diskussion unter den Bündnispartnern hält es die Bundesregierung für angebracht, sich mit öffentlichen Erklärungen zu diesem Thema zurückzuhalten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Engelsberger.
Herr Staatsminister, ist Ihnen der Bericht unseres Kollegen Marx bekannt, der davon berichtet hat, daß sich zahlreiche Spanier durch die ablehnende Haltung der Bundesregierung und verschiedener NATO-Länder gegenüber einer Annäherung des Landes an die Allianz brüskiert fühlen und daß gerade unter den demokratischen Kräften Spaniens als Folge der Bündnisbeschlüsse Enttäuschung und Trotz zu spüren sind?
Herr Abgeordneter, mir ist das im einzelnen nicht bekannt. Ich bin gerne bereit, diese Meinung einmal etwa mit der Berichterstattung unserer Botschaft zu vergleichen. Ich kann nur feststellen, daß ich dankbar bin für Unterrichtungen, die dem Problem in differenzierter Weise gerecht werden.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Engelsberger.
Herr Staatsminister, warum wird im Hinblick auf die Annäherung Spaniens an die NATO mit zweierlei Maß gemessen? Einerseits wird Spanien als ein Rechtsregime verurteilt, andererseits wird die Linksdiktatur von Portugal toleriert.
Herr Abgeordneter, ich vermag den Zusammenhang mit Ihrer ursprünglich eingereichten Frage nicht zu erkennen. Aber man kann versucht sein, in Geschichtsbetrachtungen einzutreten, die etwa darin bestehen, daß nach meiner Kenntnis Portugal NATO-Partner wurde, ohne eine demokratisch-parlamentarische Regierung zu haben.
Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereiches angelangt. Ich darf Ihnen für die Beantwortung danken.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Ich rufe die Frage 71 des Abgeordneten Dr. Häfele auf:Wieviel Prozent des Bruttosozialprodukts betragen bei uns in 1974 und in 1975 die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zusammen, welche nach dem Informationsdienst des Bundesfinanzministeriums zur Finanzpolitik des Auslands vom 30. Dezember 1974 im Jahr 1973 noch 36,5 Prozent betragen haben?Bitte, zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Haehser.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975 12479
Herr Kollege Häfele, der Anteil der Steuern — ohne Berücksichtigung des Aufkommens aus der Stabilitätsabgabe und der Investitionssteuer — und der Sozialversicherungsbeiträge am Bruttosozialprodukt beträgt nach den vorläufigen Ist-Ergebnissen für 1974 36,8 %. Die gesamtwirtschaftliche Abgabenquote für 1975 wird entscheidend von der Entwicklung des Bruttosozialprodukts und der Steuereinnahmen im Jahre 1975 abhängen. Eine fundierte Schätzung ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum möglich.
Auf der Grundlage der letzten Steuerschätzung vom März 1975 würde die gesamtwirtschaftliche Abgabenquote voraussichtlich 36,6 % betragen, also um 0,2 v. H. unter die Quote des Jahres 1974 sinken. Diese Entwicklung ist vor allem eine Folge der Steuerreform, die für viele fühlbare Entlastungen bei der Lohn- und Einkommensteuer gebracht hat. Es ist damit zu rechnen, daß die Steuerlastquote aus konjunkturbedingten Gründen weiter sinken wird.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Häfele.
Wie hoch ist die Quote für 1974, wenn Sie die weggelassenen Steuern, also Investitionssteuer und Stabilitätsabgabe, mit einbeziehen?
Herr Kollege Häfele, ich habe mich bei meiner Antwort ganz im Sinne Ihrer Fragestellung verhalten. Diese sehr ins Detail gehende Frage werde ich Ihnen schriftlich beantworten.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Häfele.
Sind die von Ihnen genannten Zahlen abgestimmt, etwa mit der Deutschen Bundesbank?
Wir haben sie mit den Instituten und Einrichtungen abgestimmt, die uns dafür zur Verfügung stehen, Herr Kollege Häfele.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schröder .
Herr Staatssekretär, gilt im Zusammenhang dieser Frage noch die Aussage des Bundeskanzlers betreffend einer Ausweitung des sogenannten staatlichen Korridors am Bruttosozialprodukt, und, wenn ja, in welchem Ausmaß sind Vorstellungen der Bundesregierung bezüglich der Ausweitung des staatlichen Korridors vorhanden?
Ich werde Ihnen diese Frage gern beantworten, wenn Sie mir die Äußerung des
Herrn Bundeskanzlers, die er nach Ihrer Darstellung in dieser Frage gemacht haben soll, vorlegen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Weber.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß nach den Mitteilungen des EG-Verbindungsbüros die Bundesrepublik — bei dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen — hinsichtlich der Steuer- und Beitragslastquote in der mittleren Gruppe aller europäischen Länder liegt?
Ich stimme mit Ihnen überein, Herr Kollege Weber.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Althammer.
Herr Staatssekretär, warum hat die Bundesregierung nicht die Möglichkeit genutzt, neuere und aktuellere Zahlen zu haben, und hat den Steuerschätzungstermin dieses Monats abgesetzt?
Ich sehe keinen Zusammenhang zu den bisher gestellten Fragen.
— Nein, es ist meine Sache, ob ich Fragen beantworte.
Ich rufe Frage 72 des Abgeordneten Dr. Häfele auf:
Wieviel Pfennige erhält der durchschnittliche deutsche Arbeitnehmer von jeder zusätzlich verdienten Mark im Jahr 1975 nach Abzug der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge ausbezahlt, nachdem er nach Untersuchungen des Ifo-Instituts 1970 noch 70 Pfennige, 1974 aber nur noch 53 Pfennige erhalten hat?
Bitte schön!
Herr Kollege Häfele, nach den makroökonomischen Berechnungen des Ifo-Instituts betrug die durchschnittliche Grenzbelastung der Bruttolohn- und -gehaltssumme durch Lohn- und Kirchensteuer, Ergänzungs- und Stabilitätsabgabe sowie durch die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung 1974 41,4 v. H. Das heißt, von jeder zusätzlich verdienten Mark eines unselbständig Beschäftigten verblieben 1974 noch rund 58 1/2 Pfennige. Insofern muß ich die Angabe in Ihrer Frage berichtigen.Abgesehen davon, daß solche makroökonomischen Berechnungen nichts über den Einzelfall auszusagen vermögen, ergeben sich bei der Abschätzung der Entwicklung während eines Jahres immer Schwierigkeiten. Die Unsicherheiten der Schätzungen betreffen sowohl die Entwicklung der Bruttolohn- und -gehaltssumme als auch die Entwicklung der Steuereinnahmen und der sonstigen Abgaben. Aus diesem Grunde offensichtlich hat das Ifo-Institut auch dar-
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12480 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Parl. Staatssekretär Haehserauf verzichtet, für 1975 die durchschnittliche Grenzbelastung der Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit zu veröffentlichen.Auf der Grundlage der letzten Steuerschätzung und bei Anwendung der Methode des Ifo-Instituts wird sich die durchschnittliche Grenzbelastung im Jahre 1975 fühlbar verringern und nach groben und vorläufigen Berechnungen auf 34 % sinken. Diese sinkende Grenzbelastung, die wegen des konjunkturbedingt schwachen Anstiegs der Lohnsteuer noch weiter abnehmen wird, ist unter anderem auch, wie ich schon in anderem Zusammenhang sagte — und damit sage ich Ihnen als Fachmann nichts Neues —, eine Folge der Auswirkungen der Steuerreform, des Rückgangs bei der Kirchensteuer und des Wegfalls der Stabilitäts- und Ergänzungsabgabe. Werden darüber hinaus die Mehrleistungen durch die Neuregelung des Kinderlastenausgleichs als Abzug von der Lohnsteuer analog zum Verfahren vor dem Inkrafttreten der Steuerreform berücksichtigt, so vermindert sich die durchschnittliche Grenzbelastung noch wesentlich stärker. Mit Sicherheit wird die Grenzbelastung dadurch auf einen Prozentsatz absinken, wie wir ihn vor einer Reihe von Jahren hatten.In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Häfele, verweise ich auf eine Untersuchung der OECD, die zeigt, daß der deutsche Industriearbeiter im Jahre 1972 im internationalen Vergleich bei der Grenzbelastung eine gute Mittelstellung einnahm. Durch die zwischenzeitlich erfolgte Steuerreform dürfte er gegenüber dieser Darstellung von OECD jetzt noch besser dastehen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Häfele.
Häfele ; Herr Staatssekretär, wollen Sie damit sagen, daß die Untersuchungen des Ifo-Instituts, etwa für das Jahr 1974, falsch sind?
Nein, Herr Kollege Häfele. Sie haben in Ihrer Frage auf die Untersuchungen des Ifo-Instituts abgehoben, und ich habe Ihnen mit den Untersuchungen des Ifo-Instituts geantwortet. Wo die Ursache für die Differenz zwischen den von Ihnen genannten 53 Pfennigen und den von mir genannten 58,5 Pfennigen liegt, werden wir untersuchen müssen.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Häfele.
Haben Sie bei der Schätzung für die neuere Entwicklung berücksichtigt, daß in den letzten Jahren auch die Sozialversicherungsbeiträge ständig angehoben wurden?
Sicher ist das berücksichtigt, obwohl natürlich die Frage nach den Sozialversicherungsleistungen in ein anderes Ressort gehört.
Ich rufe auf die Frage 73 des Abgeordneten Susset:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um den Genossenschaften, die aus der Verschmelzung einer gemischtwirtschaftlichen Kreditgenossenschaft auf eine reine Kreditgenossenschaft hervorgehen, auf Dauer den gleichen Steuervorteil in Form des ermäßigten Körperschaftsteuersatzes des § 19 Abs. 2 b KStR einzuräumen, wie er den bestehenden gemischtwirtschaftlichen Kreditgenossenschaften gewährt wird, ohne daß die übernehmende, bisher reine Kreditgenossenschaft verpflichtet wird, das im Rahmen der Verschmelzung übernommene Warengeschäft auszugliedern?
Zur Beantwortung bitte Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Susset, die Bundesregierung beabsichtigt nicht, reine Kreditgenossenschaften hinsichtlich der Voraussetzungen für den ermäßigten Steuersatz wie gemischtwirtschaftliche Kreditgenossenschaften zu behandeln. Voraussetzung für den ermäßigten Steuersatz des § 19 Abs. 2 b des Körperschaftsteuergesetzes ist erstens bei reinen Kreditgenossenschaften, daß sie sich, von einer Bagatellgrenze von 5 % abgesehen, auf das Bankgeschäft beschränken, und zweitens bei gemischtwirtschaftlichen Kreditgenossenschaften, den sogenannten Spar- und Darlehnskassen, daß das Geld- und Kreditgeschäft das Warengeschäft überwiegt und das Warengeschäft aus wirtschaftlichen Gründen aus dem Geld- und Keditgeschäft nicht mehr ausgegliedert werden kann. Wird eine gemischtwirtschaftliche Kreditgenossenschaft auf eine reine Kreditgenossenschaft verschmolzen, so erlischt die übertragene gemischtwirtschaftliche Kreditgenossenschaft. Sie setzt sich nicht in der übernehmenden reinen Kreditgenossenschaft fort. Die reine Kreditgenossenschaft verliert deshalb den begünstigten Steuersatz, wenn sie das Warengeschäft fortführt. An dieser Regelung sollte nach Auffassung der Bundesregierung im Interesse des Wettbewerbs festgehalten werden. Das Warengeschäft sollte nicht unter anderen Voraussetzungen und über den bisherigen Umfang hinaus in die Steuerbegünstigung einbezogen werden.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die bisherige Verwaltungsregelung ausreicht, um Härten zu vermeiden. Danach ist nämlich die Möglichkeit eingeräumt worden, den begünstigten Steuersatz beizubehalten, wenn das Warengeschäft innerhalb von fünf Jahren ausgegliedert wird. Im übrigen bleibt der begünstigte Steuersatz erhalten, wenn umgekehrt eine reine Kreditgenossenschaft auf eine gemischtwirtschaftliche Kreditgenossenschaft umgewandelt wird.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Susset.
Wird die Bundesregierung bei der Beratung des Körperschaftsteuerreformgesetzes Wert darauf legen, daß diese Unschädlichkeitsgrenze von 5 °/o auch in einem neuen Gesetz rechtlich abgesichert wird?
Herr Kollege, was Sie sagen, wird bei dem Gesetzgebungsvorhaben bedacht werden müssen. Es liegt in der Hand der Abgeordneten, wie das Gesetz am Schluß aussieht.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975 12481
Keine Zusatzfrage. — Ich rufe auf die Frage 74 des Abgeordneten Susset:
Kann die Bundesregierung in diesem Zusammenhang bestätigen, daß im Zuge der Reform der Körperschaftsteuer im Körperschaftsteuerreformgesetz eine Regelung vorgesehen ist, nach der die das Warengeschäft übernehmende bisherige reine Kreditgenossenschaft auf Dauer in den Genuß des ermäßigten Körperschaftsteuersatzes des § 19 Abs. 2 b KStR gelangt, ohne verpflichtet zu sein, das übernommene Warengeschäft auszugliedern und daß geplant ist, das Körperschaftsteuerreformgesetz mit einer entsprechenden Bestimmung mit Wirkung vom 1. Januar 1977 in Kraft zu setzen?
Ist die auch schon beantwortet?
Herr Kollege, in dem von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Körperschaftsteuerreformgesetzes — insofern ist natürlich schon auf das abgehoben worden, was Sie sagten — ist keine Regelung enthalten, nach der die das Warengeschäft übernehmende bisherige reine Kreditgenossenschaft auf Dauer in den Genuß des ermäßigten Körperschaftsteuersatzes im Sinne des genannten Paragraphen und Absatzes des Körperschaftsteuergesetzes gelangt, ohne verpflichtet zu sein, das übernommene Warengeschäft auszugliedern.
Keine Zusatzfrage.
Die Fragen 75 und 76 des Abgeordneten Dr. Schwörer werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage '77 des Abgeordneten Böhm wird ebenfalls auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Auch die Fragen des Abgeordneten Härzschel —78 und 79 — werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden ebenfalls als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage Nr. 80 des Abgeordneten Engelsberger auf:
Wie ist die mir am 14. Mai 1975 auf meine parlamentarische Anfrage erteilte Antwort der Bundesregierung, daß es „keine Pläne gibt, die Mehrwertsteuer zu erhöhen" und „anderweitige Behauptungen reine Spekulationen" seien und jeder Grundlage entbehrten, in Übereinstimmung zu bringen mit der Aussage von Bundesminister Dr. Apel auf der Jahrestagung des Instituts „Finanzen und Steuern", daß bei ansteigender Konjunktur „unabhängig von Wahlterminen über Steuererhöhungen zu entscheiden" sein werde, und müssen diese zweifelsohne unterschiedlichen Aussagen nicht zu einer Verunsicherung des Bürgers hinsichtlich der wahren Absichten der Bundesregierung führen?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Engelsberger, Vertreter der Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister der Finanzen, haben bereits seit Monaten immer wieder deutlich gemacht, daß die Aufstellung des Bundeshaushalts der nächsten Jahre mit Risiken, aber auch mit einer Reihe noch offener Fragen behaftet ist. Zu den offenen Fragen gehören die noch nicht abgeschlossenen Verhandlungen mit den Bundesländern über den Ausgleich der Konsequenzen der Steuerreform. Die Bundesregierung hat wiederholt darauf hingewiesen, daß erst nach Quantifizierung dieser noch offenen Daten darüber entschieden werden kann, ob etwa Einnahmeverbesserungen nötig werden könnten. Deshalb wird auch im Bundesministerium der Finanzen, wie ich es des öfteren in diesem Hohen Hause habe sagen dürfen, gegenwärtig keine Steuervorlage vorbereitet. Die von Ihnen zitierte Äußerung des Bundesministers der Finanzen hebt auf diesen Sachverhalt ab.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Engelsberger.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie mir auf meine direkt gestellte Frage keine befriedigende Antwort erteilt haben, darf ich an Sie erneut folgende Frage stellen. Der Bundesfinanzminister hat am 28. Mai 1975 erklärt: „Es ist unangemessen und problematisch, mit Blick auf 1976 jetzt für Steuererhöhungen zu plädieren", im „Stern" der letzten Woche aber dann zum Ausdruck gebracht — ich zitiere —: „Wenn es wieder besser geht, dann werde ich im Kabinett höhere Steuern beantragen." Wie lassen sich derartige Aussagen innerhalb von einer Woche miteinander in Deckung bringen?
Herr Kollege, wie ich Ihnen schon gesagt habe, hat die Bundesregierung wiederholt darauf hingewiesen, daß erst nach Quantifizierung einiger noch offener Fragen darüber entschieden werden kann, ob es etwa Einnahmeverbesserungen geben kann. Ich verstehe nicht, daß meine Antwort auf Ihre Frage, die ja genau das beinhaltete, was Sie jetzt in Ihrer Zusatzfrage wiederholten, Sie nicht zufriedenstellen konnte.
Eine zweite Zusatzfrage der Abgeordnete Engelsberger.
Herr Staatssekretär, muß die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung nicht darunter leiden, daß innerhalb so kurzer Zeitabstände so widersprechende Aussagen jeweils hier 'im Parlament und in der deutschen Öffentlichkeit zum Thema Steuererhöhungen gemacht werden?
Herr Kollege ich habe diesen Widerspruch, den Sie da dauernd konstruieren wollen, überhaupt nicht im Kopf. Für die Bundesregierung — das wird sich auch im weiteren Verlauf der Fragestunde ergeben — war das Thema Einnahmeverbesserungen nie ein Tabu. Darüber ist offen geredet worden. Ich sage hier zum wiederholten Male: Es gibt im Bundesfinanzministerium zur Zeit keine Arbeit an irgendeiner Steuervorlage. Sie können alle Steuerarten in der Bundesrepublik aufzählen, auch die der Länder, — Sie würden von mir immer dieselbe Antwort bekommen.
Ich rufe Frage Nr. 81 — des Abgeordneten Dr. Narjes — auf:
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12482 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Vizepräsident v. HasselHat der Bundeskanzler mit seiner Äußerung, daß er angesichts des „engen Netzes sozialer Sicherung" es nicht für notwendig hält, eine „private Art von Lebensversicherung" auf das Sparkonto zu legen, eine prinzipielle Absage an jede individuelle Vorsorge und Vermögensbildung gegeben, und zielt diese Erklärung statt dessen auf neue soziale Belastungen, die kollektiv von den Beschäftigten und den Unternehmen zu finanzieren sind?Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatssekretär!
Verehrter Herr Kollege Narjes, ich bin außerordentlich betrübt, daß ich mich bei der Antwort ganz kurz fassen muß, indem ich sage: nein.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Narjes!
Herr Staatssekretär, darf ich Ihr klares Nein als eine prinzipielle Absage an jeden Gedanken einer Privilegierung kollektivistischer Lebensvorsorge durch den Bundeskanzler interpretieren?
Ja. Aber ich wundere mich, daß Sie mich danach überhaupt fragen. Sie kennen doch die klare Auffassung des Bundeskanzlers.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Müller-Hermann.
Herr Staatssekretär, welche Aussage der Regierung gilt nun eigentlich, die des Bundeskanzlers, mit der er die Bürger auffordert, endlich mit dem Konsumverzicht aufzuhören, oder die Aussage z. B. des Bundeswirtschaftsministers, die Bürger müßten sich bei ihren Ansprüchen zurückhalten?
Herr Kollege, es ist so, daß es Zeiten gibt, in denen mal der Konsumverzicht angebracht wäre, und daß es Zeiten gibt, in denen es durchaus gut wäre, wenn mehr konsumiert würde. Daß ich Ihnen das sagen muß, der Sie als Wirtschaftsfachmann gelten, erstaunt mich.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Graf Lambsdorff.
Herr Staatssekretär, können Sie meine Kenntnis bestätigen, wonach der Bundeswirtschaftsminister erklärt, die Bürger müßten sich mit Ansprüchen an die öffentliche Hand zurückhalten, er sie im übrigen aber zum Konsum aufgefordert hat?
Genau das, Graf Lambsdorff, hat der Bundeswirtschaftsminister gesagt, und seine
Meinung im Hinblick auf diese Frage unterscheidet sich in nichts von der Meinung des Bundeskanzlers.
Ich rufe die Frage 82 des Herrn Abgeordneten Dr. Sprung auf:
Ist der Bundeskanzler in der Lage anzugeben, wo und mit welchen Worten er vor den jüngsten Landtagswahlen Steuererhöhungen für den Fall angekündigt hat, daß es uns wieder bessergehe?
Herr Kollege Dr. Sprung, der Herr Bundeskanzler hat in einer Fernsehdiskussion in der Reihe „Journalisten fragen — Politiker antworten" am 29. April 1975, also kurz vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und im Saarland, zum Thema „Mehrwertsteuer" folgende Äußerungen getan, die ich hier nach der Kommentarübersicht des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung — Seiten 17 und 18 — zitieren möchte:
Als wir vor dem Bundestag die Steuer- und Kindergeldreform einbrachten, welche die Gemeinden und Städte, die Länder und den Bund mit einer Einbuße von Einnahmen in der Größenordnung von 13, 14 Milliarden belastete, d. h. so viel weniger in den Kassen der öffentlichen Hände, da war die ursprüngliche Absicht der Bundesregierung gewesen, einen Teil davon durch eine Mehrwertsteuererhöhung wieder hereinzuholen. Und ich habe damals — ich war damals noch Finanzminister und habe später als Bundeskanzler diese These weiterhin aufrechterhalten, weil ich sie richtig finde —, wir haben damals gesagt, angesichts der sich abzeichnenden wirtschaftlichen Abflachung auf der ganzen Welt wollen wir gegenwärtig diese Mehrwertsteuererhöhung nicht vornehmen. Das war damals richtig. Sie wissen, daß die Steuer- und Kindergeld-Reform am 1. Januar 1975, jetzt vor vier Monaten, in Kraft getreten ist. Es wäre völlig unsinnig gewesen, in diesem Augenblick die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Es wäre auch gegenwärtig vollständig unsinnig.
Dann sagt der Bundeskanzler weiter, und zwar vor
den Wahlen in Nordrhein-Westfalen, Herr Kollege:
Je eher und je durchgreifender der wirtschaftliche Aufschwung sich erweist, je eher er kommt und je durchgreifender er sich erweist, desto eher könnte die Möglichkeit
— ich ergänze: einer Mehrwertsteuererhöhung —.. aus der Eventualität in der Ferne zu einer Eventualität in näherer Zukunft werden.
Das geht durch das ganze Interview. Ich könnte Ihnen noch weitere Teile vorlesen. Weitere Äußerungen des Bundeskanzlers zu dieser Frage vor den Wahlen sind mir nicht bekannt. Die hier zitierten Äußerungen scheinen Ihnen aber nicht bekannt gewesen zu sein; sonst hätte Ihre Frage anders gelautet.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sprung.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975 12483
Herr Staatssekretär, welche Gesichtspunkte können Sie dafür ins Feld führen, daß der durch Inflation, Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und Wachstumseinbußen ohnehin schon stark belastete Bürger noch einmal zur Kasse gebeten werden soll, um nach den Worten des Bundesministers der Finanzen die Konsequenzen der überwundenen Rezession zu tragen?
Ich verstehe Ihre Mühewaltung durchaus, Herr Kollege, aber ich habe Ihre Frage beantwortet. Die Frage lautete wie folgt:
Ist der Bundeskanzler in der Lage, anzugeben, wo und mit welchen Worten er vor den jüngsten Landtagswahlen Steuererhöhungen für den Fall angekündigt hat, daß es uns wieder besser gehe?
In der Fragestunde bin ich gehalten, Ihre Frage zu beantworten. Das habe ich getan.
Eine zweite Zusatzfrage.
Da die Zusatzfrage nicht beantwortet worden ist, hat es wohl keinen Sinn, eine zweite zu stellen, Herr Präsident.
Es kann natürlich sein, Herr Präsident, daß auch der Antwortende einmal die Auffassung vertritt, daß eine Zusatzfrage nicht im Zusammenhang mit der ursprünglichen Frage steht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schröder .
Herr Staatssekretär, im Zusammenhang mit dem sachlichen Gegenstand der Frage des Kollegen Sprung wird der Bundesminister der Finanzen in einer der Regierung nahestehenden Wochenzeitschrift mit der Aussage zitiert: Irgendwann muß man die Wahrheit sagen. Ich frage Sie: Wann sieht die Regierung den Zeitpunkt gekommen, die Wahrheit zu sagen?
Ich gehe noch einen Schritt weiter als der Bundesfinanzminister: Immer muß man die Wahrheit sagen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Hermann.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir jetzt die Wahrheit sagen, wenn ich mich auf die Aussage Ihres Chefs, des Herrn Bundesfinanzministers Apel, im „Stern" unter der Überschrift „Wenn es uns besser geht, erhöhe ich die Steuern" — das wird später auch wörtlich so zitiert — beziehe? Ist das, was Sie uns vorher gesagt haben, daß nämlich an Steuererhöhungspläne in Ihrem Hause überhaupt nicht gedacht wird und das Thema für Sie tabu ist, so zu verstehen, daß in dieser Legislaturperiode nicht damit zu rechnen ist, daß es den Bürgern bessergehen wird? Bestätigen Sie vielleicht auch noch den Herrn Bundeswirtschaftsminister, der ja gestern gesagt hat, daß wir uns wohl auf die soziale Demontage durch die Regierung einrichten müssen?
Herr Kollege Müller-Hermann, ich habe ausdrücklich das Gegenteil von dem gesagt, was Sie hier meiner bisherigen Beantwortung unterstellen wollen. Ich habe gesagt: Das Thema der Einnahmeverbesserung ist für die Bundesregierung nie ein Tabu gewesen. Auch wenn Sie meine verschiedenen Ausführungen in der Fragestunde erlebt haben — Sie waren meistens nicht da; höchstwahrscheinlich waren es andere Gründe, die Sie abgehalten haben —, werden Sie von mir wissen, daß ich das Thema einer Einnnahmeverbesserung aus dem Bereich meiner Betrachtung nie ausgeklammert habe.
Wenn Sie schon zitieren, Herr Kollege Müller-Hermann, muß ich Ihnen noch folgendes sagen. Der Bundesfinanzminister hat nicht gesagt: Dann werde ich die Steuern erhöhen. Dies kann er von sich aus nämlich gar nicht tun. Nur dieses Parlament kann die Steuern erhöhen. Der Bundesfinanzminister kann allenfalls eine Anregung geben. Er hat lediglich gesagt, daß er in diesem Fall ins Kabinett gehen werde. Aber er geht ja nicht heute und nicht morgen mit einer solchen Anregung ins Kabinett, sondern er hat dafür einen möglichen Zeitpunkt angedeutet.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Zeitel.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß die von dem Bundesfinanzminister erneut entfachte Diskussion um die mögliche oder nicht mögliche Steuererhöhung für eine Wiederbelebung der Konjunktur ausgesprochen schädlich ist?
Herr Kollege Zeitel, diese Frage ist von Frau Kollegin Schlei vorhin beantwortet worden. Ich bin der Meinung, man kann dem Bürger in keiner Phase des Wirtschaftsgeschehens Möglichkeiten unterschlagen, die zur Erörterung gestellt werden müssen. Der Bundesminister der Finanzen hat ausdrücklich — genau wie ich es des öfteren getan habe — dementiert, daß es irgendwelche Pläne für irgendwelche Steuererhöhungen gibt. Ich habe dies auch vorhin namens der Bundesregierung noch einmal sagen dürfen. Im Bundesfinanzministerium — dies wäre ja das zuständige Ressort — wird
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12484 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Parl. Staatssekretär Haehseran Steuervorlagen nicht gearbeitet. Wir haben im Augenblick sehr viel anderes zu tun.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Narjes.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß zwischen Ihrer Beteuerung, immer die Wahrheit sagen zu wollen, und der Erklärung des Herrn Bundesfinanzministers, sie zu passender Zeit sagen zu wollen, vom moralischen Standpunkt aus gesehen kein gradueller, sondern ein qualitativer Unterschied besteht?
Nein, diese Auffassung kann ich gar nicht teilen, Herr Kollege Narjes. Wenn der Bundesminister der Finanzen gesagt hat, er wolle zur passenden Wahrheit die Unwahrheit
— Wenn ich Sie alle so klatschen sehe, wenn man sich einmal verspricht, meine Damen und Herren, kann ich nur sagen: Klatschen Sie ruhig weiter.
Ich sehe also keinen Unterschied. Der Bundesminister der Finanzen hat gesagt, er werde zur passenden Zeit die Wahrheit sagen. Das bedeutet nicht, daß er etwa zu einer anderen Zeit die Unwahrheit sagen würde.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Huber.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß ein ordentlich abgesicherter öffentlicher Haushalt, dessen Gestaltung natürlich auf die konjunkturellen Daten Rücksicht nimmt, für den Verlauf einer stabilen Konjunktur ebenso wichtig ist wie der Verlauf der privaten Nachfrage?
Ich teile ganz selbstverständlich Ihre Auffassung, Frau Kollegin.
Letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Haase .
Verehrter Herr Staatssekretär, wenn es zutrifft, was Sie soeben dargetan haben, daß im Bundefinanzministerium niemand an Plänen für Steuererhöhungen arbeite — ich zweifle nicht an der Richtigkeit Ihrer Aussage —, frage ich mich aber, warum denn der Bundesfinanzminister die Steuerdiskussion ohne Not wieder entfacht hat.
Lieber Herr Kollege Haase, die Diskussion um Steuererhöhungen war nie eingeschlafen.
— Ja, meine Damen und meine Herren, dafür waren Sie das glänzendste Beispiel. Sie beschäftigen doch den Bundestag seit Monaten mit der Diskussion um Steuererhöhungen.
Wie oft habe ich Ihnen hier schon Rede und Antwort stehen müssen! Und wenn ich zehnmal gesagt habe: es gibt keine Arbeit an Steuervorlagen, hat Sie das nicht davon abhalten können, ein elftes und zwölftes Mal danach zu fragen.
Ich rufe die Frage 83 des Abgeordneten Dr. Sprung auf:
Steht der Bundeskanzler zu seiner Regierungserklärung vom 17. Mai 1974, in der er erklärte, die Mehrwertsteuer in dieser Legislaturperiode nicht zu erhöhen, wie es neuerdings nach den Landtagswahlen sein zuständiger Ressortminister angekündigt hat?
Bitte!
Herr Kollege Dr. Sprung, der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 17. Mai 1974 zur Frage der Mehrwertsteuererhöhung folgende Ausführungen gemacht, die ich hier zitieren möchte:
Deshalb erfordert die Entlastung der Steuerzahler durch die Steuer- und Kindergeldreform zugleich ein solidarisches Verhalten aller Gebietskörperschaften unseres Bundesstaats, um die Belastungen für die öffentlichen Haushalte entsprechend der von den Regierungschefs von Bund und Ländern vereinbarten Revisionsklausel zum Finanzausgleich gemeinsam aufzufangen. Bundestag und Bundesrat haben es in der Hand, durch Verzicht auf ausgabenwirksame Gesetze und Verzicht auf Initiativen zu vermeiden, daß der Mehrwertsteuersatz erhöht werden müßte; denn das wäre möglicherweise zum Schluß die einzige Deckungsmöglichkeit für Einnahmelücken dieses Umfangs.
Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, die Mehrwertsteuer zu erhöhen.
So weit das Zitat. Es stellte ganz eindeutig die Absicht der Bundesregierung und das zukünftige Verhalten der beiden Häuser gegenüber.
Diese Passage der Regierungserklärung kann im übrigen nicht isoliert von den übrigen Passagen zur Finanzpolitik gesehen werden. Die Regierungserklärung wies nämlich in ihrem finanzpolitischen Teil sehr deutlich auf den Zusammenhang zur Wirtschaftslage und insbesondere auf die Abhängigkeit von der und Gefahren aus der Weltwirtschaft hin. Weltwirtschaftlich haben sich seitdem neue Entwicklungen, vor allem aber eine weltweite Rezession ergeben. Sie hinterläßt ihre Spuren auch in der deutschen Volkswirtschaft, was nicht ohne Einfluß auf die öffentlichen Finanzen wird bleiben können.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Sprung.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975 12485
Herr Staatssekretär, kann ich dem entnehmen, daß der Herr Bundeskanzler also nicht mehr zu seinen Ausführungen in der Regierungserklärung steht, die Mehrwertsteuer werde nicht erhöht?
Ich weiß nicht, Herr Kollege Dr. Sprung, was Sie zu dieser Ihrer Auslegung meiner Antworten berechtigt. Ich habe deutlich gesagt: „So weit das Zitat", nachdem ich zitiert hatte. Es stellte eindeutig die Absicht der Bundesregierung und das zukünftige Verhalten der beiden Häuser einander gegenüber. Sie dürfen nicht irgendeinen Satz aus der Regierungserklärung herauspicken. Daß ich auf die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge habe hinweisen müssen, versteht sich von selbst.
Keine weitere Zusatzfrage? — Wir sind damit am Ende angelangt.
Ich gebe bekannt, daß inzwischen folgende Fragen von den Fragestellern zurückgezogen worden sind: die Fragen 34, 37, 41, 90, 91, 92, 93 und 52. Die 90 Minuten für die Fragestunde sind abgelaufen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Seiters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hatte zur heutigen Fragestunde eine Reihe von Fragen eingereicht, die sich auf persönliche Erklärungen des Bundeskanzlers vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen und an der Saar beziehen. Wir alle haben von ihm im Wahlkampf gehört: Jetzt kommt der Aufschwung, jetzt geht es aufwärts, bald sind wir über den Berg.
Gleichzeitig hat die Bundesregierung Pläne zu Steuererhöhungen bestritten.
Diese Aussagen standen, wie die deutsche Öffentlichkeit heute weiß, nicht nur in krassem Widerspruch zur tatsächlichen Wirtschafts- und Finanzlage in unserem Lande, sondern waren in Wirklichkeit eine bislang nicht erlebte bewußte Täuschung und Irreführung der Wählerschaft.
Das ist ein Vorwurf, der nicht allein von uns erhoben wird. Ein großer Teil der deutschen Presse hat das Verhalten der Regierung angesichts der ungebändigten Arbeitslosigkeit, angesichts des rapiden Rückgangs beim Wachstum der Wirtschaft und angesichts einer riesigen Staatsverschuldung wörtlich „doppelzüngig", „zynisch" und „unwahrhaftig" genannt.
Diese Doppelzüngigkeit und Unwahrhaftigkeit ist im übrigen auch heute wieder bei der ausweichenden und völlig unzureichenden Beantwortung unserer Fragen deutlich geworden.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion beantragt daher zu diesem Fragenkomplex und zur Erörterung der wirtschafts- und finanzpolitischen Lage eine Aktuelle Stunde.
Meine Damen und Herren ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich beanstanden, daß die Bundesregierung bei der Verteilung der Fragen auf verschiedene Ressorts zum Mittel der Manipulation gegriffen hat, um eine einheitliche und geschlossene Behandlung dieser Fragen zu verhindern.
Die Art und Weise, wie durch das Bundeskanzleramt zusammengehörige Fragen, die zudem ausdrücklich an den Bundeskanzler gestellt worden waren,
: Mit subtiler Absicht!)
auseinandergerissen und auf verschiedene Ressorts verstreut worden sind, ist — ich wiederhole es — ein ganz bewußter manipulativer Akt.
Das hat mit einem fairen Umgang mit dem Parlament und mit der Opposition überhaupt nichts zu tun.
Der Umstand, daß Bundeskanzler und Bundeskanzleramt nicht bereit sind, selbst zu persönlichen Äußerungen des Kanzlers Stellung zu nehmen, ist ein klarer Beweis dafür, daß Helmut Schmidt, der vor der Wahl die Bürger getäuscht hat, sich heute vor seiner Verantwortung drückt.
Meine Damen und Herren, nach der Anlage 4 unserer Geschäftsordnung — Vorläufige Bestimmungen über Aussprachen zu Fragen von allgemeinem aktuellen Interesse — ist gemäß Ziffer 2 Aussprache auf Verlangen begehrt worden. Dem Verlangen muß stattgegeben werden.
Wir treten in eine
Aktuelle Stunde
ein. Ich mache auf folgendes aufmerksam. Die zur Verfügung stehende Zeit beträgt 60 Minuten. Die Redezeit, welche die Regierung für ihre Antworten in Anspruch nimmt, wird darauf nicht angerechnet. Geht die Regierung in ihrer Gesamtantwortzeit über 30 Minuten hinaus, wird die Aktuelle Stunde von 60 Minuten um 30 Minuten verlängert. Kein Redner darf länger als fünf Minuten sprechen. Er kann sich allerdings ein weiteres Mal zu Wort melden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller-Hermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vertrauen in die politische Führung ist eine ganz entscheidende Voraus-
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12486 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Dr. Müller-Hermannsetzung für die Belebung der Konjunktur. Dieses Vertrauen fehlt. Die ungewöhnlich starke Spartätigkeit unserer Mitbürger im Lande ebenso wie die ungewöhnlich große Zurückhaltung der Unternehmer bei ihren Investitionen sind im Grunde ein ständiges Mißtrauensvotum gegen diese Regierung.
Meine Damen und Herren, eine Regierung, die wissentlich und willentlich und nicht zum ersten Mal das Volk belügt, kann sagen, was sie will — —
Herr Abgeordneter, ich rufe Sie wegen dieses Ausdruckes zur Ordnung.
Eine solche Regierung kann sagen, was sie will; man wird ihr nicht mehr glauben.
Insbesondere die Glaubwürdigkeit des Herrn Bundeskanzlers ist aufs schwerste erschüttert. Monatelang ist er durch die Lande gezogen mit der Devise „Der Aufschwung kommt" — im Frühjahr, im Sommer, im Herbst, im Winter. Wahrscheinlich hat er 1975 gar nicht gemeint; denn der Herr Bundeswirtschaftsminister erklärt jetzt, das Jahr des Aufschwungs ist das Jahr 1976.
Die Manipulation der Arbeitslosenziffern unmittelbar vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und im Saarland durch den Bundesarbeitsminister ist hier schon einmal diskutiert worden. Ich halte den Vorwurf aufrecht — auch im Namen meiner politischen Freunde —, daß hier mit der Zurückhaltung der Kurzarbeiterzahl und der saisonbereinigten Darstellung der Arbeitslosenziffern versucht wurde, das Volk, die Wähler, zu täuschen.
Die CDU/CSU hat in einer sehr realistischen Einschätzung der Wirtschaftslage im Lande, in Europa und auf den Weltmärkten seit Monaten erklärt, daß es gilt, bis zum Wiederaufschwung eine längere Durststrecke durchzustehen. Das wurde uns aus dem Lager der Koalition und der Regierung als unverantwortlicher Pessimismus und Schwarzmalerei ausgelegt. Jetzt kommt diese Regierung mit den gleichen Worten von der längeren Durststrecke und sagt: Wir müssen warten, bis der Aufschwung kommt.
Die größte Sorge bereitet uns neben der Tatsache, daß zwei Millionen Menschen im Lande ohne volle Arbeit sind, das fehlende Wirtschaftswachstum. Heute wird von der Regierung so argumentiert, es wäre eine „Leistung", wenn es gelänge, die sogenannte Null-Linie zu erreichen. Das, was heute von der Regierung als Null- oder Minuswachstum umschrieben wird, ist in Wirklichkeit ein Schrumpfungs-, ein Verarmungsprozeß, eine tiefgreifende Rezession, mit deren Fortgang die Bundesregierung die eigentliche soziale Demontage für die Bürger dieses Landes in Gang setzt,
die sie jetzt wider besseres Wissen der Opposition, der CDU/CSU, anzureden versucht.
Noch gestern hat der Herr Bundeswirtschaftsminister in München davon gesprochen, daß wir uns auf eine Begrenzung der rapide gestiegenen Sozialausgaben einrichten müssen. Was ist das denn anderes als soziale Demontage?
Meine Damen und Herren, was soll man von einem Bundesfinanzminister halten, der nicht nur in der Frage der Steuererhöhungen widersprüchliche Meinungen von sich gibt, sondern jetzt das Kernstück des Konjunkturprogramms, die Investitionszulage in einer Größenordnung von 8 Milliarden DM, als ein „Steuergeschenk an die Großwirtschaft" bezeichnet und hinzufügt, sie sei ein wenig geeignetes Mittel zur Belebung der Wirtschaftstätigkeit gewesen, — so, wie wir es vorausgesagt haben, meine Damen und Herren! Die völlig widersprüchlichen Aussagen aus dem Lager der Regierung weisen nur die Ratlosigkeit dieser Bundesregierung aus, deren einziges durchschaubares Ziel es offenbar ist, um jeden Preis an der Macht zu bleiben,
selbst um den Preis der Täuschung der Wähler.
Ich möchte hier auch als Warnung an alle, die es angeht, festhalten, meine Damen und Herren, daß diese Bundesregierung versucht, auch nachgeordnete und bisher unabhängige Institutionen in ihrer Öffentlichkeitsarbeit so etwas wie gleichzuschalten. Immer weniger geht es um objektive Informationen, und immer mehr geht es um manipulierte Informationen zu parteipolitischen Zwecken.
Diese Bundesregierung bietet ein trostloses Bild der Führungslosigkeit und der Unredlichkeit. Sie verbreitet Unruhe und Unsicherheit, meine Damen und Herren, und das in einer Zeit, in der nichts notwendiger wäre, als daß man sich auf die Solidität und die Zuverlässigkeit dieser Regierung verlassen könnte.
Die Fehler und Versäumnisse dieser Regierung müssen wir heute alle mit dem wirtschaftlichen Niedergang ausbaden. Die Regierung hat sich selbst um. das Vertrauen gebracht, daß sie in der Lage sein könnte, mit den Problemen der Zeit und der Zukunft fertig zu werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehrenberg.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975 12487
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem am vergangenen Mittwoch in diesem Hause der Vorsitzende der CDU/ CSU-Fraktion in einer wohl bisher nicht dagewesenen Weise von Wahlbetrug gesprochen hat
— daß Sie da klatschen, zeigt den Zustand, indem Sie sich befinden, meine Herren von der Opposition! —,
hat sich jetzt Herr Müller-Hermann hier hingestellt und ohne eine konkrete Angabe,
ohne jeden Beweis
davon gesprochen, daß diese Bundesregierung — wie er sagte, und glücklicherweise hat der Präsident das gerügt — das Volk belügt.
Einen Augenblick, Herr Kollege. Der § 40 der Geschäftsordnung besagt:
... Der Ordnungsruf und der Anlaß hierzu dürfen von den nachfolgenden Rednern nicht behandelt werden.
Ich weise Sie darauf hin.
Ich bitte um Vergebung.Jetzt werde ich Sie mit dem konfrontieren, was Herr Müller-Hermann als Beweise hätten anführen können. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, meine Damen und Herren von der Opposition, daß am 28. April — eine Woche vor dem 4. Mai! — fünf Forschungsinstitute in der Bundesrepublik Deutschland, nämlich die renommierten Institute, die jedes Frühjahr ein Gemeinschaftsgutachten veröffentlichen, auf Seite 20 festgestellt haben — ich bitte, das nachzulesen —:Die expansiven Impulse der Finanz- und Geldpolitik sind zusammen so stark, daß sie vollauf ausreichen müßten, einen neuen Aufschwung herbeizuführen.
Zur gleichen Zeit, meine Damen und Herren, hat die Deutsche Bundesbank von guten Vorbedingungen für eine Zunahme der Binnennachfrage gesprochen; und Herr Dr. Schlesinger, Mitglied des Direktoriums der Bundesbank, hat im Wirtschaftsausschuß erklärt: Wir befinden uns auf dem Wege zum Aufschwung.
Ähnliches können Sie aus der gleichen Zeit nachlesen von Herrn Professor Giersch, von Herrn Professor Kloten, dem Vorsitzenden des Sachverständigenrates, der ausdrücklich im April erklärt hat, daß in der zweiten Jahreshälfte der Aufschwung da sein wird. Ich darf Ihnen dann noch den Herrn Professor Sievert, auch Mitglied des Sachverständigenrates, aus einer Diskussion in Saarbrücken, an der auch ich teilgenommen habe, zitieren. Herr Professor Sievert hat dort Mitte April folgendes erklärt:Vielleicht ist der Aufschwung schon da.
Das wissen wir so genau nicht. Das haben wir schon öfter erlebt, daß etwas unter uns war, und wir haben es erst zwei Monate später gesehen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, nach dem, was Herr Professor Carstens am vergangenen Mittwoch und Herr Müller-Hermann heute hier gesagt haben — Herr Professor Carstens sprach von Wahlbetrug — —
— Herr Professor Carstens, wenn Sie diese Behauptung aufrechterhalten, dann müßten Sie, nachdem Sie die Ihnen soeben vorgelegten Fundstellen — alle aus dem April dieses Jahres stammend — kennen, die Deutsche Bundesbank, die fünf angesehensten Forschungsinstitute dieser Republik, drei angesehene Professoren alle miteinander der Anstiftung oder der Beihilfe zum Wahlbetrug zeihen.
Und ebenso müßten Sie, Herr Müller-Hermann, die ehrenvolle Liste von der Bundesbank bis zu Herrn Kloten bezichtigen, daß sie das deutsche Volk belogen hätten. Ich glaube, diese Tatsache allein zeigt doch, wie weit hergeholt und wie jenseits aller Realitäten das ist, was Sie hier behaupten.
Lassen Sie mich Ihnen zum Schluß noch aus einer ganz kürzlich veröffentlichten Analyse zwei Sätze vorlesen. Vor wenigen Tagen erschien eine Analyse', in der steht:Den berechtigten Anliegen, bessere Arbeits- und Lebensbedingungen für die breiten Schichten des Volkes zu schaffen, wurde in vielfälti-
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12488 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Dr. Ehrenbergger Weise Rechnung getragen. Die Arbeitnehmer sind heute besser denn je vor wirtschaftlichen Risiken geschützt.So zu lesen in der Mannheimer Erklärung der CDU/ CSU, vor wenigen Tagen veröffentlicht!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Müller-Hermann, was das trostlose Bild der Führungslosigkeit angelangt: da nimmt es die Regierung mit der Opposition noch ganz gut auf.
— Meine Damen und Herren, wer heute ins Ausland fährt, kann sich dort jederzeit überzeugen, daß bei unseren Bündnispartnern im westlichen Ausland gerade die Führungskraft dieser Bundesregierung Zustimmung und Anerkennung findet,
und wir werden uns von Ihnen, Herr Müller-Hermann hier nicht Führungslosigkeit vorwerfen lassen. Denn nicht über die Frage, ob der Aufschwung am 21. Juni oder am 3. Mai oder am 3. August kommt,
sondern über die Frage, wer in dieser Bundesrepublik besser führen kann, hat der Wähler am 4. Mai entschieden.Ein Zweites. Ich habe mit großem Erstaunen zur Kenntnis genommen, daß die CDU schon Anfang dieses Jahres gesagt haben will: Aus der Weltwirtschaft kommen doch die Momente her, die den Aufschwung hindern. — Wir haben immer von Ihnen gehört: Entschuldigt euch nicht mit den außenwirtschaftlichen Einflüssen, das habt Ihr ja alles selbst veranstaltet.
— Aber, meine Damen und Herren, eines ist uns klar: die CDU hat es immer schon besser gewußt, wenn sie vom Rathaus kam. So auch diesmal. Aber glücklicherweise haben Sie sich mindestens in einem Punkt geirrt und in einem Punkt getäuscht — das werden Sie wohl auch zukünftig tun —, nämlich in der Vorhersage von Wahlergebnissen. Das ist für uns tröstlich.
Da Sie, meine Damen und Herren, wie bekannt — schon 1972 haben wir das ja gesehen — allemal schlechte Verlierer sind, suchen Sie die Ursachen natürlich nicht in eigenen Fehlern, sondern in den dämonischen Mächten des Schicksals oder in der bewußten Täuschung des Wählers, wobei Sie eben immer wieder von Ihrer alten Fehleinschätzung ausgehen, daß der Wähler so töricht sei wie Ihre Argumentation.
Das ist er aber gar nicht. Er hat schon 1972 Ihren Untergangsprophezeiungen nicht geglaubt. Er hat es auch diesmal nicht getan. Warum auch? Der Mensch ist nicht geneigt, dauernd in Pessimismus und in Schwarzmalerei zu versinken. Der Wähler hat sich überlegt, wem er die Kompetenz zutraut, aus den unbestrittenen Schwierigkeiten unserer Situation herauszukommen. Mit Recht hat der Kollege Ehrenberg darauf hingewiesen — ich brauche das nicht im einzelnen zu wiederholen und zu zitieren —, daß es einen ganzen Packen von Gutachten und Stellungnahmen gibt, die uns noch kurz vor der Wahl sehr zu Ihrem Mißvergnügen — Sie haben doch alle darauf gewartet, daß das Gemeinschaftsgutachten eine ganz mißliche wirtschaftliche Vorhersage bringen würde —
vorhergesagt haben, dem sei nicht so.
Nun will ich allerdings eines sagen, Herr Müller-Hermann: Wenn Sie davon sprechen, daß wir bisher unabhängige Institutionen nahezu gleichgeschaltet hätten, dann waren Sie wenigstens noch so zurückhaltend, nicht zu sagen, wen Sie damit meinten. Ich stelle mich aber vor die Institutionen, die Sie gemeint haben könnten und deren Äußerungen in dieser Auseinandersetzung eine Rolle gespielt haben, und ich weise diesen Vorwurf mit aller Entschiedenheit und Deutlichkeit zurück.
Meine Damen und Herren, der Grund ist doch im Ergebnis zu suchen: Die nordrhein-westfälischen Trauben schmecken sauer. Das ist der Punkt, der Sie so ärgert und so stört. Das verstehe ich ja auch.
Was unsere Argumentation in diesem Wahlkampf angeht, so können Sie sich die Zitate des Bundeswirtschaftsministers ansehen. Ich wiederhole, was ich in jeder Wahlversammlung gesagt habe: Wir werden in der zweiten Hälfte dieses Jahres die ersten Anzeichen der Erholung aus der Rezession sehen; dies wird für jeden spürbar sein und es wird im Jahre 1976 in einen Aufschwung überleiten.
So wird es sich entwickeln. Dabei wissen wir genau — und wir freuen uns, daß wir endlich Ihre Zustimmung bekommen haben —, daß wir von den weltwirtschaftlichen außenwirtschaftlichen Einflüssen in hohem Maße abhängig sind.
Herr Müller-Hermann, kommen Sie uns nicht im Herbst wieder und erzählen Sie uns, wir redeten uns schon wieder mit den außenwirtschaftlichen Einflüssen heraus. Wir werden Sie im Zusammenhang
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975 12489
Dr. Graf Lambsdorffmit dieser Äußerung, die Sie heute hier getan haben, beim Schopfe nehmen.
Im übrigen ist es natürlich kar, meine Damen und Herren, daß jeder, der Konjunkturprognosen stellt, damit auch gewisse Wünsche verbindet, Sie, daß Sie die Wahl gewinnen, wir, daß wir die Wahl gewinnen. Wer Konjunkturprognosen stellt, identifiziert sich doch auch mit dieser Aussage und legt zugegebenermaßen ein Stück mehr hinein. Jeder Börsenberater tut das, weil er seine Aktien verkaufen und Provisionen verdienen will. Das ist ein uraltes Geheimnis, das in jeder Konjunkturprognose, in jeder Vorhersage liegt.
— Was heißt hier „mit amtlichem Charakter"? Es gibt keine Prognose mit amtlichem Charakter. Sie können nicht zum Notar gehen und sich vom Notar bestätigen und beurkunden lassen, daß Ihre Konjunkturprognose richtig ist. So kann man doch nicht Konjunkturpolitik machen.
Nein, meine Damen und Herren, hier ist verantwortungsvoll und verantwortungsbewußt überlegt, sondiert und geprüft worden. Auf dieser Basis von Stellungnahmen, die uns vorliegen, haben wir argumentiert. Diese Argumentation war zutreffend und richtig.Ich möchte die jetzige Gelegenheit nur noch benutzen, um mich einer Verpflichtung zu entledigen. Der Kollege Strauß ist heute leider nicht da. Ich habe ihn mehrfach gebeten, in Nordrhein-Westfalen in den Wahlkampf einzugreifen. Er hat es getan. Herr Stücklen, würden Sie ihm sagen: Herzlichen Dank für seine Mitwirkung!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Sprung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem für die Inflation der Jahre 1972, 1973 und 1974 erst die Opposition, dann die Unternehmer und dann die Amerikaner verantwortlich waren, nur niemals der wahre Schuldige, nämlich die Regierung und eine schlechte Wirtschaftspolitik, sind es für den Abschwung, für die Rezession für die zwei Millionen Arbeitslose und Kurzarbeiter natürlich auch wieder andere. Zunächst waren es die Unternehmer mit einem Investitionsstreik, und nun, nachdem dieses Argument gar zu abwegig ist, ist es wieder das Ausland.Die Bundesregierung hat mit kriminalistischem Spürsinn den bösen Buben entdeckt, der dafür verantwortlich ist, daß es trotz lautstarker Ankündigungen, daß der Aufschwung unmittelbar bevorstehe, dennoch nicht aufwärts geht: Es ist die OECD, meine Damen und Herren, die im Herbst des vergangenen Jahres die Entwicklung des Welthandels viel zu günstig eingeschätzt und diese Prognose nicht rechtzeitig revidiert habe.Ja, wie denn, Herr Bundeswirtschaftsminister, Herr Bundesfinanzminister? Haben Sie nicht immer wieder gefordert, auch das Ausland solle Stabilitätspolitik treiben? Haben Sie nicht immer wieder Ihre Politik als beispielhaft zur Nachahmung wärmstens empfohlen? Haben Sie nicht internationales Lob dafür eingestrichen? Haben Sie nicht, wenn die Bundesrepublik wieder einmal Zahlungsbilanzhilfe für einen der in ihrer Zahl nicht mehr übersehbaren Fonds leisten sollte, strengere Wirtschafts- und Finanzpolitik der hilfesuchenden Länder zur Vorbedingung gemacht? Nun haben auch andere Länder Stabilitätspolitik mit mehr oder weniger großem Erfolg betrieben, wie wir ja auch nur. Jetzt stehen Sie völlig überrascht da. Haben Sie nicht gewußt, daß Stabilitätspolitik die Nachfrage dämpft, also auch die Einfuhren dieser Länder? Für die Bundesrepublik haben Sie dies doch erwartet. Dies war doch das Ziel. Oder glaubten Sie, das Ausland würde anders reagieren? Glaubten Sie, im Ausland würde es mit einer Stabilitätspolitik doch nicht klappen? Ist es nicht mehr als dilettantisch, bei weltweiter Stabilitätspolitik einen real weiterwachsenden Export anzunehmen?! Denn an der Erstellung der OECD-Statistik haben Sie doch mitgewirkt.Wie ist es um die prognostische Kraft einer Regierung bestellt, die diesen simplen, zwangsläufigen, jedem Studenten im dritten Semester geläufigen Zusammenhang nicht erkennt?! Diese Regierung, meine Damen und Herren, die für sich in Anspruch nimmt, die Weisheit für sich gepachtet zu haben, hat, was ihre Zusammenhänge betrifft, in ganz eklatanter Weise versagt.Ist es nicht naheliegend, daß daraus ein tiefer Vertrauensschwund für die Wirtschaft und die Bürger dieses Landes entstanden ist?! Haben Sie nicht bemerkt, Herr Bundeswirtschaftsminister und Herr Finanzminister, was um uns herum, jenseits der Grenzen dieses Landes vor sich geht: daß sich auch dort die konjunkturelle Situation grundlegend geändert hat? Schreibt der Bundeswirtschaftsminister nicht seit langem in seinen Monatsberichten — und tut dies seit Monaten nicht auch die Bundesbank —, daß die Auslandsnachfrage nachläßt? Das können Sie doch nicht unberücksichtigt gelassen haben, das können Sie doch nicht ignoriert haben! Was dies für die Wirtschaft bedeutet, können Sie doch nicht erst vor vierzehn Tagen entdeckt haben; es wäre schrecklich!Eine weniger glaubhafte Entschuldigung hätte für die voreilige Ankündigung des Aufschwungs kaum gefunden werden können.So schreibt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung".Und ein Zweites, meine Damen und Herren. Wer in bezug auf die Auslandsnachfrage so argumentiert wie die Regierung, wird natürlich auch naiv genug sein, vom Ausland die Beseitigung dieses Zustandes zu verlangen, d. h. vom Ausland zu fordern, daß man dort etwas für die Wiederankurbelung der Konjunktur tut, nach dem Motto: Hannemann, geh du voran! Adressat dieser Forderung sind in erster
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12490 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Dr. SprungLinie die USA. Weiß der Herr Bundeskanzler nicht,daß solche Forderungen, die er erhebt, an die Amerikaner als letzte Adresse gerichtet werden können— die Amerikaner haben für die Ankurbelung der Konjunktur wahrhaftig eine Menge getan, sicherlich nicht weniger als die Bundesrepublik — und daß alle Anzeichen erkennen lassen, daß die Vereinigten Staaten, obgleich die Rezession dort tiefer war als bei uns, eher wieder aus ihr herausfinden werden.
— Das ist doch die Einlassung, die die Regierung gegeben hat. Die Regierung ist doch der Meinung, daß es das Ausland ist, daß es die Auslandsnachfrage ist,
die diese Schwierigkeiten gebracht hat.
Die Bundesregierung weist darauf hin, daß wir die zweitgrößte Wirtschaftsnation der westlichen Welt und die größte Handelsnation sind.
Ist es denn nicht natürlich, meine Damen und Herren, daß von uns, was die Konjunkturankurbelung angeht, das gleiche verlangt wird, da wir wirtschaftlich stärker sind und die größten Devisenreserven haben?!
Wo soll dieses „Jeder wartet auf den anderen" enden?!
Haben Sie nicht einmal überlegt, ob nicht angesichts der gleichlaufenden Konjunkturentwicklungen in den westlichen Staaten eine völlig andere Politik betrieben werden sollte, völlig andere Wege gegangen werden sollten, eine internationale Konjunkturpolitik angepackt werden sollte?Ein letztes, meine Damen und Herren.
Jahrelang ist auf dem Export herumgeprügelt worden, jahrelang ist wie der Unternehmer auch der Export verteufelt worden. Hat man gewußt, was man dort tat? Jeder vierte Arbeiter in diesem Land verdankt seinen Arbeitsplatz dem Export.
Jetzt soll der Export uns aus den Rezessionsnöten, aus Produktionsrückgang und Arbeitslosigkeit wieder herausführen. Meine Damen und Herren, man sollte, bevor man solche Vorwürfe an die ausländische Staaten erhebt, zunächst einmal die Situation bedenken und dann handeln.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft, Herr Friderichs.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich will mich kurz zu den Dingen äußern. Ich glaube für mich in Anspruch nehmen zu können, mich auch in den letzten Monaten mit dem Maß an Zurückhaltung und Vorsichtigkeit geäußert zu haben, das unserer Wirtschaftsordnung entspricht. Wenn ich Sie hier reden höre, insbesondere meinen Vorredner, dann glaubt man ja, in einem Lande zu leben, in dem der Staat bestimmt, ob gekauft, produziert und verkauft wird. Das tun wir nicht.
Ich lese und zitiere hier einen Satz vom 4. Februar 1975 aus dem Südwestfunk, aus dem „Mittagsmagazin", Er heißt: „Selbstverständlich werden wir im Sommer eine gewisse Belebung der Konjunktur erfahren." Der Satz stammt nicht von mir, nicht von einem Mitglied der Bundesregierung, sondern von einem meiner Amtsvorgänger, Herrn Professor Dr. Ludwig Erhard.
Ich will dies nur sagen, damit Sie sehen, was alles prognostiziert worden ist. Ich sage noch einmal: Er stammt nicht von mir. Ich hätte ihn auch am 4. Februar nicht ausgesprochen, weil ich mir meiner Sache nicht so sicher war wie einer meiner Amtsvorgänger. Zwar war zu diesem Zeitpunkt erkennbar, daß es uns gelingen würde, die Binnennachfrage zu stabilisieren — und dies ist gelungen —, aber es ist nicht gelungen — und ich sage Ihnen: weil es nicht gelingen kann —, einen solchen Einbruch in der Auslandsnachfrage durch eine Binnennachfrage zu kompensieren. Das ist bei einer Volkswirtschaft, die eine solche Verwendungstruktur des Bruttosozialprodukts hat wie die deutsche, schlicht und einfach unmöglich, es sei denn, sie wären bereit — das scheint Ihr Rezept zu sein —, eine Binnennachfrage zu produzieren, die den scharfen Einbruch der Auslandsnachfrage kompensiert oder gar überkompensiert, und Sie wären dann bereit, die daraus resultierenden Inflationsschübe in Kauf zu nehmen. Dazu allerdings sind wir nicht bereit.
— Ich habe Anlaß, Herr Müller-Hermann, das auch Ihnen zu sagen; denn ich habe mich gestern hingesetzt und habe die Äußerungen der Opposition, der Regierung und der sie tragenden Parteien im letzten halben Jahr nachgelesen. Das ist sehr interessant. Ich könnte eine Fülle von Zitaten anbringen; ich beschränke mich aber auf einige wenige.Da gibt es z. B. eins, das lautet: Man sei zuversichtlich, daß die Bundesrepublik auf längere Sicht mit ihren wirtschaftlichen Schwierigkeiten fertig werde. Die Wirtschaft sei insgesamt robust und dynamisch, die Arbeitnehmer seien diszipliniert und fleißig, fleißiger als in anderen Ländern, und der
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975 12491
Bundesminister Dr. FriderichsDurchbruch gelinge daher ohne Zweifel. — Zitat von Ihnen, Herr Müller-Hermann.
Insofern stimme ich mit Ihnen völlig überein.Meine Damen und Herren, Sie können uns und mir einen Vorwurf machen; den nehme ich hin. Wir haben — und das gebe ich zu — bei Vorlage des Jahreswirtschaftsberichts im Januar 1975, fußend auf den Daten vom November 1974 — andere waren noch nicht verfügbar —, mit einem so scharfen Einbruch in der Auslandsnachfrage, wie erstatsächlich erfolgt ist, nicht gerechnet.
Das gebe ich zu. Das kann passieren. Wir befinden uns in guter Gesellschaft mit einer Reihe anderer Länder.Wenn der Abgeordnete Sprung sagte, die Amerikaner hätten zur Ankurbelung ihrer Nachfrage alles getan, dann kann ich nur sagen: In der Tat haben sie quantitativ mehr getan als wir. Nur, sie haben damit nicht einmal ihre Binnennachfrage stabilisieren können; denn sie haben mittlerweile das sechste Quartal mit einem „Minuswachstum" zu bestreiten. Ich sage das nicht als Vorwurf, sondern als Feststellung. Dafür gibt es eine Reihe internationaler und nationaler Ursachen, die niemand bestreiten sollte.Wenn gesagt worden ist, wir schöben die Verantwortung für den Aufschwung auf unsere Nachbarn, auf das Ausland — meine Damen und Herren, nein. Nur eins habe ich gesagt, gestern vor dem BDI und vorige Woche in der Konzertierten Aktion, und dazu stehe ich: Wir müssen uns davor hüten, durch Reden im Inland draußen den Eindruck zu erwecken, als ob es nur an Deutschland läge, ob die Weltkonjunktur wieder läuft oder nicht.
Wehe denen, die uns diese Verantwortung zuschieben, die die deutsche Volkswirtschaft auf Grund ihrer Größe und Struktur zu übernehmen nicht in der Lage ist! Seien Sie vorsichtiger mit solchen Reden!
Das heißt, wir vertrauen auf die Aufschwungkräfte, die nach Meinung der Amerikaner in den anderen Ländern offensichtlich zur Jahreswende sichtbar werden, kompensiert oder, richtiger gesagt: stabilisiert durch unsere binnenwirtschaftlichen Maßnahmen.Lassen Sie mich, weil die rote Lampe aufleuchtet, mich der Meinung anschließen, die da geäußert worden ist:Mit weltweiten ökonomischen Schwierigkeiten wird die Bundesrepublik Deutschland am besten fertig.Und der Betreffende hat hinzugefügt:Der „Financial Times" ist zuzustimmen: In der Bundesrepublik Deutschland vollzieht sich ein zweites gesellschaftspolitisches Wunder.Ich habe mich auf Ausführungen von Herrn Professor Biedenkopf bezogen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Zeitel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundeswirtschaftsminister, Prognosen sind gewiß immer schwierig.
Im Grunde genommen gilt Bert Brecht oder — in einer anderen Version — Korinther 13.
Aber es hat in der Bundesrepublik noch keine Nachkriegsepoche gegeben, in der die Prognosen von so erratischen Schwankungen und Zuckungen gekennzeichnet waren wie in den letzten Monaten und Wochen. Dies ist ein Tatbestand.
Es wäre zu prüfen, woran das liegt. Lassen Sie mich, bevor ich dies wenigstens mit einigen Sätzen, die hier nur zur Verfügung stehen, tue, noch etwas weiteres deutlich machen: Noch schlimmer als die erratischen Zuckungen und Schwankungen in der regierungsamtlichen Prognose ist, daß eben in der Tat von einer bewußten Täuschung der Bevölkerung gesprochen werden muß.
Und, Herr Ehrenberg, ich würde Ihnen empfehlen,
die Antwort des Staatssekretärs im Arbeitsministerium, die er auf die Frage gegeben hat, warum von seinem Hause an dem Tag, an dem über die Arbeitslosenzahlen gesprochen worden ist, nicht auch die Zahl der Kurzarbeiter genannt wurde, einmal nachzulesen, bevor Sie darüber urteilen.
Herr Bundeswirtschaftsminister, ich will einen weiteren Sachverhalt klarstellen, damit wir uns nicht dauernd im Kreise drehen. Niemand von der Opposition bezweifelt, daß wir in der Konjunktur von internationalen Entwicklungen abhängig sind.
Dies ist überhaupt nicht strittig. Wir bestreiten nur, Graf Lambsdorff, daß Ihre Analyse und Argumentation umfassend genug ist, um der besonderen gegenwärtigen Entwicklungsphase der Bundesrepublik gerecht zu werden. Sie sprechen von Monat zu Monat endlich auch mehr von strukturellen und internationalen als von konjunkturellen Problemen. Sie
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12492 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Dr. Zeitelübersehen dabei nach wie vor, daß eine wesentliche Ursache der gegenwärtigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten die ordnungspolitische Vertrauenskrise ist, die zur Zeit besteht.
Und ohne Lösung der ordnungspolitischen Vertrauenskrise — Herr Bundeswirtschaftsminister, darüber schleichen Sie immer hinweg und gehen auf ihre Bedeutung für die Konjunktur nicht ein — werden wir auch konjunkturell nicht wieder so flottkommen, wie es angebracht wäre.Lassen Sie mich für die strukturellen Probleme, bei denen die Regierung überhaupt nichts tut, wenigstens zwei Beispiele geben. Es handelt sich einmal um die Bau- und Wohnungswirtschaft, wo Sie meinen, es handle sich um einen Normalisierungsprozeß. Es geht aber um einen sehr viel tieferen Einbruch, den man nicht einfach hinnehmen kann.Lassen Sie mich als zweites Beispiel die Situation der mittelständischen Wirtschaft ansprechen, bei der Sie ebenfalls leichthin sagen: Das ist eine Normalisierungskrise. Wir können in den ersten drei Monaten dieses Jahres erneut ein Heraufschwellen der Zahl der Konkurse um rund 30 % feststellen; das heißt, in diesem Jahr können wir eine Zahl von 10 000 zwangsweisen Betriebsschließungen erreichen.
Noch sehr viel mehr Unternehmer sind es, die resignieren und freiwillig aufgeben. Sich dann hinzustellen und — wohl wissend, daß 90 % dieser Konkurse nichts mit mangelnder Leistungsfähigkeit zu tun haben, sondern Folge einer Eigenkapitalschwäche sind, die Sie zum Teil mit produziert haben — zu sagen: das ist eine Normalisierungskrise,
die mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer erfaßt,
das bedeutet eine Verhöhnung derjenigen, die davon betroffen sind.
Herr Staatssekretär Haehser, aller verbaler Schnickschnack, den Sie hier vorhin in der Steuerdiskussion vorgeführt haben, ändert doch nichts daran,
daß der Bundesfinanzminister dazu beigetragen hat, die Vertrauenskrise nicht abzubauen, sondern zu verschärfen. Dies ist doch ein Faktum, das Sie nicht bestreiten können.
Eine Verschärfung der Vertrauenskrise, die Sie durch ihre Reformhaberei produzieren, ist die eine Sache. Noch schlimmer ist, daß eine Regierung, die dauernd von Transparenz und rationaler Planung spricht, es ablehnt, in der Finanzplanung über denTellerrand der nächsten vier Wochen zu sehen. Dies müssen Sie doch zugeben!
Sie reden immer viel, Sie reden von Transparenz und vom mündigen Bürger, aber Sie tun etwas anderes: Sie halten den Bürger für dumm. Dies ist doch Ihre Taktik!
Und es geht doch auch gar nicht, Herr Bundesfinanzminister, nur um eine mögliche Mehrwertsteuererhöhung, sondern es sind bereits in der parlamentarischen Diskussion andere Belastungen, die sicher nicht geeignet sind, das Vertrauen zu stärken und die Konjunktur zu beleben.Ich sehe da den Bundeskanzler. Er hat sich vor einigen Monaten noch als Kellermeister geriert und hat auf die finanziellen Reserven hingewiesen, die wir im Keller haben. In der Zwischenzeit sind sie leider fast aufgebraucht bis auf 4 Milliarden Rest,
der im August ebenfalls weg sein wird. Diese Regierung hat nicht dazu beigetragen, die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen bei Bürgern zu erzeugen, das letztendlich mit eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, daß wir wieder einen dynamischen Schwung der Wirtschaft in unserem Lande erhalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Dohnanyi.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das wichtigste Ergebnis der Debatte scheint mir zu sein, daß die Opposition beginnt, den außenwirtschaftlichen Zusammenhang zu verstehen. Das ist ein großer Fortschritt dieses Tages.
Aber, Herr Kollege Zeitel, wenn Ihre Kollegen auf diesen Zusammenhang schon eingegangen sind, dann sollten Sie nicht, wenn auch die Regierung auf diese Zusammenhänge hinweist und deswegen die damit verbundenen notwendigen Strukturveränderungen der eigenen Wirtschaft unterstreicht, dies als eine Verhöhnung der Wähler bezeichnen. Das ist unerhört.
— Herr Kollege Zeitel, wir können das heute hier sehr kurz machen.
— Aber selbstverständlich kennen wir diese Regierungserklärung, und wir stehen zu den Regierungserklärungen. Nur, Herr Kollege Müller-Hermann, wenn die Verhältnisse sich ändern und die weltwirt-
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Dr. von Dohnanyischaftlichen Entwicklungen Einfluß auf unsere Bedingungen nehmen, können wir doch nicht stur an Vorhaben festhalten, die unter weltwirtschaftlichen Erschwernissen schwieriger geworden sind. Das wäre doch falsche Politik.
— Herr Kollege Zeitel, man kann die Sache relativ kurz machen. Denn die Regierung kann hinsichtlich dessen, was sie gesagt hat, an ihren bisherigen Äußerungen festhalten.
Ich will Ihnen zunächst einmal vorlesen, was der Herr Bundeskanzler in einem Interview in der „Zeit" im November 1974 zum Aufschwung 1975 gesagt hat. Da heißt es: „... ich bin der Meinung, daß im Laufe des Jahres 1975 die Zeichen für den 1976 sich vollziehenden wirtschaftlichen Aufschwung deutlich sichtbar sein werden." Niemals hat man davon gesprochen, daß der Aufschwung sich in diesem Jahre voll vollziehen würde.
Der Beginn wird in diesem Jahre deutlich sein, und das ist schon jetzt zu erkennen.
Im Inland, meine Damen und Herren von der Opposition, ist es zu erkennen, und was die Exportmärkte angeht, so hat die Debatte hier gezeigt,
daß der Zusammenhang insbesondere mit den amerikanischen Marktentwicklungen gegeben ist.
-- Alles Brüllen nutzt Ihnen nichts, Herr Kollege Zeitel, Sie sollten lieber zuhören. Dann kommen wir ein Stück weiter.
Der dritte Punkt ist klar: natürlich sind wir, was den Export angeht, in erster Linie von dem großen Gewicht abhängig, den der amerikanische Markt für den Weltexport, nicht nur für unseren unmittelbaren Export hat. Um der Stunde, Herr Kollege Zeitel, die Sie hier mit allen möglichen Abschweifungen und „erratischen Zuckungen" nicht gerade aktuell gemacht haben, noch einen aktuellen Charakter zu geben, muß man, glaube ich, unterstreichen, daß die lezten Daten, die aus den Vereinigten Staaten vorliegen, zeigen, daß sich auch dort eine Wende des Marktes deutlich abzuzeichnen beginnt. Natürlich könnten Sie in einigen Wochen wieder sagen: Ihr habt schon wieder eine falsche Prognose abgegeben. Aber die Entwicklungen in den Vereinigten Staaten, alle wichtigen Indikatoren, die uns von dort vorliegen, deuten auf eine Verbesserung der Lage. Insofern kann man an diesem Punkt der Debatte, glaube ich, sagen: die Regierung hat das, was sie vor der Wahl 1975 am 4. Mai in Nordrhein-Westfalen gesagt hat, daß nämlich der Aufschwung kommen wird, aber stark abhängig von den Exportbedingungen, — —
— Aber ich bitte Sie, soll ich Ihnen das noch einmal verlesen, wenn Sie das wollen? Hier gibt es eine Pressemeldung des Wirtschaftsministeriums
vom 28. April, also vor der Wahl. Was wollen Sie denn? Da steht das doch alles drin. Also: die Regierung hat klargemacht, daß die Entwicklung der Konjunktur von der Exportkonjunktur, insbesondere von der amerikanischen Entwicklung abhängig sein wird. Wir können hier heute unterstreichen, daß die Lage in den Vereinigten Staaten in diesen Wochen sehr viel günstiger aussieht als noch vor einigen Wochen.
Damit, meine Damen und Herren von der Opposition, sollten Sie sich den Problemen zuwenden, die wirklich bestehen, nämlich gemeinsam mit der Regierung den Versuch machen, diesen Aufschwung, der kommt, zu beschleunigen, anstatt sich ihm an allen Ecken und Enden entgegenzustellen.
Wir fahren fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Zeitel, ich habe mit großer Verwunderung gehört, daß Sie sich ganz ungewöhnlich darum bemühen, die Glaubwürdigkeit dieser Regierung wiederherzustellen, wie Sie meinen. Sie wollen die doch gar nicht! Es ist doch Ihr gutes Recht als Opposition, die Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen. Nur, die Krokodilstränen, die Sie hier vergießen, die können Sie sich sparen.
Ich bin gar nicht so empfindlich, daß ich es übelnehme, wenn Sie von der bewußten Täuschung der Bevölkerung sprechen.
— Ich nehme diesen Vorwurf nicht übel. Nur: ich halte ihn für falsch. Ich weise ihn zurück. Er stimmt nicht. Wenn Sie aber im gleichen Augenblick sagen, Sie beklagen die mangelnde Glaubwürdigkeit dieser Regierung, dann müssen Sie diese doppelzüngige Argumentation jemandem anderen anbieten.
Herr Zeitel, wir sprechen seit Monaten darüber, daß es nicht nur konjunkturelle, sondern auch strukturelle Gründe für die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Monate gegeben hat. Ich wiederhole: mit großem Interesse höre ich nun auch aus Ihrem Munde, daß die internationalen Zusammenhänge
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Dr. Graf Lambsdorffplötzlich eine Rolle spielen, — „plötzlich", kann ich nur sagen.
Wenn Sie dem genau zugehört hätten, Herr Zeitel, was Herr Sprung gesagt hat, dann hätten Sie dort schon wieder feststellen können, daß uns die Argumentation mit internationalen Zusammenhängen nicht erlaubt wird. Daß wir in der Bau- und Wohnungswirtschaft vor die Frage kommen, ob wir eine Entwicklung in stärkerem Maße abfangen müssen, als das bisher notwendig gewesen wäre — es war nicht notwendig —, darüber sind wir uns im klaren. Wir haben das gestern im Wirtschaftsausschuß besprochen.Wir hören erneut — etwas zum Fenster hinaus natürlich, aber auch das ist erlaubt — Ihre Klagen in Richtung an die mittelständische Wirtschaft. Natürlich übersehen Sie das Prognos-Gutachten, natürlich nehmen Sie von den Äußerungen der Kreditanstalt für Wiederaufbau keine Kenntnis, und natürlich nehmen Sie auch keine Kenntnis davon, daß die Ertragslage und die Liquiditätslage der mittelständischen Wirtschaft im ganzen gesehen, verglichen mit der der Großindustrie — diesen Gegensatz stellen Sie ja dauernd heraus —, durchaus in Ordnung sind.Aber das letzte, Herr Zeitel, was Sie hier wieder gebracht haben und was in der Argumentation Ihrer Fraktion ganz generell durchklingt, lautete doch: „Sie halten den Wähler für dumm."
— Nein, „Sie" großgeschrieben, an unsere Adresse. Wer so argumentiert und sich dann gelegentlich erinnert, wie die Wahlergebnisse ausgesehen haben, der muß ja denken, daß wir mit Recht auf die Dummheit der Wähler spekuliert hätten. Davon ist gar keine Rede. Die Urteilsfähigkeit der Wähler in diesem Lande, Herr Zeitel, meine Damen und Herren, was Sie ja bei anderen Gelegenheiten, sobald die Wahlergebnisse einmal anders ausgesehen haben, hier genüßlich zitiert haben — immer haben Sie das getan —, die Urteilsfähigkeit der Wähler ist groß genug, Herr Professor Zeitel, um klare Entscheidungen herbeizuführen, klar darüber zu urteilen, wem das Vertrauen,
welcher politischen Partei und welcher politischen Gruppierung das Vertrauen gebührt.
Die Urteilsfähigkeit der Wähler ist auch klar genug, um deutlich zu sehen, welches Hickhack in den Führungsreihen der Opposition herrscht, und um zu beurteilen, ob das etwa der klaren Führungskonzeption der Koalition vorzuziehen sei. Es ist nicht vorzuziehen. Sortieren Sie Ihre eigenen Reihen, bevor Sie uns Vorwürfe machen!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Althammer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man kann das Blatt drehen und wenden, wie man will,
es bleibt die Tatsache erhalten, daß diese Regierung und die sie tragenden Parteien bis zum 4. Mai in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt haben, der Aufschwung werde kommen, und nach dem Wahlsonntag hört man es plötzlich überall anders.
Wem für diese Verhaltensweise das Wort „Lüge" zu hart ist, der kann auch von einem „sorgfältig geplanten Irrtum" sprechen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Schlimme dabei ist, daß sich diese Verhaltensweise jetzt leider fortsetzt. Diese Regierung ist auch heute nicht bereit, der Öffentlichkeit und diesem Parlament reinen Wein einzuschenken.
Wir lesen in allen Zeitungen, daß wir in diesem Jahr vor einem ungeheuren Finanzierungsdefizit stehen. Die Summen werden überall genannt. Aber die Regierung handelt offenbar nach dem Prinzip: Not kennt kein Gebot. Deshalb kennt sie offenbar nicht das Gebot unserer Haushaltsordnung, das ausdrücklich besagt, daß die Regierung verpflichtet ist, dem Parlament wesentliche Änderungen der Finanzsituation und auch deren Auswirkungen auf die mittelfristige Finanzplanung bekanntzugeben.
Eine wesentliche Änderung hat sich z. B. in der Frage der Steuereinnahmen ergeben. Aber statt der Öffentlichkeit hier reinen Wein einzuschenken und zu sagen, daß man noch in diesem Jahr mit 4 bis 6 Milliarden DM weniger Steuereinnahmen zu rechnen habe, setzt man schlicht und einfach den neuen Steuerschätzungstermin vom Juni ab.Genauso verhält man sich, was die Leistungen angeht, die jetzt z. B. an die Bundesanstalt für Arbeit zu erbringen sind. Jeder Volksschüler kann sich ausrechnen, daß dann, wenn bereits im ersten Halbjahr 1975 4 Milliarden DM verbraucht worden sind, im zweiten Halbjahr in etwa noch einmal die gleiche Summe von 4 Milliarden DM benötigt wird. Aber die Regierung weigert sich, hier gesetzliche Vorschriften zu beachten und dem Parlament einen Haushalt vorzulegen. Statt dessen arbeitet sie — gegen das Gesetz — laufend mit überplanmäßigen Ausgaben.
Meine sehr verehrten Damen und Heren, man wird sich fragen müssen, warum sich diese Regierung so verhält. Wir kommen dann auch sehr schnell
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Dr. Graf Lambsdorffauf den Grund dieses Verhaltens. Diese Regierung verhält sich deshalb so, weil sie mit ihrem finanzpolitischen Latein am Ende ist.
Diese Regierung weiß nicht, wie sie die Lücken heute abdecken soll. Sie kann sie für das Jahr 1975 auf jeden Fall nicht durch Steuererhöhungen abdecken;
denn die für den Fall eines Konjunkturaufschwungs von Herrn Minister Apel angedrohten Steuererhöhungen können in diesem Jahr jedenfalls nicht greifen. Es ist dieser Regierung offenbar auch nicht möglich, eine Abdeckung durch Ausgabenkürzungen vorzunehmen.
Ich hätte auch gesagt, daß die Regierung bisher nicht an ein Haushaltssicherungsgesetz herangehen will, wenn ich nicht heute in der „Süddeutschen Zeitung" gelesen hätte, daß der Herr Bundeskanzler inzwischen prüfen läßt, 14 Gesetze — so steht es hier —, die im Gesetzgebungsgang sind, zu stornieren und zurückzunehmen.
Ich empfehle Ihnen allen, diesen Artikel in der „Süddeutschen Zeitung" nachzulesen.
Unter diesen Gesetzen befinden sich solche von außerordentlicher sozialpolitischer Bedeutung.
Hier kann man nur sagen: Dies kann nichts anderes sein als der Beginn der sozialen Demontage,
und zwar nicht in einem spektakulären Akt, sondern mit dem Versuch, auf leisen Sohlen diesen Weg zu gehen.
Bei dieser Finanzmisere bleibt also nur übrig, zusätzlich zu der exorbitanten Neuverschuldung von 23 Milliarden DM, die schon in diesem Jahr vorliegt, noch einmal eine Neuverschuldung vorzunehmen. Hier gibt es aber die Schranke des Art. 115 des Grundgesetzes, in dem es heißt, daß die Obergrenze die Höhe der investiven Ausgaben ist. Diese Schranke kann man offenbar nicht übersteigen.
— Sehr richtig: doch! Was tut man also? In § 6 des Stabilitätsgesetzes steht, daß im Falle eines konjunkturellen Abschwungs bis zu fünf Milliarden DM zusätzlich an Schulden aufgenommen werden können.Das heißt im Klartext: Wenn diese Regierung das Finanzierungsdefizit schon im Mai/Juni hätte abdecken müssen, hätte sie nach dem 4. Mai sagen müssen: nicht Aufschwung, sondern Abschwung! Weil sie die Notwendigkeit sieht, hier eine gewisse Schamfrist einzulegen, versucht sie, dieses Desaster bis nach der Sommerpause hinzuziehen.
Lassen Sie mich, nachdem der Herr Wirtschaftsminister dies getan hat, ebenfalls mit einem Zitat schließen:
Bundesfinanzminister Hans Apel, selbst einmal vom Pferd getreten,
tritt nun kräftig zurück. Wie lange das Pferd, sprich: der Steuerzahler das Spielchen mitmacht, muß sich erst noch erweisen. Was der Minister mit dem ihm eigenen Feingefühl ankündigt,— hier ist von den Ankündigungen der Steuererhöhungen die Rede —ist nichts anderes als der nahtlose Übergang vom Regen in die Traufe. Wenn es mit der Konjunktur wieder besser geht, werden auch gleich die Steuern erhöht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren — Herr Kollege Wehner, das wird Sie interessieren —, dieses Zitat steht im Zentralorgan des Gewerkschaftsbundes, in der „Welt der Arbeit" vom 13. Juni.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Huber.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir haben nicht vor, unserem Finanzminister vorzuschreiben, was er im Zusammenhang mit späteren Haushalten an Vorschlägen zu machen hat.
Wir gehen davon aus, daß der Finanzminister bei Kenntnis aller Daten jeweils zum gegebenen Zeitpunkt seine Verantwortung wahrnehmen wird.
Ich möchte Ihnen jedoch sagen, daß wir hier mit äußerstem Befremden feststellen, daß Sie in Sachen Steuern einerseits immerfort nach langfristiger Aufklärung über die Situation rufen, daß Sie andererseits aber dann, wenn eine längerfristige Überlegung vorgetragen wird, daraus den Staatsbankrott abzuleiten versuchen — und dies ausgerechnet bei der Mehrwertsteuer. Ich möchte Sie daran erinnern, daß in dem Gutachten der Eberhard-Kom-
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Frau Hubermission eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um vier bis fünf Punkte vorgesehen war,
und dies haben Sie sich bis zum Schluß zu eigen gemacht. Damals war das ehrenwert.
Wenn der Minister aber zwei Punkte vorschlägt, die, wie Sie heute gehört haben, noch nicht beziffert, beraten und beschlossen sind, ist das nicht ehrenwert. Ihr Obmann, Herr Häfele, hat noch im Januar 1974 einen Artikel geschrieben, in dem es heißt, daß die Mehrwertsteuererhöhung eine innere Notwendigkeit sei.
— Das stimmt. Das kann ich Ihnen zeigen. Am 21. April hat Herr Häfele diese innere Notwendigkeit dann geleugnet und von Überbesteuerung geredet, aber wiederum gesagt, daß man das Geld später für eigene Steuerpläne verbrauchen müsse. Dies ist unredlich.
Wenn gegebenenfalls eine spätere Anhebung derMehrwertsteuer erfolgt, zu welchem Zeitpunkt auchimmer, dann geschieht dies mit dem einzigen Ziel,
— vielen Dank! —, die staatlichen Leistungen zu erhalten.
Sie konnten heute und gestern — wir brauchen uns nicht selber zu loben — in der Presse lesen, daß die EG-Verbindungsstelle in Bonn die neuesten Zahlen über die Situation der Bundesrepublik herausgegeben hat. Wir stehen bei mittlerer Steuerbelastung mit dem Pro-Kopf-Einkommen an der Spitze. Wir sind der Spitzenreiter bei der Inflationsbekämpfung,
und wir haben das beste soziale Netz.
— Ja, das verstehen Sie sehr wohl. Die Leistung einer Regierung ist nicht nur an den absoluten Zahlen zu messen, sondern auch an dem, was sie vergleichsweise unter den jeweiligen Umständen geleistet hat, und dafür danken wir unserer Regierung ausdrücklich.
Unsere Regierung bemüht sich jetzt, das hohe Leistungsniveau zu erhalten. Es ist aber auch legitim, Überlegungen darüber anzustellen,
ob man später nicht wieder einen gewissen Ausgleich für hohe Belastungen jetzt suchen muß.Aber nun will ich zu Ihren Schlagworten von der Doppelzüngigkeit und Unwahrhaftigkeit kommen.
Ich möchte dem Hohen Hause mitteilen, daß im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages von der Opposition Anträge gestellt worden sind, die 17 Milliarden DM Steuern gekostet hätten und die deswegen nicht realisiert worden sind.
— Nehmen Sie alle Anträge, die von den von Ihnen regierten Ländern im Bundesrat, von Ihrer Fraktion und von Ihrem Präsidium gestellt worden sind,
so kommen Sie auf ein Volumen von 50 Milliarden DM. Und dann stellen Sie sich hier hin und ermahnen zur Sparsamkeit!
— Das ist nicht unredlich.— Wir wissen, warum Sie das tun? — Ich will es Ihnen ganz genau sagen. Sie wollen vor alle Gruppen von Bürgern treten und ihnen klarmachen, was für schöne Pläne die CDU für sie alle hat. Aber wenn es konkret wird, dann reden Sie hier von Sparsamkeit. So kann man sich natürlich fein ins Licht setzen, aber nur bei solchen, die nicht länger und genauer zuhören.Wir haben bei der Steuerreform erlebt, daß Sie dreierlei Meinungen gleichzeitig hatten: steuerneutral, weniger Einnahmen, mehr Einnahmen. Wir haben Ihre schönen Broschüren noch in warmer Erinnerung, Nummer 296 — ich habe es hier notiert — für die Steuerreform und dann Nummer 6325 gegen die Steuerreform. Und was haben Sie jetzt für Meinungen? — Herr Strauß sagte am 4. Juni in Altötting laut CDU-Pressedienst:
Mehrwertsteuererhöhung ist überlegenswert, durchaus überlegenswert.
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Frau HuberDann sagte Herr Barzel am 9. Juni laut „Handelsblatt" : Steuererhöhungen dürften nicht Platz greifen; notwendig seien Steuersenkungen.
— Nein, ich zitiere Ihre prominenten Leute.
Schließlich sagte Herr Stoltenberg schon am 9. Mai, mit Steuererhöhungen könne man bei der Krise sowieso nichts bewirken. Das sind drei verschiedene Meinungen. Man kann es sich also aussuchen.
Wenn man die anderen Zitate wegläßt, haben Sie für jeden Teil immer noch gerade einen übrig, um in der jeweiligen Situation zu kontern.
Aber das kann nicht bei jemandem ziehen, der mit einiger Intelligenz an Ihre Argumente herangeht.Die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung genießt in der ganzen Welt Ansehen. Davon konnten sich auch die Abgeordneten unseres Ausschusses, des Finanzausschusses, im Ausland überzeugen. Wir haben einen großen internationalen Einfluß gewonnen, was Sie ja überhaupt nicht bestreiten.Wir bitten unseren Finanzminister und die gesamte Regierung ausdrücklich, unabhängig von den unterschiedlichen Meinungen, die die Opposition hier vorgetragen hat und die wirklich doppelzüngig und unredlich sind, ihre verantwortungsbewußte Politik fortzusetzen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu der aktuellen Debatte folgende Erklärung abgeben, die ich in fünf Punkte unterteilen möchte.
Erstens. Die Finanzpolitik der sozialliberalen Koalition hat sich von 1970 bis zu Beginn der weltweiten Rezession durch strikte Solidität ausgezeichnet.
— Ich komme darauf noch zurück. Wir haben zufast 100 °/o unsere Ausgaben, auch die investiven,aus Steuereinnahmen finanziert. Daneben haben wirSteuerrücklagen gebildet, um den Preisauftrieb entgegenzuwirken. In der gleichen Zeit haben wir — Sie, Kollegin Huber, haben darauf hingewiesen — eine Vielzahl von kostenwirksamen Anträgen der Opposition abwehren müssen. Zusammengezählt belaufen sich allein die hier im Hause eingebrachten Anträge nach unserer Rechnung auf 27 Milliarden DM.
Es war auch die Opposition, die die Steuerreform zugunsten der sehr gut Verdienenden um weitere 2 Milliarden DM teurer gemacht hat.
Der Staat ist weder bei den Steuern „Inflationsgewinnler", um so mehr, als wir die Inflation bei uns erfolgreich bekämpft haben; noch sind unsere heutigen Defizite Folge unserer Reformpolitik.Zweitens. Ohne die weltweite Rezession, die inzwischen auch von der Opposition als solche anerkannt ist, hätten wir zwar in den Haushaltsjahren 1975 und folgende mit einer wesentlich höheren Nettokreditaufnahme zur Finanzierung des Bundeshaushalts leben müssen; denn die Steuerreform war zu berücksichtigen. Dennoch hätten sich keine massiven Probleme ergeben. Erst die Rezession hat das Defizit des Haushalts 1975 hochschnellen lassen. Auf der Einnahmeseite fehlen dem Bund weit mehr als 8 Milliarden DM durch den Rückgang der Steuereinnahmen. Auf der Ausgabenseite steigern sich gleichzeitig die Kosten unseres Netzes sozialer Sicherheit beträchtlich. Doch, meine Damen und Herren, dies ist auch so gewollt. Wir sind uns hoffentlich, Herr Kollege Althammer,
in diesem Hause einig darüber, daß in der Rezession eine hohe Nettokreditaufnahme der öffentlichen Hände nicht nur möglich, sondern notwendig ist. Sie ist Voraussetzung für den Wiederaufschwung.
Aus diesem Grunde hat die Bundesregierung auch davon abgesehen, wesentliche Ausgabenkürzungen vorzunehmen. Es kann durchaus sein, daß eine weitere Nettokreditaufnahme des Bundes notwendig wird.
Wir werden Ihnen dann einen Nachtragshaushalt vorlegen.Wir werden in der Rezession weder unsere Ausgaben massiv zusammenstreichen können noch die Steuern anheben wollen. Nach der Überwindung der Rezession wird der Bund — wie im übrigen auch die Länder und die Gemeinden — nicht umhin können, massiv zu sparen.
Dabei kann es natürlich keine Tabus geben. Andererseits haben wir aber gerade in der Rezessiongelernt, wie wichtig unser gut ausgebautes Netz
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Bundesminister Dr. Apelsozialer Sicherheit für uns ist. Eine soziale Demontage wird es deshalb nicht geben,
auch wenn manche in unserem Lande den Anlaß ernster Haushaltsprobleme gerne nutzen möchten, um den sozialen Fortschritt zurückzudrehen.
Das begrenzt — dieses will ich zugeben — die Sparmöglichkeiten des Bundes ebensosehr wie unabweisbare innen- und außenpolitische Verpflichtungen unseres Landes. Deswegen werden wir nach der Rezession nicht umhinkönnen, über Einnahmeverbesserungen der öffentlichen Hände offen zu reden. Allein der bereits zitierte Artikel 115 des Grundgesetzes kann uns dazu zwingen.Viertens. Ich habe in meinen Äußerungen in den letzten Monaten immer wieder auf diesen Tatbestand hingewiesen. Ich verweise unter anderem auf eine Pressekonferenz in Hamburg am 14. April 1975. Der Vorwurf der Verschleierung ist also unrichtig. Ich weise ihn ausdrücklich zurück.
auch in den nächsten Wochen und Monaten keine Steuern senken können oder wollen.
Ich fasse zusammen: Es ist keineswegs der Zeitpunkt gekommen, über Steuererhöhungen zu entscheiden.
Ich bitte aber, meine Worte als eine Vorwarnung zu verstehen.
Wenn wir als letztes Mittel des Haushaltsausgleichs den Bürger um Einnahmeverbesserungen bitten müssen, dann soll keiner den Bundesfinanzminister beschuldigen können, er habe die Bürger zu lange und zuviel im unklaren gelassen.Eine letzte Bemerkung. Sie, Herr Kollege Althammer, haben moniert, daß wir den Finanzplanungsrat nicht einberufen haben. Sie haben eine Steuerschätzung angemahnt. Ich mahne bei den Bundesländern endlich eine Einigung über die Revisionsklausel, über die Konsequenzen der Steuerreform, an.
Erst dann bin ich in der Lage, den Bundeshaushalt 1976 aufzustellen, und erst dann haben Finanzplanungsrat und Steuerschätzung einen Sinn.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Narjes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Anlaß und Gegenstand dieser Aktuellen Stunde waren mehrere an den Herrn Bundeskanzler gerichtete Fragen, die sich auf offenkundige Widersprüche zwischen Wort und Tat seiner Regierung in der Wirtschaftspolitik, zwischen leichtfertiger Verheißung und wirtschaftspolitischer Wirklichkeit in Deutschland bezogen haben.
Diese Fragen beziehen sich damit auch auf eine Krise des Vertrauens zwischen der Regierung und den von Ihnen an der Nase herumgeführten Bürgern.
Dabei wissen wir sehr wohl zu unterscheiden und zu nuancieren zwischen den Arten der Aussagen, die gemacht wurden. Wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister in einer Äußerung vom 4. Februar Ludwig Erhard zitiert hat, ist die darin enthaltene Anklage nur um so größer an den Herrn Bundeskanzler, der fast genau drei Monate später, zum 1. Mai, noch bei seiner Frühsommerprognose geblieben ist. Herr Bundeskanzler, es sind noch wenige Stunden, dann haben wir den Frühsommer, und wo ist der Aufschwung?
Niemand verlangt von einer Bundesregierung, daß sie in einem Wahlkampf die Schokoladenseite der Ergebnisse ihrer Arbeit verschweigt oder ihre Leistung versteckt. Aber es gibt eine untere Grenze des moralisch Vertretbaren;
das ist die bewußte Irreführung. Diese Grenze haben Sie im Landtagswahlkampf Nordrhein-Westfalen mit eiskalt geplanter Informationspolitik unterschritten.
Ich verweise dazu auf die kürzliche Fragestunde über die Rolle des Sprechers des Bundesarbeitsministeriums an dem berühmten Freitag vor dem Wahlsonntag in Nordrhein-Westfalen.Darüber hinaus haben Sie mit dieser Pressepolitik der Konjunkturpolitik einen schweren Schaden zugefügt. Sie haben sie nämlich politisiert, und das ist die letzte Politik, die eine solche Politisierung in dieser Form ertragen kann.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975 12499
Dr. NarjesDaß die Irreführung mit Nordrhein-Westfalen kein Ende gefunden haben soll, zeigen Sie an der Art und Weise, wie Sie Franz Josef Strauß falsch zitieren.
Seine Äußerungen zur Mehrwertsteuer werden flugs nur zur Hälfte dargeboten. Es wird unterschlagen, daß er an die Änderung der Sätze ausdrücklich im Rahmen der Steuerlastquote bei europäischer Harmonisierung gedacht hat.
Zur Beurteilung der Lage: Ich bin dem Bundeswirtschaftsminister dankbar, daß er ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß die Entwicklung der Auslandsnachfrage Sorgen bereite. Ich gehe weiter. Wissen wir eigentlich, ob es nicht noch schlechter wird, bevor es besser werden kann? Sind wir sicher, daß wir eine Häufung aller negativen Faktoren heute schon ausgeschlossen haben, namentlich angesichts des Umstandes, daß nunmehr eine Ölpreiserhöhung schon wieder angekündigt worden ist? Allein die Frage nach den Wirkungen weiterer Ölpreiserhöhungen auf den deutschen Export zeigt doch durch die Tatsache, daß sie gestellt wird, das historische Ausmaß des Fehlers, den der Bundeskanzler dadurch begangen hat, daß er es nach der letzten Ölkrise versäumt hat, buchstäblich Tag und Nacht mit höchster Priorität und dem ganzen Gewicht Deutschlands und der deutschen Volkswirtschaft, sich für dieses Ziel einzusetzen, zwar nicht mit Kanonenbooten, aber mit überragend guten Argumenten, auch im Interesse der Produzenten, auch im Interesse der Vierten Welt und im Interesse der Funktionsfähigkeit der Weltwirtschaft.
Von der Beantwortung dieser Frage werden wir Sie nicht befreien können.Wenn aber nun die Auslandsnachfrage der kritische Punkt geworden ist und unter Umständen längere Zeit auch noch bleiben wird, stellt sich die Frage, welche Konsequenzen daraus gezogen werden im Hinblick auf die Verstärkung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft auf den Weltmärkten.Ich versage es mir, zu den Gründen der immer noch nicht befriedigenden Investitionslage im einzelnen Stellung zu nehmen. Ich möchte nur unter den nicht kalkulierbaren Gründen einen einzigen hervorheben. Wer im Wahlkampf von der „Unregierbarkeit dieses Landes" im Falle eines Regierungswechsels spricht, der bestätigt genau denjenigen, um deren Vertrauen er werben soll, die Richtigkeit der Befürchtungen, die sie bisher gehabt haben. Ein größeres Selbsttor hat es in der deutschen Wirtschaftsgeschichte bisher nicht gegeben.
Es ist auch häufiger — und damit möchte ich schließen — im Lager der Regierung ,die zutreffende Frage gestellt worden, was die gegenwärtige Rezessionsphase von früheren Talfahrten unterscheidet und ob sie zu einer anderen Politik führen sollte. Mir scheint, daß die Bundesregierung bei der Beantwortung dieser Frage, soweit sie die Binnenkonjunktur betrifft, die offenkundigste Veränderung und Verschlechterung außer acht läßt, die uns hier betrifft, nämlich ,die Tatsache
— ich komme zum Ende, Herr Präsident! —, daß in Deutschland die Konjunkturpolitik von einer Koalitionsregierung gemacht wird, deren größerer Partner dem demokratischen Sozialismus verschworen ist, also dem Ziele einer etappenweisen Veränderung unseres freiheitlichen Staates in ein sozialistisches „Paradies".
Der Bock hat noch niemals als Gärtner etwas getaugt!
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Bemerkung an die Adresse des Herrn Abgeordneten Althammer: Für 1975 stellt der Artikel 115 keine Schranke dar.
Was 1976 angeht, so wird das Kabinett im Laufe des Sommers seinen Haushaltsvoranschlag aufstellen; dabei wird die Beurteilung der weltkonjunkturellen Entwicklung und ihrer Rückwirkungen auf die deutsche eine erhebliche Rolle spielen. Der Finanzminister hat eben angekündigt, daß dabei auch die Erwägungen hinsichtlich eines Nachtragshaushalts eine Rolle spielen müssen. Möglicherweise legen wir Ihnen einen solchen Nachtragshaushalt vor.Die öffentlich gestellte Frage Ihres Kollegen, ob die Bundesanstalt für Arbeit in der Zwischenzeit ihre Zahlungen einstellen müßte, entbehrt, wie Sie wissen, jeglicher Grundlage und kontrastiert eigentümlich mit der von Herrn Zeitel geäußerten Hoffnung, daß unsere Glaubwürdigkeit wieder hergestellt werde. Sie sind diejenigen, die mit solchen — entschuldigen Sie — Dummheiten die Glaubwürdigkeit zu zerstören trachten!
Für die Haushaltsaufstellung wird auch rechtzeitig dann eine neue Steueraufkommensschätzung vorgenommen werden, und ich hoffe sehr — und teile in diesen wie in den anderen Punkten die Meinung des Finanzminsters, daß es wünschenswert ist —, daß die Länder sich darüber einigen werden, wie es mit der Steuerverteilung aussehen soll. Morgen ist darüber die dritte Sitzung, und zum zweiten Male läßt sich einer der Ministerpräsdenten von der Teilnahme entschuldigen,
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Bundeskanzler Schmidtder großen Wert darauf gelegt hat, zu dieser riesenhaften Kommission zu gehören, um die Sache zu beenden. Ich habe hier einen Verdacht, den ich zwecks Vermeidung einer Verschärfung der Atmosphäre nicht aussprechen will.Im übrigen hat einer von Ihnen, meine Herren Abgeordneten von der CDU/CSU gemeint, jeder Volksschüler könne sich ausrechnen, daß die finanzwirtschaftliche Rechnung nicht stimme. Ich wehre mich gegen diese derogative Ansprache an die Adresse der Volksschüler.
Das ist die Masse der Arbeiter in diesem Lande. Genauso, Herr Müller-Hermann!
— Herr Präsident, ich nehme an, daß die Unterbrechungen von meiner Redezeit abgezogen werden.— Die Masse der Arbeiter, die Sie nicht vertreten, Herr Abgeordneter Müller-Hermann, hat genauso wie die Masse der Unternehmer Vertrauen in unsere Finanz- und Wirtschaftspolitik. Dieses Vertrauen finden Sie draußen in der Welt auch bestätigt,
ob es sich handelt um die uns verbündeten westlichen Regierungen oder ob wir, wie heute morgen, Besuch bekommen von einer osteuropäischen Regierung, die meint, wir stünden doch wirtschaftspolitisch als die Stärksten da. Ich will hier nicht Zeugen anrufen, weil man ja auf die fünf Minuten beschränkt ist. Mir liegt nur am Herzen zu sagen — eigentlich muß man es der Wähler der sozialliberalen Koalition wegen gar nicht sagen —, wie sehr wir wissen, daß bis zur Wiederherstellung der Vollbeschäftigung mancher Arbeitnehmer, übrigens auch Unternehmer, vor allen Dingen die vorhin angesprochenen Volksschüler, die sind ja die Arbeitnehmer, daß mancher von ihnen unverschuldet das Los vorübergehender Arbeitslosigkeit auf sich nehmen muß.
— Was ihn angeht, unverschuldet. Und wenn er dann trotzdem — was Sie diese letzten 55 Minuten so polemisch beklagt haben — sich in zwei Wahlen gleichzeitig für die sozialliberale Koalition ausspricht, ist er etwas klüger als die Herren Müller-Hermann und Althammer. Er hat nämlich Vertrauen.
Ich darf hinzufügen, daß es deutsche Initiative war, die im Laufe der letzten zwölf Monate viele Regierungen in der Welt davon überzeugt hat, daß für die Herstellung von Binnennachfrage und damit gleichzeitig von weltwirtschaftlicher Nachfrage für alle Beteiligten in jenen Ländern etwas getan werden mußte. Sie werden so liebenswürdig sein, beim Zitieren aus der Regierungserklärung vom Mai vorigen Jahres — ich habe der Fragestunde zugehört, nicht alle von Ihnen waren bei den Antworten anwesend, trotzdem kann ich sie nicht wiederholen — nachzulesen, mit welchem Nachdruck ein eigenes Kapitel der Regierungserklärung heute vor zwölf Monaten den Gefährdungen gewidmet war, die aus der Weltwirtschaft unsere Volkswirtschaft und unsere Finanzwirtschaft bedrohen. Wir hatten in der Tat die Gefahren rechtzeitig erkannt. Es ist ganz richtig, was der Redner der FDP gesagt hat, —
— Graf Lambsdorff, ja. Er hat nicht nur zweimal gesprochen, er hat zweimal gut und zutreffend gesprochen.
Völlig zutreffend war, was er gesagt hat, und Sie haben es ja inzwischen bestätigt: Man kann nicht auf der einen Seite sagen, es liegt an der fehlenden Nachfrage aus dem Ausland und an der weltwirtschaftlichen Rezession, und dann kommt ein anderer Hansel daher und sagt, es liegt am Mangel an Vertrauen der deutschen Unternehmer. Das ist doch lächerlich!
Richtig ist auch, wenn hier festgestellt wurde, daß von allen Ländern der westlichen Welt in bezug auf Preise, in bezug auf die Erhaltung des Bruttosozialprodukts und in bezug auf die Beschäftigung dies Land besser mit der Rezession fertig wurde als andere.Eine letzte Bemerkung.
Herr Bundeskanzler, die Zeit läuft langsam ab.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Erlauben Sie mir noch drei Sätze, Herr Präsident.
Darf ich um mehr Ruhe bitten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich weiß nicht, ob die ständigen Unterbrechungen von meiner Redezeit abgerechnet werden.
Meine Damen und Herren, ich darf um Aufmerksamkeit bitten, wir kommen sonst mit unserer Aktuellen Stunde reichlich
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975 12501
Vizepräsident v. Hasseldurcheinander. Ich darf Sie bitten, dem Bundeskanzler zuzuhören.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzte Bemerkung. Die heutige Debatte, die die CDU/CSU gewollt hat, um Einigkeit vor einem innerparteilichen oder inner-zweiparteilichen Ereignis zu demonstrieren, die nicht da ist, hat erneut gezeigt,
daß Sie nur Polemik, in der Substanz nichts zu bieten haben.
Meine Damen und Herren, ich darf zunächst einmal, auf daß jedes Mitglied des Hohen Hauses die Situation erkennen kann, folgendes sagen. Als Redezeit für die Abgeordneten stehen noch vier Minuten zur Verfügung. Die Einteilung der Redner hat nach § 33 der Geschäftsordnung vorzusehen, daß nach der Rede eines Mitgliedes oder eines Beauftragten der Bundesregierung eine abweichende Meinung zu Worte kommen soll. Ich gebe daher das letzte Wort der Aktuellen Stunde dem Abgeordneten Carstens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rechnung ist nicht ganz aufgegangen. Es war klar, daß die Koalition diese Debatte mit der Erklärung des Bundeskanzlers abschließen wollte. Ich danke Ihnen sehr, Herr Präsident, daß Sie mir auf Grund der Geschäftsordnung Gelegenheit zu einer Erwiderung gegeben haben.
Der Herr Bundeskanzler hat sich mehrfach auf den Grafen Lambsdorff berufen. Man kann in der Tat eine verblüffende Ähnlichkeit in der Art der Argumentation zwischen dem Grafen Lambsdorff und dem Bundeskanzler feststellen. Beide sind große Meister in der Verschleierung der wahren Sachverhalte.
Wir haben, meine verehrten Damen und Herren, nie gesagt und haben nie behauptet, daß Sie sich zu Unrecht auf weltwirtschaftliche Zusammenhänge berufen haben. Wir haben nur kritisiert — und das tun wir weiter —, wenn Sie sich auf weltwirtschaftliche Zusammenhänge berufen, um Ihre eigenen Fehler und Versäumnisse damit zu verdecken.
Oder haben Sie, Graf Lambsdorff, noch niemals etwas von hausgemachter Inflation gehört?
Sind Ihnen bei der Lektüre alle diese Begriffe vollständig entgangen?
Das ist doch, wenn Sie mir das zu sagen gestatten, Graf Lambsdorff, ein Trick, mit dem Sie versuchen, auf weltwirtschaftliche Zusammenhänge abzulenken, wo eine Fülle schwerwiegender Versäumnisse durch diese Bundesregierung in ihrer Wirtschaftspolitik festzustellen ist.
Die hausgemachte Inflation, die Kampagne gegen die Unternehmer, Herr Kollege Wehner — das spielt in diesem Zusammenhang eine besonders wichtige Rolle —, Ihr mißglücktes Konjunkturprogramm: keiner spricht mehr von dem Konjunkturprogramm vom Dezember 1974, weil Sie inzwischen selbst gemerkt haben, daß das ein Schlag ins Wasser war.
Das ist ein kurzfristiges und kurzatmiges Programm gewesen,
welches die wahren Ursachen unserer wirtschaftlichen Misere nicht zu bekämpfen und nicht zu beseitigen in der Lage ist, nämlich das, wie Sie das immer so euphemistisch nennen, negative Wachstum. Meine verehrten Herren, Wachstum ist für mich etwas Positives. Ich würde das Rezession nennen und nicht negatives Wachstum.
Meine Damen und Herren, der Kernpunkt und der Sinn dieser Aktuellen Stunde ist doch der, noch einmal in die Erinnerung zurückzurufen, wie sich diese Bundesregierung und diese Regierungskoalition im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen und an der Saar verhalten hat. Ich habe das einen Wahlbetrug genannt, und ich stehe zu diesem Ausdruck.
Hier habe ich vor mir dieses herrliche Bild. Darunter stand: „Den Aufschwung wählen", und kaum war die Wahl vorbei, da wurde gesagt, der Aufschwung steht in weiter Ferne. Meine Damen und Herren, das nenne ich eine Täuschung. Und ich nenne es eine Täuschung der Wähler, wenn am Tage vor der Wahl unvollständige Zahlen über die Arbeitslosigkeit veröffentlicht werden, die Kurzarbeit dabei völlig unterschlagen wird und auf diese Weise ein falsches Bild über die wirtschaftliche Situation, die arbeitsmarktpolitische und die wirtschaftliche Situation erzeugt wird.
Meine Damen und Herren, diese Politik wird noch fortgesetzt. Was ist denn nun geplant,
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12502 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Dr. Carstens
z. B. auf dem Gebiet der Steuererhöhungen? Was plant denn die Bundesregierung, die ich hiermit frage?
Herr Kollege Wehner, vielleicht wissen Sie etwas mehr darüber als ich. Der Herr Finanzminister sagt, ich erwäge Steuererhöhungen, wenn sich die Lage bessert, der Herr Graf Lambsdorff sagt, vom Sommer ab geht es uns besser. Werden denn nun im Sommer die Steuern erhöht werden oder nicht? Was ist das für eine Art der Argumentation, eine Art der Argumentation, die doch nur den Zweck haben kann,
den Bürger zu verunsichern, den Bürger über das zu täuschen, was die Regierung wirklich vorhat.Wir fordern von der Regierung, daß sie ihre schweren wirtschaftspolitischen Fehler und Versäumnisse endlich eingesteht, daß sie der deutschen Bevölkerung endlich klaren Wein über die wirtschaftliche und gegenwärtige finanzielle Lage einschenkt — dazu gehört die mittelfristige Finanzplanung, von der mein Kollege Althammer hier gesprochen hat -- und daß sie endlich sagt, was sie auf dem Gebiet der Steuern und vor allen Dingen auf dem Gebiet sozialer Leistungen vorhat. Stimmt es oder stimmt es nicht, Herr Bundeskanzler,
daß Sie erwägen, soziale Leistungen, die schon beschlossen sind, wieder abzubauen.
Wir werden uns darüber unterhalten.
Die Zeit für die Aktuelle Stunde ist abgelaufen; ich schließe sie. Wir fahren in der Tagesordnung fort. — Wir hatten vor der Mittagspause die Tagesordnungspunkte 4, 5, 6 und 7 in einer verbundenen Debatte behandelt. Es liegen dazu weitere Wortmeldungen vor.
— Ich darf diejenigen, die den Saal verlassen wollen, bitten, dies schnell zu tun, damit wir in den Beratungen zügig fortfahren können.
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Pensky.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nun, die CDU/CSU-Opposition hatte wieder einmal, wie gewünscht, ihr Spektakel.
Das hat sich genau angefügt an die Rede des Herrn Kollegen Spranger vom heutigen Vormittag, die außer Polemik nichts enthielt, was für die hier zu behandelnden Themen substantiell verwertbar wäre. Ich glaube, deshalb können wir auch getrost zur Tagesordnung übergehen.Meine Damen und Herren, die CDU/CSU — ob aus der Fraktion dieses Hauses oder aus dem Bundesrat — hat uns schon in der Vergangenheit mit mehr oder weniger tauglichen Anträgen und Gesetzesinitiativen massenweise überschüttet,
und zwar offenbar in der Meinung, damit einen verwertbaren und wirksamen Beitrag zur Intensivierung der Verbrechensbekämpfung zu leisten oder — das scheint mir mehr der Fall zu sein — mindestens den Eindruck nach außen hin in dieser Weise zu vermitteln. Ob und inwieweit aber die Opposition nicht auch der Meinung ist, daß man durch organisatorische Maßnahmen oder Änderung von Kompetenzen der Strafverfolgungsbehörden eine Optimierung der Strafverfolgung erreichen kann, darüber hat sie sich bisher völlig ausgeschwiegen,
oder aber sie hat es — das muß ich unterstreichen — abgeblockt.Ich erinnere nur an die Beratungen zur Novellierung des Bundeskriminalamtgesetzes im Jahre 1973, wo es darum ging, durch die Begründung neuer Kompetenzen sowohl für das Bundeskriminalamt als auch für den Generalbundesanwalt Voraussetzungen zu schaffen, um organisierten kriminellen Gruppen besser beikommen zu können. Hierbei sind wir damals nicht auf die Gegenliebe der CDU/CSU-Opposition gestoßen und haben uns, um nicht das gesamte Gesetzgebungsvorhaben scheitern zu lassen, auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zurückziehen müssen.Nun, die Praxis dürfte jedoch inzwischen bestätigt haben, daß notwendige Maßnahmen in diesem Bereich zwingend geboten sind, um den Tätern, die organisiert gemeingefährliche Straftaten begehen, insbesondere im Sinne des vorgeschlagenen neuen § 129 a StGB besser als bisher zu Leibe rücken zu können. Diesem Zwecke dient der Vorschlag zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes in Art. 3 des Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionen von SPD und FDP auf Drucksache 7/3729. Vorgesehen ist hiernach folgendes.Erstens. Durch eine Änderung des § 120 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes soll die primäre Ermittlungszuständigkeit des Generalbundesanwalts auf die in § 129 a des Strafgesetzbuches bezeichneten terroristischen Vereinigungen erweitert werden.Zweitens. Die vorgeschlagene Änderung des § 142 a des Gerichtsverfassungsgesetzes hat die Erweiterung der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Oberlandesgerichte auf Zuwiderhandlungen gegen das Vereinigungsverbot des neuen § 129 a des Strafgesetzbuches zum Ziel und soll zugleich im staats-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975 12503
Penskyanwaltschaftlichen Bereich die Gefahr von Kompetenzkonflikten vermeiden helfen.Bei der Verfolgung krimineller Vereinigungen liegt die Zuständigkeit nach geltendem Recht bei den in § 74 a des Gerichtsverfassungsgesetzes bezeichneten Staatsanwaltschaften der Länder. Eine Zuständigkeit des Bundes besteht nur dann, wenn dem Fall „besondere Bedeutung" zukommt. Diese Regelung bedingt, daß in Fällen, in denen Anlaß zu der Annahme besteht, daß dem Sachverhalt „besondere Bedeutung" zuzumessen ist, die zuständigen Landesstaatsanwaltschaften ihre Vorgänge dem Generalbundesanwalt zur Prüfung zuleiten müssen. Ein solches Verfahren führt zu unerträglichen Verzögerungen, die keinesfalls den Erfordernissen einer schnellen und wirksamen Strafverfolgung bei der Bekämpfung krimineller Vereinigungen entsprechen.Die wirksamere Bekämpfung der politisch motivierten Gewaltkriminalität erfordert eine einheitliche Steuerung der Ermittlungsverfahren. Das gilt im staatsanwaltschaftlichen Bereich ebenso wie für die polizeiliche Ermittlungstätigkeit, für die — darauf komme ich noch zu sprechen — ebenfalls durch eine Vereinbarung der Innenministerkonferenz Voraussetzungen geschaffen worden sind. Der Generalbundesanwalt soll auch künftig nur die Fälle von „besonderer Bedeutung" verfolgen und anklagen. Demgemäß sollen auch in den Fällen des neuen § 129 a des Strafgesetzbuches alle übrigen Verfahren, soweit sie nicht von „besonderer Bedeutung" sind, weiterhin an die zuständige Landesstaatsanwaltschaft abgegeben werden.Im übrigen erscheint es uns richtig, daß in den Fällen, in denen der Generalbundesanwalt ein Verfahren wegen minderer Bedeutung abgibt, ihm, nämlich dem Generalbundesanwalt, darüber die Entscheidungsbefugnis zustehen zu lassen, um, wie ich eben schon einmal sagte, Kompetenzkonflikte zu vermeiden. Dieser Vorschlag steht nach unserer Auffassung auch in voller Übereinstimmung mit dem Beschluß der Ständigen Konferenz der Innenminister der Länder vom 11. April 1975, der sich ebenfalls im Interesse einer wirksamen Strafverfolgung der politisch motivierten Gewaltkriminalität für eine Zusammenfassung der Ermittlungsverfahren im staatsanwaltschaftlichen Bereich ausspricht.In der soeben vor mir erwähnten Innenministerkonferenz vom 11. April 1975 ist im übrigen eine Reihe weiterer wichtiger Beschlüsse gefaßt worden, die gleichzeitig zum Ausdruck bringen, daß die Bekämpfung politisch motivierter Gewaltkriminalität eine gemeinsame Aufgabe der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern darstellt, der Priorität einzuräumen ist.Auf den Inhalt dieser Beschlüsse hat Herr Minister Maihofer bereits heute vormittag hingewiesen. Dieses erneute Bekenntnis zur gemeinsamen Verantwortung von Bund und Ländern begrüßen wir ausdrücklich. Wir sind aber auch der Meinung, daß sich darauf auch die Opposition in diesem Hause öfter besinnen sollte. Wir gehen davon aus, daß die zwischen Bund und Ländern getroffene Vereinbarung eine brauchbare Grundlage der problemlosen Zusammenarbeit der Sicherheitsorgane des Bundes und der Länder darstellt, durch die unnötige Reibungsverluste vermieden werden können.Ich erkläre gerade in diesem Zusammenhang erneut, was ich für meine Fraktion hier wiederholt gesagt habe: daß ein deutsches FBI — etwa nach amerikanischem Muster — nicht geeignet wäre, die Probleme, über die wir hier sprechen, besser zu bewältigen.Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, alle personellen, technischen, organisatorischen und gesetzgeberischen Voraussetzungen zu schaffen, die im gemeinsamen Sicherheitsprogramm von Bund und Ländern aus dem Jahre 1972 — einschließlich jener Beschlüsse der Innenministerkonferenz vom 11. April 1975 — festgelegt worden sind. Wir sind sicher, meine Damen und Herren, daß Entsprechendes auch seitens der Länder geschehen wird.Im Rahmen eines Gesamtkonzepts — und darauf kommt es an — hat der Bund mit der Modernisierung des Bundeskriminalamtes ganz entscheidende Schritte getan. Dies gilt ebenso für die übrigen Sicherheitsorgane des Bundes, nämlich das Bundesamt für Verfassungsschutz und den Bundesgrenzschutz. Die beachtlichen Erfolge bei der Verfolgung politisch motivierter Terroristen, die Herr Minister Maihofer am heutigen Vormittag im einzelnen dargelegt hat — ich kann darauf verzichten, das zu wiederholen —, sind sicher ein Ergebnis der bisherigen Anstrengungen der Bundesregierung auf diesem Gebiet. Wir sind dadurch auch ermutigt, weil es uns der richtige Weg zu sein scheint, weiterhin den Ausbau und die Verbesserung der Funktionsfähigkeit unserer Sicherheitsorgane zu betreiben. Die Einrichtung einer Abteilung des Bundeskriminalamtes zur Terroristenbekämpfung in Bad Godesberg findet deshalb ebenso unsere volle Unterstützung wie die Einrichtung eines BGS-Kommandos West im Raume Bonn.Meine Damen und Herren, die Neueinrichtung einer Abteilung zur Terroristenbekämpfung ist eine notwendige Folge der Beschlüsse der Innenministerkonferenz, nach denen dem Bundeskriminalamt unter anderem die einheitliche Steuerung der polizeilichen Ermittlungen zur Bekämpfung der politisch motivierten Gewaltkriminalität übertragen worden ist. Hierzu bedarf es selbstverständlich auch des notwendigen qualifizierten Personals und entsprechender Einrichtungen. Herr Minister Maihofer hat heute morgen hier dartun können, daß diese Abteilung bereits kurzfristig eingerichtet und auch entsprechend ausgestattet werden konnte. Daran hat auch dieses Haus — das darf ich sagen — dankenswerterweise sehr unbürokratisch mitgewirkt.Auch die Einrichtung eines BGS-Kommandos West im Raume Bonn entspricht diesen Erfordernissen. Es wird wohl niemand bestreiten wollen, daß gerade in diesem Bereich ein Schwerpunkt des Sicherheitskräftebedarfs vorhanden ist. Es sind ja nicht nur die Verfassungsorgane des Bundes, die einer ausreichenden Sicherung bedürfen, es sind auch die zahlreichen ausländischen Missionen, die es zu schützen gilt. Hier kommt es uns darauf an, ausreichende präventive Maßnahmen zu treffen, für die nunmehr noch bessere Voraussetzungen geschaffen werden.
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12504 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
PenskyEs erscheint wenig sinnvoll, die hierzu erforderlichen Sicherheitskräfte ständig aus entfernt gelegenen Unterkünften heranzuziehen, wenn wir davon ausgehen müssen, daß es insoweit Dauerbelastungen gibt, die man nicht allein den Ländern oder in diesem Fall dem Lande Nordrhein-Westfalen aufbürden kann. Hier will der Bund im Rahmen der neuen Bestimmungen des Bundesgrenzschutzgesetzes, das die entsprechende Rechtsgrundlage bietet, eine zusätzliche Hilfe leisten.Diese Maßnahmen sind ein Beweis dafür, daß die Bundesregierung der inneren Sicherheit einen sehr hohen Stellenwert einräumt und in Kooperationsbereitschaft mit den Ländern alle notwendigen Regelungen mit Nachdruck vollzieht. Die Bundesregierung kann auch künftig davon ausgehen, daß sie für alle erforderlichen Maßnahmen, die der weiteren Verbesserung der inneren Sicherheit dienen, mit der Unterstützung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion und, ich bin sicher, der gesamten Koalition rechnen kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Engelhard.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die bisherigen Beiträge der Opposition in dieser Debatte mußten ganz einfach als deprimierend empfunden werden. Sie, meine Damen und Herren, appellieren an die Solidarität der Demokraten und fordern uns zu gemeinsamem Handeln auf. Aber Sie ermöglichen nicht einmal ein Gespräch und machen einen Gedankenaustausch unmöglich, weil Sie in die Rolle des Anklägers und des Rechthabers schlüpfen und, was weit schlimmer ist, Herr Kollege Vogel, weil Sie nicht zur Sache sprechen, sondern über dieses und jenes, über DKP und Kommunisten,
über all das, von dem Sie glauben, daß es draußen im Lande ankommt. Ich finde es einfach peinlich,
Herr Kollege Spranger, daß heute morgen nicht viel daran gefehlt hätte, daß Sie versucht hätten, auch die Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach im Anschluß an das Zitat meines Kollegen Kleinert noch so in den Dunstkreis der Baader-Meinhof-Sympathisanten zu rücken, „diese Dame",
[CDU/CSU] : Das Wort
„Dame" stört Sie auch?)wie Sie ganz offensichtlich abwertend hier gesagt haben. Aber es ist deutlich geworden, daß die Redner der Opposition in Vorbereitung zu dieser Debatte sehr genau die Dokumentation des Planungsstabes ihrer Fraktion, betitelt „Zur Überwachung von Anarchistenverteidigern", studiert haben. Dort ist einleitend die Aussage gemacht, daß Entscheidungsschwäche und mangelhaftes Durchsetzungsvermögen der verantwortlichen Politiker von FDP und SPD es sind,
die nicht zuletzt mit Rücksicht auf — so heißt es hier — „die ideologisch fixierten Teile ihrer Fraktionen die notwendigen Maßnahmen zum wirksamen Schutz unseres Rechtsstaates und seiner Bürger nicht einzuleiten vermögen".
— Ich will Ihnen ein für allemal und mit aller Deutlichkeit sagen:
diesen Schuh, Herr Kollege Vogel, ziehen wir uns nicht an, und in diese Ecke lassen wir uns nicht drängen. Wenn Sie heute morgen geglaubt haben, Sie könnten Bedenken, die im Kreise dieses Hauses lautgeworden sind, als hysterisch abtun, so will ich mit aller Deutlichkeit sagen, daß ich Bedenkenlosigkeit in dieser Sache dann nur als stupid qualifizieren kann.
Ich will Ihnen auch eines sagen: ich fühle mich hier, nachdem diese Anschuldigungen in sehr allgemeiner Form erhoben worden sind, auch ganz persönlich betroffen. Ich bin als Münchener Stadtrat am 6. September 1972 vor der Trauerkundgebung in München gestanden, die dort anläßlich des Massakers im Olympischen Dorf stattgefunden hat. Ich hatte Gelegenheit, dort zu sprechen. Ich habe eine klare Absage an die Gewalt erteilt. Nun mag man sagen: dies ist leicht. Aber bis in die Konsequenzen hinein: bis zu der Erkenntnis, daß keine Gewalt, welche Rechtfertigungsgründe, welche Scheingründe für ihre Anwendung auch immer im persönlichen und im politischen Bereich vorgeschoben werden mögen, Berechtigung hat, und daß der einzelne auch aufgerufen ist, bis in sein persönliches Leben und seinen privaten Kreis hinein die deutlichen Konsequenzen zu ziehen. Wir sind doch nicht blind. Wir wissen natürlich, daß es auch in diesem Volk einzelne gibt und daß es Grüppchen gibt, die in dieser wichtigen Frage ganz einfach mit Blindheit geschlagen sind: Sympathisanten auf der einen und auf der anderen Seite Leute, die aus Naivität, Borniertheit und Dummheit nicht das Notwendige erkennen.
Sie haben hier, Herr Kollege Vogel — — Auf den Kollegen Gerster möchte ich in diesem Zusammenhang nicht eingehen, weil er, was sein Zwischenruf eben zeigt, kaum in der Lage sein wird, das, was ich deutlich zu machen versuche, überhaupt zu begreifen. Das, Herr Kollege, will ich Ihnen mit aller Deutlichkeit sagen.
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EngelhardAber Sie, Herr Kollege Vogel, haben heute morgen eine ganze Reihe von Fragen gestellt. Sie haben bei anderer Gelegenheit auf diese Fragen auch immer klare Antworten bekommen. Aber Sie haben gar nicht zur Sache gesprochen. Sie müssen Ihre Fragen einmal klarer an dem hier zur Debatte stehenden Komplex entwickeln. Dann wird Ihnen auch eine Antwort zuteil werden.
Von dem Brei, den Sie angerührt haben, mitzuessen, das allerdings müssen wir mit aller Deutlichkeit ablehnen.Wir fühlen uns diesem Staatswesen und seiner freiheitlichen Ordnung verpflichtet. Nach dem, was heute morgen hier ausgeführt worden ist, fühle ich mich allerdings vepflichtet, namens meiner Fraktion mit aller Deutlichkeit doch noch einmal folgendes festzustellen. Der beste Schutz für unsere Bürger ist, auf Dauer gesehen, immer der Rechtsstaat.
Dieser Rechtsstaat ist auch nicht, wie man es draußen häufig darzustellen sucht, ein schwacher Staat, sondern er ist ein starker Staat. Dieser Rechtsstaat ist deswegen ein starker Staat, weil er Entwicklungen im Rahmen dieser Ordnung friedlich und ohne Anwendung von Gewalt zuläßt und weil er keinen Bürger, der sich im Rahmen dieser Ordnung hält, in die Revolte treibt. Er gestattet es jedem, in der Freiheit aller seine eigene Freiheit zu verwirklichen. Die Freiheit findet ihre Grenzen an der Freiheit jedes anderen. Der Garant dieser Freiheit in unserem Lande ist das Recht. Deswegen müssen die Grenzen der Freiheit dort liegen, wo jemand glaubt, auf Kosten dieser Rechtsordnung sich Freiheiten nehmen zu können.Dieser Rechtsstaat sichert seine Rechtsordnung vor allem — und das wollen wir feststellen — dadurch, daß er sich selbst nicht aufgibt. Den Vorwurf dieser Ideologie voll zu akzeptieren — meine Damen und Herren, wenn Sie das heute morgen gemeint haben sollten —, sind wir bereit. In Sachen Rechtsstaat pingelig zu sein, ist für mich und meine politischen Freunde ein Ehrentitel. Von daher verstehe ich das Leitwort, unter das Thomas Dehler sein politisches Wirken und sein Handeln gestellt hat: Der beste Weg zur Freiheit ist immer wieder die Freiheit.Es ist ja auch nicht so, daß dieser Staat die Herausforderung des Terrorismus nicht angenommen habe. Wir werden darüber zu beraten haben, ob es sachdienlich sein wird — es zeichnet sich deutlich ab, daß es so sein wird —, einen neuen Straftatbestand für terroristische Vereinigungen in Abgrenzung zu bloß kriminellen Vereinigungen in dem bisherigen § 129 des Strafgesetzbuches zu schaffen und diesen Tatbestand mit erhöhten Strafdrohungen auszustatten. Wir sind nicht so naiv, zu glauben, daß dadurch eine abschreckende Wirkung erzielt werden könne. Hohe Strafen sind aber, um es ganz nüchtern zu sagen, notwendig, um den Sicherungszweck zugunsten der Allgemeinheit zu erfüllen und um den Schutz unserer Bürger vor solchen Straftätern nach der Verurteilung zu ermöglichen. Wir bejahen es auch, daß die Anzeigepflicht dessen, der in diesem Bereich von geplanten strafbaren Handlungen erfährt, erweitert werden soll. Das ist wegen der besonderen Gefährlichkeit terroristischer Vereinigungen notwendig. Es soll zugleich ein deutlicher Hinweis an alle sein, daß auch das Unterlassen und bloße Mitwissen eine eminente Gefährlichheit beinhalten und jeweils eine Art von Kumpanei darstellen, die in diesem Lande nicht hingenommen werden kann.Es wird zu überlegen sein, ob hier — anknüpfend an den neuen § 129 a StGB — ein automatischer Haftgrund geschaffen wird. Dies bedeutet ja keine Absage an die vor Jahren vorgenommene Reform unseres Haftrechtes. Der Ansatzpunkt war damals doch der, daß in der Vergangenheit allzuleicht und allzuviel — auch bei relativ geringfügigen Delikten — verhaftet worden ist. Es kann aber keinem Zweifel unterliegen, daß demjenigen, der dringend verdächtigt ist, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, diese Rechtswohltat eines liberalisierten Haftrechtes nicht in gleichem Maße zugute kommen kann. Wenn es nach dem geltenden Recht und bei den aufgeklärten Umständen nicht möglich war, Rechtsanwalt Haag in Haft zu nehmen, ist der Gesetzgeber aufgerufen, hier ein deutliches Wort zu sprechen.Wir bejahen es auch, mögliche Lücken in den Ausschließungsvorschriften für Verteidiger zu verstopfen, ungeachtet der jetzigen Entscheidung des Ersten Strafsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart. Allerdings will ich auch dies sagen: Der Tatbestand, der daneben angeboten wird — Ausschluß auch bei Verfahrenssabotage —, ist, wie schon ausgeführt wurde, mehr als problematisch. Er ist ganz einfach unpräzis. Ich sage dies nicht begütigend, aber wir wollen einmal die Relationen im richtigen Licht sehen. Etwa 1866 war in Chicago eine starke anarchistische Aktivität — einhergehend mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten — festzustellen. Es wurden Bomben geworfen; die Täter wurden dingfest gemacht, und es kam zur Hauptverhandlung. Es ist überliefert, daß bei der damaligen Hauptverhandlung in Chicago der eine Angeklagte zu seiner Verteidigung in einem Stück acht Stunden lang agitatorisch zu den Geschworenen und Richtern gesprochen hat. Der andere Angeklagte sprach volle drei Stunden. Ich will damit nur deutlich machen: Wir hatten den Versuch der Verfahrenssabotage bei Angeklagten wie bei Verteidigern schon immer. Es ist eine Aufgabe, in diesem schwierigen Bereich mit den Problemen fertig zu werden. Ich sage das nicht begütigend und besänftigend, sondern ich will lediglich deutlich machen, daß wir diese Dinge mit im Auge haben müssen und uns gleichzeitig — so ärgerlich dies im Einzelfalle sein mag — darüber klar sein müssen, daß wir auf generalklauselartige Tatbestände nicht ausweichen dürfen.Es wird für die Ermittlungstätigkeit sachdienlich sein, die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft zu erweitern. Wir begrüßen vor allem, daß ein gegenständlich und zeitlich beschränktes Vertretungsver-
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Engelhardbot in die Bundesrechtsanwaltsordnung eingearbeitet werden soll. Denn die Rechtsanwaltschaft — das ist meine tiefe Überzeugung — muß auch gesetzestechnisch in den Stand versetzt werden, sich als Berufsstand selbst zur Wehr setzen zu können. Dazu bedarf es allerdings einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Generalstaatsanwaltschaften. Daß hier — dies wird von den Anwaltskammern, von den Ehrengerichten oft beklagt — in der Vergangenheit Fehler unterlaufen sind, wird niemand, der mit den Dingen etwas vertraut ist, in Abrede stellen können. So ist es zu dem sachlich völlig falschen Eindruck gekommen, als hätten 27 000 deutsche Rechtsanwälte mehr als die Berufsbezeichnung mit einer Handvoll von Leuten gemeinsam, die, wenn sich ihre Schuld erweisen sollte, hoffenlich bald nur noch als Ex-Kollegen angesprochen werden können. Ich glaube, wir sollten gerade dieses Problem — auch als Anwälte — in diesem Hause sehr klar sehen. Ich habe es deswegen als peinlich empfunden, daß der Bundestags- und Berufskollege Erhard heute morgen hier den Versuch unternommen hat, meiner Fraktion zu unterstellen, wir hätten bei den früheren Beratungen versucht, uns bei einigen wenigen Anwälten zweifelhafter Prägung lieb Kind machen zu wollen. Davon kann überhaupt nicht die Rede sein. Wir wissen doch genauso wie die übrige deutsche Anwaltschaft in ihrer mehr als überwältigenden Zahl, daß die freie Advokatur kein Privileg und schon gar kein Freibrief des Anwalts ist, sondern daß diese freie Advokatur und die mit ihr verbundenen Rechte der Ausfluß einer Rechtsgarantie sind, die allerdings dann ein wesentliches Kennzeichen dieses Rechtsstaates ist.Bei der Berufsausübung sind dem Rechtsanwalt natürliche Grenzen als Anwalt des Rechts gesetzt. Wenn er diese Grenzen überschreitet oder sich gar zum Kumpan seines Mandanten macht, wird er zum Nichtanwalt, und dann muß die Konsequenz, wie wir im Dezember letzten Jahres beschlossen haben, sein, daß er zunächst einmal aus dem Strafprozeß als Verteidiger ausgeschlossen wird. Wir sind Ende des letzten Jahres konsequent diesen Weg gemeinsam gegangen.
Ich glaube, daß sich diese Ausschlußregelung auch bewährt hat. Obwohl die Ausschlußanträge nicht gleich nach dem 1. Januar eingereicht worden waren, liegen uns bereits drei Entscheidungen, die den Ausschluß bestätigen, vor, wovon eine Entscheidung schon in Rechtskraft erwachsen ist.Heute liegen uns gleichfalls Initiativen für die Einführung des Kronzeugen wie für die Überwachung des Verteidigerverkehrs vor. Wir werden uns damit im Ausschuß sehr ausführlich zu beschäftigen haben. Die Koalitionsfraktionen haben den Text des Regierungsentwurfs übernommen und hier eingebracht, weil wir meinen, damit bei den kommenden Ausschußberatungen eine breite Materialgrundlage zu haben. Es ist bekannt, daß in diesen beiden Punkten sehr viele Kollegen in diesem Hause starke Bedenken haben. Ich sehe darin nichts Merkwürdiges. Für bedenklich würde ich es halten, wäre es anders.Wir werden bei den Ausschußberatungen eine eingehende rechtspolitische Kosten-Nutzen-Analyse vorzunehmen haben. Über den Nutzen, den man sich von diesen Bestimmungen verspricht, was die Aufdeckung terroristischer Straftaten und die Abwehr solcher Straftaten anbelangt, ist bereits manches gesagt worden. Wir werden uns im Ausschuß darüber zu unterhalten haben, wie es mit den immateriellen Kosten solcher Bestimmungen steht und wie es sich mit dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Nutzen dieser Bestimmungen verhält. Hier hat eine neue Runde des Denkens erst begonnen.Wir sollten uns von keiner Seite her bis ins Letzte fixieren, auch wenn der einzelne, den Sprecher voll eingeschlossen, meint hier bereits einen festen Standpunkt bezogen zu haben. Aber der Ansatz dieser Erörterungen muß schließlich kritisch sein. Wir werden uns doch wohl alle darüber einig sein, daß es bei Bestimmungen von solchem Gewicht nicht ein Entweder-Oder geben kann, nach dem Motto: Wir können es so machen, aber wir können es eben auch so machen. Denn hier geht es um die Strafprozeßordnung als Magna Charta unseres Strafprozesses, und hier wird festgestellt werden müssen, daß doch wohl eine gewisse Vermutung zunächst dafür spricht, es so zu belassen, wie es das geltende Recht vorsieht. Aber es können sicher auch Gründe genannt werden, die dann dafür sprechen, in diesem Bereich einiges zu ändern. So verstehe ich den Appell, daß hier nicht von vornherein pine Fixierung auf noch nicht völlig neu durchdachte Standpunkte stattfinden soll.Dabei ergeben sich — ich verstehe das als kritische Vormerkposten für die Beratungen — natürlich eine ganze Reihe von Fragen. Es soll der Kronzeuge verankert bzw. dem Straftäter ein erweiterter Bereich der tätigen Reue eingeräumt werden. Derartige Vorschriften sind in dieser Ausweitung unserem bisherigen Recht fremd. Wenn wir uns dazu entschließen, hier etwas zu ändern, werden wir uns ganz nüchtern die Frage vorlegen müssen, ob diese Bestimmungen auch für einen Täterkreis Erfolg versprechen, der fanatisiert ist, der nicht um materieller Vorteile willen seine Taten begeht, sondern in völlig fanatisierter Weise diese unsere Ordnung und diesen Staat vernichten will. Dann werden wir uns die Frage stellen müssen, welcher Beweiswert einem solchen Kronzeugen im Strafprozeß von unseren Gerichten beigemessen werden wird. Wir haben hier leider bis jetzt negative Erfahrungen im Fall Ruland sammeln können. Das alles muß im Zusammenhang gesehen werden. Das alles muß in Ruhe gemeinsam abgeschritten werden. Nur so werden wir zu einem vernünftigen Ergebnis kommen können.Bei der Verteidigerüberwachung sind wir uns doch wohl alle darüber klar, daß der mündliche Verteidigerverkehr das Kernstück des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger ausmacht. Die Terroristen haben diesem Staat und seiner Ordnung den Krieg erklärt. Die Waffe der Terroristen ist die verbrecherische
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EngelhardAktion. Die Waffe dieses Staates ist die Durchsetzung des Rechts. Weil das so ist, werden wir die Frage zu stellen haben, ob wir mit einer Änderung der Bestimmungen nicht zunächst Vorwände liefern. Denn wir haben es ja mit einem Märtyrerkreis zu tun, ich möchte sagen, mit einem Märtyrerkreis fast sadistischen und zugleich masochistischen Zuschnitts. Diesem Kreis ist jeder erlittene Schlag recht. Die Terroristen suchen Bestätigung, wo immer sie können, manchmal weit hergeholt, manchmal suchend, wo sie noch etwas finden können, wo sie einen Aufhänger finden können, den Kreis der Sympathisanten, der Naiven in diesem Lande langsam zu erweitern. Das ist auch eine Frage, über die wir uns werden unterhalten müssen.Wenn der Verteidigerverkehr überwacht wird, spielt die Frage eine Rolle: Inwieweit wird dann ein Beschuldigter mit seinem Rechtsanwalt noch die Frage des Geständnisses erörtern können? Inwieweit wird er, wenn er in die Rolle des Kronzeugen schlüpfen will, mit seinem Verteidiger auch diese Frage frei von Hemmungen erörtern?Ich weiß, was alles für die Verteidigerüberwachung spricht, aber ich will hier auch einmal die anderen Punkte als Vormerkposten für die Ausschußberatungen nennen und mit einbringen. Es stellt sich die Frage, wie wir das gesetzestechnisch konstruieren. An wessen Verhalten soll bei der Überwachung angeknüpft werden? An das Verhalten des Anwalts? Wer sich so verhält, werden manche sagen, der wird zum Nichtanwalt und hat in dem Verfahren nichts mehr zu suchen; er muß ausgeschlossen werden.Knüpfen wir, wie es die Koalitionsfraktionen vorgesehen haben, am Verhalten des Beschuldigten und der ihm zur Last gelegten Tat an, dann wird alles besser machbar werden. Nur trifft die Überwachung dann auch den integren Anwalt. Damit sind wir bei der nächsten Frage: Soll die Überwachung zwingend vorgesehen werden? Auch hier: Der integre Anwalt ist mit betroffen.Wählen wir aber die Kann-Bestimmung, stellt sich wieder die Frage: Nach welchen Gesichtspunkten soll abgewogen werden? Es wird sich der Protest der Anwälte erheben, die sich diskriminiert fühlen, die sich vielleicht zu Unrecht diskriminiert fühlen. Dann muß wiederum geprüft werden, ob die Verdachtsgründe und die Beweise nicht bereits hinreichen, einen solchen Anwalt aus dem Prozeß auszuschließen.Wir wissen alle, daß es im Kampf gegen den Terrorismus keine letzte Sicherheit gibt. Wir werden in sehr eingehenden Beratungen zu prüfen haben, welche Mittel wir zusätzlich zu den bisherigen in diesem Kampf anwenden. Dann ergibt sich das Problem, daß die Überwachung während der Hauptverhandlung und im nahen örtlichen Bereich der Hauptverhandlung nicht praktizierbar ist. Auch das werden wir in die Beratungen mit einbeziehen müssen.Wir sehen wohl alle Fragen über Fragen, die es zu diskutieren und die es in einer Entscheidung schließlich zu lösen gilt. Ich glaube, gerade in dieser schwierigen Situation ist Besonnenheit in diesenMonaten am Platz. Das Denken und die Nachdenklichkeit über diese Dinge sind nicht nur erlaubt, sondern es sollte ein Auftrag für die Sommerpause sein, daß Nachdenklichkeit sogar geboten ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Eyrich.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf an das anknüpfen, was Sie, Herr Kollege Engelhard, eben zu uns gesagt haben. Zunächst komme ich zu dem, was Sie uns zuvorderst entgegenhielten. Ich muß Ihnen sagen, daß es etwas komisch ist, wenn Sie uns in dieser Debatte daran erinnern, daß man an diese Fragen mit Solidarität herangehen soll, und wenn Sie uns auffordern, einen Gedankenaustausch miteinander in diesen sicherlich wichtigen Fragen zu führen.Dieses Recht haben Sie in dem Augenblick verwirkt, wenn Sie an die Ereignisse des Dezember 1974 denken, als wir die Bestimmungen, um die es heute geht, in den Gesetzgebungsgang eingeführt haben und wir uns von Ihnen haben sagen lassen müssen, daß wir ein gestörtes Verhältnis zum Rechtsstaat deswegen hätten, weil wir genau die Bestimmungen eingeführt haben, die Sie heute einführen.
— Herr Gnädinger, Sie wissen so gut wie ich, daß es so war. Wenn ich Ihnen einmal alle Reden zitieren wollte, die im Dezember 1974 bezüglich des § 148 der Strafprozeßordnung hier gehalten wurden, müßte ich Ihnen sagen, daß man uns damals nicht nur — was üblich ist und was wir so langsam haben hinnehmen müssen — der Panikmache verdächtigt hat, sondern auch ein gestörtes Verhältnis zum Rechtsstaat und zum Verteidiger unterstellt hat.
Da möchte ich vielleicht doch an das anknüpfen, was Sie eben gerade gesagt haben. Ich weiß nicht, ob die Regierung hier nicht einem Trugschluß unterliegt, wenn sie sagt: Wir knüpfen die Überwachung des Verteidigerverkehrs an das Verhalten des Beschuldigten an. Herr Kollege Engelhard, wenn Sie die Vorschrift im Regierungsentwurf aufmerksam durchlesen, dann ist es unmöglich, daß ein Anwalt aus dem Verfahren ausgeschlossen bzw. überwacht wird, wenn er nicht bestimmte Voraussetzungen erfüllt, nämlich zunächst, daß sich der Beschuldigte mit ihm unterhält, daß ihm der Beschuldigte ganz gewisse Anweisungen oder Überlegungen mitteilt, die er — der Anwalt — dann weitergibt. Denn wie sonst eigentlich soll konspiratives Verhalten und wie sonst soll eigentlich das, was der Beschuldigte den anderen mitteilen will, aus der Gefängniszelle herauskommen? Und wenn sich ein Anwalt so verhalten hat, dann, glaube ich, ist die einzige Möglichkeit die, daß ein Gespräch mit dem Beschuldigten eben überwacht wird. Ich weiß ja, was für ein Verständnis Sie von den Dingen haben, wenn Sie uns vorwerfen, wir gingen leichtfertig mit solchen
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12508 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Dr. EyrichBestimmungen um. Wir haben uns auch die Mühe gemacht, mit Vertretern der Anwaltschaft über diese Probleme zu reden. Wir haben auch nicht leichtfertig einen Gesetzentwurf erarbeitet und gesagt: Jetzt überwachen wir das Gespräch des Verteidigers mit dem Beschuldigten. Wir haben zwei Dinge getan, es erstens an strenge Voraussetzungen gebunden, und zweitens sind wir von der — glaube ich wenigstens — zutreffenden Annahme ausgegangen, daß, wenn sich ein Anwalt auf so etwas einläßt, er sich außerhalb des Standes der ordentlichen Anwaltschaft stellt und deswegen auch mit anderen Maßstäben gemessen werden muß als der Anwalt, der sich an die Spielregeln der Prozeßordnung hält.
Das, glaube ich, ist das erste, was man zu dieser Frage sagen muß. Im übrigen, Herr Kollege Engelhard — ich muß es jetzt schon sagen —, macht es einen außerordentlich schlechten Eindruck, wenn man hier den Anschein erwecken möchte, als ob man sich mit Kollegen nicht auseinanderzusetzen bräuchte, weil sie einen Zwischenruf machen. Ich glaube, so sehr gut waren ihre Ausführungen auch wieder nicht, daß es dieser Rüge des Kollegen Gerster bedurft hätte.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Engelhard?
Herr Kollege, war für Sie der Inhalt des allbekannten Zwischenrufes des Herrn Kollegen Gerster hörbar?
Ich muß Ihnen sagen, daß ich seine Zwischenrufe gehört habe, daß ich aber im Augenblick nicht mehr einzuordnen weiß, welcher Zwischenruf Sie zu der für meine Begriffe doch etwas arroganten Feststellung veranlaßt hat, daß er offenbar das, wovon Sie sprachen, nicht verstanden hätte.Nun, vielleicht sollten wir auch noch etwas dazu sagen, daß Sie im Dezember 1974 verschiedentlich darauf hingewiesen haben, daß der Ausschluß des Verteidigers doch wohl eine genügend starke Waffe sei. Sie haben uns eigentlich damals und auch heute eine überzeugende Antwort darauf nicht gegeben, was während eines zugegebenermaßen etwas länger dauernden Verfahrens geschehen soll, um dem Anliegen, um das es Ihnen geht und das Sie uns absprechen zu können glauben, nämlich dem Schutz des Rechtsstaates, tatsächlich gerecht zu werden und ihn herzustellen. Da hilft nun nichts anderes, als eine Güterabwägung vorzunehmen, was uns wichtiger ist, der Verkehr eines Verteidigers mit einem Beschuldigten, eines Verteidigers, ,der bereit ist, gegen seine Standespflichten und außerhalb der Prozeßordnung Material aus der Vollzugsanstalt hinauszubefördern, oder tatsächlich der Schutz der Rechtsordnung.Nun vielleicht noch etwas zu dem, was Sie, Herr Kollege Pensky, gesagt haben. Herr Kollege Pensky hat sich mit ,den Kompetenzverlagerungen beschäftigt. Dazu kann man nur sagen: Auch diesen Erörterungen und Erwägungen werden wir uns im Gesetzgebungsverfahren ganz sicher nicht verschließen. Nur eines muß ebenso deutlich dazu gesagt werden, daß allein mit Kompetenzverlagerungen das, was wir vor uns haben, sicherlich nicht geschaffen wird.Es ist einer der Punkte, über die wir sprechen müssen, um die Verfolgung effektiver, schneller zu gestalten. Aber wir sollten nicht glauben, daß wir, wenn wir die Kompetenz verlagern, damit auch das Problem aus der Welt gebracht hätten.Ich habe heute die Aufgabe, mich mit dem Gesetz zu befassen, von dem heute früh der Herr Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Posser, gesagt hat, daß es sich keineswegs um ein Gesetz handele, das den Kronzeugen zum Inhalt habe, sondern um ein Gesetz — Herr Kollege Engelhard hat das auch schon gesagt, und auch Herr Kollege Kleinert hat darauf hingewiesen —, bei dem nichts anderes als der Gedanke der tätigen Reue wieder einmal zum Vorschein komme und das dazu dienen solle, dem tätig reuigen Beschuldigten eine Möglichkeit der Straffreiheit oder Strafmilderung zu eröffnen. Da muß ich Ihnen jetzt sagen — ich habe es mir lange überlegt, ob ich es so sagen soll —: Wenn wir meinen, wir könnten mit diesen wohlklingenden Worten einen ganz harten und schlichten Sachverhalt, nämlich den der Einführung des Kronzeugen in unser Recht, verschleiern, dann irren wir uns.
Es ist nichts anderes als der Versuch, den Kronzeugen in den deutschen Rechtskreis einzuführen, einen Rechtskreis, der völlig anders ist als der, aus dem die klassische Form des Kronzeugen kommt. Wir kommen nicht an der Erkenntnis vorbei, daß sowohl im Entwurf ,des Bundesrats als auch im Entwurf der Bundesregierung vorgesehen ist, den Beschuldigten entweder außer Verfolgung zu setzen, da es ja hier einen § 153 b der Strafprozeßordnung gibt, beim Entwurf der Bundesregierung ist es der Generalbundesanwalt, der das tun können soll, beim Gesetzentwurf des Bundesrates ist es der jeweils zuständige Staatsanwalt. Wir müssen uns klar sein, daß das nichts anderes bedeutet als die Möglichkeit, jemand, der eine bestimmte Aussage mache — Herr Posser hat gesagt, es sei wichtig, daß man hier eine wesentliche Aussage meine —, außer Verfolgung zu setzen. Im Ergebnis ist das nichts anderes als eine weitgehende, ich möchte fast sagen: vollständige Identität mit dem Kronzeugen im angelsächsischen Recht.Wenn wir diese Form des Kronzeugen in unser Recht einführen wollen, sind wir natürlich gehalten — ich nehme an, daß Sie das genauso in Ihre Überlegungen einbezogen haben —, zu prüfen, ob das Institut des Kronzeugen überhaupt in das Rechtssystem paßt, von dem das höchste Prinzip wohl das Prinzip der Legalität ist. Dieses Legalitätsprinzip ist doch der sicherste Schutz, daß der Staatsanwalt nicht nur anklagen kann, sondern auch anklagen muß.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975 12509
Dr. EyrichDas Legalitätsprinzip hat schlicht und einfach nichts anderes im Auge als eine wirksame Kontrolle des Strafverfolgungsorgangs. Wir sind nicht umsonst sehr stolz darauf, dieses Legalitätsprinzip zu haben. Ich schließe mich nicht denen an, die es in euphorischen Worten als die letzte Säule des Rechtsstaates loben; aber ich meine, wir müßten darauf achten, daß das Opportunitätsprinzip in unser Recht über das hinaus, was wir bereits haben, nicht noch mehr Eingang findet. Natürlich wird man, wenn man dann vom Kronzeugen spricht, auch die Frage stellen müssen, ob die Aushöhlung des Legalitätsprinzips mit dem angestrebten Erfolg gerechtfertigt werden kann. Das heißt, ich muß prüfen, ob die Einführung einer Rechtsfigur in unser Recht, die dem Staatsanwalt, wenn auch in Verbindung mit dem Gericht, die Möglichkeit gibt, von Strafe abzusehen und damit im Grunde genommen seiner ursprünglichen Pflicht anzuklagen, nicht nachzukommen, in einem vernünftigen Verhältnis zum angestrebten Erfolg steht. Da muß ich allerdings sagen, daß wir zwischen zwei Feuern stehen, nämlich vor der Überlegung, ob das, was wir hier konzipiert vor uns haben, tatsächlich geeignet ist, den Erfolg zu garantieren. Wir haben Beispiel aus dem angelsächsischen Recht, aus denen wir wissen, daß nichts zweifelhafter ist als die Aussage eines Kronzeugen,
eines Kronzeugen, der doch bei der Art seiner Belohnung im Grunde genommen angestachelt wird, nicht nur das, was er selbst getan hat, möglicherweise einem anderen aufzubürden, sondern auch noch manches auf sich zu nehmen, möglicherweise sogar im Einverständnis mit anderen, um den Verdacht von anderen wegzunehmen.
Damit würde jener Grundsatz unterminiert, der bis heute gegolten hat und hoffentlich auch weiter gilt, daß es Aufgabe des Gerichts ist, den vollständigen Sachverhalt zu ermitteln und diesen zur Grundlage seines Urteils zu machen.Das bedeutet, daß wir uns in diesem Punkte sehr stark mit den Erfahrungen, die in den USA und im angelsächsischen Recht gemacht worden sind, konfrontiert sehen. Ich möchte Ihnen ganz offen gestehen, obgleich der eine Entwurf vom Bundesrat kommt und auch von Ländern getragen worden ist, deren Regierungen der CDU/CSU angehören, ich habe erhebliche Bedenken, diesem Entwurf oder diesen Entwürfen, wie sie da sind, schon heute meine uneingeschränkte Zustimmung zu geben.Die Überlegungen im Rechtsausschuß werden ganz besonders darauf hingehen müssen, inwieweit der Kronzeuge in unser Rechtssystem hineinpaßt oder inwieweit hier die Gefahr des Mißbrauchs vorhanden ist. Es ist, wie es Mittendorf in einer, wie ich meine, glänzenden Studie in der „Zeitschrift für Strafrechtswissenschaft" im Jahre 1973 dargetan hat, tatsächlich so, daß die Einführung des Kronzeugen allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Wahl des kleineren Übels gerechtfertigt sein kann, und zwar insoweit, als wir wissen müssen, daß mit der Aussage des Kronzeugen äußerst vorsichtig umgegangen werden muß, wie ich bereits darzulegen und zu begründen versucht habe.Von daher noch einmal: Wir sind bereit, an diesen Überlegungen teilzunehmen, diese Überlegungen anzustellen und sie auch im Rechtsausschuß möglicherweise durch Anhören anderer und durch Anhören von Fachleuten miteinander zu klären. Wir sollten auch nicht vergessen, daß am Schluß der Ausführungen von Mittendorf, die ich genannt habe, ein paar Sätze stehen, die uns nachdenklich machen sollten, daß nämlich mit dem Institut des Kronzeugen in den USA in letzter Zeit immer vorsichtiger umgegangen wird, weil man weiß, wie schwierig das ist.Nun noch ein Wort zur Effektivität des Vorgeschlagenen. Ich bin ein bißchen erstaunt darüber, daß es tatsächlich möglich ist, in der Begründung zu diesem Gesetzentwurf zu sagen, damit werde auch die Aufdeckung von zukünftigen Straftaten besser ermöglicht werden. Natürlich spricht der Umstand, daß das möglich ist, dafür, daß man jemandem, der kommt und aussagt, die Möglichkeit gibt, straffrei gestellt zu werden. Das wird den einen oder anderen sicher dazu animieren, etwas zu sagen. Bundesrat und Bundesregierung stecken aber beide in einem Dilemma: Wir dürfen nicht vergessen, daß wir, wenn wir das wollen, die glasklare Regelung des angelsächsischen Rechts für den Kronzeugen haben müssen. Sie werden doch nicht im Ernst glauben, daß ein Kronzeuge aus seinem Versteck herauskommt, zum Staatsanwalt geht, ihm zunächst einmal darlegt, was er weiß, wessen er sich schuldig fühlt, und dann abwartet, und zwar immer noch im Vorzimmer des Staatsanwalts, ob der sich mit dem Gericht in Verbindung setzt und ob das Gericht dann nach Prüfung aller Umstände dazu kommt, ihm Straffreiheit zuzusichern oder nicht, was es im übrigen nach dem Text des Entwurfs nicht einmal kann. Wenn ich den Text ganz genau lese, wird die Möglichkeit, Straffreiheit zuzusagen, erst im Laufe einer Hauptverhandlung möglich sein, oder aber doch zumindest erst im Verlaufe eines Ermittlungsverfahrens. — Entschuldigung, ich muß mich berichtigen, es stimmt, nicht erst im Laufe der Hauptverhandlung. Das Gericht muß sich aber zumindest mit zwei Dingen auseinandersetzen, erstens damit, ob die Aussage dessen, der sich gestellt hat, von wesentlicher Bedeutung ist, und zweitens damit, ob die anderen Voraussetzungen, die § 129 Nr. 7 noch beinhaltet, auch tatsächlich vorliegen. Dies ist für meine Begriffe ein etwas langwieriges Verfahren.Abschließend vielleicht noch ein Wort zu der Überlegung, daß es unerträglich sei — das ist doch mit eine Begründung für die Einführung des Rechtsinstituts des Kronzeugen —, daß einzelne Personen straffrei ausgehen sollen, nur weil sie andere, ja, sagen wir es so, wie es tatsächlich ist, „verkauft" hätten. Ich meine, das stimmt. Wenn man dann das schöne Beispiel hört, daß der eine freikommt und vielleicht andere — zehn, fünfzehn oder zwanzig — dadurch der gerechten Strafe zugeführt werden, so weiß ich nicht, ob das nicht auch das Gerechtigkeitsgefühl tangieren kann und ob wir uns hier auf dem richtigen Wege befinden.
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12510 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Dr. EyrichDas sind einige der Bedenken, die ich habe. EinBedenken kommt noch hinzu: Wenn wir davon ausgehen, daß die heutige Technik so weit fortgeschritten ist, daß es an sich etwas Leichtes darstellt, den, der in einem Strafverfahren zu Lasten der anderen ausgesagt hat, sehr schnell, wie es in den einschlägigen Kreisen heißt, über die Klinge springen zu lassen, dann habe ich doch erhebliche Bedenken, ob dieses Institut jene Annahme bei denen findet, an die es gerichtet sein wird. Daß das nicht so ganz aus der Luft gegriffen ist, beweist uns ja die Tatsache, daß sich die Baader/Meinhof-Bande bekanntlich — leider gerät so etwas sehr schnell in Vergessenheit — auch nicht gescheut hat, einen ihrer Mitwisser schlicht und einfach um die Ecke zu bringen.
— Nicht nur einen! — Das sind die Überlegungen, die man anstellen muß, wenn man an das Institut des Kronzeugen herangeht. Ich wollte diese Bedenken geltend gemacht haben.Ich möchte auch darauf hinweisen, daß diese Bedenken nicht nur die meinen sind, sondern daß auch schon der Bundesrat in einem früheren Verfahren, nämlich im Zusammenhang mit dem Betäubungsmittelgesetz, ähnliche Bedenken in die Gesetzgebung eingebracht hat und daß das Institut des Kronzeugen in dieses andere Gesetz damals dann schließlich nicht aufgenommen worden ist.Wenn wir beide Seiten, den angestrebten Erfolg, aber auch die Risiken, die in einer solchen Regelung liegen, miteinander vergleichen, dann wird das die richtige Grundlage sein, uns ein Urteil darüber zu bilden, ob wir diesen Fremdkörper in unsere Rechtsordnung einführen wollen oder nicht. Ich setze hinzu: Wenn ich überzeugt werden kann, daß das System des Kronzeugen funktionieren kann, dann, meine ich, sollten wir dieses Instrument im Interesse der Verhütung weiterer Straftaten mit in das Gesetz aufnehmen. Aber: Bis zum heutigen Tage und trotz längeren Nachdenkens bin ich noch nicht davon überzeugt, daß es bei den Beratungen im Rechtsausschuß unbedingt zu diesem Ergebnis kommen muß.
Das Wort hat der Abgeordnete Spillecke.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Alle in diesem Hohen Haus vertretenen Parteien sind sich einig darin — das haben bisher alle Diskussionsbeiträge doch übereinstimmend aufgezeigt —, daß der Terrorismus eine Herausforderung des Staates ist.
Wir Sozialdemokraten stehen zu unserem freiheitlich-demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Lassen Sie mich in aller Deutlichkeit sagen: Wir werden diesen unseren Staat gegen Angriffe verteidigen, von welcher Seite sie auch immer kommen. Es kann kein Zweifel bestehen, daß der Staat gegenüberTerroristen seine Handlungsfähigkeit und Durchsetzungskraft beweisen muß.Der Deutsche Bundestag ist gefordert, bestehende gesetzliche Regelungen immer erneut auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen, neue Gesetze zu schaffen, um dieser neuen Form der Kriminalität begegnen zu können. Gefordert sind die Sicherheitsorgane in Bund und Ländern, Polizei und Justiz, den Gesetzen mit aller Konsequenz Geltung zu verschaffen. Gefordert wird auf dem Gebiet der inneren Sicherheit aber auch die Bewährung der Kompetenzaufteilung in diesem Bereich zwischen Bund und Ländern, mithin ein Element des föderativen Aufbaus unserer Bundesrepublik Deutschland.Wir alle müssen uns allerdings darüber im klaren sein, daß es gegenüber dem Terrorismus keinen absoluten Schutz gibt. Überall auf der Welt gibt es heute terroristische Erscheinungsformen, die sich unter dem Sammelbegriff der Guerillas zusammenfassen lassen. Alle jene radikal motivierten, gewalttätigen Herausforderungen der Staatsgewalt durch organisierte irreguläre politische Kräfte zielen darauf ab, die bestehende Ordnung bloßzustellen, sie zu diskreditieren, also sie am Ende zu beseitigen.Bei den Kaderguerillas handelt es sich — wir wissen es inzwischen alle gut genug — um kleine bewegliche Gruppen fanatisierter Verschwörer, die in freien Gesellschaften unauffällig, ja zeitweilig unsichtbar operieren, rasch auf- und untertauchend sowie sehr schwer auffindbar.Wir stimmen der Opposition zu, die einen starken Staat fordert, was aus unserer Sicht aber auch bedeutet, daß die politische Führung entschlossenen Abwehrwillen gegenüber dem Terrorismus zeigt, daß die Sicherheitsorgane ihre Abwehrmöglichkeiten voll ausschöpfen. Justiz und Polizei verdienen unsere volle Unterstützung und unseren Dank für die bisher geleistete Arbeit.
Andererseits sehen wir Sozialdemokraten eine große Gefahr darin, so zu tun, als würden Forderungen nach dem starken Staat alle Probleme lösen. Sicherheit und Ordnung sind notwendig. Aber die Bundesrepublik Deutschland ist nicht nur ein Staat, der für Sicherheit und Ordnung zu sorgen hat. Wenn wir Sozialdemokraten uns in der Vergangenheit gegen „Law-and-order-Hysterie" gewandt haben — und wir tun das auch heute noch uneingeschränkt —, so gab und gibt es dafür zwei Gründe.Erstens: Die Konservativen bis hin zu reaktionären Kräften in unserem Staat versagen eigentlich in der Wahrung der inneren Sicherheit, weil sie die Verantwortung für Kriminalität oder die Existenz von Verfassungsfeinden schlicht und bündig ausschließlich den anderen demokratischen Parteien, SPD und FDP, sprich auf dieser Ebene: der sozialliberalen Regierungskoalition zuschieben wollen, sich selbst aber von jeder Verantwortung freisprechen.Zweitens. Unserer Auffassung nach versagen die Konservativen, weil sie unter Umgehung geschichtlicher und gesellschaftspolitischer Probleme, die
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Spillekenicht nur in der Bundesrepublik sichtbar werden, andere Demokraten verdächtigen und diffamieren, nicht aber aufklären und argumentieren.
Das — ich sage das ohne Schärfe — ist für denjenigen, der der heutigen Debatte aufmerksam zugehört hat, auch aus den Beiträgen von Rednern der Opposition hinreichend deutlich geworden. Die Konservativen versagen, weil sie absichtlich undifferenziert Linksintellektuelle, Verfassungsfeinde und Verbrecher in einen Topf werfen und das geistige Klima in unserem Lande damit vergiften.Mit den Fragen der inneren Sicherheit kann man keine Reformprobleme tottreten und sie schon gar nicht lösen. Die Terroristen hätten in der Tat ihr Ziel erreicht, wenn die Diskussion um die innere Sicherheit in unserem Lande in eine Diskussion nach dem Motto „Sicherheit an Stelle von gesellschaftspolitischen Reformen" umgemünzt würde.
Sicherheit und gesellschaftspolitische Reformen sind in Wahrheit keine Alternativen, die einander ausschließen, im Gegenteil. Man muß klar sehen, daß die geistige Unruhe in unserem Lande mit den Studentenunruhen begann und daß diese gerade auf das Fehlen gesellschaftspolitischer Reformen zurückzuführen war.
Die geistigen Wurzeln der Terroristen reichen jedoch noch weiter zurück. Es grenzt nahezu an schlichte Volksverdummung, wenn die Unionsparteien der Bevölkerung einreden wollen, mit dem Regierungsantritt der sozialliberalen Koalition habe das ganze Elend und Unheil begonnen. Niemand, meine Damen und Herren, wird bestreiten können, daß sich das geistige Klima in unserem Lande konsolidiert hat. Dazu war die Reformpolitik dieser Koalition ein wesentlicher, wenn nicht gar der entscheidende Beitrag. In der Jugend sind heute ganz andere geistige Strömungen relevant als noch 1966, und der Kultusminister von Rheinland-Pfalz, Dr. Vogel, hat Unrecht, wenn er meint, daß wir heute auf eine neue Form des Nationalismus zusteuerten. In der jungen Generation sind solche Vorstellungen und Zielsetzungen nicht gefragt; das Gegenteil ist der Fall.Meine Damen und Herren, wenn die Unionsparteien neuerdings nicht müde werden, ein neues geistiges Klima zu fordern, und dabei zugleich gegen einen angeblichen linksintellektuellen Sumpf angehen, der den Boden für den Terrorismus vorbereitet haben soll, so wollen sie mit solchen Formulierungen in Wahrheit nur idas treffen, was wir Sozialdemokraten den demokratischen Sozialismus nennen.
Denn „Dunstkreis" und „Sumpf" werden von Ihnen mit Absicht vage umschrieben, werden nicht näher gekennzeichnet, so daß damit auf alle Fälle auch Demokraten gemeint sein könnten. Ich sage ganzdeutlich, daß Sie damit ausschließlich das geistige Klima vergiften.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang an ein Wort Rosa Luxemburgs, einer Sozialdemokratin, erinnern, die einmal sinngemäß gesagt hat, die Freiheit in einer demokratischen Gesellschaft sei immer auch die Freiheit des Andersdenkenden.
Damit sind nach unserem Verständnis nur diejenigen Andersdenkenden gemeint, die im Rahmen der für uns alle geltenden Rechtsordnung tätig sind, die sich zu Problemen äußern, die bestehende Regelungen verändern wollen. Damit sind nicht Feinde unserer demokratischen Grundordnung gemeint, nicht Verfassungsfeinde und schon gar nicht Terroristen, die diese Freiheit mißbrauchen.Es ist, meine Damen und Herren, sicherlich besonders wichtig, diese Trennungslinie scharf zu ziehen. Aber ebenso wichtig ist es, zu wissen, daß der Rechtsstaat sich nicht in der Bekämpfung von Verfassungsfeinden und Verbrechern selbst aufgibt. Das wäre der Anfang vom Ende der rechtsstaatlichen Ordnung. Einige Kollegen haben auf diesen Aspekt schon hingewiesen.Lassen Sie mich ein Weiteres anmerken. Die geistige Freiheit in unserem Lande, die Freiheit der Demokraten darf nicht angetastet werden. Die Trennungslinie zwischen Verfassungsfeinden und Demokraten muß fein säuberlich gezogen werden, nicht nur zur Abwehr der Verfassungsfeinde, sondern auch und vor allem zum Schutz der Demokraten. Ich habe Sorge, daß insbesondere die Diskussion um die innere Sicherheit und um die gegenüber Extremisten im öffentlichen Dienst die Unionsparteien vor eine harte Bewährungsprobe stellt. Wir als Sozialdemokraten können nur warnen vor dem Aufbau von Scheinalternativen wie: Freiheit oder demokratischer Sozialismus, Person oder Kollektiv. Wir warnen davor, den demokratischen Sozialismus als eine Unmöglichkeit abzutun, den demokratischen Sozialismus und den Kommunismus undifferenziert in einen Topf zu werfen und damit demokratische Sozialisten in eine Volksfront einzureihen. Der Herr Narjes hatte zwar keine Ahnung davon, was demokratischer Sozialismus ist, aber in seiner Naivität meinte er, hier wieder einmal eine Pflichtübung vollbringen zu müssen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Erhard?
Bitte!
Herr Kollege, könnten Sie uns deutlich machen, ob es in unserer Gesellschaft, in unserem Lande Erscheinungen gibt, die den sozialdemokratischen Parteivorstand veranlaßt haben, darauf hinzuwirken, daß Gemeinsamkeiten von Sozialdemokraten mit Kommunisten
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Erhard
nicht erwünscht sind, und warum das eigentlich notwendig war?
Doch, ich habe das mitbekommen. Ich will Ihnen ganz ungeschützt als ein alter Sozialdemokrat sagen: In einer Partei, die mehr Mitglieder hat als Sie — Sie wollen noch erst dahin kommen —,
die eine Million Mitglieder hat, hat es die Parteiführung ab und an durchaus nötig, jungen Mitgliedern zu sagen, daß Sozialdemokraten sich nicht dem listenreichen Vorgehen der Kommunisten anschließen. Viele meiner jungen Parteifreunde sind solchen Schlickefängern aus der kommunistischen Ecke auf den Leim gegangen, nicht deshalb, weil sie mit denen gemeinsam etwas zuwege bringen wollen, sondern deshalb, weil sie nicht erkannt haben, unter welchen Decknamen und Scheinorganisationen sogenannte demokratische Organisationen sich hinter dem kommunistischen Hintergrund verbergen.
Man kann auf Dauer nicht davon leben — ich sage das in Richtung auf die CDU/CSU —, daß man erstarrtes konservatives Denken mit einem Feindbild, grobgestrickt, gegenüber den Sozialdemokraten auszufüllen versucht. Die Diskussion bei uns ist notwendig, und wir alle, die Opposition ebenso wie die Regierungskoalition, sind in der Verantwortung.
) Aber es gilt bei der Diskussion dieser schwierigen Probleme und bei der Findung rechtsstaatlicher Lösungen die demokratisch-freiheitliche Substanz in der geistigen Auseinandersetzung unter den demokratischen Parteien zu wahren. Demokratie ist — ich wiederhole es mit Nachdruck — immer auch die Freiheit des Andersdenkenden. Wenn wir uns dazu gemeinsam bekennen können, auch bei der Diskussion dieser schwierigen Fragen, dann hätten wir eigentlich alle zusammen das richtige Verständnis von der viel strapazierten Solidarität der Demokraten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dürr.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute ist schon gesagt worden, daß die Thematik der Gesetze, die wir in erster Lesung behandeln, nicht zur parteipolitischen Profilierung geeignet ist. Das läßt sich an einem Beispiel beweisen. Die Bestimmungen zur Erweiterung der Tätigen Reue — ich sage es so, um das Wort „Kronzeuge" zu vermeiden —
sind vom ganzen Bundesrat einstimmig befürwortet worden. Herr Eyrich hat diesen Gedanken erwogen und Bedenken geäußert. Das ist für niemanden von uns ein Grund zur Schadenfreude, weder gegenüberdem Kollegen Eyrich, dem wir in guter rechtspolitischer Zusammenarbeit verbunden sind, noch gegenüber der Fraktion, der er angehört. Andererseits hat die Bundesregierung ein Gesetz beschlossen, das wortgleich von den beiden Koalitionsfraktionen eingebracht wurde, und Koalitionsabgeordnete haben die Bestimmungen im einzelnen erörtert und haben auch Bedenken geäußert. Dies ist hinwiederum ebensowenig ein Grund zur Schadenfreude für die Opposition, sondern für uns alle ein Ansporn, die Beratungen mit Gewissenhaftigkeit und nach besten Kräften zu führen, damit sie den besten Erfolg haben.Hier geht es auch nicht nur um rechtliche Grundsatzprobleme, sondern um Erwägungen der Wirksamkeit. Das Wort „Kosten-Nutzen-Analyse" ist mit Recht genannt worden. Sicher wird die Frage der Verteidigerüberwachung den Hauptteil unserer Ausschußberatungen einnehmen. Nur betrifft diese Verteidigerüberwachung zwei Punkte, und ich meine, daß wir in einem Punkt sehr bald einen Konsens erreichen werden. Es kann einfach nicht mehr länger hingenommen werden, daß in einer Art von Narrenfreiheit Beschuldigte einfach dadurch, daß sie auf einen Briefumschlag „Verteidigerpost" schreiben, ihren Verteidigern pfund- und kiloweise Dinge zusenden, die mit der Vorbereitung einer Hauptverhandlung wenig, mit der Fortführung einer kriminellen Organisation jedoch viel zu tun haben. Das gilt auch für das, was unter dem Etikettenschwindel sogenannter Verteidigerpost von sogenannten Rechtsanwälten an die in der Zelle Inhaftierten zurückkommt. Gegen diese Überwachung, oder ich will sagen: gegen den nötigen Stopp dieses Mißbrauchs der Verteidigerpost haben wir heute, wenn ich recht gehört habe, kein einziges Wort und darüber also keinerlei Meinungsverschiedenheit gehört. Nur: wenn wir in diesem Punkte einig sind,
geraten wir natürlich in einen Denkzwang hinein, welches Schlupfloch die Terroristen, deren kriminelle Energie unbestritten und deren Intelligenz leider auch unbestreitbar ist, dann suchen werden, und was dann geschehen soll.„Sechs Monate habt Ihr dazu gebraucht", sagte der Herr Kollege Erhard gerade in Form eines Zwischenrufs. Es ist eine Vereinfachung — ich will höflich sein und nicht sagen:eine schreckliche Vereinfachung — , wenn Sie sagen: Wir sind schon immer für die Verteidigerüberwachung gewesen. Der Unterschied liegt darin, daß wir im Dezember gesagt haben: Verteidigerausschluß, wenn der Verteidiger dringend verdächtig ist, mit dem in Haft Befindlichen zu konspirieren, während Sie im Dezember sagten: Verteidigerüberwachung, wenn der Anwalt normal verdächtig ist, mit dem Inhaftierten zu konspirieren. Wir sagten: Dieser kleine Unterschied macht — ich sage es auf schwäbisch — das Kraut nicht fett. Heute sieht es anders aus. In den Vorschlägen, die uns vorliegen, geht man nicht von dem Verteidiger — sei er nun überhaupt nicht, normal oder dringend verdächtig —, sondern von dem inhaftierten Beschuldigten
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Dürrund dessen Tätigkeit in der Absicht, eine kriminelle Vereinigung fortzuführen, aus. Dies ist der Unterschied zwischen der Position vom Dezember und der Position von heute.
— Bitte sehr, Herr Kollege Erhard!
Herr Kollege Dürr, können Sie uns bestätigen, daß ich nach der Anhörung der Sachverständigen im Rechtsausschuß ausdrücklich die Frage gestellt habe, ob die Möglichkeit bestehe, die Überwachung auf den schriftlichen Verkehr zwischen dem Betroffenen und seinem Verteidiger zu beschränken, daß die Sachverständigen dies bejaht haben und daß Sie von der Koalition es trotzdem nicht gewollt haben?
Das müßte ich im Protokoll über die Sachverständigenanhörung von damals genau nachlesen.
Ich weiß allerdings — ich habe mir den Text vorsichtshalber mit auf das Pult genommen —, daß ich selber am Mittwoch, dem 18. Dezember 1974 in der 138. Sitzung gesagt habe:
Über die Frage, was die Überwachung jetzt noch neben der Ausschließung zu suchen hat und wie eine Überwachung überhaupt praktikabel sein kann — wenn sie rechtsstaatlich zulässig ist —, werden wir uns noch im nächsten Jahr im Rechtsausschuß zu unterhalten haben.
Das tun wir im Jahre 1975.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem Begriff „Verfahrenssabotage" sagen. Warum stößt dieser Tatbestand auf so entschiedene Ablehnung der Koalition? Entschuldigen Sie, wenn ich ein Bild gebrauche: Mit der Verfahrenssabotage ist es wie mit der Behauptung, Schüler Meier störe den Unterricht. Beide Tatbestände gibt es; es gibt die Verfahrenssabotage, und es gibt auch Schüler, die den Unterricht stören. In beiden Fällen gibt es aber — ich habe Ihnen im Dezember empfohlen, ein Preisausschreiben zu veranstalten; das hatte aber, glaube ich, keinen Erfolg — keine brauchbare Abgrenzung. Es gibt keine Abgrenzung, wo — ich bleibe bei dem Vergleich — das bohrende, kritische, aber zulässige Fragen eines Schülers aufhört und wo das Stören des Unterrichts anfängt.
Wenn die Anordnung des Lehrers wegen Störung des Unterrichts justitiabel wäre und der Herr Abgeordnete Kunz in dieser Sache Grundsatzentscheidungen treffen müßte, möchte ich einmal wissen, wo er die Grenze zwischen Erlaubtem und
Störung zöge. Ich sehe einem Artikel von Ihnen in juristischen oder kulturpolitischen Fachzeitschriften über dieses bedeutende Thema mit Fassung entgegen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Eyrich?
Nein, ich möchte mit meinen Ausführungen zum Ende kommen.Sämtliche Vorschläge, die gemacht wurden, sind keine Wunderwaffe. Das braucht nicht den Mitgliedern des Rechts- und des Strafrechtsausschusses, muß aber weiten Teilen der Öffentlichkeit gesagt werden. Denken Sie doch nur daran, daß der inzwischen nach Aden ausgeflogene Terrorist Pohle das Tonband mit seinem Interview nicht über einen Anwalt, sondern über einen entlassenen Strafgefangenen aus der Anstalt hinausschmuggeln ließ. Ich nenne dieses Beispiel nur, um bei niemandem die Hoffnung zu erwecken, wir könnten durch Gesetz alle Schlupflöcher schließen. Herr Eyrich, Sie schütteln den Kopf. Ihnen sage ich damit keine Neuigkeit. Wenn Sie aber einmal die Diskussion in Versammlungen verfolgen und manche Leserbriefe lesen, werden Sie wie ich den Eindruck haben, daß es Leute gibt, die den Gesetzgeber unbedingt zum stets wirksamen juristischen Pannenhilfsdienst in jedem Falle machen wollen und von uns verlangen, daß dann alles hundertprozentig klappt. Wir sagen am besten öffentlich, daß wir dies bei größter gemeinsamer Anstrengung nicht schaffen.
Wir sagen am besten: Wir tun alles Erforderliche, aber nicht mehr als das unbedingt Nötige, erstens, weil es der Rechtsstaat so verlangt, zweitens, weil man das Nötige auch den mitdenkenden Bürgern am besten verständlich machen kann, und drittens, weil jedes Übermaß schadet und eher Sympathisanten schafft.Die dritte Bemerkung will ich beweisen. Warum ist das so? Das Axiom der Terroristen und ihrer Sympathisanten ist doch, dieser Staat sei miserabel und werde immer miserabler, weshalb man ihn bekämpfen müsse. Er und seine Repräsentanten seien nicht mehr verbesserungsfähig. Vor Leuten, die ein wenig der Meinung anhängen, dieser Staat könne miserabel sein und immer miserabler werden, die also für Sympathisanten anfällig sein können, muß man die Ergüsse des Abgeordneten Spranger möglichst geheimhalten, weil diese Selbstgerechtigkeit einfachsten Geistes, übergossen mit demagogischer Soße, sie in ihren Verdächten einigermaßen bestätigen könnte. Diese Rede war der beste Beweis, wie man es nicht machen soll. Oder glaubt jemand, daß sich kritische, aber gutwillige Menschen mit Herrn Sprangers Äußerungen identifizieren können?Meine Damen und Herren, ich wiederhole, was schon gesagt wurde, aber mit Deutlichkeit unterstri-
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Dürrchen werden muß: Wir werden uns in der Anstrengung, die wirksamste Möglichkeit und die wirksamsten Bestimmungen zu finden und durchzusetzen, von niemandem übertreffen lassen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kunz .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat vor einiger Zeit in diesem Hohen Hause erklärt, daß wir bei der Verteidigung des Rechtsstaates bis an die Grenze des Zulässigen gehen müßten. Ich stimme dem zu. Ich glaube, dies ist der Maßstab und dies ist zugleich der Inhalt dieser Debatte.Herr Kollege Kleinert und Herr Kollege Engelhard, ich habe hier vernommen, daß Sie oder sogar Ihre gesamte Fraktion völlig andere Schlußfolgerungen ziehen, als immerhin, wenn auch unzureichend, in dem von Herrn Bundesminister Vogel vorgelegten Regierungsentwurf zu finden sind. Diese Differenzen sind hochinteressant.
Sie zeigen, daß es leider die berühmte Solidarität der Demokraten nicht einmal innerhalb der Koalition, die ständig von diesem Begriff und von der Notwendigkeit dieser Solidarität spricht, gibt.
Es gibt z. B. erhebliche Unterschiede zwischen dem, was Herr Gnädinger und Herr Dürr auf der einen Seite bzw. Herr Kleinert und insbesondere Sie, Herr Engelhard, auf der anderen Seite gesagt haben. Ich habe bei Ihnen, Herr Engelhard, den Eindruck, daß Sie den Zweifel nicht nur als Erkenntnisprinzip für richtig halten — das tun wir wohl alle —, sondern daß Sie den Zweifel in völliger Verkennung des Begriffes „liberal" geradezu zum Lebensprinzip erheben und vor lauter Zweifeln die Frage, was zur Verteidigung des Rechtsstaates notwendig ist, überhaupt nicht mehr beantworten können.
Von daher gesehen muß man, glaube ich, bei Ihrer Kosten-Nutzen-Analyse — ich bin durchaus für diesen methodischen Begriff des Herangehens — einmal fragen: Wie weit kann der Zweifel legitimerweise gehen oder, anders gefragt, wo nutzt die Verewigung des Zweifels gerade denjenigen, die den Rechtsstaat kaputtmachen wollen?Wir haben mit der Fülle der Vorschläge, die wir im letzten Jahr, darf ich sagen, hier im Hause eingebracht haben, lediglich das Ziel verfolgt, der Herausforderung des Rechtsstaates zu begegnen, einer Herausforderung, die durch Aktionen der Terroristen so gravierend geworden ist, daß das Vertrauen breiter Bevölkerungskreise in die Funktionsfähigkeit unseres sozialen Rechtsstaats teilweise in geradezu erschütternder Weise zurückgegangen ist. Wie kann ein Rechtsstaat funktionieren, wenn einer solchen Entwicklung nicht durch überzeugende Antworten auf Aktionen der Feinde der Demokratie begegnet wird? Ich fürchte, daß bereits sehr viel von der Idee und der Funktionsfähigkeit des Rechtsstaates kaputtgegangen sein könnte.Notwendig sind nach Auffassung der Fraktion der CDU/CSU zwei Dinge. Notwendig ist zum einen, daß wir uns konkret mit der Frage befassen, ob weitere Ausschlußregelungen erforderlich sind. Herr Kollege Engelhard, ich stimme in einem mit Ihnen überein: ich weiß mich mit Ihnen darin einig, daß es schwierig ist, hier die richtigen Begriffe zu finden. Herr Kollege Kleinert, ich räume Ihnen gegenüber ein, daß man mit dem Begriff „Rechtswidrigkeit" vielleicht nur unzureichend von unserem Wollen her gesehen weiterkommen kann. Unser Begriff von der „Rechtswidrigkeit der Mittel zur Verfahrenssabotage" — ich darf diesen schlagwortartigen Begriff hier einmal benutzen — war ohnehin immer so zu verstehen, daß derjenige rechtswidrig handelt, der an und für sich zulässige Mittel in völliger Verkennung ihres Sinnes ins Gegenteil verkehrt und eine Art Begünstigung im Straßprozeß institutionalisiert. Mit welchem Recht kann man eigentlich jemanden, der Begünstigung betreibt, bestrafen, wenn bestimmten, einzelnen Anwälten erlaubt wird, eine Art strafprozessualer Dauerbegünstigung zu betreiben?Um hier eine entscheidende Schranke einzuführen, bitte ich Sie fernab jeder Polemik, dabei mitzuwirken, daß wir die Begrifflichkeit verbessern können. Wir räumen ein, daß es sehr schwierig ist, hier die richtige Begrifflichkeit zu finden.
— Herr Kollege Kleinert, wir haben uns über dieses Problem im Rechtsausschuß sehr, sehr oft unterhalten. Ich freue mich auf weitere Unterhaltungen. Nur kommen Sie mir nicht mehr damit, daß Sie sagen: Dieser Begriff muß hier so und jener so verstanden werden. Im Ergebnis wollen Sie beides nicht, und wer beides nicht will, kann nicht sagen: irgendein Begriff stimmt nicht. Wer so argumentiert, bei dem stimmt die ganze Logik nicht mehr.
Deshalb ist es unvermeidlich, mit etwas mehr Herzhaftigkeit an das schwierige Problem heranzugehen, nämlich zuerst einmal zu fragen: Will man dies überhaupt? Ich sage — Frau Präsidentin, erlauben Sie mir, dies hier zu bekräftigen —: Gerade im Hinblick auf das, was sich im Baader-Meinhof-Prozeß bisher ergeben hat und sich weiter ergeben könnte,
ist es unvermeidlich, diesen Anwälten, die Strafprozesse zu politischen Szenarien umstilisieren wollen, das Handwerk zu legen.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Eyrich?
Bitte, Herr Kollege!
Herr Kollege Kunz, ich wollte vorhin schon unseren Herrn Kollegen Dürr fragen; ich frage jetzt Sie: Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß Fälle, in denen der Bürger tagtäglich sehen muß, wie Prozesse zu Dingen mißbraucht werden, die auch Sie soeben angesprochen haben, geeignet sind, das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit unserer Justiz bei den Bürgern zu erschüttern?
Herr Kollege Eyrich, ich muß sagen, daß ich in Diskussionen, die ich ständig führen konnte, immer wieder mit einer solchen Situation konfrontiert wurde. Ich sehe die große Gefahr, daß der Verlust des Vertrauens in die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege in unserem Staat, wenn jetzt nicht gehandelt wird, so erheblich sein könnte, daß wir irgendwann viel drastischere Mittel, die niemand hier im Hause wünschen kann, anwenden müßten.
Ich möchte zum Begriff der Verfahrenssabotage im besonderen an Ihre Adresse, Herr Kollege Kleinert, noch einmal die Frage richten: Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß wir ein Instrument schaffen müssen, um der Demontage des liberalen Strafprozesses — diesen Begriff verwende auch ich — entgegenzuwirken? Ich muß einfach sagen: Wenn die ganzen Rechtsmittel mit einem völlig anderen Sinngehalt in Anspruch genommen werden, hat das für mich mit den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege nichts mehr zu tun. Deswegen werden wir uns darüber zu unterhalten haben, wie, mit welcher Verhältnismäßigkeit, mit welchen begleitenden Maßnahmen — vielleicht gibt es noch andere Mittel — wir helfen können.
Ich möchte noch kurz ein paar Bemerkungen zu einem zweiten Problem machen, nämlich zur Verteidigerüberwachung. Herr Kollege Engelhard, wenn ich Sie richtig verstehe, sind Sie der Auffassung, daß wir geradezu von der Lust erfüllt gewesen sind, umfassende und in jedem Fall in den Kern der Verteidigung eingreifende Überwachungsvorschriften zu schaffen. Dies ist bei niemandem der Fall. Ich darf sagen: Bitte, gehen Sie davon aus, daß jeder, der sich ein bißchen mit den Problemen der Verteidigerüberwachung befaßt, sehr ungern ein solches Instrument einführt. Die Frage ist nur: Muß man es tun? Ich glaube: ja. Man muß es tun, um jenen vereinzelten Anwälten — um die handelt es sich — entgegenzuwirken, die das beste Informationssystem, das es in 'der letzten Zeit gab, aus der Mitte unserer Haftanstalten 'heraus entwickelt haben.
Es ist tatsächlich so, daß diese Kommunikationssysteme aus den Haftanstalten heraus in bezug auf ihre Präzision von kaum einem herkömmlichen Informationssystem erreicht wurden: gemeinsam hat der Hungerstreik begonnen, gemeinsam hat das Fitnessprogramm zur Fitmachung der Hungerstreikenden wieder eingesetzt, gemeinsam wurde mit dem Fitnessprogramm aufgehört, gemeinsam wurde der Hungerstreik beendet, igemeinsam sollte ein Durststreik beginnen. Dort zeigen sich die im Kern totalitären Ansätze dieser Betroffenen besonders deutlich; es zeigt sich nämlich, mit welch infamen Mitteln der Staat erpreßt werden soll. Dies alles zeigt doch: Hier muß etwas geschehen.
Ausschluß und Überwachung sind zwei verschiedenartige Instrumente. Der Ausschluß greift vielfach nicht durch. Täte er dies, brauchte man die Überwachung in der Tat nicht. Aber vereinzelte Verteidiger benutzen doch 'die Haftanstalten als einen natürlichen Ort der Konspiration. So weit ist es doch gekommen. Wenn diese Konspiration sich in diesen bestimmten Fällen in den Haftanstalten abspielt, muß man doch etwas schaffen, um dort eingreifen zu können. Deshalb wird die Ausschlußregelung allein — ich glaube, daß ich hier den Herrn Generalbundesanwalt Buback in Anspruch nehmen kann — kein zureichendes Instrument sein.
Ich kann auch nicht verstehen, warum die Anwaltschaft sagt: Diese ganze Regelung diskriminiert uns.
— Sie tut es nicht. Wie kann ich denn diskriminiert sein, wenn einige schwarze Schafe innerhalb meiner Berufsvereinigung heraus sollen? Dies ist doch keine Diskriminierung, sondern dies ist die Wiederherstellung der grundlegenden Spielregeln, die für einen bestimmten Berufsstand in sich selbstverständlich sind.
— Auch bei der Überwachung; dies mag der Unterschied zwischen Ihnen und mir sein. Sie — und mit Ihnen auch andere Anwälte — können doch nicht etwas als Diskriminierung ansehen, was nur dazu dient, jene auszuschließen, die elementar die Grundsätze, die den Kern der freien Advokatur in ihrem verpflichtenden Gehalt ausmachen, durchbrechen, und zwar so, daß im Grunde der ganze Berufsstand in breiten Teilen der Öffentlichkeit in gefährlichen Mißkredit gerät.
Ich muß sagen, ich bin besorgt darüber, wie in bestimmten Teilen unserer Bevölkerung die Reputation des Berufsstand des Anwalts gelitten hat, und zwar wegen dieser vereinzelten Elemente, die glauben, ihr eigenes Unrecht zum künftigen Recht unserer Ordnung erheben zu können. Deshalb beharren wir auf diesen Vorschriften. Wir sind nicht auf Einzelheiten derart festgelegt, daß man nicht darüber reden kann. Wir sind offen. Was uns bewegt, ist die Funktionstüchtigkeit unserer Rechtspflege und das Vertrauen der breiten Bevölkerung in den demokratischen Rechtsstaat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wendig.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Furchtbar viel ist
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Dr. Wendigzu diesem Thema, so fürchte ich beinahe, heute nicht mehr zu sagen, weil mehr oder weniger alle Argumente rechtspolitischer wie anderer Natur schon in extenso ausgebreitet worden sind. Das Fatale — und deshalb darf ich vielleicht bitten, das als eine gewisse Zusammenfassung zu werten — unserer innenpolitischen und damit auch sicherheitspolitischen Situation ist doch, ,daß alles, was man anpackt und aufgreift, seitens der Opposition aus — und das muß ich hier so sagen — grundsätzlich extremen Positionen heraus gedeutet wird. Es werden dann Probleme weltanschaulich vertieft und damit dogmatisch wie ideologisch verhärtet. Darum ist es so schwer, eine natürliche Betrachtungsweise auch dann noch als natürlichen und nützlichen Beitrag zur Lösung eines Problems zu werten, wenn sie den eigenen Vorstellungen nicht oder nicht ganz entspricht.Ich richte diese Bemerkung, meine Damen und Herren, an die Opposition, die keine Gelegenheit vorübergehen läßt, das Bild eines in der Abwehr innerer Feinde zögernden, unschlüssigen und damit im Ergebnis unzuverlässigen Staates sozusagen schwarz in schwarz an die Wand zu malen. Herr Kollege Kunz — er ist nicht mehr da —, hat gesagt, daß der Bürger diese Fragen stelle. Natürlich stellt er diese Fragen! Aber es ist doch für einen politisch Verantwortlichen auch die Frage, wie er darauf reagiert, wie er dem Bürger auf der Grundlage der von uns vertretenen rechtsstaatlichen Ordnung klarzumachen versucht, was im Rahmen unseres Rechtsstaates zu tun und was zu lassen ist.Die Entwürfe der Bundesregierung — und damit komme ich zu den vorliegenden Entwürfen zur Novellierung bestimmter Vorschriften des Strafrechts und des Strafprozeßrechts, auf die ich im einzelnen nicht eingehen will — bieten im Grunde eine im großen und ganzen ausgewogene Lösung. Sie orientieren sich am Notwendigen, ohne dabei die Prinzipien der rechtsstaatlichen Ordnung, die es schließlich zu verteidigen und zu schützen gilt, aus dem Auge zu verlieren. Diese Position des Regierungsentwurfs ist nach meiner Auffassung die wirklich sachgerechte Antwort auf die uns gestellten Probleme. Die Entwürfe sollen nicht mehr erfassen, als unbedingt notwendig ist, um die neuartigen Formen eines kriminellen, wenn auch politisch motivierten Terrorismus als kriminellen Sachverhalt besser als bisher in den Griff zu bekommen; und das ist doch das Problem.Das bedeutet eine Verschärfung geltender Vorschriften, aber nur in dem begrenzten Maße, wie es nach dem heutigen Stand unserer Erkenntnis notwendig ist, aber nicht mehr. Und das ist gut so. Ich kann eine extreme Situation, die wir teilweise haben, nicht dazu benutzen, mit dem größten Kaliber zu schießen und Eingriffe und Einschränkungen auch dort möglich zu machen, wo schützenswerte Bereiche nicht bedroht erscheinen. Ich möchte die Aussage meines Fraktionskollegen Engelhard noch einmal ganz bewußt unterstreichen, daß wir nicht pingelig genug mit dem Rechtsstaat auch in diesen Fragen sein können.
Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, sind bestehende Rechtsvorschriften innerhalb des rechtsstaatlich Gebotenen noch kein Dogma, dessen Wert sich schon aus seiner bloßen Existenz ergibt. Was meine ich damit? Allen, die davor warnen, daß der Gesetzgeber auf neue Sachverhalte sofort und dann vielleicht zu hektisch reagiert, möchte ich den Pragmatismus der hier schon einmal in anderem Zusammenhang genannten, aber nicht unverdächtigen Angelsachsen entgegenhalten, die es in ihrem Rechtssystem als das Natürlichste der Welt empfinden, wenn der Gesetzgeber neue Sachverhalte zum Anlaß nimmt, bestehende Normen auf ihren Sinngehalt und auch auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen.
Ist eine solche Abwägung aber nun — wenn ich das eine wie auch das andere genannt habe; und das habe ich ganz bewußt getan — ein bloßes „Sowohl-Als-auch" oder ein „ja, aber"?Wir alle sollten es uns mit den angestrebten Regelungen nicht zu leicht machen. Wir sollten ein Abwägen nach allen Seiten — und davor warne ich — nicht als nicht heiß oder nicht kalt, also als lau bewerten. Denn vielleicht liegt bei der Abwägung möglicherweise gerade in der Mitte der richtige Weg, die richtige Entscheidung. Deswegen betone ich, daß wir dem Entwurf der Bundesregierung aufgeschlossen gegenüberstehen.
Es gibt da einige kritische Anmerkungen im Detail, die schon genannt wurden und die ich nicht im einzelnen wiederholen möchte.Das Institut des Kronzeugen z. B. — davon war sehr lange die Rede; ich will hier nichts wiederholen — scheint mir nur schwer in unser Rechtssystem zu passen. Auch über die Frage des Anknüpfungspunktes — Angeklagter oder Verteidiger — bei der Überwachung wird man sicherlich in den Ausschüssen noch im einzelnen reden müssen. Dazu sind wir alle bereit. Das wollen wir tun. Das ändert aber nichts an unserer grundsätzlichen Einstellung zu dieser Frage. Das ist jedoch kein Anlaß, auf das berechtigte Sicherheitsbedürfnis — —
Bitte!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Herr Kollege, könnten Sie, wenn Sie hier so voller Bedenken das, was der Gesetzentwurf enthält, darstellen, uns auch erläutern, aus welchem Grunde dieser Ent-
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Erhard
wurf auch die Unterschrift „Mischnick und Fraktion" trägt? Gehe ich fehl in der Annahme, daß Sie dieser FDP-Fraktion angehören?
Sie gehen nicht fehl in der Annahme, daß ich dieser Fraktion angehöre.
Herr Kollege, ich weiß aber nicht, wie Sie zu der Feststellung kommen, daß ich diesem Entwurf so voller Bedenken gegenüberstehe.
Im Gegenteil, ich habe ganz deutlich gesagt, daß wir diesem Entwurf positiv gegenüberstehen,
aber angemerkt, daß es bestimmte Gebiete geben mag — und das haben nicht nur Kollegen meiner Fraktion, sondern aller Fraktionen gesagt —, die wir in der Beratung ganz klar bedenken müssen.
Da habe ich zwei Beispiele genannt. Das ändert doch nichts daran, daß ich dieser Fraktion angehöre. Das war eine rhetorische Frage. Die mag Ihnen geschenkt sein. Ich habe ferner gesagt, daß ich diesen Entwurf natürlich im Prinzip unterstütze. Deswegen verstehe ich Ihre Frage nicht recht.
Es besteht daher kein Anlaß, auf das berechtigte Sicherheitsbedürfnis des Bürgers — und das möchte ich hier noch einmal sagen — mit Emotionen zu reagieren, wie Sie es — das muß ich bei Ihrem Beitrag sagen — dann bei Ihren Begründungen immer wieder und allzu leicht tun.
So nützlich Grundsatzdebatten sind — wer wollte das bei der Bedeutung dieses Themas bestreiten —, muß es doch möglich sein, solche Themen, wie sie heute anstehen, an denen unsere Bürger draußen im Lande ein überragendes Interesse haben, mit einem Höchstmaß an beharrlicher Nüchternheit und Sachlichkeit einer Lösung näherzubringen. Darum geht es vorrangig. Es darf nichts geben, was uns bei der Beratung von diesem Wege abbringen könnte, meine Damen und Herren.
Nur unter diesen Voraussetzungen — das haben im Grunde genommen alle gesagt, und deswegen möchte ich den Versuch machen, dies zusammenfassend zu werten — sollten wir in aller Besonnenheit und Nüchternheit an die Beratung dieses Entwurfs in den zuständigen Ausschüssen herangehen. Dabei möchte ich noch einmal sagen — für den Fall, daß es zweifelhaft gewesen sein sollte —: Die Tendenz des Regierungsentwurfs ist nicht nur richtig, sondern sie stellt in der Abwägung von der einen oder anderen Seite — ich habe versucht, es aufzuzeigen — genau den Weg dar, auf dem mit den gebotenen Mitteln eine Lösung möglich ist.
Meine Damen und Herren, eine perfekte Lösung, eine lex perfecta, werden Sie in keinem Bereich unseres Lebens erzielen können,
auch auf diesem nicht. Wir sollten uns davor hüten,
anzunehmen, wir könnten hier oder woanders eine
Lösung finden, die allen Problemen sozusagen von vornherein und für alle Zukunft gerecht wird. Aber dieser Entwurf ist richtig, und dazu stehen wir.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Debatte.
Der Ältestenrat hat Ihnen die Überweisungsvorschläge für die Gesetzentwürfe, die unter den Tagesordnungspunkten 4, 5, 6 und 7 behandelt wurden, vorgelegt. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 27. November 1963 zur Vereinheitlichung gewisser Begriffe des materiellen Rechts der Erfindungspatente, dem Vertrag vom 19. Juni 1970 über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens und dem Übereinkommen vom 5. Oktober 1973 über die Erteilung europäischer Patente
— Drucksache 7/3712 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Das Wort zur Begründung hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. de With.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Entwurf eines Gesetzes über internationale Patentübereinkommen wird Ihnen das Ergebnis langjähriger intensiver Verhandlungen zur Beratung vorgelegt, dessen Bedeutung für Wirtschaft und Wettbewerb, für die Verbreitung des technischen Wissens und für die politische Weiterentwicklung zu einem einheitlichen Europa als sehr wesentlich angesehen werden muß.In einer Zeit wachsender gegenseitiger wirtschaftlicher Abhängigkeit und zunehmender Verflechtung der Märkte liegt es auf der Hand, daß das gegenwärtige System des territorial auf den einzelnen Staat beschränkten Patentschutzes bei unterschiedlichen Voraussetzungen für die Erteilung eines Patents nicht geeignet sein kann, Erfindern und Wirtschaft einen den heutigen Erfordernissen angemessenen Schutz zu gewährleisten und damit einen hinreichenden Anreiz für Erfindungsgeist und Fortschritt zu bieten.Wie schon auf anderen Gebieten ist es auch hier zunächst der Aktivität des Europarats zu verdanken, daß diese Zusammenhänge schon sehr früh erkannt worden sind und nunmehr mit dem Straßburger Patentübereinkommen eine weitgehende Vereinheitlichung des materiellen Patentrechts in den Mitgliedstaaten des Europarats erreicht werden kann. Wenn auch das Straßburger Patentübereinkommen
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Parl. Staatssekretär Dr. de Withzunächst nur auf die Harmonisierung der nationalen Patentrechte ausgerichtet ist, so klingt doch bereits in seiner Präambel die Absicht der Unterzeichnerstaaten an, gemeinsam ein internationales Patent zu schaffen. Der Europarat und ihm nachfolgend die Staaten der Europäischen Gemeinschaften haben damit eine Zusammenarbeit in die Wege geleitet, die bisher einzigartig nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt ist und mit dem Europäischen Patentübereinkommen zu einem Vertragswerk geführt hat, das für das Spezialgebiet des Patentrechts neben die Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaften gestellt werden kann. Damit ist es im Bereich des Patentrechts erstmalig gelungen, unter Mitarbeit von 21 Staaten von Finnland bis Jugoslawien, von denen 16 das Übereinkommen bereits unterzeichnet haben, ein europäisches Rechtssystem zu schaffen, das seine Mitgliedstaaten künftig durch ein einheitliches europäisches Patentrecht und eine gemeinsame Organisation eng miteinander verbinden wird.Diesem politischen Aspekt steht die wirtschaftliche Bedeutung des Europäischen Patentübereinkommens nicht nach. Bereits nach dem gegenwärtigen Stand der Unterzeichnung durch 16 europäische Staaten wird das Übereinkommen für einen Wirtschaftsraum von mehr als 290 Millionen Menschen gelten. Schon dies macht deutlich, welche außerordentlichen Vorteile das europäische Patent bieten wird. Die Erfinder, die heute noch in jedem der 16 Unterzeichnerstaaten gesonderte Patentanmeldungen für dieselbe Erfindung in verschiedenen Sprachen und unter Berücksichtigung unterschiedlicher Anmeldebestimmungen einreichen müssen, können nach dem Europäischen Patentübereinkommen auf Grund nur einer Anmeldung in einem einzigen Verfahren vor dem Europäischen Patentamt ein Patent unter einheitlichen Voraussetzungen und mit Wirkung für den gesamten Bereich der Mitgliedstaaten erlangen. Für diese Staaten wird ein Bleichlautendes Patent erteilt, das in seinen Wirkungen und in seinem Bestand zwar dem jeweiligen nationalen Recht, wegen der zugleich wirksam werdenden Vereinheitlichung der Voraussetzungen für die Gültigkeit des Patents praktisch aber doch schon weitgehend den gleichen Bedingungen unterliegen wird. Diesem Vorteil auf der Seite der Erfinder steht ein Gewinn der öffentlichen Verwaltungen der Mitgliedstaaten gegenüber, da durch den Wegfall der Prüfung der gleichen Erfindung in allen Mitgliedstaaten die nationalen Patentbehörden entlastet und auf lange Sicht eines Tages vielleicht ganz entbehrlich werden.Aber auch für den Wettbewerber des Patentinhabers wird die Lage erleichtert. Künftig wird er sich in allen Mitgliedstaaten nur noch mit einem einzigen europäischen Patent und nicht mehr mit einer Vielzahl unterschiedlicher nationaler Patente für dieselbe Erfindung auseinandersetzen müssen.Das Europäische Patentübereinkommen wird außerdem eine entscheidende Rolle für die Verbreitung des technischen Wissens spielen. Schon jetzt fördert das Patentrecht wie kaum ein anderes Rechtsgebiet die Verbreitung technologischen Wissens, da alle Patentanmeldungen nach 18 Monaten veröffentlicht werden. Diese wohl einzigartige Quelle technischer Information wird unter der Geltung des europäischen Patenterteilungsverfahrens noch größere Bedeutung erlangen, weil das Europäische Patentamt alle wichtigen Erfindungen in den am meisten verbreiteten Sprachen in Europa zentral veröffentlichen wird.Für die Bundesrepublik Deutschland hat das Europäische Patentübereinkommen über die allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Aspekte hinaus eine besondere Bedeutung: Das Übereinkommen ist in 14jährigen Verhandlungen, die von Anfang an unter deutschem Vorsitz standen, vorbereitet worden. Die Arbeit des Vorsitzenden, nämlich des Präsidenten des Deutschen Patentamtes, Herrn Dr. Haertel, verdient hier besonders erwähnt zu werden. Das Übereinkommen ist dann im Oktober 1973 nach einer Diplomatischen Konferenz unter der Präsidentschaft des damaligen Bundesministers der Justiz, Gerhard Jahn, in München unterzeichnet worden. Art. 6 des Übereinkommens sieht auf Grund einer einstimmigen Entscheidung der beteiligten 21 Staaten die Errichtung eines Europäischen Patentamts in München vor. Für diese Entscheidung zugunsten der Bundesrepublik Deutschland sind wir unseren Vertragspartnern, die ihr Votum für München abgegeben haben, zu besonderem Dank verpflichtet. Ich möchte in diesem Zusammenhang aber auch all denen danken, die sich für die Bundesrepublik Deutschland um diese Entscheidung bemüht und verdient gemacht haben, nicht zuletzt dem Freistaat Bayern und der Landeshauptstadt München,
die Wesentliches dazu beigetragen haben, daß München in der so schwierigen Auseinandersetzung über die Sitzfrage, in der wir mit Den Haag und London ernst zu nehmende Konkurrenten hatten, schließlich doch die Oberhand behalten hat.Mit dem Europäischen Patentamt in München wird erstmals eine große internationale Behörde ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland nehmen, die erste wirklich bedeutende internationale Behörde, die einen erheblichen Publikumsverkehr aus aller Welt haben wird. Gleichzeitig erhält die Bundesrepublik Deutschland mit dem Europäischen Patentamt ein technologisches Zentrum, das bisher in der Welt einzigartig sein wird.Mit welcher Dynamik und mit welchem wechselseitigen Vertrauen in die Qualität der Arbeiten der nationalen Patentbehörden die internationalen Verhandlungen auf dem Gebiet des Patentrechts in den vergangenen Jahren geführt wurden, zeigt auch der im Jahre 1970 unterzeichnete weltweite Patentzusammenarbeitsvertrag, der u. a. von allen bedeutenden Industriestaaten, einschließlich der USA, der Sowjetunion und Japan, unterzeichnet und in der Zwischenzeit sogar schon von einigen Entwicklungsländern ratifiziert worden ist.Nach diesem Vertrag kann der Anmelder durch die Einreichung einer einzigen Anmeldung in seinem Heimatland in allen von ihm benannten Mit-
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Parl. Staatssekretär Dr. de Withgliedstaaten ein Patenterteilungsverfahren einleiten. Seine Anmeldung hat in diesen Staaten gleichzeitig die Wirkung einer nationalen Anmeldung. Eine in der Bundesrepublik Deutschland eingereichte internationale Anmeldung kann also mit ihrer Einreichung beim Deutschen Patentamt gleichzeitig die Wirkung einer amerikanischen und einer sowjetischen Anmeldung haben. Daß dies in einer Welt des Mißtrauens zwischen den Machtblöcken auch unter politischen Gesichtspunkten Beachtung verdient, brauche ich nicht besonders hervorzuheben.Das Europäische Patentübereinkommen stellt erst das Fundament für das Gesamtgebäude des künftigen europäischen Patentrechts dar. Im November und Dezember dieses Jahres wollen sich — hierauf aufbauend — die neun Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften zu einer engeren Gemeinschaft zusammenschließen und das mit dem Europäischen Patentübereinkommen begonnene Werk für den Bereich des Gemeinsamen Marktes nach ihren Bedürfnissen weiterentwickeln: Die nach dem Europäischen Patentübereinkommen vom Europäischen Patentamt erteilten europäischen Patente, die in den einzelnen Mitgliedstaaten die Wirkung nationaler Patente haben, sollen in einem gesonderten Übereinkommen für den Gemeinsamen Markt zu grundsätzlich einheitlichen, unteilbaren Gemeinschaftspatenten zusammengefaßt werden, für die ein eigenes, vollständiges Gemeinschaftsrecht gelten soll. Da dieses geplante Übereinkommen in die Gesamtpolitik der Europäischen Gemeinschaften eingebettet ist, war es vor dem Referendum in Großbritannien nicht möglich, die Arbeiten an dem Übereinkommen abzuschließen und das Übereinkommen schon jetzt vorzulegen. Nach ihrem Abschluß wird die Bundesregierung das Ratifikationsverfahren zu diesem Übereinkommen so schnell wie möglich einleiten.Das jetzt in der Bundesrepublik Deutschland eingeleitete Gesetzgebungsverfahren wird angesichts der grundlegenden Bedeutung der europäischen Patentübereinkommen und im Hinblick auf die Entscheidung über den Sitz des Europäischen Patentamtes in der Bundesrepublik Deutschland von vielen europäischen Staaten besonders verfolgt werden und somit — man kann das wohl sagen — eine gewisse Signalwirkung haben.Ich darf Sie bitten, mit Ihrer Zustimmung zu dem internationalen Übereinkommen und der Verabschiedung des Gesetzes über internationale Patentübereinkommen dieses europäische Signal so schnell wir möglich zu setzen.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wittmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Namens der Fraktion der CDU/CSU möchte ich erklären, daß wir es außerordentlich begrüßen, daß dieses europäische Übereinkommen nach langjährigen Vorarbeiten vorgelegt worden ist. Es ist ein Stück praktischen Werdens Europas, und zwar ein sichtbares Stück; denn wir werden wohl sagen können, daß das Europäische Patentamt in München die erste europäische Publikumsbehörde ist, und noch dazu auf deutschem Boden.
Ich glaube, wir sollten das alle begrüßen.
Die erste Lesung dieses Gesetzentwurfes gibt mir Anlaß, einige Daten und Namen zu nennen. Es ist ja nicht so, daß damit erst gestern begonnen wurde, sondern das ist doch wohl längere Zeit her.Es war als erster der CSU-Justizminister Fritz Schäffer, der 1959 die Initiative zu diesem Übereinkommen ergriffen hat. Bereits 1962 konnte eine Art Vorentwurf eines Übereinkommens über ein Europäisches Patentrecht fertiggestellt werden. Im Juli 1963 hat sich das Kabinett Adenauer dafür entschieden, daß die Bundesrepublik Deutschland eine Bewerbung für den Sitz eines Europäischen Patentamtes abgibt. 1963 hat dann die bayerische Staatsregierung nicht nur ihr Plazet dazu gegeben, sondern selbst Voraussetzungen dafür geschaffen, daß dieses Europäische Patentamt in München seinen Standort haben konnte.Wir wissen, daß in den Jahren 1965 bis 1967 in der europäischen Patententwicklung eine gewisse Stagnation eingetreten ist aus den Gründen, die Herr Staatssekretär de With bereits genannt hat. Es ging eben um die Frage, wie weit der Kreis der Staaten gefaßt werden sollte, der einem europäischen Patentübereinkommen beitreten soll. Wir sind froh darüber, daß nunmehr der Kreis nicht nur die Staaten der EWG, sondern auch Staaten des Europarats und darüber hinaus Staaten umfaßt, die nur den Beobachterstatus im Rahmen des Europarates haben.1968/69 gelang es dann dem Kabinett Kiesinger, die letzten Hürden mit Hilfe der französischen und der niederländischen Regierung zu überwinden und die Arbeiten zu beflügeln. Im März 1969 ließ die Regierung Kiesinger im Rat der Europäischen Gemeinschaften erstmals die Absicht ihrer ganz konkreten Bewerbung durch Vorlage von Unterlagen für das Europäische Patentamt in der Bundesrepublik erkennen. Im September 1969 hat der damalige Finanzminister Franz Josef Strauß die finanziellen Voraussetzungen für das Europäische Patentamt in der Bundesrepublik Deutschland geschaffen.Wir stellen daher mit Genugtuung fest, daß diese Bundesregierung die von CDU/CSU-Kabinetten begonnene und geförderte Arbeit forgesetzt und zu einem befriedigenden Abschluß gebracht hat.Zusammen mit diesem Abkommen werden dankenswerterweise einige weitere Abkommen vorgelegt. Wir werden auch diese Abkommen sehr zügig beraten, weil sie das europäische Übereinkommen abrunden.Neben dieser Genugtuung über die Entwicklung und die Förderung des europäischen Patentüber-
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Dr. Wittmann
einkommens möchte ich aber auch feststellen, daß es in späterer Zeit, nach 1969, nicht immer so war. Wir wissen sehr genau, daß der damalige Finanzminister Helmut Schmidt im Kabinett Brandt die deutsche Sitzbewerbung beinahe hätte scheitern lassen, als er die Vorfinanzierung von 300 Millionen DM, die an sich zugesagt war, ablehnen wollte.
Der guten Arbeit, vor allem der Beamten, ist es gelungen, hier finanzielle Bedenken auszuräumen.Ich möchte am Rande auch noch dazu sagen, daß man gerade in München durchaus noch billigere Lösungen der Errichtung des Patentamts hätte finden können. Ich möchte den Streit über den Standort hier nicht fortführen, möchte aber doch darauf hinweisen.
— Ich komme darauf noch ganz kurz zu sprechen, Herr Kollege Erhard. Das ist in der Tat notwendig, wenn wir über Patente reden; denn die dienen nicht nur den „Großen", sondern vor allem den Arbeitnehmern. 90 % aller Erfindungen sind Arbeitnehmererfindungen.
Meine Damen und Herren, wir erwarten, daß der Bundesminister der Justiz, der ja für München ein gewisses Verständnis und von München eine gewisse Kenntnis haben muß, dafür sorgt, daß der Neubau des Europäischen Patentamtes die Urbanität dieser Stadt nicht zerstört und nicht dazu führt, daß weitere Menschen aus dem gewachsenen Innenstadtkern dieser europäischen Stadt abwandern. Es ist uns nichts geholfen, wenn wir nur ein Verwaltungszentrum haben, aber ansonsten eine schöne Stadt in Europa praktisch in ihrem Kern entvölkern. Ich glaube, auch das sollte hier einmal angemerkt werden.Im übrigen vermissen wir in der Begründung eine Aussage darüber, wie sich z. B. das Patentvorschaltgesetz von 1968 entwickelt hat, wie es kostensparend gewirkt hat. Das wäre wichtig gewesen, weil die europäische Angleichung jetzt sicherlich auch einige neue Verfahrensarten mit sich bringen wird, und da muß die Frage nach der Bewährung des Bisherigen hier gestellt werden. Aber wir werden das, glaube ich, im einzelnen im Ausschuß erörtern können. Wir müssen nur feststellen, daß der Finanzbedarf des Deutschen Patentamts trotz der Vereinfachung immer weiter gestiegen ist.Wir sind durchaus der Meinung, daß das jetzt vorliegende Gesetz zur Erhöhung der Patentgebühren notwendig war; der Haushaltsausschuß hat das auch gefordert, denn seit 1955 sind die Gebühren nicht erhöht worden. Aber darüber, ob sie in dem Maße erhöht werden müssen, wie die Regierung es vorschlägt, werden wir gerade jetzt im Interesse unserer Wirtschaft einmal sehr genau reden müssen; denn unsere Wirtschaft muß ja im Ausland konkurrenzfähig bleiben, und Erfindungen dürfen nicht daran scheitern, daß die Gebühren — gerade von kleineren und mittleren Unternehmen und derenArbeitnehmern — nicht aufgebracht werden können.
— Es geht — so habe ich mir sagen lassen — bis zu 163 %; ich habe es nicht selbst nachgerechnet, Herr Kollege Erhard, werde das aber dann bei den Beratungen im Rechtsausschuß noch im einzelnen tun.Meine Damen und Herren, noch ein grundsätzliches Wort: Bei Beratungen im Rechtsausschuß und auch auf SPD-Parteitagen gerade in München hat man den Eindruck gehabt, daß aus der Fraktion der SPD so manche Stimme kam, die das Patent überhaupt in Frage gestellt hat.
— Ja, das Patent als solches, den Wert des Patents und des Patentschutzes überhaupt! Fragen Sie Ihren Herrn Kollegen Schöfberger, der wird es Ihnen sagen! Und ich kann Ihnen das Protokoll einer Sitzung des Rechtsausschusses — da waren Sie, Herr Kollege Dürr, leider nicht dabei — im Deutschen Patentamt in München vorlegen, wo der Herr Kollege Schöfberger bestritten hat, daß Patente überhaupt notwendig sind, weil sie ja nur den „Kapitalisten" dienten. Dann mußte er sich von der Bundesregierung — die von seiner Partei mitgetragen wird — belehren lassen, daß 90 % aller Erfindungen Arbeitnehmererfindungen sind. Aber das sei nur am Rande gesagt.Meine Fraktion bejaht das Patent, auch das europäische Patent, und wird jeden Schritt unterstützen, der zur Weiterentwicklung des europäischen Patents führt. Ich kann für meine Fraktion zusagen, daß wir im Rechtsausschuß diese Übereinkommen so zügig beraten werden, daß die vom Herrn Staatssekretär gewünschte Signalwirkung für unsere europäischen Nachbarn eintritt; denn wenn die europäische Einigung im Politischen stagniert, sollte man sie wenigstens im Praktischen versuchen, wo sie gelingen kann.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Rehlen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst, Herr Kollege: Bei der Nennung der Personen, die Verdienste um das europäische Patentwesen haben, sind Ihnen nur Leute Ihrer Partei, der CDU/CSU, eingefallen. Ich möchte auch noch einige Namen nennen, die meiner Partei bzw. der FDP angehören. Dazu gehören die Justizminister Dr. Stammberger, Dr. Bucher, Jahn und Dr. Vogel.
— Natürlich ist er immer noch drin!
— Ich meine aber einen anderen als Sie.Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975 12521Frau Dr. RehlenMeine Damen und Herren, ich darf im Namen meiner Fraktion und der Fraktion der FDP das vorliegende Gesetz begrüßen, das die Ratifikation von drei internationalen Übereinkommen zum Patentwesen zum Inhalt hat und das das deutsche Recht den Erfordernissen dieser Übereinkommen anpaßt.Patente zu erteilen, die ihrem Inhaber gewisse Privilegien gewähren, die ihn insbesondere vor möglichem Wettbewerb anderer Nutzer seiner Erfindungen schützen, ist internationale Übung geworden. Auch in den Entwicklungs- und in den Staatshandelsländern steht längst nicht mehr zur Debatte, ob Patente erteilt werden sollen, sondern, wie das zu geschehen hat. Die internationale Zusammenarbeit auf diesem Gebiet, wie sie im Rahmen der vorliegenden Übereinkommen geplant ist, dient daher den Interessen aller Beteiligten. Ziel der Verträge ist es, die Rechtssicherheit für Erfinder und für die Erfindungen verwertende Wirtschaft zu verbessern, das Patentverfahren rationeller und schneller abzuwickeln und den Zugang aller Unterzeichnerstaaten zu den für die Patenterteilung bedeutsamen Dokumentationen zu ermöglichen.Wir alle wissen, daß die Erkenntnis über die Nützlichkeit internationaler Zusammenarbeit alleine nicht genügt, um diese Zusammenarbeit und ihre langfristige Festlegung in internationalen Verträgen zuwege zu bringen. Es muß noch dazukommen, daß in der Sache die Interessen wichtiger Staaten und Staatengruppen parallel laufen und diese dann zu Verhandlungen führen.Das Übereinkommen über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens wurde von 35 Staaten unterzeichnet, darunter von den USA, der Sowjetunion, Japan, allen Staaten der Europäischen Gemeinschaft und von mehreren Entwicklungsländern.Das Straßburger Abkommen über die Vereinheitlichung gewisser Begriffe des materiellen Rechts der Erfindungspatente wurde von elf Mitgliedstaaten des Europarates unterzeichnet.Das europäische Patentübereinkommen kam unter Mitarbeit von 21 Staaten, darunter allen EG-Staaten, Jugoslawiens und Finnlands, zustande.Daß auf dem sehr komplexen Gebiet des Patentwesens, das durch Rechtstraditionen und wirtschaftspolitische Entscheidungen national sehr unterschiedlich geprägt ist, eine so intensive Zusammenarbeit vereinbart werden konnte, sollte nicht nur für die Fachleute eine Sensation sein. Es ist auch unter politischen Gesichtspunkten äußerst positiv zu bewerten. Die SPD-Fraktion erwartet, daß die internationalen Abkommen über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens nicht die einzigen bleiben werden, die zur Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des Gesellschafts- und Wirtschaftsrechts beitragen.In den folgenden Rechtsgebieten sind in nächster Zeit Vereinbarungen erforderlich, wenn nicht das unterschiedliche Harmonisierungstempo zu weiteren ökonomischen und gesellschaftlichen Ungleichgewichten führen soll:Erstens: die Verordnung des EG-Rates über das Statut für Europäische Aktiengesellschaften ist in diesen Tagen dem Rechtsausschuß des Bundestages zur Beratung überwiesen worden. Es wird hoffentlich bald in Kraft treten können. Zu bedauern ist jedoch, daß die Anwendung des europäischen Aktienrechts noch in das Belieben der Unternehmen gestellt sein wird. Bemerkenswert aber und von großer politischer Bedeutung ist die in dem Statut vorgesehene Mitbestimmungsregelung, die als erster Schritt in Richtung auf eine paritätische Mitbestimmung gewertet werden kann.Zweitens: die Regelungen des europäischen Kartellrechts in den Art. 85 und 86 der Römischen Verträge müssen verschärft werden, um dem Konzentrationsprozeß in der Gemeinschaft entgegenzuwirken und damit die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen zu stärken. Da dem Patentwesen wettbewerbshemmende und konzentrationsfördernde Wirkungen nicht abzusprechen sind, ist der Ausbau des Instrumentariums gegen mögliche Mißbräuche der Marktstellung gerade in diesem Zusammenhang von erheblicher wirtschaftspolitischer Bedeutung.Zu diesem Punkt ist jedoch noch anzumerken, daß die Europäisierung des Patentrechts Vorteile mit sich bringt, die vor allem von den kleinen und mittleren Betrieben genutzt werden können. Erstens: die Kosten für einen internationalen Patentschutz können gesenkt werden, und zwar nicht nur für die Patentbehörden, sondern auch für diejenigen, die ein Patent beantragen. Zweitens: die Rechtssicherheit für den Patentinhaber wird erhöht. Die Marktaufteilung innerhalb der EG nach Schutzrechtsgrenzen fällt weg.Um den gleichen Schutz zu genießen, den Patentinhaber nach den vorliegenden Verträgen erhalten werden, sind bis jetzt Anmeldung, Prüfverfahren und Patenterteilungen nach rechtlich sehr unterschiedlichen nationalen Systemen erforderlich. Große Unternehmen verfügten schon immer über die Möglichkeiten, die von ihnen ausgewerteten Erfindungen in allen für sie wichtigen Ländern zu schützen. Die vorgelegten Vereinbarungen führen dazu, daß der gleiche Schutz für kleine und mittlere Betriebe einfacher und kostengünstiger zu erreichen sein wird.Darüber hinaus möchte ich im Namen meiner Fraktion und der Fraktion der FDP ausdrücklich begrüßen, daß im Patentzusammenarbeitsvertrag Regeln vereinbart wurden, die eine schnelle und weite Verbreitung der Kenntnisse über Erfindungen gewährleisten. Der „Abschließungseffekt", der jedem Patentrecht, auch dem internationalen Patentrecht, innewohnt, wird dadurch vermindert. Besonders wichtig ist dies für die Entwicklungsländer, und zwar gerade dann, wenn sie die für ihre eigenen Bedürfnisse zugeschnittene Technologie entwickeln wollen. Insbesondere ist im Patentzusammenarbeitsvertrag vereinbart, daß den Entwicklungsländern technische Hilfe zur Einrichtung von Informationsdiensten und zur Errichtung von nationalen Patentbehörden gewährt wird.
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12522 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Juni 1975
Frau Dr. RehlenZusammenfassend läßt sich mit Genugtuung feststellen, daß die vorliegenden drei Übereinkommen nach langen und schwierigen Verhandlungen gute Lösungen auf dem sehr komplexen Gebiet des Patentrechts gebracht haben. Die weitere technologische Entwicklung wird dadurch zweifellos gefördert. Die sozialdemokratische Fraktion und die Fraktion der FDP erwarten, daß damit Voraussetzungen geschaffen werden, um auch mit den drängenden internationalen Problemen — Stichworte: Nahrung, Bevölkerungsexplosion, Umwelt, Rohstoffe — fertig zu werden.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.Der Überweisungsvorschlag des Ältestenrates liegt Ihnen vor. — Es erhebt sich kein Widerspruch dagegen. Es ist somit so beschlossen.Ich rufe die Punkte 9 bis 13 der Tagesordnung auf:9. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes und des Wohnungsbindungsgesetzes— Drucksache 7/3666 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abschluß der Währungsumstellung— Drucksache 7/3686 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Finanzausschuß Haushaltsausschuß11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Ersten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung vom 24. Juli 1973 — Erstes Durchführungsgesetz/ EWG zum VAG —— Drucksache 7/3687 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Finanzausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO12. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Branntweinmonopol— Drucksache 7/3722 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes
— Drucksache 7/3721 — Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Verkehr und für das Post- und FernmeldewesenDas Wort wird nicht gewünscht.Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats ersehen Sie aus der Tagesordnung. — Es erhebt sich kein Widerspruch dagegen, wie ich sehe. Damit ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:Beratung des Berichts der Bundesregierungüber die Juristenausbildung in den Ländern— Drucksache 7/3604 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Rechtsausschuß
InnenausschußAusschuß für Bildung und WissenschaftDas Wort wird nicht gewünscht.Der Überweisungsvorschlag des Ältestenrats liegt Ihnen vor. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall; dann ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts und des Antrags des Haushaltsausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1975— Drucksachen 7/3407, 7/3715 —Berichterstatter: Abgeordneter Müller
Uns liegt der Antrag des Haushaltsausschusses vor, den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1975, Drucksache 7/3407, abzulehnen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts und des Antrags des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung betr. verbilligte Veräußerung von bundeseigenen Grundstücken— Drucksachen 7/3226, 7/3717 —Berichterstatter: Abgeordneter GrobeckerDazu liegt der Antrag des Haushaltsausschusses vor, die Unterrichtung durch die Bundesregierung betr. verbilligte Veräußerung von bundeseigenen Grundstücken — Drucksache 7/3226 — zur Kenntnis zu nehmen. Das Haus stimmt dem zu? — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:Beratung der Ubersicht 14 'des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht— Drucksache 7/3728 —Der Antrag des Ausschusses geht dahin, von einer Äußerung der einem Verfahrensbeitritt zu den
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Präsident Frau Rengeraufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe die Punkte 18 bis 21 der Tagesordnung auf:18. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Festsetzung des Marktrichtpreises und des Interventionspreises für Olivenöl für das Wirtschaftsjahr 1975/76— Drucksachen 7/3436, 7/3681 —Berichterstatter: Abgeordneter Gallus19. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1059/69 zur Festlegung der Handelsregelung für bestimmte, aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen hergestellte Waren— Drucksachen 7/3426, 7/3682 —Berichterstatter: Abgeordneter Gallus20. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinien Nr. 64/432/EWG, 64/433/EWG, 71/118/ EWG, 72/461/EWG und 72/462/EWG über die Verfahren des Ständigen VeterinärausschussesEntscheidung des Rates zur Änderung der Entscheidung Nr. 73/88/EWG in bezug auf die Verfahren des Ständigen Veterinärausschusses— Drucksachen 7/3434, 7/3683 — Berichterstatter: Abgeordneter Eigen21. Beratung des Berichts und des Antrags des Innenausschusses zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates über die Beseitigung von Abfällen— Drucksachen 7/2657, 7/3688 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. GruhlAbgeordneter Schäfer
Die Berichterstatter wünschen das Wort nicht. — Eine Aussprache wird ebenfalls nicht gewünscht.Ist das Haus damit einverstanden, daß wir über aller Vorlagen gemeinsam abstimmen? — Wir kommen zur Abstimmung über die Anträge der Ausschüsse auf den Drucksachen 7/3681, 7/3682, 7/3683 und 7/3688. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
— Ich bitte um Entschuldigung, Herr Vorsitzender. Wir werden das in das Protokoll aufnehmen: gegen eine Stimme.Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung angelangt.Die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages findet am Dienstag, dem 17. Juni, um 10.30 Uhr statt.Die Sitzung ist geschlossen.