Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 4. Juni 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Müller-Hermann, Dr. Unland, Dr. Warnke, Dr. Jobst, Schmidhuber, Sick und Genossen betr. Vergabe von Unteraufträgen in Staatshandelsländer — Drucksache 7/3626 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/3731 verteilt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Kollege Mattick hat zu einer persönlichen Bemerkung nach § 35 der Geschäftsordnung das Wort erbeten.
Ich darf vielleicht kurz rekapitulieren, daß gestern nach Schluß der Aussprache über die Regierungserklärung der Abgeordnete Röhner das Wort zu einer persönlichen Bemerkung erteilt bekommen hat und daß anschließend die Sitzung geschlossen wurde. Seither hat der Deutsche Bundestag nicht mehr getagt. Es ist also nach der Praxis des Hauses unstreitig, daß im Zusammenhang mit dem gestrigen Tagesordnungspunkt Ihnen, Herr Abgeordneter Mattick, das Wort noch erteilt werden kann.
Sie haben das Wort zu einer persönlichen Bemerkung nach § 35 der Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe hier gestern in der Debatte nicht aus einer Zeitung und auch nicht aus einem Flugblatt, sondern in der Tat aus einem Brief zitiert, dessen Mitteilung mir aus der Erfahrung als sichere Quelle erschien. Meine Nachinformationen haben mich überzeugt, daß ich mich nach 22jähriger Tätigkeit hier im Hause, wenn ich mich nicht irre, das erstemal vor dem Hause und besonders gegenüber dem Kollegen Röhner entschuldigen muß, was ich hiermit tun will.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 2 unserer Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Revision in Zivilsachen und in Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit
hier: Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs
— aus Drucksache 7/444 —
Zweiter Bericht und Antrag des Rechtsausschusses
— Drucksache 7/3654 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Hauser Abgeordneter Dr. Emmerlich
Ich darf den Berichterstattern für ihre Berichte danken und sie fragen, ob sie zur mündlichen Ergänzung ihres Berichts das Wort wünschen. — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache in der zweiten Beratung. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache in zweiter Lesung.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetz in zweiter Lesung in den Artikeln 1, 2, 3, 4, Einleitung und Überschrift zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Emmerlich.
Herr Präsident! Meine Herren! Der Bundesfinanzhof ist in unerträglicher Weise überbelastet. Die Zahl der bei ihm anhängenden Sachen ist so groß, daß allein zu ihrer Erledigung zirka zwei Jahre benötigt werden würden. Die Überlastung hat in vielen Fällen zu einer Verfahrensverzögerung geführt, die nicht länger hingenommen werden kann. Ein Viertel aller im Jahre 1972 abgeschlossenen Revisionsverfahren hatte länger als vier Jahre gedauert, fast die Hälfte aller Revisionsverfahren länger als drei Jahre. Durch den Ihnen vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs soll dieser in die Lage versetzt werden, seine Rückstände abzubauen.
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12246 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975
Dr. EmmerlichDer Gesetzgeber hat während der Geltungsdauer dieses Gesetzes, also bis zum 31. Dezember 1980, die Gelegenheit, die Zugangsvoraussetzungen zum Bundesfinanzhof neu zu ordnen. Er kann sich dabei auch darüber schlüssig werden — das hat sich in unseren Beratungen als notwendig erwiesen —, ob die derzeitige besondere Struktur der Finanzgerichtsbarkeit beibehalten werden kann oder ob es erforderlich ist, sie zu verändern, etwa durch die Einführung einer zweiten Tatsacheninstanz oder durch ein Vorverfahren.Die zum Abbau der Rückstände des Bundesfinanzhofs bis zum 31. Dezember 1980 erforderliche Entlastung wird durch eine Reihe von Maßnahmen erreicht. Ich möchte hier folgende nennen:Erstens. Ohne Zulassung findet die Revision in der Regel nur dann statt, wenn der Wert des Streitgegenstandes 10 000 DM übersteigt.Zweitens. Beschwerden an den Bundesfinanzhof sind nur noch in Ausnahmefällen zulässig.Drittens. Beim Bundesfinanzhof wird der Vertretungszwang eingeführt.Ich bitte um Ihre Zustimmung zu den Ausschußanträgen, insbesondere auch zu Antrag Nr. 3, in dem die Bundesregierung ersucht wird,nach Ablauf von zwei Jahren nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Entlastung des Bundesfinanzhofs einen Erfahrungsbericht über die Auswirkungen dieses Gesetzes auf die Revisionen in Lohnsteuersachen vorzulegen.
Wir fahren in der Aussprache fort.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hauser .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon aus der Überschrift des Ihnen zur Beratung vorliegenden Gesetzentwurfs Drucksache 7/3654 ist zu ersehen, was dessen Aufgabe und Zweck sein soll. Der Entwurf soll, wenn er Gesetz wird, dem Bundesfinanzhof Entlastung, und zwar eine schnell wirkende Entlastung bringen. Sind doch bei diesem obersten Gericht Rückstände aufgelaufen — worauf Sie, Herr Kollege Emmerlich, gerade schon hingewiesen haben —, die das Arbeitspensum von gut zwei Jahren mit mehr als 3 300 Revisionsverfahren ausmachen.Ein solcher Arbeitsüberhang hat zwangsläufig zur Folge, daß diese Revisionsverfahren überlang laufen: fast 50 % drei und mehr Jahre, rund 20 % sogar länger als fünf Jahre. Muß ein Steuerpflichtiger nun so lange auf eine letztverbindliche Entscheidung des obersten Finanzgerichts warten, so ist dies, wie Sie mit Recht auch sagten, ein untragbarer Zustand, der einer Rechtsverweigerung nahekommt. Hier muß Abhilfe geschaffen werden.Wäre man an diese Aufgabe, Herr Emmerlich, schon eher herangegangen — die Klagen wegen des enormen Arbeitsüberhangs beim Bundesfinanzhof und damit verbunden die Beschwerden wegen derüberaus schleppenden Erledigung anhängiger Verfahren werden ja schon seit Jahren laut —, so hätten sicherlich weniger einschneidende Maßnahmen zu einer fühlbaren Entlastung geführt und ausgereicht, als sie nun hingenommen werden müssen. Denn dieser Lösungsversuch heute, die Überlastung des Bundesfinanzhofs abzubauen, geht in der Tat schon an die Grenzen dessen, wo eine weitere Reduzierung des Rechtsschutzes für den Steuerpflichtigen rechtsstaatlich kaum mehr zumutbar wäre. Ist doch die Struktur des Revisionsverfahrens gerade in der Finanzgerichtsbarkeit inhaltlich wie institutionell entschieden anders als etwa in der ordentlichen oder Verwaltungsgerichtsbarkeit, wo dem Staatsbürger ein viel stärkerer Rechtsschutz gesichert ist; greift doch der Staat mit seiner Finanzverwaltung nicht nur — wie andere Eingriffsakte staatlicher Verwaltung — punktuell bei Vorliegen eines besonderen Sachverhalts in das Verfügungsrecht des Steuerpflichtigen ein, sondern fortlaufend und dabei oft in einer existenzentscheidenden Weise!So kommt dem Recht auf Revision in der Finanzgerichtsbarkeit und den Voraussetzungen, unter denen hier eine Revision statthaft sein muß, eine ganz besondere Aufgabe zu, und dies um so mehr, als das Steuerrecht wegen ständiger Änderungen und Verfeinerungen schon für Experten nur noch schwer durchschaubar ist und deshalb immer wieder zu einer Fülle von Zweifelsfragen führt — sind doch hier nicht allein die Gesetzestexte zu beachten, sondern darüber hinaus jeweils eine Fülle von Richtlinien, Verordnungen und Erlasse. Wenn daher, wie die Statistik erweist, rund 35 % der Revisionen beim Bundesfinanzhof zugunsten des Steuerzahlers ausgehen, so unterstreicht dies die Notwendigkeit des Rechtsinstituts der Revision gerade in der Finanzgerichtsbarkeit. Bei sachgerechter und vernünftiger Würdigung seines Rechtsschutzbedürfnisses kann man dem Steuerzahler deshalb nicht verwehren, all solche Zweifelsfragen gerichtlich klären zu lassen.Hinzu kommt nun, daß man sich im geltenden Recht, ebenfalls anders als bei der ordentlichen und der Verwaltungsgerichtsbarkeit, mit nur einer Instanz unter dem Bundesfinanzhof begnügte, dem Staatsbürger also keine zweite Tatsacheninstanz, kein Oberfinanzgericht zur Verfügung stellte. Um dem Einwand zu begegnen, der Steuerpflichtige habe damit weniger Rechtsschutz als bei den anderen Gerichtszweigen, wurde die Revisionsmöglichkeit weitestgehend eröffnet, damit so die nur beschränkten Rechtsmittel möglichst ausgeschöpft werden können. Wenn der Wert des Streitgegenstandes 1 000 DM übersteigt, ist nach geltendem Recht in jedem Falle die Revision zulässig. Nach den Intentionen des Gesetzgebers aus dem Jahre 1965, der damals die Finanzgerichtsordnung verabschiedete, bestand also zwischen der Streitwertrevision und dem zweistufigen Gerichtsaufbau ein enger, ein ursächlicher Zusammenhang.All diese Momente gilt es bei dem vorliegenden Entlastungsgesetz zu beachten, wenn nunmehr mit dieser Vorlage die Revisionsmöglichkeit durch eine
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975 12247
Dr. Hauser
außerordentliche Anhebung der Revisionssumme beschnitten und damit der ohnehin geringere Rechtsschutz des Bürgers in Steuersachen noch weiter eingeschränkt werden soll. Ist dieser Rechtsschutz — dies ist die entscheidende Frage — jetzt noch hinreichend gewährleistet, damit sich beim Bürger nicht der Verdacht aufdrängt, er werde nun einer allgewaltigen Finanzverwaltung mit besonderer Sach- und Rechtskunde nahezu hilflos ausgeliefert? Wie schon gesagt: die vorgeschlagenen besonderen Entlastungsmaßnahmen lassen sich angesichts der überaus prekären Arbeitssituation beim Bundesfinanzhof gerade noch vertreten.Die meisten Bedenken, ob diese Grenze noch gewahrt ist, löst die neue Bestimmung aus, daß für den Revisionszugang ohne besondere Voraussetzung statt der bisherigen 1 000 DM nunmehr eine Summe von 10 000 DM gefordert werden soll. Für geringere Streitwerte ist eine Revision nach dem Entlastungsgesetz künftig nur noch dann möglich, wenn das erstinstanzliche Finanzgericht die Revision bei grundsätzlicher Bedeutung, bei Divergenz oder Verfahrensmangel ausdrücklich zuläßt. Allerdings hat der Staatsbürger — dies muß objektiverweise hinzugefügt werden — die Möglichkeit der Zulassungsbeschwerde, wenn ihm die Revision versagt wird.Diese Streitwerterhöhung um ganze 1 000 %, die sicherlich für den Bundesfinanzhof eine Entlastung um zwei Drittel der bisherigen Revisionsfälle bringen wird, ist deswegen so außerordentlich einschneidend, weil sich dieser Streitwert lediglich nach dem angefochtenen Verwaltungsakt im betreffenden Jahr berechnet. Auswirkungen über mehrere Jahre — falls sich dieser Rechtsstreit hinzieht und weitere Steuerbescheide in der gleichen Sache zwischenzeitlich ausgesetzt sind — bleiben außer Betracht. Ließe sich — diese Frage muß an das Bundesjustizministerium gerichtet werden — in derartigen Fällen nicht ein Streitwert zugrunde legen, wie er bei wiederkehrenden Leistungen in der Zivilprozeßordnung auch angenommen wird? Solch ganz beträchtliche Einschränkungen der Rechtsmittelmöglichkeit wie die Streitwerterhöhung lassen sich lediglich als zeitlich beschränkte Notmaßnahmen hinnehmen. Die Zwischenzeit bis zum Auslaufen des heute zu beschließenden Gesetzes sollte nun genutzt werden, um eine gute und dauerhafte Lösung für das Rechtsmittelverfahren in der Finanzgerichtsbarkeit zu finden. Dabei bleibt, wie schon eingangs gesagt, nicht nur die Fortbildung des Rechtes in seinem Bereich und die Ausfüllung von Gesetzeslücken, sondern ebenso die Sicherung einer gerechten Besteuerung im Einzelfall Aufgabe des obersten Finanzgerichts.Nun lese ich aber in der Begründung der ursprünglichen Regierungsvorlage, der noch eine lupenreine Grundsatzrevision vorschwebte, folgendes:Geht man mit dem geltenden Recht davon aus, daß eine Tatsacheninstanz im Finanzgerichtsverfahren ausreicht, um einen angemessenen Rechtsschutz zu gewährleisten, so besteht keine Veranlassung, den Zugang zum Revisionsgericht grundsätzlich anders— als, so füge ich hinzu, bei anderen Gerichtszweigen —zu regeln.Herr Staatssekretär, ist bei einer solchen Absicht wirklich noch ein angemessener Rechtsschutz für den Steuerzahler angesichts der ganz besonderen Umstände gerade in der Finanzgerichtsbarkeit gewahrt? Geht eine solche Argumentation nicht völlig an den Intentionen des Gesetzgebers aus dem Jahre 1965 vorbei, der damals die Finanzgerichtsordnung geschaffen und dabei eine außerordentlich weitgehende Revisionsmöglichkeit eröffnet hat? Es ist nicht einzusehen, aus welchen Gründen dem Staatsbürger in Steuersachen mit einer Vielzahl verschiedenartiger und oft recht komplexer Sachverhalte der Rechtsschutz verkürzt werden soll und warum gerade hier — im Gegensatz zur ordentlichen und Verwaltungsgerichtsbarkeit — weniger Rechtsschutz erforderlich sein sollte, zumal oftmals der Spruch des unteren Finanzgerichts wegen der fortwährenden Änderungen nicht ausreicht. Hier an die Erörterung im Bundestag anno 1965 anzuknüpfen, als man in Angleichung an die übrigen Gerichtszweige einen dreistufigen Aufbau . der Finanzgerichtsbarkeit vor Augen hatte, ist für die Zukunft wirklich ratsam. Herr Staatssekretär, schließlich gilt immer noch jener bissige, aber durchaus treffende Satz, den vor mehr als 100 Jahren der große Rechtslehrer Rudolph Ihering einmal sagte: Eben darin liege das Übel, daß die Jurisprudenz zu einer Zoologie hinaufgeschraubt werde, während sie doch die Kunst sei, mit dem zivilistischen Zugvieh zu pflügen.Dies sind nur einige Gedanken zu der jetzigen Vorlage, den wir, meine Freunde und ich aus der CDU/CSU-Fraktion, zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir freuen uns, daß diese Gesetzesvorlage heute verabschiedet werden kann. Im Rechtsausschuß war sie ja abgetrennt worden von der erst vor wenigen Wochen hier behandelten Vorlage betreffend die Revision in Zivilsachen, weil wir der Meinung waren, es würden sich unter Umständen in der weiteren Beratung noch Schwierigkeiten ergeben, die es notwendig machen könnten, zunächst über die Revision in Zivilsachen zu beschließen und nicht durch die Verbindung mit der heutigen Vorlage unter Zeitdruck zu geraten. Es hat sich gezeigt, daß diese Vorsorge glücklicherweise überflüssig gewesen ist. Das hängt mit der guten Zusammenarbeit aller Beteiligten zusammen und insbesondere auch mit der guten Zusammenarbeit mit den Mitgliedern des Gerichts, um dessen Entlastung es hier geht. Wir möchten uns für diese Zusammenarbeit sehr herzlich bedanken.Wir freuen uns auch über die Art, auf die wir uns hier in der Erledigung des Problems verständigt haben. Wir sind ganz pragmatisch vorgegangen und haben am Streitwert festgehalten, um auch den zu-
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12248 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975
Kleinertfälligen Zugang zu ermöglichen und nicht eine Vorauswahl bei der Zulässigkeit durch die Finanzgerichte treffen zu lassen. Ich glaube, daß das gerade in diesem Bereich der Rechtspflege besonders wichtig ist, weil wir, wie Herr Kollege Hauser eben schon ausgeführt hat, hier ja nur eine Instanz vor der Revisionsinstanz haben.Daß es überhaupt so geht, ist eigentlich verwunderlich. Jeder Mißtrauische muß sich fragen, warum es nicht zu Beschwerden gegen unsere Finanzgerichtsbarkeit kommt, denn sie ist — für den Skeptiker jedenfalls — von Hause aus gleich mit zwei Mängeln behaftet. Erstens haben wir hier nur zwei gerichtliche Instanzen nach der Entscheidung der Behörde, die eigentlich nach herkömmlicher und mißtrauischer Meinung Partei ist, und zweitens haben wir bei den Richtern der Finanzgerichte in sehr hohem Maße frühere Angehörige der Finanzverwaltung. Das ist aus fachlichen Gründen gar nicht anders möglich, müßte aber doch dem Steuerzahler das Mißtrauen oder mindestens das Unbehagen vermitteln, hier könne aus der Übung desjenigen, der nun zunächst einmal gelernt hat zu kassieren, leicht, wenn er dann in das Richteramt übergeht, die Übung werden, seiner früheren Anstellungsbehörde im Zweifel etwas mehr Recht zu geben. Daß dieses nicht der Fall ist, muß man bei dieser Gelegenheit einmal ausdrücklich feststellen; dafür muß man danken, und das gibt uns auch das Vertrauen, daß wir trotz der eigentümlichen Konstruktion in diesem Bereich mit den zwei Instanzen weiterhin auskommen werden, weil in Wirklichkeit die Verwaltung selbst, das Verfahren vor dem Finanzamt als ein so unabhängiges und objektives Verfahren anzusehen ist, daß wir es getrost als erste Instanz dieses Verfahrenszuges in übertragenem Sinne gelten lassen können.Das birgt natürlich auch ein erhöhtes Maß an Verantwortung für alle diejenigen in sich, die in dieser so umschriebenen ersten Instanz zuständig sind. Wir glauben, daß sie sich dieser Verantwortung gewachsen zeigen. Diese Verantwortung wird mit Sicherheit erheblich größer durch die heute zu verabschiedende Novelle, denn wir haben in mehreren Bereichen nun doch die Schwelle des Zugangs zum Gericht erheblich heraufgesetzt. Bei den Aussetzungsbeschwerden, die von größter Bedeutung für die Liquidität, vielleicht sogar für die Lebensfähigkeit von Unternehmen sein können, gibt es jetzt nur noch die durch das Finanzgericht zuzulassende Beschwerde und nicht mehr wie bisher grundsätzlich den Zugang zum Bundesfinanzhof. Man muß erwarten, daß da, wo nicht positive Entscheidungen vom Finanzgericht getroffen werden, die Zulassungsbeschwerde großzügig gehandhabt wird, denn es kann hier sehr leicht und sehr oft um die Existenz von Unternehmen gehen, die lebensfähig wären, wenn schließlich der Steueranspruch verneint wird, die aber längst, bevor über diesen Anspruch entschieden wird, in Konkurs fallen müssen, wenn dem Aussetzungsbegehren nicht entsprochen wird. Das ist ein Vorgang, den man in seiner Bedeutung kaum überschätzen kann.Nicht annähernd so bedeutend in der Wirkung für den einzelnen ist die Kostenbeschwerde, die nun wegfällt. Hinsichtlich des Vertrauens der Bürger zu der Verwaltung und zu der Gerichtsbarkeit in diesem Bereich ist sie aber ebenfalls von erheblicher Bedeutung. Wir hoffen deshalb, daß auch hier von der Möglichkeit der Zulassung, die wir weiterhin vorgesehen haben, im Interesse der Rechtseinheit auch auf diesem nur scheinbar etwas geringerwertigen Gebiet reichlich Gebrauch gemacht werden wird.Wenn die Möglichkeiten des Gesetzes so genutzt werden, wie wir uns das in Zusammenarbeit — ich wiederhole es noch einmal — mit den in erster Linie Betroffenen vorgestellt haben, dann, so hoffen wir, wird diese Regelung, die spätestens nach Ablauf der im Gesetz vorgegebenen Frist überprüft werden kann, dazu führen, daß wieder in größerem Maße als bisher in diesem Bereich Rechtsschutz gewährt werden kann. Bei vernünftiger Handhabung des Gesetzes wird es aber auch nach den bisherigen Erfahrungen am Rechtsschutz nicht fehlen.Wir hoffen, daß unsere in dieses Gesetz gesetzten Erwartungen sich erfüllen. Die Freien Demokraten werden dem Gesetz zustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache in dritter Lesung.
Wir kommen in dritter Lesung zur Abstimmung. Wer dem Gesetz in der in zweiter Beratung angenommenen Fassung seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Wir haben alsdann noch über die Ziffern 2 und 3 des Ausschußantrages abzustimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform zu dem Antrag der Abgeordneten Rollmann, Dr. Eyrich, Dr. Stark und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Berufung einer Jugendstrafvollzugskommission
— Drucksachen 7/648, 7/3643 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Brandt Abgeordneter Dr. Eyrich
Ich eröffne die Aussprache zur Beratung über diesen Gegenstand. — Das Wort wird von Dr. Eyrich gewünscht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als der Antrag der CDU/CSU-Fraktion, eine Jugendstrafvollzugskom-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975 12249
Dr. Eyrichmission mit dem Ziel zu berufen, ein modernes Jugendstrafvollzugsgesetz zu schaffen, in der ersten Lesung beraten wurde, haben dem alle Parteien zugestimmt. Gewiß gab es Nuancen in der Argumentation, aber es war unbestritten, daß ein solches Gesetz die Chance biete, die auch bei Jugendlichen erschreckend hohe Rückfallquote zu senken. Dabei hat man auf die damals bevorstehenden Beratungen des Strafvollzugsgesetzes hingewiesen und die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, daß wir von dorther sicher einige Erkenntnisse gewinnen würden, die für die Jugendstrafvollzugskommission von Bedeutung sein könnten.Im Vordergrund der Diskussion stand aber von Anfang an — und das war und ist das eigentliche Anliegen unseres Antrags —, daß es gerade auf dem Gebiete des Jugendstrafvollzugs nunmehr an der Zeit ist, dem Erziehungsgedanken des Jugendgerichtsgesetzes Geltung zu verschaffen.In der Zwischenzeit sind die Beratungen zum Strafvollzugsgesetz in unserem Ausschuß nahezu abgeschlossen worden. Seit der Einbringung unseres Antrages ist eine nicht unerhebliche Zeitspanne verflossen. Deshalb meinen wir, es ist an der Zeit, sich nunmehr mit allem Nachdruck an die vorbereitenden Arbeiten für ein Jugendstrafvollzugsgesetz zu machen. Dabei sollten uns die Erfahrungen dienen können, die wir im Zusammenhang mit dem Strafvollzugsgesetz für die Erwachsenen gemacht haben. Das ist in verschiedenen Richtungen erforderlich.Erstens. Es ist klargeworden, daß die Mehrzahl der Bestimmungen des Erwachsenen-Strafvollzugs auf den Jugendstrafvollzug nicht Anwendung finden können. Während im Erwachsenenvollzug z. B. der Arbeitsmöglichkeit des Strafgefangenen besondere Bedeutung zukommt, wird die besondere Situation der jugendlichen Straftäter sicher nicht dazu führen können, etwa von der Arbeit abzusehen. Aber der Schwerpunkt wird zweifellos in der Ausbildung des jugendlichen Straftäters liegen müssen. Die Bestimmungen über die Lockerungen im Vollzug, die Freizeitregelungen etwa, die Fragen der Gruppenbetreuung und anderes mehr werden unter anderen Voraussetzungen stehen müssen, als es beim Erwachsenenvollzug der Fall ist.Zweitens. Die Berufung einer Jugendstrafvollzugskommission darf nicht etwa dazu führen — ich sage das mit allem Ernst —, daß übertriebene Hoffnungen geweckt werden. Auch im Jugendstrafvollzug werden wir um die Erkenntnis nicht herumkommen, daß viele Bemühungen um die Resozialisierung — oder noch besser gesagt: um die Sozialisation —, die erstmalige Eingliederung der jugendlichen Straftäter erfolglos bleiben werden. Auch in diesem Bereich wird ein noch so gut gemeintes Gesetz menschliche Unzulänglichkeiten nicht verhindern können. Mehr noch: Beim jugendlichen Straftäter wie bei keinem anderen wird die Beantwortung der Frage entscheidend sein, was dann geschieht, wenn sich die Tore der Anstalt für ihn öffnen. Wenn er dann alleingelassen wird, kann die noch so gute Ausbildung und Erziehung in der Anstalt bald ihren Wert verlieren.Weiter ist folgende Lehre aus den Beratungen des Strafvollzugsgesetzes zu ziehen: Wir sollten uns von allem Anfang an im Bereich der finanziellen Realitäten bewegen. Wir vermeiden dann die schmerzhaften Erfahrungen, die wir im Zusammenhang mit der Frage der Arbeitsentlohnung der erwachsenen Strafgefangenen machen mußten. Ich habe in der Generaldebatte des Sonderausschusses über das Strafvollzugsgesetz einmal davon gesprochen, daß wir uns hier zwischen Hoffnung und Resignation bewegten Hoffnung, weil wir zu viele Erwartungen in dieses Gesetz hineingelegt sahen, Resignation, weil uns die finanzielle Situation erhebliche Fesseln angelegt hat.Warum sage ich das? Gewiß nicht, um den Schluß daraus zu ziehen, die Beratungen um ein Jugendstrafvollzugsgesetz seien schon aufzugeben. Dann hätte unser Antrag keinen Sinn. Ich sage das, um denen, die sich an die Arbeit machen, ein Jugendstrafvollzugsgesetz zu gestalten, die Möglichkeiten und Grenzen unserer Anstrengungen vor Augen zu führen. Ich sage das, weil ich verhindern möchte, daß die Öffentlichkeit und insbesondere die Betroffenen übertriebene Hoffnungen mit diesem Gesetz verbinden. Ich sage das aber auch, um die Überzeugung zum Ausdruck zu bringen, daß wir, wenn wir nüchtern an die Arbeit gehen, den größtmöglichen Erfolg erzielen werden. Dann wird es möglich sein, uns auf das Wesentliche des Jugendstrafvollzugs zu konzentrieren.Das Wesentliche sehe ich in folgendem. Die Erkenntnisse der krimonologischen Forschung gehen dahin, daß besonders bei den jugendlichen Straftätern Entwicklungsrückstände oder Entwicklungsverzögerungen vorliegen, die recht verschiedene Ursachen haben. Hier muß der Versuch unternommen werden, den jugendlichen Strafgefangenen zu einer sozial verantwortungsbewußten Lebensführung durch Behandlung im Sinne einer Nachbehandlung tauglich zu machen. Gerade dem jugendlichen Straftäter müssen Möglichkeiten zur Problembewältigung angeboten werden. Er muß allerdings auch dazu angeregt werden, von den angebotenen Hilfen Gebrauch zu machen, und das im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe.Wenn man dann noch weiß, daß die vorhandenen Entwicklungsstörungen in vielen Fällen dazu geführt haben, daß eine Ausbildung nicht angefangen wurde, dann wird der zweite Schwerpunkt des Jugendstrafvollzugs zweifellos der der Ausbildung der jugendlichen Straftäter sein müssen.Wenn wir uns auf diese Punkte konzentrieren und der Zeit nach der Entlassung große Aufmerksamkeit widmen, wird das allein schon nicht unerhebliche Kosten verursachen. Es ist dann für meine Begriffe nicht so wichtig, daß neue und aufwendig angelegte Gebäulichkeiten errichtet werden, sondern daß gut ausgebildete, verantwortungsbewußte Pädagogen und ein von der Gesellschaft anerkanntes und in ihrem nicht leichten Dienst unterstütztes Vollzugspersonal die für die Eingliederung unerläßlichen Voraussetzungen schaffen. Die so aufgewendeten Mittel sind deswegen gut angelegt, weil sie am ehe-
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12250 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975
Dr. Eyrichsten geeignet sind, einen wirksamen Beitrag zur Bekämpfung der Kriminalität zu leisten.Lassen Sie mich zum Schluß noch ein Wort zu der Frage der Zeit sagen, innerhalb derer diese Aufgabe in Angriff genommen werden soll. Sosehr wir Verständnis dafür haben, daß die Beratungen des Strafvollzugsgesetzes die Berufung einer Jugendstrafvollzugskommission verzögert haben, so sehr sind wir allerdings der Meinung, daß die Wichtigkeit der Gesetzesregelung eine baldige Arbeit erfordert; darüber waren wir uns im Ausschuß alle miteinander im klaren.Wenn die Jugendstrafvollzugskommission die Grundsätze berücksichtigt, die ich darzulegen versucht habe, werden wir ganz sicher auch in dieser Materie ein Stück vorwärtskommen.
Meine Damen und Herren, bevor wir in der Aussprache fortfahren, habe ich die Ehre, eine Delegation zu begrüßen, die im Augenblick auf der Diplomatentribüne Platz genommen hat, an der Spitze Seine Exzellenz den Präsidenten der Knesseth des Staates Israel, Herrn Yisrael Yeshayáhu.
Ich habe die Ehre, Sie zu begrüßen.
Zum erstenmal in der Geschichte unserer Parlamente besucht der Speaker der Knesseth an der Spitze einer Delegation von Parlamentariern offiziell die Bundesrepublik Deutschland und Berlin. Der Deutsche Bundestag sieht in diesem Besuch, Herr Präsident, einen weiteren Schritt, die guten Beziehungen, die auf parlamentarischer Ebene dank zahlreicher Kontakte und persönlicher Begegnungen bestehen, zu vertiefen. Es ist eine besondere Freude, Parlamentarier aus Israel in unserem Land und hier bei uns im Deutschen Bundestag willkommen zu heißen.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Brandt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Soweit es den Strafvollzug betrifft, ist bei uns in der Bundesrepublik so gut wie nichts gesetzlich oder hinreichend gesetzlich geregelt. Dies gilt sowohl für den Erwachsenen- wie für den Jugendstrafvollzug, und es gilt auch für den Vollzug der Untersuchungshaft. Dies ist insgesamt ein nur schwer erträglicher Zustand.1967 wurde eine Strafvollzugskommission eingesetzt, die einen Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes erarbeitete, der dann die Grundlage des Regierungsentwurfs wurde, der dem Deutschen Bundestag 1972 vorgelegt worden ist. Dieser Gesetzentwurf ist nach schwierigen Beratungen im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform fast — fast! — verabschiedungsreif. Wenn dieser Entwurf Gesetz geworden ist, wird dieses in Teilen auch für den Jugendstrafvollzug gelten.Wir sind uns jedoch völlig darin einig, Herr Kollege Dr. Eyrich, daß dieses Gesetz den besonderen Aufgaben des Jugendstrafvollzugs keineswegs gerecht wird. Wir brauchen ein besonderes Jugendstrafvollzugsgesetz oder aber eine Rechtsverordnung nach dem Jugendgerichtsgesetz. Diese Frage braucht jetzt nicht vorentschieden zu werden. Jedenfalls ist eine umfassende allgemeine rechtliche Regelung dieses Komplexes erforderlich.Vor ziemlich genau zwei Jahren — Sie haben darauf hingewiesen — hat die CDU/CSU-Fraktion hier den Antrag gestellt, eine Jugendstrafvollzugskommission zu berufen, die alsbald eine entsprechende gesetzliche Regelung vorbereiten sollte, und zwar offensichtlich in der — auch richtigen — Erkenntnis, daß die sozialliberale Koalition schon in der Lage wäre, innerhalb relativ kurzer Frist das nachzuholen, was man vorher wenigstens zum Teil bereits hätte anpacken können. Wir haben damals gesagt, daß wir das Ziel des Antrags voll unterstützen, weil es unserer Absicht entspricht, den Jugendstrafvollzug allgemein rechtlich zu regeln.Wir haben zugleich aber auch darauf hingewiesen, daß die schwierige Materie des Strafvollzugsgesetzes erst einmal weitgehend bewältigt sein muß, ehe wir uns einer neuen zuwenden können. Dieser Zeitpunkt ist jetzt gekommen. Der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform legt dem Bundestag einen Beschlußantrag vor, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, alsbald eine Kornmission zu berufen, die die Grundlagen für eine gesetzliche Regelung des Jugendstrafvollzugs erarbeiten soll.Meine Damen und Herren, wer sich mit den Problemen des Strafvollzugs und insbesondere des Jugendstrafvollzugs auseinandersetzt und um sachgerechte Lösungen bemüht ist, steht in vielen Fällen vor einer Mauer von Verständnislosigkeit, findet oft nicht die Türen und dann nur selten den Schlüssel, sie zu öffnen; mitunter kommt es vor, daß eine gerade geöffnete Tür wieder einmal zugeschlagen wird, weil dies so sicherer erscheint. Das ist dann besonders schmerzlich, wenn man noch die Finger dazwischen hat.Wer sich den Problemen des Jugendstrafvollzugs stellt, weiß auch, daß ein Teil der Schuld, die etwa einzelnen zugemessen wird, auf die Gesellschaft abzuleiten ist. Die Gesellschaft — wir alle, auch dieses Haus — muß sich der Verantwortung stellen, die alle betrifft und der alle gerecht zu werden haben. In unserer Gesellschaft hat nicht nur der Rechtsstaatsgedanke, sondern auch der Sozialstaatsgedanke tragende Bedeutung. Auch der jugendliche Straftäter hat einen Anspruch darauf — auch wenn er sich zeitweise in Unfreiheit befindet —, Teil dieser Gesellschaft zu bleiben und wieder voll in sie integriert zu werden. Dieser Grundgedanke bestimmt die Maßnahmen, die zu treffen sind.Der Jugendstrafvollzug ist nicht in Ordnung. Was dort geschieht, ist oft ungenügend, bei aller Bemühung nicht selten sogar falsch. Das soll und muß sich ändern. Wir möchten die zu berufende Kommission ermuntern, für dieses Ziel der Integration nicht nur alte Wege zu gehen, sondern neue zu suchen. Juri-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975 12251
Brandt
sterei ist dabei wichtig, Pädagogik im weitesten Sinne ist dabei sicherlich wichtiger und unerläßlich. Um neue Wege zu gehen, braucht die Kommission nicht nur Sachverstand, sie braucht auch Mut. Wir werden sie bei diesem Weg nach Kräften unterstützen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Rückfallquote im Bereich des Jugendstrafrechts zwischen 50 und 80 % ist eine alarmierende Herausforderung an uns alle. Sie ist im Bereich des Jugendstrafrechts ganz sicherlich auch eine Herausforderung an diejenigen Skeptiker, die sich sonst von Bemühungen um Resozialisierung eine allheilende Wirkung nicht zu versprechen vermögen.
Nun sind im Jugendstrafvollzug die räumlichen, personellen und organisatorischen Mängel bekannt. Es spricht alles dafür, die Materie des Jugendstrafvollzugs einer bundeseinheitlichen gesetzlichen Regelung zuzuführen. Nicht daß schon die Regelung durch Gesetz oder Rechtsverordnung allein Mängel beheben könnte, aber wir dürfen nicht übersehen, daß hier in einem neuen Anlauf alle Beteiligten gezwungen werden, die gesamte Problematik des Jugendstrafvollzugs neu zu durchdenken und nicht dort weiterzufahren, wo wir bisher angelangt waren, sondern hier einen neuen Anlauf zu nehmen und auch neue Gedanken und neue Ansätze in die gesetzliche Regelung mit einzubringen.
Wir begrüßen in diesem Zusammenhang, daß man zur Vorbereitung dieses Vorhabens eine Jugendstrafvollzugskommission einsetzen wird. Wir halten es darüber hinaus für gut, daß man dieser Kommission für ihre Beratungen nicht enge Grenzen gesetzt hat, sondern es offengelassen hat, ob die Kommission zur Empfehlung kommen wird, die Materie durch ein Jugendstrafvollzugsgesetz oder auf Grund der Ermächtigung des § 115 des Jugendgerichtsgesetzes durch Rechtsverordnung zu regeln. Wir als Fraktion der FDP halten uns in dieser Frage durchaus offen. Wir sind zwar grundsätzlich stets der Meinung, daß bedeutsame Materien durch Gesetz geregelt werden sollten. Umgekehrt ist nicht zu übersehen, daß in diesem Bereich eine Rechtsverordnung flexibler sein mag. In einem Bereich, der es weitgehend mit pädagogischen Fragen zu tun hat, ist der Wandel der pädagogischen Auffassungen nicht zu übersehen. Das darf allerdings nicht heißen — dies als Anmerkung —, daß hier der Kreis der Betroffenen künftig pädagogischen Experimenten ausgesetzt sein dürfte. Auch hier ist ganz sicherlich gründliches Überdenken und Kontinuität nötig. Wir stimmen dieser Vorlage zu und sehen den Ergebnissen der Kommissionsberatungen mit großem und mit engagiertem Interesse entgegen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. W kommen zur Abstimmung
über Drucksache 7/3643. Wer dem Antrag des Ausschusses seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe auf den Punkt 4 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern
— Drucksache 7/3611 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/3724 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Riedl
b) Bericht und Antrag des Innenausschusses
— Drucksache 7/3689 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Berger Abgeordneter Liedtke
Ich danke den Berichterstattern. Wünschen die Berichterstatter zur Ergänzung das Wort? — Das Wort zur Ergänzung seines Berichts hat der Berichterstatter Dr. Riedl .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Auftrag des Haushaltsausschusses, zu dem vorliegenden zustimmenden Bericht folgende einvernehmliche Meinung mitzuteilen.Erstens. Die Einstufung des weiteren örtlich abgesetzten Vizepräsidenten des Bundeskriminalamtes ist als eine Einzelentscheidung so akzeptiert worden und so aufzufassen. Es ist wichtig, daß sich darauf keine anderen Bereiche berufen können und berufen dürfen. Der Haushaltsausschuß bittet das Hohe Haus und die Ministerien, bei etwaigen Folgeforderungen in diesem Sinne zu reagieren.Zweitens. Die neue eingeführte Klausel, daß im Länderbereich Leitende Ministerialräte in Besoldungsgruppe B 3 mit genauen Funktionsbeschreibungen versehen und in die Obergrenze von 60 %, d. h. bezogen auf alle Planstellen der Besoldungsgruppen A 16, B 2 und B 3, einbezogen werden, soll eingrenzend wirken. Denn bisher könnten Beamte nach einem kürzlich hier im Deutschen Bundestag gefaßten Beschluß zur Zweiten und Dritten Lesung des 2. BesVNG zu Leitenden Ministerialräten in Besoldungsgruppe B 3 ohne Rücksicht auf die seinerzeit geschaffenen Obergrenzen und ohne herausgehobene Funktion befördert werden. Der Haushaltsausschuß möchte klarstellen, daß auch hier eine Einschränkung der Beförderungsmöglichkeit geschaffen worden ist. Andererseits befürchtet
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Dr. Riedl
der Haushaltsausschuß, daß in manchen Bereichen die gewollte Einschränkung durch genaue Funktionsbeschreibungen und durch die Obergrenze gerade umgekehrt ausgenutzt wird, um zu Verbesserungen bei B 3 und vielleicht später bei B 4 zu kommen. Der Haushaltsausschuß appelliert an alle Beteiligten, bei organisationsrechtlichen und haushaltsrechtlichen Entscheidungen im dargelegten Sinne zu verfahren. In der gegenwärtigen Haushaltslage können derartige Verbesserungen nicht akzeptiert werden.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Das Wort wünscht der Herr Abgeordnete Conradi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde gegen das Vierte Bundesbesoldungserhöhungsgesetz stimmen, und ich möchte dies mit einigen Sätzen begründen.Erstens. Ich halte das Verfahren für unbefriedigend. Die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst werden auf der Arbeitgeberseite von der Bundesregierung, d. h. vom Bundesinnenminister, geführt. Der Bundestag ist daran nicht beteiligt. Der Bundestag übernimmt aber dann den ausgehandelten Tarifabschluß der Angestellten und Arbeiter für die Beamten. Dieser Gesetzesbeschluß hat den Charakter einer rituellen Handlung. Denn würden wir die Beamten besserstellen, etwa in den unteren Gruppen durch einen Sockelbetrag, dann hätten wir Empörung bei den Angestellten und Arbeitern. Würden wir die Beamten schlechterstellen, etwa oben durch eine Kappungsgrenze, dann hätten wir große Empörung bei den Beamten. Ich meine deshalb, es wäre ehrlicher, wenn wir die Beamtenbesoldung an den Tarifabschluß direkt anbänden statt hier so zu tun, als ob, wo doch in Wirklichkeit andere längst für uns beschlossen haben.Zweitens. Ich bin nicht gegen die Höhe des Tarifabschlusses. Ich bin gegen seine Struktur. Ich meine, daß die Gewerkschaft ÖTV in dieser Tarifrunde gezeigt hat, das sie aus 1974 gelernt hat, gelernt in bezug auf die Höhe ihrer Tarifforderungen, aber auch in bezug auf die Struktur. Ich bedaure sehr, daß sich die Arbeitgeberseite, vor allem der Herr Bundesinnenminister, nicht bereit gefunden hat, das strukturelle Angebot der ÖTV, nämlich einen substantiellen Sockelbetrag, aufzugreifen.Wenn es richtig ist, daß wir mit großen Zuwächsen des Bruttosozialprodukts nicht mehr zu rechnen haben, wenn es richtig ist, daß wir die Zuwächse vorrangig für unsere Energie- und Rohstoffsicherung und den Ausbau unserer Wirtschaft brauchen, wenn es richtig ist, daß wir die Verteilungskämpfe deshalb nicht mehr wie in der Vergangenheit durch Umverteilung der Zuwächse schlichten können, und wenn es richtig ist, daß die Preissteigerungen vor allem auf die niedrigen Einkommensgruppen durchschlagen, dann kann man nicht mehr am Prinzip der linearen Einkommenssteigerung festhalten, weder ökonomisch noch gesellschaftspolitisch. Das heißt, wir müssen die Einkommenszuwächse auf die unteren Gruppen beschränken, die einen Nachholbedarf haben, wir müssen bei den mittleren Einkommen dafür sorgen, daß die Kaufkraft gesichert bleibt, und wir müssen bei den höheren Einkommensgruppen für unterproportionale Steigerungen sorgen.Jetzt kommen normalerweise die Einwendungen, dies sei Gleichmacherei, Leistungsfeindlichkeit. Ich meine, darüber sollte hier einmal ernsthaft gestritten werden. Die heutigen Einkommensunterschiede sind nicht Ergebnis des Leistungsprinzips. Ich bin nicht der Meinung, daß ein Chefarzt zwanzigmal soviel wie eine Stationshilfe, daß ein Ministerialbeamter fünfmal soviel wie ein Amtsbote leistet. Das Leistungsprinzip ist ja keine Erfindung der Konservativen. Daß ein Mensch, von der Sozialhilfe einmal abgesehen, nach seiner Leistung beurteilt und bezahlt wird, und nicht nach seiner Geburt, nicht nach dem Geldbeutel seines Vaters, nicht nach seiner Ausbildung, sondern nach dem, was er leistet, dies war eine egalitäre Forderung. Gerade diejenigen, die für ein Leistungsprinzip sind, müßten hier eigentlich gegen lineare Erhöhungen, gegen die derzeitige Struktur der Beamtenbesoldung sprechen.
Noch einmal: Lineare Einkommensverbesserungen sind bei der gegenwärtigen Einkommenstruktur weder verteilungspolitisch noch wirtschaftspolitisch noch gesellschaftspolitisch vertretbar.Ich möchte drittens noch zu einem Punkt kommen, bei dem viele Bürger draußen im Lande böse werden: Wenn die beiden Worte „Beamte" und „Bundestag" fallen, gibt es Aggressionen.
Wer immer damals aus sicher guten Gründen die Diätenerhöhung an die Beamtenbesoldung angebunden hat, hat, glaube ich, dem Bundestag und den Beamten keinen sehr guten Dienst getan. Im übrigen habe ich dargelegt, daß über unsere Diätenerhöhung heute hier gar nicht beschlossen wird. Darüber ist beim Tarifabschluß beschlossen worden.
Ich meine aber, daß die Beamten in diesem Hause — ich bin einer von ihnen — vielfältig privilegiert sind, privilegiert durch die Freistellung im Wahlkampf, privilegiert durch das Weiterlaufen der reduzierten Bezüge,
privilegiert durch die Rücknahmegarantie in den öffentlichen Dienst. Unbestreitbar hat dieses Haus auch die Beamten gelegentlich sehr deutlich begünstigt, etwa in der Steuerreform bei der Berücksichtigung der Vorsorgeaufwendungen bei den Sonderausgaben.Als einer der Betroffenen, der zweimal von diesen 6 °/o, die Sie beschließen werden, begünstigt
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Conradiwird, nämlich als Abgeordneter und als Ruhestandsbeamter, möchte ich diese Entwicklung hier kritisch aufzeigen. Wenn sich dieser Bundestag als unfähig erweist, die Privilegierung eines Teils seiner Mitglieder abzubauen oder den anderen Mitgliedern gleiche Rechte zu verschaffen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn dieses Haus draußen im Land als „Beamten-Selbstbedienungsladen" disqualifiziert wird.Zum Schluß: Wir werden in der nächsten Zeit oft an die Vernunft der Bürger appellieren müssen. Es wird immer wieder unpopuläre Maßnahmen geben, und das verringerte Wachstum und die Weltlage werden es uns nicht gestatten, weiterhin aus dem Füllhorn der Zuwächse zu verteilen. Der Arbeiter wird es nicht verstehen, wenn er beim Tarifkampf kurztreten soll, solange der Vorstandsvorsitzende seiner Firma das Zwanzigfache seines Lohns verdient. Die Sekretärin in BAT VI wird es nicht verstehen, wenn wir in Tarifverhandlungen mit dem öffentlichen Dienst Maßhalten verlangen und Minister und Ministerialrat mit dem Maßhalten nicht anfangen. Und die Bürger werden es nicht verstehen, wenn wir ihnen sagen, was notwendig und machbar ist, und das selbst, Bundesregierung und Bundestag, nicht beherzigen.
Das Wort hat der Abgeordnete Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwischen den Fraktionen war vereinbart worden, keine Aussprache durchzuführen und keine Erklärungen abzugeben. Ich glaube aber, nach den Bemerkungen des Kollegen Conradi ist es doch erforderlich, darauf hinzuweisen, daß für die Besoldung eine andere Grundlage als für die Tarifverhandlungen gilt. Ich muß also für die CDU/CSU die Überlegung zurückweisen, daß Tarifverhandlungsergebnisse automatisch für den Besoldungssektor übernommen werden.
Auch der Vorschlag, eine Kappungsgrenze einzuführen, ist zu einem früheren Zeitpunkt bereits einmal im Innenausschuß behandelt und mit guten Gründen zurückgewiesen worden. Ich darf feststellen, daß abgesehen von der Meinung des Kollegen Conradi, wie er sie soeben vorgetragen hat, im übrigen einstimmig — nicht nur im Innenausschuß, sondern, wie mir bekannt ist, auch in den Fraktionen — an der Meinung festgehalten wird, daß die Besoldungspolitik eine eigene Rechtsgrundlage hat und es sich nicht darum handeln kann, Tarifverhandlungsergebnisse abzuschreiben.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es bleibt dabei, Herr Berger, daß wir zu diesem Tagesordnungspunkt für die Fraktionen keine Erklärungen abgeben. Herr
Kollege Conradi hat eingangs deutlich gemacht, daß er seine persönliche Auffassung vorträgt.
— Dann sage ich es noch einmal ausdrücklich: Das, was Herr Conradi vorgetragen hat, ist nicht die Auffassung der SPD.
Trotzdem möchte ich zu seinen Aussagen sagen: Er hat eine Reihe von Punkten angeführt, über die wir im Ausschuß beraten haben, über die wir einstimmig anderer Auffassung sind. Er hat aber auch einige Punkte angeführt, über die wir in Zukunft werden beraten müssen, um zu einer einheitlichen oder zu einer mehrheitlichen Auffassung zu kommen. Das, was hier vorgetragen wurde, ist nicht die Auffassung der SPD-Fraktion.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache in zweiter Beratung.Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Vierten Bundesbesoldungserhöhungsgesetzes mit den Art. I bis V, der Einleitung und der. Überschrift. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —Stimmenthaltungen? — Bei einer Gegenstimme und einigen Enthaltungen ist das Gesetz in zweiter Lesung angenommen.Wir kommen zurdritten Beratung.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort wird nicht gewünscht? — Ich schließe die Aussprache in dritter Lesung.Wer dem Gesetz in dritter Lesung seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einer Gegenstimme und eine Reihe von Enthaltungen ist das Gesetz in dritter Beratung angenommen.Wir müssen noch über den Antrag des Ausschusses abstimmen. Sie finden ihn auf Seite 3 der Drucksache. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — So beschlossen.Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Weinwirtschaftsgesetzes— Drucksache 7/2935 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 7/3670 —Berichterstatterin:Abgeordnete Frau Dr. Riedel-Martiny
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Vizepräsident von HasselIch danke der Berichterstatterin. Wünscht die Berichterstatterin das Wort zur Ergänzung ihres Berichts? — Das Wort hat Abgeordnete Frau Dr. Riedel-Martiny.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Entgegen dem Regierungsentwurf hat der federführende Ausschuß durch Einfügung eines § 16 a die Länder ermächtigt, eine Abgabe für die gebietliche Absatzförderung einzuführen. Hierbei wird den Ländern vorgeschrieben, daß sie oder die von ihnen bestimmten Stellen sich bei der Absatzförderung der Einrichtungen der Wirtschaft, insbesondere der bereits bestehenden gebietlichen Absatzförderungseinrichtungen, bedienen sollen. Sie finden dies in Abs. 2 Satz 2. Ferner wird vorgeschrieben, daß die Maßnahmen der gebietlichen Absatzförderung untereinander und mit dem bundesunmittelbaren öffentlich-rechtlichen Stabilisierungsfonds für Wein abzustimmen sind.
Diese Regelungen des § 16 a machen diese Novelle nach Art. 84 Abs. 1 des Grundgestzes von der Zustimmung des Bundesrates abhängig. Nach dieser Verfassungsnorm regeln nämlich die Länder die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren selbst, wenn sie Bundesgesetze als eigene, also als Landesangelegenheiten ausführen. Stellen Bundesgesetze jedoch für diese Verwaltungsverfahren eigene Regelungen auf, so bedürfen diese Bundesgesetze nach der angeführten Verfassungsnorm der Zustimmung des Bundesrates.
Aus den erwähnten Vorschriften der Abs. 2 und 3 des § 16 a ergibt sich also, daß die Länder, die von dieser Ermächtigung Gebrauch machen, hinsichtlich des Verwaltungsverfahrens an bestimmte vom Bundesgesetzgeber aufgestellte Regelungen gebunden sind. Sie können also das Verwaltungsverfahren nicht wie sonst im Bereich der landeseigenen Verwaltung beim Vollzug von Bundesrecht frei festlegen. Deshalb muß die Einleitungsformel des Gesetzes richtig lauten:
Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:
Ich danke der Frau Berichterstatterin.
Weitere Wortmeldungen zur zweiten Beratung liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache in der zweiten Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf in der Fassung der Drucksache 7/3670. Wer den Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — In zweiter Lesung ist das Gesetz ohne Gegenstimmen und ohne Enthaltungen angenommen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Ich erteile das Wort Herrn Abgeordneten Dr. Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Änderung des Weinwirtschaftsgesetzes aus dem Jahre 1961 fällt in eine Zeit, in der unter den deutschen Winzern eine große Unruhe besteht, weil ausländische Weine den deutschen Markt bedrängen und das Gesamtangebot die Nachfrage übersteigt. Es soll hier nicht die Stunde und der Ort sein, die Ursachen nachzuzeichnen und die vielfältigen Gründe vorzutragen. Es steht fest, daß der Verbraucher, der haushaltet und spart, bei Genußmitteln eher Verzicht leistet und daß waches Preisbewußtsein der Billigware den Vorzug gibt zu Lasten der Qualität und mithin leider auch auf Kosten des Absatzes des deutschen Qualitätsweines.Die Förderung des Absatzes durch Konzentration der Marketing-Instrumente bewegte den Gesetzgeber schon 1961. Zugrunde lag die Erkenntnis, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die damit verbundene Öffnung der deutschen Grenzen für ausländische Weine der eigenen Weinwirtschaft erhebliche Sorgen bereiten wird.Zum Schutz des deutschen Weinbaus gegenüber der europäischen Konkurrenz wurde als Kernstück des Weinwirtschaftsgesetzes der Stabilisierungsfonds für Wein eingerichtet. Seine Aufgaben waren vielfältig. Ihm oblag nicht nur die Förderung der Absatzwerbung, sondern ebenso die Lagerung und Verwertung von Wein, die Förderung der Qualität. Der Fonds diente bislang als Interventionsstelle und regelte die Kreditbewilligung.Die wirtschaftliche Bedeutung des Fonds liegt heute vor allem in der Förderung der Absatzwerbung. Der Kampf auf dem europäischen Markt um Marktanteile und Absatzchancen bestimmt und belastet die Gemeinschaft auch im Bereich der Weinwirtschaft. Damit die deutschen Winzer und Händler dem enormen Druck der ausländischen Konkurrenten standhalten und in der Lage sind, den Abssatz ihrer Produkte zu verteidigen und zu sichern, ist Absatzförderung durch Werbung nötiger denn je. Das ist der Grund, der die Bundesregierung zur Vorlage des Änderungsentwurfes bewegt hat und uns heute zur Verabschiedung des Gesetzes veranlaßt.In der Regierungsvorlage schlägt die Bundesregierung zur Finanzierung der zukünftigen Maßnahmen eine Verdoppelung der bisherigen Abgaben vor. Demgegenüber hat der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten nach eingehenden Beratungen die Regierungsvorlage dahin gehend geändert, daß eine Abgabenerhöhung um 40 % bzw. um 0,20 DM je Ar bzw. je Hektoliter unter dem Gesichtspunkt notwendiger und vertretbarer Sparsamkeit ausreicht, um dem Stabilisierungsfonds die Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben für die Zukunft zu ermöglichen.Einhellige Auffassung des Ausschusses war — ich möchte sie seitens der Sozialdemokraten erneut hervorheben —, daß der Belastbarkeit der Winzer und des Weinhandels insbesondere in einer Zeit stagnierenden Absatzes Grenzen gesetzt sind und eine Verdoppelung der Abgaben zugunsten eines zentralen Werbefonds den Betroffenen nicht zugemutet
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Dr. Fischerwerden kann. Der Ausschuß hat sich der Kritik, die aus weiten Kreisen des Weinbaus gegen die vorgesehene Regelung vorgetragen wurde, bei allem Verständnis für die Aufgaben und Probleme des Stabilisierungsfonds und bei voller Würdigung seiner Verdienste um eine zentrale Weinwerbung letztlich dennoch nicht verschließen können.Der Ernährungsausschuß hat sich des weiteren einhellig dazu durchgerungen, diesem Hohen Hause die Einfügung eines j 16 a vorzuschlagen, wonach die Länder ermächtigt werden, eine Flächenabgabe für die gebietliche Absatzförderung zu erheben. Wir sind der Meinung, daß mit dieser Regelung der Grundsatz der Solidarität in der Absatzförderung gewährt bleibt und keine Einschränkung für den Stabilisierungsfonds zu befürchten ist. Vielmehr trägt § 16 a im Anschluß an das deutsche Weingesetz von 1971 dem Grundsatz der Regionalisierung konsequent Rechnung. Wir hoffen und erwarten, daß eine sinnvolle Aufgabenverteilung und Absatzförderungsstrategie die verschiedenen Werbeeinrichtungen, die schon jetzt in den Bundesländern vorhanden sind und gut funktionieren, mit dem Stabilisierungsfonds zu abgestimmten Maßnahmen zusammenführen können.Mit der vom federführenden Ausschuß vorgeschlagenen Regelung entfällt die im Regierungsentwurf vorgesehene gesetzliche Verankerung der Zuweisung von Mitteln des Stabilisierungsfonds an gebietliche Werbeeinrichtungen. Dies schließt jedoch nicht aus, daß der Fonds im Rahmen seiner Aufgabenstellung nach freiem Ermessen, soweit die Finanzmittel dazu ausreichen, die bisherige Übung beibehalten kann, regionalen Absatzförderungseinrichtungen Mittel aus dieser Abgabe zuzuweisen.Die vom Ernährungsausschuß vorgeschlagene zusätzliche Bestimmung, dieser § 16 a, enthält keine Verpflichtung, sondern eine Ermächtigung. Wir appellieren deshalb an die Bundesländer — insbesondere an das größte weinbautreibende Land, Rheinland-Pfalz —, von dieser Ermächtigung, die die Chance für eine wirkungsvolle Gebietswerbung ist, durch schnelle Gesetzesinitiativen tatkräftig Gebrauch zu machen.
Wir alle wissen, daß gerade in Rheinland-Pfalz in dieser Hinsicht manches im argen liegt.
Hier hat die Landesregierung — der Vorwurf ist ihr leider nicht zu ersparen — zu wenig unternommen, um neue Wege der Vermarktung zu suchen. Unter diesen Umständen ist vor allem der kleinbetrieblich strukturierte Weinbau in Rheinland-Pfalz erheblich gefährdet, und manche Winzerfamilie ist in ihrer Existenz bedroht.Mit der vorliegenden Novelle versucht der Bund, eine Chance zur Abhilfe anzubieten. Wir wollen die finanzielle Basis für die zentrale Gemeinschaftswerbung verbessern und gleichzeitig die Möglichkeit schaffen, daß die gebietlichen Werbeeinrichtungen in Rheinland-Pfalz gestärkt werden. An dieAdresse des rheinland-pfälzischen Parlaments gerichtet, betonen wir, daß es uns bei der vorgeschlagenen Einfügung des § 16 a vor allem um eine Verbesserung der Absatzlage in diesem Bundesland geht.So sehr wir bereit sind, unseren Beitrag für die Winzerschaft zu leisten, so sehr ist es auch unsere Pflicht, diesen Berufsstand zu ermahnen und zugleich zu ermuntern, selber sichtbare Zeichen zur Mitwirkung bei der Lösung seiner Probleme zu setzen. Vor allem das Genossenschaftswesen muß in den Problemgebieten ausgebaut werden.Aufgabe des Staates, d. h. der zuständigen Länder, wird es weiterhin — vielleicht mehr denn je — sein, eine verstärkte und lückenlose Kontrolle der Importweine und eine Verbesserung der Bezeichnungswahrheit bei ausländischen Weinen durchzuführen. Es muß verhindert werden, daß dem Verbraucher durch die Etikettengestaltung bei ausländischen Weinen immer wieder der Eindruck vorgespiegelt wird, es handele sich um inländische Erzeugnisse oder, was noch schwerwiegender ist, es handele sich um Auslandsweine, deren Qualität mit der der deutschen vergleichbar sei.Meine Damen und Herren, mit der heute hier zur Verabschiedung vorgelegten Gesetzesänderung will der Bund die Voraussetzungen für verstärkte Werbung schaffen. Damit soll von unserer Seite erneut unter Beweis gestellt werden, daß die Weinwirtschaft der Bundesrepublik nicht auf Intervention, sondern auf den Markt setzt. Dies möchte ich vor allem auch gegenüber unseren europäischen Partnern und Mitbewerbern auf dem europäischen Weinmarkt in begründeter Besorgnis zum Ausdruck bringen. Um die Existenz der Winzer nicht weiter zu gefährden, müssen wir das Mengenproblem, d. h. die hemmungslose Produktion von Überschüssen im Vertrauen auf die europäische Weinmarktordnung, in den Griff bekommen. Die Praktiken des Interventionssystems werden und müssen sonst eines Tages, vielleicht schon in naher Zukunft, an den leeren Kassen Europas scheitern.Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt der Vorlage auf Drucksache 7/3670 zu.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Riede .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zur Änderung des Weinwirtschaftsgesetzes gebe ich für die CDU/CSU-Fraktion folgende Erklärung ab.Der Stabilisierungsfonds für Wein wurde auf Anregung der Regierung in Zusammenarbeit mit dem deutschen Weinbauverband und dem Bundesverband der Winzergenossenschaften ins Leben gerufen. Nach dem Weinwirtschaftsgesetz vom 9. Mai 1968 hat der Stabilisierungsfonds die Aufgabe, die Qualität des Weines und dessen Absatz durch Pflege des Marktes zu fördern.
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Frau Dr. Riede
Dieser Fonds wird von der Weinwirtschaft finanziert, d. h. von Winzer und Weinhandel, und zwar seither durch eine Abgabe von 50 Pf jährlich pro Ar Rebfläche, die sogenannte Flächenabgabe, und durch eine Abgabe von 50 Pf pro Hektoliter inländischen Mostes oder Weines, die sogenannte Mengenabgabe. Diese Abgaben erbrachten im Weinwirtschaftsjahr 1973/74 den Betrag von 7,1 Millionen DM, im Jahr zuvor aber nur 6,6 Millionen DM, da die Höhe des Betrages der Mengenabgabe von der Menge des geernteten Weines abhängig ist, und diese ist nicht in jedem Jahr gleich. Durch die Ausweitung der Rebfläche und durch die Selektionierung der Rebsorten sind die Einkünfte des Stabilisierungsfonds seit seiner Schaffung angewachsen. Aber auch seine Aufgaben haben sich vermehrt. 1965 betrug das Aufkommen aus dem Weinwirtschaftsgesetz 3,2 Millionen DM. Im vergangenen Weinwirtschaftsjahr sind diese Einnahmen auf 7,1 Millionen DM angestiegen.Mit diesen finanziellen Mitteln hat der Stabilisierungsfonds seit seinem Bestehen hervorragende Arbeit geleistet. Durch ihn wurden durch Zuschüsse für Weinprämiierungen Anregungen zur Förderung der Qualität der deutschen Weine gegeben. Durch Werbung in Fernsehen, Rundfunk, Zeitschriften und Tageszeitungen hat er breitgestreute Informationen über den deutschen Wein und seine exzellenten Eigenschaften vermittelt. Außerdem hat er bei verschiedenen Verkaufsaktionen finanzielle Hilfen geleistet. Vor allem war die Absatzförderung im Ausland auf Schwerpunktmärkten — insbesondere in den USA, in Kanada, Großbritannien, Belgien, den Niederlanden, Dänemark, Schweden und Japan — recht erfolgreich.Infolge der allgemeinen Kostensteigerungen bzw. des Kaufkraftverlusts reichen die nach dem Weinwirtschaftsgesetz zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel nicht mehr aus, um eine wirksame Werbung für den deutschen Wein durchführen zu können, d. h., der Stabilisierungsfonds braucht mehr Geld. Es besteht überhaupt kein Zweifel, daß die Weinwerbung im In- und Ausland dringend notwendig ist. Es besteht auch kein Zweifel, daß die seitherige Abgabenregelung für eine effektive Weinwerbung nicht mehr ausreicht.Deshalb hat die Bundesregierung vorgeschlagen, den Abgabesatz aus Fläche und Menge um 100 % anzuheben. Dieser Vorschlag stieß in meiner Fraktion auf erheblichen Widerstand, und zwar aus zwei Gründen.Erstens. Es ist unzumutbar, den Abgabesatz bei der heutigen finanziellen Anspannung um 100 % zu erhöhen.Zweitens. Die weinbautreibenden Länder, die von Erzeugern und vom Handel schon erhebliche Gebühren für ihre Gebietsweinwerbung abschöpfen und Gebietsweinwerbung sehr erfolgreich betreiben, können nicht in gleichem Maße zur Kasse gebeten werden wie die Länder, die auf Gebietsweinwerbung bisher keinen besonderen Wert gelegt haben. Herr Kollege Fischer ist bereits darauf eingegangen. So hat z. B. Mainfranken im verflossenenWeinwirtschaftsjahr für die Werbung für seine Weine bei einer Fläche von nur 3 000 ha 360 000 DM aufgebracht. Zum Vergleich beziehe ich mich auf zwei andere Weinbaugebiete: Rheingau und Bergstraße, die zusammen so groß sind wie Mainfranken, sie haben gleichen Zeitraum nur 30 000 DM, also noch nicht einmal ein Zehntel aufgebracht. Noch aussagekräftiger ist der Vergleich zwischen Baden einerseits und Mosel-SaarRuwer andererseits. Beide Gebiete umfassen eine Fläche von 11 000 ha Rebland.
— Für Baden sicher nicht.
Im vergangenen Weinwirtschaftsjahr hat das Land Baden nahezu 5 Millionen DM für seine Weinwerbung aufgebracht, während das Mosel-Saar-RuwerWeinbaugebiet im selben Zeitraum nur 130 000 DM dafür ausgegeben hat.Sie sehen an diesen Beispielen, daß innerhalb unserer Bundesrepublik in den einzelnen Weinbaugebieten verschieden intensiv regionale Weinwerbung betrieben wurde. Es braucht deshalb nicht zu verwundern, daß die Weinbaugebiete, die ihrer gebietlichen Weinwerbung bisher wenig Bedeutung zugemessen haben, erhebliche Absatzschwierigkeiten haben. Die Läger sind voll, und die dafür gebotenen Preise fallen teilweise unter die Gestehungskosten. In Weinbaugebieten mit gut funktionierender eigener Weinwerbung bestehen diese Schwierigkeiten in geringerem Maße. Sie sehen daraus, meine Damen und Herren, daß es ohne Gebietsweinwerbung nicht geht. Die weinbautreibenden Länder müssen die Möglichkeit haben, für ihre eigene Weinwerbung Gebühren zu erheben.Um diesen unterschiedlichen Gegebenheiten Rechnung zu tragen, schlägt die CDU/CSU-Fraktion vor, daß die Flächen- und Mengenabgabe zugunsten des Stabilisierungsfonds nicht um 100 %, sondern um 40 % angehoben wird und daß die Länder ermächtigt werden, zur Förderung des in ihrem Gebiet erzeugten Weines eine Abgabe zu erheben, die die Höhe der Gebühren des Stabilisierungsfonds nicht übersteigen darf. Außerdem — und das ist in meinen Augen sehr wichtig — sollen die Länderfonds ihre Maßnahmen mit denen des Stabilisierungsfonds für Wein abstimmen, um eine möglichst effektive Wirkung zugunsten des Weinabsatzes zu erzielen.
Das Wort hat der Abgeordnete Gallus.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! „Wer nicht liebt Weib, Wein und Gesang, bleibt ein Narr sein Leben lang."
Damit dieses Wort, das einem großen Deutschenzugeschrieben wird, Wirklichkeit werde, gebe ichim Namen der FDP-Fraktion die Erklärung ab, daß
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975 12257
Galluswir bei dieser Gesetzesvorlage der Bundesregierung im Ausschuß nicht folgen konnten.Angesichts der allgemeinen wirtschaftlichen Situation und der unterschiedlichen Belastung, die auf den verschiedenen Weinbaugebieten in bezug auf die Werbung ruht, hat der Ausschuß lediglich einer Erhöhung um 40 % von 50 auf 70 Pf zugestimmt. Unsere Fraktion hält das für richtig. Gleichzeitig muß man sagen, daß damit die Forderungen des Stabilisierungsfonds nicht in Erfüllung gegangen sind, und man muß hier zubilligen, daß diese Erhöhung in der Zukunft höchstwahrscheinlich früher, als bisher geschehen, überprüft werden muß.Zum zweiten sind wir der Auffassung, daß dieses Gesetz die Möglichkeit einer gewissen Regionalisierung eröffnet — aus dem Munde meiner Vorredner ist ja bereits hervorgegangen, auf welche Gebiete der Bundesrepublik sich das in erster Linie beziehen wird —, daß hier die Möglichkeit gegeben ist, nachzuholen, was in einigen Ländern, insbesondere in Baden-Württemberg, bisher aus genossenschaftlichem Geist und aus Privatinitiative geschehen ist.Zum dritten sind wir der Auffassung: Werbung ist notwendig; sie allein wird aber das Problem der deutschen Weinwirtschaft und der europäischen Weinwirtschaft nicht meistern. Ich möchte von dieser Stelle aus einen Appell an Kommission und Ministerrat der EG richten, dafür Sorge zu tragen, daß wir zu einer Anbaubeschränkung bei Weinreben in Europa kommen; sonst befürchte ich, daß wir in der Zukunft in Europa in einem Weinsee baden gehen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache in dritter Beratung.Bevor wir zur Abstimmung kommen, mache ich auf folgendes aufmerksam: Die Berichterstatterin hat zur Ergänzung des Ausschußberichtes erklärt, daß die Einleitung lauten müsse:Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:Ich glaube, daß es darüber keinen Zweifel gibt; ich möchte nur noch einmal sicherstellen, daß wir über diesen zusätzlichen Vorschlag bereits abgestimmt haben.Wer nun in dritter Beratung dem Gesetz seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe..— Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe nunmehr Punkt 6 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes— Drucksache 7/3599 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/3723 —Berichterstatter:Abgeordneter Carstens
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 7/3675 —Berichterstatter: Abgeordneter Burger
Ich danke den Berichterstattern. Wünschen diese zur Ergänzung das Wort? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache in zweiter Beratung. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung über den Gesetzentwurf in der Fassung der Drucksache 7/3599. Wer den Art. 1, 2, 3, der Einleitung und der Überschrift zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich eröffne diedritte Beratung.Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die dritte Beratung.Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ohne Gegenstimmen und Enthaltungen ist das Gesetz so beschlossen.Ich rufe den Punkt 7 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Schlachtungs- und Schlachtgewichtsstatistik— Drucksache 7/3440 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/3639 — Berichterstatter: Abgeordneter Löfflerb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 7/ 3638 —Berichterstatter: Abgeordneter Rainer
Ich eröffne die Aussprache in zweiter Beratung. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Wer dem Gesetz mit den §§ 1 bis 7, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. Enthaltungen? — In zweiter Beratung so beschlossen.Ich eröffne diedritte Beratung.
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12258 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975
Vizepräsident von HasselDas Wort wird nicht begehrt. Ich schließe diese Beratung.Wir kommen zur Schlußabstimmung über das Gesetz. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe den Punkt 8 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik im Produzierenden Gewerbe— Drucksache 7/3372 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/3652 —Berichterstatter:Abgeordneter Möller
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 7/3651 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Unland
Ich danke den Berichterstattern. Wünschen diese zur Ergänzung das Wort? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache in der zweiten Beratung. — Das Wort wird nicht begehrt. — Ich schließe die Aussprache.Wer in zweiter Beratung dem Gesetz mit den §§ 1 bis 16, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Ohne Gegenstimmen und Enthaltungen so beschlossen.Ich eröffne diedritte Beratung.Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die dritte Beratung.Wer dem Gesetz in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe den Punkt 9 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Wirtschaftsprüferordnung— Drucksache 7/2417 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 7/3650 —Berichterstatter: Abgeordneter Schmidhuber
Ich danke dem Berichterstatter. Wünscht dieser das Wort zur Ergänzung? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Beratung in zweiter Lesung. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung.Wir kommen zur Abstimmung in der zweiten Lesung. Wer dem Gesetz in der Fassung der Art. 1 bis 8, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Ohne Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen.Ich eröffne diedritte Beratung.Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe sie.Wer dem Gesetz in der dritten Beratung seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ohne Gegenstimmen und ohne Enthaltungen angenommen.Ich rufe den Punkt 10 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Häftlingshilfegesetzes— Drucksache 7/3554 —Bericht und Antrag des Innenausschusses
— Drucksache 7/3680 —Berichterstatter: Abgeordneter Liedtke
Ich danke dem Berichterstatter. Wünscht er zur Ergänzung das Wort? — Das ist nicht der Fall.Dann kommen wir zur Aussprache in zweiter Beratung. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung.Wir stimmen über den Gesetzentwurf in zweiter Beratung ab: Art. 1, — 2, — 3. — Ich mache darauf aufmerksam, daß Art. 3 — Inkrafttreten — vom Ausschuß geändert worden ist; ich glaube, daß da keine Zweifel sind. Also: Art. 1, 2 und 3 in dieser Fassung, Einleitung und Überschrift. — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Ohne Gegenstimmen und ohne Enthaltungen in zweiter Beratung angenommen.Ich eröffne diedritte Beratung.Das Wort in der Aussprache wird nicht begehrt. Ich schließe diese Beratung. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, möge sich bitte erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Wir müssen dann noch über Nr. 2 des Ausschußantrags in Drucksache 7/3680 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. —
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975 12259
Vizepräsident von HasselGegenprobe! — Enthaltungen? — Der Ausschußantrag ist einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kristallglaskennzeichnungsgesetzes— Drucksache 7/3500 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 7/3677 —Berichterstatter: Abgeordneter Schmidhuber
Ich danke dem Berichterstatter. Wünscht dieser das Wort? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache in zweiter Beratung. Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe diese Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Wer dem Gesetz mit den Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich eröffne diedritte Beratung.Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die dritte Beratung. Wer dem Gesetz in der Fassung der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, möge sich erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über vereinfachte Verkündungen und Bekanntgaben— Drucksache 7/2405 —Bericht und Antrag des Rechtsausschusses
— Drucksache 7/3674 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Arndt
Abgeordneter Dr. Klein
Ich danke den Berichterstattern. Wünschen diese das Wort zur Ergänzung? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die zweite Beratung. Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die zweite Beratung. Wir kommen zur Abstimmung über das Gesetz mit den §§ 1 bis 9, Einleitung und Überschrift. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich eröffne diedritte Beratung.Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe dieseBeratung. Wer dem Gesetz in der Schlußabstimmungzuzustimmen beabsichtigt, möge sich erheben. —Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Wir müssen dann noch über Ziffer 2 des Ausschußantrags auf Seite 3 abstimmen. Wer dem Ausschußvorschlag zustimmen will, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zu Punkt 13 der Tagesordnung:a) Große Anfrage der Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Frau Dr. Neumeister, Frau Schleicher, Braun, Dr. Hammans, Burger, Rollmann und der Fraktion der CDU/CSUbetr. Situation des Gesundheitswesens inder Bundesrepublik Deutschland— Drucksachen 7/2421, 7/3322 —b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts und zur Änderung der Krankenversicherung der Rentner
— Drucksache 7/3336 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie und GesundheitAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forstenc) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung von Vorschriften des Zweiten Buches der Reichsversicherungsordnung
— Drucksache 7/3337 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie und GesundheitEs ist eine verbundene Aussprache vorgesehen. In der Aussprache erteile ich das Wort dem Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hält die Lösung gesundheitspolitischer Probleme für eine der Aufgaben, die eine ständige und verantwortungsbewußte Mitarbeit aller Politiker im Interesse der Gesunderhaltung der Bürger dieses Staates notwendig machen. Wie sehr den Bürger und alle gesellschaftlichen Gruppen Fragen bewegen, die mit der Situation des Gesundheitswesens in unserem Land zusammenhängen, zeigt die immer noch zunehmende Diskussion über diese Probleme. Es gehört aber offensichtlich zu den Merkwürdigkeiten unserer parlamentarischen Demokratie, daß bisher zwischen Parlament und Regierung nicht der Meinungsaustausch erfolgte, der diesem Sachbereich und seiner Bedeutung für jeden einzelnen angemessen gewesen wäre. Abgesehen von Vorschlägen und Beschlüssen in Einzelbereichen
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12260 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohensteinfehlt es bisher an einer umfassenden Diagnose und Therapie zur Situtation des Gesundheitswesens durch diese Regierung.Die Regierungserklärungen vom 18. Januar 1973 und vom 17. Mai 1974 zeigen, daß sowohl dem zweiten Kabinett Brandt wie dem ersten Kabinett Schmidt die Lösung gesundheitspolitischer Probleme nicht besonders vordringlich erschien. Die vom Land Rheinland-Pfalz vorgelegte Studie über die Kostenentwicklung im Bereich des Gesundheitswesens macht z. B. deutlich, wie oberflächlich und kurzsichtig hier die Bewertung der Bundesregierung war.
Die Diskussion im Parlament, die heute ihren Anfang nimmt und in den Ausschüssen ihre Fortsetzung finden wird, ist um so notwendiger, als weder Regierungserklärungen noch Arbeitsberichte — mit hohem propagandistischen Aufwand unter die Bevölkerung gebracht — sichere Auskünfte über Ziele, Absichten und Schwerpunkte im gesundheitspolitischen Bereich geben.Mit der Debatte über Große Anfrage und Antwort zur Situation des Gesundheitswesens will die CDU/CSU aber auch der Regierung die Möglichkeit geben, in diesem Hohen Hause eindeutig Stellung zu nehmen und Widersprüche aufzuklären. In der Regierungserklärung vom Januar 1973 wurde noch an dem Grundsatz der freien Arztwahl und einer freien-Berufsausübung der Heilberufe festgehalten. Bundeskanzler Schmidt, der sich in seiner Regierungserklärung ein Jahr später kaum zur Gesundheitspolitik äußerte, stellte aber ausdrücklich fest, daß die Aussagen von Bundeskanzler Brandt weiterhin Gültigkeit haben sollten.Soweit — so gut, möchte man sagen, wenn nicht inzwischen Verlautbarungen prominenter Sozialdemokraten sowie wichtiger Parteigremien bekanntgeworden wären, die in einem klaren Gegensatz dazu stehen. Die Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten im Gesundheitswesen wie die Jungsozialisten legten Programme vor, die eine Vergesellschaftung und Verplanung des Gesundheitswesens zum Ziel haben. Wenn, wie es heißt, die ambulante Versorgung im Regelfall umfassenden ambulanten Einheiten übertragen werden soll, ist das das Ende freier Arztwahl und freier Berufsausübung, die die sozialdemokratischen Gesundheitspolitiker ebenfalls erheblich einschränken wollen.Der Vorsitzende der Kommission Gesundheitspolitik beim SPD-Vorstand, Friedel Läpple, fordert in der Zeitschrift „Neue Gesellschaft" vom April 1975 die Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung und knüpft damit an die Aussage von Frau Dr. Focke vom 28. November 1974 an, in der sie sich ebenfalls eine Verbesserung durch vor- und nachstationäre ambulante Behandlung im Krankenhaus versprach.Während die von Staatssekretär Wolters im Bulletin vom 19. September 1973 genannten Vorschläge im ersten Entwurf der Antwort auf unsere Große Anfrage noch als Zielsetzung der Politik der Bundesregierung bezeichnet wurden, ist in der Endfassungdieser Antwort verharmlosend nur noch von Denkanstößen die Rede.Im Gegensatz zu solchen Äußerungen steht dagegen das Schreiben des Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, des Kollegen Wehner, an den Präsidenten des Deutschen Ärztetages, in dem u. a. festgestellt wird, daß eine generelle Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Behandlung für die SPD-Bundestagsfraktion nicht akzeptabel ist.
Sind solche widersprüchlichen Aussagen nun Teil einer Doppelstrategie, die den Weg zur Vergesellschaftung des Gesundheitswesens verschleiern soll, oder handelt es sich vielmehr um einen fundamentalen Gegensatz zwischen Regierung und den Koalitionsparteien, wie er schon bei der Diskussion über die Änderung der Approbationsordnung deutlich wurde?
Die Debatte bietet günstige Gelegenheit, diesen Widerspruch auszuräumen, eine Gelegenheit, die in der schriftlichen Beantwortung unserer Anfrage in geradezu peinlicher Weise verpaßt wurde.
Ich erinnere daran, daß vor nicht allzulanger Zeit die Frau Minister und ihr Staatssekretär in der Zeitschrift „Neue Gesellschaft" bei der Erarbeitung einer gesundheitspolitischen Konzeption ein Höchstmaß an Transparenz und Kooperation für erforderlich hielten. Ich füge hinzu: Wir wollen auch eine Versachlichung der Diskussion. Dazu gehört auch unsere Auffassung, daß das Abblocken von dringend notwendigen Analysen und Bestandsaufnahmen sowie die Obstruktion bei der Durchführung von Modellmaßnahmen und Modelluntersuchungen eine Behinderung des Auftrages darstellt, unser Gesundheitssystem den Erfordernissen von Gegenwart und Zukunft anzupassen.Eine Vervielfachung der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung innerhalb weniger Jahre zwingt zum Handeln. Wer dies abstreitet und die Notwendigkeit nicht sieht, nicht sehen will, sollte doch einmal in die Betriebe gehen und dort klarmachen, daß bei mehr oder weniger gleichbleibender Leistung in wenigen Jahren nicht mehr nur ein Monatslohn, sondern der Lohn von 45 oder 60 Tagen aufgebracht werden muß, um das Gesundheits- und Krankenversorgungswesen zu finanzieren. Bei einer solchen Diskussion hilft auch nicht der Hinweis, daß ähnliche Kostensteigerungen in allen industrialisierten Ländern unabhängig vom System der gesundheitlichen Versorgung zu beobachten sind.Wir erhoffen uns von der Debatte auch, daß endlich der seit geraumer Zeit zu beobachtende Grabenkrieg eines jeden gegen jeden ein Ende findet. Die Lösung der Probleme wird nicht nach dem Rezept „Oh, heiliger Florian, verschon' mein Haus, zünd' andere an!" erreicht, sondern durch ehrliche Selbstkritik. Unser Gesundheitswesen leidet Schaden, wenn Krankenkassen gegen Ärzte, Ärzte gegen Krankenhäuser, Heilberufe gegen Arbeitgeber- und
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Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Arbeitnehmerorganisationen und umgekehrt polemisieren. Daß sich Mitglieder der Regierung, wie jüngst der Staatssekretär im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, Herr Professor Wolters, an solchen Auseinandersetzungen beteiligten, schadet der Sache und nimmt der Regierung die Möglichkeit, im zunehmenden Streit zu schlichten und für eine sachliche Atmosphäre zu sorgen.
Solche Interviews verstärken nur den Eindruck, daßdem Staatssekretär viel mehr daran gelegen ist, bestimmte Gruppen in der SPD für sich zu gewinnen.Schließlich soll die Debatte deutlich machen, wo Gemeinsamkeiten bei der Beurteilung der Problematik im Gesundheitswesen vorhanden sind, um im Hinblick auf die schwierige Lösung der anstehenden Sachfragen das Mögliche an Übereinstimmung zu erreichen. Es wäre gut, wenn in absehbarer Zeit klar würde, was gemeinsam gemacht werden kann. Die CDU/CSU würde es daher begrüßen, wenn an Stelle hämischer Kommentare und törichter Unterstellungen Regierung und Koalition uns in der Auffassung zustimmen könnten, daß im Hinblick auf das doch wohl gemeinsame Ziel der Kostendämpfung im Gesundheitswesen wissenschaftlich fundierte Analysen erstellt werden. Nicht Patentrezepte oder weltanschaulich begründete Reformvorschläge helfen uns weiter, sondern vielmehr eine umfassende und fundierte Diagnose der Fehlentwicklungen als Voraussetzung für deren Therapie. Zu Recht hat der Vorsitzende des Bundesausschusses für Gesundheitspolitik der CDU, Professor Dr. Beske, dazu aufgefordert, sich der Systemforschung zu bedienen, d. h. Entwicklung und Aufbau der Gesundheitssystemforschung, Analysen der Versorgungs- und Leistungssysteme und der Kosten- und Finanzierungsströme sowie Bedarfsprognosen.Die Auswahl der Fragenbereiche, die wir zum Gegenstand unserer Anfrage gemacht haben, meine Damen und Herren, löste manche Spekulationen und Fehlinterpretationen aus. Daher ist an dieser Stelle eine kurze Begründung nötig, warum die CDU/CSU auf Fragen zu wichtigen Teilbereichen des Gesundheitswesens in dieser Anfrage verzichtet hat. Da ist zunächst der Problembereich Psychiatrie zu nennen, der — vor allem durch die Aktivitäten meines Fraktionskollegen Picard — Gegenstand einer umfassenden Enquete geworden ist, an deren Fertigstellung die Regierung arbeitet. Es ist der Wunsch von Kollegen von SPD und FDP, durch eine Große Anfrage umfassende Information von der Regierung zur Krebsforschung zu erhalten. Wir wollen diesen Wunsch respektieren und verzichten heute auf die Erörterung dieser wichtigen Frage.Die Gesundheitsprobleme älterer Menschen und von Kindern waren bereits Gegenstand parlamentarischer Initiativen. Auch die eingehende Erörterung aller mit dem Arzneimittelwesen zusammenhängenden Fragen, ausgelöst durch Gesetzesinitiativen der CDU/CSU-Fraktion wie der Regierung, hat bereits stattgefunden.Schwerpunkte unserer Anfrage und damit der heutigen Debatte sind Problembereiche, in denendie Regierung nach unserer Auffassung Zuständigkeit hat und an deren Weiterentwicklung die Offentlichkeit ein erhebliches Interesse hat. Der erste Fragenkomplex befaßt sich mit dem Bereich der medizinischen Forschung. Hier geht es uns darum, eine Übersicht über das Finanzvolumen zu erhalten, welches die öffentliche Hand zur Förderung der Forschung bereit hält. Wir wollen damit nicht eine Wiederbelebung der bereits durchgeführten Debatte über Prioritäten der Forschungspolitik provozieren. Wir wollen vielmehr wissen, wie die Regierung bei der Begrenztheit der Mittel sowie bei immer stärkerer Ausuferung der wissenschaftlichen Problematik in der medizinischen Forschung eine sachgerechte und durch den Fachverstand wissenschaftlicher Gremien mitbestimmte Prioritätenliste zu erstellen gedenkt. Eine Überbewertung der Technik in der Medizin von heute halten wir für bedenklich. Vielmehr muß ein Gleichgewicht zwischen naturwissenschaftlicher, psychologischer und soziologischer Ausrichtung der Forschung gefunden werden. Natürlich interessiert uns auch die absolute Höhe dessen, was die öffentliche Hand bereitstellt. Denn die Forschungsinvestitionen von heute sind schließlich die verbesserten Heilmethoden von morgen.Die Förderung mehrerer gleichartiger Projekte durch Bundesmittel muß unterbleiben. Daher halten wir eine eingehende Bestandsaufnahme aller von der öffentlichen Hand geförderten Forschungsprojekte unter der Überschrift für notwendig: Wer macht was, wo und wie? Nach Auffassung des Wissenschaftsrates nämlich arbeiten Bund, Länder und nichtstaatliche Organisationen noch zu häufig aneinander vorbei und lassen sinnvolle Zusammenarbeit vermissen. Für diese Dokumentation gibt es ein gutes Beispiel. Finanziert vom Fonds für Umweltstudien, hat nämlich die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft auf meinen Vorschlag hin vor einigen Jahren für den Bereich der Umweltforschung eine umfassende Bestandsaufnahme erarbeitet. Eine solche Bestandsaufnahme ist Voraussetzung für eine effektive Zusammenarbeit, die zudem erhebliche Reserven auf dem Forschungssektor mobilisieren kann. Daß ein solcher Vorschlag praktikabel ist, zeigt schon die Tatsache, daß der Innenminister inzwischen diese IPA-Dokumentation übernommen hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für jeden etwas. Schwerpunkte sind nicht erkennbar, der Zusammenhang mit Zielsetzungen der Gesundheitspolitik oft nur zu vermuten. Wenn etwa bei einer Antwort auf die Anfrage zum Problem der Rheumaerkrankungen, die von Abgeordneten aller Fraktionen eingebracht wurde, von der Regierung festgestellt werden mußte, daß keine oder kaum medizinische statistische Materialien vorhanden sind, dann wirft das ebenfalls ein Schlaglicht auf diese meine Feststellung. Ich füge hinzu, wir brauchen für diesen so wichtigen Bereich der Volks, krankheiten eine Enquete, und ich fordere die Re-
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12262 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohensteingierung auf, sich mit der Forderung nach einer Rheuma-Enquete vertraut zu machen.Ein typisches Beispiel für Mangel an Führung, Konzeption und Verantwortung gegenüber dem Steuerzahler ist das Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie beim Bundesgesundheitsamt in Berlin. Dieses Institut, im Herbst 1967 von CDU/CSU und SPD gemeinsam gefordert und entwickelt, berechtigte zu den schönsten Hoffnungen. Modelle zur Gesundheitsvorsorge sollten entwickelt, Voraussetzungen der breiten Anwendung dieser Ergebnisse geschaffen werden. Krankheiten, Leiden, Gesundheitsstörungen, die durch unmittelbare Wirkungen der Umwelt hervorgerufen werden — so versprach es seinerzeit Frau Strobel dem Parlament —, sollten erforscht werden, ebenso Einflüsse unserer Zivilisationsgesellschaft, z. B. Ernährungsschäden und Neurosen. Diese Erkenntnisse sollten dann die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Köln in die Lage versetzen, diese Ergebnisse in Aufklärungsarbeit umzusetzen. Schließlich sollten Filteruntersuchungen zur Früherkennung und entsprechende Verfahrenstechniken entwickelt werden.Ergebnis: außer Spesen nichts gewesen; vorsichtig berechnet eine Ausgabe von 40 bis 50 Millionen DM in den letzten acht Jahren, ohne daß bisher wesentliche wissenschaftliche Ergebnisse vorgelegt und für die Arbeit der Regierung und des Parlaments genutzt werden konnten. Der Institutsleiter, gleichzeitig Vizepräsident des Bundesgesundheitsamts, ist wegen Disziplinarverfahren seit Jahren beurlaubt. Beim Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie ist weder ein wissenschaftlich anerkannter Sozialmediziner noch ein Epidemiologe tätig. Was mit den für dieses Institut verausgabten Geldbeträgen an Forschungsprojekten im Bereich der Epidemiologie, Sozialmedizin, medizinischen Soziologie und Verhaltensforschung hätte gefördert werden können, kann sich jeder ausrechnen. Für diese Vergeudung von Steuermitteln trägt ausschließlich der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit die politische Verantwortung. Hier zeigt sich einmal mehr, daß staatliche Institutionen nicht unbedingt effektiver arbeiten als freie Forschung, die sich im Wettbewerb behaupten muß.Auf den Datenschutz hier und heute einzugehen, möchte ich mir versagen, da auch zu diesem Bereich in absehbarer Zeit eine parlamentarische Aussprache zu erwarten ist.Ein zweiter Schwerpunkt unserer Überlegungen zur Gesundheitspolitik sind die gesundheitliche Aufklärung, Beratung, Erziehung und Bildung. Falsche Ernährung, Bewegungsarmut, mangelnde Körperhygiene, Drogen, Genußmittel, Arzneimittelmißbrauch sind Ursachen von Erkrankungen oder Belastungen des menschlichen Organismus. Ständig noch steigende Umsatzziffern bei Nikotin- und Alkoholverbrauch machen deutlich, daß bisher die gesundheitliche Aufklärung und Erziehung wenig vermocht haben. Um genauere Fakten für diesen Bereich zu ermitteln, müssen zwar kostenaufwendige, 'aber notwendige Langzeitstudien durchgeführt werden. Daß die Gesundheitsminister von Bund und Ländern vor kurzem ein Aktionsprogramm zur Verhütung und Eindämmung des Alkoholmißbrauchs beschlossen haben, begrüßt die CDU/CSU uneingeschränkt.Was allerdings bisher die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung an Informationen und Erziehungshilfen zu diesem Bereich anzubieten hatte, ist dürftig. Wenn zur Zeit pro Kopf und Jahr 130 DM für Arzneimittel ausgegeben werden, so zeigt dies, daß bei einem immer größer werdenden Teil der Bevölkerung der Irrglaube verbreitet ist, daß mit Hilfe von Arzneimitteln Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Jugend garantiert werden können. Hier ist es die Aufgabe von Ärzten, Apothekern wie einer verantwortungsbewußten Werbung oder, besser gesagt, Information, diesem Mißbrauch entgegenzuwirken.Die Feststellungen der Bundesregierung in Beantwortung einer Kleinen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion, daß sich jährlich wegen des Rauchens Verluste für die Volkswirtschaft in Größenordnungen von 15 bis 20 Milliarden DM ergeben, muß Anlaß sein, in diesem Bereich energischer als bisher zu handeln.Entweder sorgt der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit für eine arbeitsfähige Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung — Voraussetzungen sind besseres Betriebsklima, Erfolgskontrolle, Zusammenarbeit mit Institutionen und den Ländern —, oder die von uns als Schlüssel für eine Tendenzwende angesehene gesundheitliche Bildungsarbeit muß sich künftig anderer Instrumente bedienen. Denn schon heute wäre das Feld der Gesundheitserziehung ohne die Mitarbeit zahlreicher Organisationen schlecht bestellt. Daher muß die Regierung die Arbeit dieser Multiplikatoren stärker als bisher fördern.
Wenn die Beteiligung an Früherkennungsuntersuchungen deutlich zugenommen hat, so zeigt dies gleichfalls, daß die Arbeit von Organisationen und Körperschaften, wie etwa der Krankenkassen, ein ermutigendes Beispiel ist. Trotzdem muß noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden, um aus dem vorhandenen Angebot der Früherkennungsuntersuchungen größeren Nutzen zu ziehen.Mit der Vorbereitung weiterer Vorsorgeprogramme sollten Forschungsaufgaben verbunden werden werden, die Auskunft über Motivation von Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an Früherkennungsuntersuchungen geben. Eine wissenschaftliche Erfolgskontrolle auch der bisher durchgeführten Maßnahmen ist zwingend geboten.Die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen zwingt ohnehin zur Neubestimmung der Prioritäten in der Gesundheitspolitik: ein verstärkter Mitteleinsatz im Bereich der Gesundheitserziehung, verbesserte Nutzung von bisher kaum einbezogenen Kommunikationsnetzen freier Vereine und Verbände sowie mehr personaler Kontakt statt unmäßige Fluten von Broschüren und Traktätchen.Gesundheitserziehung muß den Kontakt zu allen Schichten der Bevölkerung mit schichtenspezifischen Mitteln herbeiführen, um ein übersteigertes Anspruchsdenken der Bevölkerung, den Glauben,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975 12263
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinGesundheit könne nur als Konsumware erworben werden, durch eine Stärkung der Eigenverantwortung jedes einzelnen für seine Gesundheit zu ersetzen. Gesundheitserziehung muß Aufgaben stellen, in die Verantwortung rufen, sozial-ethische Pflichten für andere, für Schwächere auferlegen.Die zum Teil heftige Diskussion über die Säuglingssterblichkeit in der Bundesrepublik Deutschland macht ebenfalls deutlich, wieviel Aufklärungsarbeit noch geleistet werden muß, um werdende Mütter zu veranlassen, regelmäßig an den Vorsorgeuntersuchungen teilzunehmen. Die seit langem angekündigte Förderung des Fachgebietes „Perinatale Medizin" muß endlich verwirklicht werden. Zur Versachlichung der Diskussion über die Säuglingssterblichkeit wäre es wünschenswert, wenn die differenzierte Beantwortung der Großen Anfrage durch die Regierung denen zur Verfügung gestellt würde, die Sachverstand durch emotionale Argumentation ersetzen. Daß ausgerechnet der Vorsitzende der SPD-Gesundheitskommission diese von der Regierung dargestellten und durch zahlreiche andere Beiträge erhärteten Tatsachen nicht zur Kenntnis nehmen will, gehört zu dem derzeit üblichen Stil der Auseinandersetzung in der Gesundheitspolitik.
Unsere nächste Frage befaßt sich mit der ärztlichen und zahnärztlichen Versorgung der Bevölkerung. Die ambulante ärztliche Versorgung der Bevölkerung ist hierzulande Gegenstand einer zunehmenden Diskussion. Mit ihr befassen sich aber auch die von der Regierung und vom Bundesrat vorgelegten Gesetzentwürfe zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts, die heute ebenfalls auf der Tagesordnung steht. Die Vorlage dieser Gesetzentwürfe beweist, wie richtig es war, im Rahmen unserer Anfrage diesen Problembereich zu untersuchen und zur Diskussion zu stellen. Außer Zweifel hat unsere Anfrage mit dazu beigetragen, Bundesregierung und Bundesrat zum Handeln zu veranlassen.Ob die gemachten Vorschläge sachgerecht sind und ob sie schließlich junge Ärzte veranlassen können, sich für die Niederlassung zu entscheiden, will ich hier nicht untersuchen, sondern einem anderen Teil der heutigen Debatte überlassen. In der Zielsetzung, die ambulante ärztliche Versorgung der Bevölkerung als vordringliche Aufgabe anzusehen und sie ständig zu verbessern, vor allem in ländlichen Gebieten und Stadtrandbereichen, sind wir uns einig. Warum allerdings die Zulassungsbeschränkung, wie sie bereits in der geltenden Zulassungsordnung — § 15 — normiert ist, bisher aber nicht angewendet wurde, nun durch eine Änderung der Reichsversicherungsordnung zur Wunderwaffe werden soll, ist ein Geheimnis, über das noch nähere Aufklärung notwendig erscheint.Die CDU/CSU wird im übrigen allen Versuchen, an Stelle der ambulanten ärztlichen Versorgung durch niedergelassene Ärzte ein anonymes, weniger leistungsfähiges und weitaus kostenintensiveres System von Ambulatorien und medizinisch-technischen Zentren zu setzen, entschiedenen Widerstand entgegensetzen. Solche Formen ärztlicher Betreuung haben eine stärkere Zentralisierung der Versorgung zur Folge, so daß auch diese Vorschläge zur weiteren Verödung des ländlichen Raumes führen werden. Regionale und strukturelle Mängel sollen offensichtlich genutzt werden, den bewährten Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen abzubauen und durch ein System zu ersetzen, das seine Grundlage in Ideologie und politischem Wunschdenken findet.Auch eine stärkere Einschaltung der Krankenhäuser in die ambulante Versorgung hebt vorhandene Mängel nicht auf, da diese Mängel nicht am Sitz der Krankenhäuser auftreten. Ausgerechnet der Vorschlag, das kostenintensive Krankenhaus mit zusätzlichen Aufgaben zu belasten, zeigt, daß die Kostendiskussion noch nicht von allen zur Kenntnis genommen wird.Es ist ja auch nicht so, daß die Kostendiskussion veranlaßt hat, etwa in unseren Krankenhäusern die Besetzung der Arztstellen zu verbessern. Das Gegenteil ist der Fall, und wir haben an vielen Stellen Mangel zu beobachten. Allenfalls mag die gute Besetzung von Krankenhausarztstellen für Schwerpunktkrankenhäuser und große Akutkrankenhäuser zutreffen. Kleinere Häuser aber, die auch zur Akutversorgung notwendig sind, haben über größeren Arztmangel zu klagen als Kassenärztliche Vereinigungen über dringlich zu besetzende Arztsitze. Die anzuerkennenden Maßnahmen der Kassenärztlichen Vereinigungen zur Verbesserung der ärztlichen Versorgung müssen durch flankierende Maßnahmen des Bundes, der Länder und der Gemeinden unterstützt werden. Die schwierige Situation in ländlichen Gebieten ist nicht zuletzt auch Folge passiver Sanierung durch Abwanderung. Dem Abzug staatlicher und gesellschaftlicher Einrichtungen aus der Fläche folgen, wie viele andere Berufe, eben auch Ärzte.Schließlich erwarten wir eine stärkere Förderung der Ausbildung für Allgemeinmedizin durch Schaffung von Lehrstühlen und anderen Ausbildungsangeboten. Dieses ist notwendig, um schon den Medizinstudenten für eine Niederlassung als Allgemeinarzt zu motivieren. Außerdem können solche Lehrstühle wesentliche Funktionen in der Erforschung der Gesamtproblematik der Versorgung mit Allgemeinärzten, Praxisführung und Praxisrationalisierung sowie der Fortbildung von Allgemeinärzten erfüllen.Auch ist zu prüfen, ob die Gebührenordnung, für die ja letztlich die Bundesregierung zuständig ist, der Niederlassung von Ärzten in Problemgebieten durch differenzierte Gebührensätze besser Rechnung tragen kann.Die CDU ist der Auffassung, daß die ambulante ärztliche und zahnärztliche Versorgung auch in der Zukunft durch niedergelassene Ärzte und Zahnärzte in freier und unabhängiger Berufsausübung sichergestellt werden muß. Nur auf diesem Weg wird die freie Arztwahl, eines der Grundprinzipien unseres Systems der gesundheitlichen Sicherung, gewährleistet. Hierin sieht die CDU eine der wichtigen Voraussetzungen für das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt. Das Festhalten
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12264 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohensteinam Sicherstellungsauftrag muß aber für die Kassenärztlichen Vereinigungen Anlaß sein, mit allen nur verfügbaren Mitteln dem Auftrag der Sicherstellung ärztlicher Versorgung gerecht zu werden.Die Sorge um eine ausreichende ärztliche Versorgung darf sich aber nicht nur auf den ambulanten Versorgungsbereich erstrecken. Zahlen aus Rheinland-Pfalz — und die Auswahl dieses Landes ist rein zufällig — zeigen, daß dort einer neuen Berechnung zufolge zur Zeit mehr Krankenhausassistenzarztstellen nicht besetzt werden können als dringlich zu besetzende Kassenarztsitze. In der Bundesrepublik fehlen nach Angaben des zuständigen Berufsverbandes 6 000 Anästhesisten. Der vorgelegten Statistik ist ein Rückgang bei den Kinder- und Jugendpsychiatern zu entnehmen, obwohl gerade diese für die zunehmende Zahl von verhaltensgestörten Kindern so dringend gebraucht werden. 9 000 Betriebsärzte müssen vorhanden sein, um dem gesetzlichen Auftrag optimal gerecht zu werden. Hier ist also die Frage, ob wir nicht zu einer stärker am Bedarf orientierten Steuerung der Weiterbildung kommen können, um solche Engpässe in der Zukunft zu vermeiden, selbstverständlich durch ein Steuerungssystem, das sich an den Normen des Grundgesetzes orientiert.Der Situation im öffentlichen Gesundheitsdienst haben wir ebenfalls Fragen gewidmet. Wir weisen damit darauf hin, daß die Personalsituation im öffentlichen Gesundheitsdienst außerordentlich bedrohlich ist. Zahlreiche unbesetzte Stellen und Überalterung werden zur Folge haben, daß der öffentliche Gesundheitsdienst schon in wenigen Jahren völlig zum Erliegen kommt, wenn nicht sofort wirkungsvolle Maßnahmen ergriffen werden. Der öffentliche Gesundheitsdienst ist notwendig, um wichtige Aufgaben der Gesundheitsvorsorge und Gesundheitsfürsorge durchzuführen. Neben eine gerechte Einordnung in das Besoldungsgefüge des öffentlichen Dienstes gehört vor allem die eindeutige Zuständigkeit für alle Gesundheitsfragen, die im Rahmen einer öffentlichen Verwaltung anfallen. Es muß bezweifelt werden, ob der mit beträchtlichem Aufwand betriebenen Förderung des Modellgesundheitsamts in Marburg der Erfolg beschieden ist, den die Bundesregierung erwartet. Auch hier sind eine Erfolgskontrolle und eine ständige, kritische Überwachung notwendig. Wenn mit diesem Modell nicht auch eine Verbesserung der Zusammenarbeit mit anderen kommunalen Stellen erreicht wird, bleibt es beim alten Übel des öffentlichen Gesundheitsdienstes.Bedarfsanalysen, die die Regierung im Hinblick auf den künftigen Ärztebedarf erarbeiten ließ, zeigen, daß die Zahl der Studienplätze des Jahres 1975 nahezu ausreicht, um den ärztlichen Bedarf künftig sicherzustellen. Trotzdem: Gerade im Hinblick auf den obengenannten Bedarf halten wir eine Überprüfung der Bedarfsanalysen für unumgänglich. Die Absicht, die Studienplätze in den Bereichen Medizin und Zahnmedizin zu erhöhen bzw. besser auszunutzen, findet unsere Unterstützung. Im Hinblick auf die speziellen Anforderungen, die nun einmal mit dem Beruf des Arztes verbunden sind, ist es unumgänglich, ein gerechteres Auswahlsystem für die Zulassung zum Studium zu erarbeiten. Abiturnoten allein entscheiden nicht darüber, ob jemand die Fähigkeiten mitbringt, ein guter Arzt zu sein.
Die Bundesregierung beginnt die Beantwortung der Großen Anfrage mit der lapidaren Feststellung: „Gesundheitspolitik ist nicht begrenzt auf ärztlichmedizinische Fragen." Richtig, aber wer hat denn überhaupt etwas anderes behauptet! Allerdings muß der Versuch der Mehrheit in diesem Hause, die Große Anfrage der CDU mit der Diskussion über die Weiterentwicklung des Kassenarztrechts zu verbinden, um damit die Wirkung der Großen Anfrage zu unterlaufen, in der Öffentlichkeit einen solchen Eindruck erwecken. Gesundheitspolitik ist nach unserer Auffassung mehr als die Sicherstellung ärztlicher Versorgung, mehr als das Funktionieren der Krankenversorgung. Was wären die Ärzte ohne die vielen Helfer in allen Berufen des Gesundheitswesens! Erst aus dieser Zusammenarbeit, aus dieser Partnerschaft erwächst die Funktionsfähigkeit unseres Gesundheitssystems.Aus dieser Feststellung mögen Sie ableiten, welche Bedeutung die CDU/CSU dem Problem zumißt, daß eine ausreichende Zahl von Mitarbeitern in den Assistenzberufen des Gesundheitswesens vorhanden ist.
Es muß daher geradezu als grotesk bezeichnet werden, wenn die Bundesregierung heute zugeben muß, daß es für die nichtärztlichen Heilberufe und die sonstigen Gesundheitsberufe an einer umfassenden Bedarfsanalyse fehlt. Wir erwarten, daß der Öffentlichkeit baldmöglichst entsprechende Untersuchungen übergeben werden, zumal die Bundesregierung bereits 1973 eine solche Bestandsaufnahme auf unser Ersuchen hin zugesagt hatte.Auch steht die Bundesregierung mit der Zusage für eine ganze Reihe von Gesundheitsberufen — etwa für Logopäden, Orthoptisten, Psychagogen, nichtärztliche Psychotherapeuten — nach wie vor im Wort, die Berufsbilder gesetzlich zu normieren. Auch eine baldige Vorlage des Gesetzentwurfs für nichtärztliche Heilberufe in der Geburtshilfe und in der Krankenpflege ist unerläßlich.Gerade im Hinblick auf die Übergangsvorschriften des Krankenhausfinanzierungsgesetzes ist es wichtig, für die Träger der Krankenpflegeschulen noch in diesem Jahr endgültige Klarheit zu schaffen, wie die Ausbildung künftig aussehen soll. Daß ein erster Entwurf des Ministeriums zu Recht auf wütenden Protest aller Sachverständigen stieß, sei am Rande vermerkt. Auch wir sprechen uns gegen jegliche Verschulung der Ausbildung der nichtärztlichen Heilberufe ganz entschieden aus.
Dem gesetzlichen Schutz der Berufsbilder kommt aber noch aus einem anderen Grund große Bedeutung zu. Wenn von 24 000 jungen Menschen nur
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975 12265
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein7 000 oder 8 000 pro Jahr zum Studium der Medizin zugelassen werden können, so müssen wir gerade denjenigen, die sich nun einmal für einen sozialen Beruf entschieden haben, Alternativen anbieten, Alternativen, die befriedigende Tätigkeit versprechen. Daß jeder Maßnahme von Bund und Ländern in diesem Bereich im Hinblick auf die derzeitige Arbeitslosigkeit Jugendlicher zusätzliche Bedeutung zukommt, versteht sich von selbst. Ein Teil der Mittel für die verbesserte Berufsausbildung und zusätzliche Ausbildungsstellen sollte daher Berufen der Rehabilitation und des Gesundheitswesens zugute kommen, damit seit langem bekannte Engpässe beseitigt oder zumindest abgebaut werden können. Die Ausrede der Bundesregierung, vor einer Neuregelung des Berufsbildes den Abschluß des Entwicklungsstadiums abwarten zu müssen, zieht nicht, da die genannten Berufe bzw. die in diesen Berufen Tätigen sich längst hinreichend bewährt haben.
Auch für die Verbesserung der Weiterbildung für die Assistenzberufe muß Sorge getragen werden. In der Schweiz, in Norwegen und neuerdings in Rheinland-Pfalz hat man mit der Weiterbildung von Krankenschwestern zu Fachschwestern für Gemeindekrankenpflege sehr gute Erfahrungen gesammelt und bietet ein attraktives Tätigkeitsgebiet an. In diesem Zusammenhang sei auch die Weiterbildung zu Lehrschwestern, zu Oberinnen und zu Lehr-MTAs erwähnt. In diesen Fragen verläßt man sich zu sehr auf die Initiative der Berufsverbände und der freien Träger. — Ich muß mich hier mit dem Hinweis darauf begnügen, daß meine Fraktion der Ausbildung und Weiterbildung in den nichtärztlichen Berufen des Gesundheitswesens eine besondere Bedeutung zumißt.Der vorletzte Fragenkomplex, meine Damen und Herren, beschäftigt sich mit dem Krankenhauswesen. Natürlich war auch uns bekannt, daß der Bundestag die Regierung aufgefordert hatte, bis zum 30. September 1975 zu berichten. Wir waren aber — insbesondere auch im Hinblick auf die Kostenentwicklung im Bereich des Krankenhauswesens — sehr wohl der Meinung, daß es der Regierung gut anstände, Anregungen des Parlaments in ihre Planungen einzubeziehen. Insofern bedauern wir die magere Auskunft.Die Regierung sollte in Zusammenarbeit mit den Ländern die Zeit nutzen, die noch ausstehenden Rechtsverordnungen zu erlassen, damit die Krankenhausträger endlich Klarheit haben und mitbestimmen können. Klarheit ist darüber notwendig, wer nach 1978 die Kosten für die Krankenpflegeschulen trägt. Wenn bis Ende 1975 nicht über die Kostendeckung eine Entscheidung gefallen und Gewißheit über die künftigen Ausbildungsziele vorhanden ist, könnten die Ausbildungsstätten im Herbst 1975 letztmalig Krankenpflegeschüler aufnehmen. Schnelle Entscheidungen sind daher erforderlich.
Eine engere Zusammenarbeit zwischen ambulanter und stationärer Versorgung ist anzustreben und durch geeignete Modellmaßnahmen in Absprache mit den Beteiligten zu fördern. Weitere Überlegungen sollte man auch darüber anstellen, wie die Krankenhäuser, die künftig aus der Förderung nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz herausfallen, für Zwecke des Gesundheits- und Sozialwesens genutzt werden können. Hier bieten sich zahlreiche Lösungsvorschläge an, die sorgfältig geprüft werden müssen.Unsere bei der Verabschiedung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes vorgetragenen Bedenken haben sich zum Teil bestätigt. Das Instrument der Krankenhausbedarfsplanung hat nicht ausgereicht, um einerseits ein Überangebot von Akutbetten zu verhindern und andererseits in Mangelbereichen zusätzliche Betten zu schaffen. Wir fordern Regierung und Länder auf, stärker als bisher durch Umschichtung der Mittel die Versorgung der psychisch Kranken nachhaltig zu verbessern. Wir fordern die Regierung auf, auch klarzustellen, wie die Gesetzesforderung nach einem sparsamen, wirtschaftlichen und leistungsfähigen Krankenhaus bzw. die Berücksichtigung dieser Kriterien besser durchgesetzt werden kann. Wir behalten uns vor, zu prüfen, ob die nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz in den Jahren 1973 und 1974 gewährten Mittel entsprechend der Zweckbestimmung ausgegeben wurden.Wir fordern die Regierung auf, auch zu dem Stellung zu nehmen, was in der Studie zur Entwicklung der Krankenhauskosten von J. Fehler und D. Suppé festgestellt wird — ich zitiere mit GenehmigungWie die Modellrechnungen beweisen, gibt es heute bereits beachtliche Möglichkeiten, die ohne Veränderung der bestehenden Gesetze und ohne große zusätzliche Investitionsaufwendungen eine Kostenersparnis zwischen 3,822 und 9,225 Mrd. DM pro Jahr erwirken könnten, ohne daß darunter ,die Qualität der Versorgung oder die optimale Betreuung der Patienten leiden müßte.
Der stärkere Ausbau von Sozialstationen durch die Länder darf nicht daran scheitern, daß mit den Krankenkassen noch nicht geregelt werden konnte, wer für die Kosten der Betreuung in diesen Sozialstationen aufkommt. Jegliche Entlastung der Krankenhäuser würde aber ohne Zweifel erhebliche Mittel ersparen.Im übrigen machen wir uns vollinhaltlich Feststellungen und Forderungen zu eigen, die bereits an anderer Stelle vorgebracht wurden:Erstens. Die Bundesregierung hat es unterlassen, gemäß § 7 KHG eine Abstimmung über die allgemeinen Grundsätze für ein bedarfsgerecht gegliedertes System leistungsfähiger Krankenhäuser herbeizuführen.Zweitens. Es muß bemängelt werden, daß de] Bund von den in den §§ 27 und 28 KHG vorgesehenen Verordnungsermächtigungen noch keinen Gebrauch gemacht hat, um z. B. sicherzustellen, dal die Krankenhäuser und die Sozialleistungsträge] nach einheitlichen Kriterien und Erhebungszeiträumen die Angaben machen, die für die Aufstellung
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Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohensteinallgemeiner Grundsätze für ein bedarfsgerecht gegliedertes System leistungsfähiger Krankenhäuser benötigt werden.Drittens. Als Fehlverhalten ist ferner zu werten, daß der Bund, obwohl entsprechende Haushaltsmittel bereitstehen, es bisher unterlassen hat, Forschungsaufträge insbesondere im Hinblick auf rationellen Krankenhausbau und Wirtschaftlichkeit des Krankenhausbetriebes zu vergeben. Im Krankenhausfinanzierungsgesetz und in der Bundespflegesatzverordnung ist stärker als bisher die Eigenverantwortung der Krankenhausträger für eine sparsame Wirtschaftsführung zu betonen.Viertens. Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Reichsversicherungsordnung dahin gehend zu ändern, daß Patienten, die krankenhausentlastende Einrichtungen — z. B. Pflegeheime, Sozialstationen, Hauspflege — in Anspruch nehmen, keinen finanziellen Nachteil erleiden.Was unsere Fragen zur Organisation und Personalführung im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit anbetrifft, so möchte ich dieses Thema erst in der nächsten Haushaltsdebatte zur Diskussion stellen. Ich möchte heute lediglich feststellen, daß weder die Gruppeneinteilung zu einer Verbesserung der Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Ministeriums beigetragen hat noch die Personalentscheidungen der Leitung des Hauses geeignet waren, die sachliche Arbeit des Ministeriums nachhaltig zu verbessern.
Ob die Zusammenfassung der Bereiche Jugend, Familie und Gesundheit in einem Ministerium zweckdienlich war, ist zu bezweifeln. Nach Auffassung meiner politischen Freunde würde sich im Interesse einer sachgerechten Gesundheitspolitik die Zusammenfassung der Bereiche Forschung und Technologie, Umweltschutz und Gesundheit in einem Ministerium anbieten. Aber auch eine solche Zusammenfassung würde die Leistungsfähigkeit nicht steigern, wenn, wie bisher geschehen, bei Beförderungen und Besetzung neuer Planstellen weitestgehend politische und nicht sachliche Maßstäbe angelegt werden.
Das Problem der Kostenentwicklung im Gesundheitswesen haben wir in unserer Anfrage nicht in den Mittelpunkt gestellt, weil die Problembereiche, mit denen sich unsere Anfrage befaßt, so wichtig sind, daß sie Gegenstand einer besonderen Aussprache sein sollten, die nicht ausschließlich von ökonomischen Gesichtspunkten bestimmt wird. Außerdem werden ja Kollegen im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung des Kassenarztrechtes dazu Ausführungen machen. Ich möchte mich daher auf wenige Thesen beschränken, die mir aus gesundheitspolitischen Gründen wichtig erscheinen.Erstens. Gesetz- und Verordnungsgeber müssen in Zukunft auf eine permanente Ausweitung der Leistungen und Pflichten der sozialen Krankenversicherung in Richtung auf maximale und optimale Leistungen zu Lasten des Notwendigen, Wirtschaftlichen und Ausreichenden verzichten.Zweitens. Die Finanzierungsmittel müssen von den besonders teuren Akutkrankenhäusern, deren Bettenzahl als durchaus ausreichend — wenn nicht sogar als überhöht — bezeichnet werden kann, auf Tageskliniken, Nachsorgekliniken, Sozialstationen und Pflegeheime umgeschichtet werden.Drittens: Rationalisierung, d. h. funktionsbezogene Kooperation und Arbeitsteilung der verschiedenen Bereiche der gesundheitlichen Versorgung.Viertens: wirtschaftlichere Gestaltung der Betriebsabläufe in den einzelnen Bereichen des Gesundheitswesens und der Krankenversorgung.Fünftens: Stärkung der Eigenverantwortung des Bürgers und seiner Bereitschaft zur selbständigen Vorsorge.Sechstens: Entwicklung einer Wirtschaftlichkeitsrechnung, einer Kosten-Nutzen-Analyse für das gesamte Gesundheitswesen, da die sogenannte Gesundheitsökonomik in der Bundesrepublik bisher nur schwach entwickelt ist. Planung und Erfolgskontrolle müssen mehr als bisher als Mittel zur wirtschaftlichen Verwendung der Finanzmittel eingesetzt werden.
Der zentrale Bezugspunkt unserer Gesundheitspolitik ist der Mensch. Seine Gesundheit zu schützen, ihm Anleitung und Hilfe zu geben, in eigener Verantwortung seine Gesundheit zu bewahren und zu festigen, im Krankheitsfall, bei Behinderung und Schädigung seine Gesundheit wiederherstellen zu können, ist Aufgabe der Gesundheitspolitik. Dies ist ein ständiger Auftrag. Er verpflichtet auch dazu, sachlich und kritisch Fehlentwicklungen im Gesundheitssystem zu suchen und sie zu beseitigen. Jegliche Ausbeutung unseres Systems der sozialen Sicherung werden wir zu verhindern suchen. Abbau sozialer Leistungen wie etwa der Lohnfortzahlung sind nach Auffassung der CDU/CSU ungeeignet, gesundheitlichem Fehlverhalten entgegenzuwirken.
Zur Bewältigung der Kostenprobleme ist die enge Zusammenarbeit aller am Gesundheitswesen Beteiligten unerläßlich.Mehr als bisher muß künftig Gesundheitspolitik in einem größeren Zusammenhang gesehen werden. Wir können uns nicht, wie Albert Müller in einen Bericht über den Kongreß „Grenzen der Medizin" in Davos feststellte, bei der Lösung gesundheitspolitischer Probleme mit gesetzestechnischem Pragmatismus begnügen. Wir müssen uns vielmehr die Frage stellen lassen, ob ein leistungsfähiger Gesundheitsbetrieb, der Versuch, ihn ständig technisch zu perfektionieren und damit den Menschen zum Objekt zu machen, tatsächlich mehr Lebensqualität, Freiheit und Glück bringen kann. Hierauf müssen wir eine Antwort finden. Wir müssen mehr als bisher der Entmündigung des Bürgers entgegenwirken.Für künftige Entwicklungen im Gesundheitswesen gilt das Wort des englischen Moralisten Cumming: „Wer heute Verbesserungen ablehnt, weil sie Neue-
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Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohensteinrungen sind, der wird morgen Neuerungen annehmen müssen, die keine Verbesserungen sind."
Das Wort hat Frau Bundesminister Dr. Focke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Gesundheit des Menschen und damit auch unsere Gesundheitspolitik ist eine zu ernste Sache, als daß sie Gegenstand polemischer Auseinandersetzungen sein darf.
Ich hoffe, daß die Debatte heute zur Versachlichung dieses Themas in diesem Hause beitragen wird. Ich hätte es allerdings sehr begrüßt, wenn die Opposition neue Lösungsvorschläge über das hinaus, was die Koalition tut oder vorhat, oder echte Alternativen zu den wichtigen Fragen unseres Gesundheitswesens gebracht hätte.
Ich habe nichts in den Aussagen zu diesem Thema gefunden, was den Ansatz zu einer Auseinandersetzung in der Sache besser als bisher ermöglichen würde.
Ich fürchte, daß der Bürger nach der heutigen Debatte wieder zu Recht fragen wird, was denn nun die Opposition eigentlich will, welches ihre Gesundheitspolitik der Zukunft sein soll — Fragen, auf die er wie auch in anderen wichtigen Bereichen der Politik leider keine Antwort erhält.
Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke ?
Ich habe gerade erst angefangen; ich würde gerne meine Gedanken hier im Zusammenhang darlegen.
Keine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Franke.
Gesundheitspolitik, meine Damen und Herren, muß sich an den ganz konkreten Gegebenheiten und Notwendigkeiten ausrichten. Für uns bedeutet das: Unsere gesundheitspolitischen Ziele werden bestimmt von den Aufgaben, den Gesunden gesund zu erhalten und den Kranken möglichst schnell und möglichst vollständig wieder gesund zu machen. Dabei ist es ein Gebot sozialer Gerechtigkeit für uns und damit Richtschnur unserer Gesundheitspolitik, daß jeder Gesunde bzw. jeder Kranke diese Chance erhält unabhängig davon, wo er in der Bundesrepublik Deutschland lebt, unabhängig von seiner sozialen und beruflichen Situation, unabhängig von der Höhe seines Einkommens.Ich sage dies einmal so einfach, meine Damen und Herren, weil in der Diskussion hinter den beeindrukkenden Wortgebilden, Fachausdrücken, fachwissenschaftlichen Begriffen, mit denen wir schon eine ganze Weile arbeiten, diese sehr einfachen, aber grundlegenden Ziele oft etwas in den Hintergrund zu treten drohen. Die Aufgabe, diese Ziele zu verwirklichen, stellt sich zu jedem Zeitpunkt neu, weil sich die Bedingungen verändern, die den Rahmen für unsere hier zu treffenden Entscheidungen abgeben. Wir wollen keine Veränderungen nur um der Veränderung selbst willen. Aber wir prüfen sehr sorgfältig, was zwingend im Interesse der Gesundheit unserer Mitmenschen getan werden muß. Wir werden das Notwendige dann auch ohne Rücksicht auf falsche Tabus tun, so wie wir in den vergangenen Jahren der sozialliberalen Koalition gehandelt haben.Keine verantwortliche Gesundheitspolitik kann daran vorbeigehen, daß sich große Entwicklungen vollzogen haben, die in einer kaum vorhersehbaren Weise unser Leben verändern. Ich halte es für notwendig, sich dies erneut zu vergegenwärtigen, weil diese Bedingungen keineswegs auf die Bundesrepublik beschränkt sind, sondern die Industriestaaten insgesamt betreffen und unsere gesundheitspolitischen Aufgaben langfristig entscheidend prägen. Neue oder verstärkte Gefahren für die Gesundheit müssen in unsere Überlegungen einbezogen werden. Andererseits eröffnet der medizinische Fortschritt auch im medizinisch-technischen Bereich zur Bekämpfung von Krankheiten Möglichkeiten, an die wir früher nicht zu denken gewagt haben. Daß sich dabei auch neue Probleme stellen, weil wir an die Grenzen des Möglichen stoßen, müssen wir wohl ebenfalls mehr als bisher bedenken.Stärker als früher und wohl auch schneller, als wir dies bisher angenommen haben, vollziehen sich die Veränderungen des Krankheitspanoramas. Der Wandel des psychisch-sozialen Umfeldes spiegelt sich in der Zunahme psychischer Erkrankungen und derjenigen körperlichen Erkrankungen wider, die ausschließlich oder vorwiegend psychisch-soziale Ursachen haben. Der wachsende Anteil älterer Menschen hat einen spezifischen und erhöhten Bedarf an Gesundheitsleistungen zur Folge. Veränderte Lebensgewohnheiten führen zur Zunahme der chronischen Erkrankungen, besonders der durch die Zi-
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Bundesminister Frau Dr. Fockevilisation bedingten Krankheiten. Gleiches gilt auch für die Gesundheitsgefahren, die sich als Folge einer veränderten Umwelt ergeben.Bei diesen eben genannten Entwicklungen handelt es sich um Vorgaben, die das Handeln jedes Gesundheitspolitikers bestimmen müssen, gleichgültig ob er sich in der Bundesrepublik oder in einem anderen vergleichbaren Land damit befaßt.Was wir hier in der Bundesrepublik Deutschland für die Gesundheit unserer Bürger tun können, wird aber darüber hinaus sehr wesentlich mitbestimmt durch die Verhältnisse, unter denen wir Gesundheitspolitik betreiben müssen. Da ist einmal folgendes: Das Grundgesetz hat abweichend von der Weimarer Verfassung dem Bund keine Zuständigkeit für das Gesundheitswesen, sondern nur bestimmte, eng umschriebene Teilzuständigkeiten eingeräumt. Ich stelle dies als Tatsache fest, ohne hieran eine Antwort auf die Frage anzuknüpfen, ob die Grundgesetzänderung auf dem Gebiet des Gesundheitswesens von 1969, die sich bekanntlich nur auf die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser bezog, den Erfordernissen einer modernen Gesundheitspolitik bei uns genügt. Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern wird manchmal bei der Auseinandersetzung über die Fragen der Gesundheitspolitik vergessen oder vielleicht auch deshalb übersehen, weil man die Verantwortung für eigene Versäumnisse einem anderen auferlegen möchte. Es muß aber deutlich sein, daß wir die Verantwortung nur für das tragen können, wofür wir zuständig sind. Dies sollte auch die Opposition, die ja gerade in den von ihr regierten Ländern die Möglichkeit zur Durchsetzung ihrer gesundheitspolitischen Vorstellungen hat, beherzigen.
Ich verweise, Herr Kollege zu Sayn-Wittgenstein, in diesem Zusammenhang auf ein paar Stichworte Ihrer eben gegebenen Begründung: öffentlicher Gesundheitsdienst, Gesundheitserziehung in den Schulen, die perinatale Medizin, auch das Problem der Finanzierung der Krankenpflegeschulen, um nur einiges in diesem Gesamtzusammenhang zu nennen.Eine zweite wichtige Rahmenbedingung der Gesundheitspolitik bei uns in der Bundesrepublik Deutschland liegt darin, daß in wichtigen Bereichen unseres Gesundheitswesens die Verantwortung für die gesundheitspolitisch notwendigen Maßnahmen der Selbstverwaltung obliegen. Dabei ist vor allem an den Sicherstellungsauftrag zu erinnern, der den Kassenärzten und gesetzlichen Krankenversicherungen für die ambulante kassenärztliche Versorgung übertragen worden ist.Auch die föderale Struktur der Ärztekammern, die weitgehende Gliederung der sozialen Krankenversicherung in zirka 1 500 einzelne und autonome Organisationen, die Verbände und unterschiedliche Krankenhausträger gestalten das Bild eines weitgefächerten Systems von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten in unserem Gesundheitswesen mit. Daß sich hieraus zahlreiche, insoweit auch nur fürdie Bundesrepublik charakteristische Probleme ergeben müssen, ist selbstverständlich.Es ist in diesem Zusammenhang auch kennzeichnend, daß es für die Abgrenzung zwischen den staatlichen Aufgaben und denen der Selbstverwaltung auf dem Gebiet der ärztlichen Weiterbildung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts bedurfte, um die erforderlichen Maßnahmen einleiten zu können. Ich stelle auch dies hier nur fest, um einmal auszuleuchten, unter welchen Bedingungen heute Gesundheitspolitik in der Bundesrepublik Deutschland gemacht werden kann und gemacht werden muß.Vor diesem Hintergrund ein Wort zu dem Vorwurf der Opposition, die Bundesregierung habe in der Gesundheitspolitik keine Konzeption. Nun, der Vorwurf ist nicht neu und überdies ziemlich abgenutzt. Er wird ja immer dann — wir haben es gerade auch bei der Debatte über die Familienpolitik wieder erlebt — von der Opposition erhoben, wenn sie sich außerstande sieht, sachliche, konkrete Kritik und Vorschläge vorzubringen.
Wenn ich die Große Anfrage betrachte, dann kann ich aus den Fragen und ihrer Begründung meinerseits beim besten Willen kein Konzept herauslesen. Da handelt es sich um eine Sammlung von Einzelpunkten, wobei zu einem der wichtigsten und aktuellsten Probleme, nämlich der Kostenentwicklung, eigentlich überhaupt nichts ausgesagt und vor allen Dingen nichts gefragt wird. Wenn es bei Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, überhaupt so etwas wie eine Konzeption gibt, dann doch offensichtlich die, aufzuspringen, wenn der von der Koalition in Fahrt gebrachte Zug sonst ohne Sie abfahren würde.
Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Prinz zu Sayn?
Ja, bitte!
Darf ich Sie fragen, Frau Bundesminister, was in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers Schmidt oder in dem Arbeitsbericht der Bundesregierung 1974 zu diesem Problem der Kostenentwicklung gestanden hat.
Lieber Herr Kollege, in der Regierungserklärung kann natürlich nicht zu einem Thema wie der Kostenentwicklung in der Krankenversicherung breit Stellung genommen werden.
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Bundesminister Frau Dr. FockeDas ist nicht die Aufgabe einer Regierungserklärung; da müssen die wichtigsten Ziele, um die es geht, dargestellt werden.
: Das ist das wichtigste innenpolitische Problem! — Reddemann (CDU/
nicht wichtig!)In Berichten ist über dieses Thema seitens der Bundesregierung mehrfach gesprochen worden. Ich könnte Ihnen eine ganze Reihe von Hinweisen darauf geben, wo wir — sowohl mein Kollege Walter Arendt als auch ich und Staatssekretär Wolters — und wann wir zu diesem Thema einiges gesagt haben.Aber lassen wir das! Hier geht es um Ihr en Versuch, uns für die . aktuelle gesundheitspolitische Diskussion durch die Große Anfrage die nötige Grundlage zu geben. In diesem Zusammenhang kritisiere ich, daß eines der wichtigsten Themen, die uns heute beschäftigen müssen, nicht mit in das Bündel der Fragen einbezogen wurde.
Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke ?
Diese noch, aber dann würde ich gern weitermachen. Ich glaube, wir kommen sonst etwas zu sehr in Verzug.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Franke!
Ist das Problem der Kostenentwicklung in der Krankenversicherung und damit die Beitragsexplosion bei den Arbeitnehmern und bei den Unternehmern für Sie ein so kleines Problem, daß man es nicht in der Regierungserklärung erwähnen sollte?
Die Beitragsentwicklung ist doch gerade der Punkt, auf den wir hier immer wieder zu sprechen kommen. Ich bin sicher, daß Walter Arendt gleich noch einmal im einzelnen nachweisen wird, wo, wann und wie er diese Frage seinerseits aufgegriffen und in einer sehr abgewogenen Form behandelt hat.
Die Regierungserklärung, insbesondere die vom Mai 1974, ist auf die notwendige finanzielle und kostenbewußte Haltung der Regierung und der Koalition insgesamt sehr nachdrücklich eingegangen.
Ich möchte fortfahren und zum Problem der Konzeption auf folgendes hinweisen: Zu unserer Konzeption gehört gerade auch in der gegenwärtigen Situation das ehrliche Infragestellen der herkömmlichen Praktiken, so daß geprüft werden muß, ob die bisher eingeschlagenen Wege auch den zukünftigen Anforderungen noch gerecht werden. Dazu gehört die Bereitschaft, unser Gesundheitswesen weiterzuentwickeln. Wir fühlen uns — ich meine: im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition — verpflichtet, dieses Gesundheitswesen immer wieder daraufhin zu prüfen, was es leistet und was nicht, wie sich das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag entwickelt und wo die schwachen Stellen sind. Wer dies mit dem Vorwurf der Systemveränderung abtut, muß sich die Vermutung gefallen lassen, daß er am liebsten alles so lassen möchte, wie es ist, und die Vorschläge anderer zu verteufeln versucht, um sich den Problemen in der Sache nicht stellen zu müssen.
Wir haben klare Vorstellungen von dem, was notwendig ist, und wir haben entsprechend gehandelt. Die Gesundheit zu erhalten ist dabei unser vorrangiges Ziel gewesen. Ein Schwerpunkt war und ist deshalb verstärkte Gesundheitsaufklärung und Gesundheitserziehung. Durch die Arbeit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, durch das erfolgreiche Zusammenwirken zwischen dem Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, den Medien und allen übrigen an Gesundheitsaufklärung und -erziehung Beteiligten ist es uns gelungen, die Gefahren einer falschen Ernährung, mangelnder Bewegung, des Rauchens, des Drogen- und Rauschmittelmißbrauchs einer breiten Öffentlichkeit bewußt zu machen. Hierzu gehört u. a. auch das Aktionsprogramm zur Bekämpfung des Drogen- und Rauschmittelmißbrauchs vom November 1970, das 1974 um den Schwerpunkt Bekämpfung des Jugendalkoholismus erweitert worden ist. Meine Damen und Herren, wenn Erkenntnis der erste Weg zur Besserung ist, dann haben wir bessere Voraussetzungen für gesundheitsgemäßes Verhalten geschaffen.
Bei allem kommt es allerdings darauf an, diese Bemühungen noch zu verstärken. Wir sind dabei, es zu tun.
Gesundheit zu erhalten heißt aber auch, vermeidbare Gefahren fernzuhalten. Mit zahlreichen Gesetzen und Verordnungen hat der Bund den Gesundheitsschutz verbessert. Ich erinnere an das Bundesimmissionsschutzgesetz, an das Abfallbeseitigungsgesetz, an das Fluglärmgesetz, an das Benzin-BleiGesetz sowie an die zu diesen Gesetzen erlassenen Verordnungen. Zur Sicherung der Trinkwasserqualität wurden Anfang des Jahres die Trinkwasserverordnung sowie weitere Regelungen für die Herstellung und den Umgang mit Trinkwasser erlassen. Besondere Bedeutung bei der Bekämpfung der Gesundheitsgefahren, die durch Umweltverschmutzung und
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Bundesminister Frau Dr. Fockeandere Folgen der Zivilisation drohen, haben die Errichtung einer zentralen Erfassungs- und Bewertungsstelle für Umweltchemikalien beim Bundesgesundheitsamt sowie die Förderung der Forschung in diesem Bereich.Im Konfliktfall müssen wirtschaftliche Interessen zurücktreten, wenn es um den Schutz vor Gesundheitsgefahren geht. Diesem Grundsatz dienen die Anfang dieses Jahres in Kraft getretene Lebensmittelrechtsreform und die Verordnungen, die hierzu erlassen werden. Zum gesundheitlichen Schutz des Verbrauchers wird damit ein entscheidender Beitrag geleistet.Für mehr Sicherheit am Arbeitsplatz sorgt das Ende vergangenen Jahres in Kraft getretene Gesetz über Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit. Bundesrechtliche Regelungen zur Sicherung des Schutzes der Gesundheit am Arbeitsplatz werden die Abwehr von Gesundheitsgefahren weiter verstärken.Bei der Umsetzung der zahlreichen vom Bund getroffenen oder eingeleiteten Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheitsaufklärung und -erziehung sowie des Gesundheitsschutzes in die tägliche Praxis wird dem öffentlichen Gesundheitsdienst eine wesentliche Rolle zufallen. Obgleich hier in erster Linie nun wirklich wieder die Zuständigkeit der Länder angesprochen ist, hat sich der Bund nachdrücklich dafür eingesetzt, daß in diesen Aufgaben ein Arbeitsschwerpunkt des öffentlichen Gesundheitswesens gesehen wird. Der Bund hat deshalb auch gemeinsam mit dem zuständigen Land Hessen die Förderung eines Modellgesundheitsamtes in Marburg übernommen. Die auf dem letzten Deutschen Ärztetag daran geäußerte Kritik ist unberechtigt. Die Beratungsaufgaben sollen neben die herkömmlichen Aufgaben des Gesundheitsamts und nicht an ihre Stelle treten. Von einer Aufblähung und Fehlentwicklung kann im Hinblick auf die großen Aufgaben, die nach der von den Ländergesundheitsministern beschlossenen Richtlinie für Ländergesetze über den öffentlichen Gesundheitsdienst zu erwarten sind, nicht die Rede sein.Die Hilfe im Krankheitsfall bleibt die zweite große Aufgabe unserer Gesundheitspolitik. Aus sozialer Verantwortung und zur Wahrung der Chancengleichheit für jeden Bürger fühlen wir uns verpflichtet, den medizinischen Fortschritt allen zukommen zu lassen. Es darf deshalb keinen Abbau des Erreichten geben. Aber — das sage ich mit aller Deutlichkeit — wir können es uns nicht leisten, daß uns der Luxus einer zu teuren gesundheitlichen Versorgung daran hindert, das Erreichte auszubauen.Was ist notwendig, und was 'ist seit 1969 hierzu geschehen? Dem Kranken soll früher geholfen werden können. Wir haben dafür die Früherkennungsuntersuchungen des Krebses bei Männern und Frauen in der Sozialversicherung und in der Sozialhilfe eingeführt. Kinder haben vom ersten Lebenstag bis zur Vollendung des vierten Lebensjahres Anspruch auf regelmäßige Untersuchungen zur Früherkennung von Fehlentwicklungen oder Behinderungen.Mit dem Krankenhausfinanzierungsgesetz sind bundesweit die Voraussetzungen dafür geschaffenworden, daß jeder, der der Krankenhausbehandlung bedarf, zur rechten Zeit das richtige Krankenhausbett in zumutbarer Entfernung findet. Gegen die drohende Unterversorgung mit Kassenärzten in ländlichen und Stadtrandgebieten sind differenzierte Maßnahmen im Rahmen des KrankenversicherungsWeiterentwicklungsgesetzes vorgesehen. Hierzu wird mein Kollege Walter Arendt bei der heutigen ersten Lesung nähere Ausführungen machen.Die besondere Lage der psychisch Kranken wird in einer umfassenden Enquete untersucht; die sofort möglichen Maßnahmen sind, soweit der Bund zuständig ist, auf Grund eines Zwischenberichts bereits verwirklicht oder eingeleitet worden.Der von der Bundesregierung beschlossene Entwurf des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts wird einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit leisten.Ein dritter wichtiger großer Komplex ist die Verbesserung der Rehabilitation, die als besonders vordringlich angesehen wurde. Mit dem Aktionsprogramm zur Förderung der Rehabilitation vom April 1970 wurden die Voraussetzungen für bessere und schnellere Hilfen zur medizinischen, beruflichen und sozialen Wiedereingliederung der Behinderten in Beruf und Gesellschaft geschaffen.
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Ziel dieser Maßnahmen ist es, zu einer Begrenzung I des Anstiegs der Pflegesätze für 1975 auf 8 bis 10 % zu kommen.Die für die Kostenentwicklung im Krankenhaus Verantwortlichen sehen darüber hinaus als besonders vordringlich eine Antwort auf die Frage an, wie ein stärkerer wirtschaftlicher Anreiz zur sparsamen Wirtschaftsführung für Krankenhäuser geschaffen werden kann. Kurz, die Bundesregierung legt zur Zeit bei der Kostendämpfung im Krankenhausbereich das Schwergewicht darauf, die in den vorhandenen neueren Gesetzen enthaltenen Regelungen zur Begrenzung der Kosten besser als bisher auszuschöpfen.Für den Arzneimittelmarkt — einen Markt übrigens, der diese Bezeichnung kaum verdient, da von einer Preisbildung auf Grund von Angebot und Nachfrage nicht die Rede sein kann — gilt es in erster Linie eine bessere Markttransparenz für die verschreibenden Ärzte herbeizuführen. Es müssen ihnen Entscheidungshilfen an die Hand gegeben werden, die sie in die Lage versetzen, bewertende therapeutische Vergleiche unter Einbeziehung der Verkaufspreise vorzunehmen. Beiträge der niedergelassenen Ärzte zur Kostendämpfung müssen sich in erster Linie auf eine an Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit tatsächlich gebundene Verordnung von Leistungen im ambulanten Bereich beziehen.Sie betreffen aber auch die Einkommenserwartungen der niedergelassenen Ärzte. In den vergangenen Jahren hat der Einkommenszuwachs der Kassenärzte — ich spreche nicht vom Umsatz — jedenfalls sowohl die Zunahme des Bruttosozialprodukts wie auch den Anstieg des durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommens beträchtlich überschritten. Für Gegenwart und Zukunft ist eine solche Entwicklung nicht hinnehmbar; vielmehr ist eine Orientierung auch des ärztlichen Honorarzuwachses an allgemeinen wirtschaftlichen Eckdaten erforderlich. Aus eben diesen Gründen ist eine Änderung der amtlichen Gebührenordnung, die eine Kostenerhöhung zur Folge hätte — etwa durch eine häufig geforderte lineare Anhebung der Gebühren — nicht diskussionsfähig.Vorbereitet wird aber in dieser Legislaturperiode eine Neuordnung des Gebührenrechts mit dem Ziel, die Anwendung der Gebühren für alle ärztlichen Bereiche nach einheitlichen Leistungsbeschreibungen sicherzustellen und die Fortentwicklung der Leistungsstruktur dem Fortschritt der Medizin und den Bedürfnissen der Patienten entsprechend zu gewährleisten. Letzteres betrifft sowohl das Verhältnis der Bewertung von ärztlichen Leistungen im eigentlichen Sinne und mehr technischen Leistungen — etwa bei der Erhebung von Labordaten oder der Verordnung von Bestrahlungen — wie auch als Folge davon die ungerechtfertigten unterschiedlichen Einkommenserwartungen von Kinderärzten und Psychiatern beispielsweise auf der einen Seite und z. B. Laborärzten und Internisten andererseits.So erstaunlich es klingen mag: Mit dem Krankenhausfinanzierungsgesetz wurde in das deutsche Gesundheitswesen zum erstenmal gesetzlich in größerem Umfang ein Begriff eingeführt, der in vielen
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Bundesminister Frau Dr. Fockeanderen Bereichen der Politik längst eine Selbstverständlichkeit war: Planung. Die Tatsache, daß wir heute in erster Lesung auch das Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetz beraten, das als eine der wesentlichsten Lösungsmöglichkeiten zur gleichmäßigen regionalen Versorgung der Bevölkerung durch niedergelassene Ärzte eine Bedarfsplanung für die kassenärztliche Versorgung vorsieht, zeigt, daß wir auf diesem Wege weitergehen. Und dies müssen wir. Es wird höchste Zeit, daß wir auf einem der wesentlichen Gebiete der Daseinsvorsorge das Instrumentarium schaffen und auch nutzen, das für andere Politikbereiche eine selbstverständliche Notwendigkeit ist.Ohne Planung können wir auch im Gesundheitswesen nicht erreichen, daß die Leistungen dort er- bracht werden, wo sie benötigt werden, daß sie von demjenigen erbracht werden, der dazu am besten geeignet ist, daß sie dort erbracht werden, wo es am kostengünstigsten geschieht, daß Leistungen nicht unnötigerweise doppelt angeboten_ und auch mehrfach in Anspruch genommen werden, daß die Zusammenarbeit der tragenden Säulen des Gesundheitswesens — die Heilberufe, die Krankenanstalten, der öffentliche Gesundheitsdienst — so reibungslos wie möglich erfolgt, daß Versorgungslücken oder Überangebote schnell festgestellt werden und dementsprechend die Prioritäten für gesundheitspolitisches Handeln gesetzt werden können, daß das komplexe und schwer überschaubare Gesamtgebiet des Gesundheitswesens für Beteiligte und Betroffene durchschaubarer wird.
Ich verkenne nicht, daß es schwierig ist, die für die Planung in anderen Bereichen vorhandenen Methoden und Begriffe auch im Gesundheitswesen zu verwenden. Volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analysen — um ein Beispiel zu nennen — lassen sich schon deswegen nur begrenzt anwenden, weil sich der Nutzen der Gesundheit kaum in Zahlen ausdrücken läßt, es sei denn, wir blieben bei einer sehr oberflächlichen Betrachtungsweise.
Wir sollten auch nicht in einen Planungsfetischismus verfallen, der versucht, alles in errechenbaren Zahlen auszudrücken oder alles zu zentralisieren. Dennoch müssen wir uns trotz aller Schwierigkeiten der Aufgabe widmen, sachgerechte Planungsmethoden und Beurteilungskriterien bei uns und anderswo, z. B. in der WHO, zu erarbeiten.Wir stecken hier leider weltweit noch in den Anfängen. Planung im Gesundheitswesen erfordert u. a. die Bereitstellung der notwendigen Grunddaten — auch bei uns noch ein sehr schwieriges Problem —, die Entwicklung von Kriterien für eine leistungs- fähige und bedarfsgerechte Versorgung mit Gesundheitsleistungen und die Entwicklung von Beurteilungsmaßstäben zur Kontrolle der Effektivität und Effizienz. Planung im Gesundheitswesen bedeutet nicht, daß sie nur oder auch nur in der Hauptsache in der Hand des Staates liegen muß. Sie ist in erster Linie auch Aufgabe der Selbstverwaltungskörperschaften und aller Träger von Gesundheitsleistungen. Sie und der Staat müssen jedoch sowohl bei der Erarbeitung der notwendigen Daten, Normen und Kriterien wie auch bei ihrer Anwendung zusammenarbeiten. Es muß endlich Schluß sein mit der Verteufelung der Planung als eines unzulässigen Eingriffs in die Gestaltungsmöglichkeiten der einzelnen Träger von Gesundheitsleistungen.
Das haben wir doch alles in den 60er Jahren für andere Lebensbereiche, in denen Planung gar nicht mehr wegzudenken ist, schon einmal gehört, den Vorwurf der Verplanung, der Planwirtschaft, des Zentralismus. Inzwischen hat uns die Entwicklung gezeigt, daß Planung auch in einem freiheitlichföderalistischen System nicht nur möglich, sondern unentbehrlich ist.
Wir sollten uns auch vor überhöhten Erwartungen gegenüber den Möglichkeiten der Planung hüten. Sie ist nur e i n allerdings unentbehrliches Hilfsmittel bei der Weiterentwicklung unseres Gesundheitswesens.Es bestehen in der gegenwärtigen gesundheitspolitischen Diskussion kaum noch Zweifel darüber, daß angesichts der zunehmenden Spezialisierung und Arbeitsteilung größere Kooperation, Koordination und auch Integration zwischen den einzelnen Teilbereichen der Gesundheitsversorgung notwendig sind, sonst droht die Gefahr, daß sich die einzelnen Teilbereiche unterschiedlich entwickeln, ohne die möglichen und notwendigen Formen der Zusammenarbeit zu nutzen. Die Vermutung läßt sich nicht einfach abweisen, daß dies für die Bürger verwirrend, für die Patienten belastend, für die Versichertengemeinschaft kostenaufwendig ist. Leider aber ist eine unvoreingenommene, sachliche Diskussion über das Problem der Überwindung von allzu starren Abgrenzungen insbesondere zwischen der ambulanten und stationären Versorgung kaum mehr möglich. Allzu schnell erschallt abwehrend der Vorwurf der Systemveränderung. Neuerdings auf dem letzten Deutschen Ärztetag sind sogar Modellversuche und Forschungsvorhaben verurteilt worden, die aufzeigen sollen, welche Auswirkungen die jeweiligen Vorschläge in der Praxis tatsächlich haben.Lassen Sie mich bei der Gelegenheit noch eine Anmerkung zu meiner Kritik am letzten Deutschen Ärztetag machen. Ich habe es bedauert, und dazu stehe ich auch heute noch, daß der wesentliche Beitrag des Deutschen Ärztetages zum Problem der Kosten im Gesundheitswesen darin bestand, auf die Verantwortung und Verpflichtung des einzelnen hinzuweisen, sich gesundheitsgerecht zu verhalten. Welchen Beitrag die Ärzte zu leisten bereit sind, die doch im Gesundheitswesen eine Schlüsselstellung einnehmen und darüber entscheiden, welche Leistungen in der stationären und ambulanten Versorgung erbracht werden, hat man sich vergeblich gefragt. Es ist zwar unstrittig, und ich habe oft genug selbst darauf hingewiesen, daß nicht gesundheitsgerechtes Verhalten der Bürger eine Ursache für die Kosten-
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12274 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975
Bundesminister Frau Dr. Fockeentwicklung ist, aber sie ist wahrhaftig nicht die einzige und darf schon gar nicht als Alibi dafür her-walten, um nicht vor der eigenen Tür kehren zu müssen.
Ich wiederhole hier: Der hohe Grad der sozialen Sicherung, den wir erreicht haben, darf nicht zu einer erhöhten Anspruchs- und Erwartungshaltung des einzelnen gegenüber Staat und Gesellschaft führen. Der einzelne gehört einer Solidargemeinschaft an, in der er nicht nur nehmendes, sondern auch gebendes Mitglied ist. In dieser Rolle trägt er Verantwortung für die eigene Gesundheit und die Gesundheit seiner Familie. Richtiges staatsbürgerliches und gesundheitsgerechtes Verhalten läßt sich aber nicht durch Gesetze oder Verordnungen erzwingen. Es setzt die Bereitschaft zu eigenverantwortlicher Mitwirkung voraus. Hierbei muß die Gesellschaft helfen, übrigens nicht nur durch gesundheitliche Aufklärung, sondern auch durch Vermeidung aller Einflüsse, die unser gesundheitliches Verhalten wesentlich beeinflussen. Ich frage mich, ob diejenigen, die für Alkohol, Zigaretten, für nichtapothekenpflichtige Arzneimittel werben, sich ausreichend bewußt sind, welche gesundheitspolitische Verantwortung sie tragen und daß es ihnen nicht lediglich um den Verkauf irgendeiner Ware gehen darf.Bei aller Kritik, meine Damen und Herren von der Opposition, die Sie an den Maßnahmen der Bundesregierung üben, bei aller Kritik und Selbstkritik, die wir und alle anderen Beteiligten unter Anlegung eines strengen Maßstabes an der gegenwärtigen Situation des Gesundheitswesens für notwendig halten, so glaube ich doch, daß wir neben der notwendigen Mängelanalyse und bei der Suche nach praktikablen und finanzierbaren Lösungen nicht vergessen sollten, daß ein Übermaß an Kritik auch zu einer Verunsicherung des Bürgers und Patienten führen kann. Sie könnte zur Folge haben, daß die gegenwärtige Erwartungshaltung umschlägt in einen Verlust des Vertrauens zur Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitswesens, der Ärzte, der Krankenhäuser, der anderen Berufe; das wäre nicht gerechtfertigt.
Ich habe versucht, klarzumachen, daß viele im Gesundheitswesen Verantwortung tragen: Bundesregierung und Länder-Regierungen, Ärzte und alle anderen Berufe des Gesundheitswesens und auch des Sozialwesens, Krankenkassen und Krankenhausträger. Um die Situation des Gesundheitswesens dort zu verbessern, wo es notwendig ist, müssen alle Verantwortlichen zusammenwirken. Unterschiedliche Auffassungen müssen offen diskutiert und — orientiert am Gemeinwohl — nach bestem Wissen entschieden werden. Die Forderung nach mehr Kooperation im Gesundheitswesen richtet sich nicht nur an ,die, die Leistungen im Gesundheitswesen erbringen, sondern in gleichem Maße an die, die Entscheidungen in der Gesundheitspolitik treffen. Nur wenn wir hier Konfrontation abbauen und Kooperation aufbauen, kann auf die Frage nach der Situation des Gesundheitswesens in der Bundesrepublik Deutschland die Antwort lauten: Gut, aber verbesserungsfähig.
Zur Begründung des von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurfs über die Krankenversicherungsweiterentwicklung hat jetzt idas Wort der Herr Bundesminister Arendt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Namen der Bundesregierung lege ich Ihnen einen Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung vor. Mit diesem Gesetzentwurf gibt die Bundesregierung eine Antwort auf strukturelle Fragen, die auch für die Kostenentwicklung von Bedeutung sind. Meine Kollegin, Frau Dr. Focke, hat vorhin schon darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung mit aller Kraft bemüht ist, die steigenden Kosten im Gesundheitswesen zu dämpfen. Dieser Gesetzentwurf trägt dazu bei.Im Kassenarztrecht sollen rechtzeitig Änderungen vorgenommen werden, damit wir nicht schon in wenigen Jahren vor neuen Problemen in der Kostenentwicklung stehen. Damit wäre zu rechnen, wenn die zunehmend ungleiche Verteilung der Ärzte nicht rechtzeitig korrigiert würde.Der Gesetzentwurf verfolgt das Ziel, auch für die Zukunft eine bedarfsgerechte ärztliche Versorgung sicherzustellen. Hierfür sollen die Maßnahmen zur ärztlichen und zahnärztlichen Betreuung verbessert und erweitert werden.Der Gesetzentwurf sieht ferner Änderungen im Bereich der Krankenversicherung der Rentner vor. Hier soll erreicht werden, daß künftig die weiterhin erheblich steigenden Aufwendungen für die Rentner unter den Krankenkassen gleichmäßiger und gerechter aufgeteilt werden. In diesem Zusammenhang sollen auch die finanziellen Regelungen zwischen der Renten- und Krankenversicherung so korrigiert werden, daß es in beiden Versicherungszweigen zu klaren Finanzverhältnissen kommt. Eine Änderung der generellen Beitragsfreiheit der Rentner ist nicht vorgesehen. Dazu besteht auch kein Anlaß.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zunächst auf den ersten Schwerpunkt des Gesetzentwurfs, auf die Weiterentwicklung. des Kassenarztrechts eingehen. Die vorgeschlagenen Änderungen sind erforderlich, weil sich seit Anfang der 60er Jahre zunehmend eine ungleiche Verteilung der niedergelassenen Ärzte entwickelt hat. Vor allem in ländlichen Gebieten, aber auch in städtischen Neubaugebieten oder in Stadtrandgebieten macht sich bereits ein Mangel, besonders an Ärzten für Allgemeinmedizin, bemerkbar. Dies ist die Ausgangssituation, und sie wird von allen gleich oder ähnlich beurteilt. Auch der Entwurf des Bundesrates geht von diesem Sachverhalt aus. Selbst über die Ursachen dieser unerfreulichen Entwicklung besteht eine weitgehende Übereinstimmung. Im übrigen haben wir es hier mit Problemen zu tun, die auch in anderen Industriestaaten der Welt erhebliche Schwierigkeiten machen.
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Bundesminister ArendtDie vorgesehenen Änderungen sind darauf gerichtet, zunächst und vor allem die für die ärztliche Versorgung verantwortlichen Kassenärztlichen Vereinigungen in die Pflicht zu nehmen. Dièse Vereinigungen werden verpflichtet, rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um die ambulante ärztliche Versorgung sowohl wirtschaftlich effizient als auch bedarfsgerecht zu sichern. Dies ist nämlich eine Voraussetzung dafür, daß jeder Bürger tatsächlich gleiche Gesundheitschancen in unserer Gesellschaft hat.Der Regierungsentwurf sieht eine Reihe von Änderungen im Kassenarztrecht vor. Sie erfolgen aber — und lassen Sie mich dies deutlich unterstreichen — auf der Grundlage des geltenden Systems. Es geht also nicht um eine Überwindung des Systems, sondern um notwendige Verbesserungen. Das System hat sich in seinen Grundzügen bewährt. Es muß aber, wenn wir von einer bedarfsgerechten ärztlichen Versorgung sprechen und diese Versorgung sicherstellen wollen, weiterentwickelt werden.Die Bundesregierung hält folgende Verbesserungen für erforderlich:erstens die Einführung einer bundesweiten Bedarfsplanung in der ambulanten ärztlichen und zahnärztlichen Versorgung;zweitens den Ausbau von Maßnahmen, mit denen Kassenärztliche Vereinigungen eine bedarfsgerechte und gleichmäßige Versorgung der versicherten Bevölkerung sicherstellen können, und schließlichdrittens die gesetzliche Absicherung von besonderen Maßnahmen zur Beseitigung von ärztlicher Unterversorgung der Bevölkerung.Der Regierungsentwurf hält daran fest, daß den Kassenärztlichen Vereinigungen die Verantwortung für die Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung übertragen bleibt. Diese Verantwortung der Körperschaften wollen wir noch verstärken, damit wirklich alle geeigneten Maßnahmen ergriffen werden, die für eine bedarfsgerechte Versorgung notwendig sind.Ein wichtiges, wenn auch nicht das alleinige Steuerungsinstrument für eine bedarfsgerechte und gleichmäßige Versorgung stellt der Bedarfsplan dar. Deshalb sind vor allem die Krankenkassen an der Bedarfsplanung zu beteiligen. Das gibt den Krankenkassen die Möglichkeit, die Interessen der Versicherten sowohl an einer bedarfsgerechten als auch an einer wirtschaftlichen Versorgung wahrzunehmen. Ungeachtet dieser Zusammenarbeit mit den Krankenkassen und den Ländern sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen aber die letztverantwortliche Entscheidung über den Bedarfsplan haben. In gleicher Weise verbleibt auch die Verantwortung für die Organisation und Steuerung der einzelnen Maßnahmen zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung bei den Kassenärztlichen Vereinigungen. Diese Verantwortung bedeutet aber auch, daß die Kassenärztlichen Vereinigungen mit allen Konsequenzen bis hin zum partiellen Verlust des Sicherstellungsauftrags für mögliche Mißerfolge einstehen müssen. Durch die Verbindung von Verantwortung und Einstandspflicht soll die Bereitschaft der kassenärztlichen Selbstverwaltung, eigenverantwortlich Ordnungsfunktionen im allgemeinen Interesse wahrnehmen, noch gestärkt werden.Diese abgestuften Regelungen lassen es zu, im ambulanten Versorgungsbereich den Grundsatz der Berufsausübung der Ärzte durch freie Niederlassung und der freien Arztwahl der Versicherten zu wahren. Es wird daher auch keine Verplanung der Ärzte geben. Dahin gehende Befürchtungen sind völlig unbegründet. Der Entwurf der Bundesregierung jedenfalls bietet dafür keinen Anlaß. Nur dann, wenn es trotz Ausschöpfung aller Mittel der Kassenärztlichen Vereinigungen zu einer ärztlichen Unterversorgung der Bevölkerung kommt, soll die Niederlassungsfreiheit beschränkt werden können.Die vorgesehene Zulassungsbeschränkung ist als ein mittelbares Steuerungsinstrument entwickelt worden. Damit wird das Recht eines jeden Arztes, an jedem beliebigen Ort eine Kassenpraxis zu eröffnen, nur dort eingeengt, wo es genügend Ärzte gibt, damit es dort verwirklicht werden kann, wo Ärztemangel herrscht. Um Mißdeutungen vorzubeugen: Auch hier ist kein Zwangsinstrument zur Landverschickung von Ärzten ausgedacht worden. Zulassungsbeschränkungen können erst nach dem Scheitern aller notwendigen Sicherstellungsbemühungen der Kassenärztlichen Vereinigungen und zudem nur in einem genau geregelten und dem verfassungsrechtlichen Gebot der Niederlassungsfreiheit entsprechenden gestuften Verfahren vorgesehen werden. Sie sollen die im geltenden Recht bestehenden starren und unflexiblen Regelungen über eine Zulassungssperre ersetzen.Lassen Sie mich an dieser Stelle ein Wort zur Vorlage des Bundesrates einflechten.Diese Vorschläge, die auf eine Initiative des Landes Bayern zurückgehen, sind nach Auffassung der Bundesregierung zu weitgehend und dirigistisch.
— Ja, Herr Burger, so ist es! Der Arzt soll nämlich unter bestimmten Voraussetzungen gezwungen werden, einen zugewiesenen Kassenarztsitz anzunehmen.
Die Bundesregierung hält die von ihr vorgeschlagenen Regelungen für wesentlich angemessener und für ebenso erfolgreich.Trotzdem hört man hier und da besorgte Fragen. Vor allem von jüngeren Ärzten werden Zweifel geäußert, ob die kassenärztlichen Körperschaften auch bereit sein werden, selbst berufspolitisch unbequeme Maßnahmen zu ergreifen, um den Sicherstellungsauftrag ohne die scharfe Waffe von Zulassungsbeschränkungen zu erfüllen. Ich kann nur versichern, daß auch von staatlicher Seite in Zukunft sehr darauf geachtet werden wird, daß vor der Beschränkung der Niederlassungsmöglichkeit auch tatsächlich alle geeigneten Mittel zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung ausgeschöpft werden. Die Bundesregierung betrachtet es als notwendig — und auch als zumutbar für die Ärzte —bei Notständen in der ärztlichen Versorgung zu verlangen, daß bestimmte berufliche Interessen der
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Bundesminister ArendtÄrzte hinter dem Anspruch der Bürger auf eine funktionierende ärztliche Versorgung zurückstehen müssen.Niemand kann aber von vornherein garantieren, daß Zulassungsbeschränkungen als letztes Mittel in jedem Fall zum Erfolg führen. Der Entwurf sieht deshalb für diesen Sonderfall vor, daß dann die Krankenkassen die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung vornehmen können, z. B. durch Eigeneinrichtungen oder durch Verträge mit Krankenhäusern. Die Bundesregierung hält sich auch hier an den Grundsatz, daß das Interesse des kranken Menschen den beruflichen, wenn auch noch so verständlichen Interessen der Kassenärzte vorgeht.Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß ihre Vorschläge, die von allen Beteiligten ein hohes Maß an Verantwortung verlangen, eine gute Grundlage für die weiteren Beratungen dieses Hohen Hauses bilden.Meine Damen und Herren, neben der Weiterentwicklung des Kassenarztrechts befaßt sich der Gesetzentwurf der Bundesregierung mit der Finanzierung der Krankenversicherung der Rentner. Man muß davon ausgehen, daß die Krankheitskosten in diesem Bereich weiterhin überproportional zur allgemeinen Einkommens- und Kostenentwicklung zunehmen. Dies ist sowohl auf den höheren Leistungsbedarf der Rentner als auch auf die Veränderung in der Altersstruktur der Bevölkerung zurückzuführen. Niemand in diesem Hause wird bestreiten, daß es für die im Erwerbsleben stehende Generation eine solidarische Pflicht ist, diesen Aufwand zu finanzieren.Die öffentliche Diskussion hat sich auch letztlich auf die Frage konzentriert, über welchen Versicherungsträger die Kosten aufgebracht werden sollten. Man trifft vielfach die Auffassung an, es wäre sozialer, den gesamten Aufwand über die Rentenversicherung zu finanzieren. Diese Annahme trifft trotz der höheren Beitragsbemessungsgrenze für den typischen Beitragszahler, für den Arbeitnehmer, nicht zu. Meine Damen und Herren, von den Selbstverwaltungen der Kranken- und Rentenversicherung können wir hierzu keine brauchbaren Vorschläge erwarten. Die Krankenkassen, sowohl die Vertreter der Versicherten als auch die der Arbeitgeber, fordern aus ihrer Sicht, daß der Aufwand vor allem von der Rentenversicherung getragen werden soll. Andererseits erwarten die Vertreter der Selbstverwaltung in der Rentenversicherung, daß eine zusätzliche Belastung der Rentenversicherung unterbleibt.Bei diesen widerstrebenden Interessen der Versicherungsträger müssen wir um so mehr dafür sorgen, daß der Verteilungskonflikt nicht nur vordergründig gelöst wird. Es wäre unbefriedigend, wenn die Lasten der Finanzierung nur von einem Versicherungszweig auf einen anderen Versicherungszweig verschoben würden. Damit wäre für den Beitragszahler überhaupt nichts gewonnen.Und dies, meine Damen und Herren, ist die Lage: Die Forderung der Krankenkassen, die Krankenversicherung der Rentner wieder wie im Jahre 1968zu 80 Prozent durch die Rentenversicherung zu finanzieren, ändert nichts daran, daß dadurch die Beitragszahler, vor allem die Arbeitnehmer, nicht entlastet werden können. Gäbe man dennoch diesen Überlegungen nach, dann würden die soliden Finanzierungsgrundlagen der Rentenversicherung unsicher. An Beitragserhöhungen wäre kaum vorbeizukommen. Die Beiträge in der Krankenversicherung würden aber trotzdem weiter steigen, weil die Ursachen für die Verteuerung der Krankheitskosten damit allein nicht aus der Welt geschafft werden könnten.
— Ich habe es gesagt.Aus diesem Grunde hat die Bundesregierung darauf verzichtet, jetzt eine Neuaufteilung der Finanzierungsanteile zwischen Kranken- und Rentenversicherung vorzuschlagen. Der Regierungsentwurf will erreichen, daß künftig Überzahlungen der Rentenversicherung an die Krankenversicherung vermieden werden. Gleichzeitig soll der geltende Belastungsausgleich in der Krankenversicherung wieder voll funktionsfähig werden. Zur Zeit werden die Beitragszahler einzelner Kassen, vor allem der Ortskrankenkassen, einseitig mit den Aufwendungen für die Krankenversicherung der Rentner belastet. Das ist sozial nicht zu vertreten.Im Gesetzentwurf ist daher vorgesehen, zunächst die finanzielle Regelung der Renten- und Krankenkenversicherung in Ordnung zu bringen. Dafür schlagen wir vor:1. Die Summe der Beiträge, die die Träger der Rentenversicherung für die Krankenversicherung der Rentner aufzubringen haben, wird auf elf Prozent der Rentenausgaben festgesetzt. Die Beteiligung der Rentenversicherung wird so geregelt, daß es künftig weder Überzahlungen noch Unterzahlungen geben 'wird.2. Es wird bestimmt, daß die Überzahlungen der Rentenversicherungsträger aus den Jahren 1971 bis 1974 von den Trägern der Krankenversicherung nicht zu erstatten sind. Damit wird vermieden, daß die Krankenkassen für einen zurückliegenden Zeitraum fast sechs Milliarden DM zurückzuzahlen hätten.3. Den Krankenkassen sollen für das Jahr 1975 über die von der Rentenversicherung zu zahlenden Beiträge hinaus zusätzlich 2,5 Milliarden DM von der Rentenversicherung zufließen. Für die Jahre 1976 und 1977 ist vorgesehen, daß zusätzliche Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner je nach der Finanzlage der Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten durch Rechtsverordnung geleistet werden können.Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit diesen Korrekturen bringen wir zunächst einmal in Ordnung, was sich bei der Rentnerkrankenversicherung als unbefriedigend herausgestellt hat. Darauf sollte man sich jetzt beschränken, weil jede Neuverteilung der Aufbringung der Mittel zwischen Kranken- und Rentenversicherung zu tiefgreifenden Änderungen im jeweiligen Finanzierungssystem füh-
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Bundesminister Arendtren müßte. Die Bundesregierung schlägt deshalb vor, auf eine Neuverteilung der Aufbringung der Finanzierungsanteile zur Kranken- und Rentenversicherung jetzt zu verzichten und die vorgelegte Zwischenlösung zu treffen.Lassen Sie mich jetzt auf den vorgeschlagenen Belastungsausgleich zwischen den einzelnen Trägern der Krankenversicherung eingehen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß der Finanzierungsanteil der Träger der Krankenversicherung an den durch die Beiträge der Rentenversicherung nicht gedeckten Aufwendungen möglichst gleichmäßig auf die nicht als Rentner versicherten Mitglieder verteilt werden sollte. Sie schlägt ein Ausgleichsverfahren für die Krankenversicherung der Rentner vor, das außerdem noch den strukturellen Besonderheiten des gegliederten Systems der gesetzlichen Krankenversicherung Rechnung trägt.Der Entwurf sieht ein Verteilungs- und Ausgleichsverfahren für die von der Rentenversicherung zu leistenden Beiträge zwischen allen Krankenkassen vor. Die Beiträge der Rentenversicherung werden auf die Krankenkassen so aufgeteilt, daß vor allem die unterschiedliche Belastung der Kassenarten, also der Betriebs-, Orts-, Innungs- und Ersatzkassen, weitgehend ausgeglichen wird. Darüber hinaus können die Bundesverbände der einzelnen Kassenarten einen freiwilligen Finanzausgleich für ihren jeweiligen Bereich durchführen. Dieser Ausgleich soll die Belastung der Mitglieder der Kassen der gleichen Kassenart voll ausgleichen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Krankenversicherung der Rentner beruht auf einem hohen Maß an solidarischem Verhalten der erwerbstätigen Bevölkerung zu den Mitbürgern, die aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind. Von diesem sozialen Kontrakt dürfen wir weiterhin ausgehen. Die letztlich entscheidende Frage ist deshalb, ob wir den Aufwand sozial gerecht auf die Beitragszahler verteilen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung jedenfalls verfolgt dieses Ziel.Lassen Sie mich noch auf unseren Vorschlag eingehen, die Garantiehaftung der Gemeinden für die Ortskrankenkassen abzuschaffen. Diese Änderung hat, wie die Stellungnahme des Bundesrats zeigt, eine hohe politische Bedeutung. Die Bundesregierung sieht sich zum Handeln veranlaßt, weil das Bundessozialgericht entschieden hat, die Garantiehaftung in der bisherigen Form stehe im Widerspruch zu unserem Grundgesetz. Darüber hinaus hat sich die Garantiehaftung auch nicht als taugliches Mittel erwiesen, die Beiträge der Ortskrankenkassen zu stabilisieren. Die Beitragsentwicklung bei den Ortskrankenkassen ist ebenso verlaufen und verläuft auch jetzt nicht anders als bei den Krankenkassen, die keinen Gewährsträger haben. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn an Stelle des Gemeindeverbandes der Bund die Garantiehaftung zu übernehmen hätte. Hätten wir vorgeschlagen, angesichts der Beitragsentwicklung die Garantiehaftung durch den Bund zu übernehmen, dann wäre einer Steuerfinanzierung der Ortskrankenkassen Tür und Tor offengestanden.Die Bundesregierung hält diesen Weg nicht für akzeptabel. Vielmehr sollen anstelle des Rückgriffs auf das Portemonnaie eines Dritten die Ortskrankenkassen künftig, wenn die Vereinigung mit einer leistungsstärkeren Kasse nicht möglich ist oder trotz der Vereinigung die Beiträge für die Regelleistungen nicht ausreichen, die Beiträge in der erforderlichen Höhe durch ihre Satzung bestimmen. Weiterhin wird ihnen die Möglichkeit gegeben, durch ihre Landesverbände einen Ausgleich vorzusehen, der bewirkt, daß jede Kasse einer Kassenart gleichmäßig mit Ausgaben belastet wird.Durch diese Lösung bleibt die Verantwortung für die Finanzierung dort, wo sie heute schon durch das Krankenversicherungsrecht hingehört, nämlich bei den Selbstverwaltungsorganen der Kassen.Meine Damen und Herren, ich glaube, wir alle stimmen darin überein, daß die Wirtschafts-, die Finanz- und die Sozialpolitik eng aufeinander abgestimmt sein müssen. Und es besteht sicher auch darin Übereinstimmung, daß im Hinblick auf die gesetzliche Krankenversicherung die Priorität in dieser Stunde darin besteht, die finanzielle Entwicklung dieses großen Leistungsbereiches besser in den gesamtwirtschaftlichen Rahmen einzupassen. Dies ist die kurzfristige, aktuelle Aufgabe. Das Grundsatzproblem der richtigen Einpassung der Krankenversicherung in die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung ist aber auch über den Tag hinaus von Bedeutung. Dies wird nicht ohne merkliche strukturelle Änderung im Krankenkassenwesen zu machen sein.Lassen Sie mich dazu folgendes feststellen: 1. Zur Finanzierung eines modernen Gesundheitswesens ist ein langsam steigender Anteil am Bruttosozialprodukt und damit ein langsam steigender Beitragssatz offensichtlich unumgänglich. Ursachen dafür sind vor allem der schnelle medizinisch-technische Fortschritt, der Wandel des Krankheitspanoramas, der veränderte Altersaufbau der Bevölkerung, die steigenden Ansprüche der Bürger zum Beispiel hinsichtlich der Unterbringung im Krankenhaus. Das alles erfordert einen überproportional steigenden Aufwand. Daher steigen in allen Industrieländern die Ausgaben für das Gesundheitswesen schneller, als das Bruttosozialprodukt steigt. Das war auch in der Bundesrepublik Deutschland in der Vergangenheit stets so.2. Die Entwicklung der Beitragssätze in den Jahren 1974, 1975 und auch noch 1976 wird zusätzlich von einigen gewichtigen Sonderfaktoren beeinflußt: Durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist es im Bereich des Zahnersatzes, der Kieferorthopädie und der Parodontosebehandlung zu Verbesserungen gekommen, die sehr kostenintensiv sind. Außerdem führt die finanzielle Neuordnung durch das Krankenhausfinanzierungsgesetz immer noch zu starken finanziellen Belastungen der Krankenkassen. Diese Sonderfaktoren, von denen ich eben sprach, werden schon im nächsten Jahr weitgehend abgeklungen sein. Von daher ergibt sich dann eine Verlangsamung der Beitragssatzentwicklung.3. Die gesetzlichen Leistungsverbesserungen in dieser Legislaturperiode, die fast ausschließlich ge-
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Bundesminister Arendtmeinsam beschlossen wurden, haben den Gesundheits- und den Sozialschutz für viele Bürger spürbar verbessert.
Sie haben zwar den Schutz verbessert, sie haben aber dennoch nur in einem relativ geringem Umfang zum Beitragssatzanstieg beigetragen. Das Leistungsverbesserungsgesetz ist im wesentlichen mit der Abschaffung der wirkungslosen Krankenscheinprämie finanziert worden.
Die neuen Rehabilitationsleistungen der Krankenversicherung erfordern weniger als 0,2 Beitragssatzpunkte — und das sind sie dem Bürger mit Sicherheit wert. Trotzdem sollte auch von der Gesetzgebung her die schwierige Finanzlage der Krankenversicherung voll berücksichtigt werden. Die Bundesregierung beabsichtigt daher nicht, in dieser Legislaturperiode weitere Leistungsverbesserungen in der Krankenversicherung vorzuschlagen. Ich betone das mit Nachdruck.4. Auch wenn es für viele unbequem ist, so kann man nicht übersehen, daß die Strukturen und Steuerungsmechanismen im Gesundheitswesen sich zunehmend als zu starr und unrationell erweisen. Dies führt zu einer an sich vermeidbaren Verteuerung der Krankheitskosten. Zweifellos gehört die starre Abgrenzung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung mit der Folge einer überlangen Krankenhausverweildauer und unnötiger Doppeluntersuchungen zu den Mängeln des Gesundheitswesens, die unser System erheblich verteuern. Es ist nicht zu bestreiten, daß die wirtschaftliche Effizienz dieses Systems in vielen Teilbereichen nicht ausreichend gesichert ist.Hinzu kommen auch die Fragen einer angemessenen Vergütung der Ärzte, Zahnärzte und Apotheke — um die wichtigsten Leistungserbringer zu nennen. Der mangelnde Preiswettbewerb auf dem Arzneimittelmarkt führt ebenfalls zu spürbaren Verteuerungen.Meine Damen und Herren, hier liegen Aufgaben vor uns, die offensichtlich von der Selbstverwaltung allein nicht gelöst werden können. Hier wird das Krankenversicherungswesen geändert und verbessert werden müssen, um die Funktionsfähigkeit des Systems zu sichern.Ich gehöre nicht zu denen, die dem staatlichen Gesundheitsdienst das Wort reden, aber ohne eine bessere Abstimmung mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nehmen die Probleme in der nächsten Zeit ständig zu.Was ist nun zu tun, um die Kostenentwicklung in der Krankenversicherung in bessere Übereinstimmung mit den wirtschaftlichen Realitäten zu bringen? Am stärksten trägt zweifellos der Krankenhaussektor zu den gegenwärtigen Beitragssatzerhöhungen bei. Ich nenne nur folgende Zahlen: Die Aufwendungen der Krankenversicherung für das Krankenhaus haben sich von 1971 bis 1974, d. h. innerhalb von nur drei Jahren, verdoppelt. 1971 waren es 7,65 Milliarden DM, 1974 sind es fast 15 Milliarden DM. Wir haben es also mit Zuwachsraten von 20 bis 30 % pro Jahr zu tun, und das, obwohl die Zahl der Krankenhauseinweisungen und Krankenhaustage praktisch konstant geblieben ist.Zweifellos ist ein wesentlicher Faktor für diese Entwicklung das Krankenhausfinanzierungsgesetz von 1972 gewesen, mit dem ein Milliardendefizit beseitigt worden ist. Doch die eigentlichen Gründe liegen tiefer. Die Planungen und Entwicklungen im Krankenhaussektor sind primär unter dem Aspekt des medizinisch Optimalen und Wünschenswerten betrieben worden und erst in zweiter Linie unter dem Aspekt, was jeweils vom Sozialprodukt und vom Volkseinkommen her verkraftbar ist. Den Beteiligten müßte jetzt deutlich gemacht werden, daß das Wünschenswerte und das Machbare auf einen Nenner zu bringen sind. Dabei spielen Rationalisierung und Strukturwandel eine Schlüsselrolle.Meine Kollegin Frau Dr. Focke bemüht sich wie ich, wie Sie wissen, um eine entsprechende Kostendämpfung. Ich möchte hier gar nicht auf alle Einzelheiten eingehen, aber doch folgendes feststellen: Der Bund und die Bundesregierung haben auf diesem Gebiet nur sehr begrenzte Kompetenzen. Krankenhausplanung, Investitionssteuerung, Pflegesatzfestsetzung und Strukturgestaltung sind Aufgaben der Bundesländer. Sie tragen hier eine große Verantwortung. Die Bundesregierung begrüßt daher, daß die Bundesländer bereit sind, entsprechende Initiativen zu entwickeln.Das Krankenhaus ist im Augenblick zweifellos der kostenträchtigste Bereich. Aber daraus kann keiner, der im Gesundheitswesen außerhalb des Krankenhauses tätig ist, für sich einen Freibrief für Gleichgültigkeit oder Untätigkeit ableiten. Das gilt auch für die Ärzte und die Krankenkassen.
— Herr Burger, als alter Parlamentarier wissen Sie eigentlich, daß bei der Begründung von Gesetzentwürfen normalerweise keine Zwischenfragen zugelassen werden. Aber wenn es die Präsidentin zuläßt, hätte ich nichts dagegen.
Nein, Herr Bundesminister, wir wollen von der Geschäftsordnung doch nicht abweichen.
Die Ärzte sollten bei den anstehenden Honorarverhandlungen eine angemessene Zurückhaltung zeigen. Die Krankenkassen selbst können im eigenen Bereich den Ausgabenanstieg auf das notwendige Maß beschränken. Dazu gehört, daß die Satzungsleistungen nicht in dem gleichen Tempo ausgebaut werden wie in den Jahren mit hohem Einkommenszuwachs, daß die Stellenplanvermehrungen auf ein Minimum reduziert werden und daß die Versicherten stärker als bisher über die Zusammenhänge zwischen dem Kostenanstieg und ihrem eigenen Verhalten informiert werden.
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Bundesminister ArendtIch halte es zwar für ungerechtfertigt, die Versicherten pauschal für die Kostenentwicklung verantwortlich zu machen. Es muß aber deutlicher werden, daß verstärkte Gesundheitsvorsorge und ein gesundheitsgerechtes Verhalten ebenso dazu beitragen, die ärztliche Versorgung finanzierbar zu halten, wie andere Maßnahmen. Dies ist ein ganz wichtiger Punkt, der besser als bisher von den Krankenkassen abgedeckt werden müßte. Aber auch im eigenen Hause müssen die Krankenkassen einiges in Ordnung bringen, damit nicht der Eindruck entsteht — wie bei der Besoldung der Geschäftsführer der Ersatzkassen — daß sie selbst nicht immer sparsam genug mit dem Geld der Versicherten umgehen.Die Situation macht deutlich, daß für Regierung und Parlament Grenzen der Einflußnahme auf die Kostenentwicklung gesetzt sind, wenn man die bestehende Vergütungsautonomie respektiert.Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, hierzu eine andere Meinung haben, dann bitte ich Sie herzlich, dies auch einmal deutlich und klar herauszustellen. Soweit die Bundesregierung handeln kann, wird sie dies tun.Schon im Januar dieses Jahres habe ich mit den Repräsentanten der Kassenärzte und der Krankenkassen Gepräche zur Kostendämpfung geführt. Diese Gespräche werden in der kommenden Woche fortgesetzt. Mit meinen Kollegen Frau Dr. Focke und Herrn Dr. Friderichs habe ich Einverständnis erzielt, daß Schritte zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes unternommen werden. Damit soll neben einer Verbesserung der Markttransparenz eine Preissenkung für Arzneimittel erreicht werden.Zusammenfassend möchte ich feststellen: Dies ist nicht die Stunde, sich gegenseitig vorzurechnen, wer der größte Kostenverursacher ist. Jeder sollte seinen Beitrag zur Kostendämpfung leisten. Auf dieser Basis wird es nach Auffassung der Bundesregierung möglich sein, die Kostenschere zwischen Einnahmen und Ausgaben in der Krankenversicherung zu verringern.Keiner wird sich dabei falschen Hoffnungen hingeben können. Hier wirken sich jetzt auch Versäumnisse einer nicht rechtzeitig eingeleiteten Strukturpolitik aus. Ein Teil der zu hohen Kostensteigerungen ist zweifellos auf bereits Anfang der 60er Jahre unterlassene Rationalisierungs- und Strukturreformen im Gesundheitswesen zurückzuführen.Meine Damen und Herren von der Opposition, ich will Ihnen dies nicht vorhalten. Ich meine nur, daß wir auch solche Probleme gemeinsam angehen sollten. Änderungen von liebgewordenen Gebräuchen mögen für den einen oder anderen schmerzlich sein. Doch das darf uns nicht davon abhalten, das Notwendige zu tun.Erlauben Sie mir hierzu eine persönliche Anmerkung: Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß es auch für die Gewerkschaften nicht immer leicht gewesen ist, notwendige Rationalisierungsmaßnahmen und Strukturveränderungen zu akzeptieren. Aber die Gewerkschaften haben es getan. Das hat ganz entscheidend dazu beigetragen, daß die wirtschaftlicheLeistungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland heute in der Spitzengruppe der Welt liegt und sich auch in schwierigen Zeiten bewährt.Die erforderlichen Rationalisierungsmaßnahmen und Strukturänderungen müssen auch im Gesundheitswesen erfolgen, wenn eine optimale gesundheitliche Versorgung auch morgen noch bezahlbar bleiben soll. Für die erforderlichen Änderungen brauchen wir die verantwortliche Mitwirkung der Ärzte. Wir bemühen aus darum. Wir müssen aber auch erwarten, daß die ärztlichen Organisationen Aufgeschlossenheit für eine Weiterentwicklung des geltenden Rechts zeigen.Die Vorschläge der Bundesregierung zielen dar- auf ab, eine gleichmäßige bedarfsgerechte kassenärztliche Versorgung auf Dauer sicherzustellen und einer Unterversorgung vorzubeugen. Darum geht es, um nicht mehr, aber auch um nicht weniger. Das sollten auch die ärztlichen Berufsverbände bei ihren Stellungnahmen zu dem Vorhaben der Bundesregierung berücksichtigen. Wer die Niederlassungsfreiheit der Ärzte will, muß auch dafür sorgen, daß die ärztliche Versorgung der Bevölkerung reibungslos funktioniert.
Ich hoffe, daß diese Einsicht sich überall durchsetzt, und ich darf Sie, meine Damen und Herren, bitten, den vorliegenden Gesetzentwurf zügig zu beraten.
Meine Damen und Herren, zur Begründung des vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurfs zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts hat das Wort der Herr Staatssekretär Vorndran.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechtes kurz begründen. Über die Situation des Gesundheitswesens wird anschließend noch Herr Minister Geissler sprechen. Ich muß allerdings sagen, ich muß mir größte Zurückhaltung auferlegen, zu diesem Thema nicht zu sprechen. Denn wenn das Hohe Haus heute über die Situation des Gesundheitswesens diskutiert, dann ist es wohl eine Einmaligkeit, was wir heute in der Frankfurter Rundschau auf Seite 1 lesen — und ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin kurz zitieren —: „Die Allgemeine Ortskrankenkasse AOK Wetzlar kann ihre Zahlungsverpflichtungen nicht mehr voll erfüllen und muß als erste hessische Krankenkasse den Konkurs anmelden."
Ich glaube, unter diesen Umständen, Herr Minister Arendt, ist es durchaus verständlich, daß Sie sagten, in dieser Legislaturperiode sind weitere Verbesserungen nicht mehr zu erwarten, das heißt wohl, weitere kostenträchtige Verbesserungen.Nun, meine Damen und Herren, zu dem Gesetzentwurf. Die Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung hat sich in den letzten Jahren zu einem
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Staatssekretär Dr. Vorndran
ernsthaften sozial- und gesundheitspolitischen Problem verdichtet, das alle Verantwortlichen zu einem intensiven und besonnenen Bemühen aufruft. Wie wir wissen, setzte im Anschluß an das bekannte Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 1960 zunehmend eine ungleichmäßige Verteilung der frei praktizierenden Ärzte und Zahnärzte ein, derzufolge schmerzliche Engpässe und Schwierigkeiten in der kassenärztlichen Versorgung insbesondere der ländlichen Bevölkerung auftraten. Die Auswirkungen dieses Verteilungsproblems werden wahrscheinlich noch dadurch verschärft werden, daß gerade in unterversorgten Gebieten überdies in der Regel die Altersstruktur der Ärzteschaft ungünstig ist und somit eine weitere Verschlechterung des Versorgungsgrades zu befürchten ist.Wir haben uns in Bayern der besorgniserregenden Entwicklung schon frühzeitig angenommen und gezielte Maßnahmen realisiert. Dabei ist es vornehmlich durch eine finanzielle Förderung ärztlicher und zahnärztlicher Niederlassungen gelungen, beachtliche Erfolge zu erzielen. So konnten die Förderungsprogramme der Ärzte- und Zahnärzteschaft bzw. der Bayerischen Staatsregierung im Laufe der Jahre immerhin nahezu 200 Niederlassungen in Problemgebieten bewirken. Gerade dieses Engagement in Bayern hat uns die Erfahrung und Erkenntnis gebracht, daß die finanzielle Förderung ärztlicher und zahnärztlicher Niederlassungen in unterversorgten Gebieten sicherlich e i n wirksames Mittel zur Beseitigung von Engpässen und Schwierigkeiten in der kassenärztlichen Versorgung ist, daß aber dieses Mittel allein nicht die hinreichende Gewähr dafür bietet, die Problematik auf lange Sicht zuverlässig in den Griff zu bekommen.Nun haben wir bereits im Frühjahr 1974 ein 24-Punkte-Programm vorgelegt. Ein sehr wesentlicher Teil dieses Gesamtkonzepts ist die systemkonforme Weiterentwicklung des Kassenarztrechts. Wir nehmen zur Kenntnis, daß die Bundesregierung mit dem Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetz auch ihrerseits nachgezogen hat. Nunmehr liegen zwei Gesetzentwürfe vor, mit denen es sich auseinanderzusetzen gilt. Herr Minister Arendt erklärte vorhin, daß der Entwurf des Bundesrates nach seiner Ansicht zu weitgehend und zu dirigistisch sei. Dazu sage ich natürlich nein, dem widerspreche ich. Ich meine, unser Entwurf ist wohlabgewogen.Die Grundkonzeption der Bundesregierung dagegen vermag nach meiner Überzeugung die unsere Bevölkerung so hautnah berührenden Probleme der ärztlichen Versorgung nicht dauerhaft und bestmöglich zu lösen. Ich darf dies kurz erläutern.Der Entwurf der Bundesregierung enthält — darin stimmen wir im Grundsatz überein — eine Verpflichtung zur Aufstellung eines Bedarfsplans. Dieser Bedarfsplan muß als wichtigste Grundlage der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung und aller aus seiner Nichterfüllung zu ziehenden Konsequenzen nach meiner Meinung im Einvernehmen mit den Krankenkassen erstellt werden. Dieses so wichtige Gebot der Kooperation zwischen Kassen und Ärzten findet aber im Entwurf der Bundesregierungseine Verankerung lediglich in dem rechtlich wohl kaum faßbaren Begriff „Zusammenarbeit". Es bedarf keiner großen Vorstellungskraft, um die Gefahr zu erkennen, die aus einer Bedarfsplanung erwachsen kann, die nicht von beiden Partnern des Kassenarztrechts einvernehmlich akzeptiert und getragen wird. Wer das übersieht, riskiert bewußt ein brüchiges Fundament, die Wurzel sich fortpflanzender Konflikte.Dieser potentielle Krisenherd wird durch eine Inkonsequenz im Verhältnis Bedarfsplan — Zulassungsbeschränkung noch verschärft. Der Regierungsentwurf zieht nämlich aus der Nichterfüllung des Bedarfsplans keine Konsequenzen, sondern führt hierfür den, ich möchte sagen, verschwommenen, jedenfalls kaum justitiablen Begriff einer bestehenden oder gar nur drohenden Unterversorgung ein. Hieran sollen dann Zulassungsbeschränkungen geknüpft werden, deren Grundsätze, insbesondere das verfassungsrechtliche Gebot, sie nur als Ultima ratio zu benützen, nicht einmal im Gesetz selbst hinreichend umschrieben sind. Hier hat man offensichtlich um einer wohl aus optischen Gründen gewünschten Liberalität willen Inkonsequenz und Unklarheit bewußt in Kauf genommen.Die Bundesregierung steht der Effizienz ihres Konzepts, so meine ich, aber selbst auch mit Skepsis gegenüber. Anders können wir uns die Normierung eines allerletzten Mittels der Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung nicht erklären. Denn für den Fall, daß trotz und nach Anordnung von Zulassungsbeschränkungen die ärztliche Versorgung nicht sichergestellt werden kann, sollen Eigeneinrichtungen der Kassen eine Lösung bringen. Dort also, wo alle angemessenen und geeigneten Maßnahmen und Zulassungsbeschränkungen keine Niederlassung eines freipraktizierenden Arztes erreichen konnten, sollen die Kassen Ärzte für Eigeneinrichtungen gewinnen können. Ich glaube, daß ist Wunschdenken; das geht an den Realitäten einfach vorbei.Wir haben davon abgesehen, diese unzulängliche Grundkonzeption des Entwurfs der Bundesregierung durch Einzelanträge im Bundesrat umzustellen. Ich verweise vielmehr auf den Gesetzentwurf des Bundesrates, der eine konsequente Lösung zur langfristigen und systemkonformen Bewältigung der Probleme anbietet.Dieser Gesetzentwurf des Bundesrates wird das Ziel, eine gleichmäßige und ausreichende kassenärztliche Versorgung in allen Landesteilen zu gewährleisten, im wesentlichen durch drei Maßnahmen erreichen: erstens durch eine Verpflichtung der Kassenärztlichen Vereinigungen, im — ich betone dies — Einvernehmen mit den Krankenkassen einen laufend fortzuschreibenden Bedarfsplan aufzustellen, zweitens durch eine Konkretisierung des Sicherstellungsauftrags der Kassenärztlichen Vereinigungen unter Einbeziehung aller angemessenen und geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung des Bedarfsplans, insbesondere auch der finanziellen Förderung ärztlicher Niederlassungen, und drittens durch Beibehaltung der Zulassungsfreiheit, allerdings mit der Maßgabe, daß die Landesausschüsse
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975 12281
Staatssekretär Dr. Vorndran
der Ärzte und Krankenkassen das Recht erhalten, eine Zulassung nur im Rahmen des Bedarfsplans anzuordnen, nachdem alle anderen angemessenen und geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung des Bedarfsplans erfolglos waren.Diese Konzeption ist meines Erachtens klar, praktikabel, selbstverwaltungsgerecht und verspricht ein Höchstmaß an Effizienz. Wenn ich ein solches Resümee ziehe, weiß ich zugleich, daß ich mich nicht in voller Übereinstimmung mit der Auffassung der Ärzteschaft befinde, wie sie kürzlich beim Deutschen Ärztetag in Hamburg offiziell geäußert worden ist. Ich will hier keineswegs als Kritiker der Ärzteschaft auftreten. Ich sehe mich aber aus der Gesamtverantwortung des Sozial- und Gesundheitspolitikers heraus gehalten, vor einem Verständnis der Freiheit zu warnen, das — retardierende Elemente in sich bergend — eben dieser Freiheit unbewußt den gebotenen Offensivgeist vorenthalten könnte.Der Entwurf der Bundesregierung — so wurde in Hamburg u. a. festgestellt — trage den besonderen regionalen Gegebenheiten und Bedürfnissen in „besserer, praxisnäherer Weise Rechnung als der instanziell stärker perfektionierte und die Möglichkeit des Staatseinflusses stärkende Entwurf des Bundesrates".Das ist eine Kritik und eine Schelte an unserem Entwurf. Ich glaube aber, man sollte das nicht überbewerten, zumal nach der Kritik, die Frau Gesundheitsministerin Dr. Focke heute wieder an den Beschlüssen des Ärztetages geäußert hat. In der „Süddeutschen Zeitung" vom 14. Mai 1975 hieß es wörtlich, daß die Frau Gesundheitsministerin die Arbeit des Ärztetages als nicht konstruktiv bewertete. Also wollen wir diese Kritik aus Hamburg auch selbst nicht überbewerten.Aber zur Äußerung aus Hamburg möchte ich nun folgende einfache Antwort geben. Ringen sich diePartner des Kassenarztrechts zu einem Maß an Einvernehmen durch, ohne das es keine bestmögliche und dauerhafte Lösung geben kann, so wird der Entwurf des Bundesrats allen auch noch so differenzierten Einzelaspekten gerecht werden. Sollte die eine oder andere Seite jedoch — aus welchen Gründen auch immer — dieses unermüdliche Ringen um einvernehmliche Lösungen vermissen lassen, wird das der Entwurf der Bundesregierung im Gegensatz zum Bundesratsentwurf gestatten und den sich daraus ergebenden abträglichen Konsequenzen nicht im Wege stehen.Der Entwurf der Bundesregierung mag gruppenorientiert bequemer sein, aber keinesfalls ist er liberaler im echten Sinne des Wortes. Ich wiederhole also noch einmal, daß die Konzeption des Bundesratsentwurfs praktikabel, selbstverwaltungsgerecht ist und ein Höchstmaß an Effizienz verspricht. Sie verlangt — das gebe ich zu — von den Partnern des Kassenarztrechts allerdings vorbehaltslose Kooperation, die mir aber gerade in der jetzigen Situation unbedingt notwendig erscheint.Der Gesetzentwurf des Bundesrates wird sowohl dem Grundrecht der Freiheit der ärztlichen Berufsausbildung als . auch dem Anspruch unserer Bevölkerung auf ärztliche Versorgung entsprechend den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts in ausgewogener Weise gerecht. Nur so kann unser freiheitliches Kassenarztrecht, für das es erwiesenermaßen keinen annähernd gleichwertigen Ersatz gibt, den Anforderungen unserer Zeit entsprechen; nur so wird es konfliktfrei und krisenfest abgesichert, systemverändernden Bestrebungen ein für allemal jede Chance abzuschneiden.Meine Damen, meine Herren, ich darf Sie im Interesse der betroffenen Bevölkerung und einer dauerhaften Konsolidierung unseres freiheitlichen Kassenarztrechts bitten, sich zu diesem Modell, zu dieser Initiative, zu dem Entwurf des Bundesrates zu bekennen.
Ich habe eine traurige Pflicht zu erfüllen.
Vor zwei Stunden erreichte uns die traurige Nachricht, daß heute vormittag unser Kollege Roelf Heyen im Alter von 37 Jahren nach längerer Krankheit in Berlin gestorben ist.Roelf Heyen wurde am 12. Dezember 1938 in Emden, Ostfriesland, geboren. Nach dem Schulbesuch ging er in die Tischlerlehre und wurde Tischler und Schiffszimmermann. Doch bald zog es ihn wieder auf die Schulbank. Er erwarb über den zweiten Bildungsweg die Hochschulreife und nahm danach an der Freien Universität Berlin das Studium der Wissenschaft von der Politik und der Geschichte auf, das er mit einem Hochschulexamen abschloß.Schon früh hat sich Heyen auch politisch betätigt. Er trat 1953 dem DGB bei und 1956 im Alter von 18 Jahren der SPD. Noch während seines Studiums war er Kreissekretär der SPD in Berlin-Zehlendorf. Nach seinem Studium wurde er Redakteur, war von 1963 bis 1970 Chefredakteur der- „Berliner Stimme" und daneben von 1963 bis 1967 erst stellvertretender Vorsitzender und dann Vorsitzender der Berliner Jungsozialisten. Er war auch Mitglied des Landesvorstandes der Berliner SPD und ihr Kreisvorsitzender in Berlin-Zehlendorf.1969 erwarb er als Dreißigjähriger ein Bundestagsmandat, das für die jetzige 7. Wahlperiode erneuert wurde. Er gehörte dem Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen und dem Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen an. Er hat sich mit sehr großem persönlichen Einsatz gerade der innerdeutschen Beziehungen und der Angelegenheiten Berlins sowie der engen Verbindungen Berlins zum Bund angenommen.Eine schwere Herzerkrankung im November 1970 machte den Einsatz einer künstlichen Herzklappe erforderlich. Trotzdem hat er sich 'in seiner Arbeit nicht geschont, bis er dann erneut auf das Krankenlager geworfen wurde.Roelf Heyen hinterläßt Frau und einen Sohn. Ich spreche der Familie unseres verstorbenen Kollegen und der Bundestagsfraktion der SPD die Anteilnahme des ganzen Hauses aus. — Ich danke Ihnen.
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12282 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975
Präsident Frau RengerIch unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr. Wir beginnen dann mit der Fragestunde.
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 7/3706 —
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes.
Die Frage 106 ist von dem Herrn Abgeordneten Höcherl gestellt. Der Fragesteller ist nicht anwesend; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 107 ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Die Frage 108 wird auf Bitten des Fragestellers, des Abgeordneten Möhring, schriftlich beantwortet. Das gleiche gilt für seine Frage 109. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 110 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Besteht nicht ein Widerspruch zwischen dem von der „Süddeutschen Zeitung" am 23. April 1975 veröffentlichten Ausspruch des Staatssekretärs Bölling, man müsse bei der Aussiedlung von „maximalistischen Positionen" wegkommen, und den Ausführungen seines Stellvertreters Dr. Grünewald am 18. Mai 1975, daß dieser Ausspruch, nach dem er von einem Mitglied CDU/CSU-Bundestagsfraktion zitiert worden war, „aus der Luft gegriffen" sei, und wie erklärt sich die Bundesregierung diesen bejahendenfalls?
Zur Beantwortung Frau Parlamentarische Staatssekretärin Schlei.
Zwischen den Erklärungen der beiden Regierungssprecher besteht kein Widerspruch; denn Ihre Rede in Essen, Herr Kollege Hupka, ist nicht die authentische Interpretation des Interviews, das Staatssekretär Bölling am 18. April dieses Jahres gegeben hat. In diesem Interview hat Staatssekretär Bölling zu den Beziehungen zu Polen folgendes erklärt:
Wir verlangen, was die humanitären Fragen anlangt, nichts Unmögliches. Wir haben da keine maximalistische Position, aber meinen doch, einen Anspruch darauf zu haben — und das wird, so scheint mir, auch in Warschau gewürdigt —, daß begründeten deutschen Wünschen entgegengekommen wird.
Diese Worte, Herr Kollege Hupka, haben Sie in Ihrer Rede in Essen dahin gehend ausgelegt, die Bundesregierung begünstige das polnische Vorhaben, die Zahl der aussiedlungswilligen Deutschen von 280 000 auf 80 000 herunterzudrücken. Gegen diese Interpretation wandte sich unser stellvertretender Regierungssprecher Dr. Grünewald; denn derartige Vorwürfe sind aus der Luft gegriffen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Darf ich Sie bitten, Frau Staatssekretärin, den genauen Wortlaut meiner Rede zur Kenntnis zu nehmen, damit Sie verstehen, daß hier ein Widerspruch zwischen dem Sprecher der Bundesregierung und seinem Stellvertreter besteht? Sie haben mir ein völlig falsches Zitat unterstellt. Ich habe gesagt:
Die Zahl der Aussiedlungswilligen beträgt nach den aktualisierten Listen des Deutschen Roten Kreuzes 280 000, die Polen wollen diese Zahl bis auf 80 000 herunterdrücken. Und schon beeilt sich die Bundesregierung, ankündigen zu lassen, ,daß sie auf „maximalen Positionen" nicht beharren werde.
Ich habe also nicht gesagt, daß auch die Bundesregierung von 80 000 ausgeht, ich habe nur gesagt, daß die Bundesregierung die Formulierung von „maximalen Positionen" in die Diskussion eingeführt hat. Wieso kommt dann der stellvertretende Regierungssprecher dazu, mir nachzusagen, das sei aus der Luft gegriffen?
Es wurde von „maximalistischen Positionen" gesprochen. Wir betonen, ohne hier immer wieder Zahlen zu nennen, genau das, was Herr Staatsminister Moersch immer wieder ausgeführt hat, daß die Bundesregierung sich um alle bemühen wird, die wünschen, in die Bundesrepublik zu kommen.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka.
Frau Staatssekretärin, würden Sie mir dann Aufklärung darüber geben, was unter dem Begriff „maximale Positionen" oder „maximalistische Positionen" zu verstehen ist, von denen Herr Staatsminister Moersch noch vor 14 Tagen im Bundestag sagte, eine derartige Erklärung eines Mitgliedes der Bundesregierung gebe es gar nicht?
Nein, korrekt hat Herr Staatsminister Moersch gesagt, ihm sei das nicht bekannt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sauer.
Frau Staatssekretär, darf ich also davon ausgehen, daß die dem Roten Kreuz vorliegenden Adressen von 280 000 deutschen Ausreisewilligen in Ihren Augen keine Maximalforderung ist?
Daß diese Wünsche beim Deutschen Roten Kreuz vorliegen, ist uns bekannt. Was wir politisch durchsetzen können, Herr Kollege Sauer, ist eine Sache, die wir beobachten werden, die wir hier aber zahlenmäßig nicht versprechen können.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975 12283
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Czaja.
Frau Staatssekretärin, bedeuten Ihre jetzige Aussage .und die Aussage von Herrn Bölling, daß alle begründeten Forderungen deutscher Staatsangehöriger auf Gewährung der Schutzpflicht unter Wahrung des Gleichheitsgrundsatzes von der Bundesregierung auch tatsächlich erfüllt werden, oder wird diese Schutzpflicht, die grundgesetzlich verankert ist, für einzelne limitiert werden?
Herr Kollege Czaja, ich habe — wie schon andere Sprecher vor mir — verdeutlicht, daß wir uns bemühen, die Wünsche und die subjektiv als berechtigt erscheinenden Forderungen zu berücksichtigen; aber das Ergebnis müssen wir abwarten.
Die Frage 111 des Abgeordneten Dr. Zimmermann wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frau Staatssekretärin, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen.
Die Frage 112 des Herrn Abgeordneten Dr. Franz wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Auch die Fragen 113 und 114 des Abgeordneten Milz werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ebenfalls schriftlich beantwortet wird auf Wunsch des Fragestellers die Frage 115 des Abgeordneten Dr. Wittmann . Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. I
Ich rufe die Frage 116 des Abgeordneten Schedl auf. — Der Fragesteller ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 117 des Abgeordneten Schluckebier auf:
Sieht die Bundesregierung in der Ausweisung eines deutschen Staatsbürgers aus einem anderen Staat einen Grund zu politischen oder wirtschaftlichen Sanktionen, auch wenn die Ausweisung als eine den Umständen nicht angemessene Tatsache betrachtet werden kann, wie dies im Falle der Ausweisung eines Lufthansapiloten durch die indischen Behörden geschehen ist?
Zur Beantwortung der Frage, bitte, Herr Staatsminister Moersch!
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung sieht in der Ausweisung eines deutschen Staatsbürgers aus einem anderen Staat zunächst die Ausübung eines souveränen Rechts des betreffenden Staates.
Bei dem von Ihnen angesprochenen Fall handelt
sich offenbar — wie wir vermuten müssen — um lie Ausweisung des Stationsleiters der Lufthansa [n Neu Delhi. Der nach unserer Kenntnis der Entscheidung der indischen Behörden zugrunde gelegte Sachverhalt würde eine Ausweisung auch nach deutschen Gesetzen rechtfertigen. Die Frage nach politischen oder wirtschaftlichen Sanktionen stellt sich nicht.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 118 der Abgeordneten Frau Dr. Walz auf:
Treffen Presseberichte zu, wonach die beiden amerikanischen Sender in München, Radio Free Europe und Radio Liberty, eine empfindliche Kürzung der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel zu erwarten haben, die sie zu drastischen Einschränkungen ihrer Aktivitäten zwingen würde, und ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, bei der amerikanischen Regierung auf die Notwendigkeit beider Sender hinzuweisen und sie von den beabsichtigten Kürzungen abzuhalten?
Bitte schön, Herr Staatsminister!
Frau Abgeordnete, die Haushaltsberatungen der zuständigen amerikanischen Kongreßausschüsse finden in nichtöffentlichen Sitzungen statt. Die Bundesregierung kann daher den Wahrheitsgehalt der erwähnten Presseberichte nicht beurteilen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Walz.
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Sendungen beider Einrichtungen in den jeweiligen Sendebereichen zum Teil wichtige Informationslücken füllen und allein aus diesem Grunde in ihrem derzeitigen Umfang erhalten bleiben sollten?
Frau Abgeordnete, die Entscheidung über diese Fragen ist allein eine Entscheidung der amerikanischen Regierung. Ich bedauere, daß ich Ihnen sagen muß, daß ich Entscheidungen oder mögliche Entscheidungen anderer Regierungen ungern kommentiere, schon deswegen, um nicht auf indirekte Weise ins Obligo zu kommen.
Eine zweite Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Dr. Walz.
Und Sie halten es nicht für möglich, in Washington vorstellig zu werden mit dem Ziel, diese Streichungen zu unterlassen?
Frau Abgeordnete, ich weiß ja gar nicht, ob Streichungen stattfinden werden; es gibt auch ganz andere Nachrichten darüber.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hupka,
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12284 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975
Herr Staatsminister, können Sie mir aber darin zustimmen, daß es ein Verlust an freier Information wäre, wenn Sendungen von Radio Free Europe und von Radio Liberty eingestellt oder eingeschränkt würden?
Herr Abgeordneter, was immer an Verminderung von Nachrichtensendungen irgendwo auf der Welt — gleichgültig wo — stattfindet, ist zweifellos ein Verlust an Auswahlmöglichkeit für diejenigen, die Nachrichten hören wollen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, angesichts der Antwort, die Sie soeben dem Kollegen Hupka gegeben haben, möchte ich Sie fragen: Hat denn die Bundesregierung, auch wenn die Entscheidung der Regierung der Vereinigten Staaten obliegt, wenigstens den Versuch unternommen, diese Entscheidung in dem von Ihnen selbst soeben dargelegten Sinn zu beeinflussen?
Herr Abgeordneter, zunächst handelt es sich bei der Frage der Frau Kollegin Walz um Behauptungen über Entscheidungen, die im amerikanischen Kongreß bevorstehen. Ich habe bisher nicht gehört, daß eine ausländische Regierung etwa bei der Bundesregierung vorstellig geworden wäre, um Gerüchte über Beratungen des Haushaltsausschusses aufzunehmen und entsprechend zu beeinflussen. Das sind Entscheidungen, die im Interesse der eigenen Regierung liegen. Daß es Konsultationen zwischen Regierungen über deren allgemeine und gemeinsame Interessen gibt, haben Sie zuletzt bei der NATOKonferenz gesehen. Aber ich hielte es für ganz unmöglich, daß wir wegen Einzelmaßnahmen etwa des amerikanischen Kongresses bei der amerikanischen Regierung vorstellig würden.
Wir kommen zu Frage 119 des Herrn Abgeordneten Dr. Corterier. — Der Fragesteller ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 120 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Welche Schritte hat die Bundesregierung gegen die krasse Verletzung der Warschauer Vertragsgrundlagen in Erfüllung ihrer Schutzpflicht zugunsten jener Deutschen bei den polnischen Behörden unternommen, denen nach vielfacher Antragstellung die Ausreisepässe nach der Bundesrepublik Deutschland immer seltener genehmigt und ausgehändigt, aber später wieder polizeilich abgenommen werden und die sogar in steigender Zahl bei der Ausreise, am Bahnhof oder aus dem Reisezug heraus verhaftet, finanziell erpreßt und menschenrechtswidrig behandelt werden?
Bitte schön!
Mir ist ein Fall bekannt, in dem trotz Vorliegen der Ausreisegenehmigung ein Umsiedlungswilliger an der Ausreise aus Polen gehindert wurde — und
zwar, soweit wir wissen, weil ihm Devisenvergehen vorgeworfen worden waren —, während seine Familie ausreisen durfte.
In diesem Fall wurde das Auswärtige Amt von der Ehefrau nach deren Eintreffen in der Bundesrepublik Deutschland umgehend unterrichtet, so daß die deutsche Botschaft in Warschau eingeschaltet werden konnte. Dank der Bemühungen der Botschaft ist es gelungen, dem Betreffenden in kurzer Zeit ebenfalls die Ausreise zu ermöglichen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, liegen Ihnen nicht Berichte der ;deutschen Botschaft in Warschau darüber vor, daß — wie auch englische Zeitungen berichten und wie Dutzende von Aussiedlern beispielsweise im Lager Massen aussagen — eine große Zahl von Menschen aus den Zügen geholt und verhaftet werden, obwohl sie die Reisepässe bereits haben? Liegt Ihnen da kein Bericht vor?
Herr Abgeordneter, ich habe auf Grund Ihrer Frage prüfen lassen, was hier vorliegen könnte. Die entsprechenden Überprüfungen — einschließlich einer Rückfrage in Warschau, die wir vorgenommen haben — haben dieses Ergebnis, das ich Ihnen eben vorgetragen habe, gebracht.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Würden Sie in dieser Frage, die doch die Menschen- und Grundrechte deutscher Staatsangehöriger zentral betrifft, nicht auch in Zusammenarbeit mit dem Lande Nordrhein-Westfalen entsprechende Befragungen der Ankommenden im Lager Massen durchführen?
Herr Abgeordneter, wir nehmen jeden Hinweis auf, den wir in dieser Richtung bekommen. Nur war Ihre schriftliche Frage nicht in diesem Sinne formuliert.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Arndt.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Meinung, daß es im Interesse der Deutschen und der Wahrung ihrer Rechte sehr viel sinnvoller wäre, wenn jemand, der so etwas weiß, dies den Behörden der Bundesrepublik, insbesondere dem Auswärtigen Amt, mitteilte, ehe er es in der Öffentlichkeit — und sei es auch nur hier in der Fragestunde des Parlaments — erörtert?
Herr Abgeordneter, die Bekanntgabe des von mir geschilderten Falles ist sicherlich ein Beweis dafür, ,daß in einem solchen konkreten Falle, wenn die Botschaft eingeschaltet werden kann, durchaus im
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975 12285
Staatsminister MoerschSinne der Betroffenen ein Ergebnis erzielt werden kann.Ich begrüße es natürlich grundsätzlich,. wenn uns — ehe in einer nicht genau erkennbaren Form, etwa in Frageform unter Umständen Vorwürfe gemacht werden — die Tatbestände zur Kenntnis gebracht werden. Das kann unsere Arbeit erleichtern.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauer.
Herr Staatsminister, geben Sie mir recht, wenn ich sage, daß es insbesondere ein Anliegen der Opposition ist, hier festzustellen, daß in den Jahren zwischen 1956 und 1969 370 000 Deutsche aus den Ostgebieten ausgesiedelt worden sind, nach Abschluß der Verträge aber weniger herauskommen, und daß dies darzustellen legitim und ein Recht der Opposition ist?
Herr Abgeordneter, an den Rechten der Opposition kann es überhaupt keinen Zweifel geben. Es kann aber auch keinen Zweifel daran geben, daß es die Politik dieser Koalition und dieser Bundesregierung war, die es überhaupt erst ermöglicht hat, daß wir mit Polen zu Beziehungen gekommen sind, die es beispielsweise erlauben, daß wir einen solchen Fall durch die Botschaft aufklären. Vorher hatten wir dazu keine offizielle Möglichkeit.
Ich rufe die Frage 121 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß — wie der Schriftverkehr mit dem Auswärtigen Amt beweist — fast alle „Interventionsnotizen" der Bundesrepublik Deutschland für Deutsche in den Oder-Neiße-Gebieten, darunter auch Interventionen wegen Versagung des menschenrechtlichen Mindeststandards, unbeantwortet bleiben, und welche Folgerungen zieht sie für weitere Verhandlungen aus dieser Behandlung der Bundesrepublik Deutschland im diplomatischen Verkehr?
Ich hatte in der letzten Zeit häufig Gelegenheit, zur Frage der Interventionsnotizen Stellung zu nehmen. Ich darf auf meine Antworten zu Ihren Fragen vom 10. Oktober 1974 und 24. April 1975 Bezug nehmen.
Bei grundsätzlicher Formfreiheit im internationalen Recht sollten Fragen der Form nicht im Vordergrund unserer Überlegungen stehen. Es sollte auch nicht in erster Linie darum gehen, formale Antworten auf unsere Interventionsnotizen zu erhalten.
Damit will ich den unbefriedigenden augenblicklichen Zustand nicht beschönigen. Die Bundesregierung möchte die Debatte jedoch auf der Ebene der Sachfragen führen. Das Ziel der Bundesregierung dabei ist unverändert: Sie will darauf hinwirken, daß alle Fragen, die sich aus einer unvollständigen Erfüllung der „Information" ergeben, geklärt werden.
Ich darf in diesem Zusammenhang auf meine Antwort an Herrn Kollegen Dr. Hupka vom 5. Dezember 1974 und auf die ausführliche Diskussion im
Auswärtigen Ausschuß vom 23. April 1975 verweisen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Sind Sie angesichts der Antworten, die Sie in der letzten Zeit geben mußten, der Auffassung, daß die Bundesrepublik Deutschland mit diesen Interventionsnotizen ihre Schutzpflicht für Deutsche überhaupt wirksam ausüben kann?
Ich bin der Auffassung, daß die Bundesregierung die Möglichkeiten nützt, die ihr gegeben sind.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß diese doch angeblich mit der Volksrepublik Polen vereinbarten Formen des diplomatischen Verkehrs so gut wie überhaupt keine Beantwortung durch die Volksrepublik Polen erhalten? Sind das normale Beziehungen?
Herr Abgeordneter, ich habe vorhin versucht, den Grundsatz darzustellen. Ich glaube, ich brauche dem nichts hinzuzufügen. Es ist eine Tatsache, die ich vorhin erwähnt habe, daß wir z. B. über die Angehörigen erfahren haben, daß jemand doch ausgereist ist, nachdem wir interveniert hatten. Ich glaube, das Ergebnis zählt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, sind Sie mit mir einer Meinung, ,daß der von Ihnen als unbefriedigend bezeichnete Zustand schon Jahre dauert, und welche Möglichkeiten sehen Sie, diesen Zustand endlich zu überwinden?
Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß dieser Zustand in der Tat schon lange Zeit andauert. Ich möchte wiederholen, was ich hier oft gesagt habe: Es gibt nur eine Möglichkeit — ich bin sicher, daß auch Sie keine andere Möglichkeit sehen werden —, nämlich in zähen Gesprächen und Verhandlungen diesen Zustand zu verbessern.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sauer.
Herr Staatsminister, welche Erfolge haben Sie in den letzten Monaten im Hinblick auf die Bereitschaft Warschaus erzielt, sich darüber zu unterhalten, wenn Leute hierbleiben? Oder beurteilt Warschau dies immer noch als eine freiwillige Familientrennung?
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12286 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975
Herr Abgeordneter, ich habe das akustisch nicht ganz verstanden. In welchem Zusammenhang soll diese Frage mit der Frage des Kollegen Czaja stehen?
Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß es hier um den Schriftverkehr mit Interventionsnotizen ging.
Genau! Warschau ist zur Zeit nicht bereit, über die Fälle zu verhandeln, in denen Leute bei einem Besuch freiwillig hier in der Bundesrepublik Deutschland bleiben. Haben Sie dahin gehende Erfolge erzielt, daß Warschau nun auch über diese Fälle mit sich reden läßt?
Herr Abgeordneter, ich muß gestehen, daß mir der Sinn dieser Frage nicht aufgeht; denn die Leute sind ja hier.
Es geht um die Leute, die zu Besuchsreisen hierherkommen und hierbleiben. Warschau ist doch bisher nicht bereit, mit sich über diese Fälle reden zu lassen; Warschau sagt, es handle sich um eine freiwillige Familientrennung. Sie hatten uns im Parlament gesagt, Sie wollten sich darum bemühen, daß auch diese Fälle mit Warschau behandelt werden können. Inwieweit haben Sie hierin Erfolg? Das trifft genau diesen Fragenkomplex.
Wir haben unablässig Versuche unternommen, auch solche Fälle mit einzubeziehen. Es ist uns von der polnischen Seite gesagt worden — ich habe Ihnen dies auch schon anderweitig mitgeteilt —, daß dies für sie ein besonders schwerwiegender und schwieriger Fall sei, weil sich jemand sozusagen selber von seiner Familie getrennt habe. Das ist eine Antwort, die wir damit beantwortet haben, daß wir gesagt haben, nach unserer Auffassung sollten Familien in solchen Fällen zu ihrem Ernährer kommen. Das ist unser Standpunkt, der von der polnischen Seite eben anders beurteilt wird.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereiches angelangt. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister, für die Beantwortung der Fragen.
Bevor ich den nächsten Geschäftsbereich aufrufe, möchte ich darauf aufmerksam machen, daß möglicherweise die für die Fragestunde vorgesehene Zeit von 90 Minuten nicht in Anspruch genommen wird, weil wir sehr schnell vorankommen, und daß wir dann ohne Pause mit der Aussprache von heute vormittag fortfahren. Ich bitte, daß dafür Sorge getragen wird, daß die beteiligten Sprecher sowohl auf seiten des Hauses als auch auf seiten der Regierung rechtzeitig anwesend sein können.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf.
Die Frage 56 wird auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Reiser, schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 57 ist von dem Fragesteller, dem Herrn Abgeordneten Schwencke, zurückgezogen worden. Das gleiche gilt für die Fragen 58 und 59 des Herrn Abgeordneten Schinzel.
Ich rufe die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner auf:
Hat der Bundesminister der Verteidigung sich des DGB-Vorsitzenden Vetter bedient, um sein Mißfallen über das Verhalten des Inspekteurs des Heeres öffentlich zu äußern, und hält die Bundesregierung dies bejahendenfalls für einen angemessenen Führungsstil?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Schmidt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Dr. Wörner, sind Sie damit einverstanden, daß ich 'die beiden von Ihnen eingebrachten Fragen zusammen beantworte?
Das war immer Übung dieses Hauses.
Dann rufe ich noch die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner auf:
Hat Bundesverteidigungsminister Leber dem Inspekteur des Heeres vor dieser Rüge Gelegenheit gegeben, sich zu äußern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bundesminister der Verteidigung hat sich nicht des DGB-Vorsitzenden Vetter bedient. Er hat vielmehr auf eine entsprechende Frage eines Delegierten gesagt, daß die Teilnahme eines Generals der Bundeswehr an der Militärparade von ihm nicht gebilligt worden sei. Herr Vetter hat diese Antwort des Bundesministers der Verteidigung dann den Delegierten mitgeteilt. Der Bundesminister der Verteidigung hat auf dem Kongreß weder sein Mißfallen geäußert noch den Inspekteur gerügt. Er hat auf eine Frage lediglich erklärt, daß der Inspekteur des Heeres ohne sein Wissen an der Parade teilgenommen habe. Wäre dem Minister die Absicht, an der Parade teilzunehmen, vorher bekannt gewesen, hätte er dem General nicht die Erlaubnis gegeben, an der Parade teilzunehmen.Die Bundesregierung, Herr Dr. Wörner, ist im übrigen der Auffassung, daß es das Recht der Gewerkschaften ist, auch zu Fragen der Bundeswehr Stellung zu nehmen und solche Fragen an den Bundesminister der Verteidigung zu richten. Eine Bundeswehr, die in Staat und Gesellschaft integriert ist, muß auch offen sein für kritische Anmerkungen, vor allem, wenn sie von einer den Staat mittragenden Einrichtung wie dem Deutschen Gewerkschaftsbund mit positiver Grundeinstellung ausgehen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975 12287
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Wörner.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob der Minister bzw. die Bundesregierung die Teilnahme des Inspekteurs an dieser Parade billigt oder mißbilligt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung billigt die Teilnahme des Inspekteurs an dieser Parade nicht.
Zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Wörner.
Nachdem Sie sich über das — im übrigen unbestrittene — Verhältnis der Gewerkschaften zur Bundeswehr ausgelassen haben, darf ich Sie fragen, ob Sie es als richtig empfinden, daß der Gewerkschaftsvorsitzende ,den Inspekteur des Heeres rügt, selbst aber keinen Anstand nimmt, einen Vertreter eines Terrorismus blutigster Art, nämlich den Herrn Scheljepin, freundlich einzuladen und herzlich mit ihm zu diskutieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Dr. Wörner, ich sehe überhaupt keinen Zusammenhang.
Im übrigen, meine Herren der Opposition, haben Sie gestern schon dieselbe Diskussion geführt, und es ist Ihnen dazu auch wohl einiges gesagt worden. Ich kann nur eines sagen: Was Herr Vetter, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, tut oder sagt, wird von mir hier an dieser Stelle weder positiv noch negativ gewürdigt werden können.
Darf ich für die weiteren Zusatzfragen darauf aufmerksam machen, daß es zwei Komplexe gibt, nach denen gefragt worden ist. Das eine ist die Art der Einschaltung des Vorsitzenden des DGB, Vetter, das andere ist die Frage, ob man vor der Rüge des Inspekteurs des Heeres diesen gehört habe. Wir müssen hier die Ordnung einhalten. Wir können zu diesen Themen Zusatzfragen stellen, aber ich darf Sie bitten, sie nicht in andere Bereiche auszuweiten. Dann müßten für die nächste Woche neue Fragen eingebracht werden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Wörner.
Herr Präsident, ich beziehe mich auf die Antwort des Staatssekretärs und frage, nachdem er erklärt hat, daß die Bundesregierung die Teilnahme nicht billige, ob er es für richtig halte, eine solche Mißbilligung auszusprechen,
obwohl er und die Bundesregierung wissen, daß dieser Besuch, und zwar nicht nur der Besuch als solcher, sondern auch die Teilnahme, mit der Botschaft abgestimmt war, die Einladung dazu von der Botschaft überreicht war und der ranghöchste Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in Spanien an, dieser Veranstaltung teilgenommen hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Dr. Wörner, es ist Ihnen und auch Ihren Kollegen nicht nur einmal, sondern schon öfter gesagt worden, daß es hier um den Tatbestand geht: Hat das Ministerium, haben der Minister und sein Vertreter gewußt, daß während der Zeit, wo der Inspekteur in Spanien war, diese Parade durchgeführt wird? Das ist klar mit Nein zu beantworten. Wenn das mitgeteilt worden wäre, wäre empfohlen, wahrscheinlich sogar festgelegt worden, daß keine Teilnahme an dieser Parade erfolgen sollte. Was von seiten der Botschaft dort geschieht, das kann sicher in einer Frage an das Auswärtige Amt gefragt werden.
Eine vierte Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Wörner.
Sind Sie bereit, dieselben Maßstäbe, die in Ihrer Bewertung dieses Verhaltens eines Heeresinspekteurs in Spanien zum Ausdruck kommen, auch im Verkehr offizieller deutscher Stellen der Bundeswehr und der diplomatischen Stellen mit totalitären Staaten des Ostblocks anzuwenden,
also beispielsweise bei der Teilnahme oder Nichtteilnahme bei Feierlichkeiten zur Erinnerung an die sowjetische Revolution?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Dr. Wörner, ich meine, daß hier plötzlich eine Ausweitung kommt, die ich nicht zu beantworten habe. Hier geht es um die Teilnahme des Inspekteurs. Ich würde den gleichen Maßstab anlegen, wenn es darum ginge, daß der Inspekteur des Heeres, der Luftwaffe order der Generalinspekteur in irgendeinem totalitären Staat zu einem ganz bestimmten Anlaß — nämlich hier zu einer Feier eines Sieges über die an sich dort rechtmäßig gewählte Regierung — eingeladen würde.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Friedrich.
Herr Staatssekretär, verstehe ich es richtig, daß Sie bei Ihrer Antwort, daß Sie die Teilnahme nicht billigten, davon ausgingen, daß zwischen den protokollarischen Pflichten jeder Botschaft in jedem Staat, zu dem wir diplomatische Beziehungen haben, und der besonderen Teilnahme bei einem außerordentlichen Besuch an einer Parade,
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12288 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975
Friedrichdie in der spanischen Armee umstritten ist und von den demokratischen Kräften Spaniens abgelehnt wird, ein Unterschied zu machen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Genauso habe ich es verstanden, Herr Abgeordneter.
Einen Augenblick, erst die Antwort!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe bereits geantwortet, Herr Präsident.
Das war leider hier akustisch nicht angekommen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten van Delden!
Herr Staatssekretär, da ja bei Besuchen von deutschen Militärs im Ausland normalerweise innerhalb der Bundesregierung eine Abstimmung zwischen Verteidigungsministerium und Auswärtigem Amt über die protokollarischen Gepflogenheiten oder Gegebenheiten erfolgt, die man dort beachten muß, frage ich Sie: Ist Ihnen bekannt, ob der Gesandte vor der Teilnahme an dieser Veranstaltung bzw. vor einer Abstimmung mit General Hildebrandt das Auswärtige Amt um diesbezügliche Weisungen gebeten und ob er Weisungen erhalten hat — bezogen auf den General natürlich?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ich würde Sie sehr bitten, diese Frage vom Auswärtigen Amt beantworten zu lassen.
Verehrter Herr Kollege van Delden, auch diese Frage weicht von der Grundfrage ab. Sie können sie jederzeit an das Auswärtige Amt richten. Aber die Grundfrage lautete anders. Deshalb besteht hier keine unmittelbare Ergänzungsmöglichkeit.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Ey!
Herr Staatssekretär, wie begründet die Bundesregierung ihre Äußerung, bei dem Besuch des Generals Hildebrandt in Spanien handele es sich um einen „Betriebsunfall"?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Minister hat dieses Wort gebraucht. Es ist ja auch an anderer Stelle schon interpretiert worden. Er wollte damit sagen, daß jeder, der etwas tut, auch mal einen Fehler, und wenn es nur ein ganz kleiner Fehler ist, machen kann. Genauso ist es auch zu verstehen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Biehle.
Herr Staatssekretär, würden Sie nicht gerade angesichts der letzten Äußerung, die Sie hinsichtlich des „Betriebsunfalles" gemacht haben, und angesichts der Tatsache, daß die Einladung durch die Botschaft überbracht worden ist, meine Meinung teilen, daß der Herr Minister Leber nicht eine Rüge des Inspekteurs hätte vornehmen müssen, sondern sich hinter den Offizier hätte stellen müssen, um dann unter Umständen intern die Dinge abzuklären, und nicht in aller Öffentlichkeit den Inspekteur hätte bloßstellen sollen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zunächst einmal ist der Inspekteur nicht in aller Öffentlichkeit bloßgestellt worden. Ich teile Ihre Meinung überhaupt nicht. Darüber hinaus kann es doch wohl gar keinen Zweifel geben — das gilt sowohl für den Minister als auch für mich, und das ist auch in Interviews, die unmittelbar nach diesem Vorfall in der deutschen Öffentlichkeit bekanntgeworden sind, erkennbar gewesen —, daß wir uns über das hinaus, was hier nun wirklich in einem bescheidenen Ausmaße zu mißbilligen war, voll und ganz vor den Inspekteur des Heeres gestellt haben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Lagershausen.
Herr Staatssekretär, können Sie die Antwort, die Sie dem Kollegen Ey gegeben haben, dahin gehend erläutern, ob nach Ihrer Meinung ein Widerspruch darin besteht, daß Sie zunächst gesagt haben „Die Bundesregierung mißbilligt" und dann gesagt haben „Es handelt sich um einen ganz kleinen Fehler"?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich würde Ihnen raten, dann einen Brief an den Minister direkt zu schreiben; denn er hat diesen Ausdruck geprägt, und er wird ihn Ihnen gegenüber auch interpretieren.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Arndt.
Herr Staatssekretär, können Sie dem Hause bestätigten, daß es sich um einen großen Unterschied handelt, ob der General „gerügt" oder „mißbilligt" worden ist, welches beides Fachausdrücke aus dem Disziplinarrecht sind, ober ob die Bundesregierung nur nicht billigt, was der General getan hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das letztere ist der Fall. Ich nahm aber an, daß das hier genügend beleuchtet worden war; denn es ist die zweite Frage, ob es eine Rüge gewesen sei, hier nicht wiederholt worden.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975 12289
Herr Abgeordneter Dr. Czaja, Sie haben die letzte Zusatzfrage.
Warum billigt eigentlich die Bundesregierung das nicht, wenn sie durch ihren berufenen ausländischen Vertreter die Einladung hat aussprechen lassen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte Ihnen noch einmal sagen, daß solche Fragen — das ist sicher völlig legitim von Ihnen aus — an den Außenminister gestellt werden sollten und nicht an den Verteidigungsminister.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Wir kommen damit zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Die Fragen 62 und 63 des Abgeordneten Kroll-Schlüter werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 64 der Abgeordneten Frau Dr. Riedel-Martiny auf:
Hält die Bundesregierung eine Erweiterung des Bundeskindergeldgesetzes für gerechtfertigt, die vorsieht, daß Kinder im Sinne des Gesetzes für einen befristeten Zeitraum auch diejenigen sind, die wegen der Geburt eines Kindes ihre Ausbildung unterbrechen müssen, bzw. Kinder in Ausbildung über das 27. Lebensjahr dann zu berücksichtigen sind, wenn sie bis zu zwei Jahren ihre Ausbildung wegen der Geburt eines Kindes unterbrechen mußten?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Zander.
Frau Kollegin, nach § 2 Abs. 2 des Bundeskindergeldgesetzes wird für über 18 bis 27 Jahre alte Kinder Kindergeld nur unter bestimmten, im Gesetz genannten Voraussetzungen gezahlt, so z. B., wenn sie sich noch in Schul- oder in Berufsausbildung befinden. Hiernach wird Kindergeld auch während der üblichen Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten und während einer vorübergehenden Unterbrechung der Ausbildung infolge Erkrankung gezahlt. Das gleiche gilt, wenn die Ausbildung wegen Schwangerschaft unterbrochen wurde. In diesen Fällen wird das Kindergeld grundsätzlich für die Dauer der Beschäftigungsverbote nach dem Mutterschutzgesetz weitergezahlt.
Nach § 2 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes wird Kindergeld für in Ausbildung befindliche Kinder für eine begrenzte Zeit auch über die Vollendung des 27. Lebensjahres hinaus gezahlt, wenn sich die Ausbildung aus den im Gesetz aufgeführten Gründen verzögert hat. Hierbei handelt es sich ausschließlich um Verzögerungen, die nicht in der Person des Auszubildenden liegen, sondern auf Umstände zurückzuführen sind, die der Auszubildende nicht zu vertreten hat.
Für Kinder, für die weder Kindergeld noch eine dem Kindergeld vergleichbare Leistung zu zahlen ist, können die Eltern ihre Unterhaltsaufwendungen bei der Lohn- bzw. Einkommensteuer als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes steuermindernd geltend machen. In solchen Fällen besteht also für die Eltern bereits nach geltendem Recht eine Entlastungsmöglichkeit.
Die Bundesregierung sieht zu einer Änderung des Kindergeldrechts in dem von Ihnen genannten Sinne keine Möglichkeit.
Keine Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage 65 der Abgeordneten Frau Dr. Riedel-Martiny auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, in welchem Umfang die Jugendämter von der gesetzlichen Möglichkeit Gebrauch machen, auf Antrag von Vätern das Kindergeld zu halbieren und die auf einen unterhaltspflichtigen Vater entfallende Hälfte von dessen Unterhaltszahlungen abzuziehen, und ist ihr ferner bekannt, in welcher wirtschaftlichen Lage sich die betroffenen Mütter befinden?
Das Kindergeld wird in der Regel an den Elternteil gezahlt, der das Kind betreut.Nach § 1615 g Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches ist das auf ein nichteheliches Kind entfallende und der Mutter ausgezahlte Kindergeld zur Hälfte auf den Regelbedarf eines nichtehelichen Kindes anzurechnen. Das gilt- aber nur dann, wenn auch der Vater die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, ihm aber Kindergeld für sein nichteheliches Kind nicht gewährt wird, weil die Mutter vorrangig berechtigt ist. Das wird jetzt im allgemeinen der Fall sein, d. h. der vom Vater zu zahlende Regelunterhalt wird sich infolge eines neuen bzw. erhöhten Kindergeldanspruchs der Mutter entsprechend vermindern. Wegen der Erhöhung des anrechenbaren Kindergeldes kann der Vater beim Amtsgericht die Neufestsetzung des Regelunterhalts beantragen.Für eheliche Kinder getrennt lebender oder geschiedener Ehegatten besteht keine ausdrückliche gesetzliche Regelung über die unterhaltsrechtliche Berücksichtigung von Kindergeld. In der Rechtsprechung besteht jedoch die Tendenz, den der Regelung des § 1615 g Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches zugrunde liegenden Rechtsgedanken entsprechend anzuwenden, so daß dem Unterhaltspflichtigen durch entsprechende Minderung seiner Zahlungspflicht Kindergeld zur Hälfte zugute kommt.Über diese Rechtslage unterrichtet ausführlich eine Informationsschrift des Bundesministeriums der Justiz, die auch den Jugendbehörden zugänglich gemacht worden ist. Darüber hinaus hat das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit die obersten Landesjugendbehörden im Hinblick auf von Jugendämtern geltend zu machende Unterhaltsansprüche und die Beratungs- und Unterstützungspflicht der Jugendämter gemäß § 51 des Gesetzes
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12290 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975
Parl. Staatssekretär Zanderfür Jugendwohlfahrt eingehend auf die Auswirkungen der Reform des Familienlastenausgleichs und der Einkommensteuer auf bestehende Unterhaltsverpflichtungen hingewiesen.Nach fernmündlich eingeholten Auskünften kann auch davon ausgegangen werden, daß die Jugendbehörden in der Regel auf Antrag des Unterhaltspflichtigen entsprechend der dargestellten Rechtslage verfahren. Die erhöhte Anrechnung von Kindergeld braucht allerdings nicht endgültig zu einer Ermäßigung der Unterhaltsverpflichtung zu führen. Oft stellt sich heraus, daß von dem Unterhaltspflichtigen auf Grund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse verlangt werden kann, den Unterhalt in der bisherigen Höhe weiterzuzahlen oder sogar einen noch höheren Unterhalt zu leisten.Soweit sich Ihre Frage im übrigen auf die wirtschaftliche Situation unvollständiger Familien bezieht, sind der Bundesregierung die entsprechenden Erkenntnisse bekannt. Ich darf in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen in dem Bericht des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit „Alleinstehende Elternteile mit abhängigen Kindern", Bonn 1970, Seiten 25 ff., und in dem erst kürzlich dem Bundestag vorgelegten zweiten Familienbericht verweisen.
Zu einer Zusatzfrage Frau Abgeordnete Dr. Riedel-Martiny.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden? Haben also diejenigen Väter, die auf einer solchen Minderung ihrer Unterhaltsverpflichtungen bestehen, dem Jugendamt ihre Einkünfte offenzulegen?
Sie haben mich insofern richtig verstanden, als ich gesagt habe: Wenn es unter Berücksichtigung der Kindergeldregelung zu einer gerichtlichen Neufestsetzung kommt, können in sehr vielen Fällen auf Grund der gestiegenen Einkommensverhältnisse unter Umständen sogar höhere Unterhaltsverpflichtungen für den Vater festgelegt werden.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Frau Abgeordnete Dr. Riedel-Martiny.
Der Sachverhalt ist mir immer noch nicht völlig klar. Ist sichergestellt, daß Väter, die die Absicht haben, weniger zu zahlen, weil sie die Hälfte des Kindergeldes angerechnet bekommen möchten, dem Jugendamt über ihre Einkünfte Rechenschaft ablegen müssen?
Frau Kollegin Dr. Riedel-Martiny, ich kann Ihnen das, weil es da bei den einzelnen Jugendämtern eine unterschiedliche Praxis gibt, im einzelnen nicht darlegen. Aber ich bin gern bereit, Ihnen noch einmal die Informationsschrift des Justizministeriums zugänglich zu machen und auch festzustellen, wie in diesem Fall
die Praxis der Jugendämter gehandhabt wird, die
in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich ist.
Die Frage 66 des Abgeordneten Rollmann wird schriftlich beantwortet, da der Fragesteller nicht im Saal ist. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 67 des Abgeordneten Schedl wird ebenfalls schriftlich beantwortet, weil der Fragesteller nicht im Saal ist. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 68 und 69 der Abgeordneten Frau Stommel werden auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind wir am Ende der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit angelangt. Ich darf Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung danken.
Jetzt kommen wir zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen.
Ich rufe die Frage 70 des Abgeordneten Dr. Kempfler auf:
Wieviel Kilometer Wildschutzzäune wurden bisher an den Bundesfernstraßen errichtet, und wie groß ist der Anteil der Elektroschutzzäune?
Zur Beantwortung hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Jung das Wort.
Jung, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für 'das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege Dr. Kempfler, an den Bundesfernstraßen wurden bis einschließlich 1974 etwa 210 km Wildschutzzäune konventioneller Art, also bestehend aus Pfählen und Drahtknotengeflecht, errichtet. Elektrozäune wurden auf Kosten des Bundes nicht erstellt. Jedoch hat ,der ADAC in einem Versuch rund 30 km an den Bundesfernstraßen installiert.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Kempfler.
Herr Staatssekretär, teilen Sie mit mir die Auffassung, daß diese Zahl angesichts der Länge der Bundesfernstraßen und besonders der wildgefährdenden Strecken doch etwas zu gering ist?
Herr Kollege Kempfler, ich glaube, die Antwort wird bei der Beantwortung Ihrer zweiten Frage noch deutlicher. Natürlich ist 'die bisherige Zahl von 210 km angesichts der Gesamtlänge der Bundesfernstraßen gering. Aber Sie wissen auf 'der anderen Seite auch, daß die Vorschläge des Bundesverkehrsministers, nämlich in Richtung auf eine Beteiligung der Inhaber oder der Pächter solcher Wildgebiete abgelehnt wurde.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Kempfler.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975 12291
Herr Staatssekretär, beruht die geringe Länge der bis jetzt errichteten Zäune — 'diese Länge erscheint ja auch Ihnen zu gering — auch darauf, daß sich die Revierbesitzer, die zur Erhaltung der Zäune verpflichtet sind, geweigert haben, 'die Zäune zu erhalten?
Ich habe eben schon darauf hingewiesen, daß die Jagdpächter nach dem Vorschlag des Verkehrsministers mit 10 % bei der Errichtung und mit 50 % bei der Erneuerung beteiligt werden sollten. Weil dieser Vorschlag seinerzeit abgelehnt wurde, und zwar auch vom Bundeslandwirtschaftsminister, vom Jagdschutzverband und vom Bauernverband, hat der Verkehrsminister im Jahre 1974 neue Vorschläge erarbeiten lassen. Derzeit werden eine Reihe von Anträgen auf Errichtung von Wildschutzzäunen an Bundesautobahnen geprüft. Einige sind bereits genehmigt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für gerechtfertigt, daß die Jagdherren bzw. die Jagdpächter es ablehnen, sich an den Kosten der mit Steuermitteln zu errichtenden Zäune zu beteiligen?
Herr Kollege Hansen, ich habe eben darauf hingewiesen, daß dies ja ein Vorschlag des Verkehrsministers war. Insofern kann ich mich damit identifizieren.
Ich rufe die Frage 71 des Abgeordneten Dr. Kempfler auf:
Welche Erfahrungen wurden mit dieser Einrichtung, insbesondere mit den elektrischen Zäunen, gemacht?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär, bitte schön!
Herr Kollege, mit den Wildsperrzäunen konventioneller Art sind innerhalb eines Versuchsprogramms des Bundesministers für Verkehr von 1971 bis 1974 recht gute Erfahrungen gemacht worden. Die Anzahl der Unfälle, an denen wild lebende Tiere beteiligt waren, ist im Bereich der Schutzzäune um 90 % zurückgegangen. Über die Erfahrungen mit Elektrozäunen kann der Bundesminister für Verkehr keine Stellungnahme abgeben, da der ADAC bisher noch keinen Erfahrungsbericht gegeben hat.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Kempfler.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, hinsichtlich der Frage der Errichtung von Elektrozäunen auch die Erfahrungen aus Großbritannien zu berücksichtigen, die Ihnen vor etwa fünf Jahren — ich kaue schon sehr lange an dieser harten Speise — übermittelt wurden und die durchaus positiv sind?
Herr Kollege Kempfler, wir berücksichtigen natürlich alle Erfahrungen. Es gibt auch Berichte aus den Ländern über Erfahrungen mit Elektrozäunen. Die sind allerdings nicht so positiv, wie Sie sie im Augenblick darstellen; denn die Elektrozäune sind nach diesen Berichten nicht so wirkungsvoll wie konventionelle. Ein Nachteil besteht z. B. darin, daß höhere Unterhaltungskosten erforderlich sind, weil die Batterien häufiger kontrolliert werden müssen. Im übrigen ist bei Stromausfall die Wirkung dieser Elektrozäune natürlich gering. Insofern kann die Frage, ob diese wirkungsvoller als konventionelle seien, von uns im Augenblick nicht beantwortet werden.
Auch wir erwarten natürlich den Bericht des ADAC über den Versuch mit 30 Kilometern Elektrozäunen, die der ADAC gebaut bzw. finanziert hat.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Kempfler.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie bitten, doch noch einmal die Erfahrungen aus Großbritannien nachzulesen, die Ihnen vorliegen?
Herr Kollege Kempfler, diese Erfahrungen werden natürlich mit berücksichtigt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, in Anbetracht dessen, was Sie hier ausgeführt haben, daß man mit den elektrischen Zäunen besonders gute Erfahrungen gemacht habe, ist doch die Frage zu stellen, ob künftig, wenn mehr derartige Zäune errichtet werden, nicht doch die zuständigen Jagdpächter mit zur Kasse gebeten werden sollten, da sie im Grunde einen Vorteil davon haben.
Herr Kollege, ich muß noch einmal darauf hinweisen, daß mit den Mitteln des Bundesministers für Verkehr bisher keine Elektrozäune errichtet worden sind, sondern dies ausschließlich durch den ADAC durchgeführt wurde und hier ein Erfahrungsbericht noch nicht vorliegt. Natürlich ist es möglich, wenn ein solcher Erfahrungsbericht vorliegt, über diese Geschichte noch einmal nachzudenken und die ursprünglichen Vorschläge des Bundesverkehrsministers wieder aufzugreifen.
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12292 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975
Ich rufe die Frage 72 des Abgeordneten Hansen auf:
Welches waren die Ursachen für den Beinah-Zusammenstoß am 20. Mai 1975, gegen 11 Uhr, zwischen einer landenden Boeing 737 der Lufthansa und einer „Phantom" der Bundeswehr südwestlich des Verkehrsflughafens Düsseldorf-Lohausen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Präsident, wenn Herr Kollege Hansen damit einverstanden ist, möchte ich beide Fragen wegen des Sachzusammenhangs zusammen beantworten.
Einverstanden!
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe daher auch die Frage 73 des Abgeordneten Hansen auf:
Auf welche Weise wird die Bundesregierung solche gefährlichen Begegnungen in Zukunft verhindern?
Die Annäherung zwischen einer Boeing 737 und einer Phantom, Herr Kollege Hansen, fand in einem Beschränkungsgebiet statt, wie es um alle größeren deutschen Flughäfen errichtet ist. Dort hätte die Phantom nicht einfliegen dürfen.
Zur Vermeidung derartiger Zwischenfälle, besonders in der näheren Umgebung von Verkehrsflughäfen, wo mit einer Konzentration des Flugverkehrsaufkommens zu rechnen ist, werden besonders strenge Sicherheitsmaßnahmen angewendet. Außer einer Kontrollzone, in der jede Flugbewegung überwacht wird, wurden in den letzten Jahren um alle größeren Verkehrsflughäfen Sichtflugbeschränkungsgebiete errichtet, die den Zweck haben, den nach Sichtflugregeln fliegenden und der Flugsicherung nicht bekannten Verkehr aus solchen Flugverkehrsballungsräumen fernzuhalten. Weitere Maßnahmen außerhalb der Umgebung von Verkehrsflughäfen sind beispielsweise Einrichtung nur für militärische Zwecke reservierter Lufträume, Zusammenlegung militärischer und ziviler Flugsicherungsdienste. In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, daß auch durch solche Maßnahmen die Gesamtzahl der gefährlichen Begegnungen im Jahre 1974 verglichen mit 1973 um etwa 30 % abgenommen hat.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Hansen.
Herr Staatssekretär, können Sie erklären, wie die Phantom überhaupt in die Nähe der Kontrollzone des Flughafens Düsseldorf geraten konnte, obwohl in der unmittelbaren Umgebung weder eine Tiefflugstrecke noch ein Tieffluggebiet verzeichnet ist?
Herr Kollege Hansen, ich kann es mir auch nicht erklären. Die Stellungnahme der zuständigen
Dienststelle steht im übrigen noch aus, so daß ich hierzu im Augenblick keine Stellung nehmen kann.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Hansen.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß es wirklich einer besseren Zusammenarbeit der militärischen und zivilen Flugverkehrskontrolle bedarf, und zwar nicht nur in den oberen Lufträumen, sondern auch in den unteren Lufträumen, um hier eine Verbesserung der Situation herbeizuführen?
Herr Kollege Hansen, ich teile voll Ihre Meinung.
Eine dritte Zusatzfrage, der Abgeordnete Hansen.
Wäre in diesem Zusammenhang nicht zu überlegen, ob man außer ,den VFR-Flugbeschränkungsgebieten, die Sie eben erwähnt haben, auch Flugbeschränkungsgebiete um besonders frequentierte Verkehrsflughäfen errichten sollte, die ausschließlich für Militärflugzeuge auch für den Blindflug gelten?
Ja.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 74 des Abgeordneten Dr. Wagner auf. Der Fragesteller ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Das gleiche gilt für die Frage 75 des gleichen Fragestellers.
Ich rufe die Frage 76 des Abgeordneten Dr. Kunz auf:
Trifft die Meldung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 28. Mai 1975 zu, von der Kommission zur Markierung der Zonengrenze sei der Entwurf eines Vertrages ausgearbeitet worden, der Ost-Berlin auf der Elbe in dem zum Bundesgebiet gehörenden Bereich schiffahrts- und wasserschutzpolizeiliche und damit hoheitsrechtliche Befugnis einräumt, und welche Folgen hätte ein Vertrag derartigen Inhalts?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Jung.
Herr Kollege Kunz, in der Verkehrskommission nach Art. 32 des Verkehrsvertrages wird ein Vertrag über den Binnenschiffsverkehr auf der Elbe zwischen Kilometer 472,6 und Kilometer 566,3 vorbereitet. Über den Inhalt dieses Vertrages hat die Bundesregierung bereits den zuständigen Ausschüssen des Deutschen Bundestags eingehend Auskunft gegeben. Eine weitere eingehende Unterrichtung hat sie in der Sitzung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen am 4. Juni 1975, also gestern, gegeben. Eine Erörterung über die diesen Vertrag vorbereitenden Gespräche in einer öffentlichen Sitzung des Deutschen Bundestags ist gegenwärtig noch nicht möglich.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975 12293
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Kunz.
Herr Staatssekretär, da vertraglich zugestandene Befugnisse für Ostberliner Polizeiboote auf der Elbe zwangsläufig zu einer Erschwerung der Fluchtmöglichkeiten führen, frage ich Sie, ob nicht das Grundrecht der Freizügigkeit jeder vertraglichen Regelung zwingend entgegensteht, die auch nur mittelbar zu einer Beschneidung der Fluchtmöglichkeiten führt.
Herr Kollege, ich glaube, diese Frage steht nicht in einem direkten Zusammenhang, sondern sie ist eher von Ihrem Kollegen Jäger gestellt. Aber ich bin gerne bereit, hierzu eine Stellungnahme abzugeben. Sie gehen von falschen Voraussetzungen aus. In diesem Vertrag wird die Frage der Flüchtlinge überhaupt nicht berührt. Es werden nur Angelegenheiten des Binnenschiffsverkehrs geregelt.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Kunz.
Herr Staatssekretär, Sie sind doch sicherlich mit mir der Auffassung, daß hier nicht nur technische Fragen, sondern darüber hinaus die von mir angeschnittenen Probleme unmittelbar berührt werden?
Herr Kollege Kunz, ich mache noch einmal darauf aufmerksam, daß wir eine weitere Diskussion darüber hier nicht führen können, sondern diese gestern im Ausschuß geführt wurde. Tatsache ist jedoch — und hier sprechen Sie ja nun praktische Dinge an —, daß die DDR gegenwärtig in größerem Umfang hoheitsrechtliche Maßnahmen auf diesem Elbabschnitt trifft, als sie in dem Vertragsentwurf vorgesehen sind, und dies seit Jahren.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schröder .
Herr Staatssekretär, bedeutet die Aufteilung schiffahrts- und wasserschutzpolizeilicher und damit hoheitsrechtlicher Befugnisse nicht gleichzeitig die Aufgabe eines bisher eingenommenen Rechtsstandpunktes, der da lautet, daß die Elbe in voller Breite Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland ist?
Nein, Herr Kollege Schröder.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Jäger .
Herr Staatssekretär, hat nicht die Öffentlichkeit, der ja nun durch verschiedene Presseverlautbarungen Andeutungen über den Inhalt der geplanten Vereinbarungen mit der DDR gemacht worden sind, einen Anspruch darauf, von der Bundesregierung wenigstens jenen Minimalinhalt zu erfahren, nach dem der Kollege Dr. Kunz gefragt hat und den Sie uns unter Hinweis auf den Ausschuß, dessen Unterrichtung aber leider vertraulich geschehen ist, verweigern?
Herr Kollege Jäger, ich habe darauf hingewiesen, daß die beiden Ausschüsse bereits unterrichtet wurden, und zwar schon im Dezember des vergangenen Jahres, und daß gestern im Innerdeutschen Ausschuß eine weitere Unterrichtung über den Inhalt dieses Vertrages erfolgt ist. Darüber hinaus kann ich hier keine Auskunft geben.
Nächste Frage, der Abgeordnete Professor Dr. Abelein.
Herr Staatssekretär, wenn in einem Vertrag wie in dem zur Debatte stehenden auf dem Fluß verschiedene Hoheitsrechte und Hoheitsgebiete eingeräumt werden, wieweit ist die Bundesregierung denn dann überhaupt noch frei, bei den Verhandlungen über die Grenzmarkierung von einer anderen Grenze als der Elbmitte auszugehen?
Herr Kollege Abelein, ich habe vorhin bereits in Beantwortung der Frage von Herrn Kollegen Kunz darauf hingewiesen, daß es sich hier um schiffahrtsrechtliche Fragen handelt und daß sich der Vertrag, der vorbereitet wird, natürlich damit beschäftigt, wie die Abwicklung des gesamten Schiffsverkehrs dort zu praktizieren ist. Nichts weiter, meine ich, beinhaltet er.
Die Frage, die Sie stellen, nämlich wie der Grenzverlauf ist, kann von unserem Hause mit Sicherheit nicht beantwortet werden.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Sauer.
Herr Staatssekretär, können Sie dem Hohen Hause mitteilen, welche Stellungnahmen die Betroffenen, d. h. die kommunalen Parlamente, zum Entwurf Ihres Vertrages abgegeben und ob sie sich positiv oder negativ zu Ihren Vorstellungen geäußert haben?
Nein, das kann ich nicht, Herr Kollege Sauer.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Lagershausen.
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12294 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer zweiten Antwort, die Sie dem Kollegen Kunz gegeben haben, schließen, daß die Bundesregierung die Auswirkungen der anstehenden Regelungen auf die Fluchtmöglichkeiten auf der Elbe nicht sieht und vielleicht nicht sehen will?
Sie können nicht daraus schließen, daß die Bundesregierung hier nicht sieht, welche Konsequenzen sich ergeben können. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß es die gleichen sind wie bisher; denn dieser Vertrag hat überhaupt keine Auswirkungen auf die Lage der Flüchtlinge.
Nein, jeder hat nur eine Zusatzfrage, bis auf den Fragesteller selber.
Ich rufe die Frage 77 des Abgeordneten Eigen auf:
Welche Kfz-, Mineralöl-, Mehrwert- und Beförderungsteuern belasten den deutschen, holländischen und dänischen Fernlastwagen von 32 t Nutzlast, und welche Anstrengungen hat die Bundesregierung unternommen, um eventuelle Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft auf dem Fernverkehrssektor abzuwenden?
Der Fragesteller ist anwesend. Bitte, zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär!
Herr Kollege Eigen, ich nehme an, daß Sie die Mineralölsteuer- und Kraftfahrzeugsteuerbelastung eines Lastzuges mit einem Gesamtgewicht von 32 t meinen. Eine Übersicht über die Höhe dieser Steuern in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft ist in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Althammer, Dr. Jobst und Genossen vom 21. Februar 1975 — Drucksache 7/3275 — enthalten. Ich darf deshalb hierauf Bezug nehmen, weil das eine ganze Tabelle ist, und hinzufügen, daß neben der Mineralöl- und Kraftfahrzeugsteuer eine Beförderungsteuer in den von Ihnen genannten Ländern nicht erhoben wird. Die Bundesregierung bemüht sich mit Nachdruck, im Rahmen der EG-Verkehrspolitik bestehende Wettbewerbsverzerrungen im grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr zu beseitigen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Eigen.
Ist die Bundesregierung bereit, bei den Verhandlungen im Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft dafür zu sorgen, daß diese Angleichung auch eine echte Entlastung des deutschen Güterfernverkehrs erbringt?
Herr Kollege Eigen, die Bundesregierung ist darum ständig bemüht. Ich habe das soeben ja auch — allerdings, wie ich zugebe, indirekt — zum Ausdruck gebracht. Wir wollen die Wettbewerbsverzerrungen, die in der Tat bestehen, durch diese Verhandlungen in der EG abbauen.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Eigen.
Ich habe meine Zusatzfrage mit Absicht so gestellt, wie ich sie gestellt habe, weil es ein Unterschied ist, ob man Wettbewerbsverzerrungen dadurch abbaut, daß man die anderen Länder dazu bringt, höhere Steuern zu nehmen, oder ob man selbst bereit ist, die Steuern zu senken.
Welche Wege zum Abbau der Wettbewerbsverzerrungen, die bestehen, gegangen werden müssen, wird sich natürlich im Rahmen dieser Verhandlungen ergeben. Natürlich ist es naheliegend, daß man mit dem Abbau dort, wo man zuständig ist, nämlich im nationalen Bereich, beginnt. In welcher Weise das geschieht, wird die Bundesregierung selbstverständlich beraten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sick.
Herr Staatssekretär, welche Maßnahmen hat die Bundesregierung jetzt konkret im Auge — nachdem sie jahrelang erklärt hat, sie wolle etwas tun —, um dem Gewerbe zu helfen, welches ja — das dürfte Ihnen bekannt sein — bereits Existenzen verloren und internationale Verkehre abgegeben hat?
Herr Kollege Sick, Sie kennen ja die Debatte, die in diesem Hause stattgefunden hat; ich brauche das nicht zu wiederholen. Natürlich zielen Sie darauf ab, daß die Bundesregierung eine Steuerermäßigung einführt. Aber derzeit sieht sich die Bundesregierung dazu nicht in der Lage.
Wir verhandeln mit den europäischen Partnern auf einer Reihe von Gebieten, um in den Fragen der Maße und Gewichte sowie der Sozialvorschriften, die zum Teil auch wieder den deutschen Güterkraftverkehr stärker treffen, eine Gleichheit herzustellen, um dadurch die Wettbewerbsverzerrungen abzubauen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Kunz .
Herr Staatssekretär, nachdem dieses Problem ja nicht neu ist, möchte ich Sie fragen: Wie lange, glauben Sie, wird es noch dauern, bis die Bundesregierung entsprechende Bemühungen verwirklichen kann, damit diese Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der deutschen Unternehmungen aufgehoben werden?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975 12295
Herr Kollege Kunz, da alle diese Probleme innerhalb der EG nicht neu sind, vermag ich natürlich auch keine konkrete Antwort darauf zu geben, bis zu welchem Zeitpunkt diese Verhandlungen innerhalb der EG zu einem Erfolg führen.
Ich rufe die Frage 78 des Abgeordneten Eigen auf:
In welcher Weise hat die Bundesregierung die Entwicklung der neuen Verkehrspläne der Deutschen Bundesbahn im ländlichen Raum mit der Wirtschaft beraten, und wie gedenkt sie, wirtschaftliche Schäden für die Bevölkerung im ländlichen Raum zu vermeiden?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Eigen, die Aufstellung des Fahrplanangebots und die Organisation der Stückgutverkehrsbedienung liegen im Zuständigkeitsbereich des Vorstandes ,der Deutschen Bundesbahn.
Er stimmt diese mit den beteiligten Ländern, Verbänden, Kommunen usw. ab, so daß die Interessen der Bevölkerung und der Wirtschaft weitgehend gewürdigt werden können. Auch bei Streckenstillegungen erhalten die Länder Gelegenheit zur Stellungnahme, und zwar nach § 44 des Bundesbahngesetzes.
Die Entscheidung über jede Einzelmaßnahme trifft der Bundesminister für Verkehr nach § 14 Abs. 3 Buchstabe d des Bundesbahngesetzes. Sofern dabei Fragen der Raumordnung und der regionalen Wirtschaftsstruktur berührt werden, wird die Entscheidung im Benehmen mit den dafür zuständigen Bundesressorts getroffen.
Für Strecken im Zonenrandgebiet wird darüber hinaus für jeden Einzelfall eine Kabinettsentscheidung eingeholt. Durch dieses Vorgehen ist sichergestellt, daß alle Belange gewahrt werden können.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Eigen.
Darf ich bitten, daß Sie auf den letzten Teil meiner Frage eine Antwort geben: ob wirtschaftliche Schäden der Bevölkerung im ländlichen Raum abgewendet bzw. vermieden werden?
Ja, wirtschaftliche Schäden werden dadurch vermieden, daß eben diese Abstimmung mit den Ländern, mit den Verbänden, wie ich ja eben schon sagte, und zwar auch nach Gesichtspunkten der Raumordnung, erfolgt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Eigen.
Konkret die Frage: Wird die Frachtbelastung für alle Güter und werden die Kosten für den Personennahverkehr auf Grund des Rückzuges der Schiene aus der Fläche höher, im bisherigen Umfang gehalten werden können oder niedriger?
Herr Kollege Eigen, der Rückzug aus der Fläche wird ja dadurch ausgeglichen, daß bei Stillegungen oder bei Einschränkungen von der Bundesbahn entsprechend dem Bedarf Ersatzmaßnahmen angeboten werden, so daß sich kaum nachteilige Änderungen ergeben können.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sick.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung in der Lage zu erklären — meinetwegen für die Bundesbahn —, daß die Frachten aus diesen Räumen in Zukunft, auch wenn sich die Schiene zurückzieht, durchgerechnete Frachten im Sinne des DGT sein werden?
Herr Kollege Sick, Sie wissen, daß die Deutsche Bundesbahn beim Stückgutverkehr das Modell 400 angeboten hat und daß dieses Modell zunächst einmal realisiert werden muß. Ich kann also nicht im Vorgriff auf dieses Modell, das von der Bundesbahn als ein vollwertiger Ersatz und nicht nur als Ersatz, sondern sogar als eine Verbesserung des Kundendienstes mit angeboten wurde, feststellen, welche Belastungen oder welche Entlastungen auf die Kunden zukommen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Ey.
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß besonders in schwach strukturierten ländlichen Räumen durch die Streckenstillegungen ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährleistung gleicher Lebensverhältnisse gesehen werden könnte? Ich denke besonders an die Streckenstillegungen im Raume Lübbecke, Randen, Sulingen, Bassum.
Nein, Herr Kollege Ey. Ich erklärte eben schon, die Bundesbahn ergreift bei entsprechenden Stillegungen Ersatzmaßnahmen. Sie organisiert ihr Angebot entsprechend der Nachfrage.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Schröder .
Herr Staatssekretär, gehe ich richtig in der Annahme, daß die
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12296 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975
Schröder
Streckenstillegungen der Bundesbahn in den angesprochenen ländlichen Räumen vor allen Dingen aus finanziellen Gründen erfolgen, und wenn ja, können Sie mir sagen, wie hoch die Mindereinnahmen der Deutschen Bundesbahn einerseits bei der Fortführung der Strecken in den strukturschwachen Gebieten und auf der anderen Seite aus der Aufrechterhaltung des öffentlichen Nahverkehrs in den Großstädten sind?
Herr Kollege Schröder, hier werden permanent zwei Dinge miteinander verwechselt. Einmal geht es um die Personenbeförderung, die selbstverständlich zur Daseinsvorsorge gehört. Die damit zusammenhängenden Fragen sind deswegen selbstverständlich etwas anders zu beantworten und zu beurteilen als die Fragen, die eben im Zusammenhang mit der Bedienung durch den Stückgutverkehr gestellt wurden. Hier muß man natürlich auch sehen, daß die Bundesbahn auf der einen Seite der Nachfrage entsprechend ein Angebot macht, auf der anderen Seite beim Stückgutverkehr aber feststellen muß, daß zur Zeit pro Tonne Stückgut 200 DM zugezahlt werden müssen. Die Bundesbahn mußte also aus betriebswirtschaftlichen Gründen Überlegungen anstellen, die zu einem neuen Modell führten. Dieses neue Modell wird so, wie die Bundesbahn dies beabsichtigt, nicht zur Benachteiligung dieser Gebiete führen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Kunz .
Herr Staatssekretär, nachdem der Rückzug der Bundesbahn aus der Fläche unweigerlich für die betroffenen dünner besiedelten Gebiete zu höheren finanziellen Belastungen führt, frage ich Sie: Ist die Bundesregierung bereit, dafür zu sorgen, daß im Rahmen einer Gesamtfrachtkostenberechnung, also nicht geteilt nach Bundesbahn und Privatunternehmern, die Auswirkungen dieses Rückzugs der Bundesbahn aus der Fläche für die Bevölkerung in tragbaren Grenzen gehalten werden?
Herr Kollege Kunz, ich muß noch einmal darauf hinweisen, daß der Stückgutverkehr mit Sicherheit nicht in dem Maße wie der Personenverkehr der Daseinsvorsorge zuzurechnen ist. Insofern hat die Deutsche Bundesbahn dieses Modell entwickelt. Wie ich vorhin schon sagte, können Sie heute noch gar nicht feststellen, ob es zu einer Belastung oder zu einer Entlastung finanzieller Art führen wird. Ihre Frage kann daher in diesem Augenblick in der Form überhaupt nicht beantwortet werden.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Maucher.
Herr Staatssekretär, ich gehe davon aus, daß die Einstellung von Zugverbindungen im neuen Fahrplan noch nicht berücksichtigt ist. Ist sichergestellt, daß weiterhin, wenn auch auf andere Weise, Fahrverbindungen angeboten werden? Andenfalls wäre zu befürchten, daß die Leute sich gezwungen sehen, ihre Pkws zu benutzen.
Herr Kollege Maucher, ich habe vorhin bereits darauf verwiesen, daß die Bundesbahn dort, wo sie Einschränkungen vorgenommen hat oder Einschränkungen vorzunehmen gedenkt, Ersatzleistungen beispielsweise in der Form des Bahnbusverkehrs anbietet. Dieses Angebot richtet sich nach der Nachfrage. Die Bundesbahn ist natürlich nicht verpflichtet, dort Strecken zu betreiben oder Bahnbusdienste anzubieten, wo keine Nachfrage dafür besteht.
Eine letzte Zusatzfrage, der Abgeordnete Grobecker.
Herr Staatssekretär, können Sie den Kollegen der Opposition bestätigen, daß sich die Deutsche Bundesbahn, was die Schiene angeht, gerade deshalb aus der Fläche zurückzieht, weil die Straße dort billiger ist, und daß die Bundesbahn eben deshalb mit den Ersatzleistungen auf die Straße geht?
Herr Kollege Grobecker, ich glaube, ich habe das in Beantwortung der vielen Fragen hier schon klargestellt.
Ich rufe die Frage 79 des Abgeordneten Jäger auf:
Treffen Pressemeldungen zu, wonach der niedersächsischen Landesregierung ein in der Grenzkommission erarbeiteter Vertragsentwurf vorliegt, nach dem künftig der DDR schiffahrts- und wasserschutzpolizeiliche Hoheitsbefugnisse auf der gesamten Breite der Elbe zwischen Lauenburg und Schnackenburg eingeräumt werden sollen, und ist dieser Vertragsentwurf im Einverständnis mit der Bundesregierung erarbeitet worden?
Zur Beantwortung der Frage, bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Präsident, wegen des Sachzusammenhangs bitte ich, die beiden Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen, wenn der Herr Kollege Jäger einverstanden ist.
Herr Präsident, ich bin mit der gemeinsamen Beantwortung der Fragen nicht einverstanden, da die erforderliche Zusatzfragemöglichkeit nicht begrenzt werden sollte.
Verzeihung, ich mache darauf aufmerksam, daß es Übung des Hauses ist,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975 12297
Vizepräsident von Hasseldaß die verbundene Beantwortung von Fragen nichtzu einer Kürzung der Zusatzfragemöglichkeit führt.
Herr Präsident, wenn Sie mir das zusichern, dann bin ich damit einverstanden.
Ich darf auf eines aufmerksam machen. Wir amtierenden Präsidenten, Herr Kollege Jäger, müssen lediglich dann, wenn die Zahl der Zusatzfragen so weit überbordet, daß andere Fragen nicht mehr beantwortet werden können, Einschränkungen vornehmen. Also bitte, Sie haben die gleiche Zusatzfragemöglichkeit, unabhängig davon, ob zusammen oder getrennt aufgerufen wird.
Ich rufe also auch die Frage 80 des Abgeordneten Jäger auf:
Wie würde sich ein derartiger Vertrag auf die Lage von Flüchtlingen aus der DDR auswirken, die in diesem Abschnitt der Elbe schwimmend in die Bundesrepublik Deutschland gelangen, und auf welcher Rechtsgrundlage könnte ein derartiger Vertrag mit der DDR überhaupt geschlossen werden?
Herr Kollege Jäger, wie ich bereits dem Herrn Kollegen Dr. Kunz mitgeteilt habe, wird in der Kornmission nach Art. 32 des Verkehrsvertrages, der Verkehrskommission also, ein Vertrag über den Binnenschiffsverkehr auf der Elbe zwischen den Kilometern 472,6 und 566,3 vorbereitet.
Über den Inhalt dieses Vertrages hat die Bundesregierung den zuständigen Ausschüssen des Deutschen Bundestages bereits eingehend Auskunft gegeben. Eine weitere eingehende Unterrichtung hat sie gestern in der Sitzung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen gegeben. Eine Erörterung über die diesen Vertrag vorbereitenden Gespräche in einer öffentlichen Sitzung des Deutschen Bundestages ist gegenwärtig noch nicht möglich. Ich bitte, dies zur Kenntnis zu nehmen.
Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Jäger .
Herr Staatssekretär, zu meiner ersten Frage möchte ich Sie zusätzlich fragen: Kann ich aus Ihrer Antwort schließen, daß die Bundesregierung in dem in Vorbereitung befindlichen Vertragsentwurf keine Regelungen vorsehen wird, in denen Behörden der DDR Kontroll- und Einwirkungsbefugnisse auf der ganzen Breite der Elbe eingeräumt werden?
Herr Kollege Jäger, ich habe soeben darauf verwiesen, daß über den Inhalt des Vertrages — und diese Frage bezieht sich auf den Inhalt — in der Öffentlichkeit derzeit noch nicht diskutiert werden kann.
Eine zweite Zusatzfrage hat der Abgeordnete Jäger .
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung dann dafür Sorge tragen, daß vor einer Unterzeichnung des Vertrages sichergestellt ist, daß Behörden der DDR durch ein derartiges Abkommen solche Hoheitsbefugnisse nicht eingeräumt werden?
Herr Kollege Jäger, ich habe bereits vorhin in der Antwort an den Herrn Kollegen Kunz darauf verwiesen, daß er von falschen Voraussetzungen ausgeht. Denn „solche Hoheitsbefugnisse" werden von DDR-Behörden auf diesem Abschnitt der Elbe praktiziert, und zwar seit Jahren, auch unter der Kanzlerschaft von CDU-Kanzlern.
Eine dritte Zusatzfrage, Herr Jäger.
Herr Staatssekretär, unter Feststellung, daß die DDR dort bisher keine Hoheitsbefugnisse ausgeübt, sondern sich allenfalls solche Hoheitsrechte unter rechtsmißbräuchlichen Vorwänden angemaßt hat, frage ich Sie: Kann die Bundesregierung ausschließen, daß der in Vorbereitung befindliche Vertragstext die Lage von Flüchtlingen aus der DDR verschlechtert, die künftig über die Elbe schwimmend in die Freiheit zu kommen versuchen?
Herr Kollege Jäger, ich habe auch auf diese Frage bereits vorhin geantwortet. Ich will aber wiederholen, daß sich dieser Vertrag auf die Lage der Flüchtlinge überhaupt nicht auswirkt.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Muß ich daraus den Schluß ziehen, daß die Bundesregierung es nicht als eine Gefahr für aus dem anderen Teil Deutschlands flüchtende Menschen ansieht, wenn künftig durch wassertechnische und wasserwirtschaftliche Vereinbarungen DDR-Behörden ihre Tätigkeit rechtmäßig — nicht mehr bloß tatsächlich — bis zum Südwestufer der Elbe ausüben können?
Diesen Schluß müssen Sie nicht ziehen, Herr Kollege Jäger. Es handelt sich bei diesem Vertrag mehr um technische Dinge, und Sie wissen, daß durch die Änderung des Flußbettes natürlich Vereinbarungen in bezug auf die Unterhaltung usw. notwendig sind, damit die Binnenschiffahrt ungestört aufrechterhalten werden kann.
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12298 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Arndt.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß seit mehr als 20 Jahren bewaffnete Angehörige des öffentlichen Dienstes der DDR tatsächlich hoheitliche Aufgaben auf diesem Teilstück der Elbe ausüben und daß diese Praxis insoweit eine gewisse präjudizielle Wirkung hat, als die Regierungen Adenauer, Erhard und Kiesinger hiergegen weder Rechtsverwahrung eingelegt noch protestiert haben?
Ich kann nicht leugnen, daß dies die Praxis ist, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schröder .
Herr Staatssekretär, in welchem Verhältnis stehen diese neuen vertraglichen Regelungen zu Art. 23 des Verkehrsvertrages, insbesondere zu den ergänzenden Protokollvermerken?
Herr Kollege, ich kann Ihnen darauf im Augenblick keine Antwort geben.
Noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schröder .
Zu Frage 80 habe ich noch eine Zusatzfrage: Herr Staatssekretär, gehört zu den Rechtsgrundlagen, die Herr Kollege Jäger in seiner Frage angesprochen hat, auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das beinhaltet, daß in Folgeverträge des Grundlagenvertrages Berlin unter allen Umständen mit einzubeziehen ist?
Natürlich, Herr Kollege, Urteile des Bundesverfassungsgerichts gehören immer zu den Rechtsgrundlagen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Professor Abelein.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung denn tatsächlich der Ansicht, die Herr Kollege Arndt gerade geäußert hat, daß nämlich eine eventuell länger anhaltende Praxis von Rechtsverletzungen einen entsprechenden Rechtszustand herbeiführt?
Herr Kollege Abelein, ich habe nicht gesagt, daß die Bundesregierung dieser Ansicht ist, sondern habe dem Kollegen Dr. Arndt bestätigt, daß dies leider die Praxis war.
— Das war bisher die Praxis unter CDU-Bundeskanzlern, wie Herr Kollege Arndt in seiner Frage zum Ausdruck gebracht hat.
Sie können aus meiner Antwort nicht herleiten, daß ,die Bundesregierung der von Ihnen dargestellten Ansicht wäre.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Professor Abelein.
Herr Staatssekretär, wenn Sie vorhin meinten, der Inhalt des Vertrages, der hier wieder zur Debatte steht, solle nicht erörtert werden, heißt das angesichts der Tatsache, daß der Inhalt dieses Vertrages in der Presse bereits sehr ausführlich erörtert wird, daß die Bundesregierung nur eine parlamentarische Erörterung dieses Vertrages verhindern möchte, um auf diese Weise die Kontrollrechte des Parlaments und speziell der Opposition zu beschneiden?
Nein, Herr Kollege Dr. Abelein, Sie wissen, daß ich selbst als Parlamentarier sehr daran interessiert bin, daß die Kontrollrechte des Parlaments in gar keiner Weise eingeschränkt werden. Ich habe gesagt, daß eine öffentliche Erörterung eines sich in Vorbereitung befindenen Vertrages derzeit noch nicht möglich ist; ich wiederhole: noch nicht möglich ist. Und Sie haben ja gestern im innerdeutschen Ausschuß Gelegenheit gehabt, darüber zu sprechen und die Dinge zur Kenntnis zu nehmen, die bei diesem in Vorbereitung befindlichen Vertrag für Sie von Bedeutung sind.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Berger.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wären Sie so liebenswürdig, mir zu erläutern, wie sich — auch im Hinblick auf eine mögliche Grenzverschiebung oder Grenzfestsetzung — die Zuständigkeit Ihres Hauses für einen Vertragsentwurf dieser Art begründet.
Frau Kollegin, dafür ist das Verkehrsministerium überhaupt nicht zuständig. Die Fragen der Grenzfestlegung — diese Fragen werden ja in der gemeinsamen Kommission erörtert — fallen natürlich in die Zuständigkeit des Bundesinnenministers. Wir sind nach Art. 32 des Verkehrsvertrages — Bildung der Verkehrskommission — für Fragen der prak-
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Parl. Staatssekretär Jungtischen Durchführung des Verkehrs zuständig, und hierunter fällt nun auch der Binnenschiffahrtsverkehr auf diesem Elbabschnitt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß der Wortlaut des Vertrages überhaupt noch nicht feststeht und daß es noch zahlreiche Artikel gibt, die bisher nur durch Punkte gekennzeichnet sind, und daß infolgedessen alle Inhaltsspekulationen in der Presse eben nur Spekulationen sind?
Herr Kollege Arndt, ich kann das nicht nur bestätigen, sondern ich habe in meinen Antworten bisher auch immer darauf hingewiesen, daß dies ein in Vorbereitung befindlicher Vertrag ist, d. h. daß die Formulierungen noch gar nicht endgültig feststehen und deswegen eine öffentliche Erörterung noch nicht möglich und sicher auch nicht sinnvoll ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lagershausen.
Herr Staatssekretär, wie begründet die Bundesregierung ihre ständigen Hinweise, daß es sich hier um eine Verhandlungsphase handle, die der Offentlichkeit vorläufig noch nicht zugänglich sei, nachdem der Verhandlungsgegenstand in den letzten Tagen wiederholt in der Presse erörtert worden ist?
Ich kann die Presse nicht veranlassen, über bestimmte Dinge zu schreiben bzw. nicht zu schreiben. Ich bin im Augenblick auch nicht in der Lage, festzustellen, ob das, was in der Presse erörtert wurde, exakt dem Vertrag entspricht oder ob in den Erörterungen nicht auch die eine oder andere Spekulation enthalten ist. Die zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages — ich muß hier feststellen, daß auch die Kollegen der Opposition diesen Ausschüssen angehören — haben aber eine Unterrichtung darüber erhalten. Wenn ich recht informiert bin, wurde gestern auch im Innerdeutschen Ausschuß über diesen Vertrag diskutiert.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung Äußerungen bekannt, die — wie hier die des Kollegen Arndt — die Position der anderen Seite stützen?
— Der DDR.
Einen Augenblick! Es ist für den amtierenden Präsidenten ungemein schwer, zu klären, ob diese Zusatzfrage noch genau in die Grundfrage hineinpaßt. Es entzieht sich einfach unserer Möglichkeit, dies hier genau zu definieren. Ich bitte Sie, in einer einfachen Form darzustellen, was Sie fragen, damit wir es verfolgen können.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung Äußerungen aus der DDR bekannt, die — wie das hier geschehen ist — die sachliche Position der anderen Seite stützen?
Ich kann im Augenblick nur für mich sprechen: mir sind solche Äußerungen nicht bekannt.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten von Wrangel.
Herr Staatssekretär, wären Sie — ungeachtet der Unterrichtung des Innerdeutschen Ausschusses durch die Bundesregierung — bereit, hier vor dem Hohen Hause zu erklären, daß die Bundesregierung — im Sinne der Menschenrechte — alles tun wird, um zu verhindern, daß die angemaßten Hoheitsrechte, die die DDR auf der Breite der Elbe ausübt, durch die Bundesregierung in Vereinbarungen mit der DDR legalisiert werden?
Herr Kollege von Wrangel, die Bundesregierung hat dies, wie ich glaube, bisher allein schon durch ihr Handeln und durch ihre Erklärungen in dem von Ihnen gewünschten Sinne der Menschenrechte getan.
Ich rufe die Frage 81 des Herrn Abgeordneten Grobecker auf:
Besteht eine Möglichkeit, seitens der Bundesregierung die deutsche Linienschiffahrt wettbewerbsfähiger zu machen, im Hinblick auf Ratenunterbietungen durch Handelsflotten aus Drittländern, insbesondere aus Staatshandelsländern?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Grobecker, ja, eine solche Möglichkeit, wie Sie sie andeuten, besteht, und zwar durch Anwendung des § 18 des Außenwirtschaftsgesetzes: Abschluß zweiseitiger Verträge und Zeichnung des Übereinkommens über einen Verhaltenskodex für Linienkonferenzen. Inwieweit diese Wege bzw. die eventuellen Auswirkungen zweckmäßig sind, wird zur Zeit geprüft.
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12300 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Grobecker.
Herr Staatssekretär, können Sie mir annähernd sagen, wie lange Ihre Prüfungen andauern werden?
Herr Kollege Grobecker, das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Ich kann Ihnen aber nochmals bestätigen, daß wir z. Zt. dabei sind zu prüfen.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Grobecker.
Herr Staatssekretär, halten Sie eine Aufnahme von Quotierungen der Frachten auf Gegenseitigkeit in solche Handelsverträge für möglich?
Dies ist durchaus möglich.
Keine weitere Zusatzfrage.
Der Abgeordnete Seefeld bittet zu Frage 82 um schriftliche Beantwortung. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 83 der Abgeordneten Frau Dr. Orth auf. — Die Fragestellerin ist nicht anwesend. Die Frage wird ebenso wie die Frage 84 der Abgeordneten Frau Dr. Orth schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 85 und 86 des Abgeordneten Dr. Jahn werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Die Frage 87 des Abgeordneten Dr. SchmittVockenhausen wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereiches angelangt. Ich darf Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Jung, für die Beantwortung danken.
Ich rufe auf den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Die Fragen 88 und 89 der Abgeordneten Frau Funcke werden auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 90 des Abgeordneten Höcherl auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird daher schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 91 und 92 des Abgeordneten Dr. Schneider werden auf Wunsch des Fragestellers schiftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereiches angelangt.
Ich rufe auf den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie.
Frage 93 des Abgeordneten Dr. Freiherr Spies von Büllesheim! — Der Fragesteller ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 94 und 95 des Abgeordneten Dr. Holtz werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 96 und 97 des Abgeordneten Pfeffermann werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 98 des Abgeordneten Lenzer auf:
Welche Mittel wurden von seiten des Forschungsministeriums für den Ankauf der Illustrierten „V — illustrierte Forschung für morgen", herausgegeben vom Neuen Vorwärts-Verlag Nau & Co., aufgewendet, und aus welchen Haushaltsmitteln stammen diese Mittel?
Zur Beantwortung, bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Hauff.
Herr Kollege Lenzer, für den Ankauf von 30 000 Exemplaren der Illustrierten „V-illustrierte Forschung für morgen" wurden 15 825 DM aufgewendet. Die Mittel stammen aus dem für allgemeine Öffentlichkeitsarbeit vorgesehenen Haushaltstitel 531 01 des Bundesministers für Forschung und Technologie.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Lenzer.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, auf welchem Wege die Zeitung verteilt werden soll?
Herr Kollege Lenzer, die Zeitung wird in Schulen, an Besuchergruppen, die in das Bundesministerium für Forschung und Technologie kommen, und an weitere interessierte Kreise verteilt,
unter anderem selbstverständlich auch im Rahmen der Großforschungseinrichtungen.
Zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Lenzer.
Herr Staatssekretär, ist es nicht als etwas problematisch zu betrachten, wenn hier mit öffentlichen Mitteln einem parteieigenen Verlag Hilfestellung geleistet wird?
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Herr Kollege Lenzer, ich glaube nicht, daß dies ausschlaggebend ist. Tatsache ist, daß dies eine der ganz wenigen, journalistisch ungewöhnlich gelungenen Darstellungen der schwierigen Materie der Forschungspolitik ist.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Jäger .
Herr Staatssekretär, sehen Sie es nicht als eine Umgehung der gesetzlich geregelten staatlichen Förderung der politischen Parteien an, wenn parteieigenen Verlagen auf diese Art und Weise öffentliche Mittel zugeführt werden?
Herr Kollege Jäger, ich glaube, daß den politischen Parteien im Rahmen des Grundgesetzes eine wohldefinierte Aufgabe zukommt. Wenn sie im Rahmen dieser Verantwortung auch Verlage unterhalten, so ist es selbstverständlich das Recht dieser Verlage, sich im Rahmen der üblichen Bewerbungsverfahren um entsprechende Aufträge zu bemühen.
Ich rufe die Frage 99 des Abgeordneten Lenzer auf:
In welchem Umfange hat das Ministerium direkt oder indirekt — sei es telefonisch oder schriftlich — darauf hingewirkt, daß Firmen in der erwähnten Zeitschrift „Forschung für morgen" geworben haben?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Lenzer, das Ministerium hat weder direkt noch indirekt telefonisch oder schriftlich auf die Firmenwerbung in der Zeitschrift „V — illustrierte Forschung für morgen" Einfluß genommen.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Lenzer.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, auf welchem Wege die Akquisition dieser Anzeigen geschehen ist?
Dies geschieht außerhalb des Verantwortungsbereichs des Bundesministers für Forschung und Technologie.
Zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Lenzer.
Herr Staatssekretär, könnte man nicht den Eindruck gewinnen, daß hier die Firmen, die ja Zuwendungsempfänger des Bundesministers für Forschung und Technologie sind, inserieren, um möglicherweise für Klimaverbesserungen im BMFT zu sorgen?
Ich glaube, daß die Firmen, die in dieser Absicht Inserate in der Zeitschrift aufgegeben haben, auf Sand gebaut haben.
Ich rufe die Frage Nr. 100 des Abgeordneten Dr. Stavenhagen auf:
Welche Firmen in der Bundesrepublik Deutschland mit maßgeblicher nichtdeutscher Beteiligung haben im Jahr 1971 bis heute Forschungszuwendungen vom Bundesministerium für Forschung und Technologie erhalten, und welche sachlichen und industriepolitischen Überlegungen waren für derartige Zuwendungen maßgebend?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Stavenhagen, auf eine Frage des Abgeordneten Pfeffermann in der Fragestunde des Deutschen Bundestages vom 13. Juni 1973 zur gleichen Thematik hatte ich vor allem darauf hingewiesen, daß die Förderung von im Inland ansässigen Unternehmen mit ausländischer Mehrheitsbeteiligung von Fall zu Fall zu entscheiden ist, und hierfür einige Beispielsfälle und Kriterien genannt. Ich möchte dennoch die hierbei geltenden Grundsatzüberlegungen noch etwas verdeutlichen und Ihnen die wichtigsten hieraus abgeleiteten Kriterien nennen.Grundsätzlich ist bei Forschungs- und Entwicklungsvorhaben von Unternehmen mit ausländischer Mehrheitsbeteiligung zu berücksichtigen, daß— die staatliche Förderung einen günstigen Einfluß auf den weiteren Ausbau der FE-Kapazitäten der inländischen Tochtergesellschaften hat,— FE andererseits nicht losgelöst von der inländischen Fertigung geschieht und daher— auch einhergehen wird mit dem Ausbau technologieintensiver und zukunftsträchtiger Fertigungsbereiche in der Bundesrepublik Deutschland, mit entsprechend wertvollen Arbeitsplätzen und positiven Wirkungen für die Gesamtwirtschaft.Dies gilt insbesondere dann, wenn— die Geschäftstätigkeit des betreffenden Unternehmens auf dem geförderten Gebiet im Inland auf Dauer angelegt und nicht ausschließlich oder ganz überwiegend zur Versorgung des Inlandmarktes ausgelegt bzw.— eine gewisse Konzentration der Fertigung auf dem geförderten Gebiet auf die in der Bundesrepublik ansässige Tochtergesellschaft festzustellen ist.Hieraus und aus den allgemein für die Förderung industrieller FE geltenden Grundsätzen sind vor allem folgende — gewiß nicht starr anzuwendende — Kriterien für die Förderung von Unternehmen mit ausländischer Mehrheitsbeteiligung abzuleiten:1. Das inländische Unternehmen muß über eine leistungsfähige FE-Kapazität verfügen.2. Es muß eine Gewähr dafür bestehen, daß die FE-Ergebnisse im wesentlichen in der Bundesrepublik zur Anwendung kommen, wobei ein Austausch gegen gleichwertige Ergebnisse verbundener Un-
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Parl. Staatssekretär Dr. Hauffternehmen im Ausland keineswegs von Nachteil sein muß.3. Die Förderung muß insgesamt mit den Zielen einer auch zukünftig leistungsfähigen Industriestruktur in der Bundesrepublik — bei ausgewogenen Wettbewerbsverhältnissen — vereinbar sein.Im Einzelfall kann darüber hinaus eine Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen — etwa im Rahmen gemeinsamer Entwicklungsprogramme — eine positive Förderungsentscheidung rechtfertigen.Auf der Grundlage solcher Überlegungen hat daher der Bundesminister für Forschung und Technologie in der Vergangenheit eine Reihe von Unternehmen mit ausländischer Mehrheitsbeteiligung gefördert. Die wichtigsten — mit einem Förderungsbetrag von mehr als 1 Million DM im Jahre 1974 — sind:— Die BBC AG, Mannheim, einschließlich der Mehrheitsbeteiligung Hochtemperatur-Reaktorbau GmbH;— deutsche Philips-Unternehmen, vor allem Philips Electrologica GmbH, Valvo GmbH und C. H. F. Müller GmbH;— die Standard-Elektrik Lorenz AG, Stuttgart;— Triumph-Werke Nürnberg AG.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Stavenhagen.
Herr Staatssekretär, können Sie die ungefähre Höhe des Gesamtvolumens der Förderung ausländischer Firmen bekanntgeben?
Nein, Herr Kollege Stavenhagen, aber ich bin gern bereit, Ihnen diese Zahl nachzureichen.
Ich rufe die Frage Nr. 101 des Abgeordneten Dr. Stavenhagen auf:
In welchem Umfange haben Firmen in der Bundesrepublik Deutschland mit maßgeblicher ausländischer Beteiligung Forschungs- und Entwicklungslabors in der Bundesrepublik Deutschland, und gibt es Zahlen über die Zahlung von Lizenzen seitens ausländischer Tochterfirmen in der Bundesrepublik Deutschland an ihre ausländischen Muttergesellschaften?
Bitte, zur Beantwortung, Herr Staatssekretär.
Bei der Förderung der industriellen Forschung und Entwicklung durch den Bundesminister für Forschung und Technologie ist die Beurteilung der beabsichtigten Forschungs- und Entwicklungsarbeiten im Rahmen der Förderungsprogramme des Bundesministers für Forschung und Technologie nach ihrer Aktualität in technisch-wissenschaftlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht sowie die auf dem betreffenden Gebiet vorhandene technologische Kompetenz und Erfahrung des Unternehmens — auch im Hinblick auf die spätere Umsetzung und Anwendung der Ergebnisse — für eine Bewilligung maßgebend.
Dabei ist hinsichtlich der Forschungs- und Entwicklungskapazität deren Leistungsfähigkeit auf
dem geförderten Gebiet und nicht deren Umfang entscheidend. Angaben über den Gesamtumfang von Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen werden daher im Bewilligungsverfahren nicht verlangt. Entsprechende Angaben können dementsprechend weder für deutsche noch für inländische Unternehmen mit ausländischer Mehrheitsbeteiligung gemacht werden.
Die Deutsche Bundesbank hat zuletzt in ihrem Monatsbericht vom Oktober 1974 über die Entwicklung des Patent- und Lizenzverkehrs mit dem Ausland — wie er im Rahmen der Zahlungsbilanzstatistik ermittelt wird — berichtet. Sie hat dabei auch — soweit Lizenzzahlungen oder -einnahmen für ein Unternehmen von mehr als 1 Million DM im Jahr gemeldet wurden — die Einnahmen und Ausgaben deutscher Unternehmen mit denen von Unternehmen mit maßgeblicher ausländischer Beteiligung verglichen. Danach haben die Unternehmen mit maßgeblicher ausländischer Kapitalbeteiligung im Jahre 1973 insgesamt 966,4 Millionen DM Lizenzzahlungen an das Ausland geleistet und 26,5 Millionen DM eingenommen. Die Ausgaben dieser Unternehmen erreichten damit 67,2 % aller an das Ausland gezahlten Lizenzgebühren. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, daß für die Festsetzung der Höhe von Lizenzeinnahmen zwischen verbundenen Unternehmen, vor allem gegenüber der Muttergesellschaft, sicherlich andere Maßstäbe gelten, als sie im freien Lizenzverkehr üblich sind bzw. durchgesetzt werden können.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Stavenhagen.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie Lizenzzahlungen von Töchtern ausländischer Muttergesellschaften unter steuerrechtlichen Aspekten?
Herr Kollege Stavenhagen, ich bitte Sie, diese Frage an den Bundesminister der Finanzen zu richten, da ,der Bundesminister für Forschung und Technologie keinerlei Federführung auf dem. Gebiet der Steuergesetzgebung hat.
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereiches angelangt. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Hauff.Wir kommen dann noch zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die Fragen 102 und 103 des Abgeordneten Dr. Schwörer werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Die Fragen 104 und 105 des Abgeordneten Kaffka werden auf Wunsch des Fragestellers ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Damit haben wir, was selten geschieht, in dieser Woche alle Fragen in der Fragestunde abhandeln können.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975 12303
Vizepräsident von HasselBevor wir diesen Tagesordnungspunkt verlassen, erteile ich zur Abgabe einer persönlichen Bemerkung nach § 35 unserer Geschäftsordnung dem Abgeordneten Dr. Arndt das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Abgeordnete Lagershausen hat während der Fragestunde hier zum Ausdruck gebracht, ich nähme mit meinen Zusatzfragen die Interessen der anderen Seite — der DDR — bei der Ausarbeitung des in Frage stehenden Vertrages wahr. Er hat damit zum Ausdruck gebracht, ich unterstützte als Mitglied dieses Hauses bewußt in einer schwierigen Verhandlungssituation der Bundesregierung die Interessen des kommunistischen Verhandlungspartners.
Ich erkläre dazu, daß ich mich bei der Wahrung der Interessen und Rechte aller Deutschen von niemandem übertreffen lasse und es bedaure, daß versucht wird, eine rechtlich begründete Stellungnahme, die ich hier in Ausübung dieser meiner Verantwortung als frei gewählter Abgeordneter dieses Hauses abgegeben habe, in die Nähe intellektuellen Landesverrats zu rücken.
Damit ist Punkt 1 der Tagesordnung erledigt.Wir fahren in der Aussprache zum Tagesordnungspunkt 13 a, b und c fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sund.'Sund : Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Wir haben über mehrere Schwerpunkte zu diskutieren, die eng miteinander verbunden sind und doch einer Einzelwürdigung bedürfen, wenn die Debatte praktische Vorstellungen klären und praktische Nutzanwendungen bringen soll. Dazu gehört die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen, dazu gehören die Fragen der ärztlichen Versorgung, dazu gehört die Kostenverteilung zwischen Krankenversicherung und Rentenversicherung.Ich möchte mich mit dem von der Bundesregierung vorgelegten Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetz befassen, und ich möchte zugleich darauf hinweisen, daß meine Freunde das Gesamtproblem von anderen Schwerpunkten her behandeln werden. Bei dieser schwierigen Materie könnten wir sonst Gefahr laufen, schließlich auf einem so allgemeinen Niveau zu reden, daß niemand mehr einen praktischen Nutzen davon hätte.Neben dem kassenarztrechtlichen Teil enthält der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetzes einen zweiten Schwerpunkt. Dabei geht es in erster Linie um die Verteilung der finanziellen Aufwendungen, die der Solidargemeinschaft der Sozialversicherten aus der Versorgung unserer älteren Mitbürger mit gesundheitlichen Leistungen erwachsen. Die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Änderungen stellen einen bemerkenswerten praktischen Beitrag zur Gestaltung und Organisation des Feldes der Krankenversicherung dar. Ich meine, daßes wichtig ist, den auf den ersten Blick nur technisch erscheinenden Teil einmal auf seinen Gehalt hin gründlicher zu durchleuchten.Bei der Finanzierung der Rentnerkrankenversicherung stoßen wir nun auf eine Reihe sehr wichtiger Fragen, die es wert sind, daß man einmal versucht, alle Polemik und allen Streit im einzelnen beiseite zu schieben und zunächst zu fragen, wo es eigentlich zwischen uns Übereinstimmung gibt und in welchen Punkten wir von gemeinsamen Ausgangsüberlegungen an die Sache herangehen können.Ich halte es wirklich nicht für angemessen, wenn hier mit Schlagzeilen Stimmung gemacht werden soll, wie das Herr Staatssekretär Vorndran aus Bayern versucht, wenn er die Probleme der AOK Wetzlar hier einführt. Sicherlich hilft da eine genaue Information etwas weiter. Wenn man sich informiert, muß man feststellen, daß die Presse zwar eine Schlagzeile gebracht hat, die da heißt, die AOK Wetzlar müsse den Konkurs anmelden; aber wie das üblich ist — —
— Herr Kollege Franke, ich lese auch andere Zeitungen. Ich darf mich in diesem Fall etwa auf die „Frankfurter Neue Presse" beziehen. — Ich möchte doch meinen, daß es notwendig ist, in einem solchen Zusammenhang auch einmal unter der Schlagzeile weiterzulesen, insbesondere dann, wenn man meint, damit hier eine Debatte würzen zu müssen, wobei ich mit dem Wort „würzen" ein bißchen zu vornehm bin; denn hier werden doch in der Tat mit solchen Schlagzeilen Stimmungen gekocht.Sie alle wissen — und ich muß hier doch nicht einen Staatssekretär belehren —, daß die Ortskrankenkassen gesetzlich verpflichtet sind, eine drohende Zahlungsunfähigkeit dadurch abzuwenden, daß sie durch Satzungsänderung entweder die Leistung bis auf Regelleistungen mindern oder die Beiträge erhöhen. Und was ist geschehen? Die AOK Wetzlar hat mit Wirkung vom 1. Juli dieses Jahres die Beiträge von 10,6 auf 12 % erhöht.Wenn man sich die Information über die Ursache ansieht, dann ist man mitten in dem Thema, über das wir hier reden. Darin heißt es nämlich, daß die Hauptursache für die Zahlungsschwierigkeit nach Auskunft des Geschäftsführers nicht voraussehbare hohe Abrechnungen des Kreis- und Stadtkrankenhauses Wetzlar seien, das 1974 durch einen Neubau seine Bettenkapazität auf fast das Doppelte erhöhte und 15 000 Belegtage mehr als im vergangenen Jahr abgerechnet hat. Ich meine, wenn man ganz ruhig und unpolemisch — —
— Sicherlich kann ein solches Bedürfnis bestanden haben. Aber, Herr Kollege Franke, was hat es für einen Sinn, jetzt mit solchen Schlagzeilen zu operieren? Wir wissen doch genau: wenn hier Vergleiche mit durchschnittlichen Belegungszahlen bei den einzelnen Krankenhäusern mit der Verweildauer an-
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Sundgestellt werden, dann stellt man fest, daß es einen engen Zusammenhang zwischen Krankenhauskapazitäten und einer Häufung überdurchschnittlicher Verweildauer an bestimmten Punkten gibt. Ich möchte das hier ohne alle Schärfe sagen, weil wir es im Grunde alle wissen und nachlesen können. Solche Schlagzeilen sollten wir aus unserer Diskussion heraushalten, insbesondere auch deswegen, weil der Gesetzentwurf, der heute hier mit zur Beratung ansteht, gerade in solchen Fällen die Möglichkeit der Vereinigung von Krankenkassen zur Stärkung von Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit vorsieht. Ich weiß: Wenn man zwei Kranke in ein Bett steckt, wird kein Gesunder daraus. Ich weiß aber auch, daß es eine Reihe außerordentlich kleiner und wenig leistungsfähiger Krankenkassen gibt. Hier eröffnet das Gesetz die Möglichkeit zu einer aus eigener Verantwortung entschiedenen Stärkung durch Herbeiführung der entsprechenden Kassengrößen.Wenn wir gemeinsame Ausgangspositionen miteinander klären wollen, dann möchte ich folgendes fragen:Erstens. Stimmen wir eigentlich darin überein, daß die von uns angestrebte Stärkung von Verantwortung in der sozialen Krankenversicherung nicht nur eine Forderung an die Versicherten sein kann, sondern daß es sich hierbei um eine Frage handelt, die an alle Beteiligten gerichtet werden muß, also auch an die Ärzte, alle im Gesundheitsdienst und in der Selbstverwaltung Tätigen und schließlich an uns?Zweitens. Stimmen wir darin überein, daß Stärkung von Verantwortung nicht in eine Kostenbeteiligung der Versicherten einmünden darf? Wäre eine Kostenbeteiligung nicht der falsche Weg? Ist in einem Bereich, der ohne die Solidarität nicht gestaltet werden kann, die Stärkung von Selbstverwaltung nicht die richtige Konsequenz?
— Ich glaube, Sie haben meinen Fragen hier nicht ganz zugehört. Ich versuche doch nichts anderes, als eine gemeinsame Ausgangsgrundlage für unsere Diskussion zu klären, damit wir hier ohne Zorn und Eifer über Probleme sprechen können, die wir nur ohne Zorn und Eifer lösen können.Drittens. Stimmen wir darin überein, daß die Kostenentwicklung des Gesundheitswesens nicht nur eine Schlüsselursache hat, sondern viele? Ich glaube, auch da wird sich kein Widerspruch ergeben.Viertens. Stimmen wir darin überein, daß eine schrittweise Umgestaltung überkommener Formen und Strukturen versucht werden muß, um Unzuträglichkeiten und Unverträglichkeiten im System des Gesundheitswesens zu beseitigen? Unser Gesundheitswesen muß doch nicht revolutioniert, es muß verbessert werden.Fünftens. Können wir nicht darin zu einer Übereinstimmung kommen, daß die vielen Entwürfe und Vorschläge für Veränderungen geradezu ein Beweis für eine Reformbedürftigkeit sind?Sechstens. Stimmen wir darin überein, daß es sich bei der Finanzierung der Rentnerkrankenversicherung im Grunde um eine Auseinandersetzung über Modalitäten und Institutionen und weniger um einen Streit über die Interessen der Beitragszahler und der Rentner handelt? Was sollen eigentlich die alten Menschen denken, wenn sie uns ständig über Details der Aufwandsverteilung streiten hören? Sie müssen doch angesichts der technizistischen Argumente unsicher und enttäuscht zugleich sein.Wenn wir von einer solchen Plattform aus versuchen, den vorliegenden Gesetzentwurf und den Teil, den ich hier behandeln möchte, zu besprechen, dann stellen wir fest, daß dieser Gesetzentwurf darauf abzielt, die Finanzierung der Krankenversicherung der Rentner für die nächsten Jahre zu konsolidieren und die Beitragszahler der Krankenversicherung durch einen Belastungsausgleich ausgewogener als bisher an den Aufwendungen für die Rentner zu beteiligen.
Welche Schwächen die derzeitige Regelung der Beitragsaufbringung und der geltende Belastungsausgleich aufweisen, hat der Herr Bundesarbeitsminister heute morgen dargelegt.Wie die Bundesregierung will es auch die sozialdemokratische Bundestagsfraktion nicht länger hinnehmen, daß die Beitragszahler einzelner Kassen grob unterschiedlich mit den Aufwendungen für die Krankenversicherung der Rentner belastet werden. Eine einseitige Belastung widerspricht dem Solidarprinzip.Die Krankenversicherung der Rentner bedarf der Solidarität in mehrfacher Hinsicht. Wir brauchen den Solidarausgleich zwischen den Generationen. Wir brauchen eine gleichmäßige Belastung der einzelnen Kassen und eine Verteilung der Aufwendungen, die sich an der Leistungsfähigkeit des Beitragszahlers orientiert. Natürlich ist eine Darstellung der Regelungen im einzelnen — und sie ist wichtig — nicht dazu geeignet, Sie hier von den Sesseln zu reißen. Aber trotzdem müssen wir versuchen, uns noch einmal die beiden Kernpunkte dieses stufenweisen Ausgleichsverfahrens zu verdeutlichen, das uns dem Ziel einer gerechten Verteilung der Aufwendungen sehr nahe bringt.In der ersten Stufe wird zunächst einmal der durch die Rentenversicherung nicht gedeckte Teil der gesamten Leistungsaufwendungen für die Rentner auf die einzelnen Krankenkassen mit einem gleichen Betrag je beitragszahlendes Mitglied aufgeteilt. Die einzelne Krankenkasse vervielfacht den Belastungsbetrag mit der Zahl ihrer beitragszahlenden Mitglieder und erhält so ihren Finanzierungsanteil, den sie ihrem Leistungsaufwand gegenüberstellt. Die Differenzen werden sodann unter den Kassen durch Verrechnung mit den von den Krankenkassen einzuziehenden Rentenversicherungsbeiträgen ausgeglichen. Das ist ein relativ einfaches und glattes Verfahren, das auch keinen überflüssigen Verwaltungsaufwand beinhaltet. Im übrigen haben die Rentenversicherungsträger gewissermaßen die Funktion einer Clearing-Stelle.
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SundIn der zweiten Stufe steckt nun ein höchst interessanter Vorgang. Wenn nämlich der Regierungsentwurf den Bundesverbänden der Krankenkassen sowie den Verbänden der Ersatzkassen das Recht einräumt, für ihren Bereich durch Satzung einen Belastungsausgleich zu beschließen, durch den die Belastung aus der Rentnerkrankenversicherung auf die Mitglieder der Kassen in den einzelnen Verbänden bis zu einem gleichen Anteil vom Grundlohn ausgeglichen wird und wenn der gesetzliche Ausgleich und der Belastungsausgleich durch die Verbände vorgenommen . werden, so ergibt sich nach Berechnungen des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung eine weitgehend gleichmäßige Belastungsstruktur bezogen auf die Grundlohnsumme. Die Belastung der Kassen gleicher Kassenart, also z. B. der Allgemeinen Ortskrankenkassen untereinander oder der Innungskrankenkassen untereinander, würde sich überhaupt nicht unterscheiden. Geringe Abweichungen gäbe es nur zwischen den Kassenarten.An dieser Stelle — und deswegen der Versuch einer solchen knappen wiederholenden inhaltlichen Würdigung des Entwurfs — aus der Sicht der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion eine politische Bewertung des beabsichtigten Ausgleichsverfahrens: Es ist als Pluspunkt hervorzuheben, daß mit dem gesetzlichen Ausgleich der Versuch unternommen wird, einen Finanzausgleich über die Grenzen der Kassenarten hinweg zu begründen. Diesen haben die Kassen bisher aus eigener Kraft nicht zustande gebracht. Die Selbstverwaltungen der Verbände sollten sich der Notwendigkeit nicht verschließen, in ihren Bereichen tatsächlich den weiteren Belastungsausgleich durchzuführen. Der Belastungsausgleich der Verbände fügt sich in das historisch gewachsene gegliederte System der sozialen Krankenversicherung ein. Wir Sozialdemokraten verkennen jedoch nicht, daß die aus der Rentnerkrankenversicherung entstehende Belastung insofern nicht völlig gleich ausfallen wird, als die Kassenarten mit relativ niedriger Grundlohnsumme geringfügig stärker als andere Kassen belastet werden. Im Klartext: Das bedeutet doch, daß solche Kassen, die einen hohen Anteil von Auszubildenden unter den Versicherten haben oder die andere Gruppen mit einem relativ niedrigen Beitragsaufkommen zu ihrem Versichertenkreis zählen, in einem Belastungsausgleich besonders hilfsbedürftig, ausgleichs- und stärkungsbedürftig sind. Daher behalten wir uns vor, diese Frage bei den weiteren Beratungen sorgfältig zu überprüfen. Offensichtlich zeigt es sich hier, daß die Ersatzkassen noch stärker Solidarität einüben müssen, so wie es andere Kassen schon in der Vergangenheit tun konnten und tun mußten. Wir sind davon überzeugt, daß die versicherten Angestellten dafür Verständnis aufbringen werden. Der Satz „Einer trage des anderen Last" ist nicht nur für die Portale von Krankenkassengebäuden bestimmt.Der Regierungsentwurf sieht darüber hinaus eine Reihe von Regelungen vor, die das Verhältnis von Rentenversicherung und Krankenversicherung bei der Finanzierung der Krankenversicherung der Rentner betreffen. Auch diese Änderungen, und zwar die Festsetzung der Beiträge der Rentenversicherungsträger auf 11 % der Rentenausgaben, die Nichterstattung von zwischen 1971 und 1974 erfolgten Überzahlungen der Rentenversicherung sowie die Übergangszahlungen für dieses und möglicherweise die beiden nächsten Jahre an die Krankenkassen hat der Bundesarbeitsminister erläutert. Ich möchte mich daher auch. in diesem Punkte auf einige politische Anmerkungen konzentrieren.Obwohl weithin Übereinstimmung darüber zu bestehen scheint, daß es solidarische Pflicht der erwerbstätigen Generation ist, für den Aufwand der Rentnerkrankenversicherung einzustehen, wird viel darüber diskutiert und leider auch polemisiert, über welchen Sozialversicherungsträger denn die Kosten aufgebracht werden sollen. Diese Auseinandersetzung zeigt, daß offenbar die Neigung immer noch weit verbreitet ist, derartige Fragen nicht aus der Perspektive des beitragzahlenden Versicherten, sondern vielmehr unter institutionellen Gesichtspunkten zu betrachten. Einem solchen engen Institutionsdenken wollen wir keinen Vorschub leisten. Es läßt sich einfach nicht schlüssig begründen, weshalb es gerechter sein soll, den Aufwand stärker über die Renten- als über die Krankenversicherung zu finanzieren.Lassen Sie mich versuchen, die Rolle eines typischen Arbeitnehmers einzunehmen, der sowohl Beiträge für die Renten- als auch für die Krankenversicherung zu zahlen hat. Für diesen Arbeitnehmer muß es sich letztlich wie ein Streit um des Kaisers Bart darstellen, wenn man darüber rechtet, ob die finanziellen Aufwendungen für die Krankenversicherung der Rentner auf seinem Lohn- oder Gehaltsstreifen unter der Rubrik Krankenversicherung oder Rentenversicherung erscheinen sollen. Wer wie Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, unter Hinweis auf steigende Beitragssätze in der Krankenversicherung fordert, die Rentenversicherung stärker zu belasten, der muß dann auch den Mut haben, daraus Konsequenzen zu ziehen. Die schlichte Folge wäre nämlich eine Erhöhung der Beitragssätze in der Rentenversicherung,
es sei denn, Sie wären bereit, die solide finanzielle Basis der Rentenversicherung zu erschüttern. Ich versuche, durchzuspielen, welche Möglichkeiten es gibt. Es mutet schon etwas merkwürdig an, wenn einerseits von Ihnen ständig die Solidität der Rentenversicherung angezweifelt wird, Sie aber andererseits der Rentenversicherung eine größere Last aufbürden wollen. Sie müßten dann die Konsequenz ziehen und die Courage aufbringen, in diesem Hause eine Anhebung des Beitragssatzes in der Rentenversicherung zu beantragen.
Was die sachliche Beurteilung des Finanzierungsanteils der Rentenversicherungsträger an der Krankenversicherung der Rentner anbelangt, so wird vielfach übersehen, daß die Personenkreise der Beitragszahler zur Rentenversicherung und zur Kran-
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Sundkenversicherung weitgehend identisch sind, und zwar zu 93 %. Je höher der Finanzierungsanteil der Rentenversicherung ist, desto niedriger sind zwar die Krankenkassenbeiträge, desto höher muß aber auch der Beitragssatz zur Rentenversicherung sein. Das ist doch eine ganz einfache Rechnung. Daher wird die Gesamtbelastung der Beitragszahler mit Sozialabgaben nicht spürbar durch die Ausgestaltung der Finanzierung der Rentnerkrankenversicherung beeinflußt. Es würde die Diskussion sicherlich versachlichen, wenn man diesen Aspekt mehr berücksichtigte.Mehr noch: Entgegen einer vielfach geäußerten Annahme bringt eine stärkere Inanspruchnahme der Rentenversicherung den Arbeitnehmern schon deshalb keine Vorteile, weil die Zahl der Beitragszahler in der Rentenversicherung nicht größer, sondern kleiner als die in der Krankenversicherung ist. Im Jahre 1971 entrichteten rund 20 Millionen Personen Rentenversicherungs-, aber rund 22,3 Millionen Krankenversicherungsbeiträge. Der Anteil der Krankenversicherung an den Aufwendungen für die Rentner wird also auf mehr Schultern verteilt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat übrigens auf diesen Sachverhalt mehrfach hingewiesen. Wie wir uns auch immer drehen und wenden, es bleibt dabei, daß alle Sozialleistungen nur aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode stammen können. Alles andere sind Rechenspiele, die bei der Lösung dieses Problems nicht weiterhelfen.Der Gesetzentwurf der Bundesregierung verstärkt durch seine Verteilungs- und Ausgleichsverfahren für die Krankenversicherung der Rentner das Solidarprinzip, das die soziale Krankenversicherung charakterisiert. Dabei ergibt sich allerdings das Problem, ob es weiterhin sozial vertretbar ist, daß die Beitragszahler der Krankenversicherung etwa die Hälfte der Kosten auch für solche Rentner übernehmen, die in ihrem Arbeitsleben keine oder kaum Krankenversicherungsbeiträge gezahlt haben.
Der Kreis solcher Rentner vergrößert sich als Folge der generellen Öffnung der Rentenversicherung. Tatsächlich werden oftmals durch niedrige Beiträge Miniansprüche in der Rentenversicherung aufgebaut, in Wirklichkeit nur, um später die beitragsfreie Rentnerkrankenversicherung ausnutzen zu können. Hier wird das Solidarprinzip verletzt. Dem will die Bundesregierung zu Recht einen Riegel vorschieben. Es ist vorgesehen, daß künftig diejenigen Rentner, die nicht mindestens 20 Jahre in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert waren, einen zusätzlichen Beitrag in Höhe von 2 % ihres Renteneinkommens zu entrichten haben. Für diesen Beitrag soll selbstverständlich die Beitragsbemessungsgrenze gelten. Der Beitrag wird auf Renten erhoben, auf die ein gesetzlicher Anspruch besteht. Beruht der Eintritt des Versicherungsfalles in der Rentenversicherung auf besonderen Ereignissen, wird die Vorversicherungszeit als erfüllt unterstellt — eine sehr gerechte und konsequente Regelung, wie wir meinen.Wir müssen bei der Diskussion über diesen Zusammenhang den Rentnern die Angst nehmen. Einengenerellen Beitrag der Rentner zur Krankenversicherung gibt es nicht. Sie werden nach wie vor beitragsfrei der gesetzlichen Krankenversicherung angehören.Ein letzter Punkt bedarf der politischen Ausleuchtung. Der Gesetzentwurf sieht vor, die Garantiehaftung der Gemeinden für die Ortskrankenkassen abzuschaffen. Die Bundesregierung sieht sich bei diesem Vorschlag in die Pflicht genommen, weil das Bundessozialgericht entschieden hat, die bisherige Form der Garantiehaftung widerspreche dem Grundgesetz. Eine Garantiehaftung paßt auch, wenn wir konsequent sind, nicht zu einer modernen Krankenkasse, die aus den Kinderschuhen Bismarckscher Sozialversicherungsanfänge längst herausgewachsen ist. Zudem kann man die Situation einer Krankenkasse nicht von der finanziellen Leistungsfähigkeit einer Kommune abhängig machen. Die Ersatzkassen beweisen, daß es ohne eine öffentliche Gewährsträgerschaft geht. Darüber hinaus ist die Garantiehaftung kein brauchbares Instrument, die Beitragsentwicklung zu dämpfen. Eine Haftung des Bundes bei den Ortskrankenkassen könnte in die Sackgasse einer Steuerfinanzierung hineinführen und würde die Verantwortung der Selbstverwaltungen aushöhlen.Die Finanzierungsprobleme der Krankenversicherung im allgemeinen und die der Rentner im besonderen müssen mit anderen Instrumenten angegangen werden. Die Fragen, die dabei beantwortet werden müssen, sind schwierig. Die Krankenversicherung der Rentner verursacht nicht zuletzt deshalb steigende Kosten, weil sich der medizinische Fortschritt, weil sich eine höhere Lebenserwartung, die den Altersaufbau der Bevölkerung beeinflußt, und ein hohes Krankheitsrisiko gerade in diesem Bereich deutlich niederschlagen. Der Politiker sieht sich hier teilweise Tatsachen und Tendenzen gegenüber, bei denen politische Steuerungsmechanismen nicht greifen, ja, sich weitgehend einer politischen Einflußnahme überhaupt entziehen. Das gilt z. B. für alle Entwicklungen hinsichtlich des Altersaufbaus der Bevölkerung. Allein deshalb wird man dem Diskussionsgegenstand in keiner Weise gerecht, wenn man die Ebene rationaler Argumentation verläßt und die Krankenversicherung und die gesundheitliche Versorgung der Rentner polemischen Auseinandersetzungen preisgibt.Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist in seinem Teil, der sich auf die Verteilung des Finanzaufwandes für die Rentnerkrankenversicherung zwischen der Renten- und der Krankenversicherung erstreckt, als Zwischenlösung konzipiert. Wir gewinnen also Zeit, eine definitive Regelung sorgfältig zu diskutieren und vorzubereiten. Verschiedene Gruppen der Sachverständigenkommission zur Weiterentwicklung der Krankenversicherung haben unterschiedliche Vorschläge gemacht, z. B. die Kosten für die Rentnerkrankenversicherung nur über die Rentenversicherung oder nur über die Krankenversicherung aufzubringen. Derartige Lösungen — der Herr Bundesarbeitsminister hat darauf hingewiesen — hätten einschneidende Konsequenzen für den
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Sund) jeweils betroffenen Sozialversicherungsbereich. Sie sind aber denkbar.Man kann eine solche Umgestaltung nicht übers Knie brechen. Alle sind aufgefordert, an einer soliden langfristigen Regelung mitzuarbeiten. Die Bundesregierung hat das Ihre getan, indem sie einen akzeptablen, einen ausgewogenen Gesetzesvorschlag anbietet, der jetzt möglich ist und insgesamt die Situation der Rentnerkrankenversicherung stabilisiert. Wir werden das Unsere tun, die Beratungen im Ausschuß intensiv und zügig zu führen.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wäre versucht, erst einmal auf die Eingangsworte des Kollegen Sund einzugehen. Aber da ich die Probleme im Laufe meiner Ausführungen sowieso berühre, möchte ich darauf verzichten.
Am 11. Juni 1974, also fast genau vor einem Jahr, begründete ich von dieser Stelle aus einen CDU/CSU-Antrag vom 25. März 1974, nach dem die Bundesregierung ersucht werden sollte, dem Bundestag unverzüglich einen Gesetzentwurf über die Neuregelung der Rentnerkrankenversicherung im Sinne der Empfehlung der Sachverständigenkommission vorzulegen. Damals kündigten Sie, Herr Kollege Sund, im Namen der Koalition einen Gesetzentwurf der Bundesregierung an, „so daß" — so heißt es wörtlich — „wir uns nach der Sommerpause mit einer entsprechenden Vorlage befassen können". Sie haben nur nicht gesagt, nach welcher Sommerpause.
Damit war nach dem Willen der selbstherrlichen Koalitionsmehrheit
: Das ist so
der Stil dieser Mehrheit!)das Schicksal unseres Antrages besiegelt,
nämlich er blieb und bleibt im Ausschuß liegen, biser sich von selbst erledigt. Das ist die neue Methode.
Wenn Herr Bundesminister Arendt dem Gesetzgeber empfiehlt, nun zügig zu beraten, dann kann man sich auf Grund der Daten, die ich soeben genannt habe, wie der Berliner sagt, nur wundern.
Diese Daten sagen doch eine ganze Menge. Heute findet nun endlich die erste Lesung der damals angekündigten Regierungsvorlage statt. Sie entspricht aber weder der Empfehlung der Sachverständigenkommission noch enthält sie auch nur den geringsten Ansatz einer dringend gebotenen Reform der sozialen Krankenversicherung. Der vorliegende Entwurf eines Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetzes ist weiß Gott kein Glanzstück und hat auch nur vorläufigen Charakter. Die CDU/CSU-Fraktion ist jedoch der Auffassung, daß bei dieser Gelegenheit nicht nur Einzelprobleme — die Sie hier vorgetragen haben — wie die kassenärztliche Versorgung und die Finanzierung der Krankenversicherung der Rentner zur Diskussion stehen, sondern auch die gesamte Problematik der Kosten- und Beitragsentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die vom rheinland-pfälzischen Sozialminister im September 1974 der Offentlichkeit übergebene Analyse der Kostenentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung bis 1978 hat man an zuständiger Stelle — so hat man wenigstens den Eindruck, Herr Minister — arroganterweise nicht zur Kenntnis genommen — so tut man wenigstens. Daran ändert auch die plötzliche Geschäftigkeit auf diesem Gebiet seitens der Regierungsmitglieder nichts.Mit dieser Analyse wurde erstmals, und zwar durch die Opposition, die bedenkliche Entwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung sichtbar gemacht. Inzwischen sind die Vorausschätzungen auch von den Krankenkassen und ihren Verbänden bestätigt und ergänzt worden. Insgesamt ergibt sich, daß die weitere Entwicklung, falls in absehbarer Zeit nichts Entscheidendes auf dem Gebiete des Gesundheitswesens geschieht, zu Belastungen der Versicherten führt, die nicht widerspruchslos hingenommen werden können.Sie, Herr Bundesarbeitsminister, haben in der Etatdebatte am 20. März dieses Jahres noch so unbekümmert erklärt, im Durchschnitt sei der Krankenkassenbeitrag in den Jahren von 1970 bis 1974 ja nur um 2 % gestiegen. „Das bedeutet," so sagten Sie, „daß der einzelne Versicherte um 1 % belastet wurde; denn die andere Hälfte zahlt ja der Arbeitgeber." Dazu ist zu sagen: erstens ist der Durchschnittsbeitrag inzwischen weiter angestiegen, zweitens wäre dieses auch nicht anders, wenn der Rentenversicherungsbeitrag um 2 % steigen würde. Warum dies nicht geschehen darf, haben Sie uns noch nicht erklärt, was nicht bedeutet, daß wir für die Erhöhung der Beiträge in der Rentenversicherung sind.
— Aber der Minister soll erklären, warum es nicht geschehen soll.
Drittens ist der Arbeitgeberanteil genauso wie der Arbeitnehmeranteil Teil des Lohnes. So, Herr Minister, lehren es auch die Gewerkschaften. Das schlägt sich in Form von Lohnkosten in den Preisen nieder. Was soll also diese damalige Verniedlichung?Meine Damen und Herren, es hat den Anschein, daß die Bundesregierung die Kostenexplosion, wenigstens bisher, nicht ganz ernst genommen hat oder daß sie, nachdem die Opposition die Diagnose geliefert hat, nun auch noch von ihr die Therapie erwartet,
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Müller
und dies trotz des stereotypen Vorhalts, die Opposition habe keine Alternative.
— Nein, nein. — Das bisher von der Bundesregierung in die Wege geleitete Verfahren zur Dämpfung der Kostensteigerung, nämlich Gespräche mit den Betroffenen, einmal durch den Arbeitsminister, zum anderen durch die Gesundheitsministerin geführt, reicht eben nicht aus. Wir nehmen den Appell der Frau Gesundheitsministerin an den 78. Deutschen Ärztetag, sich an einer „konzertierten Aktion" zur Verminderung des Kostenanstiegs im Gesundheitswesen zu beteiligen, gern zur Kenntnis. Die Idee hierzu wurde übrigens auch von der CDU übernommen;
denn es war Sozialminister Geissler, der die konzertierte Aktion auf diesem Gebiete vorgeschlagen hat. Was bisher bei den Gesprächen herausgekommen ist, ist allerdings mehr als mager.Wenn Sie, Frau Bundesministerin, heute hier verkündet haben, daß die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten der Kostensenkung jetzt stärker angewandt werden sollen, so ist das, schlicht und einfach gesagt, ein Eingeständnis der bisherigen Pflichtversäumnisse.
Wir erwarten Taten und kein Drumherumreden, vor allem keine Schönfärberei.Genau wie auf dem Gebiete der Gesundheitspolitik versucht die Bundesregierung auch hinsichtlich der Krankenversicherung unsere Warnungen als Schwarzmalerei abzutun. Die Berechnungen der Krankenkassen, insbesondere des Bundesverbandes der Ortskrankenkassen, haben jedoch bewiesen, daß unsere Schätzungen bzw. die des Geissler-Budgets eher als zu vorsichtig, aber auf keinen Fall als Schwarzmalerei abgetan werden können. Statt konkrete Maßnahmen zur Kostendämpfung zu ergreifen, hat die Regierung bisher versucht, die Kostenentwicklung in der Krankenversicherung als nicht so gravierend darzustellen. Wenn ich aber von Ihren heutigen Ausführungen, Herr Bundesarbeitsminister ausgehe, so bestätigen Sie, daß die Krankenkassen von jetzt an Jahr für Jahr mit Beitragserhöhungen rechnen müssen.Ich muß mich deshalb noch einmal an Sie wenden. Was soll z. B. auch Ihre irreführende, unzulässige Darstellung der Krankenkassenbeiträge, ebenfalls bei der Etatdebatte! Es ist einfach unkorrekt, Herr Minister, und nicht erlaubt, den durchschnittlichen Krankenkassenbeitrag für Versicherte mit Anspruch auf Lohn- oder Gehaltsfortzahlung im Jahre 1974 in Höhe von 10 % mit dem Durchschnittsbeitrag von 10 % für Versicherte mit sofortigem Anspruch auf Barleistung im Jahre 1969 zu vergleichen.
Korrekter und der Sache dienlicher wäre es gewesen — und ist es auch jetzt noch —, darauf hinzuweisen, daß ein Versicherter mit Anspruch auf Gehaltsfortzahlung im Jahre 1960 nur einen Beitrag in Höhe von 5,7 % entrichten mußte, heute jedoch von mehr als 10 % — wenn ich mich nicht irre, durchschnittlich 10,6 % —, einschließlich des Arbeitgeberanteils allerdings, entrichten muß. Was das bedeutet, habe ich vorhin gesagt.
Das der durchschnittliche Beitragssatz im Jahre 1978 nach dem Geissler-Budget 13,5 v. H., wenn ich dem Bundesverband der Ortskrankenkassen glauben darf — und ich tu's! — sogar 14 v. H., in der Spitze sogar 17,5 v. H. betragen wird, wobei allein 2,2 Beitragssatzpunkte auf das Konto des wachsenden Defizits der Rentnerkrankenversicherung gehen, wollen Sie einfach nicht zur Kenntnis nehmen.Im Zusammenhang damit vorweg ein Wort zu der im Gesetzentwurf vorgesehenen Streichung der Beitragssatzhöchstgrenze und Garantiehaftung. Wir sind dagegen, daß man die Garantiehaftung des Bundes — ich betone: des Bundes — beseitigt und die Bestimmungen über die Beitragssatzhöchstgrenze unverändert und damit wirkungslos läßt, statt sie, wie wir vorschlagen würden, effektiver zu gestalten. Es ist richtig, daß die Beitragssatzhöchstgrenze, wie sie 1969 festgesetzt wurde, wenig zur Kostendämpfung beigetragen hat. Es kommt aber im wesentlichen auf die Ausgestaltung einer solchen Grenze an, wenn sie wirksam werden soll. Wir sind also der Auffassung, daß man die Beitragssatzhöchstgrenze realistisch festsetzen und eventuell in einer Stufenregelung das Überschreiten — darauf kommt es ja an — mit Sanktionen belegen sollte.Unseres Erachtens kann man die Festsetzung des Beitragssatzes ruhig den Selbstverwaltungsorganen der Krankenkassen überlassen. Nur kann man ihnen nicht ständig neue Regelleistungen aufbürden und die Beitragshöchstgrenze unberührt lassen.
Der Gesetzgeber kann sich so einfach der Verantwortung nicht entziehen.Vor allem aber müßte man in erster Linie die gesetzliche Krankenversicherung auch von allen Fremdlasten befreien. Ich nenne hier nur das Mutterschaftsgeld; ich könnte genausogut den Schwangerschaftsabbruch während der ersten drei Monate auf Kosten der Krankenkasse, wie ihn die Koalitionsmehrheit beschlossen hatte, und anderes nennen. Aber lassen wir das.Die beabsichtigte Streichung der Gewährleistungspflicht des Bundes im Zusammenhang mit dem Wegfall der Beitragshöchstgrenze kommt, wie Herr Direktor Thöns vom Bundesverband der Ortskrankenkassen treffend formuliert hat, einem „Ausbau der Alarmanlage" gleich. Dabei sind Alarmanlagen in unserem Krankenversicherungssystem heute notwendiger denn je. Die Beitragssatzhöchstgrenze, die man auch als Begrenzung der Ermächtigung der Selbstverwaltung zur Beitragsfestsetzung verstehen oder auch — und klopfen wir uns da
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einmal an die eigene Brust — als Grenze der Belastbarkeit ansehen kann, erfüllt eben eine Alarmfunktion, auch für den Gesetzgeber, und ist unseres Erachtens unbedingt erforderlich.Um diesen Punkt abzuschließen: Wir sind also für die Beibehaltung — allerdings auch für eine realistische Neugestaltung und Neukonstruktion — der Beitragssatzhöchstgrenze. Wir sind auch im Sinne des Bundessozialgerichts für eine Garantiehaftung des Bundes bei den Allgemeinen Ortskrankenkassen. In der Begründung des vorliegenden Gesetzentwurfs wird schamhaft verschwiegen, daß dazu in dem Urteil vom 24. Mai 1972 festgestellt wird — ich darf zitieren —:Ein auf § 389 Abs. 2 Satz 2 RVO gestützter Beihilfeanspruch kann sich seit dem 1. April 1950 nicht mehr gegen den Gemeindeverband, sondern nur noch gegen die Bundesrepublik Deutschland richten.Ich brauche hier auf den Sozialstaatscharakter und die entsprechenden Vorschriften nicht weiter Bezug zu nehmen.Man muß sich, nebenbei bemerkt, nur fragen, warum andernfalls dann nicht auch § 390 RVO gestrichen werden soll. Wurde dies nur in der Eile vergessen oder nur deshalb, weil hier bei den Betriebskrankenkassen die Arbeitgeber und bei den Innungskrankenkassen die Innungen die erforderlichen Beihilfen aus eigenen Mitteln leisten müssen?Die Beitragssatzhöchstgrenze könnte also so festgesetzt werden, daß ihr gewisse Stufen vorangestellt werden, bei deren Überschreitung Sanktionsmechanismen ausgelöst werden. Wie die Vorstufen gestaltet und der Beitragshöchstsatz letztlich festgesetzt werden sollen, muß noch im Ausschuß näher untersucht werden.
Hinsichtlich ,der Garantiehaftung sind wir aber der Auffassung, daß es gut wäre, wenn bei einer bestimmten Höhe der Beitragssätze leistungssteigernde und damit kostenerhöhende Maßnahmen auch vom Gesetzgeber nicht mehr ohne Änderung des Beitragshöchstsatzes in Angriff genommen werden dürften. Die bisherige Praxis, bei der man sich dann hinterher über die Kostenentwicklung beklagt, müßte ein Ende haben.Bevor ich nun auf die aus unserer Sicht unzureichende Änderung der Finanzierung der Krankenversicherung der Rentner zu sprechen komme, möchte ich noch einmal mit Nachdruck darauf hinweisen, daß jede Maßnahme auf dem Gebiet der gesetzlichen Krankenversicherung, auch der hier heute zur Beratung anstehende Gesetzentwurf, ohne ein gleichzeitiges umfangreiches und wirkungsvolles Programm zur Kostendämpfung auf dem Gebiet des Gesundheitswesens Flickwerk bleiben muß bzw. nur einer Umverteilung von Defiziten dient. Der vorliegende Gesetzentwurf bringt nämlich nicht nur keine Kostendämpfung, sondern erhöht sogar kurz-, mittel- und langfristig die Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung und führt nach glaubhaften Aussagen der Krankenversicherungsträger bzw. derenVerbände sogar zu weiteren Beitragssteigerungen.Herr Kollege Sund, die heutige Meldung von 12 %bei einer Ortskrankenkasse bedeutet nichts anderes.Nach meinem persönlichen Eindruck handelt es sich bei dem, was wir hier vorliegen haben, überhaupt nur, Herr Minister, um ein Provisorium bis nach den Bundestagswahlen 1976.
Meine Fraktion hält es deshalb für vorrangig, zunächst einmal die Kostenexplosion im Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen. Notwendig ist ein umfassendes Programm konkreter Kostendämpfungsmaßnahmen; es reicht nicht, nur Zielvorstellungen zu verkünden. Das Kostenproblem in der gesetzlichen Krankenversicherung ist von der Bundesregierung zu lange vernachlässigt worden. In der bekannten Reformeuphorie glaubte man alles Mögliche ändern und als sozialen Fortschritt anpreisen zu müssen. Das ist auch heute hier wieder geschehen. Man hat dabei die Kosten außer acht gelassen. Erst der schon erwähnte Geissler-Bericht hat der Öffentlichkeit in voller Klarheit vor Augen geführt, welche Probleme sich für die gesetzliche Krankenversicherung, das soziale Sicherungssystem insgesamt durch die Belastungen auf Grund der Sozialabgaben in naher Zukunft ergeben. Ich gebe zu, daß auch wir unter dem publizistischen Druck und der Leistungsverbesserungseuphorie zeitweilig auf dieser Welle mitgeschwommen sind. Warum soll man Fehler nicht eingestehen?Nachdem wir aber erkannt haben, wohin uns eine solche Politik führt, sind wir der Ansicht, daß alles — ich schließe auch unpopuläre Maßnahmen nicht aus — getan werden muß, um zunächst einmal eine Stabilisierung der Kosten auf dem Gebiete des Gesundheitswesens zu erreichen. Hoffentlich trägt diese Debatte etwas dazu bei.Um dies zu bewerkstelligen, erscheint es angebracht, folgende Erkenntnisse in die Tat umzusetzen.Erstens: Zurückstellung kostenwirksamer Gesetzesvorhaben betreffend die gesetzliche Krankenversicherung, aber auch anderer Gesetzesvorhaben, die zu Beitragserhöhungen in der Krankenversicherung führen können.Zweitens: Änderung der Verhaltensweise der Versicherten — dies ist ja heute hier schon mehrmals betont worden —, indem man erst einmal das Gesundheits- und Kostenbewulltsein der Bevölkerung weckt und fördert. Anstatt den Menschen zu suggerieren, daß man sich nur der Krankenkasse als eines kostenlosen Selbstbedienungsladens zu bedienen braucht, um ein Leben voller Gesundheit, Glück und Wohlbefinden zu sichern, sollte die Gesundheitspolitik mehr auf die Grenzen der Medizin und eine natürliche Lebensweise hinweisen und herausstellen, daß letztlich alle Leistungen der Krankenversicherung zu Lasten der Versicherten — und zwar gerade der Kleinverdiener — gehen.Drittens: Durchforstung aller Positionen der Krankenversicherungsausgaben mit dem Ziel, die Kosten durch wirksame Arbeitsteilung, Rationalisierung und Kooperation zu verringern. Dazu gehört auch,
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um nur ein Beispiel zu nennen, bei Kuren die gemeinsame Ausnutzung medizinisch-technischer Einrichtungen in der unmittelbaren Nachbarschaft. Diese Maßnahmen betreffen letztlich alle an unserem Gesundheitswesen Beteiligten.Herr Kollege Sund, ich pflichte Ihnen bei: Gesetzgeber, Krankenversicherungsträger einschließlich der Selbstverwaltung, Versicherte, Ärzte und Zahnärzte, die pharmazeutische Industrie und die Apotheker — sie alle müssen danach trachten, die Kosten zu dämpfen, wenn sie unser an sich bewährtes System der sozialen Sicherung nicht ad absurdum führen wollen.
Wir sind der Ansicht, daß der Anstoß zu einer solchen Kostendämpfung von der Bundesregierung ausgehen muß. Sie muß die Impulse zu einer Kostendämpfung geben.
weil nur sie — und nicht die Opposition — über die geeigneten Mittel verfügt und entsprechende Möglichkeiten hat.
Wir von der CDU/CSU-Fraktion bieten ihr unsere Unterstützung an, wenn hierdurch wirklich ein Erfolg erzielt werden kann. Grenzen solcher Maßnahmen sind für uns die optimale medizinische Versorgung einerseits und eine Sozialisierung des Gesundheitswesens andererseits. Wir sind überzeugt, daß ausreichende, ordnungspolitisch einwandfreie und systemkonforme Möglichkeiten zur Kostendämpfung vorhanden sind. Es kommt darauf an, sie auch anzuwenden. Hierzu hat die Bundesregierung aber offensichtlich nicht den Mut, oder sie glaubt, mit der Verschleierung und Verschleppung des Problems noch bis zur nächsten Bundestagswahl über die Runden zu kommen, genauso wie sie diese Vorlage nicht vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen auf die Tagesordnung setzen ließ.Mögliche Maßnahmen mit hoher Wirksamkeit sind z. B. die Senkung der Verweildauer in den Krankenhäusern in Verbindung mit der Einführung degressiver Krankenhauspflegesätze, der Abbau der Überkapazitäten der Krankenhausbetten, die Rationalisierung der Diagnostik und ähnliches mehr. Gerade der Anteil der Krankenhauspflegekosten — ich darf noch einmal den Bundesverband der Ortskrankenkassen zitieren — an den gesamten Leistungsaufwendungen auf Grund der bisherigen Entwicklung steigt bis 1978 auf 36 v. H. in der allgemeinen Versicherung und auf 45 v. H. in der Rentnerkrankenversicherung.Um jedoch allen Verdächtigungen und Spekulationen von vornherein zu begegnen, erkläre ich an dieser Stelle in aller Deutlichkeit: Die CDU/CSUFraktion denkt weder an den Abbau von notwendigen Krankenkassenleistungen noch — um dies gleich hinzuzufügen — an Rentenkürzungen. Sie tritt vielmehr für Maßnahmen ein, die der Förderung der Gesundheit dienen, aber die Kosten für die Krankenkassen stabilisieren — ich sage nicht: herabsetzen.Vor dem in meinen bisherigen Ausführungen zum Ausdruck kommenden Gesamtrahmen einer Politik zur Sanierung der Krankenkassen und des Gesundheitswesens ist auch die Reform der Finanzierung der Krankenversicherung der Rentner zu sehen. Mit einem gleichzeitigen Kostendämpfungsprogramm lassen sich die Probleme der Krankenversicherung der Rentner leichter und systemgerechter lösen.Die Bundesregierung behauptet fälschlicherweise, im vorliegenden Gesetzentwurf würde die finanzielle Grundlage der Krankenkasse für die nächsten Jahre stabilisiert. Meine Damen und Herren, von Stabilisierung kann überhaupt keine Rede sein!
Die Hoffnung auf Entlastung der Krankenkassen wurde enttäuscht. Die Krankenkassen lehnen ja die neue Regelung der Finanzierung der Krankenversicherung der Rentner insgesamt ab. Sie sind im Grunde genommen für die Beibehaltung der jetzigen Regelung. Die Politik der Bundesregierung, wie sie sich im Gesetzentwurf konkretisiert, ist sowohl eine Verunsicherung der gesetzlichen Krankenversicherung als auch der gesetzlichen Rentenversicherung. Beide Versicherungszweige können in naher Zukunft ihre Einnahmen bzw. ihre Ausgaben für die Krankenversicherung der Rentner nicht hinreichend genug kalkulieren. Allein für das Jahr 1975 müssen die Krankenkassen eine Mehrbelastung durch die Krankenversicherung der Rentner in Höhe von 3,4 Milliarden DM hinnehmen. Zwar soll die Mehrbelastung durch eine Sonderzahlung der Rentenversicherung in Höhe von 2,5 Milliarden DM gemildert werden, aber es bleibt eine Mehrbelastung von ca. 900 Millionen DM; das sind 0,19 % Beitragssatzpunkte. So steht es in der Begründung.Wenn ich mir aber die Zahlen vom Bundesverband der Ortskrankenkassen zu eigen mache, dann zweifle ich an der Richtigkeit dieser Zahl. Danach stehen nämlich im Jahre 1975 einem Leistungsaufwand für die Rentner in Höhe von 17,1 Milliarden DM nur 7,915 Milliarden DM — das sind die 11 % der Rentenleistungen — plus vorgesehener Sonderzahlung in Höhe von 2,5 Milliarden DM gegenüber. Das würde bedeuten, daß den Krankenkassen nicht ein Defizit von 900 Millionen DM, sondern von über 6 Milliarden DM verbleibt, d. h. der durchschnittliche Beitragssatz müßte um weitere 1,3 % erhöht werden. Die gesetzliche Regelung führt also bei den Krankenkassen schon in diesem Jahr wahrscheinlich zu einer zusätzlichen Beitragssatzsteigerung.Dies gilt erst recht, wenn die Kosten der Krankenversicherung der Rentner wie bisher stärker steigen als die Rentenausgaben und bei einigen Kassenarten sogar zur Erhöhung des geplanten Belastungsausgleichs führen. Diesen Beitragssatzerhöhungen auf Grund des Belastungsausgleichs stehen mit Sicherheit keine Senkungen bei anderen Kassenarten gegenüber. Zusammenfassend fürchte ich, daß nicht eine Stabilisierung der finanziellen Grundlage, sondern das Gegenteil eintreten wird.
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Der Grund für die Verschlechterung des Gesetzentwurfs gegenüber dem ersten Referentenentwurf, der noch die Absicht erkennen ließ, die Krankenkassen zu entlasten, liegt eindeutig in der finanziellen Situation der Rentenversicherung, die von der Bundesregierung Jahr für Jahr auf 15 Jahre im voraus geschätzt wird; der Beitragssatz soll auf keinen Fall erhöht werden. Nun wissen wir wohl nach den Erfahrungen mit Zahlen bei der Rentenreform 1972, daß die Ergebnisse solcher Rentenfinanzierungsvorausschätzungen je nach den getroffenen Annahmen mal so und mal so ausfallen können. Der Bundesrat hat deshalb in einer Entschließung zu diesem Gesetzentwurf vorgeschlagen, die Verantwortung für die Rentenfinanzierungsvorausschätzungen künftig dem Sozialbeirat zu übertragen. Weiterhin hat sich der Bundesrat für eine Reform der Methode der Rentenfinanzierungsvorausschätzungen ausgesprochen. Ich weiß, die Bundesregierung hat dem widersprochen. Nur, meine Damen und Herren von der Koalition, kann es sich die Mehrheit dieses Hauses nicht so einfach machen, daß sie die unpopulären Beitragserhöhungen den Selbstverwaltungsorganen der Krankenkassen überläßt,
nur weil ihr vermeintliches — ich sage ausdrücklich: vermeintliches — soziales Image darunter leiden könnte.
Ich meine, wir sollten gerade diesen Punkt in den Ausschußberatungen unvoreingenommen miteinander diskutieren. Herr Kollege Sund meint ja, wir sollten ernsthaft miteinander beraten. Wir sind dazu bereit. Wir sollten uns aber auch nicht damit begnügen, zu sagen, daß dies ja nur Modellrechnungen seien, wie man uns das bisher immer im Ausschuß vorgetragen hat. Auf die Dauer nutzt es niemandem, auch der Bundesregierung nicht, wenn sich die Zweifel an Seriosität solcher Vorausschätzungen im Sozialbereich mehren.Die CDU/CSU ist der Auffassung: wenn man schon keine vollbefriedigende langfristige Lösung der Finanzierung der Krankenversicherung der Rentner erreichen kann, sollte man zumindest eine Kopplung — ich möchte bewußt das Wort „Dynamisierung" vermeiden — des Beitragssatzes der Krankenversicherung der Rentner mit dem durchschnittlichen allgemeinen Beitragssatz in der Krankenversicherung vorsehen, wie dies der Referentenentwurf des Bundesministers für Arbeit ursprünglich tat. Zwar könnte auch durch eine solche Kopplung der Beitragssatzregelung die Schere zwischen Kostenentwicklung und Beiträgen für die Krankenversicherung der Rentner nicht geschlossen werden, aber diese Regelung wäre immerhin noch besser als die im Gesetzentwurf vorgesehene.Eine Anpassung des Beitragssatzes für die Krankenversicherung der Rentner an den durchschnittlichen Beitragssatz der Krankenversicherung läßt sich auch mit der Tatsache begründen, daß eine solche Regelung den in der Krankenversicherung geltenden Prinzipien entspricht. Herr Kollege Sund,wir sind nicht der Meinung wie Sie, daß der Rentner keine Krankenversicherungsbeiträge leistet. Er leistet sie nur über die Rentenversicherungsträger. Wenn alle Erwerbstätigen einen höheren Krankenversicherungsbeitrag als 11 % bezahlen müssen, dann ist nicht einzusehen, warum dies nicht auch für die Rentner gelten soll, zumal nach § 1235 RVO bzw. § 12 AVG bis zum heutigen Tage zu den Regelleistungen der Rentenversicherung Beiträge für die Krankenversicherung der Rentner gehören.Eine solche Regelung, die die gesetzliche Rentenversicherung stärker belasten und die Krankenversicherung tendenziell entlasten würde, erscheint uns auch deshalb wichtig, weil in diesem Fall der durchschnittliche Beitragssatz in der Krankenversicherung stärker in das Bewußtsein der Offentlichkeit und der Betroffenen tritt und bei den Vorausschätzungen der gesetzlichen Rentenversicherung für den 15jährigen Vorausschätzungszeitraum berücksichtigt werden müßte. Der Gesetzgeber, aber auch die Bundesregierung hätten dann ein stärkeres Interesse an der Kostendämpfung in der Krankenversicherung. Kurz: Das Kostenbewußtsein auch des Gesetzgebers würde geschärft, und voraussichtlich würden früher als bisher Maßnahmen gegen die Kostensteigerung eingeleitet.Eine Koppelung Ides Beitragssatzes der Krankenversicherung der Rentner an den allgemeinen Beitragssatz käme jedenfalls auch den Wünschen der Krankenversicherungsträger entgegen, die — ich darf es noch einmal wiederholen — für eine Rückkehr zur alten Finanzierungsrelation von 80 : 20 zwischen Rentenversicherung und Krankenversicherung eintreten. Auch würde dieses — zumindest tendenziell — den Finanzierungsanteil der gesetzlichen Krankenversicherung etwas stabilisieren und eine langfristige Lösung des Problems in der Zukunft erleichtern.Davon ausgehend ein paar Bemerkungen zu dem vorgesehenen Belastungsausgleich. Die CDU/CSUFraktion hält einen besseren Ausgleich der Leistungsaufwendungen für Rentner, die durch Beiträge der Rentenversicherung nicht gedeckt sind, für unumgänglich. Das sage ich ganz deutlich. Ein Belastungsausgleich innerhalb der Kassenarten löst das Problem anscheinend nicht.Nach den in der Krankenversicherung geltenden Prinzipien entrichten die Versicherten einkommensbezogene Beiträge. Davon ausgehend, daß die Renten Lohnersatzfunktion haben, die Rentenzahlbeträge gleichsam identisch sind mit dem Arbeitseinkommen, müßten die Rentenversicherungsträger dem Grund nach für jeden Rentner an dessen Krankenkasse einen an seiner Rente bemessenen Beitrag von, sagen wir einmal: jetzt 11 v. H. entrichten.Daß ein solches Verfahren zu kompliziert und deshalb nicht praktikabel ist, brauche ich hier nicht weiter zu betonen; das wissen wir auch. Da ferner eine unterschiedliche Rentendichte sowohl in den einzelnen Kassen als auch Kassenarten und damit einfach eine nicht vertretbare unterschiedliche Belastung der allgemeinen Versicherten durch das Rentnerkrankenversicherungsdefizit eintritt, halten auch wir mit dem Bundesrat einen verbesserten Fi-
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nanzausgleich der Leistungsaufwendungen für den Rentner für unumgänglich.Die jetzt vorgesehene gleiche Pro-Kopf-Belastung berücksichtigt jedoch nicht die unterschiedlichen Grundlöhne und Strukturen; Sie haben eine Struktur genannt, nämlich den Bereich, der eine größere Zahl von Auszubildenden hat. Vor allem führt ein solcher Belastungsausgleich dazu, daß die beim Leistungsangebot zurückhaltenden Krankenkassen Mehrleistungen anderer Kassen mitfinanzieren, also Leistungen, die den eigenen Versicherten nicht gewährt werden können. Beides ist sozial ungerecht und birgt in sich die Gefahr, die Leistungsbegehrlichkeit zu fördern.Eine Zentralstelle für den Finanzausgleich wie sie im Referententenwurf vorgesehen war, lehnen wir auf jeden Fall mit Entschiedenheit ab, weil diese der Anfang eines allgemeinen Finanzausgleichs und damit eine Entwicklung zur Einheitsversicherung bedeutete.Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zu den Bundesratsforderungen eine ergänzende Stellungnahme zum Belastungsausgleich versprochen. Anhand dieser ergänzenden Stellungnahme und der Berechnungen wird hoffentlich eine alle Kassenarten zufriedenstellende Lösung zu finden sein, Herr Kollege Sund.Lassen Sie mich abschließend den Teil des Gesetzentwurfs, der die Rentnerkrankenversicherung betrifft, zusammenfassend beurteilen. Meine Damen und Herren, insgesamt möchte ich für die CDU/CSUBundestagsfraktion feststellen:a) In der Vorliegenden Form ist der Gesetzentwurf für uns nicht akzeptabel. Mit ihm würden nur Kosten zwischen den Sozialversicherungszweigen hin und her geschoben — zudem noch in falscher Weise —, die letztlich doch von den einzelnen Bürgern bezahlt werden müssen.b) Die CDU/CSU-Fraktion wird ihr Votum in der abschließenden Lesung von der Erfüllung folgender Punkte abhängig machen.
— Unter anderem; ja, natürlich.
— Ja, natürlich. Es ist nicht ein vollständiger Katalog.1. Mit diesem Gesetzentwurf wird nicht zuletzt über die Kostenexplosion in der Krankenversicherung entschieden. Er muß deshalb einen Beitrag zur Kosteneindämmung enthalten. Hierzu bedarf es einer Reform der Bestimmungen über die Beitragshöchstsätze sowie eines konkreten Kostendämpfungsprogramms, das Teil dieses Gesetzes werden sollte.2. Die Finanzierung der Krankenversicherung der Rentner muß langfristig angelegt sein und den Finanzierungsprinzipien der Krankenversicherung Rechnung tragen..Die CDU/CSU-Fraktion bietet ihre konstruktive Mitarbeit in den Ausschüssen an. An der Regierungskoalition ist es, dieses Anerbieten zu nutzen und nicht einfach, wie es üblicherweise geschieht, zu überstimmen.
Mit der Politik des Schwarzen Peters muß jetzt Schluß sein; denn das müssen alles nur die Versicherten bezahlen. Dafür ist die Finanzentwicklung in der Krankenversicherung zu bedrohlich. Gesundheitspolitischer Fortschritt muß auch künftig für alle Bürger finanzierbar sein.Zu dem nicht minder wichtigen Thema der Weiterentwicklung des Kassenarztrechts oder, wenn Sie so wollen, der Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung — hierzu liegen ja gleich zwei Entwürfe vor — wird meine Fraktionskollegin Frau Dr. Neumeister ausführlich Stellung nehmen.Lassen Sie mich nur eine Bemerkung als Sozialpolitiker machen. Auf fast allen Gebieten unseres gesellschaftlichen Lebens wird heute sehr viel von Mitbestimmung gesprochen. Davon scheint die Bundesregierung auf diesem Gebiet nicht viel zu halten; denn nach dem Regierungsentwurf soll im Konfliktfall nicht Mitbestimmung, d. h. Kooperation, sondern Konfrontation stehen. Dies ist nicht unsere Meinung.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmidt .
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kurz bevor Herr Kollege Müller seine Ausführungen beendete, war ich versucht, ihm dafür zu danken, daß er die konstruktive Mitarbeit der Opposition anscheinend an das Ende seiner Rede setzen wollte. Das letzte Wort war aber doch wieder „Konfrontation". Ich habe auch den Eindruck, Herr Kollege Müller — ohne daß ich mich mit Ihrer Rede ausführlich auseinandersetzen will, weil wir uns ja an sich in dieser Runde mit der Krankenversicherung der Rentner befassen wollen —, daß Ihre Rede nicht allzuviel an konstruktiver Möglichkeit der Zusammenarbeit aufgezeigt hat. Auf einiges werde ich im Laufe meiner Ausführungen eingehen können.Ich bin auch nicht sicher, ob Herr Minister Geissler so glücklich ist, daß Sie seinen Auftritt, der nach mir kommt, auf diese Art und Weise eigentlich etwas schlecht vorbereitet haben. Denn wir haben im Grunde genommen von Ihnen vieles von dem noch einmal etwas anders verpackt gehört, was Herr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein heute früh gebracht hat. Ich kann nur hoffen, daß das, was Sie hier an Aktivitäten in den Raum stellten, die notwendig sind — da stimme ich Ihnen für die Freien Demokraten voll zu —, um mit den Kostenfragen, den Kostenentwicklungen in der Krankenversicherung — ich möchte nicht sagen: Kostenexplosion — fertig zu werden, verwirklicht wird. Dabei kann ich für uns Freie Demokraten hier feststellen — und ein späterer Redner wird dar-
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auf noch näher eingehen können —, daß es die Freien Demokraten waren, die 1971 zum erstenmal, nachzulesen im Protokoll des Bundestages, auf gefährliche Kostenentwicklungen in der Krankenversicherung von dieser Stelle aus hingewiesen haben. Damals waren zumindest die Sprecher der Opposition allerdings noch nicht bereit — lassen Sie mich das noch allgemein sagen —, anzuerkennen, daß das, was wir heute an Kostenentwicklungen vor uns haben, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, doch das Ergebnis von Entscheidungen dieses Hohen Hauses nicht etwa seit 1969, sondern aus der Zeit vor 1969 ist und von Entscheidungen, die, glaube ich — hier müssen wir uns vielleicht alle etwas an die Brust klopfen —, in all diesen Fragen von dem Hohen Hause einstimmig gefällt worden sind. Deshalb sollten wir es uns nicht zu leicht machen.Lassen Sie mich noch drei Vorbemerkungen machen, bevor ich zu meinem speziellen Thema komme: Der Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein hat heute früh versucht, der Bundesregierung und der sozialliberalen Koalition sozusagen zu unterstellen, daß der in den Regierungserklärungen von 1969 und 1972 klar niedergelegte Grundsatz der freien Arztwahl und der freien Berufsausübung im Heilbereich heute nicht mehr so ernst genommen würde. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, wieviel genauer, als es aus dem Telegramm des Fraktionsvorsitzenden der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, des Kollegen Herbert Wehner an den Ärztetag hervorging, daß diese Fraktion zu dieser freien Arztwahl und zu dieser freien Ausübung der Heilberufe steht, wollen Sie es eigentlich noch hören? Daß wir Freien Demokraten dazu stehen, ist aus dem Telegramm Wolfgang Mischnicks an diesen Ärztetag klargeworden. Was kann eigentlich noch deutlicher gesagt werden?Ich wiederhole es noch einmal, weil es notwendig ist: Diese sozialliberale Koalition steht voll zur freien Arztwahl. Sie steht voll zur freien Ausübung der Heilberufe. Sie erwartet allerdings auch — und das ist auch aus Ausführungen von Oppositionsrednern klargeworden —, daß diese freie Arztwahl die Verantwortungsbereitschaft derjenigen, die in einem darauf basierenden System tätig sind, fördert. Ich glaube darin stimmen wir sogar — Kollege Franke nickt mit dem Kopf — überein.
Deshalb wäre es für diese gemeinsamen Aufgaben, deren Erfüllung wir vorhaben, vielleicht besser gewesen, nicht wieder ein Fragezeichen an diesem Grundsatz der Koalition anzubringen.Außerdem, Herr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein, könnte ich natürlich den Schuß zurückgeben und sagen: Sie und viele Ihrer Kollegen stehen zu diesem Grundsatz genauso wie die Koalition. Ob alle zu diesem System, wie wir es haben, stehen und ob nicht beispielsweise zwischen Ihren Ausführungen zu Beginn und dem verzweifelten Versuch von Herrn Staatssekretär Vorndran, den Bundesratsentwurf auch als einen freiheitlich-liberalen hinzustellen, eine erhebliche Bandbreite vorhanden ist, wird sich im Laufe der Debatte, so glaube ich, noch zeigen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Kollege, darf ich Sie fragen, ob nicht auch die Koalitionsvereinbarungen in Nordrhein-Westfalen, in denen ebenfalls nachambulante Behandlung in Krankenhäusern vereinbart worden ist, zu der Bandbreite der FDP gehören?
Herr Kollege SaynWittgenstein, wir sind dabei, darüber nachzudenken, wie wir die Kosten in Krankenhäusern senken können. Zweifellos werden dabei — das haben sowohl Herr Mischnick auf dem Kongreß in Norderstedt als auch andere von uns gesagt — auch die Probleme der vor- und nachstationären Behandlung diskutiert werden. Wir müssen insbesondere das Problem der Krankenhauskosten unter die Lupe nehmen. Da spielen diese Dinge eine Rolle.Aber, was ich vorhin meinte, ist etwas anderes. Glauben Sie wirklich, Herr Kollege Sayn-Wittgenstein, daß der Bundesratsentwurf mit seinem Eingriff in die Selbstverwaltung der kassenärztlichen Vereinigungen, mit seinen Möglichkeiten des Dirigismus in das System paßt, das Sie in Ihrer Rede am Anfang vertreten haben? Ich glaube, es ist notwendig, hier ein bißchen auszuräumen, um herauszufinden, inwieweit Sie die gesamte Oppositionsfraktion vertreten oder ob das nur ein Gegensatz zwischen denen ist, die im Bundesrat dazu etwas zu sagen haben, und denen, die im Bundestag darüber sprechen. Darüber gäbe es noch eine ganze Menge zu sagen. Ihr Schmunzeln, Herr Kollege Prinz SaynWittgenstein, gibt mir recht bei meiner Annahme, daß es da noch einiges auszuräumen gibt. Deshalb habe ich diesen Hinweis gegeben. Man sollte nicht Dinge bei der sozialliberalen Koalition in Frage stellen, bei denen die Opposition nicht unbedingt eine so geschlossene Haltung hat, wie Sie sie heute früh glaubten zum Ausdruck zu bringen.Nun aber, meine Damen und Herren, wie vorgesehen und wie auch von mir eingangs gesagt, zu dem Spezialbereich Krankenversicherung der Rentner, zu dem ja der Kollege Müller abschließend auch noch etwas gesagt hat. Zu allen anderen Fragen wird später noch, beim Thema Kassenarztrecht nach der Rede von Herrn Geissler, Stellung genommen werden können. Herr Kollege Müller, Sie haben am Beginn Ihrer Rede mit Recht auf den Antrag der CDU/CSU hingewiesen, der im vorigen Jahr hier zur Debatte stand. Aber, Herr Kollege Müller, Sie
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haben dabei, glaube ich, weil Sie das noch einmal aufgegriffen haben
— nein, weil Sie das nochmals aufgegriffen haben , sich selbst und der Opposition nicht unbedingt einen guten Dienst erwiesen. Denn das, was wir jetzt mit diesem Regierungsentwurf zur Neuregelung, zur Übergangsregelung — will ich mal besser sagen — der Krankenversicherung der Rentner hier vorliegen haben, Herr Kollege Müller, ist doch die Lösung eines der Probleme, die noch aus dem Nachlaß Ihres verehrten früheren Bundesarbeitsministers, des Kollegen Katzer, stammen.
— Herr Kollege Müller, haben Sie ganz vergessen, daß damals, als Herr Katzer Arbeitsminister, Herr Strauß Finanzminister und Herr Kiesinger Bundeskanzler war, gegen die Warnungen der Freien Demokraten der Grundstein für das gelegt wurde, was wir heute dank einer Initiative der Bundesregierung wieder etwas zurechtzurücken versuchen. Herr Kollege Müller, Sie wissen, daß damals mit der generellen Öffnung der Krankenversicherung für Rentner, auch für die ohne Anwartschaften — nun beginnen wir hier eine Änderung —, die Grundlage für Entwicklungen geschaffen wurde, die sich eben in solchen Kosten in der Krankenversicherung und Rentenversicherung niederschlagen.
Herr Kollege Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller?
Herr Kollege Schmidt, erstens müssen Sie uns nicht allein, sondern müssen Sie den damaligen Koalitionspartner mit angreifen. Zweitens muß ich Sie fragen: Wissen Sie denn, daß damals, als die Rentner nur bei den Ortskrankenkassen waren, dasselbe Dilemma bestand?
Herr Kollege Müller, Sie wissen sehr genau, was damals war und was durch die Entscheidung, die dieses Hohe Haus damals gegen unsere Stimmen gefällt hat, zusätzlich an Rentnerzahlen — das wurde vorhin noch einmal von dem Kollegen Sund aufgezeigt — laufend in die Krankenversicherung hinzukommt. Mit diesem Gesetzentwurf werden, um das gleich vorwegzunehmen, wieder Relationen in die Dinge hineingebracht, die die Solidarität in einem gewissen Maße wieder zurechtrücken. Ich wundere mich -eigentlich darüber— auch das möchte ich noch sagen —; denn Sie waren es ja auch, Herr Kollege Müller, der ein Jahr vorher — ich glaube, es war am 6. Juli 1973 — mit einer Anfrage die Dinge zum ersten Mal hier ins Gespräch gebracht hat, immerhin doch erst 1973. Wenn diese Erkenntnisse bei der Opposition in dieser Frage so gewesen wären, warum haben Sie dann nicht an dem einen Tage, an dem Sie seit 1969 in diesem Hause mal eine Mehrheit hatten, im Rahmen der Rentenreformdebatte versucht, das, was Ihnen hier so schlecht erschien, zu korrigieren? Da habenSie lieber mit einigen Anträgen der Bundesregierung der sozialliberalen Koalition Schwierigkeiten im Gesamthaushalt der Rentenversicherung bereitet, die wir anschließend wieder korrigieren mußten. Ich würde also sehr vorsichtig sein.
— Wollen wir uns jetzt darüber unterhalten, Herr Kollege Franke, ob es „soziale Demontage" war, als wir die Relation des Weiterverdienen-Könnens im Zusammenhang mit der flexiblen Altersgrenze wieder auf vernünftige Normen zurückführen mußten, ob es nicht auch ein Teil von tatsächlichem Solidaritätsbewußtsein ist, wenn man hier etwas korrigiert, was jemandem zu einseitige Vorteile bringt? Darüber sollten wir uns vielleicht einmal an anderer Stelle unterhalten.Aber, meine Damen und Herren, das Problem liegt vor uns, und wir müssen mit der Krankenversicherung der Rentner fertig werden. Die Bundesregierung hat hier dankenswerterweise einen Vorschlag gemacht, der auch für uns Freie Demokraten sicher nicht das Optimale darstellt. Es kann nur eine Übergangsregelung sein. Wir Freien Demokraten sehen die Tatsache, daß es im Augenblick nur möglich ist, einen Weg für die nächsten Jahre aufzuzeigen. Wir sehen die Tatsache, daß wir in absehbarer Zeit
— das hat gar nichts mit den Bundestagswahlen zu tun, Herr Kollege Müller; denn ich glaube, damit können weder Sie noch wir in irgendeiner Form Stimmen auf uns vereinigen —, in den nächsten Jahren, eine echte Regelung der Krankenversicherung der Rentner brauchen. Aber Sie wissen sehr genau, meine Damen und Herren, daß das bei dem System unserer Rentenversicherung, bei der Fünfzehnjahresrechnung, im Augenblick, ad hoc, nicht möglich ist.Daß wir es aber bei den Entwicklungen, wie sie zur Zeit waren, nicht belassen konnten, darüber war sich allerdings die Koalition im klaren, und darüber war sich auch die Bundesregierung im klaren. Deshalb haben wir uns für diese Übergangsregelung entschieden, die immerhin ein weiteres Ansteigen der Belastung der Krankenversicherung in den nächsten Jahren verhindert, die immerhin eine zusätzliche Zahlung der Rentenversicherung für die nächsten Jahre vorsieht und die darüber hinaus in einer Größenordnung von immerhin 6 Milliarden DM die bei der Krankenversicherung an und für sich zuviel eingelaufenen Gelder der Krankenversicherung beläßt.Dabei gehen wir davon aus, daß es nach Ablauf dieser Übergangszeit möglich sein wird, eine Relation der Beteiligung Rentenversicherung—Krankenversicherung an diesen Ausgaben zu schaffen, die echt fortgeschrieben werden kann und die für die Zukunft negative Entwicklungen nach der einen Seite verhindert. Wir sind allerdings nicht so illusionär, Herr Kollege Müller, zu glauben, daß es
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möglich wäre, entsprechend dem Vorschlag der Sachverständigenkommission die Relation wieder auf 20 : 80 zurückzuschrauben. Wenn Sie das für richtig halten und hier beantragen, dann muß ich Sie allerdings fragen: Sind Sie bereit, die Konsequenzen daraus zu ziehen und damit eine höhere Belastung in der Rentenversicherung, eine Anhebung des Beitrags in der Rentenversicherung, zu beantragen oder zu befürworten? Wir müssen hier Relationen finden, die im Interesse beider Kassen und im Sinne der Beitragsentwicklung liegen, weil wir ja auch die Beitragssituation insgesamt sehen müssen.Nun wurde von Ihnen, Herr Kollege Müller, Kritik an dem Ausgleichsverfahren geübt. Ich möchte für die Freien Demokraten ganz klar sagen: Wir begrüßen es sehr, daß die Bundesregierung nicht dem Vorschlag der Sachverständigenkommission und auch nicht dem Vorschlag des Bundesrates, der von Ihnen noch einmal unterstützt wurde, gefolgt ist, nämlich eine grundlohnbezogene Beitragsformel für diesen Ausgleich anzuwenden.Meine Damen und Herren, wer diese Formel als das Nonplusultra für einen gerechten Ausgleich ansieht, muß sich gleichzeitig darüber im klaren sein, daß damit in die Beitragsautonomie unserer gegliederten Krankenversicherung eingegriffen würde, der muß sich darüber im klaren sein, Herr Kollege Müller — Sie haben sich hier zum Schluß noch einmal für das gegliederte System ausgesprochen —, daß die grundlohnbezogene Beitragsformel die ersten Ansätze zu einer Veränderung dieses gegliederten Systems bringen würde. Wer die Selbstverwaltung und die damit verbundene Beitragsautonomie will, kann den grundlohnbezogenen Ausgleich nicht wollen.Deshalb begrüßen wir es, daß die Bundesregierung in ihrem Entwurf den Pro-Kopf-Ausgleich vorgelegt hat, wobei ich gern zugebe, daß wir im Rahmen der Beratungen noch darüber nachdenken werden, wie man das verbessern kann, wie man beispielsweise die Frage der großen Anzahl von Auszubildenden usw. im Rahmen dieses Ausgleichs stärker berücksichtigen kann. Aber es wird keinesfalls — das sagt auch der Regierungsentwurf deutlich — ein Zurück zum grundlohnbezogenen Ausgleich geben können, weil wir darin Gefahren für das gegliederte System sehen. Wir werden mit Sicherheit alle Entscheidungen in den Beratungen — das ist ja auch die Grundlage des Regierungsentwurfs — daran messen, wieweit Selbstverwaltung und gegliedertes System dieser gesetzlichen Krankenversicherung dadurch voll erhalten bleiben und nicht durch irgendwelche Verrechnungsstellen oder dergleichen mehr in irgendwelche Schwierigkeiten kommen.Dabei darf ich für die Beratungen seitens der Freien Demokraten noch einen Gedanken in die Diskussion einbringen. Wir sind der Meinung, daß im Rahmen der Beratungen darüber nachgedacht werden sollte, ob es nicht möglich ist, das gesamte Beitragssystem, auch die Beitragszahlungen an die Ersatzkassen, auf dem bisherigen nur für die gesetzlichen Krankenkassen vorgesehenen Wege zu regeln, ob wir nicht ein generelles Beitragszahlungssystem im Rahmen der Reichsversicherungsordnung verankern könnten.Abschließend darf ich zu diesem Thema — zu Fragen des Kassenarztrechts und zu allem anderen wird noch zu späterer Stunde Gelegenheit sein, etwas zu sagen — noch einmal feststellen, daß wir diese Vorlage zur Regelung der Krankenversicherung der Rentner auch als eine Übergangsregelung ansehen, eine Übergangsregelung, die den Erfordernissen im Augenblick gerecht wird, die in ihrer endgültigen Regelung mit allen anderen kostendämpfenden Überlegungen gesehen werden muß, die wir auf dem Sektor der Krankenversicherung — hoffentlich gemeinsam — in den nächsten Jahren — denn das ist keine kurzfristige Sache von heute auf morgen — zweifellos gemeinsam überlegen werden.Wir Freien Demokraten — ich habe das schon einmal in einer der letzten Debatten für die FDP sagen können — sind der Auffassung, daß wir in unserem sozialen Beitragssystem an einer Belastungsgrenze angelangt sind, bei der es für alle notwendig ist, darüber nachzudenken, wie zunächst einmal unter Verzicht auf zusätzliche Leistungen erreicht werden kann, daß nicht vermeidbare, um des Patienten, um des Kranken willen notwendige zusätzliche Leistungen durch Einsparungen aufgefangen werden, die in manchen Bereichen unseres Gesundheitssystems ohne weiteres möglich sind, ohne daß dabei eine Leistung, ohne daß dabei eine medizinische Forschung vernachlässigt werden müßte. Näheres dazu wird von uns in den nächsten Beiträgen noch gesagt werden.
Das Wort hat das Mitglied des Bundesrates, Herr Staatsminister Geissler aus Rheinland-Pfalz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Gesundheitsminister der Länder haben auf ihrer letzten Sitzung in Boppard einstimmig mit Zustimmung des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit erklärt, daß die Leistungen für die gesundheitliche Sicherung in der Zukunft gefährdet würden, wenn die Kostenzuwachsraten im Gesundheitswesen nicht gesenkt werden könnten. Es müsse sichergestellt werden, daß auch in Zukunft der medizinische Fortschritt den Bürger zu sozial tragbaren Preisen erreiche.Die Gesundheitsministerkonferenz hat gleichzeitig, ebenfalls einstimmig, beschlossen, ganz bestimmte konkrete Maßnahmen einzuleiten, die vorbereitet werden durch eine Kommission der Ministerkonferenz, deren Vorsitz der Kollege Pätzold aus Berlin hat. Ich glaube, das war wegen seiner Einmütigkeit ein bemerkenswerter Beschluß. Wie ich auch darauf hinweisen möchte, daß die bisher einzigen bundesweit beschlossenen Maßnahmen zur Kostensenkung Entscheidungen der Ländergesundheitsminister gewesen sind,
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Staatsminister Dr. Geissler
hinsichtlich des Personalstopps vorbereitet durch den Siebener-Ausschuß des Krankenhausfinanzierungsgesetzes unter dem Vorsitz der Frau Bundesminister Focke. Das soll dankbar anerkannt werden.Der Gesundheitssenator von Hamburg, Dr. Nölling, hat die Situation mit folgenden Worten charakterisiert: Der Kostendruck verstärkt den Reformdruck. Ich möchte hinzufügen: verstärkt auch die Notwendigkeit zu gemeinsamem kraftvollen Handeln. Der Bundestagsabgeordnete Dr. von Weizsäcker hat in einem anderen Zusammenhang von der Chance der Krise geredet. Kritisch ist die Situtation im Gesundheitswesen, das ist richtig. Es kommt darauf an, was diejenigen, die die Verantwortung tragen, aus dieser Chance machen. Dies ist die Lage, die ja von niemandem mehr bestritten wird: im Jahre 1973 Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe von 43 Milliarden DM und die Steigerung auf mindestens 90 Milliarden DM im Jahre 1978. Dies bedeutet Beitragserhöhungen von 10,5 % im Jahre 1975 auf mindestens 13 % — das ist niedrig gerechnet —, wenn nichts geschieht. Dies wird nicht mehr bestritten. Meine Damen und Herren, ich will auch gar nicht mit denen rechten, die noch vor einem halben Jahr bei der Aufstellung dieser Zahlen von Horrorgemälden gesprochen haben, oder mit jenen, die dies aus einer anderen Richtung als „publizistisches Phänomen" abzutun versuchten, wie es in Fachzeitschriften genannt worden ist.
Viel wichtiger, meine Damen und Herren, war, allen die Notwendigkeit des Handelns in der Gesundheitspolitik deutlich zu machen, auf einem Gebiet, das anerkanntermaßen so ziemlich das fragilste und differenzierteste ist, was es in der Politik gibt, umfangreich, kompliziert, gefährlich, teuer und vor allem fachlich schwierig. Die Gesundheitsminister des Bundes und der Länder haben, so hoffe ich, diesen gemeinsamen Weg auch aus der Erkenntnis eingeschlagen, daß eine Lösung dieses Problems unmöglich erscheint, wenn der Staat oder auch eine Partei sich durch die beteiligten Interessen auseinanderdividieren lassen. Die Erfahrungen der Geschichte, der gesundheitspolitischen und sozialpolitischen Geschichte, in der Bundesrepublik Deutschland haben dies ja wohl deutlich gemacht.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang etwas sagen, was ich an sich nicht sagen wollte. Herr Bundesminister Arendt und Frau Bundesministerin Focke haben jedoch diesen Problemkreis angesprochen. Es gilt hier etwas zu korrigieren. Ich weiß nicht, ob dies jetzt die neue Strategie sein soll, daß man sagt, der Bund, die Bundesregierung habe im Grunde genommen für die Gesundheitspolitik gar keine Kompetenzen oder nur wenig Kompetenzen oder fast keine Kompetenzen, auf jeden Fall keine ausreichenden Kompetenzen.
Meine Damen und Herren, ich halte dies für eineschlechte Strategie, die sich auch nicht in Übereinstimmung mit dem befindet, was wir gemeinsam zu tun haben.
Die wichtigsten Steuerungsmittel zur Senkung der Kosten im Gesundheitswesen befinden sich ganz zweifellos in der Bundeskompetenz, nämlich die Reichsversicherungsordnung, das Kassenarztrecht mit der Problematik, ob z. B. durch das Ungleichgewicht der Partner in der Sozialversicherung die Steuerungsmechanismen der Selbstverwaltung nicht mehr wirken. Dies ist ein Thema, dessen sich die Bundesregierung im Rahmen ihrer Überlegungen zur Reichsversicherungsordnung annehmen sollte. Zu nennen sind ferner die Frage der Bedarfsplanung, die jetzt im Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetz angesprochen ist und geregelt werden soll, und die Gebührenordnung der Ärzte, in ihrer jetzigen Fassung eine der Hauptursachen der Kostenentwicklung bei der ärztlichen Versorgung, nicht in erster Linie wegen des Honorarfaktors, sondern wegen der falschen Bewertung der einzelnen Leistungen. Eine Reform dieser Gebührenordnung ist überfällig. In die Kompetenz des Bundes gehört ferner das Krankenhausfinanzierungsgesetz mit der Bundespflegesatzverordnung, ein Gesetz, das nach dem Willen der Bundesregierung mit dem Ziel verabschiedet worden ist, zu sozial tragbaren Pflegesätzen beizutragen und diese zu garantieren. Außer der Bundespflegesatzverordnung im Jahre 1973 — und dies ist auch nur deswegen geschehen, weil der Bundesrat Fristen gesetzt hatte — ist von der Bundesregierung bisher zur Ausführung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes keine einzige Verordnung erlassen worden. Dies ist ein Defizit, das den Ländern bei der Aufstellung der Krankenhauszielpläne außerordentlich große Schwierigkeiten macht. Ich hätte dies hier nicht angeführt — ich möchte dies noch einmal betonen —, wenn vorher nicht behauptet worden wäre, daß die Bundesregierung auf dem Gebiete der Kostensenkung im Gesundheitswesen fast keine Kompetenzen besitze.Meine Damen und Herren, in der Debatte, um die es heute geht, wird es, glaube ich, in erster Linie darauf ankommen, daß wir uns über die Frage unterhalten, ob die Mittel, die wir im Gesundheitswesen ausgeben, optimal eingesetzt werden für das Ziel, das es zu erreichen gilt, nämlich Krankheiten zu verhüten und allen Bürgern in diesem Lande, unabhängig davon, wo sie wohnen und welches Einkommen sie haben, eine nach dem Stand des medizinischen und technischen Fortschritts gute ärztliche Versorgung zu garantieren. Die Frage der Effizienz des Gesundheitswesens also steht im Vordergrund. Der Ministerpräsident des Landes RheinlandPfalz, Dr. Kohl, hat einmal gesagt: Es geht darum, das Gesundheitswesen auf den Prüfstand der ökonomischen Effizienz zu stellen. Um es mit den Verfassern der Sozialenquete zu sagen und zu fragen: Wird das gewaltige Beitragsaufkommen der gesetzlichen Krankenversicherung in nutzenoptimaler Weise verwendet? Werden die dafür bereitgestellten Gesundheitsgüter im medizinisch rechten Maß an die ihrer bedürftigen Versicherten aufgeteilt, so nämlich, daß das mit diesem Aufwand erzielbare maximale Niveau der Volksgesundheit verwirklicht wird?
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Staatsminister Dr. Geissler
Werden die Bedürfnisse der Versicherten tatsächlich in zweckmäßiger Weise befriedigt, oder sind Fehleinsatz, Verschwendung, Leerlauf an der Tagesordnung? Der Verdacht, daß das System der gesetzlichen Krankenversicherung teurer ist als nötig, läßt sich nicht leicht abweisen.Dabei steigen die Ausgaben für die Krankenversicherung um die Hälfte schneller als die Einkommen. Wenn vorhin gesagt worden ist „Das ist auch früher schon so gewesen", dann ist das auch nur die halbe Wahrheit.
Denn daß sie um die Hälfte schneller steigen als die Einkommen, ist früher nicht der Fall gewesen — das haben wir seit 1970 —, und dies haben wir auch im internationalen Vergleich in den anderen Ländern nicht. Diesen Überhangkoeffizienten von 1,5 gibt es in der Bundesrepublik Deutschland. Meine Damen und Herren, und zwar ohne daß der Versicherte entsprechend besser versorgt wird, ist diese Entwicklung vorhanden — ein Menetekel für Regierung, Gesetzgeber und Selbstverwaltung. Stillhalteappelle und guter Wille allein reichen nicht. Wenn sich der gute Wille darauf beschränkt — vielleicht sogar wider besseres Wissen oder aus parteipolitischem Kalkül —, alles beim alten zu lassen, ist dieser gute Wille von der Verantwortungslosigkeit, von der falschen Kameraderie und von der Feigheit kaum zu unterscheiden.
Leider entsteht der Eindruck, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung in der Behandlung dieser Frage in sich gespalten ist. Es ist zu befürchten, daß ein Teil der Bundesregierung in seinen Entscheidungen nicht so frei ist, wie wir dies eigentlich wünschten. Meine Damen und Herren, es ist nicht zu verantworten, daß z. B. von einem Mitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Schmitz-Formes, Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, in einem kürzlich erschienenen Interview mit der Zeitschrift „Die Zeit" für den Fall, daß von den Orts-, Innungs- und Betriebskrankenkassen keine lineare Erhöhung der Arzthonorare zugestanden würde, die Möglichkeit des Arztstreiks nicht ausgeschlossen worden ist. Ich halte dies angesichts der Situation, in der wir uns heute im Gesundheitswesen befinden, für eine unzulässige und unmoralische Perspektive.Die mangelnde Effizienz, meine Damen und Herren, bedroht nicht nur die soziale Wirksamkeit, sondern auch die Freiheitlichkeit unseres Gesundheitssystems. Ich füge die Hoffnung an, daß diese Kausalkette von niemandem gewünscht und gewollt ist.
Hier ist hinzuzufügen, daß nach meiner Meinung die Behauptung nicht widerspruchslos aufrechterhalten werden kann, daß unser Gesundheitswesen das beste und zugleich das freiheitlichste ist. Es erreicht in einer Reihe von Punkten nicht den internationalen Standard. Gekennzeichnet wird es von einer überproportionalen Kostenentwicklung bei nachlassender Effizienz. Es kann weder aus der Sicht desArztes noch aus der des Versicherten als ausreichend freiheitlich angesehen werden. Für beide ist eine Gefährdung nicht zu leugnen. Der Arzt unterliegt systembedingt durchweg einer steigenden Inanspruchnahme mit der Gefahr oberflächlicher Untersuchungsmethoden, mangelnder Aktualisierung seines Wissensstandes und zudem der Gefälligkeitsmedikamentierung. Verbunden damit ist eine wachsende Kritik am Berufsstand selber.Für den Versicherten ergibt sich ein Rückzug der Ärzte in die Klinik, aus ländlichen und Stadtrandgebieten, aus der persönlichen Behandlung insgesamt. Dafür sind nicht nur strukturpolitische Gründe maßgebend, Herr Kollege Arendt, sondern z. B. auch die Gebührenordnung der Ärzte. Eingeschränkt sind dadurch das Recht auf freie Arztwahl sowie das Recht auf ungehinderten, gleichen, ausreichenden Zugang zur ärztlichen Behandlung überhaupt. Hinzu kommt für den Versicherten zunehmend die Gefahr des Verlusts des Rechts auf Selbstbestimmung; ich weise in diesem Zusammenhang auf die Diskussionen beim Davoser Symposium unter dem Schlagwort „Institutionalisierung des Medizinbetriebs" hin.Aufsehenerregende Erfolge der Medizin, Berichte über gelungene Organverpflanzungen, „Siege" der Wissenschaft über früher schicksalhafte Leiden vermitteln dem Bürger noch das trügerische Gefühl, die medizinische Wissenschaft mache die Heilung jeglicher Erkrankung zu einer Frage der Bereitstellung medizinischer Mittel, einer Einnahme von Medikamenten und äußerstenfalls ,des Besuchs einer Spezialklinik. Dem Bürger wird suggeriert, er könne Gesundheit kaufen. Das ist genau das, was Ivan Illich mit dem Begriff „Ablaßtheologie im Gesundheitswesen" gemeint hat. Geld geben und dafür das Heil erwarten, das reicht heute nicht mehr aus. Dadurch, daß der einzelne seinen Beitrag bezahlt, wird er seiner Verantwortung für die Gesundheit nicht ledig.Diejenigen täuschen sich allerdings, meine Damen und Herren, die glauben, durch Beharren auf dem Bestehenden die Freiheitlichkeit des Gesundheitssystems erhalten zu können. Die Fakten beweisen das Gegenteil. Abgesehen davon, daß bei einer weiteren Explosion der Kosten härtere Eingriffe des Staates unabweisbar werden, ist schon jetzt in Teilbereichen die freie Arztwahl zunehmend gefährdet. Da genügen keine Beschwörungen, sondern wir müssen Entscheidungen treffen, die diese Tendenz rückgängig machen. Von 1960 bis 1974 stieg die Zahl der im Krankenhaus tätigen Ärzte um 30 000, die Zahl derjenigen in freier Praxis ,aber lediglich um 8 000 an. Bereits heute gibt es in der Bundesrepublik Deutschland mehr Ärzte im Angestellten- und im Beamtenverhältnis als solche in freier Praxis.Meine Damen und Herren, wie fast jede Sache hat auch die Gesundheitspolitik zwei Seiten. Die eine Seite, das sind die Anbieter, die 150 000 Ärzte und Zahnärzte, die 1 000 Arzneimittelhersteller und die 23 000 Apotheker und die 3 500 Krankenhäuser. Die andere Seite, das sind die 60 Millionen Bürger in der Bundesrepublik Deutschland — wenn Sie so wollen, die Nachfrager —, die jährlich insgesamt rund 100 Milliarden DM ausgeben und dafür Heilung ihrer
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Krankheiten und Sicherung im Krankheitsfall erwarten.Aus dieser Aufteilung ergeben sich die beiden vorrangigen gesundheitspolitischen Aufgaben: einmal die Gesundheitsleistungen besser und preiswerter anzubieten, zweitens dafür zu sorgen, daß weniger Nachfrage nach medizinischer Leistung notwendig und dementsprechend gleichzeitig auch das Angebot verringert wird. Beides muß zusammen geleistet werden. Die Verringerung der Nachfrage nach gesundheitlichen Leistungen ist daher nicht mit Leistungsabbau gleichzusetzen, sondern mit dem Ziel, den Gesundheitszustand der Bürger insgesamt zu verbessern. Gerade in einer sogenannten übermedikalisierten Gesellschaft ist es notwendig, wieder an die simple Wahrheit zu erinnern, daß es — medizinischer Fortschritt hin und medizinischer Fortschritt her —, allemal besser ist, gar nicht erst krank zu werden. Dies gilt um so mehr, als nach übereinstimmender Meinung deutscher und amerikanischer Wissenschaftler der gesamte medizinische Fortschritt der letzten Jahre und Jahrzehnte durch Faktoren wie Überernährung und psychosozialen Streß, Zigarettenkonsum und Luftverschmutzung, Alkoholmißbrauch und Bewegungsarmut wieder aufgewogen worden ist. Es ist klar, daß diese Erkenntnis — und das ist wichtig für die Zukunft — nicht nur die Eigenverantwortung des einzelnen, sondern auch die Verantwortung der Gesellschaft zur Krankheitsverhütung und zur Neugestaltung der Umwelt herausfordert, einer Umwelt, die derzeit noch mit ihrer auf Konsum, Genuß und Leistung ausgerichteten Orientierung gleichzeitig auch ein vielfältiges Angebot zur schnellen und leichten Befriedigung dieser Bedürfnisse bereithält. Übersättigung auf der einen und Überforderung auf der anderen Seite lassen bei den schwindenden emotionalen Bindungen Menschen unserer Zeit eben schneller zur Flasche, zur Zigarette und zu den Psychopharmaka greifen.Umgekehrt werden dementsprechend auch gesellschaftspolitisch falsche Prioritäten gesetzt, die sich auf die Kosten auswirken. Überall dort, wo es heute um für jeden erkennbare medizinische Vorgänge geht, begegnen wir einer deutlichen Neigung des Staates, auch Geld bereitzustellen. Das gilt z. B. für Herzoperationen oder Organtransplantationen. Dem steht ein fast gesundheitsfeindliches Verhalten der Gesellschaft, teilweise sogar gesundheitspolitischer Rückschritt überall dort gegenüber, wo der Zusammenhang mit der Medizin gegeben, nicht aber auf den ersten Blick erkennbar ist, z. B. bei den Lebens-, Konsum- und Eßgewohnheiten, aber auch beim Wohnungsbau und im Schulwesen. Wir haben z. B. ein Jugendarbeitsschutzgesetz, das 14- bis 18jährige vor den Überforderungen des Lehrbetriebes schützen soll. Ich stelle die Frage: Welches Gesetz schützt eigentlich die 6- bis 14jährigen vor der psychischen und physischen Überforderung der staatlichen Schule mit all den negativen Konsequenzen, die damit verbunden sind?
Und rühren die Schwierigkeiten, die Arbeitswelthumaner zu gestalten nicht vielleicht auch daher,daß nicht ausreichend erkannt wird, daß ein humaner Arbeitsplatz eben zugleich ein gesunder Arbeitsplatz ist? Wenn dies erkannt wird, wird zugleich die Kostenkomponente — auch für den Unternehmer — erkennbar.Es ist wohl jedem einsichtig, daß es mehr als ein grobes Mißverständnis wäre, dieses Verständnis der Krankheitsverhütung, das selbstverständlich auch die Eigenverantwortung des einzelnen, gesund zu bleiben, mit einschließt, mit der Selbstbeteiligung im Krankheitsfall zu verwechseln, einem Instrument, das, wie die Erfahrung gezeigt hat, nur wenig — wenn überhaupt — etwas an der gesamten Nachfrage geändert hat. Ich möchte in diesem Zusammenhang daher noch einmal in aller Form von einer Einengung der Diskussion auf die Selbstbeteiligung im Krankheitsfall als Patentrezept warnen, weil eine solche Entwicklung leicht als Alibi für Maßnahmen genommen werden kann, die notwendigerweise anderswo getroffen werden müssen.Meine Damen und Herren, was die Selbstbeteiligung anbelangt, so ist immer wieder zu erkennen, daß die Sozialdemokraten leicht damit bei der Hand sind, der Christlich-Demokratischen Union ungerechtfertigterweise soziale Demontage zu unterschieben. Ich möchte dies in aller Form zurückweisen.
Ich habe hier eine Pressemitteilung von heute — unterzeichnet von dem Kollegen Börner — vorliegen, in der die Sozialdemokratische Partei im Zusammenhang mit der Verabschiedung des sogenannten Strategiepapiers, der „Alternative '76", die Behauptung aufstellt, daß die Christlich-Demokratische Union den Sozialstaat als Ganzes in Frage stelle und eine soziale Demontage in der Bundesrepublik Deutschland einleite.
Es wird dann noch auf das Sonthofener Papier verwiesen; es sei heuchlerisch, wenn unter anderem die Sozialprobleme, die gesundheitspolitischen Probleme der Minderheit, der sozial Schwächeren in diesem Zusammenhang genannt werden. Ich kann dazu nur folgendes sagen: Es ist auf jeden Fall heuchlerisch, sich über Sonthofen aufzuregen und gleichzeitig eine solche Presseerklärung abzugeben. Das ist meine Meinung.
Meine Damen und Herren, mit dem ständigen Vorwurf der sozialen Demontage an die Adresse der Christlich-Demokratischen Union verhält es sich genauso wie mit der absurden Behauptung vor den nordrhein-westfälischen Landtagswahlen, der Aufschwung komme. Es ist eine Täuschung des Wählers und nichts anderes!
Meine Damen und Herren, Sie dürfen mir das eine glauben: Dies ist ein Punkt, wo Sie uns auch abnehmen müssen, daß wir empfindlich reagieren. Sie können nicht die 20 Jahre sozialpolitische Verantwor-
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tung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nach eigenem parteipolitischen Willen eliminieren, wie es gerade paßt!
Die medizinischen Leistungen — dies war die andere Seite, die Angebotsseite — besser und preiswerter anzubieten erfordert eine Vielzahl aufeinander abgestimmter Maßnahmen. Es ist hier heute eine ganze Reihe solcher Maßnahmen genannt worden. Ich will diesen Katalog nicht noch weiter verlängern, vor allem weil die Arbeitsgruppen am Werk sind und die Maßnahmen, die jedenfalls auf Länderebene getroffen worden sind, intensiv beraten und nach der Beratung auch realisiert werden. Aber es ist notwendig, daß die Interessengruppen an einen Tisch kommen. Die Gesundheitsministerkonferenz könnte eine Clearing-Stelle aller Beteiligten sein, um die Interessen zueinander zu führen. Was wir brauchen, ist auf jeden Fall eine Atempause, auch eine Atempause auf seiten des Gesetzgebers, die zu konsolidierenden Aktivitäten genützt werden sollte. Dies betrifft die Bundesregierung, den Gesetzgeber, die Länder ebenso wie die pharmazeutische Industrie und die Ärzte.Ich möchte als Negativbeispiel durchaus die in der Fassung des Bundestags beschlossene Krankenversicherung der Studenten und die sogenannte Änderung der Krankenversicherung der Rentner nennen, wie sie im Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetz jetzt vorgesehen ist. Die Länder haben die Aufgabe, neben den Maßnahmen, die bereits beschlossen worden sind, hinsichtlich der Zahl der Akutkrankenhausbetten die Krankenhauszielplanung zu überprüfen. Nur: die Entscheidungen, welche Maßnahmen sich kostenbremsend auswirken, können erst getroffen werden, wenn wir entweder durch eine Novellierung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes oder durch eine eindeutige rechtliche Interpretation erreichen können, daß wir den Krankenhausträgern sagen können, was sparsame Wirtschaftsführung im Krankenhaus ist. Denn die Rechtssituation ist die, daß die Krankenhausträger Rechtsansprüche haben, aber auf der anderen Seite im Gesetz keine immanenten kostenwirksamen Bremsen enthalten sind, die es denjenigen, die für die Pflegesätze verantwortlich sind, gestatten würden, rechtlich absolut abgesichert die notwendigen Maßnahmen zu treffen.Wichtig ist ganz zweifellos, daß wir neben dem Akutkrankenhaus die vorstationäre und die nachstationäre Behandlung ausbauen. Die Krankenhauszielplanung muß umfassen: Nachsorgekrankenhäuser, Langzeitkrankenhäuser, auf dem pflegerischen Bereich den weiteren Ausbau der Sozialstationen. Für eine bessere Verzahnung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung sind auf jeden Fall modellhafte Erprobungen notwendig. Wenn das nicht geschieht, können wir nicht erreichen, daß die teuerste Form der ärztlichen Versorgung, nämlich die Akutkrankenhausversorgung, entlastet wird. Hier ist ganz zweifellos ein wichtiger Punkt des Ansatzes.Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir hier einen Punkt noch ansprechen sollten, den ichvorhin in einer Nebenbemerkung schon genannt habe: die Stärkung der Steuerungsmittel, die der Selbstverwaltung der Krankenversicherung zur Hand gegeben sind. Ich glaube, wir sollten die Selbstverwaltung und die Partner in der Selbstverwaltung von seiten des Staates aus unterstützen, zusätzlich die Möglichkeiten der Selbstverwaltung zur Kostensteuerung neu überlegen und überprüfen und dort, wo die Stellung des einen oder anderen Partners hinsichtlich der Kostenbremsung offensichtlich zu schwach ist, auch die Möglichkeit einer Änderung der gesetzlichen Bestimmungen zu erwägen bis hin zu der von manchen aufgeworfenen Frage, ob nicht einheitliche Vertragsverhandlungen, eventuell sogar für alle Kassenarten, notwendig sind, um eine Kostenexplosion der genannten Art einzudämmen. Dazu gehöre auch die fachliche Verstärkung der Kassenseite.Der Ausbau des Schiedsamtsverfahrens — was die personelle Seite anlangt — wurde im Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetz angesprochen. Ich meine aber, daß eine materielle Ergänzung durch vorzusehende Entscheidungshilfen notwendig ist, beispielsweise in der Form von Orientierungsrahmen und Orientierungsdaten für die Beitragssätze, aber auch für die Einkommensentwicklung selber.Dringlich ist aber, daß eine Reform des Systems der Finanzierung der Krankenversicherung stattfindet, und hier vor allem, daß die Alarmsysteme verstärkt und nicht entfernt werden. Dies gilt besonders für den vorliegenden Entwurf eines Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetzes — dies ist in der Debatte bereits gesagt worden —, in welchem sich die Bundesregierung — ich kann es nicht anders beurteilen — einen geradezu gigantischen finanzpolitischen Verschiebebahnhof schaffen will für ihr anderswo, nämlich in der Rentenversicherung lästige Kosten;
denn dort hat sie in der Beitragsgestaltung die politische Verantwortung. Damit nicht genug: auch eben diese politischen Verantwortlichkeiten hinsichtlich der Beitragsgestaltung werden abgeschoben und delegiert — um diesen vornehmen Ausdruck zu gebrauchen — auf die 1 500 Krankenkassen dezentral in unseren Ländern.
Es geht auch nicht an, daß der Bund alle möglichen Belastungen auf die Krankenversicherung wälzt, die 1 500 Krankenkassen mit ihren Finanznöten alleinläßt und sich zudem durch rückwirkende Streichung seiner Garantieverpflichtungen gänzlich aus der Verantwortung für die Krankenkassenbeiträge entlassen will. Es ist eben nicht richtig, wenn gesagt worden ist, daß die Garantiehaftung verfassungswidrig sei. Das Bundessozialgericht hat festgestellt, daß die Garantiehaftung der kommunalen Gebietskörperschaften verfassungswidrig ist, aber mitnichten festgestellt, daß z. B. die Garantiehaftung des Bundes verfassungswidrig wäre, im Gegenteil. Daß die Garantiehaftung und die Beitragshöchstgrenzen nicht gegriffen haben, hing zum großen Teil damit zu-
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sammen, daß aus eben diesem verfassungsrechtlichen Grunde die kommunalen Gebietskörperschaften überall dort, wo Garantiehaftung und Beitragshöchstgrenze hätten greifen können, ihre Verpflichtung abgestritten und in großen gerichtlichen Prozessen natürlich die Wirksamkeit dieses gesetzgeberischen Instrumentariums nicht zum Tragen kommen konnte. Unbewiesen ist bisher, ob dieses Instrumentarium nicht greifen würde, wenn der Garantieträger der Bund wäre.Jedenfalls ist die jetzt vorgesehene Regelung keine Politik zugunsten der Selbstverwaltung. Es ist eine unsolide Politik. Von einer verantwortlichen Bundesregierung muß erwartet werden, daß sie nicht Fahnenflucht vor den Problemen in der Krankenversicherung begeht, sondern vielmehr deutliche Zeichen ihrer Entschlossenheit setzt, die Kostenexplosion in der Krankenversicherung dort in den Griff zu bekommen, wo sie die Verantwortung hat, nämlich in der Reichsversicherungsordnung. Dazu gehört, die Beitragssatzhöchstgrenzen zur reformieren und sie nicht durch Festhalten an realitätsfernen Marken zur Bedeutungslosigkeit zu verdammen.Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ist meiner Ansicht nach darüber hinaus zu fragen, was er außer der Verlagerung der Rentenversicherungsbelastungen auf die Krankenversicherung jetzt zur Kosteneindämmung zu tun gedenkt. Seine konzertierte Aktion droht, wie die Reaktionen der Beteiligten zeigen, ein Fehlschlag zu werden. Der Bundesarbeitsminister hat für den 11. Juni zu einer neuen Runde eingeladen. Wird er dann wenigstens das, was sein Kollege Friderichs für die gesamte Wirtschaft getan hat und zu Recht tut, gesetzlich abgestützt und auch mit Erfolg, auch seinen Gesprächspartnern gegenüber tun, nämlich Orientierungsdaten für die Einkommensentwicklung geben? Diese Frage sollten wir stellen und nach dem 11. Juni darauf eine Antwort fordern.Ob es uns gelingt, meine Damen und Herren — lassen Sie mich das zum Schluß sagen —, die vor uns liegenden gesundheitspolitischen Aufgaben kraftvoll und vorurteilsfrei in Angriff zu nehmen, wird nicht zuletzt auch zu einer Bewährungsprobe für den Staat insgesamt. Diese Debatte sollte nicht vorbeigehen, ohne daß gerade dies draußen deutlich geworden wäre.
Das Wort hat der Abgeordnete Glombig.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Heute vormittag wurde mir auf dem Weg zum Plenarsaal zu dieser Debatte allseits zugeraunt, daß Herr Dr. Geissler heute hier anwesend sei und daß wir doch mit einem großen Tag zu rechnen hätten.
Mir wurde weiterhin gesagt, daß Herr Dr. Geissler sicherlich die Gelegenheit benutzen werde, konkrete Vorschläge dafür zu machen, wie es im Gesundheitswesen eigentlich weitergehen soll.Wenn Herr Dr. Geissler bei diesem Anlaß sagt, daß zumindest im Zusammenhang mit der Reichsversicherungsordnung Zuständigkeiten des Bundes gegeben seien, so kann natürlich nicht von der Hand gewiesen werden, daß es zahlreichere Zuständigkeiten der Länder im Zusammenhang mit dem Gesundheitswesen gibt. Dazu habe ich allerdings von dem Herrn Landesminister Dr. Geissler überhaupt nichts gehört.Herr Dr. Geissler ist über allgemeine Bemerkungen eigentlich nicht hinausgekommen. Insofern war die Rede, der ich mit sehr großer Erwartung entgegengesehen habe, zumindest für mich — ich glaube, auch für den größeren Teil der Mitglieder dieses Hauses — enttäuschend.
Ich meine, daß keine einzige Anregung gegeben wurde. Bemerkenswert sind eigentlich nur zwei Dinge.
— Ich habe sehr gut zugehört. Deswegen erdreiste ich mich auch, das beim Namen zu nennen.
— Nun hören Sie doch mal zu!Die Rede von Herrn Dr. Geissler enthielt zwei bemerkenswerte Dinge. Die eine bemerkenswerte Sache ist die, daß Herr Dr. Geissler, wie so oft, sich in diesem Hause nicht der Tatsache bewußt ist, daß er Vertreter des Bundesrates ist. Man hat immer den Eindruck, als spräche ein Vertreter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu den Mitgliedern dieses Hauses.
Ich meine, das ist wirklich eine Stilverletzung, die man eigentlich rügen sollte.
— Wenn Herr Kühn das auch tut, bin ich bereit, das ebenfalls zu rügen. Sie haben es ja schon getan.
— Gar nichts. Hier geht es um Stilfragen, nicht um Fragen der Verfassung. Ich bezweifle doch nicht das Recht von Herrn Geissler, hier zu sprechen.
Die zweite bemerkenswerte Sache betrifft die Selbstverwaltung. Herr Dr. Geissler hat gesagt, daß der Bund die Selbstverwaltung ermuntern sollte, bei der Kostendämpfung ihre Position stärker zu
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Glombignutzen. Ich meine, daß der Bund das bisher in vollem Umfang getan hat.
Ob es allerdings auch alle Länder, vor allem auch bei den landesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechts als den Trägern der Sozialversicherung, in diesem Umfang getan haben, wage ich zu bezweifeln, denn sowohl die Gesundheitspolitische Gesprächsrunde, die im Herbst vorigen Jahres gegründet wurde und die eine hämische Begleitung nicht zuletzt auch durch Herrn Dr. Geissler gefunden hat, als auch 'die Sozialpolitische Gesprächsrunde bei Herrn Bundesarbeitsminister Arendt haben doch gezeigt, daß diese Bundesregierung nicht nur über solche Möglichkeiten spricht, sondern handelt.In der nächsten Woche kommt es zu sehr wichtigen Verhandlungen mit den Krankenkassen und mit den Ärzten. Wir hoffen sehr, daß sich die Krankenkassen und die Ärzte den Vorschlägen der Bundesregierung gegenüber nicht allzu verschlossen zeigen.Aber ich habe weiterhin den Eindruck, daß die Selbstverwaltung, meine Damen und Herren, ihre Möglichkeiten, die sie heute bereits auf Grund der Bestimmungen des Selbstverwaltungsgesetzes und der Reichsversicherungsordnung hat, nicht in dem Umfang wahrnimmt, wie es notwendig wäre. Ich bin selber über 20 Jahre Mitglied der Selbstverwaltung der Sozialversicherung und sage hier ganz offen: Ich bin der Meinung, daß das Gewicht der Geschäftsführer im Verhältnis zu den Selbstverwaltungsorganen der Sozialversicherung so bedeutend ist, daß diese Selbstverwaltung vielleicht nicht immer die Möglichkeit hat, die sie sich ausrechnet. Ich meine, man sollte der Selbstverwaltung wirklich zurufen, 'sie möge von ihren Möglichkeiten mehr als bisher Gebrauch machen.
Es ist doch überhaupt nicht einzusehen, daß die Selbstverwaltung z. B. an den Verhandlungen über die Arzthonorare, an den Verhandlungen z. B. über die übrigen Verträge, die es abzuschließen gilt, gar nicht beteiligt wird, sondern eigentlich nur wie 'bei der Festsetzung der Beiträge letztlich ja und amen zu sagen hat, weil nämlich so, wie die Dinge angelegt sind, ein Nein von vornherein eine Katastrophe bedeuten würde.
— Den Bösewicht habe ich nicht gefunden; das ist Ihre Auslegung, Herr Franke. Das kann auch nur von Ihnen kommen. Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, daß ich wirklich ein Verfechter der Selbstverwaltung bin und das durch meinen Einsatz gezeigt habe und auch weiterhin zeigen werde. Wenn ich das hier sage, dann meine ich die Stärkung der Selbstverwaltung und nicht das Gegenteil.
Meine Damen und Herren, die SPD-Bundestagsfraktion sieht in der heutigen Debatte über die Si-tuation des Gesundheitswesens in der Bundesrepublik Deutschland, über das KrankenversicherungsWeiterentwicklungsgesetz und das Gesetz zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts eine Gelegenheit zu einer, wie ich hoffe, sachlichen und nüchternen Diskussion — bisher war sie ja im Grunde genommen sachlich — über die Probleme der Kosten- und Beitragsentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Eine solche sachliche Diskussion ist dringend notwendig. In Zukunft wird nämlich die Gesetzgebung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung z. B. allen Fraktionen, also auch der Opposition, einen konstruktiven Beitrag abverlangen, den wir heute ebenfalls vermißt haben; denn ich habe aus den Äußerungen von Herrn Müller nicht einen einzigen 'konstruktiven Vorschlag zur Lösung der hier anstehenden Probleme gehört.
— Ich habe zugehört, ich habe sogar sehr gut zugehört.
— Ja, das ist möglich. Da müßte ich wirklich noch Ihren Intellekt bekommen. Vielleicht kann man bald auch noch den Intellekt übertragen.
— Ja, bei weiterem medizinischem Fortschritt wird vielleicht auch das möglich sein.Einen ersten Schritt zur Lösung dieser Aufgaben hat die Bundesregierung mit der Vorlage des Entwurfs eines Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetzes getan. Auch die Opposition wäre gut beraten, wenn sie sich bei der Bewältigung dieser Aufgaben — nun sage ich auch das hier einmal ganz deutlich, nachdem sich Herr Dr. Geissler als Vertreter der CDU/CSU an diesem Pult etwas weit vorgewagt hat — nicht auf eine Strategie der verbrannten Erde à la Sonthofen verlegen würde.Die Ausführungen des Kollegen Weizsäcker, den ich leider nicht mehr sehe, zur Finanzsituation der Sozialversicherung in der letzten Haushaltsdebatte haben uns allerdings Anlaß zu Hoffnung gegeben, auch wenn wir weder seiner Analyse noch seinen von konservativem Denken geprägten Lösungsvorschlägen zustimmen können.Die Opposition sollte aber dem Vorschlag des rheinland-pfälzischen Sozialministers Dr. Geissler folgen und die Einsicht üben, daß Verunsicherungskampagnen — darin sind Sie ja Meister, Herr Kollege Franke — und Versuche zur propagandistischen Ausschlachtung der Kostenentwicklung völlig fehl am Platze sind.
— Sie machen das doch ständig.
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Glombig— Ich will Ihnen das ja gleich beweisen. Warten Sie mal einen Moment! Ich komme ja darauf. Haben Sie Geduld!Worauf es tatsächlich erst einmal ankommt, ist eine kritische Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Strukturen unseres Gesundheitswesens. Diese Strukturen, durch die die Kostensteigerungen zu einem großen Teil begründet sind, sind bekanntlich seit Jahrzehnten unverändert. Das ist eine Tatsache. 20 Jahre lang hat es die Union versäumt, Maßnahmen zur Strukturverbesserung im Gesundheitswesen einzuleiten. Auch das ist eine Tatsache. Sie hat durch ihre gescheiterten Versuche zur Krankenversicherungsreform — Herr Kollege Müller, ich möchte Sie daran erinnern — sogar das psychologischpolitische Klima für Erneuerungen auf Jahre hinaus verdorben.Erst seitdem die sozialliberale Koalition die Regierungsverantwortung trägt, ist der Immobilismus in der Gesundheits- und Sozialpolitik, insbesondere im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, so meine ich, beendet.Ich erinnere nur an die Öffnung der gesetzlichen Krankenversicherung für alle Angestellten, an die Einführung der Krankenversicherung für die Landwirte, an die Einführung der Früherkennungsmaßnahmen, an das Krankenhausfinanzierungsgesetz und an die Einbeziehung der Studenten und der Behinderten in die gesetzliche Krankenversicherung. Es besteht also nicht der geringste Grund, der sozialliberalen Koalition die Schuld für die Kostenentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuschieben, so, wie es eben hier wieder von Herrn Dr. Geissler versucht worden ist.Völlig unzutreffend ist die immer wieder geäußerte Auffassung, die Beitragssatzsteigerungen der letzten Zeit seien durch die von der sozialliberalen Koalition — übrigens mit Zustimmung der Union — eingeführten Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Krankenversicherung verursacht worden. Die vom rheinland-pfälzischen Sozialminister Dr. Geissler vorgelegte Dokumentation widerlegt in diesem Punkte dankenswerterweise ausdrücklich diese Behauptung. Dafür möchte ich Ihnen meinen ausdrücklichen Dank aussprechen, Herr Dr. Geissler.Die Hauptursachen der Kostensteigerungen in der gesetzlichen Krankenversicherung liegen also nicht in der sozialpolitischen Gesetzgebung der letzten Jahre und schon gar nicht in einer Überstrapazierung des Sozialstaatsprinzips, wie aus konservativen Kreisen immer wieder zu hören ist.Wir sollten unsere Aufmerksamkeit vielmehr auf die strukturellen Faktoren in unserem Gesundheitswesen richten, anstatt nach Sündenböcken zu suchen.
An erster Stelle sind hier Veränderungen im Aufbau der Versichertengemeinschaft zu nennen, die zu einem höheren Krankheitsrisiko geführt haben. Als Beispiel hierfür sei der Anteil der Rentner an den Versicherten aller Krankenkassen erwähnt: Er istvon unter 12 % im Jahre 1960 auf gegenwärtig rund 16 % gestiegen. Verlängerte Ausbildungszeiten — das ist eine Folge unserer Bildungsreform und das Heranwachsen geburtenstarker Jahrgänge haben die Zahl der Familienhilfeberechtigten anwachsen und den Anteil der beitragszahlenden Mitglieder der Krankenkassen an den Versicherten von 46,6 % im Jahre 1960 auf 42,6 % im Jahre 1973 absinken lassen. Es ist ganz klar, daß dies zu Beitragssatzsteigerungen führen mußte.Das gilt auch für den teuren medizinisch-technischen Fortschritt. Auch er wirkt kostensteigernd. Aber dennoch herrscht doch wohl Übereinstimmung darüber, meine Damen und Herren, daß dieser Fortschritt möglichst allen Bürgern zugute kommen sollte. Vor allem aber ist das Gesundheitswesen trotz des medizinisch-technischen Fortschritts ein lohnintensiver Dienstleistungssektor, der keinen dem der Industrie vergleichbaren Produktionsfortschritt kennt.Der Fortschritt im Bereich der Medizin ermöglicht immer bessere Behandlungserfolge, kaum aber Einsparungen beim Einsatz menschlicher Arbeitskraft im Gesundheitswesen. Ärzte und Pflegepersonal lassen sich nicht durch Maschinen ersetzen. Deshalb müssen die Kosten im Gesundheitswesen notwendigerweise stärker steigen als es der allgemeinen Einkommensentwicklung entspricht. Bundesminister Arendt hat bereits darauf hingewiesen. Eine solche Entwicklung wäre nur dann aufzuhalten, wenn die Einkommen der im Gesundheitswesen Beschäftigten dauernd und zunehmend hinter der allgemeinen Einkommensentwicklung zurückblieben. Ich nehme aber nicht an, daß die Christlichen Demokraten z. B. die Krankenschwestern mit einem Gotteslohn abspeisen möchten. Diese Zeit ist nun wohl hoffentlich endgültig vorbei.Man darf auch nicht vergessen, daß ein Teil der Kostensteigerungen auf eine Entwicklung der letzten Jahre zurückgeht, die wir alle gewollt haben. Wir haben sie ohne Ausnahme gewollt, wenn ich das richtig verstanden habe, was in diesem Hause dazu gesagt worden ist.Das erklärt zu einem großen Teil die Entwicklung in dem für die Beitragserhöhungen besonders verantwortlichen Krankenhausbereich. Durch das Krankenhausfinanzierungsgesetz und die Bundespflegesatzverordnung sind wir endlich zu einer Vollfinanzierung der Krankenhäuser gekommen. Dadurch konnten die Gemeinden von den drückenden Krankenhauspflegekosten befreit werden. Leistungsniveau und Ausstattung der Krankenhäuser konnten erheblich verbessert werden. Die Unterbezahlung und die unerträglich langen Arbeitszeiten des Pflegepersonals wurden beseitigt. Die Zahl der pro Patient zur Verfügung stehenden Krankenhausärzte und Pflegepersonen hat sich beachtlich erhöht. Das jahrzehntelang bestandene Defizit an Krankenhausbetten ist ausgeglichen worden. Diese Entwicklung ist gewollt, und jeder, der undifferenziert die Beitragssatzerhöhung anprangert, so wie es ja auch der Herr Kollege Müller getan hat, muß sich fragen lassen, ob er das Geschehene rückgängig machen will.
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GlombigDie durch die Kosten der Krankenhausbehandlung entstandenen Beitragssatzsteigerungen beruhen zum Teil gar nicht auf echten Kostensteigerungen, sondern zu einem großen Teil auf bloßen Kostenverlagerungen. Kosten, die die Bürger vorher versteckt über die öffentlichen Haushalte zu tragen hatten, fallen jetzt in Gestalt der Krankenhauspflegesätze und der Krankenversicherungsbeiträge offen an.Die SPD-Bundestagsfraktion sieht allerdings in der Tatsache, daß weitgehend strukturelle Faktoren auf die Beitragssätze einwirken, keine Rechtfertigung dafür, diesen Zustand einfach hinzunehmen. Im Gegenteil, gerade weil es einen nicht vermeidbaren langfristigen Trend zur Steigerung der Gesundheitskosten gibt, müssen alle Möglichkeiten zur Rationalisierung des Gesundheitswesens völlig ausgeschöpft werden.In diesem Zusammenhang möchte ich erst einmal auf die Kostenbeteiligung im Krankheitsfall, die sogenannte Selbstbeteiligung eingehen, die in der Öffentlichkeit in letzter Zeit immer mehr als Patentrezept zur Dämpfung der Krankenhauskosten angepriesen wird. Hier kann ich wiederum mit großer Genugtuung feststellen, daß ich mit Herrn Dr. Geissler in der Beurteilung der Selbstbeteilung übereinstimme. Aber Herr Dr. Geissler kann keinesfalls so tun, als wäre diese seine Meinung Allgemeingut in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Ich finde, diesen Punkt müssen wir hier noch einmal klarstellen. Die SPD-Bundestagsfraktion hält — um das ganz klar zu sagen — die Selbstbeteiligung weder für zweckmäßig noch für sozial tragbar und wird daher am derzeit gültigen Sachleistungsprinzip festhalten.
Damit befinden wir uns im Gegensatz zu der Auffassung der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände — ich nenne diese zuerst —, aber auch im Gegensatz zu der Auffassung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, deren Stellvertretender Vorsitzender, der Kollege von Weizsäcker, sich vor einiger Zeit, nämlich bei den Haushaltsberatungen im März dieses Jahres, hier an dieser Stelle sehr engagiert für eine Selbstbeteiligung eingesetzt hat.Diese Vorschläge sind wohl — da stimme ich mit Herrn Dr. Geissler überein — nicht ausreichend durchdacht. Denn man kann nicht einfach davon ausgehen, wie die Befürworter der Selbstbeteiligung es tun, daß die Kostensteigerungen in der gesetzlichen Krankenversicherung vornehmlich durch ungebührliches Anspruchsdenken und unverantwortliches Verhalten der Versicherten verursacht worden sind. Es ist mehr als eine gefährliche Gedankenlosigkeit, wenn jetzt bestimmte Politiker oder auch Interessenvertreter — ich denke dabei nicht zuletzt an den Ärztetag vor einigen Wochen in Hamburg — den Versicherten und ihren Familienangehörigen hier den Schwarzen Peter zuspielen wollen.
— Das ist wohl auch nachzulesen.
Es ist doch überhaupt nicht zu bestreiten, daß es für den Versicherten keinen Zugang zu irgendeiner Kassenleistung ohne die verantwortliche Mitwirkung des behandelnden Arztes gibt. Ich finde, auch das muß dann in gebührlicher Weise in der Offentlichkeit festgestellt werden.
Wenn es also eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Kassenleistungen gibt, dann trifft die Ärzte dafür eine erhebliche Verantwortung. Ich sehe keinen Grund dafür, meine Damen und Herren, die Ärzte aus dieser Verantwortung zu entlassen.Die Vorschläge zur Einführung einer Selbstbeteiligung gehen im Grunde genommen von einem völlig verfehlten Denkansatz aus. Es wird nämlich unterstellt, daß der Versicherte als medizinischer Laie unter Abwägung der für ihn entstehenden Kosten richtig beurteilen kann, ob die Inanspruchnahme bestimmter medizinischer Leistungen für ihn nützlich sei oder nicht. Diese Unterstellung ist ganz sicher falsch. Die Rezepte für die Selbstbeteiligung erscheinen angesichts der Kompliziertheit der ökonomischen Zusammenhänge im Gesundheitswesen zum Teil reichlich naiv. Bei der Selbstbeteiligung besteht das Problem darin, ob es mit ihrer Hilfe gelingt, ohne einen zu großen Verwaltungsaufwand die Kosten der Gesundheitssicherung zu senken und dabei eine Verschlechterung des Gesundheitsstandards der Bevölkerung oder Einkommensumverteilungseffekte zu Lasten der sozial Schwachen oder gar beides zu vermeiden.Die nähere Analyse zeigt eine ganze Reihe von Schwierigkeiten auf. Erstens: Es besteht die begründete Gefahr, daß durch eine Selbstbeteiligung die Kosten der Gesundheitssicherung überhaupt nicht verringert werden, sondern lediglich von den Kassen auf die Privathaushalte verlagert werden würden. Zweitens: Die Selbstbeteiligung muß, da sie wohl doch nicht mehr sein kann als nur eine Kostenverlagerung von der Versichertengemeinschaft auf die einzelnen Versicherten, die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen insgesamt einschränken. Drittens: Eine Selbstbeteiligung ist untrennbar mit einer Einkommensumverteilung verbunden. Außerdem muß daran erinnert werden, daß sich die Einführung einer Eigenbeteiligung um so günstiger auswirkt, je höher das Einkommen des betreffenden Versicherten ist. Ich meine, das ist ein sehr unsozialer Effekt, der unbedingt vermieden werden muß.Außerdem sprechen alle bisherigen praktischen Erfahrungen mit der Kostenbeteiligung im Krankheitsfall gegen die Einführung eines solchen Systems. Auch in der privaten Krankenversicherung, in der es seit eh und je eine Eigenbeteiligung gibt, sind ähnliche Kostensteigerungen wie in der gesetzlichen Krankenversicherung zu verzeichnen. Gleiche Erfahrungen sind im Ausland gemacht worden. In Frankreich z. B. macht man sich erhebliche Sorgen um die Steigerung der Ausgaben für Arzneimittel. Die Kosten steigen dort gegenwärtig um
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Glombigca. 14 % im Jahr, obwohl die in Frankreich gegen Krankheit Versicherten zwischen 20 und 30 % der Arzneimittelkosten aus eigener Tasche bezahlen müssen. Die medizinische Kontrollkommission der französischen Sozialversicherung schätzt, daß trotz dieser Kostenbeteiligung ca. 30 bis 40 % der verordneten Medikamente weggeworfen werden. Die Nachteile der Selbstbeteiligung sind also so gravierend und die bisherigen Erfahrungen so enttäuschend, daß die Selbstbeteiligung als für die Lösung der anstehenden Probleme ungeeignet angesehen werden muß. Es wäre deshalb zu begrüßen, wenn die Opposition insgesamt zumindest in diesem Punkt ihre Auffassung revidierte.Was den Vorschlag des rheinland-pfälzischen Sozialministers Dr. Geissler betrifft, so habe ich vorhin mit ihm darüber gesprochen. Er hat gesagt, er habe diesen Vorschlag so nicht gemacht. Er hätte Gelegenheit gehabt, das zu korrigieren. Ich muß leider davon ausgehen, daß das so in den Meldungen der Zeitungen vermerkt ist. Auch diesen Vorschlag von Herrn Dr. Geissler, die durch Tabak- oder Alkoholgenua verursachten Krankheiten aus dem Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung auszuklammern, lehnt die SPD-Bundestagsfraktion entschieden ab. Ebenso wie bei dem Plan zur Einführung einer Selbstbeteiligung wird hier der Versuch gemacht, die sogenannte Eigenverantwortung der Versicherten durch finanziellen Druck zu verstärken. Ich meine, das ist der falsche Weg. Die Eigenverantwortung der Versicherten sollte durch Aufklärung und Beratung gestärkt werden und nicht durch den Griff ins Portemonnaie.Außerdem würde der Vorschlag von Dr. Geissler das Solidaritätsprinzip der Sozialversicherung grundsätzlich in Frage stellen. Wenn man tabak- oder alkoholbedingte Krankheiten ohne Versicherungsschutz ließe, so müßte man konsequenterweise auch die Folgen der Überernährung sozialversicherungsrechtlich bestrafen oder die Übernahme der Kosten der Krankenbehandlung bei selbstverschuldeten Verkehrsunfällen verweigern. Und ich wage nur ganz bescheiden die Frage anzufügen: Was ist mit den Geschlechtskrankheiten? Auch das dürfte dann kein Tabu sein.Die Konsequenz wäre, daß diejenigen, die eine Gesundheitsstörung selbst verschuldet haben, auch keine Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente erhalten. Die Verwirklichung des Vorschlages von Dr. Geissler würde eine prinzipielle Weichenstellung im Sozialrecht bedeuten. Bislang werden in der Sozialversicherung grundsätzlich alle Versicherungsfälle abgedeckt, wenn sie nicht vorsätzlich vom Versicherten verursacht worden sind. Nach dem Vorschlag von Dr. Geissler würden alle fahrlässig verursachten Versicherungsfälle vom Schutz durch die Sozialversicherung ausgeschlossen werden. Die SPD-Bundestagsfraktion hält das aus grundsätzlichen sozialpolitischen Gründen für nicht akzeptabel.Außerdem würde die Ausklammerung von alkohol- und nikotinbedingten Krankheiten aus dem Krankenversicherungsschutz zu verwaltungsmäßigvöllig unpraktikablen Regelungen führen. Es entstünde das Problem des Nachweises des Tabak- und Alkoholmißbrauchs, und damit käme eine Prozeßlawine auf die Krankenkassen zu.Die Antwort auf die Kostenentwicklung in der Sozialversicherung kann nach Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion nicht in einer Einschränkung der Sozialleistungen oder im Einfrieren des sozialpolitischen Status quo bestehen. Ich halte es für sehr bedenklich, wenn in der letzten Zeit in der Offentlichkeit zunehmend die Meinung vertreten wird, daß wir ein überperfektes System der sozialen Sicherheit hätten, daß des Guten bereits zuviel getan worden sei und daß wir nun einsehen müßten, mit weniger sozialer Sicherheit auszukommen. Es kursieren Schlagworte wie Bürde des Sozialkonsums, Last der Wohltaten oder Anspruchsdenken zum Nulltarif.Diese simplen Schablonen sind irreführend. Tatsache ist zwar, daß unser System der sozialen Sicherheit einen hohen Leistungsstand erreicht hat und daß wir dafür eine Menge Geld ausgeben. Aber jeder Sachkundige weiß auch, daß es noch große Lücken in diesem System gibt. Deshalb wendet sich die sozialdemokratische Bundestagsfraktion auch entschieden gegen den Versuch, die Kostenprobleme in der Sozialversicherung zum Vorwand dafür zu nehmen, die Idee des Sozialstaates aus konservativer Sicht ideologisch zu verketzern.
Leider sind in der letzten Zeit, auch aus den Reihen der Unions-Parteien, wieder die alten Märchen von der angeblichen Entmündigung des Bürgers durch die Inanspruchnahme von Sozialleistungen neu ins Gerede gebracht worden. Ich bin überzeugt: Die Bürger werden sich durch diese Klischeevorstellungen der ewig Gestrigen nicht irre machen lassen. Sie wissen, daß soziale Sicherheit kein gesellschaftspolitischer Luxus ist, auf den man in schwierigen Zeiten verzichten muß, sondern ein Grundpfeiler unserer Gesellschaftsordnung, auch und gerade in Schlechtwetterzeiten. Sie wissen genau, daß ohne ein möglichst umfassendes System der sozialen Sicherheit eine humane, freiheitliche, stabile und ökonomisch leistungsfähige Gesellschaft unmöglich ist.Es wäre also völlig verfehlt, anzunehmen, wir hätten zuviel soziale Sicherheit. Wir müssen vielmehr fragen, ob wir nicht, gemessen am finanziellen Aufwand, zuwenig soziale Sicherheit haben und ob wir den heutigen Stand an sozialer Sicherheit mit geringeren Finanzmitteln erreichen könnten. Es wird nicht zuviel soziale Sicherheit produziert, sondern die soziale Sicherheit wird in manchen Bereichen zu teuer produziert. Nicht nur über die Höhe unseres Sozialbudgets müssen wir uns Gedanken machen — wie man uns von konservativer Seite einreden will —, sondern darüber, ob die Organisation der sozialen Sicherheit und ihrer Institutionen zweckmäßig arbeitet. Nicht durch Abbau sozialer Leistungen, sondern durch Reform der Strukturen in unse-
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Glombigrem System der sozialen Sicherheit muß der Kostenentwicklung begegnet werden.
Das trifft ganz besonders auf das Gesundheitswesen zu, dessen Institutionen sich in den letzten Jahrzehnten ohne vorausschauende und koordinierende Planung entwickelt haben. Eine weitere Verbesserung des Leistungsstandes unserer Gesundheitssicherung, ja schon die Aufrechterhaltung des heutigen Leistungsstandes wird nur möglich sein, wenn hier die Chancen für kostensparende Strukturreformen genutzt werden. Dabei müssen Gruppen- und Institutionsegoismen im Interesse der Gesundheit unserer Bürger und im Interesse der Versicherten im Konfliktfall zurückstehen. Es müssen vor allem auf folgenden für die Kostenentwicklung besonders bedeutsamen Gebieten in nächster Zeit Maßnahmen eingeleitet werden:Erstens. Die Krankenhausplanung muß verbessert werden. Überkapazitäten ebenso wie Mangel an bestimmten Spezialbetten müssen vermieden werden. Hier haben die Bundesregierung und der Bundestag nur geringe Möglichkeiten. Ich möchte auf diesen Punkt nicht näher eingehen, weil das Krankenhausrecht und die Krankenhausplanung in die Kompetenz der Länder fallen. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt den einstimmigen Beschluß der Konferenz der Gesundheitsminister der Länder, Vorschläge zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser auszuarbeiten. Außerdem ist eine Koordinierung der Einzelplanungen der Länder unter Einschaltung des Bundes auf freiwilliger Grundlage dringend erforderlich.Zweitens. Auch die Gestaltung der Krankenhauspflegesätze muß überprüft werden. Es ist inzwischen unbestritten, daß der gegenwärtige einheitliche Pflegesatz für alle Patienten — unabhängig von der Schwere ihrer Erkrankung und von der Dauer ihres Krankenhausaufenthalts — dazu verleiten kann, die Patienten unnötig lange im Krankenhaus festzuhalten und damit die Verweildauer zu erhöhen. Ein internationaler Vergleich der durchschnittlichen Verweildauer legt diesen Verdacht nahe. Es sollte überlegt werden, ob nach Schwere der Erkrankungen differenzierte und mit wachsender Verweildauer sinkende Pflegesätze eingeführt werden sollten. Solche Pflegesätze wären dem tatsächlichen Kostenverlauf im einzelnen Krankheitsfall besser angepaßt und würden sicherlich zur Herabsetzung der Verweildauer beitragen. Damit wäre die wichtigste Voraussetzung für einen Abbau der bestehenden Überkapazitäten an Krankenhausbetten geschaffen. Den Krankenkassen und ihren Selbstverwaltungsorganen sollte ein Mitwirkungsrecht bei der Festlegung der Pflegesätze eingeräumt werden.Drittens. Es hat sich nach übereinstimmender Auffassung aller Sachkundigen herausgestellt, daß in unserem Gesundheitswesen gegenwärtig die Arbeitsteilung zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor nicht zufriedenstellend ist. Vor allem bei der technischen Diagnostik gibt es sehrhäufig Doppelleistungen. Außerdem erfordert die Diagnostik, die derzeit in vielen Fällen nur mit Hilfe der technischen Ausstattung der Krankenhäuser erbracht werden kann, zu einem großen Teil keinen Krankenhausaufenthalt. Dennoch werden die Patienten in diesen Fällen ins Krankenhaus eingewiesen. Die Folge ist, daß vermeidbare Pflegekosten und Überkapazitäten an Krankenhausbetten entstehen. Auf der anderen Seite findet ein großer, ein zu großer Teil der technischen Diagnose in ärztlichen Einzelpraxen statt, was zu einer unrationellen Nutzung teurer Apprate führt. Deshalb muß die Abgrenzung von ambulanter und stationärer medizinischer Versorgung neu überprüft werden. Dabei soll die stationäre Versorgung auf das medizinisch erforderliche Maß beschränkt werden. Die ambulante Versorgung muß grundsätzlich beim niedergelassenen Arzt bleiben. Es kann nämlich nicht im Sinne einer kostendämpfenden Reform liegen, die ambulante Versorgung generell auf die Krankenhäuser zu verlagern.Viertens: Die Honorierung der niedergelassenen Ärzte muß überprüft werden. Wie die Statistiken zeigen, sind die Einkommen der niedergelassenen Ärzte im Durchschnitt so hoch, daß keine Notwendigkeit dafür besteht, sie auch in Zukunft wesentlich kräftiger wachsen zu lassen als die Einkommen der Versicherten, wie das in den letzten Jahrzehnten der Fall gewesen ist. Nach Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion sollten die Arzthonorare auch weiterhin durch freie vertragliche Vereinbarungen zwischen den Krankenkassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen festgelegt werden. Von einer gesetzlichen Reglementierung der Arzthonorare versprechen wir uns allerdings nichts, weil sie zu einer Aushöhlung der Funktion der Selbstverwaltung führen würde. Die Stellung der Selbstverwaltung in den Honorarverhandlungen muß aber gestärkt werden. Vor allem müssen die Verhandlungen über die jährlichen Honorarsteigerungen der Ärzte für die Versicherten und die Öffentlichkeit wesentlich transparenter gemacht werden. Schließlich übersteigt die Honorarsumme heute bereits 10 Milliarden DM pro Jahr. Diese Größenordnungen und ihre Bedeutung für die Beitragssatzentwicklung und damit die Nettoeinkommen des Versicherten machen es erforderlich, daß die Mechanismen, die zur Festlegung der Arzthonorare führen, ähnlich offengelegt werden wie die Tarifverhandlungen über die Erhöhung der Arbeitnehmereinkommen. Deshalb sollten die Arzthonorare bundeseinheitlich zwischen den Krankenkassen und den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen ausgehandelt werden. Für eine nach Kassenarten differenzierte Arzthonorierung gibt es nach unserer Auffassung heute keine Rechtfertigung mehr. Die früher insbesondere bei den Angestelltenkrankenkassen gehegte Erwartung, durch eine besonders großzügige Honorierung der Ärzte ihren Versicherten eine bessere ärztliche Versorgung garantieren zu können, haben sich nicht erfüllt.Zum letzten. Auch im Bereich der Organisation der Krankenkassen sind Veränderungen erforderlich. Unseres Erachtens ist das vorerst die Sache der Selbstverwaltung der Krankenkassen. Es wäre gut, wenn nicht jede Änderung der bestehenden
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GlombigKassenstruktur als Angriff auf das Prinzip der Selbstverwaltung aufgefaßt werden würde; das wäre ein großes Mißverständnis. Der besondere Vorzug der Selbstverwaltung, von der direkten staatlichen Administration unabhängig zu sein, sollte ja gerade darin liegen, daß sie in der Lage ist, die Organisation der sozialen Sicherheit schnell und flexibel an die Bedürfnisse der Versicherten anzupassen. Eine solche Anpassung der Kassenorganisation an die veränderten Verhältnisse ist dringend notwendig. Alle Krankenkassen müssen künftig eine wirtschaftlich günstige Betriebsgröße erhalten. Die Beitragsbelastung der Versicherten muß unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kasse oder Kassenart angeglichen werden. Die Versicherten werden auf die Dauer kein Verständnis dafür haben, daß sie je nach Wohnort, Arbeitsplatz oder Einordnung als Arbeiter oder Angestellter ihren Krankenversicherungsschutz teurer bezahlen sollen als andere. Die Durchsetzungsmöglichkeit der Kassen gegenüber ihrem Verhandlungspartner muß gestärkt werden. Dies allerdings erfordert eine wesentliche Herabsetzung der Zahl der Kassenarten.Die SPD-Bundestagsfraktion sieht in den angedeuteten kostensparenden Strukturreformen im Gesundheitswesen eine der wichtigsten Aufgaben für die Sozialpolitik der nächsten Jahre. Diese Strukturreformen sind die einzige Alternative zu den konservativen Forderungen nach Demontage des Sozialstaats.
— Wenn Sie sich angesprochen fühlen, tut es mir sehr leid; denn ich hatte immer gemeint, Sie wären fortschrittlicher. — Das Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetz ist ein erster Schritt zu einer solchen Strukturreform in der gesetzlichen Krankenversicherung. Wir hoffen sehr, daß wir in dieser Frage gemeinsam mit der Opposition zu vernünftigen Ergebnissen kommen werden.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Neumeister.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Namens meiner Fraktion werde ich zu den Gesetzentwürfen insoweit Stellung nehmen, als sie sich mit dem Kassenarztrecht befassen. Darüber hinaus werde ich an geeigneter Stelle auf die damit zusammenhängenden Probleme der Verbesserung der ambulanten und stationären Versorgung, der Zulassung zum Medizinstudium und die besorgniserregende Lage im öffentlichen Gesundheitsdienst kurz eingehen. Diese Themen sind Gegenstand der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zur Situation des Gesundheitswesens in der Bundesrepublik Deutschland.Zu diesem Vorgehen werde ich durch den Ablauf dieser Debatte gezwungen, da sich der für das Gesundheitswesen zuständige Minister gegen seinen für den Bereich der sozialen Krankenversicherungzuständigen Kollegen insoweit offenbar nicht hat durchsetzen können, als wir zu einer selbständigen Gesundheitsdebatte, die von der Sache her dringend erforderlich ist, heute leider nicht mehr kommen werden.
Scheut sich die Frau Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, in aller Öffentlichkeit hinsichtlich der brennenden und ungelösten Fragen in einer nicht unter Zeitdruck stehenden Debatte hier Rede und Antwort zu stehen?
Wird die Diskussion über unser Gesundheitswesendurch diese Zerstückelung nicht reichlich entwertet?Meine Damen und Herren, die Frage, ob es angezeigt, ja ob es notwendig ist, unser seit 1955 bestehendes Kassenarztrecht daraufhin zu überprüfen, ob, in welchen Teilen und in welcher Richtung es den seither abgelaufenen Entwicklungen angepaßt werden sollte und müßte, ist besonders im Laufe der letzten beiden Jahre von unterschiedlichen Grundpositionen aus vielfach — manchmal heftig und leider nicht immer sachverständig — diskutiert worden. Manche Kritiker glaubten dabei, das Kind mit dem Bade ausschütten zu müssen, und zeichneten aus durchsichtigen Gründen ein Zerrbild des Zustands der ärztlichen Versorgung unserer Bevölkerung im allgemeinen und der Bürger, die unter dem Schutz der sozialen Krankenversicherung stehen, im besonderen — ein Bild, meine Damen und Herren, für das Wilhelm Busch seinen folgenden Satz geschrieben haben könnte: „Und schon erscheint ihm unabweislich der Schmerzensruf: Das ist ja scheußlich!".Alle solche Unkenrufe befinden sich in einem unübersehbaren Gegensatz zu der einmütigen Feststellung der von dem Herrn Bundesarbeitsminister berufenen Sachverständigenkommission für die Weiterentwicklung der Krankenversicherung, wobei die fundierte Sachkenntnis und die Repräsentativität der Kommissionsmitglieder für die Beurteilung dieser Fragen wohl kaum bestritten werden kann.
Diese Kommission ist bekanntlich nach langen, sehr eingehenden Prüfungen zu dem Ergebnis gekommen, das geltende Kassenarztrecht habe sich in seinen Grundzügen bewährt und bedürfe lediglich einer Anpassung an eingetretene Entwicklungen. Diese Aussage steht leider im Gegensatz zu der von Herrn Albert Müller — den ich sonst sehr schätze —, die er heute in der „Welt" gemacht hat.Die politische Bejahung dieser Feststellung der Kommission kommt meines Erachtens sinn- und augenfällig dadurch zum Ausdruck, daß sowohl der von der Regierung eingebrachte Entwurf wie auch der vom Bundesrat vorgelegte Gesetzentwurf ausdrücklich von einer Weiterentwicklung des Kassenarztrechts als ihrem Ziel sprechen, nicht etwa von seiner Ablösung durch ein wie auch immer geartetes
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Frau Dr. NeumeisterSystem ambulanter ärztlicher Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung.Die CDU/CSU-Fraktion stellt ausdrücklich fest, daß sie in diesen Grundgedanken mit der Bundesregierung und mit dem Bundesrat voll übereinstimmt. Wir sind uns auch darin einig, daß die eindeutig vorhandenen Versorgungsprobleme im ländlichen Raum im wesentlichen eine allgemeine Zeiterscheinung darstellen, die uns durch die Verstärkung eines sich seit langem abzeichnenden Trends der Verstädterung bzw. der Landflucht zum Handeln zwingt.Es ist andererseits schlichter Unsinn, angesichts dieser regionalen Mängel von einer Krise unseres Gesundheitswesens zu sprechen. Wer das tut, dem ist entweder der Sinn für die Realitäten verlorengegangen, oder er verfolgt ganz bestimmte ideologische Ziele, die auf eine Veränderung unserer Gesellschaftsordnung abzielen. Die Vorschläge aus dieser Richtung, insbesondere von den Nachwuchsorganisationen der beiden Koalitionsparteien, bleiben aber jeden Beweis dafür schuldig, daß die von ihnen vorgeschlagene Systemänderung — oder sogar die Systemüberwindung — die gesundheitliche Versorgung unserer Bevölkerung wirklich verbessern würde.
Wer die Dinge sachlich sieht und auch als Opposition nach konstruktiven Vorschlägen für die Behebung einzelner Mängel sucht, kann beiden Gesetzentwürfen nicht absprechen, daß sie aus diesem sachlichen Bemühen heraus entstanden sind. Das schließt selbstverständlich nicht aus, daß man über Einzelheiten unterschiedlicher Meinung sein kann oder sicherlich sogar sein muß; aber in der Zielvorstellung überwiegt ganz deutlich die Gemeinsamkeit.Lassen Sie mich diese Feststellung noch mit einem ganz kurzen Rückblick verbinden. Das derzeit geltende Kassenarztrecht ist im August 1955 vom Deutschen Bundestag nach überaus eingehenden, jahrelangen Beratungen nahezu einstimmig, d. h. mit dem sozialpolitischen Konsensus der überwältigenden Mehrheit aller damals im Deutschen Bundestag vertretenen politischen Gruppen, verabschiedet worden. Die vor 20 Jahren in diesem Hause verabschiedete Lösung der Probleme einer Regelung der Beziehungen zwischen Krankenkassen und Ärzten hat sich nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion im Grundsatz bewährt. Sie ist mit der Grund dafür, daß uns in der Bundesrepublik im Gegensatz zu den meisten unserer Nachbarstaaten leidvolle Auseinandersetzungen zwischen den Trägern der Krankenversicherungen und den Ärzten zum Besten der Patienten und Ratsuchenden erspart geblieben sind und daß auf diesem Gebiet das Wort vom sozialen Frieden in vollem Umfange Realität war und ist. Wir wollen, daß es Realität bleibt, und hoffen uns in diesem Wunsch und Willen mit den übrigen Fraktionen des Hohen Hauses einig.Lassen Sie mich diese Gelegenheit benutzen, um die überwältigende Mehrheit der in unserem Lande tätigen Kassenärzte gegen viele verallgemeinerndeund unsachliche Vorwürfe von dieser Stelle aus ausdrücklich zu verteidigen. Wie in jeder Gruppe unserer Gesellschaft gibt es — meine Damen und Herren, wer wollte das bestreiten? — auch unter den Ärzten und Zahnärzten sogenannte schwarze Schafe. Aus solchen sicherlich bedauerlichen Einzelerscheinungen aber einen allgemeinen gesundheitspolitischen und moralischen ärztlichen Notstand erster Ordnung konstruieren zu wollen, wie es in der jüngeren Vergangenheit mündlich, schriftlich und auch bildlich immer wieder versucht worden ist, ist nach meiner Meinung eine ganz schlechte Methode, durch die unserem, wie ich hoffe, gemeinsamen Anliegen, nämlich einen möglichst hohen Stand ärztlicher Versorgung in der sozialen Krankenversicherung anzustreben und für ihn die gesetzlichen Grundlagen zu haben, nur Abbruch getan wird und durch die überdies eine Verunsicherung bei den Patienten erzeugt werden kann, die mit ihren schädlichen Folgen genau das Gegenteil dessen bewirken muß, was wir doch alle gemeinsam wollen.Die CDU/CSU-Fraktion würde es begrüßen — damit lassen Sie mich vom Rückblick auf den Ausblick kommen —, wenn es bei der parlamentarischen Behandlung der Weiterentwicklung ,des Kassenarztrechtes wiederum das gäbe, was sich nach unserer Überzeugung bei der Erarbeitung eben dieses Kassenarztrechtes Anfang der 50er Jahre so bewährt hat, nämlich das Bemühen der Fraktionen dieses Hauses um eine gemeinsame Lösung der für jeden Bürger unseres Landes wichtigen, weil ihn ja lebensnah berührenden Probleme der ärztlichen Versorgung, ihrer Sicherstellung und der Regelung der Beziehungen zwischen den Versicherungsträgern und den Ärzten und Zahnärzten. Meine feste Hoffnung, daß dies möglich sein wird, stützt sich nicht zuletzt auf die Ausführungen unseres Kollegen Herbert Wehner, die er vor wenigen Wochen im Namen der SPD-Fraktion zur Frage „Selbstverwaltung oder Staatseingriff?" sowie zur Tätigkeit der Krankenhäuser auf dem ambulanten Sektor machte, und auch auf ähnliche Worte des Fraktionsvorsitzenden der FDP.Meine Damen und Herren, es kann und soll heute nicht zu Detailvorstellungen der Gesetzentwürfe Stellung genommen werden. Dies zu tun, wird in den Ausschußberatungen reichlich Gelegenheit sein. Lassen Sie mich aber einige Worte zu drei mir wesentlich erscheinenden Problemkreisen sagen.Da ist erstens das Problem der Sicherung einer möglichst gleichmäßigen Versorgung aller Anspruchsberechtigten der sozialen Krankenversicherung. Soweit die Bundesregierung in Übereinstimmung mit dem Gesetzentwurf des Bundesrates zur Verbesserung der kassenärztlichen Versorgung Bedarfsplanungen vorschlägt, findet sie voll unsere Zustimmung. Man muß sich aber darüber im klaren sein, daß der Begriff „Bedarfsplanung" zunächst nicht viel mehr als ein Schlagwort ist und daß es ganz entscheidend auf die konkrete Ausgestaltung und die Kriterien der Bedarfsermittlung ankommt, wenn man die Effizienz der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung wirklich spürbar verbessern will. Jeder Sachkenner weiß, daß es sich dabei kei-
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Frau Dr. Neumeisterneswegs nur um das Problem einer richtigen Verteilung der Ärzte handelt, sondern um ein überaus komplexes Gebilde aus Fragestellungen und Bestandserhebungen, das z. B. nicht unwesentlich durch die demographischen Verhältnisse, durch die Unterschiede zwischen Wohn- und Arbeitsorten, durch die hiermit eng verbundene Problematik des Verkehrs, besonders des Nahverkehrs, und auch vieles andere mehr geprägt wird. Andererseits kann selbstverständlich die Frage der ärztlichen Versorgung z. B. in den Stadtrandgebieten und in den Landgebieten nicht einfach mit dem Hinweis auf allgemeine Folgen einer sogenannten Verstädterung abgetan werden. Wir werden die einzelnen Rechtsgüter, um deren Abwägung es sich hierbei handeln muß, in den Ausschüssen sehr genau zu prüfen haben, und wir werden gut beraten sein, wenn wir von Anfang an die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei unseren Beratungen berücksichtigen, um nicht Gefahr zu laufen, unter Umständen Vorstellungen nachzuhängen, die später keinen rechtlichen Bestand haben und deshalb letztlich mehr Schaden als Nutzen anzurichten geeignet sind.In diesem Zusammenhang werden wir auch abwägen müssen, welche Formen der zur Förderung der Sicherstellung der ambulanten ärztlichen Versorgung möglichen Maßnahmen im Gesetz vorgesehen werden sollen. Grundsätzlich vertreten meine Freunde und ich die Meinung, daß es den Lebensgesetzen der Selbstverwaltung der Krankenkassen, der Kassenärzte und denen der gemeinsamen Selbstverwaltung dieser beiden wichtigen Partner am besten entspricht, wenn man ihnen den größtmöglichen Raum für Überlegungen und tätiges Handeln läßt und nicht etwa unmittelbare oder mittelbare Beschränkungen vornimmt, die sich bei einer späteren Handhabung des Gesetzes als hinderlich erweisen könnten. Die gesetzliche Unterstützung der bereits bestehenden und auch genutzten Steuerungsmöglichkeiten der Kassenärztlichen Vereinigungen zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung kann nur begrüßt werden, denn nur durch diese Maßnahmen kann das Ziel, eine bedarfsgerechte und gleichmäßige ärztliche Versorgung zu gewähren, erreicht werden.Allerdings erscheint mir das von der Bundesregierung als letztes Mittel vorgeschlagene Instrument der Zulassungssperre als äußerst problematisch. Ich weiß aus eigener Erfahrung sehr wohl, daß solche Vorschläge angesichts der berechtigten Wünsche der Landbevölkerung nach mehr Ärzten und Zahnärzten sehr populär sind und darüber hinaus den Staat nichts kosten. Ich bin aber überzeugt, daß Zulassungssperren bzw. Zulassungsdirigismus nicht den gewünschten Erfolg haben werden, zusätzliche und vor allem qualifizierte Landärzte zu gewinnen. Es ist doch eine ganz bekannte Erfahrungstatsache, daß Zulassungsbeschränkungen und -sperren grundsätzlich den Trend zur Weiterbildung zum Facharzt fördern. Junge Ärzte, die man in einen solchen anscheinend weniger attraktiven Bereich dirigieren will, müssen sich doch verunsichert fühlen und gehen — wer wollte es ihnen verübeln — zunächst einmal den Weg des geringsten Widerstandes. Sielassen sich gar nicht erst oder erst viel später nieder, sie bleiben einfach länger im Krankenhaus und spezialisieren sich dort immer weiter, schließlich bis zum Facharzt für das linke Nasenloch oder sonst etwas.
Alle Bemühungen zur verbesserten ärztlichen Versorgung der Stadtrand- und Landgebiete werden damit aufgehoben.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Bitte schön, Herr Abgeordneter!
Frau Kollegin, darf ich Ihre Ausführungen so verstehen, daß Sie damit den Bundesratsantrag vollinhaltlich zurückweisen?
Ich finde, wir sollten eine gute Mischung zwischen beiden Anträgen machen.
Meine Damen und Herren, nur durch eine ausreichende Zahl von Ärzten für Allgemeinmedizin und von praktischen Ärzten kann die Versorgung sichergestellt werden. Entscheidend wichtig ist daher, den ärztlichen Nachwuchs bereits während des Studiums und in der Weiterbildung wesentlich stärker als bisher für die Allgemeinmedizin zu interessieren. Dazu bedarf es aber sicherlich einer verstärkten Förderung der Einrichtung von Lehrstühlen für Allgemeinmedizin; es bedarf der Integration der Allgemeinmedizin in Lehre und Forschung.Meine Damen und Herren, ich pflege die Aufgabe der Opposition immer als konstruktive Alternative zu sehen und möchte daher einen weiteren Gegenvorschlag zur Behebung des Ärztemangels auf dem Lande machen, und zwar einen Vorschlag ohne Zwangsanwendung. Für bestimmte Leistungen, die erfahrungsgemäß und nachweislich im ländlichen Bereich und in Stadtrandgebieten unter schwierigeren Umständen zu erbringen sind, könnten durch die kassenärztlichen Vereinigungen in den Bewertungsmaßstäben Zuschläge einkalkuliert werden, die dieser erschwerten Leistung gerecht würden.
Der Honorarkuchen insgesamt bleibt dabei unverändert. Krankenkassen und Versicherte werden mit keinem Pfennig mehr belastet. Eine solche Lösung entspricht der Solidargemeinschaft der Kassenärzte bzw. der Kassenzahnärzte.
— Genau!
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Frau Dr. NeumeisterHinzu kommt die Notwendigkeit einer Änderung der ärztlichen Gebührenordnung, die heute erfreulicherweise verschiedentlich angesprochen wurde, über die die Bundesregierung sich aber in ihrer Antwort auf unsere Anfrage völlig ausschweigt. Eine Höherbewertung der eigentlichen ärztlichen Beratungsleistung gegenüber den rein technischen Leistungen des Arztes ist längst überfällig. Hier möchte ich nur etwas zitieren, was Albert Müller heute oder gestern in der „Welt" gesagt hat und was ich ausgezeichnet finde: „Der Arzt darf nicht bestraft werden, nur weil Nachdenken als Ziffer in der Gebührenordnung nicht vorkommt."Grundlage für die Niederlassungswilligkeit junger Ärzte in weniger attraktiv erscheinenden Gebieten muß meines Erachtens vor allem Vertrauen sein, Vertrauen in die Zukunft dieses Systems der gesundheitlichen Sicherung, Vertrauen aber auch in diesen Staat. Eine Atmosphäre des Vertrauens aber kann in unserer pluralistisch-demokratischen Gesellschaftsordnung nur dauerhaft Bestand haben, wenn die Notwendigkeiten der Gemeinschaft möglichst ohne Zwangsanwendung mit den Wünschen des einzelnen, insbesondere mit seiner beruflichen Tätigkeit, in Übereinstimmung gebracht werden. An der Verwirklichung dieses gemeinsamen Ziels sollten wir alle intensiv mitarbeiten. Dabei ist klar, daß Regierung und Opposition aus ihrem unterschiedlichen Selbstverständnis heraus die Akzente verschieden setzen.Mit Genugtuung stellten wir fest, daß die Bundesregierung im Zuge der Erarbeitung ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage, für die sie ja wahrlich genug Zeit gebraucht hat,
auch leichten Läuterungsprozessen ausgesetzt war. Denn während in einem früheren Entwurf, dessen Inhalt uns freundlicherweise über die Presse bekanntgegeben wurde, die Denkanstöße von Staatssekretär Professor Wolters, die in der Feststellung gipfeln, daß „die uneingeschränkte Aufrechterhaltung des monopolartigen Sicherstellungsauftrags der kassenärztlichen Vereinigungen lediglich mit ökonomischen Partikularinteressen erklärbar" sei, als „wesentlicher" Anstoß zur gesundheitspolitischen Dis-' kussion bezeichnet wurde, der in seiner Zielsetzung von der Bundesregierung geteilt werde, wird in der endgültigen Fassung der „wesentliche Anstoß" zu einem „weiteren Anstoß" degradiert, und die Gedankenharmonie von Regierung und Staatssekretär weicht der lapidaren Erklärung, daß die Bundesregierung über die Wege zur Erreichung des Ziels in Kontakt mit den betroffenen Institutionen stehe.
Dies klingt doch erheblich persönlicher und konstruktiver. Während die erste Antwort den Hinweis auf das notwendige Miteinander vermissen ließ, läßt die Schlußfassung hoffen, daß die Bundesregierung dieses schwierige Problem einer möglichst optimalen Zusammenarbeit zwischen ambulanter undstationärer Versorgung in Kontakt mit den betroffenen Institutionen lösen will. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Nur durch das Zusammenwirken aller Beteiligten können wirkliche Fortschritte in der gesundheitlichen Versorgung unserer Bürger erreicht werden. Durch Konfrontation und Zwang kann die Situation dagegen nur verschlechtert werden.Wir sind der Auffassung, daß die Anwendung von Zulassungssperren ebenso wie der Übergang des Sicherstellungsauftrags an die Krankenkassen durch eine verstärkte Förderung der Steuerungsmaßnahmen der kassenärztlichen und kassenzahnärztlichen Selbstverwaltung vermieden werden kann und tatsächlich erst als Ultima ratio erfolgen sollte.Aus unserer pluralistisch-liberalen Grundauffassung heraus sehen wir eigentlich jetzt erst die Bewährungsprobe auf die ärztlichen Selbstverwaltungsorgane zukommen. Sie beim Bestehen dieser Bewährungsprobe mit allen Kräften zu unterstützen, ist unser Ziel, nicht aber, ihr Selbstverständnis zu erschüttern durch ständige Drohung mit einer Systemänderung und einer Untergrabung ihres Sicherstellungsauftrags.
Die Selbstverwaltung wird beweisen müssen, daß sie in der Lage ist, auf dem ihr angebotenen Instrument zu spielen. Hier gilt das Wort: „Eine Selbstverwaltung ist immer nur so viel wert, wie sie in der Bewährung leisten kann."Zu welchen Leistungen im Interesse der Allgemeinheit die Eigeninitiative fähig ist, zeigen in eindrucksvoller Weise die Bemühungen der Kassenärztlichen Vereinigungen als Selbstverwaltung der Kassenärzte. So stellen die Kassenärzte bereits jetzt pro Jahr mehr als 50 Millionen Mark zur Finanzierung einer sinnvollen Strukturpolitik aus eigenen Mitteln zur Verfügung. Diese Gelder fließen in Umsatzgarantien, Zinszuschüsse, Darlehensgewährung, in Finanzierungshilfen für Ärztehäuser, Gruppenpraxen und Praxiskliniken. Solche gezielten Maßnahmen sind geeignet, die Niederlassung von Ärzten dort zu erreichen, wo die kassenärztliche Versorgung verbessert werden muß, also insbesondere auf dem Lande und in Stadtrandgebieten. Die Selbstverwaltung der Kassenärzte hat auch bereits Notfalldienste organisiert und richtet sie zur Zeit noch ein, um sicherzustellen, daß jeder Bürger praktisch zu jeder Tages- und Nachtzeit ärztliche Hilfe erreichen kann.Diese Entwicklung steht, gemessen an Erfolg und Leistung, im krassen Gegensatz zum systematischen Abbau praktisch aller von der öffentlichen Hand zu unterhaltenden Dienstleistungen, insbesondere zum Abbau z. B. der Polizeidientststellen, der Bundespost, der öffentlichen Verkehrsmittel, der Amtsgerichte. der Schulen, der kommunalen Ämter aller Art auf dem Lande.Schließlich hat die Selbstverwaltung der Kassenärzte in Niedersachsen ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die Wirkungsbreite der ärztlichen Eigeninitiative gegeben, indem sie die Errichtung eines Lehrstuhles für Allgemeinmedizin in Hannover
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Frau Dr. Neumeistermit eigenen Mitteln in Höhe von 140 000 DM jährlich fördert.Die im Regierungsentwurf vorgesehenen Eigeneinrichtungen der Kassenärztlichen Vereinigung und Krankenkassen, also Ambulatorien, lehnen wir ab. Dabei wende ich mich ganz besonders dagegen, daß eine zeitliche Begrenzung der Tätigkeit solcher Ambulatorien bis zur Behebung der Unterversorgung offensichtlich von der Bundesregierung gar nicht erwogen worden ist. Hier kann man sich doch nicht des Eindrucks erwehren, daß man von hintenherum, oder drücken wir es einmal. medizinisch aus: subkutan den Einstieg in ein anderes System vorbereitet. Wenn man das will, soll man es auch offen sagen.
Dann herrscht aber wenigstens Klarheit. So aber kann ich mich des Eindrucks einer gewissen Vernebelungstaktik nicht ganz erwehren. Das aber ist genau das, was wir bei der Lösung dieser diffizilen gesundheitspolitischen Probleme im Interesse unserer Bevölkerung auf gar keinen Fall dulden dürfen.Aber auch die Vorschläge der Bundesregierung zur Entlastung des stationären Bereiches begrüßen wir, soweit sie unsere Anregungen zur Einrichtung sogenannter Sozialstationen, zur Hauskrankenpflege aufgreifen.Wenn man sich aber mit einer Verbesserung der stationären Krankenhausversorgung befaßt, dann muß dies in umfassender Weise geschehen und darf nicht bei der Erörterung der Möglichkeiten einer Einbeziehung der Krankenhäuser in der ambulanten Vor- und Nachbehandlung stehenbleiben. Dies schon deshalb nicht, weil durch solch bloße Verlagerung die ärztlichen Behandlungskapazitäten nicht vergrößert werden, sondern im Gegenteil die Qualität der stationären Versorgung, die schon jetzt unter ganz erheblichem Personalmangel leidet, weiter gefährdet wird und übrigens auch keineswegs Kosten gespart werden können.Notwendig ist vielmehr, wenn es einem wirklich um die optimale Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Bereichen geht, auch, daß in umgekehrter Richtung die Frage geprüft wird, unter welchen Voraussetzungen eine Ausweitung des bewährten Belegarztsystems z. B. sinnvoll und notwendig ist. Doch stehen auch wir mit der Bundesregierung hinter der Entschließung der Gesundheitsministerkonferenz vom Oktober 1974, wonach die Möglichkeiten eines funktionalen und personellen Verbundes, gegebenenfalls auch wechselseitige Aufgabenübertragungen zwischen Krankenhäusern, Einrichtungen für medizinische Gesundheitsämter usw., geprüft und erprobt werden müssen.Immer aber muß der kranke Mensch im Mittelpunkt unserer Verbesserungsbemühungen stehen, nicht die eine oder andere ärztlich-medizinische Institution, die sich allein dem Zweck der Gesundheitssicherung für unsere Bürger unterzuordnen hat.Das zweite Problem aus dem Kassenarztrecht, das ich ansprechen möchte, ist das der Sorge um den notwendigen Nachwuchs für die ärztliche Tätigkeit in Gebieten, die vielleicht als weniger attraktiv angesehen werden oder gelten. Jeder von uns hat mehr als genug Gelegenheit, sich mit dem sogenannten Numerus clausus in fast allen Studienbereichen, insbesondere aber in der Medizin und Zahnmedizin, zu beschäftigen. Wie immer in Fällen, wo einem großen Andrang eine beschränkte Zahl von Möglichkeiten gegenübersteht, gehen die Meinungen darüber, wie der Zugang am besten, am gerechtesten geregelt wird, wer den Vorzug haben soll, weit auseinander.Ich verhehle nicht, daß ich persönlich keineswegs glücklich bin über die derzeitige Regelung, die den Zugang zum Studium der Medizin und Zahnmedizin ausschließlich auf die durchschnittlichen Noten im Abiturzeugnis abstellt. Jeder, der die heute zur Studienzulassung erforderlichen Notendurchschnitte kennt, wird schon einmal Berufswahlüberlegungen mit Reflexionen auf sein eigenes Abiturzeugnis verbunden haben. Die durch das heutige Ausleseverfahren betonte intellektuelle Komponente führt weg von der Orientierung auf menschlich-soziale Probleme und begünstigt eine wissenschaftlich orientierte Berufswahl, die der allgemeinen Medizin nicht gerade zugute kommt.Wir müssen uns in diesem Zusammenhang die Frage vorlegen und eingehend prüfen, ob die Reichsversicherungsordnung ein geeignetes Instrument dafür sein kann, durch sogenannte Sonderquoten solche Bewerber zu den Universitäten zuzulassen, die sich quasi als Gegenleistung dazu verpflichten, später in ganz bestimmten Gebieten für eine gewisse Zeit ihre ärztliche Tätigkeit auszuüben. Hierbei werden wir diejenigen Erfahrungen zu berücksichtigen haben, die mit solchen Sonderquoten für andere Bereiche inzwischen gewonnen wurden. Ferner werden wir, wenn die von mir soeben gestellte Frage nach der Eignung des Instruments Reichsversicherungsordnung für eine Sonderregelung beim Studienzugang ganz allgemein positiv beantwortet worden sein sollte, prüfen müssen, ob der vorgeschlagene Weg richtig ist, ob er die notwendige Gleichbehandlung gleicher Tatbestände sichert und ob er nicht auf rechtliche, insbesondere auf verfassungsrechtliche, Bedenken stößt.Drittens noch ein Wort zur ärztlichen Fortbildung. Die öffentliche Diskussion hierüber wird zur Zeit sehr intensiv geführt, und Begriffe wie Pflichtfortbildung, Fortbildungskontrolle, Fortbildungsprüfung, Fortbildungszeugnis usw. schwirren durch die Luft. Hierzu möchte ich von uns aus sagen, daß wir die ärztliche Fortbildung als eine selbstverständliche allgemeine Berufspflicht der Ärzte ansehen, die keineswegs auf bestimmte Arztgruppen beschränkt ist. Sie gilt auf dem jeweiligen Arbeitsgebiet für den Krankenhausarzt genauso wie für den niedergelassenen Arzt, den Arzt des öffentlichen Gesundheitsdienstes, den Bundeswehrsanitätsoffizier, den hauptamtlichen Arbeitsmediziner usw.Die ständige ärztliche Fortbildung gehört zu den verbindlichen Lebensaufgaben eines jeden Arztes.
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Frau Dr. NeumeisterDiese allgemeine ärztliche Fortbildung in Form einer kassenärztlichen Fortbildung in der Reichsversicherungsordnung besonders fordern und festlegen zu wollen, scheint mir nicht ohne Bedenken, nicht ohne Gefahren zu sein. Könnte, ja müßte nicht eine solche Festlegung z. B. dem psychologischen Fehlschluß zumindest Vorschub leisten, daß es eben d o c h eine besondere Medizin und damit eine besondere ärztliche Behandlung im Rahmen der sozialen Krankenversicherung gebe? Müßten nicht solche möglichen psychologischen Fehlschlüsse ihrerseits wieder den Anlaß dazu liefern, völlig zu Unrecht Qualitätsunterschiede in der Versorgung zu vermuten?Ich meine, man sollte dieses Problem gerade auch im Hinblick auf psychologische Rückwirkungen bei allen Beteiligten sehr sorgfältig durchdenken, bevor man zu einer Entscheidung kommt.Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme die Streichung der entsprechenden Vorschrift im Regierungsentwurf unter Hinweis darauf gefordert, daß der Bund für die gesetzliche Regelung der Berufsausbildung zuständig sei. Die gesetzliche Regelung der Ausübung des ärztlichen Berufs, wozu die Durchführung der ärztlichen Fortbildung gehöre, obliege dagegen den Ländern. Die Landesärztekammern hätten auf der Grundlage der Kammergesetze der Länder in den Berufsordnungen die ärztliche Fortbildung entsprechend geregelt.Den Bedenken des Bundesrats möchte ich insoweit zustimmen, als eine Konkurrenz in der Durchführung von Fortbildungsveranstaltungen zwischen Kammern und kassenärztlichen Vereinigungen vermieden werden muß. Eine Zersplitterung auf dem Fortbildungssektor können wir uns nicht leisten.Gestatten Sie mir an dieser Stelle noch einige kurze Bemerkungen zum öffentlichen Gesundheitsdienst, zu dessen katastrophaler Lage sich die Bundesregierung bis jetzt mehr oder weniger ausgeschwiegen hat; sie hat nur auf die Verantwortung der Länder hingewiesen. Es muß einmal ganz deutlich gesagt werden, daß der Personalmangel in diesem Bereich, in dem der Staat die alleinige Verantwortung trägt, ungleich schwerer ist als im stationären und im ambulanten Bereich der ärztlichen Versorgung. Deshalb ist auf diesem Gebiet eine Reform besonders dringend geworden.Wenn die Grundstufe unseres Gesundheitswesens, nämlich der öffentliche Gesundheitsdienst, nicht funktionsfähig, selbst nicht gesund ist, dann werden auch die daraus aufbauenden Stufen, die ambulante und die stationäre Versorgung, nicht die nötige Effektivität erlangen können. Ob das Marburger Modellgesundheitsamt allerdings richtungweisend ist, muß einer Auswertung nach Abschluß des Versuchs überlassen bleiben.Meine Fraktion hat zur Neugestaltung des öffentlichen Gesundheitsdienstes sowie zur optimalen Koordinierung ärztlicher Gutachterdienste einen Entschließungsantrag vorgelegt, der ebenso die Zustimmung des ganzen Hauses finden sollte wie ein weiterer mit' der Forderung eines Transplantationsgesetzes. Lassen Sie mich diese Entschließungsanträge mit ganz kurzen Worten begründen,Ziel des ersten Antrags ist es, gerade den öffentlichen Gesundheitsdienst in einen funktionellen Verbund der Gesundheitsversorgung einzubeziehen und vor allem durch neue Aufgaben in dem weiten und bisher vernachlässigten Bereich der Gesundheitserziehung attraktiver zu machen. Dabei kommt es besonders auf ein besseres Zusammenwirken verschiedener Gesundheitsberufe an.Da ich gerade wieder einmal — wie bei uns erfreulicherweise schon fast üblich — das Wort „Gesundheitsberufe" gebraucht habe, erlaube ich mir in diesem Zusammenhang die Anregung, den Wortlaut des Art. 74 Nr. 19 unseres Grundgesetzes, der noch von den Heilberufen spricht, einer besseren Praktikabilität wegen entsprechend unserem gewandelten Verständnis über die vorrangige Bedeutung der präventiven Medizin gegenüber der kurativen Medizin so zu ändern, daß künftig nur noch von „Gesundheitsberufen" die Rede ist.Der Vorschlag unserer Fraktion zur optimalen Koordinierung ärztlicher Gutachterdienste orientiert sich an dem bewährten Vorbild der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation und wendet sich damit allerdings ebenso deutlich gegen die Schaffung einer neuen bürokratischen Superinstanz sozialmedizinischer Dienst, wie sie der DGB gefordert hat.Gestatten Sie mir, meine sehr verehrten Damen und Herren, abschließend noch einige Bemerkungen zu dem Ihnen ebenfalls vorliegenden Entschließungsantrag bezüglich eines Gesetzes über Explantation und Transplantation. Hier ist Eile geboten. Die BundLänder-Arbeitsgruppe hat gute Arbeit geleistet. Das überfällige Gesetz dürfen wir jetzt nicht verzögern. Das sind wir einfach unseren kranken Mitbürgern und ihren hilfsbereiten Ärzten schuldig. Sie warten lange genug auf klare Rechtsgrundlagen. Weiteres Abwarten wäre unverantwortlich, weil in vielen Fällen geradezu lebensbedrohend.Ich muß jetzt noch einmal mit einigen Worten auf das Kassenarztrecht zurückkommen. An der Gestaltung des Kassenarztrechts als der gesetzlichen Grundlage für die Regelung der Beziehungen zwischen den Trägern der Krankenversicherung und der Kassenärzteschaft haben — ich wollte das durch meine Eingangsausführungen in Ihre Erinnerung zurückrufen — alle hier im Hause vertretenen Parteien und Fraktionen mitgewirkt. Alle haben gleichermaßen Anteil daran, wenn diese Regelung die — von Ausnahmen abgesehen — reibungslose Zusammenarbeit von Krankenkassen und Ärzten im Interesse der Patienten für zwei Jahrzehnte gesichert hat. Ich meine, wir alle sollten uns bemühen, die Beratungen über die vorliegenden Gesetzentwürfe und Initiativen zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts so zu gestalten, daß wir zum Schluß die gleiche Feststellung mit der gleichen inneren Überzeugung wiederholen können. Hierzu bietet die Fraktion der CDU/CSU ihre offene, vorbehaltlose Mitarbeit an.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller. Die
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Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenFraktion der FDP hat eine Redezeit von 30 Minuten angemeldet. Ich hoffe, Herr Kollege, Sie werden sie unterschreiten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich glaube, die Debatte macht deutlich, daß es bei einer verbundenen Debatte von drei Punkten ein bißchen schwierig ist, die Gewichte immer richtig zu setzen.
— Meine sehr verehrten Damen und Herren, das haben wir selbstverständlich mit zu verantworten. Nur ist es natürlich nicht möglich, die Weiterentwicklung des Kassenarztrechtes völlig getrennt von der gesundheitspolitischen Debatte zu diskutieren. Es ist selbstverständlich, daß die Regierung, wenn sie einen Entwurf vorgelegt hat, diesen auch rechtzeitig, d. h. früh, begründet, wie der Bundesrat seinen Entwurf im Gegenzug dann auch begründen konnte.Ich möchte aber zunächst Frau Kollegin Dr. Neumeister recht herzlich für ihren Debattenbeitrag und dafür danken, daß sie es durchgehalten hat, obwohl zweimal das rote Licht leuchtete, beim erstenmal aus Versehen, beim zweitenmal nicht aus Versehen. Ich möchte ihr danken, daß sie sich für eine freiheitliche Weiterentwicklung des Kassenarztrechts eingesetzt hat. Ihre Antwort auf die Zwischenfrage aus der SPD, ihr schwebe eine Mixtur aus Bundesregierung und Bundesrat vor, kann ja dann wohl nur so verstanden sein: viel Bundesregierung und vielleicht noch ein Tröpfchen Bundesrat. Dafür, Frau Dr. Neumeister, recht herzlichen Dank!
Meine Damen und Herren, die Debatte macht aber auch deutlich, daß die Anforderungen an unser Gesundheitswesen und die Inanspruchnahme der Gesundheitsleistungen steigen. Das ist keine neue Erkenntnis. Ich erinnere an unsere gesundheitspolitische Debatte im März 1971. Ich habe damals vor diesem Hause bereits darauf hingewiesen, daß es eine Illusion wäre anzunehmen, daß die gesundheitspolitischen Aufgaben mit proportional wachsenden Finanzmitteln zu meistern seien. Die zwischenzeitliche Entwicklung hat diese These nur allzu deutlich bestätigt. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Das beginnt mit der generell steigenden Nachfrage auf dem Dienstleistungssektor und der überproportionalen Verteuerung von Dienstleistungen. Das setzt sich fort über die geänderten Lebensverhältnisse in unserer Gesellschaft, die steigende Lebenserwartung, die Verlängerung der Ausbildungszeiten, den Wandel in der Struktur unserer Familien usw. Hinzu kommen das gestiegene Gesundheitsbewußtsein, die Zunahme der Zivilisations- und Suchtschäden, das Tempo des medizinischen Fortschritts und die Änderungen im Krankenhauswesen. Es versteht sich von selbst, daß hier auch der Gesetzgeber Fakten und Daten gesetzt hat, und zwar teils in Reaktion auf gesellschaftliche Entwicklungen, teils hat er diese Entwicklungen auch beschleunigt. Alle gesellschaftspolitisch verantwortlichen Kräfte müssen sich deshalb heute fragen: Wie geht diese Reise weiter? Oder: wohin kann, wohin darf sie gehen?Der Anstieg der Beitragssätze in der Krankenversicherung spiegelt meine Besorgnisse sehr anschaulich wider. Ich war eigentlich etwas erstaunt, daß der Kollege Müller dem BdO noch mehr glaubt als seinem Parteifreund Geissler. Er hat nämlich gesagt, die Zahlen des BdO seien die Orientierungszahlen, an die er sich halten würde. Aber solche Vorausschätzungen haben es natürlich immer in sich. Ich hatte ja die Gelegenheit, mit der CDU lange gemeinsam in der Koalition zu sitzen, dann in der Opposition gegen die Große Koalition. Da bin ich dann immer ein bißchen nach dem Maßstab gegangen, wenn zwei, drei oder vier Schätzungen vorlagen, daß der richtige Wert irgendwo zwischen der untersten oder der obersten Schätzung liegt. Die Steigerung ist natürlich vorhanden, und sie ist dramatisch. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, ist abzusehen, daß das frei verfügbare Einkommen der Arbeitnehmer dieses Landes allenfalls symbolische Bedeutung bekommt. Wir Liberalen sind in diesem Punkt sehr sensibel. Früher sprach man in diesem Zusammenhang von „Sozialisierung der Einkommen" . Ich scheue mich nicht, diesen Tatbestand auch heute so zu kennzeichnen.Für mich und meine Fraktion bedeutet dies: Wir sind in der Gesundheitspolitik an einer Wendemarke angekommen, zumindest aber an einem Punkt, an dem wir erkennen und aussprechen müssen, daß für die Kosten im Gesundheitswesen —nun bitte ich, mit bösen Zwischenrufen zu warten, bis ich geendet habe — ebenso wie in der Wirtschaft die Grenzkostentheorie oder die Grenznutzentheorie gilt. Das heißt, jeder Tag verlängerter Lebenserwartung kostet X D-Mark mehr als der vorige. An dieser Dynamik können und dürfen und wollen wir alle nichts ändern. Aber ebensowenig dürfen wir diese Dynamik unter den Tisch kehren. Wir müssen sie erkennen und müssen sie ansprechen und müssen sie auch als einen der Gründe an. erkennen, warum diese Kostendynamisierung und Kostenexplosion festzustellen ist. Damit spreche ich die zunehmend wichtigere Aufgabe der Gesundheitserziehung an. Hier wird es darauf ankommen, Erwartungshaltungen zu verändern und das Bewußtsein dafür zu stärken, daß die Bürger in ihrer Gesamtheit sich gesundheitsbewußter verhalten müssen, wenn wir den Anstieg der Kosten in Gesundheitswesen verringern wollen.
Steigen werden sie ohnehin.Meine Damen und Herren, kennzeichnend für die Gesundheitspolitik der letzten Jahre waren wichtige Gesetzgebungsvorhaben: die Neuordnung der Krankenhausfinanzierung, die Reform des Lebensmittelrechts, die Einführung der Vorsorgeuntersuchungen; noch in der Beratung die Arzneimittelreform. Der große Nachholbedarf im Krankenhauswesen wurde in wenigen Jahren aufgeholt. Ich füge ausdrücklich hinzu, auch schon vor 1969 ist kräftig geplant und
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Spitzmüllerkräftig gebaut und kräftig ausgegeben worden. Neubauten und Umbauten, die moderne technische Ausstattung der Krankenhäuser belegen den erreichten Standard genauso wie die Zunahme von Ärzten und Pflegepersonal. Heute zeichnet sich sogar ab, was noch vor wenigen Jahren undenkbar war — und wir hoffen es, Herr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein —, daß auch die Finanzierung der Ausbildung von Krankenschwestern bis 1978 gesichert werden kann, daß der Mangel an Krankenschwestern in absehbarer Zeit vielleicht der Vergangenheit angehören kann. So viel ist hier schon geleistet worden. Aber selbstverständlich hat dies seinen Preis, und selbstverständlich muß der Bürger diesen Preis bezahlen. Eine andere Finanzierung gibt es nicht, nur in Utopia. Mich erstaunt nur, daß diese einfachen Tatsachen erst heute bzw. seit etlichen Monaten von einer breiteren Offentlichkeit und der Publizistik zur Kenntnis genommen wurden, aber dann natürlich teilweise sehr emotional, teilweise auch knallhart in die Landschaft gestellt.
— Herr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein, ich bin Ihnen für diesen Zwischenruf sehr dankbar. Denn ich kann an etwas erinnern, was Sie alle anscheinend bei der Vorbereitung dieser Debatte überlesen haben. Bei der Vorbereitung dieser Debatte habe ich natürlich auch die Debatte vom 12. März 1971 über den Gesundheitsbericht nachgelesen. Da bin ich zu meinem eigenen Erstaunen, ich möchte sogar sagen, zu meinem eigenen Erschrecken darauf gestoßen, daß ich damals am 12. März 1971 gesagt habe, daß im Teil III des Gesundheitsberichts deutlich wird, daß explosionsartige Anforderungen an das gesamte Gesundheitswesen gestellt werden. Meine Damen und Herren, ich bin, nachdem seit Monaten die Kostenexplosion rumgeistert, ganz erschrocken, daß ich es war, der vor vier Jahren schon von explosionsartigen Anforderungen gesprochen hat, — ein Zeichen dafür, daß, wer den Gesundheitsbericht aufmerksam gelesen hat, das, was hier eintrat, in etwa sehen mußte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weise nur darauf hin, daß dieser Anstieg der Beitragssätze in der Krankenversicherung vorhanden ist. Die FDP kann daraus nur die Konsequenz ziehen: neue Leistungsangebote sind in diesem Bereich zunächst kaum möglich. Nach einer Periode des Aufbaus und des Ausbaus sozialer Sicherheit wechseln wir jetzt in eine Phase der Konsolidierung über, in der es darauf ankommt, das Erreichte zu sichern. Bei dieser Sicherung geht es uns Freien Demokraten aber auch gerade darum — ich glaube, darin sind sich alle einig —, die Effizienz im bestehen System zu verbessern. Damit wird keineswegs einer aufgeregten Novellierungshektik das Wort geredet, erst recht nicht einer Überwindung des Systems. So stellt auch die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Opposition zur Gesundheitspolitik zutreffend heraus — das kann ich nur unterstreichen —: keine Änderung der Grundzüge, wohl Anpassung und Weiterentwicklung des Vorhandenen. Das ist für uns das Entscheidende in der Antwort auf die Große Anfrage der Opposition.Nun hat neuerdings auch die Opposition die Kostenproblematik entdeckt, zumindest ein Teil der Opposition. Der andere Teil gefällt sich weiterhin in Forderungen, die Leistungen im Sozial- und Gesundheitsbereich — vor 14 Tagen dann auch im Familienbereich — müßten verbessert werden. Aber, meine Damen und Herren der CDU/CSU, die Koordination ist ja kein neues Problem Ihrer Fraktion, sie ist das Problem Ihrer Fraktion und nicht der unseren.
Auch in der Koalition haben wir uns immer wieder geeinigt, Herr Kollege Burger.
Nach ihrer eigenen Bilanz in der Krankenversicherung hat die Opposition jedenfalls wenig Anlaß, ausgerechnet uns Freie Demokraten über die Kosten sozialer Sicherung aufzuklären. Ich erinnere an die 1960/61 trotz absoluter Mehrheit der CDU/CSU gescheiterte Krankenversicherungsreform, ich erinnere an die Gesetzgebung unter dem letzten CDU-Arbeitsminister Katzer: an die kostentreibende Neuregelung für die Krankenversicherung der Rentner, I mit der wir uns heute hier schon befaßt haben, oder an das Lohnfortzahlungsgesetz. Genausowenig kann die Opposition unterschlagen, daß sie allen Lei- stungsverbesserungen in der Krankenversicherung seit 1969 zugestimmt und diese Verbesserungen zum Teil für unzureichend erklärt hat. Ich denke nur an die Zahlung von Haushaltsgeld durch die Krankenversicherung bei erkrankten Kindern, wo Sie mehr wollten, als wir geben konnten.Damit ich nicht mißverstanden werde, meine Damen und Herren: diese Verbesserungen waren gerade nach den Versäumnissen der CDU/CSU im Krankenhausbereich auch nach Auffassung der FDP notwendig. Wir halten es aber für eine schiefe Diskussion, wenn die Opposition heute so tut, als wäre es gleichsam über Nacht zu einer von der Koalition zu verantwortenden Kostenexplosion gekommen. Das nimmt Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, niemand ab. Sie haben zur Zeit Ihrer Regierungsverantwortung die Weichen falsch gestellt. Als Opposition haben Sie allen Leistungsverbesserungen, die selbstverständlich mit Kosten verbunden waren, zugestimmt. Heute reden Sie vorwurfsvoll von den Grenzen der Leistungsfähigkeit und propagieren mehr Eigenverantwortung der Beteiligten.Diese Forderung nach mehr Eigenverantwortung ausgerechnet aus Ihrem Munde wirkt für uns Freie Demokraten ein wenig komisch. Haben Sie denn, meine Damen und Herren von der CDU, vergessen, daß Sie mit der fortgesetzten Einbeziehung immer
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Spitzmüllerweiterer Personenkreise in die gesetzliche Krankenversicherung gegen den Widerstand des Koalitionspartners FDP damals den Willen zur Eigenverantwortung nicht gerade gestärkt haben? Erst in der Koalition mit der SPD haben wir eine Dauerlösung für die Abgrenzung zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung erreicht. Dieses Nebeneinander ist nach unserer Auffassung auch aus Kostengesichtspunkten bedeutsam;
denn es schafft — allein im Interesse des einzelnen Versicherten — eine Wettbewerbssituation zwischen den verschiedenen Trägern der Krankenversicherung.Jetzt gerne, Herr Kollege Müller!
Herr Abgeordneter Spitzmüller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller ? — Bitte!
Ich hätte sie nicht gestellt, stelle sie aber jetzt, da Sie wieder einmal die CDU angreifen. — Darf ich Sie, Herr Kollege Spitzmüller, daran erinnern, daß Sie einmal vor einem Forum der Gewerkschaftsjugend, glaube ich, in Berlin, bei dem Herr Kollege Schellenberg und ich anwesend waren, stillschweigend die Erklärung von Herrn Kollegen Schellenberg akzeptiert haben, die seinerzeitige Krankenkassenreform sei mit Hilfe der FDP im Ausschuß für Sozialpolitik angehalten worden und dadurch nicht zustande gekommen.
Ich habe einen Teil akustisch nicht verstanden.
Ich habe Sie gefragt, ob Sie sich daran erinnern, daß Herr Schellenberg in Ihrer Gegenwart vor einem Forum in Berlin erklärt hat, mit Ihrer Hilfe, nämlich der Hilfe der FDP, sei der damalige Entwurf für die Krankenkassenreform dadurch zu Fall gebracht worden, daß Sie den Antrag, ihn nicht zu behandeln, mit unterstützt hätten.
Sie sprechen von der Krankenversicherungsreform des Jahres 1960/61,
die in der Anlage falsch war und die, eben weil sie in der Anlage falsch war, von der absoluten Mehrheit der CDU/CSU auch nicht durchgebracht wurde.
— Dabei brauchte die FDP gar nicht zu helfen, Herr Kollege Müller. Sie dürfen die Entwürfe von 1960 und 1963 nicht durcheinanderbringen.
Aber, Herr Kollege Müller, Sie hatten 45 Minutenlang Gelegenheit, sich hier auszubreiten. Ich stelledas so richtig, wie ich es in Erinnerung habe, undwie Sie selbst bestätigt haben, nämlich, daß es sich um die Gesetzentwürfe von 1960/61 handelte, die völlig falsch angelegt waren. Deshalb hat sie auch die absolute Mehrheit der CDU nicht durchgebracht, weil auch bei Ihnen vernünftige Leute waren, die einsahen, daß die Weichen hier total falsch gestellt worden waren.Meine Damen und Herren, es bleibt das Ziel der Freien Demokraten, den Entscheidungsspielraum des Bürgers bei der Vorsorge gegen Krankheit durch mehr Wahlfreiheit zu vergrößern. Übrigens hat erst wieder der Geissler-Entwurf zur Krankenversicherung der Studenten gezeigt, was der Opposition oder — das muß ich nach einigen Podiumsdiskussionen nun hier einschränkend sagen — was Teilen der Opposition in Wirklichkeit an dieser Wahlfreiheit und der Stärkung der gegliederten Krankenversicherung liegt. Ich erinnere an unsere Debatte im Bundestag vor zwei Wochen. Ich habe damals für meine Fraktion herausgestellt: Wahlfreiheit und gegliedertes System sind Kernpunkte liberaler Sozialpolitik. Von daher hat auch der Vorschlag, für den öffentlichen Dienst einen neuen Versicherungsträger zu errichten, mit der FDP keine Chance. Wer solche Dinge verfolgt, sollte sie schnell in die Schublade legen.Nach Auffassung der Freien Demokraten sind weitere Anreize zur Sparsamkeit geboten, und zwar zur Sparsamkeit aller Beteiligten. Die Jagd nach den Schuldigen — je nach dem eigenen Standort die Versicherten, die Kassenärzte, die Krankenhäuser, die pharmazeutische Industrie — führt uns nicht weiter. Die Sparsamkeit geht alle an, z. B. auch die Selbstverwaltungsorgane der Krankenkassen. Sie sollte sich ihrer besonderen Verantwortung gegenüber den Beitragszahlern noch stärker bewußt werden. Das ist heute Gott sei Dank von allen Fraktionen angesprochen worden.Wer hundertprozentige Zuschüsse zum Zahnersatz beschließt, muß wissen, daß das Konsequenzen für den Beitragssatz hat, bestenfalls mit geringen zeitlichen Verzögerungen. Die Sparsamkeit gilt nicht zuletzt für den Gesetzgeber.
— Weitere Leistungsverbesserungen, Herr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein, auch im Bereich der Vorsorgeuntersuchungen, sind nach Auffassung der FDP gegenwärtig leider nicht möglich.Zur Forderung der Opposition nach mehr Eigenverantwortung hätten wir gerne Genaueres gehört Daß der Opposition nicht ein genereller Abbau bestimmter sozialer Leistungen vorschwebt, haben SiE heute klar herausgestellt. Aber geht es ihr um Formen der Eigenbeteiligung, etwa in Verbindung mil flexibleren Regelungen bei den Beitragssätzen Nach Herrn Geissler nein. Sollen für bestimmte Risiken — hier tauchen immer wieder die Schlagwörter Nikotin und Alkohol auf — Sonderregelungen getroffen werden? Nach Herrn Geissler nichtganz auszuschließen. Wird ein Bonus-Malus-System gegebenenfalls in Verbindung mit der Inanspruch
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Spitzmüllernahme von Vorsorgeuntersuchungen, für zweckmäßig gehalten? Ist daran gedacht, im Bereich der Bagatellfälle zu anderen Kostenverteilungen zu kommen? Wird in einigen Bereichen ein Übergang vom Sachleistungs- zum Kostenerstattungsprinzip in Betracht gezogen? Soll nach der mißglückten Krankenscheinprämie des Herrn Katzer ein neuer Anlauf in dieser Richtung versucht werden?Herrn Geisslers Rede gab dazu wenig Aufschluß. Er war der Meinung: weniger Nachfrage, weniger Angebot, aber keine Leistungseinschränkungen, keine Selbstbeteiligungen.Wir werden nicht darum herumkommen, uns mit diesen und anderen Fragen auseinanderzusetzen, am besten ohne parteitaktischen Vorteil erreichen zu wollen oder nach ihm zu schielen. Mit Ideologie oder Profilsucht kommen wir hier bestimmt nicht weiter.
Mit einem kommen wir sofort weiter: mit mehr Aufklärung werden wir gemeinsam einiges erreichen. Das kann heute in dieser Stunde schon beginnen. Ich habe den Eindruck, auf verschiedenen Gebieten hat diese Gemeinsamkeit bereits stattgefunden.Es geht der FDP nicht darum, den Schwarzen Peter, von dem heute schon so viel die Rede war, an eine bestimmte Gruppe weiterzugeben. Alle Beteiligten sind in die Pflicht genommen. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, daß der Kostenanstieg in den verschiedenen Bereichen höchst unterschiedlich ist. Das mögen gerade die bedenken, die sich von einem Einfrieren der Arzthonorare allein Wunderdinge versprechen. Hier drängt sich nämlich der Verdacht auf, daß es unter dem Vorwand der Kostendämpfung um ganz andere Ziele geht, an deren Ende allerdings keine Einsparungen, sondern neue Kostenlawinen stünden. Solche Experimente können wir uns allerdings nicht leisten, heute weniger denn je.Die freie Arztpraxis ist und bleibt für die FDP der Garant ärztlicher Versorgung. Mit der Stärkung des freien ärztlichen Berufsstandes werden wir der Kostenherausforderung sehr viel wirksamer und eher begegnen können als mit bürokratischen Lenkungs-, Planungs- und Nivellierungsmaßnahmen, zu denen ich auch die sogenannte Integration der medizinischen Versorgung rechnen muß. Aber auch die heute von Herrn Minister Dr. Geissler vorgeschlagenen Orientierungsdaten für die Beitragssätze und die Einkommen selbst.Die Gegenposition der FDP lautet schlicht: Vertragsfreiheit zwischen Krankenkassen und Kassenärzten, ohne Wenn und Aber, ohne Honorarleitlinien. Das folgt aus unserer freiheitlichen Grundkonzeption, die auch für die Gesundheitspolitik uneingeschränkt gilt. Allerdings — Frau Kollegin Dr. Neumeister und einige andere darf ich jetzt anschauen — kann ich heute jenen Teilnahmer an einer Podiumsdiskussion besser verstehen, der aufstand und zu einem anderen Teilnehmer, der bei dieser Podiumsdiskussion Herrn Staatssekretär Wolters ganz scharf attackierte, sagte: „Reden Siekeinen Unsinn; wenn der Wolters im Saal sitzt und der Geissler oben spricht, braucht der Wolters nicht mehr rauf, denn der Geissler hat schon alles gesagt, was der Wolters denkt."
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich wollte das hier doch einmal klar herausgestellt haben.Der Gegensatz zwischen liberaler Politik und der Politik von Herrn Minister Geissler wurde auch im Bereich der Krankenversicherung deutlich. Ich meine den Vorschlag von Herrn Geissler, daß die Honorarverhandlungen von allen Kassenarten einheitlich geführt werden sollten. Ich habe in der Bundestagsdebatte vor zwei Wochen dargelegt, warum die Gesetzesvorlage von Herrn Minister Geissler zur studentischen Krankenversicherung für die FDP nicht akzeptabel ist: weil sie die gegliederte Krankenversicherung nicht stärkt, sondern entscheidend schwächt. Die damalige Gesetzesvorlage, die Rede von Herrn Geissler im Bundestag am 16. Januar, die Forderung nach einheitlichen Honorarverhandlungen, das Eintreten für einen grundlohnbezogenen Belastungsausgleich in der Krankenversicherung der Rentner zeigen, daß das Aushöhlen der gegliederten Krankenversicherung und ihrer Selbstverwaltung bei Minister Geissler Methode ist, zwar gefällig verpackt, aber unübersehbar.Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSUOpposition, die Sie im gesundheits- und sozialpolitischen Bereich tätig sind, sollten sich gelegentlich darüber klar werden, daß solche Äußerungen eines prominenten Mannes gewichtiger und gefährlicher sind als lautstarke Forderungen von jungen Leuten. Meine Damen und Herren, wir haben das, was Herr Geissler hier gesagt hat, zur Kenntnis genommen. Wir sehen uns darin bestärkt, die Politik der Stärkung der gegliederten Krankenversicherung gerade unter der gegenwärtigen Kostenherausforderung konsequent fortzuführen.Zur Finanzierung der Krankenversicherung der Rentner hat Minister Geissler wieder die Platte aufgelegt, die Krankenkassen würden mit sachfremden Aufgaben belastet, damit der Beitragssatz in der Rentenversicherung gehalten werden könne. Mein Kollege Schmidt hat bereits darauf hingewiesen: die CDU/CSU war es, die sowohl für das Finanzierungssystem unserer Rentenversicherung als auch für die geltenden Finanzierungsregelungen der Rentnerkrankenversicherung die politische Verantwortung trägt. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Es bleibt aber das Ziel der FDP, sobald wie möglich von der verfehlten Anbindung des Beitrags der Rentenversicherung an die Rentenausgaben, der übrigens, Herr Kollege Geissler, von der CDU/CSU beschlossen wurde, loszukommen.Meine Damen und Herren, noch ein Wort zu den Arzneimittelausgaben, die unverhältnismäßig stark steigen. Hier frage ich mich: Handelt es sich wirklich voll um eine Zunahme des Verbrauchs, oder liegt nicht auch teilweise eine Zunahme des Verkaufs, wenn auch nicht gegen bar, sondern gegen Bezugschein, vor — mit der Folge der privaten Lagerhaltung auf Kosten der Versichertengemein-
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Spitzmüllerschaft? Hier wäre nach meiner Ansicht viel geholfen, wenn erreicht werden könnte, daß sich die Lagerhalter der tatsächlichen Arzneimittelpreise und damit der Kosten ihres Tuns bewußter würden.Besondere Aufmerksamkeit verdient die Kostenentwicklung im Krankenhausbereich. Dazu erwarten wir im Herbst dieses Jahres einen Bericht der Bundesregierung. Diesem Bericht und seiner politischen Diskussion möchten wir nicht vorgreifen, aber auf zwei Punkte möchte ich hinweisen. Nach ernstzunehmenden Informationen hat die Zahl der Ärzte in öffentlichen Krankenhäusern — mit entsprechenden Steigerungen der Pflegesätze — wesentlich stärker zugenommen als bei freigemeinnützigen und privatwirtschaftlichen Trägern. Ich wäre dankbar, wenn uns die Bundesregierung in ihrem Bericht präzise Vergleichszahlen zu dieser Frage geben könnte. Wir erwarten ferner, daß der Bericht genaue Angaben darüber enthält, in welchem Umfang die Länder die drei genannten Trägergruppen in die Förderung nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz aufgenommen haben.In diesem Zusammenhang darf ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten noch einmal kurz an die amtliche Begründung zum KHG erinnern:Der Entwurf geht weiter davon aus, daß den Krankenhausträgern innerhalb der Zielvorstellung von Bund und Ländern eine weitgehende Dispositionsfreiheit und damit die Möglichkeit zur Entfaltung eigener Initiative . . . erhalten bleiben ... Die Mittel können daher sowohl öffentlichen als auch freigemeinnützigen oder privaten Krankenhausträgern zugewendet werden, .. .Ich gebe diesen Hinweis nicht ohne Grund. Mir liegen Meldungen vor, daß gerade in CDU-regierten Ländern eine ausgewogene Einbeziehung der verschiedenen Träger unterblieben ist. Die öffentlichen Träger sollen hier eindeutig bevorzugt werden. Es wäre sehr gut, wenn der Bericht dies heraus- oder klarstellen könnte.Noch ein Wort zum öffentlichen Gesundheitsdienst. Die Misere ist bekannt. Die Gründe sind vielschichtig, z. B. die Einseitigkeit der amtsärztlichen Tätigkeit, aber auch die Besoldungssituation. Zum letzten Punkt enthält die Antwort der Bundesregierung allerdings eine Aussage, die wir so nicht stehenlassen können. Die Bundesregierung vertritt hier die Auffassung, der Einkommensunterschied zwischen den frei praktizierenden Ärzten und den Ärzten im öffentlichen Gesundheitsdienst könne selbst durch großzügige Besoldungsverbesserungen nicht annähernd ausgeglichen werden. Hier fehlt ein aussagekräftiger Einkommensvergleich. Es ist für uns nicht damit getan, das Bruttoeinkommen des Amtsarztes und des niedergelassenen Arztes miteinander zu vergleichen. In den Vergleich einzubeziehen sind nach unserer Meinung die gegen Geldentwertung geschützte Pension des Amtsarztes, seine Beihilfeansprüche, die Wohnungsfürsorge und andere geldwerte Vorteile. Beim frei praktizierenden Arzt sind die Aufwendungen für seine Zukunftssicherung, Sicherstellung und Finanzierung seiner Urlaubsvertretung, die immer schwieriger und teurer werden, die höhere Steuerprogression, das Berufsrisiko, die Zahl der Arbeitsstunden und mehr zu berücksichtigen.Bei einem solchen Gesamtvergleich steht der beamtete Arzt sehr viel günstiger da. Fachleute kommen sogar zu dem Ergebnis, daß bereits ein Medizinaldirektor finanziell bessergestellt ist als der durchschnittliche Kassenarzt. Hier sind genaue Einkommensvergleiche erforderlich. Sie sind geeignet, die Laufbahn des Amtsarztes, zumal bei erlaubter Nebentätigkeit, objektiver zu beurteilen und in der Offentlichkeit attraktiver darzustellen.
— Weil immer, Herr Kollege, der schiefe Vergleich gebracht wird. — Die erforderlichen Vergleichsberechnungen dürften aber auch erweisen, daß eine Umstellung von der freien auf die beamtete Arztpraxis nicht die angepriesenen Spareffekte zur Folge hat, mit Sicherheit auch keine bessere Versorgung der Landgebiete.Erlauben Sie mir hier eine kritische Bemerkung zu den Modellversuchen, die laufen und die vielleicht noch kommen werden, wie sie in der Antwort der Bundesregierung angesprochen werden. Die Notwendigkeit von Modellversuchen bestreiten wir nicht, im Gegenteil, wir unterstreichen sie, wie Herr Geissler das auch getan hat. Wir haben aber Zweifel an der Aussagekraft von Modellversuchen, wenn diese in gut versorgten oder gar überversorgten Gebieten, wie in Universitätsstädten, durchgeführt werden. Die soziale und kulturelle Infrastruktur von Universitätsstädten stellt von vornherein sicher, daß qualifiziertes ärztliches Personal und weitere Heilberufe zur Verfügung stehen. Hinzu kommt das spezifische Gesundheitsbewußtsein der Einwohner von Universitätsstädten. Unter diesen Umständen werden wir Freien Demokraten gemeinsam mit den anderen, so hoffe ich, im Gesundheitsausschuß bei der Beratung des Haushalts des BMJFG für 1976 die durchgeführten und die geplanten Modellversuche genauer zu prüfen haben. Modellversuche sollten nach meinem Dafürhalten auch etwas für das flache Land tun, dort, wo Unterversorgung droht.
Zusammenfassend möchte ich festhalten: Die Antwort der Bundesregierung ist teilweise eine Fortschreibung des Gesundheitsberichtes aus dem Jahre 1970. Kernpunkt dieses Berichtes war und ist für uns Liberale die Aussage, die ich mit Genehmigung des Präsidenten zum Schluß zitieren darf:Die gegenwärtige Form des Wirkens und Zusammenwirkens von freien Kräften und Staat ist die unserer Gesellschaft gemäße Praxis des Gesundheitswesens.Dieser Satz steht im Gesundheitsbericht, und er gilt nach wie vor.Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Debatte ist uns Freien Demokraten willkommener Anlaß, zu bekräftigen, daß wir konsequent an die-
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Spitzmüllersem Grundsatz festhalten. Da Sie, Frau Dr. Neumeister, die Antwort zur Frage III/3 der CDU/CSUAnfrage so herausgestrichen haben, darf ich in Ergänzung zur Antwort der Bundesregierung feststellen: Auf der Veranstaltung des Hartmannbundes am 29. September 1973 hat nicht nur der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, sondern auch ein Vertreter der FDP gesprochen.
Das Bekenntnis zum freiheitlichen Gesundheitswesen und zu einer liberalen Gesundheitspolitik, das ich dort für meine Fraktion abgegeben habe, gilt heute ebenso gut wie damals und in Zukunft.Meine Damen und Herren, Ziel liberaler Gesundheitspolitik bleibt und kann nur sein: Sicherung unseres freiheitlichen Gesundheitswesens.
Das
Wort hat der Herr Senator für Gesundheit und Umweltschutz des Landes Berlin, Pätzold.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die kritischen Entwicklungen im Gesundheitswesen, die heute hier in dieser Debatte angesprochen worden sind, insbesondere bei den Kosten, sind nach meiner Auffassung nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß das Gesundheitswesen wie kaum ein anderer staatlicher Bereich in den letzten Jahren, wenn überhaupt, nur sehr unzureichend, da neu organisiert worden ist, wo es notwendig war. Allzulange haben sich insbesondere die konservativen Kräften in unserem Lande
darauf verlassen, daß das freie Spiel der Kräfte wohl die meisten Probleme lösen würde. Ich muß heute für meinen Teil feststellen, daß auch hier klar wird, daß, so sehr man das freie Spiel der Kräfte bejaht und als Prinzip bejahen sollte, es nicht alle Probleme zu lösen vermag und daß in dem notwendigen Maße der Staat hier seine Steuerungsfunktionen wahrnehmen muß. Von daher kann man feststellen, daß es einen neuen Aufbruch in der Bundesgesetzgebung eigentlich erst mit dem Abschluß des vergangenen Jahrzehnts gegeben hat. Insbesondere mit idem Krankenhausfinanzierungsgesetz sind die Verhältnisse in dem so wichtigen Bereich des Krankenhauswesens neu geordnet worden, und wir alle — auch in den Ländern — bemühen uns darum, daraus das zu machen, was daraus gemacht werden sollte.Wenn ich davon sprach, daß es hier in den vergangenen Jahrzehnten wenig konzeptionelle Bemühungen gegeben hat, so füge ich hinzu: Das liegt nicht zuletzt daran — das ist heute in der Debatte schon angeklungen —, daß Planung und gerade auch Gesundheitsplanung lange Jahre doch von vornherein verdächtigt worden ist. Ich bin deshalb um so froher, daß auf Vorschlag des Landes Berlin in der letzten Gesundheitsministerkonferenz einmütigbeschlossen worden ist, sich seitens der Länder dieser Aufgabe „Gesundheitsplanung" dort zu stellen, wo es um Aufgaben der Länder geht. Hier ist also eindeutig ein Nachholbedarf zu befriedigen.Aber ich sage auch, daß ich nach gewissen Erfahrungen noch nicht ganz sicher bin, ob sich einmütige Beschlüsse der Gesundheitsministerkonferenz später auch in konkrete Wirklichkeit umsetzen lassen. Ich kenne da einige einstimmige Beschlüsse der Gesundheitsministerkonferenz, die, wenn es dann auf konkrete Gesetzgebungsvorhaben auf Bundesebene zulief, auf Grund der sicher höheren Einsichten im gesamten Regierungskollektiv einzelner— eher süddeutsch angesiedelter — Landesregierungen nicht verwirklicht worden sind. Es ist also dazu gekommen, daß das, was die Gesundheitsminister noch einmütig wollten, unter allgemeinpolitischen Gesichtspunkten oder vielleicht auch wegen des grundsätzlichen Verhältnisses von Bundestag zu Bundesrat — und ihrer jeweiligen Mehrheiten zueinander — dort nicht vorangebracht worden ist.Die Referenten der Länder, die diese Planungsaufgabe — sehr bescheiden — wahrnehmen sollen— im Augenblick ist das nur ein Referent je Land nebenamtlich —, sind vorgestern und gestern bei uns zusammen gewesen. Ich habe mir das Vergnügen gemacht, sie noch einmal persönlich auf das hinzuweisen, was die Gesundheitsministerkonferenz erwartet. Und siehe da, die Hälfte der Referenten hatte dazu gar keine Ministervorgabe, hörte das erstemal von mir als dem Vertreter des federführenden Landes, was eigentlich der Auftrag sei. Und einer brachte es sogar, nachdem ihm vorgetragen worden war, worum es ging, fertig, zu erklären, er sei völlig davon überzeugt, dem könne sein Minister in der Gesundheitsministerkonferenz überhaupt nicht zugestimmt haben.
— Das war ein süddeutscher Minister.
— Ich denunziere hier ungern jemanden, und damit müssen Sie dann schon zufrieden sein.
Ich lege also Wert darauf, daß wir in der künftigen Arbeit gemeinsam feststellen, daß das, was die Minister wollen, nachher, wenn es in die konkreten Details geht, auch wirklich trägt. Ich habe meine Zweifel, ob eine bloße Zusammenführung von jeweils einem nebenamtlich dafür vorgesehenen Referenten je Bundesland überhaupt dafür ausreichend sein kann, die vielen Probleme, die vor uns liegen, planerisch zu bewältigen. Man muß nicht gleich an die groß dimensionierten Planungsinstitutionen im Bildungsbereich denken, obwohl sie hervorragende Ergebnisse hervorgebracht haben. Aber es wird wohl in der Zukunft möglicherweise auch notwendig sein, zwischen den Ländern und möglichst zusammen mit dem Bund eine entsprechend dimensionierte Planungsinstitution zu schaffen, die die notwendigen Vorarbeiten leistet, damit zwischen Bund und Län-
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Senator Pätzold
dern die entsprechenden Reformschritte durchgeführt werden können.Dabei liegt mir daran, zu betonen, daß „Gesundheistplanung und Reformen im Gesundheitswesen" nicht heißen kann, irgend etwas von unseren freiheitlichen Strukturen anzutasten. Es geht darum, dies weiterzuentwickeln, es dort vernünftig anzupassen, wo es der Anpassung bedarf, sich — noch besser — vorausschauend auf Dinge einzustellen, die auf uns zulaufen. Aber wir müssen sehen, daß diejenigen, die nicht beizeiten bereit sind, die notwendigen Strukturanpassungen vorzunehmen, eigentlich — meist ungewollt — diejenigen sind, die diese freiheitlichen Strukturen am ehesten in Gefahr bringen.Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir liegt daran, auf einen Komplex — den der Kosten — noch einmal besonders einzugehen, weil er in den letzten Monaten im Vordergrund der Diskussion stand. In den vielen Worten, die dazu gefallen sind, gehen vielleicht ein bißchen die Grundlinien verloren. Ich möchte deshalb — vielleicht etwas grob und übermäßig kurz — den Versuch unternehmen, noch einmal auf einige wenige Grundlinien hinzuweisen.Die Einkommen der niedergelassenen Ärzte haben sicher ihre Dimensionen. Ich will mich dazu gar nicht kritisch äußern. Die Gefällewirkung, die davon — dies sehe ich anders als der Abgeordnete Spitzmüller — auf die im öffentlichen Dienst tätigen Ärzte ausgeht, ist aber so, daß die Ärzte im öffentlichen Dienst zu Recht eine Besoldungsverbesserung fordern. Man muß nur überlegen, ob dies auf lange Sicht die Lösung der Probleme ist. Denn die Angehörigen der vielen anderen akademischen Berufe im öffentlichen Dienst werden sich dann zu Recht fragen, ob es zwischen ihnen und den Ärzten im öffentlichen Dienst nicht auch berechtigte Vergleiche gibt. Jeder spürt, wo die Lösung des Problems langfristig wohl gefunden werden müßte.Was den Arzneimittelbereich angeht, so kann man sagen, daß die Preise und das zu große Sortiment ganz sicher eines der Probleme darstellen. Auf der anderen Seite kommt es ganz gewiß darauf an, die Verschreibungsgepflogenheiten der Ärzte in niedergelassener Praxis und im Krankenhaus, wenn es irgend geht, zu beeinflussen. Die Kassen haben hier eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Insbesondere aber werden sich die Träger von Krankenhäusern und vor allem diejenigen Träger, die öffentlicher Herkunft sind — es gibt sie in großer Zahl -, intensiv darum bemühen müssen. Ich kenne einige Bundesländer, die dies tun und die in absehbarer Zeit hier sicher auch Erfolge vorweisen werden.Ganz sicher ist der Krankenhausbereich mit ein entscheidender Bereich. Sobald es so ist und es ist so —, daß die Personalkosten zwischen Ende der 60 % bis in die 80 % hinein ausmachen, ist es zwar sinnvoll, auch über die verbleibenden Prozente bis hin zu 100 zu sprechen. Aber noch sinnvoller ist es, sich einmal mit den Personalkostenstrukturen im Krankenhaus auseinanderzusetzen. Man wird dann einiges auf dem Sektor der Verwaltungen der Krankenhäuser zu tun haben. Auf diesem Sektor gibt es gar keine Schlüsselungen und sehr unterschiedliche Verhältnisse. Hier und da fühlt man sich an den Scherz über die eine oder andere Rundfunkanstalt erinnert, der da lautet: Das ist eine Verwaltung, die sogar einen eigenen Sender hat — man könnte dies hier und da auf das Krankenhaus übertragen. Wir wissen aber auch, daß in den Bereichen — z. B. im Bereich der Ärzte oder des Pflegepersonals —, die geschlüsselt sind, die Schlüssel, etwa der Deutschen Krankenhausgesellschaft, nur sehr globale Schlüssel sind und daß sie sehr unterschiedlich angewandt werden.Wir meinen — wir haben uns in der letzten kostenorientierten Ministerkonferenz unter dem Vorsitz von Frau Dr. Focke auch dahingehend verständigt —, daß die Bundesländer arbeitsteilig Organisationsgruppen bilden sollten, die die verschiedenen Disziplinen und Krankenhäuser der verschiedenen Größenordnungen daraufhin untersuchen sollten, was heute neuzeitliche, angemessene Personalschlüssel für die verschiedenen Berufsfachrichtungen — Ärzte, Pflegepersonal, Spezialpersonal — sind. Wir werden dann zu entscheiden haben, ob in dem einen oder anderen Sektor nicht noch etwas mehr geschehen muß und ob in anderen Bereichen weniger nicht mehr wäre. Ich sage das in aller Härte so, da wir ja heute in Bund und Ländern zu Recht kritisch über die weitere Entwicklung unserer Stellenpläne sprechen.Wir werden uns weiter mit gezielten Rationalisierungen im Bau, in der Organisation und in den Arbeitsabläufen unserer Krankenhäuser auseinanderzusetzen haben. Auch hier sehe ich gute Möglichkeiten, konkrete Vorschläge zu unterbreiten.Nun einige Bemerkungen zur Bettenzahl, zur Krankenhausbedarfsplanung. Ich bin sehr froh darüber, daß in dem Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion dieses Hauses zum Ausdruck gebracht wird, daß es eher zu viel Akutbetten gibt, daß man dies kritisch überprüfen sollte und daß es nützlich wäre, solche überzähligen Akutbetten in andere Bereiche — insbesondere in den Bereich der Psychiatrie — zu verlagern. Ich wäre herzlich dankbar, wenn der von mir sehr geschätzte Abgeordnete Müller aus Berlin dies freundlicherweise einmal der Berliner CDU mitteilte. Als wir vor anderthalb Jahren unseren Krankenhausbedarfsplan vorgelegt haben, sind wir als Senat von Berlin heftig befehdet worden, weil wir die in Berlin nicht sehr kleine Zahl von Akutbetten reduzieren wollten. Betroffen waren im wesentlichen kleine, alte, schlechte Häuser, die kaum den Mindestanforderungen eines Krankenhauses entsprachen. Wir sind noch mehr getadelt worden, weil solche stillzulegenden Einrichtungen von uns z. B. in Pflegeeinrichtungen umgewandelt würden. Es hieß, das sei völlig unsozial. Man könne doch Menschen nicht aus einem Krankenhaus herausnehmen und in Pflegeheime verlagern. — Der Abgeordnete Müller stimmt mir so freudig zu, daß ich fast schon den Eindruck mit nach Hause nehmen kann, daß er das, worum ich ihn gebeten habe, der CDU in Berlin schon sagen wird. Hier haben wir gemeinsam eine Aufgabe vor uns.
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Senator Pätzold
Nach dem, was jetzt an Ministergesprächen zwischen Bund und Ländern läuft, habe ich die Hoffnung, daß wir diese Aufgabe auch gemeinsam bewältigen werden.Ein weiterer wichtiger Sektor ist die Doppelarbeit zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhausärzten. Es ist überhaupt nicht einzusehen, daß manches, was beim niedergelassenen Arzt erledigt werden kann an Diagnose, an Einreichen von Befundunterlagen, erst im Krankenhaus erstellt wird — oder noch einmal erstellt wird, wenn es schon mitgeliefert —, weil es zum Teil keine gleichen Standards gibt. Es ist andererseits nicht einzusehen, daß dann, wenn der niedergelassene Arzt vielleicht etwas schnell einweist und ohne nähere Unterlagen, wegen der grundsätzlichen Ängste, die ein Teil der niedergelassenen Ärzteschaft hat, jemand in die teuere Hotellerie des Krankenhauses gelegt werden muß, solange er diagnostiziert werden soll und überhaupt nicht bettlägerig ist. Dies verteuert die Kosten in erheblichem Maße. Wenn es uns hier gelingt — da gibt es auch ein Modell in Berlin —, vielleicht medizinisch-technischen Zentren zwischen niedergelassener Ärzteschaft und Krankenhaus anzusiedeln und damit dafür zu sorgen, daß sie von beiden Seiten optimal genutzt werden, dann wären wir ein wesentliches Stück voran. Aber ich höre doch auch hier den hie und da ideologisch überhöhten Widerstand dagegen: Daß man so etwas überhaupt erwäge, sei schon der halbe Schritt zur Verstaatlichung des Gesundheitswesens, und wie all die schönen, überbordenden Gegenargumente dann immer lauten.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben uns in unserem Bundesland dazu bekannt, daß wir die Versorgung im Krankenhaus konzentrieren wollen, verbessern wollen, aber auch bei weniger Betten mehr leisten wollen, um es einmal auf diesen einfachen Nenner zu bringen. Das bedeutet zugleich, daß wir die ambulante Versorgung da, wo sie kostengünstiger ist, weiter ausbauen müssen. Wir werden modellhaft Gemeindegesundheitszentren erproben, in denen niedergelassene Ärzte in freier Praxis sich zusammenfinden, aber dies gekoppelt wird mit staatlichen Fürsorgeeinrichtungen, mit Stellen zur Versorgung in Haus- und Hauskrankenpflege, mit medizinisch-technischen Einrichtungen. Ich glaube, daß wir damit einen ganz wesentlichen Beitrag dazu leisten werden, das Krankenhaus zu entlasten, die ambulante Versorgung gemeindenah zu verbessern. Wenn es auch hier gelingt, die eine oder andere mehr grundsätzliche, fast ideologische Sorge dabei zu überwinden, dann wäre schon eine ganze Menge gewonnen.Aber ich sage auch: So sehr es richtig ist, die ambulante Versorgung möglichst beim niedergelassenen Arzt zu stärken, gerade, wenn man sich dazu bekennt, wäre es auch gut, wir hätten den Mut, da die Krankenhäuser für die ambulante Behandlung zu öffnen, wo wir derer dringend bedürfen.Auch da bin ich froh, daß in der Gesundheitsministerkonferenz relativ breit die Vorstellung herrscht, daß man die psychiatrischen Krankenhäuser für die ambulante Versorgung öffnen sollte, weiles — in weiten Bereichen jedenfalls — kaum noch niedergelassene Nervenärzte gibt.
Herr Senator, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, bitte schön!
Herr Senator, sollte Ihnen der Brief des Fraktionsvorsitzenden der SPD, Herrn Wehner, an den Ärztetag in Hamburg nicht bekannt sein, worin er u. a. schreibt:
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang versichern, daß eine generelle Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Behandlung für die SPD-Bundestagsfraktion nicht akzeptabel ist
und das nachher auch begründet?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dieser Brief meines Fraktionsvorsitzenden
— dessen Briefe sind mir immer bekannt — ist mir natürlich wohlvertraut. Sie haben hervorragend zitiert, daß eine generelle Öffnung nicht in Betracht kommt; aber speziell dort, wo sie nötig ist, etwa im Bereich der Psychiatrie oder bei den akademischen Lehrkrankenhäusern, damit junge Ärzte, die keinen Platz mehr in der Poliklinik einer Universitätsklinik finden, auch in ambulanter Behandlung ausgebildet werden, sollten wir uns doch gemeinsam verständigen. Das ist einer der Fälle, wo die Bundesratsmehrheit wieder einmal 21 : 20 lautete, als es darum ging, die Dinge durchzusetzen, so sehr wir uns vorher in der Gesundheitsministerkonferenz einig waren.Wenn wir bereit wären, wenigstens an diesen beiden Punkten das Notwendige zu tun, dann hätten für mich jene Worte mehr Glaubwürdigkeit, die unnötigen Verfestigungen zwischen der Versorgung durch niedergelassene Ärzte und der Versorgung durch Krankenhäuser abzubauen. Tun Sie doch bitte an dieser Stelle einmal den Schritt mit und helfen Sie uns hier, das Notwendige und Mögliche zu erreichen!Alles, was ich jetzt sage, sage ich ganz bewußt vor dem Hintergrund, daß Kostenentwicklung kein Problem ist, das man etwa unter dem Gesichtspunkt sehen sollte, der Staat muß und will den Rotstift ansetzen. Hier geht es einfach darum, daß derjenige anderen Menschen notwendige und dringende Leistungen vorenthält, der da, wo bisher schon Leistungen erbracht werden und erbracht werden müssen, nicht jede mögliche Sparsamkeit obwalten läßt. Wenn auch da die wechselseitigen Verdächtigungen aufhörten, die es mindestens in einzelnen Bundesländern gegeben hat, dann wäre hier schon eine ganze Menge gewonnen.Zu all dem wird aber auch nach dem, was ich hier anmerken durfte, eine intensive Zusammenarbeit des Bundes und der Länder notwendig sein, nicht
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Senator Pätzold
nur zwischen den Regierungsvertretern — das funktioniert gut —, sondern hoffentlich auch hier im Gesetzgebungsorgan, hoffentlich auch im Bundesrat, wenn es darum geht, konkreten Reformschritten zuzustimmen. Ich hoffe von daher sehr, daß das, was ich heute auch an ermutigenden Äußerungen gerade von den Vertretern der Oppositionspartei und vom Kollegen Geissler gehört habe, zum Schluß nicht nur Lippenbekenntnisse gewesen sind.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Burger.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Politik heute heißt auch, sich mit trockenster Materie intensiv zu beschäftigen. Dies haben wir alle heute bei diesem Thema deutlich feststellen müssen.Ich möchte zum Thema medizinische Forschung einige Ausführungen machen, darf aber zuvor noch einmal auf die Rede des Herrn Kollegen Spitzmüller zurückkommen. Herr Spitzmüller, ich möchte Ihnen versichern, daß ich den meisten Ihrer Ausführungen zustimme, aber Ihren Vorwurf, die CDU/CSU habe in früheren Jahren die Weichen falsch gestellt, hart zurückweisen muß.
— Die Kostenlawine, Herr Kollege Geiger, ist doch erst in den letzten beiden Jahren festzustellen, und sie ist doch ein Stück der inflationären Entwicklung allgemein.
Wir stellen doch die Kostenentwicklung insbesondere im Personalbereich fest, vor allen Dingen im Krankenhaus. Was haben Sie denn dazu beigetragen, die Kostenlawine im Krankenhaus abzubauen? Sie sind stolz auf das Krankenhausfinanzierungsgesetz. Ein Ziel dieses Gesetzes sollte es sein, zu sozial tragbaren Pflegesätzen zu kommen. Dieses Ziel ist nicht erreicht worden; das steht fest.
Ich kann und muß feststellen, daß dadurch, daß die öffentliche Hand Krankenhäuser baut und sie unterhält und daß die Benutzerkosten von den Krankenkassen zu tragen sind und die Bundespflegesatzverordnung einen pauschalierten Pflegesatz vorschreibt, geradezu eine steigende Kostenentwicklung vorprogrammiert wird.
Wir haben damals Vorschläge zur strukturellen Verbesserung im Krankenhaus entwickelt. Wir haben unter anderem den degressiven Pflegesatz genannt. Aber diese Anträge sind seinerzeit zurückgewiesen worden. Herrn Spitzmüller muß ich also sagen: nicht wir haben die Weichen falsch gestellt, sondern das, was in den letzten Jahren geschah, hat sich weiterhin kostensteigernd ausgewirkt.
Im übrigen darf uns ein Vertreter dieser Partei nicht vorwerfen, daß wir einigen Sozialgesetzen in den letzten Jahren zugestimmt haben, die sich kostensteigernd ausgewirkt haben, wenn diese Partei unter anderem vorgeschlagen hat, auch die Abtreibung auf Kosten der Krankenkassen durchzuführen.
Wir haben Ihnen heute kein Patentrezept anbieten können. Wir haben aber als Fraktion klar gesagt, was wir nicht wollen. Wir haben eine Reihe von Vorschlägen gemacht, die dazu beitragen sollten, die Kostenexplosion zu begrenzen. Ich glaube, dies ist eine Daueraufgabe. Auf vielfachen Gebieten müssen die Bemühungen laufen, um diese Entwicklung in den Griff zu bekommen. Es gibt kein Patentrezept, aber es gibt eine Reihe von guten Möglichkeiten, mit dieser Entwicklung fertigzuwerden.Eine Möglichkeit ist der Bereich der medizinischen Forschung. Die medizinische Forschung kann, ja muß einen wesentlichen Beitrag im Rahmen der erforderlichen Anstrengungen leisten, um die Kostenlawine im Bereich der Gesundheitspolitik abzubauen. Dazu ist aber eine bessere Abstimmung notwendig. Die Bedeutung der medizinischen Forschung ist unumstritten. Aus der Sicht der Bevölkerung wird ihr sogar höchste Priorität eingeräumt. Milliarden werden in der Bundesrepublik Deutschland für medizinische, medizinisch-technische und pharmazeutische Forschung ausgegeben. 15 000 ärztliche Zeitschriften bieten jährlich 1,5 Millionen wissenschaftliche Arbeiten an. Jeder Tag beschert neue Erkenntnisse, neue Behandlungsmethoden, neue Arzneimittel. Aber es gibt bisher keine zusammenfassende Dokumentation oder Wertung der medizinischen Forschung. Eine Durchleuchtung des gesamten Komplexes ist in Deutschland bis heute nicht durchgeführt worden.Angesichts der Zersplitterung der Kompetenzen, der fehlenden Koordinierung im nationalen und internationalen Bereich und einer ungenügenden Schwerpunktförderung ist das Unbehagen groß. Niemand kann sagen, was wo und mit welchen Ergebnissen geforscht wird. Es ist fraglich, ob bei der Auswahl von Forschungsprioritäten der Nutzen für eine möglichst große Zahl von Menschen immer im Auge behalten wird.Die staatlich geförderte Forschung wird zu 80 bis 90 % an den medizinischen Fakultäten der Universitäten durchgeführt. Dadurch ergibt sich eine Zersplitterung. Vielfach wird daher der Aufbau von Forschungskapazitäten im außeruniversitären Bereich für unerläßlich gehalten. Es wird kritisiert, daß durch Lehre, Verwaltung, klinische Routine und lähmenden Demokratismus die Forschungskapazität der Hochschulen beeinträchtigt werde. Die Frage geeigneter neuer Organisationsformen für die Gesundheitsforschung ist nicht endgültig geklärt. Einerseits können viele Forschungsberichte nicht auf das klinische Krankengut' verzichten, andererseits dürfen auch die Forschungsprobleme der außer-klinischen Forschung nicht zu kurz kommen.Es liegt in der Natur der Forschung, daß nicht alle Bemühungen zu dem gewünschten Erfolg füh-
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Burgerren. Auch wenn man dies unterstellt, muß gefordert werden, daß die medizinische Forschung einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der Probleme des Gesundheitswesens zu leisten hat und daß sie auf die Bedürfnisse des Gesundheitswesens und der Gesundheitspolitik ausgerichtet sein muß; denn kaum sichtbarer als auf dem Sektor der Medizin kann die Bedeutung der Forschung mit Erfolgen in der Bekämpfung von Krankheiten nachgewiesen werden.Aber auch die Folgen der unterlassenen Forschungen lassen sich in Zahlen darstellen: in Todesraten, in Morbiditätsziffern, in Zahlen über Krankheitskosten, Arbeitsunfähigkeit, Vollinvalidität und Krankenhausverweildauer. Eine globale Forderung nach mehr medizinischer Forschung nützt wenig. Vielmehr müssen Versäumnisse klar erkannt und Verbesserungen angeboten werden.So weist Professor Willi Schulte z. B. auf die denkbar schlechte Ausgangsposition der Forschung in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde hin. Sie sei ausgesprochen mangelhaft, und ohne grundlegende Veränderungen seien Verbesserungen nicht möglich. Die Zahl der Forscher sei zu klein. Klipp und klar erklärt der Wissenschaftler, daß es in relativ kurzer Zeit gelingen würde, entscheidende neue Erkenntnisse über die Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten großer Volkskrankheiten zu gewinnen, wenn man die notwendigen Aufwendungen für die Forschung einsetzen würde.Als Beweis könnten die Zahnkaries und die Parodontopathien angesehen werden. Jeder werde mit Sicherheit von diesen Erkrankungen befallen, und beide Erkrankungen verschlängen jährlich Milliardenbeträge. Der Aufwand der Forschung aber hierfür sei bescheiden. Professor Schulte fordert eine außeruniversitäre Bundesforschungsanstalt für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten oder entsprechende Landesforschungsanstalten, die nach dem Prinzip der Auftragsforschung zu arbeiten hätten.Der chronisch Kranke ist überhaupt das ungelöste Problem der heutigen Medizin. Die medizinische Forschung vernachlässigt vor allem diesen Bereich. Nach Feststellungen des Statistischen Bundesamtes ist beispielsweise jeder dritte Bundesbürger rheumakrank. Den Wissensstand der Rheumaforschung aber nennt Professor Fassbender völlig unbefriedigend.
— Richtig.Es gebe Theorien, sagt der Professor, sonst nichts. Der Stand der Rheumaforschung sei weit schwächer als der Stand der Krebsforschung. Dabei sei Rheuma die teuerste Krankheit überhaupt. Nach der Statistik der Ortskrankenkassen beträgt die Arbeitsunfähigkeit für Männer 42 Tage, für Frauen 48 Tage und die Krankenhausverweildauer 26 bis 32 Tage. An einem Stichtag, an einem einzigen Tag also haben in Deutschland 58 000 Menschen wegen Rheuma den Arzt aufgesucht, und 1974 fielen mehr als 50 Millionen Arbeitstage wegen Rheuma aus. Rheumaforschung — diesen Vorwurf erhebt in aller HärteProfessor Fassbender — finde nicht statt. Schuld daran sei das Desinteresse der Politiker an dieser Krankheit. Diesen Vorwurf hat Herr Professor Fassbender erst in diesen Tagen erhoben.Meine Damen und Herren, ein weiteres Beispiel ist die Psoriasis. Millionen Menschen leiden unter der Schuppenflechte. Es ist erschütternd — so sagt Professor Rohde, der Gründer des Deutschen Psoriasis-Bundes —, wie unwissend die Medizin auf dem Gebiet der Hautkrankheiten auch heute noch sei. Wir seien immer — so sagte er — noch viel zu oft auf Vermutungen angewiesen. Millionen Menschen aber sind betroffen. Sie leiden körperlich und seelisch und müssen ein ganzes Leben lang behandelt werden. — Aber das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit erklärte kürzlich in einem Brief, da diese Krankheit nicht lebensbedrohend sei, bestehe kaum Aussicht, daß für die Forschung zusätzliche Bundesmittel eingesetzt werden könnten. Meine Damen und Herren, wenn man das hört, kann man sich nicht wundern, wenn gerade in diesem Bereich die notwendigen Voraussetzungen für eine Behandlung dieser Krankheit nicht vorhanden sind.Eine Denkschrift der Deutschen Forschungsgemeinschaft befaßt sich mit der Behandlung und der Betreuung der Epilepsiekranken. Epilepsie sei nach Häufigkeit und Auswirkung ein bedeutendes sozialmedizinisches Problem. Über 340 000 Bundesbürger litten an dieser Krankheit. Jährlich gebe es 42 000 Neuerkrankungen.
- Dürfte ich noch um drei Minuten bitten?
Herr
Kollege, das hätten Sie besser so sagen sollen, daß Sie jetzt zum Abschluß kommen wollten.
Vielen Dank für Ihren Tip, Herr Präsident! Ich möchte zum Abschluß kommen.— Während die Epilepsieforschung in Amerika und Frankreich vorbildlich sei, sei sie in Deutschland mangelhaft.Nun, meine Damen und Herren, leider weist weder die Bundesregierung noch das Gesundheitsministerium mutige Wege, wie die großen Chancen der Forschung besser genutzt werden könnten.
— Herr Wehner, es ist eine Ausnahme, daß Sie mir auch einmal helfen wollen. Danke schön! Ausgerechnet die rote Lampe!
Leider hat die Bundesregierung auch nicht auf die Anregungen von Professor Beske geantwortet, der eine wissenschaftlich fundierte Analyse unseres Gesundheitssystems gefordert hat. Die Regierung hat in diesem gesamten Bereich noch keine Vorstellungen entwickelt. Sie hat auch leider Gottes die Mög-
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Burgerlichkeiten des Instituts, das sie gegründet hat, nicht genutzt.Ein gewisser Förderungsschwerpunkt der Medizintechnik ist für uns problematisch, meine Damen und Herren. Ist es wirklich notwendig, daß dieser Schwerpunkt mit so viel Geld ausgestattet wird? Patienten als Fließbandobjekt — ein expandierender Apparat! Er muß ja nur wieder genutzt werden. Die ist wohl nicht die Lösung. 60 bis 80 % der Menschen suchen den Arzt heute nicht nur wegen organischer Erkrankungen auf, sondern sie wollen beim Arzt mehr Zeit haben. Dies scheint mir heute das wichtigste Problem zu sein. Es geht nicht um die technische Apparatur, sondern um mehr Zeit für den Arzt und für den Patienten. Vor allen Dingen dies halte ich für wichtig.Meine Damen und Herren, die Regierung ist mit der Forschungspolitik offensichtlich auch nicht zufrieden. Sie hat im Februar dieses Jahres mit Arbeiten begonnen, welche die gesamten Forschungsvorhaben des Bundesministeriums für Forschung und Technologie und des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit auf dem Gebiet der Medizin umfassen und koordinieren sollen. Zur Vorbereitung dieser Arbeiten sind auch Studienaufträge in Auftrag gegeben worden.Es bleibt sicher immer ein ethisches Problem, ob eine zum Tod oder zum chronischen Leiden führende Krankheit mit größerem Aufwand bekämpft wird als eine andere Krankheit. Das gleiche ethische Problem tritt auch bei einer Kosten-Nutzen-Analyse der medizinischen Forschung auf. Trotzdem sollten wir auf eine Kosten-Nutzen-Analyse auch bei der medizinischen Forschungskontrolle nicht verzichten.Ich möchte zum Schluß kommen. Die Notwendigkeit, die Mittel im Bereich der medizinischen Forschung ökonomisch einzusetzen, erfordert eine wesentlich verbesserte Effizienz der Forschungsarbeit. Die medizinische Forschung kann einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der Probleme des Gesundheitswesens leisten. Aber sie muß deutlich auf die Bedürfnisse der Gesundheitspolitik ausgerichtet sein. Denn es gibt keine unheilbaren Krankheiten, es gibt nur Krankheiten, die wir noch nicht heilen können.
Meine Damen und Herren; wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat Frau Abgeordnete Schleicher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anläßlich unserer heutigen Debatte über die Situation des Gesundheitswesens in Deutschland sollte man sich wirklich einmal Ruhe und Zeit nehmen, darüber nachzudenken, welche Rolle die Gesundheit letztlich in unserem Leben spielt. Sicher ist, daß vieles Tun und Handeln auch davon abhängig ist, wie wir uns persönlich befinden. Wichtige Entscheidungen im Leben, in der Politik, für uns selbst, aber auch für andere werden täglich und stündlich getroffen. Es besteht kein Zweifel, daß der Zustand des Entscheidenden, nämlich ob er sich krank oder gesund fühlt, letztlich Einfluß auf das Ergebnis haben wird.Zu unseren Fragen an die Bundesregierung über gesundheitliche Aufklärung und Erziehung wurde meistens auf die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verwiesen. Mittel, die hierfür ausgegeben wurden, wurden exakt aufgeführt. Die vielen übrigen Einrichtungen, Verbände und Multiplikatoren wurden gerade so nebenbei erwähnt. Nun kann die Bundeszentrale noch so gute Arbeit leisten, sie ist aber immer darauf angewiesen, wer schließlich die Informationen wie weitergibt. Dieser Prozeß, die Erfahrungen und Erkenntnisse an die Personen zu bringen, dürfte die schwierigste Phase in der Gesundheitsaufklärung und Gesundheitserziehung sein.Ich lese nun in der Antwort, daß Aufklärung und Erziehung künftig auch institutionell breiter angesetzt werden sollen, vor allem durch die Einbeziehung geeigneter Werbeagenturen und Presseorgane. Nichts ist gegen diese Einrichtungen zu sagen. Aber ich bezweifle, ob sie in diesem Falle die richtige Adresse sind. Es handelt sich doch nicht um eine Werbekampagne. Es geht auch nicht darum, ein Produkt zu verkaufen. Es geht um eine wirkliche Erziehungsfrage, d. h. um eine Erkenntnis, die auf Grund von Tatsachen gewonnen ist und herbeigeführt werden muß. Niemand käme z. B. auf die Idee, Schulbücher von einem Werbefachmann machen zu lassen. Es sollten die besten Pädagogen sein, die sich mit dieser Frage auseinandersetzen. Denn nicht reißerische Parolen oder Aufmachungen überzeugen; im Gegenteil: besonders poppige Aufmachungen für Jugendliche, Broschüren nach der Art von Comic strips lenken doch vom wesentlichen ab. Farbige Anreize in der Aufmachung sind vielleicht sinnvoll, nicht aber Handzettel in der Form von Werbung. Sie alle wissen doch, daß Werbung den Zweck verfolgt, aufmerksam zu machen, nicht aber, Inhalte zu vermitteln. Erziehung soll gar nicht aufmerksam machen, sondern auf Grund logischer Beweisführung Einsicht bringen. Der Text ist ausschlaggebend, nicht die Aufmachung.Die gesundheitliche Eigenverantwortung, die an vielen Stellen in der Antwort angesprochen ist, kann auch nicht erst im Bereich von Freizeit und Urlaub vom Himmel fallen. Es ist ein langer Prozeß, dessen Grundstein in der Erziehung gelegt wird.Wir wissen heute, daß die Frage der Gesundheit für die Bevölkerung an erster Stelle des Interesses steht. Die Bereitschaft, anzunehmen, ist ja in der Bevölkerung bereits vorhanden. Es kommt jetzt nur noch darauf an, diese Bereitschaft auch in entsprechendes Handeln umzusetzen. Wir haben deshalb in unserem Antrag auch ein Berufsbild des Gesundheitserziehers gefordert, der in dieser Beziehung sicher eine ganz wichtige Rolle spielen wird.Es gibt auch eine Reihe von Verbänden, die sich fast ausschließlich mit Fragen der Gesundheitsaufklärung und Gesundheitserziehung befassen. Große Erfahrungen im Umgang mit dem kostbaren Gut Gesundheit sind bei diesen Einrichtungen sicher gegeben. Wäre es nicht sinnvoller, in erster Linie
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Frau Schleicherdiese Verbände zu stärken und über sie an die einzelnen Bürger heranzutreten? Es ist mir deshalb nahezu unverständlich, welchen Weg die Bundesregierung neuerdings einschlägt. Ich möchte hier aus der Antwort zitieren; es wird dort gesagt:Die Bundesregierung ist erfreut festzustellen, daß auch große Organisationen und Verbände, die nicht unmittelbar auf dem Gebiet der gesundheitlichen Aufklärung und Erziehung tätig sind, zu einer Zusammenarbeit bei der Durchführung von Schwerpunktmaßnahmen bereit sind. Diese sollen deshalb nach Maßgabe der im Bundeshaushalt bereitgestellten Mittel unterstützt werden.Ich sage ganz offen, daß mich diese Formulierung irgendwie mißtrauisch macht. Denn es ist wohl kaum zu erwarten, daß die Mittel für gesundheitliche Aufklärung und Gesundheitserziehung im Haushalt wesentlich erhöht werden. Eine solche Bemerkung kann dann nur bedeuten, daß die Verteilung an die Zuwendungsempfänger anders erfolgt, mit dem Ergebnis, daß jene freien Verbände, die sich schwerpunktmäßig den gesundheitspolitischen Fragen zuwenden, langsam ins Hintertreffen geraten müssen.Auch die Zahlen über die Beiträge der Länder, die für die gesundheitliche Aufklärung und Erziehung aufgewendet werden, sind nach meiner Information nicht ganz exakt. Ich kann als Beispiel Bayern anführen. Der genannte Betrag umfaßt die gesundheitserzieherische Arbeit der Gesundheitsämter, nicht aber sämtliche Aufwendungen der Bayerischen Staatsregierung in diesem besonderen Bereich. Zu den anderen Zahlen konnte ich mir keine Informationen einholen; ich kann das nur auf Grund der Zahlen des Landes sagen, aus dem ich komme.Für wenig aussagefähig halte ich auch den Hinweis der Bundesregierung, daß der Zugang zur gesundheitlichen Aufklärung durch den Allgemeinen Teil des Gesetzentwurfs eines Sozialgesetzbuches erreicht werde. Die sogenannte Kodifizierung des Sozialgesetzbuches schafft doch sicherlich nicht ein neues Gesundheitsbewußtsein. Im Gegenteil, das Wissen um bessere Rehabilitationsmaßnahmen könnte den Leichtsinnigen sogar beruhigen, daß er sich im Notfall ja auf ein Wiedergutmachen von Versäumtem verlassen kann. So notwendig andererseits die Hoffnung auf Rehabilitation für den Kranken ist, bei der Gesundheitsaufklärung und Gesundheitserziehung wendet man sich in erster Linie nicht an den bereits Kranken, sondern an jenen, der seine Gesundheit erhalten möchte.Ich möchte deshalb nochmals auf das zur Verfügung stehende Material der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung eingehen. Ich habe es mir sorgfältig angeschaut. Es fehlt die große Linie bzw. der Überblick, der sich aus einer solchen Durchsicht ergeben müßte. Man hat sicher sehr viel probiert. Aber allmählich wäre es an der Zeit, einen Stil zu finden, der auch für Qualität bürgt. Die Broschüren sind farbig und doch farblos. Sie haben viel Text und bieten doch wenig Aussage und Informationen. Die Behauptung, daß es sich um wirksamere Maßnahmen der Gestaltung auf dem Gebiet der gesundheitlichen Aufklärung handelt, ist für uns nicht ganz überzeugend. Wir können über Gesundheit noch soviel reden, es nutzt nichts, wenn wir nicht das erreichen, was die Bundesregierung zu erreichen vorgibt.
An die Stelle der heute vorherrschenden Erwartungshaltung vieler Bürger, daß Ärzte, Krankenhäuser und staatliche Institutionen unter finanzieller Absicherung durch die Solidargemeinschaft der Krankenversicherten jede gesundheitliche Leistung zu erbringen haben, muß die Bereitschaft des Bürgers zur Eigenverantwortung und zum kritischen und ökonomischen Gebrauch der durch die Solidargemeinschaft abgesicherten Leistungen treten.
Diese Feststellung schließt mit der Bemerkung ab, daß auch insoweit gesundheitliche Aufklärung und Erziehung einen entscheidenden Beitrag zur Kostenbegrenzung im Gesundheitswesen leistet. Das ist doch genau das gleiche, was der Deutsche Ärztetag vorgetragen hat. Ich möchte noch anfügen, daß diese Erkenntnis der Bundesregierung etwas spät kommt, nachdem gerade diese Bundesregierung alles getan hat, um diese jetzt von ihr selbst kritisierte Erwartungshaltung zu steigern.
Im ganzen Erziehungsbereich geht es schließlich auch um das gute Vorbild. Ich möchte deshalb abschließend anregen, daß sich der Deutsche Bundestag selbst einmal Gedanken darüber machen sollte, welche Kost z. B. den hier arbeitenden Menschen und den Besuchergruppen angeboten wird, die täglich hier in das Bundeshaus kommen.
Vielleicht könnte sich der Ältestenrat dazu entschließen, hier einmal beispielgebend zu sein und zumindest für bessere Voraussetzungen zu sorgen, als dies zur Zeit noch der Fall ist. Vielleicht hat eine solche Maßnahme auch Einfluß auf zukünftige Entscheidungen.
Meine
Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat Frau Abgeordnete Lüdemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In meinen Ausführungen möchte ich mich auf zwei Problemkreise in der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der CDU/CSU beschränken, zum einen auf die Problematik der gesundheitlichen Aufklärung, zum anderen auf die Situation der nichtärztlichen Heilberufe.Die gesundheitliche Aufklärung und Erziehung nimmt in der Politik der Bundesregierung eine vorrangige Stellung ein, und das ist gut so! Nur wenn
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12344 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975
Frau Lüdemanndie Menschen wissen, von welchen Krankheiten sie bedroht sind, welchen sogenannten Zivilisationsschäden sie ständig ausgesetzt sind, können sie sich davor schützen und vorbeugende Maßnahmen treffen, und zwar zunächst sie selbst. Die FDP ist mit der Bundesregierung ganz entschieden der Meinung, daß gesundheitliche Aufklärung und Erziehung in Zukunft mehr als bisher auf die Stärkung der Bereitschaft des Bürgers gerichtet sein muß, Mitverantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen, ehe er nach Arzt, Krankenhaus und Staat ruft. Insofern kann gesundheitliche Aufklärung, wenn sie entsprechend effektiv und gezielt einsetzt, auch einen Beitrag dazu leisten, die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen einzudämmen.Als Maßnahmen der gesundheitlichen Aufklärung betrachtet die Bundesregierung die Aufklärung über richtige Ernährung — es wäre z. B. wünschenswert, wenn die Lebensmittelverpackungen Nährstoff- und Kalorienangaben aufwiesen, wie es vereinzelt bereits der Fall ist —, über Gefahren der Bewegungsarmut, über gesundheitsgerechtes Verhalten in Urlaub und Freizeit, vor allem auch über die Unfallverhütung sowie die Gefahren des Medikamente- bzw. Alkohol- und Drogenmißbrauchs. Daß Vorbeugen besser als Heilen ist, darüber, meine Damen und Herren, bestehen sicher zwischen uns allen keine Kontroversen. Die Frage ist nur: Wie können noch mehr Menschen so gezielt angesprochen und gesundheitlich aufgeklärt werden, daß sich daraus Konsequenzen für die Art und Weise, wie sie leben, ergeben? Das ist meiner Ansicht nach nicht nur eine Frage der zur Verfügung stehenden Mittel, die im Jahre 1975 immerhin bei 9,5 Millionen DM liegen, sondern eine Frage der Ideen. Der Erfinder der „Trimm-dich"-Programme und der „Trimm"-Pfade, was man auch immer davon halten mag, hat sicher mehr für das Gesundheitsbewußtsein der Bevölkerung getan, als es manche gutgemeinte Broschüre einer Behörde vermag.Die FDP-Fraktion fordert die Bundesregierung auf, durch unkonventionelle Maßnahmen und in Verbindung mit Werbeagenturen und Massenmedien, durch Fernsehspots und Anzeigen, wie zum Teil schon erfolgreich praktiziert, die Bevölkerung über gesundheitliches Fehlverhalten und dessen Folgen intensiv aufzuklären. Besonders der erschreckend zunehmende Jugendalkoholismus ruft uns zu aktivem Handeln auf. Maßnahmen zu ergreifen ist hier besonders schwer, da in unserer Gesellschaft der Alkoholkonsum im Gegensatz zum Drogenkonsum salonfähig ist. In diesem Zusammenhang ist es besonders begrüßenswert, daß die für das Gesundheitswesen zuständigen Minister und Senatoren der Länder sowie der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit ein Aktionsprogramm zur Verhütung und Eindämmung des Alkoholmißbrauchs durchführen wollen.Für mich, meine Damen und Herren, haben gesundheitliche Erziehung und Aufklärung grundsätzlich so früh wie möglich, nämlich im Elternhaus, im Kindergarten, in Vorschule und Schule, zu beginnen. Hier wird der Grundstein für das gesundheitliche Verhalten und Bewußtsein der Kinder undJugendlichen gelegt. Hier erziehen wir die späteren Erwachsenen, die entweder in die Lage gebracht worden sind, sich um ihre Gesundheit eigenverantwortlich zu kümmern, oder die das eben nicht können, sondern mit der Erwartungshaltung ins Leben gehen, jederzeit die Solidargemeinschaft der Krankenversicherten in Anspruch nehmen zu können, und damit letztlich der Gesellschaft zur Last fallen.Auf Grund dieser Zukunftsperspektiven begrüße ich im Namen der FDP-Fraktion insbesondere die von der Bundesregierung eingeleiteten Bemühungen, in Zusammenarbeit mit dem ständigen Ausschuß der Gesundheitserziehungsreferenten der Kultusminister und Senatoren der Länder die schulische Gesundheitserziehung als fächerübergreifendes Unterrichtsprinzip in den allgemein- und berufsbildenden Schulen systematisch einzuführen. Es wäre auch denkbar, Gesundheitsunterricht etwa in Gesamtschulen als Projektunterricht im Bereich der Gesellschaftslehre und des naturwissenschaftlichen Unterrichts anzusiedeln. Die Kultusminister der Länder sollten bei der Curricula-Entwicklung das Projekt Gesundheitsunterricht berücksichtigen und einen Katalog von Aufgaben und Zielen eines solchen Unterrichts erarbeiten.Ein weiterer wesentlicher Punkt im Zusammenhang mit der gesundheitlichen Aufklärung scheint mir auch der Abbau von Vorurteilen gegenüber Behinderten und psychisch Kranken zu sein. Ich beziehe mich als Beispiel etwa nur auf die Probleme, denen die querschnittgelähmten Behinderten in unserer Gesellschaft Tag für Tag gegenüberstehen. Ein neulich im Fernsehen ausgestrahlter Film, der eine junge qerschnittgelähmte Frau in ihrem Alltag begleitete, kann hier mehr Aufklärungsarbeit leisten und Vorurteile abbauen als jeder Appell von uns Politikern. Das gleiche gilt für einen Film, der zeigte, wie entwürdigend für Rollstuhlfahrer der Transport mit der Bundesbahn ist; sie wurden im Gepäckwagen transportiert.Wir müssen die Behinderten in unseren Alltag einbeziehen, müssen es ermöglichen, daß sie möglichst so leben können wie wir. Wie können wir sonst von der Gesellschaft verlangen, daß sie die Behinderten unbefangen und ohne Vorurteile betrachtet? Jeden einzelnen von uns kann schließlich auf unseren Autobahnen täglich das gleiche Schicksal ereilen, und das sollte man sich vor Augen halten.Daß unsere gesundheitliche Aufklärung noch nicht effektiv genug ist bzw. diejenigen nicht erreicht, die wir erreichen wollen, zeigt auch, daß die von den Krankenkassen angebotenen Vorsorgeuntersuchungen nicht genügend genutzt werden. Es hat sich herausgestellt, daß die Vorsorgeuntersuchungen je weniger wahrgenommen werden, desto niedriger der soziale Status des Angesprochenen ist. Mit der Bundesregierung bin ich hier der Meinung, daß es äußerst wichtig wäre, eine an Berufs- und Bildungsstand ausgerichtete Unterrichtung über die von den Kassen geleisteten Vorsorge- und Früherkennungsmaßnahmen vorzunehmen. Nur so kann gewährleistet werden, daß auch die Bevölkerungsschichten erreicht werden, die Beratung und Vorsorge am nötigsten haben.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975 12345
Frau LüdemannIch denke hier besonders an die Vorsorgeuntersuchungen für Kleinstkinder, durch die versteckte Krankheiten und Anomalien des Körpers oder Geistes beizeiten entdeckt und der medizinischen Behandlung zugeführt werden sollen. Die Kosten tragen die gesetzlichen Krankenkassen. Dieses äußerst wichtige Vorsorgeuntersuchungsprogramm ist von der sozialliberalen Koalition endlich als gesetzliche Maßnahme in die RVO aufgenommen worden. Damit ist ein wichtiger Schritt getan, etwaige Schäden des Kleinkindes frühzeitig zu beheben, die später irreparabel sind. Auch hier müssen vor allen Dingen die Eltern aus sozial schwachen Schichten individuell beraten werden.Nun noch ein Wort zur Säuglingssterblichkeit in der Bundesrepublik. Ich halte mich an die Aussage der Bundesregierung, wonach bei uns bei der Säuglingssterblichkeit noch nicht der Stand erreicht ist, der nach den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen und den in der Praxis bereits gegebenen Möglichkeiten in der Gesundheitsvorsorge wie der gesundheitlichen Versorgung erreichbar sein könnte.Besonders gravierend und bestürzend scheint mir jedoch zu sein, daß der Familienstand der Mutter bei der Säuglingssterblichkeit eine große Rolle spielt. Die Totgeburtenhäufigkeit bei nicht ehelich geborenen Kindern liegt um 50 % über derjenigen von ehelich geborenen. Die Säuglingssterblichkeit liegt sogar um 70 % über dieser Vergleichsziffer. Dies sind erschütternde Zahlen, vor allen Dingen wenn wir zur Kenntnis nehmen — ob uns das paßt oder nicht —, daß die Nichtehelichenquote in den letzten Jahren deutlich angestiegen ist. Sie lag 1967 noch bei 46,1 auf tausend Lebendgeborene, 1972 aber bei 60,5. Die Bundesregierung betont, daß die Übersterblichkeit bei nicht ehelich geborenen Kindern keineswegs etwa allein auf mangelnde Sorgfalt der Mütter zurückzuführen ist, sondern daß hier so etwas wie ein Sozialstreß wirksam werde, der offensichtlich aus gesellschaftlichen Einflüssen, insbesondere aus der sozialen Verurteilung herrührt, die sich so stark psychosomatisch auswirkt, daß er sogar auf das werdende Kind ausstrahlt.In unserer Gesellschaft ist es leider immer noch so, daß unverheiratete Mütter diskriminiert werden. Welch schreckliche Folgen dies für die dann oft unerwünschten Kinder hat, darüber geben diese Zahlen deutlich Auskunft. Zu viele Kinder werden tot geboren, zu viele sterben im Säuglingsalter, und in was für ein Leben unerwünschte und ungeliebte, ja vielleicht sogar gehaßte Kinder hineingeboren werden können, ob sie ehelich oder nicht ehelich sind, darüber hat die Aktion „Das sichere Haus" in der vorigen Woche eine traurige und erschütternde Auskunft gegeben. Zwischen 20 000 und 30 000 Kinder werden jedes Jahr in der Bundesrepublik und West-Berlin krankenhausreif geprügelt. Eltern oder Verwandte quälen pro Jahr rund 600 Kinder zu Tode. Die Dunkelziffer — man stelle sich vor — dürfte nach Angaben der Aktion „Das sichere Haus" etwa bei 1000 Mißhandlungen mit tödlichem Ausgang liegen. Nur etwa 10 % aller Kindesmißhandlungen werden nach Schätzungen der Experten aufgedeckt.Meine Damen und Herren, wenn wir hier von gesundheitlicher Vorsorge und Aufklärung sprechen und Programme entwickeln, wie wir diese intensivieren können, dann sind wir angesichts dieser erschütternden Zahlen um so mehr aufgerufen, aktiv einzugreifen. Wir sollten keine Gelegenheit verstreichen lassen, die Bevölkerung insbesondere in Vereinen und Verbänden aufzufordern, eine Kindesmißhandlung, sowie sie ihnen bekannt wird, unverzüglich Jugendamt oder Polizei zu melden. Ich fordere an dieser Stelle die Presse auf, weiterhin über die Lage dieser geschundenen Kinder zu berichten und dadurch gleichgültige Öffentlichkeit aufzurütteln. Machen wir uns zu Lobbyisten der Ärmsten dieser Armen, die ungewollt oder unerwünscht die Leidtragenden einer oft grausamen Umgebung sind.In diesem Zusammenhang ist es sehr begrüßenswert, daß zu den Grundsätzen der Familienpolitik dieser Bundesregierung gehört, daß eine unverheiratete Mutter mit Kind wie eine Normalfamilie behandelt wird. Hier wird endlich, wenn auch erst von Staats wegen, mit einem Tabu gebrochen, das sich hoffentlich bald auch im Bewußtsein der Menschen niederschlägt. Besonders in Kleinstädten und auf dem Lande wird die unverheiratete Mutter auch heute noch diskriminiert. Die Bundesregierung sollte hier mutig ihre Grundsätze vertreten und sich von Störfeuern aus bestimmten Ecken nicht beeindrucken lassen.Doch unabhängig davon, meine Damen und Herren, — —
— Ich bin leider noch nicht fertig. Daß wir gebeten werden würden, unsere Redezeit zu verkürzen, hat man vorher nicht wissen können. Ich darf vielleicht punktemäßig das, was ich noch sagen wollte, zusammenfassen; einiges habe ich gesagt, das andere ist neu.Erstens. Bei aller Intensivierung der gesundheitlichen Aufklärung sollten hier vor allen Dingen Maßnahmen ergriffen werden, die auch die sozial schwachen Schichten in unserer Gesellschaft erreichen.Zweitens. Der Gesundheitsunterricht an Schulen sollte kein eigenes Unterrichtsfach sein, sondern fächerübergreifend in die Lehrpläne aller Altersstufen mit aufgenommen werden.Drittens. Auch aus Gründen der Gesundheit von Mutter und Kind ist es notwendig, daß die alleinstehende Mutter absolut ihren Platz in unserer Gesellschaft hat und ihre Diskriminierung aufhört.Viertens. Wir Politiker sollten mit der Bundesregierung bemüht sein, daß die Gesamtbevölkerung bei der Aufdeckung von Kindesmißhandlungen mehr mitwirkt als bisher.Fünftens. Junge Mädchen sollten über die Möglichkeit — neues Kapitel — der Rötelschutzimpfung während der Pubertät Aufklärung erhalten, damit die durch Röteln erkrankten werdenden Mütter nicht mißgebildete Kinder zur Welt bringen.
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12346 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975
Frau LüdemannSechstens. Für die nichtärztlichen Heilberufe sind für die nahestehenden Berufe gemeinsame Grundbildungsjahre einzuführen.Siebtens. Wir sollten uns dafür einsetzen, daß auch ein Ausbildungsberuf Suchttherapeut in Zukunft ein anerkannter förderungswürdiger Beruf ist.Ich glaube, meine Damen und Herren, daß dann, wenn wir diese soeben aufgezeigten Forderungen, die alle nicht kostenwirksam sind, durchsetzen, schon viel für die Verbesserung der gesundheitlichen Situation in unserem Lande getan ist.
Meine
Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort.
Das Wort hat der Abgeordnete Kratz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wegen der vorgeschrittenen Zeit in der gebotenen Kürze — Ihr Einverständnis voraussetzend — nur einige wenige Sätze zum Gesetz zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts, und zwar auch im Hinblick darauf, daß die von mir sehr geschätzte Frau Kollegin Dr. Neumeister dies in ihrer verbundenen Rede in einigen Sätzen erwähnt hat, die nicht unsere Zustimmung finden können.Im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion begrüße ich den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion sieht in diesem Gesetzentwurf einen guten Schritt vorwärts auf dem Wege zur Verbesserung der Struktur der ambulanten ärztlichen Versorgung. Wir alle stehen in der Pflicht, unseren Beitrag zu leisten, daß unsere Bürgerinnen und Bürger draußen im Lande eine regional gleichgewichtige und gleichmäßige, qualitativ gute ärztliche Versorgung erhalten. Wir alle wissen, daß dies in ländlichen und Stadtrandgebieten heute nicht in ausreichendem Maße der Fall ist. Hier gilt es, Schwierigkeiten und zum Teil schwer erträgliche Belastungen sowohl der Patienten als auch der Ärzte zu beseitigen. Wir Sozialdemokraten wollen gemäß der Forderung unseres Godesberger Programms, daß das Patientenrecht auf den frei gewählten Arzt auch dort gewährleistet ist, wo dies bisher noch nicht der Fall war,
eben in ländlichen und in den Stadtrandgebieten.Der Gesetzentwurf der Bundesregierung bietet hierzu eine Fülle von Maßnahmen an, auf die im einzelnen in der gebotenen Kürze noch einzugehen sein wird.Der Entwurf gipfelt in der Konsequenz, daß das Patientenrecht der freien Arztwahl dort, wo es mehr als ausreichend gesichert ist, eingeschränkt werden kann, um es dort, wo es noch nicht gesichert ist, zu gewährleisten. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt und unterstützt gerade diese Konsequenz.Lassen Sie mich neben diesem Grundsatz der Gewährleistung des Patientenrechts auch den frei gewählten Arzt als zweiten wesentlichen Grundsatz dieses Gesetzentwurfs herausstellen. Daß der Instrumentenkatalog zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung in die Hände der Selbstverwaltungskörperschaften gegeben wird, bestätigt den von uns vertretenen und jetzt zum Hamburger Ärztetag noch einmal deutlich gemachten Grundgedanken, daß wir eine funktionierende Selbstverwaltung im Gesundheitswesen dem direkten staatlichen Tätigwerden vorziehen. Oder, anders gesagt: Der Staat soll erst dann selbst im Gesundheitswesen tätig werden, wenn die Kräfte der dort Beteiligten bei der Lösung der anstehenden Probleme nicht ausreichen. Auch diese Konsequenz zieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung, und ich betone auch hier noch einmal die nachdrückliche Unterstützung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion.
In dieser Einschätzung unterscheiden wir uns wohl von denen, die den vom Freistaat Bayern initiierten Gesetzentwurf zum Kassenarztrecht unterstützen, der Ihnen in mittlerweile abgeänderter Form ebenfalls vorliegt. Lassen Sie mich in allem Freimut sagen, daß ich diesen Entwurf des Bundesrates nicht nur für wenig flexibel und in den für die Sicherstellung angebotenen Instrumenten für völlig unzureichend, sondern auch — wie es Minister Walter Arendt heute morgen schon einmal sagte — für dirigistisch halte.
Zulassungssperren und Zwangszuteilungen von Kassenarztsitzen als alleiniges Patentrezept sind ja wohl zu einfach, als daß sie in einem so schwierigen und vielschichtigen Problembereich nachhaltig wirken könnten. Es ist nicht frei von Pikanterie, daß ausgerechnet diejenigen, die sonst bei jeder Gelegenheit als Retter der angeblich bedrohten Freiheit unseres Gesundheitswesens auftreten, jetzt einen solchen Gesetzentwurf vorlegen. Und dies ist sicherlich auch nicht ohne Wirkung auf die Aussagen des Ärztetages geblieben, wozu der Herr Staatssekretär der bayerischen Staatsregierung ja heute vormittag einiges im negativen Sinne zu seiner Begründung sagen mußte.Dieser recht auffällige Unterschied zwischen Wort und Tat, der eine seiner Ursachen im Fehlen eines Konzepts hat, kann für uns Sozialdemokraten nur Ansporn sein, auf dem von uns eingeschlagenen Weg weiterzugehen.
Wir führen nicht ständig das Wort von der angeblich bedrohten Freiheit im Munde, sondern bauen diese Freiheit aus, und zwar konkret, im Einzelfall, Schritt für Schritt. Wir fühlen uns im Wort für die Bürger unseres Landes und nehmen dies sehr ernst.Meine Damen und Herren, wer die Aktivitäten der sozialliberalen Koalition auf dem Gebiet der Weiterentwicklung und des Ausbaus der sozialen
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975 12347
KratzKrankenversicherung bewertet, kann auf wichtige Erfolge verweisen. Ich darf daran erinnern: 1970 wurde das Gesetz zur Weiterentwicklung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung, 1972 das Gesetz über die Versicherung der Landwirte, 1973 das Versicherungsleistungsverbesserungsgesetz und schließlich 1974 das Rehabilitationsangleichungsgesetz verabschiedet — jedes Jahr, wenn man so will, ein sehr wichtiges sozialpolitisches Gesetz.
Wir sehen den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf in dieser Kontinuität. Dies ist unser Konzept, dies ist unser Rezept, den sozialen Rechtsstaat entsprechend der Forderung unseres Grundgesetzes schrittweise auszubauen.Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren von der Opposition, die Frage, wie Sie es denn damit halten. Was haben Sie denn anzubieten? Sie führen draußen große Reden über sogenannte Kostenexplosionen; das haben Sie auch heute in diesem Hause wieder getan. Sie haben hier, wo es um die Lösung wichtiger konkreter Probleme geht, nichts, aber auch gar nichts anzubieten.
Sie lassen keine Gelegenheit aus, diese Regierung und die sie tragenden Fraktionen in ihren Leistungen herabzuwürdigen, haben aber selbst keinen einzigen Vorschlag.
Wir werden Sie bei den jetzt folgenden Ausschußberatungen ins Wort nehmen. Wir werden sehen, ob Sie außer allgemeiner Kritik vielleicht doch noch etwas anzubieten haben.
Die bisherigen Erfahrungen lassen mir da allerdings sehr wenig Hoffnungen.Lassen Sie mich nun noch auf den Kernpunkt dieses Gesetzes zurückkommen und ausführlicher darauf eingehen, wiederum in der gebotenen Kürze, aber eben einfach, weil es notwendig ist, das noch einmal — auch im Vergleich zum vorliegenden Bundesratsentwurf — herauszustellen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion unterstützt den in diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung enthaltenen Gedanken, daß eine gleichmäßige ärztliche Versorgung ohne bundesweite und vor allem bundeseinheitliche Planung nicht ausreichend sichergestellt werden kann. Frau Ministerin Dr. Focke ist in ihrem Beitrag heute morgen ebenfalls darauf eingegangen. Planung muß dabei aber mehr bedeuten als Bedarfsfeststellung. Sie muß auch Vorausschau, Abstimmung und Fortentwicklung bedeuten.
Besonders wichtig für eine gleichgewichtige und gleichmäßige ärztliche Versorgung und deren Bedarfsplanung ist unserer Auffassung nach die Bundeseinheitlichkeit der Bedarfskriterien. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung verpflichtet die Kassenärztlichen Vereinigungen, in Zusammenarbeit mit den Krankenkassen die erforderlichen Bedarfspläne zu erstellen. Der Gesetzentwurf des Bundesrates hingegen sieht hier Einvernehmen zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen vor. Wir Sozialdemokraten werden in den Ausschußberatungen sehr sorgfältig prüfen, wie den Krankenkassen eine ihren Aufgaben und ihrem Gewicht in diesem Bereich angemessene Mitwirkung und Mitentscheidung bei der Erstellung der Bedarfspläne eingeräumt werden kann. Wir legen großen Wert darauf, daß die anderen Planungen im Gesundheitswesen — vor allen Dingen jene im Krankenhausbereich und im Bereich des öffentlichen Gesundheitsdienstes — mit der der ambulanten Versorgung verzahnt werden, um so zu einem Mehr an Integration zu kommen.Der wesentliche Punkt des kassenrechtlichen Teils dieses Gesetzentwurfs ist der umfangreiche Instrumentenkatalog zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung. Für den Fall einer drohenden oder bereits eingetretenen ärztlichen Unterversorgung sind genaue Regelungen vorgesehen. Unterversorgung liegt vor, wenn eine bestimmte Anzahl im Bedarfsplan vorgesehener Kassenarztsitze nicht besetzt ist. Die offizielle Feststellung einer solchen Unterversorgung erfolgt durch die Landesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen. Ich möchte festhalten und ausdrücklich betonen, daß dieser wichtige Schritt in den Händen der Beteiligten selbst liegt.
Trifft ein Ausschuß diese Feststellung, so muß er der Kassenärztlichen Vereinigung eine angemessene Frist setzen, diesen Zustand zu beseitigen. Hier sehen wir die große Chance für die Kassenärztlichen Vereinigungen, auch durch unkonventionelle Maßnahmen die Versorgung sicherzustellen, sei es durch Mietpraxen, Eigeneinrichtungen, sei es durch von der Kassenärztlichen Vereinigung angestellte Ärzte, sei es durch gemeinsame Einrichtungen mit den Krankenkassen oder auch finanzielle Förderungsmaßnahmen. Ich betone: Die Kassenärztlichen Vereinigungen dürfen hierbei keine Maßnahmen unterlassen, weil sie vielleicht standespolitisch unerwünscht sein könnten. In diesem Fall läge ein klarer Rechtsverstoß vor, der die entsprechende Aufsicht einschreiten lassen wird.Ist die Unterversorgung trotz dieser Maßnahmen nicht zu beseitigen, dann —aber erst dann — haben die Landesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen die Möglichkeit, noch ausreichend versorgte Gebiete für die Niederlassung zu sperren. Sollte auch dies nicht helfen, geht der Sicherstellungsauftrag auf die Krankenkassen über, die dann ihrerseits durch eigene Einrichtungen oder Verträge mit anderen Institutionen des Gesundheitswesens die ambulante Versorgung sicherstellen können.
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12348 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975
KratzLassen Sie mich an dieser Stelle einmal den entscheidenden Unterschied zum Bundesratsentwurf deutlich machen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor der Niederlassungssperre eine Fülle von Steuerungsmaßnahmen vor. Der Entwurf des Bundesrates kennt nur die Niederlassungssperre. Wir meinen, daß die Bundesratsregelung deshalb mehr als unzureichend ist. Aber auch bei den in beiden Entwürfen vorgesehenen Niederlassungssperren bestehen erhebliche Unterschiede. Die Bundesregierung sperrt in ihrem Entwurf die ausreichend versorgten Gebiete. Der Arzt kann sich in einer Versorgungslücke niederlassen; er muß es aber nicht. Er darf allerdings nicht in ein ausreichend versorgtes Gebiet. Der Bundesratsentwurf hingegen sieht, wie gesagt, als einzige Steuerungsmaßnahme überhaupt nur noch die Zulassung nach Bedarfsplan vor, quasi eine Zuteilung der Ärzte nach Versorgungslücken. Wir meinen, es ist einfach zu wenig, dies als einzige Maßnahme im Bundesratsentwurf anzubieten.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten begrüßen es, daß die Bundesregierung die zur Sicherstellung der ambulanten ärztlichen Versorgung erforderlichen Maßnahmen zunächst in die Hände der Ärzte selbst legt. Wir begrüßen es aber auch, daß die Bundesregierung in Konsequenz dessen diese den Ärzten übertragene große Verantwortung mit Verpflichtung verbindet; denn sollten die Ärzte die Sicherstellung nicht gewährleisten können, geht der Sicherstellungsauftrag auf die Krankenkassen über. Wenn die Ärzte ihre Chance verpaßt haben, aus ihrer Handlungsfreiheit also nichts gemacht haben oder nichts machen konnten, warum auch immer, geht das Gesetz des Handelns an die Krankenkassen über. Dies halten wir für richtig und für notwendig.Der abgestufte Katalog von Steuerungsmaßnahmen, den die Bundesregierung vorgesehen hat, fehlt im Bundesratsentwurf. Hier zählt nur der Holzhammer der Niederlassungssperre. Dies ist weder ausreichend noch einfallsreich, aber auch nicht wirkungsvoll und erst recht nicht konsequent.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hält den Entwurf der Bundesregierung für wirksam und konsequent. Sie wird ihren Beitrag leisten, daß die Ausschußarbeit an diesem wichtigen Gesetz zügig vorangeht. Wir hoffen sehr, daß auch die Opposition dazu ihren Beitrag leistet. Den Entwurf des Bundesrates hingegen, meine Damen und Herren von der Opposition, können wir nicht unterstützen.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Hammans.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, der Debattensalat an diesem Nachmittag ist der beste Beweis dafür, daßman eine solche Verbindung von verschiedenen Tagesordnungspunkten nicht vornehmen sollte.
Wenn die Regierungskoalitionsfraktionen doch darauf bestehen, kann man daraus eigentlich nur schließen, daß sie zu dem eigentlichen Punkt, zur Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU zur Gesundheitspolitik, ein sehr schlechtes Gewissen haben müssen; sonst würden sie nicht diese verbundene Debatte fordern.
Meine Damen und Herren, ich habe es sehr bedauert, daß Frau Lüdemann, die nun leider nicht mehr anwesend sein kann, nicht mehr zu der Frage der nichtärztlichen Berufe hat Stellung nehmen können. Auch dies ist eine Folge der verbundenen Debatte, Herr Spitzmüller, die Sie beklagt haben, und ich hoffe, daß Sie in Zukunft dies mit verhindern werden. Dazu ein paar kritische Bemerkungen.Es wird immer wieder betont, daß im Rahmen der ärztlichen Versorgung der Bevölkerung gewisse Engpässe vorhanden seien; doch ist andererseits nicht zu übersehen, daß ein ausreichendes Angebot von allen Berufen des Gesundheitswesens keineswegs als gesichert angesehen werden kann. Erstaunlich ist, daß die Bundesregierung sich hier auf die Feststellung zurückzieht, daß sie bislang keine umfassende Bedarfsanalyse zu den einzelnen Berufen vorzulegen vermag. Auch wird die Notwendigkeit, neue Berufsbilder zu schaffen, zwar ausdrücklich betont, zwischen Aussage und Wirklichkeit aber klaffen große Widersprüche.Ich möchte Sie, Frau Minister Focke, in diesem Zusammenhang an Ihre Aussage erinnern, daß Sie zwar in Übereinstimmung mit den Ländern z. B. eine bundesgesetzliche Regelung für die Logopäden für notwendig und zweckmäßig halten, aber gleichzeitig die Auffassung vertreten, daß es in dieser Legislaturperiode nicht mehr möglich sein würde, einschlägige Arbeiten an diesen Berufsbildern zu intensivieren. Frau Minister, ich möchte Sie und die Bundesregierung, aber auch die Mitglieder der Koalitionsfraktionen bei dieser Gelegenheit davon in Kenntnis setzen, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion noch in diesem Sommer einen Gesetzentwurf zum Berufsbild des Logopäden dem Hohen Hause vorlegen wird.
Die Bundesregierung versucht also lediglich, durch Ankündigung von Gesetzentwürfen ihre Konzeptionslosigkeit zu überspielen. Wir, meine Damen und Herren, werden Ihnen und auch Ihnen, Frau Bundesminister, beweisen, daß wir zu handeln verstehen.
Zu dieser Art der Bundesregierung, zu handeln, paßt auch, daß sie im Bereich der nichtärztlichen Heilberufe eine Neuordnung der Ausbildung für die Berufe in der Geburtshilfe und in der Krankenpflege vorlegen will, obwohl bekannt ist, daß die betroffenen Fachverbände gegen das, was bisher im Konzept vorliegt, größte Bedenken erhoben haben.
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Dr. HammansNach außen wird von Mitgliedern der Regierung und der Koalition betont, daß man die Ausbildung an der Praxis zu orientieren gedenke; in Wirklichkeit aber zeigen die eben genannten Entwürfe bei der Reform der Krankenhauspflege z. B. ganz deutlich, wie wenig praxisnah dann ein solches Konzept aussieht. An Stelle inhaltloser Absichtserklärungen hätte die Bundesregierung besser einen klaren Überblick darüber gegeben, welche Berufsbilder noch zu schaffen sind und wie diese im Rahmen einer umfassenden Bedarfsanalyse einzuordnen wären.Ich halte es für ein schweres Versäumnis der Regierung, wenn auf einem so wichtigen Gebiet wie dem der Ökotrophologie von Bewerbern an den Ausbildungsstätten volle, abgeschlossene Studiengänge durchgeführt werden, diese jungen Menschen dann aber nach Erwerb ihrer beruflichen Qualifikation feststellen müssen, daß es für sie an der erforderlichen Betätigung in der Praxis fehlt, weil nicht genügend Einsatzmöglichkeiten frühzeitig geschaffen worden sind, — dies gerade, obwohl für ausgebildete Ökotrophologen im Zuge vieler Maßnahmen des Umweltschutzes und der Umweltvorsorge ein großer Bedarf bestehen sollte.Des weiteren muß ich kritisch feststellen, daß das von der Frau Minister in unserem Land so großartig als Reform herausgestellte neue Lebensmittelrecht — auch dies zu Recht— hinsichtlich seiner praktischen Anwendung manchmal mit erheblichen Mängeln behaftet ist. Ich meine, daß bisher z. B. nicht erkennbar ist, wie sich die Bundesregierung das Berufsbild der Kosmetikerin in Anwendung der entsprechenden lebensmittelrechtlichen Vorschriften vorstellt.Die Bundesregierung hätte gut daran getan, einmal grundsätzlich der Offentlichkeit gegenüber darzustellen, wie im Hinblick auf die Entwicklung der Medizin und eine verbesserte Rationalisierung der Aufgabenerledigung in der Diagnostik von Krankheiten und in deren Behandlung die Voraussetzungen für die Fachberufe im Gesundheitswesen geschaffen werden könnten.In der Darstellung der erforderlichen Maßnahmen beschränkt sich die Bundesregierung in der Antwort auf unsere Große Anfrage auf die Forderungen der Praxis, daß zu einem geeigneten Ausbildungsplatz auch geeignetes Lehr- und Ausbildungspersonal gehöre. Ebenso wird als fortschrittliche Erkenntnis die Tatsache herausgestellt, daß zwischen theoretischer und praktischer Ausbildung ein ausgewogenes Verhältnis zu bestehen habe. Diese so selbstverständlichen Aussagen können aber keineswegs als Verbesserungsvorschlag für den Mangel in den Fachberufen des Gesundheitswesens angesehen werden.Auch scheint mir deutlich zu werden, daß die Bundesregierung eine große Chance nicht erkannt hat, die darin besteht, daß eine ganze Reihe von interessierten Abiturienten, die gerne Arzt geworden wären und es nicht werden können, in diesen Fachberufen des Gesundheitswesens ein hervorragendes Betätigungsfeld finden könnten. Dabei sind wir uns wohl alle in diesem Hause darüber im klaren, daß es notwendig ist, die Ausbildungen von Fachgruppenim Gesundheitswesen an den allgemeinen bildungspolitischen Zielsetzungen für die Gliederung von Ausbildungsgängen zu orientieren. Leider kann ich dies jetzt hier aus Zeitgründen nicht näher darstellen.Es ist erfreulich, festzustellen, daß die Bundesregierung in ihrer Antwort den Standpunkt vertritt, daß bei den nichtärztlichen Heilberufen zukünftig berufliche Grundbildungen angestrebt werden sollen, die für mehrere verwandte Berufe eine gemeinsame Ausgangsbasis vermitteln sollen. Damit würde ein wesentlicher Beitrag geleistet werden, um zukünftig die Orientierungsmöglichkeiten in den Fachberufen des Gesundheitswesens außerhalb der ärztlichen Berufe zu erleichtern. Außerdem würde — und das scheint mir sehr wichtig zu sein — eine bessere Querdurchlässigkeit in den Berufen erreicht werden. Im übrigen entspricht dies einer alten Forderung, ,die von der CDU/CSU wiederholt erhoben worden ist. Ich darf in diesem Zusammenhang an meine Ausführungen anläßlich der Beratung und Verabschiedung des Gesetzes über den medizinisch-technischen Assistenten erinnern. Eine dreijährige Ausbildung ist zusammen mit dem Grundbildungsjahr wohl doch inzwischen als eine Selbstverständlichkeit zwingend notwendig und anerkannt. Frau Minister, ceterum censeo Carthaginem esse delendam:
Wann wird die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur Änderung der Ausbildung der MTA endlich vorlegen?Als Begründung eines Teiles ihres Entschließungsantrags fordert die CDU/CSU-Fraktion im Hinblick auf den notwendigen Überblick für neue Berufsbilder die Bundesregierung auf, gemeinsam mit den Bundesländern zu prüfen, ob ein Berufsbild eines Gesundheitserziehers oder Gesundheitsberaters geschaffen werden sollte, mit der Zielsetzung, in Schulen, bei Kuraufenthalten sowie in außerschulischen Bereichen zusätzliche Beiträge zur Verbesserung der Gesundheitsbildung leisten zu können. Ärzte und Lehrer sind in diesem Zusammenhang zeitlich überfordert. Ich darf noch einmal auf den entsprechenden Abschnitt des von uns vorgelegten, auf grünem Papier gedruckten Entschließungsantrags hinweisen.Meine Damen und Herren, ich möchte schließen mit der Bemerkung, daß es für die Bundesregierung eigentlich beschämend sein muß, wenn es der Opposition ohne den Apparat, den die Regierung hinter sich hat, gelingt — und wenn dies notwendig ist —, als Beispiel für eine Spezialausbildung einen Gesetzesantrag zur Ausbildung des Logopäden vorzulegen. Wenn es sein muß, meine Damen und Herren, werden wir diesem unserem Gesetzentwurf weitere folgen lassen.
Meine Damen und Herren, ein kleiner Beitrag vom Präsidium für das Berufsbild des Logopäden: § 37 unserer Geschäftsordnung wird zur Übung empfohlen.
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12350 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenWir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Jaunich.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Die CDU/CSU-Fraktion hofft, mit dieser Großen Anfrage einen Beitrag zur Versachlichung der gesundheitspolitischen Diskussion in unserem Lande zu leisten." Das war der Schlußsatz der schriftlichen Begründung dieser Anfrage. Der Verlauf dieser Debatte hat diese Hoffnung allerdings zunichte gemacht.
— Herr Kollege, das fing doch bereits mit Ihren mündlichen Begründungen an.
Ich möchte nun auf die Frage zu IV. 1., ob die Zusammenfassung der Bereiche Jugend, Familie und Gesundheit in einem Ministerium nach den hiesigen Erfahrungen als optimal zu bewerten sei oder ob man nicht weitere Ressorts bündeln müßte, eingehen. Sie, Herr Kollege Sayn-Wittgenstein, hatten heute morgen, wenn ich das recht verstanden habe, sogar gefordert, den Bereich Forschung und Technologie einzubeziehen.Ich stelle dann die Frage, ob sich daraus nicht auch die Konsequenz ergäbe, wenn man das Krankheitsbild nicht eng sehen will — und aus Ihrer Fragestellung ergibt sich für mich, daß Sie das Krankheitsbild sehr eng sehen und nicht auch die soziale Umwelt berücksichtigen —, z. B. die Bereiche Wirtschaft oder Ernährung, die für die Gesundheit einen ebenso großen Stellenwert haben, mit einzubeziehen. Allein daran sehen Sie die Unsinnigkeit solcher Überlegungen.
Kollege Sayn-Wittgenstein, aus Ihren Fragestellungen geht auch hervor, daß Sie hier so tun, als gäbe es überhaupt keine Probleme aus dem föderalen Aufbau der Bundesrepublik, als hätte der Bund die uneingeschränkte Zuständigkeit für alle diese Fragen.Sie haben in Ihrer Anfrage, aber auch heute in der Debatte wiederholt auf das Problem des öffentlichen Gesundheitswesens hingewiesen. Ich hätte mir und Ihnen gewünscht, Herr Kollege Sayn-Wittgenstein, daß Sie gestern nicht nur eine kurze Begrüßungsofferte beim 25. Wissenschaftlichen Kongreß des Bundesverbandes der Ärzte im öffentlichen Gesundheitswesen abgegeben, sondern sich auch noch eine Stunde Zeit genommen hätten, den Erörterungen dort zu lauschen. Sie hätten dann die Leidensgeschichte des öffentlichen Gesundheitswesens in einem ausgezeichneten Vortrag von Herrn von Manger-Koenig noch einmal rekapitulieren und daraus ersehen können, daß es dabei nicht um Dinge geht, die in der Regelungskompetenz des Bundes liegen.Der Bund hat mitgewirkt, daß sich alle Gesundheitsminister und -senatoren zusammengesetzt haben, um einheitliche Linien zur Ablösung des Vereinheitlichungsgesetzes aus dem Jahre 1934 zu erörtern. Aber wie sieht es in der Praxis aus? Ein einziges Bundesland, und zwar das Land Hessen, hat seine Vorstellungen konkretisiert und der Öffentlichkeit zur Diskussion vorgelegt. In einem anderen Bundesland, nämlich in Bayern, ist auf eine parlamentarische Anfrage hin erklärt worden, daß die bayerische Staatsregierung hier gar kein Regelungsbedürfnis sieht und von sich aus einen solchen Gesetzentwurf nicht einbringen wird.Hier im Deutschen Bundestag beklagen Sie die notleidende Situation im öffentlichen Gesundheitsdienst, obwohl der Bund dafür die Zuständigkeit nicht hat. Aber in den Ländern dort, wo Sie Staatsgewalt über Ihre Landesregierungen ausüben, ist man an einer Regelung dieser Frage nicht interessiert. Ich nenne das Doppelstrategie und Doppeldeutigkeit.
Ich möchte das hier an einem weiteren Punkt unter Beweis stellen, und zwar im Zusammenhang mit Ihrer Fragestellung zur Verminderung der Säuglingssterblichkeit. In der Antwort der Bundesregierung lesen Sie den Satz:Die Konferenz der für das Gesundheitswesen zuständigen Minister und Senatoren der Länder hat auf ihrer Sitzung am 3./4. Oktober 1974 beschlossen, das Angebot der Bundesregierung zu akzeptieren, weitergehende Forschungen zu finanzieren.Damit wird gütigst akzeptiert, daß weitergehende Forschungen durch den Bund finanziert werden. Aber anders herum wird hier der Vorwuf erhoben, der Bund sei von sich aus nicht bereit oder in der Lage, das Nötige zu tun.
Noch ein Wort zur Frage der Gesundheitsaufklärung und Gesundheitserziehung. Da kann man sich sicherlich auf den Standpunkt stellen, daß mit Geld nicht alles zu machen ist. Aber ohne Geld ist eben gar nichts zu machen.Frau Kollegin Schleicher, mit Ihnen kann ich nicht übereinstimmen, wenn Sie hier den Vergleich mit Schulbüchern ziehen wollen. Daß ein Schulbuch gelesen wird, kann ein Lehrer noch erzwingen. Dafür arbeitet er mit den Kindern. Dafür hat er die Kinder im Klassenverband vor sich. Aber eine gesundheitsaufklärende Broschüre lesen zu lassen, dafür gibt es keinen Zwang. Von daher wird man sicherlich andere Mittel wählen müssen, als es Pädagogen tun, wenn sie ein Schulbuch schreiben.Aber zurück zum Geld! Wie sieht es da aus? Der Bund stellt für die gesundheitliche Aufklärung 15 Millionen DM zur Verfügung, die 11 Bundesländer insgesamt 7,5 Millionen DM. Wie sieht es in den Ländern aus? Es ist dort recht unterschiedlich. Ich frage Sie: Was wollen Sie denn im Bundesland Schleswig-Holstein mit 3 Pf je Kopf der Bevölke-
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Jaunichrung im Jahr für gesundheitliche Aufklärung vollziehen? Schleswig-Holstein ist das Schlußlicht. Es folgt Bayern mit 4 Pf. Dem stehen 24 Pf im Bundesland Berlin gegenüber. Wer meint, das seien Einzelbeispiele, dem sei gesagt, daß der Durchschnitt der B- oder C-Länder bei 7 Pf und der sozialdemokratisch geführten Länder bei 16 Pf liegt. Das ist keine Zahlenspielerei, die ich hier angestellt habe. Ich habe die Hoffnung, daß durch ein solches offenes Ansprechen dieser Sachverhalte mancher zum Nachdenken kommt. Ich bin gern bereit, Ihnen das, was ich hier ausgerechnet habe, vollständig zur Kenntnis zu geben. Sie können sich die Kenntnisse übrigens auch selber verschaffen; die Unterlagen dazu hat Ihnen die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage geliefert.Nicht anders sieht es aus, wenn man einmal die Investitionen vergleicht, die die Länder für das öffentliche Gesundheitswesen, für den Gesundheitsdienst erbringen. Da ist das Bundesland Berlin mit 40,54 DM je Kopf der Bevölkerung Spitzenreiter. Am anderen Ende der Schlange steht der Freistaat Bayern mit 18,04 DM. Dazwischen gibt es eine große Differenzierung. Sie wollen sicher nicht sagen, daß die Leute in Bayern und Schleswig-Holstein besonders gesund sind und man dort nichts zu tun braucht. Ich lasse eine solche Ausrede nicht gelten.Sicherlich, ich habe gesagt, Geld ist nicht alles. Aber ohne Geld können Sie auf diesem Sektor auch nichts tun. Der Bund hat seine Leistungen hier erbracht. Sie stehen jedermann zur kritischen Prüfung offen.Wie gesagt, dies alles ist keine Zahlenspielerei, sondern sollte jedermann zum Nachdenken anregen. Wenn ich Ihre Intention, wie sie sich aus der Anfrage ergibt — und den Anspruch erheben Sie ja —, richtig werte, dann meine ich, wir alle sollten nachdenken, auf welchen Feldern wir hier Versäumnisse feststellen und auf welchen Feldern es etwas für die Zukunft zu verändern gilt.Sie haben sowohl in der Anfrage wie auch heute in der mündlichen Begründung Kritik an der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geäußert, eine Kritik, die Sie allerdings nicht substantiiert haben. Sie haben sie nicht konkretisiert. Ich hätte gern — vielleicht können wir das im Ausschuß noch nachholen —, daß das einmal mit Beispielen belegt wird, damit man der Sache nachgehen kann. Interessant ist für mich nur, daß die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Anfrage erklären kann, daß dies eine Einrichtung ist, die auch von der WHO als beispielhaft angesehen wird. Sicherlich muß nicht alles optimal sein, was von dort produziert wird. Auch die Umsetzung in die Praxis muß nicht optimal sein. Aber auch hier ergeben sich wertvolle Hinweise aus der Antwort der Bundesregierung, so insbesondere im Hinblick auf die Aufnahme von Seminararbeit für Multiplikatoren auf diesem Sektor. Die sollten wir doch bei dieser Gelegenheit nicht übersehen.Auf die Gesundheitsberufe einzugehen, muß ich mir aus Zeitgründen leider sparen. Ich möchte daherdazu übergehen, mich mit Ihren beiden Entschließungsanträgen auseinanderzusetzen.Der Entschließungsantrag auf Drucksache 7/3719, der die Bundesregierung auffordert, baldmöglichst einen Gesetzentwurf für Explantationen und Transplantationen vorzulegen, ist, wenn man so will, überholt; denn Sie wissen aus den Unterlagen, die Ihnen zur Verfügung stehen, genausogut wie wir, daß auf diesem Feld gearbeitet worden ist und daß für die Bundesregierung einigermaßen entscheidungsreife Unterlagen in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe bzw. in der Unterkommission erarbeitet worden sind. Hier trifft das zu, was Frau Focke heute morgen gesagt hat. Sie springen auf fahrende Züge auf.Dies gilt übrigens wohl auch für eine Reihe von anderen Punkten im Entschließungsantrag auf Drucksache 7/3718. Dort steht unter I.1., daß das Parlament die Bundesregierung auffordere, damit die Bundesregierung die Länder auffordere. So, wie dieser Entwurf formuliert ist, wird er sicherlich aus dem Ausschuß nicht in das Plenum zurückkommen. Diesen Unsinn werden wir sicherlich korrigieren; denn wenn hier ein Konsensus darüber zu erzielen ist, daß jemand aufgefordert werden soll, dann, meine ich, hat das Parlament von sich aus die Kraft, dies auch direkt zu tun.Aber wenn Sie dort einfach Gesundheitskunde als verbindliches Fach einzuführen fordern, ist das eine Verengung, eine Einengung, die uns nichts bringt, die einen Rückschritt bedeuten würde. Dann würde das in einem Fach abgehandelt. Hier muß es — Frau Lüdemann hat das, glaube ich, vorhin ausgeführt — fachübergreifend und in vielen Disziplinen behandelt werden.Das Berufsbild eines Gesundheitsberaters
— ich komme zum Schluß, Herr Präsident — ist sicherlich so, wie Sie das hier dargelegt haben, kaum realisierbar. Ich könnte mir vorstellen, daß es da z. B. auch verfassungsrechtliche Bedenken gibt, wenn es in den Erziehungsbereich hineingeht, für den der Bund keine Regelungskompetenz hat. Darüber hinaus würde ich aber auch das als eine Verengung ansehen.Wir brauchen viele Gesundheitsberater. An sich ist doch jeder von uns aufgerufen, Gesundheitsberatung zu betreiben. Es geht auch aus Ihrer Anfrage hervor, daß man die Instrumentarien vermehren müßte. Ich glaube, wenn wir hier ein Berufsbild — vielleicht auch noch mit akademischer Ausbildung — installierten, würden wir der Sache keinen großen Dienst erweisen.
Zur optimalen Koordinierung ärztlicher Gutachterdienste: Auch hier wissen Sie, daß die Bundesregierung über die Sachverständigenkommission zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung Diskussionsbeiträge geliefert und bereits Leitlinien erarbeitet hat.
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JaunichIch muß, um mir keine Rüge einzuhandeln, zum Schluß kommen. Ich beantrage namens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion die Überweisung der Entschließungsanträge an den Bundestagsausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und im Falle des Entschließungsantrags auf Drucksache 7/3718 auch an den Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung.
Ich bedanke mich für das Verständnis, das der Kollege dafür gehabt hat, daß wir den Versuch machen wollen, die Debatte einigermaßen pünktlich zu Ende zu bringen.
Das Wort hat der Abgeordnete Braun.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Im letzten Abschnitt unserer Großen Anfrage hatten wir unter anderem die Bundesregierung auch darüber um Auskunft gebeten, welche Erfahrungen sie in der Zwischenzeit aus dem bisherigen Vollzug des Krankenhausfinanzierungsgesetzes gewonnen hat. Die Antwort der Bundesregierung ist rein formalistisch, indem sie schlicht feststellt, daß der Bundestag beschlossen habe, daß sie am 30. September einen Bericht vorzulegen habe. Das ist alles.Meine Damen und Herren, das wußten wir auch. Aber ich bin der Meinung, daß in der Zwischenzeit Mängel sichtbar geworden sind, die eine Novellierung dieses Gesetzes auch vor dem 30. September dieses Jahres unbedingt gerechtfertigt hätten. Wir haben vor allen Dingen die Sorge, daß Sie, wenn Sie erst nach dem 30. September, nach der Vorlage des Berichts die notwendigen Konsequenzen ziehen, wieder so lange Zeit brauchen, wie Sie für die Beantwortung unserer Großen Anfrage benötigt haben, so daß dann in dieser Legislaturperiode aus einer Novellierung nichts wird.Ich möchte in meine kurzen Ausführungen die Entschließungsanträge mit einbeziehen, die wir vorgelegt haben. Den Entschließungsantrag auf Drucksache 7/3719 hat Frau Kollegin Dr. Neumeister bereits begründet. Zu dem Entschließungsantrag auf Drucksache 7/3718 werde ich einige Anmerkungen machen. Wir schließen uns dem Antrag des Kollegen Jaunich an und bitten ebenfalls um Überweisung beider Entschließungsanträge an die von ihm genannten Ausschüsse.Insbesondere in den letzten Monaten ist sichtbar geworden, daß sich die Kritik gegen die bisherige und derzeitige Fassung des § 4 Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe a des Krankenhausfinanzierungsgesetzes richtet. Hier heißt es:Nach diesem Gesetz werden nicht gefördert Einrichtungen in Krankenhäusern, soweit die Voraussetzungen nach § 2 Nr. 1 nicht vorliegen, insbesondere Einrichtungen für Personen, die als Pflegefälle gelten.Meine Damen und Herren, sind Sie nicht der Meinung, daß dieser zitierte Absatz in eigenartigemWiderspruch zu der Definition des Krankenhauses in § 2 Abs. 1 steht, wo es heißt:Im Sinne dieses Gesetzes sind 1. KrankenhäuserEinrichtungen, in denen durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten, Leiden oder Körperschäden festgestellt, geheilt und gelindert werden sollen . . .Hier ist ausdrücklich neben Krankheiten auch von Leiden und Körperschäden und neben Heilung auch von Linderung die Rede.Die Folge dieser Gesetzgebung ist, daß ein großer Teil der psychisch Kranken mit den körperlich Kranken nicht gleichgestellt ist. Ein Riß geht hier nicht nur quer durch die Landeskrankenhäuser, sondern geht auch durch die entsprechenden Einrichtungen der freien gemeinnützigen Träger. Ohne irgendwelche Erhebungen, geschweige denn auf den einzelnen Patienten bezogene Untersuchungen wurden z. B. in Nordrhein-Westfalen die Patienten in den Landeskrankenhäusern pauschal zu genau zwei Dritteln in Behandlungsfälle und einem Drittel in Pflegefälle eingeteilt. In einer Einrichtung wie z. B. Bethel ist das Verhältnis dieser Patienten zirka 50 : 50. So kommt es in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten, wenn auf Grund von therapeutischen Erfordernissen ein Behinderter vom Heimbereich in den Bereich eines Sonderkrankenhauses verlegt werden soll. In solchen Fällen ist eine ärztliche Einweisung mit den erforderlichen Formalitäten notwendig. Eine Trennung der Patienten in diesen Einrichtungen nach Behandlungs- und Pflegefällen ist auf die Dauer nicht haltbar und meines Erachtens ungerecht.Wenn die Bundesregierung eine Novellierung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes in absehbarer Zeit nicht für möglich hält, so möchte ich auch heute hier den Vorschlag und die Forderung wiederholen, die ich bei der Beratung des Heimgesetzes vorgebracht habe, daß analog zum Krankenhausfinanzierungsgesetz auch ein Heimfinanzierungsgesetz geschaffen und verabschiedet wird. Wir haben nach dem Grundgesetz den sozialen Rechtsstaat zu verwirklichen. Das bedeutet auch: keine Benachteiligung der psychisch Kranken gegenüber den körperlich Kranken.Nun zu einem weiteren Punkt. Ein leidiges Thema sind die fehlenden Rechtsverordnungen und die oft fehlende Abstimmung. Auch zu dieser Thematik ist die Antwort der Bundesregierung einfach unbefriedigend. Es ist endlich Zeit, daß die Regierung gemäß § 7 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes eine Abstimmung der allgemeinen Grundsätze für ein bedarfsgerecht gegliedertes System leistungsfähiger Krankenhäuser herbeiführt. Krankenhausbedarfspläne werden von den Ländern vorgelegt. Aber Methode und Ermittlung des Bettenbedarfs stimmen nicht überein. Der angestrebte Grad der stationären Versorgung ist uneinheitlich, weil eine unterschiedliche Einschätzung der bedarfsbestimmenden Faktoren vorliegt. Eine Abstimmung, wie sie im Gesetz gefordert und festgelegt ist, muß auch praktiziert werden. Der Unterausschuß für Krankenhaus-
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Braunplanung beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat zuletzt im September 1974 getagt, ohne daß ein Ergebnis erzielt werden konnte. Wir haben deshalb den Eindruck, daß die dringend notwendige Abstimmung nicht mit der notwendigen Intensität vorangetrieben wird. Das alles hat dazu geführt, daß die auf der Grundlage der Krankenhausbedarfspläne zu erarbeitenden Finanzierungsprogramme bisher ebenfalls nicht abgestimmt werden konnten, obwohl nach § 6 Abs. 2 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes auch hierzu eine Verpflichtung besteht.
Man könnte noch einige weitere Punkte zu den fehlenden Verordnungen anführen. Wir sind bei Gott keine Verordnungsfanatiker. Aber hier muß man einfach feststellen: es geht nicht an, daß die Bundesregierung nach jedem verkündeten Gesetz tönt, wieder eine große Reform verwirklicht zu haben, jedoch nicht die Voraussetzungen dafür schafft, daß dieses Gesetz auch wirklich in der Praxis angewandt werden kann.
Das Krankenhausfinanzierungsgesetz ist kein Einzelfall. Denken Sie auch an das Heimgesetz; hier fehlen die Verordnungen. Oder denken Sie beispielsweise an das Schwerbehindertengesetz; auch hier fehlen die notwendigen Verordnungen. Kollege Hammans hat soeben das Lebensmittelrecht ebenfalls genannt. Es genügt nicht, hier nur Propaganda zu machen. Mit Propaganda kann man zwar vieles machen, aber doch nicht alles regeln. Sie werden feststellen, daß Sie auf die Dauer auch mit Propaganda Sprudelwasser nicht als Sekt verkaufen können.
Meine Damen und Herren, eine ernste Frage ist die Erhaltung und Fortführung der Krankenpflegeschulen. Diese Schulen erhalten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz keine finanzielle Förderung. In dem bis zum 30. September dieses Jahres vorzulegenden Bericht erwarten wir eine klare Aussage der Regierung, ob wirklich auch nach dem festgesetzten Termin 31. Dezember 1978 eine Ausbildung des Nachwuchses der Krankenpflege sichergestellt ist. Wir können mit Freude feststellen, daß immer mehr junge Menschen in der Krankenpflege eine berufliche Aufgabe sehen. Wir haben nun die Aufgabe, diesen jungen Menschen die notwendigen Ausbildungsstätten anzubieten, die — das sei mit allem Nachdruck gesagt — nicht fernab vom Krankenhaus liegen dürfen. Krankenhaus und Krankenpflegeschule gehören zusammen.
Zum Schluß noch eine kurze Bemerkung zu der Zahl der Krankenhäuser, die in den Bedarfsplan nicht mehr aufgenommen und daher auch nicht mehr gefördert werden. Nach Angaben der Bundesregierung handelt es sich um rund 450 Krankenhäuser mit ca. 18 500 Betten. Angesichts dieser Zahl erscheint uns die Antwort der Regierung einfach zu harmlos, wenn sie sagt — ich darf hier nur den letzten Satz zitieren —: „Ein Teil von ihnen" — eben der Krankenhäuser — „hat ihren Standort in ländlichen Gebieten mit geringer Bevölkerungsdichte." Das ist gerade unsere Sorge, daß die ländlichen Gebieten besonders benachteiligt würden. Nordrhein-Westfalen geht im Landeskrankenhausgesetz davon aus, daß die Krankenhäuser in der ersten Versorgungsstufe mindestens 180 Betten vorhalten müssen. Das würde bedeuten, daß gerade in ländlichen Gebieten ein großer Teil kleinerer Krankenhäuser schließen müßte.
Ich betone deshalb nochmals: Die vorgesehene Schließung gefährdet in vielen Fällen die ärztliche und pflegerische Versorgung der Bevölkerung gerade im ländlichen Raum.
Deswegen müssen die Kriterien für die staatliche Krankenhausfinanzierung auch die Förderung kleiner Krankenhäuser dort sicherstellen, wo sie im Interesse der Bevölkerung für die Dauer oder eine längere Zeit notwendig bleiben.
Meine Damen und Herren, wir wollen eine optimale ärztliche Versorgung der Bevölkerung in der Stadt und im ländlichen Raum. Das schafft man nicht mit Ideologie, sondern durch die Zusammenarbeit aller Kräfte in unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft.
Meine Damen und Herren, wir nähern uns dem Ende der Debatte. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rollmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon bei der Debatte über unsere Große Anfrage zur Situation der Kinder in Deutschland habe ich die hohe Säuglings- und Müttersterblichkeit in der Bundesrepublik Deutschland kurz angeschnitten. Ich möchte heute auf dieses Thema zurückkommen.Lassen Sie mich die Zahlen nennen: 1973 starben auf 1 000 Geburten 23 Säuglinge bei der Geburt und im ersten Lebensjahr, starben auf 100 000 Geburten46 Mütter, wurden 5 % aller Kinder behindert geboren. Im Vergleich zu 25 europäischen Staaten nimmt die Bundesrepublik Deutschland in der Säuglingssterblichkeit den 14. Platz ein, steht sie auch in der Müttersterblichkeit bedeutend schlechter da als viele ihrer Nachbarn. Auf 1 000 Kinder, die nichtehelich geboren wurden, entfielen 1972 sogar47 Totgeburten und Sterbefälle im ersten Lebensjahr.Wir haben in unseren großen Anfragen die Bundesregierung nach den Ursachen dieser hohen Säuglings- und Müttersterblichkeit und nach ihrem Konzept zur Verringerung dieser Säuglings- und Müttersterblichkeit gefragt. Die Bundesregierung nennt in ihren Antworten eine Reihe von zutreffenden Grün-
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Rollmannden. Ich greife nur diese heraus: den Familienstand der Mutter. Wo aber bleibt das Konzept der Bundesregierung für mehr Hilfen für die alleinstehende schwangere Frau?
Die Bundesregierung nennt weiter die mangelnde Teilnahme der schwangeren Frauen an den Vorsorgeuntersuchungen. Wir wissen in diesem Lande nicht einmal genau, wie viele schwangere Frauen überhaupt und regelmäßig an diesen Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen. Einer Düsseldorfer Untersuchung entnehmen wir aber, daß ein Drittel der Mütter, die die Schwangerenvorsorge nie aufgesucht hatten, ihre Kinder auf Grund eines Risikofaktors verloren haben, der bei rechtzeitigem Besuch der Vorsorge hätte entdeckt und behandelt werden können.Warum setzt die Bundesregierung ihren riesigen Propagandaapparat nicht einmal dafür ein, die schwangeren Frauen in diesem Lande von der Notwendigkeit zu überzeugen, um des Lebens ihres noch ungeborenen Kindes und ihres eigenen Lebens willen regelmäßig von der Möglichkeit der ärztlichen Vorsorgeuntersuchung Gebrauch zu machen?
Ich habe einer Fernsehsendung des Hessischen Rundfunks entnommen, daß es in Holland und Schweden, wo die Mütter- und Säuglingssterblichkeit bedeutend geringer ist als in Deutschland, für eine schwangere Frau völlig selbstverständlich ist, regelmäßig an den Vorsorgeuntersuchungen teilzunehmen, die dort allerdings normalerweise nicht von Ärzten, sondern von Hebammen vorgenommen werden. Einer der bekanntesten Gynäkologen unseres Landes, Professor Saling aus Berlin, hat sich in einem Schreiben an uns für die Errichtung von Beratungsstellen für Risikoschwangerschaften an den geburtsmedizinischen Kliniken ausgesprochen.Die Bundesregierung sagt mit Recht:Die Säuglingssterblichkeit sei im wesentlichen ein Problem der Frühsterblichkeit bis zum siebten Lebenstag. Ein Drittel aller Sterbefälle entfällt sogar auf den Tag der Geburt. Daraus ergibt sich, daß auch eine Verbesserung der klinischen Versorgung wesentlich zur Senkung der Säuglingssterblichkeit beitragen kann.Soweit die Bundesregierung.Einer Umfrage der Arbeitsgruppe „Perinatale Medizin" der Freien Universität Berlin aus dem Jahre 1971. entnehmen wir, daß mindestens 14 % der geburtsmedizinischen Kliniken schon einer Normalgeburt, 43 % aber einer Risikogeburt nicht gerecht werden können. Der Kinderarzt ist meist weit weg, das Kinderkrankenhaus weit entfernt, wenn in einer Frauenklinik ein Kind geboren wird.Wo aber bleibt, so frage ich, das Konzept der Bundesregierung für eine Verbesserung der geburtsmedizinischen klinischen Versorgung? Warum ist sie auf unseren Gedanken nicht eingegangen, unser Land mit einem Netz von Zentren für Risikogeburten zu überziehen? Neben den normalenFrauenkliniken brauchen wir Krankenhäuser, die personell und sachlich besonders für Risikogeburten eingerichtet sind. Wir reden damit nicht der Krankenhausentbindung schlechthin das Wort, denn wir wissen von unserem Nachbarland Holland, daß bei der Normalgeburt Hausentbindungen und eine geringe Säuglings- und Müttersterblichkeit sich sehr wohl vereinbaren lassen. Die Risikoschwangerschaften eher zu erkennen und die Geburtskliniken darauf besonders auszurichten, darum geht es, wenn wir den Kampf gegen die Mütter- und Säuglingssterblichkeit erfolgreich führen wollen.Meine Damen und Herren, wir haben aber nicht nur die Säuglings- und Müttersterblichkeit zu verringern. Es geht auch um das Schicksal der behinderten Kinder. Nach Schätzungen von Professor Pechstein, dem Leiter des kinderneurologischen Zentrums in Mainz, werden in unserem Lande jährlich rund 30 000 Kinder geboren, deren Behinderung auf Schädigungen vor und während der Geburt zurückzuführen ist. Viele dieser Behinderungen werden zudem nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, weil an den Früherkennungsuntersuchungen nur zwei Drittel aller Säuglinge teilnehmen. Wir haben zu erwägen gegeben, daß die Leistung des Kindergeldes an die Teilnahme des Kindes an die Früherkennungsuntersuchungen gebunden wird, damit mehr Kinder an den Früherkennungsuntersuchungen teilnehmen.Gewinnen wir mehr schwangere Frauen für eine regelmäßige Teilnahme an den Vorsorgeuntersuchungen, schaffen wir die notwendigen Zentren für Risikogeburten, erreichen wir eine stärkere Beteiligung der Kinder an den Früherkennungsuntersuchungen, dann werden weniger Mütter als bisher bei der Geburt sterben, dann werden mehr Kinder nicht nur lebendig, sondern auch gesund geboren werden.Wir haben vorgeschlagen, daß sehr bald eine unabhängige Sachverständigenkommission berufen wird, die dezidierte Vorschläge zur Verringerung der Säuglings- und Müttersterblichkeit machen soll. Der Kampf gegen die Säuglings- und Müttersterblichkeit und für das gesunde nichtbehinderte Kind hat für die CDU/CSU-Fraktion eine hohe Priorität.
Meine Damen und Herren, ich darf mich auch bei dem Kollegen Rollmann bedanken, daß er die vorgesehene Zeit eingehalten hat.
Das Wort hat als letzter Redner in der Aussprache der Abgeordnete Fiebig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will versuchen, zu so später Stunde keine neuen Gräben aufzureißen, sondern nach fast achtstündiger Debatte ein Fazit zu ziehen, und vielleicht einige Dinge erwähnen, die bisher nicht angesprochen worden sind.Im Mittelpunkt der achtstündigen Debatte
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Fiebig— ja, soll man es Debatte nennen, oder soll man von Monologen sprechen? —
stand die Frage: Was kostet unser Gesundheitssystem? Lassen Sie mich kontrapunktisch eine andere Frage stellen: Was ist uns die Gesundheit wert?
Dann kommen wir ja zu der Feststellung, daß die Ansprüche der Menschen in unserer heutigen Zeit mit Recht sehr gestiegen sind. Ich möchte ausdrücklich hier unterstreichen, daß der Bürger mit Recht höhere Anforderungen an das Gesundheitswesen, an den behandelnden Arzt und an das Krankenhaus-stellt. Wer aber über zu hohe Kosten im Gesundheitswesen lamentiert, der muß sich einmal in die Lage desjenigen versetzen, der da sagt: Wenn ein Rettungshubschrauber zur Verfügung gewesen wäre, wäre mein Kind auf der Autobahn nicht gestorben. Oder er sollte sich in die Lage dessen versetzen, der da sagt: Wenn dieser oder jener teure technische Apparat in der Klinik vorhanden gewesen wäre, wäre mein Familienangehöriger nicht gestorben. Das Fazit lautet für mich, einmal kontrapunktisch gesagt: Für die Gesundheit, für die Erhaltung des Lebens muß alles eingesetzt werden, sei es auch noch so teuer; denn es gibt im Grundgesetz den Satz: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit." Ich füge kritisch hinzu, um einmal auch als Politiker unser heutiges Krankenhauswesen ein klein wenig kritisch zu betrachten: Nicht immer ist gewährleistet, daß der Patient unter Wahrung seiner Menschenwürde sterben kann. Glas und Marmor sind oft kalte Fassaden der Unmenschlichkeit. In einer Kosten-Nutzen-Analyse erscheint der Sterbende nicht mehr; er macht nur noch Kosten, aber er bringt keinen Nutzen mehr. Wie einsam und isoliert stirbt mancher Mensch, und kein Arzt kümmert sich um ihn auf der Intensivstation.Zweiter Einwand: Bei aller Priorität, die die Gesundheit hat, muß stärker als bisher der Utopie der Leidlosigkeit vor dem Tod im öffentlichen Bewußtsein entgegengetreten werden. Bei aller Perfektionierung der gesundheitlichen Versorgung bleiben Leid und Krankheit — und am Ende der Tod — unbesiegt. Wenn ich den Kollegen Burger vorhin recht verstanden habe, hat er gesagt, es müßte so sein, daß es am Ende nur Krankheiten gäbe, die wir noch nicht heilen könnten, aber die demnächst heilbar wären. Ich frage den Kollegen Burger, ob er sich einmal Gedanken darüber gemacht hat, was solch eine Verkündigung des Prinzips der Leidlosigkeit auf sich hat. Denn am Ende bleibt dann doch das Verständnis für den kranken Mitmenschen dabei auf der Strecke, wenn alles reparabel, alles besiegbar und alles machbar geworden ist.
Deshalb meine ich auch etwas zur Definition der Weltgesundheitsorganisation sagen zu sollen, daßGesundheit der Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens sei. Diese Definition der WHO halte ich für eine Illusion und Lebenslüge. Bei dieser Definition gibt es nicht einen einzigen Gesunden in diesem Hause und auch nicht in der Bundesrepublik.Weiterer Punkt der Kritik: Alles ärztliche Handeln ist ein menschliches, also fehlerhaft und vorläufig. Es gibt keine wirkliche Heilung, wo man Schmerz, Krankheit und Tod aus dem Blick und dem Leben zu verdrängen sucht. Die alte Formel: „c. d.", cum deo, mit der man bis vor nicht allzu langer Zeit ärztliche Rezepte einzuleiten pflegte, war eine sachgerechte Formel; denn sie brachte die Vorläufigkeit und Begrenztheit allen medizinischen Tuns zum Ausdruck: Am Ende stirbt der Mensch doch.Unter diesen genannten Prämissen vertrete ich dann den Standpunkt, daß die Rettung eines Menschen am Geld nicht scheitern darf und daß alles Geld eingesetzt werden muß.Man kann sehr viel zur Kostensteigerung im Gesundheitswesen sagen, und das ist heute ja auch geschehen. Wenn man an die Ausbeutung der Krankenschwestern Ende der 40er und 50er Jahre denkt, dann kann man bei der langfristigen Kostensteigerung der Krankenhauspflegesätze nicht ohne Schamgefühl davon sprechen. Die jetzigen Pflegesätze beruhen zu 70 % auf Personalkosten, und das ist sicherlich bezeichnend. Wenn man für sich selbst Einkommenssteigerungen in Anspruch nimmt, sollte man das auch dem Pflegepersonal gönnen, allerdings mit einer Einschränkung. Wenn Hans Töns, Direktor des Bundesverbandes der Ortskrankenkassen, feststellt, daß die Ärzte 1974 eine Einkommenssteigerung von 14,5 % hatten, dann ist hier meines Erachtens etwas nicht in Ordnung.Das Gesundheitswesen in unserem Lande kann, meine ich, weiter verbessert werden. Dies muß in sehr, sehr vielen kleinen Schritten und auf sehr verschiedenartigen Gebieten geschehen: bessere Anpassung der Bettenzahl an den tatsächlichen Bedarf; die Änderung der Facharztfortbildungsgenehmigung; eine Änderung der Gebührenordnung für Ärzte. Denn man halte sich einmal vor Augen: Was bringt einem Arzt ein halbstündiges Gespräch mit einem Patienten, wenn er versucht, wirklich auf den Grund der Dinge zu kommen? In der gleichen Zeit kann er zehn Patienten mit Spritze und Rezeptblock versorgen und damit dann ein Mehrfaches verdienen. Hier muß sich, so meine ich, einiges ändern. Auch die Bezahlung für einen Hausbesuch bedarf dringend einer Änderung, einer Verbesserung. So paradox das klingen mag: Wenn ein Arzt mehr für den Hausbesuch bekommt, dann ist das am Ende eine Kostensenkung. Denn er kann sich mehr für den Patienten einsetzen, sich mehr um ihn kümmern, und falsche Behandlungsmethoden einer richtigen Diagnose werden verhindert.Besonders möchte ich auch auf die Sozialstationen im Lande Nordrhein-Westfalen hinweisen.
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FiebigAmbulante Krankenpflege kann ebenfalls Krankenhauskosten senken.
So meine ich am Ende noch einmal das Leitmotiv anklingen lassen zu sollen, das Frau Minister Focke zu Anfang angesprochen hat: Unser Gesundheitswesen ist gut, es kann verbessert werden, und das muß an vielen kleinen Punkten geschehen.
Am Ende also, Herr Kollege Dr. Hammans: kein schmetterndes „ceterum censeo", sondern wir sollten,
meine ich, nachdenklich sein. Der Mensch paßt nicht immer in ein Kosten-Nutzen-Schema, Vor allen Dingen nicht der kranke Mensch.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Zu den Punkten 13 b) und c) liegen Ihnen die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates vor: Das Krankenversicherungs-Weiterentwicklungsgesetz soll dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend — sowie den Ausschüssen für Jugend, Familie und Gesundheit und für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mitberatend —, das Gesetz zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts soll an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zur Federführung und an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zur Mitberatung überwiesen werden. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Gleichzeitig sind noch zu überweisen: der Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/3719 an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und der Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 7/3718 an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zur Federführung und an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zur Mitberatung. — Ich sehe und höre hier ebenfalls keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 14 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen
— Drucksache 7/3657 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den wir Ihnen heute vorlegen, findet, wie Sie sicherlich wissen, seine zentrale Ursiche in der Häufung finanzieller Schwierigkeiten imKreditgewerbe, die ihren Höhepunkt im Zusammenbruch des Bankhauses Herstatt vor ungefähr einem Jahr gefunden haben. Dieser Zusammenbruch hat eine weitgehende tiefe Krise des Vertrauens in unser Kreditgewerbe ausgelöst und die Bundesregierung zum Handeln veranlaßt. Ohne zu übertreiben, können wir heute feststellen, daß durch unsere Maßnahmen die Vertrauenskrise überwunden ist; wir können feststellen, daß die Maßnahmen, die ergriffen worden sind bzw. um die wir Sie heute bitten, endgültig Sicherheit, Vertrauen und Solidität unseres Kreditgewerbes wiederherstellen werden.
Was haben wir getan, worauf gründet sich diese Feststellung? Einmal haben wir unverzüglich nach der Erkenntnis, daß der Fall Herstatt auch aus der Devisenspekulation hervorgegangen ist, eine grundsätzliche Regelung eingeführt, die dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen die Möglichkeit gibt, bei Devisenspekulationen einzuschreiten und sie auszuschalten.Zum zweiten haben wir noch im letzten Jahr eine Liquiditäts- und Konsortialbank gegründet, die im wesentlichen dazu da ist, guten, bonitätsmäßig einwandfreien Bankinstituten, wenn sie in Liquiditätsschwierigkeiten kommen, vorübergehend durch Mittelzufluß zu helfen.Drittens können wir verzeichnen, daß sich inzwischen die Einlagensicherung beim Kreditgewerbe stark verbessert hat — darauf werde ich noch zurückkommen —, und viertens legen wir Ihnen heute einen Gesetzentwurf vor, der zusätzliche Sicherungen bringen wird.Dabei sind wir alle, glaube ich, uns darüber im klaren, daß das, was wir Ihnen als Novellierung des Kreditwesengesetzes vorlegen, nicht die Frucht einer umfassenden Überprüfung der Materie ist, sondern einer Beschlußfassung im Eilverfahren, um einige akute Probleme zu lösen. Wie Sie wissen, habe ich eine Studienkommission für das gesamte Kreditwesen und für die Grundsatzfragen der Kreditwirtschaft eingesetzt. Wenn deren Ergebnisse vorliegen — ich erwarte sie Mitte oder Ende nächsten Jahres —, werden wir in der Tat eine breitere Novellierung beantragen und Ihnen vorlegen.Wir können feststellen, daß die wesentlichen Abschnitte dieser Novelle von allen Beteiligten — auch vom Bundesrat — begrüßt werden, insbesondere die Tatsache, daß das Aufsichtsamt in Berlin künftig jederzeit Sonderprüfungen bei den Kreditinstituten vornehmen kann. Das ist zur Zeit nicht der Fall. Bisher muß man im Endeffekt eine Sonderprüfung erst ankündigen, die dann natürlich auch negative Schlagzeilen bringt.Schließlich werden die Aufgaben der Abschlußprüfer bei den Kreditinstituten wesentlich erweitert. Die Abschlußprüfer sollen in Zukunft jeden Tatbestand, der bei der Prüfung auf negative Geschäftsführung hinweist, schon während der Prüfung sofort dem Amt melden.
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Bundesminister Dr. ApelAußerdem geben wir uns selbst die Möglichkeit, die Erlaubnis zum Betrieb eines Bankgewerbes schneller und einschneidender zurückzunehmen, wenn Kreditinstitute z. B. die Hälfte ihres haftenden Eigenkapitals verwirtschaftet haben.Wesentlich — ich glaube, darüber werden wir auch in den Ausschußberatungen zu sprechen haben — ist die Frage der Begrenzung der Großkredite. Bei diesem Thema möchte ich auch einige Minuten länger verweilen, um Ihnen unsere Motivation darzulegen. Wir sehen in der Begrenzung der Großkredite ein wesentliches Stück dieser Novelle. Wir sind der Meinung, daß wir die Kreditinstitute durch eine klare gesetzliche Regelung zu weniger risikoreichen Geschäften veranlassen sollten. Wir haben in der Vergangenheit festgestellt, daß die Mehrzahl der Bankzusammenbrüche dadurch verursacht wurde, daß das einzelne Bankinstitut sich zu stark an einen oder mehrere Kreditnehmer angelehnt hat. Liquiditäts-, Bonitäts-, Wirtschaftsprobleme des Kreditnehmers mußten so zwangsläufig auf das Kreditinstitut durchschlagen. Die betroffene Bank geriet damit in eine sehr schwierige Problematik hinein, nämlich entweder die Kredite zu kündigen und damit u. U. des Kredits verlustig zu gehen oder aber zusätzlich und fortlaufend einem Unternehmen Kredite zu geben, das eigentlich schon nicht mehr das richtige Kreditstanding hat.Wir sind deswegen der Meinung, daß die Obergrenzen für die Großkredite herabgesetzt werden sollten, und zwar in folgender Weise. Der einzelne Großkredit soll in Zukunft nur noch 75 % des haftenden Eigenkapitals ausmachen dürfen. Dies soll eine absolute Muß-Bestimmung sein. Zur Zeit sollen alle Großkredite zusammen nicht mehr als die Hälfte des Betrages aller Kredite eines Kreditinstitutes ausmachen dürfen. Künftig wird die neue Regelung dazu führen, daß die fünf größten Kredite das Dreifache und alle Großkredite zusammen das Sechsfache des haftenden Eigenkapitals nicht übersteigen dürfen. Sie können unserer Begründung zum Gesetzentwurf und auch unserer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates entnehmen, daß wir damit eine sehr maßvolle Regelung gefunden haben, die im internationalen Vergleich keineswegs als stringent bezeichnet werden kann, sondern die den Banken in der Tat noch großen Spielraum läßt. Ich verweise in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Zahlen, die im Anhang der Vorlage wiedergegeben sind. Die Bundesbank hat noch einmal sehr genau nachgerechnet und festgestellt, daß eigentlich alle Bankgruppen mit diesen Regelungen leben können. Dies gilt insbesondere auch deswegen, weil § 13 nicht für Kredite an die öffentliche Hand, auch nicht für Kredite, die vom Bund oder von ,den Ländern verbürgt werden, und auch nicht für Realkredite, weil diese Kredite ja von Risiken frei sind, gilt.Dennoch haben wir festgestellt, daß sich der Widerstand gegen diese Novelle insbesondere auf die Begrenzung aller Großkredite auf das Sechsfache des haftenden Eigenkapitals konzentriert. Meine Gespräche haben mir deutlich gemacht, daß die Großkreditregelung ansonsten für die Sparkassen und auch für die Banken akzeptabel ist. Deswegen haben wir in unserere Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates deutlich gemacht, daß die Bundesregierung hier flexibel ist. Wir möchten, daß dieser Gesetzentwurf ohne zeitliche Verzögerung Gesetz wird, und deswegen werden wir gemeinsam nach Regelungen suchen, die eine Risikominderung der Kreditinstitute mit einer Lösung verbindet, die die Mehrheit des Hauses akzeptieren kann, damit wir nicht in dieser Frage uns festbeißen und verkämpfen. Dafür ist die Sache selbst zu wichtig und zu eilig.Wir werden im übrigen im Laufe des Gesetzgebungsgangs einige zusätzliche Bestimmungen nachschieben, weil wir zwischenzeitlich mit dem Bundesverband des privaten Bankgewerbes eine Einlagensicherung beschlossen haben, die nun auch für das private Bankgewerbe die Einlagen bei den Privatbanken sicher macht. Diese Regelung führt dazu, daß in Zukunft jeder einzelne Kreditnehmer in Höhe von bis zu 30 % des haftenden Eigenkapitals gesichert ist gegen Ausfälle, gegen Konkurse z. B. Dies heißt, schon bei einer kleinen Bank mit 1 Million DM haftendem Eigenkapital, Sicherheit bis zu 300 000 DM. Die Sparkassen und die Genossenschaften verfügen im übrigen ohnehin bereits über ausgedehnte Sicherheitsvorkehrungen und -institutionen. Die Sparkassen haben, wie Sie wissen, auf unsere Bitte hin ihre eigenen Sicherheitsvorrichtungen ausgedehnt.Was werden wir ihnen an Regelungen zur gesetzlichen Absicherung der Einlagensicherung nachliefern müssen? Es sind im wesentlichen folgende:Einmal wird es darauf ankommen, sicherzustellen, daß Banken nicht ohne weiteres dem Konkursrecht anheimfallen. Hier ist es zweckmäßig, daß wir nur dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen das Recht geben, Konkurs zu beantragen.Ferner wollen wir eine besondere Regelung einführen, die in Kurzform heißt: Einführung eines Moratoriums. Eine Bank, die in Schwierigkeiten kommt, soll vorübergehend ihre Zahlungen einstellen. Dann soll über die Einschaltung der Sicherungseinrichtung, ein Fonds, der vom privaten Bankgewerbe zu finanzieren ist,. der Apparat der Bank eingesetzt werden, um die Auszahlung der geschützten Einnahmen vorzunehmen. Außerdem soll Geschäftsleitern für die Dauer des Moratoriums die Ausübung ihrer Geschäftstätigkeit untersagt werden, wenn das für den erfolgreichen Abschluß der Operation notwendig ist.Schließlich wollen wir alle Banken zwingen, in Zukunft ihren Jahresabschluß und ihren Geschäftsbericht zu veröffentlichen, damit alle Bankkunden sich einen Eindruck davon machen können, mit welcher Bank sie es zu tun haben, sich auch eine Vorstellung davon machen können, wie hoch das haftende Eigenkapital ist, damit sie wissen, wie ihr eigenes Risiko aussieht.Wenn diese Vorschriften in Kraft getreten sind, meine Damen und Herren, wird in der Bundesrepublik auf freiwilliger Basis ein Schutz der Sparer er-
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Bundesminister Dr. Apelreicht sein, den es sonst nirgendwo in der Welt gibt. Trotzdem — und das ist eine wichtige Aussage — bleiben die Auslesekräfte der Marktwirtschaft erhalten; auch in Zukunft können die Eigentümer einer Bank ihr Kapital verlieren.Wir verdanken das Ergebnis intensiven Bemühungen, aber auch unseren eigenen Vorstellungen, indem wir den Beteiligten gesagt haben, notfalls würden wir eine sehr umfassende gesetzliche Regelung der Einlagensicherung bringen, die allerdings kompliziert gewesen wäre. Dieser Weg ist besser, dieser Weg führt schneller zum Ziel, er entspricht auch mehr unserer marktwirtschaftlichen Ordnung.Wie Sie sehen, meine Damen und Herren, ist der vorliegende Gesetzentwurf wirklich von großer Bedeutung für die Funktionsfähigkeit unserer Bankenaufsicht, für die Funktionsfähigkeit unserer Kreditwirtschaft und damit für die Funktionsfähigkeit unserer gesamten Volkswirtschaft. Er macht nach seinem Inkrafttreten einen neuen Fall Herstatt unmöglich. Unsere Sparer brauchen sich dann keine Sorgen mehr um ihre Banken- und Sparkasseneinlagen zu machen. Dies ist sicherlich ein großer Fortschritt gegenüber geltenden Regelungen.Aus diesem Grunde bittet die Bundesregierung den Deutschen Bundestag, diesen Entwurf vordringlich zu beraten und möglichst bald zu verabschieden, damit wir die Gesetzesregelung an die Hand bekommen im Interesse der Sparer, im Interesse unserer Volkswirtschaft.
Damit meine Damen und Herren, ist der Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen eingebracht. Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Sprung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der CDU/CSU-Fraktion gebe ich zu dem vorliegenden Gesetzentwurf folgende Erklärung ab.Aus den Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers gingen die Entstehungsgeschichte, die Zielrichtung und die wichtigsten Neuregelungen der Novelle hervor. Ich brauche deshalb auf diese Punkte im einzelnen nicht mehr einzugehen.Gestatten Sie mir vorab aber eine kritische Bemerkung an die Adresse der Bundesregierung, jedoch auch an unsere Adresse, an die Adresse des Parlaments. Wenn das Hauptziel des Gesetzentwurfs die Wiederherstellung des beeinträchtigten Vertrauens der Öffentlichkeit in die Funktionsfähigkeit der deutschen Kreditwirtschaft ist, so muß die Frage erlaubt sein, wodurch denn eigentlich das Vertrauen der Öffentlichkeit erschüttert wurde. Wo lagen — einmal abgesehen von den Verfehlungen des Managements einzelner Kreditinstitute — die Gründe für die spektakulären Schwierigkeiten im Bankengewerbe?
Bei genauer Prüfung der Umstände in den einzelnen Fällen haben sich als der wohl wichtigste Faktor neben notleidend gewordenen Krediten — das haben wir soeben gehört — überzogene und verfehlte Devisenspekulationen herausgestellt. — Herr Ehrenberg, ich gehe davon aus, daß Sie der gleichen Meinung sind. — Diese jedoch wurden erst möglich durch den Übergang zum Floaten, die Freigabe des Wechselkurses der D-Mark gegenüber dem Dollar und gegenüber anderen Währungen.
In Kenntnis der Auswirkungen und der durch diese neue Situation geschaffenen Möglichkeiten hätte die Bundesregierung damals sofort — hier ist jedoch in zweiter Linie auch das Parlament angesprochen — verschärfte Prüfungs- und Mißbrauchsbestimmungen beschließen müssen, Herr Ehrenberg; das ist etwas später ja auch geschehen. Der Bundesfinanzminister hat genau dieses vor zehn Minuten hier vorgetragen. Fälle wie Herstatt wären auf diese Weise erheblich erschwert, wenn nicht verhindert worden. Insofern meine ich, daß zumindest ein Teil der nunmehr vorliegenden Erweiterungen des Kreditwesengesetzes heute zwar nicht zu spät, aber doch sehr spät kommt.
Lassen Sie mich nach diesen kritischen, ausdrücklich jedoch auch an die Adresse dieses Hauses gerichteten Worten nunmehr einiges zum vorliegenden Gesetzentwurf, zur vorliegenden Novelle zum Kreditwesengesetz sagen, wie es sich aus der Sicht der CDU/CSU-Fraktion grundsätzlich darstellt.Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt die Vorlage der Novelle zum Kreditwesengesetz. Wir begrüßen insbesondere die Neuregelungen, die die Eingriffs- und Erkenntnismöglichkeiten der Aufsichtsbehörden beträchtlich erweitern. Es ist doch so, daß die aktienrechtlichen Prüfungsbemerkungen für die Kontrollzwecke des Bundesaufsichtsamtes in vielen Fällen nicht genügen. Entscheidend sind die wirtschafts- und geschäftspolitischen Verhältnisse eines Kreditinstitutes, die bisher kaum durchleuchtet werden konnten. So erhielt das Bundesaufsichtsamt nach geltendem Recht seine Informationen in vielen Fällen mit erheblicher zeitlicher Verzögerung. Die Einflußnahme auf die Arbeit der Wirtschaftsprüfer ist gering. Hinzu kam, daß das Instrument der unvermuteten Sonderprüfung nur äußerst schwerfällig zu handhaben ist und bei seiner Anwendung genau zu dem hätte führen können, was man verhindern wollte, nämlich zum endgültigen Zusammenbruch des in Schwierigkeiten geratenen Instituts.Gute Gründe sprechen auch für die Einführung des sogenannten Vier-Augen-Prinzips, wonach Kreditinstitute künftig zwei Geschäftsleiter ohne Einzelvertretungsmacht haben müssen. Es wird zu prüfen sein, ob nicht im Zusammenhang mit dieser Regelung die in § 2 a beabsichtigte Neuregelung — danach sollen in Zukunft keine weiteren Kreditinstitute in der Rechtsform des Einzelkaufmanns, also des Privatbankiers, mehr zugelassen werden — entfallen sollte. Wir halten jedenfalls dieses ge-
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Dr. Sprungplante Verbot nicht zuletzt auch aus verfassungsrechtlichen Gründen für problematisch.Nun zum Kern der Novelle, zur Großkreditregelung im Zusammenhang mit der erheblichen Erweiterung des Kreditbegriffs sowie der Neudefinition des Kreditnehmers. In dieser Frage stehen sich, wie wir wissen, bisher die Auffassung der Bundesregierung, der Bundesbank und des Bundesaufsichtsamts einerseits und die Auffassung der beteiligten Verbände des Kreditgewerbes sowie die Ansicht des Bundesrates andererseits diametral gegenüber. Die Bundesregierung begründet die äußerst scharfe Fassung des § 13, der die Großkreditregelung enthält, damit, daß seit Bestehen des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen, seit 1962, 21 Kreditinstitute Vergleiche oder Konkurs beantragt haben, wovon 17 eindeutig in engem Zusammenhang mit notleidend gewordenen Großkrediten gestanden hätten. Bei den letzten zehn Insolvenzen seit 1972 habe dies für acht Fälle gegolten.Diesem Argument kann man entgegenhalten, daß es bei den Bankenzusammenbrüchen der letzten Zeit, soweit ausgefallene Großkredite die Ursachen waren, nicht die Großkredite als solche waren, die zum Zusammenbruch führten, sondern Verstöße gegen die Großkreditvorschriften, ohne daß das Bundesaufsichtsamt davon wußte. Solchen Situationen kann nur durch eine wesentliche Verschärfung der Bankenaufsicht begegnet werden, und diese ist ja vorgesehen.Die Deutsche Bundesbank hat Zahlenmaterial über die Auswirkungen der Neufassung der Großkreditregelung zusammengestellt. Dieses Material ist von dem Bundesfinanzminister vorhin schon erwähnt worden. Daraus ergibt sich, daß bei Anwendung der einschneidendsten Vorschrift über Großkredite, nämlich der, wonach in Zukunft alle Großkredite auf das Sechsfache des haftenden Eigenkapitals begrenzt werden sollen, die bei allen Banken in Anspruch genommenen Großkredite um rund 12 Milliarden DM zurückgeführt werden müßten, bei Zugrundelegung der Großkreditzusagen um rund 41 Milliarden DM.Meine Damen und Herren, das ist eine gewaltige Summe. Allein dies wirft eine Reihe von ernsthaften Problemen auf, die in den Ausschüssen eingehend zu prüfen sein werden. Auf jeden Fall wäre es schon jetzt so, daß trotz der vorgesehenen fünfjährigen Übergangsfrist alle Kreditinstitute, deren Großkreditanteil die in der Novelle vorgesehene Grenze übersteigt, keine neuen Großkredite gewähren könnten, bis die neue Grenze von ihnen eingehalten wird. Dies stellt eine wohl nur schwer zumutbare Beschränkung der Geschäftstätigkeit dieser Kreditinstitute auf absehbare Zeit dar.Der Bundesrat wie auch die betroffenen Verbände des Kreditgewerbes haben aber auch schwerwiegende wirtschaftspolitische Bedenken gegen die geplante neue Großkreditregelung erhoben. Die Auswirkungen auf die Struktur- und Wettbewerbsverhältnisse in der Kreditwirtschaft und auf die kreditnehmende Wirtschaft werden als sehr erheblich und im einzelnen noch nicht im letzten Ausmaß absehbar angesehen. Insbesondere wird argumentiert, daß auch die Wirtschaftspolitik der Bundesländer wegen der eingeschränkten Möglichkeit der öffentlichen Banken in der Finanzierung der im öffentlichen Interesse notwendigen Investitionen, aber auch bei der strukturpolitisch erforderlichen Stützung notleidender Betriebe erschwert bzw. unmöglich gemacht würde; denn — und das wird weder von der Bundesregierung noch vom Bundesaufsichtsamt und der Bundesbank verschwiegen — Hauptadressaten der verschärften Großkreditregelung sind die öffentlich-rechtlichen Institute, hier insbesondere die Landesbanken und Girozentralen, die mit der Neuregelung zu einer erheblichen Aufstockung ihrer Eigenkapitalbasis gezwungen werden sollen.Meine Damen und Herren, die Position der CDU/CSU-Fraktion in dieser Frage ist klar. Wenn es das Ziel des Gesetzentwurfes ist — und das bejahen wir nachdrücklich —, den Einleger zu schützen und dadurch das Vertrauen in die Kreditwirtschaft wiederherzustellen und für die Zukunft zu erhalten, so dürfen auch alle Maßnahmen nur diesem einen Ziel dienen. Alles, was darüber hinaus die Struktur des Kreditgewerbes und die Wettbewerbssituation im Kreditgewerbe tangiert, stünde nicht im Einklang mit den Interessen der Kunden der Kreditinstitute, und es könnte bei der CDU/CSU-Fraktion keine Zustimmung finden.Da in dieser Frage jedoch die Meinungen der Beteiligten soweit auseinandergehen und auch der Bundesrat erhebliche Bedenken angemeldet hat, werden wir in gründlichen Ausschußberatungen die Materialien und Argumente beider Seiten eingehend zu prüfen haben. Erst danach wird ein abschließendes Urteil möglich sein. Kein Zweifel dürfte jedoch heute schon darüber bestehen, daß die geplante Beschränkung der Großkredite auf das Sechsfache des haftenden Eigenkapitals auf jeden Fall zu eng gefaßt ist.Wegen der weittragenden Bedeutung dieser Neuregelung und der bisher zutage getretenen Meinungsverschiedenheiten zu diesen Fragen ist ein gemeinsames Hearing des Wirtschafts- und des Finanzausschusses unumgänglich. Wir begrüßen, daß es darüber keine Meinungsverschiedenheiten in diesem Hause gibt. Ich glaube, ein solches Hearing wird die nötigen Antworten auf unsere Fragen geben können, wird Klarheit schaffen für die schließlich zu treffenden Entscheidungen, die — das möchte ich noch einmal betonen — von äußerst weittragender Bedeutung für die gesamte Wirtschaft unseres Landes sind.Das Hearing wird auch eine Reihe von Einzelfragen klären helfen, wie z. B. die Neufassung und Erweiterung des Kreditbegriffs durch die Einbeziehung auch der nicht in Anspruch genommenen Kreditzusagen und nicht der tatsächlich in Anspruch genommenen Kredite wie bisher, durch die volle Anrechnung von Bürgschaften, Garantien und sonstigen Gewährleistungen sowie von bundesbankfähigen Wechseln und auch durch die Einbeziehung der Factoring-Geschäfte von Kreditinstituten sowie durch die Ausdehnung des Kreditnehmerbegriffs, wonach künftig die im Mehrheitsbesitz stehenden
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Dr. SprungUnternehmen mit den an ihnen mit Mehrheit beteiligten Unternehmen und Personen als e i n Kreditnehmer gelten.Meine Damen und Herren, wie Sie, wenn Sie den vorliegenden Entwurf durchlesen, aus der Stellungnahme des Bundesrates ersehen, würde es dieser begrüßen, wenn bereits in dem vorliegenden Gesetzentwurf Bestimmungen über eine unmittelbare Einlagensicherung aufgenommen werden könnten. Dies ist auch die Forderung der CDU/CSU-Fraktion seit einiger Zeit.Ich darf in diesem Zusammenhang auf unseren Antrag betreffend Sicherung von Einlagen im Kreditgewerbe vom 6. November 1974 verweisen. Die Bundesregierung hält eine solche direkte Einbeziehung der Einlagensicherung in das Kreditwesengesetz, wie sie in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrats und auch durch den Herrn Bundesfinanzminister dargelegt hat, nicht für notwendig, ja, für problematisch. Sie verweist dabei auf die freiwilligen verbandseigenen Sicherungssysteme, die in besonderem Maße den gruppenspezifischen Unterschieden zwischen Sparkassen, Kreditgenossenschaften und privatem Bankgewerbe gerecht würden.Nun, meine Damen und Herren, das ist nicht das Entscheidende. In der Tat werden verbandseigene Einlagensicherungseinrichtungen die Schutzfunktion am besten erfüllen können. Wir stimmen darin zu, daß die jüngsten Vorschläge des Bundesverbandes deutscher Banken, seinen Gemeinschaftsfonds erheblich aufzustocken, und die Modalitäten für seine künftige Inanspruchnahme substantielle Verbesserungen darstellen und nachdrücklichste Anerkennung verdienen. Auch wir wollen die bisher bestehenden bzw. in der Entstehung befindlichen, voneinander getrennten Sicherungseinrichtungen der einzelnen Verbände. Wir haben das bereits in unserem Antrag vom 6. November deutlich und unmißverständlich zum Ausdruck gebracht.Wir würden es jedoch im Interesse der Einleger und ihrer Rechtsstellung begrüßen, wenn es durch Einführung einer entsprechenden Vorschrift in das Gesetz den Kreditinstituten zur Pflicht gemacht würde, einer solchen Sicherungseinrichtung ihres Verbandes anzugehören, wenn sie Einlagen hereinnehmen.Wenn die Bundesregierung, wie soeben geschehen, ankündigt, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zur Ergänzung der verbandseigenen Einlagensicherungen die Aufnahme bestimmter Vorschriften in ihre Novelle vorzuschlagen — Moratorium, gewisse Ermächtigungen für das Bundesaufsichtsamt im Zusammenhang mit Insolvenzen von Kreditinstituten —, so ist nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion nicht einzusehen, warum unserer Forderung nach Aufnahme der Einlagensicherungspflicht in das Kreditwesengesetz nicht entsprochen werden sollte. Im Gegenteil, eine solche direkte Einbeziehung in die Novelle erscheint nur logisch. Aber auch über diese Frage, meine Damen und Herren, werden wir in den beteiligten Ausschüssen noch gründlich zu diskutieren haben.Alles in allem bin ich sicher, daß wir schließlich Regelungen verabschieden werden, die das verwirklichen, was wir alle für die Zukunft für unabdingbar notwendig halten, nämlich einen weitestgehenden Schutz von Einlagen, der privaten Spareinlagen und der Geschäftseinlagen der klein- und mittelständischen Wirtschaft, gegen einen Verlust, der oft die Mühen eines ganzen Lebens zunichte machen kann.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Rapp.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bilanzsummen der deutschen Kreditinstitute summieren sich auf 1 300 Milliarden DM. Darin stecken auf der Passivseite 700 Milliarden DM Einlagen von Nichtbanken, auf der Aktivseite 830 Milliarden DM an Krediten, die die Banken an Nichtbanken ausgereicht haben. Das Risiko bezüglich des Rückerhalts, das die Einleger laufen, korrespondiert mit dem Risiko der Banken und Sparkassen aus ihrer Kreditgewährung. Denn selbstverständlich können die dem Kreditgewerbe insgesamt anvertrauten Einlagen nicht sicherer sein als die von den Banken insgesamt hinausgelegten Kredite. Abgepuffert sind diese gewaltigen Risiken durch ein Eigenkapital aller Kreditinstitute von zusammen 45 Milliarden DM; das sind sage und schreibe ganze 31/2 % des Geschäftsvolumens.Schon aus diesen Zahlen und Relationen wird die Sonderstellung deutlich, die das Kreditgewerbe in der Volkswirtschaft einnimmt. Gäbe es keinen anderen Grund dafür, die Funktionsfähigkeit des Kreditgewerbes durch ein besonderes Gesetz sicherzustellen — d. h. also seine jederzeitige Zahlungsfähigkeit —, so reichte das aus.Nun gibt es eine ganze Reihe weiterer Sachverhalte, die eine solche Sonderstellung begründen. Es sind Sachverhalte, die letztlich darauf zurückzuführen sind, daß die Ware, die in diesem Gewerbe gehandelt wird, nämlich die Ware Geld, ein Gut grundlegend anderer Art ist als alles, was in der Volkswirtschaft sonst angeboten und nachgefragt wird.So sind die Kreditinstitute ja auch Transmissionsriemen der staatlichen Geld- und Kreditpolitik, die ihrerseits das Kernstück der Konjunkturpolitik ist. Bundesbank und Bundesregierung greifen unentwegt und unmittelbar in die geschäftspolitischen Zielfaktoren Liquidität und Rentabilität ein und verändern, indem sie die Geschäftsdaten der Kreditinstitute verändern, die Grunddaten der Wirtschaft.Dies ist für die Kreditinstitute um so strapaziöser, als sie, die sie Instrumente zur globalen Steuerung der Marktwirtschaft sind, ja selbst ein Stück Marktwirtschaft sind. Die einzelne Bank ist und bleibt dem Wettbewerb unterworfen, bis hin zum sprichwörtlichen Grundrecht des Unternehmers, sein Kapital einzubüßen.Hinzu kommt, daß dieses Gewerbe vom Kredit, d. h. vom Vertrauen, lebt und dieses Vertrauen nur solidarisch und kollektiv gewährleisten kann. Gerät auch nur e i n Institut ins Schleudern, so schlägt
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der Vertrauensschwund sofort auf alle durch. Der Zusammenbruch einiger weniger Banken könnte, hätte man nicht im Kreditwesengesetz und jetzt in den Rahmenregelungen zur Einlagensicherung ein Sicherheitsnetz gespannt, die Funktionsfähigkeit des ganzen Kreditapparates und damit der gesamten Volkswirtschaft gefährden.Wendet man sich denjenigen zu, für die das zur Novellierung anstehende Gesetz letztlich gemacht wurde, den Sparern und Einlegern, so muß man wissen, daß es wohl kein zweites Gewerbe gibt, das in solcher Breite geschäftsunerfahrene und deshalb besonders schutzwürdige Kunden betreut.Es ist noch eine weitere Eigenheit zu nennen, die man in Betracht ziehen muß, wenn man die besondere Problematik der anstehenden Gesetzesmaterie verstehen will. Das Kreditgewerbe ist — was ordnungs- und gesellschaftspolitisch sehr erfreulich ist — durch eine einmalige Mischung von Trägerschaften gekennzeichnet. 40 % des Geschäftsvolumens werden von öffentlich-rechtlichen, 20 % von privatwirtschaftlichen und 14 % von genossenschaftlichen Kreditinstituten verwaltet. Weiter gibt es einen großen gemeinwirtschaftlichen Sektor. Insoweit nun aber das Kreditwesengesetz Sicherheitsnormen aufstellt, die Soll-Relationen zum Eigenkapital herstellen, tritt stets die Schwierigkeit auf, daß die relative Eigenkapitalausstattung der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute erheblich geringer ist und wegen der Gewährträgerhaftung auch geringer sein kann als die der anderer Institutsgruppen. Der Wettbewerbsgleichheit wegen verbietet es sich aber, die einzelnen Institutsgruppen unterschiedlich zu behandeln.Die speziellen Anlässe zur Novellierung des Kreditwesengesetzes — Stichwort: Herstatt — sind bekannt. Der allgemeine Grund ist der, daß Bankenaufsicht, d. h. die Beaufsichtigung eines so dynamischen Bereichs unserer Volkswirtschaft, schlechterdings nur als Lernprozeß angelegt sein kann. So ist z. B. das Erfordernis, die Devisentermingeschäfte zu beschränken, natürlich erst mit der Freigabe der Wechselkurse aufgetreten. Bei fixierten Wechselkursen gab es das Problem nicht. Wie sehr die Krise am Baumarkt — um ein anderes Beispiel zu nennen — die überkommene Philosophie der Kreditbesicherung, „Grundpfandrechte — und damit hat's sich", umwälzen wird, liegt auf der Hand.Vor diesem Hintergrund liegt es in der Natur der Sache, daß es zwischen der gewerbepolitischen Zielsetzung des Kreditwesengesetzes und der geldpolitischen Funktion des Kreditgewerbes Berührungspunkte gibt. Um so sorgfältiger hat der Gesetzgeber bei der Erfüllung seines Dauerauftrages, mit dem Kreditwesengesetz der rasch sich wandelnden Wirklichkeit auf der Fährte zu bleiben, die fein tarierte Balance zu wahren zwischen staatlicher Normierung und Aufsicht einerseits und marktwirtschaftlicher Betätigungsfreiheit andererseits.Dem trägt der vorliegende Gesetzentwurf Rechnung. Die Novelle erstreckt sich auf alle Ansatzpunkte und Instrumente der Aufsicht, als da sind: die Erlaubnis- und Versagensvorschriften, die all-gemeinen Ordnungs- und Strukturnormen, die Überwachung an Hand von Meldungen, die Prüfungs- und Eingriffsmöglichkeiten. Im Zuge der Beratungen werden — der Herr Bundesfinanzminister hat es bereits ausgeführt — dem allem Normierungs- und Sicherungsvorschriften für die grundsätzlich verbandsinterner Regelung vorbehaltene Einlagensicherung hinzuzufügen sein.In grober Systematik verfolgt die Novelle die folgenden Ziele:Erstens. Sie bringt verbesserte Erkenntnisse und Eingriffsmöglichkeiten des Bundesaufsichtsamtes u. a. dadurch, daß jederzeit Sonderprüfungen durchgeführt werden können, der Abschlußprüfer über Gefahrenmomente schon während der Prüfung zu berichten hat, die Zulassungs- und Erlaubnisrücknahmevorschriften verschärft werden, es den Kreditinstituten jenseits bestimmter Betragsgrenzen nicht mehr überlassen bleibt, ob sie sich Bilanzen vorlegen lassen, die Rechnungslegungsvorschriften einschließlich der Publizitätsregelungen verbessert werden.Zweitens. Das Gesetz bringt eine Minderung der Risiken aus dem Großkreditgeschäft, was voraussetzt, daß der Kreditbegriff und das Meldewesen in einigen Punkten geändert werden müssen. Hier wird nun kritisch eingewandt, ein guter Großkredit sei doch allemal weniger gefährdet, als sagen wir einmal, 20 dubiose Kleinkredite. Das stimmt schon. Nur, wenn ein kleiner Kredit notleidend wird, schüttelt sich die Bank mal kurz, und dann hat sich's. Ist sie aber an das wirtschaftliche Schicksal eines Großkreditnehmers gekoppelt, so kann sie durch dessen Fall mit in den Strudel gerissen werden. Wir haben es hier mit dem schon im geltenden Recht gestellten Problem zu tun, daß immer ein nicht aufzulösender Rest übrigbleibt, wenn man Qualität so quantifizieren muß, daß eine Aufsichtsbehörde damit umgehen kann. Das geht dann hier letztlich nur, indem man Risikostreuung durchsetzt. Dies ist der Sinn der Großkreditregelung.Ich will hier nicht auf die einzelnen Beschränkungskriterien eingehen, die sicher den Ausschuß noch intensiv beschäftigen werden. Hinzuweisen ist aber noch darauf, daß die Ausgestaltung der Großkreditnormen zu Muß-Vorschriften den Zweck hat, einen Bankleiter vor der Pression zu schützen, durch das Nachschieben von immer neuem Kredit das Siechtum eines Engagements mit dem Ergebnis zu verlängern, daß der Schaden immer größer wird.Drittens. Wie schon erwähnt, werden in den Ausschußberatungen noch flankierende Vorschriften zur Einlagensicherung einzuarbeiten sein. Nachdem nunmehr alle Verbände des Kreditgewerbes ein verbandseigenes Einlagensicherungssystem anzubieten haben, bedarf es keiner staatlich organisierten Einlagensicherung mehr. Der Gesetzgeber ist freilich noch insofern gefordert, als ja die Einlagensicherung selbst unsicher werden könnte, wenn im Ernstfall dem Konkursrecht freier Lauf gelassen würde. Hier muß das Bundesaufsichtsamt die Initiative in der Hand behalten.Damit wird deutlich, wie fein abgestuft und ineinander verschränkt die Maßnahmen zur Sicherung
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Rapp
der Funktionsfähigkeit unseres Kreditwesens doch sind. Durch die Begrenzung und Überwachung der Großkredite und durch die Strukturgrundsätze nach § 10 des Kreditwesengesetzes wird, allem anderen vorgegeben, die Gefahr minimiert, daß virulent werdende Risiken des Kreditgeschäfts von der Aktiv- auf die Passivseite der Bankbilanz durchschlagen. Kommt ein in seinem Kreditbestand gutes, bonitätsmäßig also nicht angeschlagenes Kreditinstitut aus welchem Grunde immer so sehr in Liquiditätsschwierigkeiten, daß auch die zunächst von der Bundesbank bereit gehaltene Hilfe nicht ausreicht, so springt die Liquiditätskonsortialbank ein. Reicht auch dies nicht aus oder falliert ein Kreditinstitut aus Bonitätsgründen, so werden Sparer und Einleger in der dritten Verteidigungslinie durch ,die Einlagensicherung aufgefangen, die kleinen Leute in der Regel ganz. Die Einlagensicherung ihrerseits findet wieder Rückhalt darin, daß im Ernstfall ein besonderes Krisenmanagement außerhalb des Konkursrechts Platz greift.Dies alles bedeutet nun keine Bestandsgarantie für das einzelne Kreditinstitut, das durchaus auch weiterhin aus dem Markt ausscheiden und dessen Eigentümer weiterhin sein Kapital verlieren kann. Die Marktwirtschaft wird da keineswegs aufgehoben. Selbst das perfekteste Aufsichtsgesetz würde z. B. nicht gegen Falschmeldungen und andere Unredlichkeiten schützen können. Ja, es kann noch nicht einmal falsche Einschätzung von Risiken verhindern. Was man verhindern kann, ist, daß ein Fehlverhalten einzelner, die im Bankwesen an Schaltstellen unserer Volkswirtschaft sitzen, Lawineneffekte auslöst, die die ganze Volkswirtschaft auf das härteste treffen könnten. Dies zu verhindern leistet das vorliegende Gesetz. Daß es darob zu gewissen Umstrukturierungen zwischen den Institutsgruppen kommen könnte, ist nicht auszuschließen. Noch nie ist ein Pelz gewaschen worden, ohne daß er dabei naß geworden wäre. Daß man sich dieser Problematik im Ausschuß mit besonderer Sorgfalt annehmen wird, soll hier gesagt und zugesagt sein. Im übrigen wäre auf die vorgesehene Übergangsfrist zu verweisen.Wir werden uns die zügige Beratung des Gesetzentwurfs im Ausschuß angelegen sein lassen.
Das
Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die eingebrachte Novelle zum Kreditwesengesetz würde wegen der Bedeutung der Vorlage eine ausführliche und umfassende Würdigung verdienen. Die Zeit verbietet das. Sowohl die Zustimmung zum Inhalt des Gesetzes als auch einige kritische Anmerkungen müssen deshalb bewußt verkürzt vorgetragen werden. Unter diesem Gesichtspunkt muß auch die etwas krampfhaft, wie mir scheint, am Floating aufgehängte Kritik und Selbstkritik des Kollegen Dr. Sprung unbeantwortet bleiben.Die Erschütterungen in der Kreditwirtschaft des vergangenen Jahres haben eine Verbesserung des Gläubigerschutzes dringlich gemacht. Die FDP-Fraktion hat daher mit Nachdruck die Bemühungen unterstützt, durch Verbesserung der Bankaufsicht das Vertrauen in die Kreditwirtschaft und deren Funktionsfähigkeit zu stärken. Es wird jedoch im Beratungsgang zu prüfen sein, ob zur Erreichung dieses Zieles nicht in einem Punkt des Guten zuviel geschehen soll. Werden die Grenzen des notwendigen Schutzes überschritten und wird dadurch die Handlungsfreiheit der Kreditwirtschaft über Gebühr eingeschränkt, müßte dies ihre Funktionsfähigkeit unnötig beeinträchtigen.Um die im Kreditwesen offenkundig gewordenen Mängel zu beseitigen, ist in der Zwischenzeit bereits einiges geschehen. Der Bundesfinanzminister hat im einzelnen darauf hingewiesen; ich nehme darauf Bezug. Dabei zeigen besonders die Gründung der Liquiditäts-Konsortialbank und die Verbesserung der Einlagensicherung, daß auch ohne Dirigismus im flexiblen Zusammenwirken zwischen dem Staat und den Ordnungskräften der Wirtschaft Krisensituationen zu meistern sind. Insgesamt gilt gerade hier, daß zwar so viel an zusätzlicher Staatsaufsicht geschaffen werden muß, wie für einen wirksamen Gläubigerschutz notwendig ist, daß aber so wenig wie möglich an Dirigismus und Störung der Wettbewerbsstruktur zugelassen werden darf.Der Gesetzentwurf selbst bringt eine sinnvolle Erweiterung der bankaufsichtlichen Erkenntnis- und Eingriffsbefugnisse sowie wesentliche Verbesserungen des Prüfungswesens und der Selbstkontrolle der Kreditinstitute. Dazu unser uneingeschränktes Ja. Eine darüber hinausgehende, zu enge Reglementierung der geschäftlichen Betätigungsfreiheiten kann zwar auch vorbeugend wirken, beschwört dafür jedoch unter Umständen andere Gefahren herauf, Gefahren für die Kreditversorgung der Wirtschaft, für Wettbewerb und Unternehmensstruktur und damit insgesamt für die Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft.Die Bundesregierung deutete selbst an, daß die Bedenken des Bundesrates gegen die vorgesehene Großkreditbegrenzung noch eingehend beraten werden müssen. Die neueren Proberechnungen der Deutschen Bundesbank lassen schwerwiegende und strukturverändernde Auswirkungen der geplanten Großkreditbeschränkung befürchten. Die Schlüsse, die die Bundesregierung aus diesen Zahlen zieht, dürften den Kern des Problems nicht treffen. Nach den Zahlen der Bundesbank müßten fast 41 Milliarden DM an Großkreditvolumen zurückgeführt oder umfunktioniert werden. Dabei berücksichtigt die Berechnung der Bundesbank noch nicht die sonstigen Verschärfungen, z. B. durch Vollanrechnung der Avale, weshalb andere Probeberechnungen noch zu bedenklicheren Ergebnissen kommen. Die Vorstellung, daß in einem gewaltigen Kreditkarussel diese Beträge, 41 Milliarden DM, auf andere Institute übertragen werden könnten, ist nach unserer Meinung illusionär.Großkredite sind im übrigen Dienstleistungen, die in der Regel durch langjährige individuelle
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975 12363
HoppeKundenbeziehungen geprägt sind, die sich nicht wie Gebrauchtwagen beliebig umverteilen lassen. Gerade die schwächeren Betriebe werden dies zu spüren bekommen, wenn die Hausbank wegen der Großkreditgrenzen keine weiteren Kredite mehr geben kann.Demnach würde die Großkreditbegrenzung eine massive Einschränkung der Kreditversorgung der Wirtschaft bedeuten. Die Folgen sind erfahrungsgemäß Wachstumsverluste, Branchenkrisen, und sie können auch in Zusammenbrüchen von Unternehmen liegen mit allen Folgen für Wohlstand und Arbeitsplätze. Gerade in der gegenwärtigen konjunkturellen Lage sind derartige unabsehbare Belastungen für die Wirtschaft nicht tragbar.Die Ausführungen der Bundesregierung, daß überwiegend die unausgenutzten Kreditzusagen und nur zum geringeren Teil die Inanspruchnahmen vermindert werden müßten, stoßen bei der Fraktion der FDP auf große Skepsis. Die Wirtschaft kann schwerlich wegen gesetzlich verordneter Kreditbeschränkungen künftig ohne Dispositionsspielräume bei ihrer Finanzplanung auskommen. Auch muß die Vorstellung befremden, daß größere Unternehmen auf ausländische Kreditgeber ausweichen sollen. Die damit verbundene politische und wirtschaftliche Abhängigkeit und Unsicherheit und die Förderung außenwirtschaftlichen Ungleichgewichts samt neuen Kapitalverkehrskontrollen können kaum erwünscht sein.Das Argument der Bundesregierung, daß das Schicksal eines Kreditinstituts nicht von dem Schicksal eines großen Kreditnehmers abhängig sein dürfe, wird im übrigen allenfalls eine Verschärfung der Einzelkreditgrenzen rechtfertigen. Die wesentlich gravierendere Bemessung des Großkreditvolumens an einem Vielfachen des haftenden Eigenkapitals hat damit eigentlich nichts zu tun. Es läßt sich sogar die These vertreten, daß zumindest per Saldo die Großkredite auf Grund der gesetzlich vorgeschriebenen, besonders strengen Überwachung durchschnittlich ein eher geringeres Risiko enthalten als Kredite unterhalb der Großkreditgrenze.Dennoch, die bereits getroffenen Maßnahmen und die Gesetzesvorschläge können zwar prinzipiell begrüßt werden. Den vorgebrachten Bedenken gegen die Großkreditregelung im Hinblick auf die unübersehbaren Wirkungen auf die Struktur und Wettbewerbsverhältnisse in der Kreditwirtschaft und besonders auf die Kreditversorgung der Wirtschaft ist nach unserer Auffassung noch sehr sorgfältig nachzugehen. Nach den vorliegenden Zahlen muß jedenfalls bezweifelt werden, daß eine Heraufsetzung der Begrenzung des Großkreditvolumens auf das Sechsfache die angedeuteten schwerwiegenden Probleme lösen kann. Eine Herausnahme der Kreditzusagen aus der Bemessungsgrundlage wäre vielleicht konsequent und könnte einige Probleme lösen.Da jedoch die Auswirkungen derzeit überhaupt noch nicht abgeschätzt werden können, hatte die Fraktion der FDP bereits früher vorgeschlagen, auf die Verschärfung der Großkreditbestimmungen in der vorliegenden Gesetzesnovelle zu verzichten undzunächst eine genaue Voruntersuchung von der hierfür bereits eingesetzten Bankenstrukturkommission durchführen zu lassen und die Ergebnisse abzuwarten. Dies muß, wie wir meinen, zumindest hinsichtlich der Pauschalbegrenzung des Großkreditvolumens gelten.Insgesamt zielt der Gesetzentwurf in die richtige Richtung. Er ist notwendig, er ist dringend. Dies schließt Korrekturen nicht aus. Dazu wird in den Ausschußberatungen Gelegenheit sein. Insgesamt sollten wir uns um eine baldige Verabschiedung bemühen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.Ich schlage vor, die Vorlage an den Finanzausschuß — federführend — sowie zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, ferner zur Mitberatung und gemäß § 96 GO an den Haushaltsausschuß zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:a) Beratung der Sammelübersicht 42 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 7/3671 —b) Beratung der Sammelübersicht 43 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 7/3672 —Meine Damen und Herren, ich kann wohl über die beiden Übersichten gemeinsam abstimmen lassen. — Wer den Vorschlägen des Petitionsausschusses auf Annahme zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Ich rufe die' Punkte 16, 17 und 18 auf:Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für Verordnungen (EWG) betreffend die Festsetzung der Preise für einige Agrarerzeugnisse und bestimmte damit zusammenhängende Maßnahmenhier: Vorschlag einer Richtlinie des Rates über eine Sonderbeihilfe für junge Betriebsinhaber, die sich seit weniger als fünf Jahren niedergelassen haben und einen Entwicklungsplan durchführen— aus Drucksache 7/3033, Drucksache 7/3648 —Berichterstatter: Abgeordneter LempBeratung des Berichts und des Antrag desAusschusses für Ernährung, Landwirtschaft
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12364 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 176. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1975
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausenund Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über den EAGFL — Garantie Sektor Ölsaaten und Olivenöl— Drucksachen 7/3315, 7/3668 — Berichterstatter: Abgeordneter VitBeratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Festsetzung der Vorschriften für die Berechnung der Abschöpfung und des Einschleusungspreises für GeflügelfleischVerordnung des Rates zur Festlegung der Grundregeln für die Ausgleichsbeträge für GeflügelfleischVerordnung des Rates zur Festsetzung der Vorschriften für die Berechnung der Abschöpfung und des Einschleusungspreises für EierVerordnung des Rates über die Vermarktungsnormen für EierVerordnung des Rates zur Festlegung der Grundregeln für die Ausgleichsbeträge für EierVerordnung des Rates über die Durchführungsbestimmungen betreffend die Regelung der Ausgleichsbeträge bei der Einfuhr von Waren des Artikels 47 Absatz 1 der Akte über die Beitrittsbedingungen und die Anpassung der VerträgeVerordnung des Rates zur Festlegung der Grundregeln für die Ausgleichsbeträge für SchweinefleischVerordnung des Rates über die Erzeugung von und den Verkehr mit Bruteiern und Küken von HausgeflügelVerordnung des Rates über die gemeinsame Handelsregelung für Eieralbumin und MilchalbuminVerordnung des Rates zur Festsetzung des Grundpreises und der Standardqualität für geschlachtete Schweine für die Zeit vom 1. November 1974 bis 31. Oktober 1975Verordnung des Rates zur Bestimmung des gemeinschaftlichen Handelsklassenschemas für SchweinehälftenKodifizierung der Verordnung Nr. 2595/69 zur Festlegung der Voraussetzungen für die Anwendung der Schutzmaßnahmen auf dem Sektor GeflügelfleischKodifizierung der Verordnung Nr. 2594/69 zur Festlegung (der Voraussetzung für die Anwendung der Schutzmaßnahmen auf dem Sektor EierKodifizierung der Verordnung Nr. 739/68 zur Festsetzung der allgemeinen Vorschriften betreffend die Gewährung von Beihilfen für die private Lagerhaltung auf dem Sektor SchweinefleischKodifizierung der Verordnung Nr. 897/69 zur Festsetzung der im Falle einer erheblichen Preiserhöhung auf dem Schweinefleischsektor anzuwendenden GrundregelnKodifizierung der Verordnung Nr. 133/67 zur Festlegung der Regeln für die Berechnung eines Teilbetrags der Abschöpfung für geschlachtete Schweine— Drucksachen 7/3355, 7/3669 —Berichterstatter: Abgeordneter Schröder
Ich frage, ob einer der Herren Berichterstatter das Wort wünscht. — Das ist nicht der Fall. Das Wort wird auch zur Aussprache nicht begehrt.Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch.Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen 7/3648, 7/3668 und 7/3669. Wer den Ausschußanträgen zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Eine Gegenstimme. Stimmenthaltungen? — Die Anträge sind angenommen.Meine Damen und Herren, damit stehen wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 11. Juni 1975, 13 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.