Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung über die humanitären Anstrengungen der Bundesrepublik Deutschland für Vietnam erweitert werden. — Das Haus ist damit einverstanden. Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Die Regierungserklärung wird im Anschluß an die Fragestunde aufgerufen.Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Präsident der Monopolverwaltung für Branntwein Berlin hat am 13. März 1975 gemäß den §§ 6 und 9 des Gesetzes über das Branntweinmonopol denGeschäftsbericht der Monopolverwaltung für Branntwein Berlin und die Bilanz mit Gewinn- und Verlustrechnung der Verwertungsstelle für das Geschäftsjahr 1973/74
übersandt. Der Bericht wird als Drucksache 7/3418 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 19. März 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Büchner , Collet, Metzger, Dr. Müller-Emmert, Dr. Penner, Scheffler, Wende, Wrede, Dr. Schmitt-Vockenhausen, Schirmer, Mischnick, Schmidt (Kempten) und der Fraktionen der SPD, FDP betr. sportmedizinische Betreuung der Spitzensportler — Drucksache 7/2984 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/3412 verteilt.Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 25. März 1975 im Einvernehmen mit derer Auswärtigen Amt sowie den Bundesministern für Wirtschaft, für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, für Arbeit und Sozialordnung, für Jugend, Familie und Gesundheit und für Bildung und Wissenschaft die Kleine Anfrage der Abgeordneten Freiherr von Fircks, Dr. Czaja, Dr. Wittmann , Dr. Hupka, Sauer (Salzgitter), Becher (Pullach), Dr. Hauser (Sasbach), Josten und der Fraktion der CDU/CSU betr. Eingliederung der Aussiedler — Drucksache 7/2920 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/3420 verteilt.Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat mit Schreiben vom 25. März 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Pfeifer, Dr. Hornhues, Dr. Waigel, Dr. Gölter, Dr. Probst, Dr. Schäuble, Frau Benedix, Dr.-Ing. Oldenstädt, Dr. Fuchs, Hussing, Schmidt , Dr. Klein (Göttingen), Franke (Osnabrück), Nordlohne und der Fraktion der CDU/CSU betr. Hochschulpolitik unter einseitigem Vorzeichen — Drucksache 7/3260 — beantwortet, Sein Schreiben ist als Drucksache 7/3422 verteilt.Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat mit Schreiben vom 24. März 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lenzer, Pfeifer, Pfeffermann, Benz, Engelsberger, Dr. Franz, Dr. Gölter, Roser, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Weber und der Fraktion der CDU/CSU betr. Forschungsvorhaben, Studien und Gutachten im Bereich Bildungsplanung und Hochschulen — Drucksache 7/3326 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/3423 verteilt.Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat mit Schreiben vom 26. März 1975 im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft die Kleine Anfrage der Abgeordneten Pfeifer, Dr. Gölter, Frau Benedix, Köster, Dr. Klein , Dr. Fuchs, Dr. Schäuble, Dr.-Ing. Oldenstädt, Hauser (Krefeld), Dr. hornhues, Hussing, Schmidt (Wuppertal) und der Fraktion der CDU/CSU betr. Abstimmung von Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrplänen für den Berufsschulunterricht — Drucksache 7/3369 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/3424 verteilt.Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 26. März 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lenzer, Pfeffermann, Benz, Engelsberger, Dr. Franz, Roser, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Weber und der Fraktion der CDU/CSU betr. Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung — Drucksache 7/3325 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/3443 verteilt.Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat mit Schreiben vom 2. April 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Klein , Frau Dr. Walz, Benz, Dr. Hupka, Dr. Zimmermann, Wohlrabe und der Fraktion der CDU/CSU betr. Kabelfernsehen — Drucksache 7/3329 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/3446 verteilt.Der Bundesminister der Verteidigung hat mit Schreiben vom 3. April 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Wörner, Ernesti, Handlos, de Terra, Biehle, Eilers , Graf Stauffenberg, Kiechle, Dr. Kraske, Stahlberg, Damm, Gierenstein, Löher, Dr. Waffenschmidt, Dr. Marx, Frau Tübler, Rommerskirchen und Genossen betr. Erstverpflichtungsstopp bei Wehrpflichtigen -- Drucksache 7/3401 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/3449 verteilt.Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 21. März 1975 im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Dollinger, Schröder , Schmidhuber, Dr. von Bismarck, Spilker und der Fraktion der CDU/CSU betr. Verteilung von Aufsichtsratsmandaten beim industriellen Bundesvermögen — Drucksache 7/3361 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/3451 verteilt.Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 24. März 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lenzer, Pfeffermann, Benz, Engelsberger, Dr. Franz, Roser, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Stavenhagen, Frau Dr. Walz, Weber und der Fraktion der CDU/CSU betr. Prüfung von Forschungszuwendungen im Bereich technologischer Forschung und Entwicklung des Bundesministers für Forschung und Technologie — Drucksache 7/3327 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/3444 verteilt.Wir können damit in die Tagesordnung eintreten. Ich rufe Punkt 1 auf:Fragestunde— Drucksache 7/3447 —Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, daß wir auch in dieser Woche zwei Fragestunden, abweichend von den Richtlinien für die Fragestunde mit einer jeweiligen Dauer von 90 Minuten, durchführen. Gemäß § 127 unserer Geschäftsordnung muß diese Abweichung von der Geschäftsordnung beschlossen werden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen, und wir können in die Fragestunde eintreten.Der Herr Abgeordnete Eigen hat die von ihm zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten eingereichten Fragen 1 und 2 zurückgezogen.Zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft hatte Herr Abgeordneter
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11290 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenRollmann eine Frage — Nr. 3 — eingebracht. DerHerr Fragesteller hat um schriftliche Beantwortunggebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Der Herr Abgeordnete Holtz hat ebenfalls um schriftliche Beantwortung der von ihm zum Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit eingereichten Fragen 4 und 5 gebeten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Schmude zur Verfügung. Die erste Frage — Frage 6 — ist von dem Herrn Abgeordneten Sieglerschmidt eingebracht worden:Besteht für einen Bundesbeamten des mittleren Dienstes nach geltendem Recht unter Verzicht auf das in § 26 der Bundeslaufbahnverordnung vorgesehene Verfahren eine Möglichkeit, zur Laufbahn des gehobenen Dienstes zugelassen zu werden, und hält die Bundesregierung andernfalls eine Neuregelung des Laufbahnrechts für erforderlich, die den Fachhochschulabschluß eines Beamten des mittleren Dienstes als ausreichende Voraussetzung für den Aufstieg in den gehobenen Dienst festlegt, sofern das Studium in unmittelbarem sachlichen Zusammenhang mit der dienstlich ausgeübten Tätigkeit steht?Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Sieglerschmidt, Neuregelungen des Aufstiegs im Zusammenhang mit der Einführung der Fachhochschulausbildung für den gehobenen Dienst werden zur Zeit in Bund und Ländern erörtert. Der künftige regelmäßige Aufstieg wird über die Ausbildung im Studiengang einer Fachhochschule mit dem Fachhochschulabschluß zugleich die Laufbahnbefähigung vermitteln. Daneben soll aber auch künftig ein besonderer Aufstieg möglich sein, bei dem die Befähigung auf Grund einer Einführung in die Aufgaben der neuen Laufbahn durch den Bundespersonalausschuß festgestellt wird. Ein Fachhochschulabschluß, der nicht schon der Laufbahnbefähigung entspricht, wird bei der Aufstiegsausbildung durch Anrechnung und beim besonderen Aufstieg in vergleichbarer Weise berücksichtigt werden können.
Wie bisher sollen beide Aufstiegsverfahren eine Bewerberauslese zur Voraussetzung haben. Bewerber zu den Laufbahnen können nur im Rahmen der verfügbaren Planstellen zugelassen werden. Aufstiegs- und Einstiegsbewerber müssen im Leistungswettbewerb miteinander konkurrieren. Auch wer außerhalb der laufbahnrechtlichen Regelungen einen Fachhochschulabschluß erworben hat, kann für den Aufstieg nicht von dem Auswahlverfahren ausgenommen werden, denn für den Aufstieg kommt es maßgeblich auf die dienstliche Eignung, Leistung und Bewährung an.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß die Bundesregierung bzw. der Bundesminister des Innern bei den Beratungen, von denen Sie gesprochen haben, eine Lösung anvisieren, die nicht nur, aber auch im Sinne der von mir angeschnittenen Frage liegt, d. h., daß nicht nur bei dem im Rahmen der normalen Laufbahn liegenden Fachhochschulabschluß, sondern auch bei einem auf sonstige Weise erworbenen Fachhochschulabschluß im Gegensatz zur jetzigen Regelung eine reelle Möglichkeit besteht, in die gehobene Laufbahn aufzusteigen?
Die reelle Möglichkeit zum Aufstieg in die Laufbahn des gehobenen Dienstes besteht schon jetzt, Herr Kollege Sieglerschmidt. Ein Fachhochschulabschluß, der nicht unmittelbar laufbahnbezogen ist, aber, wie es in Ihrer Frage heißt, „in unmittelbarem sachlichem Zusammenhang mit der dienstlich ausgeübten Tätigkeit steht", wird sich bei der Feststellung durch den Bundespersonalausschuß als sehr positiv auswirken. Freilich kann er den regulär vorgesehenen Fachhochschulabschluß nicht unmittelbar ersetzen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
'Sieglerschmidt : Herr Staatssekretär, bei der jetzigen Regelung ist es doch so, daß zusätzlich zu der Fachhochschulausbildung, der sich in dem Fall, den ich im Auge habe, ein Beamter neben seinem Beruf am Abend verdienstvollerweise noch unterzieht, der Vorbereitungsdienst gefordert wird. Würden Sie sagen, daß das in Zukunft so bleiben muß?
Herr Kollege Sieglerschmidt, ich habe versucht, deutlich zu machen, daß für die Zukunft der Studiengang einer Fachhochschule als normaler Weg für den Einstieg in den gehobenen Dienst vorgesehen wird. Wer diesen Weg nicht geht, wird auch in Zukunft weitere Voraussetzungen erbringen müssen, etwa dienstliche Eignung, Leistung und Bewährung bzw. die Einführung. Im Rahmen der Prüfung dieser Merkmale kann und wird ein sonstiger Fachhochschulabschluß durchaus positiv berücksichtigt werden. Er kann aber den regulär vorgeschriebenen Abschluß nicht ersetzen.
Die Frage 7 wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 8 des Herrn Abgeordneten Dr. Klein auf:
Wann gedenkt die Bundesregierung ihre vielfachen Ankündigungen wahrzumachen und wirtschaftliche Hilfsmaßnahmen zugunsten der Presse zu ergreifen, nachdem die von der Presse verlangten Daten nunmehr seit mehr als einem Monat vorliegen?
Herr Staatssekretär!
Herr Präsident, Herr Kollege, ich wäre dankbar, wenn ich die Fragen 8 und 9 gemeinsam beantworten könnte.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975 11291
Ich habe das gerade auch schon überlegt. Der Herr Fragesteller, Herr Staatssekretär, ist einverstanden. Ich rufe daher auch die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Dr. Klein auf:
In welchem Stadium befinden sich die diesbezüglichen Planungen der Bundesregierung, wie sehen sie aus, und welches finanzielle Volumen ist für die vorgesehenen Maßnahmen in Aussicht genommen?
Bitte!
Herr Kollege Klein, die Bundesregierung hat bereits am 30. April 1974 auf Vorschlag des von ihr eingesetzten Staatssekretärausschusses das Mittelstandsprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau in Höhe von bis zu 100 Millionen DM zugunsten der Presse geöffnet und das ERP-Hilfsprogramm für die Presse finanziell und sachlich erheblich erweitert.
Darüber hinausgehende Hilfsmaßnahmen hat die Bundesregierung vom Ergebnis aussagefähigen und zuverlässig geprüften Zahlenmaterials der Verleger abhängig gemacht. Dieses Zahlenmaterial ist der Bundesregierung mit vierwöchiger Verspätung am 28. Februar dieses Jahres übergeben worden. Den Bericht des Wirtschaftsprüfers hat die Bundesregierung am 7. April dieses Jahres, also vorgestern, erhalten.
Somit sind erst jetzt die von der Bundesregierung geforderten Voraussetzungen zur abschließenden Beurteilung des Materials gegeben. Die jetzt vorliegenden umfangreichen statistischen Angaben werden so schnell wie irgend möglich ausgewertet. Der vom Bundeskabinett eingesetzte Staatssekretärausschuß zur Untersuchung der wirtschaftlichen Situation der Zeitungsverlage wird dem Kabinett nach Vorliegen der Auswertung des umfangreichen Zahlenmaterials einen Vorschlag unterbreiten.
Eine konkrete Aussage darüber, welche Maßnahmen im einzelnen zu treffen wären und wie hoch das finanzielle Volumen angesetzt werden müßte, kann vernünftigerweise erst nach Auswertung der vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger übergebenen Daten erfolgen.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, wie steht die Bundesregierung zu der Äußerung des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Glotz, die, wenn ich mich recht erinnere, im „Funk-Report" erschienen ist, in der er sinngemäß sagt, für eine Subventionierung von Zeitungen sei zur Zeit kein Geld da?
Herr Kollege, diese Aussage ist mir nicht bekannt. Die Folgerungen, die Sie in Frageform daraus ziehen, vermag ich für die Bundesregierung nicht zu übernehmen. Das ergibt sich aus der Antwort, die ich Ihnen auf Ihre Fragen erteilt habe.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage. Bitte!
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die von der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen jetzt neuerdings angekündigte Initiative im Bundesrat, die unter anderem auch zum Ziel hat, der Presse steuerliche Erleichterungen zu verschaffen?
Herr Kollege Klein, dies wird geprüft werden, sobald eine Veranlassung durch den Verfahrensstand im Bundesrat dafür gegeben ist. Ich nehme an, daß etwa gleichzeitig auch bei der Bundesregierung konkretere Vorstellungen bestehen werden, die dann mit in diesen Prüfungsprozeß eingebracht werden können.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Meinung des Wirtschaftsministers des Landes Nordrhein-Westfalen, der vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger vorgeschlagene Solidaritätsfonds sei „ein gutes Zeichen dafür, daß das Selbsthilfepotential der deutschen Zeitungen beachtlich" und daß dieser Fonds „ein wichtiges Element bei der Konstruktion von Hilfsmaßnahmen" sei?
Herr Kollege, diese Frage liegt am Rande des geforderten unmittelbaren Zusammenhangs.
Bitte, Herr Staatssekretär!
Natürlich, Herr Kollege, wird die Bundesregierung jegliche Selbsthilfemaßnahmen, die im Bereich der Zeitungsverlage ergriffen werden, als wertvolle Unterstützung ihrer eigenen Vorstellungen empfinden. Ich bin aber, wie ich schon in meiner ersten Antwort deutlich gemacht habe, nicht in der Lage, hier jetzt schon konkret zu sagen, wie bestimmte Einzelvorhaben gewürdigt werden und ob sie etwa mit den Absichten der Bundesregierung übereinstimmen oder nicht.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sieglerschmidt.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen davon, daß sich die Übergabe der Daten um vier Wochen verzögert habe. Trifft es nicht zu, daß dieser Übergabe der Daten Verhandlungen mit dem Zeitungsverlegerverband von etwa einem Jahr vorangegangen sind, in denen sehr mühselig darüber verhandelt werden mußte, daß diese Daten schließlich geliefert wurden, und kann man daraus nicht die Schlußfolgerung ziehen, daß das vom Bundestag verabschiedete Pressestatistikgesetz in der Tat sehr notwendig gewesen ist?
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11292 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975
Herr Kollege Sieglerschmidt, über die Notwendigkeit des Pressestatistikgesetzes ist in der Debatte hierzu von meinem Kollegen Baum einiges sehr nachdrücklich dargelegt worden. Im übrigen habe ich mich in der Tat darauf beschränkt, die vierwöchige Verzögerung zu nennen, die über den vorgesehenen Januar-Termin für die Vorlage dieser Daten hinaus eingetreten ist. Die ganze Vorgeschichte, auf die Sie mit Recht verweisen, habe ich dabei nicht angesprochen.
Noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann.
Herr Staatssekretär, teilen Sie nicht auch meine Sorge, daß sich die nun seit Jahren angekündigten Hilfsmaßnahmen für die Presseverleger weiterhin so weit verzögern werden, daß Hilfe in vielen Fällen, in denen geholfen werden müßte, zu spät kommen würde?
Herr Kollege Müller-Hermann, die Bundesregierung hat wiederholt deutlich gemacht, daß sie die Entwicklung ebenfalls mit Sorge betrachtet und daß sie es für geboten hält, mit großer Beschleunigung an die Vorbereitung von Hilfsmaßnahmen zu gehen. Unter anderem deshalb habe ich vorhin erklärt, daß diese Daten, die uns mit dem Wirtschaftsprüfertestat je erst seit vorgestern vorliegen, nun schnellstmöglich ausgewertet werden, um dann Grundlage eines Konzepts zu sein.
Ich rufe die Frage 10 des Herrn Abgeordneten Windelen auf
Hat der WDR freie oder fest angestellte Mitarbeiter beschäftigt, die z. Z. als mutmaßliche Mitglieder oder Helfershelfer terroristischer krimineller Vereinigungen gesucht werden oder in Haft befindlich sind?
Auch hier, Herr Präsident, Herr Kollege, wäre ich dankbar, wenn ich die Fragen bei der Beantwortung zusammenfassen dürfte.
Herr Staatssekretär, der Herr Fragesteller ist offensichtlich einverstanden. Ich rufe also noch die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Windelen auf:
Trifft die Aussage des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Schmude in der Fragestunde vom 18. März 1975 zu, daß die nach Pressemeldungen gegen 32 Mitarbeiter des WDR geführten Vorermittlungen — abgesehen von den sieben Fällen, die zu ordentlichen Ermittlungsverfahren geführt haben — „schon im Vorermittlungsstadium geklärt sind"?
Herr Kollege Windelen, nach den beim Bundesminister des Innern vorliegenden Erkenntnissen gehören zu denjenigen Personen, die als mutmaßliche Mitglieder oder Helfershelfer terroristisch-krimineller Vereinigungen gesucht werden oder sich in Haft befinden, keine freien oder fest angestellten Mitarbeiter des WDR.
Ich benutze die Gelegenheit Ihrer zweiten Frage, um meine Aussage in der Fragestunde am 18. März 1975 durch die Mitteilung zu ergänzen, daß neben den erwähnten Ermittlungsverfahren gegen sieben Personen ein Strafverfahren gegen eine achte Person — aus der Zusammenstellung dieser Personen — anhängig gewesen ist und bereits Ende 1973 zu einer Verurteilung zu Freiheitsstrafe geführt hat. Bei einer erneuten eingehenden Überprüfung des Vorgangs habe ich das jetzt festgestellt. Die Zahl der übrigen in der Zusammenstellung genannten Personen habe ich nicht genannt und bin aus den in der vorigen Fragestunde dargelegten Gründen auch jetzt dazu nicht bereit. Jedenfalls trifft es zu, daß es in allen diesen Fällen mangels irgendwelcher Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten zu Ermittlungsverfahren gar nicht gekommen ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie fragen: Wie bewerten Sie die Beschäftigung derartiger krimineller oder verfassungsfeindlicher Kräfte in einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt?
Herr Kollege Windelen, Sie nehmen mit Ihrer Zusatzfrage eine Beurteilung vor, die von vornherein allenfalls für die acht Fälle in Betracht gekommen ist — also jene sieben Ermittlungsverfahren und dieses eine Strafverfahren —, bei denen an strafrechtliches Verhalten und an Strafverfolgung zu denken war. Die übrigen Fälle — das sagte ich schon — weisen Bezugspunkte so loser Art auf, daß der Verdacht einer Strafbarkeit von vornherein nicht gegeben war.Zu den sieben Ermittlungsverfahren kann ich Ihnen im übrigen sagen, daß von diesen drei eingestellt sind, drei noch anhängig sind und eines mit einer Geldstrafe geendet hat. Insgesamt gibt es also drei noch anhängige Ermittlungsverfahren und zwei Fälle, in denen eine Bestrafung erfolgt ist. Dabei sollten Sie berücksichtigen, daß in dieser Zusammenstellung, von der wir hier reden, nicht nur feste Mitarbeiter des WDR — der WDR hat zur Zeit etwa 3 300 davon: sie sind durch Ermittlungsverfahren überhaupt nicht betroffen — verzeichnet sind, sondern auch freie Mitarbeiter, und zwar nicht nur regelmäßig tätige freie Mitarbeiter — dies sind, wie ich mir habe sagen lassen, zur Zeit 500 , sondern auch Gelegenheitsmitarbeiter. Die Zahl dieser Gelegenheitsmitarbeiter beträgt weit über 10 000 in einem Jahr. Außerdem sind auch noch Familienangehörige solcher Personen hier mit tangiert.Sie haben es also, wenn man alle zusammenfaßt, mit einem Kreis von mehreren zigtausend Personen zu tun, die hier in Betracht kommen. Diesem Kreis stehen zwei Verurteilungen und drei noch anhängige Ermittlungsverfahren gegenüber. Ich glaube, daß
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975 11293
Parl. Staatssekretär Dr. Schmudedieser Vorgang keinerlei negative Bewertung im Hinblick auf den WDR zuläßt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich möchte die Frage noch einmal wiederholen und sie ausdrücklich auf jene Fälle beschränken, in denen Ermittlungsverfahren laufen bzw. abgeschlossen sind. Ich habe Sie nach Ihrer Bewertung der Beschäftigung derartiger Mitarbeiter — seien es nun freie oder feste Mitarbeiter — in einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt gefragt.
Herr Kollege Windelen, Sie müßten dabei weiterhin berücksichtigen, daß die Beschäftigung als gelegentliche freie Mitarbeiter zu einer Zeit erfolgt ist, in der die Tatsache der Verurteilung oder des Ermittlungsverfahrens noch gar nicht bekannt war, so daß also auch insoweit eine Bewertung nicht möglich ist. Auf Grund dieser Vorgänge können Sie die Personalpolitik oder die Beschäftigungspolitik des WDR nicht negativ beurteilen.
Im übrigen hielte ich es in der Tat für rechtsstaatlich bedenklich, wenn aus der Tatsache eines anhängigen Ermittlungsverfahrens bereits die Folgerung gezogen würde, jemandem die Chance einer Beschäftigung zu versagen. Es hat sich gezeigt, daß die Ermittlungsverfahren in einer Reihe von Fällen eingestellt worden sind, den Betroffenen also kein strafrechtlicher Vorwurf zu machen ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
In der von mir eingebrachten Frage 11 geht es darum, ob Ihre Aussage vom 18. März zutrifft. Anknüpfend an Ihre Antwort, die Sie heute gegeben haben, möchte ich Sie fragen, Herr Staatssekretär: Heißt das, es besteht zwar in weiteren Fällen noch Verdacht auf strafbare Handlungen, die Beweise reichen jedoch zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nicht aus?
Nein. Ich bin dankbar für diese Frage, weil sie mir Gelegenheit gibt, das noch einmal klarzustellen. Das heißt, daß in den weiteren Fällen nicht einmal der Verdacht eines strafbaren Verhaltens besteht, weil die Betreffenden nach Art der Bezugspunkte von vornherein nicht für einen strafrechtlichen Verdacht in Betracht kamen. Insofern war es auch keine Entscheidung — wie man so schön sagt — mangels Beweises, daß Ermittlungsverfahren nicht eingeleitet wurden.
Herr Kollege Windelen, Sie wünschen keine weitere Zusatzfrage zu stellen.
Zu einer Zusatzfrage gebe ich jetzt zunächst einmal dem Herrn Abgeordneten Dr. Dübber das Wort.
Herr Staatssekretär, halten Sie es in Anbetracht der Tatsache, daß die Erörterung von Staatsschutzangelegenheiten dann, wenn sie öffentlich geschieht, dem Staat nicht nützt, sondern ihm schadet, nicht für seltsam, daß Herr Windelen seine Fragen im Bundestag anstatt im Verwaltungsrat des Westdeutschen Rundfunks, dem er angehört, stellt?
Herr Kollege Dübber, auf die Möglichkeit, im Verwaltungsrat des Westdeutschen Rundfunks nähere Erkundigungen einzuziehen, hat in der letzten Fragestunde schon der Herr Kollege Dr. Mende hingewiesen. Ich möchte mich in dieser Hinsicht jeder Bewertung enthalten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sieglerschmidt.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für gerechtfertigt, daß hier auf Grund weniger Einzelfälle doch sehr pauschale Verdächtigungen gegen Mitarbeiter des WDR erhoben werden? Halten Sie dies für gerechtfertigter, als z. B. pauschale Verdächtigungen gegen den ganzen Deutschen Bundestag zu erheben, weil es hier auf allen Seiten des Hauses gelegentlich auch einmal Spionagefälle gegeben hat?
Herr Kollege, ich bitte Sie, keine bewertenden Zusatzfragen zu stellen.
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Sieglerschmidt, ich möchte mich einer allgemeinen Bewertung der Erörterung dieser Fragen hier enthalten. Was aber die Einzelheiten anbelangt, so habe ich vorhin in der Tat deutlich gemacht, daß die Fälle, in denen ein strafbares Verhalten nachgewiesen worden ist oder in denen ein entsprechender Verdacht noch nicht geklärt ist, keine Möglichkeit bieten, allgemeine negative Bewertungen in bezug auf den WDR herzuleiten. Ich teile in der Tat Ihre Besorgnis, daß, wenn man aus solchen Fällen schon derartige Bewertungen herleiten würde, auch andere Institutionen sehr leicht in die Gefahr geraten könnten, Schaden zu nehmen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Breidbach.
Herr Staatssekretär, würden Sie diese Ihre zuletzt gemachte Aussage aufrechterhalten, daß bei zwei schon Verurteilten, bei drei laufenden und bei drei abgeschlossenen Ermittlungsverfahren eine Bewertung noch nicht möglich sei, wenn ich Sie frage, von welcher ungefähren Zahl an man nach Ihrer Meinung bewerten könne, wenn solche Fälle in Staatsschutzangelegenheiten bei einer öffentlich-rechtlichen Anstalt vorkommen?
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11294 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975
Ich habe, Herr Kollege Breidbach — daran darf ich erinnern —, zweierlei deutlich gemacht: einmal, daß die Beschäftigungsverhältnisse der hier betroffenen Personen zum Teil lange zurückliegen, zum Teil vor einem Verdacht, der gegen sie erhoben worden ist, liegen, zum anderen, daß der Personenkreis, der insgesamt in dieser Art Beziehungen zum WDR steht — nämlich einschließlich Familienangehöriger und Gelegenheitsmitarbeiter —, mehrere zigtausend umfaßt. Angesichts dieser Dimension bin ich in der Tat der Meinung, daß aus den vorliegenden Fällen keinerlei negative Bewertungsfolge zu ziehen ist.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Miltner.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit und in der Lage, eine kurze Sachverhaltsangabe — ohne Namensnennung — zu den Ermittlungsverfahren zu machen?
Eine Sachverhaltsangabe?
Welcher Sachverhalt diesen Ermittlungsverfahren zugrunde liegt.
Herr Kollege, ich fürchte, daß ich diese Zusatzfrage im Hinblick auf die gestellten Fragen nicht zulassen kann.
Ich lasse eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen zu.
Herr Staatssekretär, können Sie den bei mir aufgetauchten Eindruck verstehen, daß die hier gestellten Fragen nur dazu dienen, die Ungeheuerlichkeit zu vertuschen, daß man auf Grund der von Ihnen als unzureichend gekennzeichneten Tatsachen eine ganze öffentliche Rundfunkanstalt als „Rotfunk" diffamiert?
Sie werden mir erlauben, Herr Kollege Hansen, daß ich Ihnen bestätige, daß ich Sie verstehe, ohne hier gleichzeitig irgendein Werturteil auszusprechen.
Ich rufe jetzt die nächste Zusatzfrage auf. Dann besteht die Möglichkeit, noch einige Zusatzfragen zu diesem Komplex zuzulassen.
Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Breidbach auf:
Wie viele Verfahren gegen Mitarbeiter des WDR im Zusammenhang mit linksextremistischen Gruppierungen sind insgesamt im Vorermittlungsstadium eingestellt worden?
Ich wäre dankbar, wenn ich die beiden Fragen des Abgeordneten Breidbach zusammen beantworten könnte.
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe also auch die Frage 13 des Abgeordneten Breidbach auf:
Sind den zuständigen Stellen des Landes Nordrhein-Westfalen, bei denen sich der Intendant des WDR laut Presseerklärung vom 4. März 1975 Gewißheit verschafft hat, daß Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter des WDR in dem von „Welt" und „Bild" genannten Zusammenhang nicht eingeleitet worden seien, entsprechende Erkenntnisse des Bundeskriminalamts bekannt gewesen oder sind diese vor Auskunftserteilung angefordert worden?
In der Fragestunde am 18. März 1975 habe ich in der Antwort auf eine Frage des Kollegen Windelen ausgeführt, daß es eine zwei Jahre alte Zusammenstellung von Bezugspunkten jeglicher Art zwischen Beschäftigten und freien Mitarbeitern des WDR und anarchistischen Gruppierungen gibt. Ergänzend bemerke ich, daß es sich zum Teil um Familienangehörige handelt, die selbst keine Beziehungen zum WDR haben oder hatten.
Ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, daß in der Zusammenstellung als Bezugspunkte auch rein zufällige Vorgänge und solche Sachverhalte dargestellt sind, die offensichtlich keinen Anlaß für die Annahme eines strafbaren Verhaltens der betreffenden Personen geben. Angesichts dieser Qualität der Bezugspunkte gilt nach wie vor, daß die Mitteilung der Anzahl dieser dem Bundesminister des Innern seit zwei Jahren als strafrechtlich unerheblich bekannten Fälle Mißdeutungen Vorschub leisten würde und deshalb nicht zu vertreten ist.
Die zuständigen Sicherheitsbehörden des Landes Nordrhein-Westfalen kennen den Inhalt der erwähnten Zusammenstellung. Mir ist allerdings nicht bekannt, bei welchen Stellen des Landes Nordrhein-Westfalen der Intendant des WDR Auskünfte dazu eingeholt hat.
Zusatzfrage.
Könnten Sie denn in Erfahrung bringen, Herr Staatssekretär, ob der Intendant des WDR seine Auskünfte beim Bundeskriminalamt eingeholt hat? Oder hat er sie nur beim Bundesverfassungsschutzamt eingeholt?
Ich kann dies in Erfahrung bringen, Herr Kollege Breidbach. Meines Wissens hat ein Kontakt mit dem Bundeskriminalamt bestanden. Allerdings bin ich jetzt nicht in der Lage, hier im einzelnen den Inhalt wiederzugeben. Aber Ihre Frage richtete sich auf die Erkundigungen, die im Land Nordrhein-Westfalen eingeholt worden sind.
Noch eine Zusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975 11295
Herr Staatssekretär, nachdem Sie die Zahl der durchgeführten Ermittlungsverfahren bekanntgegeben haben, ist mir immer noch nicht ganz klar, warum es zu Mißverständnissen führen kann, wenn Sie auch die Zahl derjenigen Personen bekanntgeben, gegen die sogenannte Bezugspunkte vorgelegen haben?
Das verstehe ich wiederum nicht, Herr Kollege Breidbach. Denn angesichts der politischen Absicht, die der Erörterung dieses Sachverhalts zugrunde liegt, müßte es Ihnen doch klar sein, inwiefern ich Mißdeutungen fürchte.
Sie haben noch eine weitere Frage.
Herr Staatssekretär, gibt es unter den von den eingestellten Ermittlungsverfahren betroffenen Personen, also unter dem Personenkreis, in dem Bezugspunkte vorlagen, noch Beschäftigte bzw. Mitarbeiter des WDR, gegen die nach wie vor Verdachtsmomente irgendwelcher Art im Hinblick auf Zusammenarbeit mit staatsgefährdenden Gruppen bestehen?
Dies kann ich — nach Ihrer jetzigen Zusatzfrage — ausschließen, denn die Einstellung der Verfahren besagt, daß dieser Verdacht nicht begründet ist und daß er somit nicht weiter als relevant anzusehen ist.
Sie haben keine weitere Zusatzfrage. — Der Herr Kollege Windelen!
Herr Staatssekretär, wie würden Sie die Zusatzfrage, die zum ersten Fragenkomplex gestellt worden ist — ob eine solche Frage von mir nicht zweckmäßigerweise an den WDR, also an den Intendanten, zu richten wäre — bewerten, wenn Sie hören, daß der Intendant in seiner Presseerklärung vom 5. März 1975 folgendes wörtlich erklärt hat:
Erneute Anfragen bei den zuständigen Stellen haben mir die Gewißheit verschafft, daß Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter des WDR in dem von „Welt und Bild" genannten Zusammenhang nicht eingeleitet worden sind.
Der Intendant fährt fort:
Nach den mir vorliegenden Informationen gibt es auch keine Tatbestände, die die Einleitung solcher Ermittlungsverfahren erwarten ließen.
Verstehen Sie, daß ich unter diesen Umständen genötigt war, diese Frage hier einzubringen?
Herr Kollege Windelen, mir ist die Presseberichterstattung über diese Erklärung des Intendanten bekannt. Aber wenn ich die Kollegen Dr. Mende und Dr. Dübber richtig verstanden habe, bezogen sie sich auf die Erörterung von Informationsmöglichkeiten im Verwaltungsrat des Westdeutschen Rundfunks, dem Sie ja auch angehören.
Meine Damen und Herren, ich lasse noch zwei Zusatzfragen zu, zunächst des Herrn Abgeordneten Sieglerschmidt und dann des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß dem Ansehen des WDR ohne sachliche Notwendigkeit dadurch geschadet worden ist, daß die in diesem Zusammenhang von Ihnen genannte Zusammenstellung auch freie Mitarbeiter und Familienangehörige enthält, bei denen die Beziehungen zum WDR unbedeutend sind oder völlig fehlen?
Herr Kollege Sieglerschmidt, solange diese Zusammenstellung innerdienstlichen Zwecken zu dienen bestimmt war und im innerdienstlichen Bereich geblieben ist, konnte aus ihr eine Ansehensschädigung für den WDR in keiner Weise erwachsen. Es muß den mit derartigen Vorgängen befaßten Kriminalpolizeibeamten unbenommen bleiben, Erwägungen, auch wenn sie sich nicht auf einen konkreten Verdacht richten, sondern sich im Feld der Vorermittlungen oder im Feld der Überlegungen, wie man weiterkommen könnte, bewegen, einmal zu Papier zu bringen. Das Mißliche daran und die in der Tat inzwischen, wie ich befürchte, eingetretene Ansehensschädigung liegt in der Weitergabe dieses als „geheim" eingestuften Papiers an dazu nicht befugte Stellen und in der öffentlichen polemischen Benutzung.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Hermann.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß Mitarbeiter des WDR, bei denen hinreichende Verdachtsmomente für eine staatsfeindliche Betätigung bzw. die Unterstützung staatsfeindlicher Betätigungen vorliegen, bis zur Klärung des Sachverhalts von ihrer Mitarbeit dispensiert werden sollten?
Ich sehe bei der Frage nicht den Zusammenhang.
Herr Kollege Dr. Müller-Hermann, das wird sehr stark auf den Einzelfall ankommen. Wenn der Verdacht nicht sehr erheblich ist und wenn er sich vor allem nicht auf eine besonders gewichtige strafbare Handlung richtet, wenn
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11296 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975
Parl. Staatssekretär Dr. Schmudeschließlich die Art der Mitarbeit des Betroffenen beim WDR eine sehr schwache ist, d. h. daß eine sehr lose Form der gelegentlichen Mitarbeit besteht, dann wird eine andere Entscheidung zu treffen sein, als wenn es sich etwa um einen festen Mitarbeiter handelt, der eines erheblichen strafbaren Verhaltens dringend verdächtig wäre.
Ich rufe jetzt die Frage 14 des Abgeordneten Dr. Wernitz auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß unter Bezugnahme auf die Einbürgerungsrichtlinien des Bundesinnenministeriums von 1971 im Freistaat Bayern bei Einbürgerungen ein 47-Punkte-Fragebogen zu beantworten ist, der neben allgemeiner Kenntnis des Grundgesetzes und der bayerischen Verfassung Landesspezifika, wie z. B. bayerische Minister, gesetzlich geschützte Feiertage des Landes, Name und Sitz bayerischer Mittelbehörden und die bayerische Nationalhymne, enthält, und wie ist die Praxis in anderen Bundesländern?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Dr. Wernitz, darf ich auch Sie bitten, die zusammenhängende Beantwortung zu gestatten?
Dann rufe ich auch die Frage 15 des Abgeordneten Dr. Wernitz auf:
Hält die Bundesregierung bei Einbürgerungen eine Prüfung über die Kenntnisse unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung für angemessen, in der u. a. danach gefragt wird, woran ein deutscher Volkszugehöriger zu erkennen ist, oder welche deutschen Gebiete bzw. Städte nach dem Zweiten Weltkrieg an Nachbarstaaten fielen und ist die Bundesregierung bereit, in Abstimmung mit den Ländern eine zeitgemäße Überarbeitung derartiger Fragebogen zu veranlassen?
Das für die Einbürgerung vorauszusetzende Vertrautsein mit den deutschen Lebensverhältnissen, vor allem eine angemessene Kenntnis der deutschen Sprache in Wort und Schrift, wird üblicherweise in einer Vorsprache des Einbürgerungsbewerbers bei der zuständigen Landesbehörde festgestellt. Fragebogen werden hierbei nicht verwandt, auch nicht im Freistaat Bayern, wie mir das Bayerische Staatsministerium des Innern auf Anfrage ausdrücklich bestätigt hat. Die Einführung eines Fragebogens ist auch nicht beabsichtigt, vor allein deswegen, weil es sich bei der geforderten Assimilation als Voraussetzung einer Einbürgerung um einen komplexen Tatbestand handelt, der durch einen Fragebogen nicht erfaßt werden kann. Nur eine Prüfung und Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls lassen eine zusammenfassende Bewertung zu, ob jemand die Voraussetzungen der Einbürgerung erfüllt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wernitz.
Herr Staatssekretär, die Antwort überrascht mich insofern, als meiner Frage ein konkreter Fall zugrunde liegt. Sind Sie bereit, eventuell noch einmal bei der Bayerischen Staatsregierung oder beim Staatsministerium des Innern nachzufassen, ob eine Mitteilung zutrifft, die unter dem Datum des 5. 3. an die hier Betroffene hinausgegangen ist, wo es wörtlich heißt —ich zitiere —:
Es ist ein Fragebogen mit 47 Fragen zu beantworten ... etc.
Herr Kollege Wernitz, vor allem, nachdem das Bayerische Staatsministerium des Innern auf Anfrage erklärt hat, daß es einen solchen Fragebogen nicht gibt, bin ich sehr daran interessiert, von Ihnen Einzelheiten des konkreten Falles zu erfahren, um dieser Frage nachzugehen. Ich verspreche Ihnen, daß das geschehen wird.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wernitz.
Herr Staatssekretär, nachdem ich davon ausgehe, daß dieses Schreiben hier zutrifft, wobei man sich dort auch noch auf eine entsprechende Weisung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 24. 7. 1974 bezieht, darf ich Sie fragen, ob nach Ihrer Meinung von seiten der Bundesregierung aus die Möglichkeit besteht, der Bayerischen Staatsregierung dabei zu helfen, daß bei ihren Einbürgerungsrichtlinien künftighin der weiß-blaue Amtsschimmel nicht derart laut wiehert.
Der letzte Teil Ihrer Zusatzfrage war folkloristisch interessant; er gehört aber nicht zur Zusatzfrage.
Ich gedenke nicht, auf den Amtsschimmel zu springen, Herr Präsident.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann.
Herr Staatssekretär, würden Sie es nicht für angemessen halten, daß ein Einbürgerungsbewerber auch Mindestkenntnisse von der Struktur und den politischen Verhältnissen in dem Land haben sollte, in dem die Einbürgerung erfolgt?
Herr Kollege Wittmann, ich glaube, ich habe diese Notwendigkeit mit meiner ersten Antwort deutlich gemacht. Eine andere Frage ist es, ob hier ein Fragebogen herausgegeben wird, in dem die Bewerber konkrete Fragen, und zwar in stattlicher Zahl, zu beantworten haben.Aber Herr Präsident, ich glaube, Sie wollten den ersten Teil der Frage des Kollegen Wernitz noch zulassen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975 11297
Das war der Sinn meiner Intervention. Ich bitte Sie dazu noch um eine konkrete Antwort.
Herr Kollege Wernitz, in Einbürgerungsangelegenheiten führen die Landesbehörden die Gesetze in eigener Zuständigkeit aus. Insofern, aber auch aus anderen Gründen, würde sich jede Bevormundung oder jedes ähnliche Verhalten seitens der Bundesregierung verbieten. Natürlich bestehen enge Kontakte über die Praxis in Einbürgerungssachen. Selbstverständlich bemühen wir uns, hier eine bundeseinheitliche Regelung zu wahren. In diesem Sinne werden wir auch, wenn Sie uns konkretes Material an die Hand geben, der von Ihnen gestellten Frage nachgehen.
Ich rufe die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Wernitz auf.
Darf ich darauf aufmerksam machen, Herr Präsident, daß ich mit Zustimmung des Fragestellers schon beide Fragen beantwortet habe.
Der Herr Kollege kann auch zu dieser Frage noch zwei Zusatzfragen stellen; daher muß ich ihm jetzt diese Möglichkeit geben. Bitte!
Herr Staatssekretär, unter Bezugnahme auf das, was Sie so eben gesagt haben: Ergibt sich dann nicht, wenn die Praktiken in den einzelnen Bundesländern hinsichtlich der Einbürgerungsrichtlinien allzu unterschiedlich sind, daß im konkreten Fall — wie hier in Bayern — ein Einbürgerungswilliger dadurch benachteiligt ist, daß man eben nicht in erster Linie auf die Einbürgerung in Deutschland abstellt, sondern im Grunde eine Art bayerische Staatsangehörigkeit nachschiebt, die zwar in der bayerischen Verfassung in Artikel 6 steht, aber niemals in ein Gesetz umgegossen wurde?
Eine sehr lange, nach den Richtlinien etwas zu lange Zusatzfrage! Aber bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Wernitz, nehmen Sie es mir nicht übel, daß ich an Hand der mir vorliegenden Informationen zunächst davon ausgehe, daß auch in dem Freistaat Bayern eine Einbürgerungspraxis geübt wird, wie sie in anderen Bundesländern üblich ist. Sollten Sie mir konkrete Anhaltspunkte dafür an die Hand geben, daß dies im Einzelfall anders ist — ich kann mir auch für Bayern nur vorstellen, daß es im Einzelfall nicht so ist —, würden wir das klären,
Herr Kollege Schäfer!
Herr Staatssekretär, besteht die Absicht, die Einbürgerungsrichtlinien von 1971 zu verbessern und neu herauszugeben?
Herr Kollege Schäfer, diese Frage würde ich gerne klären; aber sie hier zu beantworten bin ich nicht vorbereitet.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wittmann.
Herr Staatssekretär, würden Sie bei einer eventuellen weiteren Fragestellung in einer anderen Fragestunde so liebenswürdig sein, den Herrn Kollegen Wernitz darüber zu belehren, daß es verschiedene Verfahren der Einbürgerung gibt und daß es verkürzte Verfahren gibt, in denen Zusatzfragen gestellt werden, um die Beziehungen des Einbürgerungsbewerbers zu Deutschland überhaupt festzustellen?
Herr Kollege Wittmann, Sie werden es mir nachsehen, daß ich mich nicht dazu bewegen lassen möchte, hier Kollegen dieses Hauses über irgendwelche Einzelheiten zu belehren.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sperling.
Herr Staatssekretär, könnten Sie sicherstellen, daß in Bayern einzubürgernde Deutsche nicht die Existenz einer bayerischen Nationalhymne dahin gehend mißverstehen, daß sie, statt Deutsche zu werden, Bayern werden müssen?
Herr Kollege, ich glaube, auf diese Zusatzfrage erwarten Sie keine Antwort. Ich lasse sie auch nicht zu.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Hansen auf:
Trifft es zu, daß das Bundesministerium des Innern eine „allgemeine Bewaffnungsaktion" befürwortet, wie die Firma J. P. Sauer und Sohn, Eckernförde, in einem Werbeschreiben an alle Bundestagsabgeordneten behauptet?
Herr Kollege Hansen, die in dem genannten Werbeschreiben enthaltene Behauptung, das Bundesministerium des Innern befürworte
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11298 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975
Parl. Staatssekretär Dr. Schmudeeine allgemeine Bewaffnungsaktion, trifft nicht zu. Die Bundesregierung sieht auch keine Veranlassung zur Befürwortung einer allgemeinen Bewaffnung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Sie ist vielmehr der Auffassung, daß Bundestagsabgeordnete nur dann eine Erlaubnis zum Erwerb und zum Führen einer Schußwaffe erhalten sollen, wenn sie persönlich erheblich gefährdet sind. Insoweit werden bei ihnen die gleichen Maßstäbe angelegt wie bei jedem anderen Staatsbürger.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie mit mir solche Sätze in diesem Werbeschreiben wie „Die neuartigen Sicherheitsmerkmale der Pistole werden auch Sie in Begeisterung versetzen" für das Ergebnis einer bestimmten Art und Weise, das Problem der inneren Sicherheit in der Bundesrepublik zu diskutieren?
Herr Kollege Hansen, ich glaube, Sie haben sich die Antwort selbst erteilt. Ich vermag angesichts dieser Formulierung weder Begeisterung zu empfinden noch finde ich, daß dies auf die Mehrzahl oder überhaupt auf die Gesamtzahl der Kollegen unseres Hauses irgendwie attraktiv wirken wird.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Der Herr Abgeordnete Walkhoff hat um schriftliche Beantwortung der eingereichten Frage gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern beantwortet.
Ich rufe auf den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. de With zur Verfügung. Die erste Frage ist von Herrn Abgeordneten Dr. Miltner eingereicht. Wollen Sie die beiden Fragen zusammenfassen, Herr Staatssekretär?
Ich kann durchaus getrennt beantworten!
Bitte! Ich rufe dann die Frage 18 auf:
Trifft es zu, daß die um die Jahreswende 1974/1975 wegen des Verdachts nachrichtendienstlicher Tätigkeit zugunsten eines kommunistischen Geheimdienstes verhafteten sogenannten „Computer-Spione" inzwischen wieder freigelassen werden mußten, weil der Nachweis landesverräterischer Beziehungen wegen der Zwischenschaltung eines Unternehmens nicht zu erbringen war?
Herr Kollege Miltner, Ihre Anfrage bezieht sich auf ein bisher vom Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof und nunmehr von der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Frankfurt geführtes Ermittlungsverfahren. Es trifft zu, daß sämtliche Beschuldigte dieses Verfahrens inzwischen vom Vollzug der Untersuchungshaft verschont wurden, teilweise unter Auflagen. Sie werden verstehen, daß ich wegen der Einstufung des Verfahrens als VS-Vertraulich Ihnen hier und heute näheres zum Sachverhalt nicht bekanntgeben kann.
Zusatzfrage.
Sind in diesem Zusammenhang auch Zollvorschriften im Hinblick auf bestehende Embargovorschriften verletzt worden?
Herr Kollege Miltner, ich bitte sehr um Verständnis, daß ich mich auf meine Antwort zurückziehen muß, die darauf verwiesen hat, daß erstens das Ermittlungsverfahren noch läuft und zweitens das Verfahren als VS-Vertraulich eingestuft ist.
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß durch diese Art von Wirtschaftskriminalität erheblicher volkswirtschaftlicher Schaden, insbesondere z. B. durch Diebstahl von Know-how, entstehen kann?
Ich möchte Ihre Frage nicht in bezug auf dieses Verfahren beantworten, weil der Ausgang dieses Verfahrens noch nicht feststeht. Allgemein kann ich aber sagen, daß die Wirtschaftskriminalität von der Bundesregierung sehr ernst genommen wird und daß deswegen das Bundeskabinett die Vorlage eines Ersten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität im Januar dieses Jahres beschlossen hat, mit der Hoffnung, daß dieses Gesetz noch im Laufe dieser Legislaturperiode im Bundestag die zweite und dritte Lesung erfahren wird.
Damit sind wir bereits bei der Frage 19 des Herrn Abgeordneten Dr. Miltner, Herr Staatssekretär. Wenn ich das richtig sehe, war das schon eine Art Überleitung:
Beabsichtigt die Bundesregierung, Maßnahmen zu ergreifen, um diese Art von Wirtschaftsspionage stärker als bisher zu bekämpfen?
Bitte!
Soweit Sie mit Ihrer Frage 19 die Fälle der Wirtschaftsspionage im Bereich der „Computer-Spionage" mit speziellen nachrichtendienstlichen Aspekten ansprechen, tragen dieser Modalität die Staatsschutzvorschriften des Strafgesetzbuches und einschlägige Vorschriften im Patent- und Gebrauchsmustergesetz zureichend Rechnung.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975 11299
Parl. Staatssekretär Dr. de WithAllgemein wird die Frage, ob der Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen im geltenden Recht ausreicht, von der vom Bundesjustizminister einberufenen Kommission zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität — Reform des Wirtschaftsstrafrechts — demnächst geprüft werden. Sie hat auf ihrer 8. Arbeitstagung in Aachen vom 25. bis 29. November 1974 beschlossen, anläßlich einer der nächsten Arbeitstagungen den Gesamtkomplex von Fragen durch Gutachten zur strafrechtlichen und bürgerlichrechtlichen Sicht, zum Werkschutz und speziell zur sogenannten Computer-Kriminalität tatsächlich und rechtlich zu erörtern und auf dieser Grundlage ihre Entschließungen zu fassen. Die Bundesregierung wird zunächst das Ergebnis dieser Beratungen abwarten.
Herr Kollege Miltner, ich habe Ihrer Geste entnommen, daß Sie damit die Sache als erledigt ansehen.
Ich rufe die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Sieglerschmidt auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Kommission der Europäischen Gemeinschaften die Initiative zur Ausarbeitung einer Richtlinie der Gemeinschaften auf dem Gebiet der Produzentenhaftung ergriffen hat, obwohl mit Unterstützung der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften im Rahmen des Europarats ein Übereinkommensentwurf zu dem gleichen Fachgebiet in Ausarbeitung und fast fertiggestellt ist, und ist die Bundesregierung bereit, darauf hinzuwirken, daß die entsprechenden Arbeiten der Gemeinschaften auf der Grundlage des Übereinkommensentwurfs des Europarats in sinnvoller Weise mit diesem koordiniert werden?
Herr Staatssekretär!
— Herr Kollege, Ihre Frage ist schon aufgerufen.
Herr Kollege Sieglerschmidt, die Bundesregierung ist an den Arbeiten zur Vereinheitlichung des materiellen Rechts der Produzentenhaftung, die sowohl von einer Sachverständigengruppe des Europarats als auch von der EG-Kommission durchgeführt werden, beteiligt. Die Straßburger Sachverständigengruppe hat ihre Beratungen im März 1975 vorerst abgeschlossen. Der von ihr erarbeitete Entwurf eines Übereinkommens wird nunmehr den beteiligten Regierungen zur Stellungnahme zugeleitet und gegebenenfalls anschließend noch einmal überarbeitet. Die EG-Kommission hat die Erörterungen, die auf die Schaffung einer Richtlinie abzielen, vor kurzem aufgenommen. Die Notwendigkeit, innerhalb des europäischen Raums für den internationalen Warenverkehr ein möglichst einheitliches Haftungssystem zu schaffen, zwingt dazu, die Straßburger und Brüsseler Arbeiten aufeinander abzustimmen. Darüber sind sich die Beteiligten einig. Dabei kommt dem Straßburger Beratungsergebnis zweifellos eine große Bedeutung zu. Andererseits wird die EG-Kommission dadurch einer eigenen Prüfung der Materie nicht enthoben, zumal sie ein anderes Instrument schaffen will, nämlich eine Richtlinie im Gegensatz zu dem vom Europarat beabsichtigen Übereinkommen. Die Bundesregierung wird sich weiterhin darum bemühen, daß die Arbeiten koordiniert werden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß die möglichst baldige Inkraftsetzung, sprich Unterzeichnung und Ratifizierung des europäischen Übereinkommens des Europarates auf dem Gebiet der Produzentenhaftung nicht aufgehalten werden sollte durch das, was in der Europäischen Gemeinschaft geschieht, sondern daß dies, da die Sache ja von einer erheblichen Bedeutung für alle Beteiligten ist, möglichst ohne Verzug durchgeführt werden sollte?
Herr Kollege Sieglerschmidt, ich möchte hierzu eine differenziertere Antwort geben. Generell vertritt die Bundesregierung die Auffassung, daß hier Verzug von Schaden wäre. Gleichzeitig bitten wir aber sehr um Verständnis, daß es unter den gegebenen Verschiedenheiten erforderlich erscheint, daß ein Auseinanderklaffen vermieden wird.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Frage 21 wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet, und die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 22 des Herrn Abgeordneten Reiser auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in Spielzeugläden und Kaufhäusern der Bundesrepublik Deutschland importierte Baukästen mit Bauteilen angeboten werden, aus denen Hitlers Mercedes-Benz-Dienstwagen, mit nazistischen Emblemen versehen, als naturgetreues Miniaturmodell nachgebaut werden kann, und hält sie die rechtlichen Grundlagen, dem zu begegnen, für ausreichend, oder müssen diese z. B. im Strafgesetzbuch verbessert werden?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Reiser, Maßnahmen der Strafverfolgung im Hinblick auf die Straftatbestände des § 86 a des Strafgesetzbuches fallen in die Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden der Länder. Der Bundesregierung liegen Auskünfte der Länder über den in Frage stehenden Sachverhalt bisher nicht vor, so daß zur Zeit eine strafrechtliche Beurteilung des Sachverhalts nicht möglich ist. Der Bundesminister der Justiz ist jedoch bereit, die zuständigen Landesjustizverwaltungen der Länder um Auskunft darüber zu bitten, ob Staatsanwaltschaften ihres Zuständigkeitsbereichs wegen des Vertriebs von importierten Baukästen mit Bauteilen, aus denen angeblich Hitlers Dienstwagen, mit nazistischen Emblemen versehen, als naturgetreues Miniaturmodell nachgebaut werden kann, Ermittlungsverfahren eingeleitet haben. Über die von den Ländern erteilten Auskünfte würden Sie zu gegebener Zeit selbstverständlich unterrichtet werden.Straftaten, die durch Versendung von Kennzeichen ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen begangen werden, werden gemäß § 86 a StGB verfolgt und gegebenenfalls geahndet. Im Rah-
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11300 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975
Parl. Staatssekretär Dr. de Withmen des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch, das am 1. Januar 1975 in Kraft getreten ist, wurde auch diese Vorschrift daraufhin überprüft, ob sie den erforderlichen strafrechtlichen Schutz bietet. Es wurde kein Anlaß gefunden, sie zu ändern.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie eben von „angeblich" gesprochen haben: Wären Sie bereit, das Originalfoto bei mir in Augenschein zu nehmen?
Aber sicher.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Frage 23 des Herrn Abgeordneten Engelsberger wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet; die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz erledigt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Offergeld zur Verfügung.
Frage 24 ist von Herrn Abgeordneten Möller eingebracht. — Ich sehe den Herrn Kollegen nicht im Saal, so daß diese Frage wie auch Frage 25 schriftlich beantwortet und die Antworten als Anlage abgedruckt werden.
Der Herr Abgeordnete Milz hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Frage 26 gebeten. Auch hier wird die Antwort als Anlage abgedruckt.
Frage 27 ist von Herrn Abgeordneten Schröder eingebracht worden. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird daher schriftlich beantwortet, und die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 28 des Herrn Abgeordneten Niegel wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet; die Antwort wird wiederum als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nunmehr Frage 29 des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling auf. Ich frage zunächst den Herrn Staatssekretär, ob eine gemeinsame Beantwortung der beiden Fragen des Kollegen Dr. Sperling vorgesehen ist. — Der Fragesteller ist, wie ich sehe, damit einverstanden; dann rufe ich die Fragen 29 und 30 gemeinsam auf:
Auf Grund welcher steuerrechtlichen Vorschriften und Bestimmungen haben Personen mit einem Einkommen, das mit mindestens 30 % versteuert werden muß, die Möglichkeit, sich die Anschaffung von Privatyachten mit Steuervorteilen zu erleichtern?
Wie beurteilt die Bundesregierung die Praktiken von Unternehmen, die mit dem Hinweis auf solche Möglichkeiten den Verkauf von Privatyachten fördern wollen, und was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu tun?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, mit Ihrem Einverständnis darf ich die beiden Fragen zusammen beantworten. Aus Ihren Fragen ist nicht zu erkennen, welche zivil- und steuerrechtliche Fallgestaltung Ihre Anfrage ausgelöst hat. Spezifische steuerrechtliche Vorschriften zur Begünstigung der von Ihnen angesprochenen Abschreibungsprojekte bestehen nicht.
Aus der Werbung kenne ich das Modell einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die Luxusyachten an ausländische Reedereien vermietet und ihre Verpflichtung zur Tragung von Reparatur-, Havarie- und Klasseerhaltungskosten gegenüber der ausländischen Reederei noch vor Inbetriebnahme der Schiffe für längere Zeit im voraus ablösen will. Dadurch sollen steuerrechtlich bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung Verluste durch vorweggenommene Werbungskosten ausgewiesen werden.
Die obersten Finanzbehörden der Länder und des Bundes haben bereits im Frühjahr 1973 die Auffassung vertreten, daß die erwähnten Vorauszahlungen steuerrechtlich jeweils nur für das laufende Kalenderjahr als Werbungskosten anerkannt werden können. Die Bundesregierung sieht allerdings keine rechtliche Möglichkeit, die Werbung mit möglichen steuerrechtlichen Auswirkungen einer Kapitalanlage generell zu unterbinden. Bei den in Werbetexten enthaltenen Ausführungen zu Steuerfragen handelt es sich um die Meinungsäußerungen der Anbieter, die keine Gewähr für die Richtigkeit dieser Aussagen geben.
Die tatsächliche Abwicklung von Abschreibungsgeschäften verläuft nach den bisherigen Erfahrungen der Finanzverwaltung häufig anders als in der Werbung zunächst angegeben. Dadurch ändert sich meistens auch die steuerrechtliche Beurteilung. Ich benutze die Gelegenheit nochmals für den Hinweis, daß die Anleger daher solche Angebote sorgfältig auch auf ihren wirtschaftlichen Gehalt hin prüfen sollten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist dann die Werbung, die eigene Yachten zu Lasten anderer Steuerzahler bestimmten einkommensstarken Personen anbietet, als falsch zu verstehen, weil es sich dann ja um Yachten ausländischer Gesellschaften handelt? Ist das richtig?
Wenn es sich um diese Fallgestaltung handelt, von der ich auf Grund von Anzeigen gesprochen habe, dann wäre diese Angabe falsch.
Das heißt, eine Werbung, die sagt, man könne eine Yacht zu eigenem Benutzen
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975 11301
Dr. Sperlingzu Lasten anderer Steuerzahler erwerben, wäre nach unseren Steuerrechten nicht möglich?
Nach dem Steuerrecht wäre das zulässig; nur sehe ich nicht die Konstruktion, die dann zu Abschreibungsvorteilen der von Ihnen geschilderten Art führt.
Der Herr Abgeordneter Baier hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Frage 31 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 32 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann auf.
Herr Präsident, ich habe hier den Vermerk, daß auch diese Frage schriftlich beantwortet werden soll.
Hier liegt irgendein Versehen vor. Ich habe auch eine entsprechende Notiz. Da ich aber den Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann hier gesehen habe, bin ich davon ausgegangen, daß er auf eine mündliche Beantwortung seiner Frage Wert legt. Deswegen habe ich sie aufgerufen. Aber wenn Sie die Unterlagen nicht zur Verfügung haben, müssen wir im beiderseitigen Einvernehmen mit der schriftlichen Beantwortung vorlieb nehmen.
Herr Präsident, ich bitte um Nachsicht, aber vom Präsidium war uns mitgeteilt worden, daß eine schriftliche Beantwortung dieser Frage gewünscht werde.
Herr Staatssekretär, das ist — auch aus Ihrer Sicht — völlig in Ordnung.
Ich rufe die Frage 86 des Herrn Abgeordneten Sauter auf:
Informieren alle Bundesministerien die Mitglieder des Deutschen Bundestages gleichzeitig über Zuschüsse, Investitionen und Baumaßnahmen von Bundesministerien und Behörden in den jeweiligen Wahlkreisen?
Herr Kollege, Sie haben in der Fragestunde am 26. Februar 1975 eine Frage gleichen Inhalts gestellt. Mein Kollege Haehser hat Ihnen seinerzeit geantwortet, daß es im Finanzministerium keine Zusammenstellung darüber gibt, welche Mittel in welchen Wahlkreis fließen, und daß es demgemäß auch keine entsprechenden Mitteilungen an Abgeordnete geben kann.
Mein Kollege hat Ihnen damals auch erklärt, daß die zur Bearbeitung der mündlichen Fragen zur Verfügung stehende Zeit nicht ausreichte, die Informationspraxis aller Bundesministerien zu ermitteln.
Ich bitte um Ihr Verständnis, wenn ich Ihnen heute wiederum die gleiche Antwort geben muß. Ich darf aber hinzufügen, daß ich gerne bereit bin, wenn Sie damit einverstanden sind, Ihnen nach entsprechenden Ermittlungen eine schriftliche Ergänzung nachzureichen.
Herr Kollege, Sie haben eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich aus der Tatsache, daß jetzt zum zweiten Mal eine solche Frage vom Wohnungsbauministerium in das Finanzministerium zur Beantwortung verlagert wird, schließen, daß es sich hier um ein solches betroffenes Ministerium handelt, das Abgeordnete der Koalition gegenüber den Abgeordneten der Opposition einseitig und bevorzugt benachrichtigt und informiert?
Ich glaube nicht, daß dieser Schluß gerechtfertigt ist, Herr Kollege Sauter.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich glaube feststellen zu können, daß es Hinweise dafür gibt, daß eine solche einseitige Information in der Tat stattfindet. Halten Sie es für gerechtfertigt, daß seitens der einzelnen Bundesministerien eine unterschiedliche Information der Abgeordneten der Koalition auf der einen und der der Opposition auf der anderen Seite erfolgt?
Herr Kollege, ich kann die Tatsachenfeststellung, die Ihrer Beurteilung zugrunde liegt, nicht teilen, um so weniger natürlich auch Ihre Beurteilung, die in Ihrer Frage zum Ausdruck kommt.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung.Die Frage 33 ist von Herrn Abgeordneten Schröder eingereicht. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 34 des Herrn Abgeordneten Dr. Schweitzer auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die derzeitige Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen?
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11302 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975
Im wirtschaftlichen Bereich sind auf dem Wege der Entwicklung des deutsch-polnischen Verhältnisses bisher die größten Fortschritte gemacht worden. Seit 1970, dem Jahr des Abschlusses des Warschauer Vertrages und des Handelsabkommens, konnte der Warenverkehr um 360 % auf mehr als 5 Milliarden DM im Jahre 1974 gesteigert werden. Diese Entwicklung, die sich nach Überwindung eines gewissen Nachholbedarfs nun etwas verlangsamt, zeigt, daß Polen — heute schon zweitgrößter Ost-Handelspartner der Bundesrepublik — im Begriff ist, ein wichtiger Außenhandelspartner der Bundesrepublik Deutschland zu werden.
In Zukunft wird es besonders darum gehen, die polnischen Lieferungen, die 1974 um 2,2 Milliarden DM hinter den deutschen Lieferungen zurückgeblieben sind, drastisch zu steigern. Dazu soll vor allem der weitere Aufbau von Exportkapazitäten für moderne Industriegüter in Kooperation mit Unternehmen aus der Bundesrepublik Deutschland dienen. Bezugsmöglichkeiten für die Bundesrepublik könnten sich auch aus den reichen polnischen Vorkommen an Kohle, die direkt oder als Strom exportiert werden kann, sowie an weiteren Rohstoffen, vor allem Kupfer, ergeben.
Die deutsch-polnische Wirtschaftskommission hat in Anwesenheit von Bundeswirtschaftsminister Friderichs und führender Vertreter der deutschen Wirtschaft am 17. März dieses Jahres mit einer Prüfung der Kooperationsmöglichkeiten sowie der Vereinbarung von sieben Fachgruppen für einzelne besonders interessante Branchen ihre Arbeiten zur Förderung der Unternehmenskooperation aufgenommen. Die Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen ist geeignet, den Prozeß der Entwicklung der Gesamtbeziehungen wirkungsvoll zu unterstützen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, einmal ganz global gefragt: Wie beurteilt die Bundesregierung das Interesse und die Möglichkeiten der deutschen Wirtschaft, die von Ihnen geschilderten und ja durchaus als positiv zu bewertenden Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern noch weiter zu intensivieren, und könnte die Bundesregierung gegebenenfalls — —
Herr Kollege, setzen Sie zunächst einmal ein Fragezeichen. Der Herr Staatssekretär kann nicht zwei Zusatzfragen auf einmal beantworten.
Das Interesse an der weiteren Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen ist auf beiden Seiten außerordentlich groß.
Dann meine zweite Zusatzfrage: Könnte die Bundesregierung gegebenenfalls noch mehr tun, um ein solches Interesse noch stärker zu fördern?
Es ist sicher, daß etwa die Bereinigung der politischen Fragen, die das Verhältnis der beiden Nationen bestimmen, insgesamt auch zu klimatischen Verbesserungen beitragen kann, was wiederum auch den Wirtschaftsbeziehungen zugute kommen kann. Unsere Bemühungen gehen in diese Richtung.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hupka.
Herr Staatssekretär, Sie haben sich ja auf die Importmöglichkeiten von Kohle und Kupfer bezogen: Können Sie mir darin zustimmen, daß es sich hier um das Kohlevorkommen in Oberschlesien und um das Kupfervorkommen in Niederschlesien handelt, also um Gebiete, die zu Ostdeutschland jenseits von Oder und Neiße gehören?
Ich kann im Augenblick nicht konkretisieren, um welche Gebiete es sich da regional handelt. Aber ich kann Ihnen bestätigen, daß derartige Vorkommen jedenfalls die Grundlage für Kooperationsabkommen sein können und daß sich Fachgruppen mit dieser Frage beschäftigen, wobei im Vordergrund der Diskussion auch die Frage steht, ob weitere zusätzliche Erschließungen die Liefermöglichkeiten von Kohle aus diesem Bereich verstärken können.
Herr Kollege Hupka, ich weise Sie nur darauf hin, daß auch diese Frage nicht in dem geforderten Zusammenhang mit der eingereichten Frage steht.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, bitte!
Herr Staatssekretär, bestehen bei den Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen Zahlungsbilanzschwierigkeiten, und, wenn ja, wie beurteilen Sie diese?
Diese Schwierigkeiten bestehen angesichts der Tatsache, daß unsere Lieferungen nach Polen weit über das hinausgehen, was als Gegenleistung von Polen in die Bundesrepublik geliefert werden kann. Wir bemühen uns darum durch eine Intensivierung der Kooperation, die insbesondere auch langfristige Geschäfte, etwa Lieferung von Rohstoffen, aus Polen in die Bundesrepublik umfassen kann, dem Engpaß entgegenzuwirken, der durch diese Unterschiedlichkeit in der Lieferfähigkeit im Augenblick sichtbar geworden ist.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975 11303
Herr Staatssekretär, da zur Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen unlösbar die Entwicklung der Höhe der Staatsbürgschaften für Warenkredite gehört, frage ich Sie — auch angesichts Ihrer Aussage über das Zurückbleiben der polnischen Exporte um 2,2 Milliarden DM — nach der Entwicklung der Staatsbürgschaften für Warenkredite, das heißt nach deren derzeitiger und ihrer beabsichtigten Höhe.
Ich kann Ihnen dazu im Augenblick keine genauen Zahlen nennen. Aber ich kann darauf hinweisen, daß sich alle diese Warenkredite im Rahmen unserer staatlichen Exportfinanzierung bewegen und insofern in keiner Weise etwa Sonderkonditionen gewährt werden. Etwas anderes ist der noch in der Diskussion befindliche Finanzkredit, über den Polen im freien Ermessen verfügen könnte.
Der Abgeordnete Jahn ist nicht im Saal; die Fragen 35 und 36 werden daher schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 37 des Herrn Abgeordneten Dr. Schäuble auf:
Nachdem der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft, Grüner, sich in der Sitzung vom 20. März 1975 auf meine Frage für eine institutionalisierte grenzüberschreitende Zusammenarbeit von gewählten Vertretern der Oberrheinregion außerhalb der zu gründenden Commission Tripartite" ausgesprochen hat, frage ich, welche Maßnahmen die Bundesregierung zu ergreifen beabsichtigt, um auf Regierungsebene die politischen und rechtlichen Voraussetzungen für den Erfolg einer solchen institutionalisierten Zusammenarbeit mit zu schaffen.
Die Bundesregierung begrüßt die Bereitschaft gewählter Vertreter der Oberrheinregion für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Wie ich bereits in der Beantwortung Ihrer Zusatzfrage am 20. März 1975 erklärte, halte ich eine erfolgreiche Arbeit der vorgesehenen Regierungskommission auch für eine künftige Zusammenarbeit auf der Ebene gewählter Vertreter für förderlich. In dieser Regierungskommission wird u. a. auch zu prüfen sein, welche politischen und rechtlichen Voraussetzungen für eine institutionalisierte Zusammenarbeit der gewählten Vertreter geschaffen werden müssen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Antwort so interpretieren, daß die Bundesregierung gegebenenfalls bereit ist, durch Verhandlungen mit den Regierungen der Partnerstaaten diese Voraussetzungen für eine solche Zusammenarbeit gewählter Vertreter der Region zu schaffen?
Das ist ganz sicher der Fall, wobei ich aber mit großem Nachdruck sagen muß, daß konkrete Vorstellungen für eine solche Zusammenarbeit gewählter Vertreter in erster Linie in der Region selbst entwickelt werden müßten. Wir wären jedenfalls mit Sicherheit bereit, alle Anregungen, die in dieser Richtung an uns herangetragen werden, aufzugreifen und selbstverständlich auch in dieser Regierungskommission von uns aus zu prüfen, ob eine flankierende Arbeit gewählter Vertreter im Sinne dieser Zusammenarbeit nicht sehr förderlich sein könnte.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sieglerschmidt.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß die Zusammenarbeit von Parlamentariern über die nationalen Grenzen hinaus in erster Linie Sache der betroffenen Parlamente und nicht der Regierungen ist, und ist der Bundesregierung bekannt, daß eine solche Zusammenarbeit gerade in dem konkreten Fall Assemblée Nationale und Bundestag bereits auf dem Wege ist und speziell auch Anstrengungen hinsichtlich der Zusammenarbeit der „grenznahen" Abgeordneten auf beiden Seiten der Grenze unternommen werden?
Der Bundesregierung sind diese Bemühungen bekannt. Ich habe auch darauf hingewiesen, daß wir Anregungen aus der Region, d. h. aus den Parlamenten selbst, erwarten. Bei der hier angeschnittenen Frage geht es wohl auch um die Zusammenarbeit von gewählten Vertretern unmittelbar vor Ort. Ich habe die Frage so verstanden, daß hierbei etwa auch an Zusammenschlüsse von Kreistagsabgeordneten gedacht sein könnte. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß eine solche Regionalisierung auf der Ebene gewählter Vertreter sinnvolle Anregungen ergeben könnte.
Ich rufe die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Dr. Gruhl auf:
Welche wissenschaftlichen Untersuchungen über die reale Entwicklung des künftigen Bedarfs und Verbrauchs bei den einzelnen Abnehmergruppen, besonders für Elektrizität, sind dem Energieprogramm der Bundesregierung und dessen Fortschreibung zugrunde gelegt worden?
Herr Staatssekretär!
Die Vorausschätzung des Energieverbrauchs im Energieprogramm der Bundesregierung vom September 1973 und in der ersten Fortschreibung dieses Programms vom Oktober 1974 stützt sich im wesentlichen auf Untersuchungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität Köln und des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung in Essen. Derartige Analysen werden von diesen Instituten kontinuierlich für unser Haus, das Bundeswirtschaftsministerium, erstellt.
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11304 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975
Parl. Staatssekretär GrünerDas dem Energieprogramm zugrunde liegende Gemeinschaftsgutachten ist von den Instituten unter dem Titel „Prognose des Energieverbrauchs in der Bundesrepublik Deutschland bis 1985" im Mai 1973 in eigener Verantwortung veröffentlicht worden. Die bedingte Energieprognose der ersten Fortschreibung stützt sich auf vorläufige Ergebnisse eines noch nicht abgeschlossenen Gutachtens. Auch dieses Gutachten werden die Institute zu gegebener Zeit veröffentlichen.
Herr Dr. Gruhl, haben Sie eine Zusatzfrage?
— Bitte!
Herr Staatssekretär, was Sie geantwortet haben, war mir bekannt. Meine Frage zielt aber darauf: Welche wissenschaftlichen Grundlagen werden für derartige Prognosen verwendet? Wie stellt man z. B. fest, ob in den Haushalten in den nächsten Jahren zusätzliche Geräte eingesetzt werden oder werden können, um sozusagen von unten her erst einmal den Bedarf zu ermitteln? Die von Ihnen genannten Institute nennen pauschal Zahlen, von denen man nie recht weiß, woher sie diese beziehen.
Es ist Aufgabe dieser Institute, derartige Fragen in ihre Prognosen mit einzubeziehen. Ich glaube, daß das in meiner Beantwortung Ihrer zweiten Frage noch einmal deutlicher werden wird.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Ihre Antwort befriedigt mich leider nicht.
Herr Kollege, Zusatzfrage, nicht Ihre Gefühle!
Ja. — Hat die Bundesregierung für die Zukunft die Absicht, wissenschaftliche Gutachten in Auftrag zu geben, die von der realen Basis des Verbrauchs und des Bedarfs und nicht von der voraussichtlichen Entwicklung, die mehr oder weniger mit Wahrsagerei verbunden ist, auszugehen?
Jeder Blick in die Zukunft, Herr Kollege, ist etwas mit Wahrsagerei verbunden. Weder die Bundesregierung noch die Institute sind in der Lage hellzusehen. Aber Sie können sicher sein, daß die hier herangezogenen Institute die anerkanntesten sind und ihre Fähigkeit, in diesem Bereich Prognosen zu stellen — das gilt auch für die Qualität —, unbezweifelbar ist.
Ich rufe die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Dr. Gruhl auf:
Um wieviel Prozent müßten die Prognosen der Fortschreibung bereits berichtigt werden, wenn der tatsächliche Verbrauch des Jahres 1974 berücksichtigt wird?
Abweichungen von der durchschnittlichen Entwicklung des Energieverbrauchs in einzelnen Jahren sind nichts Ungewöhnliches. Allerdings ist der Rückgang des gesamten Primärenergieverbrauchs im Jahre 1974 ein einmaliger Vorgang, der vor allem durch eine starke Reduzierung des Ölverbrauchs — er beträgt rund 10 % —, die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und andere Sonderfaktoren bestimmt ist. Schon wegen dieser Sonderentwicklung im Jahre 1974 wäre es verfrüht, hieraus schon jetzt quantitative Schlüsse auf die künftige Entwicklung des Energieverbrauchs zu ziehen.
Die Bundesregierung setzt ihre Bemühungen fort, die Abhängigkeit der Bundesrepublik von Ölimporten entsprechend ihrer Ankündigung in der Fortschreibung des Energieprogramms zu vermindern. Dies gilt auch für den Energieverbrauch insgesamt, soweit dies ohne Einschränkung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung möglich ist. So werden die von der Bundesregierung bereits ergriffenen und geplanten Maßnahmen zur rationellen und sparsamen Energieverwendung in den Jahren 1976/77 sichtbar werden. Sie konnten in der bedingten Energieprognose der Fortschreibung nur zum Teil berücksichtigt werden.
Die Bundesregierung hat in der Fortschreibung des Energieprogramms ausgeführt, daß auch die bedingte Prognose den ständig sich ändernden Verhältnissen angepaßt werden muß. Angesichts des internationalen Verhandlungsstandes und der Unsicherheiten, die mit jeder Energieprognose und mit einer Vorausschätzung der Energieeinsparung verbunden sind, ist es jedoch verfrüht, schon jetzt neue Daten über die voraussichtliche Entwicklung des Energieverbrauchs der Bundesrepublik bekanntzugeben.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß durch den Rückgang des Energieverbrauchs im Jahre 1974 und auf Grund der zweifellos nicht mehr eintretenden Steigerung in diesem Jahr die Prognose bereits um 38 Millionen t SKE überholt ist, infolgedessen die Differenz zwischen den realen Verhältnissen und der Fortschreibung schon jetzt größer ist, als sie seinerzeit zwischen dem Energieprogramm und der Fortschreibung war?
Aus heutiger Sicht können die auf Grund der von der Bundesregierung bereits ergriffenen und geplanten Maßnahmen möglichen Energieeinsparungen für 1980 auf rund 18 bis 22 Millionen t SKE und für 1985 auf rund 35 bis
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975 11305
Parl. Staatssekretär Grüner40 Millionen t SKE geschätzt werden. Nähere Angaben hierzu und in diesem Zusammenhang auch zu der Beurteilung der Einsparungen in der jüngsten Vergangenheit wird die Bundesregierung im Rahmen ihrer Beantwortung der Großen Anfrage des Abgeordneten Professor Laermann und Genossen zur rationellen und sparsamen Energieverwendung — Bundestagsdrucksache 7/2890 — machen. Ich wäre dankbar, wenn ich der Beantwortung dieser Großen Anfrage nicht vorgreifen müßte, weil die Zahlen noch erarbeitet werden.
Eine Zusatzfrage.
Wird in der Stellungnahme, die Sie erwähnten, ebenfalls berücksichtigt werden, daß auch eine Fehlinvestition großen Ausmaßes auf diesem Gebiet ein schädlicher Faktor für die zukünftige Entwicklung wäre?
Es ist ganz sicher, daß alle diese Prognosen den Sinn haben, solche Fehlentwicklungen — soweit es irgend möglich ist — zu vermeiden. Es ist das Ziel, nicht etwa einen Energiebedarf zu prognostizieren und darauf aufbauend Kapazitäten zu schaffen, die dann nicht gebraucht werden. Auf der anderen Seite lautet das Ziel aber auch, nicht in eine Energielücke hineinzulaufen.
Ich lasse noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl zu.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir darin zustimmen, daß in der ersten Fortschreibung des Energieprogramms die soeben auch vom Kollegen Dr. Gruhl dargelegten Fakten berücksichtigt sind und daß dem künftigen Energieverbrauch und der Energieplanung insgesamt Rechnung getragen wurde?
Es ist richtig, daß in der ersten Fortschreibung die zum Zeitpunkt der Fortschreibung erkennbaren Entwicklungen berücksichtigt worden sind. Von den aus heutiger Sicht für möglich gehaltenen Energieeinsparungen in der schon einmal genannten Größenordnung konnten allerdings nur 40 °/o in die Fortschreibung einbezogen werden.
Die Frage 40 des Herrn Abgeordneten Spranger wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. —Auch seine Ankunft ändert daran nichts, wenn ich das richtig sehe.
Ich rufe dann die Frage 85 des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz auf:
Welches Struktur- und arbeitsmarktpolitisches Gesamtkonzept besitzt die Bundesregierung für das Zonenrandgebiet der nördlichen Oberpfalz, dem infolge der Rationalisierung von Bundesbahn und Bundespost eine einschneidende Verringerung von Arbeitsplätzen bei den Bundesdienststellen zugemutet wird, und welche Maßnahmen hat die Bundesregierung vorgesehen bzw. eingeleitet, um diesen Verlust an sicheren Arbeitsplätzen in diesem wirtschaftlich besonders gefährdeten Raum ggf. durch andere Arbeitsplätze des öffentlichen Dienstes auszugleichen?
Herr Staatssekretär!
Die struktur- und arbeitsmarktpolitischen Zielsetzungen der Bundesregierung für die nördliche Oberpfalz sind im Vierten Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" für den Zeitraum 1975 bis 1978 enthalten. Dieser Rahmenplan wurde vom Planungsausschuß der Gemeinschaftsaufgabe am 20. März dieses Jahres auf der Grundlage der von den Bundesländern eingereichten Anmeldungen und Vorschläge beschlossen.
Im 4. Rahmenplan sind im Regionalen Aktionsprogramm „Ostbayerisches Fördergebiet" die Schaffung von 40 000 neuen Dauerarbeitsplätzen und die Sicherung von 13 300 vorhandenen Arbeitsplätzen im produzierenden Gewerbe im Planungszeitraum vorgesehen. Hiervon entfallen auf das Zonenrandgebiet 29 400 neu zu schaffende Dauerarbeitsplätze und 10 900 zu sichernde Arbeitsplätze. Dadurch kommt zum Ausdruck, daß neben der Neuansiedlung und Erweiterung von Betrieben der Sicherung von Arbeitsplätzen in bestehenden Betrieben eine erhebliche Bedeutung zukommt. Darüber hinaus soll neben dem Ausbau der Infrastruktur mit der Entwicklung und weiteren Verbesserung des Fremdenverkehrs ein zusätzlicher Beitrag zur Stärkung der Wirtschaftskraft in der Oberpfalz geleistet werden.
Diese Förderungsmaßnahmen dienen selbstverständlich auch zur Schaffung von Dauerarbeitsplätzen für solche Arbeitnehmer, die ihre Arbeitsplätze infolge notwendiger Rationalisierungsmaßnahmen von Bundesbahn und Bundespost unter Umständen verlieren.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung geprüft, inwieweit eine Verlagerung zentraler Aufgaben der Bundesbahn, eventuell auch der Bundespost, in diesem Raum möglich wäre, um das arbeitsplatzmäßige Ausbluten — besonders auch auf diesem Sektor — zu verhindern bzw. zu verringern?
Diese Prüfung erfolgt ja durch den interministeriellen Ausschuß für regionale Wirtschaftspolitik, der auch Koordinierungsinstrument für die Förderung des Zonenrandgebietes ist, immer unter dem Gesichtspunkt der Möglichkeit, etwa eine Verlagerung oder die Neuschaffung von öffentlichen Einrichtungen gerade in diesem Gebiet, soweit das möglich ist, vorzunehmen. Sie wissen, Herr Kollege, daß die Anstrengungen in diesem Bereich bisher allerdings keine besonders großen Erfolge gezeitigt haben.
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11306 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975
Ich wollte Sie, Herr Staatssekretär, gerade fragen: Welche Erfolge sind denn auf Grund der Bemühungen, in diesem Sektor Arbeitsplätze zu schaffen, eingetreten?
Ich bestätige Ihnen noch einmal, daß wir uns darum bemühen, daß das aber angesichts der Probleme, die mit der Verlagerung und Neuerrichtung von öffentlichen Dienststellen verbunden sind, außerordentlich schwierig ist. Deshalb ja auch unsere Konzentration auf die Förderungsmaßnahmen des Regionalprogramms, das Sie kennen.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Bestätigt die Bundesregierung die Richtigkeit der Meldung in „Metall" Nr. 5 vom 11. März 1975 auf Seite 4 unter der Zwischenüberschrift „Keine Gefahr für die Rente", wonach Staatssekretär Eicher in einer Podiumsdiskussion auf der 8. Angestelltenkonferenz „betonte, daß die Frage einer weiteren Herabsetzung des Rentenalters auf möglicherweise 60 Jahre auf der Bonner Tagesordnung bliebe"?
Herr Präsident, wenn es gestattet wird, würde ich gern die Fragen 41 und 42 gemeinsam beantworten.
Der Herr Fragesteller ist offensichtlich damit einverstanden. Ich rufe also noch die Frage 42 des Abgeordneten Müller auf:
Verfolgt die Bundesregierung gegebenenfalls die Verwirklichung dieses Ziels nur im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten ohne Beitragserhöhung, oder erwägt sie eventuell eine andere Art der Finanzierung der dadurch entstehenden zusätzlichen Rentenleistungen?
Herr Kollege Müller, die Bundesregierung hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß sie die im Rentenreformgesetz des Jahres 1972 zur flexiblen Altersgrenze getroffenen Regelungen als einen ersten, allerdings wichtigen Schritt ansieht, dem weitere Schritte folgen sollen. Sie hat dabei gleichzeitig betont, daß die Auswirkungen der geltenden Regelungen unter gesundheitspolitischen, arbeitsmarktpolitischen und nicht zuletzt unter finanziellen Aspekten sorgfältig analysiert werden müssen, bevor ein nächster Schritt zur Weiterentwicklung der flexiblen Altersgrenze getan werden kann. Mit dieser Auffassung der Bundesregierung stehen die Erklärungen, die Herr Staatssekretär Eicher in der von Ihnen angesprochenen Podiumsdiskussion abgegeben hat, im Einklang. Ich möchte annehmen, daß Sie mit mir darin übereinstimmen, daß es einen sozialpolitischen Fortschritt bedeuten würde, wenn sich ein solcher Schritt zur Weiterentwicklung der flexiblen Altersgrenze als möglich erweisen sollte.
Zu Ihrer zweiten Frage möchte ich nochmals betonen, daß über die Rentenreform von 1972 hinausgehende Schritte zur Weiterentwicklung der flexiblen Altersgrenze nicht zuletzt von der Entwicklung der finanziellen Situation der Rentenversicherung abhängen. Die Bundesregierung hat unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß bei allen Leistungsverbesserungen die Vorteile, die den dadurch Begünstigten zuteil werden, sehr sorgfältig mit den daraus resultierenden zusätzlichen Belastungen für die Beitragszahler abgewogen werden müssen. An eine Beitragserhöhung zur Finanzierung der aus einer eventuellen Weiterentwicklung der flexiblen Altersgrenze resultierenden Mehrbelastungen ist nicht gedacht.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, dann sind also die Ausführungen des Herrn Eicher nur als politische Zielvorstellung bzw. als Absichtserklärung zu werten, deren Verwirklichung aus finanziellen Gründen in naher Zukunft wahrscheinlich nicht möglich ist?
Herr Kollege Müller, ich habe die Ausführungen des Herrn Staatssekretärs Eicher sehr aufmerksam gelesen, und ich darf noch einmal sagen, daß er genau das betont hat, was ich in meiner ersten Antwort soeben erklärt habe.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich Sie trotzdem noch fragen, ob die Regierung die Absicht hat, die Weiterentwicklung der flexiblen Altersgrenze noch in dieser Legislaturperiode zu betreiben.
Herr Kollege Müller, wenn die finanziellen Voraussetzungen einen solchen Schritt ermöglichten, würden wir ihn gern noch in dieser Legislaturperiode tun. Ich gehe aber davon aus, daß diese Voraussetzungen wahrscheinlich nicht gegeben sind.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller .
Herr Staatssekretär, welche zusätzlichen finanziellen Belastungen sind den Versicherungsträgern seit der Einführung der flexiblen Altersgrenze entstanden?
Herr Kol-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975 11307
Parl. Staatssekretär Buschfortlege Müller, die Herabsetzung um ein weiteres Versicherungsjahr würde für die Rentenversicherung finanzielle Auswirkungen von, wie ich glaube, einer Milliarde DM jährlich haben.
Herr Abgeordneter, Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie noch einmal fragen, ob Sie unter diesen Umständen glauben, daß den Rentenversicherungsträgern in dieser Legislaturperiode noch so viel Mittel zur Verfügung stehen werden, um dieses Ziel, das Sie sich gesetzt haben, erreichen zu können.
Herr Kollege Müller, das hängt weitgehend auch davon ab, in welchem Umfang Beiträge eingezahlt werden. Das Ergebnis des vergangenen Jahres war recht positiv. Sie wissen, daß die Einnahmen der Rentenversicherungen um 1,4 Milliarden DM günstiger gewesen sind, als wir zunächst einmal angenommen haben. Sollten wir künftig noch günstigere Jahre haben, wäre die Weiterentwicklung der flexiblen Altersgrenze schon eher möglich.
Wir kommen zur Frage 43 des Herrn Abgeordneten Dr. Franz. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
— Herr Kollege, ich fahre jetzt in der Fragestunde fort.
Die Fragen 44 und 45 sind von dem Herrn Abgeordneten Ziegler eingebracht. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
- Herr Abgeordneter, das ist nicht unerhört, sondern ich verfahre nach dem Reglement der Fragestunde.
— Herr Abgeordneter, ich rüge Ihren Zuruf.
Ich rufe die Frage 46 des Herrn Abgeordneten Dr. Enders auf:
Hält es die Bundesregierung für gerechtfertigt, daß die Arbeitsbehörde den Umschülern das vom Arbeitgeber gezahlte Weihnachtsgeld von der Unterhaltshilfe abzieht und sich dadurch unter Umständen kein Vorteil für die Umschüler aus dem Gratifikationsbetrag ergibt?
Herr Kollege
Dr. Enders, die Bundesregierung hält es angesichts der Höhe des Unterhaltsgeldes und auch im Interesse der Gleichbehandlung aller Umschüler nicht für vertretbar, das Weihnachtsgeld in voller Höhe unberücksichtigt zu lassen.
Umschüler erhalten ein Unterhaltsgeld in Höhe von 90 v. H. des zuletzt verdienten durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelts. Damit ist ihr Lebensunterhalt angemessen gesichert.
Das vom Arbeitgeber gezahlte Weihnachtsgeld ist wie jedes Arbeitsentgelt, das der Umschüler während der Umschulung verdient, nach Abzug eines Freibetrages von 50 DM wöchentlich auf das Unterhaltsgeld anzurechnen. Anders als das übliche Arbeitsentgelt rechnen die Arbeitsämter das Weihnachtsgeld jedoch nur in der Woche, in der es dem Umschüler zugeflossen ist, an. Das bedeutet in der Regel, daß der Umschüler zwar in dieser einen Woche kein Unterhaltsgeld bekommt; dafür stehen ihm aber das Arbeitsentgelt dieser Woche und das volle Weihnachtsgeld zur Verfügung.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es dann nicht so, daß die Arbeitsbehörde der Nutznießer dieser Lösung ist, weil sie sich die Gratifikation einsteckt, die der Arbeitgeber den Umschülern zugedacht hat?
Herr Kollege Dr. Enders, das trifft nicht zu. Alle Arbeitseinkommen müssen — bis auf einen Freibetrag — angerechnet werden. Wenn Sie davon ausgehen, daß Weihnachtsgeld ja nicht nur eine mildtätige Gabe, sondern — wie es gelegentlich auch einmal bezeichnet wurde „vorenthaltener Lohn" ist, so werden Sie verstehen, daß wir nicht Beitragsleistungen an Unterhaltsempfänger in vollem Umfang zur Auszahlung bringen und Nebeneinkünfte dabei völlig unberücksichtigt lassen können.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wird die gleiche Lösung auch in den Fällen angewendet, in denen den Umschülern — etwa im Krankenhaus — für Feiertags- und Sonntagsarbeit eine bestimmte zusätzliche Vergütung zugemessen wird?
Herr Kollege Enders, es ist so, daß es im Gesamtbereich des AFG — sei es beim Arbeitslosengeld oder sei es beim Unterhaltsgeld — bestimmte Freibeträge gibt; wenn der Arbeitnehmer Einkünfte hat, die darüber hinausgehen, müssen sie auf die jeweiligen Leistungen angerechnet werden.
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11308 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975
Der Herr Abgeordnete Peter hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Fragen 47 und 48 gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 49 und 50 sollen auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Dr. Vohrer, ebenfalls schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Auch der Herr Abgeordnete Peiter erhält schriftliche Antworten auf die von ihm eingereichten Fragen 51 und 52. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Herr Staatssekretär, damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung beantwortet. Ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Zum erstenmal kann ich hier den Parlamentarischen Staatssekretär Schmidt begrüßen.
Die Frage 53 ist von dem Herrn Abgeordneten Sauter eingebracht:
Welche Ursachen sieht die Bundesregierung in dem überdurchschnittlich hohen Anteil von Bundeswehrangehörigen unter des Verkehrstoten an Wochenenden, und was kann nach Auffassung der Bundesregierung dagegen getan werden?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Sauter, ich darf zunächst feststellen, daß mir keine Statistik bekannt ist, aus der hervorgeht, daß der Anteil von Bundeswehrangehörigen unter den Verkehrstoten am Wochenende überdurchschnittlich hoch ist. Da jedoch die überwiegende Zahl der Soldaten zu den besonders gefährdeten jungen Kraftfahrern gehört, hat die Bundesregierung diesem Problem seit Jahren ihre besondere Aufmerksamkeit gewidmet und entsprechende Maßnahmen getroffen. Ich nenne hier besonders das 12-Punkte-Programm zur Eindämmung von Kfz-Unfällen in und außer Dienst. Hierdurch werden den Vorgesetzten Anregungen gegeben, um auf dem Gebiet der Verkehrsunfallverhütung tätig werden zu können.
Zur Verringerung der Belastung auf Straße und Schiene während der Verkehrsspitzen und aus Fürsorgegründen kann, soweit es die Erfordernisse des Bereitschaftsdienstes und der Ausbildung zulassen, am Freitag bereits zwischen 14.30 und 17.00 Uhr Dienstschluß befohlen werden.
Ferner erwähne ich die kostenlose Familienheimfahrten mit der Bundesbahn, auf die jeder wehrpflichtige Soldat einmal im Monat Anspruch hat, und die Tatsache, daß für weitere Fahrten mit der Deutschen Bundesbahn nur der halbe Fahrpreis zu entrichten ist.
Daneben wurden Maßnahmen getroffen, die die Soldaten zum verkehrsgerechten Verhalten erziehen sollen.
Im übrigen muß es dem Soldaten selbst überlassen bleiben, ob und wann er sein privates Fahrzeug in seiner Freizeit benutzt. Hier einzugreifen ist weder beabsichtigt noch ohne Gesetzesänderung möglich.
Herr Kollege, bitte, eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, indem ich Sie darauf hinweise, daß meine Information aus der Zeitschrift „Bundeswehr aktuell" stammt und in dieser Zeitschrift ständig von schweren Verkehrsunfällen die Rede ist, möchte ich Sie fragen, ob Sie noch einmal überprüfen könnten, ob es sich bei der Bundeswehr nicht doch um überdurchschnittlich viele Unfälle mit tödlichem Ausgang handelt, die über das Wochenende geschehen. Wenn dies der Fall sein sollte, glaube ich, daß es notwendig ist, dieses Problem erneut aufzugreifen und in den Kasernen, den Garnisonen aufklärend zu wirken, um eine Verminderung dieser Unfallzahlen zu erreichen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Sauter, die Aufmerksamkeit ist schon aus der Tragik dieser Unfälle heraus ungebrochen. Wir beobachten das und regen auch immer wieder an, Soldaten besonders auf die Notwendigkeit der Unfallverhütung hinzuweisen. Es ist aber eine Tatsache, daß die Unfälle nicht überwiegend zum Wochenende, also auf Wochenendheimfahrten passieren, sondern vor allen Dingen während des Nachturlaubs und der Freizeit im Standort.
Die nächste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich frage noch einmal konkret: Ist es möglich, das in Ihrem Hause zu überprüfen und mir dann eine schriftliche Antwort auf die Fragen zu geben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dazu sind wir gern bereit.
Die Frage 54 des Abgeordneten Dr. Zeitel wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 55 des Abgeordneten Hansen wird schriftlich beantwortet, da der Fragesteller nicht im Saal ist. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 56 des Abgeordneten Reiser auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung kritische Anmerkungen zum staatsbürgerlichen Unterricht in der Bundeswehr, wie sie unter der Überschrift „Schwachstellen der politischen Bildung" in Ausgabe Nr. 1/75 der „Information für die Truppe" gemacht werden, wonach in vielen Einheiten nur Mannschaften am Unterricht teilnehmen, in manchen Dienststellen es überhaupt keinen Unterricht gibt und in anderen Einheiten nur 10 bis 15 Mann daran teilnehmen, während die übrigen „unabkömmlich" seien?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Reiser, die Bundesregierung nimmt die kritischen Anmerkungen, die unter der Überschrift „Schwachstellen der politischen Bildung" in Heft 1/1975 der „Information
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975 11309
Parl. Staatssekretär Schmidtfür die Truppe" veröffentlicht worden sind, ernst. Sie sieht in den Hinweisen, daß bisweilen nur Mannschaften an den Unterrichten teilnehmen, in manchen Dienststellen — im Gegensatz zu den Einheiten — überhaupt kein Unterricht stattfindet und in manchen Einheiten nur eine begrenzte Zahl — 10 bis 15 Soldaten sind dabei ein Extremwert — teilnimmt, Mängel, die dringend abgestellt werden müssen.Die Bundesregierung ist allerdings der Meinung, daß die Erfahrungsbasis des Autors — er stützt sich auf die Aussagen von zirka 230 Unteroffizieren der Bundeswehr — zu schmal ist, um eine Generalisierung vornehmen zu können. Der Autor betont im übrigen, daß nicht alle von ihm aufgezeigten Mängel jeweils zusammen registriert wurden; vielmehr traten sie meist nur einzeln in Erscheinung. Insofern ist das Bild „schwärzer" als die Wirklichkeit.Eine allgemeine Aussage über die politische Bildung in der Bundeswehr wird erst möglich sein, wenn die Ergebnisse einer vom Bundesministerium der Verteidigung angeordneten Wirkungsanalyse vorliegen. Das wird jedoch erst gegen Ende 1977 der Fall sein, da Wehrpflichtige in mehr als einjährigem Abstand — zu Beginn und am Ende der Dienstzeit — befragt werden müssen.Inzwischen läuft ein umfangreiches Programm der Verbesserungen politischer Bildung. Die in der „Information für die Truppe", immerhin einem offiziellen Organ des Führungsstabes der Streitkräfte, aufgezeigten „Schwachstellen" sind ebenso Teil dieses Programms wie die Lehrgänge an der Schule der Bundeswehr für Innere Führung, auf denen der Autor seine Erkenntnisse gewonnen hat.Die Veröffentlichung des Artikels hatte ein doppeltes Ziel: erstens sollte die Wichtigkeit politischer Bildung gerade durch die kritische Betrachtung der Praxis unterstrichen werden, zweitens sollte die Kritik des Autors Widerspruch provozieren, damit die Diskussion beleben und Hinweise auf praktische Erfahrungen der Truppe bringen.All dies zeigt, daß die Bundesregierung politischer Bildung einen hohen Stellenwert zuerkennt. Ob allerdings die idealen Forderungen der Zentralen Dienstvorschrift 12/1 in der Bundeswehr voll erfüllt werden können, steht dahin.Es mag — das lassen Sie mich abschließend sagen — allerdings auch gestattet sein, zu fragen, ob die Ziele politischer Bildung in der Arbeit der Schulen, der Parteien, der Gewerkschaften, der Kirchen in dem gewollten Umfang erreicht werden. In diesem Zusammenhang sind die Schlußsätze des hier zur Debatte stehenden Artikels zu sehen: „Wir müssen Schritte in Richtung Idealziel tun. Nichts tun und klagen ist zu wenig!"
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da es sich immerhin um einen Major der Schule der Bundeswehr für Innere Führung handelt, der hier als Autor genannt wird, frage ich, wie Sie denn eine andere kritische Anmerkung von ihm beurteilen: „Politische Bildung hat einen geringen Stellenwert in der Bundeswehr. Ihr wird kaum Bedeutung zugemessen. Wenn der Dienstplan unvorhergesehen geändert wird, ist es meist der staatsbürgerliche Unterricht, der ausfällt." Würden Sie das bestätigen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, das kann ich aus meiner eigenen Ansicht heraus, die ich auch bei vielen Truppenbesuchen gewonnen habe, nicht bestätigen. Hier ist von zirka 230 Unteroffizieren die Meinung an der Schule für Innere Führung erfragt worden, und es mag sein, daß in vielen Fällen das, was er sagt, stimmt, aber man kann es nicht generalisieren. Der Stellenwert der politischen Auseinandersetzung, also der politischen Bildung, ist durchaus hoch anzusetzen, wobei wir wissen — das sage ich betont —, daß nicht überall schon das erreicht ist, was wir wollen. Aber wir sind auf dem besten Wege, Herr Kollege.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie denn eine Bemerkung, die vor einigen Wochen der Befehlshaber des Territorialkommandos Schleswig-Holstein, Konteradmiral Wolfgang Benzino, gemacht hat: „Abstinenz von politischem Interesse müßte sogar, insbesondere Vorgesetzten, als eine zu kritisierende Unterlassung angerechnet werden"?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich muß folgendes noch einmal wiederholen. Wir sollten weder hier im Hause noch draußen generalisieren und verallgemeinern. Das ist zu breit angesetzt. Es kann natürlich hier und, da so sein, genauso wie wir z. B. in der privaten Wirtschaft oder in der Schule nicht alles über einen Leisten schlagen können. Wir streben das auch von Ihnen gewünschte Ziel an. Auf diesem Wege, glauben wir, tun wir alles, was notwendig ist.
Ich rufe die Frage Nr. 57 des Herrn Abgeordneten Ey auf, der schon gewartet hat:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch die gegenwärtig herrschende Arbeitslosigkeit die längerdienenden Soldaten der Bundeswehr besonders benachteiligt sind, indem diese keinen gesicherten Anspruch auf Rückkehr an ihren vormaligen Arbeitsplatz haben, und was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu unternehmen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Ey, es trifft zu, daß das Arbeitsplatzschutzgesetz nur Wehrpflichtigen, nicht auch Zeitsoldaten den früheren Arbeitsplatz sichert. Die Bundesregierung kann hierin keine besondere Benachteiligung der Zeitsoldaten sehen. Für denjenigen nämlich, der freiwillig den Beruf des Soldaten auf Zeit wählt, gilt das Soldatenversor-
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11310 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975
Parl. Staatssekretär Schmidtgungsgesetz. Dieses bildet die Grundlage für eine Reihe von Maßnahmen, die auch Soldaten mit nur zweijähriger Verpflichtungszeit zugute kommen. Diese Maßnahmen werden noch während des Dienstverhältnisses, wenn auch außerhalb der Dienstzeit angeboten und haben das Ziel, die Eingliederung dieses Personenkreises in das zivile Erwerbsleben zu erleichtern und zu sichern. Hierzu zählen z. B. Arbeitsgemeinschaften, Fachkurse und Fernunterricht während der Dienstzeit, die den Zeitsoldaten auf Kosten des Bundes zur Aktualisierung ihres beruflichen Wissens und unter Umständen auch für eine berufliche Neuorientierung angeboten werden.Von Bedeutung ist hier auch, daß der Zeitsoldat wegen seines besonderen Status während seiner Dienstzeit Dienstbezüge und nicht, wie der Wehrpflichtige, Wehrsold erhält. Außerdem wird ihm am Ende der Dienstzeit eine finanzielle Übergangsbeihilfe gezahlt, die bei Soldaten mit zweijähriger Verpflichtungszeit das 3fache der Dienstbezüge des letzten Monats beträgt. Schließlich erhält der Arbeitgeber, der einen ehemaligen Soldaten auf Zeit beschäftigt, unter bestimmten Voraussetzungen vom Bund einen Einarbeitungszuschuß.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ey.
Herr Staatssekretär, wie hoch ist die Zahl der gegenwärtig zur Entlassung anstehenden Zeitsoldaten, und mit wie vielen Arbeitslosenfällen ist zu rechnen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Verehrter Herr Kollege, das kann ich beim besten Willen aus dem Handgelenk heraus nicht sagen. Hätten Sie es in Ihre Frage eingearbeitet, dann hätten wir das natürlich feststellen lassen müssen; denn das müßte erst festgestellt werden. Ich bin kein Wahrsager und kann auch keine Prophezeiung machen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Sind für solche Arbeitslosenfälle besondere Übergangshilfen für Zeitsoldaten vorgesehen oder geplant?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es sind allgemeine Übergangsbeihilfen, die ich eben angezogen habe, von jedem in Anspruch zu nehmen. Es ist zur Zeit nicht geplant, eine besondere Maßnahme in dieser Richtung durchzuführen.
Meine Damen und Herren, ich danke dem Herrn Staatssekretär. Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Bevor ich den nächsten Punkt der Tagesordnung aufrufe, möchte ich Gelegenheit nehmen, noch einige Kollegen des Hauses zu ihrem Geburtstag nachträglich zu beglückwünschen.
Am 25. März hat Herr Abgeordneter Dr. Gradl seinen 71. Geburtstag gefeiert. Ich darf ihm im Namen des Hauses alles Gute wünschen.
Am 27. März hat Herr Abgeordneter Blumenfeld seinen 60. Geburtstag gefeiert, am 2. April Herr Abgeordneter Dr. Schulz seinen 60. Geburtstag, am 6. April Herr Abgeordneter Dr. h. c. Kiesinger seinen 71. Geburtstag und am 6. April 1975 Herr Abgeordneter Dr. Schäfer (Tübingen) seinen 60. Geburtstag. Allen Kollegen gelten die besten Grüße und Wünsche des Hauses.
Erlauben Sie mir noch eine persönliche Bernerkung: Unser langjähriger Kollege Berkhan, der vor wenigen Tagen von uns zum Wehrbeauftragten gewählt wurde, hat gestern sein 60. Lebensjahr vollendet. Ich schließe ihn in unsere Glückwünsche ein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie wissen, daß nach der vorhin interfraktionell beschlossenen Ergänzung der Tagesordnung jetzt die
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung über die humanitären Anstrengungen der Bundesrepublik Deutschland für Vietnam
erfolgt. Das Wort hat der Herr Bundesaußenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit großer Anteilnahme und tiefer innerer Bewegung verfolgen die Menschen in unserem Land die unsagbare Tragödie, die sich vor unseren Augen in Südvietnam abspielt. Eigenes Erleben in der jüngsten Geschichte läßt unser Volk in besonderer Weise Flüchtlingsnot und -elend mitempfinden. An dieser Stelle danke ich nicht nur den karitativen Organisationen und ihren Mitarbeitern, sondern allen Mitbürgern, die mit großer Opferbereitschaft den Aufrufen zur Hilfe Folge leisten.Für die Bundesregierung ist die Lage in Vietnam Anlaß, dem Deutschen Bundestag über die bisher geleisteten Hilfsmaßnahmen und über die künftigen Absichten zu berichten. Wir sind uns dabei der Tatsache bewußt, daß alle humanitären Maßnahmen vorhandenes Leid nur mildern, aber nicht beseitigen können. Zugleich ist die vietnamesische Tragödie Anlaß für die Bundesregierung, darzustellen, was notwendig ist, um unserem Volk und den Völkern Europas ein gleiches Schicksal zu ersparen.Die Bundesrepublik Deutschland leistet seit den 60er .Jahren humanitäre Hilfe in Vietnam. Allein in den Jahren 1973/74 wurden bilateral 20,2 Millionen DM aufgewendet. Ein weiterer Betrag in Höhe von 10 Millionen DM wurde im Dezember 1974 an das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF gegeben. Für 1975 hat die Bundesregierung zunächst 1,9 Millionen DM für das deutsch-vietnamesische Krankenhaus in Da Nang und 3 Millionen DM für humanitäre Hilfe in Vietnam, Kambodscha und Laos zur
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975 11311
Bundesminister GenscherVerfügung gestellt. In seiner Sitzung am 26. März hat das Bundeskabinett eine Aufstockung der Vietnam-Hilfe um 10 Millionen DM gebilligt. Dieser Betrag, der inzwischen weitgehend verplant und zum Teil auch schon ausgegeben worden ist, wurde heute um zunächst weitere 10 Millionen DM erhöht. 3 Millionen DM wurden für die Lieferung hochwertiger Nahrungsmittel, Medikamente und Zelte zur Unterbringung von Flüchtlingen vorgesehen. Die erforderlichen Güter werden auf dem Luftwege nach Saigon gebracht. Die deutsche Botschaft in Saigon hat 2 Millionen DM zur Verfügung, um am Ort vorhandene Hilfsgüter einzukaufen und den Betroffenen zur .Verfügung zu stellen. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes hat zur Linderung der Notlage in Vietnam ein Hilfsprogramm aufgestellt, für das zunächst 5 Millionen Schweizer Franken vorgesehen sind. Dazu trägt die Bundesregierung mit 2 Millionen DM bei. Für ein Hilfsprogramm des UN-Flüchtlingskommissars des Kinderhilfswerks wird die Bundesregierung außerdem einen Beitrag von 1 Million DM leisten. Außerdem ist die Europäische Kommission dabei, die Möglichkeiten einer Nahrungsmittelhilfe aus ihren Beständen zu prüfen.Insgesamt ist zu bemerken, daß das Hauptproblem bei allen Hilfsmaßnahmen für uns wie auch für die anderen helfenden Länder vor allem darin besteht, unter den gegebenen Umständen die nach Vietnam transportierten oder auch am Ort beschafften Hilfsmittel auch wirklich an die notleidenden Menschen heranzubringen. Hier sind unseren Hilfsmöglichkeiten praktische Grenzen gesetzt. Die Bereitstellung finanzieller Mittel durch die Bundesregierung orientiert sich an diesen Möglichkeiten. Zusätzliche Mittel werden immer dann bereitgestellt, wenn neben der Notwendigkeit der Hilfe auch ihre Effektivität gewährleistet erscheint.Schon jetzt kann festgestellt werden, daß die Bundesrepublik Deutschland nach den Vereinigten Staaten die größten Hilfsanstrengungen für Vietnam unternimmt.Ein am 2. April 1975 eingesetzter interministerieller Koordinierungsausschuß hat in seiner ersten Sitzung am selben Tage über die notwendigen humanitären Maßnahmen beraten und die laufenden Maßnahmen koordiniert. Er hat den Auftrag, außerdem Vorstellungen für mittelfristige Hilfsmaßnahmen, die über die Linderung akuter Not hinausgehen, insbesondere für die Frage einer möglichen Hilfe nach einer Waffenruhe zu erarbeiten. Die Bundesregierung hat die Absicht, die laufenden und zukünftigen Maßnahmen in enger Abstimmung mit dem Deutschen Bundestag durchzuführen. Sie wird deshalb den Unterausschuß für humanitäre Hilfe wie bisher auch in Zukunft laufend unterrichten. Sie ist darüber hinaus bereit, auch anderen Ausschüssen zu berichten, wenn es gewünscht wird. Unabhängig von den bisher ergriffenen und vorgesehenen eigenen Hilfeleistungen bemüht sich die Bundesregierung, eine Gemeinschaftshilfe der Staaten der Europäischen Gemeinschaft zustande zu bringen. Sie hat eine solche Gemeinschaftshilfe beim Treffen der Asienexperten im Rahmen der europäischen politischen Zusammenarbeit in Dublin am 4. April 1975 angeregt, dafür aber noch nicht die Zustimmung aller Mitgliedstaaten gewinnen können. Unsere Anregung wird deshalb in der heutigen Sitzung des Politischen Komitees in Dublin weiter verfolgt. Ich habe außerdem den irischen Außenminister darüber unterrichtet, daß ich beabsichtige, diese ebenso wichtige wie dringliche Frage bei dem Treffen der Außenminister der Europäischen Gemeinschaft am kommenden Wochenende zu behandeln. Die Bundesregierung ist auch bemüht, ein Sonderprogramm der Nahrungsmittelhilfe der Europäischen Gemeinschaft vergleichbar der Sahel-Hilfe zustande zu bringen.Neben den geschilderten Maßnahmen hält sich die Bundesrepublik Deutschland immer bereit, auch in anderer Weise helfend einzuspringen, wenn es aus der aktuellen Situation heraus notwendig ist. So wurden am Ostersonntag zwei deutsche Frachtschiffe in die Gewässer vor Vietnam umgeleitet in dem Bestreben, bei dem Abtransport von Flüchtlingen aus einzelnen Hafenstädten zu helfen. Die Schiffe sind wegen der sich überstürzenden militärischen Entwicklung nicht mehr zum Einsatz gekommen. Sie haben ihre Weiterreise erst in dem Zeitpunkt angetreten, in dem für die noch vorhandenen Bedürfnisse ausreichend Transportraum zur Verfügung stand.Die Sorge der Bundesregierung galt und gilt der Sicherheit Deutscher in gefährdeten Gebieten. Den rechtzeitig getroffenen Vorsorgemaßnahmen ist es zu verdanken, daß alle Deutschen einschließlich der Familienangehörigen des Botschaftspersonals aus dem Kriegsgebiet rechtzeitig evakuiert werden konnten sowie allen ausreisewilligen Deutschen die Möglichkeit gegeben werden konnte, den Rückflug mit einer von der Bundesregierung entsandten Sondermaschine anzutreten. Es befinden sich zur Zeit noch einige Deutsche in Saigon, die von den angebotenen Flugmöglichkeiten keinen Gebrauch gemacht haben, jedoch noch in der Lage sind, Saigon jederzeit mit den regulären Linienmaschinen zu verlassen. Außerdem verrichten die Mitarbeiter unserer Botschaft weiter ihren Dienst in Saigon.Bei den Flügen mit der schon erwähnten Sondermaschine sind auch Angehörige anderer Staaten evakuiert worden. Ich benutze die Gelegenheit dieses Berichts, um dem Eindruck entgegenzutreten, als seien amerikanischen Staatsangehörigen freie Plätze in der Maschine vorenthalten worden. Richtig ist vielmehr, daß die Sondermaschine keine Angehörigen befreundeter Nationen, denen ein Platz in der Maschine zugesagt war, in Saigon zurückgelassen hat. Alle angemeldeten Passagiere, die zum vorgesehenen Zeitpunkt des Starts ihre Ausreiseformalitäten erledigt hatten und somit an Bord gehen konnten, wurden von der Maschine mitgenommen. Die Sondermaschine ist zuerst am 4. April 1975 mit 84 Passagieren bei Einbruch der Dunkelheit aus Sicherheitsgründen nach Bangkok geflogen und hat sodann die übrigen Fluggäste am 5. April 1975 in Saigon abgeholt. Da an diesem Tage vorübergehend die Sicherheitslage auf dem Flughafen zweifelhaft war und insbesondere auch
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Bundesminister Genscherim Hinblick auf die Sperrstunden Nachtflüge aus Saigon nicht möglich sind, mußte vor Sonnenuntergang mit weiteren 52 Passagieren gestartet werden. Ich wiederhole nochmals, alle zu diesem Zeitpunkt reisebereiten und reisewilligen Passagiere befreundeter Nationen waren an Bord. Die Amerikaner haben uns im übrigen ausdrücklich bestätigt, für den Abflug ihrer Staatsangehörigen ausreichende Transportkapazität zur Verfügung zu haben.Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Bundesregierung wird auch in Zukunft alles unternehmen, um durch direkte Hilfeleistung in Vietnam, durch Unterstützung internationaler Organisationen und durch eine Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft ihren Beitrag zur Linderung der Not der Menschen in Vietnam zu leisten.Die vietnamesische Tragödie verdüstert eine ohnehin schon dunkle weltpolitische Lage noch mehr. Eines müssen wir sehen: Wir leben immer noch in einer Welt, in der Krieg und Bürgerkrieg als Mittel der Konfliktlösung nicht unmöglich sind. Der große globale Konflikt konnte vermieden werden. Das sollten diejenigen bedenken, die jetzt voreilig das außenpolitische Konzept der Vereinigten Staaten für gescheitert erklären. Auf der anderen Seite müssen wir feststellen, daß sich an verschiedenen Stellen Konfliktsituationen gewaltsam entladen. Daß sich dafür der Begriff des begrenzten Konflikts herausgebildet hat, darf uns nicht den klaren Blick für die Brutalität trüben, mit der diese Konflikte ausgetragen werden.
Das heißt, die Zonen der Gewaltanwendung konnten begrenzt werden, in diesen Zonen aber ist das Elend der Menschen so unbegrenzt, wie wir es in Europa zuletzt vor 30 Jahren erlebt haben. Unsere Politik darf sich dabei nicht in den Zynismus flüchten, viele kleine Konflikte seien besser als ein großer, sondern sie muß unbeirrt und mit großer Konsequenz an der Beseitigung der Konfliktursachen auch des sogenannten begrenzten Konflikts mitwirken, wo immer und wie immer das möglich ist. Das gilt in besonderer Weise für unsere Bemühungen, mit denen wir zusammen mit unseren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft zu einer Lösung des Nahost-Konflikts beitragen wollen.Die Bundesregierung sieht sich gerade durch die Ereignisse in Vietnam in ihrer Außen- und Sicherheitspolitik bestätigt. Grundlage unserer Sicherheit ist und bleibt das Verteidigungsbündnis, dem wir angehören. Der Existenz dieses Bündnisses haben wir es ganz wesentlich zu verdanken, daß auf unserem Kontinent der Frieden seit langem gewahrt werden konnte. An diese friedensichernde Funktion gilt es zu erinnern angesichts der bedrohlichen Entwicklungen in anderen Teilen der Welt, aber auch angesichts immer wieder aufkommender Kritik auch im eigenen Lande an der Existenz und der Aufgabe dieses Bündnisses.
Die Bundesregierung ist entschlossen, alles zu tun,um die Handlungsfähigkeit dieses Bündnisses nichtnur zu erhalten, sondern zu stärken. Ich denke dabei an unsere Bemühungen um einen Abbau der Meinungsverschiedenheiten zwischen unseren griechischen und unseren türkischen Verbündeten ebenso wie an unser Bemühen, Portugal den Weg zur Europäischen Gemeinschaft, zu ihren Zielen und zu ihren Idealen zu ebnen. Die Beschlüsse, die die Bundesregierung zu dieser Frage heute gefaßt hat, haben auch im Blick auf das Verteidigungsbündnis ihr Gewicht.Von besonderer Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des Bündnisses ist das enge und vertrauensvolle Verhältnis zu unserem Hauptverbündeten, den Vereinigten Staaten. Mit Entschiedenheit tritt die Bundesregierung antiamerikanischer Agitation und Polemik entgegen,
einer Agitation, die mit neuen Formeln und alten Zielen gegen dieses vertrauensvolle Verhältnis und gegen die Wahrnehmung weltpolitischer Verantwortung durch die Vereinigten Staaten gerichtet ist. Unsere Absage richtet sich aber auch an die Adresse derjenigen, die die Pariser Vereinbarungen vom Jahre 1973 zwar begrüßten, nun aber Vorwürfe aus einer anderen Richtung gegen die Vereinigten Staaten erheben.
Wohl aber sollte die Entwicklung in Vietnam bei manchem den Blick dafür geschärft haben, daß der Wert von Vereinbarungen allein vom Willen aller Beteiligten bestimmt wird, diese Vereinbarungen auch einzuhalten, sie nach Buchstaben und Geist zu erfüllen.
Der amerikanische Außenminister hatte recht, als er bei seinem letzten Besuch in der Bundesrepublik Deutschland feststellte, daß unsere Beziehungen nie besser waren als jetzt. Das Vertrauensverhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten ist unverändert vorhanden, und wir werden niemandem erlauben, dieses Vertrauensverhältnis zu gefährden.Die Handlungsfähigkeit des Bündnisses setzt auch voraus, daß wir unsere Verteidigungsanstrengungen unverändert fortsetzen. Das gilt für die Verteidigungsfähigkeit ebenso wie für den Verteidigungswillen. Auf diese Konsequenz hat der Bundesminister der Verteidigung in seinem Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zum richtigen Zeitpunkt und zu Recht hingewiesen.
Wenn ich vom Verteidigungswillen spreche, so meine ich damit auch das klare Bekenntnis zur Bundeswehr und zum Dienst in der Bundeswehr.
Ich denke, meine Damen und Herren, wir alle sind uns auch bewußt, welche Bedeutung eine freiheitliche Staats- und Gesellschaftsordnung für die Stabilität unseres Landes und für seine Verteidigungsfähigkeit hat.Bundesminister GenscherDas zweite Element unserer Politik der Friedenssicherung ist die europäische Einigung, die wir mit allem Nachdruck in allen Bereichen vorantreiben. Diese europäische Einigung ist notwendig, weil wir die Herausforderungen der Zeit nur gemeinsam bestehen können, weil wir nur gemeinsam die Europa zukommende Rolle einnehmen können und weil wir wissen, daß der europäische Einigungsprozeß schon jetzt die Konflikte der Vergangenheit unter den beteiligten Staaten unwiederholbar gemacht hat.Auf den gesicherten Fundamenten des atlantischen Bündnisses und der Europäischen Gemeinschaft setzt die Bundesregierung konsequent ihre Politik des Ausgleichs und der Entspannung mit den Staaten Osteuropas fort, eine Entspannungspolitik, die über die politischen und gesellschaftlichen Systeme hinweg die Aufgabe hat, Konfliktursachen abzubauen und das Entstehen von Konflikten zu vermeiden, die die Aufgabe hat, Mißtrauen abzubauen und schrittweise Vertrauen zu schaffen als Voraussetzung einer auf Dauer angelegten Kooperation an Stelle von Konfrontation. Die Bundesregierung sieht auch in diesem Zusammenhang die Funktion der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und ihre Mitwirkung an dieser Konferenz. Ich bekräftige noch einmal die Auffassung der Bundesregierung, daß die Interessenlagen und die Rahmenbedingungen für die Entspannungspolitik in Europa unverändert fortbestehen.Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Bundesregierung wird ihre Politik der Friedenssicherung konsequent fortsetzen. Sie ist sich dabei bewußt, daß auf keines der drei Elemente — weder auf unsere Verteidigungsanstrengungen noch auf die europäische Einigung noch auf die Politik des Ausgleichs und der Entspannung gegenüber Osteuropa — verzichtet werden kann.
Wir treten nunmehr in die Aussprache ein.
Das Wort hat Herr Professor Carstens. Die Fraktion der CDU/CSU hat eine Redezeit von 30 Minuten angemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Welt ist in den letzten Wochen — der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat das zu Recht ausgeführt — Zeuge einer schrecklichen menschlichen Tragödie geworden. Millionen von Vietnamesen begaben sich auf die Flucht, sie verließen ihre Heimat und wanderten einem ungewissen, schweren Schicksal entgegen. Tausende von ihnen, darunter viele Frauen und Kinder, starben, viele davon unter dem Feuer der kommunistischen Waffen, die auch gegen die Flüchtlingsströme eingesetzt wurden.Es wird kaum ein Volk auf der Welt geben, welches diese Vorgänge mit einer solchen inneren Anteilnahme verfolgt hat und verfolgt wie das deutsche Volk. Erinnern wir uns doch alle daran, daß vor 30 Jahren Millionen von Deutschen, vertrieben aus ihrer Heimat, auf der Flucht in eine ungewisse Zukunft waren und daß viele von ihnen unter den Waffen des Gegners durch Hunger und Erfrierungen ihr Leben lassen mußten. Deswegen ist der Ruf nach Hilfe für die leidenden Menschen in Vietnam in der Bundesrepublik Deutschland so weithin hörbar, deswegen setzen sich nicht nur die karitativen Organisationen, sondern viele andere mit ihnen für eine schnelle und wirksame Hilfsaktion ein. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich die Junge Union und den RCDS nennen, die durch konkrete Maßnahmen praktische und tatkräftige Hilfe für die Opfer der Vertreibung in Vietnam leisten.
Über die Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung hat der Bundesminister des Auswärtigen berichtet. Die CDU/CSU-Fraktion hat davon mit Befriedigung Kenntnis genommen. Das schließt aber nicht aus — das möchte ich ausdrücklich hinzufügen —, daß wir gemeinsam — Bundesregierung und Bundestag — darüber beraten sollten, was auf diesem Gebiet noch mehr und noch schneller geschehen kann.
Leider gibt es aber nun auch ganz andere Stimmen. Die Bundesvorsitzende der Jungsozialisten hielt es für richtig, die Massenflucht in Vietnam zu benutzen, um gegen die südvietnamesische Regierung zu polemisieren und der kommunistischen Seite den möglichst schnellen und vollständigen Sieg zu wünschen.
Ihre Ausführungen stimmen wieder einmal mit Erklärungen der Ostberliner Presse und der SED überein.Andere, die sich in zurückliegenden Jahren lauthals zu entrüsten pflegten, wenn in den Kämpfen in Vietnam durch die Waffeneinwirkung der Südvietnamesen und der Amerikaner Menschen ums Leben kamen, schwiegen und schweigen angesichts der Tragödie, die wir jetzt erleben. Ein beklagenswerter Verfall moralischer und politischer Grundwertvorstellungen hat dazu geführt, daß Mitleid nur den Opfern des jeweiligen politischen Gegners entgegengebracht wird, während man über die Greueltaten der anderen Seite mit Stillschweigen hinweggeht. Ich meine, daß wir dann, wenn wir für die Menschen, ihre Rechte, ihre körperliche Unversehrtheit eintreten — und wir alle sollen und müssen dies tun —, diesen Grundsatz anwenden müssen, ganz einerlei wo und ganz einerlei durch wen Menschen in ihren elementaren Rechten und an Leben und Gesundheit gewaltsam verletzt werden.
Aber die Ereignisse in Vietnam haben nicht nur eine humanitäre Seite. Sie haben weitreichende politische Folgen, die sich in allen Teilen der Welt bemerkbar machen. Der Angriff der nordvietnamesischen und der Vietcong-Streitkräfte stellt eine klare Verletzung der Pariser Vereinbarungen von 1973 über die Beendigung der Kampfhandlungen in
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Vietnam dar. Der Zusammenbruch der südvietnamesischen Stellungen bedeutet überdies einen nicht zu übersehenden Rückschlag für die Politik der Vereinigten Staaten von Amerika in diesem Teil der Welt, und er bedeutet andererseits eine Verstärkung des Einflusses der Sowjetunion in Südostasien.Die Rückwirkungen auf die Vereinigten Staaten von Amerika selbst sind noch nicht zu übersehen. Aber sicher läßt sich schon jetzt erkennen, daß viele Amerikaner — und niemand wird ihnen das verdenken können — bedrückt sind über die Tatsache, daß eine jahrelange große Anstrengung der Vereinigten Staaten, die das Leben von 50 000 amerikanischen Soldaten gefordert hat, in einem so schweren Fehlschlag endet.Es ist gesagt worden, daß wir, die Bundesrepublik Deutschland, in dieser Lage an der Seite der Vereinigten Staaten stehen müssen. Ich unterstreiche diesen Gedanken. Aber ich wende mich zugleich gegen diejenigen, die auch diese Gelegenheit wieder benutzen, um den Vereinigten Staaten von Amerika etwas am Zeuge zu flicken, Sie der Unzuverlässigkeit zu bezichtigen und den Eindruck zu erwecken suchen, als ob auf die Zusagen der Amerikaner kein Verlaß wäre.
Der Außenminister hat das auch gesagt. Ich nehme an, daß er sich damit an die Adresse eines Teiles seiner eigenen Parteifreunde und eines Teiles der Parteifreunde seines Koalitionspartners gewandt hat.
Denn diejenigen, die jetzt diese Kritik an den Vereinigten Staaten von Amerika üben, sind zu einem großen Teil dieselben, die vor einigen Jahren pausenlos in massiver Form die Amerikaner angegriffen haben, weil sie in Vietnam intervenierten und weil sie sich im Kampf zwischen Nordvietnam und Südvietnam engagierten.Über die Folgerungen, die aus der neuen Lage für die Politik der friedlichen Koexistenz und der Entspannung zu ziehen sind, hat sich vor einigen Tagen der Bundesverteidigungsminister, Herr Leber, geäußert. Er spricht davon, daß die sogenannte Koexistenz — so sagt er wörtlich — zwischen Kommunismus und freiheitlicher Lebensart für die expansive Ideologie des Kommunismus nur so lange existiere, wie die Pluralität der Lebensauffassungen nicht überwindbar sei. Wenn die Überwindung der westlichen Lebensart unterhalb der Schwelle von Waffengebrauch möglich sei, werde das überall in der Welt auch künftig ohne Waffen versucht werden. Wenn es ohne Risiko möglich sei und für opportun gehalten werde, werde nicht gezögert und werde auch künftig nicht gezögert werden, der Ausbreitung der Ideologie auch mit Schwert und Feuer den Weg zu bereiten. Soweit das Zitat des Bundesverteidigungsministers.In ihm ist eine ernste und sicherlich eine bedenkenswerte Warnung enthalten. Aber ich frage mich, an welche Adresse sich diese Warnung eigentlich richtet. Ist es nicht eine klare Absage an diejenigen in der Sozialdemokratischen Partei und in der FDP, die seit Jahren der Auffassung anhängen, man könne durch ihre Art von Entspannungspolitik zu einer dauerhaften Regelung, zu einer dauerhaften Sicherung des Friedens gelangen? Sind nicht die Worte des Verteidigungsministers eine schwere Kritik an der Politik von Brandt und von Bahr und anderen, die das deutsche Volk in die Illusion zu setzen versuchten, durch ihre Politik könnten die Konflikte aus der Welt geschafft und könnte der Frieden auf die Dauer gesichert werden? Es war daher auch nicht verwunderlich, daß sich, kaum daß sich der Verteidigungsminister geäußert hatte, Herr Brandt von ihm distanzierte und daß andere Sprecher der SPD über ihn herfielen und ihn in der massivsten Form angriffen.Meine Damen und Herren, dies ist nicht die Stunde einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der Politik der SPD. Aber ich muß an dieser Stelle doch darauf hinweisen, daß die Sozialdemokratische Partei Deutschlands in entscheidenden Lebensfragen unseres Volkes tief gespalten, in zwei in einem klaren Gegensatz zueinander stehende Flügel auseinandergerissen ist und daß der Bundeskanzler zu diesen Vorgängen schweigt. So können die Interessen der Bundesrepublik Deutschland in den Fragen der Sicherheits-, der Entspannungs- und der Ostpolitik nicht wirksam vertreten werden.
Um jeder möglichen Mißdeutung von vornherein die Grundlage zu entziehen, lassen Sie mich noch einmal wiederholen, was ich und andere Sprecher der CDU/CSU-Fraktion von dieser Stelle oft gesagt haben: Die CDU/CSU unterstützt und befürwortet Bemühungen um eine Verbesserung der Beziehungen mit den osteuropäischen Staaten und um politische Entspannung. Aber diese Entspannungspolitik muß einige wichtige Voraussetzungen erfüllen, von denen ich zwei hier nenne. Erstens muß die Entspannungspolitik in sich ausgewogen sein. Leistungen der westlichen Seite müssen entsprechende Gegenleistungen der östlichen Seite gegenüberstehen. Das gilt für den politischen ebenso wie für den militärischen Bereich. Entspannungspolitik darf nicht eine Einbahnstraße sein.
Die zweite Voraussetzung für Entspannungspolitik ist, daß wir ein realistisches Bild von den Absichten unserer östlichen Partner vor Augen haben und daß wir uns der Tatsachen, die dort im Laufe der Jahre geschaffen worden sind, bewußt werden. Tatsache ist, daß die Sowjetunion und die anderen Partnerstaaten des Warschauer Paktes in den letzten Jahren eine verstärkte Aufrüstung betrieben haben und daß sie ein erhebliches militärisches Potential aufgebaut haben. Der Oberbefehlshaber der NATO, General Haig, hat kürzlich Zahlen genannt, die jeden von uns nachdenklich stimmen sollten: 6 200 NATO-Panzern stehen 22 000 Warschauer-Pakt-Panzer gegenüber, und das Verhältnis der Truppenstärken ist 800 000 auf der Seite der NATO und 1 200 000 auf der Seite des Warschauer Paktes,
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Aber wir dürfen ebensowenig unsere Augen vor der Tatsache verschließen, daß Entspannungspolitik und Politik der friedlichen Koexistenz aus der Sicht der Sowjetunion mit einer Politik der weiteren Expansion des kommunistischen Einflußbereichs in Europa sehr wohl vereinbar ist,
ja, daß auf östlicher Seite der Ausbau der kommunistischen Positionen sogar das offene und erklärte Ziel dieser Entspannungspolitik darstellt.
Niemand hat dies deutlicher zum Ausdruck gebracht als der Generalsekretär der KPdSU, Herr Leonid Breschnew, als er auf der Konferenz der kommunistischen Parteien in Karlsbad im Jahre 1967, vor nunmehr acht Jahren, sagte, unter Verhältnissen internationaler Entspannung wandere der Zeiger des politischen Barometers nach links. Gewisse Veränderungen der Beziehungen zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten in gewissen Ländern, ein merklicher Rückgang antikommunistischer Hysterie und das Anwachsen des Einflusses westeuropäischer kommunistischer Parteien hingen eng mit dem Abbau der Spannungen in Europa zusammen. — Soweit das Zitat von Herrn Breschnew.Ich meine, es ist ein Gebot realistischer Einschätzung der politischen Lage, wenn wir darauf hinweisen, daß die sowjetische Regierung eine Art selektiver Entspannungspolitik betreibt, bei der sie überall dort, wo eine Möglichkeit für eine Ausweitung ihres Einflusses im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gegeben ist, für die Erhaltung des Status quo eintritt, aber überall dort, wo sich eine Möglichkeit zur Expansion bietet, von dieser Möglichkeit eindeutig Gebrauch macht. Ich glaube, wenn man die sowjetischen Verhandlungspositionen einerseits, die gleichzeitig hei der KSZE vertreten werden, mit der Unterstützung der Kommunistischen Partei Portugals durch die Sowjetunion andererseits vergleicht, dann wird ganz deutlich, was ich hier meine.Etwa gleichzeitig mit den Rückschlägen, die die Südvietnamesen und die Vereinigten Staaten von Amerika in Vietnam erlitten, scheiterte die letzte Friedensmission des amerikanischen Außenministers Kissinger im Nahen Osten. Es ist noch nicht an der Zeit, darüber zu sprechen, wer die Verantwortung für diesen Rückschlag trägt. Sicherlich sind die Konfliktstoffe zahlreich und die Meinungsverschiedenheiten schwerwiegend, und sicherlich ist es nicht leicht, in diesem Teil der Welt zu einer Lösung zu kommen. Entgegen den Befürchtungen mancher Beobachter ist glücklicherweise unmittelbar im Anschluß an das Scheitern der Friedensbemühungen von Herrn Kissinger keine dramatische Zuspitzung der Lage im Nahen Osten eingetreten. Die angekündigte Freigabe des Suezkanals durch den ägyptischen Staatspräsidenten Sadat mag vielleicht sogar ein hoffnungsvolles Zeichen für die Möglichkeit einer friedlichen Lösung sein. Aber niemand wird dem amerikanischen Außenminister widersprechen können, wenn er sagt, daß infolge des Scheiterns seiner Friedensmission die Gefahr einer erneuten militärischen Konfrontation im Nahen Osten wieder gewachsen sei.Hinzu kommt ein weiterer Gegenstand großer Sorge, nämlich die Entwicklung in einem mit der Bundesrepublik Deutschland bis jetzt verbündeten Land, und zwar in Portugal. Die anfänglichen Hoffnungen, daß dieses Land auf dem Weg zur Liberalität und Demokratie sei, haben sich bisher nicht erfüllt.
Eine Gewähr dafür, daß die für den 25. April vorgesehenen Wahlen freie Wahlen sein werden, besteht nicht. Man muß im Gegenteil feststellen, daß einer der Parteien, die sich an der Wahl beteiligen wollten, nämlich der Christlich-Demokratischen Partei Portugals, durch ein Dekret des Revolutionsrats die Teilnahme an der Wahl untersagt worden ist.Die portugiesische Szene ist weiter durch die Tatsache gekennzeichnet, daß sich die Kommunistische Partei Portugals als die bei weitem schlagkräftigste politische Organisation erweist, die bereits große Teile der öffentlichen Einrichtungen des Landes kontrolliert oder mitkontrolliert. Der Ausbau der Machtpositionen der kommunistischen Partei erfolgt so zielstrebig und planmäßig, daß sich viele Beobachter die besorgte Frage stellen, ob hier nicht der Versuch einer Machtübernahme vorbereitet wird, ungeachtet der Tatsache, daß die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Portugals das kommunistische System ablehnt. Aber wer erinnert sich nicht an Vorgänge in anderen Ländern, in denen trotz ähnlicher Mehrheitsverhältnisse ein kommunistischer Putsch unternommen wurde und erfolgreich war?Es ist auch nicht zu übersehen, daß die Kommunistische Partei Portugals eine massive Unterstützung von außen erhält. Aus amerikanischen Presseberichten geht hervor, daß die finanziellen Zuwendungen an die Kommunistische Partei Portugals von außen zwischen 40 und 100 Millionen Dollar pro Monat betragen.
Als Quelle dieser Geldmittel wird die Sowjetunion genannt.
Alle diese Ereignisse, von denen ich gesprochen habe, bedeuten in der weltweiten Auseinandersetzung, in der wir uns befinden, einen Rückschlag für die Position der Vereinigten Staaten von Amerika, einen Rückschlag weitgehend für die freie Welt insgesamt, und sie bedeuten umgekehrt eine Stärkung der Position und der Wirkungsmöglichkeiten der Sowjetunion. Ich sage das nicht im Ton der Resignation oder gar des Fatalismus. Ich glaube, die Vereinigten Staaten zu kennen; niemand sollte sich über die Vitalität dieses Landes täuschen, die trotz aller Rückschläge und trotz aller Schwierigkeiten nach meiner Überzeugung ungebrochen ist.Ich sage das alles, um deutlich zu machen, welche Folgerungen wir selbst — wir Deutschen, wir Europäer — aus dieser Lage ziehen müßten. Ich möchte die Schlußfolgerungen, die nach meiner Auffassung daraus zu ziehen sind, wie folgt zusammenfassen,
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Erstens. Wir sollten an die nordvietnamesische Regierung und an die Führung des Vietkong appellieren, der menschlichen Tragödie, die sich in Vietnam abspielt, ein Ende zu bereiten, die Menschenleben der Zivilisten zu schonen und die Menschenrechte, die überall auf der Welt Geltung haben, auch dort zu respektieren.
Zweitens. Wir sollten verstärkt, wo immer das möglich ist, für die Menschen in Vietnam praktische Hilfe leisten durch Geldzahlungen, durch Lebensmittelsendungen, durch Medikamente und schließlich auch, soweit dies in unseren Kräften steht, durch die Aufnahme von Flüchtlingen aus diesem Lande.Drittens. Wir sollten im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft sofort die Bildung eines Hilfsfonds für Vietnam fordern und die entsprechenden Beratungen mit den anderen Regierungen unverzüglich aufnehmen.Viertens. Wir sollten an die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland, an die Menschen in unserem Lande, appellieren, sich durch private Aktionen an der Hilfe für Vietnam zu beteiligen.
Ich möchte denen, die bereits praktische Hilfe geleistet haben, ausdrücklich herzlich dafür danken. Aber wir sollten an alle unsere Mitbürger appellieren, sich an dieser Hilfsaktion zu beteiligen.Fünftens. Gegenüber den Staaten im Nahen Osten sollten wir eindringlich zum Ausdruck bringen, daß die Probleme dieses Raumes nur auf friedlichem Wege gelöst werden können und daß die Ansätze zu einer Lösung, die durch die Vermittlungsaktion des amerikanischen Außenministers gefunden worden waren, weiterverfolgt werden sollten.Sechstens. Gegenüber der portugiesischen Regierung sollten wir uns mit Nachdruck dafür einsetzen, daß die bevorstehenden Wahlen am 25. April dieses Jahres als freie Wahlen im Sinne des freiheitlichen Demokratieverständnisses durchgeführt werden, daß alle Parteien, die sich um die Wählerstimmen bewerben, zugelassen werden und daß keine Partei durch Druck oder Drohung oder gar mit physischer Gewalt an der Wahrnehmung der elementaren Rechte einer politischen Partei im Wahlkampf gehindert wird.
Siebentens. Wir sollten unsere Besorgnis über die Verhaftungswelle zum Ausdruck bringen, die nach uns vorliegenden Berichten über das Land Portugal hereingebrochen ist. Es heißt, daß die Zahl der politischen Häftlinge heute wesentlich höher sei als zur Zeit des vorangegangenen Systems.
Hier gilt das, was ich vorhin gesagt habe: Wir sollten uns, wenn es sich um die Wahrung der Menschenrechte handelt, vor diejenigen stellen, deren Rechte verletzt werden, ganz gleich, in welchem Lande, und ganz gleich, durch welche politischen Gruppen dies geschieht.
Und alle freien demokratischen Parteien in Europa sollten sich solidarisch erklären und solidarisch verhalten mit den demokratischen Parteien in Portugal, um deren schwierige Lage zu erleichtern.Achtens. Wir sollten uns nach unseren Kräften für die Erhaltung des Atlantischen Bündnisses einsetzen. Wir sollten den Vereinigten Staaten sagen, daß wir bereit sind, unseren Anteil innerhalb des Bündnisses für die gemeinsame Verteidigung zu leisten, und wir sollten ihnen sagen, daß wir das Vertrauen haben, daß die Vereinigten Staaten von Amerika auch in Zukunft zu ihren Bündnisverpflichtungen stehen werden.
Das vorgeschlagene NATO-Gipfeltreffen in Brüssel im Mai dieses Jahres wird dann ein Mittel zur Stärkung des Bündnisses sein, wenn auf dieser Konferenz Sachentscheidungen getroffen werden, die dem Ernst der Lage gerecht werden.
Neuntens. Wir sollten die außerordentliche besorgniserregende Lage, in der sich die Welt zur Zeit befindet, dazu benutzen, um einen weiteren Schritt in Richtung auf einen engeren Zusammenschluß der europäischen Staaten zu tun. Niemals ist die Notwendigkeit einer europäischen Einigung deutlicher gewesen als in den großen Krisen der Nachkriegszeit. Ich erinnere an die Jahre 1956, 1958, 1962. Wir würden auch dadurch, daß wir einen deutlichen Beweis des europäischen Willens zur politischen Einigung geben, den stärksten Beitrag zur Festigung des Atlantischen Bündnisses leisten.
Zehntens. Wir sollten in dieser Lage insbesondere auch die im deutsch-französischen Freundschaftsvertrag von 1963 liegenden Möglichkeiten ausnutzen, um die deutsche und die französische Position soweit wie möglich zu koordinieren. Dies soll und darf niemals als ein Schritt unternommen werden, der sich gegen andere europäische Partner richtet oder von dem andere europäische Partner ausgeschlossen werden. Aber mir scheint, daß der deutsch-französische Vertrag, den Konrad Adenauer und Charles de Gaulle im Jahre 1963 miteinander abschlossen, gerade in der gegenwärtigen Lage, in der Europa sich befindet, erneut seine große, weittragende Bedeutung zeigt.
Die Lage in Europa ist alles andere als ermutigend. Noch steht nicht fest, ob sich Großbritannien für das Verbleiben in der Europäischen Gemeinschaft entscheiden wird. An der Südflanke Europas stehen wir nicht nur in Portugal einer ungewissen Entwicklung gegenüber, sondern auch der südöstliche Teil unseres Kontinents ist weit davon entfernt, zum Frieden und zu der Konsolidierung zurückgefunden zu haben, die die Voraussetzung für
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eine gedeihliche Fortentwicklung wäre. Ich spreche vor allem von den fortbestehenden Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland. In dieser Lage tragen nach meiner Überzeugung Frankreich und Deutschland eine besondere Verantwortung. Ihr Zusammengehen würde eine positive Entwicklung im europäischen Bereich erleichtern, ja, ermöglichen.
Im Hinblick auf die Genfer Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa muß ernsthaft die Frage gestellt werden, ob die dort formulierten Prinzipien des Gewaltverzichts und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eine tragfähige Grundlage für eine dauerhafte Entspannung in Europa bilden, wenn es richtig sein sollte, daß die Sowjetunion gleichzeitig in der geschilderten Weise in massiver Form in die innenpolitische Auseinandersetzung in Portugal eingreift. Was nützt es, so möchte ich fragen, wenn auf der für diesen Sommer ins Auge gefaßten gesamteuropäischen Gipfelkonferenz die Staats- und Regierungschefs aus Ost und West sich gegenseitig ihres Wohlverhaltens und ihrer wohlmeinenden Absichten versichern, aber gleichzeitig — falls sich das als richtig erweisen sollte die eine Seite dabei ist, an einer wichtigen Stelle die Verhältnisse in drastischer Form zu ihren Gunsten und zum Nachteil der anderen Seite, d. h. zum Nachteil der Prinzipien einer freiheitlichen, sozialen und rechtsstaatlichen Demokratie zu verändern?Meine Damen und Herren, wir stehen zur Zeit in Wahlkämpfen und in politischen Auseinandersetzungen um grundlegende Fragen der Innenpolitik in unserem Lande. Diese Auseinandersetzungen sind wichtig und ernst. Wir dürfen dabei aber nicht übersehen, daß die Bundesrepublik Deutschland unlöslich mit dem Schicksal des freien Europa und der USA verbunden ist. Wir sollten uns darüber hinaus der Tatsache bewußt sein, daß wir, die Bundesrepublik Deutschland, Verantwortung für die weltpolitische Entwicklung tragen und daß wir in dem Maße, in dem wir dazu einen konstruktiven Beitrag leisten können, auch verpflichtet sind, diesen unseren Beitrag zu leisten.Ich habe immer davor gewarnt, die Möglichkeiten der deutschen Politik zu überschätzen. Ausdrücke wie der, daß wir eine wirtschaftliche Weltmacht seien, scheinen mir ganz fehl am Platze zu sein. Aber wir sind ein Teil Europas, wir sind ein Teil des Nordatlantischen Bündnisses, und wir können in beiden Bereichen zusammen mit unseren Partnern einen Beitrag zur Erhaltung des Friedens, zu unserer eigenen Sicherheit und zur Linderung der Not der in großen Teilen der Welt leidenden Menschen leisten. Das sollten wir tun, und zwar so schnell wie möglich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Friedrich. Die Fraktion der SPD hat ebenfalls eine Redezeit von 30 Minuten angemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute in diesem Hause über Vietnam, über Portugal zu sprechen kann wohl nicht ohne Erinnerung daran geschehen, daß vor 30 Jahren in unserem Land ein durch eine Diktatur von rechts begonnener Krieg zu Ende ging, der der Menschheit ein Opfer von 50 Millionen Menschenleben abgefordert hat.
Für uns Deutsche liegt das Ende des zweiten Weltkriegs 30 Jahre zurück. Wer gestern abend die Befragungen im Fernsehen darüber verfolgte, war überrascht, wie viele unserer Mitbürger daran so gut wie keine Erinnerung mehr haben.In Vietnam, in Indochina hat der Krieg vor 33 Jahren, im Jahre 1942, begonnen, und er hat dort seit 33 Jahren nicht mehr aufgehört.Wir kennen einen Dreißigjährigen Krieg aus unserer Geschichte. Er hat sich über drei Jahrhunderte hinweg in der Erinnerung unseres Volkes als eine der größten Katastrophen unserer Geschichte eingebrannt. Er war, ich möchte sagen ähnlich wie in Vietnam, heute ein Bürgerkrieg — damals ein Religionskrieg, heute ist es ein säkularisierter Weltanschauungskrieg — und ein Krieg fremder Mächte zugleich, nur mit dem einen Unterschied: daß es heute durch die Technik des 20. Jahrhunderts möglich ist, in wenigen Stunden Verwüstungen anzurichten, die damals ein ganzer Krieg nicht schaffen konnte.Keiner sollte deshalb leichtfertig über den mangelnden Widerstandswillen der Vietnamesen reden, weil sie nach 33 Jahren müde geworden sind, sich gegenseitig umzubringen. Ich meine, zuerst braucht dieses vietnamesische Volk — ich meine das ganze Volk, ganz gleich, auf welcher Seite die Vietnamesen leben — die humanitäre Hilfe der ganzen Welt.
Diesem Volk sind ungeheure Wunden geschlagen worden.Hier ist der Jungen Union und dem RCDS gedankt worden. Ich möchte den Deutschen danken, die in den letzten Jahren in Vietnam selbst durch Einsatz ihres Lebens, durch Einsatz ihrer Gesundheit für die Menschen dort gewirkt und sich ihnen geopfert haben. Dies war nicht umsonst.
Wir danken auch der Bundesregierung dafür, und wir danken allen Bürgern, die bereit sind, auch künftig Hilfe zu leisten.Ist dies in Vietnam eine Niederlage des ganzen Westens, wie es Herr Dregger mit dieser einfachen Schablone formuliert hat: hier Osten — dort Westen, hier Kommunismus — dort Demokratie? Hat es in Vietnam nicht als Kolonialkrieg einer europäischen und 1942 einer asiatischen Kolonialmacht begonnen? Erst als diese europäische Kolonialmacht gescheitert war — da waren schon 15 Jahre vorbei —, kamen die Amerikaner. Aber nach 15 Jahren Krieg reichten ihre gigantischen Mittel nicht aus, weder in den Bedingungen des Dschungels noch in
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11318 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975
Friedrichden vorgefundenen Strukturen der vietnamesischen Gesellschaft, einen Staat zu schaffen, der fähig ist, sich aus eigener Kraft zu behaupten.Ich meine, daß es für den Westen, wenn man von ihm schon spricht, eine Lehre gibt, gerade auch deshalb, weil es in diesen Tagen Parallelen gegeben hat. Ich werde sie zitieren: hier Saigon — da Berlin. Die Verteidigung des Westens ist mit den Mitteln des Westens und mit einer Chance für den Westen nur dort möglich, wo er geistig, politisch, zivilisatorisch und technisch existiert und auch lebensfähig ist. Dies war in Vietnam nicht der Fall.Und was ist der Osten, von dem von hier ebenfalls in einer Schablone gesprochen wird? Da schreibt der „Bayernkurier" am 5. April, in der Nummer dieser Woche — ich zitiere, Herr Präsident —:Der Weltkommunismus ist dabei, in Indochina eine Abrundung seines geographischen Besitzstandes zu vollziehen. Die freie Welt hat in Gestalt ihrer Führungsmacht Amerika eine Niederlage erlitten, deren Auswirkungen auf die weltpolitischen Entwicklungen noch nicht abzusehen sind. Auf Deutschland bezogen:— dies steht auf der ersten Seite —wenn der jahrelang gehörte Satz, in Vietnam werde auch die Freiheit Berlin verteidigt, richtig war, dann ...und dann Punkt, Punkt, Punkt. Was sollen denn diese drei Punkte bedeuten?
Das soll doch der Fragestellung nach, wenn Logik noch Logik ist, wenn Grammatik und Konsequenz im Denken noch gültig sind, bedeuten, daß dann auch der Satz gültig wäre: weil Vietnam von den Amerikanern nicht gehalten worden ist, könne auch Berlin von den Amerikanern nicht gehalten werden. Dieser in der heutigen Nummer des „Bayernkurier" ausgesprochene Zweifel am Willen, Zweifel an der Fähigkeit der Amerikaner, Berlin zu verteidigen, indem man eine willkürliche Parallele zwischen Vietnam und Berlin zieht — so steht dies dort —, ist eine tiefe Beleidigung der amerikanischen Nation,
die mit ihrer ganzen Existenz für die Freiheit Berlins eingestanden ist. Wir distanzieren uns in aller Form von diesem Vergleich, Berlins Freiheit sei identisch mit der Freiheit Saigons.
In der gleichen Nummer entdeckt der „Bayernkurier" den Weltkommunismus. Es ist die gleiche Zeitung, die noch vor wenigen Wochen die völlige Übereinstimmung zwischen Mao Tse-tung und Franz Josef Strauß in der Beurteilung der politischen Weltsituation gefeiert hat.
Da gab es ganze Weihe-Nummern, verfertigt von Hofberichterstattern, die von einer nahtlosen Übereinstimmung zwischen diesen beiden historischen Personen der Weltgeschichte sprachen.
Ist Strauß in Peking entgangen, was jedermann weiß: daß Peking heute in Hanoi mindestens genausoviel, wenn nicht mehr Einfluß hat als Moskau?
Dies ist doch die Situation in Nord-Vietnam.Was hat denn der CSU-Vorsitzende Strauß, was haben vor ihm die Peking-Reisenden Kohl und Schröder in Peking für das geschundene Volk von Vietnam getan, Herr Carstens?
Nein, mit so einfachen außenpolitischen Schablonen ist die Welt in Wirklichkeit nicht zu beschreiben.
Gestern war Mao der große Partner des Philosophen von Sonthofen, heute ist er wieder das Haupt des Weltkommunismus. Das ist eine Außenpolitik des banalen Denkens.
Wir sind sicher von dieser Katastrophe in Vietnam mit betroffen. Wir erleben in diesen Wochen, wie die USA, die Realität einer sich seit langem abzeichnenden weltpolitischen Veränderung. Auch wenn einige in diesem Haus es noch nicht begriffen haben, so werden wir es begreifen müssen, und uns bleibt nicht allzuviel Zeit. Die Staaten der dritten Welt gestalten aus eigener Kraft ihre politische Ordnung. Es liegt nicht in unserer Macht und sollte auch künftig nicht in unserem Willen liegen, hier als Ordnungsmächte einzugreifen. Diese Wochen des Zusammenbruchs in Vietnam sind eine bittere Zeit für Amerika, das große Opfer gebracht hat, die aber nicht ausreichten, um den Staat entstehen zu lassen, der notwendig gewesen wäre.
Dies ist die Bilanz. Wir halten es für falsch, was im „Bayernkurier" in Richtung USA am 29. März geschrieben wurde — in einem Artikel auf der Titelseite —: „Niedergang einer Weltmacht". Da heißt es — ich zitiere, Herr Präsident, wenn ich darf —:Am derzeitigen Debakel in der US-Außenpolitik in Fernost, das auch die europäischen Verbündeten mißtrauisch— ich wiederhole: mißtrauisch —machen muß, trägt das Verhalten eines übersteigert selbstherrlich gewordenen Kongresses, der die vom Präsidenten geforderte Rüstungshilfe für diese Staaten drastisch beschnitt, ein gerütteltes Maß an Schuld.So das CSU-Wochenblatt. Herr Carstens, Sie sollten,um Ihre Fraktion wenigstens in dieser Frage aufeine Linie zu bringen, etwas genauer diese Zeitung,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975 11319
Friedrichdie geistig mehr in Sonthofen als in Bayern angesiedelt ist, lesen.
Zwei Dinge müssen hier festgehalten werden. Die Schuld wird hier dem Kongreß zugeschoben. Als ob wir in Deutschland den Amerikanern vorzuschreiben hätten, welche finanziellen Opfer sie in Vietnam zu bringen haben und wieviel Amerikaner in Vietnam zu sterben haben! Wir können nicht von diesem Hause aus dem amerikanischen Kongreß vorschreiben, was er in Asien zu tun hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich halte es so wie mein Herr Vorredner.
— Aber bitte, wenn Sie meinen!
Herr Kollege Friedrich, ist Ihnen entgangen, daß dieselbe Kritik, die Sie soeben aus dem „Bayernkurier" zitiert haben, in weiten Passagen nahezu wörtlich mit dem übereinstimmt, was der amerikanische Außenminister Kissinger selbst als ernste Warnung an den amerikanischen Kongreß gerichtet hat für den Fall seiner Weigerung, der amerikanischen Regierung die notwendigen Vollmachten zu geben?
Herr Kollege Jäger, Sie sind als Neuling
ebensolange im Auswärtigen Ausschuß wie ich. Wenn Sie nicht begreifen, was eine Diskussion in Amerika über den Krieg in Vietnam mit seinen Tausenden von Menschenopfern bedeutet und was wir hier ,den Amerikanern sagen können, dann sollten Sie sich für die nächste Periode einen Nachfolger in Ihrem Wahlkreis suchen.
Die Bilanz der Union, die eine Bilanz des Mißtrauens ist, sind wir nicht bereit zu unterschreiben. Wir sind nicht bereit, denn 33jährigen Krieg in Vietnam als Prophezeiung für das künftige Schicksal des Bündnisses zwischen Europa und den Vereinigten Staaten in unser Programm aufzunehmen. Selbst wenn man sehr kritisch gegenüber den Vereinigten Staaten ist — und wir wissen, daß der Krieg in Vietnam die Einstellung der Welt zu den Vereinigten Staaten zerrissen hat, wie er selbst das amerikanische Volk zerrissen hat —, so möchte ich hier daran erinnern, was Thomas Mann einmal am Ende des Zweiten Weltkriegs geschrieben hat, als er sagte: Man mag dieses Amerika — ich sage es dem Sinn nach — ein kapitalistisches Land nennen, aber es wird unvergessen bleiben, daß es sich aufgemacht hat, die Demokratie in Europa zu retten, als die faschistische Barbarei die Demokratie in Europa zerstören wollte. Wir sind überzeugt, daß dieses demokratische Amerika heute im Vertrauen zu Europa steht und daß Europa diesem demokratischen Amerika Vertrauen entgegenbringen muß und kein Mißtrauen entgegenbringen darf.
— Es wird Ihnen nicht gelingen, den Verteidigungsminister hier gegen seine eigene Partei auszuspielen;
denn wenn die Opposition hier auf diese Positionen ausweichen muß, dann doch deshalb, weil sie weiß, daß die Bundeswehr heute den höchsten Leistungsstand in ihrer Geschichte hat und weil diese Bundeswehr heute auch Vertrauen in der Bundesrepublik und in der Welt für unsere Sicherheit genießt.
Hier kann man auch nicht, wie Herr Dregger in seinem Interview es wäre Sache des Fraktionsvorsitzenden gewesen, dazu ein klärendes Wort zu sagen — vor der gegenwärtig zweifellos schwierigen Situation dieses Bündnisses ausweichen, indem man die Zweifel an Amerika dadurch nährt, daß man eine europäische Verteidigungsgemeinschaft und Verfügungsgewalt über strategische nukleare Waffen für einen europäischen Bundesstaat fordert.
Dies war bisher nicht die Meinung der Opposition. Es wäre gut gewesen, wenn der Fraktionsvorsitzende diese Position eines so wichtigen Politikers der Union hier korrigiert hätte.
Wenn wir heute in Europa politische Sorgen haben, dann deshalb, weil es im Süden Regionen gibt, in denen Regierungen mit einem konservativ-demokratischen, einem konservativ-autoritären und einem konservativ-diktatorischen Selbstverständnis es versäumt, ja bewußt verhindert haben, daß soziale Reformen stattfinden, die einfach die Voraussetzung dafür sind, daß sich alle Menschen mit ihrem Staat identifizieren können. Deshalb halten wir es für falsch zu meinen, daß wir in Europa so tun müßten, als sei alles nur eine Aufgabe der Sicherheitspolitik. Sicherheitspolitik unter den heutigen Bedingungen der Weltpolitik ist zuerst auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, der wirtschaftlichen Sicherheit und der Garantie der demokratischen Rechte.
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11320 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975
FriedrichWenn man heute über Portugal so redet, sollte man nicht vergessen, was diesem Volk in einer fast fünfzigjährigen Diktatur eines Salazar und eines Caetano angetan worden ist.
— Ich will, Herr Stücklen, einen für Sie unverdächtigen Zeugen zitieren. Herr Cycon schreibt am 1. April — wenn ich zitieren darf —:Nirgends in Europa, selbst nicht in den ärmsten Teilen des italienischen Stiefels, habe ich furchtbarere Steinhöhlen gesehen als die an den Rändern der Lissaboner Altstadt. Nur im Orient ist so erbarmungslos auf meine Sinne die Attacke geprasselt, zu der sich schließlich der Anblick dieser entsetzlichen Vielzahl von Bettlern und Krüppeln, Hinkenden, Buckligen, Einarmigen, Schielenden, Blinden und Kröpfigen auswächst.Weiter schreibt er über den Süden:Trüb ist das Wasser, ich möchte mir die Hände darin nicht waschen. Nicht umsonst wird es ja zuerst durchs gräfliche Haus geleitet, und in diesem Wasser schrubbt wieder ... ein Dutzend Frauen seine Wäsche. Mitte 30 mögen die meisten sein, den Gesichtern nach, aber die Figuren sind schon zerlaufen, krumm und gebeugt ... Ich habe jetzt eine Vorstellung davon, warum der Aleutejo heute „rot" ist.Es stand in der „Welt"!Dieses arme, geschundene, von einer Rechtsdiktatur mißhandelte Portugal hat heute drei Probleme zu lösen: erstens die Entkolonialisierung, zweitens die Demokratisierung und drittens die Überwindung von Feudalstrukturen, die das Land und die Menschen erbarmungslos ausgebeutet haben,
so daß Portugal heute noch Millionen von Analphabeten besitzt mit dem Ergebnis, daß das Minimum einer Voraussetzung für wirksame demokratische Strukturen fehlt. Jenes Land Salazars — manche haben sich sogar Orden umhängen lassen und sind hingefahren — war ein zutiefst antihumanes System.
Wenn der Herr Kollege von Hassel sich vor einer Woche in Lissabon auf mich berufen hat, dann habe ich nichts dagegen, wenn er Befürchtungen ausspricht. Aber er kann sich nur auf mich berufen, wenn er diese Analyse teilt und wenn er nicht, wie er es getan hat, als Gesprächspartner jene wählt, die schon der vorhergegangenen Diktatur gedient haben.
Hier gibt es einen ganz entscheidenden Unterschied.Wir haben jene Demokraten unterstützt, die heutein Portugal die einzige demokratische Bastion sind.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kiep?
Herr Kollege Friedrich, würden Sie die Freundlichkeit haben, die Gesprächspartner, mit denen Herr von Hassel gesprochen haben soll, zu nennen, die frühere Mitglieder der Diktatur Salazar und Caetano gewesen sind.
Ich bin bereit, Ihnen die Namen schriftlich zu nennen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ich bin auch bereit, da ein Journalist von uns da war, Ihnen wörtlich zu geben, daß Herr von Hassel sich auf mich berufen hat, als er nach einem Manne gefragt wurde, der wegen des Putsches geflohen ist, Herr Kiep.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kiep?
Ja.
Herr Kollege Friedrich, ich darf meine Frage wiederholen: Mit wem soll Herr von Hassel, den ich auf dieser Reise begleitet habe, gesprochen haben, der auf Grund Ihrer Aussage, die Sie eben hier gemacht haben, ein Angehöriger der früheren Diktatur Caetano oder Salazar sein soll?
Mit einem Manne, der früher mit Caetano zusammengearbeitet hat.
— Den Namen werden Sie erhalten!
Dieses Portugal soll am 25. April — —
— Herr Kiep, wenn sich Herr von Hassel in Lissabon auf mich beruft,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975 11321
Friedrichund zwar im Anschluß an eine Frage, die sich auf einen Mann bezogen hat,
der am Putsch beteiligt war
— Herr Osorio —, dann stelle ich fest, was mich von bestimmten Leuten in Portugal trennt. Dies muß ich feststellen.
Mit diesen Leuten habe ich nichts zu tun, denn diese Leute haben der Demokratie und der Entwicklung der Demokratie in Portugal den schlechtesten Dienst erwiesen.
— Herr Kiep, ich möchte jetzt weitersprechen. Sie erhalten den Namen.
— Nein, ich hatte noch einen anderen Namen genannt.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Nein, ich habe gesagt — — Bitte, lesen Sie morgen das Protokoll nach, wenn Sie nicht genau zugehört haben.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Nein, ich lasse jetzt keine Zwischenfrage mehr zu. Ich habe vier Zwischenfragen zugelassen.
—Bitte, noch eine einzige!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kiep.
Sollte es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein, daß der eben von Ihnen genannte Herr Osorio maßgeblich an dem Putsch gegen die Diktatur am 24. April 1974 beteiligt war?
Herr Kiep, Sie wissen sehr wohl, daß Herr Osorio geflohen ist, weil er am Gegenputsch des 11. März beteiligt war,
und ich wiederhole, was alle Welt bisher geschrieben hat, daß jene, die am 11. März geputscht haben, der Demokratie in Portugal einen sehr, sehr schlechten Dienst erwiesen haben.
Vizepräsident 'Frau Funcke: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Warnke?
Nein.
Ich kann hier nur davor warnen, über Portugal so zu reden, als ob man sich die Freiheit nimmt, auf die ersten Wahlen, die dort überhaupt nach 50 Jahren stattfinden, Einfluß zu nehmen, und auf der anderen Seite zu fordern, wir müssen Einfluß von außen verhindern.
Dieses Portugal hat, als es vor einem Jahr diese Diktatur abschüttelte, ein schweres Erbe übernommen. Ich habe darauf hingewiesen. Ich muß hier daran erinnern, daß der Weg der Bundesrepublik Deutschland
nach zwölf Jahren Diktatur vier Jahre gedauert und unter Aufsicht einer Militärregierung stattgefunden hat. Einige haben in diesem Lande offensichtlich vergessen, warum wir unter Aufsicht einer Militärregierung den Weg zur Demokratie zurückfinden mußten.
Deshalb bin ich der Meinung, man muß einem Lande wie Portugal, das fast 50 Jahre unter einer Diktatur gelebt hat,
eine Chance geben. Wir dürfen die Demokratie in Portugal nicht abschreiben, ehe sie überhaupt eine Chance des Wirkens bekommen hat.
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11322 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975
FriedrichDeshalb wissen wir auch, daß bei den sozialen und wirtschaftlichen Problemen dieses Landes unsere Wirtschaftsordnung nicht übernommen werden kann. Was die pluralistische Demokratie angeht, so werden wir kritische Beobachter Portugals sein.
Wir sind der Meinung, daß dort dem Willen des Volkes in Wahlen Ausdruck gegeben werden muß, daß ein Mehrparteiensystem möglich sein muß, daß ein Rechtsstaat möglich sein muß. Und ich habe Vertrauen in den portugiesischen Justizminister Zenha; er hat viele Jahre für die Demokratie im Gefängnis gesessen, weil er als mutiger Rechtsanwalt politische Häftlinge verteidigt hat, und ich zweifle nicht an der rechtlichen Gesinnung dieses Mannes.
Deshalb begrüßen wir, daß die Bundesregierung bereit ist, Portugal zu helfen, und wir hoffen, daß es Portugal, und ich nenne zugleich Spanien, möglich sein wird, schrittweise — im Rahmen der politischen Bedingungen, die gegeben sein müssen, will man der Gemeinschaft angehören — den Weg nach Europa zu finden. Spanien hatte in den letzten Jahren einen großen wirtschaftlichen Aufschwung zu verzeichnen; wir hoffen auf Spaniens Weg nach Europa. Für uns Sozialdemokraten sind die dort vorhandenen, aber nicht als legal zugelassenen demokratischen Parteistrukturen die legalen politischen Kräfte von morgen.
Wir müssen sie nicht nur sehen, sondern auch als solche behandeln. Im übrigen gibt es selbst auf der Seite der gegenwärtigen spanischen Regierung Kräfte, die vorausschauend die Existenz dieser Strukturen schweigend hinnehmen und die es als notwendig erkennen, daß diese Kräfte schrittweise zur Geltung kommen.Wir werden in Europa, solange diese sozialen Krisen im Mittelmeerraum andauern, durch eine Phase der politischen Instabilität gehen. Dies kann aber nicht bedeuten, daß Europa die Friedenspolitik abschreibt! Ich glaube, daß diese Entwicklung in der Welt eher die Notwendigkeit aufzeigt, daß Europa schneller zur politischen Einigung zusammenfindet.
Wer die Entwicklung im Nahen Osten verfolgt, weiß, daß sich in den letzten Monaten auch im Denken Israels eine Wandlung vollzogen hat, daß Israel heute mehr auf Europa schaut. Wir begrüßen, daß der Außenminister von der Bereitschaft Europas gesprochen hat, an einer Garantie für eine dauernde friedliche Regelung im Nahen Osten mitzuwirken. Hier sollten die Staaten der Gemeinschaft zusammen wirken, und wenn der Weg nach Genf zu Friedensverhandlungen für den Nahen Osten gesucht werden sollte, sollten nicht die Staaten des Westens einzeln, sondern sollte die Gemeinschaft als solche in Genf vertreten sein.In Genf findet auch noch die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa statt. Ich möchte den Unterschied zwischen der Opposition und den Regierungsparteien in einem einzigen Zitat sichtbar machen.
Der Landesvorsitzende der hessischen CDU, Herr Dregger,
hat in seinem Südwestfunk-Interview erklärt: Genf ist eine schöne Stadt, und unsere Unterhändler sollten spazierengehen. — Dies ist eine Außenpolitik des blanken Zynismus.
So kann man nicht einer Konferenz gegenübertreten, bei der 35 Staaten zum erstenmal in diesem Jahrhundert in einer Phase des Friedens — und nicht nach einem Krieg — zusammenkommen.
Deshalb wissen wir, daß Sie den Weg von der Obstruktion zur Opposition in der Außenpolitik nicht Befunde haben.
Wir wissen, daß die Bundesregierung das Prinzip der entschiedenen Friedenspolitik mit einer entschiedenen Sicherheitspolitik verbindet. Wir haben nie die Sicherheitspolitik vernachlässigt, weil wir den Frieden wollen. Deshalb hat diese Bundesregierung bei all dem, was sie in den letzten Wochen getan hat, das volle Vertrauen meiner Fraktion.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Rede des Oppositionsführers zur internationalen Lage schien mir maßvoll, und doch trägt die politische Würdigung der Vorgänge nach meinen Vorstellungen einige unwirkliche Züge. Nicht, daß die Ereignisse in Vietnam und Kambodscha oder in den Krisenherden der NATO einseitig beschrieben worden wären; nein, das ganz gewiß nicht! Aber was die politische Verantwortung der Bundesregierung, ihre Einfluß- und Gestaltungsmöglichkeiten im internationalen Maßstab betrifft, da wird ihr — wie ich meine — trotz der Wortwahl immer wieder eine Rolle zugeschrieben, die sie nach Lage der Dinge tatsächlich nicht hat und die sie sich auch nicht anmaßen sollte. Wir sollten uns hier keine Überzeichnung leisten. Maßlosigkeit im Kompetenzanspruch ist uns ebenfalls verwehrt.Meine Damen und Herren, wir sollten der Bundesregierung zunächst dafür danken, daß sie, wie sie in ihrer Unterrichtung mitgeteilt hat, aktiv tätig
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975 11323
Hoppegeworden ist, um das unvorstellbare Maß an Not, Elend und menschlichem Leid lindern zu helfen. Diese Hilfe kann und muß gleichermaßen in nationaler Verantwortung sowie in übergreifender europäischer Solidarität geleistet werden. Die Unterstützung für die notleidende Bevölkerung in ganz Vietnam muß schnell wirksam werden; denn das Flüchtlingselend verträgt keine bürokratischen Hemmnisse. Die Bereitschaft, zu helfen, und die Zustimmung zu den Maßnahmen der Bundesregierung sind deshalb ganz allgemein. Es spiegelt sich hier das tiefe Mitgefühl einer Bevölkerung wider, die sich schmerzlich an schreckliche Abschnitte der eigenen Geschichte erinnert fühlt. Sie würde es daher nicht verstehen, wenn humanitäre Leistungen an politischer Engstirnigkeit oder am Krämergeist scheiterten.So wie die unmittelbare Hilfe für die unmittelbar Betroffenen selbstverständlich sein muß und Gott sei Dank auch selbstverständlich ist, so verdienen die in Vietnam so engagierten Vereinigten Staaten in der gegenwärtigen Phase der Unsicherheit Bekundungen der Sympathie und des Verständnisses. Unsere Bereitschaft für eine partnerschaftliche Unterstützung bei der Überwindung dieser innen- und außenpolitischen Krise gilt es überzeugend sichtbar zu machen. Wir wollen uns dabei keineswegs aufdrängen, und wir wollen uns schon gar nicht zum Zensor anderer aufspielen. Besserwisserei steht uns nun wirklich nicht gut an.
Meine Damen und Herren, die amerikanische Regierung darf einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik auch künftig sicher sein. Wir werden nicht in den Fehler verfallen, in einer grobschlächtigen und sachlich auch nicht vertretbaren Gleichmacherei die Szenerie Südostasiens auf andere Räume zu übertragen. Wir haben nicht die Absicht, mit fehlerhaften Gleichungen fehlerhafte Schlußfolgerungen zu produzieren. Das tragische Geschehen in Vietnam ist auf die Bundesrepublik und ihr Verhältnis zu den Vereinigten Staaten nicht zu übertragen und darf deshalb auch nicht zum Anlaß für politische Glasperlenspiele gemacht werden.Meine Damen und Herren, an dem 30jährigen Krieg der Neuzeit, der in Vietnam zu Ende zu gehen scheint, hat die Bundesregierung weder unmittelbaren noch mittelbaren Anteil. Das Thema sollte deshalb auch nicht zu einem innenpolitischen Streitpunkt werden, selbst nicht auf dem Umweg über Portugal.Natürlich kann und muß man Betrachtungen darüber anstellen, welche Auswirkungen die ostasiatischen Reflexionen auf die Stellung Amerikas als Führungsmacht des westlichen Bündnisses und damit auf die Schlagkraft der NATO haben. Selbstverständlich kann man diese Fragestellung in ihrer Brisanz auch noch verschärfen, wenn man die Problembereiche der NATO, Zypern und Portugal, in diese Betrachtungen einbezieht. Es scheint mir hier nur nicht der rechte Ort und der rechte Zeitpunkt zu sein, vorhandene Besorgnisse, die gewiß bestehen und die auch niemand leugnen will, heute hier auszubreiten. Ich gehöre sonst nicht zu jenen, die dem Parlament bei seiner Arbeit Zurückhaltung anraten und die der Exekutive das Feld gern allein überlassen. Im Bereich militärpolitischer Erwägungen und militärischer Konzeptionen allerdings würde ich mir und dem ganzen Haus dies aber gern anraten wollen.Soweit die gewachsene atlantische Gemeinschaft zwischen den Vereinigten Staaten und Europa in ihren künftigen politischen Zielvorstellungen zur Diskussion steht, ist dieses Parlament allerdings aufgerufen, Rede und Antwort zu stehen. Unter dem Eindruck der uns bildhaft vermittelten Herrschaft von Krieg, Gewalt und Terror werden Zweifel am Sinn und an der Ernsthaftigkeit der Entspannungspolitik laut. Es sind jetzt — nicht nur vereinzelte — Stimmen zu hören, die vom Scheitern dieser Politik sprechen. Bereits die Kündigung des zwischen den USA und der UdSSR abgeschlossenen Handelsabkommens wurde zum Anlaß genommen, eine neue Phase internationaler Politik vorauszusagen. Und doch hat dieser Vertragskonflikt das Ende der Entspannungspolitik genausowenig signalisiert wie es das Ende des Vietnamkrieges tun könnte. Nein, in Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall: Es wird jedoch immer wieder deutlich, daß Entspannungspolitik nicht Politik der Stärke mit anderen Mitteln sein kann.In Ostasien haben die Vereinigten Staaten die Position der Stärke, in die sie, aus welchen Gründen auch immer, hineingeraten waren, mit dem Pariser Abkommen geräumt und sich damit erkennbar zur Entspannungspolitik bekannt. Die gegenwärtigen Exzesse der machtpolitisch rücksichtslos agierenden Kommunisten in Vietnam werden sie von dieser Linie nicht abbringen. Die Weltmächte werden sich nicht in die atomare Konfrontation treiben lassen, die sie seit der Kuba-Krise abzubauen und gänzlich zu beseitigen bemüht sind.Jede der beiden Supermächte hat ein gerüttelt Maß an innenpolitischen Problemen zu bewältigen und steht vor einem solchen Ausmaß an Forderungen und Ansprüchen von verbündeten, befreundeten und Hilfe bedürftiger Staaten dieser Welt, daß ein Umschalten auf die Politik kriegerischer Auseinandersetzung in letzter Konsequenz doch sehr unwahrscheinlich ist, wenn wir die Weltlage nüchtern analysieren. Alles, was im Augenblick an Erkenntnissen auch und gerade aus dem Lager der kommunistischen Führungsmacht vorliegt, deutet doch darauf hin, daß die Signale weiter auf Entspannung gestellt sind und nicht auf Konfrontation stehen.Und doch heißt das nicht, daß die militante, ja die militärische Auseinandersetzung völlig ausgeschlossen ist und bereits in den Bereich der Utopie zu verweisen wäre.In den Anstrengungen, unsere Friedenspolitik militärisch abzusichern und dafür unsere Verteidigungsbereitschaft zu stärken, dürfen wir deshalb nicht nachlassen. Noch sind Entspannungspolitik und Verteidigungsbereitschaft zwei Seiten ein und derselben Medaille. Das mag manchem wider-
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11324 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 9. April 1975
Hoppespruchsvoll erscheinen, aber doch entspricht es der Wirklichkeit.Es wäre schön, könnten Mißtrauen und Furcht, könnten Aggression und Krieg aus dieser Welt verbannt werden. Gegenwärtig darf man so etwas nur wünschen und sich mit seiner Politik schrittweise auf diesen Zustand hinzuentwickeln versuchen. Die Annahme, daß dieser Zustand schon erreicht wäre oder auch nur unmittelbar bevorstünde, ist nicht erlaubt. Wer seine Entscheidungen unter eine solche Prämisse stellt, ist wirklich ein Träumer und gefährdet unsere freiheitliche Existenz.Die Fraktion der FDP unterstützt deshalb noch einmal die eindeutigen Feststellungen, die der Außenminister hier heute über die Ausführungen des Verteidigungsministers getroffen hat.
Meine Damen und Herren, ich bin sicher, daß die Bundesregierung neben ihrer die militärischen Risiken absichernden Bündnispolitik in ihren Verteidigungsanstrengungen nicht nachlassen wird. Sie wird sich mit den Verbündeten bemühen — vornehmlich mit den Vereinigten Staaten —, eine intakte und schlagkräftige NATO zu erhalten. Sie wird sich aber auch — und dessen bin ich gleichfalls gewiß — von einer mit der Angst argumentierenden Opposition nicht ins Bockshorn jagen lassen. Die Priorität liegt auch weiterhin bei einer Politik der friedlichen Entspannung und der konsequenten Fortsetzung aller auf diesem Gebiet unternommenen Anstrengungen. Nur mit einer Politik der Vernunft und des Ausgleichs werden wir die Menschheit vor einer militärischen Katastrophe bewahren.Diesen Weg beharrlich weiterzugehen, dafür die eigenen Beiträge in den internationalen Beziehungen zu leisten, bleibt die Bundesregierung aufgerufen. Nur auf diesem Wege werden wir für dieVölker dieser Welt — auch für Portugal, meine Damen und Herren — am ehesten demokratische Grundsätze zur Anwendung bringen.Die Fraktion der FDP wird die Bundesregierung bei ihren Bemühungen um Entspannung auf dem vom Außenminister dargestellten Weg mit Nachdruck unterstützen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe nur noch zwei Sätze hinzuzufügen. Ich bin nicht ganz sicher, ob ich eine Bemerkung des Herrn Oppositionsführers richtig verstanden habe. Er schien mir gerügt zu haben, daß Darlegungen, die der Bundesminister des Auswärtigen heute hier gemacht hat, nicht schon vorher durch den Bundeskanzler vorgetragen worden seien. Ich wollte darauf hinweisen, daß das, was der Bundesminister des Auswärtigen hier heute ausgeführt hat, nicht nur dem Namen, sondern auch dem vollen Inhalt nach die vorher debattierte Auffassung der Bundesregierung — und damit auch meine — darstellt.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor.
Damit sind wir am Ende der heutigen Sitzung. Ich berufe das Haus auf morgen, den 10. April, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.