Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 5 der Tagesordnung - Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages - von der Tagesordnung abgesetzt werden. -- Das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen.Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 21. Februar 1975 den nachfolgenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:Gesetz zu dem Vertrag vom 16. Januar 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen über Transport von Kohlenwasserstoffen durch eine Rohrleitung von' Ekofisk-Feld und benachbarten Gebieten in die Bundesrepublik DeutschlandGesetz über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP- Sondervermögens für das Jahr 1975
Gesetz über den rechtlichen Status der Bundeswasserstraße SaarGesetz über die Statistik der Straßen in den Gemeinden 1976Gesetz zu dem Vertrag vom 11. Juli 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen über die gegenseitige Unterstützung in ZollangelegenheitenGesetz zu dem Abkommen vom 4. April 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Trinidad und Tobago zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und zur Förderung der internationalen InvestitionstätigkeitGesetz zu dem Abkommen vom 30. Mai 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Sambia zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf denn Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom VermögenGesetz zu den Zusatzvereinbarungen vom 29. März 1974 zum Abkommen vom 22. Dezember 1966 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Osterreich über Soziale Sicherheit und zu der Vereinbarung zur Durchführung dieses AbkommensGesetz zu dem Abkommen vom 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale SicherheitGesetz zu dein Abkommen vom 30. September 1974 zur Änderung des Abkommens vom 12. Oktober 1968 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale SicherheitGesetz zu dem Abkommen vom 30. September 1974 zur Änderung des Abkommens vom 6. November 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Portugiesischen Republik über Soziale Sicherheit und der Zusatzvereinbarung vorn 8. Dezember 1966Gesetz zu dem Zwischenabkommen vorn 25. Oktober 1974 zur Änderung des Abkommens vom 30. April 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale SicherheitGesetz zu dem Zweiten Abkommen vorn 20. September 1974 zur Änderung des Abkommens vorn 25. April 1961 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland über Soziale Sicherheit und der Zusatzvereinbarungvom 28. März 1962 zu dem Abkommen über Soziale SicherheitGesetz zu dem Dritten Abkommen vom 12. Juli 1974 zur Änderung des Abkommens vorn 29. Oktober 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über Soziale SicherheitGesetz zu dens Übereinkommen vorn 3. März 1973 über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen
Gesetz zu den Internationalen Übereinkommen vorn 29. November 1969 über die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden und vein 18. Dezember 1971 über die Errichtung eines Internationalen Fonds zur Entschädigung für ÖlverschmutzungsschädenGesetz zu dein Übereinkommen vom 11. Oktober 1973 zur Errichtung des Europäischen Zentrums für mittelfristige WettervorhersageGesetz zu dem Protokoll vom 12. Juni 1973 über FlüchtlingsseeleuteGesetz zu dem Übereinkommen vorn 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie nebst Zusatzvereinbarungen, zu dein Übereinkommen vom 25. Mai 1962 über die Haftung der Inhaber von Reaktorschiffen nebst Zusatzprotokoll und zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember 1971 über die zivilrechtliche Haftung bei der Beförderung von Kernmaterial auf See
Gesetz zu dem Abkommen vorn 18. Dezember 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vorn VermögenGesetz zu dem Abkommen vom 31. Oktober 1973 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Sozialistischen Republik Rumänien über die steuerliche Behandlung von Straßenfahrzeugen im internationalen VerkehrGesetz zu dem Abkommen vom 29. Juni 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Rumänien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom VermögenGesetz zu dem Vertrag vom 2. April 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über gegenseitige Unterstützung zur Verhinderung, Ermittlung und Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen die ZollvorschriftenGesetz zu dem Vertrag vorn 23. August 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über die gegenseitige Unterstützung ihrer ZollverwaltungenGesetz zu dens Vertrag vom 29. Februar 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Osterreich über die gemeinsame StaatsgrenzeGesetz über eine PressestatistikGesetz zur Anpassung gesetzlich festgelegter Zuständigkeiten an die Neuabgrenzung der Geschäftsbereiche von Bundesministern
Gesetz zur Erleichterung der Verwaltungsreform in den Ländern
Gesetz zum Schutze der Auswanderer
Gesetz zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes 1964
Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des InvestitionszulagengesetzesGesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung
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10474 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Präsident Frau RengerGesetz zur Änderung der BundesärzteordnungGesetz zur Erhaltung des Waldes und zur Förderung der Forstwirtschaft
Gesetz zu dem Abkommen vom 2. Februar 1971 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über die deutsche Gerichtsbarkeit für die Verfolgung bestimmter VerbrechenNeuntes Gesetz zur Änderung des WehrpflichtgesetzesZu den beiden letztgenannten Gesetzen hat der Bundesrat ferner Entschließungen gefaßt, die als Anlagen 2 und 3 diesem Protokoll beigefügt sind.Der Bundesrat hat in der gleichen Sitzung beschlossen, hinsichtlich der folgenden Gesetze zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird:Gesetz über den Ehe- und Familiennamen Drittes Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes Gesetz über die Beförderung gefährlicher Güter HochschulrahmengesetzSeine Schreiben werden als Drucksachen 7/3268, 7/3269, 7/3270, 7/3279 verteilt.Der Bundesminister für Verkehr hat mit Schreiben vom 19. Februar 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Althammer, Dr. Jobst und Genossen betr. Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Lastwagentransportverkehr — Drucksache 7/3201 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/3257 verteilt.Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 21. Februar 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Wörner, Dr. Stavenhagen, Pfeifer, Dr. Jenninger, Dr. Prassler, Maucher, Dr. Heck, Dr. Schäuble, Dr. Hauser , Dr. Evers, Benz, Biechele und der Fraktion der CDU /CSU betr. Äußerungen eines Parlamentarischen Staatssekretärs zu Energiefragen in Baden-Württemberg — Drucksache 7/3193 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/3276 verteilt.Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 24. Februar 1975 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Höcherl, Leicht, Dr. Althammer, Dr. Häfele, Dr. Götz und der Fraktion der CDU/CSU betr. Mehrbelastungen der Bürger im Jahre 1975 — Drucksache 7/3104 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/3275 verteilt.Der Vorsitzende des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit Schreiben vom 19. Februar 1975 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgende, bereits verkündete Vorlage keine Bedenken erhoben hat:Verordnung Nr. 2981/74 des Rates vom 26. November 1974 zur Festlegung der Grundregeln für die Destillation von Wein von geringerer Qualität als Tafelwein und mit Herkunft aus bestimmten KatastrophengebietenRichtlinie des Rates zur ersten Änderung der Richtlinie des Rates vom 24. Juli 1974 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für zur Ernährung bestimmte Kakao-und Schokoladeerzeugnisse— Drucksache 7/2473 --Der Vorsitzende des Innenausschusses hat mit Schreiben vom 24. Februar 1975 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgende, bereits verkündete Vorlage keine Bedenken erhoben hat:Beschluß des Rates über den Beitritt der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu einem Übereinkommen zur Verhinderung der Meeresverschmutzung tellurischen Ursprungs— Drucksache 7/1423 —Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achtzehnten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie über die Anpassung der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung und der Altersgelder in der Altershilfe für Landwirte
— Drucksachen 7/3065, 7/3073 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordung— Drucksache 7/3288 —Berichterstatter: Abgeordneter Krampe b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 7/3235 —Berichterstatter:Abgeordneter Franke
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Franke .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte um die Genehmigung, hier auch gleichzeitig den interfraktionellen Änderungsantrag begründen zu dürfen.
Der Bericht muß um die Daten ergänzt werden, die ich im Auftrag aller Fraktionen hier vorzutragen habe. Durch die Änderung und die Aktualisierung der Einkommensdaten 1973/74 haben sich erst in den letzten Tagen die endgültigen Zahlen — festgestellt vom Statistischen Bundesamt — einarbeiten lassen. Dadurch erhöhen sich die Leistungen im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung um 11,7 °/o statt um 11,4 %.
Ich darf Ihnen namens aller Fraktionen den Änderungsantrag zur Annahme empfehlen. Ich darf weiterhin empfehlen, die sich daraus in dem Bericht ergebenden Änderungen zu genehmigen.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Als Berichterstatter hat Herr Abgeordneter Krampe das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Drucksache 7/3288 — Bericht des Haushaltsausschusses — muß nach der Annahme des Änderungsantrags die Zahl 11,4 v. H. in 11,7 v. H. geändert werden. Der Haushaltsausschuß hat die Dinge beraten; er ist damit einverstanden. Die Änderung ist mit der Haushaltslage vereinbar.
Ich danke den Herren Berichterstattern. Das Wort in der Aussprache wird weiter nicht gewünscht. Ich rufe daher die §§ 1 bis 9 auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe dann § 10 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/ 3282 unter Ziffer 1 der bereits begründete interfraktionelle Änderungsantrag vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig beschlossen.Wer dem so geänderten § 10 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? -- Einstimmig angenommen.Ich rufe nunmehr die §§ 11, 12, 13 und 14 auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10475
Präsident Frau Rengerwünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe den § 15 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/3282 unter Ziffer 2 ein interfraktioneller Änderungsantrag vor. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Wer dem so geänderten § 15 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! Enthaltungen? — Einstimmig so angenommen.Ich rufe nunmehr die §§ 15 a bis 20, Einleitung und Überschrift auf. Wer diesen aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. Gegenprobe! — Enthaltungen? — In der zweiten Beratung einstimmig beschlossen.Wir treten nunmehr in diedritte Beratungein. Ich eröffne die Aussprache.Das Wort hat der Abgeordnete Sund. Bitte schön, Herr Kollege!
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Der Deutsche Bundestag soll heute einem Gesetzentwurf der Bundesregierung seine Zustimmung erteilen, durch den die Rentner in unserem Lande erneut ein deutliches Einkommensplus erhalten werden. Es gilt, die Weichen dafür zu stellen, daß erstens die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung für Bezugszeiten ab 1. Juli 1975 um 11,1 v. H., zweitens die Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung für Bezugszeiten ab 1. Januar 1976 um 11,7 v. H. und drittens die Altersgelder in der Altershilfe für Landwirte für Bezugszeiten ab 1. Januar 1976 um 11,1 v. H. aufgestockt werden.Das Achtzehnte Rentenanpassungsgesetz enthält noch einige weitere Gesetzesänderungen. Besonders hervorheben möchte ich dabei die Einführung eines Waisengeldes in der Altershilfe für Landwirte, die auf eine Initiative der Koalitionsfraktionen im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zurückgeht
und die bereits mit Wirkung vom 1. Januar 1975 an erfolgen soll.
Künftig sollen alle Waisen von Landwirten, sofern sie nicht selbst landwirtschaftliche Unternehmer sind, ein Waisengeld erhalten, wenn der verstorbene Landwirt die Wartezeit von 60 Beitragsmonaten erfüllt und wenn er mindestens bis zu seinem 60. Lebensjahr, bis zu seinem Tod oder bis zum Beginn eines vorzeitigen Altersgeldes oder einer Landabgaberente Beiträge gezahlt hat. Das Waisengeld wird für Vollwaisen die Hälfte, für Halbwaisenein Viertel des Grundbetrages des Altersgeldes ausmachen und jährlich an die wirtschaftliche Entwicklung angepaßt werden.Das Waisengeld in der Altershilfe für Landwirte ist als ein weiterer Beitrag zum Ausbau der Agrarsozialpolitik zu werten, die mit der sozialliberalen Koalition wirkliches Profil gewonnen hat. Die Altershilfe für Landwirte besteht zwar seit 1957, wurde seitdem aber erheblich geändert und verbessert. So führte der Gesetzgeber 1969 die Landabgaberente ein, die älteren Inhabern kleinerer landwirtschaftlicher Betriebe das Ausscheiden aus der Landwirtschaft erleichtern soll. Ab Jahresbeginn 1975 sind die rund 0,6 Millionen Altersgelder und Landabgaberenten dynamisiert, also in die jährlichen Rentenanpassungen einbezogen.Zu den wichtigen Leistungen auf dem Gebiet der Agrarsozialpolitik gehört auch die 1972 eingeführte Krankenversicherung für selbständige Landwirte, mitarbeitende Familienangehörige und Altenteiler. Niemand, meine Damen und meine Herren, kann sich Agrarpolitik heute ohne diesen Rahmen einer Agrarsozialpolitik vorstellen, den wir geschaffen haben.Eine weitere Gesetzesänderung im Rahmen des Achtzehnten Rentenanpassungsgesetzes zielt darauf ab, in den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten den zur Nachentrichtung von Beiträgen berechtigten Personenkreis politisch Verfolgter zu erweitern, eine Maßnahme, die von den Betroffenen begrüßt wird und die versucht, eine Lücke zu schließen, die manchem unverständlich und bitter bleiben mußte.Schließlich ist vorgesehen, die Bezugsgröße für den Jahreshöchstbetrag des Ruhegeldes der Bezirksschornsteinfegermeister statt wie bisher an die Grundvergütung an einen bestimmten Prozentsatz des gesamten jährlichen Bruttoarbeitseinkommens eines Angestellten der Vergütungsgruppe V c des Bundesangestelltentarifvertrages zu knüpfen.
— Wenn hier der Zwischenruf gemacht wird, das seien die Schwarzen, möchte ich mir die Bemerkung erlauben, daß es Glück bringen s o 11 , wenn man einen solchen Schwarzen, einen Schornsteinfeger trifft, daß es aber mit Sicherheit ein Glück i s t , daß die anderen Schwarzen auf den Bänken der Opposition sitzen.
Zieht man eine Gesamtbilanz des Achtzehnten Rentenanpassungsgesetzes, so sind folgende Feststellungen zu treffen:Erstens. Wie schon in den Vorjahren werden die Rentner erneut einen spürbaren Zuwachs ihres Realeinkommens erhalten. Die reale Kaufkraft wird eine Steigerung von 5 bis 6 v. H. erfahren und damit die für dieses Jahr zu erwartende reale Volkseinkommenssteigerung erheblich überschreiten. Der Anteil der Rentnerhaushalte am Volkseinkommen wird sich demgemäß vergrößern. Bezogen auf das Netto-
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10476 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Sundeinkommen der aktiven Arbeitnehmer -- und dieser Vergleichsmaßstab bietet sich an —, wird das Rentenniveau ab 1. Juli 1975 mit 62,9 v. H. höher sein als jemals vor dem Amtsantritt der Bundesregierung der sozialliberalen Koalition.
Zweitens. Nach Inkrafttreten des Achtzehnten Rentenanpassungsgesetzes werden die Renten um knapp 80 v. H. höher liegen als im Jahre 1969. Stellt man die gesteigerten Lebenshaltungskosten für Rentnerhaushalte in Rechnung — und dies wird man tun müssen —, so wird unter dem Strich ein Kaufkraftzuwachs von rund 40 % zu verzeichnen sein. Das entspricht einer durchschnittlichen jährlichen Kaufkraftsteigerung von etwa 5,5 v. H.Drittens. In den vergangenen Wochen und Monaten ist die finanzielle Entwicklung der Rentenversicherung wiederholt ins Gerede gebracht worden. Darin liegt System. Wir halten es für unverantwortlich, die Solidität ihrer langfristigen Finanzierung in Zweifel zu ziehen. Uns wundert es daher nicht, wenn der Präsident der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erst vor wenigen Tagen erneut betonen mußte, es sei nicht notwendig, den Beitragssatz von 18 v. H. in der Rentenversicherung zu erhöhen. Wenn es auch — so sagte er weiter — schwierig sei, eine langfristige Vorausschau der finanziellen Entwicklung zu geben, so sei doch sicher, daß die größten Belastungen, die in den nächsten Jahren auf die Anstalt zukämen, aufgefangen werden könnten; dafür sei ein Rücklagenpolster geschaffen worden. Für das kommende Jahrzehnt bestehe nicht die geringste Gefahr.Und ein Weiteres: Erste vorläufige Rechenergebnisse der Arbeiter- und der Angestelltenrentenversicherung für das Jahr 1974 zeigen, daß sich trotz veränderter Wirtschaftslage die finanzielle Situation der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten im Vergleich zu den Vorausberechnungen im Rentenanpassungsbericht 1975 um deutlich mehr als 1 Milliarde DM verbessert hat. Die ständig verbesserte Methode vorsichtiger Vorausberechnung hat sich also bewährt, und diese Regierung und die sie tragende Koalition bürgen dafür, daß auch in Zukunft genau gerechnet wird.Wir wissen, daß das solide finanzielle Fundament der Rentenversicherung und der Sozialversicherung insgesamt das feste Fundament für die soziale Sicherheit der Menschen in diesem Lande ist. Das ist eine der Grundlinien unserer Politik. Und wir lassen nicht zu, daß mit dem Vertrauen von Menschen in die langfristige finanzielle Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit des Systems der sozialen Sicherung gespielt wird.
Dies sei denen ins Stammbuch geschrieben, die nun auch als Rentnerverunsicherungsunion antreten.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hält es nicht für notwendig, von der bisherigen Vorausberechnungsmethode des Rentenanpassungsberichts — beschlossen in der Großen Koalition — abzugehen und jeweils mehrere Vorausberechnungen mit alternativen Annahmen vorzulegen und neben den langfristigen Vorausberechnungen im Vierteljahresturnus aktualisierte Fünfjahresvorausschätzungen zu veröffentlichen. Zum einen ist nur die langfristige Berechnung geeignet, kein Zerrbild infolge kurzfristiger Schwankungen entstehen zu lassen. Zum anderen löst die Veröffentlichung von Alternativen voraussichtlich Streit über deren Wahrscheinlichkeit aus und führt zu falscher Verunsicherung.Auch der Sozialbeirat hat sich mit Nachdruck gegen die Vorlage von Alternativen in der Hauptrechnung des Rentenanpassungsberichtes ausgesprochen. Zwar werden Alternativrechnungen durchgeführt und vom Sozialbeirat in seinen Gutachten verwendet. In seinem Schreiben vom 21. November 1974 an den Herrn Bundesarbeitsminister betonte der Vorsitzende des Sozialbeirats, Professor Dr. Mein-hold, jedoch — ich darf zitieren —:Aber solche Alternativen zum Inhalt der Hauptrechnungen zu machen, würde bedeuten, daß die Regierung nicht von ihrer Verantwortung ausgeht, dahin zu wirken, daß Annahmen später realisierbar werden, die sowohl volkswirtschaftlich wie auch im Hinblick auf die finanzielle Entwicklung der Rentenversicherungsträger zu günstigen Ergebnissen führen.Das schließt allerdings nicht aus, meine Damen und meine Herren, daß die Bundesregierung ihre Überlegungen und den Gedankenaustausch mit dem Sozialbeirat und den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung in der vielfach erprobten Weise fort- i setzt, um zu prüfen, in welcher Form der Zielsetzung der Vorausberechnungen noch besser Rechnung getragen werden könnte. Das bedeutet auch, daß — wie bisher — veränderte wirtschaftliche und demographische Daten in den jährlichen Rentenanpassungsberichten ihren Niederschlag finden. Daher war es nur folgerichtig, daß Vorstöße der Opposition im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zurückgewiesen wurden, die die bewährten Grundsätze der Vorausberechnung verletzt hätten.Ich bitte Sie namens der SPD-Bundestagsfraktion, dem Gesetzentwurf über die Rentenanpassung genauso einmütig zuzustimmen, wie es der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung getan hat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Franke .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU begrüßt die Anhebung der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung ab 1. Juli 1975 um 11,1 %. Der 1. Juli ist ein Datum, das die Rentner der CDU/CSU zu verdanken haben.
— 1972 stimmten die SPD und die FDP — im September /Oktober — in namentlicher Abstimmunggegen die Vorziehung vom 1. Januar 1973 auf den
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10477
Franke
1. Juli 1972, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Die Erhöhung der Renten ist nicht eine Leistung dieser Regierung, sondern hier wird jährlich durch das Parlament vollzogen, was die CDU/CSU 1957 beschlossen hat!
— Wer hier gerade am lautesten gelacht hat, das war der Erfinder von Herrn Guillaume, der wird heute noch oft genannt; aber der war damals, 1957, noch nicht hier. Das war der Herr Ehrenberg! Daher weiß er nicht, daß wir es waren, die das hier durchgesetzt haben.
Sowohl die erste Rentenreform wie aber auch die zweite Rentenreform sind ein Verdienst der CDU/ CSU. Gegen uns wäre diese Rentenreform 1972 nicht beschlossen worden; denn an dem Tage hatten wir, weil Ihr Fraktionskollege Karl Schiller fehlte, die Mehrheit hier im Hause.
— Herr Wehner, das ist ja Ihr Problem.
— Es ist ja schließlich ein Mitglied Ihrer Partei und nicht unserer gewesen.
- Er ist nicht Mitglied unserer Partei!
Meine Damen und Herren, weiter muß gesagt werden, die Erhöhung um 11,1 % ist nicht ein Verdienst dieser Regierung, sondern — wie Kollege Götz hier vor kurzem sagte — „ein automatischer Reflex der vorausgegangenen Lohnbewegungen". Also weder Walter Arendt noch irgendein Teil dieses Hauses auf der Regierungsseite kann sich das an den Hut stecken, sondern das ist ein Ergebnis der Beschlüsse von 1957, und da hatten wir die Mehrheit hier in diesem Hause.
Gleichzeitig wird die Anpassung der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab 1. Januar 1976 beschlossen, ebenso die Anpassung der Altersgelder in der Altershilfe für Landwirte ab 1. Januar 1976
— natürlich, Herr Ehrenberg —
und die Einführung eines Waisengeldes in derAltershilfe für Landwirte. — Wir erfinden etwasPositives, nämlich soziale Verbesserungen für unsere Bürger, und Sie erfinden Guillaume, Herr Ehrenberg! Die Einführung eines Waisengeldes in der Altershilfe für Landwirte geht auf eine Initiative der CSU /CSU zurück, die in einem Entschließungsantrag vom 13. März 1974 forderte — ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren —:Es wird gebeten, alsbald eine Regelung herbeizuführen, die eine soziale Versorgung von Witwen und Waisen landwirtschaftlicher Unternehmer sicherstellt.
Meine Damen und Herren, ich weiß gar nicht, wie Sie das hier für sich in Anspruch nehmen können. Die Initiative ist aus der Fraktion der CDU/CSU gekommen. Wir bedauern, daß die Frage der sozialen Versorgung der Witwen landwirtschaftlicher Unternehmer noch nicht gelöst worden ist. Die SPD und die FDP haben diesen Antrag der CDU/CSU abgelehnt.Aber heute steht nicht der Rentenanpassungsbericht zur Beratung. Das ist in den 18 Jahren das erstemal, daß der Rentenanpassungsbericht nicht gleichzeitig mit der Verabschiedung eines Rentengesetzes behandelt wird. Woran liegt das? Der Haushaltsausschuß hat es gestern — im übrigen einstimmig — abgelehnt, diesen Rentenanpassungsbericht hier zur Kenntnis zu nehmen. Der Haushaltsausschuß verlangt eine Aktualisierung der Daten. Wir haben uns leider im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung mit diesem Anliegen nicht durchsetzen können. Natürlich ist der Obmann der CDU/CSU-Fraktion gestern aus dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung auch noch in den Haushaltsausschuß gegangen — ich bin auch Mitglied des Haushaltsausschusses —, und wir haben uns letztlich dort mit unserem Anliegen durchsetzen können, dem Verlangen, dem Sie im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung nicht Rechnung getragen haben.Also: der Haushaltsausschuß verlangt eine Aktualisierung der Daten. Sie — die Regierung — haben die Lage aufgezeichnet, die am 31. Oktober 1974 bestand. Da haben Sie lediglich eine gesetzliche Pflicht erfüllt. Das ist im Augenblick gar nicht zu kritisieren. Daß Sie die Daten zum 31. Oktober 1974 auf den Tisch gelegt haben, entsprach einem gesetzlichen Befehl, den Sie ausgeführt haben. Aber die Lage hat sich auch für die Rentenversicherung seither bedrohlich entwickelt. Lassen Sie mich aus diesem Rentenanpassungsbericht nur zwei Daten zitieren — das können Sie alle nachlesen —: 1975 geht dieser Rentenanpassungsbericht — und das ist eine Schuld der Regierung, daß sie das so eingeschätzt hat — davon aus, daß die Entgeltannahme 1975 10,1 % betrage. Nun, das Gros der Tarifabschlüsse ist jetzt über die Bühne gegangen. Im Grunde genommen sind es 6 bis 7 %. Wenn wir es effektiv nehmen, sind es 7,5 oder 8 %. Das heißt, hier ist ganz eindeutig eine Differenz von 2 % Entgeltannahme, die sich langfristig auf die 15jährige Vorausschätzung negativ niederschlägt. Demnach stimmen also die Daten des Rentenanpassungsberichtes nicht.
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Franke
Oder ein Zweites! Hier wird davon ausgegangen, daß sich die Zahl der Beschäftigten Angestellteund Arbeiter im Jahr 1975 um 0,44 % verändere. Das glaubt ja auch nicht einmal mehr die Bundesregierung, die das am 31. Oktober 1974 festgestellt hat. Da war das vielleicht noch nicht ganz genau zu übersehen. Ich wiederhole: das kritisiere ich nicht. Ich kritisiere nur, daß Sie alle Widerstände leisten, diese Daten hier zu aktualisieren. Wie unrealistisch diese Annahme der Zunahme der Beschäftigtenzahl ist, zeigt einmal der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung, in dem für 1975 von einer Arbeitslosenquote von 3 % jahresdurchschnittlich ausgegangen wird, d. h. also von 730 000 Arbeitslosen pro Jahr. Sie rechnen — im Rentenanpassungsbericht — immer noch mit einer Zunahme von 0,44 %, und Sie sind nicht bereit, diese Daten jetzt anzupassen. Das bedauern wir außerordentlich.
Diese Zahl von 3 % - meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe, daß es nur 3 % bleiben werden — ist nach Meinung vieler wirtschaftswissenschaftlicher Institute aber unrealistisch. Lassen Sie mich hier gerade noch das zitieren, was der Deutsche Gewerkschaftsbund am 21. Februar im Hinblick auf die voraussichtliche Entwicklung der Zahl der Arbeitslosen in der Bundesrepublik sagt, und zwar unter Zugrundelegung der Daten, die vom WSI, dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut des Deutschen Gewerkschaftsbundes, herausgegeben worden sind. Der DGB sagt — ich zitiere, Frau Präsidentin —:Das reale Wachstum des Bruttosozialprodukts dürfte 1 % betragen. Bei einem Rückgang des Arbeitsvolumens von zirka 3 %, bei einer Arbeitslosenzahl von 830 000 dürfte die Arbeitslosenquote gut 3,5 % betragen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich Ihnen an Hand einer „Faustzahl" noch einmal sagen, was das bedeutet. 250 000 Arbeitslose „produzieren" 1 Milliarde DM weniger Beitragseinnahmen bei den Rentenversicherungsträgern. Deshalb hat der Haushaltsausschuß gestern mit Recht eine „Fortrechnung" der Daten verlangt. Diese „Fortrechnung" ist notwendig, damit wir hier politisch auch weiterhin solide — zumindest was die Opposition angeht — entscheiden können.
Meine Damen und Herren, wir verlangen von Ihnen keine regierungsamtliche Schönfärberei, sondern eine rigorose und schonungslose Bestandsaufnahme. Die Unfähigkeit dieser Regierung, Stabilität zu erhalten, schlägt sich hier u. a. auch zuungunsten sozial schwächerer Teile unseres Volkes nieder. Hatten vorher — dies gilt natürlich auch für heute alle unter Inflation zu leiden, so ist nunmehr sogar abzusehen, daß die Unfähigkeit dieser Regierung unser soziales Sicherungssystem in Gefahr bringt.
Sie können von uns nicht verlangen, daß wir als Oppositionsfraktion dieser Ihrer Unfähigkeit auch noch eine amtliche Beglaubigung ausstellen.Meine Damen und Herren, wir stimmen selbstverständlich den von uns im „Urgrund" geschaffenen Gesetzen und der Anpassung zu.
Wir verlangen aber außerdem eine Aktualisierung der Daten,
um Sozialpolitik künftig solider gestalten zu können, als Sie das getan haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Freien Demokraten stimmen dem vorliegenden Entwurf eines Achtzehnten Rentenanpassungsgesetzes mit Befriedigung zu, weil wir in ihm einen wesentlichen neuen Teil des Netzes solider sozialer Sicherheit sehen, das seit 1969 von dieser sozialliberalen Koalition aus Sozialdemokraten und Freien Demokraten in diesem Hause immer fester gewebt worden ist.
Herr Kollege Franke, dies ist ein Netz — darin stimme ich mit Ihnen völlig überein —, an dem dieses ganze Haus seit Beginn der Bundesrepublik gewebt hat und an dem zweifellos auch die heutige Opposition mit den von ihr gestellten Bundesarbeitsministern großen Anteil hat. Darüber haben wir uns, glaube ich, nie gestritten. Dieses Netz konnte unseren Mitbürgern in den letzten fünf Jahren aber zweifellos erheblich größere Sicherheit — auch für die Zukunft — geben.
— Herr Kollege Müller, ich verstehe gar nicht, daß der Kollege Franke, wie wir eben alle gehört haben, auf der einen Seite alle Erfolge auf das Konto der CDU/CSU verbucht und zum Schluß gesagt hat, seine Fraktion stimme dem Gesetzentwurf selbstverständlich zu, und auf der anderen Seite plötzlich versucht, zu verunsichern.
— Herr Kollege Müller, ich empfehle Ihnen, dieses Netz sozialer Sicherheit, an dem Sie — gar keine Frage! — mitgewirkt haben, das Sie aber immer wieder zu verunglimpfen versuchen Sie versuchen, den Leuten, die sich darauf verlassen, Schwierigkeiten und Unsicherheiten einzureden , in der heutigen Situation einmal aus der Sicht aller unserer Nachbarn, aus der Sicht der gesamten übrigen Welt zu beurteilen. Wir werden wegen dieses Netzes sozialer Sicherheit, das wir gemeinsam gewebt ha-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10479
Schmidt
ben, draußen bewundert und in der heutigen Situation manchmal sogar beneidet, meine Damen undHerren. Das wollen wir doch einmal hier feststellen.Herr Kollege Burger, bitte!
Bitte, Herr Kollege Burger!
Herr Kollege Schmidt, halten Sie eine realistische Betrachtung z. B. der Lage der Rentnerkrankenversicherung und eine langfristige Betrachtung der Sicherheit der Renten nach heutigen Gesichtspunkten wirklich für eine Verunsicherung? Ich sage: realistische Betrachtungsweise, nicht pessimistische.
Herr Kollege Burger, ich habe zwar erst angefangen und wollte zum Rentenanpassungsbericht und anderen Dingen etwas später noch kommen, zumal wir uns ja auf kurze Erklärungen geeinigt haben. Aber ich kann Ihnen eines schon jetzt sagen. Natürlich müssen wir die Dinge realistisch betrachten, und ich habe schon öfters Gelegenheit gehabt, für die Freien Demokraten von dieser Stelle aus etwas dazu zu sagen, auch zu den Überlegungen, die wir bezüglich der Krankenversicherung der Rentner anstellen müssen. Aber zweifellos ist das, was der Kollege Franke hier dazu ausgeführt hat,
auch keine realistische Betrachtung. Denn eine realistische Betrachtung geht davon aus — und davon gehen wir Freien Demokraten und gehe ich allerdings aus —, daß wir die Schwierigkeiten, die im Moment auf dem Arbeitsmarkt bestehen und die im Moment zu gewissen Problemen führen, in diesem Jahr überwinden werden und daß dann das Netz sozialer Sicherheit auch über die Beitragszahler usw. wieder ganz klar geknüpft ist.
Aber lassen Sie mich zu meiner Erklärung zurückkehren, meine Damen und Herren. Mit diesem Gesetz — der Kollege Sund hat es schon angeschnitten; aber ich will es noch einmal kurz verdeutlichen, damit die etwas verunsichernden Zwischentöne wieder aus der Welt geschafft werden — werden die Renten in der Rentenversicherung um 11,1 % zum 1. Juli 1975, in der Unfallversicherung um 11,7 % zum 1. Januar 1976 und in der Alterskasse für Landwirte um 11,1 % zum 1. Januar 1976 angehoben. Ganz besonders begrüßen wir dabei, daß diese sozialliberale Koalition in der gesetzlichen Altershilfe für Landwirte nunmehr zum drittenmal eine dynamische Anpassung für alle Altershilfempfänger ermöglicht. Hier werden Sie nicht sagen können: Das haben wir auch schon alles gewollt; denn zu Ihrer Zeit hat es keine dynamische Altershilfe für Landwirte gegeben.
Ich möchte dies hier ausdrücklich feststellen
und dem hierfür zuständigen Ressort, insbesondere auch dem Bundesernährungsminister, für das Netz agrarsozialer Sicherheit, das hier wieder zusätzlich geknüpft wird, danken.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Maucher?
Herr Kollege Maucher, bitte!
Herr Kollege Schmidt, glauben Sie, daß Sie die Landwirte richtig in die soziale Landschaft eingebettet haben, nachdem Sie wie in der Kriegsopferversorgung auch in der Landwirtschaft den Rückstand dynamisiert haben?
Herr Kollege Maucher, ich muß es mir jetzt leider versagen, weil wir, wie gesagt, 15minütige Erklärungen vereinbart haben, längere Ausführungen darüber zu machen, daß mit der Einführung der Krankenversicherung der Landwirte eine Reihe von Dingen anders geregelt werden mußten, und muß Ihnen jetzt eine kurze Antwort geben. Sie wissen sehr genau, welche große Bedeutung die Einführung der Krankenversicherung der Landwirte für die Landwirtschaft, insbesondere auch für die Altershilfeempfänger in der Landwirtschaft, hatte. Sie wissen auch sehr genau, daß, wenn man eine neue Bevölkerungsgruppe in dieser Form in ein System eingliedert, Probleme auftauchen. Wir haben uns bemüht, diese Probleme so gut wie möglich zu regeln.Dieses Achtzehnte Rentenanpassungsgesetz wird insgesamt 12 Millionen Rentnern einen Einkommenszuwachs von 9,5 Milliarden DM bringen. Mit diesem Gesetz werden — ich möchte das noch einmal feststellen — die gesetzlichen Renten seit 1969 um über 80 % nominal und um 35 bis 40 % real gestiegen sein. Das ist die Antwort auf alle diejenigen — nicht alle von Ihnen, aber viele, meine Damen und Herren der Opposition —, die draußen laufend den Rentnern einreden wollen, sie seien bei den Schwierigkeiten, die wir mit Preisentwicklungen haben, am ärmsten dran. Die Antwort ist: 40 % mehr Realeinkommen der Rentner seit 1969 trotz Schwierigkeiten bei den Preisen.Meine Damen und Herren, es ist doch auch interessant — Herr Kollege Franke, Sie haben einiges über Zukunftssicherung gesagt, und immer wieder hört man auch die Behauptung, das Rentenniveau sei nicht in Ordnung —, daß wider all diese Behauptungen das tatsächliche Nettorentenniveau von 1962 unter Arbeitsministern der Opposition von 52,4 % des letzten Nettoeinkommens über 56,8 % 1970 zu Beginn der sozialliberalen Koalition auf knapp 63 % vom letzten Nettoeinkommen im Jahre 1975 gestiegen ist, sogar noch unter Einbeziehung der Erhöhung der Nettoeinkommen 1975 durch die Steuerreform.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Herr Kollege Schmidt, welche Zahl stimmt denn nun? Am 16. Januar sagte Herr Glombig 62,9 %, und am gleichen Tage sagten Sie 72,9 %. Das ist nachzulesen in dem auch von Ihnen korrigierten Stenographischen Protokoll des Bundestages. Auf eine Zahl müssen Sie sich einigen, Herr Kollege Schmidt, auf die von Ihnen genannte — Sie haben 72,9 % gesagt — oder die von Herrn Glombig, 62,9 %.
Es gibt da gar kein Mittel, Herr Kollege Stücklen. Ich gebe gern zu, daß ich mich damals mit 72 versprochen habe; ein reiner Versprecher.
Lassen Sie mich noch ein Zweites zu den Problemen der Zukunftssicherung sagen; ich habe es schon auf die Zwischenfrage des Kollegen Burger kurz gesagt. Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, daß man im Haushaltsausschuß gemeinsam der Auffassung war, daß wir uns über aktuelle Zahlen unterhalten sollten. Das ist gar keine Frage; denn wir alle haben ein Interesse daran, gerade auch wir Freien Demokraten, daß wir die Zukunftsentwicklungen mit konkreten Zahlen weiter sehen können. Aber eines möchte ich in diesem Zusammenhang für die Freien Demokraten klar sagen, und zwar nicht nur hier für dieses Hohe Haus, sondern auch für die Rentnerinnen und Rentner draußen: Es besteht keinerlei Sorge, daß bei der jetzigen Leistungssituation und bei der jetzigen Berichtssituation die Rentner in den nächsten Rentenberechnungsbereichen — 10 bis 15 Jahre — in Schwierigkeiten kommen. Kein Rentner soll sich verunsichern lassen. Wir Freien Demokraten und die sozialliberale Koalition werden dafür sorgen, daß diese Renten in den Berechnungs-
und Berichtszeiträumen weiterhin gesichert sind. Dafür hat sich die sozialliberale Koalition zusammengeschlossen, den älteren Mitbürgern ganz besonders klare Sicherheiten für ihr Alter zu schaffen.
Wir Freien Demokraten begrüßen es auch ganz besonders, daß es im Rahmen des Achtzehntes Rentenanpassungsge'setz möglich gewesen ist, ein neues Stück soziale Sicherheit in den Agrarbereich hineinzutragen, daß es möglich gewesen ist, die Waisengelder für Landwirte hier einzupassen.
Herr Kollege Franke, natürlich ist es Recht und Aufgabe der Opposition, zu fordern. Das hat sich, je nachdem, wie sich die Dinge in diesem Hause wandeln, immer so gezeigt. Aber es ist eben auch Aufgabe, zu sagen, wie es finanziert werden kann. Zu dem Zeitpunkt, da Sie Anträge gestellt haben, gab es eben noch keine Möglichkeit, das, was geschehen sollte, zu finanzieren. Es ist das Ergebnis dieser sozialliberalen Koalition — das ist der Dank an den Bundesernährungsminister —, daß es gelungen ist, die für diese Waisengelder notwendigen Mittel auch aus dem Haushalt festzulegen; denn nur so sind sie sicher. Fordern und Anträge stellen können wir jeden Tag, aber nachzuweisen und die Gelder auf den Tisch zu legen, das ist die Aufgabe! Das hat die sozialliberale Koalition, das haben wir mit unserem Antrag im Ausschuß getan, denn da wußten wir, daß die Finanzierung gesichert ist. Anträge ohne Vorschläge zur Finanzierung sind natürlich sehr schön, aber sie reichen eben nicht zur Realisierung aus.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, auf die übrigen zusätzlichen —
— Bitte schön!
Herr Abgeordneter Eigen, bitte!
Herr Kollege, wie können Sie solche Aussagen machen, zumal Sie doch wissen müßten, daß im Entschließungsantrag der CDU/CSU am 13. März vorigen Jahres sehr wohl eine Finanzierung dargestellt worden ist?
Es ist in dem Entschließungsantrag ein Vorschlag gemacht worden, aber das Bundesernährungsministerium und der Haushaltsausschuß waren nicht in der Lage, diesem zu folgen. Wir haben einen annehmbaren Finanzierungsvorschlag vorlegen können.
— Entschuldigen Sie, ich kann ja nicht auf der einen Seite etwas kürzen, ohne — — Ich sage ja gar nicht, daß die Opposition nicht das Recht dazu hat und daß Sie nicht als erste das angesprochen haben. Ich stelle nur fest, daß die Regierungskoalition mit ihrem Antrag zu einem Zeitpunkt, wo die Finanzierung gesichert war, das realisiert hat, was wir alle wollen und was Sie zum erstenmal angesprochen haben. Okay!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kiechle?
Bitte schön!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schmidt, im Zusammenhang mit Ihrem Lob, dem Herrn Bundesernährungsminister sei es gelungen, die Geldei dafür zur Verfügung zu stellen: Ist Ihnen bekannt, daß gleichzeitig die Bundesregierung 80 Millionen DM aus dem Haushalt, Einzelplan 10, gestrichen hat?
Herr Kollege Kiechle, Sie sind doch, glaube ich, ein Mitglied der Opposition.
— Ich nehme es an. — Wenn ich die Ausführungen
der Opposition zu Haushaltsfragen und zu der Not-
Schmidt
wendigkeit sparsamer Haushaltsführung und von Kürzungen — ich denke jetzt nur an einige Mitglieder der Opposition des Haushaltsausschusses, die im Raume sind — in der Vergangenheit richtig verstanden habe, dann war die Opposition mit der Bundesregierung, mit den Koalitionsfraktionen immer der Meinung, daß wir in der heutigen Zeit leider gekürzte Haushalte fahren müssen, um konjunkturgerecht zu sein. Daß in jedem Haushalt Kürzungen notwendig geworden sind, nicht nur im Hause des Herrn Ertl — auf Einzelzahlen will ich mich jetzt nicht einlassen, aber darüber können wir ja ein anderes Mal debattieren —,
hat in sehr vielen Fällen der Haushaltsausschuß sogar gemeinsam legalisiert. Man kann also nicht sagen: „Da sind in einem Haushalt 80 Millionen DM gestrichen, die hättet ihr nicht streichen dürfen!" Denn wenn wir den Haushalt aus gemeinsamer Verantwortung in diesem Hause so fahren wollen, dann muß man auch zu gewissen Streichungen global bereit sein.
Meine Damen und Herren, ich möchte nicht noch auf Einzelheiten weiterer Änderungen eingehen; der Kollege Sund hat sie angesprochen.
Lassen Sie mich abschließend noch einmal für die Freien Demokraten erklären: Wir stimmen diesem Achtzehnten Rentenanpassungsgesetz zu, weil wir in diesem Gesetzentwurf wieder den Beweis sehen, daß der Ausbau der sozialen Sicherung mit dem notwendigen Augenmaß konkret fortgesetzt wird und daß dabei weder Fortschritt gefährdet noch in irgendeiner Form Unsicherheit, wie es die Opposition darzustellen versucht, herbeigeführt wird. Wir stellen auch fest, daß die Opposition letztlich zu diesem Gesetzentwurf keine Alternativen gezeigt hat.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Arendt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt, daß die von ihr vorgeschlagene Rentenanpassung jetzt von diesem Hohen Hause beschlossen wird. Dadurch wird sichergestellt, daß die rund 11 Millionen Altrenten aus den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten sowie der knappschaftlichen Rentenversicherung fristgerecht zum 1. Juli dieses Jahres erhöht werden können. Die rund eine Million Renten aus der gesetzlichen Unfallversicherung und 625 000 Altersgelder in der Altershilfe für Landwirte werden ebenso termingerecht zum 1. Januar 1976 erhöht.Durch die 18. Rentenanpassung wird das Einkommen von insgesamt 12,6 Millionen Rentnern um mehr als 11 % verbessert. In diesem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, daß die Renten allein im Zeitraum seit 1969 um mehr als 80 % angehoben worden sind. Aus je 100 DM Rente im Jahre 1969 werden jetzt 183,30 DM. Im Vergleich zu 1957 betragen die Renten nach der 18. Rentenanpassung nahezu das Vierfache. Der Erhöhung der Renten auf Grund des Achtzehnten Rentenanpassungsgesetzes kommt in der gegenwärtigen konjunkturellen Situation besondere Bedeutung zu. Die erhöhten Renteneinkommen können dazu beitragen, die Nachfrage zu beleben, ohne die Wirtschaft zusätzlich mit Kosten zu belasten. Damit geht von der Rentenanpassung auch eine stabilisierende Wirkung auf die Beschäftigungslage aus. Zugleich wird erneut sichergestellt, daß die aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Menschen an den früheren Lohnentwicklungen in angemessener Weise teilhaben.Die finanziellen Mehraufwendungen auf Grund des Achtzehnten Rentenanpassungsgesetzes sind beträchtlich. Sie betragen im .Jahr rund 9,5 Milliarden DM. Davon entfallen allein rund 8,8 Milliarden DM auf die Rentenversicherungen.Wie der Ihnen vorliegende Rentenanpassungsbericht 1975 ausweist, ist die Finanzierung dieser Mehraufwendungen auch langfristig gesichert. In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich feststellen, daß es keinen Zweifel an der finanziellen Solidität der gesetzlichen Rentenversicherungen geben kann, auch wenn die derzeitige wirtschaftliche Abschwächung die Entwicklung der Beitragseinnahmen natürlich nicht unberührt läßt.Auf die langfristige Finanzierung der Leistungen aus den Rentenversicherungen können die Rentner vertrauen. Im Arbeitsministerium sind gerade in diesen Tagen die ersten vorläufigen Rechnungsergebnisse der Rentenversicherung für das Jahr 1974 zusammengestellt worden. Danach konnten die Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten zusammen einen Überschuß von 4,9 Milliarden DM erzielen. Davon gehen allerdings 1,2 Milliarden DM auf Beiträge zurück, die im Rahmen der Sondervorschriften der Rentenreform entrichtet wurden. In den langfristigen Vorausberechnungen der finanziellen Entwicklung der Rentenversicherungen im Rentenanpassungsbericht 1975 war ein Überschuß von rund 2,7 Milliarden DM vorausberechnet worden. — Ich darf das auch im Hinblick auf die gestrigen Vorgänge im Haushaltsausschuß feststellen. Hier haben wir die aktuellen Zahlen, und diese geben überhaupt keinen Anlaß zur Verunsicherung. - -- Trotz der Veränderungen im Wirtschaftsablauf des Jahres 1974 hat sich demnach die finanzielle Lage der Rentenversicherungen gegenüber den Vorausberechnungen nicht verschlechtert.Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat den Gesetzentwurf um weitere Rechtsverbesserungen ergänzt. Die Bundesregierung begrüßt die in Aussicht genommenen Regelungen. Besonders hervorheben möchte ich die Erweiterung des Leistungskatalogs in der Altershilfe für Landwirte durch das Waisengeld. Diese Regelung trägt dazu bei, die soziale Sicherung der bäuerlichen Bevölkerung weiterzuentwickeln. Insbesondere wird dadurch die wirtschaftliche Lage der Witwen mit Kindern spürbar verbessert.Zum Schluß möchte ich im Namen der Bundesregierung den Damen und Herren dieses Hohen
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Bundesminister ArendtHauses dafür danken, daß sie es durch ihre zügige Beratung ermöglicht haben, das Achtzehnte Rentenanpassungsgesetz heute zu verabschieden. Mein Dank gilt den Mitgliedern des federführenden Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ebenso wie den Mitgliedern des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und des Haushaltsausschusses, die den Gesetzentwurf mitberaten haben.Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, dem Achtzehnten Rentenanpassungsgesetz Ihre Zustimmung zu geben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Der Antrag des Ausschusses unter Nr. 2 wurde zurückgezogen; wir brauchen darüber nicht mehr abzustimmen.
Ich rufe den Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Sozialversicherung Behinderter
— Drucksache 7/1992 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
-- Drucksache 7/3288 —Berichterstatter: Abgeordneter Krampe
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 7/3237 —
Berichterstatter: Abgeordneter Glombig
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Der Berichterstatter wünscht nicht das Wort. Zur Aussprache in der zweiten Lesung wird das Wort ebenfalls nicht gewünscht.
Ich rufe auf Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Danke schön!
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Herr Abgeordneter Glombig gibt eine Erklärung ab in der Aussprache zur dritten Beratung. Bitte, Herr Abgeordneter Glombig!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt den Entwurf eines Gesetzes über die Sozialversicherung Behinderter und stellt mit Befriedigung fest, daß mit diesem Gesetz ein weiteres Teilstück des umfassenden Reformprogramms der sozialliberalen Koalition zur Rehabilitation der Behinderten seiner Vollendung entgegengeht. Vor knapp vier Jahren, im Frühjahr 1970, hat die sozialliberale Koalition ihr Aktionsprogramm zur Rehabilitation vorgelegt. Das war das erste Mal, daß eine Bundesregierung überhaupt den Versuch unternommen hat, eine sinnvolle Gesamtkonzeption für die Lösung der teilweise sehr bedrückenden Probleme der Behinderten und ihrer Familien zu entwickeln.Heute können wir feststellen, daß das Programm des Jahres 1970 bereits weitgehend in die Tat umgesetzt worden ist. Durch die Dritte Novelle zum Bundessozialhilfegesetz wurden die Hilfen für die Schwerstbehinderten und Pflegebedürftigen wesentlich verbessert, die Anrechnung des Einkommens und Vermögens der Angehörigen der Behinderten wurde in vielen Fällen eingeschränkt, und es wurde eine ganz neue Entwicklung der Leistungen der sozialen Rehabilitation eingeleitet.Im neuen Schwerbehindertengesetz wurden die Hilfen für Behinderte zur Eingliederung in das Erwerbsleben nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Schwerbehinderten, unabhängig von der Ursache der Behinderung, neu geordnet.Gerade in der gegenwärtigen schwierigen Konjunktursituation kann festgestellt werden, daß das Schwerbehindertengesetz seinen sozialpolitischen Zweck voll erfüllt, nämlich den Schwerbehinderten einen besonderen Schutz gegen die Risiken des Arbeitslebens zu geben. Entgegen anderslautenden Behauptungen muß klargestellt werden, daß die Arbeitslosigkeit unter den Schwerbehinderten deutlich geringer ist als die allgemeine Arbeitslosigkeit. Das belegen die statistischen Daten eindeutig. Es ist bedauerlich — ich sage das einmal so, wie ich es empfinde —, daß auch solche Verbände gegenüber der Öffentlichkeit einen irreführenden Gebrauch von der amtlichen Statistik gemacht haben, die über den erforderlichen Einblick verfügen.
Meine Damen und Herren, mit dem Rehabilitations-Angleichungsgesetz sind die verschiedenen Rehabilitationsleistungen in Art und Umfang weitgehend einander angeglichen und aufeinander abgestimmt worden. Dadurch wurde ein weiteres Stück der bislang bestehenden Ungleichbehandlung der Behinderten beseitigt und ein reibungsloser Verlauf der Rehabilitation vom Krankenbett bis zum Arbeitsplatz gefördert. Vor allem aber wurde einem sehr großen Personenkreis, nämlich den jugendlichen Behinderten und den behinderten Hausfrauen, die nicht erwerbstätig sind, auf dem Weg über die Familienhilfe der gesetzlichen Krankenversicherung der Zugang zur medizinischen Rehabilitation als Leistung der Sozialversicherung eröffnet.Das Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter setzt die Reihe dieser Gesetze zur Rehabilitation fort. Die sozialliberale Koalition verfolgt mit diesem Gesetz das Ziel, auch denjenigen Behinder-
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Glombigten zu einer angemessenen und eigenständigen sozialen Sicherung zu verhelfen, die auf Grund der Schwere ihrer Behinderung nicht am allgemeinen Erwerbsleben teilnehmen können und deshalb bislang von der Sozialversicherung ausgeschlossen waren und ausgeschlossen sind. Deshalb hat dieses Gesetz auch eine über den Bereich der Rehabilitation hinausreichende grundsätzliche Bedeutung für die Weiterentwicklung unseres Systems der sozialen Sicherung. Es ist ein weiterer entscheidender Schritt über die traditionelle Ausgestaltung der Sozialversicherung als Arbeitnehmerversicherung hinaus.Die gruppenspezifische Sozialversicherung, die seit nahezu 90 Jahren die sozialpolitische Landschaft in unserem Lande bestimmt, ist schon seit langem nicht mehr den Anforderungen der gesellschaftlichen Entwicklung gewachsen. Deshalb hat die sozialliberale Koalition auch die Aufgabe in Angriff genommen, die Hemmnisse für den Zugang zur Sozialversicherung zu beseitigen, an denen von der CDU/CSU jahrzehntelang starr festgehalten worden ist -- auch eine Tatsache, die nicht zu bestreiten ist. Inzwischen wurde der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung auf die Schüler, Studenten und Kindergartenkinder ausgedehnt und die gesetzliche Rentenversicherung für jedermann geöffnet, insbesondere wurde die Rentenversicherungspflicht für alle Angestellten eingeführt.Obwohl diese Reformen eine sehr wichtige sozialpolitische Weichenstellung gebracht haben, ist trotz der weitgehenden Öffnung der Sozialversicherung noch nicht in allen Fällen garantiert, daß jeder auch tatsächlich die Möglichkeit hat, sich einen Sozialversicherungsschutz zu erwerben. Das betrifft insbesondere die sozial Schwächsten in unserer Gesellschaft, die oftmals nicht in der Lage sind, die erforderlichen Beiträge aus eigener Kraft aufzubringen, zumal sie in der Regel keinen Anspruch auf Arbeitgeberbeiträge haben. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist entschlossen, durch gezielte Hilfen auch diesen Gruppen den Sozialversicherungsschutz zu ermöglichen. Der Erreichung dieses Zieles dient auch der vorliegende Gesetzentwurf. Er wird seine Ergänzung in anderen Entwürfen der Regierungskoalition finden, die dem gleichen Ziel dienen, so in dem Gesetzentwurf über die Krankenversicherung der Studenten und in den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften des neuen Strafvollzugsgesetzes.Nach dem heute geltenden Recht hat ein großer Teil der Behinderten, insbesondere der Schwerstbehinderten, keinen Renten- und Krankenversicherungsschutz. Das betrifft vor allem die von Geburt oder von Jugend an Behinderten, die wegen ihrer Behinderung niemals erwerbstätig werden konnten, aber auch Personen, die wegen einer Krankheit so früh endgültig aus dem Erwerbsleben ausscheiden mußten, daß sie keinen Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente erwerben konnten. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hält es für notwendig, grundsätzlich allen Behinderten einen Rentenanspruch und einen Krankenversicherungsschutz einzuräumen, wenn sie auf Grund ihres Lebensschicksals nicht in der Lage sind, durch eigeneBeitragsleistungen entsprechend vorzusorgen. Dieses Ziel ist jedoch im Augenblick — ich gebe es zu — noch nicht voll realisierbar. Deshalb beschränkt sich der Entwurf auf eine Teillösung, durch die vorerst nur bestimmte Gruppen von Behinderten in die Sozialversicherung einbezogen werden. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion legt Wert auf die Feststellung, daß das Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter nur als erster Schritt auf einem Weg zu verstehen ist, der fortgesetzt werden muß, sobald die Finanzlage dies erlaubt.
— Wir hoffen, daß das recht bald sein wird.Am Ende dieses Weges muß eine volle eigenständige soziale Sicherung für alle Behinderten stehen. Was die eigenständige soziale Sicherung und nicht die abgeleiteten Ansprüche angeht, möchten wir die Behinderten in unserem Lande nicht anders behandelt sehen als die Frauen in diesem Lande, bei denen wir ähnliche Zielsetzungen verfolgen.
Die wichtigsten Schwerpunkte dieses Gesetzes lassen sich wie folgt zusammenfassen. Erstens. Alle körperlich, geistig und seelisch Behinderten, die in anerkannten Werkstätten für Behinderte oder in Blindenwerkstätten arbeiten, werden in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung pflichtversichert. Bislang waren diese Behinderten ihre Zahl wird auf ungefähr 20 000 geschätzt — in aller Regel wegen der in den Werkstätten gezahlten niedrigen Arbeitsentgelte nicht versicherungspflichtig.Bei der Bemessung der Beiträge für die Rentenversicherung wird ein fiktives Mindesteinkommen in Höhe von 90 v. H. des Durchschnittseinkommens aller in der Rentenversicherung Versicherten im vorvergangenen Jahr zugrunde gelegt. Würde man die Beitragshöhe am tatsächlichen Entgelt der Behinderten ausrichten, könnte in den meisten Fällen keine ausreichende Rente erzielt werden. Der Behinderte selbst und der Träger der Werkstatt haben als Arbeitnehmer bzw. als Arbeitgeber je zur Hälfte nur denjenigen Beitrag zu entrichten, der dem tatsächlichen Arbeitsentgelt des Behinderten entspricht. Die Differenz zwischen dem Beitrag, der sich nach dem tatsächlichen Arbeitsentgelt bemißt, und dem Beitrag, der sich nach dem fiktiven Mindesteinkommen bemißt, wird je zur Hälfte vom Bund und von den Ländern erstattet.Für die Krankenversicherung gilt ebenfalls ein Mindestbeitrag, der sich nach einem fiktiven Einkommen in Höhe von 20 v. H. des Durchschnittseinkommens aller in der Rentenversicherung Versicherten im vorvergangenen Jahr bemißt. Auch der Krankenversicherungsbeitrag wird je zur Hälfte von dem Behinderten als Arbeitnehmer und von der Werkstatt als Arbeitgeber getragen. Liegt das Arbeitsentgelt des Behinderten unter diesem fiktiven Einkommensbetrag, so hat jedoch die Werkstatt den ganzen Beitrag als Arbeitgeberbeitrag aufzubringen.
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10484 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
GlombigUm finanzielle Mehrbelastungen der Werkstätten durch das Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter zu vermeiden, wurde auf Initiative der Koalitionsfraktionen ausdrücklich im Gesetz festgelegt, daß die zunächst auf die Werkstatt entfallenden Arbeitgeberbeiträge von dem für den Behinderten zuständigen Kostenträger zu erstatten sind. Damit sind die in der letzten Zeit geäußerten Zweifel, so meine ich, behoben worden.Zweitens. Die Bestimmungen über die Erwerbsunfähigkeitsrente werden so geändert, daß — anders als nach geltendem Recht — auch die nach Eintritt des Versicherungsfalles der Erwerbsunfähigkeit entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für eine Erwerbsunfähigkeitsrente angerechnet werden. Diese Änderung war notwendig, weil andernfalls die Behinderten, die durch dieses Gesetz rentenversicherungspflichtig werden, in der Regel keine Erwerbsunfähigkeitsrente, sondern lediglich ein Altersruhegeld erhalten könnten. Künftig wird auch derjenige Versicherte einen Anspruch auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente haben, der nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit 20 Versicherungsjahre nachweisen kann.Drittens. Behinderte, die in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen gegen geringes oder teilweise sogar ohne Entgelt eine für die betreffende Einrichtung wirtschaftlich verwertbare Leistung erbringen, werden ebenfalls in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung pflichtversichert. Das ist in dieser Form neu. Davon sind ungefähr 25 000 Behinderte betroffen. Es handelt sich dabei z. B. um Behinderte, die in einer psychiatrischen Anstalt im Garten, in der Küche oder mit Reinigungsarbeiten beschäftigt sind.Diese Bestimmung ist auf Antrag der Koalitionsfraktionen in den Gesetzentwurf der Bundesregierung eingefügt worden. Es handelt sich bei dieser Gesetzesänderung um die Behebung, so meine ich, eines ausgesprochenen Mißstandes, man könnte fast sagen: um einen Akt der Wiedergutmachung; denn die betreffenden Behinderten haben oft jahrelang nahezu ohne Bezahlung Arbeiten verrichtet, die sonst von Arbeitnehmern hätten verrichtet werden müssen, und den Anstalten damit zu einer erheblichen Lohnkostenersparnis verholfen. Das ist nichts anderes als Lohnarbeit ohne Lohn. Es ist daher nicht mehr als recht und billig, meine Damen und Herren, daß diese Behinderten, wenn nicht schon einen gerechten Lohn, so doch wenigstens einen Sozialversicherungsschutz erhalten. Deshalb ist es auch konsequent, daß die Beiträge für diesen Personenkreis vom Träger der Einrichtung zu zahlen sind. Diese Beiträge sind nichts anderes als Betriebskosten der Einrichtungen und werden als Lohnkosten selbstverständlich in die Pflegesätze eingehen.Viertens. Auch die Behinderten, die in Berufsbildungswerken eine berufliche Erstausbildung erhalten und von dem Rehabilitationsangleichungsgesetz nicht erfaßt werden konnten, werden jetzt ausdrücklich kranken-, renten- und arbeitslosenversicherungspflichtig. Hierbei handelt es sich um eine rechtliche Klarstellung, um etwas, was wir längst gewollt haben. Sie ist notwendig geworden, weil in der Praxis Zweifel aufgetaucht sind, ob die Berufsausbildung in den Berufsbildungswerken unter den Begriff eines die Sozialversicherungspflicht begründenden Berufsausbildungsverhältnisses fällt.Fünftens. Allen Schwerbehinderten wird das Recht eingeräumt, der gesetzlichen Krankenversicherung beizutreten, und zwar unabhängig von ihrem Gesundheitszustand. Damit wird für diejenigen Schwerbehinderten, die nach dem neuen Gesetz nicht versicherungspflichtig werden, wenigstens ein freiwilliger Krankenversicherungsbeitritt ermöglicht. Diese neue Regelung wird durch die in der 3. Novelle zum Bundessozialhilfegesetz geschaffene Möglichkeit ergänzt, daß die Sozialhilfe die Krankenversicherungsbeiträge übernimmt.Sechstens. Künftig besteht für behinderte Kinder von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung ein Anspruch auf Familienhilfe ohne Altersgrenze, wenn sie wegen ihrer Behinderung nicht in der Lage sind, sich selbst zu unterhalten. Auch diese Änderung, ,die ich für eine der wichtigsten in diesem Gesetz halte, wird die bislang noch bestehenden Lücken im Krankenversicherungsschutz Behinderter schließen helfen und — ich betone das an dieser Stelle ganz besonders; ich komme darauf am Schluß noch kurz zu sprechen — zu einer weiteren Entlastung der Sozialhilfe führen. Nun müssen wir endlich auch einmal nicht nur über die Belastungen der Sozialhilfe, sondern auch über die Entlastungen der Sozialhilfe im Zusammenhang mit der Gesetzgebung, die wir hier seit Jahr und Tag praktizieren, miteinander reden.
Siebtens. Der Anspruch auf die „große" Witwenrente aus der gesetzlichen Unfall- und Rentenversicherung wird künftig auch solchen unter 45 Jahre alten Witwen — oder jungen Witwen; das ist vielleicht besser — zustehen, die für volljährige behinderte Kinder sorgen, solange für diese ein Waisenrentenanspruch besteht. Nach dem bisherigen Recht erlischt der Anspruch auf die „große" Witwenrente für jüngere Witwen mit Eintritt der Volljährigkeit des behinderten Kindes. Das neue Recht wird insbesondere die Situation pflegebedürftiger Behinderter berücksichtigen und in vielen Fällen eine spürbare Verbesserung und damit auch eine erneute Entlastung der Sozialhilfe bringen.Das Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter ist vom Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung einstimmig beschlossen worden. Ich gehe sicher nicht fehl in der Annahme, daß es heute ohne Gegenstimmen vom Deutschen Bundestag verabschiedet werden wird. Wenn der Bundesrat in seiner nächsten Sitzung zustimmt — hier kann es spannend werden —, wird das Gesetz zum 1. Mai in Kraft treten können. Die Behinderten, die schon lange auf dieses Gesetz gewartet haben, werden es sehr begrüßen, wenn diesem Reformwerk keine Hindernisse in den Weg gelegt werden. Deshalb appelliert die SPD-Bundestagsfraktion an den Bundesrat, dieses Gesetz so bald wie möglich passieren zu lassen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10485
GlombigMeine Damen und Herren, dieser Appell ist keine leere Floskel. Denn in der letzten Zeit hat es leider ein Ereignis gegeben, das ich in diesen Zusammenhang stellen muß, weil es den Schlußstein in der Rehabilitation, in dem Rehabilitationsprogramm der Bundesregierung bilden soll, ein Ereignis also, das Anlaß zu einer solchen Bemerkung und zu einer besonderen Besorgnis gibt. Am 19. Dezember 1974 hat der Bundesrat nämlich den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderten im öffentlichen Personenverkehr auf Antrag des Landes Schleswig-Holstein wegen der angeblich zu hohen Belastung der Landeshaushalte abgelehnt.Wenn man bedenkt, daß sich die Kosten dieses Gesetzes, für alle Länder zusammengenommen, pro Jahr in einer Größenordnung von nicht ganz 20 Millionen DM bewegen, also in einer Größenordnung, die noch nicht einmal den Kosten einer größeren Rehabilitationseinrichtung entspricht und die einen Betrag ausmacht, der nur einem Drittel dessen entspricht, was für Rehabilitationseinrichtungen mit überregionalem Modellcharakter im Bundeshaushalt auch den Ländern mit zur Verfügung steht, dann kann, meine ich, diese Ablehnung keinerlei Verständnis finden. Die sozialpolitische Bedeutung dieser Reform der Fahrtvergünstigungen für Schwerbehinderte ist im Verhältnis zu den geringfügigen Aufwendungen so groß, daß es für die Haltung des Bundesrates keine vernünftige Begründung gibt.Sicherlich gehört es zu den Aufgaben des Bundesrates, die finanzpolitischen Interessen der Länder und Gemeinden wahrzunehmen, und dies ganz besonders in dieser Zeit. Das darf aber nicht dazu führen, meine Damen und Herren, daß sich Länder weigern, sozialpolitische Aufgaben im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung und ihrer verfassungsmäßigen Zuständigkeit zu übernehmen.
Dazu besteht schon deshalb kein Anlaß, weil die Länder und Gemeinden durch die sozialpolitischen Reformgesetze der letzten Jahre um Milliarden entlastet worden sind — ich will das hier mit aller Eindeutigkeit unterstreichen —, und zwar hauptsächlich, allerdings nicht allein, auf dem Gebiet der Sozialhilfe — trotz der auch dort festzustellenden Belastung.Die Einführung der beruflichen Rehabilitation im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes, das Bundesausbildungsförderungsgesetz, die Dynamisierung und Verbesserung der Kriegsopferleistungen, die Einführung der Krankenversicherungspflicht für Landwirte, die Dynamisierung der Altershilfe für Landwirte, die Rentenreform mit der Rente nach Mindesteinkommen und mit der Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung, das Krankenhausfinanzierungsgesetz, das Rehabilitationsangleichungsgesetz, das Krankenversicherungsleistungsverbesserungsgesetz mit der Einführung der zeitlich unbegrenzten Krankenhauspflege, das Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung und die Neuordnung des Familienlastenausgleichs: all diese Gesetze haben, meine Damen und Herren, dazu geführt. - und das brauchen wir doch nicht zu verschweigen —, daß Länder und Gemeinden in mehr oder weniger großem Umfange finanzwirksame sozialpolitische Aufgaben an den Bund oder an die Sozialversicherungsträger abgegeben haben. Und ich meine, da ist es berechtigt, auch einmal darüber zu reden, was die Länder dafür — vor allem im Bereich der Rehabilitation -- als Ausgleich geben.Auch das jetzt zur Diskussion stehende Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter gehört in diese Reihe, ebenso wie die Neuregelung der studentischen Krankenversicherung und die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes. Diese Bilanz sollte dem Bundesrat zu denken geben.Dazu kommt noch, daß die Neuverteilung des Umsatzsteueraufkommens und die Steuerreform die Finanzstärke der Länder und Gemeinden im Vergleich zum Bund verbessert haben. Die Behinderten haben jedenfalls das darf ich hier wohl sagen — kein Verständnis für die Haltung des Bundesrates in der Frage des „Nulltarifs" für Schwerbehinderte, und sie hätten auch kein Verständnis dafür, wenn der Bundesrat dem Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter Hemmnisse in den Weg legen würde.
— Herr Kollege Burger, ich bin jetzt am Schluß meiner Ausführungen, aber ich kann mir ungefähr vorstellen, was Sie sagen wollen. Ich meine, wir sollten doch darin übereinstimmen, daß es hier nicht auf Lippenbekenntnisse, schon gar nicht von seiten des Bundesrates, ankommt, denn dieses Parlament und diese Bundesregierung haben gezeigt, daß es hier nicht um Lippenbekenntnisse, sondern um die soziale Tat geht, und auf diesem Wege sollten wir hier gemeinsam fortschreiten.
Meine Damen und Herren! Auf der Diplomatentribüne haben der Vizepräsident des Storting des Königreichs Norwegen, Herr Svenn Stray, und eine Delegation des Parlaments Platz genommen. Ich habe die Freude und die Ehre, Sie in unserem Lande und in unserem Hause sehr herzlich zu begrüßen. Ich bin sicher, daß Ihr Besuch — wie auch schon frühere Besuche — zu unserer beiderseitigen Freundschaft beiträgt. Herzliche Begrüßung!
Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen eine Mitteilung machen. Mir liegen Fernschreiben vor, die folgendes besagen: Der Berliner CDU-Vorsitzende Peter Lorenz ist nach Angaben der Polizei am Donnerstagmorgen entführt worden. Unter Führung der Abteilung Staatsschutz hat die Berliner Polizei eine Großfahndung eingeleitet. Nach ersten Informationen wurde der Dienstwagen des Berliner CDU-Vorsitzenden um 8.55 Uhr in Zehlendorf von unbekannten Tätern gestoppt; der Fahrer wurde aus dem Wagen gezogen und niedergeschlagen; die
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10486 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Präsident Frau RengerTäter entkamen mit dem Fahrzeug, und Herr Lorenz wurde entführt.Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Schütz, hat den Präsidenten des Abgeordnetenhauses und die Fraktionsvorsitzenden der im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien für 10 Uhr zu sich gebeten, um mit ihnen die Lage zu erörtern.Meine Damen und Herren, das Haus ist über diese Gewalttat entsetzt und empört. Wir alle hoffen, daß es den Behörden gelingt, eine schnelle Klärung des Hergangs herbeizuführen und die Täter dingfest zu machen. Vor allen Dingen hoffen wir aber alle, daß Herr Lorenz sehr schnell befreit werden wird. Unsere guten Wünsche begleiten ihn.Meine Damen und Herren, wir fahren in den Beratungen fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Geisenhofer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst zu Ihnen, Herr Glombig! Ihre Äußerungen über die Starre der Unionspolitik auf diesem Gebiet der Behinderten weise ich im Namen der CDU /CSU-Fraktion mit Nachdruck zurück.
Was soll denn diese Polemik? Gerade dieses Gesetz eignet sich nicht, Parteipolitik auf dem Rücken der Behinderten zu machen. Sie und die SPD-Mitglieder des Ausschusses wissen, daß gerade wir von der CDU/CSU-Fraktion maßgebend an der Verbesserung dieses Gesetzentwurfs mitgewirkt haben.
Für die CDU/CSU-Fraktion darf ich folgende Erklärung abgeben: Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf werden nunmehr körperlich, geistig oder seelisch Behinderte, die in Werkstätten für Behinderte oder in Blindenwerkstätten beschäftigt sind, in die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherungspflicht mit aufgenommen.
Nach der ursprünglichen Fassung des § 2 der Regierungsvorlage wollte die Bundesregierung durch Rechtsverordnung zusätzlich auch Behinderte, die in Anstalten und Heimen oder in sonstigen Einrichtungen eine Beschäftigung ausüben, die der der Behinderten in Werkstätten vergleichbar ist, in die Versicherung nach diesem Gesetz mit einbeziehen. Der ursprünglich vorgesehene Erlaß der Rechtsverordnung hat bei der Beratung des Gesetzes den Widerstand des Bundesrats und auch der CDU/CSU- Fraktion ausgelöst. Wir vertraten zusammen mit dem Bundesrat mit Nachdruck die Auffassung, daß diese Gleichstellung mit den Behinderten in Werkstätten nicht durch eine spätere Rechtsverordnung, sondern gleich im Gesetzestext vorgenommen werden müsse.
Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zu dieser Forderung zunächst eine ablehnende Haltung eingenommen. Im Laufe der Beratungen im Ausschuß konnte aber erreicht werden, daß der § 2 in Richtung der Zielsetzung der Bundesrats- und der CDU/CSU-Forderungen ergänzt und geändert wurde.
Die Gleichstellung erfolgt nunmehr durch Gesetz und nicht erst durch Rechtsverordnung. Daraus ergibt sich, daß für rund 25 000 Behinderte am 1. Juli 1975 die Gleichstellung erfolgt. Die Beiträge zur Rentenversicherung und Krankenversicherung für diesen Personenkreis müssen allerdings die Werkstätten allein tragen. Sie werden in diesem Fall nicht anteilmäßig von Bund und Ländern übernommen.
Eine wichtige von der CDU/CSU-Fraktion geforderte Ergänzung bzw. Klarstellung konnte bei § 3 erreicht werden. Durch die Anfügung eines Absatzes 3 wird nunmehr sichergestellt, daß die Beiträge zur Sozialversicherung, die der Träger der Einrichtung als Arbeitgeber allein zu tragen hat — mit Ausnahme der Aufwendungen nach § 9 Abs. 1 —, von den für die Behindertenwerkstatt zuständigen Kostenträgern erstattet werden. Das ist eine ganz wichtige Ergänzung zur Entlastung der Werkstätten.
Bei den vielen Besuchen in den Behindertenwerkstätten und bei den Besprechungen mit den Werkstattleitern, bei denen sich Kollege Burger, Frau Hürland, Kollege Maucher und Herr Braun aus unserer Fraktion beteiligt haben, aber auch in den vielen Eingaben der Behindertenverbände an den Ausschuß wurde Klage darüber geführt, daß sich für die Werkstätten nach der unsprünglich vorgesehenen Fassung des Gesetzentwurfes unerträgliche Härten in bezug auf die Entrichtung von Kranken- und Rentenversicherungsbeiträgen ergeben würden. Bei der Besichtigung konnten wir feststellen, daß bei einem geringen Verdienst eines Behinderten die finanzielle Belastung, welche die Werkstatt allein zu tragen hat, höher gewesen wäre als das Entgelt, das der Behinderte überhaupt erhalten hat.
Bei den Besprechungen der Werkstattvertreter mit den Sozialhilfeträgern blieb ungeklärt, ob die Beitragskosten zur Rentenversicherung und Sozialversicherung in die Pflegesätze des BSHG übernommen werden könnten. Viele Sozialhilfeträger lehnten dies sogar ab. Daher bestand mit Recht die Sorge, daß die finanziellen Belastungen der Werkstattträger zum Werkstattsterben führen könnten.
Die CDU/CSU-Fraktion hat sowohl im Ausschuß wie auch im Plenum die Regierung aufgefordert, zu prüfen, ob diese Beitragslast nicht ebenfalls zur Hälfte von Bund und Land übernommen werden könnte. Wenn die Regierungskoalition auch unseren Vorschlägen nicht gefolgt ist, so hat sie doch diesem Anliegen in § 3 Abs. 3 in etwa Rechnung getragen. Mit der nunmehr im Gesetz verankerten Kostenerstattungspflicht sind die größten Befürchtungen beseitigt worden.
Wir begrüßen, daß die Regierungskoalition dem Vorschlag des Bundesrates weitgehend gefolgt ist, der besagt, daß dann, wenn keine Krankenkasse für den Behinderten zuständig ist, der Behinderte der Kasse angehören muß, bei der der Ehegatte oder ein Elternteil versichert ist. Sind mehrere Kassen zuständig, bleibt dem Behinderten das Wahlrecht. Dadurch erfolgt eine möglichst gleichmäßige Verteilung auf die Kassen, was eine Konzentration und
Geisenhofer
damit übergroße Belastung der Krankenkassen am Werkstattort verhindert.
Die CDU/CSU begrüßt unter Berücksichtigung der gegebenen Situation den Gesetzentwurf als ersten Schritt; auch Herr Glombig hat ihn als ersten Schritt bezeichnet. Wir wissen, daß ihm noch Mängel anhaften und eine andere Konzeption derzeit einfach nicht durchsetzbar ist.
Was die Alterssicherung für Behinderte betrifft, so ist in diesem Hohen Hause bekannt, daß die CDU/ CSU-Fraktion seit Jahren eine selbständige, vom Einkommen der Angehörigen unabhängige Altersversorgung fordert. Herr Glombig, ich freue mich, dies aus Ihrem Munde heute zum erstenmal gehört zu haben.
Diese Forderung hat unser Kollege Burger jahrelang erhoben, der sich für die CDU/CSU-Fraktion vor allem der Anliegen der Behinderten in Werkstätten und Heimen angenommen hat.
Alle jene Kollegen, die wie wir in Behindertenwerkstätten Besprechungen geführt haben, wissen, daß dieses Gesetz -- vor allem wegen der Alterssicherung — von den Behinderten, aber auch von deren Angehörigen mit großen Hoffnungen erwartet wird. Um aber keine falschen Hoffnungen zu erwecken — ich denke jetzt an die Steuerreform --, muß ich folgendes sagen.
Erstens. Das Ziel einer ausreichenden Altersversorgung kann mit diesem Gesetz nur bei jenen Behinderten erreicht werden, die lange Versicherungszeiten zusammenbringen, 30 Jahre, 40 Jahre, 50 Jahre. Da ist die Rente so hoch, daß sie weit über den Sätzen der Sozialhilfe liegt. In diesem Bereich ist das eine sehr gute Sache.
Zweitens. Enttäuschungen wird es aber bei solchen versicherten Behinderten geben, die nur 15 oder 20 Jahre Versicherungszeit zusammenbringen oder über 55 Jahre alt sind und die Zurechnungszeit in der Sozialversicherung nicht mehr beanspruchen können. 1n diesen Fällen wird es Kleinrenten geben, die unter den Sätzen der Sozialhilfe liegen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies sage ich mit großem Ernst: Ein Kleinrentner und Behinderter, der von dieser Kleinrente leben muß, aber nicht leben kann, weil sie zu klein ist, und der sonst kein Einkommen hat, muß sich nach wie vor - trotz dieses Gesetzes — an die Sozialhilfe wenden und die zu niedrigen Rentenbeträge aufstocken lassen.
— Herr Wehner, dies muß ich um der Wahrheit und der Klarheit willen sagen. Die Rente wird verrechnet. Diese Behinderten erfahren wegen der Verrechnung keine Besserstellung nach diesem Gesetz. Was die eine Hand, die Rentenversicherung, gibt, nimmt die andere Hand, die Sozialhilfe, wieder weg. Sie haben recht, Herr Glombig, wenn Sie sagen — ich habe sehr gut aufgepaßt —, daß die Sozialhilfe nicht nur durch die Kostenrückerstattung belastet wird,
sondern auch dadurch entlastet wird, daß hier Renten gezahlt werden und die Sozialhilfe nicht mehr so viel wie bisher aufstocken muß, eben weil die Rentenbeträge mitzählen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Das Gesetz ist nicht so gut, daß man es hoch loben kann, aber es ist auch nicht so schlecht, daß man es ablehnen müßte. Wir erkennen die Bemühungen an, einen ersten Schritt zu tun. Es müssen jedoch weitere Schritte folgen. Die CDU/CSU- Fraktion stimmt diesem Gesetzentwurf zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der Freien Demokraten gebe ich folgende Erklärung ab. Wir begrüßen die Zielsetzung dieses Gesetzes als einen wichtigen Schritt auf dem Wege zu einer umfassenden sozialen Sicherung aller Behinderten gegen die Risiken von Krankheit, Invalidität und Alter. Die Einbeziehung der in anerkannten Werkstätten, in Anstalten, Heimen und anderen Einrichtungen arbeitenden körperlich, geistig und seelisch Behinderten und weiterer Personengruppen in die soziale Sicherung durch Gesetz soll in dem vorliegenden Entwurf als besonders dringliche Reform vorab verwirklicht werden. Zugleich wird mit dieser Reform ein letztes wichtiges Anliegen des Aktionsprogramms der Bundesregierung zur Förderung der Rehabilitation Behinderter von 1970 verwirklicht.Wir müssen das vorliegende Gesetz im Zusammenhang mit dem im letzten Sommer verabschiedeten Schwerbehindertengesetz sehen. Über den Werkstättenteil dieses Gesetzes haben wir versucht, möglichst viele Behindertenwerkstätten in den Kreis der anzuerkennenden Werkstätten einzubeziehen. Als untere Grenze sollte lediglich ein Minimum an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung gelten. In diesem Sinne hat bekanntlich die Bundesanstalt für Arbeit vorläufige Richtlinien für die Anerkennung erlassen, bis die vom Bundesminister für Arbeit zu erlassende Rechtsverordnung mit den endgültigen Kriterien erarbeitet worden ist.Es ist sehr zu begrüßen, daß die Versicherungspflicht für die Behinderten in anerkannten Werkstätten unabhängig von der Zahlung eines Entgelts für ihre Arbeitsleistung begründet wird. Wir wissen ja alle, daß in zahlreichen Fällen leider noch völlig unzulängliche oder gar keine Vergütungen bezahlt werden. Es wird, so meinen wir, zu den wichtigsten Aufgaben gehören, allen Behinderten, die in solchen Werkstätten wirtschaftlich verwertbare Arbeit leisten, auch ein angemessenes, über das Taschengeld hinausgehendes Entgelt zu zahlen.Meine Damen und Herren, die Frage der durch dieses Gesetz für die Rehabilitationsträger entstehenden Kosten hat bei den Beratungen eine wesentliche Rolle gespielt. Ich denke, daß durch den klarstellenden Abs. 3 in § 3 des Gesetzes die Verpflichtung der Kostenträger zur Übernahme der Sozial-
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Hölscherversicherungsbeiträge der Werkstätten als Arbeitgeber eindeutig geregelt ist. Ich gehe davon aus, daß die Kostenübernahme den überörtlichen Sozialhilfeträgern und den anderen betroffenen Trägern keine unüberwindlichen Schwierigkeiten machen wird.Wir begrüßen auch, daß auf Grund unserer Initiative die Befreiung von der Versicherungspflicht möglich ist, wenn ein ausreichender privater Krankenversicherungsschutz vorliegt. Behinderte oder ihre Eltern können nämlich daran interessiert sein, einen rechtzeitig erworbenen individuellen Versicherungsschutz beizubehalten. Im übrigen möchte ich nach den sehr ausführlichen Erklärungen des Kollegen Glombig darauf verzichten, noch auf Einzelheiten näher einzugehen. Ich denke, das hat gerade Herr Kollege Glombig in ausreichender Weise getan.Meine Damen und Herren, wir hoffen, daß auch der Bundesrat diesem Gesetz zustimmen wird und daß damit diese wichtigen Verbesserungen in der sozialen Sicherung der Behinderten bald in Kraft treten können. Wir hoffen ferner, daß sich hier nicht das wiederholt, was wir vorige Woche erleben mußten, nämlich daß ein CDU-geführtes Land — Schleswig-Holstein in diesem Fall — eine gute sozialversicherungsrechtliche Absicht dieser Regierung durch eine behindertenfeindliche Politik unmöglich macht.
Das Wort hat der Abgeordnete Burger.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Umstand, daß Kollege Glombig eine Zwischenfrage nicht angenommen hat, zwingt mich dazu, hier noch einmal, ohne die Debatte zu verlängern, zu seinen Angriffen auf den Bundesrat Stellung zu nehmen, weil dieser das Gesetz — und es ist ein gutes Gesetz, das dort vorliegt --- über die Vergünstigungen für Behinderte im Personennahverkehr angehalten hat. Lieber Kollege Glombig, dahinter steckt mehr als nur dieses Gesetz. Nach der Verkehrskonzeption der Bundesregierung will die Bundesbahn den gesamten Nahverkehrskomplex an die Regionen bzw. an die Länder abgeben. Kommunen, Regionen, also die Länder, sollen in Zukunft die Milliardendefizite im Personennahverkehr tragen.
Allein dieser Umstand, meine Damen und Herren, bringt es mit sich, daß alle Gesetze, die im Zusammenhang mit dem Problem Personennahverkehr stehen, zunächst einmal zurückgestellt werden, bis die Entscheidung über diese Grundfrage im Personennahverkehr gefallen ist und in diesem Zusammenhang auch die Probleme finanzieller Art klargestellt sind.
Eine letzte Bemerkung. Es ist richtig, Kollege Glombig, daß die Sozialhilfe, das letzte Glied in unserem System der sozialen Sicherung, durch viele
Gesetze des Deutschen Bundestages entlastet worden ist. Aber trotz dieser Entlastungsgesetze steigen die Ausgaben der Kommunen in diesem Bereich überproportional, stärker als alle anderen Ausgaben, und dies müssen wir sehen. Wenn Sie bei Ihrer Argumentation auf die finaziellen Möglichkeiten verweisen, dann müssen Sie diese Argumentation auch dem Bundesrat zugestehen.
Im übrigen gilt für uns selbstverständlich das, was die Vorredner schon gesagt haben: In der Frage der Integration der Behinderten haben wir uns leidenschaftlich engagiert und werden es auch in der Zukunft tun. Das schließt nicht aus, daß wir konstruktiv um den rechten Weg ringen.
Das Wort hat Herr Bundesminister Arendt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf über die Sozialversicherung Behinderter heute verabschiedet wird. Durch dieses Gesetz wird das neue Behindertenrecht in einem weiteren Punkt ergänzt.Ich darf daran erinnern, daß wir im Behindertenrecht neue Maßstäbe gesetzt haben. Durch die Gesetzgebung und durch die Schaffung eines bundesweiten Netzes von Rehabilitationseinrichtungen haben wir unseren behinderten Mitbürgern neue und bessere Chancen zur Eingliederung in Beruf und Gesellschaft eröffnet. Wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die Behinderten nicht an den Rand unserer Gesellschaft abgedrängt werden. Als Schwerpunkte dieser Gesetzgebung nenne ich das Schwerbehindertengesetz und das Rehabilitationsangleichungsgesetz. Beide Gesetze sind im letzten Jahr in Kraft gesetzt worden.Bei dem jetzt zur Verabschiedung anstehenden Gesetz geht es um die Verbesserung der sozialen Sicherung von Behinderten. Auf einige Schwerpunkte dieser Neuregelung möchte ich hinweisen.Auf Grund des Gesetzes werden Behinderte, die in Werkstätten für Behinderte oder in Blindenwerkstätten beschäftigt sind, in die Kranken- und Rentenversicherung einbezogen. Versicherungspflicht soll auch bestehen, wenn der Behinderte keinen oder nur geringen Lohn erhält. Zur Zeit sind mehr als 20 000 Behinderte in solchen Werkstätten tätig. Die Bedeutung dieser Einrichtungen nimmt ständig zu. Auf Initiative der Bundesregierung ist der Werkstattbereich in den letzten Jahren erheblich ausgebaut worden. Ein bundesweites Netz von Werkstätten wird für viele Behinderte in Zukunft Möglichkeiten der Beschäftigung bieten.Im Interesse der in ihnen arbeitenden Schwerbehinderten ist im Schwerbehindertengesetz ein einheitlicher und für alle Gesetze geltender Werkstattbegriff eingeführt worden. Die Verfahren zur vorläufigen Anerkennung von Werkstätten sind im Dezember 1974 bei der Bundesanstalt für Arbeit angelaufen. Mit dem neuen Gesetz wollen wir dafür
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Bundesminister Arendtsorgen, daß die in Werkstätten Beschäftigten ausreichende Rentenleistungen erwerben können. Um dies zu erreichen, bedarf es besonderer Regelungen, auch wenn im übrigen das Ziel angestrebt worden ist, die in Werkstätten Beschäftigten den übrigen Versicherten gleichzustellen.Das Arbeitsentgelt, sonst Maßstab für Leistungen und Beiträge in der Rentenversicherung, würde den Behinderten in Werkstätten nur Bagatellrenten erbringen. Deshalb sollen die Rentenleistungen nach einem für alle gleichmäßig hoch bemessenen Arbeitsentgelt berechnet werden, das mindestens 75 % des durchschnittlichen Bruttoentgelts aller Versicherten entspricht. Da die Beiträge weder von den Behinderten noch von den Werkstätten allein getragen werden können, ist eine Beteiligung des Bundes, der Länder und der Kostenträger der Behinderten vorgesehen.Meine Damen und Herren, auch die in Anstalten und Heimen beschäftigten Behinderten werden in die Sozialversicherung einbezogen. Ich bin dankbar, daß der Gesetzentwurf in den Ausschußberatungen um diesen Punkt erweitert worden ist.Es sind etwa 25 000 Behinderte, die tagaus, tagein durch ihre regelmäßige Beschäftigung dazu beitragen, den Betrieb der Einrichtungen aufrechtzuerhalten. Sie arbeiten teilweise weit über das übliche Maß hinaus. Sie erhalten keinen Lohn, sondern eine „Belohnung" oder eine „Prämie". Ihrer aufopfernden Tätigkeit gebührt unser aller Dank und Anerkennung. Deshalb möchte ich auch an dieser Stelle allen, die in Anstalten und Heimen pflichtgetreu — entgeltlich oder unentgeltlich -- ihre schwere Arbeit tun, aufrichtig danken.
Die Arbeit mit Behinderten ist keine gewöhnliche Arbeit, die schematisch erledigt werden kann. Sie erfordert neben Fachwissen großes Interesse am Schicksal der Behinderten, soziales Einfühlungsvermögen und viel Geduld. Dem Anstaltspersonal ist es kaum möglich, die in vielen Jahren und Jahrzehnten gewissermaßen „unter Ausschluß der Öffentlichkeit" gewachsenen Strukturen aus eigener Kraft zum Besseren zu wenden. Die Gesetzgebung wird hier mehr unterstützend tätig sein müssen. Der Beschluß des Ausschusses, die Beschäftigten in Anstalten und Heimen in die Sozialversicherung einzubeziehen, erhält denn auch, wie ich meine, seine wichtigste Rechtfertigung als ein Versuch, den „Teufelskreis" der ehernen Struktur aufzubrechen.Ich komme jetzt zu einem weiteren Punkt der Neuregelung: Mehrere tausend Behinderte erhalten ihre berufliche Erstausbildung in Einrichtungen, die meist als Berufsbildungswerke bezeichnet werden. Es ist nicht länger akzeptabel, daß diese Auszubildenden in der Praxis nicht allgemein als sozialversicherungspflichtig angesehen werden. Das Ziel der Ausbildung unterscheidet sich nicht von einer Ausbildung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Ausbildung der Behinderten wird nach den Bestimmungen des Berufsbildungsgesetzes durchgeführt. Zweifel an der Versicherungspflicht sind nur aufgetaucht wegen sachbedingter Abweichungen von diesem Gesetz, die aber die Qualität der Ausbildung nicht berühren. Nun wird die Versicherungspflicht ausdrücklich im Gesetz klargestellt, und ich bin sicher, daß Behinderte und Einrichtungen diese Klarstellung mit Erleichterung aufnehmen werden.Weiterhin wird allen Schwerbehinderten mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um wenigstens 50 % ein Beitrittsrecht zur gesetzlichen Krankenversicherung gegeben. Vorerkrankungen — dazu gehören auch Behinderungen — werden vom Versicherungsschutz erfaßt. Die Versicherung ist freiwillig, das heißt, der Behinderte oder für ihn ein Dritter muß den Beitrag aufbringen. Ich könnte mir aber auch vorstellen, meine Damen und Herren, daß Sozialhilfeträger — zum Beispiel in Härtefällen — bereit sind, Beiträge für die Versicherung eines Schwerbehinderten zu übernehmen.Eine sehr einschneidende Neuregelung wird im Recht der Rentenversicherung getroffen. Nach geltendem Recht kann ein Versicherter, der bei Eintritt in die Rentenversicherung erwerbsunfähig ist, als Rente nur ein Altersruhegeld erwerben. Betroffen sind in der Regel die Geburts- und Frühbehinderten, für die eine Erwerbsunfähigkeitsrente bisher unerreichbar war. Das soll nun geändert werden. Auch Erwerbsunfähige werden nach einer Wartezeit von 20 Versicherungsjahren künftig eine Erwerbsunfähigkeitsrente erhalten können. Diese Neuregelung macht besonders deutlich, wie ernst es der Bundesregierung, aber auch diesem Hohen Hause ist mit dem Bestreben, Behinderten gleiche Chancen einzuräumen: Es wird eine Rente eingeführt für ein Risiko, das bereits vor Beginn der Versicherung eingetreten ist.Abschließend, meine Damen und Herren, möchte ich noch auf eine zahlenmäßig kleinere Gruppe hinweisen. Es sind einige tausend Jugendliche, die in Einrichtungen der Jugendhilfe, vor allem in Erziehungsheimen, auf das Erwerbsleben vorbereitet werden. Auch sie werden jetzt in die Sozialversicherung einbezogen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und bitte Sie, diesem für die Behinderten so wichtigen Gesetzentwurf Ihre Zustimmung zu geben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig beschlossen.Ich rufe nunmehr Punkt 4 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern
— Drucksachen 7/1906, 7/2442, 7/612 —
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10490 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Präsident Frau Rengera) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/3286 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Riedl
b) Bericht und Antrag des Innenausschusses
— Drucksachen 7/3213, 7/3249 — Berichterstatter:Abgeordneter BergerAbgeordneter Liedtke Abgeordneter Dr. WendigAbgeordneter Dr. h. c. Wagner Abgeordneter Schäfer (Appenweier) Abgeordneter Dr. Wernitz
Das Wort hat der Herr Berichterstatter, der Abgeordnete Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Berichterstatter zum Zweiten Gesetz zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern — Drucksache 7/1906 — bitte ich folgende Berichtigungen in den Drucksachen 7/3213 und 7/3249 vorzunehmen:
Erstens. Drucksache 7/3213:
a) In Anlage I zu Artikel I muß in Besoldungsgruppe B 3 auf Seite 77 eingefügt werden zwischen
) den Amtsbezeichnungen „Leitender Regierungsdirektor" und „Ministerialrat" die Amtsbezeichnung „Leitender Ministerialrat — bei einer obersten Landesbehörde — 20)" und auf Seite 79 als Fußnote 20 angefügt werden: „Soweit nicht in Besoldungsgruppe
B 4".
b) In Besoldungsgruppe B 4 auf Seite 81 müssen die Funktionszusätze bei den Amtsbezeichnungen „Leitender Ministerialrat" und „Leitender Senatsrat" richtig lauten:
Leitender Ministerialrat
— bei einer obersten Landesbehörde
als Leiter einer Abteilung, 2)
als Leiter einer Unterabteilung oder als Leiter einer auf Dauer eingerichteten Gruppe von Referaten unter einem in Besoldungsgruppe B 7 eingestuften Beamten, 3)
als der ständige Vertreter eines in Besoldungsgruppe B 7 eingestuften Beamten, soweit kein Unterabteilungsleiter oder Gruppenleiter vorhanden ist — 3)
Leitender Senatsrat
— in Berlin bei einer obersten Landesbehörde als Leiter einer Abteilung, 2)
als Leiter einer Unterabteilung unter einem in Besoldungsgruppe B 7 eingestuften Beamten, 3)
als der ständige Vertreter eines in Besoldungsgruppe B 7 eingestuften Beamten, soweit kein Unterabteilungsleiter vorhanden ist — 3)
c) Bei Besoldungsgruppe B 6 ist auf Seite 85 die Amtsbezeichnung „Direktor und Professor des wissenschaftlichen Instituts für Erziehung und Bildung in den Streitkräften 3)" und die entsprechende Fußnote 3 zu streichen. Das entspräche auch dem Änderungsantrag auf Drucksache 7/3296, der damit dann in der Sache erledigt wäre.
d) In Art. VII a § 1 Abs. 5 und § 2 Abs. 4 muß auf den Seiten 145 und 147 am Anfang der rechten Spalte das Wort „Berufsgenossenschaft" gestrichen werden.
e) In Art. VIII sind auf Seite 152 in § 8 Abs. 2 a nach dem Wort „Staatsanwälte" die Worte „als Gruppenleiter" zu streichen .
Zweitens. In Drucksache 7/3249 ist auf Seite 4 linke Spalte oben der zweite Satz des Abs. 1 zu streichen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe nunmehr die §§ 1 bis 19 auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — So beschlossen.
Ich rufe § 20 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der CDU/CSU auf Drucksache 7/3283 vor. Zur Begründung hat Herr Abgeordneter Berger das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Begründung des Änderungsantrages der Fraktion der CDU/CSU — Drucksache 7/3283 — möchte ich folgendes ausführen.Ministerialdirektoren sind allgemein in Besoldungsgruppe B 9 eingestuft, mit zur Zeit vier Ausnahmen im Bundesverteidigungsministerium und im Bundespresseamt. Nach dem Antrag des federführenden Innenausschusses werden zwei dieser Ausnahmen beseitigt, nämlich die höhere Einstufung der beiden zivilen Hauptabteilungsleiter im Bundesverteidigungsministerium, denen jeweils mehrere tausend Beschäftigte des Ministeriums und eine große Außenverwaltung unterstellt sind. Mit dieser Entscheidung verträgt es sich nicht, daß im Bundespresseamt mit insgesamt knapp 800 Beschäftigten die überflüssige Aufteilung in zwei Stellvertreterfunktionen erhalten bleibt und der oder die Stellvertreter als einzige Ausnahme höher eingestuft bleiben als sonstige Ministerialdirektoren.Der Streichungsantrag geht davon aus, daß die Aufgaben wieder, wie bis 1972, bei einem Stellvertreter zusammengefaßt werden und dieser als Mini-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10491
Bergersterialdirektor in Besoldungsgruppe B 9 eingestuft wird.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schäfer .
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktionen von FDP und SPD sind der Auffassung, daß das Amt des stellvertretenden Bundespressechefs
der Bedeutung dieses Amtes entsprechend richtig eingestuft ist. Das Amt ist bereits seit 1969 in der Besoldungsgruppe B 10. Die Aufgaben des Bundespresseamtes haben seitdem zugenommen. Dem stellvertretenden Bundespressechef obliegt in der Abwesenheit des Amtschefs dessen volle Vertretung und damit die Verantwortung für das Presseamt.
Die Vertretung des Leiters des Bundespresseamts ist häufig notwendig. Auch bei Anwesenheit des Amtschefs hat der stellvertretende Bundespressechef Leitungsfunktionen, die dem Ressort eines Staatssekretärs gleichkommen. Auch insoweit hebt sich sein Amt von dem eines Abteilungsleiters ab, der in B 9 eingestuft ist.
Für den stellvertretenden Sprecher der Bundesregierung ist im Haushalt 1973 auf Grund des Beschlusses des Haushaltsausschusses vom 21. Februar 1973 erstmals eine B 10-Planstelle zusätzlich vorgesehen worden. Der stellvertretende Sprecher vertritt den Regierungssprecher in allen Bereichen. Dieses Amt hat wegen des wachsenden Informationsbedürfnisses der Öffentlichkeit und der Medienorgane bei stetig komplexer werdenden Aufgaben eine besonders hervorgehobene Bedeutung. Die Aufgaben des stellvertretenden Sprechers und stellvertretenden Behördenchefs sind gleich zu bewerten.
Die Bundestagsfraktionen von SPD und FDP beantragen, den Antrag der CDU/CSU-Fraktion abzulehnen.
Zu dem Antrag liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 7/3283 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, der Berichterstatter hat die Berichtigungen zu den Drucksachen 7/3213 und 7/3249 bereits vorgetragen, so daß wir über den Antrag Drucksache 7/3296 nicht mehr abzustimmen brauchen. Ich lasse jetzt über den § 20 in der Fassung des Ausschusses mit der Berichtigung abstimmen. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — § 20 ist angenommen.
Ich rufe nunmehr die §§ 21 bis 85, Artikel 2 bis 10, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. Gegenprobe! —
Enthaltungen? — Das Gesetz ist damit in der zweiten Beratung angenommen.
Wir kommen nunmehr zur
dritten Beratung.
Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Schäfer, bitte schön!
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag beschließt heute ein Gesetz, das sich mit beamtenrechtlichen Fragen befaßt. Damit ist ein Bereich angesprochen — der öffentliche Dienst —, der vor allem in letzter Zeit, auch bei manchen Politikern, eine Reihe von Vorurteilen auslöst. Dies äußert sich dann in pauschalen und ungerechtfertigten Angriffen auf die im öffentlichen Dienst Beschäftigten. So geschehen zum Beispiel auch in diesem Haus durch den Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU, der den Beschäftigten einer ganzen Behörde bescheinigte, sie würden einer unnützlichen Tätigkeit nachgehen.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion verwahrt sich gegen derart pauschalierende und diffamierende Kritik. Der öffentliche Dienst arbeitet insgesamt zufriedenstellend. Wir würdigen den wesentlichen Beitrag, den die im öffentlichen Dienst Beschäftigten zum Aufbau von Staat und Gesellschaft in der Bundesrepublik geleistet haben.Die gegenwärtige Kritik am öffentlichen Dienst entzündet sich vor allem an den steigenden Personalkosten. Hier muß in der Tat ein sehr strenger Maßstab angelegt werden. Auf der anderen Seite darf freilich nicht übersehen werden, daß die Ausweitung des öffentlichen Dienstes direkt mit wachsenden Anforderungen der Gesellschaft an den Staat zusammenhängt. Wer Chancengleichheit im Schulwesen will, wer soziale Sicherheit für ein unverzichtbares Gebot eines sozialen Rechtsstaates hält, wer den Anspruch des Bürgers auf eine gesunde Umwelt einlösen will — um nur einige Beispiele zu nennen —, braucht öffentliche Dienstleistung. Um es anders zu formulieren: Nur sehr, sehr reiche Bürger können sich einen armen Staat leisten. Viele, die sich plakativ und werbewirksam für weniger Staat aussprechen, wollen damit in Wirklichkeit lediglich überkommene Privilegien bewahren.Natürlich, meine Damen und Herren, gibt es Mängel in der öffentlichen Verwaltung. Überholte Strukturen stehen in weiten Bereichen einer tatsächlichen Leistungsverwaltung entgegen. Es ist aber billig und ungerechtfertigt, die im öffentlichen Dienst Beschäftigten für reformpolitische Defizite verantwortlich zu machen. Es rächt sich, daß erst nach 1969 die Reform des öffentlichen Dienstrechtes in Angriff genommen wurde.Das 2. BesVNG, meine Damen und Herren, schließt die mit dem 1. BesVNG vom März 1971 begonnene Vereinheitlichung der Besoldung in Bund, Ländern und Gemeinden ab. Künftig gibt es nur noch Bundes- und Landesbesoldungsrecht. Die Länder können besoldungsrechtliche Vorschriften nur
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Schäfer
erlassen, soweit sie bundesgesetzlich ausdrücklich zugelassen sind.Mit der Vereinheitlichung ist sichergestellt, daß einheitliche Maßstäbe in Bund und Ländern gelten. Das Besoldungsrecht wird übersichtlicher und transparenter. Im einzelnen enthält der Gesetzentwurf folgende Neuregelungen: Neuordnung der Besoldung der Richter und Staatsanwälte, Neuordnung der Hochschullehrerbesoldung, Zusammenführung der Lehrerbesoldung, Neuordnung der Auslandsbesoldung, Neuordnung der Bundesbesoldung B, Neuordnung der Kommunalbesoldung unter Beachtung der teilweise bestehenden kommunalverfassungsrechtlichen Unterschiede — ich weise in dem Zusammenhang ausdrücklich auf den Bericht des Ausschusses hin —, Neuregelung der Anwärterbezüge, Schaffung eines neuen Systems der Anpassung der Versorgungsbezüge, schließlich Verbesserung des Ruhegehalts bei sogenannter Frühpensionierung, Verbesserung der Mindestversorgung.Meine Damen und Herren, auf dem Wege zur Vereinheitlichung des Dienstrechts ist die Zusammenführung des Besoldungsrechts ein wesentlicher Reformschritt. Dabei ist die in § 18 vorgenommene Weichenstellung einer funktionsorientierten Besoldung von grundsätzlicher Bedeutung. Nach Festlegung einer entsprechenden Ämter- und Dienstpostenbewertung soll sich zukünftig die Höhe der Bezahlung in erster Linie nach der wahrgenommenen Funktion ausrichten. Dieser Grundsatz trägt dem Leistungsgedanken im Gegensatz zum bisherigen Besoldungs- und Laufbahnrecht stärker Rechnung und ermöglicht flexiblere Personalentscheidungen.Maßnahmen zur funktionsgerechten Besoldungsneuordnung haben nach Auffassung meiner Fraktion grundsätzlich Vorrang vor sonstigen strukturellen Besoldungskorrekturen. Die Koalitionsfraktionen ersuchen in ihrem Entschließungsantrag zu diesem Gesetz deshalb die Bundesregierung, ihre Vorarbeiten für eine Ämter- und Dienstpostenbewertung mit Nachdruck fortzuführen und dem Bundestag noch in dieser Legislaturperiode einen Arbeitsbericht vorzulegen.Die SPD-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf mit den Anträgen des Innenausschusses und dem in diesen Anträgen enthaltenen Entschließungsantrag zu. Damit wird ein Reformschritt auf dem Wege zu einem einheitlichen Personalrecht gegangen. Noch in dieser Legislaturperiode werden weitere Vorhaben in dieser Richtung verwirklicht.
Meine Damen und Herrn, damit Sie über den Zeitplan orientiert sind, möchte ich Ihnen mitteilen, daß die CDU/CSU-Fraktion gebeten hat, um 13 Uhr eine Fraktionssitzung abhalten zu können. Wir müssen dann die Fragestunde auf 14 Uhr verlegen. Die Sitzung des Ältestenrates beginnt ebenfalls um 14 Uhr.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Beratung fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerlach.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Hohe Haus hat heute über das Zweite Gesetz zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern zu entscheiden. Der von der Bundesregierung ursprünglich konzipierte Entwurf, der dem Parlament vorgelegt wurde, hatte zum Ziel, die zahlreichen strukturellen Ungleichheiten und Ungereimtheiten im Besoldungsgefüge des Bundes und der Länder zu bereinigen. Was aber inzwischen in einem stark verzögerten Werdegang geboren wurde, kann nur als reines Harmonisierungsgerippe bezeichnet werden. Die lange, ja allzulange Vorgeschichte des Gesetzentwurfes begann mit der Verabschiedung des Ersten Gesetzes zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts am 3. März 1971, also vor fast genau vier Jahren. Gleichzeitig hatte nämlich dieses Hohe Haus einmütig eine Entschließung angenommen, wonach zur Fortführung der Reform der Bundestag von der Bundesregierung die rechtzeitige — ich betone die rechtzeitige — Vorlage der erforderlichen Gesetzentwürfe erwartete, damit folgende Maßnahmen durchgeführt werden könnten:Erstens. Zum 1. Juli 1972 die Höherstufung der Eingangsämter unter Wegfall der Regelbeförderung.Zweitens. Zum 1. Juli 1972 die Umwandlung der Unterhaltszuschüsse für Beamtenanwärter in Anwärterbezüge.Drittens. Zum 1. Januar 1973 die Erstellung einer neuen Grundgehaltstabelle unter Einbeziehung der allgemeinen Zulagen.Viertens. Zum 1. Januar 1973 die Neuordnung der Besoldungsordnung B.Trotz dieser eindeutigen Aufträge hat die Bundesregierung von diesen Forderungen mit Ausnahme der Umwandlung der Unterhaltszuschüsse in Anwärterbezüge und der Neuordnung der Besoldungsordnung B, die mit diesem 2. BesVNG rein formal geregelt werden, bis zur Stunde nichts verwirklicht. Nach der ersten Lesung des Gesetzentwurfs am 11. Juni 1974 wurden die parlamentarischen Beratungen im Innenausschuß immer wieder von den Vertretern der Koalitionsfraktionen verzögert. Fest vereinbarte Termine der Berichterstattergruppe wurden z. B. mehrfach einseitig aufgehoben, so daß die Beratungen schließlich bis zum 19. Dezember 1974 hingezogen wurden.An diesem Tage vereinbarten dann die Bundesregierung und die Länder ein Moratorium, das unter anderem die Streichung finanzwirksamer Teile des Regierungsentwurfs zum Inhalt hatte. Politisch gesehen handelt es sich hierbei wohl um einen einzigartigen Vorgang. Die Bundesregierung erklärt sich mit der Zurücknahme struktureller Maßnahmen einverstanden, deren Regelung sie selbst für dringend nötig hält und deshalb ursprünglich auch in diesen Gesetzentwurf aufgenommen hatte. Gewiß, die Vertreter der CDU/CSU im Innenausschuß haben sich der Berücksichtigung der „Gemeinsamen Erklärung" nicht widersetzt und selbst keine kostenerhöhenden Anträge gestellt. Immerhin konnten auf Grund des Moratoriums rund 113,1 Millionen DM eingespart werden. Daß eine diesem Staat zu besonderer Ver-
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Gerlach
antwortung verpflichtete Opposition auf kostenwirksame Anträge verzichtet, bedarf angesichts eines neuen Haushaltsjahres, in welchem Deckungslücken aller öffentlichen Haushalte in der Rekordhöhe von 60 Milliarden DM durch Schuldenaufnahme gestopft werden müssen, wohl keiner weiteren und näheren Begründung.
Ganz nüchtern muß aber festgestellt werden, daß der zusammengestrichene Inhalt des Gesetzes in keiner Hinsicht mehr seinem hochtrabenden Namen gerecht wird.
Die CDU/CSU-Fraktion würde vielmehr für die Bezeichnung „Besoldungsvereinheitlichungsgesetz" plädieren. Die Neuregelung ist nämlich, wie ich schon darlegte, trotz langer Vorbereitungen und ausgiebiger Beratung weitgehend auf der Strecke geblieben.
Die Neuregelung ist, was ich für meine Fraktion bei aller Sachlichkeit meiner Argumentation betonen muß, gescheitert, teils an der Talfahrt der öffentlichen Finanzen, teils aber auch an der Handlungsunfähigkeit der SPD /FDP-Koalition in Grundsatzfragen des öffentlichen Dienstes. Zugegeben, der Gesetzentwurf enthielt in seiner ursprünglichen Fassung einen positiven, auch von der Opposition begrüßten Ansatz in Richtung auf eine dringend notwendige Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern. Nach Auffassung der CDU/CSU hätte jedoch die von der Bundesregierung wiederholt als großes Reformwerk angekündigte Arbeit in zahlreichen Punkten — ich nenne hier nur die Verwirklichung der in der Entschließung vom 3. März 1971 niedergelegten Forderungen — einer Ergänzung bedurft. Was heute davon noch zur Entscheidung ansteht, ist von alledem nur noch ein kümmerliches Fragment.Trotzdem geben wir dem Gesetz unsere Zustimmung, weil wir glauben, die einem kleinen Kreis der Beamtenschaft zugute kommenden sehr bescheidenen Verbesserungen nicht vorenthalten zu dürfen, die im Hinblick auf Moratorium und abgelehnte Verbesserungsanträge der Opposition doch noch übriggeblieben sind.Ich stelle abschließend fest, daß mit diesem Zweiten Besoldungsneuregelungs- und -vereinheitlichungsgesetz den großen Reformruinen dieser Regierung eine weitere, für viele Beamte, Richter und Soldaten einschließlich deren Familien nicht minder schmerzhafte hinzugefügt wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wendig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Namens der Fraktion der Freien Demokratischen Partei gebe ich folgende Erklärung ab. Wir stimmen diesem Gesetzentwurf zu, obwohl es eigentlich nicht reicht, aber weil er im Rahmen des Möglichen eine Reihe entscheidender Fortschritte auf dem Wege zu einer modernen Dienstrechtsreform bringt.Wir erleben im Augenblick sicherlich eine Zeit, in der es nicht einfach ist, Probleme des öffentlichen Dienstes so abzuhandeln, daß man ihnen nach Meinung der Zuhörenden in allen Punkten gerecht wird. Das kann man auch in einer so kurzen Erklärung nicht tun.Es besteht kein Zweifel, daß nach einer weit vertretenen öffentlichen Meinung dem öffentlichen Dienst im allgemeinen und den Beamten im besonderen zur Zeit der Wind ins Gesicht bläst. Und da geschieht es allzu leicht, daß manch einer im Hinblick auf allgemeine Entwicklungen, z. B. auf dem Arbeitsmarkt, zu einer undifferenzierten Betrachtungsweise verführt wird, wenn er auch noch etwas über Besoldungsprobleme des öffentlichen Dienstes hören soll. Wer so reagiert, begibt sich dann in eine gefährliche Strömung, wenn er die Maßstäbe vergißt, nach denen die Probleme derer in einem modernen Staatswesen zu regeln sind, welche — sei es im hoheitlichen Bereich, sei es in der immer stärker werdenden sogenannten Leistungsverwaltung — den Willen der Parlamente und der Regierung in die Wirklichkeit umzusetzen haben und dies allein im Interesse des Bürgers, der der oberste Souverän unseres Staates ist.Bei allen Hinweisen auf gestiegene Personalkosten, die natürlich unterschiedliche Ursachen haben, darf keinen Augenblick außer Betracht gelassen werden, daß wir wohl unterscheiden müssen zwischen den Leistungen, die der Bürger von seinem Staat verlangt und billigerweise verlangen kann, und der Frage, wie dies auf die sparsamste und dabei wirksamste Weise in die Tat umgesetzt werden kann. Das ist doch die Konfliktsituation, vor die sich der Bürger und auch dieses Parlament gestellt sieht.Damit zeigt sich aber, daß die Besoldungsreform nicht getrennt werden kann von der inneren Struktur des öffentlichen Dienstrechts, also von der Dienstrechtsreform, und von den Vorstellungen, nach denen man eine moderne, effiziente Verwaltung in einem Bundesstaat entwickelt, also von einer Verwaltungsreform. So ist denn auch die Reform der Beamtenbesoldung, die in dem vorliegenden Entwurf zur Entscheidung ansteht, als ein wesentlicher Teil der Dienstrechtsreform anzusehen trotz allem, was hier an Kritik vorgetragen worden ist. Auch eine Dienstrechtsreform sollte vom Gesetzgeber nicht ohne Blick auf eine vernünftige Gestaltung der Verwaltungsorganisation und der Verwaltungsabläufe gesehen werden.Diese Erkenntnis, meine Damen und Herren, war bei Bund und Ländern und bei den politisch verantwortlichen Gruppen in unserem Lande so allgemein, daß die Einfügung des Art. 74 a in das Grundgesetz im Jahre 1971 von allen, wie ich glauben möchte, auch so verstanden wurde. Diese Bundesregierung und ihre Vorgängerin haben seit 1971 konsequent die Dienstrechtsreform in vielen Bereichen in Gang gebracht, wobei das Zweite Besoldungsvereinheit-
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Dr. Wendiglichungsgesetz ein Kernstück, natürlich aber längst noch nicht die Vollendung dieser großen Aufgabe darstellt.Ein einheitliches Besoldungsrecht — das sollte man bei aller Kritik auch sehen — für Bund, Länder und Gemeinden ist eine wesentliche Voraussetzung für alle weiteren Schritte. Meine Fraktion und ich sind der Auffassung, daß der vorliegende Regierungsentwurf in der Ihnen vom Innenausschuß vorgelegten Fassung einen ganz wesentlichen Fortschritt in Richtung auf die Ausformung eines modernen Dienstrechts und einer sowohl wirkungsvollen wie im Endeffekt auch sparsamen Verwaltung darstellt. Ich glaube, wenige machen sich bisweilen eine rechte Vorstellung davon, was es für die zukünftige Entwicklung bedeutet, das Besoldungsrecht für Bund, Länder und Gemeinden soweit wie nur irgend möglich auf eine gemeinsame Grundlage zu stellen.Daß das in diesem ersten Schritt noch nicht zur letzten Vollkommenheit gelingen kann das gebe ich zu —, mag u. a. aber auch daraus deutlich werden, daß z. B. für die Reform der Bildungsabschlüsse, der beruflichen Bildungsgänge im öffentlichen Dienst weitgehend die Länder und nicht der Bund zuständig sind, es also in vielen Bereichen eine Diskrepanz zu überwinden gilt, die sich aus der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern in der Sache und der Besoldungskompetenz des Bundes ergibt.Der Entwurf sollte nicht sein und wird nicht sein — das ist ein weiterer Gesichtspunkt — ein Vehikel zu einer allgemeinen Anhebung der Beamtenbesoldung. Die Hauptaufgabe bestand immer in der Harmonisierung unter Berücksichtigung bestimmter struktureller Entwicklungen.Soweit ursprünglich größere strukturelle Verbesserungen in der Regierungsvorlage vorgesehen waren und in Rede standen, mußten sie — damit komme ich auf die kritischen Einwendungen meines Herrn Vorredners zurück — im Hinblick auf die finanzielle Lage in Bund und Ländern auf das Maß zurückgeführt werden, das als zwangsläufige Folge einer Harmonisierung unvermeidlich ist. Meine Damen und Herren von der Opposition, Ihre Ländervertreter haben für diese Situation aus der Finanzlage des Bundes heraus genau dasselbe Verständnis gehabt, das wir im Innenausschuß dafür haben mußten. Dies war der Sinn der gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung und der Länderregierungen vom 19. Dezember 1974, des sogenannten Moratoriums — das war also keineswegs eine Verzögerungstaktik, wie Sie sagten , das vorschlägt, weitergehende strukturelle Veränderungen zu einem Teil wieder abzubauen bzw. auf den 1. Januar 1977 zu vertagen, und zwar angesichts der allgemeinen Haushaltslage des Bundes, der Länder und der Gemeinden. Der überwiegende Harmonisierungscharakter des Gesetzes — da haben Sie recht — wird hier nur noch deutlicher. Natürlich binden solche Erklärungen der Exekutive die Legislative nicht.Der Innenausschuß mit geringen Abweichungen auch Sie, meine Damen und Herren von derCDU/CSU — hat sich in den abschließenden Beratungen aus guten Gründen, nämlich in Erkenntnis dieser Situation, die ich genannt habe, darum bemüht, diesen Vorschlägen der Exekutive, die die Mehrkosten um 113,1 Millionen DM auf 306,2 Millionen DM senken, weitgehend zu entsprechen. Meine Fraktion und ich bitten, diesen Vorschlägen zu folgen.Ich will auf Einzelheiten des Gesetzes im übrigen nicht weiter eingehen. Nur zu zwei Punkten will ich sprechen, die zeigen, daß hier ein echtes Reformwerk vorliegt.Das Gesetz betont, worauf schon hingewiesen wurde, den Grundsatz der funktionsgerechten Besoldung. Dies kommt in der Ermächtigung an die Bundesregierung in § 20 Abs. 2 zum Ausdruck, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Funktionen den Ämtern in den Bundesbesodungsordnungen zuzuordnen. Da die Ausführung einer solchen Ermächtigung, die eine Bewertung sämtlicher Dienstposten voraussetzt — bitte bedenken Sie das —, nicht sofort und nicht in einem einheitlichen Arbeitsgang vorgenommen werden kann, muß es vorerst bei der Festlegung von Obergrenzen verbleiben. Diese haben damit aber Übergangscharakter. In den vorliegenden Entwürfen sind damit diejenigen künftigen Regelungen bereits festgelegt, die demnächst sowohl dem bisherigen Obergrenzenprinzip wie auch der Regelbeförderung ein Ende setzen werden. Beides sind überstandene Regelungen, die den Prinzipien einer auf Leistung bezogenen Besoldung widersprechen. Wir begrüßen das ausdrücklich.Nun der zweite Punkt. Bei der Besoldung der kommunalen hauptamtlichen Wahlbeamten auf Zeit schlägt Ihnen der Innenausschuß vor, bei der inhaltlichen Abgrenzung der Verordnungsermächtigung an die Bundesregierung bei dem Hinweis auf die Berücksichtigung der Einwohnerzahl das Wort „insbesondere" einzufügen. Hierdurch soll sichergestellt werden, daß neben der Einwohnerzahl auch andere Kriterien, so vor allem auch die in den einzelnen Ländern unterschiedlichen Kommunalverfassungen, zu berücksichtigen sind. Eine solche Einfügung erschien auch deswegen notwendig, weil über den Umweg über das Besoldungsrecht eine Einflußnahme auf die kommunalrechtlichen Strukturen in den Ländern natürlich nicht vorgenommen werden sollte.Der Ausschuß schlägt Ihnen weiter vor, in § 21 einen Abs. 3 einzufügen, der die Verordnungsermächtigung auf die hauptamtlichen Wahlbeamten auf Zeit bei überörtlichen Kommunalverbänden und sonstigen kommunalen Einrichtungen erstreckt. Eine solche Ausweitung dürfte im Hinblick auf entsprechende Entwicklungen in einzelnen Ländern dringend geboten sein.Meine Damen und Herren, für meine Fraktion betone ich noch einmal: Niemand sollte verkennen, welch bedeutsamer Schritt trotz Einschränkungen, die das Moratorium mit sich bringt, für die gesamte Dienstrechtsreform getan ist, wenn mit diesem Gesetz das Besoldungsrecht für Bund, Länder und Gemeinden erstmalig auf eine gemeinsame rechtliche
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Dr. WendigGrundlage gestellt wird. Man sollte dies auch dann begrüßen, wenn man bei einer gerechten Würdigung des Gesamtwerks die eine oder andere Bestimmung gern anders formuliert gesehen hätte. Die Fraktion der Freien Demokraten erkennt diese besondere Funktion des vorliegenden Entwurfs an. Sie erblickt darin zugleich aber auch für die Bundesregierung, für das Parlament und für sich selbst den Ansporn, das Werk der Dienstrechtsreform auf den geschaffenen und eingeleiteten Grundlagen zügig fortzusetzen. Sie wird der Vorlage daher in der Ihnen vom Innenausschuß unterbreiteten Fassung zustimmen.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Herr Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Noch einige kurze Bemerkungen zu diesem Gesetzentwurf! Nach der Ergänzung des Grundgesetzes durch Artikel 74 a und einem ersten Schritt zur Vereinheitlichung im Jahre 1971 liegt dem Hohen Hause jetzt das Zweite Gesetz zur Vereinheitlichung — ich betone das, Herr Kollege Gerlach! — und Neuregelung des Besoldungsrechtes in Bund und Ländern zur Verabschiedung vor. Dies ist ein weiterer und — wie ich meine — bedeutender Schritt in den Bemühungen um ein leistungsorientiertes Besoldungsrecht.Dabei geht es zunächst einmal um die Überwindung der Unterschiede, die sich in einer Reihe von Jahren im Besoldungsrecht in Bund, Ländern und Gemeinden herausgebildet haben. Ich darf mit Genugtuung feststellen, daß es nach Verabschiedung dieses Gesetzes erstmals seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland ein Besoldungsgesetz geben wird, das für alle Beamten in Bund, Ländern und Gemeinden ein einheitliches Besoldungsrecht schafft. Gerade in einem Zeitpunkt, in dem es in verstärktem Maße gilt, die Entwicklung der Personalkosten in den öffentlichen Haushalten besser zu steuern, halte ich dies für einen wesentlichen Fortschritt.Ich will nicht unerwähnt lassen, daß diese Vereinheitlichung für einzelne Bereiche und Gruppen auch einen schmerzhaften Eingriff darstellen kann. Bei einer Vereinheitlichung dieses Ausmaßes ist dies nicht anders machbar. Ich bitte die Betroffenen dafür um Verständnis. Durch umfangreiche Rechts- und Besitzstandswahrungen ist jedoch den berechtigten Interessen des einzelnen, soweit irgend möglich, Rechnung getragen worden.Die Vereinheitlichung schafft auch die brauchbare Basis, auf der ein zeitgemäßes Besoldungsrecht weitergebaut werden kann. Das Gesetz stellt erstmalig den Grundsatz der funktionsorientierten Besoldung auf, worauf meine Vorredner schon hingewiesen haben. Es enthält mit seinem vereinfachten Rechtssetzungsverfahren auch das juristische Instrumentarium zur Verwirklichung dieses Grundsatzes. Das bedeutet, daß sich die Bezahlung künftig in erster Linie nach der Wertigkeit der ausgeübten Funktionen zu richten hat.Ich bin sicher, daß eine Bezahlung, die, wo möglich, stärker als bisher nach den unterschiedlichen Anforderungen der Arbeit differenziert, von den Betroffenen als gerechter empfunden werden wird. Zugleich sehe ich hier aber auch einen Anreiz für verbesserte Leistungen. Dabei verkenne ich nicht, daß es bis zu einer vollständigen Verwirklichung dieser Ziele noch ein hartes Stück Arbeit geben wird. Entscheidend aber ist, daß die Weichen gestellt sind.Seit der ersten Lesung des Gesetzentwurfs Mitte des vergangenen Jahres sind im Bereich des öffentlichen Dienstrechts Entwicklungen eingetreten, die sich auf das 2. BesVNG ausgewirkt haben. Hier möchte ich zunächst das 3. Bundesbesoldungserhöhungsgesetz mit der Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge für 1974 und das Gesetz über den dienstrechtlichen Teil des Familienlastenausgleichs, aber auch das nunmehr dem Vermittlungsausschuß vorliegende Hochschulrahmengesetz nennen.Von besonderer Bedeutung ist jedoch die gemeinsame Erklärung der Regierungschefs des Bundes und der Länder vom 19. Dezember 1974 hinsichtlich der strukturellen Verbesserungen im öffentlichen Dienst, weil sie, was von keiner Seite bestritten werden kann, einen effektiven Beitrag zu den Bemühungen um eine gemeinsame stabilitätskonforme Steuerung der Personalkosten im öffentlichen Dienst darstellt. Die in dieser Erklärung getroffene Absprache bewirkt im 2. BesVNG eine Kostenentlastung von immerhin 113 Millionen DM. Dabei läßt sich zwangsläufig nicht umgehen, daß die eine oder andere als notwendig erkannte Strukturmaßnahme, Herr Kollege Gerlach, nicht sofort, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt verwirklicht werden kann. Auch dies mag einzelnen eine Enttäuschung bereitet haben. Unberechtigt und unverständlich scheint mir aber eine Kritik zu sein, die glaubt, von einer sogenannnten „Reformruine" oder -- wie Sie es heute gesagt haben — von einem Harmonisierungsgerippe sprechen zu sollen. Jede Reformarbeit — auch die des Gesetzgebers — kann sich sinnvollerweise nur an den materiellen und finanziellen Möglichkeiten der jeweiligen Situation ausrichten. Es kann nicht alles mit einem Schritt erreicht werden. Das gilt hier wie auch auf anderen Gebieten.Der federführende Innenausschuß hat bei seiner abschließenden Beratung des Gesetzentwurfs die gemeinsame Erklärung der Regierungschefs von Bund und Ländern voll berücksichtigt. Ich darf meiner Hoffnung Ausdruck geben, daß das Hohe Haus auch insoweit dem Antrag des Innenausschusses folgt.Das gequälte Ja der Opposition findet nicht meine Zustimmung. Ich finde die Begründung, Herr Kollege Gerlach, die Sie gegeben haben, sehr widerspruchsvoll. Sie wollen alles. Sie wollen die Zustimmung zu diesem guten Gesetz nicht verweigern. Das ist das erste. Sie wollen aber gleichzeitig bei den Betroffenen wieder unberechtigte Hoffnungen wekken. Sie wollen drittens Rücksicht nehmen auf die Haushalte von Bund und Ländern. Herr Kollege
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10496 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Parl. Staatssekretär BaumGerlach, das geht nicht. Alle drei Dinge können Sie nicht machen.
Sie können nur das erste machen mit diesem Gesetz, das wir hier vorgelegt haben.Ich möchte allen danken, die in mühevoller und undankbarer Arbeit am Zustandekommen dieses Gesetzes mitgewirkt haben, und hoffen, daß das Gesetz auch die Zustimmung der Länder finden wird.
Meine Damen und Herren, Ihnen liegt nun noch der Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion mit der Nummer 3284 vor. Zur Begründung der Abgeordnete Berger!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Begründung des Entschließungsantrages der CDU/CSU auf Drucksache 7/3284 möchte ich kurz folgendes ausführen.
In den Vor- und Ausbildungsgängen für Beamte des gehobenen Dienstes zeigt sich seit längerer Zeit eine schrittweise Entwicklung zu höheren Anforderungen, insbesondere hinsichtlich der theoretischen Seite der Ausbildung. Diese Entwicklung hat zuerst bei den früheren Ingenieurschulen und -akademien zur förmlichen Umwandlung in Fachhochschulen geführt. Im nichttechnischen Bereich ist inzwischen die Einführung von Fachhochschulen teils gleichfalls erfolgt, teils vorgesehen.
Auch in den Ausbildungsgängen des mittleren Dienstes ist eine Intensivierung bereits zu beobachten und in Zukunft verstärkt notwendig. Für den mittleren technischen Dienst bietet sich auch die verstärkte Nutzung der durch anerkannte Technikerschulen gebotenen Ausbildungsgänge an.
Die vertiefte Vor- und Ausbildung bietet die Möglichkeit, den einzelnen Laufbahnen auch Aufgaben höheren Schwierigkeitsgrades und Verantwortungsgrades als bisher zuzuweisen. Dadurch können vor allem bei Personalengpässen, wie sie in mehreren Bereichen bestehen, die vorhandenen Kräfte entsprechend ihrer tatsächlichen Befähigung bestmöglich eingesetzt werden. Zugleich wird die Attraktivität des öffentlichen Dienstes im Wettbewerb um gut qualifizierte Kräfte gesteigert.
Die Strukturverschiebung führt im Gegensatz zu Höherstufungen bei gleichbleibenden Aufgaben — grundsätzlich nicht zu Mehrkosten, da es insoweit nicht um mehr oder höhere Stellen, sondern um eine andere Besetzung der bereits vorhandenen Stellen geht. Forderungen nach besoldungsmäßiger Höherstufung von Laufbahnen oder Beamtengruppen in ihren bisherigen Aufgaben werden durch den vorstehenden Antrag weder erfüllt noch ausgeschlossen. Sie dürften aber an Ausmaß und Heftigkeit um so stärker zunehmen, je länger eine Anpassung der Funktions- und Laufbahnstruktur in dem vorstehend beantragten Sinne hinausgeschoben wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen von SPD und FDP beantragen, diesen Antrag der CDU/CSU abzulehnen. Wir haben im § 18 des 2. BesVNG den Grundsatz der funktionsgerechten Besoldung verankert, und zwar einstimmig. Wir haben im Entschließungsantrag der Koalition die Bundesregierung ersucht, mit Nachdruck und zügig die Amter-
und Dienstpostenbewertung vorzunehmen. Wir haben beantragt, noch in dieser Legislaturperiode einen Bericht darüber diesem Hohen Hause vorzulegen.
Der Antrag der CDU/CSU knüpft an überkommene Laufbahnstrukturen an, die wir mit dem Grundsatz der funktionsgerechten Besoldung gerade überwinden wollen. Er beschränkt sich zudem auf zwei Laufbahnen. Soweit Beamte dieser Laufbahngruppen auf Grund ihrer Tätigkeit funktionsgerecht besoldet werden müssen, sind sie ohnehin durch den Antrag des Innenausschusses und die entsprechenden Passagen im 2. BesVNG mit erfaßt. Wir halten es für unverantwortlich, daß durch diesen Antrag der CDU/CSU bei einer großen Beamtengruppierung Hoffnung erweckt werden, die letztlich nicht eingelöst werden können.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache in dritter Lesung.Wir kommen zur Abstimmung in dritter Lesung. Wer dem Gesetzentwurf seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich zu erheben.
— Über den Entschließungsantrag wird erst später abgestimmt. Es wird zuerst über den Gesetzentwurf abgestimmt. Also: Wer dem Gesetzentwurf seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.Wir kommen nun noch zur Abstimmung über die Anträge des Ausschusses unter den Ziffern 2 und 3; unter Ziffer 3 findet sich ein Entschließungsantrag. Wer den beiden Anträgen seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Wir kommen dann zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU — Drucksache 7/3284 —; dieser Entschließungsantrag wurde eben begründet. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt worden.Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts, den die Kommission„Vorbeugender Geheimschutz" über die Prü-
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Vizepräsident von Hasselfung von Sicherheitsfragen im Zusammenhang mit dem Fall Guillaume im November 1974 der Bundesregierung erstattet hatsowieAuszug aus dem 2. Teil des Berichts der sogenannten Mercker-Kommission vom 24. Juli 1969, der sich mit der Lage des Bundesnachrichtendienstes vor dem Jahre 1969 befaßt— Drucksache 7/3083 —Ich rufe gleichzeitig Punkt 9 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts und des Antrags des 2. Untersuchungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Einsetzung eines Untersuchungsausschusses— Drucksachen 7/2193, 7/3246 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. HirschAbgeordneter Gerster
Es ist eine Vereinbarung dahin gehend getroffen worden, daß beide Tagesordnungspunkte in der Aussprache gemeinsam behandelt werden.Zunächst einmal danke ich den Herren Berichterstattern für die Vorlage ihres Berichts. Ich kann wohl davon ausgehen, daß sie zur Ergänzung des Berichtes das Wort begehren. Das Wort hat als Berichterstatter der Abgeordnete Dr. Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als einer der beiden Berichterstatter des Ausschusses kann ich mich auf wenige einleitende Bemerkungen beschränken, weil in der Ihnen vorliegenden Drucksache 7/3246 das Verfahren und das Ergebnis der Untersuchung des 2. Untersuchungsausschusses erschöpfend dargestellt wird und weil ich Gelegenheit nehmen werde, auf das Ergebnis im einzelnen in der Debatte einzugehen.Der Ausschuß hatte nach dem ausschließlich von der Opposition formulierten Einsetzungsantrag drei Sachbereiche zu untersuchen.Erstens: die allgemeine Einstellungs- und Umsetzungspraxis im Bundeskanzleramt und im Bundesinnenministerium unter den Gesichtspunkten der Qualifikation und der Sicherheit. Dieser Untersuchungsauftrag wurde ohne Beschränkung auf einen bestimmten Zeitraum erteilt. Zu diesem Bereich haben wir Ihnen erfreulicherweise einen gemeinsamen Bericht vorlegen können.Zweitens: der eigentliche Fall Guillaume. Hier haben wir übereinstimmend beschlossen, die Fragen 9, 10 und 12 über den Zugang Guillaumes zu geheimen Unterlagen oder sonstigen nachrichtendienstlich wesentlichen Vorgängen nicht zu behandeln. Diese Fragen sind wesentlicher Bestandteil des gegen Guillaume anhängigen Strafverfahrens. Der Untersuchungsausschuß wollte mit diesem Vorgehen vermeiden, daß auch nur der Anschein entsteht, daß der Ablauf des Strafverfahrens von ihm beeinflußt werde.Drittens: der sogenannte BND-Komplex, also die Frage, ob Akten oder andere Vorgänge über Parteien, Vereinigungen oder Personen vernichtet oder fortgeschafft wurden. Auch dieser Bereich hat — wie der erste Bereich — nach dem Willen des mir unbekannt gebliebenen Verfassers des Einsetzungsantrages keine zeitliche oder inhaltliche Beschränkung auf einen bestimmten Vorgang erfahren. Diese Feststellung ist im Hinblick auf den verschiedentlich geäußerten Vorhalt von Bedeutung, der Ausschuß betreibe Geschichtsforschung oder begebe sich auf Abwege. Der Ausschuß hat sich vielmehr bemüht, sich auf die drei dargelegten Gebiete zu beschränken, die ihm vom Plenum aufgegeben worden waren.Außer einem Informationsgespräch mit dem Generalbundesanwalt am 7. März 1974 hat es keine weiteren gegenseitigen Informationen mit dem Bundesanwalt von Bedeutung gegeben. Eine irgendwie geartete Zusammenarbeit mit der Kommission „Vorbeugender Geheimschutz" hat nicht stattgefunden. Wir haben jedoch bei der Abfassung des Berichts im Gegensatz zu dieser Kommission besonderen Wert darauf gelegt, jeweils im einzelnen zu belegen, auf welche Tatsachen oder Aussagen sich die gezogenen Schlußfolgerungen gründen. Der Leser und die Öffentlichkeit sollen in der Lage sein, sich ein eigenes Urteil zu bilden, zumal die Protokolle der öffentlichen Beweisaufnahme des Untersuchungsausschusses für jedermann zur Einsicht aufliegen.Eine letzte Bemerkung ist zu der Frage der Aktenvorlage zu machen, da während der Untersuchungen mehrfach die Behauptung erhoben worden ist, die Bundesregierung habe angeforderte Unterlagen ganz oder teilweise zurückgehalten. Derartige Behauptungen sind ohne sachlichen Grund. Soweit die Bundesregierung nach vorheriger Besprechung aus bestimmten nachrichtendienstlichen Gründen einzelne Aktenstellen geschwärzt oder den Akten entnommen hatte, ist das jeweils kenntlich gemacht und im übrigen beschlossen worden, daß drei Ausschußmitglieder — und damit alle drei Fraktionen dieses Hauses — Einblick in sämtliche Unterlagen bekommen und daß eine jede Unterlage dem gesamten Ausschuß zugeleitet wird, wenn auch nur ein einziger dieser drei Vertrauensmänner das verlangt.So ist auch verfahren worden. Jede einzelne Fraktion dieses Hauses hatte also die Möglichkeit, dafür zu sorgen, daß jede beliebige von uns angeforderte Unterlage ungekürzt dem gesamten Ausschuß zur Verfügung gestellt werde. In einzelnen Fällen ist in der Weise verfahren worden, daß dem Ausschuß der für ihn wesentliche Inhalt entnommener Aktenseiten unter Wahrung des zu schonenden nachrichtendienstlichen Teils bekanntgegeben wurde. Bei einigen wenigen weiteren Vorgängen wurde durch jeweils sofortige öffentliche Beweisaufnahme festgestellt, daß bei der Vervielfältigung der umfangreichen Akten Versehen eines nachgeordneten Beamten vorgelegen hatten, die aber auf den Gang des Verfahrens und sein Ergebnis ohne Einfluß blieben. Ich verweise dazu im einzelnen auf die Darlegungen auf der Seite 18 der Ihnen vorliegenden Drucksache. In allen Fällen ist der Vorwurf der Manipulation überzeugend widerlegt worden.
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10498 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Dr. HirschEs erscheint mir zum Zwecke der Berichterstattung nicht erforderlich, hier den Inhalt des Ihnen gedruckt vorliegenden Berichts zu wiederholen. Wir werden zum Ergebnis der Feststellungen in der Debatte im einzelnen Stellung nehmen.
Das Wort hat der Herr Mitberichterstatter, der Abgeordnete Gerster.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der 2. parlamentarische Untersuchungsausschuß hat diesem Hohen Hause seinen Schriftlichen Bericht vorgelegt. Als Berichterstatter habe ich den Berichtsteil der Minderheit zu erläutern und zu verdeutlichen.Anlaß für die Einsetzung des Untersuchungsausschusses war die überraschende Verhaftung des Persönlichen Referenten von Bundeskanzler Brandt, Günter Guillaume, am 24. April 1974. Von diesem Tage an prasselte eine wahre Sturzflut von Erklärungen auf die Öffentlichkeit nieder. Hatte man zunächst den Eindruck, Guillaume sei gewissermaßen als unabwendbares Ereignis in das Bundeskanzleramt gelangt und von dort so schnell wie möglich entfernt worden, führten ständig neue Erklärungen und Erläuterungen von Regierungsseite zu wachsendem Zweifel an diesem gezeichneten Bild. Als Beispiel sei nur in Erinnerung gerufen, daß auf die Erklärung Bundeskanzler Brandts am 26. April hier in diesem Hohen Hause, der Agent sei nicht mit Geheimakten befaßt gewesen, die Erklärung desselben Bundeskanzlers vom 6. Mai folgte, im Sommer 1973 seien auch geheime Papiere durch die Hände des Agenten gegangen. Die Öffentlichkeit war damals durch widersprüchliche Aussagen verwirrt, aber nicht informiert worden.Da die Demokratie nur funktionieren kann, wenn der mündige Bürger politisches Verhalten und Fehlverhalten erkennen sowie beurteilen kann, hielt die CDU/CSU die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Staatsinteresse für unabdingbar. Sie hätte hierauf nicht zuletzt wegen unerfreulicher Erfahrungen mit früheren Untersuchungsausschüssen gern verzichtet. Da die Bundesregierung die Offentlichkeit jedoch nicht ungeschminkt und vollständig über die Hintergründe der Spionageaffäre unterrichtet hatte, ein anderes Aufklärungsinstrumentarium aber nicht zur Verfügung stand, wurde das Recht des Parlaments auf Kontrolle zur Pflicht, durch einen Untersuchungsausschuß Licht in das bis dahin undurchdringliche Dunkel zu bringen.Wie in dem schriftlichen Bericht der Minderheit im einzelnen belegt wurde, war hierbei die Rolle der SPD besonders bemerkenswert. Während sie der Einsetzung des Untersuchungsausschusses im Bundestag zustimmte, rügte ihr Sprecher Metzger in der Debatte über die Einsetzung die Union dafür, daß sie so Metzger — nach dem untauglichen Instrument „Untersuchungsausschuß" greife, um damit ein Spektakulum zu inszenieren. Durch diese und entsprechende Erklärungen führender SPD-Politiker wurde die Arbeit des Ausschusses nicht gerade gefördert.Gleichwohl hat dieser Untersuchungsausschuß viele Fakten zutage gefördert. Daß nicht die letzte Ecke der Spionageaffäre ausgeleuchtet wurde, lag weniger am Untersuchungsausschuß selbst. Schließlich hat er es nicht zu vertreten, wenn Kronzeugen sich widersprechen, weitere Beweismittel jedoch nicht zur Verfügung stehen. Immerhin wurden die anfangs unzählbaren Kritiker des Untersuchungsausschusses zunehmend ruhiger. Ich meine, bereits das ist ein Kompliment für die Arbeit dieses Untersuchungsausschusses.
Für diese Aufklärungsarbeit gilt unser Dank all denjenigen, die tatkräftig geholfen haben, vor allem dem Ausschußvorsitzenden, Dr. Walter Wallmann, auf dessen unbestechliche Neutralität mancher Erfolg zurückzuführen ist,
sowie den Mitarbeitern und dem Ausschußsekretariat, die uns mannigfaltig unterstützt haben.Gern würde ich diesen Dank auch der Bundesregierung und den Vertretern der Regierungskoalition aussprechen, wenn sie über ihren eigenen Schatten hätten springen können. Verbale Bekenntnisse über die Notwendigkeit lückenloser Aufklärung und tatsächliches Verhalten standen jedoch bei Regierung und Koalition in einem unverdeckbaren Widerspruch. Daß die gewonnene Fülle von Einzelerkenntnissen nicht zu einem gemeinsamen Bericht geführt hat, ist zu bedauern, jedoch mit auf dieses Verhalten zurückzuführen.Wenn sich die Vertreter der Koalition auch nicht der Kenntnisnahme offenbarer Fehler und Mängel bei der Einstellung und Weiterbeschäftigung Guillaumes entziehen konnten, so sind sie jedoch nicht bereit, hierfür politische Verantwortlichkeit festzustellen. Vielmehr wird der Versuch unternommen, die volle Verantwortung den Sicherheitsdiensten zuzuschieben, nach dem Motto: „Auf der politischen Ebene nur keine Namen nennen." Die Chance, Fehler gemeinsam festzustellen und damit für die Zukunft auszuschließen, wurde dadurch vertan. Gerade unser Bericht weist auf die Konsequenzen dieses Verhaltens hin und gibt zu großer Nachdenklichkeit Anlaß. Das Entscheidende in der Spionageaffäre Guillaume liegt doch nicht darin, daß die Sicherheitsdienste des Staates Erkenntnisse über Guillaume nicht gewonnen hätten, sondern vielmehr darin, daß vorhandene Erkenntnisse über Guillaume 1970 nicht zum Verzicht auf die Einstellung, und daß danach erhärtete, gravierende Verdachtsmomente 1973 nicht zur sofortigen Entfernung aus der Nähe des Bundeskanzlers geführt haben.
Wenn Regierung und Koalitionsparteien dagegen den Spionagefall Guillaume in seiner bekanntgewordenen Dimension weiterhin als unabwendbaren Betriebsunfall deklarieren und dies sogar glauben sollten, offenbaren sie dadurch schonungslos, daß sie sich in einem vergleichbaren Fall bei vorliegen-
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den nachrichtendienstlichen Erkenntnissen über eine bestimmte Person genauso verhalten werden. Das Nichtzugeben von Fehlern initiiert dann logischerweise die Wiederholung der gleichen Fehler. Das darf jedoch nicht wahr sein. Die Arbeit des Untersuchungsausschusses hat vielmehr gerade ergeben: Günter Guillaume als persönlicher Referent des Bundeskanzlers, das war vermeidbar; dafür, daß dies nicht vermieden wurde, gibt es politisch Verantwortliche. Erst die Aufklärung vieler Erkenntnisse und Einzelheiten und die daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen machen, wie noch zu zeigen sein wird, den Wert der Ausschußarbeit auch für die Zukunft aus.Als Ergebnis der Untersuchungen wird im einzelnen festgehalten:Guillaume wurde am 28. Januar 1970 rückwirkend zum 1. Januar als Angestellter nach II a des Bundesangestelltentarifs eingestellt. Diese Position entspricht der eines Regierungsrats. Innerhalb von knapp drei Jahren wurde er zweimal befördert. Zuletzt war seine Stellung der eines Regierungsdirektors angepaßt.Guillaume konnte nach eigenen Angaben keine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen; nicht einmal Zeugnisse seiner Volksschulbildung wurden vorgelegt oder zumindest verlangt. Einzugruppieren nach II a BAT sind indessen nur Angestellte mit abgeschlossener wissenschaftlicher Hochschulbildung und mit entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Angestellte, die auf Grund gleichwertiger Fähigkeiten und auf Grund ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben. Auf die Frage, wo Guillaume diese einem abgeschlossenen Hochschulstudium gleichwertigen Fähigkeiten erlangt haben soll, erklärten die Zeugen aus dem Bundeskanzleramt, Guillaume sei für ein bestimmtes Aufgabengebiet vorgesehen und dafür wegen seiner Kontaktfähigkeit geeignet gewesen. Diese Fehlumdeutung widerspricht, wie das Bundesarbeitsgericht entschieden hat, den Voraussetzungen der Vergütungsgruppe Guillaumes eklatant. Hiernach ist nämlich gerade eine vielseitige Verwendbarkeit Voraussetzung für eine Einstufung sonstiger Angestellter nach II a BAT. Diese Eignung wurde aber bei Guillaume nicht einmal behauptet.Während demzufolge die Bundesregierung auch seit 1949 keinen einzigen Fall nennen konnte, in dem jemand ohne jede Berufsausbildung in ein so hohes Eingangsamt gelangt ist, unterstrich der Sachverständige aus dem Bundesinnenministerium, daß Bewerber mit Volksschulbildung wie Guillaume im Innenministerium in der Regel für den einfachen Dienst und für den einfachen Bürodienst in Frage kommen. Der Personalratsvorsitzende im Bundeskanzleramt interpretierte dagegen die Einstellung Guillaumes so, daß nicht ein Mann für einen Posten, sondern damals ein Posten für Guillaume gesucht worden sei.
Zusammenfassend stellt daher der Bericht der Minderheit fest, daß Guillaume, der sich nach Darstellung der Zeugen in der SPD verdient gemacht hatte,
nicht die erforderlichen Voraussetzungen erfüllte. Während er von seiner Vorbildung her für den einfachen Dienst geeignet war, gelangte er unter Überspringung des einfachen, mittleren und gehobenen Dienstes sofort in den höheren Dienst.
Bereits unter dem Gesichtspunkt der Qualifikationserfordernisse stellt die Einstellung Guillaumes eine Fehlentscheidung dar, bei der nicht ausgeschlossen werden kann, daß sie ihre Ursachen in sachfremden Erwägungen hatte.Als Ergebnis der Untersuchungen zur Einstellung Guillaumes unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit weist der Bericht folgendes aus:Guillaume wurde am 28. Januar 1970 im Bundeskanzleramt eingestellt, obwohl die Fakten, Tatsachen und Widersprüche in seinem Lebenslauf, die später zur Enttarnung Guillaumes ausgereicht haben, im wesentlichen, wenn auch bei verschiedenen Dienststellen, bereits bekannt waren.Wie konnte es dennoch zur Einstellung Guillaumes in das Bundeskanzleramt kommen, und wer hat dies zu verantworten? Diese Frage ist nach Auffassung der CDU/CSU heute beantwortet. Nach den damals geltenden Sicherheitsrichtlinien lag die Verantwortung für die Durchführung der Sicherheitsüberprüfung und die Auswertung anfallender Erkenntnisse bei der Einstellungsbehörde. Herr des Verfahrens nicht nur des Einstellungsvorganges, sondern auch der Sicherheitsüberprüfung war das Bundeskanzleramt. Folgerichtig hat das Bundeskanzleramt selbst eine Einstellungsüberprüfung vorgenommen.Nach Abschluß der eigenen Ermittlungen lagen -mit Hilfe der angefragten Sicherheitsdienste — folgende Erkenntnisse im Bundeskanzleramt vor:Erstens eine Meldung des Bundesnachrichtendienstes, wonach Guillaume 1954 im Auftrage des Verlages „Volk und Wissen" die Bundesrepublik Deutschland mit dem Ziel bereist haben soll, Verbindungen zu Verlagen, Druckereien und Personen herzustell en und diese dann östlich zu infiltrieren.Zweitens eine Meldung des „Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen", wonach Guillaume, beschäftigt beim Ostberliner Verlag „Volk und Wissen", 1955 der Agententätigkeit in Berlin und der Bundesrepublik Deutschland verdächtigt wurde. In dieser Meldung war zusätzlich und zutreffend vermerkt, daß Guillaume im Juli 1956 in die Bundesrepublik Deutschland geflüchtet war.Drittens die Angaben von Guillaume selbst, die er auf Vorhalt von Minister Ehmke, er sei angeblich nachrichtendienstlich gegen die Bundesrepublik Deutschland tätig gewesen, erstmals am 12. Januar 1970 gemacht hat. Danach hat Guillaume als Vorsitzender der Abteilungsgewerkschaft der Hauptabteilung Berufsausbildung des Verlages „Volk und
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Wissen" an sogenannten Solidareinsätzen in WestBerlin teilgenommen.Viertens. Guillaume hatte nicht angegeben, wo er sich zwischen seinem Ausscheiden aus dem Verlag „Volk und Wissen" und seinem Übertritt in die Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hatte, obwohl er aufgefordert war, eine eingehende Darstellung seines Werdeganges ab 1945 vorzulegen. Gerade dieser Sachverhalt wurde in den späteren Ermittlungen als besonders bedeutsam angesehen.Fünftens. Guillaume hatte, was zumindest auffällig war, sein Notaufnahmeverfahren nicht im Anschluß an seine Flucht, sondern erst Monate später betrieben.Sechstens. Im Notaufnahmeverfahren war keine besondere Zwangslage zur Flucht Guillaumes festgestellt worden; er kam also freiwillig in die Bundesrepublik Deutschland.Siebtens. Der Wohnsitz der Mutter befand sich noch in Ost-Berlin.Und achtens. Trotz angeblicher Republikflucht hatte Guillaume angegeben, daß er seine Mutter in Ost-Berlin regelmäßig besucht hatte.
Selbst wenn Sie einen positiven Eindruck — gemeint war: von Guillaume —haben, bleibt ein gewisses Sicherheitsrisiko gerade hier.Aber auch Minister Ehmke selbst hatte die Sicherheitsbedenken voll erkannt. Nach dem Aktenvermerk über sein Gespräch mit Guillaume wies Ehmke Guillaume auf die Sicherheitsbedenken ausdrücklich und nachdrücklich hin. Guillaume wurde vorgehalten, daß auf Grund von Angaben aus zwei Quellen der Verdacht früherer nachrichtendienstlicher Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland bestehe, daß außerdem Auffälligkeiten beim Notaufnahmeverfahren und Lücken im Lebensweg von Guillaume bestünden. Im einzelnen hielt Ehmke Guillaume vor, daß dieser Aufträge östlicher Dienststellen in Berlin und der Bundesrepublik Deutschland erfüllt haben soll.Die gegen Guillaume bestehenden Bedenken im Bundeskanzleramt wurden auch durch das Gespräch mit Minister Ehmke nicht ausgeräumt, die den Verdacht begründenden Tatsachen sogar inhaltlich bestätigt. So schilderte Guillaume in einer schriftlichen Erklärung seine Solidaritätseinsätze in Berlin und untermauerte dadurch den von dem Bundesnachrichtendienst erhobenen Vorwurf politischer Infiltrationstätigkeit.Minister Ehmke selbst sah die Sicherheitsbedenken gegen Guillaume auch nicht als ausgeräumt an; sonst hätte er in einem Schreiben an Minister Leber nicht mitteilen können, daß er Guillaume über die aufgetauchten Sicherheitsbedenken unterrichtet habe und daß dessen Angaben zu den Verdachtsmomenten wenig ergiebig gewesen wären. Dennoch, meine Damen und Herren, brach das Bundeskanzleramt den Einstellungsvorgang nicht ab, sondern übersandte nunmehr die Akten zum Bundesamt für Verfassungsschutz zur Fortführung der Ermittlungen. Dieses Verhalten ist, wie im Minderheitenbericht festgestellt wurde, in mehrfacher Hinsicht unbegreiflich.1. Das Bundeskanzleramt hatte bis dahin die Sicherheitsermittlungen, wie es in den Richtlinien auch vorgesehen war, selbst durchgeführt. Durch wiederholte Anfragen an das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte es sich auch der Dienste dieses Amtes bedient. Es konnte und mußte davon ausgehen, daß das Bundesamt sein gesamtes Wissen über Guillaume bereits mitgeteilt hatte. Die nochmalige Inanspruchnahme des Bundesamtes für Verfassungsschutz konnte daher kaum den Sinn haben, etwa noch weitere nachrichtendienstliche Hinweise zu erhalten.2. Dem Bundesamt für Verfassungsschutz wurden die im Bundeskanzleramt entstandenen Vorgänge übergeben. Daraus war zu entnehmen, daß das Bundeskanzleramt vom 4. Dezember 1969 bis 13. Januar 1970 die Sicherheitsüberprüfung selbst durchgeführt hatte, daß der Chef des Bundeskanzleramtes sich persönlich in den Überprüfungsvorgang eingeschaltet hatte, er die wesentlichen Sicherheitsrisiken erkannt hatte und dennoch nicht den Einstellungsvorgang abbrach. Das Bundesamt für Verfassungsschutz konnte daraus ersehen, daß das Bundeskanzleramt von der Einstellung Guillaumes nicht absehen wollte, wenn die vorliegenden Erkenntnisse nicht durch zusätzliches Material erhärtet wurden. Ja, mit dem Auftrag, nicht nur die eigenen Erkenntnisse, sondern auch die des Bundesnachrichtendienstes zu bewerten, wurde das Bundesverfassungsschutzamt in eine Entscheidungsposition gedrängt, nämlich die Verdachtmomente zu belegen oder einen Gegenbeweis zu liefern. Die Aufgabe des Sicherheitsdienstes, Sicherheitsbedenken geltend zu machen, wurde dadurch in die Aufgabe pervertiert, vorliegende Sicherheitsbedenken, wenn sie nicht neu belegt werden können, auszuräumen.3. Daß das Bundesamt für Verfassungsschutz den Eindruck gewinnen mußte, es müsse schnell eine Entscheidung über die Sicherheitsbedenken treffen, geht aus der eiligen Behandlung durch das Bundeskanzleramt hervor. Nach der Übergabe der Akten an das Bundesamt für Verfassungsschutz, jeweils mit den Stempelaufdrucken „Eilt!" oder „Eilt sehr!", vermerkte der Sicherheitsreferent im Bundeskanzleramt bereits zwei Tage später in den Akten, die Prüfung des Bundesamtes für Verfassungsschutz sei noch nicht abgeschlossen — dies wohlgemerkt nach zwei Tagen! — und werde vermutlich noch zwei Wochen in Anspruch nehmen. Nach mehreren telefonischen Anmahnungen und Anfragen nach dem Stand der Überprüfung wurde bereits am 26. Januar 1970, also 13 Tage nach Übergabe der Akten, im Bundeskanzleramt vermerkt, die Prüfung des Bundesamtes für Verfassungsschutz sei abgeschlos-
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sen, das Ergebnis werde am nächsten Tage überbracht.Hier wird deutlich, daß das Bundeskanzleramt die Überprüfung Guillaumes in aller Eile bearbeitet wissen wollte, daß es trotz eigener Erkenntnisse ein Attest für die Einstellung suchte. Wie im schriftlichen Bericht festgehalten wurde, führte dieses Verfahren zu einer Reihe von Fehlbeurteilungen und falschen Entscheidungen im Bundesamt für Verfassungsschutz, beim Polizeipräsidenten in Berlin, beim Bundesnachrichtendienst, beim Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen und im Bundeskanzleramt selbst.Trotz dieser Mängel in untergeordneten Dienststellen kann jedoch das Bundeskanzleramt selbst nicht von Verantwortung freigesprochen werden, und zwar unter dreierlei Gesichtspunkten.Erstens. Wie die Beweisaufnahme ergeben hat, hat das Bundesamt für Verfassungsschutz nach 13tägiger Überprüfung mit Schreiben vom 27. Januar zwar mitgeteilt, daß die Überprüfung keine Erkenntnisse gebracht hat, die einer Ermächtigung Guillaumes zum Umgang mit Verschlußsachen entgegenstehen. Dieses Schreiben läßt aber genauso deutlich erkennen, daß keine Erkenntnisse gewonnen wurden, die die zuvor beim Bundeskanzleramt entstandenen Sicherheitsbedenken ausräumten. Bei gleichen Fakten wurde vielmehr eine andere Bewertung, keine echt entlastenden Fakten dagegen vorgetragen. Dabei wurde der Inhalt dieses Schreibens dadurch relativiert, daß der zuständige Referent aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz es selbst im Bundeskanzleramt übergab und dabei darauf aufmerksam machte, daß er bei der ganzen Angelegenheit ein ungutes Gefühl habe und — im Hinblick auf dieses ungute Gefühl daß die Möglichkeit weiterer Überprüfungen bestehe. Wie ein Aktenvermerk, zu dem der Beamte des Bundesamtes für Verfassungsschutz noch heute steht, festhält, bat jedoch gerade das Bundeskanzleramt, von weiteren Ermittlungen Abstand zu nehmen.Zweitens. Die vorliegenden Erkenntnisse hätten sogar bereits vor Abgabe der Akten an das Bundesamt für Verfassungsschutz den Abbruch des Einstellungsverfahrens bewirken müssen. Zu diesem Ergebnis kam auch die von der Regierung eingesetzte Kommission „Vorbeugender Geheimschutz", die auf Seite 87 ihres Berichtes feststellt, daß es schon nach dem Ergebnis der Voranfragen, also vor Abgabe der Akten an das Bundesamt für Verfassungsschutz, zweckmäßig gewesen wäre, das Einstellungsverfahren abzubrechen und das Material dem Bundesamt für Verfassungsschutz, aber nicht zur Fortführung der Sicherheitsüberprüfung, sondern vielmehr zur Spionageabwehr zu übergeben. Im übrigen wäre man schon damals dadurch auf weitere Erkenntnisse über den Verlag Volk und Wissen und möglicherweise zu einer früheren Enttarnung Guillaumes gekommen.Drittens. Wie ungewöhnlich statt dessen das Verhalten der Bundesregierung war, bewies auch gerade die Arbeit dieses Untersuchungsausschusses. Nach der Enttarnung Guillaumes im Mai 1973 konnte die ser noch elf Monate an der Seite des Bundeskanzlers verbleiben. Eine Überführungsdauer von elf Monaten nach Vorlage gravierender Verdachtsmomente wurde von der Regierung als nicht zu lang angesehen. Vor der Einstellung Guillaumes dagegen sollte das Bundesamt für Verfassungsschutz trotz Vorliegens zweier nachrichtendienstlicher Hinweiseund weiterer Indizien in 13 Tagen in ganzen13 Tagen! einen Gegenbeweis für die Unbedenk-lichkeit der Einstellung liefern. Für das Ausräumen der Verdachtsmomente gegen Guillaume waren 13 Tage Zeit, für die Entfernung aus dem Amt, nachdem das Bundesamt für Verfassungsschutz von der Spionagetätigkeit überzeugt war, standen elf Monate zur Verfügung.Wie der Bericht festhält und beweist, hätte die Einstellung Guillaumes auf Grund vorliegender Sicherheitsbedenken in jedem Fall unterbleiben müssen. Die Verantwortung 'für Einstellung und Sicherheitsüberprüfung trägt das Bundeskanzleramt, wobei der damalige Chef des Bundeskanzleramtes, Minister Ehmke, die Entscheidung an sich gezogen und daher die Verantwortung persönlich zu tragen hat.Versagten bei der Einstellung Guillaumes in das Bundeskanzleramt bereits die Sicherheitsmechanismen unseres Staates, so gilt dies noch mehr für die Weiterbeschäftigung Guillaumes von Mai 1973 bis Ende April 1974. Während die Bundesregierung noch am 29. April 1974 behauptet hatte, in der ersten Hälfte des Jahres 1973 seien die ersten vagen Verdachtsmomente gegen Guillaume bekanntgeworden, ergab die Beweisaufnahme, daß auf Grund eines analytischen Vermerks des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 11. Mai 1973 bereits damals die zuständigen Beamten die Überzeugung gewonnen hatten, daß Guillaume ein seit über zehn Jahren gesuchter Spion sei, der nicht nur 1956 in die Bundesrepublik Deutschland eingeschleust wurde, von dem man vielmehr annahm, daß er noch für seine Auftraggeber tätig sei.In den Sitzungen des Untersuchungsausschusses wurde von SPD-Politikern viel Abträgliches über die Sicherheitsdienste der Bundesrepublik Deutschland gesagt. Dies war mit Sicherheit nicht immer geeignet, dem Sicherheitssystem und damit der Bundesrepublik Deutschland zu nutzen. Hier ist der Ort und die Zeit, einmal den Beamten der Abteilung IV im Bundesamt für Verfassungsschutz öffentlich Anerkennung dafür auszusprechen, daß sie in überzeugender Weise die Grundlage zur Enttarnung des Spions Guillaume gelegt haben.
Ihre solide Arbeit macht deutlich, daß von einem totalen Versagen der Sicherheitsdienste nicht die Rede sein kann. Wer weiß im übrigen, wo Guillaume ohne ihre Leistung heute sitzen würde?Trotz ihrer Überzeugung, daß Guillaume der gesuchte Agent sei, waren die Beamten des Bundesamtes für Verfassungsschutz sich einig, daß die verfügbaren Beweismittel ihrer nachrichtendienstlichen Natur wegen und nur deswegen nicht zur Vorlage bei Gericht geeignet waren, daß deshalb weitere bei
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Gericht verwertbare Beweismittel gesucht werden müßten.In der Beweisaufnahme gab es zu den Fragen, welchen Kenntnisstand die politisch Verantwortlichen über die Schwere des Verdachts zum damaligen Zeitpunkt gewonnen haben und wer entschieden hat, daß Guillaume weiterhin in der unmittelbaren Nähe des Bundeskanzlers arbeiten konnte, die auffälligsten Widersprüche. Diese sind so eklatant, daß nicht immer die Wahrheit gesagt worden sein kann. Welche Konsequenzen die Strafverfolgungsbehörden daraus ziehen, ist allerdings hier nicht zu erörtern.Tatsache ist jedoch, auf den 30. Mai 1973 bezogen, folgendes. Der Präsident des Bundesverfassungsschutzamtes, Dr. Nollau, wußte, daß schwerwiegende Verdachtsmonmente gegen den persönlichen Mitarbeiter des Bundeskanzlers vorlagen und daß dieser den Bundeskanzler in dessen Jahresurlaub nach Norwegen begleiten sollte. Er war überzeugt, Guillaume sei ein Agent.Der damalige Bundesinnenminister Genscher wurde über diesen Verdacht, wenn auch nicht über die Verdachtskriterien in allen Einzelheiten, am 29. Mai 1973 unterrichtet. Während ihm die dargelegten Verdachtsmomente nicht begründet genug waren, war er andererseits der Überzeugung, die Angelegenheit müsse ernst genommen werden. Er war, wie er selbst sagte, von der Nachricht so elektrisiert, daß er den Bundeskanzler sofort unterrichten wollte.Bundeskanzler Brandt, der am gleichen Tage von Minister Genscher unterrichtet wurde, will den Verdacht gegen Guillaume als politisch gravierend angesehen und ernst genommen haben. Allerdings hielt er, wie er betonte, den Verdacht nicht für begründet.Auch Staatssekretär Grabert, der damalige Chef des Bundeskanzleramtes, war seit dem 4. Juni 1973 über den Verdacht durch den Bundeskanzler informiert.Schließlich war dem Fraktionsvorsitzenden der SPD, Herbert Wehner, dem seit über zehn Jahren bekannt war, daß in der SPD ein Spion gesucht werde, vom Präsidenten Dr. Nollau mitgeteilt worden, daß der so lang Gesuchte Guillaume heiße und im Bundeskanzleramt sitze. Trotzdem blieb Guillaume elf Monate an der Seite des Bundeskanzlers.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist von den damals informierten Verantwortlichen niemand auf die Idee gekommen, ernsthaft zu überprüfen, ob das Interesse an einer Überführung Guillaumes oder das Staatsinteresse, den Verrat von Staatsgeheimnissen zu verhindern, Vorrang haben müsse. Während Präsident Dr. Nollau, wie er betonte, das Interesse seines Hauses wahrnahm, den Spion zu überführen, befolgten Minister Genscher, Bundeskanzler Brandt und Staatssekretär Grabert diesen Rat kritiklos. Eine echte Güterabwägung über das höher zu bewertende, dringender zu schützende Gut wurde ganz offensichtlich von niemandem angestellt.Ja, es unterblieb sogar jede Sicherheitsvorkehrung, sowohl im Bundeskanzleramt selbst als auch während der Urlaubsreise des Bundeskanzlers in Norwegen. Während Dr. Nollau hierzu den Standpunkt vertrat, dies sei Aufgabe des Dienststellenleiters im Bundeskanzleramt gewesen, bekundete Bundeskanzler Brandt, daß er davon ausgegangen sei, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz das gewünschte Risiko, Guillaume in seiner Nähe zu belassen, so minimal wie möglich halten würde.Nach Auffassung der Minderheit im Untersuchungsausschuß haben hier sowohl Präsident Dr. Nollau als auch die politisch Verantwortlichen im Bundeskanzleramt wie im Bundesministerium des Innern nicht nur fahrlässig, sondern gröblich ihre Pflichten verletzt. Einzelheiten will ich hier nicht wiedergeben; sie werden jedoch in der Debatte noch angesprochen werden. Ebenso wird in der weiteren Debatte auf die vom Untersuchungsausschuß untersuchten Vorwürfe gegen den Bundesnachrichtendienst noch im einzelnen eingegangen werden.Nach Abschluß der Ermittlungen bleiben jedenfalls folgende Fragen, die im einzelnen politisch zu beantworten sind.Erstens. Warum konnte der Ostagent Guillaume ohne jede Berufsausbildung in den höheren Dienst im Bundeskanzleramt gelangen?
Zweitens. Welchen Zwang gab es eigentlich, Guillaume, gegen den nachrichtendienstliche Meldungen vorlagen, dessen Lebensweg bei der Einstellung selbst zu Zweifeln Anlaß gab, ausgerechnet in einer so sicherheitsempfindlichen Behörde, wie sie das Bundeskanzleramt darstellt, unterzubringen?Drittens. Wieso war nach der Konkretisierung des Verdachts gegen Guillaume die Beamten des Bundesamtes für Verfassungsschutz waren immerhin überzeugt, Guillaume sei ein Agent — die Überführung des Spions eigentlich wichtiger als das Interesse des gesamten Staates, bereits die Gefahr des Landesverrats zumindest im Bundeskanzleramt zu vermeiden?Nach Auffassung der Minderheit im Ausschuß ist das Verhalten der Bundesregierung bei Einstellung und Enttarnung des Spions nur schwer erklärbar. Ohne daß eine wissentliche Förderung des Spions in diesem Bericht als Beweggrund unterstellt wird, kann dieses Verhalten zumindest auf eine falsche Beurteilung des Staates und der Pflichten einer Regierung eines demokratischen Staates zurückgeführt werden.
Diese Feststellung beruht auf folgender Überlegung. Der freiheitlich-demokratische Staat wird von unfreien Systemen als gefährlicher Gegner angesehen. Je mehr Freiheit eine Gesellschaftsordnung sich und ihren Bürgern leisten kann, desto größere Gegnerschaft wird sie sich seitens der Nichtdemokraten einhandeln. Da Freiheit aber nur dann Freiheit bedeutet, wenn die grundgesetzlich garantierte
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Entfaltungsfreiheit grundsätzlich jedem Bewohner eines Landes, also auch dem Systemgegner, gewährt bleibt, ist der freiheitlich-demokratische Staat Magnet, Betätigungsfeld und gleichsam Hort seiner Gegner. Er wird sich auf Dauer seiner Feinde nur erwehren können, wenn er dem freiheitlich bedingten, weiten Entfaltungsspielraum seiner Gegner ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit und Vorsicht widmet. Das Recht auf freie Entfaltung, das so großzügig wie nur möglich garantiert wird, findet da seine absolute Grenze, wo sich die Gegner des Systems anschicken, in die Schaltstellen dieses Staates zu dringen. Erhaltung und Ausbau der Freiheit verlangen daher ihren Tribut durch besondere Auswahl und Auslese der besonders Verantwortlichen.Hier hat die Bundesregierung, wie der Berichtsteil der CDU/CSU beweist, in der schwersten Weise versagt. Das nicht einmal beruflich qualifizierte Parteimitglied, gegen das Sicherheitsbedenken bestanden, hat an der Seite des Bundeskanzlers eine Karriere beginnen und fortführen können, auch dann noch, als die zuständigen Beamten des Verfassungsschutzes überzeugt waren, daß es sich bei ihm um einen Spion handelte. Dies aufzuklären, meine Damen und meine Herren, war kein parteitaktisches Schattenboxen, sondern Pflicht des die Regierung kontrollierenden Parlamentes.
Pflicht auch deshalb, um ähnliches für die Zukunft hoffentlich auszuschließen.
Meine Damen und Herren, wir haben die ergänzenden Berichte der Herren Berichterstatter entgegengenommen und treten nunmehr in die Aussprache ein. Ich wiederhole, daß die Tagesordnungspunkte 8 und 9 gemeinsam zur Aussprache stehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Zagen betrete ich dieses Pult. Ich empfinde die Last der besonderen Verantwortung, die heute bei der Beratung der Erkenntnisse des 2. Untersuchungsausschusses auf uns allen gleichermaßen lastet oder uns we-' nigstens bedrücken sollte. Es ist die Verantwortung für die Sicherheit unseres demokratischen Staates, der, weil er allein in der Lage ist, die Grundrechte der in Deutschland lebenden Menschen zu gewährleisten und zu garantieren, selbst einen sittlichen Wert darstellt. Sicherheit steht hier und heute für die Sicherheit, unsere Staatsgeschäfte frei von fremdem Einfluß und von Ausspähung — Fall Guillaume — und frei vom Mißbrauch staatlich verliehener Macht im Innern — Komplex BND — auszuüben.Unter der Last dieser Verantwortung, die eine Verantwortung für die Freiheit der Menschen in diesem Lande ist, haben die sozialdemokratischen Mitglieder des 2. Untersuchungsausschusses im Juni des vergangenen Jahres ihr Amt angetreten und versucht, es auch in diesem Sinne auszuüben. Wir werden uns weiter bemühen, in diesem Sinne auch heute die Debatte zu bestreiten. Dabei wird sich mein Freund Günther Metzger mit der Problematik des Bundesnachrichtendienstes befassen, während ich mich in erster Linie dem Komplex des DDR-Spions Guillaume zuzuwenden beabsichtige.Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 108 Jahre besteht dieser unser Staat heute, der sich im Geltungsbereich des Grundgesetzes seit 1949 „Bundesrepublik Deutschland" nennt. Noch nie aber war er in seiner freiheitlichen Existenz auch durch Subversion und Spionage so bedroht wie in den Jahren, in denen sich die gegenwärtige Situation des Bestehens zweier deutscher Staaten mit gegensätzlichen Gesellschafts- und Staatsordnungen herausgebildet und verfestigt hat. Eine breite Spur von zum Teil sehr bedeutsamen Spionagefällen hat sich in die Geschichte der zweiten deutschen Republik eingegraben.Dabei gibt es auch in diesem Hause keine Partei oder Fraktion, die im Verlaufe dieser 25 Jahre nicht von einem derartigen Unglück betroffen worden wäre. Vom Fall Frenzel wissen wir. Von den der CDU angehörenden Betroffenen nenne ich hier nur den stellvertretenden Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen, Gericke, oder den Bundestagsabgeordneten Schmitt-Wittmack aus Hamburg. Mit dem Kollegen Kraske verband mich das persönliche Schicksal, daß unsere gemeinsam oder einzeln geführten Gespräche mit dem Bundesgeschäftsführer des Rings Christlich-Demokratischer Studenten, Johannes Müller, jeweils umgehend per Tonband beim Ministerium für Staatssicherheit in Ostberlin landeten. Der BGH hat, wie Sie wissen, dieses Verhalten des Bundesgeschäftsführers der christlichdemokratischen Studenten mit drei Jahren Zuchthaus geahndet; Herr Müller war nämlich das Haupt eines Agentenrings des Ministeriums für Staatssicherheit in der Bundesgeschäftsstelle der Christlich Demokratischen Union hier in Bonn.Ja, praktisch auf dem gleichen Dienstposten, auf dem jetzt Herr Guillaume als DDR-Agent entlarvt wurde, hat sechs Jahre lang — dort eingesetzt von Herrn Globke unseligen Angedenkens —
ein Mann sein Unwesen im Interesse der DDR und in deren Auftrag getrieben, der zuletzt als Oberregierungsrat bezahlt wurde. Ich spreche von Herrn Helbig. -- Der wohl schwerste Fall dieser Art hat sich im Bundesnachrichtendienst selbst ereignet; ich nenne hier nur den Namen Felfe.
Mit diesem Namen verbindet sich bis heute das unübertroffen größte Unglück, das auf diesem Gebiet passiert ist, ein Unglück, das auch große menschliche Tragödien ausgelöst hat. Es war und ist bis heute die größte Spionageaffäre nach dem Krieg gewesen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage das hier alles nicht, um irgend etwas zu entschuldigen oder auch nur bagatellisieren zu wollen— nichts liegt mir jedenfalls ferner —; ich wollte nur, Herr Stücklen, alle Seiten dieses Hauses, besonders aber die Damen und Herren der Opposition, in diesem Zusammenhang zu mehr Bescheidenheit mahnen.
Es gibt nämlich kein Mittel — selbst härteste Polizeistaaten und Diktaturen haben ein solches noch nicht entwickelt —, das Eindringen von Spionen und Agenten mit absoluter Sicherheit auszuschließen.
— Na gut, ich freue mich, Herr Stücklen, daß wir in diesem Punkte einig sind. — Darum nämlich eignet sich dieses Thema auch nicht zu parteipolitischer Polemik, und ich freue mich, daß ich an dieser Stelle mit dem amtierenden Oppositionsführer einer Meinung sein kann. Ich hoffe, daß dies auch auf die abschließende Debatte heute ausstrahlt.
Aus diesem Grunde und weil ich der Auffassung war, die Bundesregierung habe alles auf den Tisch gelegt, was dazu nur irgend geeignet war, hatte ich— das will ich hier freimütig sagen — bei der Einsetzung des 2. Untersuchungsausschusses große Bedenken, ob es sinnvoll sei, gerade nach den Erfahrungen des Steiner-Ausschusses vorher einen solchen Untersuchungsausschuß zu schaffen, oder ob nicht ein solcher Ausschuß vielmehr geeignet sei, antiparlamentarische Ressentiments deswegen zu produzieren, weil er der Öffentlichkeit keine neuen Erkenntnisse vermittelte.Ich stehe nicht an, zu sagen, daß ich heute, nachdem ich damals nur aus Loyalität der Konstituierung des 2. Untersuchungsausschusses zugestimmt habe, meine Meinung in diesem Punkte grundlegend korrigiere. Ich tue das nicht nur freimütig, sondern auch in dem erfreulichen Bewußtsein, mich hierbei in Übereinstimmung mit weiten Teilen der Bevölkerung und der öffentlichen Meinung zu befinden. Ich tue dies zugleich auch im Namen meines Kollegen Metzger, der mich eben, unmittelbar vor Beginn meiner Ausführungen, ermächtigt hat, Ihnen dieses hier auch in seinem Namen mitzuteilen, weil er ja in der Debatte damals anderes gesagt hatte.Ich kann und will an dieser Stelle nicht alles wiederholen, was der Berichterstatter Dr. Hirsch in seinem Bericht, für den ich ihm namens der sozialdemokratischen Mitglieder des Untersuchungsausschusses herzlich danke, ausführlich und wohlbegründet über die Ermittlungen des Ausschusses dargelegt hat. Ich beabsichtige hier heute vielmehr, einige Schwerpunkte unter politischen Gesichtspunkten zu setzen.Erstens. Die erste große Erkenntnis, die der 2. Untersuchungsausschuß gewonnen hat, war der erschreckende und auf weite Strecken desolate Zustand der deutschen geheimen Nachrichtendienste.Der Fall Guillaume ist zugleich eine Art Momentaufnahme dieser Behörden im Zeitpunkt der Regierungsübernahme durch die sozialliberale Koalition.
— Herr Köppler war Parlamentarischer Staatssekretär, Herr Kollege Gerster. Sie waren damals noch nicht im Hause. Sie können das infolgedessen nicht wissen. Er trug die politische Verantwortung für den Zustand des Hauses dort mit.
Fast alle an der Sicherheitsüberprüfung Guillaumes unmittelbar beteiligten Beamten, insbesondere alle beteiligten leitenden Beamten, waren eingeschriebene Mitglieder der Christlich Demokratischen Union.
— Ich sprach vom Bundesamt für Verfassungsschutz, Herr Kollege Pfeffermann. Sie müssen bitte genauer zuhören!
Die Beweisaufnahme vor dem 2. Untersuchungsausschuß hat ergeben, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz intern so mangelhaft organisiert war, daß vielfach trotz aufopferungsvoller Arbeit vieler seiner Mitarbeiter — wie ich aus ganz anderen Zusammenhängen weiß — das dort vorhandene Wissen über Guillaume und seine Rolle vor dem Verlassen der DDR und die Erkenntnisse über den Verlag „Volk und Wissen", in dem Guillaume in der DDR gearbeitet hatte, bei der Sicherheitsüberprüfung Guillaumes anläßlich seiner Einstellung nicht zusammengeführt wurden und daher unausgewertet blieben.So konnte es kommen, daß das hierfür zuständige Bundesamt für Verfassungsschutz dem Bundeskanzleramt uneingeschränkt attestierte, gegen die Einstellung des später als Spion Erkannten bestünden keine Sicherheitsbedenken. Wäre auch nur ein Beamter auf die Idee gekommen, bei der Sicherheitsüberprüfung über den Zaun seiner Abteilung zu blikken, so hätte die Einschaltung der für Spionageabwehr zuständigen Abteilung schon damals die Einstellung Guillaumes verhindert. Dies geschah jedoch nicht. Im Gegenteil, die mit Guillaume befaßte Ab-
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teilung des Bundesamtes fur Verfassungsschutz wandte unendliche Mühe auf, um etwaige Verdachtsmomente gegen Guillaume zu zerstreuen, die aus den Unterlagen und Ermittlungsergebnissen hervorgingen, die das Bundeskanzleramt aus anderen Quellen besaß und dem Bundesamt für Verfassungsschutz zur Verfügung gestellt hatte. Denn die Beweisaufnahme im Untersuchungsausschuß hat ganz klar ergeben, daß das Bundeskanzleramt damals erheblich mehr getan hat, als nach den einschlägigen Vorschriften vorgesehen war.Mit mindestens sieben Maßnahmen ist das Bundeskanzleramt damals über das hinausgegangen, was die von den Regierungen vor der sozialliberalen Koalition erlassenen Vorschriften zu diesem Thema forderten.Aber, meine Damen und Herren, nicht nur die Zusammenarbeit der einzelnen Abteilungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz untereinander war gestört, sondern auch die Koordination der Nachrichtendienste untereinander war beklagenswert. Eine solche fand z. B. — wie wir im Ausschuß festgestellt haben — hinsichtlich Guillaumes praktisch überhaupt nicht statt. So blieb dem Bundesamt für Verfassungsschutz verborgen, daß der Bundesnachrichtendienst in München schon zur Zeit der Einstellung Guillaumes zumindest zwei Erkenntnisse besaß, die für die Beurteilung Guillaumes bedeutsam gewesen wären. Ja, mehr: Erst während des parlamentarischen Untersuchungsverfahrens stellen Sie sich das bitte vor! — stellte der Bundesnachrichtendienst fest, daß er in seinen Unterlagen an drei weiteren Stellen bis dahin nicht ausgewertete Erkenntnisse besaß, die für die Sicherheitsüberprüfung Guillaumes relevant gewesen wären.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt es daher, daß die Bundesregierung schnell auf die zutage getretenen Mängel bei der Koordinierung der Nachrichtendienste reagiert und den Staatssekretär der Bundesregierung, Herr Dr. Schüler zum Koordinator der Nachrichtendienste ernannt hat. Wir alle werden sorgfältig beobachten müssen, ob in Zukunft diese Lösung die von uns allen gewünschte höhere Effektivität der Koordinationsarbeit gewährleistet. Unumgänglich notwendig ist, die erforderlichen personellen und sächlichen Mittel hierfür zur Verfügung zu stellen, um diese Koordinationsarbeit wirksam und voll verantwortlich wahrzunehmen. Dies ist nicht zuletzt auch eine Forderung an uns selbst — an dieses Haus —, die erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen.Unsere Ausschußerfahrung hat uns bewiesen, welch umfangreiche Arbeit hier zu leisten ist. Daneben werden aber auch noch andere Maßnahmen energisch angepackt werden müssen, wenn dieses Haus aus dem Fall Guillaume und diesem Untersuchungsverfahren wirklich Konsequenzen ziehen will.Bei der Problematik, die mit der Einstellung Guillaumes zusammenhängt, muß an dieser Stelle noch der bisweilen aufgestellten Behauptung oder wenigstens Vermutung entgegengetreten werden, die an der Einstellung oder Sicherheitsüberprüfung beteiligten Beamten hätten unter Druck gestanden oder seien zu einer Eile gedrängt worden, die die Qualität ihrer Arbeit beeinträchtigt hätte. Dem ist zunächst entgegenzuhalten, daß wir bei der Beweisaufnahme ausnahmslos alle Beteiligten gefragt haben, ob sie unter Druck gesetzt worden seien oder sich auch nur unter Druck gesetzt gefühlt hätten. Alle ausnahmslos alle — haben das mit Nachdruck, zum Teil mit Empörung, verneint.Der Ausschuß hat auch nicht feststellen können, daß die persönliche Mitwirkung des Chefs des Bundeskanzleramtes, des damaligen Bundesministers Ehmke, zu einer Situation geführt hätte, die unbewußt als Druck hätte empfunden werden können. Vielmehr hat diese persönliche Mitwirkung des zuständigen Bundesministers offenbar, was ja auch wiederum psychologisch verständlich ist, zu besonders sorgfältiger Arbeit der beteiligten Beamten geführt.Aber entgegen mancher öffentlichen Behauptung hat auch die tatsächliche erforderliche Eile keinen Einfluß auf den Inhalt, auf die Qualität der Überprüfungsarbeit gehabt. Dies geht nicht nur aus den Aussagen aller hierzu gefragten Zeugen hervor. Es wird vor allem dadurch bewiesen, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz auf Wunsch des Bundeskanzleramtes im Anschluß an die Einstellung Guillaumes seine Ermittlungen nicht nur fortgesetzt, sondern Herrn Guillaume vorsorglich für die Geheimhaltungsstufe „Streng geheim" überprüft hat, obwohl niemals geplant war, diesen Herrn Guillaume mit derartig eingestuften Vorgängen zu befassen. Diese zusätzliche und vorsorgliche Prüfung hat sich Tiber mehrere Monate bis zum Herbst des Jahres 1970 hingezogen. Auch sie hat wiederum dazu geführt, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz Herrn Guillaume uneingeschränkte Tauglichkeit zur Bearbeitung derartiger als „Streng geheim" qualifizierter Verfahren, Vorlagen und Sachen attestiert hat. Dabei hat dann nunmehr mit Sicherheit weder tatsächlich noch vermeintlich psychologischer Druck eine Rolle spielen können. Denn die Eile, die vor der Einstellung Guillaumes vielleicht geboten war, war ja nicht mehr erforderlich. Er war längst tätig. Es kam also da, bei dieser zusätzlichen vorsorglichen Überprüfung, überhaupt nicht mehr darauf an, zu welchem Zeitpunkt das Amt für Verfassungsschutz in Köln seine Erkenntnisse ablieferte. Trotzdem ist das Ergebnis dieser ohne jede Möglichkeit eines Druckes durchgeführten Arbeit das uneingeschränkte Testat auf Tauglichkeit zur Behandlung von streng geheimen Vorgängen gewesen.Zweitens. Um in den Besitz der zur Beurteilung Guillaumes erforderlichen Maßstäbe zu kommen, hat der Untersuchungsausschuß umfangreiche Beweiserhebungen angestellt, die sowohl die fachliche Qualifikation Guillaumes für seine Position im Bundeskanzleramt als auch die Kriterien betrafen, welche Bedeutung seinem Fall in der Reihe der Spionageaffären der letzten 20 Jahre zukommt.Entgegen einer, sagen wir, mißverständlichen Bemerkung im Minderheitsbericht hat der Ausschuß dieses Thema nicht fallengelassen, sondern es so voll ausgeschöpft, wie es geplant war. Aber viel-
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Dr. Arndt
leicht beruht der Irrtum des Berichterstatters Gerster auch darauf, daß er nicht bedacht hat, daß das Verfahren vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen nicht vom Prinzip der Mündlichkeit beherrscht ist, sondern daß vielmehr auch Akten und beigezogene Urkunden ohne ihre mündliche Behandlung oder Verlesung vollwertige Beweismittel sind. Es ist dies einer der nicht gerade wenigen Punkte, in denen der Minderheitsbericht schon im Tatsächlichen einer ganzen Reihe von Irrtümern zum Opfer gefallen ist.
— Ich möchte jetzt meine Ausführungen im Zusammenhang machen, Herr Kollege Gerster.
- In der Tat, eben! Genau das ist der Beweggrund für mich, so zu reagieren.
Ich kann diese Irrtümer nicht alle aufzählen. Es sei hier nur ein weiteres Beispiel genannt: Nicht, wie Herr Gerster annimmt, das Bundesamt für Verfassungsschutz ist die Nationale Sicherheitsbehörde; dies ist vielmehr das Bundesministerium des Innern. Oder: Präsident Dr. Nollau hat sein Amt nicht erst am 4. Juni — wie es, ich glaube, auf Seite 82 des Schriftlichen Berichts steht , sondern unmittelbar am 30. Mai 1974 unterrichtet und die entsprechenden Gespräche in seinem Hause geführt.Diese und einige andere Punkte geben mir Veranlassung, doch darauf hinzuweisen, daß mir einige Passagen der Berichterstattung, die Herr Kollege Gerster hier gegeben hat, eine Widerspiegelung der Arbeit des Ausschusses nur sehr bedingt dargestellt zu haben scheinen. Es ist ja nicht Aufgabe des Berichterstatters, hier eine Philosophie — meinetwegen die seine oder die seiner Fraktion — zu entwickeln, sondern in dürren Worten schlicht zu berichten, was sich im Ausschuß abgespielt hat.
Ich meine, als Debatteredner hier sagen zu dürfen, daß in einigen Punkten von den Tatsachen her, für die ich einige Beispiele aufgeführt habe, der Bericht des Herrn Kollegen Gerster doch über diese Aufgabe des Berichterstatters tatsächlich hinausgegangen ist. In der Diskussion zur Debatte hätte er dies sicher alles sagen können. Aber es erscheint mir doch recht zweifelhaft, ob er als Berichterstatter dieses Recht hat.
Aber zurück zu den umfangreichen Prüfungen, die der Ausschuß vorgenommen hat und die Sie auf den Seiten 107 ff. des Ausschußberichtes in der Anlage 3 wiederfinden. Durch Prüfung aller Organisationspläne des Bundeskanzleramts, durch Prüfung der beruflichen und fachlichen Qualifikationen jener Persönlichkeiten, die von 1949 bis 1969 gleiche oder ähnliche Funktionen wie Guillaume ausgeübt haben, durch mündlich und schriftlich erstattete Gutachten zahlreicher Sachverständiger, durch Beiziehung zahlreicher Personal- und Sicherheitsakten der betreffenden Personen sowie schließlich durch Überprüfung vergleichbarer Fälle von Spionage-und Agententätigkeit seit 1949 — und hier besonders des bereits erwähnten Oberregierungsrats Helbig, der im Bundeskanzleramt tätig war hat der Untersuchungsausschuß gegen den zum Teil erbitterten Widerstand der Opposition, die ja auf der anderen Seite schließlich den Einsetzungsbeschluß selber formuliert hatte — Herr Kollege Hirsch hat in seinem Bericht vorhin ja schon auf diesen Umstand hingewiesen —, festgestellt, daß Guillaume die fachliche Qualifikation für die von ihm besetzte Stelle vollen Umfangs besaß — wobei natürlich auch berücksichtigt werden muß, daß Herr Guillaume sich ja bereits im öffentlichen Dienst befand, als er in das Bundeskanzleramt übernommen wurde, und genau in der gleichen Besoldungsgruppe — —
— Bei der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Frankfurt.
— Jawohl. Gucken Sie ins Beamtengesetz, dann werden Sie sehen, daß das anrechnungsfähiger öffentlicher Dienst ist.
— Nein, das ist nicht etwas anderes.
— Meine Herren Kollegen, durch die Lautstärke Ihrer Zwischenrufe werden Sie das Beamtengesetz nicht aus der Welt schaffen.
Lesen Sie das Beamtengesetz nach! Dann werden Sie das feststellen. — Dort wurde er nach genau der gleichen Besoldungsgruppe besoldet. Sein Umsteigen in das Bundeskanzleramt hat für ihn infolgedessen hinsichtlich seiner Besoldungsgruppe nicht einen Pfennig Verbesserung mit sich gebracht, wenn man von der Ministerialzulage absieht.
Meine Damen und Herren, außerdem muß ich hier feststellen, daß sich seine Einstellung und gehaltsmäßige Einstufung zudem im Rahmen dessen hielt, was auch seine Vorgänger dort erhalten haben. Schließlich ist die Sicherheitsüberprüfung bei Herrn
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Guillaume erheblich strenger als bei vielen seiner Vorgänger durchgeführt worden. Sein politisches Engagement für die Sozialdemokratische Partei bei einem der SPD angehörenden Bundeskanzler hat sich nicht von dem politischen Engagement seiner Vorgänger für die CDU bei CDU-Bundeskanzlern unterschieden.Damit komme ich zum dritten Hauptkomplex meiner Ausführungen hier. Besondere Bedeutung im Rahmen der Untersuchungen des 2. Untersuchungsausschusses hatte die Frage, welche Konsequenzen sich für die Verantwortlichen ergaben, als sich ein konkreter nachrichtendienstlicher Verdacht gegen Herrn Guillaume auftat, der sich dann so erhärtete, daß der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz den Bundesminister des Innern hiervon unterrichtete. Hier ergibt sich der schon klassische Konflikt zwischen dem gesamtstaatlichen Interesse, die Geheimnisse des Staates zuverlässig zu sichern, und dem gleichfalls gesamtstaatlichen Interesse, nicht nur einen vermuteten oder auch einen erkannten Spion oder Agenten zu überführen, sondern auch weiteren Schaden dadurch zu verhüten, daß seine Verbindungswege und Helfershelfer enttarnt und unschädlich gemacht werden. Ich glaube nicht, daß man dieses gesamtstaatliche Interesse so niedrig bewerten kann, wie die Minderheit es durch ihren Berichterstatter vorhin hier zum Ausdruck gebracht hat.Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Herr Dr. Nollau, hat hier dem politisch verantwortlichen Bundesminister des Innern den fachlichen Rat erteilt, man sollte Guillaume nicht nur in seinem Amt belassen, sondern überhaupt nichts Feststellbares bei seiner Position ändern, bis man durch Observation und andere geeignete Mittel Guillaume in rechtsstaatlich einwandfreier Weise überführen und eventuelle Helfer entlarven könne. Herr Nollau fürchtete sonst eine Flucht Guillaumes, die er im Zeitraum der aktiven Ostpolitik für verhängnisvoll hielt.Bundesminister Genscher gab diesen Rat an den Bundeskanzler weiter und erstreckte ihn auch auf die geplante Norwegenreise Bundeskanzler Brandts. Dieser akzeptierte den Ratschlag auch, wenngleich er vor dem Ausschuß deutlich machte, daß er diese politische Entscheidung heute in einem anderen Licht sehe. Aber er sagte, daß man ja doch immer dann, wenn man vom Rathaus komme, klüger sei als zu dem Zeitpunkt, zu dem man sich dort hineinbegebe.Entgegen dem fachlichen Rat von Herrn Nollau und des politisch verantwortlichen Innenministers unterrichtete jedoch der damalige Bundeskanzler Brandt sowohl den Chef des Bundeskanzleramts, Staatssekretär Grabert, als auch den Leiter des Kanzlerbüros. Diese beiden Beamten trugen dann auch die Verantwortung dafür, daß während des Norwegenaufenthaltes Bundeskanzler Brandts einerseits der Strom der Unterlagen und Informationen, die den Bundeskanzler dort erreichen sollten, nicht in einer Weise gestaltet wurde, die bei Guillaume Verdacht aufkommen oder ihn gar zur Flucht bewegen würde, daß aber andererseits besonders geheimhaltungsbedürftige Vorgänge auf einem der beiden anderen Wege an den Bundeskanzler gelangten, die hierfür zur Verfügung standen.Meine Damen und Herren, es besteht kein Zweifel — und ich wäre weder ein guter Sozialdemokrat noch ein geeigneter Parlamentarier, wenn ich hier um die Sache herumredete —, daß Willy Brandt die volle politische Verantwortung für folgende zwei Dinge trägt: erstens für seine Entscheidung, den Rat seines Innenministers Genscher zu befolgen und Guillaume an seinem Platz zu belassen und auch nach Norwegen mitzunehmen, nachdem er die Verdachtsgründe kannte.
Zweitens trägt der Bundeskanzler Brandt für alles die politische Verantwortung, was das Bundeskanzleramt tat oder unterließ, für das er das zuständige Kabinettsmitglied war.Zu diesen beiden Verantwortlichkeiten ist jedoch folgendes im einzelnen zu sagen.
— Herr Kollege Stücklen, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie jetzt meiner Kritik hier zuhörten. — Niemand von uns kann die Frage überzeugend beantworten, ob es richtig war, dem Rate Dr. Nollaus oder des politisch für die innere Sicherheit verantwortlichen Innenministers zu folgen oder nicht. Für jede der beiden Entscheidungsmöglichkeiten sprechen eine große Anzahl ausgezeichneter Gründe. Ich will den sehen, der hier und heute aufstünde und bewiese oder auch nur behaupten könnte, die eine oder die andere Entscheidung sei bei der Lage der Dinge auch nur politisch nicht voll zu verantworten. Der möge hierhertreten, der dies hier behauptet.
Darauf werde ich gleich kommen, Herr Kollege Pfeffermann.Hinsichtlich des Norwegenaufenthalts liegen die Dinge noch viel klarer. Hier hat die Beweisaufnahme im Untersuchungsausschuß eindeutig ergeben, daß der Bundeskanzler mit der Unterrichtung der beiden leitenden Beamten alles getan hatte, was er nur tun konnte. Selbst wenn er es gewollt hätte, so hätte er von Norwegen aus eventuelle Fehlentscheidungen in Bonn nicht mehr korrigieren können.Drittens. Es kommt hinzu, daß der damalige Bundeskanzler Brandt, wie er im Ausschuß für unsere Meinung überzeugend dargelegt hat, viele gute Gründe hatte, überhaupt daran zu zweifeln, daß der Verdacht gegen Guillaume begründet war.
Einmal hatte er in den Jahren als Regierender Bürgermeister von Berlin zahlreiche vergleichbare Verdachtsfälle erlebt, die sich später in seiner Praxis fast ausnahmslos als gegenstandslos erwiesen haben. Es kam hinzu, daß der damalige Bundeskanzler wußte, daß sich der Verdacht gegen Guillaume vor
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allem auf eine nachrichtendienstliche Quelle stützte, die sich erst kurz vorher in einem Falle, der dem Bundeskanzler sehr gut persönlich bekannt war, als nicht zuverlässig erwiesen hatte.Schließlich hat der Ausschuß festgestellt, daß Bundeskanzler Willy Brandt nicht über alle dem Bundesamt für Verfassungsschutz bekannten Einzelheiten der Verdachtsfälle informiert worden war, sie ihm also nicht alle bekannt waren.Hieraus ergibt sich die klare Schlußfolgerung, daß Bundeskanzler Willy Brandt zwar die politische Verantwortung für alles, was dort geschehen ist, zu tragen hatte und trug, daß ihm aber bei ehrlicher Betrachtung auch nicht die Spur, Herr Kollege Pfeffermann, eines Schuldvorwurfs gemacht werden kann.
— Herr Kollege Stücklen, wenn Sie eine Minutewarten, werde ich genau diese Frage beantworten.
: Da bin ich aber sehr
gespannt!)Aber, meine Damen und Herren, Willy Brandt ist sich und dem Gesetz, nach dem er angetreten ist, treu geblieben, mehr Demokratie zu wagen.
Er hat sein Amt als Bundeskanzler zurückgegeben, weil er sich vor der politischen Verantwortung nicht gedrückt hat, einer Verantwortung für etwas, an dem er keinerlei Schuld im Sinne der Vorwerfbarkeit trug.
Willy Brandt hat damit für die Demokratie in diesem Lande ein Zeichen gesetzt, das sich würdig anreiht an das, was dieser Mann für Deutschland geleistet hat,
der Mann, dem wir die Basis für die außenpolitische Aussöhnung auch mit unseren östlichen Nachbarn ebenso verdanken wie den in aller Welt sichtbaren Willen, jeder Diktatur und der Nazi-Vergangenheit dauernd abzuschwören, einen Willen, der durch ihn in Warschau mit dem für uns alle gebeugten Knie symbolisiert worden ist.
Welche Bedeutung dieser Rücktritt aus politischem Verantwortungsgefühl für unsere Demokratie besitzt, mögen Sie
aus der einzigen Frage ersehen, die ich an dieser Stelle anknüpfen möchte.
-- Diese Frage ist an das ganze Haus gerichtet.
Sie lautet: Ist Bundesinnenminister Schröder zurückgetreten, obwohl sich in seiner Amtszeit Herr John plötzlich in Ost-Berlin wiederfand? Ist Bundeskanzler Adenauer zurückgetreten, als Herr Felfe im Bundesnachrichtendienst als der bis heute gefährlichste Spion nach dem Kriege entlarvt wurde?
- Ich habe es Ihnen doch eben erklärt. Bis inmanche Region dauert es etwas länger. Ich habe den Eindruck, das kommt bei Ihnen auch noch an.
Hat Präsident Gehlen sein Amt damals zur Verfügung gestellt, obwohl im Fall Felfe sogar zweifelhaft sein könnte, ob nicht gegen Gehlen etwas Vorwerfbares vorlag? Hat Bundeskanzler Adenauer seinen Rücktritt erklärt, als der von seinem Staatssekretär Globke in alter Reichsinnenministeriumskameraderie ohne korrekte Sicherheitsüberprüfung- Sie sollten sich einmal diese Sicherheitsüberprüfungsakte anschauen, Herr Stücklen — eingestellte Oberregierungsrat Helbig nach sechs Jahren Tätigkeit im Bundeskanzleramt entlarvt wurde? Die Frage zu stellen heißt, sie zu verneinen. Sie zu beantworten bedeutet aber gleichzeitig, den Rücktritt Willy Brandts vom Amt des Bundeskanzlers
in die richtigen Proportionen in diesem Hause zu bringen.
— Herr Stücklen, ich will keine Schlüsse auf Ihr Demokratieverständnis aus diesem Zwischenruf ziehen.
— Herr Stücklen, wollen Sie mir Angst einjagen? Sie nicht!
Die politische Verantwortlichkeit ist aber auch für die Einstellung Guillaumes klar festzustellen. Sie trägt unser Kollege Horst Ehmke als Chef des Bundeskanzleramts.
Er trägt sie für alle Aspekte der Einstellung, d. h. auch für deren Sicherheitsaspekt, eine politische Verantwortung im gleichen Sinne, wie ich sie eben bei Bundeskanzler Brandt geschildert habe. Auch Professor Ehmke hat die demokratischen Konse-
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quenzen gezogen und gehört heute auf eigenen Wunsch der Bundesregierung nicht mehr an.
-- Sie scheinen über gewisse Dinge etwas desorientiert zu sein, Herr Pfeffermann.Ein Verschulden vermag ich nach der Beweisaufnahme aber auch bei ihm nicht zu erkennen.
Er hat nämlich mehr getan, als er mußte, als vorgeschrieben war. Insbesondere trifft ihn keine Schuld an dem Zustand der Nachrichtendienste, den er antraf, als er sein Amt übernahm. Er mußte sich der Nachrichtendienste und überhaupt der Behörden in den ersten acht Wochen nach seinem Dienstantritt in der Weise bedienen, wie die Führung der CDU sie ihm hinterlassen hatte.
Hier wird man deswegen kaum diejenigen entlasten können, die politisch vor ihm die Verantwortung für den Zustand des Bundesnachrichtendienstes und des Bundesamts für Verfassungsschutz getragen haben.
Ich nannte vorhin schon in dem gleichen Zusammenhang für den einen Dienst die Herren Kiesinger und Carstens und ihre Vorgänger und für den anderen Dienst die Herren Benda und Köppler und deren Vorgänger. Aber dazu wird mein Freund Günther Metzger später in dieser Debatte noch mehr zu sagen haben.
Ich will hier nicht, ehe ich schließe, auf die schlechten Kolportagen, Vermutungen, Kombinationen eingehen, die erst vor zwei Tagen die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" über Herrn Ehmke angestellt hat. Es ist mir zwar unklar, wie eine Zeitung, die sonst stets besondere Seriosität für sich in Anspruch nimmt, sich zum Abdruck eines solchen Beitrags entschließen konnte. Aber abgesehen davon, daß ich meine Zweifel an der Authentizität dieses Berichts habe, insbesondere was gewisse Gespräche angeht, die Herr Guillaume zur Zeit des Mißtrauensvotums angeblich geführt laben soll, jenes Mißtrauensvotums, das den Herrn Kollegen Barzel damals ins Bundeskanzleramt tragen sollte, will ich Ihnen sagen, daß auch ich damals jene Zuversicht hatte, die dieser Zeitungsbericht Herrn Guillaume in den Mund gelegt hat.
— Herr Stücklen, Sie haben jetzt zu früh gerufen. Sie werden sich gleich sehr wundern.
Ich hatte nämlich am Vorabend der Abstimmung über das Mißtrauensvotum im Anschluß an den Ausspruch Karl Schillers, die CDU/CSU marschiere geradezu in eine neue Harzburger Front hinein, ein Gespräch mit zwei Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion, denen ich mehr traue als ausgerechnet Herrn Steiner, die mir gegenüber erhebliche Vorwürfe äußerten und fragten, warum die Sozialdemokratie solche Außerungen ausgerechnet durch jemand wie Karl Schiller machen lasse, der früher SA-Mitglied gewesen sei,
obwohl ihre der beiden CDU/CSU-Kollegen —eigenen Familien verfolgt worden seien; das müßten sie sich nun von einem solchen Mann sagen lassen. Sie wollten nämlich am nächsten Tage nicht für Barzel stimmen — sie hielten ihn für das Amt des Bundeskanzlers für ungeeignet —
— ja, das möchten Sie gern —, sie fürchteten aber, daß Karl Schiller die CDU/CSU-Fraktion mit diesem Ausspruch nunmehr neu zusammengeschweißt und potentielle Neinsager oder Stimmenthalter beeinflußt, wenn nicht umgestimmt habe. Auf Grund dieses Erlebnisses, das sich wenige Meter vor diesem Pult ereignet hat, war ich selber auch sehr sicher, daß Bundeskanzler Brandt am nächsten Tag im Amt bleiben würde.
Es waren sicherlich diese beiden Stimmen, die Herrn Kollegen Barzel gefehlt haben;
denn Herr Steiner hat sicherlich — das ist das Nebenprodukt der Geschichte — gelogen, als er behauptet hat, er habe nicht für Herrn Barzel gestimmt.
Doch ehe ich schließe, will ich von dieser Stelle aus zugleich auch noch den Abscheu der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion über einen gewissenlosen rechtsradikalen Verleumdungsfeldzug zum Ausdruck bringen,
mit dem jetzt gewisse Publikationen Horst Ehmke überziehen. Mein Vater hat von dieser Stelle aus einmal ein gewisses Blatt — unter dem Beifall des amtierenden Präsidenten und des ganzen Hauses — gescholten, es spreche die Sprache der potentiellen Mörder von morgen. Und über manche Saat des Hasses, die heute gesät wird, kann man ebenfalls sagen, daß ihr Aufgehen nur der Untergang von Freiheit und Demokratie in diesem Land sein könnte.Weil ich stolz bin, ein Deutscher zu sein — ohne dabei meine internationalistische Gesinnung als Sozialist verleugnen zu müssen —, sehe ich mit Trauer und Verachtung, daß derlei freiheitsfeind-
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Dr. Arndt
liche Hetze auch noch publizistisch mit dem Namen Deutschland in Verbindung gebracht wird.
Der Wahrheit und damit der Freiheit zu dienen sind wir sozialdemokratischen Mitglieder des 2. Untersuchungsausschusses vor acht Monaten angetreten. Wir legen heute das Ergebnis unserer Arbeit in der Form des von unserem Kollegen Dr. Hirsch verfaßten Berichts Ihnen, meine Damen und Herren des Hohen Hauses, und damit der deutschen Offentlichkeit mit der Bitte um kritische Prüfung vor. Wir geben unser Mandat in Ihre Hand zurück.
Meine Damen und Herren, zur Geschäftslage gebe ich folgendes bekannt. Es war vorgesehen, daß wir — auf Wunsch der Fraktion der CDU/CSU, die zu einer Sitzung zusammentritt — die Sitzung um 13 Uhr unterbrechen. Der Redner, der sich als nächster zu Wort gemeldet hat, hat eine Redezeit von 60 Minuten angekündigt. Deshalb wird die Wortmeldung vor der Unterbrechung der Sitzung nicht aufgerufen.
Um 14 Uhr wird die Fragestunde beginnen und bis 15.30 Uhr dauern. Sofern der Ältestenrat, der um 14 Uhr zusammentritt, nicht etwas anderes beschließt, wird um 15.30 Uhr mit den beiden Tagesordnungspunkten 6 und 7 fortgefahren. Danach wird dann die Aussprache zu den jetzt aufgerufenen Tagesordnungspunkten 8 und 9 fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Wir treten in die Fragestunde — Drucksachen 7/3258 und 7/3285 —
ein. Ich rufe zunächst die Dringliche Frage für die Fragestunde am 27. Februar aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf, die Herr Abgeordneter Dr. Jahn eingebracht hat:
Wie beurteilt die Bundesregierung das Auftreten der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundeskanzleramt, Frau Schlei, als Rednerin auf einer Kundgebung in Bonn, die auf Flugblättern unter der Überschrift „§ 218 — Wir kämpfen weiter" angekündigt und einen Tag nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts durchgeführt wird?
Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. de With zur Verfügung. Bitte, Herr Staatssekretär!
Die Bundesregierung beurteilt das Auftreten der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundeskanzler, Frau Marie Schlei, auch in diesem Fall sehr positiv.
Die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundeskanzler hat sich mit ihren Ausführungen im Rahmen
der Erklärung gehalten, die der Bundesminister der Justiz am Tage der Urteilsverkündung im Namen der Bundesregierung zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts abgegeben hat und in der es heißt, daß die Gesetzgebungsorgane mit der verfassungsgerichtlichen Entscheidung nicht aus ihrer Verantwortung entlassen sind. Vielmehr sei es jetzt ihre Aufgabe, unter Würdigung aller Aspekte der bisherigen Reformdebatte in den vom Bundesverfassungsgericht gezogenen Grenzen eine gesetzliche Regelung zu suchen, die die auch vom Bundesverfassungsgericht anerkannte Konfliktsituation in angemessener Weise löst.
Im übrigen befindet sich Frau Parlamentarische Staatssekretärin Schlei mit der Ablehnung des bisherigen § 218 in voller Übereinstimmung mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Ihre Anstrengungen richten sich darauf, in dem vom Bundesverfassungsgericht gesteckten Rahmen die bestmögliche Lösung des Problems zu erzielen. Der Bundesregierung ist es schlechthin unerfindlich, warum Frau Schlei dieser ihrer Auffassung nicht auch in aller Offentlichkeit Ausdruck sollte geben dürfen.
Zusatzfrage des Fragestellers.
Herr Staatssekretär, wie ist das Auftreten der Parlamentarischen Staatssekretärin vereinbar mit der amtlichen Erklärung des Bundesministers der Justiz, in der er alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte unseres Volkes ermahnt hat, die Diskussion über dieses Urteil mit Besonnenheit zu führen?
Ich glaube, dies habe ich mit aller Deutlichkeit gesagt. Wenn Sie sorgfältig zugehört hätten, hätten Sie die Antwort schon aus meiner ersten Beantwortung entnehmen können, Herr Kollege.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie will die Bundesregierung vermeiden, daß in der Offentlichkeit zumindest der Eindruck entsteht, ein Mitglied der Bundesregierung wende sich öffentlich gegen einen Urteilsspruch unseres höchsten Verfassungsgerichts?
Indem diejenigen, die daran noch Zweifel haben, daß Frau Staatssekretärin Schlei zur Besonnenheit gemahnt hat, das lesen, was mittels eines Tonbandes festgehalten wurde. Ich glaube, dann ist jedweder Zweifel zerstreut.
Eine Zusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10511
Herr Staatssekretär, muß ich aus Ihren Ausführungen entnehmen, daß es die Bundesregierung als eine neue Art der Verfassungstreue ansieht, wenn eine Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeskanzleramt aktive Teilnehmerin einer Demonstration ist, die sich gegen ein Urteil des Verfassungsorgans Bundesverfassungsgericht richtet?
Diese in eine Frage gekleidete Feststellung ist durch nichts gerechtfertigt.
Frau Abgeordnete Timm, noch eine letzte Zusatzfrage.
Darf ich eine Zusatzfrage stellen: Herr Staatssekretär, sehen Sie die Demonstrationen des gestrigen Abends lediglich als gegen das Verfassungsgerichtsurteil gerichtet?
In keiner Weise.
Es ist das gute Recht derer, die sich angesprochen
fühlen, im Rahmen dessen, was die Gesetze erlauben,
ihre Meinung kundzutun, und das haben sie getan.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Welche rechtlichen und administrativen Maßnahmen hat die Bundesregierung getroffen, um der Aufforderung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in Absatz 8 seiner „Entschließung betreffend die Lage in Südrhodesien" vom 29. Mai 1968 : der Sicherheitsrat „fordert alle Mitgliedstaaten der Vereinigten Nationen und der Sonderorganisationen auf, alle ihnen möglichen Maßnahmen zu treffen, um eine Betätigung ihrer Staatsangehörigen und in ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Personen zur Forderung, Unterstützunq oder Begünstigung der Auswanderung nach Südrhodesien zu verhindern und dadurch dieser Auswanderunq Einhalt zu gebieten", Geltung zu verschaffen?
Herr Kollege Krockert, Werbung für die Auswanderung aus der Bundesrepublik Deutschland ganz allgemein und nicht nur nach Südrhodesien verbietet schon das Reichsgesetz über das Auswanderungswesen von 1897 in den jeweils geänderten Fassungen. Auch das vom Deutschen Bundestag am 16. Januar 1975 beschlossene Auswandererschutzgesetz, das am 21. Februar 1975 im Bundesrat zur Beratung anstand und das Reichsgesetz ablösen soll, untersagt allgemein die Werbung für die Auswanderung. Das neue Auswandererschutzgesetz verbietet ohne Begrenzung auf deutsche Staatsangehörige die Beförderung sowie den Abschluß von Verträgen über die Beförderung von Auswanderern, für die von Unternehmen oder internationalen Einrichtungen oder ausländischen Regierungen der Beförderungspreis ganz oder teilweise gezahlt wird oder Darlehen zur Zahlung des Beförderungspreises gewährt werden.
Einer Auswanderung nach Südrhodesien kann darüber hinaus aber aus verfassungsrechtlichen Gründen allgemein kein Einhalt geboten werden. In der Bundesrepublik Deutschland ist die Auswanderungsfreiheit rechtlich verbürgt. Wer durchaus nach Südrhodesien auswandern will, kann daran nicht gehindert werden.
Sie haben die Möglichkeit von Zusatzfragen. Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Staatssekretär, wird Ihr Haus diese Frage zum Anlaß nehmen, auf die besondere Beachtung dieser gesetzlichen Bestimmungen in bezug auf Rhodesien aufmerksam zu machen?
Ich kann diese Frage eindeutig bejahen und werde in anderem Zusammenhang bei der Beantwortung einer Frage der Kollegin von Bothmer noch einmal darlegen können, in welcher Form wir das tun wollen.
Die Frage 63 der Abgeordneten Frau von Bothmer wird schriftlich beantwortet, da die Fragestellerin nicht im Saal ist. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 64 und 65 des Abgeordneten Dr. Hirsch werden ebenfalls schriftlich beantwortet, da der Fragesteller nicht im Saal ist. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe nunmehr die Frage 66 des Abgeordneten Dr. Enders auf:
Trifft es zu, daß Eltern von behinderten Kindern ihre bislang bezogene finanzielle Hilfe in besonderer Lebenslage nach §§ 28 und 81 des Bundessozialhilfegesetzes verlieren, wenn das Einkommen durch Lohn- oder Gehaltssteigerungen eine bestimmte Grenze überschreitet?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Präsident, ich wäre dankbar, wenn ich beide Fragen wegen des Zusammenhangs gemeinsam beantworten dürfte.
Der Herr Fragesteller ist einverstanden. Daher rufe ich auch die Frage 67 des Abgeordneten Dr. Enders auf:Welche Maßnahmen hält die Bundesregierung für angebracht, uni Härten zu vermeiden, die durch den Verlust der Hilfe zur Pflege behinderter Kinder entstehen?Bitte, Herr Staatssekretär!
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10512 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Herr Kollege Dr. Enders, im Falle einer Behinderung ist an die Eingliederungshilfe für Behinderte zu denken, aber auch an die Hilfe zur Pflege, die in Ihrer zweiten Frage angesprochen wird.
Bei den wichtigsten Maßnahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Kinder beschränkt sich die Kostenbeteiligung der Eltern auf die Kosten des Lebensunterhalts. Wenn das behinderte Kind zur Durchführung der Eingliederungsmaßnahmen in einer Einrichtung untergebracht werden muß, werden die Eltern höchstens mit einem Kostenanteil in Höhe der für den häuslichen Lebensunterhalt ersparten Aufwendungen belastet. Diese Kostenregelung des Bundessozialhilfegesetzes dient der sozialen Gleichstellung der Eltern behinderter Kinder mit Eltern von Kindern ohne Behinderung.
Für die Hilfe zur Pflege gelten bestimmte Einkommensgrenzen, die bei einem besonders schweren häuslichen Pflegefall vom höchsten Grundbetrag des Bundessozialhilfegesetzes überhaupt ausgeht. Das sind zur Zeit monatlich 1 400 DM und auf Grund der nach § 81 Abs. 5 des Bundessozialhilfegesetzes zu erlassenden Rechtsverordnung ab 1. Juli 1975 1 556 DM. Das bedeutet beispielsweise bei einem Dreipersonenhaushalt unter Berücksichtigung einer unterstellten Miete von 300 DM eine Einkommensfreigrenze von zur Zeit rund 2 100 DM. Auch über dieser Einkommensgrenze wird den Eltern nach § 84 des Bundessozialhilfegesetzes eine Kostenbeteiligung nur in angemessenem Umfang zugemutet, wobei die Dauer und die Höhe der Aufwendungen und besondere Belastungen der Familie zu berücksichtigen sind.
Diese Kostenregelungen berücksichtigen einerseits den Nachranggrundsatz und sind andererseits so flexibel gestaltet, daß sie auch Härtefällen gerecht werden.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 68 des Abgeordneten Egert auf:
Wann wird die Bundesregierung die Ermächtigung aus der Gesamtreform des Lebensmittelrechts in Anspruch nehmen und durch Verordnung vorschreiben, daß auf Zigarettenpackungen und in der Zigarettenwerbung deutlich lesbar eine Warnung vor der Gesundheitsschädlichkeit des Rauchens aufgedruckt wird, um so der Möglichkeit der Irreführung der Verbraucher durch Hinweise auf Leichtigkeit und „Nikotinfreiheit" entgegenzuwirken?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Egert, die Neuregelung des gesamten Fragenkomplexes eines besseren Schutzes der Verbraucher vor Gesundheitsschäden und vor Täuschung bei dem Verkehr mit Tabakerzeugnissen wird von der Bundesregierung als vorrangig angesehen. Grundlage hierfür ist der umfangreiche Ermächtigungskatalog des § 21 des neuen Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes. Wie bereits in der Antwort auf die Frage des Kollegen Lenders vom 16. September 1974 zum Ausdruck gebracht, wird hier bei der Neuregelung besonders darauf geachtet werden, daß der Verbraucher vor Irreführung geschützt und über die Gesundheitsrisiken beim Genuß von Tabakerzeugnissen in möglichst vollem Umfang unterrichtet wird. Hierbei wird auch die Möglichkeit eines Warnhinweises auf Zigarettenpackungen in die Überlegungen einbezogen. Ihre Wirkung ist allerdings umstritten. Sie haben im Ausland bislang nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt.
Die vorbereitenden Arbeiten zum Erlaß einer entsprechenden Verordnung wurden im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit aufgenommen. Da die Überlegungen hierzu noch nicht abgeschlossen sind, sind eine endgültige Stellungnahme sowie eine verbindliche Zeitangabe hierüber leider noch nicht möglich.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung in ihren Überlegungen für die Verordnung die Untersuchungen einbeziehen, die von der Stiftung Warentest durchgeführt worden sind, und gegebenenfalls die Konsequenzen aus dieser Untersuchung ziehen?
Ja, ohne jeden Zweifel.
Herr Kollege, ich bitte Sie, sich in Zukunft entsprechend den Vorschriften der Geschäftsordnung an das Mikrofon zu begeben. Ich genehmige Ihnen noch die Zusatzfrage.
Herr Präsident, ich muß ja erst wissen, wie die Antwort lautet, damit ich eine Zusatzfrage stellen kann.
Herr Kollege, nach den Richtlinien müssen Sie sich rechtzeitig zum Mikrofon begeben; sonst kann ich die Zusatzfrage nicht zulassen. Bitte!
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß ein Zigarettenhersteller, nachdem ein Vergleichstest einen besonders niedrigen Kondensatgehalt seiner Zigaretten ergeben hatte, den Kondensatgehalt nachträglich erhöhte, um die Zigarette dadurch besonders schmackhaft zu machen, und weiter damit wirbt „Leicht, aber schmackhaft"? Wie gedenkt die Bundesregierung den Verbraucher vor solchen Täuschungen zu schützen?
Herr Kollege Gansel, zunächst haben Sie zwei Zusatzfragen statt einer Zusatzfrage gestellt, was nicht zulässig ist. Zweitens liegt die Zusatzfrage nicht im
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10513
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenRahmen der von dem Kollegen Egert gestellten Frage. Ich lasse daher die Zusatzfrage nicht zu.Ich rufe dann die Frage 69 des Herrn Abgeordneten Dr. Fuchs auf:Tst die Bundesregierung bereit, einen umfassenden Bericht Tiber die Arbeit des deutschfranzösischen Jugendwerks dem Deutschen Bundestag vorzulegen?-- Herr Dr. Fuchs, ich hatte Sie gesehen. Es gilt dasselbe, was ich dem Kollegen Gansel gesagt habe. Meine Damen und Herren, bitte tragen Sie doch alle dazu bei, damit wir möglichst schnell die einzelnen Fragen abwickeln und viele Fragesteller in den Genuß einer mündlichen Antwort der Bundesregierung kommen können.Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Dr. Fuchs, der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit wird dem Deutschen Bundestag einen Bericht über das deutsch-französische Jugendwerk erstatten, wenn der Bundestag dies wünscht. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß dem Deutschen Bundestag und seinem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit schon wiederholt über die Entwicklung und Veränderungen des deutsch-französischen Jugendwerks berichtet worden ist.
Ich möchte insbesondere auf die Beantwortung der von dem Abgeordneten Rollmann und Genossen am 29. April 1974 gestellten Fragen, die in der Bundestagsdrucksache 7/2119 abgedruckt worden ist, sowie auf den letzten umfassenden Bericht verweisen, den das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit im November vergangenen Jahres vorgelegt hat, bevor dieser sich Anfang Dezember 1974 am Dienstsitz des deutsch-französischen Jugendwerks in Bad Honnef selbst einen unmittelbaren Ein, blick in die Arbeit des deutsch-französischen Jugendwerks verschaffen konnte.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie verstehen, daß angesichts der Tatsache, daß im ausgedruckten Haushalt, den ja alle Kollegen des Bundestages zur Verfügung haben, die Ausgaben von ursprünglich 20 Millionen DM auf 14 Millionen DM zurückgegangen sind — wobei außerdem die, erheblichen Kostensteigerungen zu berücksichtigen sind , zahlreiche Kollegen den Wunsch haben, hier nähere Informationen zu bekommen?
Herr Kollege Dr. Fuchs, die finanzielle Ausstattung wäre e i n Aspekt. Sie haben nach einem umfassenden Bericht über die Arbeit des deutsch-französischen Jugendwerks gefragt. Ich glaube, ich habe Ihnen ausführlich dargelegt, daß nach unserer Auffassung der Deutsche Bundestag ausreichend informiert worden ist.
Was die jetzt von Ihnen aufgeworfene Frage angeht, ist darauf hinzuweisen, daß die französische Regierung und die Bundesregierung gemeinsam zu gleichen Teilen — die Mittel für das deutsch-französische Jugendwerk aufbringen. Weder die Bundesregierung noch die französische Regierung sieht sich zur Zeit in der Lage, die Mittel aufzustocken. Es ist aber nach meiner Überzeugung durch die organisatorische Umgliederung und die Schwerpunktsetzung der Arbeit des deutsch-französischen Jugendwerks gelungen, auch mit insgesamt geschrumpften finanziellen Mitteln die Arbeit durchzuführen, die das Jugendwerk erfreulicherweise leistet.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung bereit, in ihren Berichten über die Entwicklung des deutsch-französischen Jugendwerks auch über die Entwicklung des Studenten-und Schüleraustauschs zwischen Deutschland und Frankreich zu berichten, und wäre sie bereit, auch mit Nachdruck dafür einzutreten, daß dieser Studenten- und Schüleraustausch, ich denke z. B. an die Universität —
Herr Kollege, Sie haben schon zwei Zusatzfragen gestellt, und jetzt wollen Sie die zweite auch noch erläutern. Ich bitte den Herrn Staatssekretär, die zuerst gestellte Frage zu beantworten. Bitte!
Herr Kollege Dr. Fuchs, es ist selbstverständlich, daß die Bundesregierung bereit ist, über den Schüler- und Studentenaustausch zu berichten. Ich bitte nur, dabei immer zu beachten, daß es auch noch Jugendliche gibt, die im Arbeitsprozeß und in der Berufsausbildung stehen. Wir sollten darauf achten, daß diese Gruppe der Jugendlichen ebenfalls in angemessenem Umfang berücksichtigt wird.
Ich rufe die Frage 70 der Abgeordneten Frau Dr. Riede auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Träger der Hauspflege- /Familienpflegestationen dadurch in besondere Schwierigkeiten geraten sind, daß ein Teil der seit 1. Januar 1974 unter § 185b RVO Lallenden Haushaltshilfe vorher von den Trägern der Sozialhilfe unter grundsätzlicher Anerkennung eines auf der Selbstkostenbasis beruhenden Pflegesatzes nach dem Bundessozialhilfegesetz bezahlt worden ist, und daß es die Träger der Sozialhilfe nun unter Berufung auf den Nachrang der Sozialhilfe ablehnen, unzureichende Pflichtleistungen der vorrangigen Krankenversichenrung aufzustocken?
Herr Staatssekretär!
Frau Kollegin Dr. Riede, der Bundesregierung ist bisher nicht bekanntgeworden, daß bei den Trägern der Sozialhilfe und bei den gesetzlichen Krankenkassen unterschiedliche Auffassungen über die angemessene
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10514 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Parl. Staatssekretär ZanderHöhe für eine Ersatzkraft zur Weiterführung des Haushalts bestehen.Nach der seit dem 1. Januar 1974 bestehenden gesetzlichen Regelung ist gemäß § 185 b RVO als Haushaltshilfe entweder eine Ersatzkraft zu stellen oder es sind, wenn die Gewinnung einer Ersatzkraft im Einzelfall nicht möglich oder angebracht ist, die Kosten für eine selbst beschaffte Ersatzkraft in angemessener Höhe zu erstatten. Die Möglichkeit zur Übernahme der Kosten nach § 70 des Bundessozialhilfegesetzes geht dem Umfang nach nicht darüber hinaus; auch hiernach sollen die Kosten nur in angemessenem Umfang übernommen werden. Für eine Aufstockung der vorrangigen Pflichtleistungen der gesetzlichen Krankenkassen durch die Träger der Sozialhilfe ist deshalb kein Raum gegeben.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß durch das Verhalten der Krankenkassen und ihrer Verbände — Sie können sich in dieser Richtung selbst davon überzeugen, daß dem so ist die Existenz offener Pflegedienste, die in dem System der sozialen Sicherung zunehmende Bedeutung erlangen, ernsthaft gefährdet ist?
Ich kann Ihnen dies nicht bestätigen, weil es mir nicht ansteht, das Verhalten von Krankenkassen hier in irgendeiner Weise einer Bewertung zu unterziehen.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wären Sie, wenn Ihnen Nachweise gebracht werden, daß dem so ist, wie ich es in meiner Frage anschneide, bereit, diese Sache zu verfolgen?
Aber selbstverständlich!
Damit sind die Fragen, die aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit noch übrig waren, beantwortet. Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Bölling zur Verfügung.
Der Herr Abgeordnete Reddemann hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Frage, der Frage 124, gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe nunmehr die Frage 122 der Frau Abgeordneten Pack auf:
Ist die Bundesregierung davon unterrichtet, daß das Bundespresseamt, die Bundeszentrale für politische Bildung und das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen die Filme „Aufstand der Tiere", „1984", „Die Revolution entläßt ihre Kinder", diverse Filme über die Verhältnisse an der Berliner Mauer, die Grundrechte Nr, 1 bis 20 aus dem Verleih gezogen haben?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, ich gehe vermutlich nicht fehl in der Annahme, daß Sie bei Ihrer Frage gemutmaßt haben, das Bundespresseamt habe sich in diesem konkreten Zusammenhang eine Art von Zensorenrolle angemaßt. Davon kann überhaupt nicht die Rede sein. An den Filmen „Aufstand der Tiere" und „1984", ein Orwell-Film, und dem anderen Film, dem Film „Die Revolution entläßt ihre Kinder", waren jeweils zeitlich begrenzte Rechte für den nichtkommerziellen Einsatz dieser Filme erworben worden. Die Rechte für die Filme „1984" und „Die Revolution entläßt ihre Kinder" konnten nicht erneuert werden. Die Rechte an dem Film „Aufstand der Tiere" wurden nach langwierigen Verhandlungen bis zum 31. Oktober 1978 verlängert. Kopien dieses Filmes stehen somit auch weiterhin den nichtgewerblichen Filmverleihstellen zur Verfügung. Allerdings zahlt das Presse- und Informationsamt vom 15. Februar dieses Jahres an keine Einsatzvergütungen mehr.
Einige ältere Filme über die Berliner Mauer sind nicht mehr im allgemeinen Verleih, sie stehen aber als Archivmaterial für Seminarzwecke zur Verfügung. Die Filmreihe „Grundgesetz Nr. 1 bis Nr. 20" wurde wegen Überalterung zurückgezogen. Das Ausgangsmaterial und die Kopien dieser Filme sind ebenfalls beim Bundesarchiv in Koblenz eingelagert.
Frau Kollegin, haben Sie Zusatzfragen?
Ja. — Haben Sie, wenn Sie diese Filme wegen Überalterung zurückgezogen haben, anstelle dieser Filme anderes Material zum Grundgesetz anzubieten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das gesamte Volumen unserer Filmbeiträge, Frau Abgeordnete, ist zurückgegangen. Damit aber kein Mißverständnis entsteht — da ich auch von älteren Filmen über die Berliner Mauer gesprochen habe —, so will ich Sie wissen lassen, daß wir gerade gemeinsam mit dem Berliner Senat einen Berlin-Film produzieren, in dem dieses wichtige, nicht zu übersehende politische Motiv der Mauer in aller Klarheit enthalten sein wird.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10515
Wird der Film „Rote Fahnen sieht man besser" von einer der oben genannten Stellen — Bundespresseamt, Bundeskanzleramt — für den Einsatz im Unterricht über politische Bildung etwa deshalb verliehen, weil dieser Film den bildungspolitischen Vorstellungen der Bundesregierung mehr entspricht als beispielsweise der Film „1984"?
Frau Kollegin, ich bin hier im Zweifel, ob nicht die Grenze nach den Richtlinien für die Fragestunde schon überschritten ist.
Da es Ihre zweite Frage ist, die Ihnen als Fragestellerin zusteht, lasse ich sie zu und bitte den Herrn Staatssekretär um Beantwortung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, wir haben annähernd 100 Titel, die ausgeliehen werden; ich will mich gern vergewissern, ob dieser Film dabei ist.
Im übrigen, um Ihnen eine politische Antwort zu geben: Dieser Film ist im deutschen Fernsehen — ich glaube, sogar zweimal — gezeigt worden. Das, was Sie hier in Ihrer Frage an polemischer Unterstellung anbieten,
weise ich zurück. Dies ist eine subjektive Auffassung gewesen. Der Film hat künstlerisch und politisch gleichermaßen eine anregende Diskussion veranlaßt. Sollte er auf unserer Liste sein, würde ich dies auch vertreten und verteidigen.
Ich rufe Frage 123 der Frau Abgeordneten Pack auf:
Ersetzt das Bundespresseamt den bis 1973 den Landesfilmdiensten gewährten Sockelbetrag durch Vergütungen für die Vorführung von ihm gesponsorter Filme, um dadurch Einfluß auf die politische Bildung in den Schulen und anderen Bildungseinrichtungen zu nehmen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Übergang auf konkrete Vergütungen, Frau Abgeordnete, hat mit einem in Ihrer Frage unterstellten Einfluß überhaupt nichts zu tun. Der Sachverhalt ist vielmehr der, daß das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung bis zum 30. Juni 1973 den Landesfilmdiensten jährliche Zuwendungen gewährte, die zur Erstattung der Ausleihkosten und zum Ausbau der Organisation dienten. Da wegen der Verminderung der Produktion von BPA-Filmen, von der ich eben schon gesprochen habe, und der Zurückziehung der überalterten Filme die Höhe der Zuwendungen nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu den Filmeinsätzen stand, hat sich das Presse- und Informationsamt entschlossen, schon vom 1. Juli 1973 an statt der Zuwendung eine Vergütung pro Filmeinsatz zu zahlen. Dieses Verfahren wird auch von der Mehrzahl der Ressorts und von zahlreichen anderen Auftraggebern der Landesfilmdienste angewendet. Dies ist also mit absoluter Sicherheit nicht eine Finanzierungsmethode mit dem Ziel der politischen Strangulierung oder mit der Absicht, hier irgendwelche Zensureinflüsse geltend zu machen; dies ist eine plausible kommerzielle Methode.
Sie haben eine Zusatzfrage.
Nach welchen Gesichtspunkten werden Abspielprämien gewährt bzw. versagt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, die Kriterien für die Auswahl solcher Filme sind allgemein bekannt und haben sich auch unter dieser Bundesregierung nicht verändert. Die Filme müssen einen allgemeinen erzieherischen, politisch-pädagogischen Wert haben. Die anderen Kriterien, die da noch aufgeführt sind, habe ich jetzt nicht im Kopf. Ich will sie aber gern noch einmal anschauen, und wenn ich Ihnen damit behilflich sein kann, stelle ich sie Ihnen gern zu.
Keine weiteren Zusatzfragen. — Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes beantwortet. Ich danke dem Herrn Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Moersch zur Verfügung.
Die Fragen 125 und 126 des Herrn Abgeordneten Dr. Wagner werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Dasselbe gilt für die Fragen 127 und 128 des Herrn Abgeordneten Engelsberger. Die Antworten werden in beiden Fällen als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 129 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Was gedenkt die Bundesregierung dafür zu tun, daß Besuche in der Volksrepublik Rumänien nicht erheblich erschwert werden, indem auf Grund einer neuen Anordnung nur noch die nächsten Blutsverwandten in Privatquartieren übernachten dürfen?
Herr Staatsminister.
Die rumänische Regierung hat durch eine am 9. Dezember 1974 veröffentlichte Verordnung die private Beherbergung ausländischer Gäste durch rumänische Staatsbürger begrenzt. Nicht betroffen von dieser Regelung sind jedoch nahe Angehörige wie Eltern, Kinder und Geschwister.
Die Bundesregierung bedauert generell alles, was Verwandtenbesuche erschweren kann. Sie hat deshalb die rumänische Seite daraus hingewiesen, daß vor allem der am 1. November 1974 eingeführte Devisenzwangsumtausch in Höhe von 10 US-Dollar pro Person und Tag für Individualreisende geeignet sei,
10516 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27, Februar 1975
Staatsminister Moersch
den Besucherverkehr, der ein wesentliches Element der guten bilateralen Beziehungen darstelle, zu beeinträchtigen. Sie hat die rumänische Regierung gebeten, die Anordnung des Devisenzwangsumtauschs zu überprüfen und großzügige Ausnahmeregelungen vor allem für Verwandtenbesuche und für solche Personen einzuführen, die Schwierigkeiten haben, die geforderte Umtauschquote aufzubringen.
Die rumänische Regierung sagte die Überprüfung der Regelungen nach einer Probezeit zu. Die Bundesregierung wird sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten generell dafür einsetzen, daß Verwandtenbesuche erleichtert und nicht erschwert werden. Ich muß in diesem Zusammenhang allerdings darauf hinweisen, daß die Regelung der Beherbergung ausländischer Besucher eine innere Angelegenheit jedes Staates ist.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Sie werden mir doch darin zustimmen können, daß vor allem die Deutschen Siebenbürger Sachsen, Banater Schwaben — davon betroffen sind, die natürlich sehr enge verwandtschaftliche Beziehungen zu ihren Landsleuten in Rumänien haben?
In der Tat. Deswegen haben wir ja auch die rumänische Regierung wiederholt auf diese Frage angesprochen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Sie haben in Ihrer Antwort, Herr Staatsminister, vor allem auf den Devisenzwangsumtausch abgehoben. Gehen die Bemühungen der Bundesregierung auch dahin, daß man versuchen wird, daß Enkel ihre Großeltern, Neffen ihre Tanten usw. besuchen können, daß also dieser Verwandtenkreis größer gefaßt wird und nicht so eng gezogen ist?
Herr Abgeordneter! Wir haben deswegen auch nicht speziell von den nächsten Angehörigen gesprochen, sondern von Verwandten und von Verwandtenbesuchen, und haben dies zur Grundlage unserer Gespräche gemacht. Ich sage hier noch einmal, daß uns eine Überprüfung der Regelung nach einer Probezeit zugesagt worden ist und man uns wissen ließ, man wolle diesen Gesichtspunkt durchaus in Betracht ziehen.
Ich rufe die Frage 130 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß entgegen ihrer Auskunft vom 13. Dezember 1974 die aussiedlungswilligen Deutschen in Rumänien ihre Grundstücke und Häuser dem Staat dein Buchstaben der Verordnung nach gegen Entgelt, in der Praxis jedoch meist als Schenkung übereignen müssen, bevor die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland angetreten werden kann?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat am 13. Dezember 1974 auf die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann, ob es richtig sei, daß Rumänien ein Gesetz erlassen habe, wonach Eigentum von Aussiedlern entschädigungslos enteignet werde, schriftlich folgendes mitgeteilt: Nach den Feststellungen des Auswärtigen Amtes treffe es lediglich zu, daß die rumänische Nationalversammlung am 28. Oktober 1974 eine Verordnung verabschiedet habe, die vorsehe, daß die unbebauten Grundstücke von Personen, die Rumänien endgültig verlassen, unentgeltlich in Staatseigentum übergehen. Am 6. Dezember 1974 ist im rumänischen Gesetzblatt eine weitere Verordnung verkündet worden, die die Aussiedler verpflichtet, ihre Gebäude entgeltlich dem rumänischen Staat zu überlassen. Diese Vorschrift war der Bundesregierung bei der Beantwortung der Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann noch nicht bekannt, wie es sich aus dem Zeitzusammenhang auch ergibt.
Die Botschaft in Bukarest ist gebeten worden, über die Praxis beider Gesetze bei der Aussiedlung von Rumäniendeutschen zu berichten. Da diese Bestimmungen erst vor wenigen Wochen in Kraft getreten sind, liegen bisher nur geringe Erfahrungen hinsichtlich der praktischen Auswirkungen der Verordnungen vor.
Zusatzfrage!
Herr Staatsminister! Ist Ihnen denn vielleicht trotz der geringen Erfahrungen — inzwischen schon bekanntgeworden, daß man zwar im Dekret von einer Entschädigung mit Geld spricht, aber in der Praxis Schenkungen vollzieht, und daß die Betroffenen durch einen gewissen Zwang zu diesen Schenkungen „angeregt" werden?
Herr Abgeordneter, ich kann dazu jetzt noch nichts sagen. Die Botschaft ist um einen Bericht gebeten worden, der mir noch nicht vorliegt.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Können Sie, Herr Staatsminister, mir aber darin zustimmen, daß es eine Erschwerung der Aussiedlung der Deutschen ist, wenn hier die Praxis einreißt, daß man dem rumänischen Staat sein Eigentum übereignen muß?
Herr Abgeordneter, wenn es sich so verhält, wie Sie es darstellen, ist es sicherlich keine Erleichterung.
Ich rufe die Frage 131 des Abgeordneten Dr. Jahn auf:
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10517
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenIn welchen Staaten in Europa und in welchen Schulsystemen mit welchem Umfang ist die deutsche Sprache WahlBitte, Herr Staatsminister!
Im französischen Schulwesen ist die deutsche Sprache im Sekundarbereich als erste Fremdsprache mit 15,9 °/o, als zweite Fremdsprache mit 33 % vertreten.
An britischen Schulen ist Deutsch die erste unter den zweiten Fremdsprachen; in Großbritannien lernen etwa 40 000 Kinder zur Zeit Deutsch.
An belgischen Oberschulen wird Deutsch gewöhnlich als dritte lebende Fremdsprache nach Französisch bzw. Niederländisch und Englisch gelehrt.
An den niederländischen Schulen lernen etwa 70 % bis 80 % aller Schüler Deutsch.
An den schwedischen Schulen des Sekundarbereichs ist Englisch erste Fremdsprache; Deutsch lernen etwa 150 000 Schüler.
An den norwegischen Schulen ist ebenfalls Englisch erste Fremdsprache; Deutsch ist an Grundschulen und Gymnasien — gleichgestellt mit Französisch, Spanisch und Russisch -- wahlfreie zweite Fremdsprache; schätzungsweise 75 % der Schüler machen von dem Deutsch-Angebot Gebrauch.
An dänischen Schulen lernen etwa 171 000 Kinder Englisch, 140 000 Kinder Deutsch, 49 000 Französisch und 2 200 Kinder Russisch.
An finnischen Schulen wählten 1973 2,08 % der Schüler, nämlich 787, Deutsch als erste und 69 800 Schüler Deutsch als zweite Fremdsprache; 1984 Schüler entschieden sich für Deutsch als Wahlfach. Da jeweils Finnisch oder Schwedisch als erste Fremdsprachen Pflicht sind und Englisch die zweite Stelle einnimmt, kommt Deutsch vor Französisch auf den dritten Platz.
Über Erhebungen in anderen Ländern lagen keine statistischen Angaben vor.
— Herr Abgeordneter, Sie haben eine zweite Frage gestellt, die ich ja noch nicht beantwortet habe.
Herr Abgeordneter, wollen Sie zunächst zu der ersten Antwort Zusatzfragen stellen? — Sie haben zwei Zusatzfragen.
Ja, ich stelle Zusatzfragen! — Herr Staatsminister! Werden zur Förderung des weiteren Ausbaus der sprachlichen Beziehungen besonders im Raum der EG Verhandlungen darüber geführt, daß die deutsche Sprache dort, wo sie noch dritte und vierte Fremdsprache ist, mehr nach vorne rückt?
Herr Abgeordneter, wir haben uns immer bemüht, darauf zu dringen. Ich darf aber nicht verschweigen, daß hier auch Gegenseitigkeitsvorstellungen herrschen, die bei uns keineswegs immer erfüllt worden sind. Sie kennen ja das Problem, das lange mit Frankreich diskutiert wurde, jedoch außerhalb der Verantwortung der Bundesregierung --- wie ich ausdrücklich hinzufügen will ---, weil es sich hierbei um Entscheidungen handelt, die der Länderhoheit unterliegen. Wir bemühen uns darum, und wir fördern selbstverständlich diese Bestrebungen nach Kräften. Unter anderem ist ein ganz wesentliches Element dieser Förderung darin zu sehen, daß wir uns bemühen, der Germanistik an den Universitäten in solchen befreundeten Staaten den ihr gebührenden Platz einzuräumen oder zu unterstützen, daß ihr dieser eingeräumt wird.
Ich rufe die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn auf -- Frage 132 --:
Treffen Pressemeldungen zu, daß besonders in Italien ein Rückgang des deutschen Sprachunterrichts im schulischen Bereich festzustellen ist und wenn ja, worauf wird dies zurückgeführt?
Bitte, Herr Staatsminister!
Herr Abgeordneter, was die Frage 132 betrifft, so steht Deutsch mit 5,24 % an dritter Stelle in Italien, nach Französisch mit 36% und Englisch mit 59 %.
Die Stellung der deutschen Sprache im italienischen Schulwesen ist unverändert. Ich verweise hier auf die ausführlichen Antworten, die ich in der Fragestunde am 16. Januar dem Abgeordneten Dr. Fuchs gegeben habe, und verweise auch darauf, daß hier das Problem der Gegenseitigkeit sich eben- I falls stellt.
Haben Sie eine Zusatzfrage? — Bitte!
Mit dem Hinweis auf die Fragen meines Kollegen Fuchs und die Beantwortung durch das Auswärtige Amt frage ich: sind Verhandlungen aufgenommen worden mit dem Ziel, dort, wo wir im schulischen Bereich nicht vorankommen, durch den Ausbau der Sprachlehrgänge, die in vielen Städten Italiens laufen, und vor allen Dingen auch durch Erweiterung des Sprachunterrichts in den Goethe-Instituten Wandel zu schaffen? Denn es ist das Schwierigste für uns, uns mit den Italienern auseinanderzusetzen.
Herr Abgeordneter, auch das habe ich hier ausführlich dargestellt. Ich bin gerne bereit, Ihnen das Protokoll zur Verfügung zu stellen.Wir haben sieben Goethe-Institute, und die sind sehr beschäftigt. Damit keine falschen Vorstellungen entstehen, darf ich die absoluten Zahlen noch einmal nennen. Ich hatte damals dem Kollegen Fuchs gesagt, 60 000 italienische Schüler lernten Deutsch. Tatsächlich sind bei uns nur 3 000 deutsche Schüler, die Italienisch-Unterricht haben. Die italienische Botschaft hat uns inzwischen mitgeteilt, daß wir zu niedrige Zahlen über die Deutschlernenden in Italien
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Staatsminister Moerschhätten. Die italienische Botschaft gibt an, daß inzwischen 100 000 junge Italiener vorhanden seien, die an italienischen Schulen Deutsch als Fremdsprache lernten. Auch hier ist damals ein Mißverständnis entstanden. Ich betone: es handelt sich bei der gestellten Frage und der gegebenen Antwort, um Deutsch als Fremdsprache, nicht etwa um Deutsch als Sprache der Südtiroler.
Das war der entscheidende Punkt damals.
Wir kommen zu den Fragen des Herrn Abgeordneten Freiherr von Fircks. Ich könnte mir vorstellen, Herr Staatsminister, daß die Fragen gemeinsam beantwortet werden. Aber das hängt von dem Einvernehmen mit dem Fragesteller ab. — Der Herr Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich die Fragen 133 und 134 gemeinsam auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die seit Monaten aufeinanderfolgenden Gesetze und Verordnungen der rumänischen Regierung - von der Verordnung über das Verbot der deutschen Ortsnamen, der Verordnung über das Verbot, persönliche Dokumente bei der Aussiedlung mitzunehmen, dem Verbot für Besucher aus dem Westen, in Privatquartieren zu wohnen his zu der Erhöhung des Geldzwangsumtauschs für alle Besucher Rumäniens auf die im Ostblock einmalige Höhe von zehn Dollar täglich -, die nicht nur auf eine Erschwerung der Familienzusammenführung hinauslaufen, sondern auch auf eine Diffamierung der sich zu ihrer deutschen Muttersprache bekennenden Volksdeutschen und der deutschstämmigen ausreisewilligen Personen in Rumänien?
Wird die Bundesregierung sich in Verhandlungen mit der rumänischen Regierung um eine Rücknahme jener diffamierenden Verordnungen bzw. um eine entsprechende Erleichterung der Ausreisebedingungen speziell für die deutschstämmigen ausreisewilligen Menschen in Rumänien bemühen?
Bitte, Herr Staatsminister!
Was die Verwendung deutscher Ortsnamen in Rumänien betrifft, so ist der Bundesregierung von einer Verordnung hierüber aus der jüngsten Zeit nichts bekannt. Im Jahr 1971 ist allerdings die Benutzung deutscher und ungarischer Ortsbezeichnungen in Publikationen, die in deutscher und ungarischer Sprache in Rumänien erscheinen, eingeschränkt worden.
Nach Kenntnis der Bundesregierung ist eine diesbezügliche Anordnung weder förmlich ergangen noch veröffentlicht worden, so daß auch der Wortlaut nicht bekanntgeworden ist. Auch eine durchgehend konsequente und auf alle Ortsnamen bezogene Praxis ist nicht festzustellen.
Was die Mitnahme von Personenstandsurkunden und sonstigen Dokumenten durch Aussiedler anlangt, hat die Bundesregierung die rumänische Seite bereits im vergangenen Jahr auf die hierbei aufgetretenen Schwierigkeiten aufmerksam gemacht. Die rumänische Regierung hat zu diesem Problem folgendes mitgeteilt: die Aussiedler könnten vor ihrer Ausreise bei den jeweils zuständigen rumänischen Behörden die Genehmigung zur Mitnahme der Originaldokumente bzw. die Ausfertigung von Abschriften beantragen. Darüber hinaus können nach erfolgter Ausreise auch durch unsere Botschaft in Bukarest solche Dokumente besorgt werden. Nach den Erfahrungen der Botschaft in Bukarest hat sich diese Regelung weitgehend eingespielt.
Was die Themen Beherbergungsregelung und Devisenzwangsumtausch sowie die weitere zweite Frage betrifft, verweise ich auf die soeben gegebene Antwort an den Kollegen Hupka. Generell darf ich feststellen, daß von einer Erschwerung der Familienzusammenführung bisher nicht gesprochen werden kann, wie die Zahlen, die uns vorliegen, hier ausweisen.
Die deutsche Minderheit in Rumänien verfügt nach wie vor über umfangreiche Möglichkeiten zur Pflege ihrer Muttersprache und des deutschsprachigen kulturellen Lebens. Ihnen sind ja sicher die Zahlen der deutschen Schulen und des deutschsprachigen Unterrichts dort bekannt, ebenso die Tatsache, daß es in Rumänien deutschsprachige Publikationen gibt, Bücher und Zeitschriften und Zeitungen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Sie haben mehrfach, vorhin bereits beim Kollegen Hupka und jetzt wieder gesagt, daß Ihnen bestimmte Tatbestände nicht bekannt sind. Darf ich fragen: nutzt die Bundesregierung die Möglichkeit, bei den Aussiedlern, die in Friedland jeden Monat eintreffen, sich auch über diese Quelle, die wahrscheinlich eine breitere Informationsmöglichkeit bietet, sachkundig zu machen über die Dinge, die die Deutschen dort zur Zeit beschweren?
Herr Abgeordneter, es gibt eine ganze Reihe von Kollegen in diesem Hause, die regelmäßig in diesem Gebiet zu Besuch sind und dort Informationen einholen können. Ich habe nicht den Eindruck, daß etwa unsere Botschaft nicht in der Lage sei, sich diese Informationen zu beschaffen. Die rumänische Seite stellt Ihnen auch gerne statistische Unterlagen zur Verfügung. Ich habe sie hier. Es gibt eine genaue Bevölkerungsstatistik und ebenso genaue Angaben etwa über Religionszugehörigkeit und über Publikationen jeder Art. Diese Angaben sind alle offen ersichtlich. Hier bedarf es keiner besonderen Recherchen.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß rumänische Regierungsstellen gegenüber einer geschlossenen Reisegruppe der Siebenbürgener Volksgruppe geäußert haben, auch sie seien der Auffassung, daß für diejenigen Reisenden, die dort hinkommen und in Rumänien geboren seien, eine Möglichkeit geschaffen werden sollte, nicht dem hohen Zwangsumtausch unterworfen zu sein — —
Herr Kollege, das Fragezeichen ist damit bereits gesetzt. Bitte, Herr Staatsminister!
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10519
Mir ist das im einzelnen nicht bekannt. Ich kann Ihnen hier aber mitteilen, daß ich, als diese Verordnung bekannt wurde, Gelegenheit hatte — ohne daß dies ursprünglich ein Thema unserer Besprechung gewesen wäre —, einen Vertreter Rumäniens darauf anzusprechen. Aus seinen Antworten ist mir dabei zunächst einmal klargeworden, daß es sich nicht um eine gezielte Maßnahme speziell gegen Besucher aus der Bundesrepublik Deutschland handeln kann, sondern daß die rumänische Motivation in der allgemeinen Devisenlage zu suchen war. Ich habe auch den Eindruck gehabt, daß man rumänischerseits Verständnis dafür hat, wenn wir auf Konsequenzen hinweisen, die dort ganz offensichtlich nicht beabsichtigt gewesen sind, und daß man deswegen Überlegungen anstellt.
Sie haben natürlich weitere Zusatzfragen. Bitte!
Herr Staatsminister, muß ich Ihrer letzten Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung sich nicht verpflichtet fühlt, besonders für die Interessen der Deutschen, die nach Rumänien reisen, einzutreten, weil es sich nicht um Maßnahmen handelt, die nur gegen Deutsche gerichtet sind? Vorher hatten Sie allerdings zugegeben, daß besonders die Deutschen auf Grund der vielen familiären Bande betroffen sind.
Herr Abgeordneter, ich finde es sehr gewagt, dies meiner Antwort entnehmen zu wollen. Ich habe etwas völlig anderes gesagt.
Ich habe dein Kollegen Hupka vorhin gesagt, daß wir die Gelegenheit genutzt haben, darauf hinzuweisen, daß solche Erschwerungen nicht der Förderung der bilateralen Beziehungen dienlich sind, auch wenn die Erschwerungen eintreten, ohne daß sie von irgend einer Seite gewollt sind. Ich glaube, es dient keineswegs der Verbesserung der Beziehungen, wenn wir auch nur in Frageform Unterstellungen anbringen, die offensichtlich nicht gerechtfertigt sind.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, sehen Sie wirklich keine andere Möglichkeit, als Verhandlungen in verletzender unterstellender Frageform zu führen?
Es tut mir leid, sagen zu müssen, daß ich nicht verstehe, was Sie damit meinen.
Sie haben meiner Frage vorhin etwas entnommen,
was ich im Wortlaut nicht im mindesten gesagt habe.
Entschuldigen Sie, Herr Kollege, wenn ich das so sage. Ich habe dies hier richtiggestellt. Ich glaube, der Kollege Hupka hat es so verstanden, wie ich es gesagt habe.
Ich lasse noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka zu, die vielleicht den Sachverhalt klärt.
Herr Staatsminister, in welchem Zeitraum können Sie uns die Erfahrungen mitteilen, die Sie auf Grund der neuen Dekrete und auf Grund der Rückschlüsse, die aus der Aussiedlung dann zu ziehen sind, haben werden?
Herr Abgeordneter, wir werden diese Erfahrungen unverzüglich mitteilen, d. h. ohne schuldhaftes Zögern.
Ich verstehe die Unruhe nicht. Das war doch die klassische Antwort von der Regierungsbank: „ohne schuldhaftes Zögern".
Die Frage war, wann wir diese Erfahrungen mitteilen können.
Meine Damen und Herren, ich bedaure; selbst wenn ein Mißverständnis eingetreten sein sollte, können wir dies jetzt nicht im Rahmen der Fragestunde klären.
Ich rufe die Frage 135 des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes auf:
Weshalb werden nicht alle deutschen diplomatischen Vertretungen mit den Wortprotokollen der Plenarsitzungen des Deutschen Bundestages, d. h. der gesetzgebenden Versammlung der Bundesrepublik Deutschland, beliefert?
Bitte, Herr Staatsminister!
Herr Kollege, das Auswärtige Amt ist aus haushaltsmäßigen Gründen gezwungen, bei der Belieferung der Auslandsvertretungen nur das dienstlich unbedingt erforderliche Informationsmaterial zu berücksichtigen. Allen Auslandsvertretungen steht seit mehr als 20 Jahren zur Unterrichtung über den Ablauf der Sitzungen des Deutschen Bundestages die, Wochenzeitung „Das Parlament" zur Verfügung. Sie wissen, es gibt einen parlamentarischen Beirat, der sicher in der Lage ist, über den Inhalt dieser Publikation zu befinden. Auf Grund der Haushaltslage war es nicht möglich, die diplomatischen Vertretungen im Ausland zusätzlich in größerem Umfang mit den Sitzungsprotokollen des Deutschen Bundestages zu beliefern. Bisher erhielten deshalb nur 20 ausge-
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10520 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Staatsminister Moerschwählte Vertretungen zu Lasten der Mittel des Auswärtigen Amtes die Sitzungsprotokolle.Das Auswärtige Amt begrüßt deshalb die von der Präsidentin des Deutschen Bundestages getroffene Entscheidung, insgesamt 114 Vertretungen die Sitzungsprotokolle kostenlos zur Verfügung zu stellen. In Zukunft werden also alle diplomatischen Vertretungen mit den Sitzungsprotokollen des Deutschen Bundestages ausgestattet sein.
Die Frage ist damit beantwortet.
Ich rufe die Frage 136 des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes auf:
Sind alle diplomatischen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Besitz eines authentischen Textes des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 über die Vereinbarkeit des innerdeutschen Grundvertrags mit dem Grundgesetz?
Die Antwort lautet: ja.
Sie haben keine Zusatzfragen.
Frage 137 des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 138 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Welche diplomatischen Schritte Noten, Demarchen usw.) hat die Bundesrepublik Deutschland offiziell als Völkerrechtssubjekt und Schutzmacht in der Tschechoslowakei unternommen, um die verfassungsmäßige Schutzpflicht gegenüber den 339 in der Tschechoslowakei zurückgehaltenen Kindern und den in Artikel 6 des Grundgesetzes verankerten Grundrechten ihrer in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Eltern — deutschen Staatsangehörigen — wirksam zu erfüllen, und welche völkerrechtskonformen Folgerungen wird die Bundesregierung aus der fortdauernden, den menschenrechtlichen Mindeststandard, den Pakt für bürgerliche und politische Rechte der UN und den Briefwechsel zum Prager Vertrag verletzenden Zurückhaltung der Kinder ziehen?
Herr Abgeordneter, ich glaube, daß ich in meiner Antwort einem möglichen Mißverständnis vorbeugen muß. Bei den 339 in der CSSR lebenden Kindern, deren Eltern von der Bundesrepublik Deutschland aus die Familienzusammenführung betreiben, handelt es sich nicht nur um minderjährige, sondern vor allem um alleinstehende Personen jeden Alters, die zu ihren Eltern in die Bundesrepublik Deutschland übersiedeln möchten. Unter diesen Personen sind auch einige minderjährige Kinder. Die genaue Zahl steht nicht fest, weil die Aktualisierung der Ausreisewünsche aus der CSSR, die das Deutsche Rote Kreuz zur Zeit durchführt und die sich auch auf die obengenannte Zahl bezieht, noch nicht abgeschlossen ist.
Fälle, in denen minderjährige Kinder von ihren Eltern getrennt sind, stellen zweifellos besondere humanitäre Härtefälle dar, um deren vorrangige Lösung die Bundesregierung bemüht ist. Sie hat deshalb das Problem sowohl an Hand von Einzelfällen
Is auch in genereller Form im Rahmen des Gesamtkomplexes der Umsiedlung aus der CSSR in mehreren Demarchen mit der tschechoslowakischen Regierung aufgegriffen und wird diese Bemühungen fortsetzen.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, nachdem Sie eine klare Zahl — 339 Fälle —, die nicht aktualisiert werden muß, haben, ergibt sich doch die Frage: Ist es denn so schwierig festzustellen, wie viele minderjährige Kinder dabei sind?
Offensichtlich, Herr Abgeordneter. Wir haben uns darum bemüht, dies festzustellen. Ich muß Ihnen auch sagen: ich habe bei der Durchsicht des Protokolls der 145. Sitzung festgestellt, daß der Begriff „Kinder" sowohl von der beantwortenden als auch von der fragenden Seite her sozusagen ganz wörtlich genommen worden war. Mir wurde vorgeschlagen, daß man besser, was auch kein sehr schönes Wort ist, von „Abkömmlingen" gesprochen hätte. Es handelt sich immerhin um Kinder, die zu einem guten Teil etwa zwischen 30 und 40 Jahre alt sind. Aber es sind Kinder im Sinne des Gesetzes.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, würden Sie vielleicht noch den Anfang meiner Frage beantworten, welche diplomatischen Schritte die Bundesrepublik Deutschland als Völkerrechtssubjekt und als Schutzmacht in diesen Fällen unternommen hat. Waren das, was Sie soeben sagten — Sie sprachen von „generell" und „einzeln" —, Schutzakte im Sinne des Völkerrechts und Schritte, die im diplomatischen Verkehr üblich sind?
Herr Abgeordneter, ich habe das vorgetragen; ich kann es gern wiederholen, und ich glaube, es beantwortet Ihre Zusatzfrage. Wir haben in genereller Form im Rahmen des Gesamtkomplexes in mehreren Demarchen diese Frage aufgegriffen, und wir werden diese Bemühungen fortsetzen. Ich habe in meiner Antwort ausdrücklich das Wort „Demarchen" gebraucht. Sie werden sicher in einem Verzeichnis der Fachsprache der Diplomatie finden, daß dies ein Begriff in der diplomatischen Praxis ist.
Ich erteile das Wort zu einer Zusatzfrage dem Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, wenn Sie von „Demarchen" sprechen, sind das nun Demarchen, die bereits vor Abschluß des Prager Ver-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10521
Dr. Hupkatrages in Gang gesetzt worden sind, oder sind das jetzt Demarchen unter Bezugnahme auf den „Briefwechsel über humanitäre Fragen" als Bestandteil des Prager Vertrages?
Herr Abgeordneter, Demarchen können im allgemeinen unternommen werden, wenn man diplomatische Beziehungen aufgenommen hat. In diesem Rahmen bewegen sich diese Demarchen. Einzelheiten müßte ich nachprüfen.
Ich rufe die Frage 139 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Trifft es zu, daß die Volksrepublik Polen in einer verbindlichen Form, die als Bestätigung einer völkerrechtlichen Willenserklärung anzusehen ist, während der Verhandlungen zum Warschauer Vertrag — und dies auch im Zusammenhang mit der Erklärung ihrer Regierung vom 24. August 1953 und einer auf ganz Deutschland bezogenen Formulierung vom 1. Januar 1954 — auf alle weiteren deutschen Reparationsleistungen verzichtet hat, und wie ist dies mit den derzeitigen finanziellen Forderungen der Volksrepublik Polen an die Bundesrepublik Deutschland vereinbar?
In ihrer amtlichen Erklärung zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen vom 7. Dezember 1970 hat die Bundesregierung unter IV ausgeführt ich zitiere
Hinsichtlich der Frage von Reparationen hat die polnische Delegation noch einmal ausdrücklich die Gültigkeit der Erklärung der polnischen Regierung vom 24. August 1953 bestätigt, mit der Polen in einer auf ganz Deutschland bezogenen Formulierung vom 1. Januar 1954 an auf weitere Reparationsleistungen verzichtet.
Ich verweise auf das Bulletin vom 8. Dezember 1970, Nr. 171, S. 1819.
Die darin erwähnte Erklärung der polnischen Regierung hat folgenden Wortlaut — ich zitiere im Auszug —:
Mit Rücksicht darauf, daß Deutschland seinen Verpflichtungen zur Zahlung von Reparationen bereits in bedeutendem Maße nachgekommen ist und daß die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage Deutschlands im Interesse seiner friedlichen Entwicklung liegt, hat die Regierung der Volksrepublik Polen den Beschluß gefaßt, mit Wirkung vom 1. Januar 1954 auf die Zahlung von Reparationen an Polen zu verzichten, um damit einen weiteren Beitrag zur Lösung der deutschen Frage im Geiste der Demokratie und des Friedens in Übereinstimmung mit den Interessen des polnischen Volkes und aller friedliebenden Völker zu leisten.
Soweit das Zitat. Eine Kopie dieser Erklärung wurde der Handelsvertretung der Bundesrepublik Deutschland in Warschau am 20. Oktober 1970 von einem hohen Beamten des polnischen Außenministeriums überreicht. Sie ist in der amtlichen polnischen Dokumentensammlung „Sbiór Dokumentów" 1953 — Nr. 9 — veröffentlicht. Mit der auf Wunsch der deutschen Delegation gegebenen Bestätigung hat die polnische Regierung die völkerrechtliche Verbindlichkeit ihrer früheren Erklärung bekräftigt. Daß sie trotzdem in letzter Zeit Wiedergutmachungsforderungen erhoben hat, ist nur dadurch zu erklären, daß sie diese Forderungen nicht als zwischenstaatliche Reparationsforderungen ansieht, sondern als individuelle Forderungen natürlicher Personen, die von der polnischen Regierung vertreten werden. Die Bundesregierung hat der polnischen Regierung gegenüber stets an der Auffassung festgehalten, daß es nach allgemeinem Völkerrecht im Verhältnis zu ausländischen Staaten und ihren Staatsangehörigen keinen Unterschied zwischen Wiedergutmachung und Reparation gibt, so daß die Wiedergutmachungsfrage im Verhältnis zu Polen nicht von der Reparationsfrage zu trennen ist.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wenn Sie von individuellen Forderungen sprechen, wird die Bundesregierung dann bei ihren zukünftigen Antworten — Sie haben ja eine bereits angeführt — auch berücksichtigen, daß die bisher geleisteten Hilfen für individuelle Befriedigung von Ansprüchen im Falle von Menschenopferversuchen in Höhe von 100 Millionen DM den individuellen Opfern bisher nicht zugegangen sind?
Herr Abgeordneter, diese Frage war ja schon Gegenstand der Fragestunde. Wir haben uns bemüht, im einzelnen hierzu Informationen zu bekommen, und ich bin gern bereit, das weiter zu prüfen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, werden Sie bei zukünftigen Antworten auch berücksichtigen, daß natürlich auch Wiedergutmachungsansprüche individueller Art von deutschen Staatsangehörigen sowohl wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit als auch wegen völkerrechtswidriger Konfiskation von zivilem Eigentum anstehen, die völkerrechtskonform vertreten werden müssen und eigentlich einer Verrechnung bedürfen?
Herr Abgeordneter, wir haben in unseren bilateralen Gesprächen die Position sehr klargestellt, soweit es um die Frage einer Friedensregelung und im Zusammenhang damit um Reparationsforderungen ging. Bei der Durchsicht der Unterlagen habe ich die Auffassung gewonnen: Nicht nur in der ausländischen, sondern auch in der deutschen Öffentlichkeit ist immer dadurch eine gewisse Verwirrung entstanden, daß wir eine Gesetzgebung, nämlich das Bundesentschädigungsgesetz, im Sprachgebrauch als „Wiedergutmachung" bezeichnen, obwohl dies rechtlich etwas anderes ist als Wiedergutmachungsforderungen von Angehörigen anderer Staaten oder von Staaten; dann sind solche Forderungen völkerrechtlich dasselbe wie Reparationen, für deren Lösung
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10522 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Staatsminister Moerschbestimmte friedensvertragliche Vereinbarungen zwingend notwendig sind. Ich glaube, damit beantwortet sich der Gesamtkomplex der Fragen. Ich fürchte, daß durch diese verschiedene Bedeutung der Begriffe, die man tatsächlich in der Rechtspraxis und im politischen Gebrauch benutzt, manche Unklarheit und manche Unsicherheit entstanden ist und daß dies auch leider dazu geführt hat, daß im gegenseitigen Verkehr mit Polen hier Mißverständnisse aufgetreten sind.
Ich rufe die Frage 140 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann auf:
Was tut die Bundesregierung, um sicherzustellen, daß politisch und fachlich geeignete Lehrer deutschen Auslandsschulen zugeteilt werden, so daß deren Tätigkeit die Gewähr eines bestmöglichen Unterrichts und der Aufrechterhaltung guter Beziehungen zum Gastland dient?
Herr Staatsminister!
Die von der Bundesregierung über die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen ins Ausland vermittelten Lehrkräfte werden von den Kultusverwaltungen der Länder beurlaubt und zur Verfügung gestellt. Die Landeskultusverwaltungen nehmen bereits eine erste Eignungsüberprüfung vor und übersenden der Zentralstelle Personalunterlagen, die ein Eignungsbild abgeben. Da die Mitarbeiter der Zentralstelle über persönliche Erfahrungen sowohl im innerdeutschen wie im Auslandsschuldienst verfügen und laufend in die kulturpolitischen Überlegungen des Auswärtigen Amtes einbezogen sind, besteht die Gewähr für eine politisch wie fachlich einwandfreie Lehrerauswahl.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wird auch geprüft, ob diese Lehrer jeweils auf dem Boden der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung unseres Staates stehen?
Herr Abgeordneter, die Kultusverwaltungen schlagen uns Lehrer vor, die im Schuldienst dieser Kultusverwaltungen gestanden haben. Ich unterstelle doch, daß in den Kultusverwaltungen das Beamtengesetz beachtet wird.
Eine weitere Zusatzfrage.
Wäre das Auswärtige Amt gegebenenfalls bereit, Lehrer zurückzurufen, wenn diese Voraussetzungen, die ich eben in der ersten Zusatzfrage genannt habe, während des Auslandsschuldienstes entfallen?
Herr Abgeordneter, wenn immer Beweise gebracht worden sind, die Ihre Meinung rechtfertigen und dies nach deutschen gesetzlichen Vorschriften so ist, wie Sie sagen, dann wird die Bundesregierung dem Gesetz entsprechend handeln. Das gilt selbstverständlich auch für entsandte Lehrkräfte.
Die Frage 141 des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 142 des Herrn Abgeordneten Dr. Fuchs auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den seit 1970 zu beobachtenden Rückgang des Deutschstudiums an den Colleges in den USA?
Bitte, Herr Staatsminister!
Herr Kollege, Sie unterstellen einen Tatbestand, der keineswegs als eindeutig gesichert angesehen werden kann. Vor einigen Jahren ist zwar ein Rückgang des Deutschunterrichts an amerikanischen Hochschulen eingetreten. Damals haben nämlich viele Universitäten und Colleges die sogenannten Language Requirements, also den Fremdsprachennachweis für akademische Diplome, abgeschafft. Unter dieser Maßnahme litten übrigens alle Fremdsprachen in den USA verständlicherweise. Diese Entwicklung ist aber, wie mir zahlreiche amerikanische Fachleute berichtet haben, inzwischen zu einem gewissen Abschluß gelangt. Es ist kein weiterer Rückgang zu verzeichnen. Im Gegenteil, an den amerikanischen Hochschulen scheint das Interesse an uns und unserer Sprache und Kultur sogar wieder zuzunehmen. Die Bundesregierung verfolgt die Stellung und Entwicklung des deutschen Sprachunterrichts in den USA mit besonderer Sorgfalt und unternimmt alles, um ihn zu fördern und zu stärken.Vielleicht erinnern Sie sich daran, Herr Kollege, daß im Sommer des vergangenen Jahres mit wesentlicher Unterstützung des Auswärtigen Amtes der amerikanische Deutschlehrerverband seine Jahrestagung erstmals nicht in den USA, sondern in der Bundesrepublik Deutschland, nämlich in Bonn, abgehalten hat. Im Rahmen des Gästeprogramms der Bundesregierung werden schwerpunktmäßig wichtige Persönlichkeiten dieses Bereichs eingeladen. Auch die Goethe-Institute in den USA kümmern sich um die amerikanischen Sprachmultiplikatoren. In diesem Jahr werden wir ebenfalls, vor allem um etwas für die Pflege der deutschen Sprache in den USA zu tun, die Zahl der Goethe-Institute in den USA von drei auf zunächst fünf erhöhen, und das trotz der schwierigen Haushaltslage. Das bitte ich sehr zu beachten. Dazu kommen diverse Stipendien- und Austauschprogramme. Mit all diesen Maßnahmen ist es uns gelungen, dazu beizutragen, daß das Ansehen der deutschen Sprache wieder stärker geworden ist und das Selbstbewußtsein und die Stellung der Lehrkräfte gekräftigt wurden. Damit der Deutschunterricht in den Vereinigten Staaten wieder eine größere Ausstrahlungskraft erhält, werden wir diese Bemühungen mit besonderem Nachdruck fortsetzen.
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Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist die Zahl der Studenten, die Deutsch lernen, in den letzten Jahren zurückgegangen, ist sie gleichgeblieben oder ist sie größer geworden?
Herr Kollege Fuchs, das sind natürlich drei Zusatzfragen.
Es gibt leider keine Unterlagen über diesen Tatbestand, sonst hätte ich das sehr gern mitgeteilt. Ich konnte Ihnen hier sozusagen nur eine Tendenzmeldung allgemeiner Art abgeben. Aber auch die ist sicherlich nützlich.
Bitte!
Aber es sind Ihnen, Herr Staatsminister, Berichte bekannt, die sich darüber beklagen, daß das Deutschstudium an den Colleges in den Vereinigten Staaten von Amerika eine rückläufige Tendenz hat?
Herr Abgeordneter, ich habe soeben darzulegen versucht, daß das Interesse zugenommen hat. Daß aber die Tatsache eines nicht mehr notwendigen Nachweises von Fremdsprachenkenntnissen für akademische Diplome die Neigung, Fremdsprachen zu erlernen, in diesem Lande überhaupt zunächst einmal vermindert hat, liegt in der Natur der Sache. Ich habe noch niemanden gesehen, der sich freiwillig Anstrengungen unterzieht, die nachher in der Prüfung nicht gefragt sind. Diese Erfahrung gehört zum akademischen Leben in der ganzen Welt. Dieser Umstand hat zunächst zu diesem allgemeinen Eindruck geführt. Tatsächlich ist es ja so, daß mehr als früher Bewohner der USA Interesse für die deutsche Sprache zeigen und auch einen Hinweis darauf geben, daß sie sich sozusagen von der Abstammung mit ihr verbunden fühlen, wenn sie ihrer auch nicht immer mächtig sind.
Ich rufe die Frage 143 des Herrn Abgeordneten Hösl auf:
— Der Abgeordnete ist nicht im Saal, die Frage wird daher schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 145 ist von Herrn Abgeordneten Zoglmann gestellt:
Wieviel diplomatische Proteste betreffend das Land Berlin hat die Sowjetunion und Ost-Berlin seit Abschluß des Vier-MächteAbkommens über Berlin bei der Bundesregierung erhoben, und wieviel solcher Proteste bei den drei Westmächten sind der Bundesregierung bekanntgeworden?
Bitte, Herr Staatsminister!
Erklärungen der Sowjetunion und der DDR gegenüber der Bundesregierung und den Drei Mächten in Berlin betreffenden Fragen sind stets Gegenstand enger und vertrauensvoller Konsultation zwischen der Bundesregierung und den Drei Mächten gewesen. Aus der Natur der Sache ergibt sich, daß diese Abstimmung von allen Seiten vertraulich behandelt wird. Deshalb bitte ich um Ihr Verständnis, wenn sich die Bundesregierung nicht in der Lage sieht, Ihre Frage vor dem Deutschen Bundestag öffentlich zu beantworten.
Eine Zusatzfrage.
Wie läßt sich diese Tatsache, die Sie, Herr Staatsminister, uns jetzt mitteilen, mit der Äußerung des Bundeskanzlers anläßlich seiner Neujahrsansprache über Rundfunk und Fernsehen am 31. Dezember 1974 vereinbaren, in der der Herr Bundeskanzler erklärte: „In Berlin brauchen wir uns im neuen Jahr keine Sorgen zu machen. Und selbst das Verhältnis zur DDR wird sich weiterhin entspannen. Wir sind alles in allem auf einem guten Weg."?
Ich sehe da keinen Widerspruch.
Meine Damen und Herren, die Frage 146 des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 147 des Herrn Abgeordneten Friedrich auf:
Kann auch weiterhin davon ausgegangen werden, daß für die Bundesregierung die Regierung der Volksrepublik Polen die einzige legitime polnische Regierung ist?
Bitte, Herr Staatsminister!
Herr Abgeordneter, darf ich die beiden Fragen zusammen beantworten?
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 148 des Herrn Abgeordneten Friedrich auf:
Sieht die Bundesregierung in der Tatsache von Kontakten des Bundes der Vertriebenen mit einer Gruppe, die sich als polnische Exilregierung von London bezeichnet, und in der angekündigten ständigen Zusammenarbeit des Bundes der Vertriebenen mit dieser Gruppe eine mögliche Erschwerung des polnisch-deutschen Aussöhnungsprozesses, und ist in diesem Zusammenhang die Bundesregierung bereit, die finanzielle Förderungswürdigkeit des Bundes der Vertriebenen unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, daß dieser Verband entgegen den offiziellen internationalen Beziehungen und den völkerrechtlich verbindlichen Verträgen der Bundesrepublik Deutschland ständige Kontakte zu einer Exilregierung, die wir nicht anerkennen, unterhalten will?
Die Antwort auf die erste Frage ist: Ja.
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10524 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Staatsminister MoerschDie Antwort auf die zweite Frage: Der Bundesregierung ist bekannt, daß in wesentlichen Fragen des deutsch-polnischen Verhältnisses, vor allem in der Frage der Oder-Neiße-Grenze, die Haltung der polnischen Exilpolitiker in London nicht von der der Haltung der Volksrepublik Polen abweicht. Insofern hält die Bundesregierung die in der Frage erwähnten Kontakte für ein marginales Ereignis.Was die Zuschüsse betrifft, so sieht die Bundesregierung nach dem vorher Gesagten keinen Zusammenhang mit den erwähnten Kontakten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, hat eine frühere Bundesregierung, darunter auch eine, der Herr Staatssekretär Carstens damals angehörte, mit der polnischen Exilregierung Kontakte gepflogen oder ging sie auch von der einzig legitimen Regierung in Warschau aus?
Herr Abgeordneter, von solchen Kontakten ist mir nichts bekannt. Ich muß hinzufügen, daß es diese Gruppe, um die es sich hier jetzt handelt, offiziell seit Ende Januar 1974 gibt. Es gab früher in der Tat andere Gruppen, aber wie gesagt: Unterlagen über Kontakte fanden sich nicht in den Akten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, kann man also davon ausgehen, daß auch kein Staat der Vereinten Nationen bzw. keine der früheren Siegermächte mit dieser Gruppe irgend etwas zu tun hat und daß das auch für die Haltung der Bundesregierung maßgebend ist?
Die mit uns befreundeten Mächte haben alle korrekte völkerrechtliche Beziehungen zur Volksrepublik Polen und unterhalten dort Vertretungen. Ich bin sicher, daß sie die als die einzigen Vertretungen ansehen.
Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung einen Widerspruch in den ständigen Fragen des Bundes der Vertriebenen an die legitime Regierung in Warschau und den gleichzeitigen Kontakten und der ja angekündigten ständigen Zusammenarbeit mit der Exilregierung in London? Ist hier nicht ein prinzipieller logischer Widerspruch?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist nicht gehalten, die Probleme der Logik in diesem Zusammenhang zu überprüfen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung, wenn sich durch die angekündigte ständige Zusammenarbeit eine Beeinträchtigung der Glaubwürdigkeit dieses von der Bundesregierung für förderungswürdig gehaltenen Verbandes ergäbe, bereit, die Frage der Förderungswürdigkeit nochmals zu prüfen und dann diesem Hause zu berichten?
Herr Abgeordneter, ich verweise in dem Zusammenhang auf die zunächst gegebene Antwort und auf die allgemeinen Richtlinien und betone noch einmal, daß ganz offensichtlich in der politischen Grundhaltung zu Fragen, die uns besonders angehen, zwischen beiden Seiten kein wirklicher Unterschied besteht, so daß man eine gewisse marginale Erscheinungsform für diesen Kontakt, den Sie meinen, sehen kann.
Jetzt kommen wir zu den anderen Zusatzfragen. Ich beginne zunächst bei Herrn Abgeordneten Dr. Mertes.
Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung den Sachzusammenhang zwischen der Frage nach der Legitimität einer Regierung — ich sage nicht Legalität, die im diplomatischen Verkehr natürlich wesentlich ist — einerseits und der völkerrechtlichen Verpflichtung zur Verwirklichung der individuellen Menschenrechte wie auch des nationalen Selbstbestimmungsrechtes andererseits?
Herr Abgeordneter, ich weiß nicht, in welchem Zusammenhang diese Frage mit der ursprünglich gestellten Frage steht, aber die Bundesregierung — —
Meine Damen und Herren, ich bitte um Verständnis. Herr Kollege Jobst, die Prüfung der Zulässigkeit der Frage gehört nicht in Ihre Zuständigkeit. In dem Zusammenhang gebe ich aber dem Herrn Staatsminister die Möglichkeit, hier zu antworten, weil ich der Meinung bin, es ist eine Grenzfrage, bei der ich es in diesem Fall ihm überlasse, ob er die Frage beantwortet oder nicht. — Bitte!
Herr Dr. Mertes, ich hatte den Eindruck, daß ich mich trotz der Kürze der Antwort auf die Fragen des Kollegen Friedrich klar genug ausgedrückt habe, und ich muß sagen: Im Bereich der politischen
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Staatsminister MoerschErmessensfreiheit und, wenn Sie so wollen, sogarBereich des politischen Stils hat die Bundesregierung nicht die Aufgabe, hier Antworten zu geben.
Die nächste Zusatzfrage ist die des Herrn Abgeordneten Hansen.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, inwieweit der Bund der Vertriebenen die politischen Ziele der sogenannten polnischen Exilregierung unterstützt, insbesondere das Ziel, die Annexion der ehemals polnischen Ostgebiete durch die Sowjetunion rückgängig zu machen, an der Oder-Neiße-Grenze jedoch festzuhalten?
Nein, Herr Abgeordneter, ich kann hier für die Bundesregierung die Frage nicht beantworten, wo die Deckungsgleichheit der Zielsetzung sei.
Die nächste Zusatzfrage gebe ich dem Herrn Abgeordneten Hauser.
Herr Staatsminister, nachdem vorhin Herr Kollege Friedrich nach Kontakten aus der Bundesrepublik mit Exilpolen gefragt hat, darf ich meinerseits die Frage stellen, ob Ihnen bekannt ist, daß der frühere Vizepräsident des Deutschen Bundestages Herr Carlo Schmid bis in die .Jahre 1969 und 1970 mit Vertretungen exilierter demokratischer Parteien Gespräche geführt hat und Verbindung hatte, die Opfer nationalsozialistischer und kommunistischer Gewaltherrschaft waren, so etwa mit Herrn Ciolkosz, und ist die Bundesregierung —
Herr Kollege, Fragezeichen! — Herr Staatsminister, bitte!
Herr Abgeordneter, ich nehme an, daß Ihre Frage sich auf einen zutreffenden Tatbestand bezieht. Mir ist das aus den Unterlagen nicht bekannt.
Nächste Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Becher.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung nicht mit mir der Meinung, daß die Tatsache, daß die Frage des Herrn Kollegen Friedrich, bevor sie heute hier beantwortet wurde, bereits vorgestern in „Radio Frieden und Fortschritt" hochgelobt wurde, darauf hindeutet, daß Forderungen von Mitgliedern des Deutschen Bundestages auf Kürzung oder Streichung von Beihilfen für den Bund der Vertriebenen auf Informationen beruhen, die zentral von Moskau aus gelenkt werden und zu dem Feldzug geführt haben, den wir t heute der sowjetischen Presse entnehmen können?
Meine Damen und Herren, der amtierende Präsident läßt diese Zusatzfrage wegen des fehlenden unmittelbaren Zusammenhangs nicht zu. — Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Professor Schweitzer.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, ob sich der Vorstand der CDU/CSU- Fraktion gegenüber der Bundesregierung von diesem Votum und diesem Vorgehen des Herrn Kollegen Czaja distanziert hat?
Nein, mir ist darüber nichts bekannt.
Nächste Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Seiters.
Herr Staatsminister, unter welchen Voraussetzungen hält es die Bundesregierung für vertretbar oder sogar förderungswürdig, daß politische oder gesellschaftliche Gruppen der Bundesrepublik Deutschland mit Exilgruppen anderer Länder innerhalb und außerhalb Europas eine aktive Verbindung halten, die gegenüber den dortigen legalen Regierungen die Verwirklichung der Menschenrechte und des Selbstbestimmungsrechts der Völker zu praktischer Geltung zu bringen versuchen?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist nicht gehalten, hypothetische Fragen zu beantworten.
Sie hat zu dem Fall, der ansteht, ihre Meinung gesagt, und sie hat dem nichts hinzuzufügen.
Ich lasse eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin zu.
Herr Staatsminister, wären Sie vielleicht bereit, zur Information der Kollegen aus der CDU/CSU den Unterschied zwischen Exilregierungen und Exilparteien klarzustellen?
Frau Abgeordnete, ich vermute, daß die meisten der hier gestellten Fragen nicht gestellt worden sind,
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10526 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Staatsminister Moerschum bestimmte Antworten zu erhalten. Ich glaube, das gilt auch für Ihre Frage.
Die nächste Frage, die ich zulasse, ist die des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung allen Versuchen energisch entgegentreten, die darauf abzielen, den freien Meinungsaustausch zwischen deutschen Politikern und Exilpolitikern anderer Länder zu verhindern oder durch die Androhung oder Andeutung von Mittelentzug oder Entzug öffentlicher Förderungsmittel zu behindern?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung wird überall für den freien Meinungsaustausch eintreten, und sie bittet die, die am freien Meinungsaustausch teilnehmen, dann gelegentlich auch eine volle Information zu geben, z. B. über die schwierige Frage, wie sich solche Gruppen zur Frage der Oder-NeißeGrenze stellen. Das wäre ein dankbarer Beitrag zur Entemotionalisierung der Diskussion in diesem Hause.
Ich lasse noch zwei Zusatzfragen zu, zunächst die Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst.
Herr Staatsminister, gibt es Anhaltspunkte dafür, daß Ostblockstaaten versuchen, die Gespräche deutscher Politiker mit polnischen Exilpolitikern zu stören, ein Vorhaben, das durch Fragen wie die des Kollegen Friedrich erleichtert wird?
Nein, Herr Abgeordneter. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, und eine vorher gestellte Frage, die etwa darauf hinzielte, als ob hier am heiligen Born deutscher Kraft irgend jemand eine trübe Quelle angezapft habe, ist sicherlich auch irreführend gewesen.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Werner.
Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung in den Ostverträgen und im innerdeutschen Grundlagenvertrag eine Verpflichtung gegeben, Kontakte deutscher Politiker und Verbände mit politischen Verbänden innerhalb und außerhalb der Vertragsstaaten zu unterbinden, und zwar mit Verbänden, die in Opposition zu den totalitären Regimen in diesen Staaten stehen und legitime Rechte ihrer Völker vertreten wollen?
Herr Abgeordneter, es ist durch die Verträge nicht eine einzige Freiheit eingeschränkt worden. Das gilt selbstverständlich auch für diesen Bereich. Es ist aber ebenfalls festzuhalten, daß Abgeordnete aller demokratischen Richtungen — und das darf ich hier wohl unterstellen — in jedem Falle, auch wenn sie nicht Mitglieder der Bundesregierung sind oder nicht einer Regierungspartei angehören, eine gewisse allgemeine Verantwortung haben, die sie sicherlich nach bestem Wissen und Gewissen ausfüllen werden.
Der Herr Abgeordnete Reddemann hat um schriftliche Beantwortung seiner Frage 95 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Herr Staatsminister, ich danke Ihnen. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Jung zur Verfügung.
Der Herr Abgeordnete Kiechle hat um schriftliche Beantwortung seiner Frage 71 gebeten. Dem wird entsprochen. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 72 ist von dem Herrn Abgeordneten Schmidt eingebracht. — Ich sehe den Herrn Abgeordneten nicht im Saal, die Frage wird daher schriftlich beantwortet. Die Antwort wird ebenfalls als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 73 und 74 des Herrn Abgeordneten Dr. Kempfler sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Die Frage 75 des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vokkenhausen wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
In gleicher Weise wird mit der vom Abgeordneten Kiechle eingereichten Frage 76 verfahren.
Ich rufe die Frage 77 des Herrn Abgeordneten Jaunich auf:
Wieviel Auszubildende stehen derzeit bei der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Bundespost unter Ausbildungsvertrag?
Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, unter Ausbildungsvertrag stehen derzeit 8899 Auszubildende bei der Bundesbahn und 18 410 Auszubildende bei der Bundespost.
Zusatzfrage? Keine.Dann rufe ich die Frage 78 des Herrn Abgeordneten Jaunich auf:Wieviel Auszubildende werden es in diesem Jahr zu Beginn des neuen Ausbildungsabschnittes sein, und reicht die Anzahl der unter Ausbildungsvertrag Stehenden aus, um den zu erwartenden Bedarf an Fachkräften bei der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Bundespost abzusichern?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10527
Herr Kollege, unter der Voraussetzung, daß das Einstellungssoll dieses Jahres voll besetzt werden kann, wird die Zahl der Auszubildenden im Herbst 1975 voraussichtlich bei der Bundesbahn etwa 8 850 und bei der Bundespost etwa 13 500 betragen. Die Anzahl der unter Ausbildungsvertrag Stehenden reicht aus, um den zu erwartenden Bedarf an Fachkräften bei Bundesbahn und Bundespost abzusichern.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß Ihre Aussage beinhaltet, daß anderslautende Behauptungen sachlich falsch sind?
Herr Kollege, könnten Sie die anderslautenden Behauptungen hier darlegen, damit ich präzise antworten kann?
Ich habe anderslautende Behauptungen nicht aufgestellt, aber es gibt auch Mitglieder dieses Hohen Hauses die anderslautende Behauptungen aufstellen.
Herr Kollege, es bleibt Ihnen nur die Möglichkeit, diese Behauptungen in Form einer Frage hier in die Debatte einzubeziehen. Da Sie das nicht getan haben, gebe ich zu einer Zusatzfrage dem Herrn Abgeordneten Windelen das Wort.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wie viele Auszubildende in den Jahren 1973 und 1974 unter Ausbildungsvertrag bei Bahn und Post gestanden haben?
Ja, Herr Kollege, das kann ich Ihnen sagen. Im Jahre 1973 waren es bei der Deutschen Bundesbahn 8 261, und zwar in Ausbildungsberufen der Industrie. Einschließlich der verwaltungseigenen Ausbildungsberufe, also Gleisbauer, Bauzeichner, Vermessungstechniker, waren es 8 686. Im Jahre 1974 waren es 8 522 im ersten Bereich und 9 067 insgesamt, also unter Einschluß der eben genannten Berufe.
Bezüglich der Deutschen Bundespost — Sie haben ja nach beiden Bereichen gefragt — habe ich leider nur die Zahl der neu Eingestellten für 1973 und 1974. Hier waren es 6 600 und 4 700, die neu eingestellt wurden. Die Gesamtzahl kann ich nur pauschal angeben. Sie lag im Jahre 1970 bei 12 000 und ist bis zum Jahre 1974 auf 18 000 Auszubildende angestiegen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, in Anbetracht der mißlichen Lage, bezogen auf das Angebot an Ausbildungsplätzen frage ich Sie: Wäre es nicht richtig, daß Bundespost und Bundesbahn zusätzliche Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen, auch unter Berücksichtigung des Gesichtspunktes, daß die Auszubildenden nach Beendigung der Lehrzeit nicht in den Diensten der Bundespost oder der Bundesbahn verbleiben können?
Herr Kollege, der Bundesminister für Verkehr hat sowohl die Bundesbahn als auch — bei der Bundespost — die Oberpostdirektionen angewiesen, die freien Kapazitäten anderen Ausbildungsträgern zur Verfügung zu stellen und in Verhandlungen mit diesen anderen Ausbildungsträgern — natürlich gegen Erstattung der Kosten — diese Kapazitäten zu nutzen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatssekretär, womit hängt es zusammen, daß in diesem Jahr — nach dem, was Sie uns vorhin berichtet haben, wenn ich Ihre Zahlen richtig mitbekommen habe — im Gegensatz zur Deutschen Bundesbahn die Bundespost offensichtlich gewillt ist, eine so drastische Reduzierung der Ausbildungsplätze um rund 5 000 vorzunehmen?
Herr Kollege, „um rund 5 000" ist nicht zutreffend; denn die jährlichen Neueinstellungen haben bei der Deutschen Bundespost in den letzten Jahren permanent zugenommen. Ich habe die Steigerung von 1970 bis 1974 mit 12 000 auf 18 000 angegeben. Wenn ich es recht in Erinnerung habe, waren es im letzten Jahr etwa 6 000 und zuvor etwa 4 000. Die Zahl ist also permanent aufgestockt worden.
Die Deutsche Bundespost hat ermittelt, daß sie im Grunde keinen Bedarf für das kommende Jahr hat. Sie hat sich auf Grund der Situation dennoch bereit erklärt, 1 800 Auszubildende neu einzustellen.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wernitz.
Herr Staatssekretär, Sie haben in einer der letzten Fragestunden auf meine Frage geantwortet, daß im Bereich der Deutschen Bundesbahn 600 zusätzliche Plätze bereitgestellt werden sollen. Im Zusammenhang damit haben Sie allerdings auch erklärt, daß die Finanzierung bei der Übernahme durch Dritte noch nicht geklärt ist. Ich möchte Sie nun fragen, ob diese Klärung inzwischen erfolgt oder ob absehbar ist, wann hier eine Klärung erfolgen kann.
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10528 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Herr Kollege Dr. Wernitz, nach den Richtlinien für die Fragestunde kann ich diese Frage nicht zulassen. Aber da der Herr Staatssekretär möglicherweise den Vorgang auch unmittelbar in Erinnerung hat, will ich es ihm überlassen, ob er die Frage beantwortet. Bitte!
Ich kann generell sagen, daß zwischen den betreffenden Ressorts — Ministerium für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen, Ministerium für Wirtschaft und Ministerium für Bildung und Wissenschaft — Gespräche geführt wurden, um zunächst einmal die Frage der Nutzung vorhandener Kapazitäten zu klären. Ich habe vorhin bereits erwähnt, daß sowohl bei der Bundespost als auch bei der Bundesbahn Gespräche geführt werden, um vorhandene Kapazitäten als überbetriebliche Ausbildungseinrichtungen solchen Trägern zur Verfügung zu stellen, die bereit sind, gegen eine entsprechende Beteiligung — Sie wissen ja, daß es hier auch einen Beschluß des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages gibt — dort die Ausbildung vorzunehmen.
Ich darf in Ergänzung der Beantwortung der gestellten Frage sagen, daß die Deutsche Bundesbahn neue Ausbildungsverträge abgeschlossen hat. Da der künftige Bedarf auf Grund von Rationalisierungsmaßnahmen nicht mehr ganz so groß ist, sind die Auszubildenden allerdings mit dem Bemerken übernommen worden, daß die Bewerber keinen Anspruch auf spätere Übernahme haben.
Herr Staatssekretär, ich wäre Ihnen dankbar — ich darf das allgemein sagen —, wenn Sie vielleicht die Zusatzfrage noch einmal schriftlich konkret beantworten würden, damit der Herr Kollege hier den Vorgang auch selbst verfolgen kann.
Ich werde das gerne tun, Herr Präsident.
Ich rufe die Frage 79 des Herrn Abgeordneten Hoffie auf:
Ist die Bundesregierung bereit, bei der Deutschen Bundesbahn darauf hinzuwirken, daß nicht nur der Transport von Rollstühlen der durch Krieg oder Unfall schwerbeschädigten Fahrgäste, sondern auch der durch Geburt oder Krankheit Schwerbeschädigten kostenlos erfolgt?
Herr Kollege Hoffie, die Einbeziehung der durch Geburt oder Krankheit schwerbehinderten Personen in diese Vergünstigung, die bisher nur von den durch Krieg oder Unfall schwerbeschädigten Fahrgästen in Anspruch genommen werden kann, ist bereits in dem von der Bundesregierung im November 1974 beschlossenen Entwurf eines Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr vorgesehen.
Herr Kollege, eine Zusatzfrage? — Bitte!
Sind anderslautende Pressemeldungen, Herr Staatssekretär, der vergangenen Tage also unzutreffend?
Herr Kollege Hoffie, wenn Sie darauf anspielen, daß dieser Gesetzentwurf im Bundesrat am 19. Dezember 1974 zunächst einmal vom Bundesrat aus finanziellen Gründen abgelehnt wurde, dann trifft das zwar zu, aber die Bundesregierung prüft zur Zeit, ob der Entwurf gleichwohl dem Bundestag zugeleitet werden soll. Hier allerdings wäre dann das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zuständig.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe dann die Frage 80 des Herrn Abgeordneten Hoffie auf:
Sind der Bundesregierung die Gründe bekannt, die die Deutsche Bundesbahn veranlaßt haben, den am 31. Januar 1975 in Kraft getretenen Reisegepäckstückguttarif hinsichtlich der Rollstuhlbeförderung entsprechend zu modifizeren?
Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, der Bundesregierung ist bekannt, daß die Deutsche Bundesbahn mit Wirkung vom 31. Januar 1975 im Zuge der Rationalisierung des Abfertigungsgeschäftes lediglich die Frachtberechnung für Reisegepäck umgestellt hat. Anstelle der Berechnung nach Gewicht und Entfernung, und zwar, wie Sie ja wissen, in drei Zonen, ist dabei eine einheitliche Stückfracht bis 30 kg in Höhe von 5 DM je Gepäckschein, und zwar für alle Entfernungen, eingeführt worden. Es ist also nicht so, daß dadurch nun generell ein Verteuerung eingetreten ist, sondern es ist, wenn man das an den bisherigen Tarifen für die drei Zonen mißt, zumindest im Bereich der Zone zwei und der Zone drei eine Verbilligung eingetreten. Aber der Hintergrund war eben, eine Vereinfachung und Rationalisierung durch Vereinheitlichung der Tarife vorzunehmen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe nunmehr die Fragen 81 und 82 des Herrn Abgeordneten Sick auf, die auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 83 des Herrn Abgeordneten Sauter auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die Mittel für den Ausbau der Bundesautobahn Stuttgart—Bodensee zu strecken und andere Bauprojekte vorzuziehen, und welches ist nach der Planung der Bundesregierung der endgültige Fertigstellungstermin?
Herr Staatssekretär!
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10529
Parl. Staatssekretär JungHerr Kollege Sauter, die Bundesregierung beabsichtigt nicht, die Mittel für den Neubau der Bundesautobahn Stuttgart—Bodensee zu strecken und andere Bauprojekte vorzuziehen. Als Fertigstellungstermin für die Gesamtstrecke zwischen Gärt-ringen und Singen wird im Einvernehmen mit der Straßenbauverwaltung des Landes Baden-Württemberg nach wie vor das Jahresende 1977 angestrebt.
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen die Äußerung Ihres Kollegen Haar bekannt, der die Auffassung vertreten hat, daß man Mittel aus dem Bundesfernstraßenbau abzweigen könnte, um sie für den Bau von Ortsdurchfahrten zu verwenden, und ist dann nicht, wenn diese Äußerung so gefallen ist, wie sie hier von mir im Gedächtnis behalten worden ist, nach wie vor die Gefahr vorhanden, daß Baden-Württemberg im Fernstraßenbau weiter benachteiligt wird?
Herr Kollege, erstens ist mir die Bemerkung nicht bekannt, und zweitens haben Sie konkret gefragt nach dem Ausbau der Bodensee-Autobahn, und die Antwort darauf habe ich Ihnen gegeben. Es steht mir nicht zu, nun diese hypothetische Frage allgemeiner Art, ob man Mittel aus dem Bundesfernstraßenbau irgendwie verlagern könne, im Zusammenhang mit dieser Frage zu beantworten.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich Sie bitten, die von mir aufgeworfene Frage noch einmal zu prüfen und mir, was die Ausführungen von Herrn Haar anbetrifft, eine schriftliche Antwort zuteil werden zu lassen?
Ich bin gern dazu bereit, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Däubler-Gmelin.
Darf ich der Vollständigkeit halber fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß Herr Staatssekretär Haar diese Äußerung selbstverständlich nur unter ganz konkreter Einbeziehung von Wünschen und Planungen des Landes BadenWürttemberg getan hat?
Vielen Dank, Frau Kollegin, für die Frageform!
Frau Kollegin, ich kenne diese Äußerung nicht. Ich werde im Zusammenhang mit der Bitte des Kollegen Sauter a) den Kollegen Haar fragen und b) in diesem Zusammenhang die Zusatzfrage des Kollegen Sauter beantworten.
Ich rufe die Frage 85 des Herrn Abgeordneten Dr. Wernitz auf:
Ist nach Auffassung der Bundesregierung auf die Dauer bei Fortführung zahlreicher verkehrsschwacher Nebenstrecken aus Struktur- und raumordnungspolitischen Gründen vertretbar. die entstehende finanzielle Ausgleichspflicht zugunsten der Deutschen Bundesbahn allein dem Bund aufzuerlegen, nachdem die Deutsche Bundesbahn bei der betriebswirtschaftlichen Untersuchung verkehrsschwacher Nebenstrecken davon ausgeht, daß „unternehmensfremde Momente" als „Wünsche" Dritter, z. B. der Kommunen, der Länder oder des Bundes von der Deutschen Bundesbahn nur insofern honoriert werden können, wenn der Veranlasser die vollen Kosten erstattet ?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, wegen des Sachzusammenhangs möchte ich Ihre beiden Fragen gemeinsam beantworten, wenn Sie damit einverstanden sind.
Der Fragesteller ist einverstanden; ich rufe daher zusätzlich Frage 86 des Herrn Abgeordneten Dr. Wernitz auf:
Ist nach Auffassung der Bundesregierung nicht bei Anwendung des „Veranlasserprinzips" eine Überprüfung bestehender gesetzlicher Bestimmungen mit dem Ziel einer angemessenen Beteiligung durch die Länder, etwa im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", konkret geboten, wenn z. B. die bayerische Staatsregierung von der Bundesregierung fordert, die Konzentrationsbestrebungen der Deutschen Bundesbahn in einer verkehrs- und strukturpolitischen Gesamtkonzeption mit den Erfordernissen der betroffenen Räume so abzustimmen, daß unter Berücksichtigung der Belange strukturschwacher ländlicher Gebiete gesamtpolitisch eine optimale Lösung gefunden wird?
Herr Kollege, die Bundesregierung hält es prinzipiell für notwendig, daß derjenige, der die Stillegung einer verkehrsschwachen Bundesbahnstrecke verhindert, den dadurch entstehenden Mehrverlust der Deutschen Bundesbahn auszugleichen hat. Eine Änderung bestehender Gesetze wird dagegen nicht für erforderlich gehalten, weil das Veranlasserprinzip bereits im geltenden Recht, nämlich im § 5 des Bundesbahngesetzes, enthalten ist.Beabsichtigt die Deutsche Bundesbahn eine Strekkenstillegung, so muß nach dem Bundesbahngesetz folgendes Verfahren eingehalten werden: zunächst einmal Anhörung der örtlich beteiligten obersten Landesverkehrsbehörde nach § 44 des Bundesbahngesetzes; dann Beschluß des Verwaltungsrates nach § 12 des Bundesbahngesetzes; Genehmigung durch den Bundesminister für Verkehr nach § 14, wobei ich hinzufügen darf, daß über Strecken im Zonenrandgebiet das Bundeskabinett entscheidet; bei Ablehnung des Antrages Ausgleichsanspruch der Deutschen Bundesbahn gemäß Art. 1 der EWG-Verordnung 1191/69. Dies ist gegenwärtig bei sechs Strek-IMetadaten/Kopzeile:
0530 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Parl. Staatssekretär Jungken — sämtliche im Zonenrandgebiet liegend — der Fall. Der Ausgleich an die Deutsche Bundesbahn beträgt in diesem Fall 21 Millionen DM.Nach § 5 des Bundesbahngesetzes sind Leistungen der Deutschen Bundesbahn u. a. für die Länder angemessen abzugelten. Zu diesen Leistungen gehört es auch, eine betriebswirtschaftlich notwendige Stilllegungsmaßnahme im Interesse der Länder nicht durchzuführen. Allerdings haben die Länder — und hier auch die bayerische Staatsregierung — von dieser Möglichkeit bisher noch keinen Gebrauch gemacht. Andere Möglichkeiten für die Länder, eine Stillegung zu verhindern, gibt es nach dem Bundesbahngesetz nicht.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie dann also richtig verstanden — ich frage deshalb noch einmal nach , daß nach Auffassung der Bundesregierung etwa eine Änderung des § 28 a des Bundesbahngesetzes nicht notwendig ist, um den Veranlasser — also, konkret gesprochen, etwa ein Land, das den Streckenerhalt raumordnungspolitisch begründet an den Kosten zu beteiligen?
Sie haben richtig verstanden, Herr Kollege. Eine Änderung ist nicht notwendig.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die zweite von mir gestellte Frage bezog sich speziell auf die bayerische Situation. Ist der Bundesregierung bekannt, ob die bayerische Staatsregierung über formale Proteste und ausschließliche Forderungen an den Bund hinaus bereit ist, sich in geeigneter Form an den finanziellen Lasten für den Nebenstreckenerhalt zu beteiligen, und dies um so mehr, als bekanntlich auch für den Freistaat Bayern eine Verantwortung für den Bereich der Raumordnungs-
und Strukturpolitik besteht?
Herr Kollege, ich habe die Antwort bereits gegeben, und zwar unter Nennung auch der bayerischen Staatsregierung. Ich habe gesagt, daß die Länder von dieser Möglichkeit, Stillegungen zu verhindern und dafür dann allerdings der Bundesbahn einen angemessenen Ersatz zu leisten, keinen Gebrauch gemacht haben.
Sie haben noch zwei Zusatzfragen, Herr Abgeordneter!
Nur noch eine! Ich möchte noch einmal nachfragen: Und es ist bisher auch in keiner Form irgendeine Bereitschaft signalisiert worden?
Herr Kollege, ich kann nur das beurteilen, was an das Verkehrsministerium gegangen ist. Hierzu ist mir nichts dergleichen bekannt. Es ist dennoch möglich, daß Mitglieder der bayerischen Staatsregierung — Sie wissen ja, daß der dafür verantwortliche Minister für Wirtschaft und Verkehr Mitglied des Verwaltungsrats der Deutschen Bundesbahn ist -- z. B. beim Verwaltungsrat der Deutschen Bundesbahn eine derartige Anregung der bayerischen Staatsregierung vorgetragen haben. Das ist mir aber nicht bekannt.
Herr Parlamentarischer Staatsekretär! Ich danke Ihnen. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Die erste Frage, Frage 88, ist von dem Herrn Abgeordneten Hansen gestellt worden:
Billigt die Bundesregierung die Praxis verschiedener Bundesländer, von jedem Bewerber für den öffentlichen Dienst als Teil der Bewerbungsunterlagen einen Nachweis über die Wohn- und Aufenthaltsorte der letzten zehn Jahre anzufordern, und hat sie die Absicht, durch eine Novellierung der entsprechenden Beamtenrechtsrahmenvorschriften eine solche Praxis künftig zu verhindern?
Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schmude zur Verfügung. — Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Hansen, die Mehrzahl der personalbewirtschaftenden Stellen im Bund und in den Ländern fordern von jedem Bewerber für eine Verwendung im öffentlichen Dienst eine Erklärung über die Wohn- und Aufenthaltsorte während der letzten 10 Jahre. Nach dem Ergebnis der von mir veranlaßten Umfrage wird diese Unterlage überwiegend aus Sicherheitsgründen verlangt. Bewerber, die einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen sind, haben diese Erklärung im Interesse des unmittelbaren vorbeugenden personellen Geheimschutzes abzugeben. In den übrigen Fällen wird diese Praxis mit weiteren sicherheitsmäßigen Aspekten wie der Vorbereitung eines erst zu einem späteren Zeitpunkt erforderlichen Sicherheitsüberprüfungsverfahrens und der Ausschaltung sonstiger Sicherheitsrisiken sowie auch der Feststellung der Verfassungstreue des Bewerbers begründet.Der Umfang dieser Erklärungspflicht wird entweder unmittelbar nach oder in Anlehnung an die Maßstäbe bestimmt, die von den Länderregierungen in den Richtlinien für die Sicherheitsüberprüfung der Bediensteten festgesetzt sind. Ihnen entsprechen die einschlägigen Richtlinien für die Sicherheitsüberprüfung von Bundesbediensteten in vollem Umfange.Die dienstrechtlichen Vorschriften lassen es zu, von Bewerbern im Rahmen der Prüfung ihrer Eignung für eine in Aussicht genommene Verwendung
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10531
Parl. Staatssekretär Dr. Schmudedie Nachweise üher das Persönlichkeitsbild zu verlagen, die zur Wahrung übergeordneter Interessen erforderlich sind. Die Bundesregierung hält aus den genannten Gründen die dargestellte Praxis für angemessen.Die Entscheidung über den konkreten Umfang der Nachweise im Einzelfall bleibt der Personalhoheit der Ressorts und der Länder überlassen. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, auf eine Änderung dieser Praxis in den Ländern hinzuwirken.
Zusatzfrage!
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, können Sie meine Befürchtung teilen, daß mit der Beibehaltung dieser Maßnahme jeder Bewerber für den öffentlichen Dienst in den Verdacht gerät, zumindest potentiell ein Verfassungsfeind zu sein?
Herr Kollege Hansen, diese Befürchtung teile ich nicht; denn die hier vorgesehene und durchgeführte Einzelfallprüfung dient ja gerade dazu, im Regelfall das Gegenteil von dem, was Sie für möglich halten, festzustellen.
Es liegt keine Zusatzfrage mehr vor.
Ich rufe die Frage 90 der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin auf:
Findet die Tatsache, daß seit Beginn der Anwendung des Ministerpräsidentenbeschlusses Laut Süddeutscher Zeitung vom 27. Januar 1975 allein im Land Baden-Württemberg ca. 48 000 Angehörige und Bewerber des öffentlichen Dienstes auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft wurden, nach Größenordnung und Zwecksetzung ihre Entsprechung in der Praxis der Bundesverwaltung für ihren Zuständigkeitsbereich?
Bitte, Herrr Staatssekretär!
Frau Kollegin, nach § 4 Abs. 1 des Beamtenrechtsrahmengesetzes darf in das Beamtenverhältnis nur berufen werden, wer die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt. Ob diese gesetzliche Voraussetzung vorliegt, muß in jedem einzelnen Fall der Einstellung eines Beamten beim Bund, bei den Ländern, den Gemeinden und den sonstigen öffentlichen Dienstherren geprüft werden.
Der Beschluß der Regierungschefs des Bundes und der Länder vom 28. Januar 1972 hat keine Änderung der bestehenden Rechtslage bewirkt. Das Verfahren für die danach notwendigen Prüfungen regeln die Länder und die Bundesressorts in eigener Verantwortung. Die Bundesregierung verfügt nicht über eine Zusammenstellung der Angaben aus den einzelnen Ressorts, wie sie für einen Vergleich mit der Praxis des Landes Baden-Württemberg erforderlich wäre. Eine entsprechende Erhebung, die einen erheblichen Zeitaufwand erfordert, ist eingeleitet worden.
Eine Zusatzfrage?
Dann rufe ich die Frage 91 der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin auf:
Wie lauten die entsprechenden Zahlen in den anderen Bundesländern?
Die Antwort der Länder auf meine Frage nach entsprechenden Zahlen liegt noch nicht vor. Ich kann Ihnen das Ergebnis unter diesen Umständen nur schriftlich mitteilen.
Herr Staatssekretär, wären Sie in der Lage, dieses schriftliche Nachreichen in angemessener, d. h. sehr baldiger Frist zuzusagen?
Nachdem, Frau Kollegin, die Umfrage sofort eingeleitet worden ist, glaube ich, daß die vorgesehene unverzügliche Zuleitung der Antwort bzw. des Ergebnisses auch zeitlich eine baldige Zuleitung, eine sehr baldige Zuleitung bedeutet.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Arndt.
Herr Staatssekretär, würden Sie meiner Meinung zustimmen, daß diese .Überprüfung auch eine Schutzfunktion besitzt, die im Interesse der Bewerber für den öffentlichen Dienst liegt?
Zweifellos, Herr Kollege Arndt. Dies ist eine mit der Überprüfung eintretende sehr positive Wirkung.
Zusatzfragen liegen nicht mehr vor. Ich darf mich bedanken, Herr Staatssekretär Schmude.Wir sind am Ende der Fragestunde. Ich gebe noch bekannt, daß die Fragen 93, 94, 106 und 107 von den Fragestellern zurückgezogen worden sind. Die übrigen nicht behandelten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen zum Stenographischen Bericht abgedruckt.Wir kommen nun zu Punkt 6 der Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
— Drucksache 7/580 —Bericht und Antrag des Rechtsausschusses
Drucksache 7/3195 —
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10532 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Vizepräsident Frau FunckeBerichterstatter: Abgeordneter DürrAbgeordneter Dr. Stark
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Einzelberatung. Wortmeldungen liegen nicht vor.Wer in der zweiten Lesung dem Art. 1 und dem Art. 2, der Einleitung und Überschrift die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. -- Gegenprobe! Enthaltungen? — Einstimmig angenommen!Wir kommen zurdritten Beratung.Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Collet, bitte schön!
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf namens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zur dritten Beratung der Grundgesetzänderung, die wir uns für heute vorgenommen haben, das Wort nehmen. Ich möchte fast sagen: „aller guten Dinge sind drei." Aber es dreht sich eigentlich nur um e i n gut Ding, für das wir in diesem Hause drei Anläufe in drei Legislaturperioden genommen haben. Ich glaube, Sie alle sind mit mir der Meinung, daß wir heute froh sind, miteinander diese Änderung vornehmen zu können.Worum geht es? Unsere Kolleginnen und Kollegen im Petitionsausschuß, die dankenswerterweise immer wieder eine mühevolle Tätigkeit auf sich genommen haben, stützen sich bis heute für ihre Arbeit nur auf einen einzigen Satz im Grundgesetz. Es heißt in Art. 17:Jederman hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.Dieser Artikel hat dazu geführt, daß wir bemüht waren, in den §§ 112 und 113 unserer Geschäftsordnung eine weitere Grundlage für die Arbeit des Petitionsausschusses zu schaffen.In das Grundgesetz soll nunmehr folgender Art. 45 c eingefügt werden:
Der Bundestag bestellt einen Petitionsausschuß, dem die Behandlung der nach Artikel 17 an den Bundestag gerichteten Bitten und Beschwerden obliegt.
Die Befugnisse des Ausschusses zur Überprüfung von Beschwerden regelt ein Bundesgesetz.
Die Vorgeschichte dieser Angelegenheit und was nun erreicht werden soll, haben viele von Ihnen in den vergangenen Legislaturperioden mit verfolgen können. Die Verwaltung unserer hochtechnisierten Welt ist so kompliziert, daß die Bürger sich gegenüber einer Bürokratie mehr und mehr hilflos fühlen.Man mag dem das Argument entgegenhalten, daß sie die Möglichkeiten des Rechtsschutzes haben, daß sie z. B. die Verwaltungsgerichte in Anspruch nehmen können. Aber auch diese Maschinerie ist für die Bürger unseres Landes sehr unüberschaubar und zum Teil noch anonymer als die Bürokratie. Seit es einen Petitionsausschuß gibt, so möchte ich fast sagen, sind seine Arbeitsmöglichkeiten unzulänglich. Seine Mitglieder haben keine Möglichkeit zur Akteneinsicht und keine direkte Informationsmöglichkeit.Sowohl die Diskussion in diesem Haus als auch in den Länderparlamenten hat immer wieder dazu geführt, daß man Überlegungen anstellte, wie man das Petitionsrecht verbessern kann. Parallel dazu ist auch eine Diskussion über die Einführung eines Ombudsmanns entstanden. Die einen haben Parallelen im schwedischen Bereich gesucht; andere haben den Wehrbeauftragten als Beispiel dafür angeführt, wie man es machen könnte. Ein einziges Bundesland, nämlich Rheinland-Pfalz, hat dann einen solchen Ombudsmann eingeführt. Wir beobachten dessen Arbeit mit Interesse und — das muß ich hinzufügen — nicht ohne Skepsis.1968 hat sich dann endlich eine Konferenz der Präsidenten der Landtage dafür entschieden, daß es besser ist, das Petitionsrecht auszubauen, als einen Ombudsmann einzuführen. Auch die Enquetekommission für Verfassungsreform, die ihre Arbeit in der 6. Legislaturperiode wegen des frühzeitigen Ablaufes dieser Legislaturperiode nicht abschließen konnte, hatte in einem Zwischenbericht dargelegt, wie sie zu diesen Fragen steht, und verlangt, daß eine verfassungsrechtliche Verankerung des Petitionsausschusses Platz greifen solle. Sie hat sich ebenfalls gegen den Ombudsmann ausgesprochen.Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, daß es uns allen ein Anliegen ist — und schon immer war —, das Verhältnis des Bürgers zum Parlament und dadurch auch zur Demokratie überhaupt zu verbessern. Wir meinen, daß dies nur durch eine Stärkung des Parlaments und der Parlamentarier in der Wahrnehmung der Interessen der Bürger möglich ist. Dies ist, wie ich meine, nicht durch die Einführung einer neuen Behörde möglich, wie sie ein solcher Ombudsmann mit seinen Verbindungsleuten überall im Lande wäre. Dies ist nur möglich, indem man zum einen dem Petitionsausschuß, darüber hinaus aber auch dem einzelnen Abgeordneten mehr Rechte gibt. Denn nicht nur der Petitionsausschuß arbeitet mit Petitionen; der einzelne Abgeordnete ist für den Bürger sehr häufig auch eine Art Anlaufstelle, eine Art Petitionsbehörde. Es hängt von unseren zeitlichen und sonstigen Möglichkeiten ab, inwieweit wir den Anliegen der Bürger Rechnung tragen können.Der Petitionsausschuß soll also auf der Grundlage der heute zu beschließenden Grundgesetzänderung das Recht bekommen, Aktenvorlage zu verlangen, Akteneinsicht zu haben und Informationen an Ort und Stelle zu bekommen. Er hat bisher nicht das Recht, Auskunftsrechte gegen Dritte in Anspruch zu nehmen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10533
ColletIch deutete schon an, daß bereits in der 5. Legislaturperiode damals initiiert durch Helene Wessel, die damalige Vorsitzende des Petitionsausschusses; ich hatte selbst Gelegenheit, dabei mitzuwirken — die ersten Vorlagen eingebracht wurden. Ich habe schon erwähnt, daß es in der 6. Legislaturperiode nicht zu einer Verabschiedung kam. Heute kann ich nunmehr feststellen, daß alle beteiligten Ausschüsse — der federführende Rechtsausschuß, der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung und der Petitionsausschuß — eine gegenüber der ursprünglichen Vorlage kürzere und gestrafftere Vorlage erarbeitet haben. Dabei war der Rechtsausschuß ebenso wie die mitbefaßten Ausschüsse der Meinung, daß eine Ausdehnung der neuen, eingreifenden Befugnisse auch auf die Behandlung von Bitten, also nicht nur Beschwerden, eine nicht mehr abgrenzbare Zuständigkeit des Petitionsausschusses schaffen würde.
Einen Augenblick, bitte, Herr Kollege! — Meine Damen und Herren, ich bitte, Platz zu nehmen und Ruhe zu halten. Es geht hier um eine Änderung unseres Grundgesetzes, und dafür sollten wir dem Redner auch hinreichende Möglichkeiten der Darlegung geben. Ich bitte um Ruhe.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf sagen, daß die drei beteiligten Ausschüsse Ihnen heute die vorgelegte Fassung zur Beschlußfassung empfehlen.
Das Wort hat der Abgeordnete Stark.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde es um so kürzer machen, je ruhiger Sie mir zuhören. Ich habe gerade meinem Kollegen Collet zugehört und festgestellt: Es ist sehr schwierig, hier bei dieser Unruhe zu reden.Meine Damen und Herren, seit Jahren besteht innerhalb unseres Hauses weitgehend Einigkeit darüber, daß die Rechte des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages im Interesse eines wirksameren Petitionsrechts und auch einer wirksameren Kontrolle der Verwaltung und der Regierung verbessert werden sollten. Bereits im 5. und 6. Deutschen Bundestag wurden Ansätze dafür gemacht und von allen Parteien entsprechende Anträge eingebracht. Aus den verschiedensten Gründen, die ich wegen der Kürze der Zeit hier nicht erwähnen will, konnte die Verbesserung des Petitionsrechts nicht vorgenommen werden. Mit den vorliegenden Gesetzentwürfen — Drucksachen 7/3552 und 7/3195 — soll nun durch eine Änderung des Grundgesetzes und durch ein Gesetz über die Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages die längst erforderliche Verbesserung des Petitionsrechts verwirklicht werden.Meine sehr geehrten Damen und Herren, Änderungen des Grundgesetzes sollten nach Auffassung meiner Fraktion nicht leichthin und voreilig vorgenommen werden, sondern nur wenn eine Prüfung ergibt, daß dafür eine Notwendigkeit im Interesse der Funktionsfähigkeit unserer parlamentarischen Demokratie besteht. Lassen Sie mich deshalb in aller Kürze einige Bemerkungen zur Notwendigkeit der Grundgesetzänderung im Zusammenhang mit der Verbesserung des Petitionsrechtes machen.Grundlagen des Petitionsrechtes des Deutschen Bundestages sind im Augenblick Art. 17 GG und die §§ 112 und 113 der Geschäftsordnung. Adressat des Art. 17 GG ist aber allein der Bürger. Durch diesen Artikel wird in keiner Weise festgelegt, in welchem Rahmen, mit welchen Kompetenzen und welchem Instrumentarium der Deutsche Bundestag dem Petitionsrechts des Bürgers gerecht werden kann. Im Interesse der Wahrung und der wirksamen Ausgestaltung des Petitionsrechtes müssen deshalb die Rechte und Kompetenzen des Petitionsausschusses auf einer von der Verfassung getragenen Grundlage bestimmt werden.Durch das einfache Gesetz über die Befugnisse des Petitionsausschusses werden dem Petitionsausschuß erstmals selbständige Kontrollrechte, wie unmittelbare Auskunft gegenüber der Verwaltung, Aktenvorlage, Inspektion der staatlichen Einrichtungen und Ladung von Zeugen und Sachverständigen, eingeräumt. Diese erweiterten Rechte und Befugnisse des Petitionsausschusses sind durch den Art. 17 GG nicht gedeckt. Die dem Petitionsausschuß zu gebenden erweiterten Befugnisse im Interesse einer wirksamen Kontrolle der Verwaltung müssen deshalb im Grundgesetz verankert werden. Die vom Rechtsausschuß einmütig vorgeschlagene Einfügung des Art. 45 c in der Fassung der Drucksache 7/3195 trägt diesem Anliegen Rechnung. Die vorgesehene Gesetzesfassung ermöglicht es, daß der Petitionsausschuß die entsprechenden Rechte und Kompetenzen bekommt. Sie vermeidet es andererseits, daß der Petitionsausschuß zu einem Untersuchungsausschuß oder gar ständigen Ausschuß wird.Bei der Diskussion dieser Frage wurde nun in den Ausschüssen — es waren vier Ausschüsse beteiligt — auch die Frage diskutiert, ob an Stelle einer Erweiterung der Rechte des Petitionsausschusses nicht ein sogenannter Bürgerbeauftragter oder Ombudsmann eingeführt werden sollte. Dieser Frage kommt in der parlamentarischen Diskussion, so glaube ich, eine hohe Bedeutung zu. Meine Fraktion hat sich nach Erörterung allen Für und Widers aus folgenden Gründen für die Verstärkung der Rechte des Petitionsausschusses und gegen die Einführung eines Ombudsmannes ausgesprochen.Erstens. Auf Grund des Art. 17 GG könnte ein Ombudsmann immer nur neben dem Petitionsausschuß eingerichtet werden. Das würde zu einer Zweigleisigkeit führen, die viele verfassungsrecht-
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10534 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Dr. Stark
liche und organisatorische Abgrenzungsschwierigkeiten zur Folge haben würde.Zweitens. Die föderative Struktur der Bundesrepublik läßt die Einrichtung eines Bundesombudsmannes nicht zu, der auch für die Länder zuständig wäre. Deshalb wäre für jedes Bundesland ebenfalls ein Ombudsmann vorzusehen, ja, man müßte das dann bis in den kommunalpolitischen Bereich fortsetzen.Drittens. Anders als in den skandinavischen Ländern, wo der Ombudsmann eingeführt wurde, ist in der Bundesrepublik der Rechtsschutz des Bürgers in einer Weise ausgestaltet, die man — zumindest von der Zahl der Instanzen her — als optimal betrachten muß. Wir haben, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, eine ausgebaute Verwaltungsgerichtsbarkeit, eine weite Ausgestaltung der Verfassungsgerichtsbarkeit mit einem unmittelbaren Verfassungsbeschwerderecht des Bürgers, und wir haben Spezialgerichte auf den verschiedensten Ebenen wie z. B. Sozialgerichte und Arbeitsgerichte. Bei dieser Ausgestaltung des Rechtsschutzes, den manche schon als „Rechtswegestaat" bezeichnen, ist für einen Bürgerbeauftragten keine Notwendigkeit vorhanden.Viertens. Wir befürchten, daß durch die Einführung eines Ombudsmannes letztlich doch nur eine weitere kostspielige Bürokratie zur Überwachung der Bürokratie eingerichtet würde.Fünftens. Bei der Einführung eines Ombudsmannes, der ja wohl von der jeweiligen Regierungsmehrheit gewählt werden müßte, bestünde die Gefahr der Politisierung dieser Einrichtung. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß ein von einer parlamentarischen Mehrheit gewählter und parteipolitischer Ombudsmann eine bestimmte politische Meinung mit in das Amt einbringt und nicht immer in der Lage ist, die im Interesse des Petenten erforderliche kritische Einstellung zum Handeln der jeweiligen Regierung und der Verwaltung mitzubringen.Ein ganz grundsätzlicher Einwand, meine Damen und Herren, der hier unser Selbstverständnis als Abgeordnete berührt: Bei der Einführung eines Ombudsmannes besteht die Gefahr der Abwertung der spezifischen Aufgabe der Abgeordneten, nämlich, die Regierung und Verwaltung zu kontrollieren und auch selbst initiativ zu werden, wenn er Mißbräuche feststellt.
Wir sind der festen Überzeugung, daß ca. 23 Mitglieder des Petitionsausschusses, die ihre Aufgabe ernst nehmen und nur sich selbst und ihrem Wähler verantwortlich sind, mehr garantieren, daß der Petent nach Art. 17 zu seinem Recht kommt, als ein von einer Regierungsmehrheit eingesetzter, wenn auch „hoch angesetzter" Bürgerbeauftragter, selbst wenn er mit einem ausgezeichneten Stab von Beamten versehen ist.Aus allen diesen Gründen haben wir uns für die Verstärkung des Petitionsausschusses und gegen die Einrichtung eines Ombudsmannes entschieden.Ich darf hier nur noch folgendes sagen. Ich habe einmal den Versuch gemacht, mich in die Frage desOmbudsmannes hineinzulesen und festzustellen, wer alles wofür einen Ombudsmann will. Ich bin bis zu 20 „kleinen Ombudsmännern" gekommen: für Verbraucher, für Kinder, für Umweltschutz, für Ausländer, für Soziales und alles mögliche andere. Das Parlament würde umgeben von lauter Ombudsleuten, und diese würden dann quasi eine vierte Gewalt in diesem Staat. Ich bitte also, auch über diesen Aspekt der Frage einmal nachzudenken.
Aus allen diesen Gründen haben wir uns für die jetzt vorgeschlagene Lösung entschieden, und wir sind deshalb — das darf ich für meine Fraktion erklären für diese Grundgesetzänderung.Ich muß allerdings zum Schluß sagen, daß wir mit Bedauern davon Kenntnis nehmen mußten, daß die Regierungsparteien SPD und FDP im letzten Moment von der zunächst vorgesehenen Ausgestaltung des einfachen Gesetzes wieder abgegangen sind und wesentliche Rechte, die ich persönlich und viele meiner Freunde als notwendig für den Petitionsausschuß angesehen hätten, wieder aus dem Gesetzentwurf herausgenommen haben. Zu diesem Punkt und der Bedeutung dieser Fragen wird meine Kollegin Berger im Anschluß nachher bei der Verabschiedung des einfachen Gesetzes sprechen.Ich darf noch einmal sagen: Wir werden der Grundgesetzänderung trotz gewisser Bedenken gegen das einfache Gesetz zustimmen.
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr begehrt.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Nach Art. 79 Abs. 2 GG bedarf die Annahme der Grundgesetzänderung der Zweidrittelmehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl dieses Hauses. Wir müssen, weil nicht namentliche Abstimmung begehrt ist, auszählen. Die Berliner Kollegen bitte ich im Saale zu bleiben und hier vorn abzustimmen. Die übrigen Mitglieder des Hauses bitte ich, den Saal zu verlassen.Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Abgegebene Stimmen: insgesamt 386 voll stimmberechtigte Mitglieder des Hauses und 13 Berliner Abgeordnete. Es haben zugestimmmt 381 voll stimmberechtigte Abgeordnete und 13 Berliner Abgeordnete. Mit Nein hat niemand gestimmt, 5 Kollegen haben sich der Stimme enthalten.Damit ist die für die Annahme des Gesetzes erforderliche Mehrheit von mindestens 331 Zustimmungen erreicht. Die Grundgesetzänderung ist angenommen.Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Punkt 7 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bun-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10535
Vizepräsident Frau Funckedestages
— Drucksache 7/581 -Bericht und Antrag des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Drucksache 7/3252Berichterstatter: Abgeordneter ColletAbgeordneter Dr. Stark
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Das Wort zu einer Erklärung hat der Herr Abgeordnete Hansen.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der eben erfolgten Abstimmung ist nun der Weg frei für das Ihnen vorliegende einfache Gesetz über die Befugnisse des Petitionsausschusses. Dieses Gesetz erweitert die Kontrollbefugnisse des Parlaments. Es ermöglicht den Mitgliedern des Ausschusses, Beschwerden, rechtsuchender Bürger umfassender als bisher nacht zugehen. Der Petitionsausschuß wird sich in Zukunft durch eigene Feststellungen eine breitere Grundlage für seine Urteilsbildung verschaffen können. Dies wird erreicht durch: das Recht auf Auskünfte und Aktenvorlage durch Bundesregierung und Bundesbehörden, das Recht auf Überprüfung von Beschwerden an Ort und Stelle, das Recht, außer dem Beschwerdeführer Zeugen und Sachverständige zu hören, das Recht auf Amtshilfe durch Gerichte und Verwaltungsbehörden.Diese Reform des Petitionswesens, meine Damen und Herren, hat einen langen und mühsamen Weg hinter sich. Schon zu Beginn der 60er Jahre ließ langjährige Erfahrung die Mitglieder des Petitonsausschusses erkennen, daß ihre Rechte und Arbeitsmöglichkeiten nicht ausreichten, um in vielen Einzelfällen die Berechtigung von Eingaben und Beschwerden schnell und gründlich zu prüfen. Es war die langjährige sozialdemokratische Vorsitzende des Ausschusses, Helene Wessel,
die sich als eine der ersten nachdrücklich für baldige Abhilfe einsetzte. Am 13. Dezember 1967 hat sie dann in diesem Hause eindringlich für die notwendige Erweiterung der Befugnisse des Petitionsausschusses plädiert. Ihre Forderungen führten zu entsprechenden Gesetzentwürfen, die in der 6. und 7. Legislaturperiode weitgehend inhaltsgleich eingebracht wurden, leider aber nicht mehr verabschiedet werden konnten, und die wir heute in der vorliegenden Form zu einem guten Ende bringen wollen.Gestatten Sie mir, an dieser Stelle auch zu erwähnen, daß der Bundespräsident Gustav Heinemann sich in der 6. Legislaturperiode ebenfalls sehr entschieden für mehr Rechte für den Petitionsausschuß ausgesprochen hat.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist auch als regierungstragende Mehrheit stets dem von Helene Wessel angestrebten Ziel verpflichtet geblieben. Wir wollen den Petitionsausschuß aus seiner Abhängigkeit von den Stellungnahmen der Verwaltung, gegen die sich meistens die Beschwerden richten, lösen. Dieser Gesetzentwurf wird von uns ausdrücklich begrüßt, weil er die Kontrolle über die Exekutive durch das Parlament entscheidend verbessert und die Bürgerrechte stärkt. Seine Regelungen schaffen die Voraussetzungen für die Möglichkeit, ein weiteres Stück sozialer Demokratie zu verwirklichen. Damit werden wir weit wirksamer als bisher Menschen helfen können, die unverschuldet in Not geraten sind oder die immer wieder durch jedes noch so dicht geknüpfte Netz sozialer und rechtlicher Sicherungen fallen, oft weil ihre Zahl zu gering ist für eine besondere gesetzliche Regelung. Wir denken dabei vor allem auch an die vielen sozial Schwachen in diesem Land, die keine mächtige außerparlamentarische Lobby hinter sich haben, wenn sie ihr Recht suchen und Hilfe brauchen.Man kann verstehen, daß sich die Opposition aus ihrer parlamentarischen Rolle und ihrem besonderen Selbstverständnis heraus noch weitergehende Rechte gewünscht hätte. Wir sind aber der Meinung, daß Zweck und Ziel der erweiterten Befugnisse mit dem vorliegenden Gesetzentwurf vollauf erreicht werden. Herr Kolle Stark, ich bin nicht der Meinung, daß hier wesentliche Abstriche erfolgt sind. Wir haben lediglich einerseits Überflüssiges gestrichen und andererseits Bedenkliches herausgenommen. Ein Beispiel für das Überflüssige: In § 1 Abs. 2 war die Anwesenheitspflicht der Bediensteten besonders erwähnt. In dem Bericht zu dem Gesetz ist ausdrücklich vermerkt, daß wir § 5 so auffassen, daß unter den Zeugen auch Bedienstete gehört werden können. Dies zum ersten.Zum zweiten: Ich nehme an, daß die Kollegen der Opposition, die gleich reden werden, auf das Entfallen des § 9 abheben werden, in dem das Quorum verankert war, nach dessen Inhalt mit einem Viertel der Stimmen der Mitglieder des Ausschusses der Petitionsausschuß gezwungen werden sollte, von seinen Rechten Gebrauch zu machen. Wir sehen dies als entbehrlich, aber nicht nur das, sondern für diesen Ausschuß politisch unter Umständen auch als bedenklich an. Denn meines Erachtens sollte niemand der Versuchung erliegen, diese Befugnisse als Waffe im politischen Kampf gegen die Bundesregierung mißbrauchen zu wollen.
Ich hoffe, wir bleiben uns mit den Kolleginnen und Kollegen der Opposition darin einig, daß es der Arbeit gerade dieses Ausschusses mit seiner vorrangigen Aufgabe, zum Wohl aller Bürger tätig zu sein, schlecht bekäme, wenn man aus sachlichen Kontroversen parteipolitisches Kapital zu schlagen suchte. Jetzt kommt es vielmehr darauf an, die neuen Rechte im Interesse der betroffenen Bürger umsichtig anzuwenden und praktische Erfahrungen damit zu sammeln.Von dem Instrument erweiterter Befugnisse erwarten wir: daß der eigene Augenschein von Abge-
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Hansenordneten und nicht mehr das Vorbringen der beklagten Behörde für das Ergebnis der Untersuchung einer strittigen Beschwerde entscheidend ist; daß schon das bloße Vorhandensein erweiterter Kontrollbefugnisse des Parlamentes die Verwaltungspraxis weiter verbessern wird und auf diese Weise auch dazu beiträgt, das Verhältnis zwischen Bürger und Verwaltung zu vermenschlichen; daß der Ausschuß das gesamte Arsenal seiner Möglichkeiten eigener unmittelbarer Sachaufklärung, Tatsachenfeststellung und Wahrheitsfindung nur sparsam, in Einzelfällen dann aber um so exemplarischer wird einsetzen müssen; daß dadurch das Ansehen des Ausschusses gehoben und damit das Vertrauen der Bürger in die Volksvertretung insgesamt gefördert wird.Um so besser, wenn sich dann in vielen Fällen wie bisher als Gewißheit herausstellt, daß die Behörden korrekt gehandelt und richtig entschieden haben.Es wird allerdings notwendig sein, den Ausschuß und seine Arbeit in der Öffentlichkeit besser darzustellen. Hier könnten alle Medien eine verdienstvolle Aufgabe als Mittler zwischen den Bürgern und ihren Volksvertretern finden. Noch immer kennen nämlich bei weitem nicht alle Bürger in diesem Land das ihnen grundgesetzlich garantierte Recht, sich jederzeit mit Bitten und Beschwerden an die Volksvertretungen des Bundes und der Länder zu wenden. Rechte, von denen man nichts weiß, sind aber so gut wie ungeschrieben.
Lassen Sie mich abschließend noch einmal an ein Wort von Helene Wessel erinnern, die den heute zu Ende kommenden Prozeß der Erweiterung der Befugnisse in die Wege geleitet hat. Sie sagte damals — ich darf mit Genehmigung der Frau Präsident zitieren —:Aus den Petitionen lernen Ausschuß und Volksvertreter die wirklichen Nöte und Bedürfnisse der Bürger kennen. Der Petitionsausschuß ist die höchste Stelle im Staate, wo der Bürger einmal sein Herz ausschütten kann. Er ist damit wie kaum ein anderer Ausschuß des Bundestages ein Bindeglied, eine Kontaktstelle zwischen Bürger und Staat, eine Nahtstelle zwischen Gesetz und Mensch; er hat die Hand am Pulsschlag des Volkes.Damit der Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages nicht nur die Sorgen und Nöte erkennen, sondern ihnen auch besser gerecht werden kann, stimmt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion diesem Gesetzentwurf zu.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Berger .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 7/580 und 7/581, dieIhnen heute mit den Berichten und Anträgen der beteiligten Fachausschüsse — Drucksachen 7/3195 und 7/3252 — zur abschließenden Beratung vorliegen, gehen auf einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen zurück.Inhaltsgleiche Gesetzesvorlagen waren bereits in der 5. und 6. Wahlperiode von meinen Vorgängerinnen im Amt, Frau Helene Wessel, die der Kollege Hansen soeben bereits erwähnt hat, und Frau Maria Jacobi , gemeinsam mit den damaligen Mitgliedern des Petitionsausschusses eingebracht worden, und zwar, Herr Kollege Hansen, von den Mitgliedern aller Fraktionen im Ausschuß.Obwohl man sich damals, also vor mehr als fünf Jahren, in der Sache einig war, die Arbeitsmöglichkeiten des Petitionsausschusses verbessern zu wollen, kam es aus zeitlichen und möglicherweise auch aus anderen Gründen in beiden Wahlperioden nicht mehr zur zweiten und dritten Lesung. Die Einigkeit im Grundsatz führte aber dazu, daß sich der Petitionsausschuß der 7. Legislaturperiode schon in seiner ersten Sitzung Anfang Februar 1973 erneut mit dieser Frage befaßte.Herr Kollege Hansen, Sie haben hier mit der Ihnen angeborenen Liebenswürdigkeit gesagt, daß Sie sehr wohl verstehen könnten, daß sich die Opposition weitergehende Rechte gewünscht hätte, als es jetzt hier aus den veränderten Fassungen der Fachausschüsse hervorgeht. Da muß ich Sie aber mit Ihrer freundlichen Erlaubnis und, wie ich sicher bin, auch Unterstützung daran erinnern, daß wir ja hier in dieser 7. Wahlperiode nach einer ganz außerordentlich gründlichen Vorbereitung — auch mit Vertretern der Bundesregierung — am 15. März 1973 eine abschließende Besprechung mit den Vorsitzenden der zuständigen Arbeitskreise aller Fraktionen sowie mit den Vorsitzenden des Rechts- und des Geschäftsordnungsausschusses gehabt haben, in der wir Einigkeit darüber erzielt haben, daß die Befugniserweiterung nach dem einfachen Gesetz in der Fassung vorgelegt werden sollte, wie sie in Drucksache 7/581 festgehalten ist. Also zumindest zu dieser Zeit waren wir durchaus der Ansicht, daß die weitergehenden Rechte von dieser Form unvermindert festgesetzt werden sollten. Die erste Lesung der beiden Gesetzentwürfe mit Überweisung an die zuständigen Fachausschüsse erfolgte dann am 24. Mai 1973. Nach Auffassung nicht nur meiner Fraktion ist es wirklich höchste Zeit, die Dinge nach zwei Jahren endlich zum Abschluß zu bringen.Von dem Grundrecht nach Art. 17 des Grundgesetzes haben in den 25 Jahren des Bestehens der Bundesrepublik mehr als 1,3 Millionen Bürger Gebrauch gemacht. Sie fühlten sich durch die Verwaltung, durch das Verhalten von Beamten benachteiligt oder ungerecht behandelt, oder sie glaubten, auf Mißstände, Schwierigkeiten und Gesetzeslücken hinweisen zu müssen. Der Petitionsausschuß konnte zwar in vielen Fällen helfen, er stieß aber bei der Bearbeitung von Beschwerden immer wieder an die Grenzen seiner Möglichkeiten.Hierfür nur ein kurzes Beispiel. Wenn sich ein Bürger über die ungerechte Behandlung durch sein Arbeitsamt beklagt, muß der Ausschuß den Bundes-
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Frau Berger
minister für Arbeit und Sozialordnung hören. Dieser läßt sich dann von der Bundesanstalt für Arbeit berichten, die ihrerseits über das Landesarbeitsamt an das örtlich zuständige Arbeitsamt herantritt. Hier landet schließlich die schriftliche Aufforderung des Petitionsausschusses zur Stellungnahme auf dem Tisch des Beamten, gegen dessen Verhalten oder Entscheidung sich die Petition richtet. In anderen Ministerien ist der Instanzenweg nicht kürzer. Nach geltendem Recht bleibt dem Petitionsausschuß bei widersprüchlicher Sachverhaltsdarstellung durch den Bürger und durch die Verwaltung nur die Möglichkeit, den zeitraubenden Dienstweg hinunter und herauf erneut zu beschreiten.Vor diesem Hintergrund sind die Bestrebungen zu verstehen, den Rechtsschutz des Bürgers und die Kontrollfunktion des Parlaments gegenüber Regierung und Verwaltung durch eine Erweiterung der Befugnisse des Petitionsausschusses zu verbessern. Dem dient der Gesetzentwurf, über den wir abzustimmen haben.Ich will hier kurz noch einmal darauf hinweisen: Der im Bundestag eingebrachte Entwurf der drei Fraktionen — Drucksache 7/581 — sieht folgende zusätzliche Rechte des Petitionsausschusses vor:Das Recht auf Auskunft und Aktenvorlage seitens der Bundesregierung und Bundesbehörden sowie das Recht auf Anhörung von Bediensteten; das Recht auf Anhörung von Petenten, Zeugen und Sachverständigen; das Recht auf Wahrnehmung dieser Befugnisse auch außerhalb des Sitzes des Bundestages und auf Übertragung dieser Rechte auf einzelne Mitglieder des Ausschusses; schließlich das Recht auf Amtshilfe durch Gerichte und Verwaltungsbehörden.Die mit den Berichten des Rechtsausschusses und des Geschäftsordnungsausschusses im Februar 1975 vorgelegten Fassungen — Drucksachen 7/3195 und 7/3252 — enthalten nicht mehr alle im interfraktionellen Entwurf vorgesehenen Erweiterungen. Sie sind nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion auch nicht so optimal, wie es durch die ursprünglich von allen drei Fraktionen vereinbarte Fassung möglich geworden wäre.Als Minus an Befugnissen empfinde ich folgende Änderungen:Erstens. Die Anhörung von Bundesbediensteten, wie sie in § 1 Abs. 2 des ursprünglichen gemeinsamen Entwurfs vorgesehen war, hätte die Sachaufklärung durchaus erleichtern und verkürzen können. Kundige im Petitionswesen wissen, daß dies so ist. Der vom Geschäftsordnungsausschuß aufgezeigte Ausweg, Bundesbedienstete als Zeugen zu laden, ist nach meinem Urteil zu langwierig. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Regelung in der Praxis bewähren wird. Ich zweifle daran.Zweitens. Die Bestimmung des § 3 des ursprünglichen Entwurfs, die eine Anwendung der erweiterten Befugnisse in Bundesauftragsangelegenheiten auch auf Landesbehörden und ihre Bediensteten vorsah, wurde von den beratenden Fachausschüssen ebenfalls gestrichen. Befürchtungen, das Bund-Länder-Verhältnis könnte berührt werden, dürften hierbei eine Rolle gespielt haben. Mit dieser Vorschrift sollte aber lediglich eine Klarstellung der Zuständigkeit bei der Behandlung von Petitionen in Bundesauftragsangelegenheiten erreicht werden — nicht mehr, aber auch nicht weniger.Die dritte Änderung, die Ihnen von den Fachausschüssen mit Mehrheit vorgeschlagen wird, ist besonders bedauerlich, und ich frage mich, wie das wohl draußen im Lande verstanden werden wird. Herr Kollege Hansen, ich muß Ihnen freimütig sagen, daß ich Ihre Ausführungen gerade zu dieser Sache überhaupt nicht verstehen kann. Sie sprechen die Bitte aus, wir sollten es im Zusammenhang mit Meinungsverschiedenheiten über diese Frage nicht dazu kommen lassen, daß gerade aus der Petitionsbearbeitung parteipolitisches Kapital geschlagen wird. Wir wissen doch alle sehr gut, daß wir im Petitionsausschuß — vielleicht ist das sogar der einzige Ausschuß, für den das gilt — keine parteipolitische Konfrontation haben, sondern dort knallhart an einer Sache arbeiten, und daß es bei der Bearbeitung einer Petition noch niemals parteipolitische Auseinandersetzungen gegeben hat.
Ich kann nur hoffen, daß in anderen Ausschüssen mit der gleichen Härte auch mit der Regierung verhandelt wird, wie wir es tun, und zwar ohne Parteigrenzen.Nach § 9 des ursprünglichen Entwurfs sollte der Petitionsausschuß die Möglichkeit erhalten, auf Verlangen eines Viertels seiner Mitglieder von seinen Befugnissen Gebrauch zu machen. Hiervon wurde Abstand genommen, weil es nach Auffassung der Fachausschüsse einer Minderheit des Petitionsausschusses jederzeit möglich sei, eine Petition zum Gegenstand einer öffentlichen Erörterung im Plenum zu machen. Dabei weiß doch aber jeder Sachkundige im Petitionswesen, daß diese Möglichkeit eine Sachaufklärung durch den Petitionsausschuß wirklich nicht ersetzen kann.Die Minderheitenrechte sollten gerade im Interesse des einzelnen Bürgers nicht geschmälert werden. Einer Ausschußminderheit müßte es jederzeit möglich sein, von den Kontrollbefugnissen Gebrauch zu machen, die der Gesetzentwurf vorsieht. Namens der CDU/CSU-Fraktion sage ich hier mit allem Freimut, daß es ein Mehr an Demokratie gewesen wäre, wenn man das gemeinsam vorgesehene Minderheitenrecht nicht gestrichen hätte.Meine Damen und Herren, bei allem Bedauern über die von den Fachausschüssen mehrheitlich vorgeschlagenen Änderungen erwarte ich dennoch, daß die Arbeit des Petitionsausschusses mit dem zu verabschiedenden Gesetz wirkungsvoller wird.Aber mit einer Erweiterung der Befugnisse allein ist es nicht getan. Es bedarf einer Reihe weiterer Maßnahmen, wenn wir unser Ziel erreichen wollen, dem Bürger schneller und wirksamer zu helfen. Ich möchte heute nur auf zwei Punkte ganz kurz eingehen.Der eine betrifft die personelle Ausstattung und die Organisation der Zentralstelle für Petitionen und Eingaben als dem Hilfsdienst des Ausschusses. Der
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Frau Berger
Bundesrechnungshof hielt im Sommer vergangenen Jahres die Einrichtung von sechs neuen Planstellen für erforderlich. Hierbei war die Auswirkung der vorliegenden Gesetzentwürfe auf die Personalausstattung noch nicht berücksichtigt.Mit dem vorliegenden Gesetz würde der Petitionsausschuß ähnliche Befugnisse erhalten, wie sie der Wehrbeauftragte bereits hat. Deshalb drängt sich ein Vergleich mit der personellen Ausstattung und Organisation seiner Dienststelle förmlich auf. Dem Wehrbeauftragten stehen 63 Mitarbeiter zur Verfügung, davon 15 aus dem höheren Dienst. 1974 wurden 6 700 Eingaben aus dem Bereich der Bundeswehr von seiner Dienststelle bearbeitet. Die Zentralstelle für Petitionen und Eingaben hatte 1974 mit 42 Mitarbeitern — davon 9 Beamten des höheren Dienstes — 9 300 Eingaben zu bearbeiten. Grob gesehen muß also ein Drittel mehr Eingaben im Petitionsbüro mit einem Drittel weniger an Mitarbeitern bewältigt werden. Der Wehrbeauftragte hat mit fünf Referaten einen Ansprechpartner, nämlich den Verteidigungsminister. Die Mitarbeiter der drei Referate in der Zentralstelle für Petitionen und Eingaben haben es mit 16 Ministerien und weiteren Bundesbehörden zu tun. Dieser Vergleich bedeutet natürlich nicht, daß ich die Arbeitsbelastung des Wehrbeauftragten und seiner Mitarbeiter gering einschätze. Im Gegenteil. Aber ich wollte mit dem Vergleich deutlich machen: Wenn die erweiterten Befugnisse nicht nur auf dem Papier stehen sollen, dann muß die Frage der personellen Ausstattung und der Organisation des Büros überprüft werden. Der Bundesrechnungshof hat meinem Wunsch entsprochen, dies im kommenden Oktober zu tun.Zu dem zweiten Problem, dem der Besetzung des Petitionsausschusses, gestatten Sie mir bitte ein offenes Wort; hier wende ich mich an die Fraktionen und an uns alle. Der Petitionsausschuß muß parlamentarisch so besetzt sein, daß er eine gute Arbeit leisten kann. Er braucht qualifizierte Kollegen für alle Fachbereiche, er braucht Kollegen, die neben ihren sonstigen Verpflichtungen die Zeit finden, die Petitionsakten durchzuackern, und einigermaßen regelmäßig an den Sitzungen teilnehmen können. Mit Mitgliedern, die an den bisher 43 Ausschußsitzungen der 7. Wahlperiode nur sechs-, acht- oder neunmal teilnehmen konnten, ist eine sinnvolle Arbeit nur schwer möglich.Es wäre an sich auch nichts dagegen zu sagen, daß von den 27 ordentlichen Mitgliedern 16 Parlamentsneulinge sind. Aber gerade der Petitionsausschuß kann als Anwalt des Bürgers auf eine vernünftige Zahl erfahrener Parlamentshasen nicht verzichten.Ich fasse zusammen. Die vorliegenden Gesetzentwürfe — Drucksachen 7/580 und 7/581 — sollen den Rechtsschutz des Bürgers verbessern. Sie sollen helfen, das Vertrauen in den Staat zu stärken und das Ansehen des Parlaments zu mehren. Mit den erweiterten Befugnissen, die der Petitionsausschuß mit Augenmaß wahrnehmen muß, wird er in der Lage sein, seinen verfassungsrechtlichen Auftrag aus Art. 17 des Grundgesetzes wirksamer als bisher zu erfüllen. Von der Anwendung der zusätzlichen Rechte, aber auch allein von ihrem Vorhandensein, kann eine merkliche Verbesserung des Verhältnisses des Bürgers zum Parlament und damit zu unserem Staat ausgehen.Die Beratung der Gesetzentwürfe über die erweiterten Befugnisse des Petitionsausschusses erstreckt sich nun schon über mehr als zwei Wahlperioden. Die CDU/CSU möchte vermeiden, daß weitere Verzögerungen eintreten. Sie sieht deshalb trotz der vorgetragenen Bedenken davon ab, die Wiederherstellung des Gesetzentwurfs in der Fassung der Drucksache 7/581 zu beantragen.Vor diesem Hintergrund stimmt meine Fraktion der Gesetzesvorlage über die Befugnisse des Petitionsausschusses auf Drucksache 7/581 in der Fassung der Drucksache 7/3252 zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Kollege! Ich komme darauf gleich zu sprechen.
Frau Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der vorliegende Entwurf des Gesetzes über die Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages erweitert die Rechte des Ausschusses in dem Bereich, in dem die Bürger dieses Landes Hilfe vom Parlament erwarten, nämlich im Bereich der Beschwerde. Die bessere Information und die schnellere Sachaufklärung sollen es dem Ausschuß ermöglichen, seiner Aufgabe als Kontrollinstrument des Parlaments gegenüber Regierung und Verwaltung effizienter nachkommen zu können.
Unter Abwägung aller Interessen haben auch wir uns dafür eingesetzt, statt der Einführung eines Ombudsmannes die Rechte dieses Ausschusses zu stärken. Wir begrüßen, daß sich alle drei Fraktionen auf eine Stärkung dieser Rechte des Petitionsausschusses geeinigt haben, und meinen, daß trotz der gegenüber der ursprünglichen Vorlage vorgenommene Änderungen der Ausschuß mit diesem Zuwachs an Rechten gut leben kann, um so mehr, als die verfassungsrechtlichen Bedenken — z. B. bei dem ursprünglich vorgesehenen § 3 — die Hüter der Verfassung wieder auf den Plan rufen könnten.
Die Abwägung zwischen einer extensiven Ausdehnung der Rechte des Ausschusses und der Möglichkeit, ihn in die Nähe eines Exekutivorgans zu rücken, ist zu Recht vermieden worden. Entscheidungs- und Weisungsrechte gegenüber der Verwaltung werden durch dieses Gesetz nicht begründet. Der Ausschuß wird auch in Zukunft nicht durch eigene Initiative, sondern nur auf Antrag tätig werden. An dieser Stellung des Kontrollorgans ist auch in Zukunft festzuhalten. Einer denkbaren Entwicklung zum Quasi-Gnadenausschuß, der Mittel aus einem eigenen Härtefonds verteilen oder ein Vorschlagsrecht dahin gehend ausüben könnte, wird von der FDP entschieden widersprochen. Auch der Bundespräsident kann und darf nicht zu einem
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Wolfgramm
Exekutivorgan des Petitionsausschusses werden. Abgesehen von der Schwierigkeit, für die Vergabe von Mitteln eigene Kriterien zu entwickeln, würde auch die zum Einbau einer Härteklausel in jedes Gesetz und damit zur allgemeinen Rechtsunsicherheit führen. Der Ausschuß wäre mit der Übernahme solcher Funktionen nicht mehr nur ein Hilfsorgan des Parlaments.
Es wird entscheidend darauf ankommen, daß der Ausschuß diese neuen Rechte sorgfältig einsetzt und die hier gebotene Chance nutzt, das Vertrauen des Bürgers in seine Kontrollfunktionen zu stärken und diese dadurch intensiver als bisher wahrnehmen zu können. Es bedarf aber hierbei auch der Hilfe und Unterstützung des ganzen Hauses. Die FDP- Fraktion wird diese Hilfe geben.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Wer den §§ 1 bis 11, der Einleitung und der Überschrift seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe zur
dritten Beratung
auf. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer in dritter Lesung dem Gesetz zustimmen will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei drei Enthaltungen so beschlossen.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um den auf der Ihnen vorliegenden Vorlage bezeichneten Tagesordnungspunkt — Repräsentativstatistik — ergänzt werden. Dieser Punkt soll auch noch heute am Ende der Tagesordnung aufgerufen werden. — Das Haus ist damit einverstanden; die Entweiterung der Tagesordnung ist beschlossen.
Wir kehren nun zu den Tagesordnungspunkten 8 und 9 zurück. Das Wort hat der Abgeordnete Wallmann; es ist eine Redezeit von 60 Minuten angemeldet worden.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der geschätzte Kollege Arndt hat seine Ausführungen in der Summe in drei Punkten enden lassen. Er hat gesagt: 1. im Falle Guillaume ist alles Erforderliche gegeschehen, 2. Politiker und hohe Beamte haben pflichtgemäß gehandelt, und 3. im Grunde ist alles das, was wir haben zur Kenntnis nehmen müssen, nur das Ergebnis einer Kette von Mißverständnissen und unglücklicher Umstände. Herr Dr. Arndt, ich frage mich: warum ist dann eigentlich der frühere Bundeskanzler Willy Brandt zurückgetreten?
Herr Kollege Dr. Arndt, Sie haben ausdrücklich erklärt, ihn, den früheren Kanzler, treffe keinerlei Verantwortung. Sie haben wohl empfunden, daß diese Aussage in sich nicht so ganz schlüssig sei,
und haben dann angefügt, aus politischer Verantwortung sei Willy Brandt zurückgetreten. Was für eine Logik ist das eigentlich? Gibt es hier Verantwortung, oder gibt es keine Verantwortung? Und wenn es Verantwortung gibt, dann, meine ich, sollten Sie sich als Mitglied Ihrer Fraktion dazu auch bekennen, indem Sie das hier deutlich sagen.
Ich habe mich bei manchen Passagen Ihrer Rede gefragt, verehrter Herr Kollege Arndt, ob Sie eigentlich in dem gleichen Untersuchungsausschuß gewesen sind, in dem ich gesessen habe.
Ihre Schlußfolgerungen und das, was Sie als Ergebnis Ihrer Würdigung hier vorgetragen haben, können sich nicht auf die nüchternen Beweisergebnisse gründen, die wir in diesem Untersuchungsausschuß feststellen konnten.Natürlich sind Fehler gemacht worden, auch in den Diensten. Ganz gewiß hat es auch Koordinationsmängel gegeben. Keiner von uns aus den Reihen von CDU und CSU hat irgendwo versucht, nun schwarzweißzumalen und Verantwortlichkeit nur einseitig politisch Verantwortlichen anzulasten. Aber Sie haben noch etwas anderes gesagt, Herr Dr. Arndt; im Grunde genommen haben Sie — ich muß es sagen — all diese politische Verantwortlichkeit, die doch unbestreitbar vorhanden ist, unter den Teppich zu kehren versucht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Bürger wollen nicht den autoritären, wohl aber den freiheitlichen, den sozialen, den handlungsfähigen Rechtsstaat mit Rechtsautorität hier in diesem unserem Lande.
Wenn Sie, Herr Dr. Arndt, Fehlentscheidungen, Versäumnisse, Versagen staatlicher Organe, hoher Beamter, hoher Politiker verharmlosen, unter den Teppich kehren und dabei vom Thema abgelenkt wird, leisten Sie diesem Staat einen Bärendienst,
denn er verliert damit im Bewußtsein der Menschen als eine werthafte Institution an Achtung und an Respekt. Was nützen Grundrechte ohne den entschlossenen Rechtstaat? Der einzelne hat Anspruch auf Gewährleistung des Grundrechtskatalogs. Für jeden einzelnen gilt das. Er hat den Anspruch auf Sicherung der Freiheit, des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und dergleichen mehr durch diesen unseren Staat, nicht irgendeinen Staat, sondern diesen Rechtsstaat. Indem Sie verharmlosen, indem Sie nicht bereit sind, auch zuzugeben, wo es hier Fehlentscheidungen und dergleichen gegeben hat, denaturieren Sie diesen Staat im Bewußtsein unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger. Das Bekenntnis zum Staat und seiner Handlungsfähigkeit wäre, so meine
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Dr. Wallmannich, gerade am Schluß der Arbeit dieses Untersuchungsausschusses die größte Aufgabe gewesen, die wir hier zu erfüllen haben, weil nur durch einen intakten Staat, und zwar nicht irgendeinen, sondern den sozialen, freiheitlichen Rechtsstaat die Gewährleistung individueller Freiheits- und Menschenrechte möglich wird. Daß Sie dies nicht getan haben, Herr Dr. Arndt, halte ich — ich muß es sagen — für keine gute Sache.
Meine Damen und Herren, mit dem heutigen Tage endet das parlamentarische Untersuchungsverfahren. Ich selbst — das sage ich ganz offen — bin froh, daß ich damit aus den Pflichten des Ausschußvorsitzenden entlassen bin, denn nun kann auch ich als Politiker frei und offen die Beweisergebnisse würdigen und werten.Die erste Frage, die seit Bekanntwerden des spektakulären Agentenfalles Guillaume über allem stand, lautete: Haben die Regierenden von SPD und FDP bei Einstellung und Weiterbeschäftigung Guillaumes das Gesamtinteresse dieses Staates, unserer Bundesrepublik Deutschland beachtet? Haben sie im Bewußtsein ihrer Pflicht gegenüber dem Gemeinwesen gehandelt, oder haben sie Parteiinteresse an die Stelle des Staatsinteresses gesetzt?Meine Damen und Herren, die Öffentlichkeit war und ist tief betroffen. Die Frage, wie eine derartige Spionageaffäre in einer Zeit angeblicher Entspannung und Normalisierung geschehen konnte, ist auch heute nicht verstummt. Sie hat mit bewirkt, daß die Chancen, die zur vertrauensvollen Zusammenarbeit von Staaten mit gegensätzlichen Gesellschaftsordnungen führen könnten, inzwischen sehr viel nüchterner beurteilt werden.Der Rücktritt Willy Brandts machte den Fall zum spektakulären Ereignis. Und noch mehr schockierte die Begründung, die der frühere Kanzler für seinen Rücktritt gab. Sein Wort, ein deutscher Bundeskanzler lasse sich nicht erpressen, rief Ratlosigkeit, Fragen, Zweifel, Vermutungen hervor. In seinem Buch „Über den Tag hinaus" wiederholte er einen anderen Satz — ich zitiere —:Nach den Erfahrungen im Fall Guillaume war ich für Verhandlungen mit der DDR und vielleicht darüber hinaus nicht mehr unbefangen genug.Damit wurden Spekulationen über die Bedeutung Guillaumes geradezu herausgefordert. Und was meint Brandt mit seiner Erklärung, er übernehme die politische und persönliche Verantwortung für Fahrlässigkeiten im Zusammenhang mit der Spionageaffäre? Sicherlich, meine Damen und Herren, Willy Brandt ist nicht mehr Bundeskanzler. Ob er freiwillig zurückgetreten ist oder ob er zum Rücktritt gezwungen wurde, mag dahingestellt bleiben. Aber nahezu ein Jahr nach seinem Rücktritt ist keine dieser Fragen wirklich schlüssig beantwortet. Auch nach Ende ides Untersuchungsverfahrens läßt sich keine Feststellung darüber treffen, ob Willy Brandt in irgendeiner Weise persönliche Verantwortung im Zusammenhang mit der Agentenaffäre trägt oderob er gar persönlich in irgendeiner Weise schuldig geworden ist. Und auch seine ebenso peinlichen wie deplacierten Bemerkungen über das „anständige Deutschland", das angeblich hinter ihm stehe, oder über den „Säulenheiligen", der er nie gewesen sei, können uns nicht weiterhelfen.
Abgesehen davon kann und muß festgehalten werden — und dieser Vorwurf ist in seiner Tragweite schlimm genug —: Die Reaktion der Regierung auf den Fall Guillaume ist die Folge schweren Versagens der Staatsführung der sogenannten sozialliberalen Koalition. Sie ist nicht in der Lage gewesen, mit einer schweren Krise ehrlich und offen fertig zu werden. Im Gegenteil, sie hat bis in den Untersuchungsausschuß hinein zu vertuschen und Schönfärberei zu treiben versucht.
Ruft man sich bei dieser Gelegenheit die Regierungserklärungen — ich muß sagen: die gestelzten Regierungserklärungen — der Jahre 1969 und 1972 in Erinnerung, in denen von mehr Demokratie und mehr Offenheit, von Bürgernähe und Transparenz die Rede war, so ist in dieser Spionageaffäre in erschütternder Weise das Auseinanderfallen von Anspruch und Wirklichkeit dieser mit so großem moralischen Pathos angetretenen Regierung sichtbar geworden.
Wir wissen, daß der Agent für seine kommunistischen Auftraggeber von größter Wichtigkeit war. Welchen konkreten Schaden der Agent angerichtet hat, können wir dagegen nur ahnen. Was hat Guillaume z. B. während der Verhandlungen über die sogenannten Ostverträge an seine Auftraggeber verraten? Wann wurden Moskau und Ost-Berlin über welche Absichten und Vorstellungen Bonns informiert? Welches Zusammenspiel hat es anläßlich der Gespräche und Verhandlungen im Zuge der sogenannten Entspannungs- und Friedenspolitik tatsächlich gegeben? Diese und andere Fragen stellen sich seit der Affäre Guillaume. Warum schweigt die Bundesregierung dazu? Fürchtet sie die möglichen Rechtsfolgen für ihre Ostvertragspolitik, wenn sie Antworten auf diese Fragen erteilen wird?
Nicht allein die Opposition, das ganze Volk hat Anspruch auf rückhaltlose Aufklärung dieses skandalösen Falles und seiner Hintergründe.Meine Damen und Herren, die erste Frage dieser Agentenaffäre lautete, wie es zur Einstellung Guillaumes in das Kanzleramt überhaupt kommen konnte. Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß schon bei der Einstellung Guillaumes in unvertretbarer Weise Partei- vor Staatsinteresse rangierte; denn ohne seine Mitgliedschaft in der SPD hätte der Agent nie eine Chance gehabt, in das Bundeskanzleramt zu kommen.
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Dr. WallmannAber nicht nur dies: Nach den Zeugenaussagen steht weiterhin fest, daß der damalige Kanzleramtschef Dr. Ehmke Guillaume auch wegen der schwerwiegenden Hinweise auf seine Spionagetätigkeit zugunsten Ost-Berlins keinesfalls hätte in das Kanzleramt berufen dürfen.
Am Anfang des Einstellungsverfahrens stand die nachdrückliche Empfehlung und Unterstützung Guillaumes durch den heutigen SPD-Bundestagsabgeordneten und früheren Ministerialdirektor im Bundeskanzleramt Dr. Ehrenberg. Das frühere SPD-Vorstandsmitglied des Frankfurter Unterbezirks verhalf dem früheren Frankfurter SPD-Geschäftsführer Guillaume zu einem Posten im Kanzleramt.
Die Bedenkenlosigkeit dieser SPD-Parteibuchpolitik wird im Fall Guillaume besonders sichtbar. Für eine bestimmte Position wurde nicht etwa ein qualifizierter Bewerber gesucht;
vielmehr wollte man einen ungeeigneten SPD-Genossen eine Beschäftigung im Kanzleramt verschaffen.
Die Aussage Dr. Ehrenbergs vor dem Ausschuß be- weist das überdeutlich. Zitat:Er hatte sich generell um eine Tätigkeit beworben, ohne nun ausdrücklich zu sagen, diese Funktion haben zu wollen. Sie war gar nicht bekannt. Diese Funktion ist dann, wenn man so will, neu eingerichtet worden.Die Einstellung selbst hat Dr. Ehmke zu verantworten. Er entschied sie persönlich, bevor der Personalreferent den Bewerber Guillaume auch nur gesehen hatte. Erst danach wurde das förmliche Einstellungsverfahren in Gang gesetzt. Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß dieses Verfahren nur zum Schein durchgeführt wurde;
denn in der Personalakte Guillaumes befindet sich unter dem Datum vom 11. November 1969 ein schriftlicher Vermerk Dr. Ehrenbergs, der die Wahrheit preisgibt. Zitat: „Heute bei Minister Ehmke vorgestellt. Einstellung ab 1. Januar 1970 wie besprochen." Dazu in Klammern: „II a", was BAT II a bedeutet. Das folgende Verfahren, meine Damen und Herren, war also nur eine Farce. Dies ist von allen Beteiligten offenbar auch so empfunden worden. So hat der Ministerialdirektor im Bundeskanzleramt Dr. Kern ausgesagt, nach der Vorstellung Guillaumes bei ihm habe sich für ihn die Angelegenheit so dargestellt, daß Guillaume eingestellt werden solle.Woher nehmen die Sozialdemokraten eigentlich den Mut, angesichts dieser unbestreitbaren Tatbestände zu behaupten, die Einstellung des Agenten sei nach sachlichen Gesichtspunkten entschieden worden?
Wie will der frühere Kanzleramtschef Dr. Ehmke rechtfertigen, daß der damals fast 43jährige Bewerber Günter Guillaume für seine Einstellung im Bundeskanzleramt im Zentrum der deutschen Regierung nur zwei Zeugnisse über seine Funktionärstätigkeit bei der SPD Frankfurt/Main und eine sachlich unbedeutende Arbeitsbescheinigung über eine knapp viermonatige Beschäftigung in einem Baubüro in der Nähe Frankfurts vorlegen mußte? Wie will Dr. Ehmke verantworten, daß Guillaume keinerlei weitere Nachweise beruflicher Qualifikation oder Ausbildung einzureichen hatte? Wie konnte Dr. Ehmke einen Mann in eine BAT-II-a-Stelle berufen und das entspricht ja der Position eines Regierungsrates —, der nicht einmal sein Volksschulabschlußzeugnis beibringen mußte und der niemals seine Gehilfen- oder Gesellenprüfung abgelegt hatte?
Dieser Bewerber, dem die primitivsten Voraussetzungen für eine Referententätigkeit fehlten, wurde von demselben Dr. Ehmke in das Kanzleramt geholt, der im Jahre 1969 nach dem Regierungswechsel mit sogenannten Entpflichtungserklärungen qualifizierte Beamte wider das Gesetz aus ihren Positionen hinausgedrängt hatte.
Dieses Untersuchungsverfahren hat erwiesen, daß Dr. Ehmke die Verantwortung für die Einstellung Guillaumes trägt. Sie beruht auf schweren Dienstpflichtverletzungen des früheren Kanzleramtschefs. Diese Dienstpflichtverletzungen sind nicht etwa unbewußt oder fahrlässig geschehen. Dr. Ehmke hat sich vielmehr vorsätzlich über die eindeutigen Bestimmungen des Bundesangestelltentarifs hinweggesetzt. Darauf machte ihn der Personalrat des Kanzleramtes bereits Anfang Dezember 1969 in einem einstimmigen Votum nachdrücklich aufmerksam.
Der Personalrat wies darauf hin, daß Guillaume jede fachliche Voraussetzung, Fähigkeit und Erfahrung für die vorgesehene Verwendung in der wirtschaftspolitischen Abteilung des Bundeskanzleramts fehle. Mit unüberhörbarer Deutlichkeit teilte er Ehmke mit, Guillaume solle offenbar nur mit Rücksicht auf seine parteipolitische Funktionärstätigkeit eingestellt werden.Meine Damen und Herren, es ist einfach unbegreiflich, daß Dr. Ehmke den Spion trotzdem einstellte. Aber nicht nur wegen der offenkundig fehlenden fachlichen Eignung, auch aus anderen Gründen durfte es nie zur Einstellung Guillaumes kommen; denn bereits im Dezember 1969 — Herr Kollege Gerster hat dankenswerterweise schon darauf hingewiesen — lagen Dr. Ehmke zuverlässige und
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Dr. Wallmannschwerwiegende Meldungen darüber vor, daß Guillaume ein von Ost-Berlin eingeschleuster Agent war, daß ein Günter Guillaume vom Ostberliner Verlag Volk und Wissen der Agententätigkeit in West-Berlin und in der Bundesrepublik verdächtig sei. In einer Meldung wurde sogar darauf hingewiesen, daß Guillaume in die Bundesrepublik geflüchtet sein solle. Die Zuverlässigkeit der Quellen war ausdrücklich bestätigt worden.Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, der nur von einer Meldung über Guillaume wußte, teilte Dr. Ehmke am 23. Dezember 1969 mit, schon die BND-Meldung allein gebe Veranlassung, eine gründliche Hintergrundüberprüfung durch den Verfassungsschutz vorzunehmen und die Frage zu prüfen, ob Guillaume anstatt im Bundeskanzleramt nicht an anderer Stelle verwendet werden solle. Aus den Zeugenaussagen wie auch aus den Akten ergibt sich zweifelsfrei, daß das Bundeskanzleramt und insbesondere Minister Ehmke von beiden Meldungen über Guillaume Kenntnis hatten.Die Einstellung wurde also in Kenntnis der Tatsache vorgenommen, daß es zwei voneinander unabhängige gravierende nachrichtendienstliche Hinweise gegen ihn gab.
Allein dieser Umstand mußte für jeden objektiven und pflichtbewußten Beamten selbstverständliche Veranlassung sein, wegen des besonders hohen, nicht vertretbaren Sicherheitsrisikos für die Bundesrepublik Deutschland die Einstellung Guillaumes in das Kanzleramt abzulehnen.
Zumindest eine Erwägung dieser Art kommt auch in einem handschriftlichen Vermerk des damaligen Staatssekretärs Egon Bahr zum Ausdruck. In einer an Minister Ehmke gerichteten handschriftlichen Notiz — auch darauf hat Herr Gerster hingewiesen — heißt es wörtlich:Selbst wenn Sie — Dr. Ehmke —einen positiven Eindruck haben, bleibt ein gewisses Sicherheitsrisiko gerade hier.Nun hat sich Dr. Ehmke vor dem Ausschuß und auch vor der Offentlichkeit mehrfach energisch gegen den Vorwurf gewandt, er habe im Falle Guillaume die Sicherheitsanforderungen gröblich verletzt. Er sagte, er habe zur Überprüfung mehr getan, als erforderlich gewesen sei.
Er meinte außerdem, für derartige Sicherheitsentscheidungen seien letztlich die Sicherheitsdienste und vor allem das Bundesamt für Verfassungsschutz verantwortlich; auf deren Votum habe er sich verlassen müssen. Außerdem habe er mit Guillaume im Januar 1970 ein eingehendes Gespräch geführt, und dabei habe er ihn mit den beiden Meldungen über die frühere Agententätigkeit konfrontiert. Anschließend habe sich Guillaume sogar noch schriftlich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen äußern müssen, aber auch dabei sei nichts Belastendes herausgekommen.
Er, Ehmke, sei deswegen geradezu verpflichtet gewesen, Guillaume in das Kanzleramt einzustellen.
Wörtlich hat Dr. Ehmke vor dem Ausschuß erklärt:Ein so klares Urteil des Verfassungsschutzamtes hätte mich sicher dem Vorwurf der Willkür ausgesetzt, wenn ich nach einem solchen Urteil der zuständigen Behörde trotzdem den Mann aus Sicherheitsgründen nicht eingestellt hätte.
Meine Damen und Herren, Dr. Ehmke hat bis jetzt offenbar noch gar nicht bemerkt, wie sehr er sich mit seinen eigenen Darlegungen belastet hat. Es ist ja schon merkwürdig genug, daß Ehmke so entscheidend auf die eigenen Aussagen Guillaumes abgestellt und hinzugefügt hat, bei dem Gespräch sei nichts Belastendes herausgekommen. Wenn Guillaume, wie wir inzwischen wissen, tatsächlich Spion war, wie konnte Dr. Ehmke eigentlich erwarten, daß sich ihm der Agent selbst offenbaren würde?
Sollte sich Dr. Ehmke darüber nicht im klaren gewesen sein? Man fragt sich auch unwillkürlich, warum sich der Chef des Bundeskanzleramtes zumindest zweimal persönlich mit dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes wegen eines Bewerbers für eine BAT-II-a-Stelle in Verbindung gesetzt hat, eine Stelle, die, wie wir immer wieder gehört haben, doch gar nicht von großer Bedeutung sei.Aber auch anderes bleibt merkwürdig und überführt Dr. Ehmke.Erstens. Nach den im Jahre 1969/70 geltenden Bestimmungen war eindeutig und ausschließlich das Kanzleramt für die Sicherheitsüberprüfung zuständig. Wie will sich Ehmke angesichts dieser Rechtslage von seiner Verantwortung befreien?
Zweitens. Dr. Ehmke behauptet, für ihn sei das Urteil des Verfassungsschutzamtes und auch des BND bei Sicherheitsüberprüfungen letztlich maßgeblich gewesen. Er hat in diesem Zusammenhang von Attesten von Amts- und von Hausärzten gesprochen. Diese Aussage steht aber mit anderen Bekundungen Ehmkes in der gleichen Zeugenvernehmung in einem tiefen inneren Widerspruch. Ehmke bezeichnete nämlich den Zustand des Kanzleramtes im Zeitpunkt des Regierungswechsels, den Zustand des Bundesnachrichtendienstes und die Zusammenarbeit der Dienste insgesamt als „ungenügend bis schlecht in sicherheitsmäßiger Hinsicht". Über den BND sagte er an anderer Stelle, General Gehlen habe den Dienst in einem „teilweise desolaten Zustand" hinterlassen. Dr. Ehmke muß sich fragen lassen, wenn er als Chef des Kanzleramtes 1969/70 derartige Vorbehalte gegen die Dienste und gegen ihre
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Dr. WallmannKooperationsfähigkeit hatte, wie er eigentlich den Voten aus diesen Behörden plötzlich so großes Vertrauen entgegenbringen konnte.
Drittens. Daß Dr. Ehmke die Zuständigkeit und letzte Verantwortlichkeit der Nachrichtendienste angenommen und für sich habe gelten lassen, ist auch aus einem anderen Grunde wenig glaubhaft. Denn er kann nicht vergessen machen, daß er bei anderer Gelegenheit ständig seine eigene Kompetenz für Sicherheitsfragen behauptet hat. Wie hätte er sonst eigentlich Urteile über Zustand, Leistungsfähigkeit und Unvermögen der Nachrichtendienste abgeben können?Viertens. Wie will Dr. Ehmke eigentlich verständlich machen, daß er sich bei der Sicherheitsüberprüfung Guillaumes selbst so ungewöhnlich engagierte, wenn andererseits die alleinige Zuständigkeit von Verfassungsschutz und BND in solchen Fällen gegeben sein soll?
Fünftens. Wie ernst will der Jurist Ehmke mit seiner Behauptung genommen werden, nach dem Votum des Verfassungsschutzamtes wäre es ein Akt der Willkür gewesen, Guillaume aus Sicherheitsgründen nicht in das Bundeskanzleramt einzustellen? Dieses Argument müßte zu der absurden Konsequenz führen, daß Bewerber, gegen die keine Sicherheitsbedenken vorliegen, einen Rechtsanspruch auf Übernahme in das Kanzleramt hätten.
Sechstens. Mit dem Verfassungsschutzamt war das Kanzleramt der Auffassung, auch nach Einstellung Guillaumes müßten Nachforschungen über dessen Tätigkeit in Mitteldeutschland vor der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland angestellt werden. Auch das Kanzleramt war demnach der Überzeugung, daß es angesichts der nachrichtendienstlichen Hinweise noch weiterer Aufklärungen bedürfe. Wie kann Dr. Ehmke angesichts dieser Tatsache behaupten, die Einstellung Guillaumes habe nach den vorgenommenen Prüfungen keinerlei Sicherheitsrisiko mehr bedeutet?Siebtens. Dem früheren Kanzleramtschef kann gewiß nicht vorgeworfen werden, daß er sich in der Angelegenheit Guillaumes nicht genügend eingeschaltet habe. Im Gegenteil: Sein Engagement für einen Bewerber, der angeblich eine gar nicht bedeutende und gar nicht herausgehohene Position einnehmen sollte, ist höchst erstaunlich. Er ließ sich diesen Bewerber vorstellen und entschied über die Bewerbung persönlich, bevor das Personalreferat überhaupt unterrichtet worden war. Als Sicherheitsbedenken auftauchten, ließ er sich laufend informieren. Er schaltete sich selbst in den Vorgang ein. Wegen eines Bewerbers für eine BAT-II-Stelle nahm er mehrfach mit dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes persönlich Kontakt auf. Er führte eine persönliche Befragung des Bewerbers durch. Meine Damen und Herren, wie soll das in Übereinstimmung gebracht werden mit der Aussage, zuständig seien für alles Bundesnachrichtendienst und Bundesamt für Verfassungsschutz gewesen?
Achtens. Der so ungewöhnliche persönliche Einsatz Ehmkes für Guillaume fordert noch mehr Fragen heraus, wenn man sich neben den schwerwiegenden Verdachtshinweisen noch einmal Vorbildung und vorangegangene berufliche Tätigkeit in Erinnerung ruft. Ehmke engagierte sich für einen Bewerber, der außer dem Volksschulabschluß keinerlei Vorbildung aufzuweisen hatte, dessen Volksschulabschlußzeugnis man nicht einmal kannte, der keinerlei Nachweise über seine berufliche Ausbildung vorgelegt hatte und der in den unterschiedlichsten Berufen tätig gewesen sein will: z. B. als Fotograf, als technischer Redakteur, als Kaffeestubenbesitzer, als Geschäftsführer einer Gemischtwarenhandlung, als Inhaber eines Schreibbüros, als Angestellter in einem Schulbuchverlag und als Mitarbeiter in einem Baubüro.
Von diesem Bewerber gab es lediglich positive Aussagen wegen seiner Funktionärstätigkeit für die Sozialdemokratische Partei in Frankfurt am Main.
Für eine Referentenposition im Bundeskanzleramt konnte ein Bewerber kaum weniger geeignet sein, als es Guillaume war.
Diesem Bewerber galten die großen Aktivitäten des früheren Kanzleramtschefs, und das unmittelbar nach Übernahme der Regierungsverantwortung durch SPD und FDP, zu einem Zeitpunkt also, wo doch ein Chef des Bundeskanzleramtes ganz gewiß besonders belastet war.
Neuntens. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang ein Brief, den Dr. Ehmke an Bundesminister Leber nach der Befragung Guillaumes und nach dessen schriftlicher Stellungnahme richtete. In diesem Brief ist folgender Satz Ehmkes sehr aufschlußreich — Zitat —:Seine— Guillaumes —Angaben über seinen beruflichen Werdegang in der DDR, zu seiner dortigen politischen Tätigkeit und zu den Verdachtsmomenten selbst waren wenig ergiebig.Ehmke gab damit selbst zu, daß die Sicherheitsbedenken gegen Guillaume noch nicht ausgeräumt werden konnten. Die Bitte an Minister Leber, für die Vertrauenswürdigkeit Guillaumes gutzustehen, ist der offenkundige Versuch, sich eine Rückversicherung zu schaffen.
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Dr. WallmannSie ist nur verständlich, weil Ehmke offenbar fest entschlossen war, Guillaume ohne Rücksicht auf die bestehenden Sicherheitsbedenken einzustellen.
Zehntens. Diesem Schreiben war ein Gespräch zwischen Ehmke und Leber vorangegangen. Die Schilderung dieses Gesprächsverlaufs durch Ehmke und Leber ist ebenfalls besonders aufschlußreich. Nach Ehmkes Darstellung wurde er von Minister Leber auf die Angelegenheit Guillaume angesprochen. Dabei habe er, Ehmke, Leber gegenüber erklärt, gegen Guillaume lägen Sicherheitsbedenken vor. So die Aussage Ehmkes. Dessen Lebers — Antwort auf diese Mitteilung hat Ehmke vor dem Ausschuß geschildert. Nach Ehmkes Darstellung soll Leber gesagt haben — Zitat —:Also ich werde sagen, ich kenne den Mann sehr lange, ja, und er hat dann ungefähr im Sinne das gleiche gesagt, was er auch nach der Verhaftung von Herrn Guillaume gesagt hat: Er würde für den Mann sich die Hand abhacken lassen. Ich weiß nicht, wie er es formuliert hat. Mir gegenüber hat er damals gesagt, den kenne er seit Jahren, kennt seine demokratische Gesinnung, kann für ihn gutstehen. Dazu habe ich gesagt: Lieber Georg, es mag sein, nur: diese Sicherheitsüberprüfung muß durchgeführt werden. Das einzige, was du machen kannst, ist: Gib doch eine formelle Stellungnahme zu den Akten.Zitat Ende.
Minister Leber, meine Damen und Herren, hat den Inhalt dieses Gespräches ganz anders wiedergegeben. Auch auf zusätzliches Befragen hat er nachdrücklich betont, er sei mit keinem Wort von Dr. Ehmke über Sicherheitsbedenken gegen Guillaume informiert worden.
Ehmke habe lediglich gesagt, bei dem laufenden Einstellungsverfahren werde an Guillaume — so die wörtliche Formulierung Lebers — herumgemäkelt.
Er, Leber, habe auch nie erklärt, er lege für Guillaume die Hand ins Feuer. Und schließlich habe nicht er Ehmke, sondern Ehmke habe ihn, Leber, um eine Äußerung zugunsten Guillaumes gebeten.
Meine Damen und Herren, diese Widersprüche sind beachtlich. Sie beweisen die wirklichen Absichten, die Dr. Ehmke mit seinen Aussagen verfolgt. Er versucht den Eindruck zu erwecken, Minister Leber habe von sich aus zugunsten Guillaumes interveniert und habe die ihm von Ehmke mitgeteilten Sicherheitsbedenken auszuräumen versucht. Leber ist nach Ehmkes Schilderung derjenige gewesen, der alles versucht hat, Guillaume trotz schwerer Spionageverdachtshinweise eine Einstellung imBundeskanzleramt zu verschaffen. Auch dieses Verhalten von Dr. Ehmke macht klar, worum es ihm ging und worum es ihm geht. Er will andere, den Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz, den Zeugen Hermenau, die beiden Präsidenten der Dienste, den Zeugen Leber, in die Verantwortung ziehen.
Sich selbst aber will er als in den in dieser Sache übermäßig bemühten, allen Spuren nachgehenden und alle Risiken ausschließenden Chef des Bundeskanzleramts von aller Verantwortung freizeichnen. Er versucht zudem immer wieder, vom Untersuchungsgegenstand und von seiner eigenen Rolle abzulenken, indem er diffamierende Pauschalurteile über den Zustand der Nachrichtendienste und über das Bundeskanzleramt, als er es übernahm, abgibt. Er attackiert und attackiert Dritte persönlich in der Öffentlichkeit und in seinen Zeugenaussagen. Er behauptet, Journalisten hätten zweifelhafte und unzulässige Dienste für den Bundesnachrichtendienst ausgeübt, ohne Namen zu nennen. Er wirft dem Nachrichtendienst generell vor, unzulässige Inlandsaufklärung vor allem gegen SPD-Politiker betrieben zu haben,
ohne die Vorwürfe auch nur im Ansatz zu konkretisieren.
Und dabei ist dem Zeugen Ehmke wohl bekannt, daß schon aus Sicherheitsgründen ein Gegenbeweis in der Öffentlichkeit nicht erbracht werden kann.
Bei Berücksichtigung dieser Fakten verkehren sich die ungewöhnlichen Einflußnahmen und Aktivitäten des früheren Bundesministers und Chefs des Kanzleramtes Dr. Ehmke bei der Einstellung Guillaumes in das Gegenteil von Sorgfalt und Pflichtbewußtsein. Sie beweisen, daß Ehmke Guillaume unter allen Umständen in das Bundeskanzleramt einstellen, einen Parteifunktionär der SPD fördern wollte und bereit war, dabei alle Sicherheitserfordernisse hintanzustellen. Herr Dr. Ehmke, haben Sie sich eigentlich gefragt, welchen Schaden Sie angerichtet haben? Dürfen Sie die Leistungsfähigkeit der für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland lebenswichtigen Nachrichtendienste schmälern, indem Sie deren Beamte pauschal denunzieren und diffamieren, weil Sie meinen, sich damit reinwaschen zu können?
Sie, Herr Dr. Ehmke, haben durch Ihr Verhalten der Bundesrepublik Deutschland großen Schaden zugefügt. Sie haben große Schuld auf sich geladen.
Meine Damen und Herren, in diesem parlamentarischen Untersuchungsverfahren geht es auch um
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Dr. Wallmanndie Klärung der Frage, warum der Spion nach dem bekanntgewordenen schweren Verdacht vom Mai 1973 weiterhin in seiner Position verbleiben durfte, und zwar als persönlicher Referent des Kanzlers.
Als dank der guten Arbeit der Beamten der Spionageabwehr die schweren Verdachtsgründe gegen Guillaume zusammengetragen worden waren, wurden der damalige Innenminister Genscher, der Chef des Kanzleramtes, Grabert, der SPD-Fraktionsvorsitzende Wehner ebenso wie der Verfassungsschutzpräsident Dr. Nollau über den Fall unterrichtet. Aber niemand von ihnen hat von Mai 1973 bis zur Verhaftung Guillaumes am 24. April 1974 irgend etwas getan, um den Agenten aus der unmittelbaren Umgebung des Kanzlers zu entfernen oder ihm doch wenigstens den Zugang zu Akten und Informationen zu beschränken. Guillaume behielt vielmehr weiterhin ungeschmälerte Informationsmöglichkeit. Die Frage lautete deswegen: Wer ist dafür verantwortlich, wer hatte welche Kenntnisse über den Umfang des Spionageverdachts, und wer hätte daraus die entsprechende Konsequenz zu ziehen gehabt? Es war eine zentrale Aufgabe des Untersuchungsausschusses, diese Frage zu klären, aber ich muß bekennen, das ist nur unvollständig gelungen.Am Ende der Untersuchungstätigkeit stehen wir vor einer Fülle widersprüchlicher Zeugenaussagen. Ich muß sagen, es ist einfach unglaublich, in welchem Umfange verantwortliche Politiker und hohe Beamte einander widersprochen haben, statt rückhaltlos und ohne Selbstgerechtigkeit ihren Teil der Verantwortung zu übernehmen. Ihre Glaubwürdigkeit wäre gewachsen, ja, sie hätten menschliche Haltung und Größe bewiesen, wenn sie sich zu ihrem Tun oder Unterlassen bekannt hätten. Unser Gemeinwesen braucht Männer und Frauen dieser Haltung. Statt dessen bestimmten Verschleierungs- und Vertuschungsversuche führender Sozialdemokraten mehr als einmal dieses Untersuchungsverfahren.
Die Widersprüche zwischen Brandt und Genscher, Genscher und Nollau, Nollau und Wehner, Nollau und Kinkel, Ehmke und Leber, um nur die wichtigsten Zeugen zu nennen, sind unbefriedigend, ja, sie sind bedrückend. Nach der Beweisaufnahme steht fest, daß in erster Linie der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Dr. Nollau, dafür verantwortlich ist, daß Guillaume in seiner Position verblieb. Seine Empfehlungen hatten zur Folge, daß der Spion weiterhin als persönlicher Referent des Bundeskanzlers ungehindert Zugang zu Akten und Informationen behielt und sich während des Kanzlerurlaubs in Norwegen Einblick in streng geheime NATO-Dokumente verschaffen konnte.Ich muß ganz offen sagen, Herr Dr. Arndt, dieses kann ich nun überhaupt nicht mehr verstehen, daß Sie auch den Präsidenten des Verfassungsschutzamtes mit einem solchen Persilschein versehen haben, weil dieses nun wirklich auf Grund der objektiven Beweisergebnisse einfach unmöglich ist.
Was ich soeben vorgetragen habe, beweist allein schon das schwere Versagen des Verfassungschutzpräsidenten. Er ist mitschuldig geworden, daß der Spion noch fast ein ganzes Jahr lang Informationen sammeln und wahrscheinlich an seine kommunistischen Auftraggeber weitergeben konnte. Er ist mitverantwortlich dafür, daß der Bundeskanzler zurücktreten mußte und die Bundesrepublik in eine tiefe Krise gestürzt wurde. Er hat zu vertreten, daß Nachrichten, die für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland von großer Wichtigkeit sind, immer schwerer zu beschaffen sind, daß die Nachrichtendienste verunsichert sind und daß unsere Verbündeten immer weniger Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Geheimhaltung von Informationen durch die verantwortlichen Organe der Bundesrepublik Deutschland haben.
Wieviel gravierende Fehler soll der oberste Chef des Verfassungsschutzamtes eigentlich noch begehen, um sich zu disqualifizieren? — Aber nach der Zwischenbemerkung, die Sie eben gemacht haben, kann ich mir vorstellen, daß Sie auch in Zukunft nicht in der Lage sind, die Konsequenzen aus diesem Fall zu ziehen.
Dieser Mann, meine Damen und Herrn, hätte längst aus seinem Amt entfernt werden müssen.
Damit, meine Damen und Herren, stellt sich doch die nächste Frage: Wer hält, wer stützt diesen Verfassungsschutzpräsidenten trotz seines eklatanten pflichtwidrigen Versagens, seiner schweren Fehler? Welche Gründe sind dafür maßgeblich? Verhindern Sie, Herr Abgeordneter Wehner, die Abberufung Nollaus bis zur Stunde? Bei der Prüfung dieser Frage darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß Sie, Herr Wehner, seit langem der große Gönner Dr. Nollaus sind.
Beide sind seit vielen Jahren eng miteinander verbunden, und Nollau informiert den Fraktionschef der SPD regelmäßig über alle sicherheitsbedeutsamen Vorgänge.
Ungeachtet aller formellen Zuständigkeiten ist unbestreitbar, daß Dr. Nollau dem SPD-Fraktionschef Wehner seine Berufung zum Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz verdankt.
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10546 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Dr. WallmannWir wissen außerdem: Es ist nachgerade typisch für Herbert Wehner, daß er seine Schützlinge selbst in unerträglich gewordenen Situationen hält und schützt.
Als Wienand vor der Öffentlichkeit bereits wegen unbestreitbar falscher Behauptungen entlarvt war, ließ ihn der Fraktionschef Wehner nicht fallen — im Gegenteil, er stellte sich demonstrativ vor ihn und setzte durch, daß die SPD-Bundestagsfraktion ihrem Geschäftsführer damals das Vertrauen aussprach.Die bereits nach Bekanntwerden der ersten Fakten geäußerte Vermutung, daß Herbert Wehner an der Behandlung der Spionageaffäre nicht ganz unbeteiligt war, ist durch die Beweiserhebung erheblich gestärkt worden. Dafür spricht als erstes die Tatsache, daß der Abgeordnete Wehner in seiner ersten Vernehmung zunächst falsche Angaben über seine Kenntnisse hinsichtlich Person und Funktion Guillaumes machte. Auf die Frage des Abgeordneten Gerster, ob er beim ersten Gespräch mit Nollau gewußt habe, wer Guillaume ist, hat Wehner eindeutig erklärt: „Nein, das war mir nicht bewußt, wer Guillaume ist."Kurz darauf stellte der Abgeordnete Dr. Hirsch die gleiche Frage noch einmal. Sie lautete: „Ich darf noch einmal fragen, ob über die Funktion gesprochen worden ist oder Sie vielleicht beide stillschweigend davon ausgingen, daß sie unstreitig ist, bekannt ist." Der Zeuge Wehner darauf: „Für mich gab es da keine Frage, weil ich wußte: Das ist einer der Referenten."Dr. Hirsch: „Sie wußten, daß es einer der Referenten ist? Der Name war Ihnen also bekannt?" Der Zeuge Wehner darauf: „Ja."
Die Frage drängt sich auf, welches Interesse Wehner daran hatte, seine genauen Kenntnisse über den Spion zu verbergen. Herr Dr. Arndt, Sie wissen ganz genau: Dieses betraf das Gespräch am 4. Mai 1973. Dieses soll das erste Gespräch gewesen sein.
— 4. Juni.
— Ich nehme mit Interesse zur Kenntnis, Herr Wehner, daß Sie sagen, ich lüge zuviel.
Ich habe festgestellt, daß Sie falsche Angaben inIhrer ersten Vernehmung zu Beginn gemacht haben.Dieses ist unbestreitbar; das kann jeder nachlesen.
Ein weiterer Vorgang belastet Wehner und Nollau in schwerster Weise. Beide haben ausgesagt, Nollau habe den SPD-Fraktionsvorsitzenden nur mit ein, zwei hingeworfenen Sätzen en passant über den Verdachtsfall informiert, und der SPD-Fraktionsvorsitzende Wehner soll sich damit zufriedengegeben haben. Das soll in drei Besprechungen — am 4. Juni 1973, im September 1973 und im Februar 1974 — in gleicher Art und Weise im wesentlichen vor sich gegangen sein.
Die Gespräche sollen jeweils etwa eine Stunde gedauert haben. Man muß sich fragen, meine Damen und Herren, was so wichtig war, eine Stunde lang besprochen zu werden, während die Information über den unter schwerstem Spionageverdacht stehenden Guillaume mit ein, zwei hingeworfenen Sätzen en passant abgetan wurde.
Wehner und Nollau haben ausgesagt, daß seit Ende 1950, also etwa 15 Jahre lang, nach einem OstBerliner Agenten in der SPD gefahndet wurde. Alle Bemühungen waren erfolglos geblieben. Nun aber hatte man, wie sich Dr. Nollau gegenüber Wehner ausgedrückt haben will, den lang Gesuchten. Man glaubte, ihn zu haben.Über diese Erkenntnis wollen der Abgeordnete Wehner und Präsident Dr. Nollau nur wenig, nur diese kurzen Sätze gesprochen haben? Meine Damen und Herren, wo ist die Glaubwürdigkeit einer solchen Aussage?
Nollau und Wehner haben immer wieder auf die Feststellung Wert gelegt, daß der SPD-Fraktionsvorsitzende in seiner Eigenschaft als Sicherheitsbeauftragter der SPD informiert worden sei. Meine Damen und Herren, wie pflegt in einer solchen Situation der Unterrichtung stattzufinden? Wie reagiert der Sicherheitsbeauftragte einer Partei, was sagt er, was tut er, wenn er erfährt, daß der vermutliche, lang gesuchte Agent in der unmittelbaren Nähe des Parteivorsitzenden arbeitet, der inzwischen zum Bundeskanzler aufgestiegen ist, der in besonderer Weise durch eine solche Agententätigkeit gefährdet wird? Findet eine Information über einen derart alarmierenden Vorgang wirklich mit ein, zwei hingeworfenen Sätzen statt? Ist es wahrscheinlich, ist es glaubwürdig, daß der Sicherheitsbeauftragte eine dermaßen knappe Mitteilung lediglich zur Kenntnis nimmt?Man mag die Darstellung beider Zeugen noch so fein erklären und interpretieren: ihre Behauptungen über Art und Umfang der Unterrichtung Wehners widersprechen allen Lebenserfahrungen. Diese Aussagen sind deswegen unglaubwürdig, und sie sind erkennbar nur zu dem Zweck gemacht, den Ausschuß und die Öffentlichkeit über den wirklichen Geschehensablauf zu täuschen.
Schließlich hat Nollau den Eindruck hervorzurufen versucht, er habe Wehner vor der Unterrichtung des Innenministers Genscher — die fand ja am 29. Mai 1973 statt — gar nicht informieren können. Wehner sei nämlich in dieser Zeit auf dem Wege zu Honekker nach Ostberlin gewesen. Dabei stellte es Dr. Nol-
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Dr. Wallmannlau so dar, als sei er selbst erst am 28. Mai 1973 bei einem Gespräch von den leitenden Beamten seiner Behörde über den Spionageverdacht unterrichtet worden. Aus den Akten ergibt sich indessen, daß der Verfassungsschutzpräsident wahrscheinlich schon am 23. Mai, spätestens am 25. Mai, durch Vorlage der Akten Kenntnis von der Agentenaffäre erhalten hatte. Das mußte er in seiner weiteren Vernehmung auch zugeben; er hat es zugegeben. Es war ihm also durchaus möglich, den SPD-Fraktionsvorsitzenden vor seiner Reise zu Honecker und vor der Unterrichtung Genschers zu informieren. Warum versuchte Dr. Nollau, dem Ausschuß zu suggerieren, eine frühere Unterrichtung Wehners sei objektiv einfach unmöglich gewesen? Warum gab er nicht den tatsächlichen Zeitpunkt seiner eigenen Kenntnisnahme von Anfang an zu?
Ein weiterer Umstand ist wichtig. Nollau unterrichtete Genscher nur unvollkommen. Er nannte lediglich zwei von insgesamt 30 Verdachtsgründen gegen Guillaume. Er übergab während der Besprechung am 29. Mai 1973 nicht die Akten des Verfassungsschutzes, in der die 30 Punkte, Verdachtsmomente detailliert zusammengetragen waren. Er trug an Hand eines kleinen Merkzettels vor, obwohl er die Akte in seiner Aktentasche bei sich führte. Das hatte zur Folge, daß Minister Genscher den Verdacht zwar ernst nahm, aber nicht überzeugt wurde, daß Guillaume tatsächlich auch Agent Ostberlins war.Und: Dr. Nollau gab dem Innenminister den völlig unverständlichen Rat, er sollte den Bundeskanzler Willy Brandt, der doch durch den Spion in besonderer Weise gefährdet war, über diesen gravierenden Verdacht nicht informieren.
Wer soll eigentlich glauben, meine Damen und Herren, daß Dr. Nollau angesichts der schwerwiegenden Konsequenzen, die sich für die Regierung aus diesem Fall zumindest ergeben konnten, dies alles aus eigenem Antrieb tat? Sollte der vorsichtige Dr. Nollau das alles auf eigene Verantwortung getan haben? Nein, alles spricht dafür, daß er sein Verhalten und die an Minister Genscher gegebenen Empfehlungen vorher mit einem Dritten abgesprochen hatte. Der Verdacht richtet sich gegen den SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner.
Warum wurde Herbert Wehner unterrichtet, während der Bundeskanzler nach der Empfehlung Dr. Nollaus von der Kenntnis über den Agenten ausgeschlossen bleiben sollte?
Warum sprach Herbert Wehner, der ja als Sicherheitsbeauftragter seiner Partei informiert wordenwar, seinen Parteivorsitzenden Brandt in der Folgezeit nicht ein einziges Mal auf diesen schwerwiegenden Verdachtsfall an?
Sein möglicher Einwand, er habe ja gewußt, daß Brandt informiert wurde, nämlich durch den damaligen Innenminister Genscher, kann nicht überzeugen und ist deswegen nicht sehr glaubwürdig. Dazu waren die Gefahren für den Regierungschef selbst und für die Koalition insgesamt zu groß.Sowohl für den Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner als auch für den Präsidenten Dr. Nollau hat das Untersuchungsverfahren also keine Entlastung gebracht. Im Gegenteil, ihre Aussagen sind in wesentlichen Punkten unglaubwürdig. Der Fraktionsvorsitzende der SPD, der stärksten Regierungsfraktion, muß sich fragen lassen, ob er meint, dem Staatsinteresse noch gerecht werden zu können.
Seine Vertrauenswürdigkeit ist durch dieses Verfahren erneut schwer erschüttert worden.
Meine Damen und Herren, am Schluß ist festzustellen: Dieser Untersuchungsausschuß hat trotz der Unzulänglichkeit seiner Mittel und trotz bedenkenloser Vertuschungsversuche wichtiger Zeugen wichtige Erkenntnisse zutage gefördert. Er hat offenbart, mit welcher Skrupellosigkeit führende SPD-Politiker das Interesse ihrer Partei mit dem Interesse unseres Staates gleichgesetzt haben.
Er hat nachgewiesen, daß der Präsident des Verfassungsschutzes eklatant versagte, schwerste Fehlentscheidungen traf, seinen Dienstvorgesetzten vorsätzlich nur unvollkommen informierte und trotzdem in seinem Amt gehalten wird. Das ist ein Zeichen dafür, wie groß der Einfluß Herbert Wehners immer noch ist, mit dessen Protektion Dr. Nollau überhaupt an die Spitze des Kölner Amtes aufsteigen konnte.Der Untersuchungsausschuß hat gerade die wirkliche Rolle Herbert Wehners offenkundig werden lassen. Wehner war seit Mai 1973 nach meiner Überzeugung die zentrale Figur bei der Behandlung der Spionageaffäre, bei der das Staatsinteresse der Bundesrepublik Deutschland mißachtet worden ist.Vor allem aber hat das Untersuchungsausschußverfahren eines verdeutlicht: Die Bundesregierung kann nicht mehr das Vertrauen der Bürger beanspruchen. Unter der Führung der SPD ist sie einem schleichenden Verfall ausgesetzt. Dadurch wird sie immer mehr unfähig zum Handeln. Selbst nach dem Kanzlerwechsel von Brandt zu Schmidt hat dieser Vorwurf nichts von seinem Gewicht verloren, denn auch die jetzige Bundesregierung ist, wie man sieht, nicht in der Lage, in dieser Spionageaffäre rundum reinen Tisch zu machen.
Sie läßt die verantwortlichen Beamten in ihren Positionen, und letztlich ist diese Regierung zu schwach,
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10548 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Dr. Wallmannum die Nachrichtendienste vor den zerstörerischenAngriffen führender Sozialdemokraten zu schützen.
Wir als Bürger dieses Landes können nicht froh darüber sein.In den vergangenen Wochen haben der SPD-Vorsitzende Willy Brandt und einer seiner Stellvertreter, der Ministerpräsident Kühn von Nordrhein-Westfalen, von der Unregierbarkeit unseres Landes gesprochen.
Dieser parlamentarische Untersuchungsausschuß hat auch zu diesem Thema Aufklärung gebracht.
Seit 1949 hat keine Regierung der Bundesrepublik Deutschland so sehr das Interesse unseres Staates verletzt und so eklatant versagt wie die Regierungen Willy Brandt und Helmut Schmidt.
Spätestens seit der Spionageaffäre Guillaume —
— Ich pflege nicht den Stil zu übernehmen, den Sie haben, Herr Wehner! — Spätestens seit der Spionageaffäre Guillaume wissen unsere Bürger, daß unser Land eine bessere Regierung braucht.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hirsch. Für ihn sind ebenfalls 60 Minuten angemeldet.
Wenn Sie diese Frage stellen, müssen Sie Ihre Fraktionsführung fragen.
— Sie wissen, daß der Bundeskanzler krank ist;
Sie wissen, daß der Bundesminister des Innern in Berlin ist;
Sie wissen, daß der Bundesminister des Auswärtigen als Vizekanzler ebenfalls in Berlin ist,
und ich finde es unerhört,
wenn Sie in Kenntnis dieser Tatsachen hier daraus Kapital schlagen wollen.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit für den Redner.
Herr Präsident, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir Gelegenheit verschaffen würden, hier zu reden, und zwar zum Fall Guillaume!
Ich glaube, die Ruhe ist wiederhergestellt.
Es ist die primäre Aufgabe eines Untersuchungsausschusses, Tatsachen festzustellen und nicht zu agitieren, nicht zu verleumden.
Ich habe Verständnis für Agitation am Anfang der Arbeit eines Untersuchungsausschusses, nicht am Ende seiner Arbeit. Wer entschlossen ist, auf seinen Vorurteilen auch weiter aufzubauen, braucht sich nicht darum zu bemühen, Grundlagen für Urteile zu finden.
Herr Kollege Wallmann hat Polemik artikuliert, und er hat dafür sein Publikum gefunden.
Man kann nicht am Ende der Arbeit eines Ausschusses z. B. Aufklärung über den Inhalt verratener Informationen fordern, wenn man gleichzeitig im Ausschuß aus guten Gründen auf eine Untersuchung des Inhaltes dieser Informationen verzichtet hat. Man kann nicht sagen, Herr Ehmke habe sich seinerzeit über das Votum des Personalausschusses hinweggesetzt, ohne gleichzeitig zu sagen, daß der Personalausschuß nach dem eindeutigen Ergebnis unserer Beweisaufnahme völlig andere Vorstellungen über die tatsächlich beabsichtigte Verwendung des Guillaume im Kanzleramt hatte, und ohne gleichzeitig zu sagen, daß der Vorsitzende des Personalausschusses, der Zeuge Seemann, noch in seiner Vernehmung vor dem Ausschuß voller Ressentiments gegen alle steckte, die politisch anders denken als er selber.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10549
Dr. HirschMan kann nicht über den Bahr-Vermerk über ein verbleibendes Sicherheitsrisiko sprechen, ohne hier gleichzeitig zu sagen,
daß Bahr damit auf die Notwendigkeit hinwies, weitere Prüfungen anzustellen, die auch tatsächlich angestellt worden sind.
Herr Kollege Wallmann hat Herrn Ehmke vorgeworfen, daß er sich auf das Votum des Bundesnachrichtendienstes verließ, während er sich doch — wie Sie wissen, Herr Kollege Wallmann — auf das Votum des Bundesamtes für Verfassungsschutz verlassen hat. Sie können nicht sagen, daß Herr Kollege Ehmke fest entschlossen gewesen sei, Guillaume ohne Rücksicht auf Sicherheitsbedenken einzustellen, ohne gleichzeitig hinzuzufügen, daß die Beweisaufnahme für diese Ihre Verdächtigung aber auch nicht den geringsten Anhaltspunkt geliefert hat.
Sie können nicht behaupten, Nollaus Rat an Genscher, Brandt nicht zu unterrichten, gehe auf den Kollegen Wehner zurück, ohne gleichzeitig zu betonen, daß es sich bei dieser Behauptung um eine reine Spekulation handelt und um sonst gar nichts!
Ich wiederhole: Es ist die primäre, die vornehmste Aufgabe eines Untersuchungsausschusses, Tatsachen festzustellen.
Das ist der Sinn einer öffentlichen Beweisaufnahme. Das ist der Grund für seine einem Gericht entsprechende Kompetenz. Ein Untersuchungsausschuß kann darüber hinaus Schlüsse ziehen und Empfehlungen geben, aber die Grundlagen seiner Arbeit sind weder Vermutungen noch Verdächtigungen, noch politische Sympathien oder Abneigungen. Grundlagen seiner Arbeit sind Tatsachenfeststellungen und sonst gar nichts.
— Aber Herr Kollege Pfeffermann! Was sollen denn Ihre Zwischenrufe? Wenn Sie etwas zu sagen haben, dann lassen Sie sich doch von Ihrer Fraktion nominieren und reden Sie von hier vorn. Dann haben wir alle mehr davon — vielleicht, wahrscheinlich nicht!Jeder Ausschuß steht vor dem Problem, in der Öffentlichkeit dann als erfolgreich zu gelten,
wenn er einen Schuldigen präsentiert — Sie verstehen doch von dem Sachverhalt überhaupt nichts; Sie waren doch nie im Ausschuß —
und nicht nur irgendeinen, sondern nach Möglichkeit den erwarteten. Zurückhaltung wird dann als eine politische Hilfsfunktion diffamiert. Gerade deswegen ist daran zu erinnern, daß ein Untersuchungsausschuß ein einzigartiges Privileg besitzt. Nach Art. 44 unserer Verfassung sind seine Beschlüsse der richterlichen Erörterung entzogen. Der von ihnen Betroffene kann sie nicht anfechten. Dieses Privileg muß der Erwartung entsprechen, daß belastende Feststellungen oder Behauptungen auf den schlichten Dualismus „erwiesen oder nicht erwiesen" zurückzuführen sind, und das unabhängig davon, ob der jeweilige Untersuchungsgegenstand angenehm erscheint oder nicht.Darüber hinaus sollte ein Untersuchungsausschuß sich nicht darauf beschränken, vergangene Tatbestände zu erforschen, sondern er sollte sich fragen, welche Erkenntnisse sich für die Zukunft aus seinen Feststellungen ergeben können.
Im Falle Guillaume sind wegen der Einstellung dieses Mannes zwei sich völlig widersprechende Vorwürfe erhoben worden, nämlich einmal, hier habe ein Würstchenverkäufer, also ein offenbar weniger tiichtiger Mann, durch politische Protektion den Weg in das Kanzleramt gefunden, und auf der anderen Seite, hier seien die Sicherheitseinrichtungen durch einen raffinierten Spitzenspion übertölpelt worden. Beides gleichzeitig paßt offenkundig nicht. Es paßt nicht einmal jede Behauptung einzeln.
Denn dieser Mann war nach normalen Maßstäben weder ein unfähiger Schützling noch ein Spitzenspion, der etwa von vornherein den Auftrag gehabt hätte, in das Kanzleramt einzudringen.
Herr Abgeordneter Hirsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerster? — Bitte!
Herr Kollege Hirsch, können Sie die Frage beantworten, ob Sie als Kanzleramtschef den Herrn Guillaume eingestellt hätten?
Ich werde im Laufe meiner Ausführungen ganz genau darauf zurückkommen.
Ja oder nein?
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10550 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Ich komme darauf zurück.
Wir haben zunächst einmal — das ist hier bisher für mich überraschend noch nicht vorgetragen worden — untersucht, wie die Einstellungspraxis denn im Kanzleramt und im Innenministerium in der Vergangenheit überhaupt war. Diese Untersuchungen führten zunächst einmal zu der Feststellung, daß insbesondere im Kanzleramt von Stellenausschreibungen so gut wie nie Gebrauch gemacht wurde, was wohl auch niemanden ernsthaft überraschen kann. Vielmehr überwogen ganz allgemein eigene Bewerbungen und persönliche Ansprachen. Zwei Sachverständige haben die im Beamtenrecht ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit begrüßt, Bewerber zu berücksichtigen, die die für ihre vorgesehene Verwendung erforderliche Lebens- und Berufserfahrung nicht in einer festen Laufbahn, sondern innerhalb und außerhalb des öffentlichen Dienstes anderweitig erworben hatten. Auf diese Weise könnten, so haben sie ausgeführt, für die öffentliche Verwaltung besondere Fähigkeiten und Kenntnisse mobilisiert werden. Schließlich hat sich der Sachverständige Dr. Haake mit gewissen Einschränkungen zur Eingruppierung der im Kanzlerbüro seit 1949 im höheren Dienst tätigen Angestellten geäußert. Jedenfalls sei man trotz weitherziger Anwendungen der Bestimmungen bemüht gewesen, die Grenzen des Tarifrechts nicht zu überschreiten.Bei der Einstellung Guillaumes kann es uns also nicht darauf ankommen, nun etwa beckmesserich weit- oder engherzig die gewählte Tarifgruppe nachzuprüfen. Politisch interessant ist nur, ob, abgesehen von der Sicherheitsfrage, hier ein unfähiger Mensch in parteipolitischer Protektion an eine wichtige Stelle gebracht worden ist oder nicht.
Eine solche Feststellung kann nach dem Untersuchungsergebnis nicht getroffen werden. Guillaume hat in dem überschaubaren Zeitraum seiner beruflichen Tätigkeit in der Bundesrepublik von 1956 bis 1969 ohne erkennbare Protektion eine achtbare berufliche Entwicklung und einwandfreie Zeugnisse aufzuweisen.
Er hatte Organisationstalent bewiesen und mehrjährige Erfahrung in der Kommunalpolitik in einem großen Verband und auf einem schwierigen Gebiet erworben. Mehr hat manches Mitglied dieses Hauses als Qualifikation auch nicht aufzuweisen.
Jeder von uns, der in der Kommunalpolitik einmal tätig war, weiß, welche hervorragende Bedeutung in den Gemeinden die Ratsmitglieder haben, die gleichzeitig hauptamtliche Fraktionsgeschäftsführer sind. Es gibt sie in allen Parteien. Es kann in einem demokratischen Staat nicht negativ sein oder es kann von einem Demokraten in einem demokratischen Staat nicht negativ gewertet werden, beruflicher Mitarbeiter einer Partei oder, wie Sie sagen, Funktionär zu sein.
Dieser Staat und die ihn tragenden Parteien sind auf solche Mitarbeiter angewiesen.Man hat darauf hingewiesen, daß Guillaume bei seiner Bewerbung sein Schulzeugnis nicht beigebracht habe. Lächerlich! Welches Volksschulzeugnis erwartet man eigentlich aus dem Berlin der Kriegsjahre, und welche Beweiskraft soll es eigentlich bei der Einstellung eines 41jährigen Mannes mit einem völlig atypischen Berufsweg haben? Ich kann daraus keine negativen Folgerungen herleiten.
Natürlich hat bei der Einstellung Guillaumes die Parteizugehörigkeit eine Rolle gespielt.
Er wäre sonst wohl kaum auf die Idee gekommen, sich überhaupt im Kanzleramt zu bewerben.Herr Kollege Stark, ich habe Ihnen schon einmal gesagt, daß Sie von dem Sachverhalt offenbar nichts verstehen. Ich stelle Ihnen anheim, zunächst einmal die Protokolle zu lesen; dann können wir weiterreden.
— Das Urteil darüber, wer von uns beiden sich lächerlich macht, überlasse ich ruhig der Öffentlichkeit.
Ich wiederhole: Natürlich hat bei der Einstellung Guillaumes im Kanzleramt seine Parteizugehörigkeit eine Rolle gespielt.
Er wäre sonst natürlich nicht auf die Idee gekommen, sich überhaupt zu bewerben. Daraus folgt aber nicht, daß das Bundeskanzleramt verpflichtet gewesen wäre, darüber hinaus die zu besetzende Position auszuschreiben. Solche Ausschreibungen sind, wir wir festgestellt haben, im Bundeskanzleramt auch unter früheren Regierungen niemals üblich gewesen.
Wenn das Bundeskanzleramt diesen Bewerber alsofür eine neu eingerichtete Stelle für geeignet hielt,
brauchte es sich nicht neben diesem Bewerber um weitere Bewerber zu bemühen.
Wenn eine solche Verpflichtung behauptet wird,Herr Kollege Pfeffermann, so warte ich neugierig
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Dr. Hirschauf Beispiele für entsprechendes Verhalten im Bereich christlich-demokratischer Bundeskanzler oder Ministerpräsidenten.
Ein ganz anderes Problem ist der Prozeß der Sicherheitsüberprüfung. Es ist unstreitig, daß dieser Mann nicht eingestellt worden wäre, wenn alle über ihn tatsächlich vorhandenen Kenntnisse hätten mobilisiert werden können.
Aber diese Kenntnisse waren, wie Sie wissen, nicht abrufbar.
— Herr Kollege, hören Sie doch erst einmal zu.
Dabei erwies sich als besonders folgenschwer, daß die Originalmeldung des Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen nicht zur Verfügung stand. Ebenso war es von Bedeutung, daß auch nicht alle im Bundesamt für Verfassungsschutz und im BND vorhandenen Kenntnisse genutzt wurden.Daraus ergeben sich zwei Fragen. Erstens: War die nach dem tatsächlichen Wissenstand getroffene Einstellungsentscheidung vorwerfbar? Zweitens: Kann sich ein solcher Vorgang wiederholen?Zu der ersten Frage muß man sagen, daß sich die Einstellungsentscheidung nach meiner Überzeugung auf der Grundlage der Beweisaufnahme im Rahmen des pflichtmäßigen Ermessens hielt. Es waren gegeneinander abzuwägen auf der einen Seite eine 13jährige überschaubare berufliche Tätigkeit, die nicht den geringsten Anhaltspunkt für negative Wertungen bot, und auf der anderen Seite wenige negative Hinweise aus lange zurückliegender Zeit, die auch den Fachleuten des Bundesamtes für Verfassungsschutz als Ablehnungsgrund nicht ausreichten. Es handelt sich dabei überdies um Hinweise, deren mangelnde Aufklärbarkeit in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Teilung unseres Vaterlandes steht. In dieser Tatsache liegt das eigentliche Kernproblem: ob wir es nämlich einem aus der DDR kommenden Deutschen, dem wir dieselben Rechte zubilligen und dieselben Pflichten auferlegen wie jedem anderen Deutschen auch, individuell anlasten, wenn sich einzelne Hinweise auf seine Vergangenheit gerade infolge der deutschen Teilung nicht aufklären lassen.
Man muß hier noch hinzufügen: ob solche vagenHinweise auch dann anlastbar sein sollen, wenn diesachverständigen Verfassungsschützer dies einmütig verneinen.
Ich kann aus einem solchen Vorgang keinen politischen Vorwurf herleiten.Die getroffene Entscheidung wäre nur dann — dann allerdings in höchstem Maße — fehlerhaft gewesen, wenn die Sicherheitsermittlungen von der Einstellungsbehörde beeinträchtigt worden wären. Aber auch das ist in keiner Weise feststellbar gewesen. Im Gegenteil: Das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Geheimschutzbeauftragte des Bundeskanzleramtes waren in ihrer übereinstimmenden Entscheidung ohne jeden Zweifel frei und unbeeinflußt. Es war feststellbar, daß sie ihre Entscheidungen unter Zeitdruck getroffen hatten. Aber auch dazu haben sie erklärt, daß der Zeitdruck nicht größer gewesen sei als in anderen Personalentscheidungen zu diesem Zeitpunkt auch. Entscheidend ist nicht, ob eine Entscheidung schnell getroffen werden sollte, sondern ob der Zeitdruck eine inhaltliche Beeinflussung zur Folge hatte. Dazu haben alle Beweisaufnahmen ergeben, daß eine inhaltliche Beeinflussung dieser Entscheidungen nicht feststellbar war. Sie war nicht feststellbar, obwohl den Beamten bewußt war, daß der Chef des Bundeskanzleramtes sich selber um diesen Fall gekümmert hatte. Aber es gibt keine Tatsachen dafür, daß sie daraus den Schluß gezogen hätten, der Chef des Bundeskanzleramtes sei an einer positiven Einstellungsentscheidung interessiert.
Viel entscheidender bleibt die Frage, ob der primäre Grund für die getroffene Fehlentscheidung beseitigt ist, nämlich die mangelnde Zugriffsmöglichkeit auf das tatsächlich vorhandene, aber bei den verschiedenen Stellen und Einrichtungen verstreute Material.Die Dienste BW und BND befanden sich zum Jahreswechsel 1969/70 offenkundig in einem schlechten Zustand. Sie waren personell unterbesetzt. Sie waren technisch nicht optimal ausgerüstet. Ihre Zusammenarbeit ließ zu wünschen übrig. Diesen Zustand hat die damalige Regierung vorgefunden. Sie hatte ihn nicht zu verantworten. Sie hatte ihn von ihren Vorgängerinnen übernommen. Seit damals ist Entscheidendes geschehen. Insbesondere sind seit 1970 unter erheblichem finanziellen Aufwand eine moderne elektronische Datenverarbeitung eingeführt, das Personal vergrößert und die Zusammenarbeit verbessert worden. Der nunmehr eingeführte Beauftragte für die Nachrichtendienste hat u. a. dafür zu sorgen, daß die technischen Einrichtungen der Dienste zusammenarbeiten und insbesondere die Informationen zwischen den Diensten und der Zentralkartei ausgetauscht werden. Es ist außerdem sicherzustellen, daß die früher aus Personalmangel unterbliebenen Wiederholungsprüfungen ständig erfolgen, damit auch neue Erkenntnisse auf schon einmal geprüfte Vorgänge angewendet werden können. Der Bundestag wird sich in angemessener Form darüberDr. Hirschzu vergewissern haben, ob diese Maßnahmen ausreichen.Lassen Sie mich zu einem nächsten Komplex übergehen, nämlich zu der Frage, ob die Aufdeckung des Spionagefalls ordnungsgemäß erfolgte. Dabei reicht nur eine einzige Frage über den gegebenen und im Bericht ausführlich dargestellten Einzelfall hinaus: ob nämlich dem Schutz von Staatsgeheimnissen der absolute Vorrang einzuräumen ist gegenüber der Überführung eines potentiellen Agenten; mit anderen Worten: ob der übereinstimmende dringende Rat der Mitarbeiter des BfV richtig war, den vermuteten Agenten unbehelligt arbeiten zu lassen, bis er ausreichend observiert worden sei. Es steht fest, daß eine Verhaftung des Guillaume am 29. Mai 1973 trotz des bestehenden Verdachtes und der subjektiven Überzeugung des Zeugen Nollau nicht möglich gewesen wäre. Denn die äußeren Umstände, auf die sich diese Überzeugung gründete, lagen zeitlich viele Jahre zurück. Über die Arbeitsweise des Agenten, den Weg, auf dem er Anweisungen empfing und Nachrichten weiterleitete, und über mögliche Mittäter war nichts bekannt. Es ist unstreitig, daß ein Agent, in dessen Umgebung sachlich oder personell etwas verändert wird, ohne daß dafür offenkundig erkennbare Gründe vorliegen, seine Tätigkeit einstellt. Seine Verhaftung wird zu dem Glücksspiel, ob man genügend Material gegen ihn vorfindet oder nicht. Die Geschichte der letzten Monate gibt dafür ein klassisches Lehrstück. Unterstellt man einmal als reines Denkmodell, der DGB- Angestellte Böhm sei ein Agent gewesen, dann ist unbestreitbar, daß eine Verhaftung ohne überzeugendes Material den Agenten im Endergebnis rettet und möglichen, bis dahin unerkannten Mittätern auf unabsehbare Zeit die Fortsetzung ihrer Tätigkeit ermöglicht.
Daraus kann — hören Sie zu, Herr Kollege Gerster! — ein Schaden erwachsen, der nicht abschätzbar ist und viel größer sein kann als wenn man einen erkannten Agenten über einen begrenzten Zeitraum unbehelligt weiter arbeiten läßt.
So war es auch im Falle Guillaume. Er konnte unbekannte Mittäter selbst im Kanzleramt haben. Sie zu finden war genauso wichtig wie die Überführung des Mannes selbst. Darum halte ich auch den Rat, nichts, absolut nichts in seiner Umgebung zu verändern, für richtig, und zwar auch dann, wenn das zum Verrat weiterer Geheimnisse führen sollte.
Die von einem Verrat ausgehende Gefährdung ist nach meiner Überzeugung geringer, wenn man weiß, welche Geheimnisse verraten worden sind, als wenn man das nicht weiß.
— Es kann sein, daß Sie mich nicht verstanden haben, Herr Kollege.
Entscheidend ist natürlich, daß für die Überführung durch Observation kein zu langer Zeitraum benötigt wird. Die Observation dauerte im Falle Guillaume, Herr Reddemann, acht Monate. In vergleichbar komplizierten anderen Verdachtsfällen der Vergangenheit dauerten die Observierungen zwischen 7 und 12 Monate.Man mag sich über manche Observationsberichte im Falle Guillaume erheitern. Es ist jedenfalls keine Feststellung dahin möglich, daß hier insgesamt in unzulänglicher oder säumiger Weise verfahren worden wäre.Auch zum Untersuchungsteil BND sind einige Bemerkungen erforderlich. Es ist und bleibt völlig unangetastet, daß der Präsident Gehlen ein historisches Verdienst hat. Es gibt in der jüngeren Geschichte kein anderes Beispiel dafür, daß ein funktionierender Nachrichtendienst zunächst auf privater Basis über eine Umstürzung aller Verhältnisse hinweg erhalten und fortgeführt werden konnte. Die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes mag sowohl das besondere Verhältnis der alten Mitarbeiter zu ihrem Chef als auch andererseits die Tatsache erklären, daß sich unter diesen Mitarbeitern auch Leute befanden, die in ihren schriftlichen Bekundungen Sprache und Stil des Dritten Reiches wählten, wie der Journalist Heysing. Schon der sogenannte Mercker-Bericht hatte deutlich gemacht, daß der Bundesnachrichtendienst im Interesse seiner Leistungsfähigkeit personell und organisatorisch reformiert werden mußte, weil er sich in einem bedenklichen Zustand befand. Die Mitarbeiter des Generals, sozusagen seine Zauberlehrlinge, waren nicht in der Lage, mit diesem Instrument umzugehen.
In diesen Zusammenhang gehören unsere Feststellungen. Man kann sagen, daß es offenbar schwierig war, den Bundesnachrichtendienst nach seiner Überführung in den Bundesdienst auf seinen eigenen Tätigkeitsbereich zu beschränken, nämlich die Nachrichtenbeschaffung über ausländische Vorgänge und natürlich die Sicherheit der eigenen Organisation. Es war nicht feststellbar, daß etwa der gesamte BND innenpolitische Aufklärung betrieben hätte, also die Ausforschung inländischer Einrichtungen oder Personen mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Es ist aber feststellbar, daß der Mitarbeiter Heysing mit Wissen und Wollen vorgesetzter Beamter jahrelang Informationen, Stellungnahmen und Vorschläge lieferte, die mit dem Auftrag des Bundesnachrichtendienstes nichts zu tun hatten,
sondern rein innenpolitischer Natur waren. Es ist weiter festzustellen, daß im sogenannten Fall Bärwald ein eindeutiger Fall innenpolitischer Aufklärung zu Lasten der SPD vorlag und daß der inzwischen versetzte Mitarbeiter des BND Höffer von Loewenfeld diese Ausforschung auch dann fort-
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Dr. Hirschsetzte, als ihm bewußt war, daß die Leitung des Nachrichtendienstes ihn nicht billigte. Es war nicht möglich, Feststellungen über den Verbleib der gesamten gesammelten Informationen und über deren mögliche Weitergabe an Dritte zu treffen. Ich versage es mir hier, darüber Vermutungen anzustellen.Es ist schließlich feststellbar, daß in der sogenannten Sonderkartei des Präsidenten eine Fülle von Material über alle möglichen Personen und Persönlichkeiten gesammelt wurde und dies ebenfalls von dem Auftrag des BND nicht gedeckt wird. Es ist angesichts der großen Zurückhaltung der Zeugen bei ihren Aussagen nicht feststellbar, daß dieses Material gezielt, also aktiv gesammelt wurde, aber es wurde ohne jede Einschränkung aufgenommen und so aufbereitet, daß es jederzeit abrufbar war.
— Da haben Sie, Herr Kollege Stücklen, nicht aufgepaßt. Dann möchte ich Sie bitten, doch einmal den von Ihrer Fraktion selbst formulierten Einsetzungsbeschluß zu lesen, in dem Sie ausdrücklich aufgegeben haben, unabhängig vom Fall Guillaume diesen Bereich zu untersuchen. Wenn Ihnen das unangenehm sein sollte, habe ich Verständnis dafür. Nur hätten Sie sich das vorher überlegen müssen.
Ich habe übrigens Verständnis dafür, daß gerade die CSU besondere Abneigung hat, diesen Komplex untersuchen zu lassen.
Ich wiederhole: Dieses innenpolitische Material wurde ohne jede Einschränkung aufgenommen und so aufbereitet, daß es jederzeit abrufbereit war. Es ist nicht feststellbar, daß Präsident Gehlen selbst damit Mißbrauch getrieben hat, aber es steht fest, daß der Inhalt dieses Materials zu einem hohen Anteil vom Auftrag des BND in keiner Weise gedeckt war und daß es in hervorragender Weise zum Mißbrauch geeignet war. An diesen Feststellungen kann ein ernsthafter Zweifel nicht geäußert werden. Ebenso deutlich, wie ich unsere Hochachtung vor der Person und Leistung des Präsidenten Gehlen betone, stelle ich fest, daß diese Sammlung inländischen Materials in höchstem Maße bedenklich war und die Wiederholung solcher Vorgänge unter allen Umständen ausgeschlossen werden muß und nicht geduldet werden kann.
Was dort handwerklich betrieben wurde, wäre, kombiniert mit den Mitteln einer elektronischen Datenverarbeitung, ein schlichter Alptraum und die Verwirklichung des allgegenwärtigen „großen Bruders".Wir werden darüber zu befinden haben, in welcher Weise das verhindert werden kann. Die Bestellung des Beauftragten für die Nachrichtendienste reicht dafür nicht aus, denn sie beruht lediglich auf einem Organisationserlaß des Kanzlers, der vom Kabinett zustimmend zur Kenntnis genommen wurde. Ebenso wie die frühere Dienstaufsicht unter der Verantwortung christlich-demokratischer Bundeskanzler nicht ausgereicht hat, um einen solchen Vorgang auszuschließen, ist es denkbar, daß auch die Dienstaufsicht unter zukünftigen Bundeskanzlern dafür nicht ausreicht. Dieses Hohe Haus wird zu prüfen haben, ob die gesetzlichen Grundlagen des Bundesnachrichtendienstes ausreichen und ob insbesondere die Strafvorschriften ausreichen, um allen Beteiligten das Risiko deutlich zu machen, das sie bei einem rechtswidrigen Eingriff in die Persönlichkeitssphäre unserer Bürger laufen müssen.
Ich möchte zum Schluß einige wenige Sätze über den Ausschuß selbst sagen. Dieses Hohe Haus sollte unter keinen Umständen weitere Untersuchungsausschüsse tätig werden lassen, ohne ihre Verfahrensregeln exakt zu definieren. In Wirklichkeit bestand dieser Ausschuß zeitweise aus zwei selbständigen Teilen, die fast zufällig sich desselben Sekretariats bedienten — und auch das nur teilweise — und die einen gemeinsamen Sitzungspräsidenten hatten. Die internen Beratungen gingen so gut wie nie über Verfahrensfragen hinaus. Es ist trotz unserer wiederholten Versuche nie möglich gewesen, einmal über den Stand und die Ergebnisse der bisherigen Beweisaufnahmen eine Zwischenbilanz zu ziehen und auf einer solchen Grundlage gemeinsam einen Beweisbeschluß aufzubauen. Eine vertrauliche Beratung, die auch vertraulich geblieben wäre, war ebenfalls nicht oder kaum möglich. Auch eine öffentliche Agitation von Ausschußmitgliedern zur Sache blieb für sie ohne Folgen. Auch hier gibt es einen Grunddissens: Die Mitglieder der Opposition betrachten den Ausschuß als ein parlamentarisches Kampforgan, während wir der Auffassung waren und sind,
daß ein solcher Ausschuß Verantwortung gegenüber dem gesamten Parlament trägt und seine Mitglieder während ihrer Tätigkeit in dieser Sache äußerste politische Zurückhaltung üben müßten, um nicht dem Parlamentarismus in der Bundesrepublik zu schaden.
Bei parteiischen öffentlichen Äußerungen zur Sache während des Verfahrens kann ich nicht erwarten, daß die Öffentlichkeit davon ausgeht, daß derselbe Mann als Ausschußmitglied um objektive Klärung des Tatbestandes bemüht ist.Es gibt von den verschiedensten Seiten beachtliche Vorschläge über die Reform der Ausschußtätigkeit.
Die sogenannten IPA-Regeln, auf denen wir bisher verfahrensmäßig fußen, sind keine überzeugende Grundlage. Dieses Haus träfe eine schwere Verantwortung, wenn es sich in dieser Sache nicht entscheiden könnte und gleichwohl das Schauspiel solcher Ausschüsse fortsetzen wollte. Wir hätten dafür gemeinsam einen sehr hohen Preis zu zahlen.
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10554 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Das Wort hat der Abgeordnete Metzger. Für ihn ist ebenfalls eine Redezeit von 60 Minuten beantragt worden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was Herr Kollege Wallmann vor einer halben Stunde geboten hat,
war ein Gipfelpunkt an Verleumdungen.
Er hat dem Ansehen des Parlamentes und unserer
Demokratie damit einen schweren Schaden zugefügt.
Beweise wurden durch Verdächtigungen ersetzt, Tatsachen durch Verdrehungen.
Dieser Auftritt eines Mannes, der für sich in Anspruch nimmt, Richter zu sein, war ein Gipfelpunkt der Demagogie.
Herr Wallmann hat bereits als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses immer wieder den Versuch unternommen,
die Interessen seiner permanent im Wahlkampf befindlichen Partei in den Vordergrund zu schieben.
Er hat mit seiner heutigen Rede die Maske eines Biedermannes endgültig fallengelassen.
Herr Abgeordneter, die Konsequenzen daraus, daß man einem Kollegen nachsagt, er ließe die Maske des Biedermannes fallen, sind so erschütternd, daß ich Sie bitten möchte, so etwas nicht zu wiederholen.
Nein.
Eine Zwischenfrage wird nicht gestattet, Herr Abgeordneter Gerster. Es ist das Recht des Redners, Zwischenfragen abzulehnen.
Das ist nichts anderes als die Folge des Auftritts des Kollegen Wallmann vor einer halben Stunde.
Herr Wallmann hat nicht als ein Mitglied des Bundestages gesprochen, sondern als ein Vorstandsmitglied der „Deutschland-Stiftung".
Er hat den Versuch unternommen, vor diesem Parlament den Eindruck hervorzurufen, die verantwortlichen Vertreter der Bundesregierung hätten bewußt einen Spion eingestellt. Solches zu unterstellen heißt, auf die Methoden zurückzugreifen, mit der Rechtsextremisten das Ende der Weimarer Republik herbeigeführt haben.
Mit denselben Methoden hat Herr Wallmann die Aussagen der Zeugen Nollau und Wehner bewußt verdreht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
Sie gestatten überhaupt keine Zwischenfrage?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfragen.
— Ich weiß, daß Ihnen das sehr unangenehm ist. Aber ich empfehle Ihnen, einmal zuzuhören, damit Sie, Herr Kollege Wallmann, solche unverschämten Reden in Zukunft nicht mehr hier halten.
Herr Nollau hat Herrn Wehner
über Verdachtsmomente unterrichtet, nachdem seit vielen Jahren bekannt war, daß ein Spion in die SPD eingeschleust werden sollte.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10555
MetzgerEr hat Herrn Wehner um Mithilfe darüber gebeten, in welcher Weise der verdächtigte Guillaume in der SPD in Erscheinung getreten ist. Aus dieser Anfrage und Bitte Nollaus hat Herr Wallmann die Unterrichtung Wehners über einen erkannten Spion konstruiert. Das ist ein ungeheuerlicher Vorwurf, der unglaublich ist.
Das ist nichts anderes als eine bewußte Brunnenvergiftung.
Ich möchte hier hinzufügen: Wenn das die Linie der Opposition für die Zukunft sein sollte, dann wird es in diesem Haus keine Gemeinsamkeit der Demokraten mehr geben können.
Die Verantwortung hierfür tragen allein diejenigen, die hier versuchen, in diesem arroganten und anmaßenden Stil Zensuren zu erteilen.
Wir haben hier in diesem Hause vor einem Jahr eine Verfassungsdebatte geführt — ich möchte Sie daran erinnern —,
in der alle Fraktionen ein uneingeschränktes Bekenntnis zum demokratischen Rechtsstaat und zu den Prinzipien des Grundgesetzes abgelegt haben.
In dieser Debatte spielten auch die Fragen der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst und auch die Frage der inneren Sicherheit unseres Staates eine ganz besondere Rolle.
Trotz einer sehr heftig geführten Auseinandersetzung konnten wir am Ende dieser Debatte die Gemeinsamkeit der Demokraten feststellen. Aber das, was Herr Wallmann heute' hier hat ablaufen lassen, war
ein Angriff nicht nur auf die Demokratie, sondern war auch eine Kriegserklärung
gegenüber der sozialliberalen Koalition.
— Wenn hier jemand von Schimpfen spricht, dann sollte er sich an denjenigen wenden, der hier nichts anderes getan hat, als eine üble Schimpfkanonade loszulassen.
Bei dieser Verfassungsdebatte spielte die Tätigkeit der Nachrichten- und Sicherheitsdienste allerdings keine Rolle. Das war vielleicht verständlich, wenn man zur Kenntnis nimmt, daß zu dem damaligen Zeitpunkt kein unmittelbarer Anlaß bestand, sich mit dieser Frage zu beschäftigen, ob die Dienste, deren Notwendigkeit unbestritten ist, gerade auch zur Sicherung des demokratischen Rechtsstaates gegen Angriffe von innen und von außen, auf dem Boden unserer Verfassung stehen und standen und nach Recht und Gesetz arbeiten und jederzeit gearbeitet haben.Die Beweiserhebungen des Untersuchungsausschusses haben gezeigt, daß es dringend erforderlich war, daß sich der Bundestag mit diesen Diensten, ihrer Stellung in der Verfassungsordnung und mit ihrem Zustand befaßt. Dies ist nicht nur legitim. Es ist seine Pflicht, seine Kontrollaufgabe wahrzunehmen und auch die Maßnahmen zu ermöglichen und mitzutragen, die erforderlich sind, um diese Dienste an ihren eigentlichen Auftrag zu binden und die Einhaltung der verfassungsmäßigen Schranken bei ihrer Tätigkeit durchzusetzen.Wir sollten deshalb — in diesem Punkt zumindest — der Opposition dankbar sein, daß sie bei dem Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses wegen des der Agententätigkeit beschuldigten Guillaume auch die Tätigkeit des Bundesnachrichtendienstes in das Untersuchungsthema aufnahm. Der Bundestag hat am 6. Juni des vergangenen Jahres mit Zustimmung aller Fraktionen dem Untersuchungsausschuß einen entsprechenden Auftrag erteilt.Im Verlauf der letzten Monate ist der Vorwurf erhoben worden, die Koalition wollte durch diese Beweiserhebung vom Falle Guillaume ablenken. Da der Antrag von der Opposition ausging und da alle Beweisanträge der Opposition im Untersuchungsverfahren ausgeschöpft wurden, ist dieser Vorwurf nichts anderes als ein Propagandamanöver.
Mit aller Entschiedenheit muß ich auch den von interessierter, weil betroffener Seite erhobener Vorwurf zurückweisen, daß durch die Untersuchungen des Parlaments und die daraus entstandene öffentliche Diskussion, wie das hier auch wieder behauptet worden ist, die Demontage der Nachrichtendienste,
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10556 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Metzgerspeziell die Demontage des Bundesnachrichtendienstes, betrieben werde.
Wenn der Bundesnachrichtendienst ins Gerede gekommen ist, dann deshalb, weil dort unzulässige Inlandsaufklärung betrieben wurde und rechtswidrige Praktiken festgestellt wurden,
weil leitende Beamte und andere Mitglieder des Dienstes ein gebrochenes Verhältnis zu unserem demokratischen Staat und zu seiner Verfassungsordnung haben,
weil frühere Bundesregierungen unter CDU-Bundeskanzlern ihrer Aufsichtspflicht gegenüber diesen Diensten nicht nachgekommen sind.
Das Parlament läßt sich nicht von denen, die diese Praktiken und Versäumnisse zu verantworten haben - und die sitzen auf dieser Seite des Hauses — sein Kontrollrecht streitig machen oder beschneiden. Dabei geht es nicht darum, diese Dienste zu demontieren, ihre Tätigkeit zu behindern, sondern darum, diese unzulässigen Praktiken aufzuklären und sicherzustellen, daß sich die Tätigkeit des Bundesnachrichtendienstes im Rahmen der durch unsere verfassungsmäßige Ordnung gesetzten Grenzen vollzieht und daß er eine wirkungsvolle Arbeit leistet im Interesse der Freiheit und Sicherheit unserer Bürger und ihres Staates.Vorgebliche Sicherheits- oder Geheimhaltungsbedürfnisse dürfen nicht zur Mißachtung der Rechtsstaatlichkeit und zur Unterlassung der parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste und der Regierung, die für diese verantwortlich ist, führen. Damit würde nicht nur die Rechtsstaatlichkeit, sondern auch die Sicherheit der Bürger dieses Staates in Frage gestellt.Der Auftrag des Bundesnachrichtendienstes ist die Auslandsaufklärung. Inlandsaufklärung ist dem Bundesnachrichtendienst untersagt. Sie fällt ausschließlich in die durch Gesetz festgestellte Zuständigkeit der Verfassungsschutzämter, wie das in dem Ausschußbericht des Kollegen Hirsch ausführlich dargelegt wurde. Die Untersuchungen des Ausschusses haben ergeben, daß der Bundesnachrichtendienst zumindest bis Mai 1968, also der Ablösung seines früheren Präsidenten Gehlen, in vielfältiger Weise seinen Auftrag überschritten, also innenpolitische Aufklärung betrieben, ja, teilweise auch aktive Politik mit nachrichtendienstlichen Mitteln durchgeführt hat bzw. sich einseitig für parteipolitische Zwecke hat mißbrauchen lassen.
Diese Politik, meine Damen und Herren, wurde imBundesnachrichtendienst vielfach von den Leutenbetrieben, die diesem Staat reserviert oder sogar negativ gegenüberstehen, und der Kollege Wallmann hat sich heute bedauerlicherweise zu einem Verbündeten dieser Leute gemacht.
Wir haben deshalb Anlaß, uns hier an Hand der Beweisergebnisse mit dem Zustand des Bundesnachrichtendienstes bei der Regierungsübernahme durch die sozialliberale Koalition zu befassen und nach den Ursachen für diese unzulässigen Praktiken zu fragen. Der Bundesnachrichtendienst war unter der unbeschränkten Herrschaft von Gehlen eine Geheimorganisation,
die mit einem aufgeblähten Mitarbeiterstab und einer Vielzahl von teilweise unkontrollierten Außenstellen und Sonderverbindungen weitgehend ohne Überwachung durch das dafür zuständige Bundeskanzleramt
in großem Umfange auftrags- und gesetzeswidrig Inlands- und innenpolitische Aufklärung betrieb
und Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Geistesleben bespitzeln und, wenn es sich anbot, auch deren Privatleben ausforschen ließ.
Ich möchte die Herren Kollegen Breidbach und Arndt bitten, hier keine Privatgespräche zu führen, sondern sich der Rede zuzuwenden.
Metzger: : Der damalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes hatte es hierbei zu einer Perfektion des Informationsmonopols — er nannte das „Führungsunterrichtung" — und zu einem Höchstmaß an Herrschaftswissen gebracht, gesammelt in einer nur ihm zugänglichen Sonderkartei. Ihm allein stand diese Sonderkartei zur Verfügung. Er entschied über die Verwertung des Materials, er bestimmte auch die Personen, denen das Material zugänglich gemacht wurde. Bestandteil und Schwerpunkt der Präsidentenkartei waren die Dossiers über die Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in der Bundesrepublik aus allen politischen Richtungen. Eine Namensliste mit 54 Namen, die nach Aussagen des Leiters der Beschaffungsabteilung absolut unvollständig war, lag dem Ausschuß vor. Aus
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10557
Metzgerdiesen Dossiers wurden die Vortragsnotizen angefertigt, in denen bestimmte Erkenntnisse über Personen auf Weisung Gehlens aus der Sonderkartei herausgezogen und zusammengefaßt wurden. Sie dienten dem Präsidenten als Besprechungsunterlage, wenn er nach Bonn zu dem damaligen Chef des Bundeskanzleramtes, Staatssekretär Dr. Globke, zum Bundeskanzler oder zu anderen Politikern reiste.Daneben gab es die sogenannten Führungsunterrichtungen. Hierbei handelte es sich um Vermerke insbesondere aus der Beschaffungsabteilung, in denen aus dem Meldungsaufkommen bestimmte Hinweise oder Sachverhalte zusammengefaßt wurden, von denen die leitenden Mitarbeiter des Präsidenten annahmen, daß er sich hierfür interessiere. Einer dieser Mitarbeiter bekundete vor dem Ausschuß, daß es in besonders delikaten Angelegenheiten, die mit Persönlichkeiten zu tun hatten, in der Entscheidung des Abteilungsleiters lag, wem das vorgelegt wurde. Diese, wie ein Zeuge sie nannte, „Delikatessen" wurden nicht, wie dies bei sämtlichen Auslandsmeldungen geschah, an die Auswertung gegeben, sondern direkt an den Präsidenten.
- Das wissen Sie doch am besten; Sie waren doch mit im Ausschuß.
— Damit dieses Material bestimmten politischen Kräften zugespielt werden kann, die es dann mißbrauchen und zu Angriffen gegen die sozialliberale Koalition benutzen. Das war der Grund.
Bei der Sonderkartei handelte es sich nach der Aussage des früheren Chefs des Bundeskanzleramtes, Ehmke, um ein „dolles Sammelsurium", das wirklich nichts mit Auslandsaufklärung zu tun hatte,
und nach der Bekundung des heutigen BND-Präsidenten Wessel enthielt sie keine für die Aufgabe des Bundesnachrichtendienstes wesentlichen Erkenntnisse, sondern Unsinn, der mit dem Auftrag des Bundesnachrichtendienstes nicht das geringste zu tun hatte.
— Weil man mit diesem Unsinn eine Menge Schaden anrichten kann, wie wir heute in dieser Debatte wieder feststellen mußten.
Die Zeugen bekundeten übereinstimmend, es habe sich bei diesen Akten über prominente Persönlichkeiten um empfindliche Akten gehandelt, die, um ihren Mißbrauch zu verhindern, unmittelbar beim Präsidenten aufbewahrt wurden.
Es lag also allein in der Entscheidung des damaligen Präsidenten, ob und in welchem Umfang diese Akten verwandt und mißbraucht wurden.Der Leiter der Beschaffungsabteilung, der Zeuge Weiss, bejahte die Frage, ob dieses Material zur Erpressung geeignet gewesen sei. Er meinte, der Präsident müsse es verantworten, was er mit diesen Dingen macht, ob er sie verwendet oder nicht.
— Sie haben wohl immer noch nicht kapiert, daß der Untersuchungsausschuß sich auch um den Bundesnachrichtendienst gekümmert hat und daß das eine ganz zentrale Frage der Beweisaufnahme war.
Dieser selbe Zeuge erklärte in einer Sitzungspause dem Bundestagskollegen Dr. Arndt wörtlich: „Sie werden ja gemerkt haben, daß ich heute nur gemauert habe. Das sage ich ganz offen nach meiner Vernehmung zu Ihnen. Aber Sie können sich vielleicht auch vorstellen, daß es dafür gute Gründe gibt".
— Die Begründung für das Sammeln solcher „Delikatessen" können Sie auch hören:
Der Chef eines Nachrichtendienstes müsse eine gewisse breite Palette haben.Die sogenannten Vortragsnotizen für den Präsidenten beschäftigten sich ebenso mit Parteien, Verbänden, Wirtschaftsunternehmen und staatlichen Einrichtungen wie mit Presseorganen, Meinungsforschungsinstituten und Einzelpersonen.
Zwei Beispiele mögen das deutlich machen. Es ging um einen Diplomaten, der später Pressesprecher einer CDU-geführten Bundesregierung wurde. Staatssekretär Globke forderte von Gehlen Material an. Es wurde von einer Mitarbeiterin des Präsidenten aus der Sonderkartei zusammengestellt. Die sogenannte Vortragsnotiz ging von Globke an den damaligen Außenminister von Brentano. Dieser händigte sie dem Betroffenen aus, der verständlicherweise mit Empörung reagierte.Die Mitarbeiterin Gehlens, als Zeugin vor dem Ausschuß gehört, sagte, mit diesem Fall sei der Dienst „furchtbar auf den Bauch gefallen". Der Zeuge Gehlen erklärte hierzu, es habe zwar ein völlig ungeklärter vager Verdacht vorgelegen, der dem10.55RMetadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
MetzgerAußenminister bekanntgeworden sei; Herr von Brentano habe seinerseits nicht die Klärung eingeleitet, sondern die Meldung dem Betroffenen gezeigt. Das habe großen Stunk gegeben. Es sei natürlich, daß da jemand furchtbar eingeschnappt sei, wenn er auf Grund eines ganz vagen Verdachtes hin so ein Papier sieht.
Als einen Fall innenpolitischer Berichterstattung haben alle dazu befragten Zeugen den Inhalt der Akte eines früheren Wehrbeauftragten angesehen. Der Zeuge Gehlen konnte sich zwar an den Akteninhalt nicht erinnern, meinte aber, daß es sich dabei um die nie völlig geklärte Geschichte handelte,
die den Wehrbeauftragten offensichtlich diskreditiert hat, so daß er sein Amt aufgeben mußte. Da er ihn persönlich gekannt habe, habe ihn das natürlich interessiert, ob er ihm da helfen könnte oder ob er sich von ihm zurückziehen müsse.
In diesem Zusammenhang ist die Antwort des Zeugen Gehlee auf die Frage, ob er einen Auftrag erteilte, dies zu erkunden, bezeichnend für die Einstellung der Führungsspitze des Bundesnachrichtendienstes.
Gehlen sagte wörtlich:Das ist wahrscheinlich von selber gekommen. So waren die Leute schon erzogen, wenn sie so etwas wußten.Und an anderer Stelle erklärte er, daß niemand jeweils auf einen Auftrag wartete, daß die betreffenden Leute von sich aus tätig wurden.Nicht ohne Grund hat der amtierende Präsident Wessel nach Übernahme des Amtes im Jahre 1970 die Weisung gegeben, die besonderen Berichterstattungen in Form von Vortragsnotizen und Führungsunterrichtungen einzustellen und alle Meldungen an die Auswertung bzw. an die große Kartei zu geben. Die Sonderkartei, die von dem damaligen Präsidenten geführt wurde, wurde nach dessen Ausscheiden, soweit sie nicht vorher beiseite geschafft wurde, aufgelöst.Das gilt auch für die Sonderverbindungen, die unter Gehlen neben dem normalen Beschaffungsapparat bestanden. Der Mercker-Bericht stellt hierzu fest, daß es sich hierbei um einen bestimmten Kreis von hochrangigen Quellen oder außerplanmäßigen Mitarbeitern gehandelt habe, die von einem unmittelbar dem Präsidenten unterstellten, hochgestellten Dienstangehörigen geführt wurden.
-- Aber eines kann ich Ihnen sagen, Herr Kollege: Herr Gehlen hat Herrn Felfe eingestellt,
und Herr Felfe war zweifellos einer der größten Spione, die wir hier in der Bundesrepublik über mehrere Jahre hatten
und die in unglaublicher Art und Weise diesem Staate, unserer Bundesrepublik geschadet haben.
Die Meldungen und Stellungnahmen aus diesem Bereich wurden unmittelbar und in der Regel ohne vorherige Prüfung durch die normale Auswertungsabteilung der Führungsspitze —
— Ich würde Ihnen einmal empfehlen, Herr Kollege Breidbach, zuzuhören,
weil das für die Konsequenzen wichtig ist, die wir aus diesen Feststellungen ziehen müssen, die auch Sie aus diesen Feststellungen ziehen sollten.
Ich wiederhole: Die Meldungen und Stellungnahmen aus diesem Bereich wurden unmittelbar und in der Regel ohne vorherige Prüfung durch die normale Auswertungsabteilung der Führungsspitze, zum Teil auch bestimmten politischen Persönlichkeiten außerhalb des Dienstes, an deren Wohlwollen dem Dienst besonders viel lag, vorgelegt.Eine besonders skandalöse und auch politisch infame Form der Inlandsaufklärung — ich könnte mir vorstellen, daß dieser Teil auch die CDU/CSU- Fraktion interessiert — betrieb ein ehemaliger Journalist namens Heysing, der mehr als zehn Jahre für den Bundesnachrichtendienst tätig war. Dieser gab von 1959 bis 1970 mehr als 2 000 Berichte an die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes. Die Geisteshaltung dieses Agenten und die Zielrichtung seiner Informationen wird deutlich, wenn man eine Meldung vom 24. Juni 1968
betreffend „Personalüberprüfung von Schädlingen" liest. Darin wird eine genaue Überprüfung, einschließlich von Nachforschungen über die Vergangenheit jedes Verlegers, Publizisten, Künstlers, Schauspielers oder sonstigen Multiplikators hinsichtlich seines gesamten Lebenslaufes, seiner Produktion, seiner Familien-, Berufs- und Gesellschaftsverbindungen, seiner persönlichen Eigenarten, Ver-
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Metzgermögensverhältnisse, Sympathien und Aversionen angeraten, soweit diese sich mit Presse- und Öffentlichkeitsarbeit befassen.
Nach dem Vorschlag von Heysing sollten Personalkarteien angelegt und bestimmte Personen bis zur vollständigen Ruinierung verfolgt werden. Das ist leider ein Stil, der auch von einigen Vertretern der Opposition heute in diesem Staate verfolgt wird.
Das Problem sei nur, daß der Bundesnachrichtendienst nicht offen als Fragesteller oder Materialsammler auftreten dürfe.
In der Meldung Nr. 2 202 werden Interna aus dem Springer-Konzern und einem süddeutschen Industrieunternehmen, welches sich auf dem Gebiet des Presseverlagswesens betätigte, preisgegeben. Hey-sing meldete der Zentrale des BND, wer von namhaften Journalisten verschiedener namhafter Presseorgane miteinander befreundet oder verfeindet ist, wer jüdische oder halbjüdische Anverwandte hat, welches Monatseinkommen und welche zusätzlichen Vergünstigungen bestimmte Chefredakteure haben und wer einmal in 175er-Verfahren verwickelt war. Das waren solche Meldungen, die unter der damaligen Leitung des Präsidenten Gehlen über zehn Jahre an den Bundesnachrichtendienst gegangen sind.Auch für die CDU/CSU enthielten diese Berichte des sicher eifrigen und auch gut bezahlten BND- Mitarbeiters wichtige Ratschläge. In der Meldung Nr. 1 082 teilte Heysing mit, daß sich der Herausgeber der „National- und Soldaten-Zeitung", Dr. Frey, nach der von SPD-Abgeordneten im Rahmen der Debatte über die Verjährung von NS-Verbrechen an dieser Zeitung geäußerten Kritik veranlaßt sehe, sich nur noch mit der SPD zu beschäftigen. Daran knüpfte Heysing wörtlich den Vorschlag:Dabei bietet sich die Chance, über den rechten Flügel alle diejenigen Anmerkungen zur Person von Brandt zu machen, die von der CDU/ CSU direkt schlecht vorgebracht werden können.
Die CDU/CSU-Presse kann dann aber mit größtem Abscheu Freys Verbalinjurien kommentieren und so inhaltlich, ohne selbst als unfair im Wahlkampf bezeichnet zu werden, weiterverbreiten.
Die Ratschläge und Informationen, die Heysing anden Bundesnachrichtendienst über Jahre hin lieferte,
waren auf eine zum Teil massive Beeinflussung von Presseunternehmen gerichtet. Sie enthielten aber auch unverblümte Hinweise auf ein gezieltes politisches Aktivwerden des Bundesnachrichtendienstes z. B. für den CSU-Vorsitzenden Franz-Josef Strauß, aber auch zugunsten der NPD und rechtsradikaler Kreise. Dem entsprachen Agitationsvorschläge gegen die SPD und ihre führenden Politiker.Man sollte vielleicht dem CSU-Vorsitzenden Strauß — er ist ja leider heute nicht hier, aber Herr Stücklen kann es ihm sicher weitergeben — die Empfehlung geben, den ehemaligen Agenten Heysing, nachdem er in der Zwischenzeit aus dem Bundesnachrichtendienst entlassen wurde,
in sein Propagandateam aufzunehmen,
wenn man die Meldung vom 13. April 1971 liest, in der es wörtlich heißt: — —
— Sie sollten einmal zuhören! Es heißt da wörtlich:Es muß klargemacht werden, daß in der derzeitigen Situation in der Bundesrepublik nur nervenstarke, energische Männer eine allgemeine Auflösung verhüten und auf eine notwendige Konzentration der Kräfte hinwirken können, selbst wenn diese Männer sich bajuwarisch hemdsärmelig-barock zeigen ... Es ist notwendig, daß vor allem lobende Auslandsstimmen über Strauß produziert werden, da allgemein mit Stirnrunzeln herumgewispert wird: Im Ausland kommt er gar nicht an ...Er hat ja in der Zwischenzeit einen Durchbruch in China erzielt!
Ein Freund des CSU-Vorsitzenden, Geschäftsführer der „Deutschland-Stiftung" und Mitherausgeber des „Deutschland-Magazins", also in guter Gesellschaft mit Herrn Wallmann, wird in der Meldung vom 21. September 1964 von Heysing gewürdigt, indem dieser mitteilt, daß von bestimmter, namentlich nicht genannter Presseseite Kurt Ziesel
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Metzgermit 80 000 bis 100 000 DM Pro-Forma-Honorar zum Unterlassen seiner Angriffe eingekauft werden solle, in der aber auch weitere Enthüllungen aus der Privatsphäre der Ziesel-Gegner ebenso enthalten sind wie der Hinweis auf die Waffenhändlerklientel von Ziesels Rechtsanwalt.
Unter dem 29. September 1964 wird Heysing von der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes ausdrücklich um weitere Informationen in dieser Angelegenheit ersucht.
Im Hinblick auf dieses in jeder Hinsicht skandalöse Verhalten ist die Frage erlaubt, welche Gründe für die frühere Leitung des Bundesnachrichtendienstes maßgebend waren, solche Mitarbeiter in voller Kenntnis ihrer gesetzeswidrigen und gegen unsere demokratische Rechtsordnung gerichteten Tätigkeit über viele Jahre hinweg zu beschäftigen und mit Aufträgen und Honoraren zu versorgen.
In diesem Zusammenhang ist auch die Frage erlaubt, was frühere Bundesregierungen, frühere Bundeskanzler getan haben, um ihrer Verantwortung für die Überwachung dieses Bundesnachrichtendienstes gerecht zu werden.
Sicherlich gibt es eine Reihe — so möchte ich sagen —
unseriöser oder — noch besser — Pseudojournalisten bei denen von einer Verfilzung mit dem Bundesnachrichtendienst gesprochen werden kann, die unter Gehlen die legitime Öffentlichkeitsarbeit in unzulässiger Weise mit Beschaffungsaufgaben, insbesondere innenpolitischer Aufklärung, vermischten. Nach den Erkenntnissen, die der Untersuchungsausschuß gewonnen hat, handelte es sich aber um Einzelfälle, die nicht der Presse insgesamt angelastet werden dürfen.
Ein weiterer Fall massiver innenpolitischer Aufklärung war die Zusammenarbeit des ehemaligen Leiters einer Außenstelle des Bundesnachrichtendienstes, Höfler von Loewenfeld, mit einem ehemaligen Angestellten der SPD, Bärwald. Hierbei ging es in erster Linie um das Ausforschen interner Vorgänge in der Sozialdemokratischen Partei, insbesondere im Parteivorstand, um sie der CDU/CSU zugänglich zu machen.An Hand dieses Falles wird deutlich, daß eine Außenstelle des Bundesnachrichtendienstes für parteipolitische Zwecke mißbraucht wurde. Die Behauptung, Bärwald habe im Rahmen eines beschränkten Auftrages diese Spitzeldienste geleistet, sind frei erfunden. Bezeichnend ist die Qualifikation des Zeugen von Loewenfeld durch den heutigen BND-Präsidenten. Wörtlich sagte dieser: „Ich muß davon ausgehen, daß ein Dienststellenleiter im Range eines Stabsoffiziers, der entgegen einer ihm bekannten Weisung doch diese Sachen sammelt, auch vielleicht andere Dinge getan haben könnte, die nicht im Sinne und im Auftrage des Bundesnachrichtendienstes gewesen sind."Dabei waren — so möchte ich es einmal sagen — zwei Feststellungen von besonderer Pikanterie, die der Ausschuß im Zusammenhang mit der Vernehmung dieses Zeugen treffen konnte:Erstens. Auf Hinweise des damaligen Chefs im Bundeskanzleramt, Professor Dr. Ehmke, ließ Präsident Wessel die in dieser Außenstelle gesammelten Unterlagen sicherstellen und in der Zentrale des Dienstes unter Verschluß nehmen. Er war übrigens der Auffassung, daß hier vorsätzlich gegen Bestimmungen und ausdrückliche Anweisungen der Leitung des Dienstes verstoßen wurde, und zog persönliche Konsequenzen.Die erste Vollzugsmeldung über die Sicherstellung einer ganzen Berichtsakte über die SPD erhielt Herr Professor Dr. Ehmke nicht von der Leitung des Bundesnachrichtendienstes, sondern am 4. März 1971 von dem CSU-Vorsitzenden Strauß, der über die Querverbindung zu der Außenstelle bereits auf kurzem Draht unterrichtet worden war.
Professor Dr. Ehmke bekundete als Zeuge, daß ihm der CSU-Vorsitzende anläßlich eines Zusammentreffens bei der Eröffnung einer Ausstellung in der bayerischen Vertretung in Bonn vorgeworfen habe — man höre —, er habe ohne richterliche Anordnung Akten beschlagnahmt, was ganz unerhört sei. Ein merkwürdiges Rechtsverständnis des Vorsitzenden der CSU!
Zweitens. Der Zeuge Höffer von Loewenfeld mußte sich bei seiner Einvernahme im Ausschuß der Lüge überführen lassen.
Er wurde sozusagen auf frischer Tat ertappt. Zunächst stellte er in Abrede, vor seiner Vernehmung über den Inhalt seiner Zeugenaussage mit einem Dritten gesprochen und in Protokolle über vorausgegangene Sitzungen des Auschusses Einblick erhalten zu haben.
— Ich weiß, daß Ihnen das sehr unangenehm ist.
Tatsache ist aber, daß der Zeuge vor seiner Einvernahme mit seiner ehemaligen Sonderverbindung, dem Agenten Bärwald, zusammentraf, der heute zum Mitarbeiterstab des von Ihrem Fraktionskollegen Marx geleiteten Arbeitskreises „Sicherheit" gehört, mit ihm seine Zeugenaussagen besprach und sich unter Verletzung der Verfahrensbeschlüsse des
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MetzgerUntersuchungsausschusses auch Wortprotokolle über vorausgegangene Beweisaufnahmen aushändigen ließ, die während der Ausschußsitzung eingezogen werden konnten.
Es ist zu bedauern, daß in dieser Debatte heute leider der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Herr Kollege Carstens, wegen einer Grippeerkrankung nicht anwesend sein kann.
Seine Rolle, die er als Zeuge im Ausschuß spielte, bedarf aber einer Würdigung.
Er benutzte seine Stellung als Zeuge dazu, alte, aber haltlose Vorwürfe gegen den damaligen Planungschef im Auswärtigen Amt, Ministerialdirektor Egon Bahr, wegen angeblicher Ostkontakte, die im November 1968 vom „Bayern-Kurier" und anderen vergleichbaren Zeitungen, gestützt auf Geheimdienstmaterial, verbreitet wurden, erneut zu erheben.
Dabei erweckte er vor dem Untersuchungsausschuß ganz bewußt zunächst den Eindruck, die angeblichen Kontakte fielen in die Zeit der Tätigkeit Bahrs im Auswärtigen Amt. Später mußte Professor Dr. Carstens einräumen, daß es sich um einen Vorgang aus dem Jahre 1963 handelte, als Bahr Pressesprecher des Berliner Senats war. Dieser Vorgang wurde von dem Vorsitzenden der Oppositionsfraktion im Untersuchungsausschuß als ein „wichtiger, hochpolitischer Komplex" bezeichnet, bei dem Bahr ein angebliches Treffen mit einem sowjetischen Agenten bewußt verschwiegen habe. Tatsache ist, daß Professor Carstens als früherer Chef des Bundeskanzleramtes 1968/69 auf Veranlassung des damaligen Bundeskanzlers Kiesinger eine Untersuchung durchführte. Damals bereits kam Bundeskanzler Kiesinger auf Grund dieser Untersuchungen zu dem Ergebnis, daß sich keine Anhaltspunkte für die Richtigkeit der aufgestellten Behauptungen ergeben hätten. Die gleiche Feststellung traf er vor dem Untersuchungsausschuß. Das konnte den Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion nicht daran hindern, die gleichen unqualifizierten und unwahren Behauptungen vor dem Untersuchungsausschuß erneut aufzustellen.
Die Vorwürfe des Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion gegen Bahr vor dem Ausschuß waren nichts anderes als der Versuch eines politischen Rufmordes.
Bedauerlicherweise hat sich der Zeuge Carstens auch in einem anderen Punkt mit der Wahrheit sehr zurückgehalten. Inzwischen steht fest, daß der Bundesnachrichtendienst unter dem früheren Präsidenten Gehlen nicht nur über umfangreiche Waffengeschäfte privater Firmen in der Bundesrepublik unterrichtet war, sondern mit diesen Firmen auch zusammenarbeitete. Wir wissen, daß das Landgericht Bonn sich demnächst mit einem Sachverhalt beschäftigen wird,
bei dem umfangreiche Waffengeschäfte mit Billigung und unter Mitwirkung der zuständigen Ministerialbeamten, einschließlich von Staatssekretären, und des Bundesnachrichtendienstes durchgeführt worden sind. Auf entsprechende Fragen im Untersuchungsausschuß antwortete der Zeuge Professor Dr. Carstens, er habe in der Zeit, als er die Aufsicht über den Bundesnachrichtendienst führte, über Waffenhandel des Bundesnachrichtendienstes nie etwas gehört. Wörtlich:Ich habe über andere Waffenhändler einiges gehört, aber nicht darüber, daß der Bundesnachrichtendienst am Waffenhandel beteiligt gewesen ist, und ich muß sagen, daß ich davon heute zum erstenmal höre.Diese Äußerung hat er in ähnlicher Weise auch in einer Fernsehsendung getan.Ich frage an dieser Stelle die Bundesregierung — —
— Entschuldigung, hier ist der Chef des Bundeskanzleramtes, der Nachfolger von Herrn Carstens in dieser Funktion.
Ich frage die Bundesregierung, ob Behauptungen zutreffen, nach denen die Waffengeschäfte einer im Bonner Raum tätigen Firma zumindest in der Zeit vom August 1964 bis Ende Oktober 1966 nicht nur in Zusammenarbeit mit dem Bundesnachrichtendienst, sondern auch mit dem Bundesverteidigungsministerium, dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Auswärtigen Amt, dessen Staatssekretär damals Professor Dr. Carstens war, abgewickelt wurden, über die in den einzelnen Fällen das Bundeskanzleramt jeweils schriftlich unterrichtet wurde.
Diese Waffengeschäfte sollen ab Oktober 1966— ich frage die Bundesregierung, ob auch das zutrifft — infolge Wechsels der mit dem Waffenhandel befaßten Staatssekretäre und infolge notleidender Zusammenarbeit, wie es schön formuliert wurde, auf der Referentenebene in Bonn keine Deckung mehr gehabt haben.Ich möchte auch gerne von der Bundesregierung wissen
— und das Parlament hat einen Anspruch auf Aufklärung dieses Sachverhalts —, ob im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen Berichte über diese Waffengeschäfte, z. B. vom 1. August 1969, an das Bundeskanzleramt gegangen sind und der damalige Chef des Bundeskanzleramtes, der heute Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist, sich mit diesen Vorgängen befaßte und Verfügungen traf.Warum, so frage ich — und diese Frage muß hier gestattet sein —, hat Herr Professor Dr. Carstens
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Metzgerdann als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuß und auch vor der deutschen Öffentlichkeit so nachdrücklich in Abrede gestellt, daß er als Chef des Bundeskanzleramtes niemals etwas davon gehört habe, daß der Bundesnachrichtendienst und — dies füge ich hinzu —, wie zu befürchten ist, auch frühere Regierungsstellen, am Waffenhandel beteiligt waren?
Ich will diese Frage jetzt nicht vertiefen.
Ich bin überzeugt davon, daß die dafür zuständigen Ermittlungsbehörden, die sicher Zugang zu den Unterlagen des Bundeskanzleramtes haben, prüfen werden, ob und in welchem Umfang Herr Professor Dr. Carstens gegenüber dem Untersuchungsausschuß und der deutschen Öffentlichkeit die Wahrheit verschwieg und welche strafrechtlichen Konsequenzen sich gegebenenfalls hieraus ergeben.
Die Sozialdemokratische Partei und ihre Vertretung in den Parlamenten hat in ihrer langen Geschichte für die Demokratie und den Ausbau des Rechts- und Sozialstaates gekämpft. Sie hat auch in schweren Zeiten unter Hintanstellung von eigenen Interessen zu diesem Staat und seiner Verfassung gestanden. So war es zu Beginn der Weimarer Republik 1918/19 und an ihrem Ende 1933. Sie hat diesen Staat und das Grundgesetz von 1949 mit geschaffen, auch wenn heute von einigen Vertretern der Opposition der Versuch unternommen wird, die Sozialdemokratische Partei, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion und die sozialliberale Bundesregierung zu diffamieren und ihnen diese Leistungen abzusprechen.Wir bejahen auch heute — ich möchte das mit allem Nachdruck sagen — die Nachrichtendienste als notwendige Einrichtungen des Staates im Interesse seiner Bürger und ihrer Sicherheit. Wir wissen aber auch um den Mißbrauch der Macht. Deshalb ist es für uns ebenso selbstverständlich, daß Mißbräuche ausgeschaltet
und die strikte Einhaltung der verfassungsrechtlichen Schranken, der Gesetze und des Auftrages in diesen Geheimdiensten durchgesetzt werden müssen. Seit Sozialdemokraten in der Bundesrepublik die Regierungsverantwortung mit tragen, ist auch ein Wandel beim Bundesnachrichtendienst festzustellen.
Während der Zeit der Großen Koalition wurde die Mercker-Kommission eingesetzt, die Beschwerden prüfte, die an ein Mitglied der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion damals herangetragen wurden. Präsident Gehlen wurde 1968 abgelöst, und eine Neuordnung des Dienstes wurde eingeleitet. Bei der Regierungsübernahme 1969 wurden die Reorganisation vorangetrieben, der Dienst gestrafft, die Leitungsfunktionen neu besetzt, eine Zentralkartei eingerichtet, die einschlägigen Richtlinien neu gefaßt und einiges mehr. Alle drei Dienste — auch der Bundesnachrichtendienst — haben seither an Effektivität gewonnen.
Sicher ist noch manches verbesserungsbedürftig.
Zuletzt hat der Bundeskanzler den Chef des Bundeskanzleramtes zum Koordinator bestellt, ihn mit den notwendigen Befugnissen ausgestattet und die Verstärkung der Dienstaufsicht über den Bundesnachrichtendienst eingeleitet. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion unterstützt diese Maßnahmen. Sie wird sich auch dafür einsetzen, daß die notwendigen sachlichen und personellen Voraussetzungen für eine wirkungsvolle Arbeit dieser Koordinationsstelle erfüllt werden.Martin Süßkind hat in der „Süddeutschen Zeitung" in der Ausgabe vom 24. Februar 1975 geschrieben — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten :Ein Gutteil zur Vergangenheitsbewältigung des Bundesnachrichtendienstes beigetragen zu haben, bleibt das Verdienst des Untersuchungsausschusses. Die Zauberlegende vom Bundesnachrichtendienst, die sein ehemaliger Chef Reinhard Gehlen sorgsam hegte, ist endgültig dahin. Daß die Öffentlichkeit erstmals Einblick in frühere zwielichtige Praktiken der Inlandsüberwachung nahm, kann eine Garantie dafür sein, daß sich der Geheimdienst künftig in jenem gesetzlichen Rahmen bewegt, den ihm ein demokratischer Staat zuweist.
Die Dienste sollen ohne Beeinträchtigung ihre notwendige Arbeit leisten können. Aber wir werden auch darüber wachen, daß sie unsere verfassungsmäßige Ordnung achten. Hierzu hat auch der 2. Untersuchungsausschuß durch seine Arbeit einen Beitrag als Kontrollorgan dieses Parlaments geleistet.
Das Wort hat der Abgeordnete Spranger. Für ihn sind 45 Minuten angemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede, die Herr Metzger hier soeben von sich gegeben hat, erfüllte voll die Erwartungen derjenigen, die ihn näher kennen.
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SprangerSein hemmungsloser Angriff auf die Rede von Herrn Kollegen Wallmann
ist typisch für jemanden, der selbst mit der Wahrheit ständig auf Kriegsfuß steht,
der aber um so mehr von ihr getroffen wird, wenn andere sie mit aller Deutlichkeit und unwiderlegbar aussprechen.
Wer so aufheult, wer sich so aufführt und andere derart beleidigt, zeigt nur, wie schwer ihn samt seiner Partei diese Rede offenbar getroffen hat.
Ihr Wahrheitsgehalt hätte nach meiner Auffassung nicht besser bewiesen werden können als durch diese Reaktion von Herrn Metzger.
Im übrigen sollte man es ihm nachsehen. Er ist Gott sei Dank nicht das Problem der CDU/CSU, sondern das der SPD. Die muß mit ihm fertig werden. Herr Metzger kann eben nicht anders.
Auch wer ihn als Chefankläger der SPD gegen die Nachrichtendienste im Untersuchungsausschuß erlebt hat, weiß, daß er sich kaum über das Niveau jener hessischen Wahlanzeige erheben kann, in der ausgeführt wird, daß Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bespitzelt wurden.
— Hören Sie sich das erst einmal an! Wenn Sie sich dann mit diesem Giftwerk indentifizieren, soll es mir recht sein.
In dieser Anzeige hieß es:Widerrechtlich spionierte man ihnen nach, man schnüffelte in ihrem Privatleben
und trug sogenannte Dossiers zusammen.
Gesetze wurden gebrochen, der Bundesnachrichtendienst mißbraucht.
Diese ungeheuerlichen Rechtsbrüche geschahen unter der Herrschaft der CDU/CSU.
— Meine Damen und Herren, es ist für mich erschütternd, daß sich die gesamte SPD-Fraktion, die hier vertreten ist, mit dieser Delikatesse aus einer Giftküche identifiziert, in der auch die DKP kochen lassen könnte.
Das verrät den gleichen Ungeist, der maßgebliche SPD-Politiker vom „kalten Staatsstreich eines Rechtskartells", vom „Holzen" und vom „Mobilisieren der Betriebe" sprechen läßt. Aus ihr spricht der gleiche Ungeist einer latenten Bürgerkriegsdrohung, die den gemeinsamen Boden unserer Demokratie zerstört.
Meine Damen und Herren, die Anzeige erfüllt ebenso wie die Rede von Herrn Metzger eine bedeutsame Aufgabe in der Verteidigungsstrategie der SPD. Ihr geht es in erster Linie darum, vom Versagen der verantwortlichen Politiker im Spionagefall Guillaume abzulenken
und unbestreitbare Fehlentscheidungen ausschließlich den Nachrichtendiensten anzulasten. Zudem hat die SPD auch noch alte Rechnungen zu begleichen, nicht nur mit d e m BND, der rechtzeitig und intensiv vor der Einstellung des Spions gewarnt hatte, sondern auch mit jenem BND, der die heimlichen Kontakte zwischen SPD und Mitgliedern ausländischer kommunistischer Parteien aufdeckte.
Grund zur Einschüchterung und Diffamierung des BND hatten schließlich aber auch jene, die sich durch seine Berichte über die ständig steigenden Rüstungsanstrengungen des Warschauer Paktes in Ihrer Entspannungseuphorie gestört sahen. Schon 1967 .. .
— Herr Dr. Arndt, so einfach, wie Sie die Sache hier dargestellt haben, ist es mit Sicherheit nicht! Schon 1967 nämlich, Herr Dr. Arndt, ist die gesamte SPD in Aufregung geraten, als der BND pflichtgemäß berichtete, daß führende Persönlichkeiten der SPD hinter dem Rücken des damaligen Bundeskanzlers Kiesinger und der CDU/CSU heimlich mit der Kommunistischen Partei Italiens Kontakte aufnahmen, die zu einer Annäherung an die politischen Vorstellung der Kommunisten in Ostdeutschland führten.
Und nicht weniger ärgerlich, Herr Dr. Arndt, war es dann schließlich für den damaligen Außenminister Willy Brandt und seinen engen Vertrauten, Egon B a h r, als 1968 dessen zahlreiche Ostkontakte mit sowjetischen Stellen aktenkundig wurden, die eindeutig bewiesen, daß die Herren Brandt und Bahr schon seit 1963 entschlossen waren, die
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SprangerBundesrepublik dem Abenteuer ihrer Ostpolitik auszuliefern.
Wenn Herr Metzger vorhin hier von den Gesprächen mit Herrn Kutirew gesprochen hat, so sage ich Ihnen, meine Damen und Herren: Diese Gespräche sind weniger interessant als von der Methode her. Denn wenn hier hinter dem Rücken des amtierenden Bundeskanzlers, hinter dem Rücken des Koalitionspartners mit sowjetischen Agenten Gespräche in dieser Art geführt wurden, dann spricht das eindeutig für den konspirativen und subversiven Charakter dieser Ostpolitik.
Ich meine, Herr Professor Carstens war eindeutig verpflichtet, dieses Thema im Untersuchungsausschuß anzuschneiden und darzulegen, wie es wirklich war. Herr Metzger hat deutlich gemacht, daß es ihn heute noch sehr trifft, wenn dieser subversive Charakter der Ostpolitik angesprochen wird.
Meine Damen und Herren, die Beobachtung dieser Kontakte zählte unzweifelhaft zu den legitimen Aufgaben des Bundesnachrichtendienstes. Sie war ein Teil der politischen Auslandsaufklärung; denn dazu gehörte nicht nur die Beobachtung der Methoden und Ziele, die insbesondere die kommunistischen Regierungen zur Durchsetzung ihrer politischen Vorstellungen entwickeln, sondern dazu gehört auch die Aufklärung darüber, inwieweit sich die kommunistischen Regierungen dabei inländischer Persönlichkeiten bedienen, die bereit sind, die politischen Vorstellungen kommunistischer Machthaber ganz oder teilweise zu übernehmen und im Inland zu vertreten. Die Frage, inwieweit der Sowjetunion dies in dem einen oder anderen Falle gelungen ist, mag sich jeder an Hand eines Textvergleiches zwischen dem Inhalt der Ostverträge und den Beschlüssen der Kommunisten in Bukarest und Karlsbad selbst beantworten.
So sprach denn vieles für jene breit angelegte Kampagne aus Abrechnung und Ablenkung, um nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung", das ja übrigens bei Ihnen ohnehin die beliebteste Strategie ist, zielstrebig auf einem Nebenkriegsschauplatz, ohne Rücksicht auf die Sicherheit des Staates und seiner Bürger, Schlachten gegen den BND zu schlagen, wie wir es eben von Herrn Metzger wieder erlebt haben. Zum Feldherrn dieser Kampagne ernannte sich ausgerechnet jener Mann, der in der 198. Sitzung des Deutschen Bundestages am 21. September 1972 dazu aufrief — ich zitiere aus Seite 11682 —, „sich der gemeinsamen Verantwortung für dieses empfindliche Sicherheitsinstrument bewußt zu sein und darauf zu verzichten, auf Kosten des Dienstes und auf seinem Rücken parteipolitische Polemik zu treiben", derselbe Mann also, der auch die Hauptverantwortung für die Einstellung des Spions Guillaume trägt, Professor Dr. Horst E h m k e.In der Beweisaufnahme haben seine Vorwürfe allerdings keinerlei Bestätigung gefunden. Keiner der Zeugen oder Sachverständigen hat die Behauptung bestätigt, die auch Herr Arndt heute nochmals aufgestellt hat und die Herr Metzger wiederholte, daß der BND beim Regierungswechsel 1969 in einem „desolaten Zustand" gewesen sei.
— Welcher Präsident?
— Präsident Wessel hat eindeutig erklärt, daß von einem handlungsunfähigen Zustand in keiner Weise die Rede sein kann. Das hat Herr Wessel laut Protokoll eindeutig erklärt.
Herr Dr. Arndt, Sie sollten hier nicht die Wahrheit auf den Kopf stellen, wie es Herr Metgzer ja vergeblich versucht hat.
Daß es Mängel gegeben hat, ist von niemand bestritten worden und hat auch die CDU/CSU niemals in Frage gestellt. Ich möchte auch meinen: Welches Mitglied der Bundesregierung kann hier behaupten, daß in seinem Ministerium fehlerfrei gearbeitet wird?
So war es für den Dienst und seinen Präsidenten Gehlen ein schwerer Schlag, daß der KGB-Agent Felfe jahrelang in der Abteilung Gegenspionage arbeiten konnte. Ganz selbstverständlich stürzte dies den Dienst in eine Vertrauenskrise; das wurde heute schon betont. Sicher erschwerte der Zustand der organisierten Desorganisation Kooperation und Koordination innerhalb des Dienstes. Allerdings wurde dadurch auch das Eindringen von feindlichen Agenten, das Eindringen Felfes in andere, zu jeder Zeit voll arbeitsfähige Teile des Dienstes verhindert.
In Übereinstimmung mit allen Sachverständigen und Zeugen hat demgemäß Staatssekretär Mercker festgestellt, daß von einem „desolaten Zustand" des BND mit Ausnahme der Abteilung Gegenspionage keineswegs die Rede sein konnte. Herr Dr. Arndt, das deckt sich voll und ganz mit der Aussage von Herrn Präsident Wessel, und wenn Sie und Herr Metzger hier etwas anderes behaupten, dann ist es eben schlicht und einfach die Unwahrheit. Im übrigen lesen Sie Ihren eigenen Bericht; darin können Sie solche Behauptungen ebenfalls nicht finden.Wie wenig substantiiert die Behauptung über den angeblich handlungsunfähigen Zustand des Bundesnachrichtendienstes ist, zeigt der als Beweis mißbrauchte Vorwurf, der BND habe über den Stettiner Hafenarbeiteraufstand, der zum Sturz Gomulkas
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Sprangerführte, der Bundesregierung keinerlei Hinweise geliefert. Wir haben im Ausschuß von einem Zeugen hören müssen, daß im BND sehr wohl diesbezügliche Hinweise vorlagen, daß diese aber offenbar nicht an die Bundesregierung weitergeleitet wurden. Damit, meine Damen und Herren, stellt sich die Frage nach der Qualität des Dienstes in einem völlig anderen Zusammenhang. Die Frage lautet jetzt nämlich, ob Herrn Ehmkes Regiment über den Dienst dazu geführt hat, daß dieser nur noch solche Meldungen und Lageberichte an das Bundeskanzleramt gibt, die in die politische Vorstellungswelt dieser Regierung passen.
Es wäre verhängnisvoll, wenn mittlerweile Linientreue auch bei den Nachrichtendiensten mehr gefragt wäre als sachliche Information. Ich frage Sie: Gäbe es sonst einen vernünftigen Grund, längst ausgemerzte Mängel als Schreckensgespenster zu bemühen, um die öffentliche Meinung gegen den BND und seinen Präsidenten zu mobilisieren?
Auf Heysing komme ich auch noch. Herr Dr. Sperling, wenn Sie sich mit Herrn Heysing und seinen Berichten identifizieren,
dann ist das für mich ein Armutszeugnis; denn wenn Sie Heysing überhaupt ernst nehmen, zeigt das, daß Sie etwas ganz Bestimmtes beabsichtigen.
Wir haben Heysing nie ernst genommen; Sie haben ihn doch hochstilisiert.Der ständig als Kronzeuge für diese Vorwürfe mißbrauchte Staatssekretär Mercker hat im übrigen den früheren Präsidenten Gehlen gerechter beurteilt, als er sagte — ich zitiere aus der „Deutschen Zeitung" vom 18. Oktober 1974 —:Ich habe Gehlen immer als eine überragende Persönlichkeit angesehen, der zu den Männern gehörte, die nach 1945 Deutschland wieder zu Ansehen in der Welt geholfen haben. Auch Spitzenpolitiker der damaligen Opposition hatten zu ihm ein ausgesprochen positives Verhältnis.
Dies sei aus Gründen der Fairneß dem Verdammungsurteil des Herrn Ehmke gegenübergestellt, von dem sich Gleiches allerdings mit Sicherheit nicht behaupten läßt.
Sein Vorwurf, der BND habe illegal innenpolitische Aufklärung betrieben, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bespitzelt, ihnen nachgeschnüffelt, über sie Dossiers angelegt — ziemlich ungeheuerliche Dinge, wie Herr Dr. Arndt erklärte —, ist ebenso unbegründet.
Dies ist übrigens, meine Damen und Herren, wie so der Zufall spielt, der gleiche Vorwurf, der zur Zeit den amerikanischen CIA auf die Anklagebank zwingt — sicher ebenfalls zur dankbaren Freude und Genugtuung des gesamten Ostblocks.
Die Worte „Bespitzelung" und „Erpressung" erregten natürlich die Phantasie der weitgehend uninformierten Öffentlichkeit, so daß die Ablenkung vom Fall Guillaume beinahe — aber nur beinahe — gelang.In der Hitze des Gefechts ist allerdings Herrn Ehmke und Herrn Metzger eines entgangen: Wer mit der Befürchtung hausieren geht, der Bundesnachrichtendienst habe im Inland gezielte Material über Politiker gesammelt, das Erpressungszwecken habe dienen können, unterstellt natürlich auch, daß die angeblich Betroffenen erpreßbar sind. Ich halte dies für einen bemerkenswerten, aber auch entlarvenden Tatbestand.
Schon der Ausdruck „illegale Aufklärung" ist falsch, weil nur ein Kabinettsbeschluß, nicht aber Gesetze oder irgendwelche Rechtsnormen den Aufgabenbereich des BND umschreiben. Nach diesem Kabinettsbeschluß von 1955 ist der BND beauftragt mit der nachrichtendienstlichen Auslandsaufklärung durch Beschaffung und Auswertung von Informationen, mit der Aufklärung gegnerischer Nachrichtendienste und mit der Spionageabwehr innerhalb des BND. Inlandsaufklärung ist danach nicht grundsätzlich verboten, sondern auftragskonform, soweit sie der Erfüllung der Aufgaben des BND und seiner Sicherheit dient, soweit sich Meldungen aus dem Inland auf das Ausland beziehen und soweit im Ausland Informationen anfallen über inländische Parteien, Vereinigungen, Organisationen und Personen sowie deren Kontakte insbesondere zu kommunistischen Organisationen und Personen. Inlandsaufklärung ist als innenpolitische Aufklärung dann auftragswidrig, wenn der BND gezielt und systematisch Nachrichten zur Auswertung und Berichterstattung beschaffen oder gezielt über Persönlichkeiten ermitteln würde, um das Material Parteien oder Personen zur Verfügung zu stellen oder für auftragswidrige Zwecke zu verwenden.
Alle vernommenen Zeugen und Sachverständigen haben bei ihren Aussagen in Abrede gestellt, daß es auftragswidrige innenpolitische Aufklärung oder Aufträge dazu gegeben habe.
Ihre Aussagen stehen auch nicht im Widerspruch zum Inhalt der 1958 auf Veranlassung von Präsident Gehlen angelegten, von ihm verwalteten und später, 1970, auf Anordnung von Herrn Ehmke vernichteten Sonderkartei, die auch jene Unterlagen zu 54 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens enthielt, denen man die anrüchige Bezeichnung „Dossiers" verlieh
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10566 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Sprangerund die den Bespitzelungsvorwurf begründen sollten.
Im Gegensatz dazu hatte — Herr Dr. Sperling, hören Sie jetzt genau zu — Herr Ehmke selber, und zwar bezeichnenderweise, am 21. September in der gleichen Sitzung vor dem Deutschen Bundestag —ich zitiere aus dem Protokoll S. 11680 — folgendes erklärt:Ich habe mich zunächst einmal vergewissert, ob es sich um irgendwelche nachrichtendienstliche Erkenntnisse handelt. Es waren aber keine,— ich wiederholte: Herr Ehmke damals: „Es waren aber keine" —und dann habe ich, nachdem ich einige Stichproben gemacht hatte, dem Präsidenten die Weisung gegeben, dies alles zu vernichten.Und der gleiche Mann behauptet nun heute, hier habe es sich um illegale innenpolitische Aufklärung gehandelt!
Das sind Widersprüche, die nach meiner Überzeugung nicht aufklärbar sind, die einfach unverständlich sind.
— Hören Sie nur weiter zu; Sie können dann noch erwidern.Inhalt der Sonderkartei waren nach übereinstimmenden Angaben der Zeugen und Sachverständigen insgesamt sieben Kategorien von Akten:Erstens. Vorgänge, die zum großen Teil nach 1945 gesammelt wurden und vor der Übernahme der Organisation Gehlen in die Verantwortung des Bundes im Jahre 1956 entstanden waren. Bis dahin war die Organisation unter der Treuhänderschaft der Amerikaner auch für inländische Sicherheitsaufgaben zuständig gewesen.Zweitens. Meldungen, die ohne irgendeine Anforderung oder Anfrage dem BND gelegentlich zugingen und die einfach registriert wurden.Drittens. Randerkenntnisse, die im Ausland über inländische Personen — etwa bei Auslandsreisen der Betreffenden — anfielen.Viertens. Akten, die zur Abwehr von Diffamierungskampagnen aus dem Ausland angelegt wurden.Fünftens. Akten, die dadurch entstanden, daß Personen Informationen etwa vor Auslandsreisen oder vor Kontakten mit ausländischen Persönlichkeiten erbaten.Sechstens. Erkenntnisse über Personen, die mit dem BND in Kontakt standen.
Dabei handelt es sich teilweise um sogenannte Sonderverbindungen, die ihnen zugängliche Informationen des Auslandes an den BND weiterleiteten. Dies sind wahrscheinlich mehr Personen aus derListe der 54 Namen als wir ahnen. Herr Dr. Sperling, dem werden Sie sicherlich zustimmen. Unbestritten ist das legitime Interesse, ja das Gebot für einen Nachrichtendienst, sich aus Sicherheitsgründen über die Personen zu informieren, mit denen er bei seiner Tätigkeit in Kontakt kommt. Davon können auch prominente Politiker nicht ausgenommen werden. Erfahrungen bestätigen, daß auch dieser Personenkreis Sicherheitsrisiken in sich birgt. Hat es nicht etwa Bundestagsabgeordnete gegeben, die sich später als Agenten des Ostens entpuppten?
Gerade jene, die so sehr für Demokratie und Transparenz im öffentlichen Leben eintreten, sollten hier, wo es schließlich um die Sicherheit unseres Landes geht, nicht plötzlich die nachrichtendienstliche Immunität oder Tabuisierung für Politiker fordern.Schließlich Siebtens. Das Material wurde ergänzt durch Führungsinformationen, Vortrags- und Besprechungsnotizen, die der Präsident des BND über Gespräche mit betreffenden Persönlichkeiten anfertigte. Präsident Gehlen hat selbst bekundet, er habe zur Geheimhaltung und Verhinderung eines Mißbrauchs Akten von besonderer Bedeutung gesondert aufbewahrt. Daß ein Chef einer derartigen Behörde Sachen von besonderer Bedeutung selbst bearbeitet, ist üblich. Das hat weder etwas mit der Ansammlung von Herrschaftswissen zu tun, wie es mehrfach angesprochen wurde — dieses Wort allein läßt nach meiner Auffassung auf Komplexe schließen —, noch werden dadurch Polizeistaatsmethoden angewandt, noch wird der BND dadurch zum Staat im Staate.Soweit dem Ausschuß Verfilmungen dieser Sonderakten vorlagen, bestätigt deren Inhalt, daß sie in der Regel aus den angeführten berechtigten Gründen entstanden sind. Den Vorwurf illegaler Ermittlungen kann die Koalition schon deshalb nicht aufrechterhalten, weil sie auf Seite 53 ihres eigenen Berichts feststellt, daß sie ein klares Bild über die Sonderakten selbst nicht gewonnen hat.
Eß-, Trink- und Bettgewohnheiten beschrieb keine der dem Ausschuß vorliegenden Akten. Auch Herr Ehmke hat keinen einzigen konkreten Fall illegaler Bespitzelung jetzt oder zu irgendeiner anderen Zeit im Detail geschildert. Kein Wunder an sich, wenn sein Urteil schon nach Stichproben in vier von 54 Akten feststand.Umstritten ist vor allen Dingen auch eines: Kein einziger Fall ist bekanntgeworden, in dem diese Sonderkartei in inkorrekter Weise gebraucht wurde. Herr Hirsch hat vorhin erklärt, es sei möglich gewesen, daß hier ein unzulässiger Gebrauch gemacht würde. Dazu ist zu sagen, es ist nicht entscheidend, was denkbar ist, sondern entscheidend ist, was war. Und unter dem Aspekt ist dann auch der Vorwurf zu würdigen, der hier erhoben wurde. Tatsache ist eben, daß tatsächlich kein Mißbrauch mit diesen Akten getrieben wurde.
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Spranger— Herr Hirsch, ich möchte bei den Gebräuchlichkeiten bleiben, die in der Zwischenzeit hier Platz gegriffen haben.Diese Feststellungen schließen natürlich Kritik in Einzelfällen nicht aus. Nicht nur die konkreten Mängel im Falle Guillaume, sondern auch Randerscheinungen wie die Berichterstattung des ehemaligen freiberuflichen Mitarbeiters Heysing gaben ohne Zweifel Anlaß zu Beanstandungen. Sieht man sich die Meldungen dieses Mitarbeiters an, so muß man allerdings am nachrichtendienstlichen Wert nicht nur der Meldungen, sondern auch des betreffenden Mitarbeiters erhebliche Zweifel anmelden. Das, was wohl als Vorbereitung einer Public-Relations-Arbeit des BND gemeint war, ist im Ergebnis unzweifelhaft unerlaubte Inlandsaufklärung gewesen,
Inlandsaufklärung aber in einem Sinne, die mehr von der verquollenen Phantasie des Melders zeugt als von dem Bestreben, gezielt und illegal Informationen inländischer Art zu erhalten. So trägt die Lektüre dieser Akten mehr zur Erheiterung bei, als sie zu Befürchtungen Anlaß gibt. Sie ist bestenfalls geeignet, Herr Gansel, durch Abdruck im „Stern" oder im „Spiegel" Uninformierten illegale Spitzeldienste vorzutäuschen, oder geeignet, von Herrn Metzger, wie er es heute getan hat, ernst genommen zu werden.
Das einzige Bemerkenswerte an der Heysing-Akte bleibt die Tatsache, Herr Sperling, daß Heysing noch am 6. März 1972 unter der Herrschaft des Bundeskanzleramtschefs Ehmke den Auftrag erhielt, mit nachrichtendienstlichen Mitteln die Verlage Bauer, Springer und Bertelsmann über deren gesellschaftsrechtliche Verhältnisse und Beteiligungen auszuforschen.
Deswegen ist es mindestens grotesk, Herr Dr. Arndt, wenn ausgerechnet Herr Ehmke sich zum wortreichen Ankläger einer behaupteten Inlandsaufklärung aufschwingt.
— das hat er doch mehrfach gesagt, das hat er auch im Ausschuß erklärt —
zumal er auch bei der Tätigkeit eines Spitzels im Axel-Springer-Dienst 1970/71 mitbeteiligt war.
Die Heysing-Akte kann auch kein Argument für die Behauptung sein, BND und Journalisten hätten gemeinsam auf Kosten von Sicherheit und Leistungsfähigkeit zusammengespielt, der BND sei durch publizistische Bereiche zu parteipolitischen Zwecken mißbraucht worden, und Journalisten hätten Geld ohne auftragsgemäße Gegenleistung bezogen.
Ich muß sagen, man könnte schier an Verfolgungswahn glauben, wenn führende Sozialdemokraten ihre politischen Fehlentscheidungen immer wieder mit dem Ausland oder mit Verschwörung, Komplott oder Sabotage durch dunkle geheimnisvolle Kräfte zu entschuldigen versuchen.Tatsächlich ist es erschütternd, mit welcher Unverfrorenheit Herr Ehmke ohne Rücksicht auf Wahrheit und Person einen gesamten Berufsstand hier ins Gerede gebracht hat.
Ohne ausreichende Aussagegenehmigung, ohne Beziehung zu einem Beweisthema sprach Herr Ehmke öffentlich Verdächtigungen aus, obwohl er wußte, daß sie wegen der besonderen Geheimhaltungsbedürftigkeit aller Angaben über Mitarbeiter des BND öffentlich weder zu beweisen noch zu belegen sein würden. Dabei vertrat er noch — in der gleichen Sitzung im Deutschen Bundestag 1972 — folgende Meinung — ich zitiere auf Seite 11681 —:Wenn Sie Präsident des Dienstes oder irgendeiner anderen Behörde wären, ergibt sich doch bei den Kontakten, die man mit der Presse hat, folgendes. Da kommen Leute, die wollen Artikel schreiben, Leute, die wollen Auskünfte haben, Leute, die Sicherheitsprobleme aufwerfen, weil sie etwas gehört haben. Sie alle kommen auf den Dienst zu. Das erste, was Sie und ich machen würden und was der Präsident dort natürlich auch macht, ist, daß man fragt: Mit wem habe ich es zu tun?Damals war die Zusammenarbeit mit Journalisten eine selbstverständliche Sache. Heute, wenn es in seine Strategie paßt, ist es etwas Illegales, etwas Verbotenes, etwas Verwerfliches. Auch hier besteht ein unauflöslicher Widerspruch, das reimt sich einfach alles nicht.Als klassisches Beispiel einer unerlaubten innenpolitischen Aufklärung hat nun Herr Ehmke auch auf die sogenannte SPD-Akte verwiesen. Herr Metzger hat das heute hier auch breitgetreten. Doch wer die Akte kennt, weiß, daß die Akte nicht das Ergebnis eines gezielten Auftrages ist. Wir haben in der Beweisaufnahme erfahren, daß es sich bei diesen Aufzeichnungen nicht um Meldungen, sondern um Treffberichte handelt, die Teil einer sogenannten Quellenpersonalakte waren. Diese Quellenpersonalakten betrafen eine Sonderverbindung, die im übrigen — Sie zitieren ja immer Herrn Bärwald — damals auf ausdrücklichen Wunsch der SPD zustandegekommen waren. Das wissen Sie ganz genau.
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SprangerDie Sonderverbindung war innerhalb des Parteivorstandes der SPD im Ostbüro der SPD tätig. Daß eine Verbindung des BND zum Ostbüro der SPD in der damaligen Zeit sinnvoll erschien, liegt auf der Hand, da ja nicht nur der BND, sondern auch das Ostbüro der SPD Aufklärung in der' DDR mit nachrichtendienstlichen Mitteln betrieben hatte.
Es mag zwar der SPD von heute peinlich sein, daran erinnert zu werden, daß sie in früheren Jahren ein wesentlich anderes Verhältnis zu den kommunistischen Machthabern in der Ostzone hatte, doch scheint mir dieses Verhältnis in der damaligen Zeit für Demokraten das Normalere gewesen zu sein.
Zwei weitere Vorwürfe von Professor Ehmke fanden schließlich ebenfalls in der Beweisaufnahme keine Bestätigung. So sagte er, der BND habe Waffenhandel betrieben, eine unsinnige Behauptung, die Herr Metzger bedauerlicherweise ebenfalls hier vorgetragen und breitgetreten hat. Und Herr Ehmke hat behauptet, daß sich am Vorgang der Aktenvernichtung zeigen lasse, in welchem Ausmaß der BND früher innenpolitisch mißbraucht worden sei. Herr Metzger ist ebenso verblieben wie Herr Ehmke: Man hat hier etwas auf den Tisch gelegt, was nicht zum Thema gehört. Man hat mit Spekulationen, mit Verdächtigungen gearbeitet. Man hat die Vorwürfe nie zurückgenommen, aber auch nie spezifiziert und keine Fakten auf den Tisch gelegt, die diese Vorwürfe begründen können. Das einzige Bemerkenswerte an beidem bleibt demnach, wie auch hier die Wahrheit mißbraucht wurde, um den BND in ein besonders düsteres Licht zu setzen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß und damit zu den Auswirkungen dieser gesamten Kampagne gegen den BND, die unabsehbar sind. Der BND hatte es nach 1945 besonders schwer, das Vertrauen der befreundeten Staaten zu gewinnen und seinem Auftrag gerecht zu werden. Kein anderer westlicher Staat steht seit fast 30 Jahren in der direkten Konfrontation zum Ostblock. Wie hart und unerbittlich der Kampf der Dienste von der anderen Seite aus geführt wird, mit welcher brutalen Entschlossenheit, mit welchem finanziellen und personellen Einsatz, aber auch mit welchem Erfolg, das haben viele Spionagefälle und zuletzt auch öffentliche Äußerungen von SED-Chef Honecker und SSD-Chef Mielke zum 25. Jahrestag des DDR-Sicherheitsdienstes deutlich gemacht, in denen man die Leistungen des SSD und der Tschekisten des übrigen Ostblocks begeistert feierte und die weitere Verstärkung subversiver Aktivitäten ankündigte.Ich nehme nicht an, Herr Gansel, daß Sie sich mit ähnlichen Lobpreisungen identifizieren wollen, weil Sie eben zu diesem Thema sprechen wollten.
Die Genüßlichkeit, mit der darüber hinaus das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland" tagtäglich die Enthüllungen über den BND veröffentlichte, ist ein weiterer Hinweis darauf, mit welchen Schwierigkeiten der BND nunmehr und zukünftig zu rechnen hat. Angesichts der ungeheuren wachsenden offensiven Aufrüstung des Warschauer Paktes müßte auch das entspannungsseligste Gemüt — bei Ihnen, Herr Gansel, habe ich allerdings Zweifel — erkennen, wie unentbehrlich für unsere Sicherheit und Freiheit ein wirksamer Staatsschutz ist,
wie nötig der BND die Unterstützung aller demokratischen Parteien und Kräfte hat — aus dieser Richtung haben wir bei Ihnen sicherlich nicht viel zu erwarten —, wie sehr er auf pfleglichen Umgang angewiesen ist.Es genügt nicht, wenn Herr Dr. Arndt hier von der heutigen Bedrohung durch Spione spricht und als Rezept dagegen eine Geschichtsforschung über Dinge anbietet, die längst erledigt sind.
Man müßte dafür sorgen, daß vor allem auch diejenigen, die sich den Diensten zur Mitarbeit zur Verfügung stellen, nicht öffentlich ins Zwielicht gesetzt werden, wie es gerade aus Ihrer Richtung geschehen ist.
Bei allen Völkern, die ein ungebrochenes Verhältnis zu ihrem Staat haben, gilt die Mitarbeit im eigenen Nachrichtendienst als eine selbstverständliche und nationale Pflicht.
Ich frage mich, warum das hier bei uns etwas Ehrenrühriges sein soll. Gerade Herr Ehmke hätte dies als Ex-Kontrolleur des Dienstes besser als die meisten wissen müssen.Er wußte es ja auch, meine Damen und Herren, wie sein Appell vom 21. September 1972 ausweist, „ein Appell, sich der gemeinsamen Verantwortung für dieses empfindliche Sicherheitsinstrument bewußt zu sein und darauf zu verzichten, auf Kosten des Dienstes und auf seinem Rücken parteipolitische Polemik zu treiben". Auch das klingt angesichts seiner Inszenierungen und seiner Kampagnen heute wie Hohn.Um so verantwortungsloser ist die von ihm angeführte Kampagne gegen den Dienst, die er mit Diffamierungen führte und mit längst vergebenen und vergessenen, höchstens für Geschichtsforscher noch interessanten Mängeln garnierte.
Sein eigenartiges Verhältnis zu Recht und Sicherheit in unserem Land hat Herr Ehmke ja oft unter Beweis gestellt, am wirkungsvollsten sicherlich als Chef des Bundeskanzleramtes, wo er 1969 alsbald
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Spranger„aufzuräumen" begann, wie er es stolz selbst in der „Zeit" vom 18. Oktober 1974 nannte.
Verdiente, durch Sachkenntnis ungetrübte Parteigenossen schleuste er in Schlüsselpositionen. Das von ihm geleitete Bundeskanzleramt forderte zur Spiegel-Serie „Pullach intern" Quellenunterlagen zum Schrecken des BND an. In Nacht- und Nebelaktionen nach MfS-Manier, wie ein Zeuge bekundete, schritt man zur Aktensuche und Beschlagnahmung in BND-Außenstellen.
Ich meine, das sind wahrhaft stolze Leistungen, Herr Sperling, des „BND-Reformators" Ehmke.
Die von ihm mit provozierte öffentliche Diskussion über den BND hat — das müssen Sie einsehen, Herr Sperling, und das tragen Sie mit, weil Sie mitgewirkt haben — zur Gefährdung der gesamten weiteren Arbeit des Dienstes geführt. Arbeitsweise und Methoden des Dienstes wurden in den vergangenen Monaten in aller Öffentlichkeit breitgetreten. Reihenweise wurden Mitarbeiter an den Pranger gestellt.
— Es ist typisch für Ihren Geisteszustand,
daß Ihnen etwas anderes als solche primitiven Wortspiele nicht mehr einfällt.
Ich glaube, die Auseinandersetzungen im Ausschuß haben Sie doch geistig ziemlich mitgenommen, Herr Sperling.
Das Vertrauen vieler Quellen wurde erschüttert, die Erschließung neuer Quellen ist schwierig geworden, Beamte und Mitarbeiter fühlen sich öffentlichem Mißtrauen ausgeliefert.
Sie fürchten, morgen ihren Namen in deutschen Illustrierten lesen zu müssen.
Ganze Familien wurden so in lebensgefährliche Situationen versetzt. Das können Sie natürlich nicht verstehen, Herr Gansel; das ist mir völlig klar. Die Zusammenarbeit mit befreundeten Diensten, die sich, wenn sie schon nichts sagen, gewiß ihren Teil denken werden, wird leiden.
Der große Gewinner aber ist der Ostblock. Richtig hat Präsident Wessel demgemäß formuliert:Für unsere wesentlichen Gegner jedoch, die östlichen Nachrichtendienste, ist die öffentliche Bloßstellung und Zerfleischung der deutschen Dienste ein Geschenk, dessen unschätzbarer Wert sich noch weit in die Zukunft auswirken wird.
Und leider nur zu wahr ist die Karikatur in der „Süddeutschen Zeitung", wo ein schwerverwundeter, humpelnder BND-Angehöriger unter dem Gelächter der kommunistischen Nachrichtendienste an die Arbeit zu gehen versucht.Die Demontage des BND bedeutet gleichzeitig die Demontage unserer Sicherheit und die Gefährdung von Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Das alles wußten die Regisseure der Kampagne. Trotzdem haben sie den Schaden für unser Land in Kauf genommen.
Sie opferten das Staatswohl dem Parteiinteresse, sie arbeiteten dem Ostblock — ob bewußt oder unbewußt — in staatsgefährdender Weise zu.
Die bedrückendste Erfahrung ist jedoch, daß auch die gegenwärtige Bundesregierung dem tatenlos zugesehen hat.
Deshalb hat auch sie im Spionageskandal kläglich versagt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kirst. Die Fraktion der FDP hat eine Redezeit von 30 Minuten angemeldet.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Angesichts des überaus lebhaften Interesses, das dieses Hohe Haus dieser monatelang herbeigesehnten Debatte offenbar entgegenbringt, werde ich mich bemühen, weniger als 30 Minuten zu brauchen. Dies wird um so besser gelingen, als auch der Beitrag des Kollegen Spranger jeden vernünftigen Ansatzpunkt zu einer fruchtbaren Diskussion des Themas vermissen läßt, wie das bei den Beiträgen der bisherigen Oppositionsredner auch der Fall war.
Ich sage aber trotz des bisherigen Verlaufs der Debatte, für die der Vorsitzende des Ausschusses, dessen Wandlungsfähigkeit wir alle bewundern, hier den Stil geprägt hat, daß ich persönlich es bedaure, daß es nicht möglich gewesen ist — jedenfalls über weite Strecken des Untersuchungsthemas —, zu einem gemeinsamen Bericht zu kommen. Ich meine persönlich — ich glaube, daß ich unter den Mitgliedern des Ausschusses nicht ganz allein dieser Ansicht bin —, die harte Arbeit des Ausschusses und die Art der Arbeit des Ausschusses hätten durchaus Anlaß für den Versuch sein können, zu einem
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Kirstsolchen gemeinsamen Bericht über diesen allgemeinen Teil hinaus, der mehr die formalen Dinge behandelt, zu kommen. Der Ausschuß hat doch — davon bleibt die Problematik der Untersuchungsausschüsse grundsätzlich unberührt — sicherlich insgesamt die ihm am Anfang auch auf Grund der Erfahrungen mit früheren Ausschüssen entgegengebrachte Skepsis jedenfalls teilweise zu entkräften und die skeptischen Erwartungen zu übertreffen vermocht; ich meine jedenfalls, daß man dies feststellen kann.Aber es war und ist offenbar so, daß für die Opposition als Antragsteller weniger die Arbeit des Ausschusses wichtig war als hier heute diese Debatte. Der Schlachtplan für diese Debatte, wie sie sich bisher abgewickelt hat, ließ also von vornherein den Versuch, auf Grund gemeinsamer Arbeit zu jedenfalls teilweise gemeinsamer Beweiswürdigung zu kommen, offenbar nicht zu. Der Ausschuß sollte — das zeigen die bisherigen Beiträge der Oppositionssprecher, das zeigte aber auch vielfach das Verhalten einzelner Kollegen im Ausschuß — vorgefaßte Meinungen, wie sie in dem zum Teil nicht nach Tatbeständen fragenden, sondern mehr nach der Art von Suggestivfragen formulierten Einsetzungsbeschluß zum Ausdruck kommen, festigen und bestätigen, unabhängig davon, ob der tatsächliche Hergang der Beweisaufnahme dazu herreichte oder nicht.
Im übrigen — und, Herr Kollege Spranger, ich komme darauf dann noch einmal in puncto BND im besonderen zurück — war dieser Einsetzungsbeschluß, den Sie ja formuliert haben, wohl wirklich mit sehr heißer Nadel genäht; das haben Sie dann selbst bei der praktischen Arbeit mit diesem Beschluß merken müssen.
— Ich glaube, da waren, Kollege Hirsch, nicht nur die armen Leute, hätte ich beinahe gesagt, die sie dann in den Ausschuß geschickt haben, beteiligt, sondern noch ganz andere. Aber das haben wir nicht untersucht,
und das war auch nicht unser Auftrag, Herr Kollege Gerster.Ich will zu dem Komplex „Einstellung" nur noch ganz wenige Bemerkungen hinzufügen. Sie haben hier heute wieder den Versuch unternommen — ich meine, den nicht gelungenen Versuch —, die Einstellung als exemplarisches Beispiel von Parteibuchpolitik hinzustellen.
— Sie rufen zu früh „Sehr richtig!", Kollege Gerster, denn wer den Bericht liest, wer die Zeugenaussagen genau würdigt, der kann — das ist das erste — diesen Vorwurf so, wie er formuliert und gemeint ist, nicht aufrechterhalten, wobei gar kein Zweifel daran besteht und niemand abstreitet, daß der Betroffene Mitglied einer Partei war.Ich meine aber, wir sollten bei dieser Fragestellung die Dinge eigentlich noch etwas tiefer sehen, und das ist mir durch diese Debatte wieder deutlich geworden. Vielleicht liegt es, wenn Sie von „Parteibuchpolitik" sprechen, daran, daß Sie ja nicht einmal den Mut haben, sich als Partei zu bezeichnen. Sie sind ja eine Union; das klingt ja viel vornehmer.
Wenn Sie von Parteibuchpolitik sprechen, meinen Sie immer nur andere Parteien
— das hat, glaube ich, dazu im Moment wenig Bezug —, denn Ihr Verständnis von Partei — „Partei" als Teil des Ganzen — scheint mir nach den Erfahrungen, die wir mit Ihnen in 25 Jahren gemacht haben, doch sehr mangelhaft entwickelt zu sein,
und insofern liegt darin, daß Sie sich scheuen, sichselbst „Partei" zu nennen, doch bewußt oder unbewußt eine tiefere Bedeutung. — Das zu dieser Frage.Im übrigen zum Personalrat. Ich glaube, es wurde schon gesagt: Was konnte man denn von diesem Personalrat, der ja auch das Ergebnis 20jähriger Partei- oder Unionsbuchpolitik gewesen ist, vernünftigerweise — ohne ihm daraus einen Vorwurf machen zu wollen; das war legitim — anders erwarten?
Nun zu der Frage der Sicherheitsüberprüfung.
— Wie bitte, Herr Reddemann?
— Ich weiß gar nicht, ob da welche drin waren.
Das wäre nach 20 Jahren CDU-Kanzlerschaft eine Überraschung gewesen; ich hätte das auch gar nicht verlangt.Ich meine, daß die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses hinsichtlich der Sicherheitsüberprüfung im Prinzip nichts über das hinaus gebracht haben, was die Bundesregierung in ihrer Dokumentation — ich glaube, sie erschien unter dem 6. oder dem 7. Mai — bereits als Information angeboten hat
und was auch — ich sage das bewußt — schon Gegenstand der Information des Vertrauensmännergremiums am 2. Mai gewesen ist, wobei ich nicht
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Kirstverschweige, daß die Information des Vertrauensmännergremiums eine Woche vorher absolut unzureichend war, vielleicht damals auch nicht zureichender sein konnte. Aber die Information am 2. Mai war jedenfalls so zureichend, wie das damals möglich gewesen ist. Es gibt ja manche, die meinen, man hätte vielleicht diesen Weg der Information weiter beschreiten sollen und uns allen das Experiment dieses Untersuchungsausschusses ersparen können.Ich für meine Person habe schon nach der Sitzung des Vertrauensmännergremiums am 2. Mai das Fazit gezogen, das hier heute auch zum Ausdruck gekommen ist: Wenn alle Erkenntnisse über den G. zur gleichen Zeit an einer Stelle vorgelegen hätten, hätte eine Einstellung nicht erfolgen dürfen, und nach meiner Überzeugung wäre sie dann auch nicht erfolgt. Wie gesagt, diese Erkenntnis hatte ich schon am 2. Mai 1974, und maßgebende Promotoren der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses konnten, wenn sie dort den Verhandlungen richtig gefolgt waren, damals diese Kenntnisse auch haben.Ich habe damals einen Vergleich in der Terminologie eines Flugzeugabsturzes gezogen: daß man eben nur noch prüfen müsse, wo hier die Ursachen lägen, im menschlichen Versagen oder in den technischen Mängeln. Nach den Erfahrungen durch die Arbeit des Untersuchungsausschusses sage ich heute: Hier spielt von jedem etwas hinein. Das müssen wir ganz offen und ganz hart feststellen. Es hat hier sowohl menschliches Vesagen als — wenn ich noch einmal diese Terminologie benutzen darf — technische Mängel gegeben. Für mich persönlich spielt dabei z. B. ein Punkt eine Schlüsselrolle, der im Bericht und — so glaube ich auch in der Debatte bisher wenig hervorgehoben worden ist, nämlich die Tatsache, daß niemandem — zu keinem Zeitpunkt diese Notiz des Untersuchungsausschusses Freiheitlicher Juristen im Originaltext vorgelegen hat. Der Zeuge Rosenthal hat uns ja auf meine Frage gesagt, daß er selbst diesen Originaltext überhaupt erst wieder zur Vorbereitung seiner Vernehmung durch den Untersuchungsausschuß herausgesucht habe. Ich glaube, daß das zeigt ich will das nur als Beispiel nennen , wo hier die Probleme liegen. Noch entscheidender ist natürlich, daß die Spionageabwehr beim Verfassungsschutz zu diesem Zeitpunkt nicht in diesen Fall eingeschaltet war, wobei es sicherlich nicht endgültig möglich war, zu klären, ob dies nach den Anordnungen nötig gewesen wäre oder nicht; zweckmäßig wäre es gewesen, denn was schließlich im Frühjahr 1973 zusammenpaßte, hätte, wenn man alles zur rechten Zeit gleichzeitig — um das zu wiederholen — gewußt hätte, auch damals schon, im Januar 1970, zusammengepaßt.Nun zur Frage der Weiterbeschäftigung noch ein Wort. Ich glaube, es war der Kollege Gerster, der hier gemeint hat, einen Vorwurf daraus ableiten zu müssen, wie die Weiterbeschäftigung gehandhabt worden ist, und der, wenn ich es richtig verstanden habe, einfach den Zielkonflikt leugnet, nicht sehen will, der in einer solchen Situation besteht zwischen dem Ziel der Überführung eines Täters und seiner möglichen Komplizen und der Schadensabwehr, der Verhinderung weiteren Schadens bis zur endgültigen Überführung. Diesen Zielkonflikt übersieht er wohl. Er will nichts sehen.
Dabei könnte ich mir genau seine Reden vorstellen, wenn es anders gekommen wäre, welchen Schaden auch ein geflohener Spion angerichtet hätte; ich will gar nicht den Vergleich zu anderen Fällen noch einmal anführen, wo man nicht zum Ergebnis gekommen ist und wohl auch nicht kommen konnte, was man immer erst hinterher weiß.Wir müssen dabei natürlich auch eines sehen. Wir haben ja gefragt: warum mußte das neun Monate dauern? Warum hat die Bundesanwaltschaft immer wieder noch gesagt, das Material werde für nicht ausreichend gehalten? Wir müssen immer dabei denken, daß wir in einem Rechtsstaat leben. Gott sei Dank erlaubt es eben unsere Rechtsordnung nur, Geständnisse mit rechtsstaatlichen Mitteln zu erzielen. Uns stehen jene Mittel totalitärer Systeme nicht zu Verfügung, die auf Verdacht erst mal verhaften und sagen: Wir werden schon mit ihm fertig, bis er gesteht. Das ist eben Gott sei Dank bei uns nicht möglich. Das ist aber auch eine Erklärung dafür, warum das bei uns manchmal alles etwas länger dauert und umständlicher ist.In diesem Zusammenhang, bevor ich zum BND noch ein paar Bemerkungen mache: Wenn ich mir so die Argumentationen von Ihnen, meine Damen und Herren der Opposition, ansehe, dann bin ich doch etwas —1 das Wort erinnert „Nicht der Mörder, sondern der Ermordete hat Schuld".
— Warten Sie doch erst mal ab! Sie sind offenbar weder bereit noch in der Lage, einer Argumentation in Ruhe und mit Überlegung zu folgen. — Wenn ich mir das so ansehe, finde ich, es geht Ihnen doch gar nicht darum, hier über diese Spionage zu sprechen, sondern Ihnen ist der Schuldige viel wichtiger, das Opfer der Ausspähung, das Opfer der Spionage und nicht die Spionage selbst. Ich meine, wir sollten uns doch jedenfalls darin einig sein: Die wirklich Schuldigen an diesem Fall sitzen weder bei Ihnen noch bei uns, sondern die sitzen bei den Auftraggebern dieses Herrn. So weit sollte doch die Gemeinsamkeit in dieser Frage und in diesem Hause wenigstens noch reichen.
Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zu dem Thema Bundesnachrichtendienst als Teilbereich der Untersuchung machen. Ich habe vorhin schon gesagt, der Einsetzungsbeschluß ist offenbar mit heißer Nadel genäht worden.
Herr Abgeordneter Kirst, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pfeffermann erlauben?
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Bitte, Herr Pfeffermann, ich sehe keine Veranlassung, Ihnen das zu verweigern.
Ich bin Ihnen dafür dankbar, Herr Kollege Kirst. — Herr Kollege Kirst, sagen Sie, können Sie vielleicht dem Haus den Widerspruch ausräumen, der in Ihrer Argumentation zu der des Kollegen Hirsch besteht, der vorhin ausdrücklich darauf bestand, dem Hause zu erläutern, es müsse verdeutlicht werden, daß dieser Guillaume zunächst gar nicht mit dem Auftrag der Spionage in das Bundeskanzleramt gegangen sei?
Dieses klang sehr deutlich hindurch. Würde das nicht auch nach Ihrer Auffassung in völligem Gegensatz zu der Behauptung stehen, die Sie aufstellen, daß nämlich dieser Spionagefall überhaupt nicht durch die politisch Verantwortlichen ermöglicht wurde?
Ich sehe überhaupt keinen Widerspruch, Herr Pfeffermann — so war doch wohl Ihr Name? —, zu dem, was der Kollege Hirsch gesagt hat. Was der Kollege Hirsch gesagt hat, ist absolut richtig. Er hat gesagt: Als dieser Mensch 1955 oder 1956 eingeschleust worden ist, konnten sie ja auch nicht wissen, daß sie 1969 Möglichkeiten hätten, diesen Mann im Kanzleramt unterzubringen.
Solche Propheten sind das auch nicht.
— Herr Pfeffermann, darüber haben wir ja lange genug gesprochen. Er ist aus den Gründen eingestellt worden, die auch ich hier dargelegt habe. In dem Augenblick der Einstellung konnten — weil es nicht möglich war, alle Sicherheitserkenntnisse gleichzeitig zur Verfügung zu haben — Sicherheitsbedenken nicht ausschlaggebend sein. Haben Sie denn das im Ausschuß nicht mitbekommen? Sie sind im Ausschuß später hinzugekommen, weil der Herr Wohlrabe keine Lust mehr hatte. Es war doch klar: Hier lag ein Attest des Bundesamtes für Verfassungsschutz vor, wenn auch meinetwegen ein Attest mit Augenzwinkern, wenn man von dieser Notiz ausgeht.
— Sie geben dieser Formulierung eine Deutung, die nicht meiner entspricht. Sonst würden Sie sich nicht so freudig darüber erregen. Diese Notiz ist ja auch nicht unwidersprochen geblieben. Es ist ja eine einseitige Erinnerung.Nun lassen Sie mich aber auf das zurückkommen, was ich hier sagen wollte. Ich will noch ein paar Bemerkungen zum BND machen. Ich sagte, der Einsetzungsantrag ist mit heißer Nadel genäht worden. Der Kollege Spranger hat eben am Ende seiner Rede ein Schreckensgemälde entworfen.
Ich habe gesagt: Sie haben ein Schreckensgemälde entworfen.
— Herr Spranger, soweit dieses Schreckensgemälde stimmt, muß ich Sie doch nun einmal fragen: Wer ist denn eigentlich schuld, daß wir Tage und Wochen im Untersuchungsausschuß über den BND gesprochen haben? Doch niemand anders als Sie von der CDU/CSU!
Daran können Sie doch in Ihrer bekannten — ich hätte jetzt beinahe etwas Schlimmes gesagt — Manier nicht dauernd vorbeireden. Wer hat die Einsetzung des Untersuchungsausschusses beantrag? Sie! Wer hat den Einsetzungsantrag formuliert? Sie! Wer hat die Nr. 14 formuliert? Sie!
Nur die Nr. 14 hat uns Veranlassung gegeben, uns so ausführlich mit dem BND zu befassen. Wir können doch weiß Gott nichts dafür, wenn Sie so naiv — oder wie immer — sind und einen solchen Antrag einbringen, der sich für Sie heute sicherlich als ausgesprochener Rohrkrepierer erwiesen hat. Sie waren damals wohl in einem gewissen Taumel, als Sie diesen Einsetzungsantrag stellten. Sie meinten, nun müsse man dieser bösen sozialliberalen Regierung nicht nur unterstellen, daß sie bewußt Spione einstellt; man müsse ihr auch noch unterstellen, daß sie nachrichtendienstlich wertvolles Material bewußt vernichtet. Also kommt dieser Punkt 14 dazu! So haben Sie doch gehandelt und gedacht; nicht Sie, Herr Spranger, denn Sie haben den Einsetzungsbeschluß vielleicht erst gelesen, nachdem Sie zum Mitglied des Ausschusses ernannt worden waren. Diesen Eindruck hatte ich manchmal.Dies muß doch immer wieder deutlich gesagt werden: Wir hätten gar kein Interesse gehabt, tage- und wochenlang dieses sicherlich nicht immer erfreuliche Schauspiel der öffentlichen Darstellung von Tätigkeiten — zum Teil jedenfalls war die Darstellung öffentlich und was nicht öffentlich war, ist durch Kanäle dieser oder jener Art zum größten Teil dann ja auch noch in die Offentlichkeit gekommen — aufzuführen. Der Bundesnachrichtendienst hätte in der Untersuchung des Falles Guillaume eine Nebenrolle von wenigen Stunden gespielt, wenn es nur um die Vorgänge damals um den 19. Dezember herum anläßlich der Sicherheitsüberprüfung gegangen wäre. Hier liegt Ihre politi-
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Kirstsche Verantwortung; von der mogeln Sie sich jetzt bitte einmal nicht mit Krokodilstränen hinweg.
Herr Abgeordneter Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gerster?
Ja, bitte, Herr Gerster!
Herr Kollege Kirst, ist Ihnen wirklich entgangen, daß nach Nr. 14 des Einsetzungsbeschlusses ein Tatsachenkomplex „Aktenvernichtung" aufgeklärt werden sollte und daß unsere gemeinsamen Kollegen von der SPD, an der Spitze Herr Metzger und Herr Sperling, unter diesem Tatbestand Bereiche wie Waffenkäufe, Waffengeschäfte, aber auch Sonderakten hereingeholt haben, obwohl bei diesen Akten und Vorgängen nie auch nur mit einem Wort von Aktenvernichtung die Rede war?
Herr Kollege Gerster, es ist ja wohl eine Erfahrung: Wenn man in einem Untersuchungsausschuß anfängt, dann weiß man, wo man anfängt; aber wo man aufhört, weiß man im allgemeinen nicht. Ich meine nur, die Entwicklung der Beweiserhebung war absolut logisch und folgerichtig, und auch mit dieser Einlassung, mit dieser Frage können Sie nicht hinwegdiskutieren: Nr. 14 des Einsetzungsbeschlusses ist ein Patentrezept der CDU. Das ist nicht zu ändern.
Ich sagte soeben schon: Das war für Sie ein Rohrkrepierer. Ich muß zunächst einmal folgendes sagen. Wir mußten natürlich, Kollege Gerster, weil es auch für Parteien und Fraktionen und Regierungen ein Gesetz der Notwehr gegen unerhörte Vorwürfe und Angriffe gibt, diesen Komplex so genau wie möglich untersuchen, und deshalb mußten wir feststellen: Was waren das für Akten, wie sind sie angelegt worden, wie sind sie zustande gekommen? Das war nun einmal erforderlich.Herr Gerster, Sie können sicher ganz gut formulieren. Aber wer Ihren Bericht genau liest, der kommt doch zu der Feststellung: Nr. 14 ist nichts; der Vorwurf, den hier die Opposition leichtfertig wie immer erhoben hat, ist nicht aufrechtzuerhalten. Das müssen Sie sich in dürren Worten als Fazit Ihres langen Berichts in diesem Punkt vorhalten lassen.Ich will mich auf ein Zitat des ehemaligen Präsidenten Gehlen aus seiner Vernehmung in München beschränken. Ich habe ihn ausdrücklich gefragt, und er hat sinngemäß gesagt: Alles das, was da vernichtet wurde — die Vernichtung ist ja unumstritten —, hatte überhaupt keinen nachrichtendienstlichen Wert. Dies war — wir haben viele Wege gebraucht, um zu dieser Erkenntnis zu kommen —, glaube ich, die entscheidende Feststellung, und diese entscheidende Feststellung läßt vieles von dem, was Sie, Kollege Baier, in den letzten Jahren hier manchmal entfacht haben, als Theaterdonner erscheinen.Ich möchte allerdings für meine gesamte Fraktion sehr deutlich sagen: Die Feststellungen über die innenpolitische Arbeit bis 1969 dürfen kein Pauschalurteil über den BND sein. Das haben wir auch im Bericht ausdrücklich festgehalten.
— Er hat das ganz anders gemeint. Außerdem bin ich nicht Herr Ehmke. Bitte, fragen Sie ihn selber!
Aber Herr Ehmke und ich sind uns in der Interpretation sicherlich einig. Fehlhandlungen einzelner, mögen es auch eine ganze Reihe einzelner gewesen sein — es waren nur einzelne, wie man weiß, wenn man ungefähr die Zahl der Mitarbeiter kennt, die dieser Dienst umfaßt —, können den Dienst und seine Leistungen insgesamt nicht diskreditieren. Auf der anderen Seite können Leistungen dieses Dienstes natürlich auch Fehlhandlungen, wie wir sie hier festgestellt haben, nicht entschuldigen. Die Opposition versucht ja seit Jahren systematisch — Kollege Baier, ich denke da immer an Sie! —,
das Verhältnis zwischen dem Bundesnachrichtendienst und dieser Regierung — und wenn ich „diese Regierung" sage, meine ich der Einfachheit halber: seit 1969 — zu stören. Das ist Ihnen nicht gelungen, weder Herrn Baier noch anderen Abgeordneten. Wer das Verhältnis zwischen Dienst und Regierung kennt, der wird dies feststellen dürfen, und das haben auch die Vernehmungen, soweit das dabei eine Rolle spielte, gezeigt. Das zeigen auch immer die Sitzungen des Vertrauensmännergremiums.Lassen Sie mich dieses hier noch sehr deutlich sagen: Dieser Bundesnachrichtendienst ist nicht das Stiefkind der sozialliberalen Regierung, er ist aber auch nicht das Protektorat der Staatspartei im Wartestand.
Der Bundesnachrichtendienst gehört unverzichtbar zu den Elementen unserer Sicherheit wie die Bundeswehr, der Verfassungsschutz, die Polizei, der Bundesgrenzschutz,
— Sie müssen nicht immer an sich denken, Herr Müller! —
der MAD und andere, falls ich jemanden vergessen haben sollte. Wir sehen in diesem Dienst, wie gesagt, einen unverzichtbaren Faktor dieser Sicherheit nach innen und außen.
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10574 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
KirstNun lassen Sie mich zum Schluß dies sagen: Die Freie Demokratische Partei wird mit allen Kräften für Sicherheit des Staates und der Bürger, für Sicherheit vor Spionagen und Terrorismus eintreten. Darauf können Sie sich verlassen. Wir werden uns aber auch — und diese Debatte hat gezeigt, wie nötig das ist um Sicherheit vor denjenigen bemühen, die aus diesen Erscheinungsformen miese politische Geschäfte machen wollen.
Das Wort hat der Abgeordnete Becker . Die Fraktion der SPD hat eine Redezeit von 30 Minuten angemeldet.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst sagen, daß ich mich als ordentliches Mitglied dieses Ausschusses durch die Rede, die der Vorsitzende heute hier gehalten hat, doch einigermaßen betroffen gefühlt habe. Ich war in diesem Ausschuß, und ich war bemüht, nach bestem Wissen und Gewissen den Untersuchungsauftrag zu erfüllen. Ich hatte den Eindruck, daß wir das streckenweise auch in einer guten und sachlichen Form konnten. Das aber, was hier in der Rede vorgetragen wurde, hatte mit dem was im Ausschuß ermittelt worden ist, über weite Strecken nichts zu tun.
Der Kollege Günther Metzger hat hier vorhin schon die Angriffe — ich möchte sagen: die unmotivierten Angriffe — auf unseren Fraktionsvorsitzenden zurückgewiesen. Ich habe mir die Mühe gemacht, das Protokoll der Vernehmung des Vorsitzenden der SPD-Fraktion noch einmal nachzulesen. Von dem, was hier Herr Wallmann vorgetragen hat, finde ich nicht ein einziges Wort, nicht ein einziges Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was hier an Verdächtigungen vorgetragen worden ist, war für mich eine riesengroße Enttäuschung in bezug auf den Vorsitzenden, und ich finde es etwas merkwürdig, daß bei der Diskussion dieses Berichtes der Vorsitzende vornehmlich durch Abwesenheit glänzt.
Herr Spranger, Sie haben hier über den subversiven Charakter der Ostpolitik gesprochen.
Lassen Sie mich nur eine einzige Bemerkung anfügen. Deswegen reisen also viele Ihrer Fraktionsmitglieder in die Länder, mit denen wir Ostpolitiktreiben, und deswegen war Herr Kiep auch wohl in Ost-Berlin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hatte mir im wesentlichen vorgenommen, zu drei Komplexen der Einstellung noch einmal Stellung zu nehmen, um auch hier daran zu erinnern, was wir in dem Ausschuß nun eigentlich in bezug auf die Einstellung des Herrn Guillaume festgestellt haben.Zunächst einmal ist sowohl im Mehrheits- wie auch im Minderheitsbericht klargestellt, daß die Eingruppierung von Herrn Guillaume in die Vergütungsgruppe II a BAT richtig war.
Nun wird Herr Gerster sagen — Herr Gerster hört immer aufmerksam zu —: Wieso kommen Sie eigentlich zu dieser Feststellung? Ich könnte Ihnen jetzt die Passagen vorlesen, wo Sie sich darauf beziehen, was Herr Ministerialdirektor Dr. Kern zu der Einstellung und Eingruppierung von Herrn Guillaume gesagt hat. Just an diesen Stellen beziehen Sie sich auf Herrn Dr. Kern, aber Sie beziehen sich immer in Passagen auf Herrn Dr. Kern zu Sachen, die gar nicht zur Debatte gestanden haben, nämlich ob Herr Guillaume eine wissenschaftliche Ausbildung hätte haben müssen.
— Danke schön, ich möchte nicht. Ich möchte hier nur noch zu der Sache selbst einen kurzen Debattenbeitrag leisten.Nun will ich Ihnen folgendes gegenüberstellen: Das, was zur Eingruppierung von Herrn Guillaume in Gruppe BAT II a gesagt worden ist, haben uns zwei Zeugen, Herr Ministerialdirektor Dr. Kern ebenso wie Herr Ministerialdirigent Ohlsson, als rechtmäßig im Ausschuß dargestellt.
Wir waren damit nicht zufrieden und haben außerdem noch zwei Sachverständige, Herrn Ministerialdirigenten Dr. Haacke und Herrn Ministerialrat Dimpker, dazu gehört.
— Das können Sie doch nachlesen; das gefällt Ihnen nur nicht! — Diese Sachverständigen haben genau das bestätigt, was die Zeugen gesagt haben. Ich könnte Ihnen vielleicht hier noch einmal vorlesen, wenn Sie das immer so schnell vergessen, was die abschließende Feststellung dieses Dr. Haacke war:Er sprach die Überzeugung aus, daß das Bundeskanzleramt bei der Einstellung und Eingruppierung des Bewerbers Guillaume nicht ermessensfehlerhaft gehandelt hat.Nachlesen können Sie das in Dokument Nr. 84, Seite 18.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10575
Becker
Auf Grund dieser Ergebnisse der Beweisaufnahme hat der Untersuchungsausschuß festgestellt, daß die fachliche Qualifikation des Günter Guillaume bei seiner Einstellung den tarifvertraglichen Erfordernissen der Vergütungsgruppe II a BAT entsprach, in die er eingruppiert werden sollte. Dies war unsere Feststellung. Dagegen setzen Sie die Feststellungen des Personalratsvorsitzenden, der zu dieser Zeit nach den Bestimmungen des Personalvertretungsgesetzes über die fachliche Qualifikation des Mannes Guillaume gar nichts zu sagen hatte, gar nicht dazu befugt war, und dagegen setzen Sie Ihre Meinung. Dies ist der Kontrast, der sich darstellt, und diesen Konstrast weiter aufzuklären ist, glaube ich, nicht nötig. Ihre Meinung steht gegen die Zeugenaussagen und das sachliche Urteil der Sachverständigen zu diesem ersten Komplex „Eingruppierung".
Herr Abgeordneter Becker, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerster ?
Nein, ich möchte jetzt keine Zwischenfragen zulassen.
Herr Abgeordneter Becker hat von dem Recht, Zwischenfragen nicht zuzulassen, Gebrauch gemacht.
Sie können das doch nachlesen, Herr Gerster!Ich möchte nun noch zu zwei Feststellungen kommen, die mich ebenfalls tief betroffen haben und die hier Herr Wallmann gemacht hat. Er hat gesagt, die Einstellung sei gegen die Bestimmungen des BAT erfolgt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies ist ein ungeheurer schwerer Vorwurf gegen die Beamten, die die Einstellung betrieben haben. Denn die Einstellung hat ja nicht betrieben und nicht letztlich vollzogen Herr Ehmke, sondern die Einstellung— das wissen doch alle — hat vorgenommen — —
Diese Behauptung ist hier von Herrn Wallmann aufgestellt worden: Gegen die Bestimmungen des BAT ist Guillaume eingestellt worden, und Herr Ehmke war schuldig.
— Nun muß ich Sie noch einmal fragen, ob Sie aus dem Beamtenrecht möglicherweise wissen, was die Pflichten eines Beamten sind. Ich weiß es zufällig. Ich würde jeden Minister oder Bundeskanzler zurückweisen, der mich zu einer nicht rechtmäßigen Handlung auffordert, und ich hätte das Gesetz auf meiner Seite.
Lassen Sie mich noch zu einem zweiten Komplex etwas sagen, der in der Diskussion eine Rolle gespielt hat.
— Ja, natürlich. Der Beamte stellte ihn nach pflichtgemäßem Ermessen ein. Der Mann konnte von Herrn Ehmke doch überhaupt nicht eingestellt werden. Das müssen Sie doch wissen.
— Nach pflichtgemäßem Ermessen der Personalbeamte im Bundeskanzleramt. Das steht doch auch in allen Zeugenaussagen. Wer denn sonst?
Lassen Sie mich zu einem zweiten Komplex noch etwas sagen. Ich möchte das deswegen tun, weil mich auch hier eine Bemerkung von Herrn Dr. Wallmann einigermaßen betrübt hat. Ich habe mir den wörtlichen Ausspruch aufgeschrieben: „Herr Ehmke hat Beamte wider das Gesetz aus dem Bundeskanzleramt herausgedrängt. Und in Ihrem Minderheitsbericht steht: „Das waren Beamte, die keine politischen Beamten waren, und deswegen durften sie nicht herausgedrängt werden."Im Jahre 1966, am 6. Dezember, fand im Bundespostministerium ein Ministerwechsel statt; und zwar mußte Herr Minister Stücklen gehen. Unter welchen Umständen, will ich nicht schildern. Ich war dabei. Herr Minister Stücklen, der ging, wurde abgelöst durch Herrn Minister Dr. Dollinger. Herr Stücklen hat den damaligen Ministerialrat Dr. Schmidt mitnehmen müssen, den Ministerialrat Dr. Böhm ebenso wie Oberpostdirektor Dr. Lechner und Postrat Dr. Riedl, Ihren Kollegen Dr. Riedl.
— Das will ich Ihnen in bezug auf die Praktiken, die Sie angewandt haben, sofort darlegen. — Herr Minister Dollinger brachte nämlich eine neue Mannschaft mit. Die anderen mußten untergebracht werden.Nun will ich Ihnen dazu etwas sagen. Sie sind untergebracht worden
dank meiner Mithilfe als Personalvertreter. Ich hielt es nämlich für legitim, daß in der unmittelbaren Umgebung von Ministern auch die unmittelbar Vertrauten der Minister beschäftigt werden. Das ganz genau hielt ich für legitim.
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10576 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Becker
Ich würde auch heute weder Herrn Dr. Kohl noch Herrn Stoltenberg zumuten, daß sie SPD-Funktionäre in ihrer Umgebung beschäftigen, geschweige denn CSU-Funktionäre.
Lassen Sie mich zum Schluß noch auf ein Kapitel eingehen, das in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt, nämlich in bezug auf die erheblichen personellen Veränderungen, so wie es im Minderheitsbericht zu lesen steht, die bei den Beamten im Bundeskanzleramt vorgenommen worden sind. Ich darf Ihnen versichern, daß diese Beamten wieder in Positionen gekommen sind, die ihrer Beschäftigung im Bundeskanzleramt vergleichbar waren. Niemand hat einen Schaden genommen, ebensowenig wie damals beim Wechsel von Stücklen auf Dollinger jemand Schaden genommen hat.
— Nein. Ich habe Ihnen nur die wichtigsten aufgezählt. Die Liste ist viel länger. Sie können sie gerne einsehen.Nun will ich Ihnen in diesem Zusammenhang abschließend nur sagen: Wenn ich den Prozeß der Einstellung werte, dann muß ich sagen: Sie machen dem damaligen Minister Ehmke, der den Herrn Guillaume zum erstenmal bei der persönlichen Vorstellung überhaupt gesehen hat, einen Vorwurf.
Nun muß ich Sie fragen — Sie alle kennen doch unseren Kollegen Ehmke —:
Wie wäre dieser Einstellungsvorgang denn wohl ausgefallen, wenn Herr Ehmke nicht davon überzeugt gewesen wäre, daß dieser Mann an dem Posten, für den er ihn brauchte, nun auch tatsächlich gute Arbeit geleistet hätte? Da könnte ich Ihnen einmal Beispiele aus unserer Partei sagen, wie Herr Minister Ehmke sich zu solchen Leuten dann verhält. Dann wäre, wenn er Qualifikationsmängel festgestellt hätte, mit Sicherheit schon da gar nicht in Erwägung gezogen worden, daß er eingestellt werden sollte.Und nun ein letzter Komplex: Sie haben in Ihrem Minderheitsbericht — ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren — folgendes ausgeführt:Der stärkste Hinweis darauf, daß über die beabsichtigte Verwendung Guillaumes bei Beginn des Einstellungsvorgangs noch keine Klarheit bestand, egibt sich indessen aus den Personalakten selbst. In der Aktennotiz Dr. Ehrenbergs vom 11. November 1969 wird Guillaume als Referent für die Verbindung zu Gewerkschaften und Parteien bezeichnet.Daraus leiten Sie den stärksten Hinweis ab.Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier sind die Organisationspläne des Bundeskanzleramtes von 1949 bis heute. Ich will es mir schenken, alle vorzulesen; aber einige Beispiele: Im Jahre 1949 gab es beim Bundeskanzleramt ein persönliches Büro, das Gnadensachen, Petitionen, Glückwünsche und bezeichnenderweise Parteiangelegenheiten der CDU/ CSU bearbeitete. Dann gab es 1952 einen neuen Plan: Nichts über Verbindungen zu Gewerkschaften, Parteien und Kirchen. 1956 nichts. Konrad Adenauer brauchte in seiner Regierungszeit nach diesen Organisationsplänen ein solches Verbindungsbüro offenbar nicht. 1959 nicht, 1960 nicht, 1961 nicht, 1962 nicht, 1963 nicht, 1964 nicht. Und dann gab es einen neuen Bundeskanzler, der hieß Professor Dr. Erhard. Und siehe da: dort wurde ein Verwaltungsangestellter beschäftigt, der etwa die Qualifikation von Guillaume hatte, und der wurde wieder mit der Aufgabe der Verbindung zu Parteien, Kirchen und Gewerkschaften betraut. Dann gab es im Jahre 1966 einen ganz bezeichnenden Vorgang, nämlich den, daß dieses Büro nicht mehr dem Chef des Bundeskanzleramts unterstellt wurde, sondern in die Abteilung III verbracht wurde. Dort hieß es, „Verbindung zu politischen Parteien, Kirchen und Verbänden". Im Jahre 1967, bei Herrn Dr. Kiesinger, wurde aber dieses Referat in die Abteilung Z verlegt, und dort hieß es dann „Verbindung zu Parlamentsparteien, Kirchen und Verbänden". Im Jahre 1967, bei einem neuen Geschäftsverteilungsplan, wurde dieses Referat weiterhin in der Abteilung Z belassen, aber im Jahre 1968 dann in die Abteilung I verlegt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier war die Behauptung aufgestellt worden, der stärkste Hinweis ergebe sich daraus, daß das Referat für Verbindungen zu Gewerkschaften und Parteien" bezeichnet worden ist. Als ob diese Verbindungsstelle nicht eine sehr, sehr wechselvolle Geschichte hinter sich hatte.Ich erinnere noch einmal daran: Wir waren 1969 mit dem Willen zur Reform angetreten und wollten sowohl die Arbeitgeber wie auch die Gewerkschaften eng kontaktieren. Deswegen wurde diese Stelle von uns auch so besetzt. Wenn das der stärkste Hinweis, mit dem dieser berühmte Spruch „Es wurde ein Posten für einen Mann gesucht" unterstrichen werden soll, dann kann ich nur sagen: Das ist ein Armutszeugnis, was Sie sich damit ausgestellt haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß folgendes sagen. Nach dem, was ich als Mitglied in diesem Ausschuß erlebt habe, kann ich nur folgendes sagen: Sie haben den Versuch unternommen, nicht etwa der Sache zu dienen und mitzuhelfen, zu verhindern zu versuchen, daß wir in Zukunft solche Spionagefälle haben, sondern Sie haben sich ein politisches Schlachtfeld gesucht, um diese sozialliberale Koalition so madig wie möglich zu machen. Das war Ihre einzige Absicht.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Pfeffermann.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10577
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Sie werden Verständnis haben, daß ich mit einigen wenigen Bemerkungen auf die Einlassungen des Kollegen Becker eingehe. Zunächst, Herr Kollege Becker: wenn irgend jemand madig gemacht wird, dann muß ja wohl — nach dem Verständnis der breiten Bevölkerung — zunächst einiges an Ursache dafür geliefert worden sein. Daß Sie jetzt den Begriff in die Debatte einwerfen, zeigt eigentlich, wie Sie selber die Vorgänge beurteilen. Lassen Sie mich darum auf einen Hinweis etwas deutlicher eingehen.Sie haben heute morgen einen Antrag der CDU/ CSU-Fraktion, einmal darüber nachzudenken, inwieweit Angehörige des gehobenen Dienstes Funktionen enstprechend A 13/14 wahrnehmen können, abgelehnt. Gleichzeitig legen Sie heute abend hier dar, daß Guillaume nach Ihren Vorstellungen die Voraussetzungen für BAT II a, also einer noch etwas höheren Position, erfüllt habe. Ich muß gestehen, dieses Verhalten am gleichen Tag zeigt doch eigentlich, mit welcher unterschiedlichen Sprache Sie die Dinge darstellen, die es hier eigentlich zu analysieren gilt.
BAT II a, setzt entweder eine wissenschaftliche Hochschulbildung, eine entsprechende Tätigkeit oder eine gleichwertige Ausbildung mit entsprechender Erfahrung voraus. Mir ist nie vorgeworfen worden, daß ich zu den hauptamtlichen Kräften meiner Partei in irgendeiner Form ein gebrochenes Verhältnis hätte. Ich habe mich allerdings in der Vergangenheit auch immer dagegen gewehrt, Sozialfälle zum Gegenstand parteipolitischer Berufungen zu machen, und ich habe stets darauf geachtet, daß solche Leute, die mit besonderen Vertrauenspositionen innerhalb einer Partei beauftragt werden, auch die notwendige Qualifikation mitbringen. Das unterscheidet uns wahrscheinlich.
Spätestens nach Vorlage des Ausschußberichtes der Koalition war ja wohl deutlich, in welcher Richtung die Vertreter der Koalition das Ergebnis der Arbeit des 2. Untersuchungsausschusses zu diskutieren wünschten. Die Teile A und B des Mehrheitsberichtes der SPD /FDP, die sich mit den Problembereichen Einstellung und Entdeckung des Guillaume befassen, sind darauf angelegt, bei totaler Entlastung der betroffenen und befaßten Minister auch und vor allem Beamte aus der Ministerialbürokratie zu belasten. In dieser Richtung haben sich die Beiträge Arndt, Kirst, Hirsch in überdeutlicher Weise bewegt. Ein Rest an Gespür aber muß den Koalitionsfraktionen den Eindruck vermittelt haben, daß in der Öffentlichkeit kaum glaubhaft gemacht werden kann, die ganze Affäre Guillaume sei nur ein alltäglicher Betriebsunfall. Dafür waren der Rücktritt Brandts und seine Begründung viel zu spektakulär.Um die Verunsicherung der Bevölkerung darüber, was in diesem Staate jetzt alles möglich ist, nicht ins Unermeßliche zu steigern und um das Ausstellen von Persilscheinen für die politisch Verantwortlichen zu verdecken, wurde in diesem Bericht der Teil C „BND" als groß angelegtes Ablenkungsmanöver aufgebauscht.
Nun bin ich zwar der Auffassung, daß man eigentlich durch Nennung von Namen diese nur aufwertet; aber, Herr Kollege Metzger, ich muß mich trotzdem ein bißchen mit Ihrem Beitrag auseinandersetzen. Sie sprachen heute, wie das so oft in Ihrem Sprachgebrauch üblich ist, von Verleumdungen. Herr Kollege Metzger, im Wahlkampf 1972 sprach der damalige Bundeskanzler von Korruption. Nach Roß und Reiter gefragt, nannten Sie ihm Roß und Reiter. Der daran anschließende Prozeß mit dem Kollegen Müller hatte ja wohl ein Ergebnis, das nach Zeitungsnotizen für Sie durchaus nicht rühmlich war.
— Ja, ich habe es gesehen. — Warum haben Sie eigentlich in der Zwischenzeit nicht den Mut gefunden, auch einmal diesen Bereich von Verleumdungen hier von dieser Stelle aus auszuräumen?
Lassen Sie mich ein anderes Beispiel nennen: Am 15. Februar 1974 nannten Sie, Herr Kollege Metzger, hier vor diesem Hause, den Kollegen Gerster einen Mann, „der dafür bekannt ist, daß er mit Fälschungen arbeitet". Später haben Sie sich schriftlich bei ihm entschuldigt.
Hier im Hause haben wir davon noch nichts gehört.
Ich finde, Herr Kollege Metzger: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.
Und wer in solcher Weise recht freizügig verfährt, sollte aufhören, hier den Moralisten zu spielen in der Art, wie Sie es heute wieder getan haben.
— Sie werden die Gelegenheit wahrnehmen, das zu korrigieren; der Kollege Gerster ist im Hause und wird Ihnen antworten können.
Lassen Sie mich aus einem bestimmten Grunde auf ein weiteres Beispiel zu sprechen kommen. Sie sprechen heute wieder in dieser typischen Art, in der Sie Zusammenhänge herstellen, permanent von der Gehlen-Akte und kommen dann unvermittelt auf den Herrn Heysing zu sprechen. Damit hier keine Mißverständnisse entstehen: Diese HeysingAkte ist das Übelste, was ich jemals an Konglomerat politischer Äußerungen in der Hand hatte. Daß vorhin ein Mitglied der SPD-Fraktion den Zwischenruf machte, der habe nur geschrieben, was wir die
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Pfeffermannganze Zeit dächten, hat mich sehr betroffen, vor allen Dingen weil es ein hessischer Kollege war.
— Oder wir würden uns so verhalten, wie der geschrieben hat. Ich bin dankbar, Herr Kollege Sperling, daß Sie das noch einmal bestätigen; ich habe mich also nicht verhört. Das kann mich nur zweifeln lassen, Herr Kollege Sperling, wie Sie es mit Ihrem demokratischen Selbstverständnis in bezug auf Angehörige anderer Parteien halten.Aber, Herr Kollege Metzger, um auf diese Heysing-Akte zurückzukommen: Würden Sie für einen Moment einmal die moralische Qualität hier nachweisen wollen, die Sie immer für sich in Anspruch nehmen, dann wäre es doch die einfachste Sache gewesen, zu sagen: „Aber ich muß einräumen: Diese Heysing-Akte hat natürlich mit der Gehlen-Kartei überhaupt nichts zu tun. Sie wurde in einer Nebenstelle geführt und dort beschlagnahmt." Dies wäre doch die Wahrheit gewesen, die von diesem Platze aus hätte gesagt werden müssen.
Um aber deutlich zu machen, in welcher Richtung die Koalition hier diskutiert, lassen Sie mich den Komplex Ehmke /Schlichter, wie er im Mehrheitsbericht dargestellt worden ist, mit dem Bericht der Eschenburg-Kommission „Vorbeugender Geheimschutz" und den von der Bundesregierung daraus gezogenen Folgerungen vergleichen, um an diesem Beispiel zu zeigen, wie wenig der Koalition offensichtlich daran gelegen war, die eigentlichen Ursachen dieser Affäre zuzugeben und damit den Schlüssel für geeignete Korrekturen für die Zukunft zu finden.Im Jahre 1969 war mit Dr. Ehmke auch der Ministerialdirigent Schlichter vom Justizministerium in das Kanzleramt übergewechselt. Als Ministerialdirigent war er dort u. a. als Sicherheitsreferent für die Sicherheitsüberprüfung der Bediensteten im Bundeskanzleramt verantwortlich. Nach eigener Einlassung im Ausschuß war für ihn die Routineüberprüfung des Guillaume bald kein üblicher Fall mehr, wie auf Seite 11/29 der Ausschußunterlagen nachzulesen ist. Er hatte auch Erfahrung genug, an Hand der ihm zugehenden Mitteilungen zu erkennen, daß die darin enthaltenen Verdachtsmomente gegen Guillaume unterschiedlichen Quellen entstammten, und ließ diese daher überprüfen.Aber obwohl der entstandene Verdacht nicht beseitigt wurde, widersprach er nicht der Einstellung Guillaumes, sondern er widersprach weiteren Maßnahmen der Überprüfung, wie dies durch den OttoVermerk deutlich belegt ist. Auf diesen Vermerk angesprochen, erklärte Ministerialdirigent Schlichter nach Aussagen der Zeugen Dr. Jenninger und Neusel:Sie müssen verstehen: wir standen unter Druck. Ich hatte die Bitte der Personalabteilung: macht doch schnell!Er habe dann noch hinzugefügt, daß man doch auchVerständnis für die Lage des Mannes hätte habenmüssen, der die Aussicht gehabt habe, bis zum 1. Januar im Bundeskanzleramt eingestellt zu werden, und damals sei der 17. oder 18. Januar schon dagewesen. Dieser Mann habe in Frankfurt in seinem Bekanntenkreis davon erzählt, daß er zum 1. Januar zum Bundeskanzler gehe, und es sei ja nun eigentlich auch peinlich für diesen Mann, daß er nun immer noch keine Zusage bekommen habe. Die Art dieses Druckes wollte Schlichter später, nachdem er seine Bemerkung zunächst in Abrede gestellt hatte, rein auf die zeitliche Größenordnung begrenzt wissen.Die eigentlichen Zusammenhänge aber werden deutlicher, wenn man sich seinen Vermerk vom 23. Dezember 1969 ansieht, in dem unter der Überschrift „Zunächst nicht für die Akten" das Eingreifen von Minister Ehmke selbst in diesen Vorgang deutlich wird. Spätestens danach und nach dem Leumundszeugnis des Ministers Leber war allen Beteiligten das Interesse führender Sozialdemokraten bewußt, diesen Mann Guillaume in den Staatsdienst einzustellen.Die SPD- und FDP-Mitglieder des Ausschusses werten diesen Vorgang in ihrem Bericht folgendermaßen:Der Ausschuß hat weiter festgestellt, daß die Zeitnot auf den Inhalt der Entscheidung keinen Einfluß hatte.Und weiter:Der Untersuchungsausschuß hat daher festgestellt, daß der Geheimschutzbeauftragte des Bundeskanzleramtes in seinen Entscheidungen frei war und nicht beeinflußt worden ist.Dementgegen kam die sogenannte EschenburgKommission in ihrem Bericht „Vorbeugender Geheimschutz" auf Seite 24 ff. zu folgenden Feststellungen:Vermutlich war zuerst vorgesehen, die persönliche Einschaltung des Chefs BK in dieser Sache nicht aktenkundig werden zu lassen. Tatsächlich hat sich nach Auffassung der Kommission die persönliche Einschaltung des Chefs BK in den Überprüfungsvorgang nicht günstig für dessen Verlauf ausgewirkt. Nicht nur, daß dadurch der Eindruck besonderer Eilbedürftigkeit der Überprüfung für die Beteiligten noch unterstrichen wurde, auch der Wille zu einer sorgfältigen Wertung der Überprüfungsergebnisse und die Kritikbereitschaft des mit der Überprüfung befaßten Personals wurden dadurch beeinträchtigt.Weiter heißt es da:Die Tatsache, daß in dieser Sache - jedenfallsvon dem Personal, das über einschlägige Erfahrungen verfügte — „Warnschwellen" überschritten wurden, erklärt auch einige Mängel in der Sorgfalt, mit der die Sicherheitsüberprüfung durchgeführt wurde.Weiter heißt es auf Seite 25:Auch daß es das Bundeskanzleramt nach Eingang des Fernschreibens des Präsidenten des
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PfeffermannBND vom 23. 12. 1969 unterlassen hatte, auf die zuvor angeregte Klärung der Identität der beiden Meldungen zurückzukommen, spricht dafür, daß die Eile Vorrang vor der Sorgfalt hatte.Ob der Zeitdruck und der Wille, dem Bundeskanzleramt zu Gefallen zu sein, den vorzeitigen Abschluß einer ohnehin mit Hektik betriebenen Sicherheitsprüfung bewirkten, war zwar nicht mit letzter Sicherheit aufzuklären, aber die Tatsache, daß dem Bundeskanzleramt schon vor Erhalt des Abschlußberichts, nämlich spätestens am 26. 1. 1970, bekannt war, daß die Überprüfung durch das BfV abgeschlossen sei legt zusammen mit dem Ablauf der Überprüfung im Bundesamt für Verfassungsschutz diesen Schluß nahe. Dafür spricht auch, daß unüblicherweise der Gruppenleiter V P des Bundesamts für Verfassungsschutz die Überprüfung selber in die Hand genommen hatte.Meine Damen und Herren, dies sind nicht Feststellungen der CDU/CSU, sondern der Kommission, die eigens von der Bundesregierung zur Untersuchung des Komplexes „Vorbeugender Geheimschutz" eingesetzt worden ist. Hier kann wohl nicht von Obstruktion, Negation und all dem Firlefanz die Rede sein, die die Regierungsparteien der Opposition so gern vorzuwerfen belieben. In der zurückhaltenden Sprache der Gutachter ist dies das vernichtende Urteil über jene parteipolitische Einflußnahmen, die bei der Einstellung Guillaumes stattgefunden haben.
Wir stimmen in unserem Votum in diesen Fragen mit den Feststellungen der Eschenburg-Kommission voll überein. Während also SPD und FDP in ihrem Votum den Bericht der Eschenburg-Kommission deutlich abwerten, weil er ihnen nicht in ihr politisches Konzept paßt, versucht das Bundeskanzleramt durch die in der Zwischenzeit getroffenen Maßnahmen den Eindruck zu erwecken, als folge man den Empfehlungen dieser Kommission. So hat das Bundeskanzleramt den Beauftragten für die Nachrichtendienste, den Koordinator, bestellt, und zwar im Organisationserlaß „Beauftragter für die Nachrichtendienste" Ende Januar, wie in verschiedenen Verlautbarungen nachzulesen war. Zum gleichen Zeitpunkt wurde durch Kabinettsbeschluß für die im Erlaß aufgezeichneten Aufgaben ein ständiger Ausschuß „Nachrichtendienste" gebildet.Beides erfüllt nach unserer Auffassung die Forderung der Eschenburg-Kommission für die Einrichtung eines unabhängigen Beauftragten im Sinne der Intensivierung der Zusammenarbeit der Nachrichtendienste des Bundes nicht. Denn zum einen ist zwar der Chef des Bundeskanzleramtes nach dem Organisationserlaß zum Koordinator bestellt insoweit entspricht dies sogar der bevorzugten Empfehlung der Eschenburg-Kommission —, er aber kann nach aller Verwaltungserfahrung bei dem Arbeitsanfall für den Chef des Bundeskanzleramtes diese Aufgabe nicht erfüllen. Faktisch ist also sein Vertreter dieser Beauftragte. Wie man zuverlässig hört oder liest, ist man dabei auf die grandiose Idee verfallen, ausgerechnet Herrn Schlichter unter Beförderung vom Ministerialdirigenten zum Ministerialdirektor in Zukunft diese Aufgabe zu übertragen.
Herr Schlichter war nach den geltenden Richtlinien für die Sicherheitsüberprüfungen von Bundesbediensteten schon in der Sache Guillaume Herr des Verfahrens. Und deswegen spreche ich das hier an und nicht, damit mir hinterher der Vorwurf gemacht werden kann, ich spräche hier über einen Beamten, der sich hier im Plenum nicht wehren könne. Hier müssen die Zusammenhänge auch in bezug auf die angestrebte Lösung klar und deutlich aufgezeigt werden!
Er war also Herr des Verfahrens, und nicht nur das. Das Bundeskanzleramt war anders als nach der Neufassung der Richtlinien 1971 auch für die sogenannten Sicherheitsermittlungen und für die Beurteilung des Ermittlungsergebnisses zuständig.
Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Lassen Sie mich dann abschließend dies feststellen: Was, meine Damen und Herren, hat sich nach diesen Vorstellungen eigentlich geändert? Herr Schlichter war auch seither neben seiner Tätigkeit als Sicherheitsreferent für das Bundeskanzleramt nach eigener Aussage beauftragt, neben seiner Verantwortlichkeit für die Dienstaufsicht für den BND die Koordinationsfunktion gegenüber den anderen Diensten des Bundes wahrzunehmen. Er hat auch in der Vergangenheit die Vertretung seines Staatssekretärs wahrgenommen. Er hielt die Verbindung der Bundesregierung zum Vertrauensmännergremium des Bundestages, wie wir aus der Guillaume-Affäre wissen. Es ändert sich also nichts, und damit wird die Einrichtung des Koordinators und des „Ständigen Ausschusses Nachrichtendienste" zu einer Farce.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend feststellen: Wenn das Ergebnis all dieser Untersuchungen ist, daß ausgerechnet Herrn Schlichter in Zukunft die Koordination dieser Dienste übertragen wird, jenem Mann, der durch sein Veto auch Herrn Ehmke an der Einstellung des Guillaume hätte hindern können, wenn ausgerechnet ihm die Koordination dieser Dienste in Stellvertretung des Staatssekretärs angetragen wird, dann ist dies ein Skandal und spricht für die Art und Weise, wie die Regierungskoalition Konsequenzen aus der Affäre Guillaume zu ziehen gedenkt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Spies von Büllesheim.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
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10580 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Dr. Freiherr Spies von BüllesheimNach den Feststellungen des Ausschusses war Präsident Nollau schon am 28. Mai 1973 in Übereinstimmung mit seinen Fachleuten der Auffassung — er war subjektiv davon überzeugt —, Günter Guillaume sei ein Spion. Mehr noch, er war sogar davon überzeugt, Günter Guillaume sei der lange gesuchte, zielgerichtet von der DDR in die SPD eingeschleuste Agent.Die Frage, wer die Verantwortung dafür trägt, daß Günter Guillaume noch elf Monate lang ungehindert tätig sein konnte, ist in dieser Debatte vielfach und ohne letztlich schlüssige Antwort aufgeworfen worden.
Der Ausschuß hat sich mit der Frage der Verantwortlichkeit eingehend befaßt. Aber gerade hier sind eine Reihe von Widersprüchen gegeben. Natürlich ist es möglich, daß sich wegen dieser krassen Widersprüche die Frage der Verantwortlichkeit nicht mit letzter Sicherheit beantworten läßt. Es mag auch sein, daß angesichts dieser Widersprüche für die eine Version eine größere Wahrscheinlichkeit spricht. Es mag auch sein, daß sich daraus für einige Beteiligte Entlastungen ergeben oder denkbar sind.Aber, meine Damen und Herren, an einer Tatsache darf man sich nicht vorbeimogeln wollen, nämlich an der Tatsache, daß die Annahme der Wahrheit der einen Aussage auch die Wahrscheinlichkeit der Unwahrheit der widersprechenden Aussage in sich schließt. Und hier hüllt sich der Mehrheitsbericht in Schweigen. Er hüllt sich immer dann und da in Schweigen, wo sich eine Entlastung für den damaligen Bundeskanzler und für den Bundesinnenminister ergeben hat, und er zieht keine Konsequenz daraus, wer denn dann verantwortlich ist.Herr Nollau hat doch erklärt, er sei fest davon überzeugt gewesen, daß Guillaume ein Agent sei. Er sagte auch, er habe das dem Bundesinnenminister ganz klar gesagt, und zwar unter Darstellung aller Verdachtsmomente. Krasser Widerspruch: Bundesinnenminister Genscher sagte, er sei nur über das Verfahren der Ermittlung des Verdachts und über einen Verdachtsmoment informiert worden. Es ist damit klar — und dem ist der ganze Ausschuß gefolgt —, daß Bundesminister Genscher nichts von den vorherigen Erkenntnissen der Sicherheitsüberprüfung, nichts von der Problematik der Einstellung im Kanzleramt, nichts von den Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses Freiheitlicher Juristen gehört hat und vor allem auch nichts davon gehört hat, daß der Name Guillaume bereits in drei vorangegangenen Spionagefällen Erwähnung gefunden hatte.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hirsch?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege! Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß der Zeuge Nollau niemals behauptet hat, er habe den damaligen Bundesinnenminister über alle Verdachtsmomente unterrichtet, sondern daß er ständig erklärt hat, er habe ihn über alle Verdachtsmomente unterrichtet, die er, der Zeuge Nollau, für wichtig gehalten habe, und daß sich unter diesen Verdachtsmomenten, die Nollau für wichtig hielt, eben eine ganze Reihe von Verdachtsmomenten, nämlich die von Ihnen aufgezählten, nicht befanden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Hirsch, Sie bestätigen meine Ausführungen, und zwar den Widerspruch, daß nämlich Herr Minister Genscher gesagt hat — bestätigt durch Herrn Dr. Kinkel —, er sei nur — außer über die Ermittlungsmethode — über einen Verdachtsmoment informiert worden. Das ist ein großer Unterschied und ein klarer Widerspruch zu dem, was Nollau gesagt hat. Der hat gesagt: Ich war überzeugt und ich habe versucht, meine Überzeugung zu vermitteln. Er hat aber nicht, was dazu notwendig zu sein schien, etwa die 30 oder auch nur die wesentlichen Verdachtsmomente aufgezählt.
Das ist doch ein klarer Widerspruch: Der eine spricht von einem Verdachtsmoment, der andere sagt „alle wesentlichen Verdachtsmomente".
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sperling?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr!
Herr Kollege! Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß Sie, um den Widerspruch zu konstruieren, sowohl die Aussagen von Herrn Nollau als auch von Herrn Genscher verfälschen! Herr Nollau hat gesagt, er habe Dinge vorgetragen, um die Erlaubnis für die Observation zu erhalten. Das, was dafür wesentlich zu sein schien, habe er vorgetragen. Herr Genscher hat vorgetragen, daß er bereit gewesen sei, die Erlaubnis zum Observieren zu geben, und zwar nach dem, was er kurz, ohne eine breite Darstellung, gehört habe.
Dies war der wesentliche Kern der Aussagen; darin gab es keinen Widerspruch.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, Herr Kollege Sperling, man versucht, die beiden Aussagen aneinander vorbeizuschieben. Es war doch immerhin — das müssen Sie zugeben — die erste Information, die das zuständige Bundesamt für Verfassungsschutz einem Mitglied der Bun-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10581
Dr. Freiherr Spies von Büllesheimdesregierung überhaupt gab. Diese stützte sich nicht auf alle Verdachtsmomente, die gegeben waren; das können Sie nicht bestreiten.
Herr Abgeordneter Sperling, Sie haben eine zweite Zusatzfrage!
Würden Sie zur Kenntnis nehmen, verehrter Herr Kollege, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz noch gar nicht alle Verdachtsmomente kannte, weil ja zum Teil der Ausschuß alle Verdachtsmomente zusammengetragen hat? Und würden Sie auch zur Kenntnis nehmen, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz
nur jene Verdachtsmomente in dem Gespräch mit Herrn Genscher vortragen wollte, die den Weg zur Observation freimachten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Sperling, das führt doch alles an der Frage und an der Feststellung vorbei, daß die beiden Aktenvermerke vom 11. April und vom 17. April — die Daten mögen mir jetzt durcheinandergehen; ein Vermerk der Fachleute und dann der ergänzende Vermerk des Abteilungsleiters — jedenfalls zu der Überzeugung aller Fachleute im Bundesamt für Verfassungsschutz führten, er sei ein Spion. Diese Überzeugung ist Genscher nicht vermittelt worden.
— Das mag Ihnen unangenehm sein, das ist ganz klar. Aber daß es nicht geschah, ist doch einheitliche Meinung des Ausschusses.
Der zweite Widerspruch liegt darin, daß Nollau ganz sicher eines dem Bundesminister Genscher nicht gesagt hat, nämlich er hat ihn nicht über die Funktion informiert. Jedenfalls ist da wieder ein Widerspruch. Nollau behauptet, er habe den Bundesminister über die Funktion „enger Mitarbeiter des Kanzlers" informiert,
während auf der anderen Seite Genscher sagt: Nein, das habe ich ja gerade erst von Nollau gehört. Diesen Widerspruch können Sie auch nicht aus der Welt schaffen. Diese beiden Widersprüche sind gegeben. In beiden Widersprüchen — auch das nach dem Mehrheitsbericht — folgen Sie doch dem Bundesinnenminister Genscher. Sie sagen: für dessen Aussage sprechen die Wahrscheinlichkeit des Ablaufs und die übrigen Zeugenaussagen. Wenn Sie diesen Schluß ziehen, dann können Sie doch da nicht
stehenbleiben, nachdem der Bundeskanzler entlastet ist und der Bundesinnenminister. Dann müssen Sie doch sagen: dann ergibt sich eine Verantwortung von Nollau, und diese Verantwortung stellen Sie eben nicht fest.
Das ist doch der Vorwurf, wenn man den Mehrheitsbericht betrachtet, daß Sie diese Konsequenz hätten ziehen müssen, auch wenn Sie Ihnen unangenehm ist.
Wenn es so war, wie der Ausschuß unterstellt, dann ist schon in diesem Stadium dem Kollegen Nollau der Vorwurf einer schweren Pflichtverletzung zu machen. Denn er hat nicht in dieser wichtigen Sache umfassend informiert.
— Ich habe diesen Bericht ziemlich genau gelesen.
Man kann ja verschiedene Dinge hineininterpretieren.
Es fällt im Hinblick auf die Person von Nollau im übrigen auch auf, daß Sie mit keinem Wort den Vorgang erwähnen, mit dem Nollau seine persönliche Glaubwürdigkeit so sehr in Zweifel gezogen hat. Denn er hat doch versucht — wenn auch schließlich in diesem Punkte erfolglos versucht —, die Glaubwürdigkeit der Zeugen Genscher und Kinkel, in Zweifel zu ziehen. Wie anders wären denn sonst seine Aussagen zu erklären, Kinkel habe ihn im Frühsommer 1974 angerufen und gefragt: Wie war das eigentlich zu dieser Zeit?
Zweitens der berühmte Aktenvermerk über die Besprechung vom 29. Mai sei erst später in das Innenministerium gelangt. Wie wäre das anders zu erklären als mit dem Versuch, wegen der Erkenntnis schweren eigenen Fehlverhaltens sich mit der angeblichen Unglaubwürdigkeit anderer entschuldigen zu wollen. Wie wäre es sonst zu erklären, daß er diese Aussage überhaupt gemacht hat? Warum fehlt denn diese Feststellung im Mehrheitsbericht? Um Nollau zu schützen oder aus welchem Grunde?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn das meiner Redezeit nicht angerechnet wird, gerne.
Herr Kollege, würden Sie dann bitte zur Kenntnis nehmen, daß die Zeugen, die wir in diesem Zusammenhang gehört haben, nach meinem Eindruck alle die Wahrheit gesagt und nicht versucht haben, andere Zeugen unglaubwürdig zu machen, wie Sie es jetzt darstellen, sondern daß sichIMetadaten/Kopzeile:
0582 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Dr. Sperlingzum Teil die Schilderung dessen, was Sie über den Ablauf in Erinnerung haben, nicht deckt; aber an sehr unwesentlichen Punkten deckt sich die Schilderung nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn man dieser Auffassung ist, müßte man die Frage stellen: warum hat Nollau das von dem Anruf von Kinkel denn überhaupt berichtet? Warum hat er auch das gesagt: „Der Aktenvermerk ist ja erst viel später in das Innenministerium gekommen"? Doch alles nur aus einem Grunde: um den Verdacht zu erwecken, der Aktenvermerk sei manipuliert worden. Diesen Vorgang verschweigen Sie.
— Daß er beachtliche Qualitäten hat, ist wohl unbestritten und kann von Ihnen nicht mehr bestritten werden.
Meine Damen und Herren, ich würde, auch wenn es aus bajuwarischen Landen frisch auf den Abendtisch kommt, doch mit dem „schrägen Vogel" vorsichtig umgehen.
Im übrigen: glauben Sie nicht, daß wir das, was die 28 Ausschußsitzungen noch nicht erbracht haben, hier um 20.35 Uhr noch abschließend klären könnten!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Also, ich werde keine Zwischenfragen mehr zulassen, — wenn das eine ensprechende Anregung gewesen sein sollte, Herr Präsident.
Herr Kollege, wir gehen sehr schnell auf 21 Uhr zu. Ich will nach der Geschäftsordnung trotz allem den Versuch machen, daß wir in einer letzten Runde alle Fraktionen noch einmal zu Wort kommen lassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister Genscher nahm, wie der Ausschuß einhellig festgestellt hat, diese Information ja nicht deswegen so wichtig, weil er etwa überzeugt gewesen wäre, Guillaume sei ein Spion, sondern aus einem Grunde wichtig, den Nollau ihm nicht erzählt haben will, nämlich aus dem Grunde, weil Guillaume ein so enger Mitarbeiter des damaligen Kanzlers war. Daß daraufhin im Bundeskanzleramt nichts geschehen ist, lag ja auch nicht nur daran, daß der Bundeskanzler selbst diesen Verdacht nicht ernstgenommen hat, und es lag auch nicht nur daran, daß das Bundesamt den Wunsch hatte, Guillaume möge möglichst nichts merken, sondern es lag vor allem auch daran, daß Bundesminister Genscher — so die Aussage Nollaus eine Aussage weitergegeben haben soll, die dahin geht, daß eben der Bundeskanzler im Bundeskanzleramt alles oder zumindest etwas tun werde, um den Zugang von Guillaume zu Geheimmaterial zu reduzieren. Hier liegt der weitere gravierende Widerspruch.Ein weiterer Widerspruch liegt schließlich darin, daß Nollau behauptet in dem gleichen Telefongespräch, Bundesinnenminister Genscher habe ihn nicht darüber informiert und ihn auch nicht um Rat gefragt, ob der Kanzler diesen Guillaume noch nach Norwegen mitnehmen könne. Es ist nämlich so, daß Genscher und auch Dr. Kinkel bekundet haben, vor diesem Gespräch mit Nollau nicht einmal den Namen und erst recht nicht die Funktion von Herrn Guillaume gekannt zu haben. Nollau behauptet demgegenüber, er habe das nicht gesagt. Woher denn Bundesinnenminister Genscher diese Information gehabt haben soll, ist im Ausschuß völlig offengeblieben. Wenn Sie zur Entlastung von Bundesinnenminister Genscher unterstellen wie das der Ausschuß in seiner Gesamtheit getan hat —, daß Nollau nicht die Wahrheit gesagt hat, so bleibt die Rolle von Nollau höchst mysteriös. Warum fertigt er über dieses hochwichtige Gespräch keinen Aktenvermerk an? Warum informiert er den zuständigen Abteilungsleiter erst fünf Tage später?
— Doch. Erst am 4. Mai hat er ihn informiert.
Er hat hin erst am 4. Mai, fünf Tage später, informiert.
Wenn Nollau immer wieder betont, daß er persönlich davon überzeugt war, Guillaume sei ein Spion, und wenn er wußte — davon geht der Ausschuß aus —, daß dieser Spion im Zentrum der Regierungsgewalt, in nächster Nähe beim Bundeskanzler angesiedelt war, ist einfach nicht zu begreifen, aus welchem Grunde er seinen Untergebenen von der bevorstehenden gemeinsamen Reise nach Norwegen keine Mitteilung gemacht hat. Hier ist doch ein krasser Widerspruch gegeben. Das ist nicht erklärlich. Es bleibt unerklärlich, warum er die Formulierung Genschers betreffend die beabsichtigte Reduzierung des Zugangs zu Geheimmaterial — eine Formulierung, die nie ganz geklärt worden ist, die jedenfalls nicht abgesichert war — innerhalb seines Amtes — als die Nachricht weitergab, der Bundeskanzler werde jetzt für eine Reduzierung des Zugangs zum Geheimmaterial sorgen. Damit führte Nollau eine Situation herbei, in der sich einerseits das Bundesamt auf beabsichigte Maßnahmen des Bundeskanzleramtes und andererseits das Bundeskanzleramt auf beabsichtigte Maßnahmen des Bundesamtes verließ und in der deswegen im Ergebnis
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10583
Dr. Freiherr Spies von Büllesheimnichts geschah. Die Verantwortung dafür trägt doch Herr Nollau. Wenn man unterstellt, daß das, was der Ausschuß als wahr angesehen hat, auch wahr ist, trägt doch Nollau dafür die Verantwortung. Dies aber stellen Sie in Ihrem Bericht nicht fest.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Präsident Nollau hat — aus welchen Gründen und durch welche Verkettung von Umständen auch immer — durch den leichtfertigen Umgang mit Tatsachen und Mitteilungen und durch eine völlig unverständliche Tatenlosigkeit angesichts der Bedelltung dieser Sache eine zumindest höchst unrühmliche Rolle gespielt. Er hat seine Pflichten verletzt, weil er nicht voll informiert hat. Er hat seine eigene Glaubwürdigkeit durch unwahre Aussagen und dadurch, daß er zu seiner eigenen Entlastung versucht hat, andere Zeugen in ihrer Glaubwürdigkeit zu erschüttern, beeinträchtigt. Er ist als Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz nicht mehr tragbar. Es ist angesichts dieses Tatbestandes nicht zu verstehen — jedenfalls ist es sachlich nicht zu begründen , warum die Regierung ihn nicht schon von seinem Amte entbunden hat. Sie hat auf eine entsprechende Frage des Kollegen Reddemann erklärt, erst müsse die Untersuchung abgewartet werden. Die Untersuchung ist jetzt abgeschlossen. Ich frage: Geschieht das jetzt, und wenn nicht, warum nicht?
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Arndt das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte an sich nicht die Absicht, hier heute noch einmal das Wort zu ergreifen.
Aber einiges von dem, was der Herr Kollege Wallmann heute gesagt hat, zwingt mich, doch noch einmal hierher zu gehen.
— Das kann ich nicht behaupten.
Das erste Problem, das hier einer Erörterung bedarf: die Unterrichtung des Fraktionsvorsitzenden der SPD, Herbert Wehner, durch Herrn Nollau. Wie sind die Fakten? Die Zuleitung der Akten erfolgte dadurch, daß sie am 23. Mai von dem zuständigen Abteilungsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz in Marsch gesetzt wurden. Es ist schon nicht korrekt, so zu tun, als hätte Herr Nollau bereits an diesem Tage Einblick in die Akten nehmen können; denn das war erst der Absendetag. Das war der „AbVermerk", wie die Bürokraten dazu sagen. An diesem Tag ist das aus der Abteilung herausgegangen, aber nicht beim Präsidenten eingegangen. Dann folgte ein Wochenende, und dann hat am 28. Mai
die Besprechung bei Herrn Präsidenten Dr. Nollau stattgefunden, in der er sich mündlich den Akteninhalt hat erläutern lassen. Er hat also überhaupt erst im Laufe des Nachmittags und Abends des 28. einen Überblick über die ganze Angelegenheit bekommen.
— Das sage nicht ich, sondern das können Sie in den Protokollen der Beweisaufnahme nachlesen. Es gibt keine andere Aussage, keine Urkunde, gar nichts, das etwas anderes besagte. Wenn Sie etwas anderes sagen, dann müssen Sie es hier beweisen.
— Sie können es nicht? — Aha! Dann dürfen Sie es hier auch nicht sagen, wenn Sie es nicht beweisen können.
Am 29. Mai aber befand sich Herbert Wehner bereits auf der Fahrt. Herr Nollau hat infolgedessen völlig korrekt ausgesagt, daß er den Vorsitzenden der SPD-Fraktion nicht erreichen konnte, nachdem er selber unterrichtet worden war.
Es decken sich alle Aussagen in den Protokollen des Ausschusses zu dieser Frage. Alles andere ist reine Spekulation. Nicht eine Aussage, nicht eine Urkunde, nichts stützt das, was Herr Dr. Wallmann hier gesagt hat.
Hier handelt es sich vielmehr um eine böse Spekulation, nämlich eine Spekulation über das, was hier wieder subkutan suggeriert wird: der Vorwurf— ich will ihn in aller Deutlichkeit nennen —, Herbert Wehner, der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion, habe Landesverrat begangen, indem er nach Ost-Berlin gefahren sei — einer von Ihnen hat es ja auch deutlich außerhalb des Hauses ausgesprochen — und Herrn Honecker von der bevorstehenden Verhaftung oder Enttarnung Guillaumes unterrichtet habe. Diese unerhörte Unterstellung kann in diesem Raum nicht stehenbleiben. Wir Sozialdemokraten werden uns dieser Infamie wie
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10584 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Dr. Arndt
ein Mann entgegenstellen und uns das nicht bieten lassen.
Es ist die infame Methode, etwas unausgesprochen in den Saal zu stellen.
— Herr Kollege Pfeffermann, bitte, nennen Sie ein einziges Beweismittel! Dann bin ich bereit, hier zu revozieren.
Aber das werden Sie nicht können, und das ist der Vorwurf, den ich hier erheben muß.
Zweiter Punkt: die Unterredungen zwischen Herbert Wehner und Dr. Nollau. Drei Unterredungen haben zwischen den beiden Herren stattgefunden. Bei der ersten wußte Herbert Wehner natürlich nicht, daß Guillaume ein Spion war. Er wußte wohl, wer er der Person nach war; aber er kannte diese Eigenschaft nicht. Auch hier hat Herr Wallmann eine Methode benutzt, die ich nicht als sehr redlich bezeichnen kann. Er hat nämlich ein halbes Zitat gebracht. Der Zusammenhang des ganz en Zitats ergibt, daß die Antwort sich auf die Eigenschaft als Spion bezog, nicht aber auf die Kenntnis der Person seitens Herbert Wehners. Zu simpel ist der Trick, aus halben Zitaten falsche Schlüsse zu ziehen und zu dem noch die drei Unterredungen durcheinanderzuwürfeln. Natürlich wußte bei der zweiten und dritten Unterredung Herbert Wehner die Funktion und die Person von Guillaume — denn die kannte er vorher schon —, und von der zweiten Unterredung ab wußte er natürlich auch, daß es sich um einen höchst spionageverdächtigen Mann handle. Aber man kann doch hier nicht einfach die drei Unterredungen durcheinanderwürfeln und dann die Kenntnis, die in der ersten Unterredung gewonnen wurde, bei der zweiten und dritten Unterredung durch ein halbes Zitat gegenüberstellen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu.
— Sie haben Gelegenheit, nachher hierher zu gehen.
Trotz dieser Aufforderung, Herr Kollege Arndt, muß ich sagen, daß wir uns dem Ende der Plenarsitzung nähern.
Herr Präsident, es steht mir keine Kritik an den Äußerungen des Präsidenten zu.
Nollau ist hier als ein Günstling Herbert Wehners bezeichnet worden.
Als Beweis dieser sogenannten Tatsachenbehauptung ist die Tatsache angeführt worden, daß zwei oder drei Worte aus einer Unterredung von einer Stunde hier angeführt worden seien als die, mit denen Herr Nollau mit Herrn Wehner über den Fall Guillaume gesprochen habe. Nun, alle Zeugen, die wir zu diesem Thema vernommen haben, haben übereinstimmend ausgesagt. Es gibt wiederum kein Beweismittel, keine Aussage, keine Urkunde und kein sonstiges Beweismittel, das irgend etwas Gegenteiliges bewiese. Alles andere sind Spekulationen und Kombinationen. Es ist wieder völlige Fehlanzeige bei den Beweismitteln. Was war denn hier wieder das Faktum? Das Faktum war doch: Herr Guillaume war im Bundeskanzleramt tätig, der Kanzler war unterrichtet. Infolgedessen hatte Herr Nollau ja anderes zu tun als mit Herrn Wehner über diese Frage, die ja nicht Herrn Wehner unmittelbar berührte, sondern die das Kanzleramt berührte, zu sprechen. Er hatte vielmehr darüber zu sprechen, was seines Amtes war.
Er hatte nämlich darüber mit den Beauftragten des Parteivorstandes für Sicherheitsfragen zu sprechen, soweit der unterrichtet werden mußte. Alles andere hatte überhaupt nichts mit der Angelegenheit zu tun.
Alles andere sind doch reine Spekulationen und Kombinationen, wie sie allenfalls ein Knatterton anstellen kann, die aber nicht ein Richter anstellen sollte.Viertens. Hier wird die Sache noch viel ernster. Ich habe gestaunt, und auch über mich selber, daß ich mich so habe beherrschen können,
als Herr Spranger hier wörtlich folgenden Satz gesprochen hat: „Sie" — die Sozialdemokraten —„arbeiteten bewußt oder unbewußt dem Ostblock zu!"Meine Damen und Herren, hier ist sogar jene bei Herrn Wallmann in dem ersten zitierten Fall nur subkutan angebrachte Verleumdung ausgesprochen, nämlich, hier säßen Landesverräter auf der linken Seite dieses Hauses.Was heißt es denn, wir arbeiteten bewußt dem Ostblock zu? Das heißt doch, daß wir dieses Land verraten! Das ist Ihr Stil, Pfui Teufel!
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Dr. Arndt
Hunderte Jahre Zuchthaus unter den Diktaturen haben die Treue der Sozialdemokraten zur Demokratie unter Beweis gestellt, ob das unter Bismarck, in Hitlers KZs oder in Bautzen unter Ulbricht war. Wir werden uns hier von niemandem in diese Ecke hineinstellen lassen! Wir werden in Solidarität
alle miteinander hier für die Demokratie stehen und uns von niemandem in diese Ecke hineinbringen lassen. Wir stehen geschlossen hinter Herbert Wehner, und zwar nicht etwa, weil wir etwas decken wollten, sondern weil die Opposition auch nicht den geringsten Versuch gemacht hat, ihre Äußerungen hier auch nur in minimalstem Umfange unter Beweis zu stellen und hier Fakten zu nennen. Hier ist nur gehandelt worden nach dem Grundsatz: „aliquid haeret". Ich werde Ihnen sagen: im deutschen Volke wird nichts hängenbleiben, und das wird die Antwort an Sie sein.
Herr Abgeordneter Arndt hat erklärt, daß er keine Zwischenfragen zuläßt.
Da höre ich schon wieder „SPD und Kommunisten"; immer dasselbe!
In die gleiche Kategorie hinein gehört auch die Behauptung, zerstörerische Angriffe führender Sozialdemokraten auf die Nachrichtendienste hätten stattgefunden.
Meine Damen und Herren, ich frage hier: Wer führtzerstörerische Angriffe auf die Nachrichtendienste?
Wer zerstört: Der, der Illegalität aufdeckt, oder der, der sie nicht verhindert hat, obwohl er gesetzlich dazu verpflichtet war? Das ist doch die Frage.
Wir leben unter dem Grundgesetz. Teile des Bundesnachrichtendienstes haben dieses Grundgesetz gebrochen, sie haben zahlreiche Grundrechte von Bürgern in diesem Lande verletzt. Sie haben nicht gearbeitet, wie alle Behörden es zu tun haben, indem sie nur das taten, was ihnen das Gesetz erlaubt. Es war vielmehr so, daß Herr Gehlen keine Staatsraison außer seiner eigenen anerkannte.Ich finde, besser kann man diesen Tatbestand, der aus der alten Reichswehrideologie herrührt, nicht charakterisieren, als es schon Kurt Schumacher auf dem sozialdemokratischen Parteitag von 1929 in Magdeburg getan hat. Einer der Zeugen hat sich fürseine Handlungsweise im Ausschuß als Zeuge ausdrücklich darauf berufen: Er denke in den Gedanken der Reichswehr. Es war der gleiche Herr Höffer von Loewenfeld, den Ihr Ausschußsekretariat illegalerweise mit Protokollen versorgt hat. Dieser gleiche Herr hat sich ausdrücklich zu dieser Reichswehrideologie bekannt. Kurt Schumacher sagte damals:Es ist das Kardinalproblem der deutschen Reichswehr, daß diese Leute außerhalb des Staates, außerhalb der Verfassung gelebt haben. Ihre Bindung an alles staatliche Geschehen ist lediglich durch die Person des obersten Kriegsherren erfolgt.
Seitdem der' oberste Kriegsherr nicht mehr vorhanden ist, haben sie sich auf sich selbst konzentriert in dem Gefühl, zu schade zu sein, um sich in das parlamentarisch-demokratische System einzuordnen. Sie haben letzten Endes immer die reservatio mentalis, die Grundsätze ihres Handelns aus sich selbst und nicht aus der Demokratie und ihrer Verfassung zu schöpfen.Dies ist genau der Geist, der uns hier entgegengeschlagen ist.
— Von einigen Zeugen aus dem Bundesnachrichtendienst.
— Nein, nicht von allen, aber von bestimmten. Dazu gehört z. B. Herr Weiß, dazu gehört Herr Höffer von Loewenfeld.
Nach dieser Gesinnung war das Recht, was der Präsident sagte, besser gesagt, was er befahl. Deutlicher als in der Diskussion zwischen Herrn Weiß und mir im Ausschuß hat dies nicht werden können. Herr Weiß konnte nicht begreifen, daß Gesetze nicht nur dann gelten, wenn sie der selbst vorgestellten Aufgabe des BND nicht im Wege stehen. Er hat ausdrücklich zu erkennen gegeben: Stehen sie im Wege, dann geht die Aufgabe vor. Dies ist der Geist, den dieses Haus austreiben muß, wenn wir die Demokratie in diesem Land erhalten wollen. Es kann und darf in diesem Land keine Behörde, keinen Bundesnachrichtendienst und auch sonst keine Institution geben, für die es eine andere Raison als die Verfassung gibt.
Diese Verfassung ist gebrochen worden durch Teile des Bundesnachrichtendienstes, indem diese sich immer wieder ihr eigenes Gesetz gesetzt haben und sich nicht daran gehalten haben, was die Grundrechte z. B. darüber vorschreiben, wo eine Behörde nichts zu suchen hat.
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Dr. Arndt
Natürlich! Selbstverständlich alle Organisationen, insbesondere diejenigen, denen öffentliche Gewalt durch das Volk, wie Art. 20 des Grundgesetzes sagt, anvertraut ist. Diese Erkenntnis müssen wir gemeinsam hier durchsetzen.
Wir können ihr aber nicht dienen, wenn Sie hier in dieser Weise, wie das geschehen ist, den Keil zwischen uns zu treiben versuchen, indem Sie einen Teil des Hauses subkutan oder öffentlich des Landesverrats bezichtigen. Das muß mit aller Energie zurückgewiesen werden, denn wenn Sie diese Vorwürfe aufrechterhalten, dann zerschneiden Sie eine Basis, auf der die Demokratie allein stehen kann, und dann werden wir alle zusammen zugrundegehen.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Reddemann.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Ich möchte auf die Aufgeregtheiten des Herrn Kollegen Arndt nicht weiter eingehen; der Zeit wegen. Aber ich darf doch darauf hinweisen, daß frühere sozialdemokratische Spitzenfunktionäre über die Person des Gründers des Bundesnachrichtendienstes, General Gehlen, ganz andere Auffassungen vertraten als die Gruppe, die augenblicklich in der SPD das Sagen hat.
Ich darf daran erinnern, daß der Bundesnachrichtendienst früher immerhin in die Baracke, d. h. in die Bundesgeschäftsstelle der SPD, geholt wurde, um dort Agenten zu enttarnen.
Ich darf darauf hinweisen, daß sogar zur Zeit des Generals Gehlen bestimmte Transaktionen für eine sozialistische Partei außerhalb der Bundesrepublik im Auftrage des SPD-Parteivorstandes durch den BND vorgenommen wurden. Ich frage mich, ob die jetzige Gereiztheit gegenüber dem Bundesnachrichtendienst nicht einfach durch eine Änderung in der Gesinnung des augenblicklichen SPD-Vorstandes entstanden ist,
nicht aber dadurch, daß sich der Bundesnachrichtendienst plötzlich in eine Art verfassungsfeindliche Organisation umgewandelt hat. Das als Vorbemerkung zu Herrn Kollegen Arndt.Lassen Sie mich vier Punkte, sozusagen als Resümee dieser Debatte, vortragen.Erstens. Die Bundesrepublik Deutschland hätte den Fall Guillaume sicher nicht durchleiden müssen, wenn nicht innerhalb der augenblicklichen SPD- Spitze die verhängnisvolle Vorstellung vorherrschte,Parteibuch und Linientreue höher werten zu müssen als fachliche Qualifikation.
Die Art, in der sich der frühere Chef des Bundeskanzleramtes, Horst Ehmke, über die Bedenken des Pesonalrats bei der Einstellung Guillaumes hinwegsetzte, um einen Parteigänger in Amt und Würden zu bringen, läßt das mehr als deutlich werden.Zweitens. Es gäbe den Fall Guillaume sicher nicht, hätte in der SPD Herr Professor Ehmke nicht damals die entscheidende Rolle gespielt, die er als Chef des Bundeskanzleramts leider gespielt hat, und hätte er sich nicht über entscheidende nachrichtendienstliche Dinge einfach hinweggesetzt aus der Überzeugung, daß es außer Horst Ehmke in diesem Staat kaum noch jemanden gebe, der etwas Vernünftiges zu leisten vermöchte.
Herr Kollege Wallmann hat heute nachmittag in seiner Rede sehr eindrucksvoll deutlich gemacht, daß alles, was Herr Ehmke bei der Einstellung von Herrn Guillaume in seinen verschiedenen Aktivitäten unternommen hat, im Grunde genommen nur eine Alibifunktion besaß, damit Ehmke später einmal Papiere auf den Tisch legen konnte, wenn die Frage zur Debatte stand, ob dieser Mann Guillaume — Ehmke dachte sicher nicht an einen Agenten, sondern an seine Fachqualifikation — in das Kanzleramt gehört hätte.Die Frage bleibt allerdings für uns alle, ob das Beiseiteschieben aller Sicherheitsbedenken nur mit der Genossen-Filzokratie zu erklären ist, die damals im Bundeskanzleramt geherrscht hat — und offenbar heute noch in weiten Rängen herrscht —, oder ob nicht alles einfach mit der Bedenkenlosigkeit des Herrn Ehmke zusammenhing. Und die Frage bleibt weiter, ob uns Herr Ehmke nicht eines Tages doch noch in diesem Bundestag erklären wird, was er mit den 50 000 DM gemacht hat, die er am Tage vor der Bestechung von Julius Steiner dem Geheimfonds des Bundeskanzlers entnommen hat.
Drittens. Der Fall Guillaume wäre möglicherweise keine Affäre Brandt geworden, hätten nicht der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Nollau und der Fraktionsvorsitzende der SPD Herbert Wehner geheißen. Dem Verfassungsschutzpräsidenten muß vorgeworfen werden, daß er durch seinen Rat, den Agenten Guillaume weiter an der Seite des Bundeskanzlers zu lassen, ihm immerhin monatelang die Chance gegeben hat, weitere Staatsgeheimnisse in Richtung Osten abtransportieren zu lassen. Und das in einer Zeit, in der beispielsweise im Bundeskanzleramt die Vorbereitungen für das Gespräch mit dem sowjetischen Parteigeneralsekretär Breschnew abliefen. Die Illoyalität dieses Herrn Nollau gegenüber seinem Bundeskanzler wurde eigentlich nur durch die Illoyalität des Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner gegenüber seinem Parteivorsitzenden übertroffen. Wenn der damalige
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ReddemannBundeskanzler Brandt recht gehabt hätte, daß in der Guillaume-Affäre der anständige Teil Deutschlands auf seiner Seite gestanden hat, dann gehörte Herbert Wehner sicher nicht dazu.
Viertens schließlich: Der damalige Chef des Bundeskanzleramts, Horst Ehmke, hat vor dem Untersuchungsausschuß den Stand des deutschen Journalismus in Mißkredit gebracht, ohne auch nur in der Lage zu sein, einen vernünftigen Beweis zu bringen. Er hat behauptet, es existieren in Bonn Journalisten, die bezahlte Dienste für den Bundesnachrichtendienst leisteten.
— Wenn Herr Ehmke jetzt dazwischenruft, er könne uns die Namen noch nennen, dann verstehe ich nicht, warum er nicht vor dem Presserat und vor der Bundespressekonferenz ausgesagt hat.
Ich habe den Eindruck, Herr Ehmke droht immer mit großer Gebärde. Aber wir sind nicht die Vertreter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die im Januar 1970 auf diese Drohgebärden hereingefallen sind.Eine Bemerkung noch zu Herrn Metzger, der heute wieder, nun, sagen wir, in seiner bekannten Art gesprochen hat. Mir fällt zu ihm fast nichts mehr ein. Aber ich darf darauf hinweisen, daß Herr Metzger doch immerhin derjenige war, der im Herbst des Jahres 1972 seine Falschbehauptungen gegenüber dem Kollegen Müller in die Öffentlichkeit gestreut hat und damit das peinliche Wort des damaligen Bundeskanzlers hervorrief, beim Fraktionswechsel einiger Kollegen der Koalition zur Opposition sei Korruption im Spiel gewesen. HerrMetzger, Sie haben das inzwischen zurücknehmen oder haben eine Ehrenerklärung abgeben müssen.
Sie haben es allerdings, genauso wie im Falle Gerster, den der Kollege Pfeffermann hier zitierte, bisher in der Öffentlichkeit nicht getan. Ich glaube, das disqualifiziert Sie eindeutig,
und ich sage mit aller Deutlichkeit: Eine sozialdemokratische Bundestagsfraktion, die Sie, Herr Metzger, damals zur Belohnung zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gemacht hat, soll nicht im geringsten versuchen, mit moralischen Argumenten zu kommen.
Sie haben, Herr Kollege Metzger — und auch das muß ich deutlich sagen —, ein Zwielicht zu erzeugen versucht, als Sie mit Waffenlieferungen und Waffenhandel argumentierten und dabei den Namen meines Fraktionsvorsitzenden, des Kollegen Professor Carstens, in die Debatte einführten. Sie hatten dabei ein Dokument genannt, und ich schließe daraus messerscharf, daß dies mit dem Bundeskanzleramt in bewährter Manier abgestimmt war. Sie hätten aber Ihre Horrorgeschichte gar nicht zu erzählen brauchen, wenn Sie auch den Inhalt dieses Dokuments mitgeteilt hätten, aus dem nämlich hervorging, daß die Justiz, weil ein Steuerverfahren gegen eine Waffenfirma läuft, die Aussage von Angehörigen des Bundesnachrichtendienstes benötigte und deswegen das Bundeskanzleramt einschaltete. Von Waffenlieferungen etwa oder Waffenhandel, die vom damaligen Chef des Bundeskanzleramtes und heutigen Fraktionskollegen Professor Carstens angeregt oder durchgeführt worden seien, kann in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rede sein.
Eine letzte Bemerkung zum Herrn Kollegen Hirsch. Herr Kollege Hirsch hat mit Recht darauf hingewiesen, daß wir in diesem Bundestag eine Aufgabe haben, die Aufgabe nämlich, das Recht der Untersuchungsausschüsse endlich zu regeln. Ich habe in zwei Untersuchungsausschüssen gesessen und weiß, daß die Ausschüsse im Grunde genommen heute zu Strafkompanien für die Mitglieder geworden sind, die in diesen Ausschüssen sehr viel Arbeit leisten müssen, von denen man Hochleistung und Spitzeninformationen verlangt und denen man im Grunde genommen dann leider nie Dank sagt. Ich möchte unbeschadet der unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten zwischen uns und der Koalition sagen, daß ich für die Arbeit, nicht unbedingt für die Ergebnisse, aber für die Arbeit doch allen Kollegen Dank sagen sollte, die im Untersuchungsausschuß tätig gewesen sind.
Meine Damen, meine Herren! Es wird unsere Aufgabe sein, möglichst bald das Recht der Untersuchungsausschüsse zu reformieren. Es wird nicht zuletzt deswegen eine Aufgabe sein, weil nach der bisherigen Praxis Zeugen, die möglicherweise mit
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10588 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Reddemanndem Verfahren kaum etwas zu tun haben, tagelang, wochenlang, monatelang mit all ihren Fehlern, Nachteilen und ähnlichem ins Rampenlicht gezogen werden und man dabei vergißt, daß die Menschenwürde, die das Grundgesetz ihnen zubilligt, dadurch verletzt wird. Ich möchte daher, meine Damen, meine Herren, an Sie alle, an uns alle appellieren, daß wir noch in dieser Legislaturperiode des Deutschen Bundestages vernünftige Grundsätze für künftige Untersuchungsausschüsse schaffen. Dann hat das, was diese üble Affäre Guillaume jetzt in den Vordergrund gespült hat, wenigstens für unsere parlamentarische Arbeit noch eine vernünftige Bedeutung gehabt.
Mein Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte in dieser Debatte noch ein paar ganz kurze Bemerkungen machen. Ich glaube, wir sind uns alle einig, daß niemand in diesem Hause — und sollte dieser Eindruck doch entstanden sein, so ist er sicher falsch — verantwortlichen Kräften innerhalb der Sozialdemokratischen Partei unterstellt hat, daß sie bewußt irgendwie an Landesverrat oder etwas ähnliches gedacht haben,
wie das Herr Kollege Arndt vorhin in seiner Erklärung ausgeführt hat.
— Herr Kollege Arndt, ich komme auf diesen Punkt noch. Ich lasse auch gern — ich darf das jetzt schon sagen — eine Zwischenfrage dazu zu, wenn ich zu diesem Punkt gesprochen habe. Ich glaube, wir sind uns alle darüber im klaren, von bewußter Handlung kann hier nicht gesprochen werden. Aber, lieber Herr Kollege Arndt, weil Sie sich gerade gerührt haben, ich muß leider von einer beispiellosen Naivität sprechen, die die Verantwortlichen getragen hat, die in diesem Lande seit 1969 in der deutschen Politik Wesentliches zu sagen gehabt haben. Ich möchte hierzu zwei Beispiele bringen, die doch ganz interessant sind.
Der Herr Altbundeskanzler hat bei seiner Aussage vor dem Untersuchungsausschuß gesagt, daß er die Information, die er von Herrn Minister Genscher erhalten habe, eher für unwahrscheinlich gehalten habe. Nun gibt es Leute, auch in meinen Reihen, die der Meinung sind, daß diese Aussage vielleicht nicht ganz richtig ist. Ich glaube, sie ist richtig, meine Damen und Herren. Ich habe das Gefühl, Brandt hat hier die Wahrheit gesagt: Er hat es für unwahrscheinlich gehalten, er konnte es sich gar nicht vorstellen in seiner grenzenlosen Naivität, daß es in diesem Lande Kräfte geben könnte, die für che andere Seite arbeiten. Ich möchte Ihnen dazu ein Beispiel anbieten.
Ich habe im Februar oder März 1971 dem damaligen Parteivorsitzenden der SPD — er ist es heute auch noch, er ist ja in dieser Eigenschaft nicht zurückgetreten — —
— Das ist kein Problem unserer Partei, Herr Kollege Klein.
Er hat in dieser Eigenschaft, nicht als Kanzler, von mir ein Papier erhalten, das mir von Leuten übergeben wurde, die für die Sicherheit in diesem Lande zuständig sind und die sich auch Sorgen über die Unterwanderung der Sozialdemokratischen Partei im Unterbezirk München gemacht haben. In diesem Papier haben konkret Namen gestanden, die Querverbindungen von Gera über das Ministerium für Staatssicherheit herüber und hinein in die Sozialdemokratische Partei in München. Auf diesem Papier haben Namen gestanden, die Sie alle kennen, z. B. der des Herrn Geiselberger, der zur Zeit wieder eine Rolle spielt und der ja zur Zeit nach zwei Instanzen nach wie vor Mitglied der Sozialdemokratischen Partei ist. Es haben auch andere Namen bekannter Leute auf diesem Papier gestanden.
Ich habe die Sorge über diese Entwicklung dem damaligen Parteivorsitzenden vorgetragen, und ich mußte feststellen, er hat es überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, es hat ihn überhaupt nicht interessiert, es hat ihn überhaupt nicht bewegt, wie hier eine Partei, die weiß Gott eine demokratische Tradition in diesem Lande hat, von Systemveränderern, von Kommunisten unterwandert wurde, umfunktioniert wurde und sich in eine ganz bestimmte Richtung entwickelte.
Meine Damen und Herren, dieses Beispiel aus dem Jahre 1971 scheint mir so typisch zu sein für die Entwicklung, die ja auch mit seinem persönlichen Referenten stattfand.
Ich will Ihnen hierzu ein zweites Beispiel erzählen.
Herr Kollege Müller, ich bitte um Verständnis, daß Sie unmittelbar bei der Sache, dem Untersuchungsbericht, bleiben müssen.
Ich komme jetzt zum Herrn Guillaume.
— Nein, aber ich könnte über Sie sprechen; das wäre möglich. Wenn ich den Herrn Sperling neben Ihnen sitzen sehe, würde mir zu diesem Thema noch sehr viel einfallen. Das darf ich gleich hinzufügen.Im Jahre 1973, als der Herr Bundeskanzler über Herrn Guillaume und seine Rolle bereits informiert war, wurde Guillaume nach wie vor in seiner Funktion beschäftigt. Für mich war erschütternd, daß erst
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Dr. Müller
vor wenigen Wochen ein prominenter Sozialdemokrat aus München zu mir gekommen ist und gesagt hat: „Günther, ich will Dir folgendes erzählen".
Das wollen Sie gern wissen; das kann ich Ihnen gern sagen.
— Aber natürlich. Sie würden nicht zu mir kommen. Ich übrigens auch nicht zu Ihnen; das beruht auf Gegenseitigkeit. Aber zu dem komme ich auch. Das ist nämlich ein Kämpfer, der auch zu denen gehört, die Herrn Geiselberger aus der SPD ausschließen wollten.Aber lenken Sie nicht ab; es kommt jetzt sehr interessant. Im September 1973 kam eine Delegation der Münchner SPD zum Parteivorsitzenden Willy Brandt. Darunter waren der damalige Bezirksleiter— er ist es auch heute noch, obwohl er in Pension geht — der IG Metall, Herr Erwin Essil, der Landesbezirksvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Herr Willi Rothe, und zwei, drei andere Leute, die ein ernsthaftes sechsstündiges Gespräch mit dem Parteivorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei führten.
— Ich komme gleich darauf, warten Sie doch ab; die Pointe kommt immer zum Schluß. Sie sollen nicht so voreilig sein.
— Es ist Ihnen sehr unangenehm, Herr Sperling. Ich weiß das ganz genau.Bei diesem Gespräch wurde sechs Stunden von den Leuten aus München dargelegt, was ich schon im Jahre 1971 Herrn Brandt gesagt habe, nämlich welche Leute aus der SED in die Münchner SPD hineinwirken. Bei diesem Gespräch waren von seiten des Parteivorstands der SPD vertreten: Herr Willy Brandt, Herr Holger Börner und einer, der sechs Stunden nichts gesagt, aber alles mitgeschrieben hat, nämlich Herr Günter Guillaume.Das wollte ich hier einmal mit aller Deutlichkeit zeigen, um die Sicherheitsaspekte, die in die Sozialdemokratische Partei hineinwirken, im einzelnen deutlich zu machen.
Herr Abgeordneter Müller, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Meine Redezeit ist abgelaufen.
Herr Sperling hat hier sicherlich Erfahrungen. Ich kann mich an eine Diskussion im Schweizer Fernsehen erinnern, bei der Sie für eine Zusammenarbeit mit Kommunisten eingetreten sind. Dieses erheitert
Sie natürlich, meine Damen und Herren, aber es zeigt den wahren Zustand unseres Staates.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wenn es eines Beweises für die ungewöhnliche Unzulänglichkeit und den enormen Verschleiß, den das Institut der Untersuchungsausschüsse erlitten hat, noch bedurft hätte, dann hat ihn die Opposition heute eindrucksvoll in den letzten fünf Stunden erbracht.
Es kann doch nicht wahr sein, daß so viele erwachsene und leistungsfähige Parlamentarier monatelang zusammensitzen, um dann hinterher in noch weit üblerer Form, als das zu Anfang der Fall war, Gerüchte miteinander auszutauschen, Verdächtigungen am laufenden Band zu produzieren, anstatt am Schluß einer solchen Untersuchung festzustellen, was Sache und was nicht Sache war.
Selbst ein verhältnismäßig schlecht ausgebildeter Jurist müßte in der Lage sein, wenn er seine Arbeit ordentlich gemacht hat, deren Ergebnis in allenfalls einer halben Stunde hier so vorzutragen, daß kein Zweifel mehr über den Sachverhalt bestehen kann. Wenn statt dessen hier fünf Stunden lang genau das Gegenteil geschieht und die Dinge sich — jedenfalls in den Augen der Opposition — noch verworrener, noch unheimlicher, noch düsterer und mysteriöser darstellen, als das vorher der Fall war, dann ist dieses Instrument des Untersuchungsausschusses gründlich verkannt, deformiert und mißbraucht worden.
Das fängt schon mit der äußeren Form an. Ich habe selten ein so schönes Beispiel richterlicher Objektivität, Unabhängigkeit, Sachlichkeit und Konzentration auf das Wesentliche gesehen, wie heute in dem Vortrag des Kollegen Wallmann.
Das war doch wohl präzise das Gegenteil von dem, was man von dem besonders zur Objektivität verpflichteten Vorsitzenden eines derartigen Ausschusses, der die Würde und Sauberkeit des Hauses wahren und nicht neuen Schmutz zusammentragen soll, erwarten kann.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Kollege Kleinert, wollten Sie soeben die Führung Ihrer Fraktion
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Kleinertund namentlich den Kollegen Hirsch als Volljuristen kritisieren, der hier von vornherein eine Redezeit von 60 Minuten beantragt hatte?
Bei der Art, in der Sie von der Opposition sich hier darstellen und in der Sie hier die Dinge eben nicht so, wie es sich gehört, vortragen, ist es leider notwendig, dann wenigstens einiges zurechtzurücken; das muß dann leider sein.
Wir sind keinesfalls bereit, jede Unverschämtheit klaglos hinzunehmen.
So weit reicht selbst unsere Christlichkeit nicht.
Das Verständnis von Herrn Spranger z. B. hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit und Polizeistaatlichkeit ist eine ganz andere Dimension, das ist ein ganz anderes Spannnungsverhältnis, als es bei Liberalen der Fall ist.
Sie sprechen von einer Nacht-und-Nebel-Aktion, wenn es sich darum handelt, daß der Herr der Geschäfte, daß der Behördenchef einmal wissen möchte, sich „erdreistet", wissen zu wollen, was seine Untergebenen eigentlich so treiben und was die sich im Laufe der Zeit so alles an Unterlagen zusammengeschrieben haben.
Das ist doch wirklich eine sehr eigentümliche Auffassung, dann demjenigen, der pflichtgemäß seine Kontrolle ausübt,
dieses vorzuwerfen und hier weinerlich herzugehen und zu behaupten, man wolle dem BND etwas Böses. Niemand in der Koalition bezweifelt die Notwendigkeit und die im großen und ganzen korrekte Arbeit aller Dienste, die wir dringend brauchen. Das Gegenteil wird von Ihnen wider besseres Wissen unterstellt, um die Arbeit dieser Regierung, die nicht zu mögen Ihr gutes Recht ist,
die Sie aber doch etwas sachlicher angreifen sollten, zu erschweren und zu diffamieren.
Ich habe mit Interesse gehört, daß Herr Pfeffermann sich dafür einsetzt, daß in Parteipositionen nur besonders zuverlässige, charakterlich einwandfreie Menschen kommen •— jedenfalls bei der Christen-Union. Ich habe mich anläßlich Ihres Ausspruches mit Interesse an den Hauptgegenstand des vorletzten Untersuchungsausschusses erinnert.
Sie haben da mit dem Kollegen Steiner bei der Anwendung der von Ihnen erwähnten Kriterien einen besonders „glücklichen" Griff getan.
Gestatten Sie, Herr Kollege Kleinert, eine Zwischenfrage des Kollegen Pfeffermann?
Bitte sehr, Herr Pfeffermann!
Herr Kollege Kleinert, wären Sie möglicherweise bereit, auch in dieser späten Stunde noch zwischen Parteifunktionär und Abgeordneten zu unterscheiden?
Dies zum einen.
Zum anderen: Haben Sie sich möglicherweise nicht soeben versprochen, insofern, als Sie eigentlich Herrn Wienand als einen Funktionsträger der Sozialdemokratischen Partei hier nennen wollten?
Ich pflege 'das Ergebnis von Untersuchungsausschüssen so zu werten, wie ich das von anderen auch gern hätte: nämlich Feststellung der Tatsachen, die festgestellt werden können. Über Herrn Wienand konnte hier Nachteiliges nicht festgestellt werden.
Über Herrn Steiner sind ganz eindeutig, nicht zuletzt auf Grund seiner eigenen Aussagen, sehr unerfreuliche Tatsachen festgestellt worden, die zu besonderer Heiterkeit veranlassen, wenn man den von Ihnen vorhin erwähnten Maßstab anlegt. Sie haben sich im übrigen mit Ihrer Parteiorganisation vielleicht nicht besonders befaßt: Herr Steiner war lange Jahre Parteifunktionär — ganz ausdrücklich dieses — und ist dann später, weil man nicht mehr recht wußte, was man nun mit ihm machen sollte, auch noch mit einem Abgeordnetenmandat versorgt worden,
was die Angelegenheit nicht gerade leichter macht und keineswegs in einem günstigeren Licht erscheinen läßt, Herr Pfeffermann.Von Herrn Reddemann sind wir ja einiges gewohnt. Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, daß hier irgend jemand den deutschen Journalismus in Mißkredit gebracht haben soll. Einen, der sich darum immer wieder nach Kräften bemüht,
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Kleinertglaube ich zu kennen; es handelt sich nämlich in dem Falle um Herrn Reddemann.
Wer einmal beim „Rheinischen Beobachter" gelernt hat, kann das einfach nicht so leicht wieder ablegen.
Und wenn ich höre, was hier über Parteibücher gesagt worden ist, habe ich im gleichen Augenblick die Äußerung eines leidgeplagten Nachbarn über das vernommen, was wir einmal hier in dem einen oder dem anderen Haus als Erbschaft übernommen haben. Und ein Parteibuch muß man jedenfalls erst einmal erwerben, und man muß gewisse Leistungen für die Partei erbringen. Einen Taufschein kriegt man gleich von Anfang an; dazu braucht es noch weniger.
Auf diese Art und Weise ist es notwendig geworden, im engeren Bereich der Verantwortlichen den einen oder den anderen Herrn vielleicht doch außerhalb eines Hauses zu suchen, wo man eben Männer des persönlichen Vertrauens und auch einer gewissen politischen Übereinstimmung braucht. Das sind Tatsachen, die für Sie gelten, wie sie für andere gelten. Bloß, dann soll man doch nicht so tun, als wäre es anders nur bei der einen Seite. Tatsache ist, daß hier alle getäuscht worden sind; Tatsache ist, daß der Ausschuß keine neuen Feststellungen treffen konnte.
— Ich habe mit großem Interesse u. a. Ihre Ausführungen gehört und habe die Ausführungen all der Kollegen gehört, und ich sage noch einmal: Am Schluß arbeiten Sie genau wie vorher mit Verdächtigungen,
statt sich zu bemühen, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß dazu zu benutzen, wirklich Klarheit zu schaffen, und dann einen Schlußstrich unter eine Angelegenheit zu ziehen, die natürlich für das ganze Haus und für alle demokratischen Parteien ein schwerwiegender und sehr unangenehmer Vorgang gewesen ist. Das ist aber — lange Namenslisten belegen es — ein Schicksal, das alle Parteien immer wieder treffen kann. Alle Parteien sollten ohne eine Spur von Schadenfreude zusammen helfen, diese Fälle auf ein Minimum zurückzubringen. Dazu brauchen wir die Hilfe aller Demokraten, und wir hoffen, daß Sie in Zukunft auch wieder etwas sachlicher mithelfen werden.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Vor der Abstimmung hat zu einer persönlichen Erklärung der Herr Abgeordnete Wehner das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die ungeheuerlichen und anmaßenden Ausführungen des Abgeordneten Wallmann, der als Vorsitzender dieses Untersuchungsausschusses amtiert hat, machen es mir persönlich unmöglich, mich an der Formalität einer Zurkenntnisnahme des Berichts, der so mißbraucht werden kann, durch Abstimmung zu beteiligen. Vom Abgeordneten Wallmann sind meine Aussagen vor dem Untersuchungsausschuß erfunden und entstellt und nicht wiedergegeben worden, und er hat sich damit und besonders mit der Pointe dieser Ausführungen als Glied in eine Kampagne eingereiht — —
— Nein, nein, das Wort habe ich nie gebraucht. Nehmen Sie meine Worte, wie ich sie brauche; das mit dem Rechtskartell lesen Sie anderswo, von mir nie.Nein, nein, hier geht es um Bezichtigungen des Abgeordneten Wallmann, die ein Kettenglied einer Kampagne sind, durch die mir bewußt — mit allen Konsequenzen gemeint — der Stempel des Landesverrats aufgedrückt werden soll.Da muß ich Sie, Herr Präsident, um die Erlaubnis bitten, ein diesbezügliches Dokument, nämlich einen Brief, den mir der Herr Abgeordnete Pieroth unter dem 28. August 1974 per Boten — noch mit der Aufschrift „Eilt"! — zugesandt hat, verlesen, weil das in dasselbe Genre gehört und hier eine Kette, durch die ich gedrosselt werden soll, erkennbar wird.Dieser Brief lautet:In der morgigen Ausgabe der „Quick" wird in unzutreffender Weise Bezug genommen auf die Moskau-Reise, die meine Kollegen Dr. Blühm, Dr. Sprung und ich im Mai dieses Jahres unternahmen. Sofort als ich vom Text dieser Bezugnahme Kenntnis erhielt, habe ich von mir aus die „Quick" zur Richtigstellung aufgefordert. Aus Termingründen war die Richtigstellung für die morgige Ausgabe nicht mehr möglich.Inzwischen liegt mir folgendes Fernschreiben des „Quick“-Redaktionsdirektors vor, das mir gestern um 18.40 Uhr zuging, also lange vor der heutigen „Quick"-Vorabmeldung, in der noch enthalten ist, was laut heutiger „Quick"-EiltMeldung infolge neuer Erkenntnisse nicht verwendet werden soll.Nun komm das zitierte Schreiben: Sehr geehrter Herr Pieroth!Die „Quick" wird in ihrer Ausgabe Nr. 37 vom 5. 9. 1974 folgende eigene Berichtigung, plaziert im Zusammenhang mit der weiteren Berichterstattung über die anhängigen Bonner Affären, veröffentlichen:
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WehnerDie „Quick" hat sich von folgendem überzeugt: Elmar Pieroth MdB hat bei dem, was er der „Quick" über die Gespräche in Moskau bestätigte, nicht bestätigt, daß der sowjetische Funktionär darüber aufgeklärt habe, „daß Wehner nicht nur einmal, sondern insgesamt dreimal in der DDR gewesen sei und zumindest bei einer dieser Gelegenheiten Honecker vor einem Hochgehen Guillaumes gewarnt habe".Der Brief des Redaktionsdirektors fährt fort:Vielmehr hat Elmar Pieroth lediglich mitgeteilt, daß er sich heute einige Andeutungen im Mai in Moskau so auslegen könne, daß Wehner mehr als einmal in Ost-Berlin gewesen sei. Diese Richtigstellung war der „Quick" bereits vor Erscheinen der letzten Ausgabe bekannt, konnte aber aus technischen Gründen nicht mehr berücksichtigt werden.Hein van Nouhuys Redaktionsdirektor „Quick"Unter diesem ehrenwerten Dokument stehen folgende drei Zeilen, die der Herr Kollege Pieroth hinzugefügt hat:Zu der als bestätigt angeführten Äußerung von mir lege ich Wert auf die Feststellung, daß es sich dabei um eine rein persönliche, private Erörterung einer theoretischen Möglichkeit handelt.
Damit schließe ich diese Verlesung und sage Ihnen mit dem Worte Ihres neuen Stars: Es gibt zu viele Feiglinge in Deutschland. Sie sind Feiglinge, die Sie einen Menschen hetzen wollen! Das war alles.
Herr Abgeordneter Wehner, der letzte Satz Ihrer Erklärung ging über das übliche Parlamentarische hinaus.
— Herr Abgeordneter Schäfer, ich rufe Sie zur Ordnung.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung.
— Herr Abgeordneter Arndt, wenn Sie dasselbe gerufen haben, rufe ich Sie ebenfalls zur Ordnung.
Ich lasse über die drei Nummern des Ausschußantrags gleichzeitig abstimmen. Es handelt sich um den Antrag unter Buchstabe B. Wer den Nrn. 1, 2 und 3 zustimmt Nr. 1 bedeutet Kenntnisnahme —, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Damit ist Punkt 9 der heutigen Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 10 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtskostengesetzes, des Gesetzes über Kosten der Gerichtsvollzieher, der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte und anderer Vorschriften
— Drucksache 7/2016 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/3297 — Berichterstatter: Abgeordneter Simon
b) Bericht und Antrag des Rechtsausschusses
— Drucksache 7/3243 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Hauser
Abgeordneter Dr. Stienen
Meine Damen und Herren, ich frage zunächst, ob von den Berichterstattern das Wort gewünscht wird. — Bitte, Herr Kollege Stienen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Ergänzung des Schriftlichen Berichts des Rechtsausschusses darf ich, auch im Namen des Mitberichterstatters, Herrn Kollegen Dr. Hauser, auf die Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 4. Dezember 1974 hinweisen. Der Rechtsausschuß ist dem Votum dieses mitberatenden Ausschusses bis auf folgende Punkte gefolgt.Erstens. Für eine angemessene Entschädigung der Arbeit des Prozeßbevollmächtigten reicht die Hälfte der regulären Verhandlungsgebühr im arbeitsgerichtlichen Güteverfahren nicht aus. Darüber hinaus darf aus der Angleichung dieser Gebühr an die des § 31 Abs. 1 der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung ein verstärkter Anreiz zur Beilegung des Rechtsstreits im Güteverfahren erwartet werden mit der rechtspolitisch erwünschten Folge, daß dem rechtsuchenden Bürger künftig in vielen Fällen mehr als bisher die mit streitiger Fortsetzung des Rechtsstreits verbundenen weiteren Kosten erspart bleiben.Zweitens. Der sozialpolitische Gedanke, der zu einer Gebührenbemessung nach einem Pauschsatz geführt hat, greift nicht bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Ärzten und Krankenkassen vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit.Drittens. Der Rechtsausschuß hat entgegen dem Votum des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung den Höchstsatz der Zeugenentschädigung für Hausfrauen von 4 auf 6 DM heraufgesetzt.
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Dr. StienenViertens und letztens. Soweit der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung vorgeschlagen hat, die Träger der Jugendhilfe und der Kriegsopferfürsorge auch von den Kosten der Beurkundungen durch Notare zu befreien, ist der Rechtsausschuß diesem Votum nicht gefolgt, weil er keine ausreichenden Kriterien für eine entsprechend eng abgegrenzte Ausnahmeregelung festgestellt hat.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten in die Aussprache ein. —. Das Wort wird nicht begehrt.
Ich rufe in zweiter Beratung Art. 1, 2, 3, 4, 5 sowie Einleitung und Überschrift auf. — Wer dem Gesetzentwurf in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort hat der Abgeordnete Hauser .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die hier zu verabschiedende Vorlage trifft das zu, was erst kürzlich der Herr Bundesjustizminister im Kreise des Deutschen Anwaltsvereins erklärte, daß nämlich im Rechtsbereich noch einiges zu tun sei, um das Recht den Bedürfnissen unserer Zeit anzupassen, ohne es zu einer bloßen Funktion von Modeströmungen werden zu lassen; wird doch mit dieser Novelle auf mehrfachem Felde des Gebührenrechts den dringenden Notwendigkeiten unserer Tage Rechnung getragen.Um die dabei angesprochenen Anliegen baldigst zum Zuge kommen zu lassen, haben wir Berichterstatter zusammen mit Herrn Kollegen Kleinert und den Herren Referenten des Bundesjustizministeriums, denen für ihre sorgfältige Mitarbeit wirklich besonderer Dank gebührt, eine Vorklärung erreicht, die dann auch die späteren Beratungen des Rechtsausschusses zweifellos erleichterte.Eine intensive Klärung der Probleme war um so nötiger, als sich das Kostenrecht der Gerichte und Anwälte im Laufe der Jahrzehnte zu einer eigenen Wissenschaft entwickelt hat. Nicht zu Unrecht wurden in jüngster Zeit Stimmen laut, ob der bisherige erhebliche Sachaufwand und persönliche Einsatz von Kostenbeamten und Richtern noch gerechtfertigt sei. Denn — so wurde argumentiert dieser Einsatz sei sicherlich entschieden höher als die auf diesem mühsamen Wege festgestellten und eingezogenen Kosten. Hier ist es wirklich nötig — Beispiele allerlei Art ließen sich ohne weiteres anführen —, zu vereinfachen und strukturelle Änderungen vorzusehen.Die neuen Bestimmungen des Gerichtskostengesetzes enthalten nun erste Ansätze zur Rationalisierung und Vereinfachung des Kostenrechts. Die weitgreifendste Neuerung ist dabei, daß künftig überschaubare und damit leichter zu handhabende Kostenverzeichnisse die Gebührentatbestände aller Verfahrensarten und Instanzen zusammenfassen. Meine Damen und Herren, damit ist der Weg frei, auch technische Mittel unserer Tage mit elektronischer Datenverarbeitung in den Dienst der Justiz zu stellen. Diese ersten Ansätze von Rationalisierungsmaßnahmen zu einem ganzen System auszubauen, bleibt die Aufgabe der Bundesregierung.Neben Art. 2 mit der völlig berechtigten Anhebung der Gerichtsvollziehergebühren ist der entscheidende Kern dieser Novelle der große Problemkreis der Vergütung der Anwälte und Notare. Im Gegensatz zu den meisten ausländischen Regelungen und auch abweichend von den weitaus meisten Berufen im eigenen Lande wird die Vergütung für die Anwälte bekanntlich durch ein Bundesgesetz geregelt. Der Anwalt kann sicher in Ausnahmefällen — er ist ja Angehöriger eines freien Berufes — mit dem Mandanten für seine Bemühungen ein Zusatzhonorar zu den gesetzlich bestimmten Gebühren vereinbaren. Nun ist es unbestreitbar, daß die Anpassung der gesetzlichen Vergütung der Anwälte im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte immer mehr hinter der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung zurückgeblieben ist. Dies führte unweigerlich dazu, daß die Anwälte sich genötigt sahen, in immer stärkerem Umfang die gesetzliche Vergütung zur Ausnahme, die freie Vereinbarung aber zur Regel zu machen. So geriet vor allem das Kostenerstattungsrecht immer mehr in Unordnung. Hier ist es daher besonders dringlich, die Dinge wieder ins Lot zu bringen und den gesetzlichen Gebührenbestimmungen wieder den notwendigen Rang zu verschaffen.Bei diesen Kostenberechnungen ist nun nicht allein die eigene Leistung des Anwalts zu berücksichtigen, sondern zu der aufgewendeten Zeit des Anwalts ist anteilig stets der gesamte Folgeaufwand mit den ständig steigenden Bürokosten hinzuzurechnen. Dabei haben vor allem die Personalkosten in den letzten Jahren die Dämme gebrochen. Um dies alles mit aufzufangen, erschien es wirklich notwendig, die allzugroße Zurückhaltung des Regierungsentwurfs mit seinen Anhebungsvorschlägen auszugleichen, zumal die letzte lineare Anhebung der Gebührentabelle vor genau zehn Jahren erfolgt ist.Wenn die gesetzlich geregelten Anwaltsgebühren zur Debatte stehen, wird von Regierungsseite immer wieder ins Feld geführt, administrierte Preise dürften nicht erhöht werden, da sie preistreibend wirkten. Stehen aber echte administrierte Preise in Frage, die dem Staat eine vollere Kasse garantieren und im Verordnungswege dekretiert werden können, sind diese Bedenken kaum zu hören. Ich möchte hier, um nur ein Beispiel aus dem Bundesgesetzblatt zu nennen, an die Kostenordnung des Deutschen Hydrographischen Instituts erinnern. Im Zeitraum von 1970 bis 1973 wurde die Gebühr für die Prüfung eines Magnetkompasses von 150 auf 1 550 DM heraufgesetzt. Im gleichen Zeitraum wurde die Gebühr für die Prüfung eines Kreiselkompasses gar von 500 auf 7 000 DM erhöht.
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10594 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Dr. Hauser
Wir haben gestern im Rechtsausschuß bei der Beratung einer Änderung des Straßenverkehrsgesetzes, mit der eine Einwirkungsmöglichkeit des Bundestages auf Rechtsverordnungen und allgemeine Verwaltungsvorschriften angestrebt wird, erörtert, ob es nicht erforderlich sein könnte, über den Einzelbereich des Straßenverkehrs hinaus eine Einflußnahme des Parlaments auch auf weitere Vorschriften ins Auge zu fassen, die die Exekutive erläßt. Wenn man nun solche exorbitanten Beispiele vor sich hat, muß man unweigerlich dazu kommen, dem Parlament ein Regulativ in die Hand zu geben, damit nicht derartige Gebühren ins Aschgraue wachsen.Bei der gründlichen Vorbereitung dieser Novelle — dies ist meine Schlußbemerkung — sind alle einschlägigen Probleme mitbedacht worden, so daß in diesem Bereich so schnell sicher keine Berichtigungsnovelle erforderlich wird, wie dies etwa bei den Gesetzesvorlagen zum Konjunkturprogramm notwendig wurde. Der 80jährige Rechtslehrer Hermann Jahrreiß hat anläßlich des zehnjährigen Jubiläums des Grundgesetzes beklagt, daß der Respekt vor dem Gesetz geschwunden sei, weil zu hastig, zu sehr im Blick auf augenblickliche Konstellationen und Interessen Gesetze erlassen würden. Das muß hier bedacht werden, und das haben wir mit diesem Entwurf, den wir Ihnen zur Verabschiedung vorschlagen, in der Tat bedacht.Mit dem Blick auf das Notwendige war man bestrebt, den Bedürfnissen und Forderungen unserer Zeit soweit wie irgend möglich gerecht zu werden. Darum wird auch meine Fraktion dieser Vorlage zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stienen. Ihm folgt der Herr Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion befürwortet die Zielsetzungen des Entwurfs und die Regelungen in der Fassung des Berichts und des Antrags. Befürwortet werden insbesondere folgende Regelungen:
Erstens die Erstreckung der von dem Regierungsentwurf übernommenen Regelung, wonach vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit bundesoder landesrechtliche Vorschriften über persönliche Kostenfreiheit keine Anwendung finden, auf die Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen. Die bisherige unterschiedliche Regelung der Kostenfrage, je nachdem, ob die öffentlich-rechtliche Körperschaft aus einem Dienstverhältnis vor dem Verwaltungsgericht oder aus einem Arbeitsverhältnis vor dem Arbeitsgericht verklagt wird, erscheint sachlich nicht begründet.
Zweitens wird die vom Rechtsausschuß beschlossene Streichung der im Entwurf vorgesehenen Vorschußpflicht gemäß Art. 1 Nr. 73 befürwortet. Der Bürger, der sich mit einer Klage gegen einen Verwaltungsakt wendet, soll sein Recht ohne die
Schranke einer Kosten-Vorschußpflicht verfolgen können.
Drittens befürworten wir die durch den Rechtsausschuß im wesentlichen nicht veränderte Regelung des Regierungsentwurfs betreffend die Gestaltung der Gebührentabelle für Rechtsanwälte bei Streitwerten bis 5 600 DM. Nach zuverlässigen Feststellungen des zuständigen Ministeriums sind bei zwei Dritteln sämtlicher vor den Land- und Oberlandesgerichten anhängigen Prozesse Gegenstandswerte von nicht mehr als 5 000 DM im Streit. Für den rechtsuchenden Bürger und die Rechtspflege insgesamt unverzichtbar ist, daß gerade auch in diesem die Mehrzahl der Prozesse erfassenden Gebührenbereich eine erträgliche Relation zwischen Gegenstandswert und Gebühren, eine dem Bürger zumutbare Kostenregelung, erhalten bleibt. Dieses rechtspolitische Anliegen wird durch den vorliegenden Entwurf in der Fassung der Drucksache 7/3243 voll gewahrt.
Dies gilt auch für die Prozesse in der Arbeitsgerichtsbarkeit. Hier übersteigt der Streitwert in den weitaus meisten Fällen gleichfalls nicht den Betrag von 5 600 DM, so daß das Anliegen des mitberatenden Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, die Prozeßkosten nicht über den Regierungsentwurf hinaus zu verteuern, in dem wichtigsten Bereich der niederen Streitwerte berücksichtigt ist.
Die SPD-Fraktion stimmt der durch den Rechtsausschuß empfohlenen Erhöhung der Gebühren bei Streitwerten ab 6 400 DM in Erkenntnis der Notwendigkeit zu, die Einkommenslage der Anwaltschaft aus den aus dem Bericht ersichtlichen Gründen zu verbessern. Die SPD-Fraktion hat letztlich zur Begründung ihres Willens, die Gebührensätze von einem Streitwert ab 6 400 DM über die Vorschläge des Regierungsentwurfs hinaus anzuheben, bereits anläßlich der Beratungen im Rechtsausschuß darauf hingewiesen, daß im Interesse der Rechtspflege diejenigen Einkommenseinbußen der Anwaltschaft eines Ausgleichs bedürfen, die sich als Folge der erweiterten sachlichen Zuständigkeit der Amtsgerichte ergeben. Seit dem 1. Januar 1975 sind die Amtsgerichte zuständig bei Streitwerten bis zu 3 000 DM, früher bis 1 500 DM. Da zwei Drittel aller bei den Land- und Oberlandesgerichten anhängigen Rechtsstreite keinen höheren Streitwert als 5 000 DM betreffen, muß der Tatsache Rechnung getragen werden, daß infolge der zum 1. Januar 1975 in Kraft getretenen Regelung, der der Deutsche Anwaltverein übrigens zugestimmt hat, rund 30 % aller bisherigen Fälle der streitigen ordentlichen Gerichtsbarkeit nicht mehr dem Anwaltszwang unterliegen.
Namens der SPD-Fraktion empfehle ich die Annahme des Entwurfs in der Fassung der Drucksache 7/3243.
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Wegen der späten Stunde ganz kurz:
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975 10595
KleinertWir Freien Demokraten freuen uns, daß es möglich geworden ist, in so schöner Einigkeit ganz im Gegensatz zu dem Bild, das wir noch vor kurzem hatten, heute hier dieses Gesetz zu verabschieden. Wir danken allen, die mitgearbeitet haben, um die wirklich schwierige Materie einer guten Lösung entgegenzuführen, und wir hoffen insbesondere, daß die jetzt zu verabschiedenden Regelungen im Bereich der Rechtsanwaltsgebühren zu dem führen, was Herr Kollege Hauser schon angesprochen hat, daß nämlich die gesetzliche Gebühr wieder durchgehend zur Regel wird und Vereinbarungen nicht mehr oder nur noch in seltenen Ausnahmefällen stattfinden, damit das im Grunde bewährte System der Kostenerstattung und das System der Gebührenstaffel, bei der die Fülle der kleinen Sachen von den großen Sachen zum Wohl der sozial Schwächeren mitgetragen werden muß, erhalten bleiben und wieder gestärkt werden. Es bestanden hier in den letzten Jahren in zunehmendem Maße ernste Gefahren. Wir hoffen, daß diese nun gebannt sind, und machen auf diesen rechtspolitischen Hintergrund, der insbesondere im Interesse der Rechtsuchenden und nicht so sehr im Interesse der betroffenen Berufsgruppe liegt, ausdrücklich aufmerksam.
Ich danke Ihnen. Ich möchte in den Dank den Herrn Parlamentarischen Staatssekretär im Justizministerium einbeziehen, der auf nochmalige Ausführungen im Hinblick auf die Regierungsvorlage verzichtet hat.
Ich schließe die Aussprache der dritten Beratung.Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich gehe davon aus, daß das Haus auch dem Antrag des Ausschusses, die zum Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären, zustimmt. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe den Punkt 11 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung und anderer Vorschriften— Drucksache 7/2376 —Bericht und Antrag des Rechtsausschusses
— Drucksache 7/3244 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Hauser
Abgeordneter Dr. Stienen
Die beiden Berichterstatter, denen ich danke, haben auf eine Ergänzung ihres Berichtes verzichtet.Ich rufe das Gesetz in der zweiten Beratung auf: Art. 1, 2, 3, 4, 5, Einleitung und Überschrift. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein. Das Wort wird nicht begehrt.Wir kommen zur Abstimmung in der dritten Lesung. Wer dem Gesetz zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest und darf auch hier davon ausgehen, daß das Haus die zum Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt erklärt. — Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch.Ich rufe die Punkte 12 bis 16 der Tagesordnung auf :12. Beratung des Antrags des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung der Bundesregierung betr. überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1974 bei Kap. 32 05 Tit. 575 06 — Diskont für unverzinsliche Schatzanweisungen—Drucksachen 7/2917, 7/3137 —Berichterstatter: Abgeordneter Blank13. Beratung des Antrags des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung betr. überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 06 40 Tit. 681 06 im Haushaltsjahr 1974— Drucksachen 7/2996, 7/3238 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Riedl
14. Beratung des Antrags des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung betr. überplanmäßige Ausgabe für Wohngeld bei Kap. 25 02 Tit. 642 01— Drucksachen 7/2944, 7/3239 —Berichterstatter: Abgeordneter Simpfendörfer15. Beratung des Antrags des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung betr. Haushaltsführung 1974hier: Zustimmung zu überplanmäßigen Haushaltsausgaben bei Kap. 11 11 Tit. 681 01, Tit. 681 03, Tit. 863 03— Drucksachen 7/3049, 7/3240 —Berichterstatter: Abgeordneter Krampe16. Beratung des Antrags des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung betr. überplanmäßige
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10596 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Februar 1975
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenAusgabe im Haushaltsjahr 1974 Kap. 1412Tit. 555 01 bis 556 06 — Bauausgaben —— Drucksachen 7/3062, 7/3241 —Berichterstatter: Abgeordneter Haase
Ich frage, ob einer der Berichterstatter das Wort begehrt. — Das ist nicht der Fall. Das Wort wird auch zur Aussprache nicht verlangt.Ich frage das Haus, ob es damit einverstanden ist, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch.Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen 7/3137, 7/3238, 7/3239, 7/3240 und 7/3241. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmige Annahme.Ich rufe den Punkt 17 unserer heutigen Tagesordnung auf:Beratung des Berichts und Antrags des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung betr. Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestageshier: Verfahrensregelung zur parlamentarischen Berichtigung von Gesetzesbeschlüssen— Drucksache 7/3242 — Berichterstatter: Abgeordneter DürrIch darf auf den Bericht des Herrn Abgeordneten Dürr, dem ich sehr herzlich danke, Bezug nehmen. Zu einer Ergänzung wird von ihm nicht das Wort gewünscht.Meine Damen und Herren, wer dem Antrag des Aussschusses zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe nunmehr die Punkte 18 bis 23 der Tagesordnung auf:18. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Schilder, die vorgeschriebenen Angaben, ihre Lage und ihre Anbringungsart an Kraftfahrzeugen und ihren Anhängern— Drucksachen 7/2650, 7/3171 —Berichterstatter: Abgeordneter Tillmann19. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für EierVerordnung des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für GeflügelfleischVerordnung des Rates über die Grundregeln für die Gewährung von Erstattungen bei der Ausfuhr von Geflügelfleisch und über die Festsetzung des ErstattungsbetragsVerordnung des Rates über die Grundregeln für die Gewährung von Erstattungen bei der Ausfuhr von Eiern und über die Kriterien für die Festsetzung des Erstattungsbebetrags— Drucksachen 7/2952, 7/3203 — Berichterstatter: Abgeordneter Ronneburger20. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission füreinen Bericht der Kommission an den Rat über den Stand der Hopfenerzeugung und -vermarktung der Ernten 1973eine Verordnung des Rates zur Festsetzung der Beihilfe an Hopfenerzeuger für die Ernte 1973— Drucksachen 7/2864, 7/3204 — Berichterstatter:Abgeordneter Sauter
21. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe und Zubereitungen— Drucksachen 7/2607, 7/3198 —Berichterstatter: Abgeordneter Hölscher22. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission füreine Verordnung des Rates zur Festsetzung des Verzeichnisses der repräsentativen Märkte für den Schweinefleischsektor in der Gemeinschafteine Verordnung des Rates zur Festlegung der Voraussetzungen für die Anwendung der Schutzmaßnahmen auf dem Sektor Schweinefleischeine Verordnung des Rates über die Grundregeln für die Gewährung von Erstattungen bei der Ausfuhr von Erzeugnissen des Sektors Schweinefleisch und über die Kriterien für die Festsetzung des Erstattungsbetragseine Verordnung des Rates über dieGrundregeln für das sogenannte „System vonLeit- und Folgeerzeugnissen", das die Fest-
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Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausensetzung von Zusatzbeträgen auf dem Schweinefleischsektor ermöglichteine Verordnung des Rates zur Festlegung der Liste der Erzeugnisse, für welche Einschleusungspreise festgesetzt werden, und zur Festlegung der Regeln, nach denen der Einschleusungspreis für geschlachtete Schweine festgesetzt wirdeine Verordnung des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Schweinefleisch— Drucksachen 7/2950, 7/3205 —Berichterstatter: Abgeordneter Eigen23. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag einer Entscheidung des Rates über die gemeinschaftliche Finanzierung bestimmter dringender Veterinärmaßnahmen— Drucksachen 7/2804, 7/3234 —Berichterstatter: Abgeordneter Schröder
Ich frage, ob einer der Berichterstatter das Wort begehrt. Das ist nicht der Fall. Ich danke den Berichterstattern.Wird das Wort zur Aussprache verlangt? — Ich sehe keine Wortmeldungen.Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber über alle Tagesordnungspunkte gemeinsam abstimmen? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch.Wir kommen daher zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen 7/3171, 7/3203, 7/3204, 7/3198, 7/3205 und 7/3234. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe!Stimmenthaltungen? — Es ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Punkt 24 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Beseitigung von Tierkörpern, Tierkörperteilen und tierischen Erzeugnissen
— Drucksache 7/3225 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Jugend, Familie und GesundheitDas Wort zur Begründung der Vorlage wird nicht gewünscht. Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend — und an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — mitberatend — zu überweisen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zu dem Zusatzpunkt zu unserer heutigen Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Durchführung einer Repräsentativstatistik der Bevölkerung und des Erwerbslebens
— Drucksache 7/3042 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 7/3290 —Berichterstatter: Abgeordneter Möller
b) Bericht und Antrag des Innenausschusses
— Drucksache 7/3289 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. MiltnerAbgeordneterDr. Haenschke
Ich danke den Herrn Berichterstattern. Wird eine Ergänzung der schriftlichen Berichte gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Meine Damen und Herren, wir kommen zur zweiten Beratung. Ich rufe die §§ 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7 und 8, Einleitung und Überschrift auf. — Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein. — Das Wort wird nicht begehrt.Wer dem Gesetzentwurf in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Gegenstimme ist das Gesetz in der dritten Beratung gebilligt.Meine Damen und Herren, wir stehen damit am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Plenarsitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 28. Februar 1975, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.