Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung gedenken wir heute des Präsidenten der Irischen Republik, Erskine Childers,
der am 17. November nach 11/2jähriger Amtszeit unerwartet verstarb.
Childers hat seinem Lande annähernd vier Jahrzehnte lang als Politiker gedient. 1938 wurde er erstmals ins irische Parlament gewählt. Seit 1951 gehörte er mehreren Regierungen an. Am 30. Mai vorigen Jahres wurde er als Nachfolger von Eamon de Valera zum Staatspräsidenten gewählt. Als Protestant selber Angehöriger der konfessionellen Minderheit in seinem Lande, hat er sich sowohl in Parlament und Regierung als auch in seinem Amt als Staatspräsident unbeirrbar für eine Versöhnung zwischen Protestanten und Katholiken eingesetzt. Er ist stets jedem Gedanken an gewaltsame Lösungen der Probleme der irischen und britischen Bevölkerung Ulsters entschieden entgegengetreten.
Mit Childers verliert die irische Nation einen Staatsmann, dessen unbestrittene Integrität ihm das große Vertrauen aller Seiten eintrug.
Den Hinterbliebenen und der ganzen irischen Nation gilt unsere tiefempfundene Anteilnahme.
Sie haben sich zu Ehren des verstorbenen irischen Staatspräsidenten erhoben. Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, für den aus der Beratenden Versammlung des Europarates ausscheidenden Abgeordneten Schlaga schlägt die Fraktion der SPD als ordentliches Mitglied den Abgeordneten Marquardt vor, der bisher stellvertretendes Mitglied war. Als Stellvertreter benennt sie den Abgeordneten Haase .
Für den aus dem Gremium gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses ausscheidenden Abgeordneten Frehsee schlägt die Fraktion der SPD den Abgeordneten Pensky vor. Das Haus ist mit diesen Vorschlägen einverstanden. — Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Der Abgeordnete Wienand hat mit Wirkung vom
3. Dezember 1974 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Liste aufgeführten Vorlagen ergänzt werden:
1. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Energieversorgung bei Gefährdung oder Störung der Einfuhren von Erdöl, Erdölerzeugnissen oder Erdgas — Drucksache 7/2461 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 7/2899 —Berichterstatter: Abgeordneter Röhner
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 7/2898 —
Berichterstatter: Abgeordneter Russe
Abgeordneter Christ
2. Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes
— Drucksache 7/2884 —Überweisungsvorschlag: Innenausschuß , Haushaltsausschuß
Das Haus ist damit einverstanden; die Erweiterung der Tagesordnung ist somit beschlossen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat mit Schreiben vom 26. November 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr.-Ing. Oldenstädt, Pfeifer, Dr. Gölter, Dr. Schäuble, Dr. Jenninger, Dr. Waigel, Dr. Fuchs, Frau Benedix, Dr. Hornhues, Dr. Probst und der Fraktion der CDU/CSU betr. Kapazitätsauslastung der Hochschulen — Drucksache 7/2676 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/2859 verteilt.
Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 29. November 1974
die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Walz, Gerster , Dr. Lenz (Bergstraße), Erhard (Bad Schwalbach), Dr. Klein (Göttingen), Biechele, Dr. h. c. Wagner (Günzburg) und Genossen betr. Verbesserung der Kommunikation innerhalb und zwischen den Bundesministerien, Aufbau von Planungskapazitäten, Effizienz- und Erfolgskontrolle, Verbesserung der Kontrolle von Bundesregierung und Bundesverwaltung dutch Parlament und Öffentlichkeit — Drucksache 7/2489 —
die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Walz, Gerster , Dr. Lenz (Bergstraße), Erhard (Bad Schwalbach), Vogel (Ennepetal), Dr. Klein (Göttingen), Dr. h. c. Wagner (Günzburg) und der Fraktion der CDU/CSU betr. Straffung und Verbesserung der Organisationsstruktur von Bundesregierung und Bundesverwaltung — Drucksache 7/2490 —
die Kleine Anfrage der Abgeordneten Gerster , Frau Dr. Walz, Vogel (Ennepetal), Dr. h. c. Wagner (Günzburg), Dr. Miltner, Berger, Dr. Blüm, Thürk, Biechele und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Kabinettausschuß und Projektgruppe zur Reform der Strukturen von Bundesregierung und Bundesverwaltung — Drucksache 7/2491 —
beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/2887 verteilt.
9050 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974
Präsident Frau Renger
Ich rufe nunmehr Punkt 2 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achtundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes
— Drucksache 7/2516 —
aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/2901 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. von
Bülow
bb) Bericht und Antrag des Innenausschusses
— Drucksache 7/2808 —
Berichterstatter: Abgeordneter Freiherr
von Fircks Abgeordneter Liedtke
b) Beratung des Berichts und des Antrags des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung über die Kosten der Erfüllung der Ansprüche auf Hauptentschädigung für Zonenschäden
— Drucksachen 7/1950, 7/2807 —
Berichterstatter: Abgeordneter Freiherr von Fircks
Abgeordneter Dr. Schäfer
Wünschen die Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Dann treten wir in die Beratung ein.
Ich rufe § 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/2891 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete von Fircks.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ziel des heute abschließend zur Beratung vorliegenden Gesetzentwurfs einer 28. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz ist es, die Unterschiede zu beseitigen, die bisher noch in der Behandlung der Vermögensschäden in Mitteldeutschland und Ost-Berlin einerseits und der Vertreibungsschäden andererseits vor allem hinsichtlich der Verzinsung der Entschädigungsansprüche und der Gewährung des zehnprozentigen Entwurzelungszuschlags zur Hauptentschädigung bestehen. Diese Zielsetzung steht unter dein Leitgedanken der vollen rechtlichen Gleichstellung der Zonengeschädigten mit den Heimatvertriebenen im Entschädigungsbereich des Lastenausgleichs nach dem Beweissicherungs- und Feststellungsgesetz. Nachdem durch das Einundzwanzigste Gesetz zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes im Jahre 1969 eine nach sozialen Gesichtspunkten beschränkte Entschädigungsregelung für Vermögensschäden in Mitteldeutschland und Ost-Berlin eingeführt worden war, hat sich bereits bei den Beratungen zur 23. Lastenausgleichsnovelle im darauffolgenden Jahr die unterschiedliche Beurteilung der in diesem Hohen Hause vertretenen Parteien über die einzelnen Etappenziele auf dem weiteren Weg zu einer vollen Gleichbehandlung aller Geschädigtengruppen im Lastenausgleich gezeigt.
Dabei hatte die CDU/CSU die Auffassung vertreten, daß es besser sei, den Zonengeschädigten bereits zu einem früheren Zeitpunkt auch einen Rechtsanspruch auf volle Entschädigungsleistungen zuzuerkennen, als diese Entscheidung auf einen späteren Zeitpunkt zu vertagen, zumal die Finanzierungssituation des Ausgleichfonds infolge der zunehmenden Belastungen durch die Dynamisierung der Kriegsschadenrente übersehbar schwieriger sein würde. Hierbei muß wieder betont werden, daß die der inflationären Entwicklung folgende Dynamisierung der gewichtigste Grund für die Situation ist, daß diese und die weiteren noch notwendigen Verbesserungen im Lastenausgleich vom Fonds allein nicht getragen werden können, sondern daß in den 80er Jahren andere Mittel eingesetzt werden müssen. Aber kein Satz im Gesetz, ja nicht einmal ein Gedanke bei den Beratungen ist jemals darauf verwandt worden, daß das geschaffene Sondervermögen helfen sollte, Inflationsfolgen aufzufangen. Das Sondervermögen hatte den alleinigen Zweck, den aus der Vertreibung entstandenen Schaden in den verschiedenen Lebensbereichen der Menschen zu lindern. Die Einnahmenseite des Sondervermögens ist ja auch nicht — wie z. B. bei den Sozialversicherungsträgern — automatisch durch die inflationäre Lohn- und Gehaltsentwicklung aufgestockt worden.
Wir bedauern, daß die Koalitionsfraktionen damals nicht bereit waren, den Anträgen der CDU/CSU zuzustimmen. Die Entwicklung in den vergangenen Jahren und die heutige Situation des Ausgleichsfonds bestätigen leider unsere damaligen Befürchtungen. Im kommenden Jahr müssen vom Bundesausgleichsamt auf dem Kapitalmarkt Kredite in Höhe von rund 800 Millionen DM — in einer Zeit des Höchstzinses — aufgenommen werden, um die gesetzlich begründeten Leistungen erfüllen zu können. Davon hätten ins Gewicht fallende Millionen eingespart werden können.
Damit dieses Gesetz in einem angemessenen zeitlichen Rahmen durchgeführt werden kann, wird es vor allem darauf ankommen, daß die Ausgleichsverwaltung auch in den kommenden Jahren mit zahlenmäßig ausreichenden und qualifizierten Kräften besetzt ist. Aber auch hier zeigt sich, daß der Weg der Regierung und der Koalition falsch war. Hätte man, dem Antrag der CDU/CSU folgend, in der 23. Novelle die volle Gleichstellung begründet und nur die Erfüllung dessen, was jetzt mit der 28. Novelle gewährt wird, in einen Erfüllungsstufenplan eingebaut, hätten Millionen, die jetzt für doppelte Verwaltungsarbeit und Mehrzinsen benötigt werden, gespart werden können. Wir möchten auch an dieser Stelle an alle Verantwortlichen für die Personalsituation der Ausgleichsverwaltung den dringenden Appell richten, diesen Verwaltungszweig auch künftig arbeits- und leistungsfähig zu erhalten und einen weiteren Personalabbau zu vermeiden. Meine Da-
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Freiherr von Fircks
men und Herren, jede Verzögerung in der Abwicklung kostet Millionen, vermindert aber — was noch gewichtiger ist — zugleich die Zahl der Menschen, denen die Leistungen primär zugedacht sind, nämlich der unmittelbar Geschädigten.
Es erscheint mir in diesem Zusammenhang auch notwendig, gleichzeitig darauf hinzuweisen, daß nach Auffassung der CDU/CSU mit der 28. Lastenausgleichsnovelle ein gerechter Abschluß des Lastenausgleichs nicht erreicht ist. Dies gilt nicht zuletzt in Ansehung derjenigen Regelung, die dieser Gesetzentwurf selbst enthält. Beispielsweise hat die Mehrheit des Innenausschusses an der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Regelung festgehalten, daß nur diejenigen Zonengeschädigten die erhöhten Entschädigungsleistungen erhalten, die den Flüchtlingsausweis C erhalten haben. Dadurch wird etwa die Hälfte aller Zonengeschädigten keinen Entwurzelungszuschlag erhalten.
Nachdem die Bundesregierung in der Regierungserklärung von 1969 ihren festen Willen bekundet hatte, den Lastenausgleich insgesamt zu einem gerechten Abschluß zu bringen, der Deutsche Bundestag und der Bundesrat im gleichen Jahr in einer einmütigen Entschließung ein befriedigendes Abschlußprogramm zur Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge im landwirtschaftlichen Bereich gefordert hatten, Bundestag und Bundesrat 1972 die Bundesregierung einstimmig aufgefordert haben, die geltenden Stichtagsbestimmungen im Lastenausgleichsgesetz und in den übrigen Kriegsfolgegesetzen zu verbessern, und der Sprecher der SPD-Fraktion grundsätzlich die Übereinstimmung mit der CDU/CSU hinsichtlich der Behandlung der südostdeutschen ehemaligen Wehrmachtsangehörigen bekundet hatte, kann dieser Gesetzentwurf, nachdem diese Dinge unerledigt sind, nicht als Beendigung betrachtet werden.
Die CDU/CSU-Fraktion bedauert deswegen insbesondere, daß der Gesetzentwurf des Bundesrates für eine 27. Lastenausgleichsnovelle heute nicht mit beraten wird. Er gehört nämlich genau hierher, und er wurde auch im Innenausschuß gemeinsam mit dieser Novelle beraten.
Meine Damen und Herren, dadurch haben die Bundesregierung und die Koalition deutlich gemacht, daß sie höchstens einem Fünftel der durch das Lastenausgleichsgesetz betreuten Menschen jetzt eine weitere materielle und soziale Verbesserung zukommen lassen wollen, während sie vier Fünftel derselben weiterhin in dem unbefriedigenden Zustand einer nicht gerecht abgeschlossenen Regelung belassen. Hierzu wird bei der Beratung der 27. Novelle mehr zu sagen sein.
Die Gründe für die Ablehnung der Vorschläge des Bundesrates im Innenausschuß und auch durch die Bundesregierung können nach unserer Auffassung nicht allein darin gesehen werden, daß die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung vom 17. Mai 1974 die Auffassung vertreten hat, daß über die 28. Novelle hinaus keine weitere Leistungsverbesserung mehr im Lastenausgleichsbereich vorgenommen werden soll. Der eigentliche Grund für die ablehnende Haltung dürfte vielmehr darin liegen,
daß die Bundesregierung es in den vergangenen fünf Jahren unterlassen hat, bei Einbeziehung neuer Geschädigtengruppen in den Lastenausgleich dem Lastenausgleichsfonds zusätzliche Mittel zuzuführen. Dadurch hat der Lastenausgleichsfonds zu Lasten der Ostvertriebenen Zusagen der Bundesregierung an einen nur geteilten Kreis der Empfangsberechtigten finanzieren müssen, anstatt daß man durch Zuführung weiterer Mittel bei der Einbeziehung eines weiteren Personenkreises die Möglichkeit geschaffen hätte, die Gesamtheit der Vertriebenen und Flüchtlinge mit den notwendigen Leistungen zu versehen.
Wenn damit die 28. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz auch nur eine Teillösung bringt, so wird die CDU/CSU-Fraktion doch diesem Gesetzentwurf im Interesse der Geschädigten aus Mitteldeutschland zustimmen. Dabei schlägt die Fraktion gleichzeitig eine geringfügige Ergänzung des Gesetzentwurfs vor, wie Sie aus dem Ihnen vorliegenden Umdruck im einzelnen ersehen. Dieser Änderungsantrag ist unseres Erachtens zwingend, weil am 31. Dezember 1974 die Bereitstellung allgemeiner Mittel für die Gewährung von Darlehen zum Existenzaufbau aus dem Ausgleichsfonds für den Wohnungsbau und die Eingliederung im Bereich der Landwirtschaft endet. Solche Eingliederungsdarlehen können künftig nur noch in Ausnahmefällen gewährt werden, und zwar dann, wenn der Antragsteller nicht länger als fünf Jahre im Bundesgebiet seinen Aufenthalt hatte. Vor allem, meine Damen und Herren, die zu uns kommenden Spätaussiedler aus den deutschen Ostgebieten und aus den übrigen Vertreibungsgebieten sind aber innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren nur in ganz wenigen Ausnahmefällen in der Lage, sich außer dem eigenen Nachholbedarf auch das notwendige Eigenkapital zu erarbeiten, um die öffentlichen Mittel überhaupt in Anspruch nehmen zu können, die ihnen angeboten werden. Es wird daher vorgeschlagen, die Antragsfrist hinsichtlich solcher Aufbaudarlehen allein für den Personenkreis der Spätberechtigten von fünf auf zehn Jahr e zu verlängern. Wir bitten Sie, diesem unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hofmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es war zu erwarten, daß bei der Begründung dieses Antrages wieder mit Vorwürfen gegenüber der Bundesregierung gearbeitet wird. Es sei mir daher gestattet, kurz auf die Geschichte der Gleichstellung der Vertriebenen mit den Flüchtlingen noch einmal zu verweisen. 1952 wurde von der SPD ein Entschließungsantrag zur Gleichstellung der Flüchtlinge mit den Vertriebenen eingebracht. Zehn Jahre danach ist nichts geschehen. 1962 kam der Gesetzentwurf der SPD zur Gleichstellung; er wurde abgelehnt. Erst wir haben begonnen, darauf hinzuwirken, daß eine Gleichstellung erreicht wird, und nun macht man uns deswegen auch noch Vorwürfe.
9052 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung.. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974
Hofmann
Ich will Ihnen, meine Damen und Herren, sagen, was Ihr Kollege Kuntscher am 14. Mai 1969 von hier aus gesagt hat, als es um dieses Problem ging. Er führte aus — ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren —:
In der Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 hatte der Bundeskanzler — damals Herr Kiesinger — 13 Punkte seines Regierungsprogramms besonders hervorgehoben. Unter Punkt 8 sagte er wörtlich: Die Gesetzgebung über die Abwicklung von Kriegs- und Nachkriegsfolgen sollte abgeschlossen werden. Zu diesem Punkt können wir heute feststellen, daß die Regierung nach Möglichkeit ihr Wort gehalten hat.
Meine Damen und Herren! Das war Schluß und Ende der gesamten Kriegsfolgengesetzgebung. Und heute machen Sie uns Vorwürfe, daß wir wieder damit begonnen und Milliarden für die Vertriebenen und Flüchtlinge zur Verfügung gestellt haben. Ich bedauere das außerordentlich, zumal auch die CDU/CSU im Innenausschuß eine Entschließung eingebracht hat, nach der sie sagte, daß fast 30 Jahre nach Kriegsende die Regelung in diesem Gesetzgebungsbereich grundsätzlich abgeschlossen werden sollte und daß eine erhebliche Ausweitung der Belastung der öffentlichen Haushalte durch diese Gesetzgebung nicht mehr erfolgen darf.
Dann zitieren Sie die 27. Novelle des Bundesrates und verweisen darauf — und machen wieder Vorwürfe —, daß diese Bundesregierung keine zusätzlichen Mittel aus dem Bundeshaushalt in den Ausgleichsfonds gibt. Verehrter Herr Kollege von Fircks! Warum zitieren Sie an dieser Stelle nicht den Antrag des Landes Schleswig-Holstein, das den Ausgleichsfonds um 720 Millionen mindern will?
Auch das muß noch beraten und hinzugefügt werden. Aber davon will man heute nichts mehr wissen, weil demnächst Wahlen in Schleswig-Holstein sind.
Und nun lassen Sie mich etwas zu dem Antrag sagen, der hier in Drucksache 7/2891 vorliegt. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die bisherige Fassung des § 323 ist seit Jahren ohne große Komplikationen praktiziert worden. Wir sind der Meinung, daß dies so bleiben sollte und ich bitte Sie daher, diesen Antrag abzulehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wendig.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nicht der Versuchung unterliegen, dem breiten Feld des Lastenausgleichs und der Kriegsfolgeschäden noch einige grundsätzliche Aspekte hinzufügen. Es besteht ohne jeden Zweifel in diesem Hohen Hause — das sollte man betonen — trotz der Meinungsverschiedenheiten, die eben zu Recht vorgetragen worden sind, Einigkeit darüber, daß die Folgen des Zweiten
Weltkriegs sehr viele Bürger in unserem Lande in sehr unterschiedlicher Weise und zu sehr unterschiedlichen Zeiten getroffen haben. Die Teilung unseres Staatsgebietes mit den vielfältigen neuen Flüchtlingsproblemen und der Vertreibung aus den Gebieten jenseits der Oder-Neiße-Linie hat dem unmittelbaren Kriegsgeschehen eine Fülle neuer Probleme nachgetragen. Und es ist ein Verdienst — das möchte ich hier noch einmal betonen — der Bundesrepublik Deutschland dies meine ich ohne Rücksicht auf die jeweilige politische Zusammensetzung dieses Hohen Hauses — alles im Rahmen des finanziell Möglichen getan zu haben, um diese zum Teil erheblichen Lasten dem einzelnen betroffenen Bürger, wenn nicht abzunehmen, so doch entscheidend zu mildern. Und dies alles war ein jahrzehntelanger Prozeß, der, wie alles Gesetzeswerk, Menschenwerk ist und nie jeden einzelnen Fall ganz in seine Regelung einbeziehen kann.
Ich will die Gründe, die der Kollege Hofmann zu der Geschichte des Lastenausgleichsgesetzes vorgetragen hat, nicht noch einmal wiederholen; aber eines muß man jedenfalls sagen: daß unter dem Bundeskanzler Kiesinger ganz klar zum Ausdruck gebracht war, daß man zu dem damaligen Zeitpunkt die Lastenausgleichsgesetzgebung im wesentlichen als abgeschlossen ansah, und daß diese Bundesregierung der sozialliberalen Koalition in den letzten Jahren noch eine ganz erhebliche Verbesserung der Lastenausgleichsregelung -nachgetragen hat.
Ich schicke des als allgemeine Betrachtung meiner Erklärung voraus, um damit zugleich ganz kurz auf die beiden wesentlichsten Punkte einzugehen, um die es bei dem 28. Gesetz geht. Die entscheidende Aufgabe der Novelle mußte es sein und ist es, die Unterschiede abzubauen bzw. zu beseitigen, die in der Behandlung von Schäden bestehen, die einerseits im Gebiet der heutigen DDR und andererseits im Gebiet der Bundesrepublik und der Vertreibungsgebiete entstanden sind. Dies ist mit dem vorliegenden Entwurf im wesentlichen geschehen. Der Zinszuschlag zu den zuerkannten Endbeträgen wird hinsichtlich des maßgebenden Zeitpunktes, von dem an er zu gewähren ist, einheitlich in der Weise geregelt, daß Zonenschäden im Sinne von § 15 a LAG in die für Vertreibungsschäden bestehende Regelung einbezogen werden, was also grundsätzlich den Stichtag 1. Januar 1953 bedeutet. Hinzu kommt der Entwurzelungszuschlag von 10 %, der jetzt auch Sowjetzonenflüchtlingen un d ihnen gleichgestellten Personen gewährt wird.
Die Frage des C-Scheins, Herr Kollege von Fircks, haben Sie im Innenausschuß angesprochen. Darauf ist Ihnen — ich habe das eben noch einmal im Protokoll nachgelesen - von dem Vertreter des Innenministeriums erklärt worden, daß der C-Schein heute noch beantragt werden könne.
Nun zu 2. Hier liegt für viele von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, immer noch die Problematik, daß der. Komplex der Kriegsfolgelasten mit dieser Novelle seinen Abschluß finden wird und finden muß. Dieser auch in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 17. Mai enthaltenen Absicht wird man sich nicht verschließen
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Dr. Wendig
können. Mit der Lastenausgleichsgesetzgebung haben die Bundesrepublik und damit der deutsche Steuerzahler ein Werk geschaffen, das, wenn man den Umfang des betroffenen Personenkreises in Betracht zieht, ohne Beispiel ist. Es werden — ich möchte nur eine Zahl nennen -- über 400 Milliarden DM sein, die für Zwecke dieses Gesetzes aufgewendet sein werden.
— „Kriegsfolgelasten" habe ich gesagt.
Es wird sich auch hier nicht vermeiden lassen, daß eine abschließende Regelung in bestimmten Einzelfällen Härten einschließt. Wir müssen uns aber, so hart es im Einzelfall sein mag, stärker der Erkenntnis öffnen, daß die Bewältigung der gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben in unserem Staat und in unserer Gesellschaft finanzielle Aufwendungen erforderlich machen wird, die jede Staatsführung und jede Volksvertretung zu dem Entschluß führen werden, daß die Bundesregierung und wir mit ihr den Komplex der Kriegsfolgelasten jetzt zum Abschluß bringen müssen. Auch unter diesem Aspekt, meine Damen und Herren, wird meine Fraktion dem Gesetzentwurf, den der Innenausschuß zur Annahme empfohlen hat, ihre Zustimmung nicht versagen.
Meine Damen und Herren! Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag 2891 der Fraktion der CDU/ CSU. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! - Enthaltungen? -- Mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem § 1 in der vorn Ausschuß vorgeschlagenen Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr die §§ 2, 3, 4, 5 und 6, die Einleitung und die Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltuntungen? — Einstimmig angenommen. Meine Damen und Herren, damit ist das Gesetz in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Danke schön. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir haben noch über die Ausschußanträge abzustimmen. Wer dem Antrag des Ausschusses, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. —Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Meine Damen und Herren, wir haben noch über den Antrag des Innenausschusses auf Drucksache 7 /2807, den Bericht der Bundesregierung zur Kenntnis zu nehmen, abzustimmen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist ebenfalls angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Punkt 3 a und b der Tagesordnung auf:
— Drucksache 7/2175 —
Bericht und Antrag des Innenausschusses
— Drucksache 7/2814 —Berichterstatter: Abgeordneter Entrup
Abgeordneter Bühling
b) Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes
— Drucksache 7/1880 —
Bericht und Antrag des Innenausschusses
— Drucksache 7/2814 —Berichterstatter: Abgeordneter Entrup
Abgeordneter Bühling
Ich rufe die Art. 1 und 2 auf. Der Berichterstatter wünscht das Wort nicht. Wer den aufgerufenen Artikeln zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe den Artikel 3 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/2895 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wird hierzu das Wort gewünscht? — Bitte sehr, Herr Kollege!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion darf ich kurz begründen, welche Erwägungen uns veranlaßt haben, den Ihnen vorliegenden Änderungsantrag zum Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz einzubringen. Alle Fraktionen dieses Hohen Hauses stimmen darin überein — insbesondere nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 21. 5. 1974 —, die Bestimmungen des § 4 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes dahin gehend abzuändern, daß es für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch ein ehe-
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Entrup
liches Kind aus einer national gemischten Ehe ausreichen soll, daß ein Elternteil — gleichgültig, ob Vater oder Mutter — die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.
Das bedeutet, daß diese Kinder nach ihrer Geburt automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber in dem vorerwähnten Beschluß ferner verpflichtet, allen seit dem 1. 4. 1953 geborenen ehelichen Kindern deutscher Mütter, die bisher vom Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Geburt ausgeschlossen waren, einen Weg zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit zu eröffnen.
Der Änderungsantrag der CDU/CSU sieht vor, daß auch die vor Inkrafttreten des Gesetzes seit dem 1. 4. 1953 ehelich geborenen Kinder deutscher Mütter die Staatsangehörigkeit erwerben, ohne daß es einer besonderen Erklärung des Kindes bzw. seiner Eltern bedürfte. Dieser Lösungsmöglichkeit ist nach unserer Auffassung der Vorzug deshalb zu geben, weil sie konsequent den bereits geborenen Kindern dieselbe Rechtsstellung verschafft, die diese Kinder mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erhalten werden.
Es ist kein beachtlicher Grund erkennbar, der es zwingend geboten erscheinen ließe, diesen betroffenen Personenkreis von der Kollektivverleihung auszuschließen und ihn auf den umständlicheren Weg der Abgabe der Erklärung, die deutsche Staatsangehörigkeit nunmehr zu erhalten, zu verweisen. Dem steht auch nicht das Prinzip des deutschen Staatsangehörigkeitsrechtes entgegen, den nachträglichen Erwerb der Staatsangehörigkeit der freien Willensentscheidung des einzelnen zu überlassen.
Ein hinlängliches Korrektiv wäre mit der Einräumung eines Ausschlagungsrechtes vorhanden. Dies könnte derart ausgestaltet werden, daß eine unerwünschte deutsche Staatsangehörigkeit keine nachteiligen Folgen für den Betroffenen nach sich zu ziehen braucht. Das vorgesehene Optionsrecht des Regierungsentwurfs, meine Damen und Herren, muß im Hinblick auf den Beschluß vom 21. 5. 1974 als Minimallösung bezeichnet werden. Es hat den weiteren Nachteil, daß, da es auf drei Jahre beschränkt ist, die Betroffenen in der Mehrzahl von dem ihnen zustehenden Recht keinen Gebrauch machen werden, da eine entsprechend breit angelegte Information offenbar weder im Inland noch im Ausland beabsichtigt ist. Es wird also nur ein kleiner und auch nur derzeit interessierter Kreis von Betroffenen in den Genuß dieser Vergünstigung kommen können.
Für den Kollektiverwerb spricht weiter, daß dieser den Interessen und praktischen Bedürfnissen der Kinder wie auch insbesondere ihrer Mütter am besten gerecht wird. Er vermeidet Spannungen und Auseinandersetzungen innerhalb der betroffenen Familien. Er bürdet insbesondere der betroffenen deutschen Mutter nicht die Last eigenen Tätig-werden-Müssens auf. Gerade in den Ländern, in denen das patriarchalische Familienprinzip feststellbar ist, ist die Stellung der deutschen Mutter eine wesentlich andere, nämlich günstigere, wenn sie in der
ohnehin dem Ehemann meist unverständlichen Frage des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit nicht um Zustimmung zur Abgabe der Erklärung bittend tätig werden muß, als in einem Fall, in dem es um die Entscheidung der Frage geht, ob das Kind etwa auf die kollektiv verliehene deutsche Staatsangehörigkeit verzichten sollte.
Diese vorausschaubaren Konfliktsituationen und Schwierigkeiten verkennt der Regierungsentwurf offenbar nicht. Wie anders sollte man sonst die Vorsorgebestimmung des Art. 3 Abs. 5 verstehen, daß bei fehlender Einwilligung eines Elternteils der antragswillige Elternteil mit Genehmigung des deutschen Vormundschaftsgerichts die Erklärung für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit abgeben kann und daß im Genehmigungsverfahren das Vormundschaftsgericht sogar von einer Anhörung des ausländischen Elternteils absehen kann, wenn zu befürchten ist, daß durch unzulässige Maßnahmen des ausländischen Elternteils das Kind daran gehindert wird, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben?
Wenn also der tatsächlich feststellbaren Interessenlage und den praktischen Bedürfnissen der betroffenen Kinder wie insbesondere auch ihrer Mütter die vorgeschlagene Lösung nicht annähernd gerecht wird, haftet ihr der weitere Mangel an, die Einheitlichkeit der Rechtssystematik zu durchbrechen, indem das Vertretungsrecht und die Personenfürsorge eine andere Regelung als im BGB und in den insoweit in Frage kommenden gesetzlichen Bestimmungen erfahren. Dies, meine Damen und Herren, ist um so unverständlicher, als gerade bei der Beratung anderweitiger Gesetzesvorhaben aus wohlerwogenen Gründen seitens des Parlaments darauf Wert gelegt wird, unterschiedliche Regelungen ein und desselben Sachverhalts von vornherein zu vermeiden.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß der vorliegende Gesetzentwurf Bedenken auslöst hinsichtlich seiner Praktikabilität sowohl bei den zuständigen Ordnungsbehörden wie auch im Bereich des Vormundschaftsgerichts, das in Auslandsfällen nicht einmal die Möglichkeit haben wird, notwendige korrekte Ermittlungen vornehmen zu lassen, sondern bei seiner Entscheidung allein auf Parteivortrag angewiesen ist.
Für den Änderungsantrag und damit für die Lösung, den seit dem 1. April 1953 geborenen Kindern eines deutschen Elternteils kollektiv die deutsche Staatsangehörigkeit zu gewähren, spricht schließlich auch, daß sie der im Änderungsgesetz von 1963 bereits angewandten Übergangsregelung entspricht.
Aus all diesen Gründen, meine Damen und Herren, darf ich Sie bitten, dem vorliegenden Abänderungsantrag unserer Fraktion Ihre Zustimmung geben zu wollen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bühling.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974 9055
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wir halten den Änderungsantrag der CDU/CSU nicht für sinnvoll. Es ist zwar richtig, daß dem Gebot der Art. 117 des Grundgesetzes, die Folgen aus dem Gleichberechtigungsgrundsatz bis zum 1. April 1953 zu regeln, damals nicht Genüge getan worden ist. Daraus folgt auch die ganze Problematik, daß man nach über 21 Jahre versuchen muß, dieses Versehen zu bereinigen. Deshalb kann auch von einer lückenlosen Systematik nicht die Rede sein. Nach einem so langen Zeitablauf wird keine Lösung ganz aufgehen. Aber wir sind der Meinung, daß die Lösung der CDU/CSU entschieden die schlechtere ist.
Es handelt sich im Grunde um eine aufgezwungene Wohltat. Man muß sich in die Lage der Betroffenen versetzen, die nunmehr, nachdem sie sich viele Jahre — im Höchstfall bis zu 22 Jahren — mit ihrer Familie auf eine fremde Staatsangehörigkeit eingerichtet haben, nachträglich zusätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen. Das kann in vielen Fällen für die Betroffenen und für ihre Familien, aber auch mit den Ländern, in denen die Betroffenen wohnen, zu Schwierigkeiten führen.
Es kommt hinzu, daß sehr viele gar nicht ahnen, daß sie durch das Gesetz, das die CDU/CSU hier mit ihrem Änderungsantrag erzielen will, Deutsche werden. Es ist unmöglich, in allen Ländern der Welt entsprechende Bekanntmachungen zu erlassen. Es gibt ja auch keine Registrierungspflicht für die Betroffenen. Sehr viele werden also Deutsche werden, ohne es zu ahnen. Sie werden nach einer Reihe von Jahren merken, daß sie eine doppelte Staatsangehörigkeit haben. Dann aber ist die viel zu kurze Frist von einem Jahr, die der Änderungsantrag der CDU/CSU den Betroffenen einräumen will, bereits verflossen. Aus all diesen Gründen kann man eine solche Regelung keinesfalls gutheißen.
Wenn nun gesagt wird, der Weg des Regierungsentwurfs, daß die Betroffenen selbst einen Antrag stellen sollten, weil sie nicht automatisch Deutsche oder neben einer fremden Staatsangehörigkeit auch Deutsche werden, sei der umständlichere, so stimmt das nicht. Es ist nur ein einfacher schriftlicher Antrag zu stellen. Es ist kein Notar und kein Gericht erforderlich; auch die Botschaften oder die deutschen Auslandsvertretungen brauchen nicht in Anspruch genommen zu werden. Es entstehen keinerlei Kosten. Es ist eine Frist von drei Jahren vorgesehen. Wenn diese Frist aus einem triftigen Grund nicht eingehalten werden kann, dann kann auch noch nach Ablauf der drei Jahre der Antrag gestellt werden. Für den Fall, daß mit einem Elternteil Schwierigkeiten bestehen, ist eine ins einzelne gehende Lösung im Regierungsentwurf enthalten, die ich jetzt nicht noch einmal vortragen will und wonach auch der andere Elternteil bei Minderjährigen den Antrag stellen kann. Es ist also die denkbar einfachste und die denkbar langfristigste Möglichkeit, die hier eröffnet wird. Wir glauben deshalb, daß es beim Regierungsentwurf bleiben sollte und daß der Änderungsantrag der CDU/CSU abgelehnt werden sollte.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Änderungsantrag der CDU/ CSU löst das Problem nur scheinbar umfassend. Ich glaube, es würde zu einfach untragbaren Ergebnissen führen, wenn wir hier in einer Übergangslösung einem Personenkreis, der im einzelnen nicht genau umrissen ist und der in den verschiedensten Ländern lebt, kraft Geburt und ohne Wissen der Betroffenen die deutsche Staatsangehörigkeit verschaffen würden. Das ist ganz einfach das Problem. Es kann nicht angehen, hier einem Personenkreis die deutsche Staatsangehörigkeit zu übertragen, ohne daß die einzelne Person überhaupt von der Änderung in ihrem Staatsangehörigkeitsstatus Kenntnis erhalten kann.
Wenn die Union sagt, daß während der Antragsfrist nach dem Vorschlag der Koalitionsparteien viele der Betroffenen keinen Antrag stellen könnten, weil sie vom Inkrafttreten dieses Gesetzes keine Kenntnis erhielten, dann muß man sich natürlich auch einmal überlegen, daß der viel wahrscheinlichere Fall der ist, daß nach Ihrem Vorschlag, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, auch vom Inkrafttreten dieses Gesetzes nach Ihrer Lösung viele keine Kenntnis erhielten und dann überhaupt nicht erfahren würden, daß sie mittlerweile deutsche Staatsangehörige geworden sind. Es ist nicht nur nach unserem Verständnis von der Staatsangehörigkeit so, daß hier ein gewisses Element der Freiwilligkeit eine nicht unbedeutende Rolle spielt.
Wir müssen auch erkennen, daß dort, wo die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt als zweite Staatsangehörigkeit erworben würde, konsularischer und diplomatischer Schutz seitens der Bundesrepublik in vielen Fällen nicht gewährt werden könnte, soweit sich die Kinder im Ausland aufhalten. Die Lösung des Regierungsentwurfs erscheint deswegen als sachgerechter, der eine Frist von drei Jahren und darüber hinaus die Möglichkeit vorsieht, auch noch später den Antrag zu stellen, wenn Hinderungsgründe zur Abgabe der Erklärung bestanden und ohne Verschulden deswegen die Antragsfrist nicht eingehalten werden konnte. Somit ist alles geschehen, um hier denen, die es tatsächlich wollen, die Antragsmöglichkeit zu eröffnen.
Ich bitte daher, den Änderungsantrag der Union abzulehnen.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der CDU/CSU auf Drucksache 7/2895. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem Art. 3 in der Fassung des Ausschußantrages zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —Art. 3 ist in der Ausschußfassung angenommen.
9056 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974
Präsident Frau Renger
Ich rufe nunmehr die Art. 3 a, 4, 5, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.
Ich rufe auf die
dritte Beratung.
Wird hierzu das Wort gewünscht? — Der Herr Abgeordnete Bühling hat das Wort.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Für die SPD-Fraktion möchte ich folgendes sagen:
Das Gesetz zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes 1974 hat erheblich größere Auswirkungen, als man dem Entwurf auf den ersten Blick ansieht. Es regelt immerhin die Staatsangehörigkeit für mehrere hunderttausend Kinder von Eltern verschiedener Nationalität.
Wenn das Gesetz schon für die Vergangenheit erhebliche Auswirkungen hat, so wird das in Zukunft noch mehr der Fall sein. Wir müssen davon ausgehen, daß für absehbare Zeit eine große Anzahl von Ausländern in Deutschland, aber auch eine wachsende Zahl von Deutschen im Ausland leben wird. Die Anzahl der gemischtnationalen Ehen und der gemischtnationalen Eltern wird also erheblich höher sein, als das früher der Fall war.
Nach dem alten Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 sind bisher nur die ehelichen Kinder eines deutschen Vaters Deutsche, die ehelichen Kinder einer deutschen Mutter dagegen nicht. Dem unbefangenen Betrachter erscheint es völlig unverständlich, daß das bis heute noch so ist. Es erscheint dem unbefangenen Betrachter auch völlig klar, daß das gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz verstößt. Demgemäß werden nun durch das Änderungsgesetz die ehelichen Kinder einer deutschen Mutter in Zukunft ebenso deutsche Staatsangehörige wie die ehelichen Kinder eines deutschen Vaters.
Wie vorhin schon in anderem Zusammenhang gesagt wurde, hätte nach Art. 117 des Grundgesetzes die Änderung des Statsangehörigkeitsrechts schon bis zum 1. April 1953 geschehen müssen. Wenn das damals nicht geschehen ist und wir dies heute nach über 21 Jahren endlich tun, so ist es klar, daß das Problem der Rückwirkung erhebliche Schwierigkeiten macht, die nur bis zu einem gewissen Grade aufgelöst werden können. Es bieten sich zwei Regelungen an, über die wir vorhin schon gesprochen haben. Wir wollen nicht, daß jemandem eine Staatsangehörigkeit aufgezwungen wird. Uns erscheint dies nicht sinnvoll. Wir möchten nicht, daß jemand Deutscher wird, ohne daß er es weiß und ohne daß er es will, oder daß er erst zu spät merkt, daß er die deutsche Staatsangehörigkeit nicht mehr fristgemäß ausschlagen kann. Wir sind der Meinung, jedem muß eine eigene Entscheidung eingeräumt werden, ob er rückwirkend Deutscher werden will oder nicht. Ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, daß der Weg dafür denkbar einfach ist. Damit ist den berechtigten Interessen aller derjenigen Personen Genüge getan, die als Kinder oder auch erwachsene Kinder deutscher Mütter nun noch nachträglich Deutsche werden wollen.
Dann bleibt noch die Frage offen, die auch nicht einfach zu lösen ist, ob man neben den nicht ehelichen Kinder deutscher Mütter, die bisher schon immer Deutsche waren, auch die anerkannten nichtehelichen Kinder deutscher Väter zu Deutschen machen soll. In anderen Rechtskreisen, z. B. in Frankreich, ist das so. Das wäre sicherlich auch die weitestgehende Auslegung des Gleichheitsgrundsatzes. Auf der anderen Seite kann man nicht leugnen, daß im Regelfall die Beziehungen der nichtehelichen Kinder deutscher Mütter zu Deutschland stärker sein werden als die Beziehungen der nichtehelichen Kinder deutscher Väter, die meist bei ihrer ausländischen Mutter leben. Hier sollte man sich dem Kompromiß anschließen, den der Ausschuß schließlich gefunden hat, der als Minimallösung wenigstens all denjenigen nichtehelichen anerkannten Kindern deutscher Väter einen Einbürgerungsanspruch gibt, die seit fünf Jahren im Inland leben und damit auf jeden Fall die erforderlichen Beziehungen zu Deutschland haben.
Ich bitte demgemäß um Annahme des Gesetzes, das für mehrere hunderttausend Personen eine grundsätzliche Verbesserung ihres persönlichen Status bringt.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Will-Feld.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes weist bei der Problemstellung darauf hin, daß die Kinder in der überwiegenden Zahl der Fälle die Staatsangehörigkeit des ausländischen Vaters erwerben. Dies ist in jedem Fall ein rechtlicher Nachteil; dem trägt der vorliegende Gesetzentwurf Rechnung.
Die CDU/CSU-Fraktion vertritt darüber hinaus aber die Auffassung, daß bei den sogenannten Altfällen der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes — unabhängig von einer Erklärung — erfolgen sollte, nämlich konstitutiv. Das Erklärungsrecht ist auf drei Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes befristet. Die besonderen Gründe, die auch nach den drei Jahren zur Erklärung berechtigen, führen oft zu langwierigen bürokratischen Maßnahmen. Auch aus diesem Grunde kann eine Reihe der Betroffenen von Altfällen unter Umständen aus Unwissenheit nicht von der gesetzlichen Vergünstigung Gebrauch machen. Die CDU-Fraktion ist daher der Meinung, daß eine Gleichbehandlung mit denjenigen, die von diesem Gesetzentwurf betroffen werden, erfolgen soll. Dies ist um so erforderlicher, weil sehr viele, die den Wunsch haben, ihren Kindern die deutsche Staatsangehörigkeit zu geben, un-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974 9057
Frau Will-Feld
ter Umständen von der Verabschiedung dieses Gesetzes keine Kenntnis erhalten.
Außerdem sei mir der Hinweis erlaubt, daß die Bundesregierung — beispielsweise beim Namensrecht — auch „Altfälle" vom Gesetz erfassen läßt.
Die gleichfalls rückwirkende Ausschlagung der deutschen Staatsangehörigkeit, die dieser Gesetzentwurf vorsieht, schützt jene Betroffenen, die sich auf die bisherige Gesetzeslage eingerichtet haben und ganz gleich, aus welchen Gründen - daran festhalten wollen, so daß die Begründung mit „der negativen Wohltat" wohl nicht trifft.
Die CDU-Fraktion ist daher der Meinung, daß die Vorteile beim Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit für die vom Gesetz betroffenen Kinder für die „Altfälle" in aller Regel größer sind, als wenn die Erklärung vorgeschrieben würde.
Trotz dieser unserer Einwendungen wird die CDU/ CSU-Fraktion dem Gesetz in dritter Lesung zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Entwurf wird in einem weiteren wichtigen Teilbereich die Gleichberechtigung von Mann und Frau realisiert. Es wird gleichzeitig ein — allerdings relativ spät erkannter — verfassungswidriger Zustand beseitigt, der in einer Vielzahl von Fällen zu Lasten der betroffenen Kinder und deren Mütter seine Auswirkungen gehabt hat. Es werden künftig eheliche Kinder durch Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, wenn ein Elternteil Deutscher ist.
Zur Frage nun, wie die Altfälle gelöst werden, darf ich auf die Ausführungen in der zweiten Lesung verweisen. Ich will nur noch einmal mit aller Deutlichkeit herausstellen, daß es sicherlich mit den Erfahrungen der Praxis nicht in Einklang zu bringen ist, daß derjenige Personenkreis, der nicht in der Lage sein soll, binnen drei Jahren — und im Hinderungsgrunde auch später — einen entsprechenden Antrag zu stellen, nach dem Lösungsvorschlag der Opposition die Möglichkeit haben soll, binnen eines Jahres eine Ausschlagung bei der zuständigen Stelle anzubringen. Das ist ein ganz deutlicher Widerspruch. Deswegen haben wir uns mehrheitlich dafür entschieden, an der Erklärungslösung des Regierungsentwurfs festzuhalten.
Ohne verfassungsrechtliche Notwendigkeit, aber doch aus vielerlei anderen Überlegungen heraus erschien es angebracht, die Situation nichtehelicher Kinder deutscher Väter in diesen Entwurf mit einzubeziehen. Es erschien sachgerecht, hierbei nicht an die Geburt anzuknüpfen, da in vielen Fällen das Kind regelmäßig lediglich zur Mutter persönliche Beziehungen hat. Es ist sicherlich eine sachgerechte Lösung, wenn man diesen Kindern nicht nur die Möglichkeit der Einbürgerung, sondern unter zwei Bedingungen einen Anspruch auf Einbürgerung gibt. Die eine Bedingung ist, daß die Feststellung der
Vaterschaft nach deutschem Recht erfolgte; die zweite Bedingung ist, daß die soziale Beziehung zum Inland durch einen fünfjährigen Aufenthalt in der Bundesrepublik sichergestellt ist. Wir mußten ganz einfach an die blutsmäßige Abstammung anknüpfen, von der unser Staatsangehörigkeitsrecht im Regelfall ausgeht. Die Adoption ist hier die große Ausnahme. Diese Frage konnte zurückgestellt werden, da seitens der Bundesregierung ein Entwurf zur großen Adoptionsreform vorliegt, der zum Dekretsystem übergehen und auch die Staatsangehörigkeitsfrage entsprechend regeln wird.
Eine wichtige Frage war in diesem Zusammenhang — insbesondere darüber hat sich der Rechtsausschuß längere Zeit Gedanken gemacht – , daß es nicht angeht, es mit einem Vaterschaftsanerkenntnis genug sein zu lassen. Hier muß tatsächlich sichergestellt sein, daß die blutsmäßige Abstammung des Kindes von seinem nichtehelichen Vater nach deutschem Recht festgestellt wird. Es geht nicht allein darum, mißbräuchlicher Anwendung dieser Vorschrift einen Riegel vorzuschieben, sondern auch darum, daß nach deutschem Recht verfahren werden muß, weil nach ausländischem Recht die Ermittlung der Vaterschaft jeweils in anderer Weise erfolgt und somit nicht sichergestellt wäre, daß die blutsmäßige Abstammung zwischen Vater und Kind tatsächlich festgestellt wird.
Ich bitte namens meiner Fraktion, dem Entwurf zuzustimmen.
Das Wort hat Herr Bundesminister Maihofer.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Gesetz zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes, das Ihnen heute zur abschließenden Beratung vorliegt, will die sozialliberale Bundesregierung Hürden beseitigen, die im Alltag der verfassungsmäßigen Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und dem verfassungsmäßigen Schutz von Ehe und Familie hinderlich sind.
Dieses neue Gesetz sichert künftig jedem ehelichen Kind eines deutschen Elternteils durch Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit. Das umständliche und zeitraubende Einbürgerungsverfahren wird damit für das eheliche Kind einer deutschen Mutter und eines ausländischen Vaters nicht mehr nötig sein. Für schon geborene Kinder kann die deutsche Staatsangehörigkeit durch Erklärung gebührenfrei erworben werden. Das ist in wenigen Sätzen der Kerngehalt dieses Gesetzes.
Daß die Ehefrau bislang hier weniger Rechte hat als der Ehemann, widerspricht — und das ist der Grund für die Gesetzesänderung — dem heutigen Vorstellungsbild einer Gleichgewichtigkeit der Rollen von Mann und Frau in der Ehe. Die Gleichberechtigung der Ehefrau soll nun auch — hier war sicherlich ein Rückstand an Fortschritt — bei der Staatsangehörigkeit der Kinder gewährleistet sein,
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Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer
um für die Kinder und damit auch für die Mutter rechtliche und soziale Nachteile auszuschließen.
All dies verbürgt der vorliegende Entwurf der Bundesregierung. Er entspricht damit Vorstellungen — das möchte ich in dieser Stunde doch ausdrücklich hervorheben —, wie sie vor allem auch von den weiblichen Mitgliedern auf allen Seiten dieses Hohen Hauses, denen ich dafür besonders danken möchte, vertreten worden sind.
Inzwischen hat auch das Bundesverfassungsgericht am 21. Mai 1974 mit einer Entscheidung klar gesagt: Die Vorschrift des § 4 Abs. 1 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes ist verfassungswidrig, weil sie Kinder deutscher Mütter beim Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit anders behandelt als Kinder deutscher Väter.
Auch der Entwurf der CDU/CSU-Fraktion will diese Ungleichbehandlung beseitigen. Mithin — das ist in der Öffentlichkeit zum großen Teil in Vergessenheit geraten — waren sich die Fraktionen des Bundestags in diesem Punkt bereits einig, noch bevor die Verfassungsrichter ihre Entscheidung fällten. Die beiden Entwürfe unterscheiden sich nur in der Frage, wie die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes geborenen Kinder deutscher Mütter die vom Erwerb der Staatsangehörigkeit durch Geburt ausgeschlossen waren, die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben können.
Nach dem Entwurf der CDU/CSU-Fraktion soll diesen Kindern die deutsche Staatsangehörigkeit ohne ihr Zutun kraft Gesetzes und zudem noch mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt ihrer Geburt zufallen, wenn sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht ausdrücklich ausschlagen. Dann müssen sie davon allerdings auch etwas erfahren und wissen.
Zu einer solchen Zwangsfolge — wenn ich es einmal so zuspitzen darf — konnte sich die Bundesregierung aus rechtspolitischen wie aus völkerrechtlichen Erwägungen nicht entschließen. Der Regierungsentwurf macht den Erwerb der Staatsangehörigkeit vielmehr von einer ausdrücklichen Willenserklärung abhängig. Sie geht damit aus wohlerwogenen Gründen — der Kollege Engelhardt hat das eben noch einmal unterstrichen — vom Grundsatz der Freiwilligkeit aus. Dieser muß auch hier und gerade hier gelten.
Gerade weil vorgesehen ist, daß die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes geborenen Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit nicht automatisch erwerben, sondern nur durch Erklärung gegenüber der Einbürgerungsbehörde, hat mein Haus im Einvernehmen mit den Ländern vorgesehen, die Gesetzesänderung möglichst vielen Bürgern möglichst rasch durch öffentliche Unterrichtung bekanntzumachen. Dazu wird nach der endgültigen Verabschiedung des Gesetzes durch den Bundesrat — wie wir hoffen, am 19. Dezember dieses Jahres — sofort durch entsprechende Merkblätter eine öffentliche Bekanntgabe an die Presse und an alle Interessierten erfolgen.
Abschließend möchte ich noch einen anderen Punkt ansprechen. Gegen die vom Innenausschuß dieses Hauses vorgeschlagene Regelung, nichtehelichen Kindern deutscher Väter und ausländischer Mütter einen Einbürgerungsanspruch zuzuerkennen, bestehen von seiten der Bundesregierung keine Bedenken. Der Vorschlag steht mit der Absicht dieser Bundesregierung in Einklang, allen Kindern mit verwandtschaftlichen Beziehungen zu einem deutschen Elternteil den Weg zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit zu eröffnen.
Ich bitte Sie darum, erstens den Gesetzentwurf der Bundesregierung in der vom Innenausschuß beschlossenen Fassung anzunehmen und zweitens den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU für erledigt zu erklären.
Den Fraktionen der Regierungs- wie der Oppositionsparteien möchte ich zum Abschluß ausdrücklich für die zügige und einvernehmliche Behandlung des von der Regierung vorgelegten Änderungsgesetzes zum Staatsangehörigkeitsgesetz danken. Seine Verabschiedung bringt einen großen Fortschritt in Richtung auf ein zeitgemäßeres Staatsangehörigkeitsrecht.
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht weiter gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Schlußabstimmung in der dritten Lesung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir haben noch über den Ausschußantrag abzustimmen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 7/1880 für erledigt zu erklären. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir haben dann noch über den Antrag des Ausschusses abzustimmen, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr Punkt 4 der Tagesordnung auf
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung
— Drucksache 7/1281 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 7/2901 —
Berichterstatter: Abgeordneter Krampe
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 7/2843 —Berichterstatter: Abgeordneter Lutz (Erste Beratung 69. Sitzung)
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Lutz.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf mit einer Druckfehlerberichtigung beginnen. In der Drucksache 7/2843, Seite 46, heißt es unter den Beschlüssen des Ausschusses bei Buchstabe c) : „ § 40 ..." Es muß heißen: „§ 40 b Abs. 1 ...". Dies für das Protokoll.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der Gesetzentwurf zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, der heute zur zweiten und dritten Beratung ansteht, kann als ein besonders gelungenes Exemplar aus der Bonner „Gesetzesschmiede" angesehen werden. Er gereicht — so darf ich als Berichterstatter in aller Unbescheidenheit erklären — der Bundesregierung und diesem Hohen Hause zur Ehre. Den hohen sozialpolitischen Gesetzeszweck vor Augen haben sich alle Fraktionen bei den Beratungen um ein Höchstmaß an Übereinstimmung bemüht, so dramatisch diese Beratungen auch manchmal gewesen sein mögen. Die mitberatenden Ausschüsse und der federführende Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung haben außerdem bei allem Feinschliff am Detail nicht übersehen, daß dieses Gesetz noch vor dem 31. Dezember 1974 in Kraft gesetzt werden muß, damit es für alle Arbeitsverhältnisse Gültigkeit hat, die, aus welchen Gründen auch immer, zum Jahresende gelöst werden.
Der Bundestag baut darauf, daß sich angesichts der Einigungsbemühungen aller Fraktionen auch die Ländervertretung dazu entschließt, das Gesetz zügig zu beraten. Einem rechtzeitigen Inkrafttreten, so meinten alle Fraktionen während der Beratungen, könnte eigentlich kein Hindernis mehr im Wege stehen.
Der Entwurf hat sozialpolitische, steuerpolitische, wirtschaftspolitische und dienstrechtliche Facetten. Entsprechend viele Ausschüsse hat er beschäftigt: den Wirtschafts-, den Finanz-, den Innen- und den Sozialausschuß. Der federführende Ausschuß hat allen Grund zum Dank für die ausgezeichnete Zuarbeit seiner Kolleginnen und Kollegen in den mitberatenden Ausschüssen.
Im Zuge der Beratungen ergab es sich, daß es sinnvoll erscheint, den dienstrechtlichen Teil abzukoppeln und die Frage der Sicherung der Altersversorgung für Beamte, die den öffentlichen Dienst quittieren, an anderer Stelle, nämlich im Rahmen der Vereinheitlichung der Besoldungsregelung, zu klären. Für Angestellte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes ändert sich nichts. Hier greifen die bereits bestehenden tarifvertraglichen Bestimmungen.
Trotz dieser Abkoppelung, wie wir es nennen, ist das vorliegende Gesetz umfänglicher geworden. In den Beratungen wurde die Insolvenzsicherung, der sogenannte Pleitenschutz, in Paragraphenform gegossen, und es wurden mehrere Lösungen erarbeitet, wie die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung auf den Prüfstand der Unternehmen gestellt werden können.
Mit diesem Gesetz, meine Damen und Herren, betoniert der Gesetzgeber eine weitere Säule unseres sozialen Sicherungssystems. Deshalb dürfte es
vertretbar erscheinen, wenn der Berichterstatter ausführlicher als üblich auf die wichtigsten Einzelheiten des Ihnen vorliegenden Entwurfs eingeht. Zumindest bitte ich Sie um Verständnis dafür.
Betriebsrenten, Betriebspensionen und gelegentliche Notfallzuwendungen waren bislang an die Voraussetzung gebunden, daß der Arbeitnehmer bei Eintritt des Leistungsfalles dem Unternehmen auch tatsächlich angehörte. Durch Richterrecht ist diese strenge Voraussetzung inzwischen gemildert worden. Die Unverfallbarkeit — so befand das Bundesarbeitsgericht — trete auch dann ein, wenn dem Arbeitnehmer nach 20 Jahren Betriebszugehörigkeit gekündigt worden sei. Richterrecht tastete also die goldene Fessel der betrieblichen Altersversorgung im Grunde nicht an.
Der Entwurf der Bundesregierung, weiterentwikkelt durch die Beschlüsse des Ausschusses, setzt dagegen folgende neue Mindestdaten für eine Unverfallbarkeit. Erstens: Grundsätzlich muß der Arbeitnehmer mindestens 35 Jahre alt sein. Zweitens: Beim Ausscheiden aus dem Betrieb muß er wenigstens eine der folgenden beiden Voraussetzungen erfüllen. Er muß a) seit zehn Jahren eine Versorgungszusage besitzen oder b) dem Unternehmen seit zwölf Jahren angehören und seit drei Jahren im Besitz einer Versorgungszusage sein. Unerheblich ist, ob der Arbeitnehmer gekündigt hat oder ob ihm gekündigt wurde.
Über diese Fristen hat man sich im Ausschuß gestritten. Die Opposition wollte das alles sehr viel günstiger anlegen. Die Koalition mußte aber die enge Verklammerung mit dem Steuerrecht sehen. Sie mußte einkalkulieren, daß eine Änderung zu Steuerausfällen geführt hätte, die in die Hunderte von Millionen gegangen wären.
Im Ausschuß war man sich allerdings wieder darüber einig, wie der Teilanspruch zu errechnen sei, den ein Arbeitnehmer bei Betriebswechsel nach Erfüllung der genannten Fristen erworben habe. Die Berechnung des Teilanspruchs erfolgt pro rata temporis. Das ist schon fast höhere Mathematik und war dem Berichterstatter und auch weiteren Kollegen im Ausschuß eigentlich nur mit Hilfe graphischer Darstellungen zu erklären. Hier in diesem Hohen Hause gibt es keinen Bildwerfer; ich muß es Ihnen also verbal verdeutlichen. Die ratierliche Berechnung geht von der zu erreichenden Endpension bei Anwesenheit im Betrieb zum vorberechneten Rentenalter aus. Der Arbeitnehmer, der früher ausscheidet, erwirbt einen an den tatsächlichen Betriebsjahren gemessenen und linear berechneten Teilanspruch. Da Ihnen dies jetzt offenbar nicht mehr kompliziert erscheint, kann ich wohl davon ausgehen, daß Sie — wie der Ausschuß — die ratierliche Berechnung für die korrekteste Methode halten.
Wir haben uns im Ausschuß mit vier Formen der betrieblichen Altersversorgung zu befassen gehabt: der Direktversicherung — populär: Lebensversicherung —, der Direktzusage — besonders gebräuchlich bei leitenden Angestellten —, der Pensionskasse, die der Versicherungsaufsicht untersteht, und der Unterstützungskasse, die Leistungen ohne Rechtsan-
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Lutz
spruch gewährt. Bei zwei der vorgenannten Unterstützungsarten verzichtet der Gesetzgeber auf die ratierliche Berechnung. Bei Ausscheiden des Arbeitnehmers muß der Arbeitgeber nur für das angesammelte Deckungskapital geradestehen. Dies ist erstens die Direktversicherung, so sie von Belastungen geräumt und das Bezugsrecht unwiderruflich ist, von Beginn der Versicherung an die Überschußanteile dem Arbeitnehmer gutgeschrieben wurden und der Ausscheidende das Recht zur Weiterversicherung hat. Das sind die Voraussetzungen. Zweitens ist dies die Pensionskasse zu ähnlichen Konditionen. Im Ausschuß hat es eine kurze Debatte darüber gegeben, ob diese Bedingungen auch bei unmittelbaren Versorgungszusagen und Unterstützungskassen mit kongruenter, d. h. deckungssgleicher, Rückdeckungsversicherung gelten sollten. Die Opposition war dafür. Die Mehrheit von SPD und FDP im Ausschuß hielt es nicht für ratsam, weitere Ausnahmen von der ratierlichen Berechnung zuzulassen. Danach war wiederum der gesamte Ausschuß einstimmig der Auffassung, daß die Hervorhebung der Direktversicherung dazu beitragen könnte, den Aufbau betrieblicher Altersversorgungen in Mittel- und Kleinunternehmen zu beschleunigen.
Teilansprüche, die der Arbeitnehmer erworben habe, so meinte die Koalition, müßten ihm beim Ausscheiden aus dem Betrieb schriftlich bestätigt werden. Dieser Auffassung haben sich CDU und CSU angeschlossen; ein weiterer Punkt konnte somit interfraktionell abgehakt werden.
Teilansprüche werden wirksam, wenn der Arbeitnehmer in Rente geht. Er kann sie dann dem früheren Arbeitgeber präsentieren. Er kann sie auch in Anspruch nehmen, wenn er sich zum vorgezogenen Altersruhegeld entschließt; das wäre bei Frauen beim Alter 60, bei Schwerbeschädigten beim Alter 62 und bei allen übrigen beim Alter 63 der Fall.
Erlauben Sie mir bitte eine Abschweifung, die auch die Phantasie des Ausschusses beflügelt hat: Wenn dieses Gesetz lange genug in Kraft sein wird, werden die Arbeitnehmer in unserem Lande häufig zwei oder drei Teilansprüche erworben haben, und dies wird zu einer beträchtlichen Ergänzung ihrer gesetzlichen Rentenansprüche führen.
In einer Reihe von Bestimmungen — Sie finden sie in § 7 Abs. 2 des Entwurfs kann von einzelnen Normen dieses Gesetzes per Tarifvertrag abgewichen werden. Der Ausschuß hat diese Lockerungen mit Sympathie gesehen. Er hält es für möglich, daß die Tarifparteien die damit gebotene Chance nutzen. Beispiele im Baugewerbe bestärkten die Abgeordneten in dieser Hoffnung.
Ein weiteres Problem, das den Ausschuß stark beschäftigte und ihn zu einer Modifizierung der Regierungsvorlage bewogen hat, war die Frage der Anrechnungsbegrenzung. Es hat sich gezeigt, daß eine erschöpfende Aufzählung und Beschreibung aller gerechtfertigten Anrechnungsverbote im Gesetz nicht zweckmäßig ist. Wir haben uns darauf beschränkt, ausdrücklich zu erklären, daß die Schmälerung der Betriebsrente durch dynamisierte Versorgungsleistungen, insbesondere durch die gesetzliche
Rentenversicherung, und die Kürzung der Betriebsrente durch Versorgungsbezüge, die mehr als zur Hälfte mit eigenen Beiträgen finanziert wurden, nicht möglich sind.
Ein anderes sehr komplexes Problem war für den Ausschuß die Frage der Insolvenzsicherung der Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Es gab verschiedene Eckwerte; den einen setzte die SPD, den anderen der Bundesrat, den dritten die FDP. Im Ausschuß näherten sich alle Fraktionen diesem Problem anhand eines Denkpapiers der Bundesregierung, und das war der Sache zweifellos förderlich. Gefunden wurde im Ausschuß eine Lösung, die für alle Seiten tragbar war. Träger der Insolvenzsicherung wird ein privatwirtschaftlicher Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit sein, der bereits gegründet ist und am 1. Januar 1975 seine Arbeit aufnimmt. Sollte dieser Verein nicht funktionieren oder sich wieder auflösen, würde der Insolvenzschutz durch einen öffentlich-rechtlichen Träger, nämlich durch die Lastenausgleichsbank, gewährleistet. Mitglieder des Vereins müssen alle Arbeitgeber sein, die Versorgungszusagen gegeben haben, die vor Insolvenzen nicht geschützt erscheinen. Dies sind beliehene Lebensversicherungen, Direktzusagen und Unterstützungskassen. Befreit vom Insolvenzschutzzwang sind zwei Versorgungseinrichtungen: die unbelastete Lebensversicherung und die Pensionskasse. Beide Institute der betrieblichen Altersversorgung
so schien es dem Ausschuß — sind durch strenge Bestimmungen der Versicherungsaufsicht vor Pleiten geschützt. Gerade auch jüngste Vorkommnisse haben den Ausschuß in dieser seiner Überzeugung nicht wankend machen können.
Aber weiter im Insolvenztext: Die Gemeinschaft aller Arbeitgeber haftet — so ist die Konstruktion — auf dem Wege einer Umlage für jene schwarzen Schafe in den eigenen Reihen, die pleite gegangen sind. Man schätzt, daß 1,5 Promille des Deckungskapitals aller Versorgungszusagen für die Erfüllung der insolvenzbedingten Zahlungspflichten des Vereins ausreichen.
Der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit wird die Beiträge eintreiben. Die notwendigen Zahlungen werden die bereits vorhandenen Lebensversicherer auftragsgemäß leisten, und sie werden die Versorgungszusagen jener zu erfüllen haben, die in Konkurs gegangen sind. Darum geht es.
Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — dies soll nicht vergessen werden — hat sich schließlich auch mit der Zusammensetzung der Gremien des Insolvenzsicherungsträgers befaßt. Er hat einstimmig seine Erwartung ausgesprochen, daß die Arbeitnehmer über ihre Gewerkschaften angemessen daran beteiligt werden.
In unserem Ausschuß und im mitberatenden Wirtschaftsauschuß ist die Frage aufgetaucht, was denn geschehe, wenn ein Unternehmen — die sichere Pleite vor Augen — schnell noch überzogene Versorgungsversprechen mache oder speziell zu diesem Zweck überhaupt Versorgungsversprechen gründe, also irreale Zusagen gebe, für die der Insolvenzsicherungsträger und damit alle Unternehmen ein-
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stehen müßten. Der Ausschuß hat diesen Bedenken durch den § 6 a Abs. 5 Rechnung getragen. Er besagt, daß Versorgungszusagen, die allein zum Zwecke der Inanspruchnahme des Insolvenzsicherungsträgers gemacht werden, ungültig sind, und er nennt die Kriterien, die vor solchen Machenschaften schützen. Insonderheit wird der Insolvenzsicherungsträger das letzte Jahr vor der Pleite besonders aufmerksam betrachten müssen.
Als ein sehr schwieriges, ja als das schwierigste Problem bei diesem Gesetz erwies sich die Frage einer wie auch immer gearteten turnusmäßigen Anhebung der Betriebsrenten. Im Anhörungsverfahren hatte der Sprecher des Bundesarbeitsgerichts, der Vorsitzende Richter Professor Stumpf, deutlich gemacht, daß die Richter diesem Probelm auch dann nicht ausweichen könnten, wenn der Gesetzgeber es aus seinem Bewußtsein verdrängen sollte. Diese Initialzündigung im Anhörungsverfahren hat bewirkt, daß sich die Debatte im Ausschuß erst einmal um die Frage drehte, ob man eine Dynamisierung der betrieblichen Altersversorgung gesetzlich vorschreiben könne oder nicht.
Es hat sich sehr schnell herausgestellt, daß eine solche Entscheidung die Sozialleistung betrieblicher Altersversorgung für die Unternehmen zum unkalkulierbaren finanziellen Risiko machen würde und letztlich zu einem Abbau dieser Versorgungseinrichtung führen müßte.
Die Debatte im Ausschuß ging über „Dynamisierungspflicht", „Anpassungspflicht", „Verhandlungspflicht", „Prüfungspflicht" und endete schließlich bei „Anpassung". Was ich genannt habe, waren alles Überschriften. Sie markieren die Stationen der Ausschußberatungen. Alle Fraktionen dieses Hauses wußten um die eben angedeuteten Schwierigkeiten. Während zwei Fraktionen der Auffassung waren, es wäre gut, die Frage in Form einer Entschließung, sozusagen als Appell des Bundestages an die Beteiligten, vorerst zu lösen und dann nach sorgfältigen gesetzlichen Regelungen zu suchen, meinte die andere Fraktion — ich habe sie gerade in der Optik —ein Hereinnehmen ins Gesetz sei jetzt und im Augenblick unerläßlich.
Alle drei Fraktionen — das verdient hervorgehoben zu werden — bemühten sich um eine einvernehmliche Lösung; sie ist einmal gefunden, einmal nicht gefunden worden. Es gibt mehrere Stationen. Dem Berichterstatter ist es versagt, sie im einzelnen hier zu schildern. Es hat sich bei den Beratungen herausgestellt, daß alle wie auch immer gearteten Lösungen möglicherweise unerwünschte Haltungen in der betroffenen Wirtschaft heraufbeschwören könnten. Im Lande hat sich bei den Unternehmen der Argwohn geregt, der Gesetzgeber habe doch, in welcher Form auch immer, eine verkappte Form der Dynamisierung verfügt, und deshalb sei es jetzt schon ratsam, die bereits vorhandenen Altersversorgungseinrichtungen abzubauen. Alle drei Fraktionen — das darf ich betonen — haben diese Gefahr gesehen, und um so eindringlicher war das Ringen um Lösungen. Sie werden heute über leider einander widersprechende Lösungen zu entscheiden haben.
Ich bin sicher, daß Sie eine vernünftige Entscheidung treffen werden, die das Institut „betriebliche Altersversorgung" nicht gefährdet; und darauf kommt es an.
Die neue Fassung des § 6 k ist Ihnen also auf die Seele gebunden; Sie haben sie zu entscheiden.
Die Mitglieder des Ausschusses waren bei ihrer Entscheidung außerdem davon überzeugt, daß allen Arbeitgebern natürlich die gesellschaftspolitischen Grundsätze der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände gewärtig sind, die in der einschlägigen Passage lauten — ich darf zitieren :
Den Unternehmern wird empfohlen, laufende betriebliche Versorgungsleistungen in gewissen Zeitabständen hinsichtlich der Angemessenheit ihrer Höhe zu überprüfen und nach sorgfältiger Abwägung des sozialpolitisch Gebotenen und des wirtschaftlich Möglichen unter Orientierung am Anstieg der Lebenshaltungskosten anzupassen.
Diese Bekundung des BDA hat die Entscheidung im Ausschuß sehr erleichtert. Sie wird sicher auch Ihnen die Entscheidung erleichtern.
Bei der Beurteilung dieses Gesetzentwurfs bedürfte der steuerrechtliche Teil eigentlich einer besonders eingehenden Betrachtung. Er hat unsere Kolleginnen und Kollegen vom Finanzausschuß besonders viel Arbeit gekostet. Um so dankbarer waren wir vom federführenden Ausschuß für die präzisen und gleichwohl zügigen Beratungen.
Nimmt man das Beratungsergebnis alles in allem, dann stellt man fest, daß im steuerrechtlichen Teil ein vernünftiges Verhältnis der steuerlich begünstigten Zuwendungen zu den tatsächlichen Leistungen der betrieblichen Altersversorgung angestrebt wird. Denn — auch das sollten wir alle nicht vergessen — 60 und mehr Prozent der betrieblichen Altersversorgung sind bislang nicht etwa durch die Unternehmen, sondern über den Weg der Steuerbegünstigung von der Gemeinschaft aller Steuerzahler aufgebracht worden.
Besonders die Unterstützungskassen hatten sich mehr und mehr zu Hausbanken diverser Unternehmen entwickelt, deren Leistungen in einem Mißverhältnis zum angesammelten Vermögen standen. Der Ausschuß hat dies mit Aufmerksamkeit gehört. Solche Erkenntnisse allerdings waren keineswegs neu. Mein Kollege Berichterstatter im Deutschen Bundestag, der CDU-Abgeordnete Pelster, formulierte 1952 bei der Schlußberatung des Gesetzes über die Behandlung von Zuwendungen an Pensionskassen und Unterstützungskassen bei den Steuern vom Einkommen und Ertrag — so hieß das Gesetz —, daß es darauf ankomme, den haushaltsmäßigen und den sozialpolitischen Fragen, die miteinander im Widerstreit lägen, gleichermaßen gerecht zu werden. Pelster sprach damals davon, daß die soziale Funktion der Unterstützungskasssen ge-
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Lutz
ringer sei als die der Pensionskassen, und meinte, deshalb müßten beide steuerlich recht differenziert betrachtet werden. Pelster argwöhnte damals, 1952: Da die bei den Unterstützungskassen angesammelten Mittel dem Unternehmen zum großen Teil auch als Betriebsmittel dienten, würden diese Kassen auch einmal mehr und minder — mehr und minder! — zu diesem Zweck gegründet. Die Fraktionen des damaligen Bundestages waren quer durch die Parteien damals der Hoffnung, mit dem Zuwendungsgesetz steuerlichen Mißbrauch ausschließen zu können. Allerdings sprachen auch bedeutende Kenner der Szene, ein Dr. Heubeck beispielsweise, davon, daß mit dem Gesetz von 1952 den Unterstützungskassen der Garaus bereitet werde.
Es ist anders gekommen. Die Unterstützungskassen blühten. Sie wurden zum interessantesten Zweig der betrieblichen Altersversorgung. Der Wille der Kollegen von 1952 — so meine ich, und so meinte der Ausschuß — soll jetzt, 22 Jahre später, verwirklicht werden. Wieder, so hört man, stünden wegen der beabsichtigten steuerlichen Maßnahmen des Gesetzgebers die Unterstützungskassen vor dem Ruin. Ein Dr. Heubeck beispielsweise, so lese ich, rechnet dies allen Parlamentariern und allen Betrieben vor.
Nun, die Mitglieder des Ausschusses wollten aus den UKs, den Unterstützungskassen, keine Stukas, keine Sturzkampfflugzeuge, machen. Deshalb haben sie sie gesetzlich gewissermaßen zu einem sanften Gleitflug genötigt. Der Wildwuchs wird zurückgeschnitten — sanft, wie es dem gesetzgeberischen Heger zukommt. Steuerlich begünstigte Zuwendungen sind nur noch in dem Umfang möglich, der in einem vernünftigen Verhältnis zu den zu erwartenden Leistungen steht.
Im übrigen — auch das lassen Sie mich sagen —: Schon 1952 überwog die Sympathie der damaligen Parlamentskollegen für die betriebliche Altersversorgung mit Rechtsanspruch. Auch insofern befindet sich der Ausschuß dieses Jahres bei seinen Beratungen im historischen Gleichklang.
Mißbräuche und Manipulationen allerdings sind bei Gesetzen von dieser Tragweite nicht auszuschließen. Deshalb hat sich der Ausschuß, einer Anregung der Koalitionsfraktionen folgend, auf den in der Drucksache 7/2843, Seite 19, enthaltenen Entschließungsentwurf verständigt, interfraktionell und damit wieder einmal einstimmig. Er verpflichtet die Bundesregierung, bis 1978 über die Entwicklung der betrieblichen Alterversorgung zu berichten und insbesondere auch darüber etwas auszusagen, wie sich das Institut der Insolvenzsicherung bewährt hat. Der Ausschuß meinte, es sei der richtige Weg, den Gesetzgeber immer dann einzuschalten, wenn sich Mißbräuche oder Fehlentwicklungen zeigen.
Ich fasse zusammen und bedanke mich als Berichterstatter schon im voraus für Ihre Gelduld.
Erstens. Alle Fraktionen haben sich bemüht, aus einem an sich schon recht respektablen Gesetzentwurf einen noch besseren zu machen.
Zweitens. Dabei waren sie im Interesse der Sache um ein Höchstmaß an interfraktioneller Übereinstimmung bemüht.
Drittens haben sie keinen Zweifel daran gelassen, daß dieses Gesetz so zügig verabschiedet werden muß, daß es noch vor dem 31. 12. dieses Jahres in Kraft gesetzt werden kann.
Viertens. Alle Fraktionen sind der Überzeugung, daß der vorliegende Gesetzentwurf geeignet erscheint, zu einem weiteren Ausbau der betrieblichen Altersversorgung, insbesondere bei Klein-und Mittelunternehmen, beizutragen.
Fünftens. Alle Fraktionen glaubten, daß im steuerlichen Teil den betrieblichen Altersversorgungseinrichtungen im vertretbaren Ausmaß Be- und Entlastungen zuteil geworden sind.
Ich darf Sie deshalb als Berichterstatter im Namen aller drei Fraktionen bitten, dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung und der Entschließung Ihre Zustimmung zu geben. Ich darf Sie bitten, die noch strittigen Punkte im Geiste der Beratungen, die uns über Monate hindurch bewegt haben, zu lösen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Eine allgemeine Aussprache wird nicht gewünscht.
Ich rufe nunmehr die §§ 1, 2, 3, 4, 5, 6, 6 a, 6 b und 6 c auf.
Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe den § 6 d auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/2896 ein interfraktioneller Antrag vor. Hierzu wird das Wort nicht gewünscht. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist einstimmig angenommen.
Wer § 6 d in der soeben geänderten Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Somit einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr §§ 6 e, f, g, h, i auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe § 6 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/2906 ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und FDP vor. Ich darf dazu gleich sagen, daß der Änderungsantrag der CDU/CSU Drucksache 7/2909 im ersten Absatz mit diesem identisch ist.
— Zu dem Antrag Drucksache 7/2909 Herr Franke !
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es stimmt, wie hier gerade gesagt worden ist, daß der
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Franke
vorgelegte Antrag der Koalition mit dem der Opposition im ersten Absatz identisch ist. Der Antrag unterscheidet sich von unserer Initiative auf Drucksache 7/2909 lediglich dadurch, daß wir einen zweiten Absatz hinzugefügt haben. Der Berichterstatter hat — es ist mir ein Bedürfnis, ihm das zu sagen, weil ich mich oft mit ihm streite — in seinem sehr sachlichen Bericht soeben darauf hingewiesen, daß die Frage der Anpassung der Betriebsrenten im Ausschuß eine lange und bewegte Geschichte hinter sich gebracht hat. Ich darf hinzufügen, daß die Frage, wenn ich die Debatte in meiner Fraktion einmal Revue passieren lasse, auch in meiner Fraktion eine heftige Debatte ausgelöst hat und, wie ich weiß, auch in den beiden anderen Fraktionen.
Wir haben uns dann, meine sehr verehrten Damen und Herren, als Fraktion nach langer Debatte mit großer Mehrheit für den Antrag auf Drucksache 7/2909 entschieden, weil wir glauben, daß wir, wenn wir schon von der ursprünglich geplanten oder einmal angesprochenen Dynamisierung — die halten wir alle nicht für tunlich — oder von einer Verhandlungspflicht abgewichen sind, doch die Versorgungsgeber durch den Hinweis auf § 315 im Bürgerlichen Gesetzbuch dazu verpflichten sollten, doch mehr über die Anpassungs- und Prüfungsverpflichtung hinaus zu tun. Das ist mit Abs. 2 in unserem Antrag gemeint.
Was war die Ausgangsposition einer solchen Debatte? Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen in Ergänzung dessen, was Herr Lutz als Berichterstatter eben richtig vorgetragen hat, mit Genehmigung der Frau Präsidentin einmal ein Zitat aus der Sachverständigenanhörung und hier des Richters beim Bundesarbeitsgericht, Herr Professor Stumpf, zur Kenntnis bringen. Herr Stumpf sagte nach sehr eindrucksvollen Ausführungen unter anderem:
Wenn das gemeinsame Überlegen über eine Anpassung nicht zu einer billigen Regelung führt, wird eine Prozeßlawine die Folge sein. Die Gerichte werden dann gar nicht anders können, als nach einem Multiplikator oder nach einem bewährten Dynamisierungssystem, und sei es dem, das in der Sozialversicherung angewandt wird,
— meine Damen und Herren, und sei es dem, das in der Sozialversicherung angewandt wird! —
der Prozeßlawine Herr zu werden. Deswegen meine Bitte — ich rede nicht der automatischen Dynamisierung das Wort —: nicht dieses so verzweifelte Zurückgeben der Schwierigkeiten an eine Instanz, die zur Lösung dieses Problems wirklich nicht geeignet ist. Die Gerichte sind überfordert, wenn sie das tun sollen, was Sie als Leitsatz aufgestellt haben.
— Mit „Sie" war das Parlament gemeint. —
Die Gerichte haben die Arbeitgeber aufgefordert, bei Erreichen einer bestimmten Verteuerungsmarge mit den Arbeitnehmern zu verhandeln und eine billige Lösung anzustreben. Wenn das nur Proklamation bleibt, kommt die Welle wieder zu uns zurück.
Wir glauben, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß wir mit dem Antrag zu § 6 k auf Drucksache 7/2909 dieser Empfehlung, dieser dringenden Bitte des federführenden Richters beim Bundesarbeitsgericht nachgekommen sind und dem Rechnung getragen haben.
Wir wissen andererseits wohl, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß wir hier einen sehr schmalen Grat beschreiten, wenn es darum geht, wie wir einen solchen Paragraphen ausformulieren. Wir haben zum einen den schmalen Grat beschritten, daß die Gefahr besteht, daß die bestehenden Versorgungszusagen auf Grund einer automatischen Anpassung dann eventuell gekündigt bzw. ausgesetzt werden; wir haben zum zweiten den schmalen Grat beschritten, daß für diejenigen 40 oder 45 % der Arbeitnehmer, die noch nicht in den Genuß einer solchen Versorgungszusage gekommen sind, eine Schwierigkeit, eine Barriere entstehen könnte, die letztlich dazu führt, daß es zu weiteren Versorgungszusagen nicht kommt. Wir glauben aber trotzdem, meine Damen und Herren, daß wir mit dem, was wir von Professor Stumpf gehört haben, was zu einem großen Teil das Anliegen aller Fraktionen ist, und mit dem, was wir als Fraktion in der Drucksache 7/2909 mit dem in Abs. 2 gezeigten Hinweis auf § 315 des Bürgerlichen Gesetzbuches vorgelegt haben, unserer eigenen Forderung und Ihrer Forderung, meine Damen und Herren, gerecht werden, hier zu einer verbesserten Leistung und zu einer Anpassungsnotwendigkeit auf Grund der Prüfungspflicht zu gelangen.
Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt gleich auch den Antrag Drucksache 7/2914 auf. Er wird in der Reihenfolge mitbegründet. Jetzt hat erst Herr Abgeordneter Sund das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich möchte eine Bitte an den Anfang stellen. Frau Präsidentin, Sie haben zugleich den Gruppenantrag der Kollegen Müller, Zink, Russe und Genossen aufgerufen, der hier noch nicht begründet worden ist. Ich möchte gerne im Sinne der Ökonomie der Beratung auch auf diesen Antrag schon mit eingehen.
Herr Kollege Sund, sind Sie damit einverstanden, daß Herr Müller diesen Antrag erst begründet?
Frau Präsidentin, ich glaube, daß ich einigermaßen in der Lage bin, aus dem Wortlaut dieses Antrages, der uns hier vorliegt, und aus den Beratungen, so wie sie im Vorfeld gelaufen sind, erkennen zu können, wie die Begründung für den hier vorliegenden Antrag aussieht.
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Sund
Die Situation ist insofern etwas kompliziert, als nach langen Beratungen zwischen den Fraktionen im Ausschuß und in ergänzenden Beratungen versucht worden ist, zur Regelung, die hier in § 6 k gefunden werden soll, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Die Gründe für ein solches Bemühen liegen auf der Hand. Es sollte darum gehen, daß das Gesetz in seiner außerordentlichen Bedeutung nicht durch einen Dissens an einer relativ wenig bedeutsamen Stelle belastet werden sollte. Wenn wir die Dinge, die hier eben zur Begründung des Antrags vorgetragen worden sind, einmal abwägend dem gegenüberstellen, was wir aus dem Bericht des Herrn Berichterstatters noch im Ohr haben, dann wird klar, wo die eigentliche Bedeutung dieses Gesetzes liegt und daß es sich hier lediglich um die Auseinandersetzung in einer Einzelfrage handelt.
Legen wir doch einmal die Anträge, die hier vorliegen, nebeneinander. Ausgangspunkt der Diskussion war — das hatte ich betont — die zunächst einvernehmliche Lösung, die im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung gefunden wurde und die heute in dieser Form von niemandem hier mehr vertreten wird. Da ist zunächst von Herrn Kollegen Franke eine Fassung des § 6 k begründet worden, die aus zwei Absätzen besteht und wo in dem zweiten Absatz ausdrücklich noch einmal auf § 315 Abs. 2 und 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs Bezug genommen wird. Was heißt dies eigentlich? Wenn wir diesen Antrag dem Antrag der Koalitionsfraktionen gegenüberstellen, dann fehlt lediglich dieser Verweis. Worin liegt der Unterschied? Es ist kein materieller Unterschied vorhanden, meine Damen und Herren.
Hier kann man davon ausgehen, daß es sich lediglich um eine Wiederholung handelt. Nehmen Sie doch den § 315 BGB zur Hand. Hier heißt es in Abs. 2 — ich darf das zitieren —:
Die Bestimmung
— nämlich der Leistung —
erfolgt durch die Erklärung gegenüber dem anderen Teile.
In Abs. 3 heißt es:
Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen; das gleiche gilt, wenn die Bestimmung verzögert wird.
— Ich habe Ihre Zwischenrufe sehr wohl verstanden: „Dann stimmen Sie doch zu!" Es geht doch hier nicht darum, in purer Rechthaberei zu verharren, sondern darum, daß wir nach sorgfältiger Prüfung festgestellt haben, daß hier materiell kein Unterschied ist. Die Formulierung des billigen Ermessens ist in der von der Koalition vorgelegten Entschließung drin. Hier handelt es sich lediglich um eine
wiederholende Aufzählung, auf die wir gut verzichten können.
— Wenn ich dies nicht glauben würde, verehrter Herr Kollege, würde ich das nicht sagen. Was soll das Ganze? Sie haben damit eine Vorstellung verbunden, daß Sie an dieser Sache festhalten wollen; das ist doch völlig klar. Damit wollen Sie doch etwas erreichen. Da steckt doch nichts Materielles für die Gesetzesbestimmung drin, das wissen Sie doch selber auch.
Nun einige Bemerkungen zu dem Gruppenantrag.
Hier geht es darum, daß der Versuch unternommen wird, den Betriebsrat in die Verhandlung einzubeziehen. Dazu sind ja in den Beratungen, vor allem im Ausschuß, eine ganze Reihe von Positionen ausgetauscht worden. Wenn wir diese drei Vorstellungen jetzt einmal nebeneinanderstellen, dann geht es darum, die Worte, die Kollege Franke hier gewählt hat, indem er von dem Versuch und dem Bemühen um Behutsamkeit gesprochen hat, weil es sich hier um eine wirkliche Gratwanderung handelt, noch einmal in unser Bewußtsein zu heben. Es geht darum, daß wir uns bemühen müssen, die Ausweitung der betrieblichen Altersversorgung an keiner Stelle zu hindern. Wir haben alle miteinander Anlaß, Einwände ernst zu nehmen, die erhoben werden, wenn es darum geht, eine solche von uns allen gewünschte Ausweitung nicht zu beeinträchtigen.
Zweite Bemerkung. Es handelt sich hier darüber besteht doch auch Einvernehmen — um eine freiwillige Leistung der Unternehmen bzw. um eine Leistung, die auf freier Vereinbarung beruhend erbracht wird. Das hat Konsequenzen und das wissen wir.
Drittens. Wir wollen kein Closed-shop-System. Wir würden, wenn wir diese Ausweitung in irgendeiner Weise beeinträchtigen würden, eine Zweiteilung der Arbeitnehmerschaft hinsichtlich ihrer Versorgung erreichen.
— Amüsieren Sie sich doch ruhig, das ändert nichts an der Tatsache, daß die Dinge, die ich hier vortrage, richtig sind. Ihnen fällt doch zur Sache offensichtlich gar nichts ein.
Viertens. Es gibt eine gesicherte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die in diesem Zusammenhang ebenfalls wirkt, die doch nicht aus der Welt ist, die weiterhin gilt.
Was schließlich das Bemühen angeht, den Betriebsrat in das Verfahren mit einzubeziehen, so haben wir untereinander darüber Gedanken ausgetauscht und das abgewogen. Wir sind auch eine
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Sund
ganze Strecke des Weges der Auffassung gewesen, daß es richtig und gut wäre, den Betriebsrat hier mit einzubeziehen, obwohl wir alle im Ausschuß
— Herr Kollege Müller, das wissen Sie doch! — zugleich auch gesehen haben, daß sich damit für den Betriebsrat der, zugegeben, die einzige Adresse ist, die sich da praktisch einstellen wird —, wenn er speziell in die Pflicht genommen wird, eine schwere Belastung ergibt.
— Das ist doch alles so diskutiert worden.
Und nun kommt noch etwas, und das ist nicht ganz uninteressant: Sie selber sind in den Gesprächen, die wir geführt haben, den Weg mit uns zusammen gegangen und sind dabei auch an den Punkt gelangt, den Betriebsrat hier in die Verhandlung nicht mit einzubeziehen. Haben Sie das denn vergessen?!
Schließlich: Wir alle wissen, daß bei der Untersuchung, die über die Entwicklung der betrieblichen Altersversorgung in der Bundesrepublik bisher erfolgt ist, festgestellt wurde, daß eine Anpassung in den einzelnen Betrieben in einem viel höheren Maße vorgenommen worden ist, als dies in der bisherigen Diskussion unterstellt wurde. Diese Dinge haben uns dazu gebracht, unseren Formulierungsvorschlag hier vorzulegen und ihn als eine Grundlage dafür anzusehen, daß die Frage der Anpassung hier in einer solchen Weise gelöst wird, daß sie die Ausweitung der betrieblichen Altersversorgung in keiner Weise hindert.
Ich bitte Sie daher namens meiner Fraktion, diesem unserem Antrag zuzustimmen und a) den vorgelegten Antrag der CDU/CSU und b) den Gruppenantrag aus den Reihen der CDU/CSU abzulehnen.
Das Wort zum Änderungsantrag Drucksache 7/2914 hat Herr Abgeordneter Müller .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bis vor einer Stunde konnten wir die berechtigte Hoffnung haben, daß die interfraktionellen Verhandlungen zum Ziele führen würden. Aus dem Grunde ist unser Antrag etwas unter Zeitdruck entstanden, und nicht alle meine Freunde hatten die Möglichkeit, diesen Antrag zu unterschreiben — dies gilt insbesondere für meine Kollegen Mick, Vogt, Wawrzik und andere —, weil er sehr schnell ins Parlamentssekretariat mußte. Ich sage das hier, damit nicht der Eindruck entsteht, als ob er nur von einer kleinen Gruppe getragen würde.
— Sie haben es nötig zu rufen. Sie werden sich gegenüber den Betriebsräten sicherlich anläßlich der Betriebsrätewahlen auseinanderzusetzen haben.
Meine Damen und Herren, § 6 k über die Verhandlungspflicht hat eine Vorgeschichte. Mein Kollege Franke hat schon darauf hingewiesen, daß uns Herr Professor Stumpf, Senatspräsident beim Bundesarbeitsgericht, in der öffentlichen Sachverständigenanhörung dazu einige sehr deutliche Worte ins Stammbuch geschrieben hat. Ich will nicht alles wiederholen, aber angesichts der Ausführungen des Kollegen Sund möchte ich hier noch einmal einen Satz aus dem Protokoll der öffentlichen Anhörung sehr deutlich in Erinnerung rufen. Herr Professor Stumpf hat gesagt:
Die Gerichte haben die Arbeitgeber aufgefordert, mit den Arbeitnehmern zu verhandeln und eine billige Lösung anzustreben. Wenn das nur eine Proklamation bleibt, kommt die Welle wieder zu uns zurück. Wir können uns dann der ungerechten, fast verlogenen Situation des Satzes „Mark gleich Mark" nicht verschließen und müssen zu Massenlösungen greifen, die die Pension genauso währungssicher machen wie die Forderung des Ölhändlers oder sonstiger Produzenten heute.
Das war die Ausgangsbasis für diesen § 6 k, über den wir uns interfraktionell verständigt haben. Wir haben sogar eine bereits beschlossene Formulierung im Ausschuß auf Grund gewisser Bedenken in einer Sondersitzung des Auschusses noch einmal geändert. Wir sind bei den Beratungen im Ausschuß davon ausgegangen, insbesondere die Gruppe, die immer interfraktionell verhandelt hat — ich darf sagen, daß das einvernehmlich erfolgt ist —, daß eine automatische Dynamisierung der Betriebsrenten unzweckmäßig wäre, da der Personenkreis, der durch Betriebsrenten begünstigt ist, nicht gefährdet werden soll. Aber eine Verhandlungspflicht im Sinne der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts erschien uns notwendig.
Hier liegen heute drei Anträge vor. In zwei Anträgen ist die Verhandlungspflicht aus dem ursprünglichen Antrag in eine einseitige Prüfung durch den Arbeitgeber umgewandelt worden. Während aber der Antrag der Fraktion der CDU/CSU die Überprüfung durch die Gerichte ausdrücklich bestätigt, wird von den Koalitionsfraktionen auch diese Überprüfung gestrichen. Ich muß sagen: Das scheint mir außerordentlich wenig zu sein.
Lassen Sie mich auch noch auf etwas ganz Besonderes hinweisen, was gegenüber dem im Ausschuß beschlossenen § 6 k nicht enthalten ist, wohl aber in diesem Änderungsantrag steht. Mit wem soll der Arbeitgeber verhandeln? Nach dem einen Antrag soll er nur einseitig prüfen. Mit wem soll er also verhandeln? Wir waren uns in den interfraktionellen Gesprächen im Ausschuß darüber im klaren, daß es für die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung der Betriebsrat zu sein hätte, weil
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Müller
er ja auch im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes derjenige ist, der bei solchen Einrichtungen mitzubestimmen hat.
Wir glaubten auch, daß dann, wenn ein Arbeitnehmer aus dem Betrieb ausgeschieden ist, zwar nicht den jeweils vorhandenen Betriebsrat, aber dessen Vorgänger gewählt hat, der Betriebsrat auf jeden Fall eingeschaltet werden sollte. Das ist aus dem Antrag von der Koalition herausgenommen worden.
In diesem Antrag ist ein zweiter Personenkreis nicht mehr enthalten; das sind die leitenden Angestellten, die zum Teil die betrieblichen Pensionszusagen als einzige Altersversorgung haben. Wir haben im Zuge der Beratungen zur betrieblichen Altersversorgung eine Menge Briefe erhalten, in denen zum Ausdruck kam, daß gerade diese Pensionen durch die allgemeine Teuerungswelle aufgefressen werden und somit der reale Wert nicht erhalten bleibt.
Es ging uns also darum, auf jeden Fall den realen Wert der Pensionszusagen zu erhalten. Der wesentliche Unterschied zum Antrag der Koalition und zum Teil zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion liegt aber darin, daß statt der Prüfungspflicht die Verhandlungspflicht im Sinne des Bundesarbeitsgerichts festgelegt wird. Herr Kollege Sund, Sie haben gesagt: Das ist eine relativ wenig bedeutsame Stelle.
Wir waren uns im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung darüber im klaren, daß die Fragen der Erhaltung des realen Wertes eine außerordentlich wichtige und bedeutsame Angelegenheit ist und man nicht sagen kann, das sei eine wenig bedeutsame Sache.
Wir bitten Sie, diesem Antrag, der die Verhandlungspflicht begründet, der die Einbeziehung der Betriebsräte in diese Verhandlungen vorschreibt und ausdrücklich vorsieht, daß die leitenden Angestellten in diese Überprüfungen im Sinne einer Anpassung einbezogen werden, Ihre Zustimmung zu geben. Ich glaube, das sind wir den Arbeitnehmern draußen schuldig.
Das Wort der Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Müller , Sie haben eben mit begrüßenswerter Deutlichkeit klargemacht — und dafür bin ich Ihnen dankbar —, daß Ihr Gruppenantrag etwas grundsätzlich anderes will als Ihr Fraktionsantrag. Dann brauchten Sie allerdings in die Klagerufe, daß Sie sich bis vor einer Stunde nicht haben einigen können, nicht auszubrechen. Sie hätten ja nur dem Fraktionsantrag Ihrer eigenen Fraktion zuzustimmen brauchen.
Dann wären wir bei der Prüfungspflicht ganz allgemein und wären von der Verhandlungspflicht, die wir nicht wollen und die wir für falsch halten, herunter.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Lambsdorff, darf ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß Kollege Müller gesagt hat, daß er deswegen so lange gewartet hat, weil er gehofft hat, daß sich die Koalition noch auf den interfraktionell vorgelegten Antrag einigen wird.
Ich habe den Eindruck, Herr Kollege Franke, Sie müssen sich offensichtlich um die Einigkeit innerhalb Ihrer Fraktion bemühen und nicht um die Einigkeit innerhalb der Koalition. Das machen wir schon selber.
Im übrigen sind durch die Formulierung des § 6 k in dem Koalitionsantrag — nur um das der Deutlichkeit halber zu sagen — die leitenden Angestellten, wenn sie Versorgungsempfänger sind -- und das sind sie in den meisten Fällen —, ebenso erfaßt wie in dem Vorschlag, den Sie gemacht haben.
Wenn es so wäre, meine Damen und Herren, daß wir uns nur über den § 315 bzw. die Bezugnahme darauf zu unterhalten hätten, dann, Herr Kollege Sund — das ist vollständig richtig —, hätten wir es mit einem peripheren Problem zu tun, und im Hauptproblem wären wir uns einig. Aber dies ist eben nicht der Fall; wir sind uns im Hauptproblem nicht einig.
Was Abs. 2 des vorgesehenen § 6 k, den die Koalition im Gegensatz zur Opposition so nicht will, betrifft, so meine ich allerdings, wir sollten klarmachen, daß hier jedenfalls nach Auffassung der FDP eine gewisse materiell-rechtliche Bedeutung vorliegt.
Der § 315 BGB — ich darf das ausführen, Herr Breidbach, und Ihre geneigte Aufmerksamkeit erbitten — bezieht sich auf Leistungspflichten, und der § 6 k, dessen Abs. 1 ja auch die Oppoistion ihre Zustimmung geben will, begründet in der jetzt vorliegenden Form eine Prüfungspflicht, für die § 315 BGB nach unserer Meinung nicht gilt. Davon ging aber § 6 k Abs. 2 aus, der eben bestimmte, daß Abs. 2 und 3 von § 315 BGB nicht „Anwendung", sondern „entsprechende Anwendung" finden, was dann konsequent und logisch war.
Der Prüfungsmaßstab ist allerdings billiges Ermessen, wie das in § 6k Abs. 1 steht. Aber dies ist eben nicht eine Frage des § 315. Da wir in rechtssystematischen Fragen etwas sensibel sind, möchten wir eine Vermischung dieses Rechtsinstituts mit der
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Dr. Graf Lambsdorff
vorgesehenen Prüfungspflicht nicht vornehmen und deswegen diesen Abs. 2 ablehnen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jenninger?
Herr Kollege Graf Lambsdorff, sind Sie mit mir einer Meinung, daß es, was die Prüfungspflicht betrifft, sicherlich diese Auslegung geben kann, daß aber der Antrag in Absatz 1 in beiden Fassungen lautet: „und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden",
daß also auch eine Leistung vorgesehen ist und deswegen der § 315 a folgerichtig als Auslegung für ein Schuldverhältnis angewendet werden kann?
Herr Kollege Jenninger, wir haben über dieses Thema in den letzten Tagen häufig gesprochen. Hier gibt es rechtssystematisch unterschiedliche Ansichten, und wir bleiben bei der Ansicht, die wir hier vertreten haben, weil wir uns nicht in die Nähe der Verhandlungspflicht bringen lassen möchten. Ich will das auch gern begründen.
Der Antrag, meine Damen und Herren, der jetzt als Gruppenantrag vorgelegt wird — ebenso wie die ursprüngliche Ausschußfassung —, wirft doch sowohl stabilitätspolitische als auch sozialpolitische Probleme auf. Die stabilitätspolitischen Probleme müßten doch gerade Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, unter dem Gesichtspunkt Ihres Beschlusses vom 5. November sehen: keine Mehrausgaben der öffentlichen Hände, keine Mehrbelastung der gewerblichen Wirtschaft. Dieser Antrag aber bedeutet, daß es eine erhebliche Mehrbelastung der gewerblichen Wirtschaft geben wird, daß Steuermindereinnahmen unvermeidlich sind
— ich darf das vielleicht eben noch begründen —
und daß es vermehrte Haushaltsrisiken in Bund, Ländern und Gemeinden geben muß.
Meine Damen und Herren, ich will das begründen. Wenn Sie eine Verhandlungspflicht einführen und wenn dann, was im wesentlichen unvermeidlich sein wird — ich wähle das jetzt nur einmal als Rechenbeispiel —, eine Anhebung um durchschnittlich 7 % im Jahr als Verhandlungsergebnis herauskommt, dann bedeutet das, daß Sie die notwendigen Rückstellungen von jetzt — grob geschätzt -
10 Milliarden in der Gesamtwirtschaft schon auf mindestens 20 Milliarden erhöhen müssen. Dies bedeutet natürlich Steuerausfälle. Daran führt doch gar kein Weg vorbei, weil sich diese Rückstellungen ertragsmindernd auswirken. Und Haushaltsrisiken gibt es auch; denn daß Sie der öffentlichen Hand ein
solches Verfahren auf die Dauer vorenthalten können, ist ja wohl politisch nicht gut denkbar und wird sich auch nicht durchhalten lassen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Herr Kollege Graf Lambsdorff, würden Sie mir bestätigen, daß in dem Antrag auf Drucksache 7/2914 steht, daß eine Verhandlungspflicht nur alle drei Jahre besteht, daß sie unter Berücksichtigung der jeweiligen Situation des Unternehmens stattzufinden hat und daß damit nicht expressis verbis gesagt worden ist, daß in jedem Jahr von Ihnen angeführten Erhöhungen durchgesetzt werden können?
Dr. 'Graf Lambsdorff : Herr Kollege Breidbach, ich will auf die unterschiedliche Behandlung einzelner Unternehmen nachher noch eingehen und werde auf Ihre Frage zurückkommen.
Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller ?
Wenn ich das auf meine Redezeit vergütet bekomme, Frau Präsidentin, gerne.
Bitte, Herr Kollege Müller.
Herr Kollege Graf Lambsdorff, sind Sie Meinung, daß die Betriebsräte und die Betroffenen, mit denen verhandelt werden soll, so unverantwortlich sind und ihre eigenen Arbeitsplätze gefährden, indem sie etwas verlangen und durchzusetzen versuchen, was nicht verkraftbar ist?
Ich bin ganz gewiß nicht dieser Ansicht. Aber wir sollten auch keine unnötigen Anreize in dieser Richtung in die Welt setzen. Das entspricht unserer Verantwortung, die wir wahrnehmen sollten.
Wir sind natürlich ebenso wie alle in diesem Hause — so jedenfalls glaube ich — der Ansicht, daß es außerordentlich wünschenswert wäre, eine bessere Anpassung an die Kaufkraftentwicklung hinsichtlich der Altersbezüge der betrieblichen Altersversorgung zu erreichen. Insofern appellieren wir, wie es in dem ursprünglichen Entschließungsentwurf vorgesehen war, an die Arbeitgeber, sich einem solchen Verfahren nicht zu entziehen, sondern das Ihre zu tun, um ihre freiwilligen Leistungen weiter zu verbessern.
Aber Dynamisierungsgebote — oder nahezu Dynamisierungsgebote — helfen überhaupt nichts. Das
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Dr. Graf Lambsdorff
einzige, was hier wirklich hilft, ist konsequente Stabilitätspolitik, die die hier gegebene Problematik in Zukunft verhindert und zu der wir einen guten Schritt nach vorne getan haben.
Sozialpolitisch beruht die betriebliche Altersversorgung — der Kollege Sund hat das dankenswerterweise eindeutig festgestellt auf einem freiwilligen System, auf freiwilligen Zusagen. Bei der Regelung, die mit dem Gruppenantrag der CDU/ CSU-Kollegen vorgelegt worden ist, wird es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine neuen Zusagen mehr geben. Im übrigen ist eine solche Regelung — und hier komme ich auf die Größenordnungsunterschiede und die Einzelverhältnisse der Unternehmen zurück — natürlich ausgesprochen feindlich und abträglich für diejenigen, die im mittelständischen Bereich arbeiten, d. h. sowohl für die gewerbliche Wirtschaft des Mittelstandes wie auch für die dort Beschäftigten. Denn darüber, daß ein kapitalintensives Unternehmen wie das RWE einen solchen Wunsch sehr leicht erfüllen kann, gibt es wohl keinen Zweifel. Aber der Elektromeister, der neben dem RWE seine Werkstatt unterhält und mit einer Reihe von Gesellen arbeitet, ist als lohnintensives Unternehmen dazu eben nicht in der Lage. Sie schaffen hier zwei Klassen von Arbeitnehmern und Begünstigten.
— Sie tragen mit diesem Antrag nur dazu bei, diese Problematik zu verschärfen. Das wollen wir nicht.
Das Ergebnis einer solchen Regelung wäre, daß der Besitzende in seinem Besitzstand geschützt wird, daß vielleicht seine Position gelegentlich auch verbessert wird, daß Sie aber den Zugang für jüngere, für neue Berechtigte, die mit dieser Regelung begünstigt werden sollen, einfach zumachen. Es gibt dann ein nur ganz beschränktes Maß an neuen Zusagen aus der betrieblichen Altersversorgung. Das allerdings wollen wir unter allen Umständen vermeiden. Wir wollen keine Regelungen, die irgendwo einen Sperriegel einbauen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller ?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Graf Lambsdorff, ist Ihnen bekannt, daß in § 7 Abs. 2 der Ausschußfassung festgelegt ist, daß von den §§ 2 bis 5, 6 k, 18 und 19 in Tarifverträgen abgewichen werden kann, und ist Ihnen damit bekannt, daß somit die Tarifvertragsparteien auf jeden Fall verhandeln können, und warum wollen Sie dann den Betriebsrat, der die unmittelbare Situation des Betriebes kennt, aus den Verhandlungen ausschalten, aber den Tarifvertragsparteien diese Möglichkeit geben?
Herr Kollege Müller , über die Betriebsratsproblematik will ich noch einige Worte sagen; das wird aber vor allem mein Kollege Hansheinrich Schmidt in der dritten Lesung tun. Hier sei nur soviel gesagt, daß der Antrag zu § 6 k die Mitwirkung des Betriebsrates in keiner Weise ausschließt, wie Sie sehr wohl wissen, und daß im übrigen natürlich die Frage besteht, die auch rechtssystematisch geklärt werden müßte, inwieweit der Betriebsrat für die Pensionäre, für die bereits Ausgeschiedenen, Verhandlungen führen kann und Verhandlungen führen soll, wenn das nicht tarifvertraglich vereinbart ist. Ihr Hinweis ist vollkommen zutreffend, soweit er sich auf diesen Punkt bezieht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Breidbach?
Bitte sehr!
Herr Kollege Graf Lambsdorff, nachdem Sie die Notwendigkeit einer konsequenten Stabilitätspolitik als wichtiger als das Anliegen des Änderungsantrages Drucksache 7/2914 bezeichnet haben, möchte ich Sie fragen, ob Ihr Vertrauen in eine konsequente Stabilitätspolitik so erschüttert ist, daß Sie eine Dynamisierung, wie sie in dem Änderungsantrag Drucksache 7/2914 gefordert wird, nahezu voraussetzen?
Herr Kollege Breidbach, man kann sich natürlich auch an das linke Ohr fassen, indem man mit der rechten Hand über den Kopf greift. So ist auch Ihre Argumentation. Mit der Dynamisierung verstärken Sie die Inflation. Dies scheint bei Ihnen immer noch nicht klar zu sein; aus dieser Zwischenfrage kann ich das nur so entnehmen. Mit Dynamisierung und mit Indexierung verstärken Sie die Inflationswirkung. Vielleicht können wir uns darüber doch endlich einmal einigen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Blüm?
Herr Graf Lambsdorff, wie erklären Sie sich den Widerspruch, der darin liegt, daß Herr Kollege Sund hier davon gesprochen hat, daß dies eine wenig bedeutsame Regelung wäre, während Sie hier vortragen, daß eine solche Regelung, wie wir sie vorsehen, die betriebliche Altersversorgung verhindern oder rückgängig machen würde?
Herr Kollege Blüm, Sie dürfen selbstverständlich schließen, was Sie mögen. Dieser Schluß wäre aber falsch. Sie haben nicht recht zugehört. Der Kollege Sund hat sich auf § 6 k Abs. 2 bezogen und dazu gesagt, daß es sich um eine nicht sehr bedeutsame Formulierung handelt, keineswegs aber um den Widerspruch zwischen Ihrer Verhandlungspflicht und unserer Prüfungspflicht. Bitte nehmen Sie Ihrerseits von diesem Unterschied Kenntnis.
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Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Breidbach?
Bitte sehr!
Herr Kollege Graf Lambsdorff, all das, was Sie jetzt sagen, haben Sie ja — das setze ich voraus — schon vor etwa vier Wochen gewußt. Warum haben Sie dann vor vier Wochen mit den interfraktionellen Antrag gestellt, § 6 k praktisch mit dem gleichen Inhalt, wie er jetzt vorliegt, aufzunehmen?
Herr Breidbach, Sie meinen, warum wir diesen Paragraphen in die Ausschußfassung aufgenommen haben. Man kann auch klüger werden. Wir sind klüger geworden und ziehen aus unseren Erkenntnissen auch Schlußfolgerungen. Wir beharren nicht auf dem, was wir einmal falsch angefangen haben.
Solche Besserung ist jedermann gestattet, und es wäre gut, Herr Kollege Breidbach, wenn wir gelegentlich auch aus Ihren Reihen hörten, daß Sie von einmal eingenommenen Positionen dann abgehen, wenn Sie sich sachlich haben überzeugen lassen, soweit letzteres überhaupt denkbar und möglich ist.
— Herr Ehrenberg, über die Frage von ZuhörenKönnen und nicht Zuhören-Können können wir mit dem Kollegen Breidbach im Wirtschaftsausschuß vielleicht noch einmal ein paar Takte reden.
Meine Damen und Herren, was will denn eigentlich dieser Gruppenantrag der CDU/CSU? Um es mit aller Deutlichkeit von der politischen Seite her zu sagen — Herr Kollege Müller , Sie haben es ja freundlicherweise nicht nur angedeutet, sondern auch ausgesprochen —: Die CDU-Sozialausschüsse wollen in die Betriebe gehen und die Betriebsratswahlen mit dem Hinweis vorbereiten, daß sie sich dafür eingesetzt hätten, eine quasi Dynamisierung einzurichten, während die Koalitionsfraktionen dies abgelehnt hätten.
Auf der anderen Seite wird der CDU-Wirtschaftsrat weiter durch die Gegend ziehen und erklären: Wir sind die eigentlichen Bewahrer von Stabilität und Ordnung im Bereich der Finanzen dieses Staates.
Meine Damen und Herren, mit diesem Versuch lassen wir Sie hier nicht entkommen.
— Herr Kollege Jenninger, wir können uns über den sachlichen Hintergrund durchaus noch unterhalten. Wenn Sie mit diesem Gruppenantrag durchkämen, müßten Sie, Herr Kollege Müller, konsequenterweise allerdings auch die Überschrift des Gesetzes ändern. Sie müßten dann schreiben: „Gesetz zur Verhinderung der betrieblichen Altersversorgung", nicht aber: „Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung".
Meine Damen und Herren, wir lassen uns den wesentlichen Inhalt dieses Kernstücks sozialliberaler
Reformpolitik wegen dieser Frage nicht schmälern,
denn die Unverfallbarkeit und die Insolvenzsicherung, die Kernstück dieses Gesetzes sind, sind entscheidende Fortschritte auf dem Wege zur Verbesserung der sozialen Sicherung der Arbeitnehmer.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Zu § 6 k liegen insgesamt drei Änderungsanträge vor. Es besteht kein Streit darüber, daß Antrag Drucksache 7/2906 der weitestgehende Antrag ist. Wir stimmen deshalb zunächst über diesen Antrag ab. Wer dem Antrag Drucksache 7/2906 seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen.
— Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war fraglos die Mehrheit. Der Antrag ist angenommen. Damit entfällt die Abstimmung über die beiden anderen Anträge.
Wer dem § 6 k in der soeben geänderten Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. — Stimmenthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe § 7 auf. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer dem § 7 seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Ohne Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen.
Ich rufe § 8 auf. Wortmeldungen liegen dazu nicht vor. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe.
— Enthaltungen? — Ohne Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen.
Ich rufe § 9 auf. Zu § 9 liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und der FDP in Drucksache 7/2907 vor. Wird er begründet? —Das ist nicht nötig. Wortmeldungen liegen dazu nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über diesen interfraktionellen Änderungsantrag zu § 9. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Stimmenthaltungen? — Ohne Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen.
Wer dem § 9 in der soeben geänderten Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Damit ist § 9 in der soeben geänderten Fassung angenommen.
9070 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974
Vizepräsident von Hassel
Ich rufe §§ 10, 11, 12, 12 a, 12b, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 20 a, 21, 22 sowie Einleitung und Überschrift auf. — Wortmeldungen liegen dazu nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über die soeben aufgerufenen Paragraphen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Ohne Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen. Wir haben damit die zweite Beratung beendet.
Ich rufe die
dritte Beratung
auf. Das Wort hat Herr Abgeordneter Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen. Sie mich bitte zu Beginn der dritten Beratung, bei der ich ursprünglich nur vorhatte, das Gesetz selbst und seine positiven Auswirkungen zu würdigen, im Interesse der historischen Wahrheit zu den Ausführungen eines Teils der Opposition zu dem Abschnitt des Gesetzes, der sich mit der Verhandlungspflicht beschäftigt — oder mit der Prüfungspflicht oder mit der Anpassung, je nachdem, wie dieser Teil des Gesetzes überschrieben ist — folgendes feststellen. Wir sind in die interfraktionellen Verhandlungen mit einem Vorschlag der Koalition gegangen, der folgenden Wortlaut hatte:
Der Arbeitgeber hat alle drei Jahre, erstmals bis zum 31. Dezember 1975, eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und nach Anhörung des Betriebsrats hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die sozialen Belange des Versorgungsempfängers im Hinblick auf die Entwicklung seiner Versorgung und die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers zu berücksichtigen.
Jeder Bezug auf den Betriebsrat oder auf einen bestimmten Abschnitt hinsichtlich dieser Prüfung, auf einen bestimmten Termin, ist auf Verlangen des Vertreters der CDU, unseres sehr verehrten Kollegen Franke, gestrichen worden. Daher kommt es, daß der Antrag der Koalition mit dem Antrag der CDU/CSU vollinhaltlich übereinstimmt und daß der völlig überflüsige Abs. 2 in dem Antrag der Koalition nicht wiederholt worden ist. Das wollte ich hier nur feststellen, um klarzumachen, daß es sich bei diesem Antrag der Gruppe der CDU/CSU nicht um die Ansicht der Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion handeln kann und schon gar nicht um die Ansicht der Kollegen Franke. Dieser Antrag trägt ja auch nicht seine Unterschrift.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke ?
Herr Kollege Glombig! Darf ich Sie — auch um der historischen Wahrheit willen — fragen, ob zur Begründung der Streichung bezüglich Betriebsrat und Termin nicht auch die Frage eine Rolle gespielt hat — die letztlich auch von Ihnen anerkannt worden ist —, daß, wenn man nur „Betriebsrat" stehen ließe, die Verhandlung über Versorgungsmöglichkeiten für leitende Angestellte ausgeschlossen wäre?
Die Verhandlungen mit den leitenden Angestellten haben bisher ohne Betriebsrat stattgefunden und werden auch künftig ohne Betriebsrat stattfinden. Das braucht im Gesetz auch nicht besonders erwähnt zu werden. Das ist eine Überlegung, die hier überhaupt keine Rolle spielt. Aber das wissen Sie selbst, Herr Kollege Franke. Darüber brauchen wir uns im Augenblick nicht weiter zu unterhalten.
Ich möchte im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion die Verabschiedung des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung begrüßen. Lassen Sie mich dazu drei Bemerkungen machen.
Meine erste Bemerkung: Die SPD-Bundestagsfraktion betrachtet dieses Gesetz als eines der wichtigsten Reformprojekte der sozialliberalen Koalition in dieser Legislaturperiode. Die Reform der betrieblichen Altersversorgung steht in ihrer Bedeutung gleichrangig neben der Reform der gesetzlichen Rentenversicherung von 1972. Das sollte auch Anlaß sein, uns ins Gedächtnis zurückzurufen, wie sehr die soziale Sicherung im Alter seit dem Beginn der sozialliberalen Koalition im Jahre 1969 verbessert worden ist.
Künftig haben wir eine flexible Altersgrenze nicht nur in der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern auch in der betrieblichen Altersversorgung. Die gesetzliche Rentenversicherung ist seit 1972 für jedermann geöffnet, nachdem sie seit der Rentenreform von 1957 für große Gruppen der Bevölkerung versperrt war. Durch die Einführung der Renten nach Mindesteinkommen sind mehrere hunderttausend kleine Renten gezielt angehoben worden.
— Ja, das haben Sie — Gott sei Dank, möchte ich fast sagen — nicht beantragt. Die Konditionen, um die es hier geht, sind unterschiedlich gewesen. Aber der Antrag kam nicht von der CDU/CSU, sondern dieser Antrag kam von der sozialliberalen Koalition, und dem sind Sie gefolgt.
— Das ist nachzuweisen. Das ist die geschichtliche Wahrheit; die Voraussetzungen sind andere.
Die Altershilfe für Landwirte ist erhöht und dynamisiert worden. Für die Arbeitnehmer der Land- und Forstwirtschaft ist ein Zusatzversorgungssystem geschaffen worden, das die spezifischen Nachteile dieser Berufsgruppen in der Alterssicherung ausgleicht.
Glombig
Besonders benachteiligte und von materieller Not bedrohte Bevölkerungsgruppen werden in die gesetzliche Alterssicherung einbezogen, so etwa die Behinderten durch das Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter; aber auch für die Strafgefangenen zum Beispiel sind sozialversicherungsrechtliche Vorschriften im neuen Strafvollzugsgesetz vorgesehen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Geisenhofer?
Herr Kollege! Wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen und anerkennen, daß der Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Einführung von Mindestrenten zwei Monate, bevor der Antrag der Koalition eingereicht wurde, dem Bundestag vorlag?
Diese Anträge auf Mindestrente sind in einem ganz anderen Zusammenhang gestellt worden und — ich sage das noch einmal — unter ganz anderen Voraussetzungen.
Sie gehörten doch nicht ursprünglich zum Konzept der Rentenreform des Jahres 1972. Diese Konzeption ist von der sozialliberalen Koalition entwickelt worden.
In ihm ist die Anhebung der kleinen Renten ein ganz wichtiger Bestandteil. Das kann in der Tat sowohl in den Protokollen des Ausschusses als auch in den Protokollen des Plenums jederzeit nachgelesen werden.
Gestatten Sie eine weitere Frage des Abgeordneten Geisenhofer?
Herr Kollege Glombig! Wollen Sie weiter zur Kenntnis nehmen, daß der Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Einführung von Mindestrenten von einer Anwartschaftzeit von 25 Jahren ausging, während der Entwurf der SPD/ FDP-Fraktion eine solche von 35 Jahren Versicherungszeit gefordert hat? Insofern ist unser Antrag für die 1,2 Millionen Kleinstrentner wesentlich besber gewesen.
Lieber Herr Kollege Geisenhofer, ich habe das ein paar Mal wiederholt. Sie scheinen überhört zu haben, daß die Voraussetzungen, unter denen Sie die Anhebung der Kleinrenten wollten, andere waren als die, unter denen wir sie wollten. Aber eines steht doch fest: daß wir bei der Anhebung der Kleinrenten nicht völlig auf das Versicherungsprinzip verzichten können, und daß alles, was wir auf diesem Gebiet machen, Geld kostet, vor allem die Versicherten und den Steuerzahler, denen gegenüber wir auch eine Verantwortung haben. Wir haben gemeint, daß diese Verantwortung bis zu dem
Punkte, den wir hier entschieden haben, entsprechend wahrgenommen sei.
Gestatten Sie eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Franke ?
Herr Kollege Glombig, sind Sie sich darüber im klaren, daß Sie jetzt bestätigt haben, daß die Initiative doch von uns ausgegangen ist?
Ich sage: Die Initiative ist von der Koalition ausgegangen. Wir haben in der Sache selbst, was die Voraussetzungen anging, in der Tat unterschiedliche Ansichten gehabt. Darüber haben wir uns auseinandergesetzt. An diesem Sachverhalt werden Sie auch durch weitere Zwischenfragen nichts ändern. Das ist der Tatbestand.
Zweitens. Dank der zielstrebigen Sozialpolitik der sozialliberalen Koalition ist festzustellen, daß der Lebensabend unserer älteren Mitbürger heute sozial gesicherter ist als im Jahre 1969. Einen weiteren entscheidenden Beitrag dazu wird das Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung leisten. Die grundsätzliche sozialpolitische Bedeutung dieser Reform, meine Damen und Herren, liegt darin, daß die betriebliche Altersversorgung über ihre bisherige Ausgestaltung als eine rein freiwillige Leistung und als bloßes Instrument betrieb- licher Personalpolitik der Unternehmer hinauswachsen wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Maucher?
Herr Kollege Glombig, Sie haben soeben gesagt, daß die Situation unserer Bürger, vor allem der sozial Betroffenen, besser gesichert sei als im Jahre 1969. Haben Sie eine genaue Statistik darüber, wie das Einkommen, die Kaufkraft und die allgemeine Situation sind?
Ich kann Ihnen darauf sofort antworten: Die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sind von 1969 bis 1. Juli 1974 — einen neueren Stand habe ich nicht und hat keiner von uns — um 61,7 % gestiegen, mit Berücksichtigung des Wegfalls des von der CDU den Rentnern aufgebürdeten Krankenversicherungsbeitrags sogar um über 65 %. Das entspricht einer realen Steigerung von etwa 30 bzw. 34 %. Die letzte Rentenanpassung vom 1. Juli 1974 brachte den Rentnern einen realen Kaufkraftgewinn von etwa 4,3 % gegenüber dem Juli des Vorjahres. Eindeutiger kann diese Entwicklung zugunsten der Rentner wohl kaum dargestellt werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Maucher?
9072 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974
Herr Kollege Glombig, wie wollen Sie die Richtigkeit meiner Frage bestreiten, wenn ich Ihnen ein Beispiel sage: Eine Kriegerwitwe hat mit ihrer Rente im Jahre 1969 den Aufenthalt im Altersheim bezahlen können. Jetzt, im Jahre 1974, hat sie zu ihrer Rente einen Zuschlag in Höhe von 500 DM zu zahlen.
Ist in diesem Falle die Lebenssicherung noch gewährleistet? Die Sozialhilfe muß diesen Betrag beisteuern, während im Jahre 1969 nichts beigesteuert werden mußte.
Die Realität ist in diesem Falle nichts anderes, als daß die Kosten für die Heimpflege und für die Krankenhauspflege aus verschiedenen Gründen gestiegen sind,
die wir heute nicht erörtern wollen und auch nicht zu erörtern brauchen. Was die Kriegsopferrenten angeht, kann ich nur sagen, daß diese von 1969 bis 1974, selbst bis zum 1. Januar 1974, sogar um etwa 66 % gestiegen sind. Das sind real etwa 35 %. Die Witwenrenten — Sie sprachen eben von einer Witwe — sind heute sogar um nahezu 80 % höher als 1969.
Meine Damen und Herren, man kann die Erhöhung der Witwenrenten und der Beschädigtenrenten nicht unbedingt zu den Kosten in einem Altersheim in ein Verhältnis setzen. Das gäbe ein völlig schiefes Bild.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Müller ?
Nein, ich meine, jetzt sei es genug. Lassen Sie mich jetzt einmal zu meiner Erklärung kommen! Ich meine, daß ich ja nun Ihre Fragen ausreichend beantwortet habe; denn diese Fragen hatten, zumindest zum Schluß, mit der Sache überhaupt nichts mehr zu tun.
Ich habe soeben auszuführen versucht, daß die grundsätzliche sozialpolitische Bedeutung dieser Reform darin liegt, daß die betriebliche Altersversorgung über ihre bisherige Ausgestaltung als eine rein freiwillige Leistung und als bloßes Instrument betrieblicher Personalpolitik der Unternehmer hinauswachsen wird und daß dadurch die betriebliche Altersversorgung zu einer weiteren leistungsfähigen Institution der sozialen Sicherheit wird, die künftig in der Lage sein wird, die ihr in den letzten Jahrzehnten zugewachsene Funktion als Ergänzung des Systems der gesetzlichen Alterssicherung auch wirklich zu erfüllen.
Dieses Gesetz markiert den Übergang — ich darf es einmal so ausdrücken — von einer patriarchalischen zu einer partnerschaftlichen betrieblichen Sozialpolitik. Das entspricht nach Auffassung der
Sozialdemokraten einer zwingenden gesellschaftspolitischen Entwicklung, die vor der betrieblichen Altersversorgung nicht haltmachen konnte. Deshalb ist es nur konsequent, wenn das Gesetz den Leistungscharakter der betrieblichen Altersversorgung, und zwar im Sinne einer Gegenleistung, stärker als bisher betont. Weil die betriebliche Altersversorgung in der heutigen Gesellschaft nicht mehr eine bloße Wohltätigkeitseinrichtung oder vielleicht auch Wohltätigkeitsveranstaltung der Arbeitgeber sein kann, mußten die drängenden sozialpolitischen Probleme der betrieblichen Altersversorgung wie die Unverfallbarkeit des Anspruchs, die Insolvenzsicherung, die flexible Altersgrenze und die Auszehrung der Betriebsrenten — durch die dynamische Anpassung der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf arbeitsrechtlichem Wege gelöst werden und nicht allein durch eine Neuordnung der Steuervergünstigung für betriebliche Versorgungsleistungen. Das ist der Grundgedanke dieses Gesetzes. Nur eine solche arbeitsrechtliche Sicherung der betrieblichen Altersversorgung macht es möglich, daß sie ihre sozialpolitische Funktion auch erfüllen kann. Es genügt nicht, die Schaffung von betrieblichen Versorgungseinrichtungen durch die Unternehmer steuerlich zu fördern, vielmehr erfordert eine zeitgerechte Sozialpolitik, daß dem einzelnen Arbeitnehmer im Rahmen seiner betrieblichen Versorgungseinrichtung individuelle und notfalls einklagbare Rechtsansprüche auf betriebliche Versorgungsleistungen eingeräumt werden.
Die arbeitsrechtliche Lösung zur Sicherung der betrieblichen Altersversorgung entspringt der Konzeption der Sozialdemokraten und der Gewerkschaften; daran gibt es wohl überhaupt keinen Zweifel. Deshalb begrüßt es die SPD-Bundestagsfraktion ganz besonders, daß der nunmehr von der sozialliberalen Koalition vorgelegte Lösungsvorschlag auch die Zustimmung der Opposition findet. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt es auch, daß sich die Arbeitgeber den sozialpolitischen Erfordernissen nicht verschlossen haben und diese bedeutsame Weiterentwicklung der betrieblichen Altersversorgung mittragen wollen. Das entspricht nicht nur dem Interesse der Arbeitnehmer, sondern auch dem wohlverstandenen Interesse der Arbeitgeber, zumal dieser Gesetzentwurf in dem notwendigen Umfang steuerrechtlich der Tatsache Rechnung trägt, daß die Arbeitgeber sich freiwillig zur Erbringung von Versorgungsleistungen verpflichten.
Und die letzte Bemerkung: Dieses Gesetz hat die Weichen für die Fortentwicklung der betrieblichen Sozialpolitik gestellt. Damit ist der Weg frei für die Ausgestaltung der betrieblichen Altersversorgung zu einem weiteren leistungsfähigen Instrument der sozialen Sicherheit. Was dazu durch gesetzgeberische Maßnahmen geschehen konnte, ist nun geschehen. Auf jeden Fall aber ist nichts geschehen — und darüber können wir eigentlich auch ganz froh sein —, was die Weiterentwicklung dieses Gesetzgebungsbereichs oder aber dieses Bereichs der betrieblichen Sozialpolitik hemmen könnte.
Die Absicherung bestehender betrieblicher Versorgungsansprüche vor Verfall bei Arbeitsplatz-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974 9073
Glombig
wechsel und vor Auszehrung durch andere Sozialleistungen ist nur ein Anfang oder, besser gesagt, soll nur ein Anfang sein. Die sozialpolitische Weiterentwicklung, die weitere konkrete Ausgestaltung des sozialen Fortschritts, liegt jetzt bei den Sozialpartnern. Ihnen kommt nach Verabschiedung des Gesetzes ein großes Maß an Verantwortung bei der Fortentwicklung dieses Rechtes zu.
Die SPD-Bundestagsfraktion erwartet vor allem eine weitere Ausbreitung der betrieblichen Altersversorgung ohne Hemmnisse, eine weitere Ausbreitung der betrieblichen Altersversorgung, die wir uns, wie die vorhergehende Debatte gezeigt hat, auch nicht so gern von der Opposition zunichte machen lassen wollen. Am Ende der durch dieses Gesetz eingeleiteten Entwicklung sollte eine betriebliche Altersversorgung für alle Arbeitnehmer stehen. Wenn das erreicht ist, hat dieses Gesetz, so meine ich, seinen ganzen Zweck erfüllt, nämlich noch mehr soziale Sicherheit im Alter für alle Arbeitnehmer, nach Möglichkeit ohne Ausnahme.
Das Wort hat der Abgeordnete Franke .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU begrüßt das hier vorgelegte Ausschußergebnis, wenngleich hier und da aus der Sicht meiner Freunde punktuell ein anderes Ergebnis wünschenswert gewesen wäre. Dennoch tragen wir das Gesamtergebnis. Neben der Rentenversicherung und der privaten Vorsorge ist die betriebliche Altersversorgung für viele Arbeitnehmer — leider nicht für alle — eine gute Ergänzung ihrer Altersversorgung. Für große Teile der Beschäftigten, z. B. die leitenden Angestellten, ist die betriebliche Altersversorgungszusage die einzige Möglichkeit, mit Erreichung der Altersgrenze versorgt zu sein.
Wir freuen uns mit den Betroffenen, daß es gelungen ist — allen drei Fraktionen gebührt der Dank —, den Zeitraum, nach dem eine Versorgungszusage greift, in dem einen Fall von 15 Jahren auf 12 Jahre herabzusetzen, wo die Zusage für die Betroffenen mindestens drei Jahre bestanden hat.
Ein zweites Anliegen — und, meine sehr verehrten Damen und Herren, wer das nachliest, wird feststellen, die Vertreter aller Fraktionen haben sich in der ersten Lesung mit dieser Frage beschäftigt: Die Insolvenzsicherung der Versorgungszusage bei Zahlungsunfähigkeit. Insbesondere Herr Kollege Zink hat in der ersten Lesung auf die Notwendigkeit der Insolvenzsicherung hingewiesen und diese Forderung ist durch den einstimmigen Ausschußbeschluß erfüllt worden. Besonders begrüßen wir als Fraktion der CDU/CSU, daß der Träger der Insolvenzsicherung nicht irgendein staatliches oder halbstaatliches Institut ist, sondern ein Pensionssicherungsverein in freier Trägerschaft. Da zur Auflage gemacht wurde, diesen Träger bis zum 31. Dezember zu errichten — sonst drohte ein anderer Träger , können wir froh sein, daß die Betriebe, die Altersversorgungszusagen gegeben haben, ihre Chance genutzt haben und, wie es im Gesetz heißt, der genannte „Träger die Erlaubnis der Aufsichtsbehörde zum Geschäftsbetrieb erhalten hat".
Eine lange Auseinandersetzung hat es darüber gegeben — und wir haben eben bei der Debatte über die Anträge darüber schon gesprochen —, ob eine laufende Anpassung der Betriebsrente per Gesetz „befohlen" werden sollte. Eine Initiative aus den Reihen der Unionsfraktion heraus — eine Gruppeninitiative, wenn Sie wollen — führte zu interfraktionellen Verhandlungen. Am Ende der Verhandlungen war der § 6 k geboren. Aus allen Fraktionen — ich wiederhole: aus allen Fraktionen — kamen dann Bedenken, der § 6 k könnte im Sinne einer Indexierung wirken und darüber hinaus neue Versorgungszusagen verhindern. Ich habe es eben schon gesagt: In meiner Fraktion wurde darüber jedenfalls leidenschaftlich diskutiert.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Bitte sehr!
Herr Kollege Franke, stimmen Sie mit mir darin überein, daß die Qualifizierung, die Sie eben gefunden haben — Indexierungswirkung, Verhinderungswirkung —, auch für den heute noch einmal vorgelegten Gruppenantrag aus den Reihen Ihrer Fraktion zutrifft?
Nein, lieber Graf Lambsdorff, da stimme ich Ihnen nicht zu. Das ist die Frage der Bemessung des schmalen Grats. Ich stimme Ihnen also in dieser Frage nicht zu. Hiermit haben wir den schmalen Grat nicht verkleinert.
Nun, meine Damen und Herren, wir haben über diese Frage ja nicht im luftleeren Raum diskutiert, sondern die Brisanz dieser Frage wurde besonders durch die Urteile des Bundesarbeitsgerichts genährt. Ich habe Ihnen eben ein Zitat aus der Begründung vorgelesen. Hier ist eine Anpassung in einigen Fällen bewirkt worden. Ich verweise noch einmal ausdrücklich auf das, was Professor Stumpf zu dieser Frage gesagt hat.
Trotz allem — obwohl wir in dieser Frage keine Einigkeit erzielen konnten —, trotz gewisser Schwierigkeiten in der einen oder in der anderen Frage, die von dem Berichterstatter hier erwähnt worden sind, stellt der Gesetzentwurf über die betriebliche Altersversorgung, so wie er aus dem Ausschuß herausgekommen ist — und der Ausschuß hat in der Schlußabstimmung einstimmig beschlossen —, ein Ergebnis dar, welches auch die Fraktion der CDU/ CSU mitträgt; sie zeichnet dafür mit verantwortlich. Insbesondere treten wir dafür ein, daß das Inkrafttreten dieses Gesetzes zum 31. Dezember 1974 gesichert sein muß. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
9074 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer die Debatte in der zweiten Lesung und auch Teile der dritten Lesung als etwas Außenstehender mitverfolgt hat, müßte beinahe den Eindruck gewonnen haben, daß wir uns heute lediglich über Anpassungsfragen, Anpassungsmodalitäten und dergleichen hinsichtlich der betrieblichen Altersversorgung unterhalten.
Ich glaube, es ist notwendig, gerade für uns Freie Demokraten, noch einmal sehr deutlich darauf hinzuweisen, daß es sich bei dem heute mittag zu verabschiedenden Gesetzentwurf tatsächlich — auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, geben dies wohl zu — um ein sozialliberales Reformwerk handelt, das von Ihnen mitgetragen wird. Mit diesem Reformwerk werden — auch im gesetzlichen Rahmen — endgültig die Weichen für die Weiterentwicklung der betrieblichen Altersversorgung gestellt, Weichen, die wir alle in vielen Jahren der Diskussion gesucht haben und auf die ich im einzelnen noch zurückkommen darf.
Lassen Sie mich ein Zweites vorwegbemerken. Wir sollten jetzt erkennen, daß die Auseinandersetzung der letzten 14 Tage — § 6 k so, § 6 k so, Entschließung so und dergleichen mehr — nicht dazu gedient hat, der Öffentlichkeit deutlich zu machen, was hier heute wirklich verabschiedet wird und daß die Entscheidung — und hier möchte ich seitens der Freien Demokraten der Mehrheit dieses Hauses ganz besonders danken —, wie sie nunmehr gefallen ist, dem Ziel dieses Gesetzes am ehesten gerecht wird, nämlich nicht nur das festzuschreiben, das besser zu garantieren, was an Ansprüchen hinsichtlich der betrieblichen Altersversorgung vorhanden ist, sondern vor allem auch dafür zu sorgen und die Wege zu öffnen, daß die 40 % unserer Arbeitnehmer, die noch nicht in den Genuß einer betrieblichen Altersversorgung gekommen sind, möglichst bald in diesen Genuß kommen. Alle Formulierungen — wie sie zum Teil gewünscht worden waren —, die in Richtung einer Indexierung, einer Verhandlungspflicht und dergleichen mehr gehen, hätten hier eine Hürde, vielleicht sogar eine Blockierung gebracht, wobei das Bestehende zwar geschützt, die Ausweitung aber so gut wie verhindert worden wäre. Ich glaube, die Entscheidung, die die Mehrheit in dieser Frage gefällt hat — und die diejenigen Damen und Herren der Opposition, die einen Gruppenantrag gestellt haben, mittragen werden —, war richtig.
Noch ein Drittes hierzu möchte ich auch klar sagen. Es geht auch uns Freien Demokraten nicht etwa darum, daß Betriebsrat und andere Gremien bei den Diskussionen, die sich im Rahmen der Prüfpflicht ergeben, ausgeschaltet werden. Es geht vielmehr darum, daß gewisse systematische Entwicklungen von vornherein im Gesetz festgeschrieben würden, die zu den negativen Ergebnissen führen könnten, die ich angesprochen habe.
In dem Augenblick, in dem ich eine Verhandlungspflicht einführe, Herr Kollege Müller — ich will mich in die Diskussion eigentlich nicht mehr einlassen, aber wenn Sie einen Zwsichenruf machen, muß ich es tun —, steht am Ende einer Verhandlung notwendigerweise ein Ergebnis — so oder so , das insgesamt nicht im Interesse der Weiterentwicklung dieses Gesetzes liegen kann
— einen Moment, meine Damen und Herren! —, weil es Hemmnisse für die 40 % bringen kann, die heute noch keine betriebliche Altersversorgung haben.
— Herr Kollege Müller, vielleicht lesen Sie einmal das Protokoll über die erste Beratung nach. Dann werden Sie feststellen, was ich in dieser ersten Beratung zur Frage der Dynamisierung gesagt habe. Ich habe genau dasselbe gesagt, was ich hier für die Freien Demokraten wiederhole: Wir erwarten, daß diejenigen, die heute bereits in ihren Unternehmen eine betriebliche Altersversorgung haben, die Möglichkeit überlegen, diese an die Entwicklung anzupassen. Das wird mit dieser Prüfpflicht angeregt. Wir werden aber nichts festschreiben, was in irgendeiner Form für die übrigen 40 % der Arbeitnehmer und für die Unternehmen, die den Willen haben, eine solche betriebliche Altersversorgung einzuführen, als Hemmnis wirkt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke ?
Herr Kollege Schmidt, sind Sie bereit, zuzugeben, daß Sie den § 6 k in der Ausschußfassung ebenfalls mitgetragen haben?
Natürlich, Herr Kollege Franke; da brauche ich gar nichts zuzugeben. Es ist selbstverständlich — es ist lange genug darüber diskutiert worden —, daß wir zunächst zu einem gemeinsamen Weg gekommen waren. Herr Kollege Franke, ich könnte eine Gegenfrage stellen. Sie haben im Ausschuß gesagt: Wir von der CDU/CSU-Fraktion sind für diese Verhandlungspflicht. Inzwischen hat sich gezeigt, daß die CDU/ CSU-Fraktion in dem Sinne nie für die Verhandlungspflicht war. Sonst hätte es nämlich jetzt nicht einen Gruppenantrag gegeben. Also wollen wir das doch hier nicht nachvollziehen. Wir sind in der dritten Beratung. Wir können das fortsetzen, aber ich würde jetzt wirklich sagen,
— Soll ich jetzt darauf eingehen, was da noch alles drin war?
— Ich würde sagen: lassen wir das jetzt.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974 9075
Schmidt
Im Interesse der vielen Dinge, die an Positivem im Regierungsentwurf bereits vorhanden waren und im Ausschuß gemeinsam getragen worden sind, ist es wohl notwendig, in dieser dritten Beratung noch einmal einiges Grundsätzliche zu sagen. Das wollte ich eigentlich auch tun. Meine Vorbemerkung erfolgte nur auf Grund der vorherigen Debatte.
Ich kann mich noch sehr gut erinnern, daß wir im Mai 1968 eine Kleine Anfrage eingebracht haben, die unter dem 1. Juli 1968 — Drucksache V/3119 — von der damaligen Bundesregierung der Großen Koalition beantwortet wurde. Ausgangspunkt dieser Anfrage waren gewisse Äußerungen, die da und dort aufklangen, die betriebliche Altersversorgung in ihrer Eigenständigkeit anzuknacksen und sie möglicherweise auch in einen großen gesetzlichen Versicherungsrahmen einzuführen. Wir haben damals bei dieser Kleinen Anfrage die Dinge geprüft. In der Antwort stellte sich erfreulicherweise heraus, daß diese zu hörenden Absichten nicht weiterverfolgt wurden. Am konsequenten Ende des Weges des Nichtweiterverfolgens von gewissen Einbeziehungen in die Rentenversicherung und von anderen Ideen, die überall mal so auftauchten, steht nun dieser völlig eigenständige gesetzliche Weg für die Weiterentwicklung der betrieblichen Altersversorgung. Deshalb begrüßen wir Freien Demokraten es so sehr, daß mit der heutigen Verabschiedung von uns in diesem Bereich immer vertretene Vorstellungen voll verwirklicht werden.
Mit diesem Gesetz und mit den darin enthaltenen Vorschriften wird zum ersten die Eigenständigkeit der betrieblichen Altersversorgung als Teil unseres gegliederten Altersversorgungssystems eindeutig festgeschrieben. Zum zweiten wird die Stärkung der Rechte für geleistete Mitarbeit, aber auch die Möglichkeit der notwendigen Mobilität eindeutig geregelt. Zum dritten — und das ist für uns hinsichtlich dieser Weiterentwicklung eine ganz besondere, bedeutende Aufgabe — wird die freiwillige Basis in keiner Weise verlassen; es kommt in keiner Weise zu Zwangsergebnissen. Es ist ein klares Nein an manche Überlegungen hinsichtlich einer Zwangsversorgung — auch das hat es einmal gegeben — im Bereich der betrieblichen Altersversorgung. Zum vierten: Es werden keine Schranken eingebaut, diese betriebliche Altersversorgung auf alle Arbeitnehmer, vor allen Dingen auch im Bereich der mittleren und kleineren Unternehmen, auszudehnen. Deshalb begrüßen wir es ganz besonders, daß beispielsweise für diese kleineren und mittleren Unternehmen durch die bessere Möglichkeit, die Direktversicherung in die betriebliche Altersversorgung einzubeziehen, Wege eröffnet werden, die Arbeitgebern mit nur drei, vier, fünf Beschäftigten die gleiche Möglichkeit geben, ihren Arbeitnehmern eine zusätzliche Versorgung zu geben, wie sie in Großbetrieben über andere Möglichkeiten der betrieblichen Altersversorgung zum großen Teil bereits gegeben ist.
Wir bedauern hier einen kleinen Schönheitsfehler, der aus Haushaltsgründen nicht zu vermeiden war. Wir hätten es für glücklich gehalten — vielleicht kann man das bei einer anderen Haushaltslage einmal überprüfen —, den Pauschalbetrag von 2400 DM anzuheben, um vor allen Dingen älteren Arbeitnehmern, die erst Anfang der fünfziger Jahre in den Genuß einer Zusage kommen, besser die Möglichkeit zu geben, mit 63 oder 65 Jahren noch zu einem echten Versorgungsanspruch zu kommen. Das wird, wie gesagt, eine Frage sein, die wir vielleicht einmal unter anderen Haushaltsvoraussetzungen prüfen können, die zu realisieren aber im Augenblick eben nicht möglich war.
Wir begrüßen es auch ganz besonders, daß durch die Differenzierung der Voraussetzung der ursprünglich durchweg vorgesehenen 15jährigen Betriebszugehörigkeit eine gute Einstiegsfrist für Unternehmen gegeben worden ist, die neu in die betriebliche Altersversorgung einsteigen wollen. Durch die Spaltung — 12 Jahre Betriebszugehörigkeit und 3 Jahre Zusage als Grundlage für die Unverfallbarkeit — wird es sicher manchem Unternehmen in der nächsten Zeit, wenn dieses Gesetz verabschiedet ist, schneller möglich sein, die mit Schaffung einer betrieblichen Altersversorgung verbundenen Rücklagen usw. aufzubringen, als wenn wir diese Einstiegsfrist nicht gewährt hätten — wieder im Interesse der 40 %, die heute noch nicht im Genuß einer betrieblichen Altersversorgung sind.
Ganz besonders, meine Damen und Herren — das möchte ich kurz als letzten Detailpunkt ansprechen —, sind wir sehr froh darüber, daß die zur ersten Lesung in dieser Frage noch nicht abgeschlossene Diskussion über die Art der Insolvenzsicherung inzwischen zu dem für unsere Begriffe einzig möglichen Ergebnis einer privatrechtlichen Insolvenzsicherung geführt hat. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, daß es zur Zeit der ersten Lesung noch eine ganze Reihe von Überlegungen gab, diese Insolvenzsicherung eventuell auf öffentlichrechtlichem Wege durchzuführen. Ich habe damals in der ersten Lesung — deshalb sind wir Freien Demokraten sehr froh, daß nunmehr diese Ergebnisse so vor uns liegen — sehr eindeutig darauf hingewiesen, daß eine öffentlich-rechtliche Lösung den Charakter der Freiwilligkeit und der Eigenständigkeit in einem sehr starken Maße tangieren würde. Daß sie darüber hinauf teurer werden würde und vieles andere, will ich hier nicht noch einmal erwähnen.
In dem Zusammenhang begrüßen wir ganz besonders — was sich vor etwa einem Jahr bei der ersten Lesung abzeichnete —, daß hier die Unternehmen, die heute bereits eine betriebliche Altersversorgung haben, aus Eigeninitiative bereit waren, über einen Versicherungsverein und die damit notwendige Solidarität zwischen Unternehmen ein Beispiel zu geben, daß man auch aktive Sozialpolitik im Bereich der Unternehmer betreiben kann. Wir würden es begrüßen, wenn man in Zukunft diesen Weg weiter beschritte. Die Frage, über die wir uns in nächster Zeit immer wieder einmal unterhalten müssen, lautet, ob die einen etwas wollen und die anderen nein sagen, oder ob man sich nicht auf manchen Wegen entgegenkommt. Ich glaube, hier ist man sich im Interesse aller Betroffenen entgegengekommen, und man hat eine gute privatrechtliche Insolvenzsicherung geschaffen.
9076 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974
Schmidt
Deshalb begrüßen wir die in Gang gekommenen Bestrebungen ausdrücklich, die zu einem Versicherungsverein und seiner Genehmigung geführt haben sowie zu einer Festschreibung der Insolvenzsicherung im privatrechtlichen Bereich. Wir gehen fest davon aus, daß diese Lösung keine Schwierigkeiten bringen wird und daß es nicht notwendig sein wird, diese Hilfskonstruktion im Gesetz in irgendeiner Form in Anspruch zu nehmen.
Ich glaube auch, nachdem wir das heute gemeinsam tragen, können wir sagen, daß wir die in der ersten Lesung gestellte Frage, ob ein privater Träger das Problem in einem sozialpolitisch zufriedenstellenden Sinn lösen könne, eindeutig mit Ja beantworten können; denn wir alle tragen diese privatrechtliche Insolvenzsicherung.
Damit ist auch ein grundsätzlicher Punkt angesprochen, bei dem wir vielleicht umdenken müssen. Es ist jedenfalls für uns Freie Demokraten nicht mehr so, daß man grundsätzlich davon ausgehen muß, daß Ansprüche an öffentliche Träger aus öffentlichen Versicherungen immer sicherer, immer besser oder immer allein der richtige Weg sein müssen. Die gemischten flexiblen Systeme, wie wir sie hier in Partnerschaft und Solidarität haben, sollten vielleicht in Zukunft in manchen anderen Bereichen näher ins Auge gefaßt werden.
Ich darf zum Schluß für die Freien Demokraten noch einmal erklären: Wir sehen in der Verabschiedung dieses Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung einen erfolgreichen Meilen- und Markstein auf dem Wege, die betriebliche Altersversorgung als einen Teil des gegliederten Systems unserer Altersversorgung in ihrer Freizügigkeit, Freiwilligkeit und Eigenständigkeit sozusagen durch eine gesetzliche Hilfsstellung derart zu verankern und die Weichen so zu stellen, daß wir, wie ich hoffe, schon im ersten Bericht, der uns nach dem Entschließungsantrag vorgelegt wird, feststellen können, daß nicht mehr 60 %, sondern 70 % oder vielleicht sogar 80 % bereits in den Genuß einer betrieblichen Altersversorgung gekommen sind, und zwar auf Grund dessen, was wir hier heute verabschieden. Am Ende dessen sollte möglichst ein voll funktionierendes zweites Bein der Altersversorgung unserer Arbeitnehmer stehen, nämlich eben in Gestalt dieser betrieblichen Altersversorgung.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herr Arendt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Heute beschließen Sie über eine der wichtigsten sozialpolitischen Gesetzesvorlagen dieser Legislaturperiode. Die betriebliche Altersversorgung soll als eine wertvolle Ergänzung der Sozialversicherung für die Arbeitnehmer und
Versorgungsempfänger wirkungsvoller und sicherer gestaltet werden.
Betriebliche Altersversorgungseinrichtungen gibt es seit über hundert Jahren; aber jetzt wird erstmalig ein Gesetz verabschiedet, das zugunsten der Arbeitnehmer einen sozialen Rahmen dafür arbeitsrechtlich absteckt. Es soll hierdurch ein Zustand beseitigt werden, der den Wert der betrieblichen Versorgungsversprechungen für die soziale Sicherung der Arbeitnehmer bisher stark beeinträchtigt hat.
Ich nehme diese Gelegenheit zum Anlaß, denjenigen Arbeitgebern meinen Dank auszusprechen, die schon bisher — auch ohne gesetzliche Verpflichtung — betriebliche Versorgungswerke geschaffen haben, die den sozialen Anforderungen entsprochen haben. Sie mögen dieses Gesetz als Bestätigung ihrer sozialen Weitsicht betrachten.
Meine Damen und Herren, die betriebliche Altersversorgung ergänzt die Grundsicherung, die dem Arbeitnehmer durch die staatliche Sozialversicherung gewährleistet ist. Der Arbeitnehmer darf erwarten, daß ihm diese zusätzliche soziale Sicherung — zumindest nach einer mehrjährigen Tätigkeit im Betrieb — nicht mehr entzogen wird, wenn er aus dem Betrieb ausscheidet, der Betrieb zahlungsunfähig wird oder die Anrechnung einer dynamischen gesetzlichen Rente zu einer Auszehrung der Betriebsrente führen würde. Alle diese möglichen Folgen sollen durch den vorliegenden Gesetzentwurf unterbunden werden.
Es soll gesichert werden, daß der Arbeitnehmer seine betriebliche Altersversorgung rechtzeitig, das heißt dann erhält, wenn er auch ein Altersruhegeld der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch nimmt und sich, aus welchen Gründen auch immer, aus dem Arbeitsprozeß zurückzieht. Diese Ziele werden auf folgende Weise verwirklicht:
1. Die betrieblichen Versorgungsanwartschaften werden unter bestimmten Voraussetzungen unverfallbar. Diese Regelung stärkt das Vertrauen der Arbeitnehmer in den Bestand ihrer betrieblichen Altersversorgung. Die betriebliche Altersversorgung wird künftig keine „goldene Fessel" mehr sein, die den Arbeitnehmer davon abhält, einen angestrebten Betriebswechsel vorzunehmen. Daher wird die Mobilität der Arbeitnehmer gefördert, der insbesondere in Zeiten starker Strukturveränderungen in unserer Wirtschaft eine große Bedeutung zukommt.
2. Die betriebliche Altersversorgung wird vor einer Auszehrung durch Anrechnungsbestimmungen geschützt. War es bisher noch möglich, die betrieblichen Versorgungsrenten dadurch zu kürzen, daß die durch die Anpassungsgesetze steigenden Renten der gesetzlichen Rentenversicherung angerechnet wurden, so wird dies künftig unterbleiben. Damit wird der Zweck der Rentenanpassung gewahrt, die Renten zu erhöhen und nicht den Arbeitgeber bei seinem Aufwand zur betrieblichen Altersversorgung zu entlasten.
3. Der Leistungsbeginn der betrieblichen Altersversorgung soll an die Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung angeglichen werden. Die
Bundesminister Arendt
Einführung der flexiblen Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung durch die Rentenreform des Jahres 1972 macht eine derartige Angleichung erforderlich. Die Arbeitnehmer sollen an der Inanspruchnahme des vorzeitigen Altersruhegeldes nicht dadurch gehindert werden, daß sie ihre Betriebsrenten erst zu einem späteren Zeitpunkt beziehen können. Insoweit ist dies eine Abrundung der Rentenreform des Jahres 1972.
4. Die betriebliche Altersversorgung soll auch dann gesichert sein, wenn der Arbeitgeber wegen Zahlungsunfähigkeit nicht mehr in der Lage ist, die Betriebsrenten auszuzahlen. Die Arbeitnehmer werden in diesen Fällen für ihre unverfallbaren Anwartschaften und ihre laufenden Versorgungsleistungen den Träger der Insolvenzsicherung in Anspruch nehmen können. Der von der Wirtschaft gegründete Pensions-Sicherungs-Verein wird diese Aufgabe übernehmen. Die Gründung dieses Vereins beweist, meine Damen und Herren, daß die Selbstverantwortung der autonomen Gruppen in unserer Gesellschaft sich auch in schwierigen Situationen bewährt. Die Vereinsgründung auf privatrechtlicher Grundlage zeigt zugleich, daß der Staat sich zurückhalten kann, wo durch eigene Initiative geeignete Instrumente zur Verfügung gestellt werden.
5. Der Gesetzentwurf enthält schließlich auch eine Aussage zur Anpassung der betrieblichen Versorgungsleistungen.
In regelmäßigen Zeitabständen von drei Jahren soll der Arbeitgeber prüfen, ob die laufenden Versorgungsleistungen angepaßt werden können. Auf diese Weise sollen Lösungen gefunden werden, die die Interessen sowohl der Versorgungsempfänger als auch der Arbeitgeber berücksichtigen und zu Ergebnissen führen, die den sozialen Belangen und wirtschaftlichen Möglichkeiten Rechnung tragen.
Meine Damen und Herren, diese arbeitsrechtlichen Vorschriften werden durch steuerrechtliche Bestimmungen ergänzt. Mit ihnen werden zwei Ziele verfolgt: Die zusätzlichen Belastungen der Arbeitgeber, die durch die arbeitsrechtlichen Vorschriften dieses Gesetzes entstehen, werden durch Verbesserungen der steuerlichen Behandlung von Versorgungsaufwendungen erleichtert; andererseits werden übermäßige Steuervorteile, die sich im Laufe der Jahre in Teilbereichen der betrieblichen Altersversorgung gebildet haben, auf ein vertretbares Maß zurückgeführt. Dieser Gesetzentwurf zeigt, in wie enger Weise Steuerpolitik und Sozialpolitik verbunden sind und wie über das Steuerrecht soziale Belange wirkungsvoll gefördert werden können.
Alle diese Vorschriften sind in der heutigen Debatte ausführlich dargestellt und beraten worden. Ich möchte zum Schluß in wenigen Strichen eine Gesamtbewertung des Gesetzeswerkes vornehmen. Dazu stelle ich folgendes fest.
Die soziale Komponente der betrieblichen Altersversorgung ist schärfer herausgearbeitet worden. Diese Einrichtung hat immer einen Doppelcharakter gehabt. Sie war ebenso Finanzierungsinstrument des Unternehmens wie Bestandteil der betrieblichen Sozialpolitik. Oft war für Außenstehende, aber auch für viele Firmenangehörige, nicht eindeutig, was die Hauptsache und was der Nebeneffekt war. Das ist jetzt klar. Die betriebliche Altersversorgung ist in erster Linie eine freiwillige Sozialleistung der Betriebe geworden, keine indirekte Subvention an Großbetriebe mit sozialem Etikett. Die Steuerbegünstigung ist lediglich die flankierende Maßnahme.
Ich sage weiter: Die Aufnahme der betrieblichen Altersversorgung ins kodifizierte Arbeitsrecht verstärkt den Lohncharakter der Leistungsansprüche, nicht nur wie bisher gegenüber dem Finanzamt, sondern auch gegenüber dem Arbeitnehmer. Dieses Gesetz ist damit zugleich ein wichtiges Stück Reform des Arbeitsrechts.
Meine Damen und Herren, die Arbeit an diesem Gesetz stand vom ersten Anfang an und Sie haben das im parlamentarischen Verfahren miterlebt - im Zeichen eines Solidaritätskonflikts. Denn je besser und je sozialer man die Regelungen der betrieblichen Altersversorgung festlegt, um so geringer kann die Chance werden, daß diejenigen Arbeitnehmer, deren Betriebe eine solche Einrichtung noch nicht besitzen, auch in den Genuß einer betrieblichen Altersversorgung kommen.
Ich appelliere deshalb eindringlich an alle Beteiligten, in den Tarifverträgen, in den Betriebsvereinbarungen und in den Arbeitsverträgen die betriebliche Altersversorgung stärker als bisher zu berücksichtigen. Wir wissen aus Meinungsumfragen, wie hoch Arbeitnehmer die betriebliche Altersversorgung schätzen. Ich hoffe, nein, ich bin sicher, daß dieses Gesetz zu einer weiteren Aufwertung der betrieblichen Altersversorgung führt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen sie mich mit einem Wort des Dankes schließen. Mein Dank gilt zunächst den autonomen Gruppen, die sich in der Sozialpolitischen Gesprächsrunde, in den Verhandlungen und Vorbereitungen zu diesem Gesetz mit Sachverstand und Engagement für die Weiterentwicklung der betrieblichen Altersversorgung eingesetzt haben. Danken möchte ich ferner auch den beteiligten Ausschüssen — insbesondere dem federführenden Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, aber auch dem Finanzausschuß —, die sich die Arbeit an diesem Gesetz nicht leicht gemacht haben und in vielen Beratungen den Entwurf, beispielsweise um den Komplex der Insolvenzsicherung, angereichert haben.
Die Mitarbeit aller hat sich gelohnt. Das Ziel der realen Reformen mit dem Blick auf das Machbare hat sich auch hier als fruchtbar erwiesen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zur dritten Lesung liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache zur dritten Lesung.
9078 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974
Vizepräsident von Hassel
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Wir kommen dann noch zu den Ausschußanträgen. Sie finden sie auf Seite 19 der Drucksache 7/2843. Ich rufe zunächst den Antrag unter Ziffer II auf, wonach die Bundesregierung ersucht wird, bis zum 31. Dezember 1978 einen Bericht über die Erfahrungen bei der Durchführung des Gesetzes vorzulegen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Dann kommen wir zur Ziffer III, in der beantragt wird, die eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Ich bitte um das Handzeichen, wer zustimmt. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. März 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada über den Luftverkehr
— Drucksache 7/2691 —
Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache 7/2806 —
Berichterstatter: Abgeordneter Freiherr Dr. Spies von Büllesheim
Ich danke den Berichterstattern. Wünschen diese das Wort? — Das ist nicht der Fall.
In der zweiten Lesung wird das Wort nicht begehrt? — Ich schließe die zweite Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung in der zweiten Beratung, die mit der Schlußabstimmung verbunden wird. Ich rufe auf die Art. 1, 2, Einleitung und Überschrift und verbinde die Abstimmung darüber mit der Schlußabstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1975
— Drucksache 7/2784 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß
Gleichzeitig rufe ich Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren
— Drucksache 7/2729 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Gleichzeitig rufe ich Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. Dezember 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit
— Drucksache 7/2783 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Gleichzeitig rufe ich Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes
— Drucksache 7/2852 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Rechtsausschuß
Das sind alles Vorlagen der Bundesregierung in erster Lesung. Ich glaube, ich kann gleichzeitig Punkt 10 der Tagesordnung aufrufen; denn mir ist gesagt worden, daß man sich entgegen ursprünglicher Überlegung verständigt hat, keine Erklärungen und keine Begründungen dazu abzugeben.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes
— Drucksache 7/2793 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Haushaltsausschuß
Außerdem rufe ich den Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes
— Drucksache 7/2884 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Haushaltsausschuß
Sie kennen die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates; sie sind in der Tagesordnung ausgedruckt. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungsvorschlägen einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974 9079
Vizepräsident von Hassel
Ich rufe nunmehr Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Sprung, Höcherl, Dr. Müller-Hermann, Leicht, Schedl, Spilker, Schmidhuber, Franke , Wohlrabe und der Fraktion der CDU/ CSU
betr. Sicherung von Einlagen im Kreditgewerbe
— Drucksache 7/2734 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ich mache im übrigen darauf aufmerksam, daß wir vor der Fragestunde wahrscheinlich auch noch die Punkte 15 und 16 der Tagesordnung erledigen. Ich sage das deshalb, damit sich die entsprechenden Sprecher der Fraktionen bereithalten
Zur Begründung hat das Wort der Abgeordnete Dr. Sprung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ereignisse dieses Jahres im Kreditgewerbe haben mit aller Deutlichkeit gezeigt, daß die Einlagen von Privatpersonen, aber auch von kleinen und mittleren Untternehmen, durch die bestehenden freiwilligen Maßnahmen des Kreditgewerbes nicht in ausreichendem Maße gesichert sind. So ist zum Beispiel die im Herstatt-Fall vom Bankverband praktizierte sogenannte Fallbeil-Lösung —bis zum Betrag von 20 000 DM bekamen die Einleger alles, über 20 000 DM gar nichts — in höchstem Maße fragwürdig. Sie führte zu vielfältigen Ungerechtigkeiten und stieß bei den Betroffenen auf keinerlei Verständnis. Auch das Fehlen eines rechtlichen Anspruchs, der „Wohltätigkeitscharakter"dieserAktion, wurde in der Öffentlichkeit weithin als unbefriedigend empfunden.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang ein Wort zu Herstatt. In diesem traurigen Fall, bei der Entscheidung über die Schließung der Bank und bei den folgenden zahlreichen Lösungsversuchen, hat sich keiner der Beteiligten, weder die Bundesbank, noch das Bundesaufsichtsamt, noch die Großbanken, noch die Großgläubiger, mit Ruhm bekleckert. Geradezu als skandalös aber muß das Verhalten, Finassieren und Taktieren des Aufsichtsratsvorsitzenden und Mehrheitsaktionärs des Instituts, Hans Gerling, bezeichnet werden.
Im Namen der CDU/CSU-Fraktion appelliere ich von dieser Stelle aus noch einmal mit aller Eindringlichkeit an die Vernunft und die Einsicht von Herrn Gerling: Im Interesse von rund 7 000 privaten Gläubigern, die nicht aus dem Feuerwehrfonds des Bankenverbands entschädigt wurden, aber auch im Interesse unseres gesamten wirtschaftlichen Ordnungssystems müssen die noch verbleibenden wenigen Tage genutzt werden, um den Vergleich bei Herstatt doch noch zustande zu bringen. Den gleichen Appell richte ich an die Bundesregierung, wohl wissend, daß ihr keinerlei rechtliche Möglichkeiten gegeben sind. Trotzdem hege ich gewisse Zweifel, ob die Bundesregierung alles in ihrer Macht Stehende unternommen hat, um die Beteiligten, vor allem Herrn Gerling, zu einem Vergleich zu bringen. Ich frage die Bundesregierung, ob sie sich über die verheerenden Folgen nicht nur für die verbleibenden Privatgläubiger im klaren ist, die das drohende Scheitern des Vergleichsverfahrens mit sich bringen muß. Was hat die Bundesregierung im Rahmen ihrer sonstigen Möglichkeiten getan, und was will die Bundesregierung tun, um doch noch zu einer für die Privatgläubiger befriedigenden Lösung des HerstattFalls zu kommen?
— Ich meine, wir sollten das nicht hier, sondern im Anschluß daran noch einmal erörtern, Graf Lambsdorff. — Ich meine, es besteht höchstens öffentliches Interesse daran, daß das Verfahren Herstatt schnell und für alle Beteiligten befriedigend gelöst wird.
Es ist aber nicht nur der Bereich des privaten Bankgewerbes, der mit dem Problem von Spekulationsverlusten und Forderungsausfällen konfrontiert ist. Die Vorkommnisse bei der Westdeutschen Landesbank und insbesondere bei der Hessischen Landesbank, die Gerüchte über die Schwierigkeiten anderer öffentlich-rechtlicher Institute zeigen, daß auch dieser Sektor davon betroffen ist. Natürlich greift hier die Gewährträgerhaftung ein. Aber die Größenordnungen sind so erheblich, daß es zu einer Überforderung der Gewährträger und letztlich zur Haftung des unbeteiligten Steuerzahlers kommt, die nicht mehr zumutbar ist. Auch für diesen Bereich müssen daher wie im Bereich der Genossenschaftsbanken neue Überlegungen angestellt werden.
Erforderlich ist allerdings eine Lösung, so meinen wir, die machbar und praktikabel ist. Die vom Bundesfinanzminister Apel in einer ersten, vorschnellen Reaktion auf den Herstatt-Fall in einem Pressegespräch dargelegten Vorschläge zur Einlagensicherung sind dies nicht. Man muß den Eindruck gewinnen, daß der Bundesfinanzminister nicht ausreichend informiert war; anders kann ich mir die nicht praktikablen, weit überzogenen Ankündigungen, die übrigens bis heute nicht in schriftlicher Form vorliegen, nicht vorstellen. Man scheint dies übrigens — vielleicht hat auch das inzwischen stattgefundene Hearing das Seine dazu beigetragen — mittlerweile auch im Bundesfinanzministerium und bei den Koalitionsfraktionen eingesehen zu haben.
Angesichts dieser Situation hat die CDU/CSU-Fraktion am 6. November ihre Initiative zur Sicherung von Einlagen im Kreditgewerbe eingebracht. Damit liegt erstmals ein konkreter Vorschlag auf dem Tisch, über den wir reden sollten. Im Hinblick auf die Lage im deutschen Kreditgewerbe und in vielen Branchen unserer Wirtschaft sind wir der Meinung, daß rasch und unverzüglich gehandelt werden muß. Wir schlagen deshalb eine Lösung vor, die schnell und unkompliziert zu verwirklichen ist, da sie auf bestehende Einrichtungen der Spitzenverbände des Kreditgewerbes aufbaut. Es soll lediglich ein gesetzlicher Rahmen geschaffen werden — den
9080 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974
Dr. Sprung
halten wir allerdings für notwendig —, innerhalb dessen dem Kreditgewerbe weitgehende Möglichkeiten für eigene Lösungen belassen werden.
Die CDU/CSU-Fraktion lehnt also alle totalen Sicherungsmodelle, die den Kreditinstituten das Risiko nehmen, und alle Lösungen, die indirekt zu einer Verstaatlichung oder zu einer größeren staatlichen Einflußnahme auf die Banken, vor allem die privaten Banken, führen oder führen könnten, ab.
Nun, meine Damen und Herren, ein paar Worte zu den Hauptkriterien unseres Vorschlages.
Erstens. Alle Spar-, Sicht- und Termineinlagen sowie Erlöse aus Sparbriefen von Privatpersonen und von kleinen und mittelständischen Unternehmen sollen abgesichert werden.
Zweitens. Die Sicherung soll dadurch erfolgen, daß in Schwierigkeiten geratene Kreditinstitute entweder vor dem Zusammenbruch aufgefangen werden oder aber im Vergleichs- bzw. Konkursfall für alle Gläubiger die Auszahlung der gesicherten Forderung bis zum Höchstbetrag von 50 000 DM gewährleistet ist. Dies soll für alle Konten, unabhängig von der Kontenhöhe, gelten; also nicht die Fallbeilmethode, sondern eine Basisbetragslösung.
Drittens. Zur Aufbringung der Sicherungsmasse sollen die Spitzenverbände der Kreditinstitute Sicherungsfonds einrichten bzw. bestehende Fonds erweitern, die unverzüglich in der Lage sind, ihre Sicherungsaufgabe zu erfüllen.
Dieser Vorschlag, der unseren auf dem Subsidiaritätsprinzip beruhenden ordnungs- und wirtschaftspolitischen Vorstellungen entspricht, verfolgt vor allem die folgenden Ziele.
Aus sozialen Gründen müssen die privaten Einleger und die kleinen und mittleren Geschäftsbetriebe bindend vor dem Verlust ihrer Spargelder bzw. Geschäftsguthaben geschützt werden. Es geht nicht an, meiner Damen und Herren, daß diese Mitbürger, die in der Regel mit den Verhältnissen im Kreditgewerbe nicht ausreichend vertraut sind und auch nicht vertraut sein können, ständig in Gefahr schweben, ihre sauer verdienten Spargelder von heute auf morgen zu verlieren. Hier muß das Vertrauen, das diese Einleger, Sparer und kleine Gewerbetreibende, in unsere Banken und Sparkassen hatten, auf Grund der Vorkommnisse in den letzten Monaten jedoch zum Teil verloren haben, unbedingt wiederhergestellt werden.
Darüber hinaus geht es aber auch darum, das Vertrauen insbesondere in das private Bankgewerbe wieder zu stärken, damit im Interesse des Wettbewerbs im Kreditgewerbe der Trend zu den Großbanken und den öffentlich-rechtlichen Instituten gestoppt wird. Daran muß sowohl dem Bankkunden als auch dem Wirtschaftspolitiker liegen. Denn nur leistungsfähige private Banken können die wichtige volkswirtschaftliche Funktion, den Wettbewerb in unserer marktwirtschaftlichen Ordnung aufrechtzuerhalten, voll wahrnehmen.
Und ein weiterer Aspekt verdient Achtung. Im Hinblick auf die für 1975 und die Folgejahre unausweichliche starke Inanspruchnahme des Kapitalmarktes durch die öffentliche Hand muß alles vermieden werden, was die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes und damit des Kreditgewerbes in Frage stellt. Weitere Herstatt-Fälle, meine Damen und Herren, müßten verheerende Folgen für die Verfassung des Kapitalmarktes in der Bundesrepublik und damit unmittelbar auch für die öffentlichen Finanzen haben.
Schließlich noch ein Wort zu den öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten. Der Fall der Hessischen Landesbank zeigt, wie sehr im öffentlich-rechtlichen Bereich die Gewährträgerhaftung überstrapaziert werden kann. Niemand wird das bestreiten, wenn man die Beträge betrachtet, um die es im Falle der Hessischen Landesbank geht. Hier scheint ein erster Schutzschirm, eine Art erster Graben, der vor der Gewährträgerhaftung steht, nämlich ein Sicherungsfonds, nicht nur zweckmäßig, sondern auch notwendig zu sein. Warum soll bei eintretenden Verlusten, wenn die Gewährträgerhaftung zum Zuge kommt, der gar nicht am Geschäftsverkehr mit den Instituten beteiligte Steuerzahler zur Kasse gebeten werden, vom Problem der Wettbewerbsverzerrung, die damit zugleich verbunden ist, einmal ganz abgesehen? Dies ist weder unabdingbar noch gerecht.
Im Zusammenhang mit unserem Vorschlag ist nun kritisch bemerkt worden, daß alle nur denkbaren Regelungen die Konzentrationstendenzen im Kreditgewerbe fördern würden, auch wenn es sich nur um eine gesetzliche Rahmenregelung — wie von uns vorgeschlagen — handelt. Hier, meine ich, zeigen die Erfahrungen mit der Einlagensicherung in den USA — bisher wurden dort 20 000 Dollar garantiert; seit kurzem sind es 40 000 Dollar — ein gegenteiliges Ergebnis. Heute ist es in den USA so, daß mehr als zwei Drittel der gesamten Spareinlagen in Höhe von über 600 Milliarden Dollar durch die Einlagensicherung geschützt sind. Dies kann nur bedeuten, daß die Sparer nach und nach dazu übergegangen sind, ihr Guthaben auf verschiedene Kreditinstitute zu verteilen, um einen möglichst umfassenden Schutz zu erhalten.
Ich bin der Meinung, daß auch bei uns eine Einlagensicherung von zum Beispiel 50 000 DM, wie von uns vorgeschlagen, zu einer ähnlichen, dem Wettbewerb im Kreditgewerbe zuträglichen Entwicklung führen würde. Eines sollte jedoch allen Beteiligten klar sein: Tun wir nichts, meine Damen und Herren, lassen wir es so, wie es ist, dann sind heute schon die Tage der letzten unabhängigen Privatbanken gezählt. Der jetzige Zustand führt im deutschen Kreditgewerbe auf jeden Fall zur Konzentration im öffentlich-rechtlichen Sektor und bei den Großbanken; das haben die letzten Monate mit aller Deutlichkeit klargemacht.
Meine Damen und Herren! Der Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion liegt auf dem Tisch. Man wird sicherlich über die Höhe der Einlagensicherung und über die Aufbringung der Mittel für den Fonds, vielleicht auch über die Konstruktion des Fonds — wenn man dies nicht ganz den Spitzenverbänden überlassen will, wie wir es vorschlagen —, diskutieren können oder müssen; für mich steht jedoch außer
Dr. Sprung
Zweifel, daß eine grundsätzlich andere Lösung nicht möglich ist. Sie wäre vor allem nicht rasch und nicht umgehend zu verwirklichen, was aber angesichts der momentanen Situation eine absolute Notwendigkeit wäre.
Auch der Bundesfinanzminister scheint sich nach der wenig freundlichen Aufnahme, die seine voreiligen Vorschläge in der Öffentlichkeit und bei allen Beteiligten gefunden haben, mittlerweile in einem fruchtbaren Umdenkungsprozeß zu befinden. Es wäre jedenfalls nicht überraschend, wenn aus dem Finanzministerium in den nächsten Wochen Vorschläge kämen, die unserem Modell sehr nahe kommen.
Meine Damen und Herren! Wir sind uns wohl alle darüber im klaren, daß gar keine Lösung des Problems am schlechtesten wäre. Auch die Spitzenverbände der Kreditwirtschaft stimmen darin zu, daß die bestehenden Einrichtungen weiter ausgebaut werden müssen. Die von uns vorgeschlagene Lösung ist nicht nur äußerst flexibel, sie baut auch auf bereits vorhandenen Ansätzen auf und beschränkt sich auf ein Minimum an staatlichen Eingriffen. Im Interesse des Schutzes der Einleger, die ihre Spargelder oder kleinen Geschäftsguthaben völlig ohne eigenes Verschulden verlieren können, wäre es zu wünschen — ich appelliere deshalb an Sie links und rechts im Hause —, daß auch die Koalitionsfraktionen einmal über ihren parteipolitischen Schatten springen und an einer raschen und befriedigenden Lösung auf der Basis der CDU/CSU-Initiative mitwirken. Ich meine, hierzu ist durch das Beispiel unserer Initiative zur Hilfe für die Besitzer niedrigverzinslicher Wertpapiere ein lohnender Anfang gesetzt worden. Wir sollten im Interesse der betroffenen Bürger so fortfahren.
Das Wort hat der Abgeordnete Rapp .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sicherung der Sparer und der anderen Einleger gegen die Folgen von Bankzusammenbrüchen ist allemal eines hohen Engagements wert, ganz gleich, ob man in erster Linie an die oft bösen Härten für die Betroffenen oder mehr an die Gefahren für die ganze Volkswirtschaft denkt, die von Bankpleiten ausgehen können. Insofern, Herr Dr. Sprung, Ihre Rede in Ehren, in hohen Ehren!
Etwas anderes ist es allerdings, wenn man den vorliegenden Antrag der Opposition zu würdigen hat. Sie werden, meine Damen und Herren von der Opposition, davon auszugehen haben, daß wir die Sache mit dem Igel und dem Hasen durchschaut und begriffen haben und daß wir nicht willens sind, uns hier auf die Rolle des Fabel-Hasen einzulassen. Anders und sehr freundlich ausgedrückt: Wir freuen uns darüber, daß die Opposition mit der Vorlage dieses Antrags zu erkennen gibt, wie sehr sie all das begrüßt, was die Bundesregierung in der Konsequenz der Bankzusammenbrüche der letzten zwölf
Monate zur Sicherung der Einlagen bereits in die Wege geleitet hat.
Die Aufforderung an die Bundesregierung, tätig zu werden, ist entweder ein Irrtum aus Unkenntnis darüber, was die Bundesregierung bereits in Gang gesetzt hat, oder sie ist eben jener falsche Zungenschlag, der mich an die Fabel vom Igel und dem Hasen erinnerte.
Lassen Sie mich zunächst das Problem der solidarischen Einlagensicherung, das hier ansteht, durch zwei Vorbemerkungen eingrenzen und damit relativieren. Einerseits hat es natürlich all die Jahre und Jahnzehnte im Kreditwesen Verluste gegeben, Verluste in Milliardenhöhe, die nur deshalb nicht auf die Einleger durchgeschlagen haben, weil sie intern, in Gestalt entgangener Gewinn- und Vermögenszuwächse, oder aber auch zum Teil extern, nämlich über Steuerausfälle, geräuschlos ausgeräumt worden sind. Andererseits wird eine solidarische überbetriebliche Einlagensicherung stets nur Verluste auffagen können, wie sie sozusagen normalerweise ins Kalkül zu ziehen sind.
In diesem so abgesteckten Rahmen ist freilich die Feststellung zu treffen, daß die teilweise spektakulären Einlagenverluste der letzten zwölf Monate — Herr Dr. Sprung hat mit der wünschenswerten Deutlichkeit zum Herstatt-Skandal das Nötige gesagt — bei rechtzeitiger Vorsorge durch den Bankenapparat selbst im Wege der Selbsthilfe hätten ausgeräumt und bereinigt werden können. In dieser Feststellung steckt durchaus Kritik und steckt ein Vorwurf. Für die Kreditwirtschaft gilt ja noch weit mehr als für jeden anderen Wirtschaftszweig, daß sie mit dem Vertrauen steht und fällt, das sie genießt. Jeder andere Wirtschaftszweig, die Wirtschaft im ganzen, hängt in einer so prekären Weise von der Funktionstüchtigkeit und auch der Strapazierbarkeit des Bankenapparates ab, daß — ich wage diesen Rückschluß — die Sicherheit der Spar- und sonstigen Einlagen bei den Banken ein Politikum von hohem Rang ist. Und nun ist sie zumindest nach dem Herstatt-Skandal auch zur politischen Aufgabe für Parlament und Regierung geworden, obwohl gerade das Kreditgewerbe in der ordnungspolitischen Debatte stets für möglichst wenig Staat und für möglichst viel Selbsthilfe plädiert hat. Nun ist sie gleichwohl zur politischen Aufgabe geworden, weil auf dem in Rede stehenden Gebiet zwischen diesem Anspruch und seiner Realisierung eine tiefe Lücke geklafft hat.
Damit soll keineswegs verkannt werden, welche Schwierigkeiten die Realisierung eines jeden denkbaren Lösungsansatzes bereitet, was gewiß auch mit dem schwierigen Charakter der „Ware Geld" zu tun hat, um die es hier ja geht. Deshalb wäre wohl jede Erwartung überspannt, die da meint, das Problem könne jetzt mit einem Streich seiner endgültigen Lösung zugeführt werden. Der Bankenverband selbst sprach in seinem letzten Geschäftsbericht von „Lernprozessen" und von „schmerzlichen Erfahrungen". Mehr Publizität, transparentere Bilanzen, bessere interne Aufsicht auch bei Perso-
9082 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974
Rapp
nengesellschaften unter den Kreditinstituten wären Maßnahmen, die rasch und in Selbsthilfe verwirklicht werden könnten.
Es kommt hinzu, daß die Einlagensicherung für sich allein und auf sich allein gestellt das Problem gar nicht würde lösen können, um das es hier geht. Sie wird vielmehr selber nur Bestand haben können als Teil eines nach zwei weiteren Richtungen hin ausgebauten Sicherungssystems:
Erstens bedarf die gesetzliche überbetriebliche Einlagensicherung der Flankierung durch eine Novelle zum Kreditwesengesetz, die eine wirksamere Bankenaufsicht zu gewährleisten hat. Würde man dies nicht tun, so könnte die überbetriebliche Einlagensicherung geradezu wie eine Einladung an unseriöse Bankleiter wirken, waghalsige Geschäfte zu machen. Die Einlagen bei den Banken werden letzten Endes nur so sicher sein können, wie sicher die Positionen auf der Aktivseite der Bankbilanzen sind. Es ist bekannt, daß die Bundesregierung intensiv an der Kreditwesengesetznovelle arbeitet. Ich hielte es nicht für angezeigt, wenn die Bundesregierung mit der Vorlage des KWG-Entwurfs so lange warten würde, bis auch der Entwurf des Einlagensicherungsgesetzes steht. Der letztere wird einfach vom Schwierigkeitsgrad her länger dauern müssen. Gleichwohl ist an die Bundesregierung zu appellieren — —
— Jawohl, Herr Dr. Sprung, ein besonderes Gesetz. In Ihrem Antrag ist aber davon die Rede, daß das eingebettet sein soll in die KWG-Novelle. Dieses geht nicht, weil das eine früher zustande kommen kann als das andere. Gleichwohl ist an die Bundesregierung zu appellieren, die Arbeiten zur Einlagensicherung mit größtem Nachdruck zu beschleunigen. Noch im Rahmen des geltenden Kreditwesengesetzes war es möglich, die Devisentermingeschäfte zu normieren. Es waren ja Exzesse auf diesem Gebiet, die zu der Herstatt-Pleite geführt haben.
Zweitens mußte der gesetzlichen Einlagensicherung als einer Sicherung gegen Bonitätsrisiken eine erste Auffangstellung gegen Liquiditätsrisiken vorgeschaltet werden. Dies ist mit der Gründung der Liquiditäts-Konsortialbank GmbH unter maßgeblicher Beteiligung und Mitwirkung der Deutschen Bundesbank bereits geschehen. Hier handelt es sich darum, daß überall dort geholfen werden soll, wo ein an sich gesundes Kreditinstitut in Liquiditätsschwierigkeiten zu geraten droht. Der Antrag der Opposition, der in seinem Punkt 2 a eine derartige Einrichtung gegen Liquiditätsschwierigkeiten fordert, trägt das Datum vom 6. November 1974. Die Liqui-Bank, die hier gefordert wurde, ist bereits am 12. September 1974 geschaffen worden. Dies, meine Damen und Herren, eine Randbemerkung zur Qualifizierung des Antrags der Opposition.
Die Einlagensicherung im engeren Sinn des Wortes ist somit und kann somit nur sein die dritte
Säule eines umfassenden Sicherungssystems neben der Verbesserung des Kreditwesengesetzes und neben der Vorsorge gegen Liquiditätsstörungen.
Was nun die Lösung dieser Aufgabe der Einlagensicherung im engeren Sinn des Wortes so besonders schwierig macht, ist der Umstand, daß einzelne Gruppen des Kreditgewerbes bereits verbandseigene Einrichtungen geschaffen haben, während andere Gruppen abseits stehen und auf die große verbandsübergreifende Lösung warten, die nun wiederum jenen nicht genehm ist, welche in Selbsthilfe schon einiges getan haben. Dem Bundesfinanzminister blieb bei dieser Sachlage — Herr Dr. Sprung, um auch das noch zu qualifizieren, was da passiert ist - gar nichts anderes übrig, als mit seinem Apel-Plan — der Begriff hat sich so bereits kondensiert — einen ganz dicken Stein ins Wasser zu werfen, der Wellen schlug. Ein kleines Steinehen, das nur die Oberfläche gekräuselt hätte, würde die Dinge ebensowenig vorangebracht haben wie etwa die Anstöße in der Wettbewerbsenquête von 1968, deren Gekräusel sich mittlerweile längst verlaufen hat. Der dicke Stein des Ministers Apel hat, wie man hört, immerhin bereits bewirkt, daß der Sparkassenverband seine Sicherungseinrichtungen beschleunigt in Ordnung bringen will. Im Genossenschaftsbereich wurden ja schon vorher erhebliche Anstrengungen gemacht.
Ich würde eine gesetzliche Regelung gut finden, die das Recht zur Annahme von Anlagen davon abhängig macht, daß das betreffende Kreditinstitut in ein solidarisches Sicherungssystem eingebunden ist, das bestimmten, im Gesetz festzulegenden Mindestanforderungen genügt, Mindestanforderungen in bezug auf die rechtliche Gestaltung der Trägerschaft, die Haftung, die Mittelaufbringung und den betragsmäßig oder wie auch immer normierten Mindestschutz für die Einleger, wobei eine Begrenzung auf natürliche Personen, wie die Opposition sie vorschlägt, kaum sinnvoll sein dürfte, freilich hingegen Einlagen von Nichtbanken und solche von Banken durchaus eine unterschiedliche Behandlung erfahren können.
Es ist heute nicht die Zeit und der Ort, auf Einzelheiten einzugehen. Als Merkposten nur einige Stichwörter, die auch die Schwierigkeit der Materie aufscheinen lassen sollen! Das auch außenwirtschaftlich akzentuierte Problem muß gesehen werden, daß wir uns nicht mit einer umfassenden Einlagensicherung Einlagen aus aller Herren Länder auf den Hals ziehen dürfen. Dies muß bei jeder Regelung gesehen werden. Die Abgrenzung von Liquiditäts- und Bonitätsschwierigkeiten — und für beide wird es unterschiedliche Sicherungseinrichtungen und unterschiedliche Haftungsverhältnisse geben — wird nicht einfach sein. Hier sind Manipulationsmöglichkeiten auszuschließen. Ferner: Bei den zu gegebener Zeit im Ausschuß anzustellenden Überlegungen wird man auch die Sammelwertberichtigungen der Banken irgendwie einzubeziehen und neu zu bedenken haben.
Zum Schluß, meine Damen und Herren: Wenn wir der Überweisung des Antrags der Opposition an die Ausschüsse zustimmen, dann deshalb, weil
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Rapp
wir es gut finden, daß die CDU/CSU gut findet, was die Regierung da bereits in Angriff genommen hat.
Ein Wort noch, to whom it may concern: Wer nicht begreifen will, worum es hier geht, würde sich nicht wundern dürfen, wenn wir schon beim nächsten Bankzusammenbruch eine wilde Systemdebatte bekämen. Dies ist keine Drohung, sondern eine schlichte Feststellung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Kinder haben wir gelegentlich Portemonnaies an einem Zwirnsfaden befestigt, das auf den Gehweg gelegt, und wenn sich der angebliche Finder darüber bückte und es aufgreifen wollte, haben wir uns an seiner Überraschung und an seiner Enttäuschung geweidet. Dies mag Kindern zugestanden werden. Wer aber als Alleinaktionär einer pleite gegangenen Bank in dieser Form mit den enttäuschten Sparern und Gläubigern umgeht, verdient allerschärfste Verurteilung. Insofern, Herr Dr. Sprung, schließen wir uns dem an: Das, was der Groß- und Alleinaktionär der Herstatt-Bank in den letzten Wochen an Finassieren und an Täuschungsmanövern praktiziert hat, kann alle diejenigen, die sich für die Aufrechterhaltung unserer Wirtschaftsordnung und der Position des Eigentümers in dieser Wirtschaftsordnung einsetzen, nur zur Verzweiflung bringen.
Herr Kollege Sprung, Sie haben gesagt, die Bundesregierung solle ihre Möglichkeiten nutzen, um diesen Vergleich zustande zu bringen. Wir sollten uns darüber verständigen, welche Möglichkeiten es gibt, ob es überhaupt Möglichkeiten gibt.
Wir sind uns vielleicht auch einig darüber, Herr Sprung, daß es jedenfalls nicht die Möglichkeiten sind, die Ihr Parteifreund Felix aus Köln für Möglichkeiten hält. — Vielen Dank, dann sind wir darüber klar.
Meine Damen und Herren, zum hier vorliegenden Antrag wiederhole ich für die Fraktion der FDP einleitend, was wir schon in der wirtschaftspolitischen Debatte nach der Sommerpause gesagt haben: Das Kreditwesengesetz bedarf einer gründlichen und sorgfältigen Novellierung, die auf der Grundlage einer guten Vorbereitung zu Beginn der nächsten Legislaturperiode in Angriff genommen werden muß. Die inzwischen weitergeführte Diskussion um Höchstkredite, Depositenbegrenzung und ähnliches hat deutlich werden lassen, wie komplex diese Aufgabe ist.
Lassen Sie mich fast mehr zur Erheiterung
hier nur den § 23 des KWG erwähnen. Die dort enthaltenen Regelungen, wie die Zinsfestsetzung bemessen sein sollte, sind so kontrovers, daß sie gar nicht zu erfüllen sind, nämlich 1. Unterstützung der Kreditpolitik, 2. Funktionsfähigkeit des Kreditgewerbes, d. h. ausreichende Zinsspanne, 3. Kreditversorgung des Mittelstandes und 4. Förderung der Spartätigkeit. Dies, meine Damen und Herren, ist die Quadratur des Zirkels oder — besser gesagt — die Vermischung von Gewerbeaufsicht und Geldpolitik im KWG, die das Gesetz teilweise so widersprüchlich macht.
Oder ein anderer Punkt: Warum ist eigentlich die Kreditanstalt für Wiederaufbau kein Kreditinstitut im Sinne dieses Gesetzes? Da gibt es noch viele ähnliche Fragen.
Eindeutig hat die FDP seit den sichtbaren Folgen der Herstatt-Pleite die schnelle Verbesserung der aufsichtsrechtlichen Möglichkeiten im KWG gefordert. Bessere Prüfungsvorschriften, Sonderprüfer, Zwischenberichte der Prüfer an das Aufsichtsamt sind hier nur einige Stichworte. Wir bitten den Bundesfinanzminister erneut, diese Dinge vorzuziehen und sie nicht durch das Thema Höchstkredite etc. zu beschweren. Hier tut schnelle Abhilfe not.
Schnell muß auch die in dem heute behandelten Antrag angesprochene Frage gelöst werden: Einlagensicherung. Für uns beginnt das aber mit der Frage, ob es hier notwendig einer gesetzlichen Regelung bedarf oder ob eine freiwillige Vereinbarung der Verbände des Kreditgewerbes vorzuziehen ist. Wir sind der letzteren Ansicht. Die freiwillige Regelung ist flexibler, entspricht unserem wirtschaftlichen Ordnungssystem und kann schneller kommen. Sie muß auch schnell kommen, weil hier ein unabweisbares Bedürfnis des Publikums vorliegt. Deshalb betrachten wir den vorliegenden Antrag der Opposition als eine nützliche Mahnung an die Betroffenen und erklären ausdrücklich: Kommt keine freiwillige Lösung in den nächsten Monaten zustande, so werden wir gesetzlichen Maßnahmen zustimmen.
Wie aber soll eine Einlagensicherung aussehen? Sind alle Einleger zu schützen, in jeder Höhe? Soll es eine Solidarhaftung zwischen den verschiedenen Gruppen des Kreditgewerbes geben? Wie steht es mit der Wettbewerbsgleichheit? Verändern allzu rigorose Belastungen unsere strukturelle Landschaft im Kreditwesen?
Zunächst einmal: Von den drei großen Gruppen — Genossenschaften, Sparkassen und private Banken - haben die Genossenschaften wohl das wirkungsvollste Einlagensicherungssystem entwickelt. Die Gewährsträgerhaftung der Sparkassen — und insofern, Herr Dr. Sprung, sind wir weitgehend einig — erscheint mir hier nicht voll vergleichbar, weil der unmittelbare Rückgriff auf öffentliches Vermögen dem Einsatz eigener Mittel nicht gleichwertig gegenübergestellt werden kann. Wir begrüßen die Absicht der Sparkassenorganisation, diese Lücke zu schließen, soweit es nicht schon — allerdings noch in geringem Umfang — geschehen ist. Die größere Lücke besteht sicher bei den privaten Banken. Das ergibt sich zunächst aus ihrer Stellung im Markt- und im Wirtschaftssystem. Selbsthilfeeinrichtungen, bisher ausreichend, haben sich jetzt als unzulänglich erwiesen. Welche Mindestanforderungen müssen an sie gestellt werden?
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Dr. Graf Lambsdorff
Die FDP glaubt nicht, daß es richtig wäre, alle Einleger in voller Höhe unbedingt zu schützen. Dies könnte — müßte wahrscheinlich — zu einem Wettbewerb über unseriöse Einlegerkonditionen führen, und dann wären wir schnell bei dem Ruf nach einer neuen Zinsverordnung, nach einer Begrenzung der Höchstzinsen. Hinweise dieser Art im letzten Jahresbericht des Bundesverbandes Deutscher Banken verursachen bei uns Unbehagen. Wir wollen nicht, daß die liberalisierte Zinspolitik aufgegeben wird. Von ihrer Abschaffung wird nur der kleine und mittlere Einleger benachteiligt. Der Großkunde handelt auch bei einer Zinsverordnung Sonderkonditionen für sich aus. Das habe ich selber lange genug erlebt.
Man könnte unseres Erachtens daran denken, Einlagen bis zu 50 000 DM voll, von 50 000 bis 100 000 DM mit 70 % und von 100 000 bis 200 000 DM mit 50 % zu schützen — dies nur als Beispiel, die Zahlen sollen in keiner Weise verbindlich sein —, also eine Staffelung vorzusehen. Dabei hätten wir keine Bedenken, den Personenkreis einzugrenzen. Banken dürfen sicherlich nicht unter den Einlagenschutz fallen. Auch juristische Personen, Körperschaften des öffentlichen Rechts, die nicht gemeinnützig sind, und Personenhandelsgesellschaften könnte man ausnehmen. Allerdings sollten Spareinlagen natürlicher Personen möglichst in voller Höhe geschützt sein. Denn damit wäre auch der alte Streit über Wettbewerbsfähigkeit und Mündelsicherheit erledigt.
Sicher wird es nötig sein, die Mitgliedschaft zu einem Prüfungsverband zur Voraussetzung der Begünstigung aus der Einlagensicherung zu machen. Diese Mitgliedschaft dürfte dann im Markt zu einer Art Gütesiegel werden, ohne das ein Bankunternehmen kaum an Einlagen käme. Daß ein paar Außenseiter übrigbleiben, stört nicht. Solche Insolvenzfälle, wenn es zu ihnen kommt, sind auch bisher schon, weil ihr Volumen gering war, geräuschlos vom Gesamtgewerbe geregelt worden. Übrigens könnte man daran denken, den § 31 des Kreditwesengesetzes dahin zu ergänzen, daß die Erlaubnis zum Betreiben eines Bankgeschäftes u. a. von der Mitgliedschaft in einem Prüfungsverband abhängig gemacht wird.
Eines aber ist wichtig: ein freiwilliges, gruppenspezifisches Sicherungssystem ist nur akzeptabel, wenn sich auch alle großen Zentralinstitute, z. B. die Girozentralen, einem Verfahren anschließen, das gleiche Belastungen — hier spielt der Wettbewerbsgesichtspunkt eine Rolle — für alle bringt.
Wie ist ein solches System zu finanzieren? Schnell ' denkt man heutzutage an Umlagen, an die neuerdings beliebten Fonds. Aber es darf nicht übersehen werden, daß hier beträchtliche Kosten entstehen, die letztlich der Endverbraucher, der Kreditnehmer, zahlt. Mir erscheint der Gedanke einer Akzeptbank für das gesamte Kreditgewerbe, deren Akzeptfähigkeit von den am Prüfungsverband beteiligten Kreditinstituten nach der Höhe ihrer Quoten garantiert wird, attraktiv. Hier bedürfte es dann der liquiditätsmäßigen Hilfe der Deutschen Bundesbank, die für die Wechsel der Akzeptbank ein längerfristig laufendes Rediskontkontingent zur Verfügung stellen müßte. Dies erscheint uns vertretbar und zumutbar.
Dies ist geldpolitisch nicht oder kaum bedenklich. Wir übersehen dabei nicht, daß § 19 des Bundesbankgesetzes mit dem Verbot vorversprochener Prolongationen großzügig ausgelegt werden müßte. Bei der seinerzeitigen Rediskontregelung für den Mittelstand ist dies aber schon einmal geschehen. Die so von der Akzeptbank bzw. von denjenigen, die sie garantieren, übernommenen Verluste müssen natürlich steuerlich ebenso berücksichtigt werden wie die Leistungen an einen durch Umlagen zu speisenden Fonds.
Gegen eine solche Lösung könnte eingewandt werden, daß die zahlungspflichtigen Garantieinstitute gerade dann zur Kasse treten müssen, wenn auch ihre eigene Wirtschaftslage nicht rosig ist. Wenn dieser Einwand beachtlich ist, so wäre eine Kombination von Fonds und garantierter Akzeptbank denkbar. Die Zuführung an einen solchen Fonds könnte nach einem Promillesatz der Verbindlichkeiten gegenüber Nichtbanken berechnet werden. Sollte er nicht ausreichen, so schiene mir eine Nachschußpflicht in Höhe eines bestimmten Teils der Sammelwertberichtigungen denkbar.
Meine Damen und Herren, es gibt natürlich noch andere Vorschläge, etwa die Bildung eines Fonds durch mittelbare Teilverzinsung der Mindestreserven. Dabei würde ein Teil der Mindestreserven in Bundestiteln angelegt werden, die Zinseinnahmen sollen den Fonds finanzieren. Wir teilen die Bedenken der Bundesbank, daß die auch nur teilweise Verzinsung der Mindestreserven dieses nahezu letzte voll wirksame Mittel der Geldpolitik weniger effektiv machen würde. Der Zugriff auf die Mindestreserven soll ja auch eine Erhöhung der Zinsen bewirken. Dem könnten sich die Kreditinstitute sehr viel länger entziehen, wenn ihre Mindestreserveguthaben verzinst würden.
Ein Problem, meine Damen und Herren, steht am Schluß jeder Einlagensicherung: Soll und kann es das sogenannte Überlaufsystem, den horizontalen Ausgleich zwischen den Verbänden des Kreditgewerbes, geben? Sollen die Verbände auch untereinander für Konkursfolgen eintreten, wenn das Ausmaß des Schadens so groß ist, daß der unmittelbar betroffene Verband es aus eigener Leistungskraft nicht schaffen kann? Meine Fraktion hält das für nötig.
Wir glauben allerdings, daß uns eine Wohlwollenserklärung der Verbände genügen sollte. Mehr wäre wahrscheinlich im gegenwärtigen Zeitpunkt zuviel verlangt, vor allem, wenn man an Genossenschaften und Gewährsträger denkt.
Herstatt und andere Fälle, meine Damen und Herren, haben aber die Erkenntnis verstärkt, daß das Kreditwesen übergeordnete Gemeinsamkeiten verbindet, auch wenn verbandliche Vielfalt, die wir ausdrücklich bejahen, trennt. Diese Einsicht wird im Ernstfall zu Überlaufhilfen führen.
Lassen Sie mich bitte zwei Schlußbemerkungen machen. Erstens. Einlagensicherung muß kommen; wenn nicht freiwillig — was wir hoffen —, dann gesetzlich. Zweitens. Auch ein Gesetz kann den Kon-
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Dr. Graf Lambsdorff
kurs im Kreditgewerbe nicht abschaffen. Es kann ihn als reale Möglichkeit in die weite Ferne rücken; das wollen wir. Aber der Konkurs gehört zum Wettbewerb. Wer den Konkurs abschaffen will, will die Marktwirtschaft abschaffen. Wir wollen das nicht.
Für meine Fraktion stimme ich der beantragten Überweisung an die Ausschüsse zu.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen, Herr Porzner.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Die Einlagensicherung wird kommen. Deswegen begrüßt die Bundesregierung jeden Beitrag, der dabei hilft, den Sparer zu schützen. Ich möchte aber, Herr Dr. Sprung, den unterschwelligen Vorwurf, daß der Schwund an Vertrauen in unser Bankensystem durch die Bundesregierung herbeigeführt worden sein könnte, in aller Schärfe zurückweisen.
Hier hat es sich um ein falsches Management, um eine falsche Geschäftspolitik einer Privatbank und nicht um Kreditpolitik oder Geldpolitik der Bundesregierung gehandelt.
Ich habe Ihren Ausführungen leider entnehmen müssen, daß Sie privatwirtschaftliche Verantwortung einerseits und die Verantwortung des Gesetzgebers und der Regierung andererseits miteinander vermischen.
Die Bundesregierung hat hinsichtlich der Einlagensicherung ein Konzept mit folgenden wesentlichen Merkmalen entwickelt: Kreditinstitute dürfen Einlagen von Nichtbanken nur entgegennehmen, wenn sie einer Sicherungseinrichtung angeschlossen sind. Die Einleger erhalten einen Rechtsanspruch auf Befriedigung ihrer Einlagen, soweit sie abgesichert sind; darüber muß man dann reden. Geschützt werden alle Einlagen von Nichtbanken innerhalb einer noch festzulegenden Grenze. Es wird Vorsorge getroffen werden müssen, daß die Einleger in möglichst kurzer Zeit befriedigt werden.
Die Bundesregierung ist daran interessiert, daß die notwendigen Entscheidungen möglichst schnell getroffen werden können. Sie wird deswegen auch ihre Vorbereitungen beschleunigen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Es ist vom Ältestenrat vorgeschlagen worden, den Antrag an den Finanzausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Wirtschaft — mitberatend — zu überweisen. — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, FDP betr. Griechenland
— Drucksache 7/2794 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß Haushaltsausschuß
Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Mattick.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat am 14. Februar 1968 einen Antrag beschlossen, in dem er die Bundesregierung ersucht, unter drei Punkten Prüfungen in bezug auf das Verhältnis zu Griechenland vorzunehmen, und zwar dahin gehend, ob der Art. 8 der Satzung des Europarates vom 5. Mai 1949 angewendet werden soll. Ich würde diesen Bezug gern noch einmal deutlich machen, weil es darüber damals keine Einigkeit gegeben hat. Art. 8 verlangt:
Jedem Mitglied des Europarates, das sich einer schweren Verletzung der Bestimmung des Artikels 3 schuldig macht, kann sein Recht auf Vertretung vorläufig entzogen werden.
Aber der Art. 3 sagt:
Jedes Mitglied des Europarates erkennt den Grundsatz der Vorherrschaft des Rechts und den Grundsatz an, daß jeder, der seiner Hoheitsgewalt unterliegt, der Menschenrechte und Grundfreiheiten teilhaftig werden soll.
Es steht außer Zweifel, daß zu der Zeit, als der Bundestag den Beschluß gefaßt hat und sieben weitere lange Jahre lang, gegen Art. 3 in Griechenland verstoßen worden ist. Wir sind jetzt in der glücklichen Lage, festzustellen, daß in Griechenland eine Änderung eingetreten ist und eine demokratisch gewählte Regierung mit sehr viel Mühen und Schwierigkeiten versucht, aus dem Chaos, das die Juntaherrschaft hinterlassen hat, herauszukommen.
Daher meinen wir, daß es notwendig ist, den Antrag, dem wir am 14. Februar 1968 gefolgt sind, durch einen neuen Beschluß ausdrücklich aufzuheben und die Bundesregierung zu ersuchen, alle Wege einzuleiten — so will ich das hier einmal sagen —, um Griechenland zu helfen und auch unsere Verbündeten und Freunde dazu zu veranlassen, dies gemeinsam mit uns zu tun.
Inzwischen haben sich in den letzten Wochen die Nord-Atlantische Parlamentarierkonferenz, der Europarat und die WEU mit Griechenland auseinandergesetzt. An allen Zusammenkünften waren Vertreter der Griechen beteiligt, die als Gäste eingeladen worden sind. Sie haben ihre eigene Stellungnahme abgegeben.
Ich kann zu meiner Freude feststellen, daß es eine volle Übereinstimmung darüber gibt, Griechenland mit allen Möglichkeiten gemeinsam zu unterstützen und die Türen zu öffnen, die in der Zwischenzeit verschlossen waren. Insofern ist der Antrag in seinen Punkten 1 und 2 praktisch schon auf dem Wege, obwohl wir hierzu noch nicht Stellung genommen haben.
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Mattick
Ich denke aber, daß es richtig ist, daß sich der Auswärtige Ausschuß, dem der Antrag hauptsächlich überwiesen wird, mit der Griechenlandfrage im allgemeinen beschäftigt und dem Hause eine Stellungnahme vorlegt, aus der unsere befreundeten Mächte und die Griechen selbst erkennen, zu welcher Auffassung wir nach dieser Entwicklung kommen.
Wir schließen uns der Empfehlung des Ältestenrates auf Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß an. Ich weiß nicht, wieso auch noch der Haushaltsausschuß beteiligt werden soll; aber ich habe nichts dagegen, wenn er sich damit beschäftigt. Ich sehe, daß keine besonderen Kosten auf uns zukommen, die der Haushaltsausschuß zu bewilligen hat.
Ich bitte, den Antrag dem Auswärtigen Ausschuß zur Beratung zu überweisen. Ich bitte ferner darum, daß wir uns dort beeilen, diesen Antrag zu verabschieden, damit wir hier eine Stellungnahme für Griechenland abgeben können.
Das Wort hat der Abgeordnete Opitz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Antrag der Koalitionsfraktionen betreffend Griechenland darf ich im Namen der FDP-Fraktion folgende Erklärung abgeben.
Die FDP-Fraktion begrüßt es nachdrücklich, daß der Deutsche Bundestag nun auch formell durch den Antrag der Koalitionsfraktionen einen Schlußstrich unter das getrübte Verhältnis Griechenlands zur Europäischen Gemeinschaft während der Herrschaft der Obristen in Griechenland zieht.
Zwei Punkte unseres Entschließungsantrags — Herr Mattick sagte es bereits — können mittlerweile schon als erfüllt angesehen werden, und für die Bemühungen in dieser Richtung möchte ich der Bundesregierung, insbesondere dem Herrn Bundesaußenminister, danken. Der eine Punkt ist die erfolgte Wiederaufnahme Griechenlands in den Europarat, welche die Rückkehr Griechenlands in die demokratische Völkergemeinschaft am augenfälligsten dokumentiert; der zweite Punkt ist die Bereitschaft der EG, das bestehende Assoziationsabkommen von 1962 zu beleben, insbesondere auch die Einwilligung in Verhandlungen über ein zweites Finanzprotokoll.
Die Bundesregierung hat mit dem Abschluß des Kapitalhilfeabkommens vom November 1974 bewiesen, daß sie nicht nur im Rahmen der EG, sondern auch direkt das ihr Mögliche tun will, um Griechenland möglichst eng an die Gemeinschaft Westeuropas heranzuführen. Wir wissen, daß die Herstellung der Bedingungen, die für eine künftig angestrebte EG-Mitgliedschaft Griechenlands nötig sind, Zeit braucht; dies insbesondere auch deshalb, weil eine Reihe von Problemen schon in der Phase der sich verstärkenden Assoziation auftauchen. Diese gilt es zu lösen, bevor man im Assoziationsabkommen das angestrebte Endziel avisiert. Ich glaube, daß dieseWorte von unseren griechischen Freunden nicht als Absage unsererseits an Griechenland mißverstanden werden können, im Gegenteil, nur durch
offenes Ansprechen der Probleme kann meiner Meinung nach einer möglichen Enttäuschung und Mißverständnissen begegnet werden.
Ich möchte für meine Fraktion nachdrücklich die abgewogenen Bedingungen der Bundesregierung begrüßen, die einerseits die demokratische Entwicklung Griechenlands unterstützen und andererseits damit gleichzeitig — das hoffe ich — die notwendige Stärkung des NATO-Bündnisses bewirken. Wir stimmen dem Überweisungsvorschlag zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Marx.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktionen der SPD und der FDP gibt mit Gelegenheit, in aller Kürze einige Bemerkungen zur Situation Griechenlands und zu den Wünschen, Griechenland noch enger an Europa heranzuführen, zu machen.
In seiner letzten Rede vor der Parlamentswahl vom 17. November hat Konstantin Karamanlis den Griechen zugerufen — ich zitiere — „Die Demokratie muß nicht nur wiederhergestellt werden, sondern ihre Grundlagen müssen auf Dauer gefestigt werden." Ich glaube, daß wir alle dem griechischen Volk zu der Entscheidung der letzten Wahl gratulieren sollen und können, dazu, daß Ende Juli Karamanlis aus dem Exil, Mavros und andere aus der Verbannung zurückgekehrt sind und miteinander die Vorbereitungen legten, um eine solche freie, allgemeine und geheime Wahl wieder möglich zu machen. Dies war die erste Wahl nach zehn Jahren. Es war die erste freie Wahl nach 71/2 Jahren der Diktatur, und wir nehmen diesen Satz, den ich eben zitierte, von Karamanlis auch deshalb ernst, weil er auch den anderen europäischen Völkern und Staaten eine hohe Verpflichtung auferlegt, nämlich dafür zu sorgen, daß die Griechen, die dem Europarat nicht mehr angehörten und deren Verhältnis zur Kommission und zum ganzen europäischen wirtschaftlichen Gemeinschaftsbereich eingefroren war, nahe an Europa heranzukommen, wonach sie immer wieder seit Ende Juli den dringenden Wunsch geäußert haben.
Ich denke an die Reise, die der damalige Außenminister Mavros nach Paris, nach Bonn und nach Brüssel unternahm, und an seine Wünsche, die er hier jedem sagte, an die Bitten, an die Aufforderungen, Griechenland, dessen innere wirtschaftliche Lage ja schwieriger geworden ist, dessen Inflationsrate hoch ist, zu helfen, und ich denke, daß dies eine Aufgabe ist, der wir uns stellen sollten.
Ich freue mich darüber, daß man beim Europarat nach der Rede des damaligen und jetzigen Verteidigungsministers Averoff — ich glaube, am 27. September dieses Jahres - durch Akklamation, wie damals Herr Hofer sagte, die Griechen wieder aufgenommen hat und daß die formellen Voraussetzungen, die natürlich in einer freien, allgemeinen und geheimen Wahl bestehen, jetzt erfüllt sind,
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Dr. Marx
Griechenland auch wieder zum vollgültigen Mitglied des Europarates zu machen.
Ich denke auch daran, daß es wohl — Herr Kollege Opitz und Herr Kollege Mattick haben eben schon darauf hingewiesen — natürlich nicht ganz einfach sein wird, dem oft gehörten Wunsch, daß Griechenland ein volles Mitglied der EWG werden soll, nahezutreten. Wenn ich die letzten Verhandlungen, die Papaliguras für die Griechen jetzt in Brüssel geführt hat, recht verstanden habe, so ist — so schreiben auch eine Reihe von Zeitungen — dann, wenn es ums Geld geht, manches sehr freundliche Wort der Ermunterung und der Zustimmung ein wenig leiser geworden. Das liegt aber nicht nur an den Geldfragen, sondern es liegt einfach auch an der Tatsache, daß die Griechen heute nicht mehr mit einem Europa der Sechs, sondern mit einem Europa der Neun verhandeln und daß es dadurch natürlich einige zusätzliche Schwierigkeiten gibt, die wir etwa bei der Frage der Agrarprodukte und ihres Hereinnehmens in das andere Europa alle gesehen und erlebt haben.
Ich will das im enizelnen gar nicht vertiefen, sondern nur sagen: Unser Eindruck ist, daß sich beide Seiten, die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft und die Griechen, darüber klar sind, daß es einer stufenweisen Zuordnung zu Europa bedarf.
Es gab im belgischen Fernsehen ein kurzes Interview mit Papaligouras, in dem er davon sprach, man werde in Kürze einen verantwortlichen Zeitplan vorlegen, so daß ich glaube, wir sind auf dem richtigen Wege. Wir wollen den Griechen ausdrücklich eben nicht nur durch Worte, sondern auch durch konkretes politisches Handeln helfen, diesen Weg zu gehen, den sie selbst so sehr zu gehen wünschen.
Meine Damen und Herren, darf ich noch eine Bemerkung hinzufügen. Es gibt natürlich Fragestellungen, die sich im Zusammenhang mit dem Austritt der Griechen aus der militärischen Organisation der NATO ergeben. Ich will die Begründungen, die dafür gegeben worden sind, hier weder noch einmal nennen noch diskutieren, sondern ich möchte sagen — ich denke, alle Teile des Hauses sind der gleichen Meinung —: Wir haben sehr viel Vertrauen darin, daß die verantwortlichen Kräfte in Regierung und Opposition in Athen Fragen ihrer eigenen Sicherheit und Fragen der Organisation ihrer eigenen Verteidigung recht bedenken und sich dann entsprechend entscheiden.
Eine Bemerkung kann man vielleicht noch anfügen, nämlich daß die Westeuropäische Union als ein Instrument angesehen werden könnte, das es
Griechenland ermöglicht, nicht nur politisch und ökonomisch, sondern auch auf dem Wege der gemeinsamen Verteidigungsorganisation ein Stück näher an Europa heranzukommen, zu dem es auf Grund seiner Geschichte, auf Grund seiner Ideale, die uns bis zum heutigen Tage prägen, gehört.
Daher, meine Damen und Herren, möchte ich auch unter den Einschränkungen, die die Zeit mit sich bringt, weil sich ein Teil der Anträge sozusagen erledigt hat, nicht nur verbal dem Inhalt der Darlegungen meiner Fraktion zustimmen, sondern am Ende noch einmal unseren politischen Willen ausdrücken, daß wir Griechenland als ein vollgültiges Mitglied im politischen Europa und, wenn die Bedingungen bei uns, in den anderen europäischen Ländern und in Griechenland selbst herangereift sind, auch als Vollmitglied in der EWG sehen möchten.
Weitere Wortmeldungen zu Punkt 15 liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Ich schlage Ihnen vor, die Vorlage dem Auswärtigen Ausschuß — federführend — und dem Haushaltsausschuß — mitberatend — zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, da die Debatte über den Bericht des Wehrbeauftragten möglicherweise doch etwas länger dauert, schlage ich vor, daß wir die Sitzung jetzt unterbrechen und um 13.30 Uhr wieder mit der Fragestunde beginnen.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir treten in die Fragestunde — Drucksache 7/2857 —
ein. Die Dringlichkeitsfrage auf Drucksache 7/2888 vom 4. Dezember wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Herrn Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Schlei zur Verfügung. Die erste Frage 112 wird von Herrn Abgeordneten Hansen gestellt:
Auf welche Weise beabsichtigt die Bundesregierung, auf die Vorwürfe gegen den Bundesnachrichtendienst zu reagieren, er hätte Journalisten als Agenten angeworben, sowie illegale Inlandsaufklärung betrieben und dabei bundesrepublikanische Politiker und Parteien ausgespäht?
Bitte, Frau Kollegin!
9088 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974
Herr Kollege Hansen, nach seiner Dienstanweisung wird der Bundesnachrichtendienst auf innerpolitischem Gebiet nicht tätig. Seine Aufgabe ist die Auslandsaufklärung. Soweit Inlandsaufklärung betrieben wurde, war dies nicht auftragsgemäß. Die Inlandsaufklärung — und darunter fällt auch die von Ihnen angesprochene Sammlung von Material über Politiker und Parteien — hat die Bundesregierung bereits im Jahre 1969 nach Übernahme der Regierungsverantwortung durch die sozialliberale Koalition durch eine entsprechende Anweisung des damaligen Chefs des Bundeskanzleramts Professor Dr. Ehmke ausdrücklich untersagt. Sie findet nicht mehr statt. Derartige Vorgänge betreffen also ausschließlich die Vergangenheit.
Sie wissen, Herr Kollege, daß diese Frage auch Gegenstand des 2. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages ist. Die Bundesregierung hat entsprechend dem Beweisbeschluß des Ausschusses Material dazu vorgelegt.
Um es noch einmal anders auszudrücken: Die Bundesregierung ist den in den letzten Monaten erhobenen Vorwürfen gegen den Bundesnachrichtendienst zuvorgekommen. Sie hält nach wie vor eine Verbindung des Nachrichtendienstes zu Journalisten zum Zwecke der Inlandsaufklärung für nicht zulässig.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, dem Bundestag einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Tätigkeit des BND endlich auf eine gesetzliche Grundlage stellt und der die Inlandsaufklärung und damit die Anwerbung von V-Leuten in der Bundesrepublik strikt untersagt und wirksame Kontrollmöglichkeiten schafft, wie sie z. B. im Hirsch-Bericht sowie im Bericht der Kommission „Vorbeugender Geheimschutz" vorgeschlagen worden sind?
Die Bundesregierung wird keinen Gesetzentwurf vorlegen. Sie wird aber die ihr vorliegenden Erkenntnisse aus dem von Ihnen zitierten Bericht benutzen, um weitgehende organisatorische Notwendigkeiten durchzusetzen, Herr Kollege Hansen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Hält die Bundesregierung die Agententätigkeit von Journalisten für einen geheimen Dienst grundsätzlich für vereinbar mit den aus Art. 5 des Grundgesetzes abgeleiteten Sonderrechten dieses Berufsstandes?
Herr Kollege, das ist eine Zuständigkeit des Berufsstandes, nicht der Bundesregierung.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Baier.
Frau Staatssekretär, nach Ihrer ersten Erklärung — die ich hier nicht interpretieren darf — möchte ich dennoch fragen, ob die Bundesregierung nicht endlich bereit ist, in der Öffentlichkeit klar und eindeutig — wie es im übrigen Vertreter aller Fraktionen, auch der Regierung, andernorts, leider unter Ausschluß der Öffentlichkeit, getan haben — Aufgaben und Funktionen des Auslandsnachrichtendienstes darzulegen und auch darauf hinzuweisen, daß die Mitarbeit in diesem Dienst nicht nur legal ist, sondern den Interessen unseres Staates dient; um damit endlich der Verteufelung und auch der Zerstörung dieser sensiblen Institution Einhalt zu gebieten?
Herr Kollege, was ich jetzt sage, bezieht sich auch auf eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen. Ich wäre den Damen und Herren im Hause dankbar, wenn sie auf die Einhaltung der Richtlinien für die Fragestunde, die knappe und klare Zusatzfragen ohne Wertung erfordern, achten würden.
Bitte, Frau Staatssekretär.
Es sind ja bereits organisatorische Hinweise erfolgt. Es sind klare Dienstanweisungen erfolgt, und nach diesen Dienstanweisungen wird gehandelt, Herr Kollege Baier. Die Dinge, die hier meistens vorgetragen werden, gehören absolut in die Vergangenheit. Ich glaube, das bestätigt das, was Sie eigentlich durchsetzen wollen.
Herr Abgeordneter Dr. Meinecke.
Frau Staatssekretär, nachdem in der Öffentlichkeit Teile des Mercker-Berichtes und auch Namen von angeblichen BND-Agenten bekanntgeworden sind, darf ich Sie fragen, ob Sie die Absicht haben, die Namen zu nennen und auch den Mercker-Bericht der Öffentlichkeit zugänglich zu machen?
Wir sind nicht dabei, die Namen bekanntzugeben. Wir sind bereit, weiterhin in den zuständigen Gremien über diese Dinge zu beraten und dort Rede und Antwort zu stehen. Der Mercker-Bericht wird zu einem Teil veröffentlicht, soweit das mit der Erstellung des Mercker-Berichts zu vereinbaren ist, bei der zugesagt wurde, daß einzelne Positionen der Geheimhaltung unterworfen bleiben. Aber sehr wichtige Teile des Mercker-Berichts werden der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gansel.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974 9089
Frau Kollegin, treffen die schweren Vorwürfe der Bespitzelung und des Versuchs, mißliebige Journalisten — ich denke an den Fall Sebastian Haffner — ihrer Existenz zu berauben, zu, und auf welche Weise sollen die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden?
Über diese Dinge können wir in der Öffentlichkeit nicht verhandeln, Kollege Gansel.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abg. Hirsch und dann noch des Herrn Abg. Dr. Arndt.
Frau Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß der Bundesnachrichtendienst im wohlverstandenen Interesse unseres Staates handeln würde und schutzwürdig wäre, wenn er sich mit politischer Inlandsaufklärung beschäftigt?
Der Inlandsauftrag liegt nicht vor, und dementsprechend werden Zuwiderhandlungen, falls sie stattfinden, sicherlich dienstrechtlich geahndet. Aber es finden keine Zuwiderhandlungen statt.
Zu einer letzten Zusatzfrage der Herr Abgeordnete Arndt .
Frau Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß der Versuch, ein in der Verfassung verankertes Kontrollgremium auch für den Bundesnachrichtendienst zu schaffen, am Ende der 5. Legislaturperiode daran gescheitert ist, daß sich die Abgeordneten der CSU in diesem Hause in der dritten Lesung dagegen ausgesprochen haben?
Ich gehörte damals noch nicht dem Hohen Hause an. Ich bin auch nicht der zuständige Ressortverwalter dieser Arbeit. Aber ich kann annehmen, daß Ihr Erinnerungsvermögen Sie nicht trügt.
Ich rufe die Frage 113 des Abg. Hansen auf.
Hält die Bundesregierung die Kontrolle des Bundesnachrichtendienstes durch das Vertrauensmännergremium und den Haushaltsausschuß des Bundestages sowie durch den Bundesrechnungshof für ausreichend?
-- Herr Kollege, Sie können einen Zwischenruf machen, aber keine Zusatzfrage stellen.
Bitte, Frau Staatssekretär!
Herr Kollege Hansen, die parlamentarische Kontrolle des Bundesnachrichtendienstes und der Nachrichtendienste überhaupt soll der Gefahr vorbeugen, die im Mißbrauch dieser mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeitenden Behörden liegen kann. Nach den Erfahrungen der Bundesregierung ist dieser Zweck durch das parlamentarische Vertrauensmännergremium und durch den Unterausschuß „Bundesnachrichtendienst" des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages erreicht worden. Der Bundesrechnungshof hat im Rahmen der Rechnungsprüfung das Haushalts- und Verwaltungsgebaren des Bundesnachrichtendienstes zu kontrollieren. Die Bundesregierung hat 1969 auf Veranlassung des damaligen Chefs des Bundeskanzleramts für den Bundesrechnungshof dadurch bessere Prüfungsmöglichkeiten geschaffen, daß sie ihm Vorgänge im Bundesnachrichtendienst zugänglich macht, die vorher abgeschottet waren. Die Intensivierung dieser Kontrolle hat sich als sehr zweckmäßig erwiesen.
Zusatzfrage!
Trifft es zu, daß der BND, wie öffentlich verlautbart, über eigenes Vermögen verfügt, das nicht im Haushalt ausgewiesen ist und damit nicht der Kontrolle durch den Haushaltsausschuß oder den Bundesrechnungshof unterliegt? Woher stammt dieses Vermögen, und wozu wird es verwendet?
Herr Kollege, das sind drei Zusatzfragen gleichzeitig. Ich kann der Frau Staatssekretär hier nur nachdrücklich empfehlen, lediglich eine Zusatzfrage jeweils zu beantworten. Sie würden sonst auf diese Weise zu sechs oder zehn Zusatzfragen im Laufe einer solchen Debatte kommen.
— Nein, Herr Kollege, Sie wissen genau: Auch ein allgemein üblicher Brauch ist bei mir eben nicht möglich, wenn er sich nicht im Rahmen der Geschäftsordnung hält.
Bitte, Frau Staatssekretär!
Nachdem ich dem Fragesteller ein Kompliment — dem Philologen — gebe, möchte ich antworten: Kollege Hansen, es trifft nicht zu, was Sie eben formuliert haben. Der Bundesnachrichtendienst verfügt nicht über Vermögen, das nicht der Kontrolle des für ihn zuständigen Unterausschusses des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages und der Kontrolle des Bundesrechnungshofes unterliegt. Beide Kontrollgremien haben vollkommene Übersicht.
Herr Kollege Hansen, Sie haben die Möglichkeit einer weiteren Zusatzfrage.
Frau Staatssekretär, was hat die Bundesregierung bisher zur Aufklärung solcher Vorwürfe getan, der BND habe Rüstungsgeschäfte betrieben? Und geht das Bundeskriminalamt dem im
Hansen
Zusammenhang mit Waffengeschäften des BND öffentlich geäußerten Mordverdacht in irgendeiner Weise nach?
Herr Kollege Hansen, ich bitte um Nachsicht. Auch diese Frage steht nicht in dem notwendigen unmittelbaren Zusammenhang mit der von Ihnen eingereichten Frage. Ich überlasse es aber der Frau Staatssekretärin, ob sie diese Frage, weil es die zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten ist, beantworten will.
Hier wird immer der Vorwurf des Ablesens seitens der vortragenden Staatssekretäre erhoben. Aber bis jetzt habe ich auch noch immer gesehen, daß auch die aus dem Hause gestellten Fragen bereits aufgeschrieben waren.
Jetzt gebe ich auf Ihre Frage, was die Bundesregierung bis jetzt zur Aufklärung der Vorwürfe getan hat, mit Genehmigung des Präsidenten die folgende Antwort. Die Behauptung, der Nachrichtendienst habe Rüstungsgeschäfte betrieben, ist neu. Seine früheren Verbindungen — also seine vor dieser Regierung bestehenden Verbindungen — zu Waffenhandelsfirmen beinhalten nicht Rüstungsgeschäfte. — Diese Verbindungen wurden von dem jetzigen Präsidenten des Dienstes im Benehmen mit der sozialliberalen Regierung bereits 1969/70 eingestellt, Herr Hansen.
Der zweite Teil Ihrer Frage, der auf einen Mordverdacht zielt, ist von mir nur so zu beantworten, daß uns, also der Bundesregierung, nicht bekannt ist, welcher Fall von Ihnen hier gemeint ist, welcher Fall mit dem Bundesnachrichtendienst in Zusammenhang stehen soll, welcher Fall eines Mordverdachts gemeint sein könnte. Uns im Hause ist jedenfalls nichts bekannt, Herr Kollege Hansen.
Meine Damen und Herren, was die Antworten der Bundesregierung betrifft, so möchte ich doch sagen, daß die Frau Staatssekretärin mit Recht auf exakte schriftliche Vorbereitung ihrer Antwort Wert legt. Das ist auch der Sinn der Fragestunde. Daß die Frau Staatssekretärin in freier Rede an diesem Pult durchaus ihren Mann steht — wenn ich das mal so sagen darf —, das haben wir alle in guter Erinnerung.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Gansel.
Ich spreche frei. Das Jackett brauche ich wohl nicht auszuziehen, um zu zeigen, daß ich keine Schummelzettel mit mir führe.
Frau Kollegin, haben Sie in Ihrer Doppelrolle als Staatssekretärin und Abgeordnete in Zusammenhang mit der jetzt in Frage stehenden Kontrolle des Bundesnachrichtendienstes Verständnis dafür, wenn ein Abgeordneter sich nicht damit zufriedengibt, daß seine Fragen mit Hinweis auf die Vertraulichkeit der Angelegenheit erledigt werden.
Nein, dafür habe ich kein Verständnis. Ich bitte, die Möglichkeiten, sich Auskünfte geben zu lassen, voll zu nutzen. Es gibt nicht nur die Möglichkeit, in der mündlichen Fragestunde die nötigen Informationen zu bekommen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Baier.
Frau Staatssekretärin, darf ich auf die eingangs gestellte Frage zurückkommen und daran anknüpfend fragen, ob Sie nicht mit mir der Auffassung sind, daß die Aufgaben der Exekutive gegenüber der Legislative auf den Kopf gestellt werden, wenn hier ein Mitglied der Legislative das von ihr zu kontrollierende Organ, nämlich die Exekutive, fragt, ob sie sich ausreichend kontrolliert fühlt.
Das ist eine interessante Frage, und die Antwort dazu fällt mir im Augenblick sehr schwer.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Reiser.
Frau Staatssekretärin, ist denn die Bundesregierung der Meinung, daß ein so kleines Abgeordnetengremium ausreicht, künftig die Finanzen und die Finanzmanipulationen des Bundesnachrichtendienstes zu kontrollieren und zu überprüfen, oder gibt es da womöglich weitergehende Vorschläge von Ihnen?
Ich möchte auf Ihre Frage nicht eingehen; denn das würde ja eine Bestätigung der von Ihnen unterstellten Manipulation bedeuten. Ich bin der Ansicht — nicht nur ich, sondern auch große Teile der Verantwortlichen in den Fraktionen —, daß das ausreicht.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen; Ich rufe auf Frage 114 des Herrn Abgeordneten Dr. Miltner:
Hat die Bundesregierung bei der Berufung von Staatssekretär Bölling zum Regierungssprecher die übliche Sicherheitsüberprüfung durch die zuständigen Behörden veranlaßt, und ist das Ergebnis dieser Sicherheitsüberprüfung bei der Berufung berücksichtigt worden?
Bitte, Frau Staatssekretärin!
Herr Kollege Dr. Miltner, bei der Berufung von Staatssekretär Bölling zum Regierungssprecher
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974 9091
Parl. Staatssekretär Frau Schlei
ist entsprechend den Richtlinien für die Sicherheitsüberprüfung von Bundesbediensteten — das ist ein Beschluß der Bundesregierung vom 15. Februar 1971 — die vorgeschriebene Sicherheitsüberprüfung von dem dafür zuständigen Geheimschutzbeauftragten des Bundespresseamtes unverzüglich in die Wege geleitet worden. Das Ergebnis konnte daher bei der Berufung des Staatssekretärs Bölling zum Regierungssprecher noch nicht vorliegen.
Zusatzfrage, Herr Kollege!
Darf ich daraus schließen, daß sich die Regierung darüber hinweggesetzt und die Berufung vorgenommen hat, bevor die Sicherheitsüberprüfung abgeschlossen war?
Sie hat sich über nichts hinweggesetzt, Kollege Miltner. Sie ist so verfahren, wie schon einmal verfahren wurde, als wir einen Pressesprecher übernommen haben, der nicht vorher Parlamentarier war. Sie hat sich nach den pragmatisch notwendigen Dingen gerichtet. In jedem Falle hat der Bundeskanzler selbst, der Regierungschef also, die Verantwortung für die Zwischenzeit zu übernehmen.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage. Bitte, Herr Kollege!
Hat die Bundesregierung nicht gerade den Fall Guillaume zum Anlaß genommen, die Sicherheitsüberprüfung etwas strenger und so durchzuführen, daß die Berufung nicht vor deren Abschluß erfolgt?
Herr Kollege, wir halten diese Dinge nicht für vergleichbar. Die Regierung — zu ihr gehört der Regierungssprecher — muß handlungsfähig sein. Dies ist also auch nicht durchzuführen gewesen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Frau Staatssekretärin, halten Sie die Auffassung nicht für richtig, daß die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung gerade dadurch in extreme Gefahr geraten kann, daß sich später bei der Sicherheitsüberprüfung herausstellt, daß man den Mann doch nicht hätte einstellen sollen?
Nein, mit so einem Extrem hat bei uns niemand gerechnet, weil wir unserem Bundeskanzler zutrauen, eine richtige Entscheidung zu treffen und auch die notwendige Verantwortung für diese Zeit übernehmen zu können.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann.
Frau Staatssekretärin, da ich annehme, daß die Untersuchung des Herrn Kollegen Bölling meines Berufskollegen inzwischen — abgeschlossen ist, darf ich die Frage stellen, ob Herr Bölling nun tatsächlich, wie vor diesem Hohen Hause gesagt wurde, nur Mitarbeiter der ersten FDJ-Zeitschrift oder deren Chefredakteur war.
Diese Frage ist in diesem Zusammenhang nicht mehr zu behandeln.
Über Einzelheiten einer Untersuchung würde hier sowieso nicht berichtet werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt.
Frau Staatssekretärin, können Sie bestätigen, daß es von jeher notwendigerweise eine Sonderregelung für sogenannte geborene Geheimnisträger, d. h. Wahlbeamte wie Oberbürgermeister, wie Minister usw., gegeben hat, die natürlich erst nach ihrer Berufung geheimüberprüft werden können, weil ihr Einsatz von der Wahl, Ernennung usw. abhängt?
Herr Kollege, das trifft zu. Jeder Minister, der nicht vorher Parlamentarier war, wird in solcher Situation nicht erst ein halbes Jahr pausieren und dann anfangen, sondern er wird von Anfang an seine Amtsgeschäfte übernehmen.
Ich rufe Frage 115 des Herrn Abgeordneten Dr. Miltner auf:
Ist die Bundesregierung bereit, das Datum des Abschlußberichts der Sicherheitsbehörden über diese Sicherheitsüberprüfung sowie dessen Ergebnis mitzuteilen?
Herr Dr. Miltner, die Sicherheitsprüfung ist inzwischen abgeschlossen worden. Es ist aber, wie ich vorhin zum Kollegen Reddemann sagte, nicht üblich, daß das Ergebnis oder sonstige Einzelheiten aus den Sicherheitsakten öffentlich bekanntgegeben werden.
Sie haben zwei Zusatzfragen.
Frau Staatssekretärin, darf ich fragen, warum die Sicherheitsprüfung in einem so überaus sicherheitsempfindlichen Fall erst nach einem geraumen Zeitraum von etwa — ich nehme an — einem halben Jahr abgeschlossen werden konnte, vielleicht auch erst nach Einreichung meiner Frage?
9092 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974
Weil sehr gründlich geprüft wird, auch bei jemandem, der bereits amtiert, und weil bei Herrn Bölling einige Schwierigkeiten für die Überprüfung dadurch gegeben waren, daß er längere Auslandsaufenthalte in seiner journalistischen Tätigkeit vorzuweisen hatte.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin, kann der relativ lange Zeitraum bis jetzt zum Abschluß der Sicherheitsüberprüfungen nicht als Zeichen dafür gewertet werden, daß ein schneller Abschluß der Sicherheitsüberprüfungen auf Schwierigkeiten gestoßen ist, was ja voraussetzte, daß möglicherweise sicherheitsrelevante Erkenntnisse aufgetaucht sind?
Es ist — ich denke, Sie werden sich darüber freuen — nicht so gewesen, daß Schwierigkeiten besonderer Art vorgelegen haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Baier.
Frau Staatssekretärin, nach den hoffentlich unberechtigten Spekulationen, die da und dort angestellt worden sind, und nach Ihrem Hinweis, daß Sie hier nicht näher auf die Sicherheitsüberprüfung eingehen können, möchte ich fragen, ob die Bundesregierung bereit ist, dem parlamentarischen Vertrauensmännergremium in der nächsten Sitzung das Ergebnis der Überprüfung mitzuteilen, um die ganze Diskussion zu beruhigen?
Es muß überprüft werden, ob dies ein Gegenstand ist, der dort erörtert werden kann. Ist die Prüfung positiv, Herr Kollege Baier, wird das sicher geschehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Waltemathe.
Frau Staatssekretärin, können Sie im Hinblick auf die Besorgnisse der Opposition bestätigen, daß Herr Bölling Regierungssprecher bleibt?
Er bleibt!
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gerster .
Frau Staatssekretärin, hat die Sicherheitsüberprüfung des Herrn Bölling zu einem Gespräch in dieser Sache mit Herrn
Bölling geführt; wenn ja, wer hat dieses Gespräch wann geführt?
Der zuständige Beamte, Herr Kollege.
Ich rufe die Frage 116 des Herrn Abgeordneten Gerlach auf:
Hat die Bundesregierung entgegen den geltenden Vorschriften und unter Mißachtung der Erfahrungen aus der Spionageaffäre Guillaume Herrn Bölling vor vollständigem Abschluß der Sicherheitsüberprüfung bereits zum Regierungssprecher ernannt, und warum ist sie bejahendenfalls nicht in gleicher Weise verfahren wie bei dem in Aussicht genommenen Referenten für die Kontakte zu Parteien, Verbänden und Kirchen im Kanzlerbüro, Herrn Männing, der vor Abschluß der Sicherheitsüberprüfungen nicht eingestellt wurde und nach deren negativem Ausgang Anfang September 1974 auf das Amt verzichten mußte?
Frau Staatssekretärin!
Die Bundesregierung, Herr Kollege Gerlach, hat nicht gegen bestehende Vorschriften verstoßen, als sie Herrn Staatssekretär Bölling zum Chef des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung ernannte. Die Richtlinien für die Sicherheitsüberprüfung enthalten keine Bestimmung, nach der die Ernennung oder Einstellung eines Bediensteten an die Bedingung geknüpft ist, daß die Sicherheitsüberprüfung abgeschlossen ist.
Damit kann Notwendigkeiten der Praxis Rechnung getragen werden; das haben wir vorhin schon gestreift. Im Normalfall, etwa bei der Einstellung eines Bediensteten, dürfte es selbstverständlich sein, daß wir das zweckmäßigste Verfahren einsetzen. Die Einstellung wird erst nach dem Abschluß der Sicherheitsüberprüfungen vorgenommen.
Der Unterschied zum Normalfall und zu dem von Ihnen bemühten Vergleichfall, auf den ich hier nicht näher einzugehen brauche, ohne daß ich dadurch einen von Ihnen behaupteten negativen Ausgang der Sicherheitsüberprüfung des Bewerbers Männing hier auf den Tisch lege, liegt auf der Hand. Es ist kein Vergleich. Der Unterschied besteht darin, daß bei der Ernennung des Regierungssprechers und Chefs des Presseamtes im Zuge einer Regierungsumbildung Gesichtspunkte von ganz anderem politischem Gewicht zur Diskussion stehen, außerdem die Arbeitsfähigkeit des Regierungsmechanismus. Das steht im Vordergrund.
Die Tätigkeit vor Abschluß der Sicherheitsüberprüfung, die sich in einem solchen Fall zwischen der Ernennung und dem Abschluß der Sicherheitsüberprüfung ergibt, wird vom Regierungschef verantwortet, dem der Lebensweg sowie der berufliche und politische Werdegang in diesem Fall bekannt waren.
Zusatzfrage.
Wann, datumsmäßig genau, wurde die Sicherheitsprüfung abgeschlossen?
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974 9093
Es ist nicht üblich, darüber Auskunft zu geben.
Kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß diese Sicherheitsüberprüfung erst nach Einbringung meiner Fragen abgeschlossen worden ist?
Sie ist nach einer ungefähr halbjährigen Uberprüfung abgeschlossen worden. Das muß Ihnen doch genügen.
— Es ist kein Staatsgeheimnis. Ich glaube aber nicht, daß ein Unterschied von fünf Tagen Sie sehr glücklich machen würde.
Ich rufe die Frage 117 des Herrn Abgeordneten Gerlach auf:
Liegen bei den Sicherheitsbehörden über Herrn Bölling Erkenntnisse vor, die die Bundesregierung im Interesse der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland hier nicht vortragen kann?
Kurze Antwort, Herr Abgeordneter: Nein.
Zusatzfrage, Herr Kollege!
Hält es die Bundesregierung vom Sicherheitsstandpunkt aus und in Anbetracht der Erfahrungen aus dem bekannten Spionagefall Guillaume für vertretbar, daß bei möglicherweise noch so vagen Verdachtsmomenten ein hoher Regierungsbeamter in einer eminent sicherheitsempfindlichen Position amtiert, während vergleichbare Kontakte üblicherweise zur Ablehnung eines Bewerbers für den öffentlichen Dienst führen?
Ich glaube, diese Frage hätten Sie schon vorher stellen sollen, Herr Kollege Gerlach, denn zu der Frage, ob Erkenntnisse vorliegen, gehört eigentlich diese Zusatzfrage nicht mehr.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Dann darf ich fragen, ob die Bundesregierung im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung auch Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes verwertet hat.
Sie hat sich der Nachrichtendienste sozusagen als Kontrollorgan bedient.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger.
Frau Staatssekretärin, wenn Ihre Antwort auf die Frage des Kollegen Gerlach lautete: „Es liegen keine Erkenntnisse vor, die im Interesse der Sicherheit hier nicht vorgetragen werden können", wäre es dann nicht der Position des Regierungssprechers dienlicher, wenn Sie uns hier in wenigen nüchternen Worten das Ergebnis dieser Uberprüfung mitteilen würden?
Nein.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Baier.
Frau Staatssekretärin, Sie haben soeben, wenn ich richtig verstanden habe, gesagt, daß sich die Regierung der Nachrichtendienste als Kontrollorgan bedient. Darf ich Sie fragen, welche Kontrolle die Nachrichtendienste bei der Bundesregierung ausüben.
Nicht bei der Bundesregierung, sondern Sie wissen ganz genau, daß die Nachrichtendienste Dinge verfolgen, die eben verfolgt werden müssen, und daraus Erkenntnisse gewinnen, die sie vortragen. Im übrigen darf ich doch wohl hier darauf hinweisen, daß wir uns in einem Rechtsstaat befinden und daß wir dann auch zu akzeptieren haben, was von diesen Organen ermittelt, angegeben, geprüft, gewertet und schließlich zur Entscheidung gebracht wird.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Miltner.
Frau Staatssekretärin, nachdem Sie vorgetragen haben, daß keine sicherheitsrelevanten Erkenntnisse vorgelegen haben, möchte ich fragen: warum hat dann die Sicherheitsüberprüfung ein halbes Jahr gedauert?
Ich habe vorhin zu erklären versucht, daß sehr gründlich viele Kontaktpersonen von Herrn Bölling befragt wurden. Dazu gehören auch Kontaktpersonen im Ausland.
Ich rufe die Frage 118 des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst auf:
Trifft die Meldung der „Welt" vom 16. November 1974 zu, die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in OstBerlin habe einen Westdeutschen, gegen den wegen eines Verkehrsdelikts eine Geldstrafe festgesetzt worden war, ohne ausreichende Hilfe gelassen, und was gedenkt die Bundesregierung — bejahendenfalls — zu tun, um Reisenden in Zukunft ähnliche schikanöse und menschenrechtswidrige Behandlungen zu ersparen?
Frau Staatssekretärin!
Herr Kollege Jobst, die Darstellung in der
9094 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974
Parl. Staatssekretär Frau Schlei
Tageszeitung „Die Welt" ist unrichtig. Der Fahrer — ich will hier seinen Namen nicht nennen —, der bei einem Besuch in der DDR einen Verkehrsunfall verursacht hatte, wurde in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in einem dreiviertelstündigen Gespräch in dem Maß beraten, wie es zu jenem Zeitpunkt möglich war. Der Fahrer hatte nach seinen Auskünften zu der Zeit noch keinen rechtsverbindlichen Strafbescheid erhalten. Die Ständige Vertretung vermittelte für diesen Fahrer den Kontakt zu einer Westberliner Filiale seiner Rechtsschutzversicherung. Diese empfahl das Hinzuziehen eines bestimmten Rechtsanwaltes. Auch mit dessen Büro stellte die Ständige Vertretung die Verbindung her. Der Fahrer wurde dann gebeten, die Ständige Vertretung über den Fortgang seiner Angelegenheiten zu unterrichten.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, nach den Zeitungsmeldungen soll es sich so zugetragen haben, daß die einzige Hilfe, die die Dienststelle für diesen betroffenen Fahrer geleistet hat, die war, eine Verbindung mit dem Rechtsanwalt herzustellen. Ist das richtig, oder hat hier die Ständige Vertretung mehr an Hilfe geleistet?
Ich habe schon eben in der Antwort gesagt, daß sie zwei Verbindungen hergestellt hat: die zur Versicherung und die zu einem Rechtsanwalt, und sie hat die übliche Beratung erteilt, die in diesem frühen Zeitpunkt erteilt werden kann. Eine weitere Hilfe mit Finanzmitteln war nicht notwendig, erstens, weil der Fahrer genug Finanzmittel besitzt, und zweitens, weil er später bezahlen und sich selbst helfen konnte.
Im übrigen habe ich schon gesagt, daß dieser Artikel der „Welt" als nicht wahr, als nicht zutreffend zurückzuweisen ist.
Herr Abgeordneter Dr. Jobst zu einer weiteren Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, kann die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in der DDR in die Lage versetzt werden, in solchen Situationen besser zu helfen und den Betroffenen Mittel in westlicher Währung zur Verfügung zu stellen, damit den ausgesprochenen Strafen sofort begegnet werden kann?
Ja, Herr Kollege, in Notfällen kann man sofort helfen. Bloß in diesem Fall war in beiden Punkten — Dringlichkeit und fehlende eigene Mittel — kein Notfall gegeben. Ausreichende eigene Mittel waren vorhanden. Im übrigen richtet sich das ungefähr nach den Regelungen, wie sie auch für andere Vertretungen gelten. Man kann nur im Notfall aushelfen.
Ich rufe die Frage 119 des Herrn Abgeordneten Sauter auf:
In welchen Sprachen und in welcher Auflagenhöhe werden die
Wohngeldfibeln für ausländische Arbeitnehmer hergestellt?
Frau Staatssekretär!
Herr Kollege Sauter, Sie fragen nach der Auflagenhöhe der Wohngeldfiebel. Die erste Auflage der Wohngeldbroschüre für ausländische Arbeitnehmer in Höhe von 770 000 Stück wurde vom Presse- und Informationsamt im Juli 1971 herausgegeben. Es erschienen je 150 000 Exemplare in türkischer, serbokroatischer, italienischer, spanischer und griechischer sowie 20 000 in portugiesischer Sprache. Dann mußte im Juli 1974 eine zweite Auflage mit 370 000 Exemplaren hergestellt werden. Sie verteilt sich auf fünf Sprachfassungen, und zwar türkisch 100 000 Stück, serbokroatisch 95 000 Stück, italienisch 85 000 Stück, spanisch 50 000 Stück und griechisch 40 000 Stück. Diese Aufteilung entspricht in etwa den Anteilen der am meisten in der Bundesrepublik vertretenen Nationalitäten der ausländischen Arbeitnehmer.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter!
Frau Staatssekretärin, können Sie mir bestätigen, daß die jeweils herrschenden politischen Verhältnisse und die jeweiligen Regime überhaupt keinen Einfluß auf die Höhe der Auflage und auf das Erscheinen von Wohngeldfibeln oder sonstigen Informationsschriften der Bundesregierung haben?
Aber selbstverständlich hat das keinen Einfluß. Hier gab es eine Zusammenarbeit zwischen der Bundesanstalt für Arbeit und dem Presse- und Informationsamt. Die Übersetzung übernahm der DGB kostenlos, Herr Kollege.
Zusatzfrage!
Wenn Sie das jetzt so sagen, warum sind dann die portugiesischen Gastarbeiter wesentlich schlechter als andere Gastarbeiter bedient worden? Sie haben selber zugegeben, daß die Portugiesen hinsichtlich der Auflagenhöhe stark benachteiligt worden sind.
Nein, das hat sich zunächst nach der Anzahl gerichtet, und dann gab es bei der zweiten Auflage eine strenge Reduzierung der Mittel. Dabei hat, wenn Sie so wollen, diese kleinere Gruppe eben schlechter abgeschnitten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Nordlohne.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974 9095
Frau Staatssekretärin, darf ich Sie fragen, wer diese Wohngeldfibeln für die ausländischen Arbeitnehmer in unserem Lande verteilt? Geschieht das möglicherweise auch durch die Bewilligungsstellen?
Ja, das geschieht durch karitative Verbände und durch solche Verbände, bei denen sich ausländische Arbeitnehmer gern Rat und Hilfe holen: Caritasverband, Arbeiterwohlfahrt und andere Verbände.
Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts und rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen 125 bis 128 und 138 bis 140 steht Herr Staatsminister Wischnewski zur Verfügung. Ich werde aus diesem Grunde diese Fragen in der genannten Reihenfolge aufrufen und nehme an, daß die Fragesteiler damit einverstanden sind. Sonst müßte jeweils gewechselt werden.
Ich rufe als erste Frage die Frage 125 des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn auf. - Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Deshalb werden diese und die von ihm weiter eingebrachte Frage 126 schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Herr Abgeordneter Dr. Müller-Hermann hat um schriftliche Beantwortung der beiden von ihm eingereichten Fragen 127 und 128 gebeten. Die Antworten werden ebenfalls als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe nunmehr die Frage 138 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
„Wir ziehen den Karren, die anderen sitzen darauf, und wir füttern sie auch noch", und hat der Minister bejahendenfalls damit die Auffassung der Bundesregierung zum Ausdruck gebracht?
Herr Staatsminister!
Herr Kollege Jäger, die zitierte Meldung trifft nicht zu. Der Bundesminister des Auswärtigen hat vielmehr in einer Sendung des Zweiten Deutschen Fernsehens am 26. Mai 1974 unterstrichen, daß wir als Deutsche ein ganz erhebliches Eigeninteresse am Bestand des Marktes und seiner Fortentwicklung haben. Außerdem betonte er, daß wir bereit sind, unsere Beiträge zu leisten, sofern sie auch von Anstrengungen der anderen Länder begleitet werden, damit sie ihre Wirkung für Europa und damit für alle Mitgliedstaaten, uns eingeschlossen, haben können.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 139 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:
Ist die Bundesregierung bereit zuzugestehen, daß der politische und wirtschaftliche Nutzen, den die Bundesrepublik Deutschland aus der Mitgliedschaft in den Europäischen Gemeinschaften zieht, weitaus größer ist, als der für die Gemeinschaften zu erbringende finanzielle Aufwand?
Herr Kollege Jäger, die Bundesregierung muß das nicht „zugestehen". Sie hat vielmehr, wie schon in der Antwort auf Ihre erste Frage zum Ausdruck gebracht ist, nie einen Zweifel daran gelassen, daß die Bundesrepublik Deutschland sowohl aus politischen als auch aus wirtschaftlichen Gründen ihren festen Platz in der Europäischen Gemeinschaft hat. Sie ist stets bereit, die aus unserer Mitgliedschaft in der Gemeinschaft entstehenden Verpflichtungen zu erfüllen. Dies ist das selbstverständliche Korrelat der Vorteile, die uns aus der Mitgliedschaft erwachsen. Eine Aufrechnung des Nutzens und der Verpflichtungen in Mark und Pfennig ist weder möglich noch sinnvoll. In den Augen der Bundesregierung gibt es für uns keine Alternative zur Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wie verträgt sich diese positive Antwort, die Sie eben auf meine Frage gegeben haben, mit den Ausführungen, die der Herr Bundeskanzler in einem kleinen Kreis gemacht haben soll und die in dieser Woche im „Spiegel" wiedergegeben worden sind — ich zitiere, was der Bundeskanzler ausweislich eines Tonbandes wörtlich gesagt haben soll —: Wie weit sollen denn eigentlich die Opfer gehen, die die deutsche Gesellschaft gegenüber den europäischen Partnerländern zu erbringen hat?, und nach denen er letzten Endes das Resümee zieht: In Wirklichkeit geht es nur um unser Geld?
Ich habe derartige Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers nicht gehört. Da ich seine europapolitischen Vorstellungen aus vielen Kabinettsitzungen sehr genau kenne, kann ich mir auch nicht vorstellen, daß er solche Ausführungen gemacht hat.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, kann ich aus Ihrer Antwort schließen, daß Sie diese Ausführungen, so wie sie dastehen, zwar für unwahrscheinlich halten, daß sie aber nicht in der Lage sind, zu dementieren, daß der Inhalt dieses Tonbandes vom „Spiegel" richtig wiedergegeben wird?
9096 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974
Ich bitte um Entschuldigung; dies war doch gar nicht in der Frage enthalten, die Sie gestellt haben. Das ist eine Zusatzfrage, die sich auf ein völlig anderes Gebiet bezieht, Herr Präsident. Ich bin gerne bereit, mich darüber zu informieren und dann eine Aussage dazu zu machen.
Meine Damen und Herren, um einmal etwas zur Praxis zu sagen: Bei den beiden Zusatzfragen des Fragestellers läßt der amtierende Präsident dem Fragesteller einen gewissen Spielraum, auch wenn sie nicht unmittelbar mit der Ausgangsfrage im Zusammenhang stehen. Es obliegt dem Vertreter der Bundesregierung, nach seiner Entscheidung zu antworten. Der Herr Staatsminister hat hier klargelegt, wie er diese Frage beurteilt. Damit ist der Fragenkomplex abgeschlossen.
Die Frage 140 wird auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Gierenstein schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister!
Die nächsten Fragen werden von Herrn Staatsminister Moersch beantwortet. Die Frage 120 wird auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Engelsberger, schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Das gleiche gilt auch für die Frage 121 des Herrn Abgeordneten Freiherr von Fircks.
Ich rufe die Frage 122 des Herrn Abgeordneten Rollmann auf:
Hat das deutsche Generalkonsulat in Hongkong den stellvertretenden Wirtschaftsminister, Herrn Chang Kwang-shih, der Republik China, der in der Bundesrepublik Deutschland Gespräche über private Investitionen auf der Insel Taiwan führen wollte, das Einreisevisum in die Bundesrepublik Deutschland verweigert, und wenn ja, wie hält sie das mit der Entwicklung des Außenhandels mit der Republik China für vereinbar?
Herr Staatsminister!
Herr Präsident! Ich beantworte die Frage wie folgt: Es trifft zu, daß dem stellvertretenden Wirtschaftsminister Taiwans, Herrn Chang, kein Einreisevisum erteilt wurde. Der Grund für die Entscheidung war, daß die Bundesrepublik Deutschland nur mit der Volksrepublik Chima diplomatische Beziehungen unterhält und amtliche Kontakte zu Taiwan nicht bestehen. Unser Außenhandel mit Taiwan hat sich dennoch — auch in den letzten Jahren sehr günstig entwickelt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist es so, daß auch anderen Beamten der Regierung von
Taiwan die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland bisher verweigert worden ist?
Da müßten Sie mich nach Einzelheiten fragen. Ich kann Ihnen nur sagen, daß offensichtlich ein Mitglied der dortigen Verwaltung unter einer falschen Berufsbezeichnung ein Einreisevisum bekommen hat.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wäre es dann, wenn die Regierung in dieser Frage so außerordentlich sensibel ist, nicht zu empfehlen, auch die Wirtschaftsbeziehungen mit Taiwan abzubrechen und mit diesem Lande keinen Außenhandel — der Außenhandel war für uns bisher sehr lukrativ — zu treiben?
Herr Kollege Rollmann, Sie haben gleich zwei Wertungen, die nach der Geschäftsordnung nicht zulässig sind, in Ihre Frage einbezogen. Ich bitte aber den Herrn Staatsminister, in der Sache zu antworten.
Herr Kollege Rollmann, ich glaube, keine Bundesregierung hat seit 25 Jahren einen Zweifel daran gelassen, daß Wirtschaftsbeziehungen und diplomatische Beziehungen nicht unbedingt kongruent sind. Warum sollte hier eine andere Methode eingeführt werden, als sie seit 25 Jahren in diesem Lande praktiziert wird?
Ich rufe die Frage 123 des Herrn Abgeordneten Reddemann auf:
Ist die Bundesregierung bereit, in der Vollversammlung der Vereinten Nationen einen Resolutionsentwurf einzubringen, in dem sich jedes Mitglied der Weltorganisation verpflichtet, Luftpiraten kein Asyl zu gewähren, sie in den Staat auszuliefern, in deni sie ihren Überfall begangen haben oder nach dem Strafrecht für Entführungen anzuklagen?
Herr Abgeordneter, darf ich Ihre beiden Fragen zusammen beantworten? Das würde die Sache erleichtern.
Herr Abgeordneter, es bestehen bereits drei Konventionen über Maßnahmen zur Bekämpfung der Luftpiraterie und anderer Anschläge gegen die Sicherheit des Luftverkehrs: 1. das Abkommen von Tokio vom 14. September 1963 über strafbare Handlungen an Bord von Luftfahrzeugen, 2. das Haager Übereinkommen vom 16. Dezember 1970 zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen und 3. das Übereinkommen von Montreal vom 23. September 1971 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit des Luftverkehrs. Außerdem hat die Generalversammlung der UNO mit der Resolution Nr. 3034 vom 18. Dezember 1972 einen Ad-hoc-Ausschuß für die Erarbeitung konkreter Vorschläge zur Lösung des
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974 9097
Staatsminister Moersch
Terrorismusproblems eingesetzt. Dem Ausschuß ist es bisher aber nicht gelungen, sich über das Wesen des Terrorismus und über die notwendigen Gegenmaßnahmen zu verständigen.
Die Bundesregierung hat ihrerseits versucht, die Wirkung der drei Übereinkommen zu erhöhen. Sie hat nämlich zusammen mit anderen Staaten vorgeschlagen, in die Übereinkommen selbst, in die Satzung der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation ICAO oder in ein neues Übereinkommen Bestimmungen über Sanktionen gegen Staaten einzuarbeiten, die den drei Konventionen nicht beitreten oder sie nicht befolgen. All diese Versuche haben nicht die nötige Mehrheit gefunden. Bei dieser Sachlage verspricht sich die Bundesregierung von der Einbringung eines Resolutionsentwurfs in der Vollversammlung der Vereinten Nationen keine weitere Wirkung. Nach den Übereinkommen von Den Haag und Montreal sind die Vertragsstaaten verpflichtet, Flugzeugentführungen und sonstige Anschläge gegen die Sicherheit des Luftverkehrs mit schweren Strafen zu bedrohen, ihre Gerichtsbarkeit für diese Straftaten zu begründen und alle Verdächtigen entweder auszuliefern oder den eigenen Strafverfolgungsbehörden zu überantworten. Diese beiden Übereinkommen entsprechen daher bereits weitgehend dem in Ihrer Frage angeregten Konventionsentwurf.
Zusatzfrage.
Herr Kollege Moersch, da uns allen bekannt ist, daß die bisherigen Konventionen nicht gereicht haben, möchte ich die Frage stellen, ob die Bundesregierung bereit ist, mit Regierungen der arabischen Staaten spezielle Kontakte über das Memorandum aufzunehmen, das bereits in der letzten Woche ergangen ist, mit dem Ziel, gegebenenfalls auch auf die PLO einzuwirken, von sich aus ein Ende von Luftpiratenakten zu erklären.
Herr Abgeordneter, ich hatte gestern im Auswärtigen Ausschuß Gelegenheit, unsere Schritte vorzutragen. Ich konnte nur darauf hinweisen; Sie verstehen, daß es nicht üblich ist, diplomatische Schritte in der Öffentlichkeit zu erläutern. Aber Sie werden vielleicht aus der Liste der Staaten, die dieses Übereinkommen ratifiziert haben, gesehen haben, daß sich darunter auch arabische Staaten befinden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich daraus schließen, daß die Bundesregierung dieses Thema weiterhin auf der Tagesordnung sieht und nicht wegen der Ergebnislosigkeit der bisherigen Konventionen darauf verzichtet, weitere Schritte zu unternehmen?
Das dürfen Sie daraus schließen. Die Bundesregierung hat durch ihr bisheriges Handeln auch keinen Anlaß gegeben, diese ihre Bereitschaft etwa in Frage zu stellen.
Herr Staatsminister, ich glaube, die Frage 124 des Herrn Abgeordneten Reddemann
Wird die Bundesregierung die Initiative ergreifen, in der Vollversammlung der Vereinten Nationen eine Konvention zu beantragen, durch die sich die Mitglieder der UNO verpflichten, Luftpiraterie als Verbrechenstatbestand in ihr staatliches Strafgesetz aufzunehmen?
ist damit praktisch beantwortet.
- Damit sind beide Fragen beantwortet.
Ich rufe die Frage 129 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Vertritt die Bundesregierung in allen Fällen von Gebietserwerb durch Gewalt den von Botschafter von Wechmar vor den Vereinten Nationen in der Nahostfrage eingenommenen Standpunkt, daß ein solcher Gebietserwerb unzulässig und daher rechtsunwirksam sei?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung vertritt die Auffassung, daß die Beachtung des völkerrechtlichen Gewaltverbots eine der Grundlagen der internationalen Rechtsordnung und der internationalen Ordnung überhaupt ist. Sie ist dementsprechend der Auffassung, daß Erwerb von Gebiet durch Gewaltanwendung völkerrechtlich nicht statthaft ist. Sie macht dabei keine Einschränkungen für bestimmte Fälle.
Zusatzfrage!
Dürfen wir also davon ausgehen, daß die Bundesregierung in allen Fällen von Gebietserwerb durch Gewalt an dessen Rechtsunwirksamkeit und an der Rechtsunwirksamkeit der Folgen vor einer friedensvertraglichen Regelung festhält, auch dann, wenn es sich um Rechte handelt, die sich auf Deutschland beziehen?
Herr Abgeordneter, ich hatte mir als Zusatzfrage, die Sie stellen würden, folgende Formulierung ausgedacht; ich darf sie vorlesen. Ich hatte gedacht, Sie würden fragen: Ich verstehe Sie also dahin, daß die Bundesregierung in keinem Fall Gebietserwerb durch Gewalt als völkerrechtlich zulässig und rechtswirksam ansieht? Ich hätte geantwortet: Sie verstehen mich richtig. Ich habe das übrigens im Zusammenhang mit der Haltung der Bundesregierung zum Nahost-Konflikt vor diesem Hause bereits ausgeführt. Ich verweise auf meine Antwort auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Gerlach vom 25. April 1974 in der 95. Sitzung, Anlage 31 zum Sitzungsprotokoll.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja!
9098 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974
Können Sie mir auf meine kurze Zusatzfrage eindeutig erklären, daß sich dieser Standpunkt auch auf die Rechtslage Deutschlands bezieht?
Was die Lage in Deutschland betrifft, so hat die Bundesregierung nichts anderes getan, als zu den bestehenden Grenzen zu erklären, daß sie nicht mit Gewalt verändert werden können.
Im übrigen sind die Rechtsausführungen der Bundesregierung in der Ratifizierungsdebatte so ausführlich gewesen, Herr Abgeordneter, daß ich mir eine Wiederholung ersparen kann. Ich bin allerdings in der Lage und auch bereit, sie hier noch einmal vorzulesen. Ich habe sie mir vornotiert.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka!
Herr Staatsminister! Sind Ihre Ausführungen dahin gehend auszulegen, daß die Annexion von Estland, Lettland, Litauen, Ostpolen, der Karpatenukraine und von Bessarabien völkerrechtswidrig sind?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat sich dazu in einer schriftlichen Antwort auf die Frage des Herrn von Fircks erneut geäußert. Ich darf auf diese Antwort verweisen.
Ich rufe die Frage 130 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Vertritt die Bundesregierung, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 als Vertretung des freiheitlich reorganisierten Teil Deutschlands auch die Rechtspositionen des Deutschen Reichs zu wahren und an keiner Minderung seiner Rechtspositionen — auch nicht durch konkludentes Handeln — mitzuwirken verpflichtet ist, den Standpunkt, daß ein Gebietserwerb als Folge einer Gewaltanwendung zu Lasten des rechtsfähigen und fortbestehenden Deutschen Reichs ohne Friedensvertrag nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts, insbesondere nach der dem Kellog-Pakt, der Stimson-Doktrin und der Resolution 242 des UN-Sicherheitsrats zugrunde liegenden Rechtsnorm, unzulässig ist?
Die Bundesregierung hat zu keiner Zeit und keinem ausländischen Staat gegenüber anerkannt, daß in bezug auf Deutschland eine Ausnahme von der Regel bestünde, daß Gebietserwerb durch Gewalt völkerrechtlich unzulässig ist. Sie hat in keinem Fall anerkannt, daß in bezug auf Deutschland Gebietserwerb durch Gewalt statthaft wäre.
Eine Zusatzfrage.
Darf ich dann davon ausgehen, daß die Bundesregierung dem Standpunkt ausdrücklich widerspricht, daß Deutschland und die Deutschen zeitweise außerhalb der allgemeinen Regeln des Völkerrechts in der Lage der Rechtlosigkeit und eines Straffriedens gestellt werden darf?
Herr Abgeordneter! Ich glaube, die Fragestunde ist wenig geeignet, den Fall, den Sie in der Frage genannt haben — das war der Fall der Resolution bei den Vereinten Nationen —, in extenso in eine Parallele etwa mit der Lage in Europa selbst zu bringen. Denn der Ausgangspunkt, der zu dieser Lage in Europa geführt hat, sollte hier ebenfalls bedacht werden. Ich kann dazu auf das verweisen, was ich hier in der Fragestunde bereits wiederholt vorgetragen habe.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, darf ich Sie um die Beantwortung der Frage 130, die keine Verbindung herstellt, bitten und noch einmal fragen, ob ich davon ausgehen darf, daß die Bundesregierung dem Standpunkt ausdrücklich widerspricht, daß Deutschland und die Deutschen zeitweise außerhalb der allgemeinen Regeln des Völkerrechts in die Lage der Rechtlosigkeit und eines Straffriedens gestellt werden dürfen?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat den Erklärungen, die sie über die Ratifizierung der Verträge abgegeben hat, nichts hinzuzufügen. Ihr Standpunkt ist unverändert. Er ist ausführlich dargelegt worden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatsminister, halten Sie es für eine ausreichende Vertretung der deutschen Interessen, wenn der Vertreter der Bundesregierung vor den Vereinten Nationen zum gewaltsamen Gebietserwerb in Ländern, die nicht gerade in unserer unmittelbaren Nachbarschaft liegen, klare Erklärungen abgibt, während Sie als Vertreter der Bundesregierung hier im Bundestag um klare Fragen, die sich auf Deutschland beziehen, wie die Katze um den heißen Brei herumschleichen?
Herr Abgeordneter, Zusatzfragen, die Wertungen dieser Art enthalten, sind nach den Regeln der Geschäftsordnung nicht zulässig.
Ich rufe die Frage 131 des Herrn Abgeordneten Dr. Becher auf:
Billigt die Bundesregierung das Verhalten des Botschafters von Wechmar, der sich am 19. November 1974 vor dem Plenum der UNO für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser und für den Rückzug Israels aus den 1967 besetzten Gebieten aussprach?
Herr Abgeordneter, aus dem vollständigen Wortlaut der Erklärung des Vertreters der Bundesrepublik Deutschland in der Palästina-Debatte vom 19. November 1974 und aus seiner Erläuterung zum Stimm-
Staatsminister Moersch
verhalten vom 22. November 1974 ergibt sich, daß die von Ihnen genannten beiden Punkte lediglich zwei aus der Gesamtkonzeption der ausgewogenen Nahostpolitik einseitig herausgegriffene Elemente darstellen. Dies vorausgeschickt, stelle ich fest, daß sich die Haltung der Bundesregierung zur Nahostfrage unverändert auf die Entschließung 242 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen und die Stellungnahme der Staaten der Europäischen Gemeinschaft vom 6. November 1973 gründet. Das umschließt die Auffassung der Bundesregierung, daß das Existenzrecht Israels in anerkannten und sicheren Grenzen unverzichtbar ist. Im Rahmen dieser Politik der Bundesregierung hält sich die Erklärung, die der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland vor den Vereinten Nationen am 19. November 1974 abgegeben hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Becher!
Herr Staatsminister, hält es die Bundesregierung für richtig, daß sich ihr Botschafter im ersten Teil seiner Erklärungen vor der UNO in dem Augenblick zum Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser bekannt hat, als es durch den Auftritt Arafats als Argument für die Vernichtung des Staates Israel gehandhabt wurde?
Ich meine, Herr Abgeordneter, es ist nicht berechtigt, den Zusammenhang, den Sie in der Frage hergestellt haben, herzustellen. Ich habe darauf verwiesen, daß wir am 6. November 1973, als wir der UNO noch nicht angehört haben, zur Resolution Nr. 242 einen Standpunkt eingenommen haben. Es wäre ganz falsch gewesen, wenn der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der Erklärung zu unserem Verhalten einen anderen Standpunkt eingenommen hätte, etwa aus Gründen, wie Sie sie eben genannt haben. Es war notwendig, diesen Standpunkt noch einmal zu verdeutlichen, weil es auch notwendig war, auf die Existenzberechtigung und das Recht Israels, in anerkannten und sicheren Grenzen zu leben, hinzuweisen. Eine Regelung im Nahen Osten, die nicht auf beide Elemente Rücksicht nimmt, wird nach heutiger allgemeiner Überzeugung in der Welt wohl keine Regelung sein können, die wirklich den Frieden bringt. Der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland hat nichts anderes getan, als die Elemente noch einmal darzustellen, die nach unserer Auffassung für eine friedliche Entwicklung notwendig sind. Das hat nichts mit einer Kommentierung oder einer Billigung oder einem Eingehen auf Erklärungen anderer zu tun. Es war eine abgestimmte Erklärung; sie war auch im Kreise der neun europäischen Staaten abgestimmt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wird das Bekenntnis, das unser Botschafter dankenswerterweise im zweiten Teil seiner Ausführungen zur Existenz Israels zum Ausdruck gebracht hat, nicht durch das Verhalten bei der von Ihnen zitierten Abstimmung über die Palästina-Resolution der UNO in Frage gestellt, die den Palästinensern, wie es dort wörtlich heißt, ein Vorgehen mit allen Mitteln zugesteht?
Herr Abgeordneter, ich hatte jetzt leider keine Gelegenheit, dieses falsche Zitat, das sich in der Frage des Grafen Stauffenberg befindet, zu berichtigen. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen den Wortlaut zu geben; dann werden Sie feststellen, daß Ihre Frage in dem wirklichen Wortlaut keine Grundlage hat. Es wird nämlich von den Mitteln, die in der Charta der Vereinten Nationen vorgesehen sind, gesprochen. Das ist etwas anderes als „mit allen Mitteln".
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, wenn die Selbstbestimmung ein unverzichtbares Recht ist, wie erklärt es sich dann, daß Herr von Wechmar kein Wort über das Selbstbestimmungsrecht der Israelis verloren hat?
Herr Abgeordneter, Ihre Frage unterstellt etwas, was nicht richtig ist; denn es ist in der Rede ausdrücklich davon gesprochen worden. Ich bedaure, daß Sie offensichtlich Opfer einer Berichterstattung einer Agentur geworden sind, die erwiesenermaßen unvollständig war.
— Ich habe ihn ebenfalls hier. Dann müßten wir verschiedene Sprachen sprechen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Metzger.
Herr Minister, ist es richtig, daß der jetzige Standpunkt der Bundesregierung zu Israel der Politik früherer Bundesregierungen in dieser Frage voll entspricht?
Wir haben keinen Anlaß, zu sagen, daß sich an dieser Politik etwas geändert hat. Es war immer die Politik aller Bundesregierungen, eine friedliche Regelung im Nahen Osten zu begünstigen und dabei auf die Rechte aller Beteiligten Rücksicht zu nehmen, weil eine solche friedliche Entwicklung anders nicht möglich wäre. Das ist eine ausgewogene Politik. Ich möchte von den Kritikern dieser Politik gerne einmal andere Vorschläge hören. Die habe ich bisher leider vermißt.
9100 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Ist beim Wortlaut der Erklärung des Herrn von Wechmar die Notwehr- und Selbstverteidigungssituation des israelischen Volkes ebenfalls abgewogen und gewogen worden?
Ich habe die Frage akustisch nicht verstanden.
Ich wiederhole sie: Ist beim Wortlaut der Erklärung des Herrn von Wechmar die Notwehr- und Selbstverteidigungssituation des israelischen Volkes ebenfalls abgewogen und gewogen worden?
Wie aus der Erklärung hervorgeht, Herr Abgeordneter.
Ich rufe die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Becher , die Frage 132, auf.
Ist die Bundesregierung bereit, vor der UNO auch die am 14. Dezember 1973 eingereichte Petition der deutschen Vertriebenen zu vertreten, welche die Beachtung ihrer Menschenrechte, ihres Rechts auf die angestammte Heimat und ihres Selbstbestimmungsrechts verlangt?
Herr Staatsminister!
Sie sollte wohl in einer anderen Reihenfolge aufgerufen werden.
Nein, Herr Kollege, ich werde anschließend an diese Frage die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka, die Frage 137, aufrufen. Aber jetzt rufe ich zunächst die Frage 132 auf.
Herr Abgeordneter, Eingaben zu Menschenrechtsfragen werden bei den Vereinten Nationen zunächst von einer Arbeitsgruppe des Unterausschusses zur Diskriminierungsverhütung und zum Schutz von Minderheiten geprüft. Dieser entscheidet darüber, ob die Eingabe an den Unterausschuß weitergeleitet wird. Die Mitglieder beider Gremien werden in ihrer persönlichen Eigenschaft, nicht als Vertreter von Regierungen gewählt. Die Bundesregierung hat deshalb keine Möglichkeit, auf die Behandlung der Petition Einfluß zu nehmen.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wie vermag die Bundesregierung den Vorwurf doppelter Einstellung oder zumindest der Unterlassung pflichtgemäßer Vertretung legitimer Interessen des eigenen Volkes abzuwehren, wenn sie den Palästinensern das Recht auf Selbstbestimmung in der angestammten Heimat zubilligt, sich
aber offenbar nur aus formellen Gründen auf der anderen Seite weigert, einer Petition der deutschen Heimatvertriebenen Gehör zu verschaffen, welche die gewaltlose Erfüllung des gleichen Rechts für sie in Anspruch nimmt?
Herr Abgeordneter, der Vorgang ist anders. Sie hat sich keineswegs geweigert, sondern die Bundesregierung hat in den Stellungnahmen vor den Vereinten Nationen ihre Position in dieser Frage klar bezogen. Der Herr Minister hat Ihnen in einem Brief die Gründe dargelegt, warum in diesem Verfahren eine direkte Einwirkung der Bundesregierung nicht möglich ist. Ich darf mich auf diesen Brief beziehen.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Unter Hinweis auf den Brief des Herrn Ministers, der sich ja auch nur auf die formellen Ursachen des Nichteintretens bezieht, möchte ich doch fragen: Muß die Bundesregierung durch ihr Verhalten nicht den Eindruck bestätigen, sie vertrete im vorliegenden Fall das Recht auf Selbstbestimmung der Heimat nur dort, wo es mit Bomben und Granaten verfochten wird, nämlich von Herrn Arafat, nicht aber dort, wo es auf dem Wege gewaltloser, geistiger und politischer Bekundung angestrebt wird?
Die Bundesregierung hat keinerlei Anlaß zu einer solchen Fragestellung gegeben. Ich habe bereits auf die Stellungnahme der Bundesregierung zum Selbstbestimmungsrecht und zu den Menschenrechten vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen verwiesen. Ihnen ist auch bekannt, was die Bundesregierung veranlaßt hat, gerade in diesem Fall eine Haltung einzunehmen, wie sie in dem Brief dargestellt worden ist. Ich glaube, es ist nicht sinnvoll, wenn ich den Brief hier verlese; denn sonst hätten Sie ja keinen internen Briefwechsel geführt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Ist die Bundesregierung bereit, weiterhin zu prüfen, ob es irgendwelche politischen und rechtlichen Mittel gibt, daß die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen diese von 150 000 Deutschen, 4 amtierenden Ministerpräsidenten der Länder und 2 ehemaligen Bundeskanzlern unterschriebene Petition angemessen unterstützt?
Die Bundesregierung hat diese Prüfung vorgenommen, und sie hat ihren Standpunkt dargelegt. Ich kann dem nichts hinzufügen.
Ich rufe die Frage 137 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974 9101
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Welchen Schluß zieht die Bundesregierung aus dem Satz von Botschafter von Wechmar, gesprochen am 19. November 1974 vor den Vereinten Nationen während der Debatte über Israel: „Wir betrachten es als unzulässig, Gebiete durch Gewaltanwendung zu erwerben und halten es für notwendig, daß Israel die territoriale Besetzung beendet" für ihre eigene Politik angesichts der Annexion Ostdeutschlands jenseits von Oder und Neiße durch die Volksrepublik Polen und die Sowjetunion?
Herr Staatminister, ich darf die Frage in diesem Zusammenhang anfügen.
Herr Kollege, zunächst darf ich wie bei meinen bisherigen Antworten zu diesem Thema — auf den vollen Wortlaut der Erklärung hinweisen, die der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland vor der UNO am 19. November 1974 und am 22, November 1974 abgegeben hat. Diese Erklärungen beruhen auf der Grundlage der Sicherheitsrats-Entschließungen Nr. 242 vom 22. November 1967 und Nr. 338 vom 22. Oktober 1973 sowie der Nahost-Erklärung der Außenminister der Staaten der Europäischen Gemeinschaft vom 6. November 1973.
Der Grundsatz, gewaltsamen Gebietserwerb nicht anzuerkennen, leitet sich aus dem völkerrechtlichen Gewaltverbot ab. Das Gewaltverbot, wie es u. a. in Art. 2 Nr. 4 der Charta der Vereinten Nationen ausgedrückt ist, liegt der Politik dieser Bundesregierung ebenso wie derjenigen ihrer Vorgängerinnen seit jeher zugrunde. Die Bundesregierung muß deshalb nicht, wie Sie unterstellen, eine auf diesen Grundsätzen beruhende Aussage ihres Vertreters vor der UNO zum Anlaß nehmen, Schlüsse für ihr eigenes zukünftiges Verhalten zu ziehen.
Was die Bedeutung des völkerrechtlichen Gewaltverbots für Europa betrifft, so darf ich Sie auf die Antworten verweisen, die ich heute dem Kollegen Czaja und am 25. April dem Kollegen Gerlach gegeben habe.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist nicht durch die Verträge von Moskau und Warschau genau das Gegenteil von dem geschehen, was jetzt Herr von Wechmar vor den Vereinten Nationen gesagt hat, nämlich die widerspruchslose Hinnahme und Zustimmung zu Annexionen und Okkupationen durch die Bundesregierung?
Nein, Herr Abgeordneter. Ich sehe mich gezwungen, noch einmal diese Position zu verdeutlichen. Die Bundesregierung hat weder durch den Art. 3 des Moskauer Vertrags vom 12. August 1970 noch durch den Art. 1 des Warschauer Vertrags anerkannt, daß zu Lasten Deutschlands ein Gebietserwerb durch Gewalt zulässig wäre. Durch Art. 3 des Moskauer Vertrags ist klargestellt, daß die Grenzen in Europa in ihrem gegenwärtigen Verlauf dem völkerrechtlichen Gewaltverbot unterstehen. Damit wird nichts darüber ausgesagt, wie diese Grenzen zustande gekommen sind. Das gleiche gilt für Art. 1 des Warschauer Vertrags. In diesem Artikel haben die Bundesrepublik Deutschland und die Volksrepublik Polen übereinstimmend festgestellt, daß die Grenze an Oder und Neiße die Westgrenze Polens bildet. Eine Aussage darüber, wie diese Grenze zustande gekommen ist, ist auch in Art. 1 des Warschauer Vertrags nicht gemacht worden, und zwar bewußt nicht, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage.
Können Sie mir darin zustimmen, Herr Staatsminister — indem wir den Satz von Herrn von Wechmar vor den Vereinten Nationen wieder aufgreifen —, daß die gegenwärtige Situation von Ostdeutschland einschließlich des Nordens von Ostpreußen völkerrechtswidrige Annexion ist?
Herr Abgeordneter, die tatsächlichen Umstände, unter denen im Jahre 1945 die Oder-Neiße-Linie entstanden ist, sind Ihnen doch wohl bekannt. Was die daraus entstandene Grenze angeht, so hat sich die Bundesregierung allein darauf festgelegt, daß die Grenze an Oder und Neiße die Westgrenze der Volksrepublik Polen ist. Sie hat sich nicht auf eine Bewertung der in der Vergangenheit liegenden Vorgänge eingelassen. Im übrigen möchte ich auch in diesem Zusammenhang auf meine Antworten auf die Fragen vom 25. April noch einmal verweisen sowie auf die ausführlichen Beratungen hier. Ich habe auch nicht den Eindruck, Herr Abgeordneter, daß es inzwischen allgemein vergessen worden sei, daß diese Entscheidung am 8. Mai 1945 gefallen ist. Ich habe noch ein Datum im Kopf, das der 1. September 1939 ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Arndt.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, dem Anfragesteller zu bestätigen, daß ich selbst als Berichterstatter des Rechtsausschusses dieses Hauses in der Debatte der zweiten Lesung der beiden genannten Verträge hier ausdrücklich für den Rechtsausschuß und damit für dieses Haus erklärt habe, daß die Verträge weder eine Annexion noch eine Billigung einer solchen Annexion darstellen?
Herr Abgeordneter, ich zweifle nicht, daß Sie richtig zitiert haben.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, würden Sie im Zusammenhang mit Ihrer vorletzten Antwort bestätigen, daß der gemeinsame Vertragswille
9102 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974
Dr. Czaja
beider Verträge ausschließlich den — im übrigen völkerrechtlich gebotenen und von mir voll bejahten — Verzicht auf Gewaltanwendung und Gewaltdrohung gegen Demarkationslinien und Grenzen enthält?
Herr Abgeordneter, ich glaube, ich habe mich sehr deutlich ausgedrückt. Ich habe in Erwartung Ihrer Zusatzfragen die Antwort diesmal schriftlich vorbereitet.
Ich rufe die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Haase auf:
Bedeuten die Rede des deutschen UN-Botschafters von Wechmar von den Vereinten Nationen und das Abstimmungsverhalten der Bundesrepublik Deutschland bei der UN-Resolution über Palästina eine Veränderung der deutschen Außenpolitik gegenüber Israel?
Herr Staatsminister!
Nein, Herr Abgeordneter, das bedeutet sie nicht. Die Bundesregierung ist vielmehr unverändert der Auffassung — wie ich soeben dargelegt habe —, daß zum Ziel ihrer ausgewogenen Nahostpolitik das Existenzrecht Israels in anerkannten und sicheren Grenzen gehört.
Zusatzfrage!
Herr Staatsminister, könnte es nicht sein, daß durch die Bezugnahme auf die europäische Haltung in der Frage der Nahostpolitik und der Stellung zu Israel die freundschaftliche Haltung der Bundesrepublik ins Zwielicht kommen kann, da — das ist eine Frage — wohl nicht angenommen werden kann, daß alle europäischen Länder die gleiche Auffassung von der Nahostpolitik haben, wie sie die Bundesregierung vertritt?
Herr Abgeordneter, ich muß in zwei Teilen antworten. Ich hatte den Eindruck, daß es der gemeinsame Wille des Bundestags ist, wo immer es möglich ist, eine gemeinsame Haltung der neun Staaten zu Fragen von vitaler Bedeutung für diese neun Staaten zu erarbeiten. Die Bundesregierung hat dies, nicht immer mit Erfolg, versucht. Es gab ja Fälle, wo verschiedenartig abgestimmt worden ist.
Was diese spezielle Frage betrifft, so besteht kein Grund zu der Annahme, daß unsere Haltung in den Beziehungen etwas zum Nachteil der Bundesrepublik verändert hätte. Es besteht aber Grund zu der Aussage, daß Staaten, die früher vielleicht eine etwas abweichende Meinung hatten und früher auch durchaus abweichend votiert hatten, sich in diesem Punkt der gemeinsamen Auffassung der Neun genähert haben. Und das halte ich für einen Erfolg unserer Bemühungen.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Verneinen Sie damit den Eindruck, der möglicherweise auch entstanden ist, daß sich die deutsche Außenpolitik eher dem Standpunkt derjenigen europäischen Staaten genähert hat, die eine sehr differenzierte Haltung zu Israel gehabt haben?
Herr Abgeordneter, da müssen Sie sich etwas deutlicher ausdrücken. Die Bundesregierung hat jedenfalls hier dargestellt, daß sie keine Änderung ihrer Politik vorgenommen hat, und die objektiven Umstände, die ich hier dargelegt habe, sprechen für diese Haltung. Daß es Empfindungen gibt, die ganz unterschiedlich und zum Teil gegenteilig bewertet werden, ist mir bekannt. Gelegentlich hat die Bundesregierung darin, daß sie sozusagen von zwei Seiten unter Feuer genommen wird, eine Bestätigung gesehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatsminister, wenn sich die Haltung der Bundesregierung zu Israel nicht gewandelt hat, warum steht in der Rede von Herrn Wechmar nur etwas über das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes und kein Wort, eben expressis verbis, über das Selbstbestimmungsrecht von Israel?
Herr Abgeordneter, ich habe vorhin den Satz über Israel zitiert. Aber Sie verkennen hier ein bißchen, daß es sich um eine Debatte handelte, die einen Antrag zu einem Resolutionentwurf der Palästinenser betroffen hat. Es ist ganz selbstverständlich, daß dann, wenn eine Debatte auf Grund eines Antrages — den nicht wir gestellt hatten — über die Frage der Palästinenser geführt wird, die Erklärung der Bundesregierung vor allem auf das Palästinenserproblem eingehen mußte, daß dabei aber die Ausgewogenheit der Politik durch eine klare Bestätigung unserer bisherigen Haltung dokumentiert wurde, nämlich die Bejahung des Rechts Israels, in anerkannten und gesicherten Grenzen zu leben.
Und das bedeutet das Selbstbestimmungsrecht. Was sollte das sonst bedeuten? Ich habe nicht den Eindruck, daß das ein besonderes Problem sei. Das Problem ist vielmehr, daß der Staat Israel das Recht auf sichere Grenzen hat. Daß wir dies wiederholt haben, was allgemeine Meinung ist, kann doch nicht zu dem Schluß führen, wir hätten etwas anderes gemacht.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974 9103
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Blumenfeld.
Herr Staatsminister, würden Sie mir beipflichten, wenn ich sage, daß es sicherlich zweckmäßig wäre, in Zukunft den Botschafter bei den Vereinten Nationen oder den Vertreter der Bundesregierung in internationalen Organisationen mit deutlicheren, klareren und besseren Argumenten auszurüsten, damit an der Haltung der Bundesregierung, die Sie hier eben ausgedrückt haben, kein Zweifel entstehen kann?
Nein, Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen nicht beipflichten. Es wäre auch ganz falsch, den Eindruck zu erwecken, hier hätte eine Botschaft oder ein Botschafter sozusagen aus eigenem Antrieb gehandelt. Das widerspricht eindeutig dem ganzen Hergang. Der Botschafter hat eine Rede vorgetragen, die selbstverständlich mit uns zu Hause abgestimmt war.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Metzger.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, die von Ihnen eben hier wiedergegebene Haltung gegenüber Israel auch im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft zu vertreten?
Die Bundesregierung hat diese Haltung vertreten, und sie hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie diese Haltung in der Europäischen Gemeinschaft immer vertreten wird. Die Gesamtsituation der Europäischen Gemeinschaft in der letzten Zeit beweist, daß sich diese Staaten nähergekommen sind, und zwar im Sinne einer Politik, die wir für ausgewogen halten.
Ich rufe die Frage 135 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann auf.
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es allein Sache des Deutschlandfunks und seiner Gremien ist, in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht über Größe und Aufgabenbereich seines Studios Berlin und den Umfang von dessen Tätigkeit zu entscheiden, und teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß allein der Wortlaut des Vier-Mächte-Abkommens maßgeblich sein kann und nicht „bekannte Standpunkte der Teilnehmer des Abkommens", womit die Sowjetunion widerrechtlich ein Recht beanspruchen würde, die Befolgung ihrer jeweiligen Auslegung des Abkommens von der Bundesregierung und dem Senat von Berlin verlangen zu können?
Bitte, Herr Staatsminister!
Herr Abgeordneter, den ersten Teil Ihrer Frage beantworte ich unter dem Hinweis auf die Regelungen der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten im Gesetz über die Errichtung von Rundfunkanstalten des Bundesrechts vom 29. November 1960 mit Ja. Dabei obliegt der Bundesregierung entsprechend den Regelungen über Landesrundfunkanstalten eine
beschränkte Rechtsaufsicht. Diese bezieht sich auf Maßnahmen oder Unterlassungen, die das vorerwähnte Bundesrundfunkgesetz verletzen.
Was die Auslegung des Viermächte-Abkommens vom 3. September 1971 anbetrifft, so ist dafür entsprechend den Regeln des Völkerrechts der Wortlaut des Abkommens und der dazugehörigen Dokumente maßgeblich.
Zusatzfrage!
Ich verstehe Sie dann also richtig, daß Sie „bekannte Standpunkte der Teilnehmer des Abkommens" — wie es die Sowjetunion formuliert, etwas, was nicht in dem Viermächte-Abkommen steht — nicht als Interpretationsgrundlage für das Viermächte-Abkommen ansehen?
Herr Abgeordneter, ich habe vor diesem Hause schon dargelegt, daß für die Interpretation und Kommentierung des Viermächte-Abkommens die Signatarmächte zuständig sind. Wir stehen in all diesen Fragen in engem Kontakt mit den drei Westmächten, die hier die Verantwortung haben.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung bereit, die Auffassungen und die Bemühungen des Deutschlandfunks hinsichtlich der Rechte, die er in Berlin auf Grund Artikel 5 des Grundgesetzes wahrnimmt, auch gegenüber den Signatarmächten zu unterstützen?
Herr Abgeordneter, es besteht kein Anlaß, eine hypothetische Frage zu beantworten. Die Bundesregierung hat sich so verhalten, wie es den Interessen des Deutschlandfunks entspricht.
Die Frage 133 des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 136 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß bis heute Punkt 4 der „Information" zum Warschauer Vertrag bezüglich der Unterrichtung des Deutschen Roten Kreuzes durch das Polnische Rote Kreuz nach Vorlage der Listen der Aussiedlungswilligen durch das Deutsche Rote Kreuz nicht erfüllt worden ist, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, damit diese Unterrichtung „über das Ergebnis der Prüfung übermittelter Anträge durch die polnischen Behörden" so schnell und so umfangreich wie möglich erfolgt?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist vom Deutschen Roten Kreuz ständig umfassend über die Entwicklung der Zusammenarbeit mit dem Polnischen Roten Kreuz bei der Lösung der humanitären
9104 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974
Staatsminister Moersch
Probleme im Sinne der „Information der Regierung der Volksrepublik Polen" unterrichtet worden. Der Bundesregierung ist daher auch der Stand des Verfahrens bei Punkt 4 der „Information" bekannt.
Zur hier vorgesehenen Übermittlung von Prüfungsergebnissen zu Ausreiseanträgen kann ich folgendes feststellen. Das Polnische Rote Kreuz hat das Deutsche Rote Kreuz zwar zeitweilig in gewissem Umfange von den Entscheidungen der Wojewodschaftsbehörden über Ausreiseanträge in Kenntnis gesetzt. Für die Mehrheit der vom Deutschen Roten Kreuz übermittelten Unterlagen wurde jedoch bisher kein Prüfungsergebnis mitgeteilt.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Wie Sie wissen, ist die Bundesregierung in Gesprächen mit der Regierung der Volksrepublik Polen bemüht, die sich aus der unvollständigen Erfüllung der „Information" ergebenden Fragen zu klären. Hierzu zählt auch die von Ihnen angesprochene Frage, daß das Polnische Rote Kreuz nicht die in Ziffer 4 der „Information" vorgesehene Ermächtigung erhalten hat und daß daher die geplante umfassende Zusammenarbeit der Rotkreuzgesellschaften bisher nicht verwirklicht werden konnte.
Zusatzfrage!
Sieht die Bundesregierung darin, Herr Staatsminister, eine Verletzung der „Information" zum Warschauer Vertrag durch die polnische Regierung?
Die Bundesregierung hat in den Gesprächen deutlich gemacht, daß in diesem Punkte die Erklärung nicht erfüllt worden ist.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Könnten Sie mir darin zustimmen, Herr Staatsminister, daß es sehr leicht wäre, wenn nun endlich die Prüfungsergebnisse aus Polen vorlägen, zu einer Übereinstimmung in den Zahlen zu kommen, nachdem polnischerseits immer wieder die vom Deutschen Roten Kreuz ermittelte Zahl von über 280 000 Aussiedlungswilligen in Frage gestellt wird?
Ich würde diesen Gedanken gern einmal nachprüfen. Es ist uns mitgeteilt worden, daß die letzte Übersendung der Liste am 11. Dezember erfolgen soll. Danach wird man dann sicherlich ein klareres Bild bekommen.
Ich rufe die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst auf:
Was hat die Bundesregierung anläßlich der deutsch-italienischen Kreditverhandlungen unternommen, um die Italiener zur Einhaltung ihrer wiederholten Zusage, das Pal-Farbfernseh-System einzuführen, zu bewegen, und welche Konsequenzen zieht sie aus den in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 15. November 1974 berichteten neuen Fakten, die eine gegenteilige Entwicklung in Italien beweisen?
Herr Abgeordneter, der erste Teil der Frage bezieht sich offensichtlich auf den am 30./31. 8. 1974 in Bellagio vereinbarten Währungskredit der Deutschen Bundesbank an die Banca d'Italia. Dieser Kredit der Deutschen Bundesbank ist nicht von einer Zusicherung der italienischen Regierung abhängig gemacht worden, das PAL-Farbfernsehsystem in Italien einzuführen.
Die italienische Regierung hat bislang noch keine Wahl zwischen dem deutschen PAL- und dem französischen SECAM-Farbfernsehsystem getroffen. Die in dem Artikel der FAZ vom 15. 11. 1974 angesprochenen Bemühungen, dem SECAM-System schon vor einer offiziellen Entscheidung in Italien zum Durchbruch zu verhelfen, werden von einer Gruppe privater Industrieller getragen, die sich hierbei privatbetriebener Relaisstationen bedient. Die italienische Regierung hat sich in der Vergangenheit zwar wiederholt positiv zu PAL geäußert, aber stets in unverbindlicher Form. Die Bundesregierung ist daran interessiert, daß das PAL-Farbfernsehsystem auch in Italien eingeführt wird. Es ist aber allein Sache der italienischen Regierung, in Abwägung aller innen-, wirtschafts- und außenpolitischen Interessen hierüber eine souveräne Entscheidung zu treffen. Die Bundesregierung unterstützt im Rahmen der ihr gegebenen Möglichkeiten und der ihr gesetzten Grenzen die Bemühungen der deutschen Industrie, dem PAL-Verfahren in Italien zum Durchbruch zu verhelfen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jobst.
Herr Staatssekretär, wenn die Bundesregierung mit Recht daran interessiert ist, daß das PAL-Fernsehsystem in Italien eingeführt wird, sind Sie nicht der Meinung, daß es bei den Kreditverhandlungen mit Italien im Interesse der Verbesserung der Auftragssituation der deutschen Elektroindustrie und der Sicherung der Abeitsplätze angebracht und, ich meine, sogar geboten gewesen wäre, darauf hinzuwirken, daß Italien das deutsche PAL-Fernsehsystem übernimmt, nachdem doch auch in weiten maßgeblichen Kreisen in Italien die Neigung besteht, das deutsche System zu übernehmen?
Herr Abgeordneter, ich hatte die Frage verneint und mache darauf aufmerksam, daß es hier am Ende ja nicht um eine Regierungsentscheidung gegangen ist, sondern um eine Entscheidung der Notenbanken. Wir haben in anderen Besprechungen mit den italienischen Partnern keinen Zweifel daran gelassen, daß wir diesen Wunsch nachdrücklich unterstützen. Aber hier ist eine privatrechtliche Frage nicht mit einer staatsrechtlichen Frage oder einer Frage der Notenbanken zu koppeln gewesen. Das hätte sicherlich nicht im Interesse aller Betroffenen und der Sache selbst gelegen. Wir sahen also keinen Anlaß, das in diesem Zusammenhang direkt aufzugreifen.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974 9105
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in Italien nicht nur die Presse, sondern auch der zuständige Industrieverband sowie das italienische Fernsehen an dem deutschen PAL-System interessiert sind, und hätte man nicht bei dieser Gelegenheit, wenn die Bundesrepublik oder die Deutsche Bundesbank einen so hohen Kredit gibt, diese Frage damit verbinden können?
Herr Abgeordneter, ich glaubte das beantwortet zu haben. Aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß es offensichtlich innerhalb Italiens Entscheidungseinflüsse gibt, die wir nicht beurteilen können. Ich bin gern bereit, Ihnen im privaten Gespräch ein paar Hinweise zu geben. Vielleicht können Sie darauf einwirken. Sie haben da möglicherweise mehr Kontakte als wir.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe auf den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. de With zur Verfügung. Die erste Frage ist von dem Herrn Abgeordneten Brandt eingereicht, die Frage 41:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, daß die Beamten des allgemeinen Vollzugsdienstes nach einheitlichen Grundsätzen aus- und fortgebildet und die Ausbildung insgesamt entsprechend der sich verändernden Aufgabenstellung verbessert wird?
Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, die Bundesländer betreiben die Ausbildung und Fortbildung der Beamten des allgemeinen Vollzugsdienstes in eigener Zuständigkeit und haben diesen Gegenstand in Ausbildungs- und Prüfungsordnungen geregelt, die in den Grundsätzen nicht wesentlich voneinander abweichen. Die jeweiligen Ausbildungskurse und anderen Ausbildungsmaßnahmen orientieren sich an den jeweils in den Ländern gegebenen Ausbildungsbedürfnissen und Ausbildungsmöglichkeiten. Eine Verbesserung ist auch im Hinblick auf die sich wandelnden Aufgaben der Vollzugsanstalten kaum von einer Vereinheitlichung, sondern allenfalls von einer Intensivierung und Umorientierung der Ausbildungsmaßnahmen zu erwarten.
Für die Neuorientierung der Vollzugsaufgaben soll das Strafvollzugsgesetz einen Beitrag leisten, das gegenwärtig in den Bundestagsausschüssen beraten und nach dem Vorschlag der Bundesregierung auch Aufgaben des Strafvollzuges festlegen wird.
Weitergehende bundesgesetzliche Regelungen müssen, sofern sie beamtenrechtlichen Inhalts sind, die verfassungsmäßige Zuständigkeit der Länder für beamtenrechtliche Regelungen beachten, die dem
Bund nur eine Kompetenz zur Rahmengesetzgebung belassen. Soweit die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Strafvollzug detailliertere Regelungen zuläßt, muß berücksichtigt werden, daß unterschiedliche regionale Gegebenheiten, die zu einer Verschiedenheit in den bisherigen Regelungen geführt haben, einer Vereinheitlichung entgegenstehen.
Der Strafvollzugsausschuß der Länder hat sich noch bei seiner 39. Tagung im Oktober 1973 mit der Frage der Erarbeitung einheitlicher Ausbildungs- und Prüfungsvorschriften für den mittleren Dienst im Strafvollzug befaßt. Er hat eine Vereinheitlichung für wünschenswert angesehen, war aber der Auffassung, daß dies in absehbarer Zeit wegen der vorhandenen Unterschiede in Detailfragen nicht zu erreichen ist.
Die Bundesregierung, Herr Kollege, ist bestrebt, in-1 Rahmen der gegebenen Möglichkeiten gemeinsam mit den Ländern die Probleme des Strafvollzugs und namentlich auch der Ausbildung und Fortbildung der Vollzugsbeamten zu lösen. Soweit eine fördernde Mitarbeit außerhalb der Gesetzgebung in Betracht kommt, muß die Bundesregierung ihre Aufmerksamkeit in erster Linie doch auf den erheblichen Nachholbedarf an bundesgesetzlichen Regelungen für den Strafvollzug richten. Das Strafvollzugsgesetz befindet sich in der Beratung, eine Novellierung der Rechtsverordnung über den Vollzug des Jugendarrestes wird gegenwärtig bearbeitet, bundesrechtliche Regelungen über den Jugendstrafvollzug und den Vollzug der Untersuchungshaft sind dringend notwendig. Hinter diesen Aufgaben muß zur Zeit die Förderung anderer Aufgaben zurücktreten, die in erster Linie in der Verwaltungszuständigkeit der Länder stehen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann man trotz der Schwierigkeiten, die sich aus Zuständigkeitsfragen ergeben und die ich sehe, davon ausgehen, daß die Bundesregierung zumindest weiterhin darauf hinwirken wird, daß die Mindestvoraussetzungen, die sich im Zusammenhang mit den Aufgaben des Vollzugsgesetzes ja auch wandeln, festgelegt und neu überdacht werden?
Daß dies ein Anliegen der Bundesregierung ist, Herr Kollege, davon können Sie mit Sicherheit ausgehen.
Keine weitere Zusatzfrage?
Ich rufe dann die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Brandt auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Chance, die Forderung nach einer Bundesakademie far den Strafvollzug zu verwirklichen?
Die Landesjustizverwaltungen
9106 Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974
Parl. Staatssekretär Dr. de With
betreiben die vorbereitenden Arbeiten für eine Bundesakademie in engem Kontakt mit dem Bundesministerium der Justiz, aber in eigener Zuständigkeit. Zuletzt ist der 40. Tagung des Strafvollzugsausschusses der Länder Mitte Oktober dieses Jahres über den Sachstand berichtet worden. Danach läßt sich ein genauer Zeitpunkt für die Errichtung der Bundesakademie noch nicht absehen. Im einzelnen ist über den Fortgang der Arbeiten folgendes auszuführen:
Der Bundesminister der Justiz hat die Entschließung des Deutschen Bundestages vom 25. Mai 1965, die auf den Abschluß eines Abkommens über die Errichtung, Aufgaben und Finanzierung eines zentralen Instituts zur Ausbildung und Fortbildung von Strafvollzugsbediensteten zielte, mit einem Schreiben vom 28. Juni 1965 den Landesjustizverwaltungen übermittelt. Anschließend hat ein von der 32. Justizministerkonferenz eingesetzter Unterausschuß Grundlagen für überregionale Fortbildungskurse ausgearbeitet und vorgeschlagen, die Errichtung einer zentralen Ausbildungsstelle so lange zurückzustellen, bis ausreichende Erfahrungen bei der Durchführung der überregionalen Fortbildungskurse gesammelt worden seien. Die 33. Justizministerkonferenz hat sich am 29. Oktober 1965 diesem Vorschlag angeschlossen. Die in diesen Kursen gesammelten Erfahrungen sind ausgewertet worden und haben zu dem Beschluß der 38. Justizministerkonferenz am 31. Oktober 1969 geführt, den Strafvollzugsausschuß der Länder zu beauftragen, detaillierte Vorschläge über Standort, Kapazität, Lehrpläne und Ausstattung einer zentralen Fortbildungsstätte für Vollzugsbedienstete auch im Hinblick auf den voraussichtlichen Kostenbedarf zu erarbeiten.
Die 40. Justizministerkonferenz hat am 27. Oktober 1971 die vorn Strafvollzugsausschuß der Länder vorgelegte Konzeption gebilligt und die Errichtung einer Akademie für Strafvollzug im Grundsatz beschlossen.
Die Bemühungen der Landesjustizverwaltungen richten sich zur Zeit darauf, auf der Grundlage eines bestimmten, in der Gemeinde Nümbrecht zu errichtenden Projekts die Finanzierung zu sichern und den Abschluß einer entsprechenden Vereinbarung vorzubereiten.
Ich rufe Frage 43 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Gibt es Stellungnahmen im wissenschaftlichen oder politischen Bereich, nach denen die zwangsweise Ernährung eines Untersuchungshäftlings zur Abwehr seines Selbstmords als unmenschlich betrachtet wird, und schließt sich die Bundesregierung dieser Auffassung an?
Herr Kollege, Stellungnahmen im wissenschaftlichen Bereich, nach denen die zwangsweise Ernährung eines Untersuchungshäftlings, der die Nahrungsaufnahme verweigert, als unmenschlich betrachtet werden, sind der Bundesregierung nicht bekannt. Bei Ihrer Frage nach Stellungnahmen im politischen Bereich denken Sie offenbar an Äußerungen des Herrn Kollegen Carstens, über die ausführlich in der Presse berichtet worden ist. Es entspräche wohl nicht dem Sinn einer mündlichen Anfrage, daß der Vertreter der Bundesregierung jetzt hier einen lückenlosen Überblick über die von Politikern des Bundes und der Länder im Anschluß an diese Äußerung in der Öffentlichkeit gemachten Bemerkungen gibt.
In der Sache vertritt die Bundesregierung die Auffassung, daß — auch unter verfassungsrechtlichem Aspekt — an der Zulässigkeit zwangsweiser künstlicher Ernährung eines Untersuchungshäftlings, der sich zum Hungerstreik entschlossen hat, nicht gezweifelt werden kann. Droht dem Häftling ein lebensgefährdender Zustand, besteht darüber hinaus die Verpflichtung der zuständigen Behörden, ihn auch gegen seinen Willen künstlich zu ernähren.
Es liegt aber auf der Hand, daß sich schwierige Situationen ergeben können, wenn sich der Betroffene mit allen Kräften gegen die Zwangsernährung wehrt. Ob dabei unter Umständen ein Punkt erreicht werden kann, bei dem sich im Hinblick auf den Betroffenen und aus der Sicht des die Zwangsernährung durchführenden Arztes hinsichtlich der Art und Weise noch möglicher Zwangsernährung Grenzen unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit für beide Teile ergeben, ist eine schwierige Frage. Ihre Beantwortung hängt von den tatsächlichen Umständen jedes einzelnen Falles ab, wobei der Beurteilung durch die Ärzte sicher eine besondere Bedeutung zukommt.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, gibt es bei den Häftlingen der Baader-Meinhof-Gruppe
— Sie können den Wortfetischismus ruhig weiterbetreiben, wenn Ihnen das Spaß macht — einen konkreten Anlaß, die Durchführung der Zwangsernährung in einem Fall als unmenschlich zu betrachten?
Ich sehe einen solchen Fall nach den uns vorliegenden Unterlagen nicht.
Keine weiteren Zusatzfragen.
- Herr Dr. Klein, nach der Geschäftsordnung müssen Sie sich jeweils hier melden, und ich habe keinen Druck auf den Knopf von Ihnen registriert. Nur danach kann ich mich richten. Ich bitte um Verständnis dafür.
Ich rufe die Frage 44 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, eine Änderung des § 330 c StGB dahin gehend vorzuschlagen, daß die unterlassene Hilfeleistung bei dem drohenden Selbstmord eines Untersuchungshäftlings in Zukunft straffrei gestellt wird?
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Die Anwendbarkeit des § 330 c StGB auf Fälle der unterlassenen Hilfeleistung in Selbstmordfällen ist umstritten. Die Bundesregierung hält es nicht für eine Aufgabe der Gesetzgebung, diese Auslegungsfragen zu klären. Ihre Frage, ob eine Änderung des § 330 c StGB vorgeschlagen werde, kann ich also verneinen.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, besteht ein Anlaß, bei den vorliegenden Fällen davon zu sprechen, daß ein Kriegszustand bestehe, der zur Folge habe, daß man sich gleichsam in einem rechtsfreien Raum befinde, in dem man alles ohne Rücksicht auf geltendes Recht und Gesetz tun und lassen könne?
Her Abgeordneter Hirsch, ich habe mir Ihre Frage noch einmal angesehen. Ich kann den in der Geschäftsordnung geforderten unmittelbaren Zusammenhang hier nicht sehen. Sie haben aber selbstverständlich das Recht, zwei Zusatzfragen zu stellen, die einen Zusammenhang mit der von Ihnen eingereichten Frage herstellen.
Danke!
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage und, wenn ja, bereit, dem Hohen Hause zu schildern, wie eine zwangsweise künstliche Ernährung durchgeführt wird, und können Sie mit hinreichender Sicherheit ausschließen, daß bei dieser Prozedur dem Häftling innere Verletzungen zugefügt werden?
Herr Abgeordneter Klein, ich bin hier in der gleichen Lage wie bei dem Kollegen Hirsch. Ich habe zwar Verständnis dafür, daß Sie die vorhin nicht mehr zum Zug gekommene Zusatzfrage gern stellen würden, aber Ihre Frage schließt sich nicht an die Frage des Herrn Abgeordneten Hirsch an.
Ich muß daher die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Nordlohne aufrufen.
Entschuldigen Sie, Sie hatten tatsächlich gedrückt, Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Kollege sind sie der Auffassung, daß die Diskussion dieses Themas eigentlich in das Gebiet der Reform des Strafvollzuges gehört, und sind Sie in Anbetracht auch der medizinischen Umstände bei dem Tod des Untersuchungshäftlings Meins der Auffassung, daß eine zügige und großzügige Reform des Strafvollzuges hier auch
mehr Sicherheit für Untersuchungshäftlinge schaffen und somit auch ein Beitrag zur inneren Sicherheit dieses Staates sein könnte?
Die Frage steht kaum noch in dem geforderten Zusammenhang, aber, Herr Staatssekretär, ich überlasse es Ihnen, ob Sie die Frage beantworten wollen.
Es sind zumindest beide Bereiche angesprochen: der Bereich des Strafvollzugs und der Bereich des Vollzugs der Untersuchungshaft. Es gibt in beiden Bereichen entsprechende Vorschriften: in der Untersuchungshaftvollzugsordnung Nr. 58 und in der Dienst- und Vollzugsordnung Nr. 193.
Wie sie wissen, stehen wir jetzt in den Beratungen des Strafvollzugsgesetzes. Dort wird — ich glaube, es ist § 89 — zu beraten sein, inwieweit die Vorschrift intensiver gefaßt werden kann. Ich glaube nicht, daß es notwendig ist, den derzeitigen Zustand — Nr. 58 der Untersuchungshaftvollzugsordnung — zu ändern, zumal der Richter davon abweichen kann.
Eine Zusatzfrage, nachdem ich die Frage wieder aufgenommen habe. Ich bitte nur, achtzugeben, daß Sie in dem Zusammenhang bleiben.
Herr Staatssekretär, sind Sie für die Bundesregierung der Meinung, daß man ohne Änderung des § 330 c eine Klarstellung über die Grenze der Zwangsernährungspflicht in der Strafvollzugsordnung etwa so erreichen kann, wie das die Bundesregierung bisher vorgeschlagen hat?
Ich meine, man muß viererlei unterscheiden: 1. die Zulässigkeit von entsprechenden Maßnahmen. 2. die Pflicht, die strafrechtlich nicht sanktioniert ist, zu entsprechenden Maßnahmen, 3. die Möglichkeit der Anwendung des § 330 c und 4. die Frage, inwieweit eine Garantenstellung und — wegen der Garantenstellung — eine Teilnehmerschaft an einem möglichen Tötungsdelikt vorliegt. Ich bin nicht sicher, ob hier Raum ist, diese sehr komplizierten Fragen detailliert im Wege des Frage-
und-Antwortspiels auszuhandeln.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Vogel.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, nachdem Sie auf Nr. 58 der Untersuchungshaftvollzugsordnung hingewiesen haben, ob Sie mir bestätigen können, daß in dieser Bestimmung nur die Frage der Zulässigkeit, die Sie in Ihrer ersten Antwort behandelt haben, geregelt ist, daß aber nicht die Frage geregelt ist, unter welchen Voraussetzungen die Verpflichtung besteht
9108 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974
Vogel
und ob es Voraussetzungen gibt, unter denen diese Verpflichtung nicht besteht.
Herr Kollege, es ist natürlich ein klarer Fall, daß die Frage nicht in dem hier geforderten Zusammenhang steht.
-- Wir haben das Problem längst ausdiskutiert, daß sich eine Frage nicht auf die Antwort, sondern auf die ursprünglich gestellte Frage beziehen muß.
Ich rufe die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Nordlohne auf:
Wie viele Untersuchungs- und Strafgefangene, die als Mitglieder oder Sympathisanten der Baader-Meinhof-Bande gelten, gibt es z. Z. in der Bundesrepublik Deutschland?
— Herr Staatssekretär, die Frage des Herrn Abgeordneten Nordlohne war schon aufgerufen, und ich wollte ihm die Möglichkeit geben, daß auch seine Frage noch beantwortet wird. Bitte!
Herr Präsident, ich bitte, beide Fragen im Zusammenhang beantworten zu dürfen.
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe deshalb auch die Frage 46 des Herrn Abgeordneten Nordlohne auf:
Wie viele Mitglieder dieser Bande sind der am 13. September 1974 durch Ulrike Meinhof vor Gericht verlesenen Aufforderung zum „Hungerstreik" gefolgt und müssen bis heute in Krankenhäusern der Vollzugsanstalten künstlich ernährt werden?
Bitte!
Vorab darf ich darauf hinweisen, daß der Vollzug der Straf- und Untersuchungshaft in den Zuständigkeitsbereich der Justizverwaltungen der Länder fällt. Ich habe die Justizverwaltungen der Länder fernschriftlich um Auskunft gebeten. Aus dem von diesen mitgeteilten Zahlenmaterial ergibt sich folgendes:
In den Vollzugsanstalten der Länder befinden sich 89 Untersuchungs- und Strafgefangene, die zu der von Ihnen angesprochenen kriminellen BaaderMeinhof-Vereinigung als Mitglieder oder Sympathisanten gerechnet werden können. 59 Häftlinge sind in den Hungerstreik getreten; davon werden 14 Häftlinge in Krankenanstalten behandelt. 28 Personen haben den Hungerstreik zwischenzeitlich aufgegeben; 31 Häftlinge befinden sich noch im Hungerstreik.
Ich darf ergänzend darauf verweisen, daß diese Zahlen nach dpa-Meldungen von gestern nacht möglicherweise um zwei vermindert werden müssen. Aber eine entsprechende Bestätigung von seiten der Länderjustizverwaltungen liegt mir nicht vor.
Ich darf ferner darauf hinweisen, daß diese Gesamtzahlen sich aus den kurzfristig eingeholten Stellungnahmen der Länder zusammensetzen und daher in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht überprüft werden konnten. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, daß, bedingt durch kurzfristige Verlegung von Häftlingen, hier und da eine Doppelzählung vorgekommen ist. Das würde aber die Genauigkeit der Gesamtzahlen sehr wahrscheinlich nur unwesentlich beeinflussen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, über die Haftbedingungen dieser Untersuchungs- und Strafgefangenen eine Dokumentation in der Form zusammenzustellen, wie sie der Senator für Justiz in Berlin bezüglich der Vollzugsanstalten Berlins Anfang November dieses Jahres angefertigt und den Mitgliedern dieses Hauses zugänglich gemacht hat?
Ich meine, dies zu tun dürfte in erster Linie Sache der Länder sein. Aber ich sehe nicht, daß irgendwelche Einwendungen dagegen bestehen, daß dies im Benehmen mit den Ländern geschehen könnte.
Eine letzte Zusatzfrage; die Fragestunde ist abgelaufen, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß wegen der stationären Behandlung von zwei im Hungerstreik befindlichen Baader-Meinhof-Mitgliedern eine Intensivstation der Universitätsklinik in Mainz geräumt werden mußte und die Zivilbevölkerung dadurch in ihrer ärztlichen Versorgung erheblich beeinträchtigt ist?
Diese Zusatzfrage steht natürlich nur sehr bedingt
in dem geforderten unmittelbaren Zusammenhang mit der ursprünglichen Frage.
Meine Damen und Herren, ich muß leider fragen, wer hat hier „Nein!" gerufen?
Herr Abgeordneter Maucher, ich rüge Sie.
Es liegt bei Ihnen, Herr Staatssekretär, ob Sie die Zusatzfrage noch beantworten wollen, und damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974 9109
Ich kann nicht bestätigen, daß Ihre in Frageform gekleidete Behauptung zutrifft, daß dadurch die Versorgung anderer Kranker behindert worden sei. Ich kann aber soviel sagen, daß es eine Verpflichtung der zuständigen Behörden ist, unter Umständen einen Gefangenen — losgelöst von einem bestimmten Namen — einer Intensivstation zuzuführen, wenn eine Gefahr besteht, die in einer Strafanstalt nicht behoben werden kann.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Die Fragen
A 52, 53, 58, 59, 77, 78, 83, 84 und 105 sind von den Fragestellern zurückgezogen. Die übrigen nicht behandelten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe zunächst die Punkte 17 und 20 bis 24 der Tagesordnung auf.
17. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft zu der von der Bundesregierung beschlossenen Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 12/74 — Zollkontingente für Walzdraht und Elektrobleche — 2. Halbjahr 1974)
— Drucksachen 7/2577, 7/2763 — Berichterstatter: Abgeordneter Suck
20. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung des Rates über die Ausdehnung des mit Verordnung (EWG) Nr. 3590/73 vom 28. Dezember 1973 eröffneten Gemeinschaftszollkontingents für Zeitungsdruckpapier der Tarifstelle 48.01 A des Gemeinsamen Zolltarifs auf bestimmte Papiere der Tarifstelle 48.01 E
— Drucksachen 7/2078, 7/2765 — Berichterstatter: Abgeordneter Suck
21. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine zweite Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie des Rates vom 23. November 1970 über Zusatzstoffe in der Tierernährung
— Drucksache 7/2482, 7/2785 — Berichterstatter: Abgeordneter Büchler
22. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Ergänzung der Verordnung (EWG) Nr. 121/67 hinsichtlich der bei einem erheblichen Preisrückgang auf
dem Schweinefleischsektor zu ergreifenden Maßnahmen
— Drucksachen 7/2606, 7/2786 —Berichterstatter: Abgeordneter Kiechle
23. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der EG-Kommission für
einen Entwurf eines Beschlusses des Assoziationsrats EWG—Türkei zur Änderung des Beschlusses Nr. 4/72 über die Begriffsbestimmung für „Erzeugnisse mit Ursprung in ..." oder „Ursprungserzeugnisse" der Türkei zur Anwendung von Anhang Nr. 6 Kapitel I des Zusatzprotokolls zum Abkommen von Ankara
eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 428/73 über die Anwendung bestimmter vom Assoziationsrat EWG—Türkei gefaßter Beschlüsse
— Drucksachen 7/2475, 7/2787 —Berichterstatter: Abgeordneter Sauter
24. Beratung des Antrags des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung betr. Veräußerung des Flugplatzgeländes in Trier-Euren an die Stadt Trier
— Drucksachen 7/2583, 7/2789 — Berichterstatter: Abgeordneter Grobecker
Es handelt sich um Anträge der Ausschüsse zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs und zu Vorschlägen der Kommission der Europäischen Gemeinschaft.
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? Das ist nicht der Fall. Ich frage, ob das Wort zur Aussprache begehrt wird. — Auch das ist nicht der Fall.
Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen 7/2763, 7/2765, 7/2785, 7/2786, 7/2787, 7/2789. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Stimmenthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 18 und 19 der Tagesordnung auf:
18. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der von der Bundesregierung erlassenen Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 13/74 — Erhöhung des Zollkontingents 1974 für Bananen)
— Drucksachen 7/2555, 7/2764 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Unland
19. Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der von der Bundesregierung erlassenen Zweiunddreißigsten
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung
— Drucksachen 7/2556, 7/2766
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Unland
Es handelt sich um Berichte des Ausschusses für Wirtschaft, von denen das Haus nur Kenntnis zu nehmen braucht, wenn nicht Anträge aus der Mitte des Hauses vorliegen. Ich stelle fest, daß keine Anträge gestellt sind; es liegen weder schriftliche noch mündlich gestellte Anträge vor.
Das Haus hat von den Berichten auf den Drucksachen 7/2764 und 7/2766 Kenntnis genommen.
Meine Damen und Herren, nach den interfraktionellen Vereinbarungen soll Punkt 6 nach Punkt 12 aufgerufen werden. Zunächst also Punkt 12:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Finanzierung ölpreisbedingter Zahlungsbilanzdefizite von Mitgliedstaaten im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
— Drucksache 7/2860 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Finanzausschuß
Wer wünscht zu Punkt 12 das Wort? — Die Bundesregierung. Herr Bundesfinanzminister!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung legt Wert darauf, zu diesem Tagesordnungspunkt heute mit Ihnen ein Gespräch zu haben, weil am Anfang der nächsten Woche diese Frage wie andere Fragen auf der sogenannten Gipfelkonferenz in Paris eine Rolle spielen werden. Es scheint mir angemessen zu sein, daß der Deutsche Bundestag im Rahmen der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes seine Meinung so sagt, daß unsere Partner wissen, woran sie sind. Aus diesem Grunde möchte ich im Namen der Bundesregierung unseren Gesetzentwurf begründen.
Meine Damen und Herren, im Jahresbericht 1974 kommentiert der Weltwährungsfonds die Lage der Weltwirtschaft mit den Worten — ich zitiere —:
Um die Mitte des Jahres 1974 lag die Weltwirtschaft in den Wehen einer starken und weitverbreiteten Inflation, einer Verlangsamung des wirtschaftlichen Wachstums, und war konfrontiert mit einem massiven Ungleichgewicht im internationalen Zahlungsverkehr.
In dem Jahresbericht des Weltwährungsfonds wird weiter gesagt, daß diese Situation die nationalen Regierungen wie die internationale Gemeinschaft vor die umfassendsten und schwierigsten Probleme seit dem Ende des zweiten Weltkrieges stellt. Wir kommen zu dem Ergebnis, daß dieser Analyse nichts hinzuzufügen ist. Wir befinden uns in der Tat in der schwierigsten Situation nach 1945.
Vor diesem durchaus düsteren Hintergrund müssen wir unsere eigene Situation sehen. Unsere eigene Situation sieht so aus, daß — ohne daß
wir unsere eigenen Probleme verniedlichen oder wegwischen wollen — die Bundesrepublik zu der Handvoll von Ländern unter den 130 Mitgliedsländern des Währungsfonds gehört, die für sich die Probleme des Ölschocks weitgehend gelöst haben. Wir haben die massive Erhöhung der Öl- und Rohstoffpreise - von April 1973 bis Ende Oktober 1974 sind die 01- und Rohstoffpreise um über 100 % gestiegen — inzwischen durch eine Verbesserung unserer Exporterlöse bezahlt und bezahlen können. Wir haben auf Grund unserer Stabilitätspolitik die niedrigsten Preissteigerungsraten aller westlichen Industrieländer. Die neuen Zahlen für November sagen uns, daß die Preissteigerungsrate rückläufig ist. Sie wird im November zwischen 6,6 % und 6,7 % liegen. Während die Preissteigerungsraten bei uns also eher eine fallende Tendenz haben, bewegen sich um uns herum die Preise wie in einer Springflut nach oben. Die 20 %-Marke scheint in vielen Partnerländern erreicht, in manchen bereits übersprungen zu sein.
Meine Damen und Herren, wir können nicht übersehen, daß wir dank unserer Politik für mehr soziale Gerechtigkeit, soziale Sicherheit und Mitbestimmung in unserem Lande den sozialen Frieden ungleich stärker abgesichert haben, als dies vergleichbare Industrieländer getan haben. Bei uns werden eben die ökonomischen Probleme nicht auf dem Rücken einer oder mehrerer Gruppen gelöst.
Meine Damen und Herren, ein letztes Kriterium, um die Situation unseres Landes in der Weltwirtschaft beurteilen zu können: Wir haben im Gegensatz zu anderen wichtigen Ländern auch 1974 wieder einen realen Zuwachs des Bruttosozialprodukts gehabt. Die OECD in Paris schätzt, daß das reale Bruttosozialprodukt in Japan um 31/2 % und in den USA um rund 2 % abnimmt. Bei vielen unserer Partner finden wir lediglich eine Stagnation des realen Bruttosozialprodukts.
Schließlich wird die Stabilität unserer Wirtschaft auch in einer anhaltenden Tendenz zur Höherbewertung der D-Mark gegenüber anderen wichtigen Währungen ausgedrückt. Ich gebe dies bewußt wertneutral wieder, enthalte mich also jeder Bewertung dieser Tendenz. Es muß aber festgestellt werden, daß sich der Außenwert der D-Mark seit Ende 1972 gegenüber dem US-Dollar um 25 %, gegenüber dem französischen Franc um 15,1 %, gegenüber der italienischen Lira sogar um 43 % und gegenüber dem Pfund Sterling um 26 % verbessert hat.
Wir könnten also heute und hier feststellen: unser Land ist mit der Rohstoffpreisexplosion fertig geworden; die weltweite Währungsunruhe betrifft uns nicht; wir haben keine schwerwiegenden Export- und keine schwerwiegenden Währungssorgen. Daß diese Haltung nicht durchzuhalten wäre, wissen wir alle. Wir alle wissen, daß unser Land in einer Weise vom Außenhandel abhängig ist, daß die Sorgen unsere Partner auch unsere eigenen Sorgen sind. Die Bundesrepublik Deutschland lebt mit ihren europäischen Nachbarn in einer Solidargemeinschaft. Gerade wegen unserer günstigen Situation können wir uns der Mitverantwortung für die Zahlungsbilanzprobleme unserer Partner nicht entziehen. Würden wir dies versuchen, dann würden wir sie geradezu
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974 9111
Bundesminister Dr. Apel
dazu drängen, ihre Zahlungsbilanzprobleme mit Handelsrestriktionen zu lösen, und damit unserer exportabhängigen Wirtschaft Schaden zufügen. Insofern sind Zahlungsbilanzschwierigkeiten unserer Partner heute, wenn wir nicht mithelfen, sie zu lindern, Zahlungsbilanz- und Beschäftigungsprobleme unseres Landes von morgen.
Für uns ist — und hier spreche ich hoffentlich für alle politischen Kräfte in diesem Hause — die Erhaltung der Europäischen Gemeinschaft nicht nur eine politische und moralische Verpflichtung, sondern auch die Vertretung wohlverstandenen Eigeninteresses. Vorteile der europäischen Integration sind auch unserem Lande in reichem Maße zugute gekommen. Die EG-Länder nehmen allein fast die Hälfte unseres Exports auf. Sie bieten damit unseren Unternehmen einen großen Absatzmarkt, sichern unseren Arbeitnehmern ihre Arbeitsplätze.
Wir stellen in diesen Wochen und Monaten fest, daß selbst die europäische Agrarpolitik trotz sehr hoher Kosten und der Notwendigkeit ihrer kritischen Durchleuchtung auch Vorteile für uns bringt. Ich sage das auch als Finanzminister. Manche unserer Ernährungsprodukte wie Getreide und Zucker müßten von uns auf dem Weltmarkt heute schon sehr viel teurer gekauft werden, als wir sie zur Zeit in der Europäischen Gemeinschaft beziehen.
Weil wir bereit sind, sowohl aus solidarischen politischen Überlegungen als auch in Verteidigung unseres eigenen Interesses den Fortbestand der Europäischen Gemeinschaft zu sichern, hat die Bundesregierung den Plan der Europa-Anleihe, der seit vielen Monaten debattiert war, stets positiv bewertet. Ziel dieses Planes ist, wie Sie wissen, die Rückschleusung von Devisenreserven. Die Europäische Gemeinschaft soll in die Lage versetzt werden, bei den ölexportierenden Ländern Kredite aufzunehmen, die dann an notleidende Mitgliedstaaten weitergereicht werden, um ihre ölpreisbedingten Zahlungsbilanzdefizite zu mildern. Dabei gehen wir allerdings davon aus, daß kein kurzfristiges Geld eingesetzt werden darf; das, was wir bei den ölexportierenden Ländern aufnehmen, muß mindestens Geld für fünf Jahre sein. Wir denken auch nicht daran, daß auf diese Art und Weise bei den Mitgliedsländern Haushaltsfinanzierung betrieben wird; diese Mittel sollen ausschließlich zum Ausgleich der Zahlungsbilanz eingesetzt werden.
Wir bitten Sie heute um Ihre Zustimmung dazu, daß 1975 von der Gemeinschaft Kredite bis zu 3 Milliarden Dollar aufgenommen werden können, daß diese Gelder mit wirtschaftspolitischen Auflagen verbunden werden und an einzelne notleidende Mitgliedstaaten weitergereicht werden.
Natürlich kann die Gemeinschaft diese Mittel auf dem Weltmarkt nur dann aufnehmen, wenn alle Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft gemeinsam die Haftung für diese Anleihe übernehmen. Wir haben durch unsere Verhandlungen sichergestellt, daß wir nicht gesamtschuldnerisch haften können. Unsere Haftung begrenzt sich auf maximal 44,04 %; das ist der doppelte deutsche Anteil am Währungsbeistand, der innerhalb der Europäischen Gemeinschaft verabredet ist. Das heißt mit anderen
Worten, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, daß wir bis etwa 1,3 Milliarden Dollar haften. Wir haben -- so hoffen wir — eine Konstruktion gefunden, die diese Haftungsgrenze auch nicht überschreitbar macht.
Wir sollten allerdings weder Ihnen noch unseren Partnern verheimlichen, daß diese 3 Milliarden Dollar Europa-Anleihe, die auf diese Art und Weise 1975 über die Gemeinschaft aufgenommen werden können, nicht ausreichen, um die Zahlungsbilanzprobleme unserer Partner zu lösen. In diesem Jahre werden die EG-Partner mit negativer Zahlungsbilanz 26 Milliarden Dollar Zahlungsbilanzdefizite haben; davon sind 15 bis 18 Milliarden Dollar ölpreisbedingt.
Damit wird klar, daß das Instrument der Europa-Anleihe nur Hilfe zur Selbsthilfe sein kann. Es soll aber auch nur Hilfe zur Selbsthilfe sein, denn wir sind ja als Bundesrepublik nicht in der Lage, uns an die Stelle eigener Anstrengungen unserer Partnerländer zur Lösung der eigenen Probleme zu setzen. Deshalb gehen wir auch davon aus, daß es bei 3 Milliarden Dollar Europa-Anleihe für 1975 bleibt. Denn, meine Damen und Herren, wir müssen auch die Leistungsfähigkeit unserer eigenen Volkswirtschaft im Auge behalten, und wir müssen unseren Partnern sagen, daß es denkbar und nicht völlig ausgeschlossen ist, daß wir aus diesen Bürgschaftsverpflichtungen eines Tages in Anspruch genommen werden. Deshalb können wir den Weg der Europa-Anleihe nicht leichtfertig und beliebig wiederholbar weitergehen.
Wir müssen vielmehr versuchen -- dieser Versuch wird in den nächsten Wochen und Monaten verstärkt werden müssen —, die Last der ölpreisbedingten Zahlungsbilanzdefizite auf breitere Schultern zu legen. Hier müssen insbesondere Organisationen wie der Internationale Weltwährungsfonds eingeschaltet werden. Aber, meine Damen und Herren, ich bin auch dagegen, daß wir den ölexportierenden Ländern ihre Verantwortung an der Lösung der ölpreisbedingten Zahlungsbilanzungleichgewichte und der daraus abzuleitenden Schwierigkeiten zu leicht machen und zu sehr abnehmen. Ihnen darf zuviel des Risikos nicht abgenommen werden.
Es kommt hinzu, daß bis dato die Währungsreserven der wichtigsten Partner innerhalb der Europäischen Gemeinschaft sich gut entwickelt haben. Das ist eigentlich ein erstaunliches Phänomen. So haben die Währungsreserven Englands von Ende 1973 bis Ende September 1974 um 0,7 Milliarden Dollar zugenommen, die von Italien um 1,2 Milliarden Dollar hier spielt natürlich auch das bilaterale Geschäft, das wir mit den Italienern gemacht haben, eine Rolle —, und Frankreichs Devisenreserven betragen unverändert 8,5 Milliarden Dollar. Es ist eigentlich absurd, wenn man sich diese Zahlen ansieht, festzustellen, daß es nur ein einziges Land gibt, bei dem die Devisenreserven abgenommen haben, nämlich die Bundesrepublik Deutschland. Aber wir haben weiterhin fast die Hälfte der Devisenreserven der EG; das sind
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Bundesminister Dr. Apel
32,5 Millarden Dollar, die auf der hohen Kante liegen.
Ich wies bereits darauf hin, daß wir nur Hilfe zur Selbsthilfe leisten können. Dennoch, meine Damen und Herren, werden wir auch in Zukunft - wir sollten uns hier keine Illusionen machen — unter den Druck unserer Partner kommen. Die hohen Devisenreserven unseres Landes, die vergleichsweise gute wirtschaftliche Lage wie auch unser hoher Anteil am Welthandel werden unsere Partner mit Sicherheit dazu führen, weitere Leistungen von uns zu verlangen. Uns wird es aufgegeben sein, immer Kompromißmöglichkeiten zu finden, die weder unsere eigene Leistungsfähigkeit über Gebühr strapazieren noch unsere Partner aus dem nationalen eigenen Obligo entlassen. In jedem Falle hat es keinen Zweck, international auf uns Druck auszuüben mit dem Ziel, mehr aus uns herauspressen zu wollen, als wir geben können oder geben wollen.
Mir scheint wichtig zu sein, daß wir international die Politik so organisieren, daß die nationale und die internationale Wirtschaftspolitik aufeinander abgestimmt werden. Für mich bleibt Feind Nummer Eins weiterhin die Inflation, die es zu bekämpfen gilt.
ich bleibe dabei, daß wir vor allem in den nächsten Wochen sicherstellen müssen, daß europäische Wirklichkeit nicht allein darin besteht, daß wir in dieser speziellen Notsituation hinsichtlich der Zahlungsbilanzungleichgewichte zusammenfinden und gemeinsame Lösungen finden. Wichtig scheint mir zu sein, daß unsere Partner mit uns zusammen wissen, daß Solidarität keine Einbahnstraße ist, daß sich Solidarität nicht auf einem Felde allein bewähren und bewegen kann, sondern daß unsere Partner mit uns zusammen auch in anderen Bereichen Solidarität üben. Ich denke hier insbesondere an den Bereich der Energieversorgung. Hier heißt es, zusammenzustehen und auch die Aktionen über die EG-Länder hinaus mit den USA zu verknüpfen.
Meine Damen und Herren, wir legen Ihnen dieses Projekt heute nicht nur deshalb vor, weil wir meinen, nicht warten zu können, bis der Bundeshaushalt 1975 verabschiedet ist — denn diese Bürgschaft gehört natürlich eigentlich in den Bürgschaftsrahmen des Haushalts hinein —; wir haben auch einen politischen Grund. Wir sind der Meinung, der Deutsche Bundestag sollte zu diesem Projekt seine Meinung sagen. Nur auf diese Art und Weise können wir gemeinsam auch die Probleme, die mit diesem Weg der Europa-Anleihe geschaffen werden, debattieren, entscheiden und tragen. Sie sollen heute und in den nächsten Wochen, wenn wir über diesen Gesetzentwurf beraten, wissen, daß es in dieser Europa-Anleihe auch belastende Dimensionen gibt. Sie werden mich fragen: Wann kommt die nächste Tranche? Ich habe unseren Partnern gesagt, wir dächten eigentlich nicht daran, 1975 eine neue Tranche aufzulegen; wir seien der Meinung, drei Milliarden Dollar als Beitrag der Gemeinschaft zur Linderung der ölpreisbedingten Zahlungsbilanzdefizite seien das, was wir tragen könnten. Dennoch, meine Kolleginnen und Kollegen: eine neue Tranche kommt. Dann, meine ich, sollten wir erneut im Deutschen Bundestag über diese Frage debattieren. Dies ist keine technische Frage, die nur den Haushaltsausschuß anginge, sondern eine politische Frage, eine politische Frage auch insofern, als wir, wir Parlamentarier, auf diese Art und Weise Gelegenheit haben, zu prüfen, ob europäische Wirklichkeit und europäischer Fortschritt so aussehen, daß wir ein finanzielles Opfer bringen, dafür aber politische Ergebnisse für Europa und auch für unser Land bekommen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Sprung.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die westlichen Industrienationen, aber nicht nur diese, stehen seit der Erhöhung der Ölpreise vor einer völlig neuen Situation. Sie stehen vor einer völlig neuen Situation sowohl im Hinblick auf ihre weitere wirtschaftliche Entwicklung als auch im Hinblick auf die Bewältigung der finanziellen Belastungen, die mit der Ölpreisanhebung verbunden sind. Die Vervierfachung des Ölpreises hat Verzerrungen und Verwerfungen im internationalen Zahlungs- und Währungssystem hervorgerufen und Ungleichgewichte in den Zahlungsbilanzen geschaffen oder bestehende Ungleichgewichte verstärkt, die in der Wirtschaftsgeschichte ohne Beispiel sind. Die Auswirkungen dieser Veränderungen auf die einzelnen Volkswirtschaften, die im übrigen noch lange nicht bereits voll eingetreten sind, sind vor allem in zwei Richtungen zu sehen.
Erstens. Die Preiserhöhungen bedeuten einen zusätzlichen Inflationsstoß mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Produktion und die Beschäftigung.
Zweitens. Die nationalen Devisenreserven strömen in kürzester Frist in die erdölfördernden Staaten mit der Folge einer totalen Umdisposition gegenüber dem bisherigen Zustand. Die Höhe des Devisentransfers wird auf rund 60 Milliarden Dollar pro Jahr geschätzt, eine, wie jeder zugeben wird, phantastischen Summe.
Nun wäre das Problem schon schwierig genug zu lösen, wenn es sich nur um die Ölpreiserhöhung und den damit verbundenen zusätzlichen Inflationsstoß handelte. Ja selbst der Abfluß der Devisenreserven in die erdölproduzierenden Staaten wäre noch zu bewältigen, wenn die Ölländer die ihnen zufließenden Devisen dazu verwendeten, damit zusätzliche Einfuhren aus den ölimportierenden Industrieländern zu finanzieren, und wenn als weitere Bedingung hinzukäme, daß die Devisen mehr oder weniger in gleicher Höhe dorthin zurückflössen, woher sie kamen.
Aber gerade eben dieses beides ist nicht der Fall, und da liegt die ganze Problematik der Ölpreiserhöhungen. Die Ölländer erhalten Devisen, die sie auch nicht annähernd für zusätzliche Importe verwenden können, und sie legen die überschüssigen Devisenbeträge dort an, wo es ihnen gefällt.
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Dr. Sprung
Und es gefällt ihnen nur in wenigen Ländern und vor allem nicht oder nur zum Teil in denjenigen Ländern, von denen sie die Devisen für Erdölimporte erhielten. Dazu einige Zahlen:
Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich schätzt in diesen Tagen, daß im ganzen Jahre 1974 den ölfördernden Ländern ungefähr die schon genannten 60 Milliarden Deviseneinnahmen zufließen werden. Von den in den ersten neun Monaten zugeflossenen Beträgen seien etwa 45 % in traditioneller Weise angelegt worden, nämlich in US-amerikanischen und britischen Regierungsanleihen. Der Gesamtbetrag dürfte sich etwa wie folgt auf die einzelnen Länder verteilen: 8 Milliarden Dollar auf die USA, 4 Milliarden Dollar auf Großbritannien, 12 Milliarden Dollar auf den Euro-Markt und 3 Millionen Dollar auf andere europäische Staaten. Diese Zahlen und ihre Aufteilung, d. h. ihre Anlage in den einzelnen Ländern, zeigen das ganze Dilemma, in dem wir stecken, zeigen insbesondere das ganze Dilemma für die Mitgliedstaaten der EG. Nicht nur fließen die Devisen nur auf bestimmte Märkte zurück; die Rückflüsse in die Mitgliedstaaten der EG dürften zusammengenommen außerdem erheblich geringer sein als die ölpreisbedingten Zahlungsbilanzdefizite der Mitgliedstaaten von voraussichtlich 15 bis 20 — Herr Minister, Sie haben 18 gesagt —, also von 18 Milliarden Dollar im Jahre 1974.
Diese Situation für die Mitgliedstaaten der EG in ihrer Gesamtheit hat zu dem Ratsbeschluß vom 21. Oktober geführt, auf den internationalen Märkten Mittel aufzunehmen, um denjenigen Mitgliedstaaten Kredite zu gewähren, die mit keinen ausreichenden Rückflüssen von Devisen rechnen dürfen und somit nicht in der Lage sind, ihre ölpreisbedingten Zahlungsbilanzdefizite wieder auszugleichen. Als erste Maßnahme ist die Aufnahme einer Anleihe in der Größenordnung von 3 Milliarden Dollar vorgesehen.
Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Ratsbeschluß und dem darauf fußenden Gesetz über die Finanzierung ölpreisbedingter Zahlungsbilanzdefizite von Mitgliedstaaten im Rahmen der EG grundsätzlich zu. Sie stimmt damit auch der Übernahme von Bürgschaften, Garantien und sonstigen Gewährleistungen durch die Bundesregierung in Verbindung mit der Gewährung von Krediten aus den aufgenommenen Mitteln zu. Die CDU/CSU-Fraktion geht mit der Regierung darin einig, daß es besser ist, den Mitgliedstaaten, die ihre ölpreisbedingten Zahlungsbilanzdefizite nicht mehr finanzieren können, über die Gewährung von Krediten zu helfen als sie auf den Weg von Handelsrestriktionen zu drängen, die in der Tat unabsehbare Folgen für den internationalen Handel und unsere eigene Volkswirtschaft haben würden. Herr Minister, Sie haben darauf bereits nachdrücklich hingewiesen. Ebenso ist die Überlegung zutreffend, daß es nicht nur im Interesse der Gemeinschaft liegt, sondern auch im eigenen Interesse, wenn in den Defizitländern Krisensituationen verhindert werden, die den Bestand der Gemeinschaft in Frage stellen oder bedrohen würden. Die Gemeinschaft ist und kann nicht nur eine
Schönwettergemeinschaft sein, wie das viele Jahre lang der Fall war. Sie muß sich auch in Krisenzeiten bewähren, und gerade in ihnen war vom Gemeinschaftsgeist, insbesondere im letzten Jahr, kaum etwas zu spüren. Jeder Mitgliedstaat glaubt, in nationalen Alleingängen das Heil suchen zu müssen. Insofern ist es zu begrüßen, daß mit der vorgesehenen Gemeinschaftsanleihe endlich wieder Vernunft zum Zuge zu kommen scheint und sich auch wieder so etwas wie ein Gemeinschaftsgeist zeigt und entfaltet.
Wenn ich so für die CDU/CSU-Fraktion die grundsätzliche Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf erklären darf, so möchte ich auf der anderen Seite aber doch darauf hinweisen, daß die vorgesehene Gemeinschaftsaktion ganz strikt, Herr Minister — Sie haben das ja schon unterstrichen —, auf den Zweck zu begrenzen ist, auf den sie ausgerichtet ist. Es muß außer Zweifel stehen und absolut sichergestellt sein, daß die aufgenommenen Mittel ausschließlich für die Finanzierung ölpreisbedingter Zahlungsbilanzdefizite der Mitgliedstaaten der EG eingesetzt werden. Es wäre verhängnisvoll und würde jede künftige Aktion ähnlicher Art diskreditieren — und wir werden ja, das haben Sie angekündigt, weitere Aktionen solcher Art zu erwarten haben —, wenn diese strenge Zweckbindung in Frage stünde. Denn, meine Damen und Herren, machen wir uns nichts vor, der Betrag von 3 Milliarden Dollar ist zwar keine Kleinigkeit, doch die Defizite der EG-Staaten reichen in ganz andere Größenordnungen hinein — die Zahlen sind bereits genannt worden , und das Problem des Recyclings ist für die Gemeinschaftsländer mit der vorgesehenen Anleihe von 3 Milliarden Dollar nur im Ansatz in Angriff genommen worden. Von gleich entscheidender Bedeutung ist, daß die Kreditgewährung an einzelne Mitgliedstaaten mit klaren, eindeutigen und strengen wirtschafts- und stabilitätspolitischen Auflagen verbunden wird. Wir meinen, daß Artikel 5 des Ratsbeschlusses vom 21. Oktober insoweit unzureichend ist, als in ihm nur von wirtschaftspolitischen Auflagen zur Wiederherstellung des Zahlungsbilanzgleichgewichts die Rede ist.
In der Begründung zum vorliegenden Gesetzesentwurf wird weitergehend erklärt, daß die Bundesregierung bei der Durchführung der Kreditaktionen besonderes Augenmerk darauf richten wird, daß die Mittelvergaben unter strengen wirtschaftspolititischen und stabilitätsorientierten Auflagen erfolgen. Aber auch das, Herr Minister, reicht unseres Erachtens noch nicht aus. Das ist im Grunde nichts weiter als eine Goodwill-Erklärung. Was fehlt, ist eine eindeutige Verpflichtung des Rates, die Kreditgewährung von strengen wirtschaftspolitischen und stabilitätsorientierten Auflagen abhängig zu machen. Eine Verpflichtung des Rates!
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung kann durch den Ratsbeschluß und durch das vorliegende Gesetz bei Rückzahlungsschwierigkeiten der gewährten Kredite in erheblichem Umfang finanziell in Anspruch genommen werden. Sie sollte daher auch die Möglichkeit nutzen, die sie dank ihrer erheblichen Devisenreserven hat, den anderen Staaten
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Dr. Sprung
über die Kreditbedingungen zu helfen, eine strikte Stabilitätspolitik zu betreiben. Wir alle wissen, daß das Problem der Ölpreiserhöhung von Dauer ist. Auch die Schwere des Problems ist bekannt. Klar sollte aber auch sein, daß ohne eine strikte Stabilitätspolitik Kreditgewährungen der vorgesehenen Art vertane Aktionen sein würden. Das Recycling der Ölmilliarden der ölproduzierenden Länder ist zwar nur ein Kurieren an Symptomen und nur kurz- und mittelfristig eine Maßnahme, um mit dem Problem der Zahlungsdefizite infolge der Ölpreiserhöhung fertig zu werden. Auch das haben Sie kurz angerissen, Herr Minister. Doch auch selbst kurz- und mittelfristig kann es nur funktionieren, wenn das Recycling von einer strikten Stabilitätspolitik der Defizitländer begleitet ist. Der Gemeinschaftsgeist drückt sich nicht nur darin aus, daß diejenigen Mitgliedstaaten, die selbst keine Schwierigkeiten für die Finanzierung ihrer Öleinfuhren haben, ihre Kreditwürdigkeit bei der Mittelbeschaffung für andere Mitgliedstaaten einsetzen. Gegen den Gemeinschaftsgeist würde auch gehandelt werden, wenn die Verpflichtung der Defizitländer zu einer strengen Stabilitätspolitik als eine mißbräuchliche Ausnutzung wirtschaftlicher Stärke angesehen würde.
Nun noch einige Worte zu dem vorgesehenen Gesetzentwurf selbst und zu seinen einzelnen Bestimmungen! Meine Damen und Herren, würde die Regierung jahrelangem Brauch gefolgt sein, hätte sie statt des vorliegenden Gesetzentwurfs einen Nachtragshaushalt eingebracht. Das aber hat sie aus naheliegenden Gründen nicht getan. Das Argument, daß die Sache eilbedürftig sei und deshalb ein Nachtragshaushalt — nicht der Haushalt 1975! — ausschied, zieht, meine ich, nicht. Entscheidend war, daß man gleichzeitig auch eine ganze Reihe anderer Änderungen und zusätzlicher Ausgaben hätte mit aufnehmen müssen. Seit kurzem präsentiert die Bundesregierung ständig neue Vorlagen mit außer- und überplanmäßigen Ausgaben, so vor kurzem unter anderem für den Umtausch von Gelsenberg- gegen Veba-Aktien in einem Betrag von 145,5 Millionen DM, allein in dieser Woche gleich drei neue Vorlagen, nämlich überplanmäßige Ausgaben im Zusammenhang mit dem Einzelplan 14 in Höhe von 103 Millionen DM, Zuschüsse an die Träger der Krankenversicherung der Landwirte in Höhe von 85 Millionen DM und Diskontzahlung für unverzinsliche Schatzanweisungen in Höhe von 100 Millionen DM. Herr Minister, in der Sache ist gegen diese Vorlagen und die Notwendigkeit auch dieser Ausgaben überhaupt nichts einzuwenden, jedoch müßte formell dafür der Weg eines Nachtragshaushalts gewählt werden. Eine Debatte darüber hätte allerdings gezeigt, in welch auswegslose Situation die Bundesfinanzen bereits in diesem Jahr durch die neuesten Steuerschätzungen vom November geraten sind, vom nächsten Jahr im Augenblick noch ganz zu schweigen.
Wir wenden uns mit Nachdruck gegen dieses Verfahren, da es einer Entwicklung Vorschub leistet, die niemand wünschen kann. Der Überblick über die öffentlichen Finanzen geht damit mehr und mehr verloren.
Daneben dürfte aber auch ein anderer Gesichtspunkt eine Rolle gespielt haben. § 1 des vorliegenden Gesetzentwurfs, in dem es heißt, daß die von der Bundesregierung beabsichtigte Zustimmung zur Aufnahme und Gewährung von Krediten im Gegenwert von bis zu 3 Milliarden Dollar gebilligt wird, ist an sich völlig überflüssig. Hinsichtlich der Verpflichtung und eventuellen finanziellen Leistung, die auf die Bundesrepublik aus der Aufnahme der Gemeinschaftsanleihe und der Kreditgewährung aus den aufgenommenen Mitteln zukommen können, genügt voll und ganz § 2, der die Ermächtigung zur Übernahme von Bürgschaften, Garantien und sonstigen Gewährleistungen enthält. Die Regierung hat offensichtlich Angst, oder — ich sollte vielleicht nicht ganz so weit gehen — sie sieht sich in der Lage, die Möglichkeit wahrzunehmen, sich vom Parlament den Rücken stärken zu lassen, nicht allein zu entscheiden, obgleich sie es ohne weiteres hätte tun können. Das ist immerhin eine bemerkenswerte Tatsache, und es läßt verschiedene Schlüsse zu. Die CDU/CSU-Fraktion wird darauf im zuständigen Ausschuß noch zurückkommen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Bülow.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion wird dem Entwurf des Gesetzes über die Finanzierung ölpreisbedingter Zahlungsbilanzdefizite von Mitgliedstaaten im Rahmen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zustimmen.
Die Debatte über diesen Gesetzentwurf über die EG-Anleihe vollzieht sich auf einem außerordentlich ernsten politischen Hintergrund mit der Gefahr einer drohenden weltweiten Wirtschaftskrise. Wir haben nicht nur eine weltweite Inflation mit Preissteigerungsraten in einem Jahr in Frankreich von 14,7 %, in Großbritannien von 17,1/%, in Italien von 24,6 %. Auch die Arbeitslosenquoten sind steil in die Höhe gegangen. In der Bundesrepublik liegt die Quote jetzt bei 2,4 %, in Irland bei 7 %, in den USA geht sie ebenfalls bereits über die 7 % hinaus. Das, was hier in Angriff genommen wird, sind die Probleme der Handels- und Leistungsbilanz. Während die OECD-Länder, die Industrieländer im Jahre 1973 insgesamt noch einen Handelsbilanzüberschuß von 9 Milliarden Dollar erzielten, wird 1974 dieses Plus von 9 Milliarden Dollar durch ein Defizit von 31 Milliarden Dollar abgelöst. Das einzige Land oder mit das einzige Land, das noch Überschüsse erzielt, wird die Bundesrepublik mit 8 Milliarden Dollar sein. Frankreich wird ein Defizit von 6 Milliarden, Italien ein Defizit von 7,5 Milliarden und Großbritannien ein solches von 10 Milliarden Dollar haben. Diese Krise in der Zahlungs- und Leistungsbilanz kann zu einer großen Wirtschaftskrise innerhalb der Europäischen Gemeinschaft und damit zu Tendenzen führen, die diese Europäische Gemeinschaft stören könnten.
Der französische Präsident Valéry Giscard d'Estaing hat in seiner Pressekonferenz vom 24. Oktober 1974 auf die Gefahren hingewiesen. Er hat er-
Dr. von Bülow
läutert, daß alle Kurven der Entwicklung, die heute überhaupt nur greifbar seien, auf eine Katastrophe hinzeigten und daß die Gefahr eines Abstiegs für ganz Europa an die Wand gemalt sei. Drei Faktoren seien anzuführen: die weltweite Inflation, die völlige Desorganisation des internationalen Währungssystems, das brüske Ansteigen bestimmter Rohstoffpreise. Darauf ist vorhin schon hingewiesen worden. Die Aufgabe, die Ölmilliarden — 60 Milliarden Dollar —, die in den arabischen Ländern angehäuft werden, wieder in den internationalen Währungskreislauf hineinzugeben ist das Gebot der Stunde. Wege dafür sind in großem Umfang noch nicht gefunden worden. Das ist eine internationale Aufgabe. Nicht umsonst richten sich alle Konferenzen, auch die Konferenz und die Diskussion, die der Bundeskanzler in diesen Tagen in den Vereinigten Staaten haben wird, fast ausschließlich auf diese Problematik. Das muß international gelöst werden. Das Interesse der Bundesrepublik muß dabei im Auge behalten werden. Wir haben ein lebenswichtiges Interesse an der Aufrechterhaltung des Welthandels. Wir haben ein Interesse an der internationalen Arbeitsteilung. Denn ein Viertel bis ein Fünftel unseres Bruttosozialprodukts, unserer Wertschöpfung ruht darin, daß wir mit diesem internationalen Welthandel verflochten sind. Es würde eine erhebliche Einbuße an Volkseinkommen bedeuten, wenn wir auf unsere eigenen Grenzen zurückgeworfen würden.
Deshalb hat die Bundesrepublik konsequent eine Politik betrieben, den Partnerstaaten in ihren wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu helfen, um ein Ausbrechen in eine Verengung des Welthandels zu vermeiden. Wir haben bilateral einen Beistandskredit an Italien gegeben und geben jetzt diese Anleihe, zu der wir unsere Zustimmung geben müssen, im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft in Höhe von maximal 3 Milliarden Dollar einschließlich Zinsen zum Ausgleich ölpreisbedingter Zahlungsbilanzdefizite. Wir können das tun, weil die Bundesrepublik die höchsten Währungsreserven innerhalb der Europäischen Gemeinschaft hat und weil unsere Leistungsbilanz immer noch aktiv ist. Die Bedingungen, unter denen das Geld ausgezahlt werden soll, müssen im einzelnen noch vereinbart werden. Sie werden nicht zur Haushaltsfinanzierung unserer europäischen Partner dienen, sondern das Geld wird direkt den Notenbanken übermittelt. Die Gelder werden unter wirtschaftspolitischen Auflagen gezahlt. Nur müssen wir natürlich sehen, daß Kredite dazu führen können, sich das Leben auf eine Reihe von Jahren oder auch nur von Monaten etwas komfortabler zu machen. Das ist das Problem, das mit diesen Milliarden verbunden ist. Es müssen also ernsthafte, aber auch realistische Auflagen damit verbunden sein.
Die Kredite werden von den Mitgliedstaaten verbürgt, von der Bundesrepublik mit 22 % minimal, 44 % maximal. Unsere maximale Belastung wird bei totalem Ausfall der 44 % ungefähr 3,4 Milliarden DM betragen. Dieses Risiko, so meine ich, ist angesichts der Gefahr, die bei einer Einengung des Welthandels besteht, durchaus tragbar. Allerdings muß darauf hingewiesen werden, daß im Haushaltsgesetz 1975 bereits Gewährleistungsermächtigungen
in flöhe von 91 Milliarden DM vorgesehen sind. Um diese 3,3 Milliarden DM wird hier erhöht werden.
Herr Sprung, ich muß Sie darauf hinweisen, diese Erweiterung des Gewährleistungsrahmens wird selbstverständlich im Laufe der Haushaltsberatung in das Haushaltsgesetz eingearbeitet werden. Es ist also keineswegs so, daß wir hier etwa zu einem Nachtragshaushalt gezwungen werden. Ein Nachtragshaushalt müßte sich ja auf das Jahr 1974 beziehen. Diese Ölmilliarden werden allenfalls im Jahre 1975 wirksam. Also muß die Sache im Haushaltsgesetz 1975 geregelt werden. Dieses ist noch nicht verabschiedet. Man kann allenfalls darüber reden, ob man einen Ergänzungshaushalt vorlegen muß, um den Gewährleistungsrahmen zu erweitern. Wir müssen darauf achten, daß die Bundesrepublik Deutschland gerade nach der Steuerreform die Grenzen der Tragbarkeit erkennt. Wir müssen weiter darauf achten, daß die Risiken, die sich aus diesen Krediten ergeben, einigermaßen überschaubar bleiben. Es kann sich in den nächsten Monaten nicht um eine Vielzahl von derartigen Tranchen handeln; das muß alles einigermaßen im Rahmen bleiben.
Nun möchte ich Ihre Aufmerksamkeit noch auf die Problematik der Rechtsgrundlage richten, weil das die Einschaltung des Parlaments in das, was von der Europäischen Kommission und vom Rat beschlossen wird, betrifft. Als Rechtsgrundlage ist hier die Generalklausel des Art. 235 des EG-Vertrages angezogen. Darin heißt es:
Erscheint ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines ihrer Ziele zu verwirklichen, und sind in diesem Vertrag die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen, so erläßt der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung
— wie gesagt, nicht Mitbestimmung —
der Versammlung die geeigneten Vorschriften.
Kredite sind normalerweise Einnahmen — auch der Europäischen Gemeinschaft — und würden den Finanzvorschriften des Art. 199 ff. des EG-Vertrages unterliegen. Die Finanzverfassung der Europäischen Gemeinschaft kennt eine solche spezielle Ermächtigung nicht. Deshalb hat man sich, da man diese Bestimmung nicht anziehen konnte, auf die Kreditaufnahme durch einen Agenten geeinigt. Das ist ein rettender Einfall; er ist problematisch.
Es ist gut, so meine ich, daß die Bundesregierung sowohl bei der Aufnahme der Kredite als auch bei ihrer Absicherung innerhalb des Gewährleistungsrahmens angesichts der Bedeutung, die dahintersteht, den Weg des Zustimmungsgesetzes gewählt hat. Es wird dies ein Präzedenzfall für die Zukunft sein. Aber die Europäischen Gemeinschaften müssen sich überlegen, ob sie sich nicht langfristig das Instrumentarium verschaffen, das notwendig ist, um derartige Kreditoperationen am Weltmarkt im eigenen Namen durchführen zu können. Ähnliches gilt ja auch für die Gewährleistung. Allerdings haben wir hier den Art. 115 des Grundgesetzes mit der Notwendigkeit einer Ermächtigung durch Gesetz. Hier sind die Mitwirkungsrechte des deutschen Par-
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Dr. von Bülow
laments auf jeden Fall gesichert, nicht jedoch die des Europäischen Parlaments und die unserer Mitgliedstaaten.
Dieser Währungsbeistand ist von höchster Eilbedürftigkeit. Angesichts der weit über den unmittelbaren sachlichen Inhalt der Gesetzesvorlage hinausgehenden politischen Bedeutung des Vorgangs spreche ich namens der SPD-Fraktion zu der Vorlage die Zustimmung aus, und zwar sowohl zu § 1 des Gesetzentwurfes, der die Billigung der Kreditaufnahme der Europäischen Gemeinschaft zum Ausdruck bringt, als auch zur Einräumung der Gewährleistung nach Art. 115 des Grundgesetzes bis zur Höhe von 1,3 Milliarden Dollar zu Lasten des Bundeshaushalts künftiger Jahre.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm.
Frau Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Wenn wir es etwas pointiert sehen wollen, so bestand die Gemeinschaft bisher aus dem gemeinsamen Agrarmarkt und aus der Zollunion; jetzt besteht sie zusätzlich aus gemeinsamen Zahlungsbilanzsorgen.
Nach Schätzungen der Brüsseler Kommission werden die neun Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft in diesem Jahr für ihre Ölimporte etwa 40 Milliarden Dollar mehr als 1973 ausgeben müssen. Von Januar bis September 1974 haben Frankreich, Italien, Großbritannien, die Niederlande, Irland und Dänemark über ihre Notenbanken insgesamt 12 Milliarden Dollar auf dem Devisenmarkt aufgenommen, um das durch die Ölpreiserhöhungen entstandene Zahlungsbilanzdefizit zu finanzieren. Die schon ohnehin schwierige Zahlungsbilanzsituation für einen Teil der EG-Länder steigerte sich durch die Ölpreiserhöhung ins Unerträgliche. Der Herr Bundesfinanzminister hat dazu detaillierte Angaben gemacht.
Auch nach Meinung des Sachverständigenrates ist dies ein gefährlicher Prozeß, aus dem eine ernsthafte Bedrohung für die Freiheit des Handels und des Kapitalverkehrs erwächst, eine Bedrohung, die uns alle trifft. In dieser Situation geht es darum, den so betroffenen EG-Ländern zum einen das Gefühl der Solidarität durch die Gemeinschaft zu vermitteln und zum anderen durch gemeinsame Anstrengungen die Folgen zu mindern.
Die FDP-Fraktion ist der Auffassung, daß die Bundesrepublik hier nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten Hilfe zur Selbsthilfe bieten muß, daß aber diese Hilfe nur durch und in der Gemeinschaft realisiert werden kann. Wer sich aber durch das Gebot der Solidarität nicht zu gemeinsamer Anstrengung veranlaßt sieht, sei daran erinnert, daß die Bundesrepublik auf Grund ihrer besonderen Situation als exportorientiertes Land ein fundamentales Interesse daran haben muß, daß die EuropäischenGemeinschafts-Partner für unsere Produkte aufnahmebereit bleiben und nicht aus ihren eigenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten heraus in letzter
Konsequenz zu einer Abschließung ihrer Märkte kommen.
Wir meinen, daß die Darlehensgewährung zur Finanzierung ölpreisbedingter Zahlungsbilanzdefizite in der Form, wie sie die Regierung hier vorgelegt hat, dann einen Beitrag zur Gesundung der betroffenen Länder leistet, wenn die Gemeinschaft die Weiterleitung der Darlehen mit entsprechenden Auflagen versieht. Herr Kollege Sprung fordert hier strenge Stabilität der Defizitländer. Ich darf es vielleicht noch ausweiten: strenge Stabilität für alle Länder.
Es stimmt hoffnungsvoll, daß Italien, dem in der Vergangenheit aufgrund seiner besonderen Zahlungsbilanzanspannungen bereits besondere Kreditvergünstigungen eingeräumt wurden, in seiner am 2. Dezember durch Ministerpräsident Moro abgegebenen Regierungserklärung ein scharfes wirtschaftliches Sanierungsprogramm vorgesehen hat, das unter anderem eine rigorose Bekämpfung der Inflation und eine Bereinigung des hohen Defizits in seiner Zahlungsbilanz vorsieht.
Wir wollen die Wiedergesundung aller EG-Partner in gemeinsamer Anstrengung. Meine Fraktion hat deshalb kein Verständnis für einige Vorschläge, England und Italien von EG-Verpflichtungen — wenn auch nur befristet — zu befreien. Die Folgen einer solchen Politik wären verheerend. Ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsident aus der Wochenzeitschrift „Die Zeit" vom 29. November 1974:
Die Zollschranken würden niedergehen in Europa; die Niederlassungsfreiheit geriete in Gefahr; Kontingentierungen im gemeinschaftsinternen Handel wären unvermeidbar. Der Konvoi der Minderbemittelten, der von der europäischen Geleitspitze abgehängt werden soll, würde wahrscheinlich nie wieder nach vorne aufschließen können. Das soziale und wirtschaftliche Gefälle in Europa würde sich vergrößern und am Ende auch den wohlhabenderen Ländern gefährlich werden. Funktionsunfähigkeit würde zum Verfall führen.
Dies ist nicht die Zielvorstellung unserer Politik, und es kann eigentlich auch nicht die Zielvorstellung einer Partei in diesem Bundestag sein.
Eine Kreditaufnahme mit dem Ziel der Rückzahlung von Devisenüberschüssen der erdölproduzierenden Länder an die EG-Mitgliedstaaten, die ihre ölpreisbedingten Zahlungsbilanzdefizite nicht mehr finanzieren können, kann aber nicht die einzige Maßnahme zur Verbesserung der Situation sein. Wir begrüßen deshalb, daß sich die Außenminister der Europäischen Gemeinschaft in ihrer Beratung am vergangenen Dienstag darauf geeinigt haben, die seit langem diskutierte Verwirklichung eines europäischen Regionalfonds für die Gipfelkonferenz vorzusehen. Auch dies wird ein weiterer Schritt zur Konsolidierung der Gemeinschaft sein.
Frau Präsident, meine Damen und Herren, jede Gemeinschaft benötigt das solidarische Handeln ihrer Mitglieder, und das nicht allein in guten Zeiten, sondern vor allem in Krisen. Dazu wollen wir
Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974 9117
Wolfgramm
unseren Beitrag leisten. Die FDP-Fraktion wird dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Haushaltsausschuß — federführend — sowie an den Wirtschaftsausschuß und den Finanzausschuß — mitberatend —. Wer dem zustimmt, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Ich rufe nun die Punkte 6 a) und 6 b) der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Energieprogramms der Bundesregierung
— Drucksache 7/1057 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Innenausschuß
Ausschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschuß
b) Beratung der Ersten Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung
— Drucksache 7/2713 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Innenausschuß
Ausschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschuß
Zur Einführung hat Herr Bundesminister Friderichs das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung hat mit der Fortschreibung des Ihnen vorliegenden Energieprogramms die Konsequenzen aus der Ölkrise des letzten Winters gezogen, die wir nunmehr ein Jahr hinter uns haben. Ich glaube, daß die Bundesregierung sagen kann, daß ihre Politik während der kritischen Monate richtig war; denn wir haben die Lage besser überwinden können als andere Länder mit vergleichbaren Abhängigkeiten.
Die Gefahr, vor der wir stehen, ist aber, daß mit nur einjährigem Abstand geglaubt wird, wir befänden uns wieder in Sicherheit, obwohl dies nicht der Fall ist. Es gibt zwar keine akuten Versorgungsschwierigkeiten, aber, meine Damen und Herren, die Konfrontation im Nahen Osten und die Gefahren, die dort lauern, bestehen fort. Wir alle wissen, daß wir bei einer Zuspitzung der dortigen Situation unverzüglich vor neue Energieversorgungsprobleme gestellt werden.
Wir wissen, daß wir die Abhängigkeit vom Erdöl auf absehbare Zeit nicht aufheben können, bestenfalls vermindern können. Wir wissen auch, daß, wenn die großen Erdölerzeugerländer Öl nicht als ein ökonomisches Gut, sondern als eine politische Waffe betrachten, die Auswirkungen über Preise und Beschäftigung weit hinausgehen bis hin in die Existenzfragen der westlichen Welt. Wir können die Augen nicht davor verschließen, daß sich in der internationalen Energielandschaft zwei Blöcke gegenüberstehen, nämlich die Industrieländer und die Erzeugerländer. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß die Industrienationen den Schock des letzten Winters noch nicht überwunden haben. Die Produzenten andererseits sprechen — vielleicht nicht einmal ganz zu Unrecht — von einer jahrzehntelangen Übervorteilung — auch Ausbeutung genannt —, die sie nun überwinden wollen. Sie befürchten, daß die industrialisierten Länder, wenn sie sich zusammentäten, sie wieder in jene alte Position zurückdrängen würden.
Dieses Klima des gegenseitigen Argwohns ist gewiß nicht geeignet, zu einer neuen und vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen den Produzenten- und Verbraucherländern zu kommen, die wir für notwendig halten, um die weltwirtschaftlichen Probleme auf Dauer zu lösen. Die Bundesregierung hat daher vor der Ölkrise bereits eine neue Politik der bewußten Zusammenarbeit und Kooperation mit den Rohölförderländern auf einer breiten Front begonnen und sie hat — vor anderen Verbraucherländern — das Interesse dieser Förderländer an einer bestmöglichen Nutzung der Rohstoffreserven anerkannt. Die Bundesregierung unternimmt deshalb alles in ihren Kräften Stehende, um zur Entspannung der Lage im Nahen Osten aus außenpolitischen, aber auch aus wirtschaftspolitischen Gründen beizutragen.
Dies setzt Vertrauen und Verständnis für die wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten der beiden Blöcke voraus. In der gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Situation kommt es darauf an, die Verkrampfung im Verhältnis von Produzenten- zu Verbraucherländern zu lösen, um wenigstens eine Gesprächsbasis zwischen beiden zu schaffen. Wir haben daher den Dialog zwischen beiden nachhaltig unterstützt.
Aber ein solches Gespräch muß, insbesondere in seiner Anfangsphase, gründlich vorbereitet werden. Nichts wäre in einer sensiblen und unter Vorbehalten von beiden Seiten stehenden Situation gefährlicher als ein nicht gründlich vorbereiteter Beginn für eine vertrauensvolle Aussprache über die wechselseitigen Probleme. Das Risiko eines Mißverständnisses muß vermieden werden; es könnte durch Fensterreden und Positionspapiere eher begünstigt werden.
Deshalb ist die Bundesregierung der Ansicht, daß einer Konferenz sorgfältige Vorgespräche vorausgehen müssen, in denen auch die Verständigungsbereitschaft der einzelnen Teilnehmer ausgelotet und getestet werden muß. Zu dieser Vorbereitung des Dialogs gehört selbstverständlich auch, daß die Verbraucherländer untereinander darüber wenigstens einig sind, welche prinzipielle Position sie gegenüber den Produzentenländern einzunehmen beabsichtigen. Ich gebe mich keinen Illusionen hin, daß eine solche Verständigung schon zwischen den Verbraucherländern nicht leicht zu erreichen sein wird —allein wegen unterschiedlicher Interessenlagen und unterschiedlicher Abhängigkeiten. Um so schwieriger wird eine Einigung zwischen unseren Interessen und denen der bedeutenden Ölproduzenten sein.
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Bundesminister Dr. Friderichs
Dennoch ist dies der einzige Weg, um Konfrontationen zu vermeiden, die notwendige Energieversorgung zu sichern und damit zugleich die industrielle Entwicklung in den Rohölförderländern zu beschleunigen. Meines Erachtens ist es falsch, wenn sich Stimmen in den Förderländern gegen diesen Versuch der Verbraucherländer erheben. Ich glaube, daß dies nur darauf beruht, daß es Förderländer gibt, die noch nicht erkannt oder nicht voll erkannt haben, daß eine industrielle Entwicklung ihres Landes nur in einer Zusammenarbeit mit den Verbraucherländern — sprich: den großen Industrienationen — möglich ist.
Ich bin nämlich davon überzeugt, daß die Förderländer einen Dialogpartner brauchen, der seinerseits weiß, was er will, der die Chancen der Kooperation kennt, der aber auch bereit ist, die berechtigten Interessen der Produzentenländer anzuerkennen und in sein Konzept mit einzubeziehen. Die Bundesregierung wird alles tun, um gerade diesen Akzent der internationalen Zusammenarbeit zu verdeutlichen, und die gestern abend begonnenen Gespräche des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers in Washington dienen ebenfalls diesem Ziel.
Es ist keine Frage, daß die Ölpreiserhöhungen die Weltwirtschaft hart getroffen haben. Es ist ebenso keine Frage und es kam in der vorangegangenen Debatte über das Recycling zum Ausdruck, daß der internationale Inflationstrend dadurch einen neuen Schub erhalten hat und daß die so dringend notwendige Stabilitätspolitik insbesondere auch in anderen Ländern der Welt schwerer geworden ist. Ungleichgewichte im internationalen Handels- und Zahlungsverkehr haben sich verstärkt, und es ist ein Umverteilungsprozeß und ein Prozeß der Machtverschiebung zugunsten der Erzeugerländer in Gang gekommen. Es würde unabsehbarer Schaden für die Weltwirtschaft und auch für unsere Volkswirtschaft entstehen, wenn es nicht gelingen würde, die Energie-, Handels- und Währungsprobleme zu lösen und die Weltmärkte, von denen wir als eine der größten Exportnationen der Welt in hohem Maße abhängig sind, funktionsfähig zu halten. Die Bundesrepublik Deutschland trägt hier gerade wegen ihres hohen Anteils am Welthandel eine besondere Verantwortung. Deswegen sind wir froh, daß es uns gelungen ist, zu Beginn dieses Jahres die sehr akute Gefahr von Kurzschlußhandlungen in Form von protektionistischen Außenhandelsrestriktionen durch ein am 30. Mai 1974 vereinbartes Standstill-Abkommen in der OECD zu bannen.
Es wäre angezeigt, an dieser Stelle noch etwas über Recycling zu sagen. Aber angesichts der vorangegangenen Debatte möchte ich mir dies ersparen und auf den Inhalt dieser Debatte verweisen, die sich aber nahtlos in diese Energiedebatte einfügt.
Die Bundesregierung hat in der Fortschreibung nachdrücklich ihren Willen bekundet, die notwendigen internationalen Lösungen als Flankierung und Ergänzung der nationalen Maßnahmen voranzubringen, und sie hat gleichzeitig mit der Fortschreibung des Energieprogramms das Internationale Energieprogramm gebilligt. Erstmals — das ist anders als in der kritischen Situation vor einem
Jahr — sind damit Vereinbarungen der Mehrzahl der Industrieländer über eine weitreichende Zusammenarbeit in der Energiepolitik getroffen worden. Die Bundesregierung begrüßt, daß dieses Programm breit getragen wird. Sie begrüßt aber insbesondere, daß sich Länder wie die Schweiz, Schweden, Osterreich, Spanien und die Türkei den ursprünglichen Verhandlungspartnern angeschlossen haben. Wir hoffen, daß auch ein Sonderabkommen mit Norwegen bald geschlossen werden kann, das ja bei der Energie in einer besonderen Position ist, und wir hoffen natürlich auch, daß Lösungen für eine Teilnahme Frankreichs an dieser Zusammenarbeit zu finden sind. Wir wissen, daß die bisherige Nichtteilnahme Frankreichs ein Schönheitsfehler am Gesamtkonzept und in Europa ist. Aber wir lassen uns nicht davon abbringen, alles daranzusetzen, diesen Schönheitsfehler zu beseitigen.
Inzwischen ist der Krisenmechanismus vorläufig in Kraft getreten, die Energieagentur zur Durchführung des Programms hat im Rahmen der OECD ihre Arbeit aufgenommen, und wir begrüßen insoweit auch die Vorschläge, die der amerikanische Außenminister Kissinger und sein Finanzminister gemacht haben. Dabei gibt es aber wichtige generelle Orientierungspunkte für die Zusammenarbeit, die für uns von Bedeutung sind: Wir gehen mit allen Beteiligten davon aus, daß erstens die ergriffenen Maßnahmen im Einklang mit den Notwendigkeiten der Wirtschaftsentwicklung der Welt und der einzelnen Volkswirtschaften bleiben müssen, zweitens die Zusammenarbeit so organisiert wird, daß der freie Welthandel und die Funktionsfähigkeit der Weltmärkte nicht gestört wird, drittens neben der Aktivierung der eigenen energiepolitischen Kräfte Ziel die Kooperation mit den Erzeugerländern ist.
Wir betrachten das Internationale Energieprogramm nicht als Gegenpol zu einer gemeinsamen Energiepolitik der Europäischen Gemeinschaft. Es stellt im Gegenteil eine große Chance für die Gemeinschaft dar, sich daran zu beteiligen. Wir treten daher konsequenterweise für den Beitritt der Gemeinschaft zum Internationalen Energieprogramm und für die Entwicklung einer gemeinsamen Haltung der EG-Staaten ein. Wir könnten uns einen überflüssigen Graben zwischen der gemeinsamen Energiepolitik und dem Internationalen Energieprogramm nicht leisten.
Für die Energiepolitik im Innern der Gemeinschaft hat die Kommission ein umfangreiches Paket von Vorschlägen unterbreitet. Wir sind offen für diese Vorschläge, und wir erwarten, daß die Gipfelkonferenz wenigstens Orientierungen für die weitere Entwicklung gibt und der Energie-Ministerrat Mitte Dezember Fortschritte erreichen kann. Wir halten es für unerläßlich, daß in Europa weiterhin die Prinzipien eines freien Energiemarktes gelten. Mengen- oder Wertplafonds für Ölimporte mit dem Ziel der Energieeinsparung mögen in dem einen oder anderen Land sinnvoll sein. Für die Bundesrepublik Deutschland sind sie kein brauchbares Instrument; denn die gemeinsame Energiepolitik muß gleichzeitig den freien Verkehr innerhalb der Ge-
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meinschaft gewähren. Eingriffe in Mengen und Preise können für uns nur bei ernsten Versorgungskrisen ein notwendig werdendes Instrument sein. Die Bundesrepublik ist mit ihrer weltoffenen Ölpolitik und mit der bestehenden Marktstruktur auf die Flexibilität des Marktes angewiesen. Wir wollen den bestehenden begrenzten Wettbewerbsspielraum nicht noch zusätzlich einengen.
Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle sagen, daß diese Maximen auch bei dem Bemühen gelten müssen, zunächst Frankreich und damit die Europäische Gemeinschaft zum Beitritt zur internationalen Agentur zu bewegen. Anders ausgedrückt: Wir erstreben die Gemeinsamkeit in der Gemeinschaft, aber der Preis muß in einer bestimmten Relation zu dem erzielbaren Erfolg stehen. Wir sind der Auffassung, daß als erster Schritt neuer effektiver Anstrengungen die Energieeinsparung und die Entwicklung der Energieressourcen in der Gemeinschaft in Angriff genommen werden müssen.
Lassen Sie mich nun zu einigen Punkten der Fortschreibung zwei kurze Anmerkungen machen.
Die Bundesregierung hält es für richtig, sich gegenwärtig auf eine Förderkapazität bei der Steinkohle von 94 Millionen Tonnen für das Jahr 1980 einzustellen. Wir müssen uns dabei im klaren sein, daß eine Schätzung der Absatzchancen der deutschen Steinkohle im Jahre 1980 mit größeren Risiken als jede frühere Schätzung belastet ist. Die Sicherheit der deutschen Energieversorgung erfordert es aber, in dieser Lage die derzeitige Förderkapazität vorzuhalten. Wir sind uns bewußt, daß diese Politik auch weiterhin beachtliche Anstrengungen der Bergbauunternehmen verlangt. Ohne eine gewisse staatliche Absicherung werden die Unternehmen des Bergbaus nicht in der Lage sein, dieses Ziel zu erreichen. Zur Flankierung dieser Politik sieht die Fortschreibung daher zusätzliche Investitionshilfen vor.
Die Erhaltung der derzeitigen Förderung setzt neben zusätzlichen Investitionen aber auch voraus, daß die heute im Bergbau beschäftigten Menschen bereit sind, auch weiterhin dieser schwierigen Arbeit nachzugehen, und daß es uns gelingt, auch wieder jüngere Menschen für diesen Beruf zu gewinnen. Die Bundesregierung wird deshalb die bestehenden sozialen Absicherungen für die Bergleute voll aufrechterhalten.
Eine weitere Flankierung für das kohlepolitische Ziel liegt in den Absatzhilfen. Durch das vor wenigen Tagen im Parlament verabschiedete Dritte Verstromungsgesetz wird der Absatzbereich Elektrizitätswirtschaft abgesichert.
Der zweite große Abnehmer für die deutsche Kohle ist die Stahlindustrie. Bisher wurde der Koksbedarf der deutschen Stahlindustrie voll, d. h. ausschließlich aus deutscher Kohleförderung gedeckt. Das ist nicht das Ergebnis eines normalen ökonomischen Prozesses, sondern die Folge eines bisher exklusiven Verbundes und bestehender Einfuhrbeschränkungen. Die damit verbundene Belastung für die deutsche Stahlindustrie im Vergleich zu ihren ausländischen Konkurrenten ist in der Vergangenheit zumindest zu beachtlichen Teilen durch staatliche Kokskohlebeihilfen ausgeglichen worden, die von Bund und Bergbauländern gemeinsam zu tragen waren.
Nebenbei gesagt zeigt aber die jetzige angespannte Lage, in der wohl keine Stahlindustrie der Welt so gut versorgt ist wie die deutsche, daß die traditionell enge Bindung zwischen Kohle und Stahl nicht nur Nachteile, sondern auch Vorteile hat.
In der Fortschreibung gehen wir bei der Absicherung im Eisen- und Stahlbereich einen neuen Weg. Die Änderung auf den Energiemärkten der Welt läßt es gerade längerfristig geraten erscheinen, einem so großen Kohleverbraucher wie der deutschen Stahlindustrie begrenzte Einfuhren von 3 Millionen Tonnen und damit auch unternehmerische Initiativen in Kohlerevieren anderer Länder zu ermöglichen. Die Bundesregierung setzt bei dieser Politik allerdings voraus, daß die bestehenden Lieferbeziehungen zwischen Kohle und Stahl, insbesondere der bekannte Hüttenvertrag zwischen Ruhrkohle und Stahlindustrie, der veränderten Situation angepaßt werden. Um es deutlich zu sagen: Die Anpassung des Hüttenvertrags an die veränderte Situation ist die Voraussetzung für die Zulassung von beschränkten Importmengen für die deutsche Stahlindustrie. Dieser Vertrag, in Zusammenhang mit der Gründung der Ruhrkohle-AG in einer völlig anderen Situation geschlossen, muß den jetzigen Gegebenheiten angepaßt werden. Sonst würde er sich systematisch zu einem Vertrag zu Lasten Dritter entwikkeln, wir können sagen: zu Lasten des Staates oder auch der Steuerzahler.
Es kann auf die Dauer nicht die Aufgabe der öffentlichen Hand sein, an den jeweiligen Weltmarktpreis gebundene und damit zum Teil hohe KokskohleBeihilfen zu leisten, die uns an anderer Stelle im Bundeshaushalt fehlen. Auch für den Haushalt eröffnet damit die von der Bundesregierung vorgenommene Neuorientierung Möglichkeiten der Einsparung bzw. Umschichtung. Dieser Zielsetzung müssen die Verhandlungen zwischen Kohle und Stahl über eine Änderung des Hüttenvertrages Rechnung tragen.
Die Bundesregierung behauptet nicht, mit dem Energieprogramm und der Fortschreibung dieses Programms alle Probleme gelöst zu haben; das sollte man zugeben. Denn die Lösung dieser Probleme kann einfach nur Schritt für Schritt angegangen werden, ungeachtet der Unsicherheiten von außen.
Um dieses schrittweise Ringen um Problemlösungen geht es auch bei einem Thema, das in diesem Programm angeschnitten ist; ich meine das Thema „Umweltschutz und Energieversorgung". Wir können — dies sollte man ungeschminkt sagen — in unseren engen Grenzen nicht ein Industriestaat mit entsprechendem Energiebedarf sein und zugleich von einer idyllischen Landschaft und völlig problemloser Umwelt träumen. Wir brauchen nicht nur Ölimporte, Kohle- und Gasförderung, wir brauchen auch Raffinerien, Kraftwerke, 01-, Gas- und Stromleitungen, Pumpstationen, Häfen und Läger, nicht irgendwo,
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sondern hier in unserem Lande. Dabei wollen wir uns nichts vormachen: Die Fortschritte beim Bau und bei der Genehmigung besonders von Kraftwerken und Raffinerien sind noch nicht so, wie sie sein müssen, wenn wir unsere energiepolitischen Ziele fristgerecht erreichen wollen. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, die von falsch programmierten Bürgerinitiativen über die Angst einzelner Verwaltungsstellen bis zu jenen Hemmnissen reichen, die mit jeder Bürokratie zwangsläufig verbunden sind. Ich möchte hier sagen: Wenn es uns nicht gelingt, auf diesem Gebiet rascher als in den vergangenen Jahren voranzukommen, dann werden sich für eine ausreichende Energieversorgung in den 80er Jahren und in den 90er Jahren Schwierigkeiten ergeben, die dann nur schwer zu überwinden sein werden. Das bedeutet nicht, daß wir uns über berechtigte Besorgnisse unserer Bevölkerung hinwegsetzen und etwa im Sicherheitsbereich auch nur irgendein Risiko eingehen können. Dies bedeutet, daß Fortschritte in der Energiepolitik die Umwelterfordernisse beim Ausbau der Energiekapazitäten sachgerecht und frühzeitig berücksichtigen.
Meine Damen und Herren, es kann darüber nicht einfach endlos debattiert werden. Die energiewirtschaftlichen Daten verlangen zu bestimmten Terminen Entscheidungen.
In unserer Gesellschaftsordnung und freiheitlichen Welt verlangt die Verwirklichung dieser beiden Anliegen auch die Einsicht eines jeden einzelnen Bürgers. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß sowohl die Energieversorgung — das heißt konkret: Licht, Wärme, zukunftssichere Arbeitsplätze und ein quantitativ und qualitativ ausreichendes Warenangebot — als auch sauberes Wasser, reine Luft und Erholungsräume zur Umweltqualität gehören. Wir werden diese Probleme weiterhin in aller Offenheit diskutieren, damit jeder einzelne Bürger weiß, worum es geht, und zwischen welchen beiden Notwendigkeiten entschieden werden muß.
Ich bin mir der Tatsache bewußt, daß die Komplexität der Materie erhebliche Anforderungen an den einzelnen bzw. an sein Vertrauen in die Redlichkeit und Sachkunde der Exekutive stellt. Wenn ich Exekutive aus diesem Gebiet sage, meine ich insbesondere Bund und Länder; denn die Genehmigungskompetenzen sind ja verteilt.
Andererseits scheint es mir, daß gerade in der Bundesrepublik Deutschland am wenigsten Anlaß zu dem manchmal übersteigerten Mißtrauen gegenüber Genehmigungsbehörden besteht. Wir haben klare Zuständigkeitsregelungen, die die staatlichen Aufsichtspflichten und die Interessen der staatlichen Energiebehörden voneinander abgrenzen. Gerade die Entwicklung in der Kerntechnik, die zunehmend von einzelnen Gruppen kritisiert wird, war von Anfang an durch das Bemühen des Staates um den Schutz seiner Bürger vor nuklearen Risiken gekennzeichnet. Aber die Sicherung unserer Energieversorgung verlangt eben auch den zügigen Ausbau von Kernkraftkapazitäten.
Eine nüchterne und sachliche Einstellung der Bürger zu den energie- und umweltpolitischen Maßnahmen von Bund und Ländern ist auch bei der rechtzeitigen Bereitstellung geeigneter Standorte für den Ausbau der Energieanlagen nötig. Dies verlangt Vorsorge bei der Auswahl der Standorte und zügige Entscheidungen. Dabei muß sich die Energiewirtschaft darüber im klaren sein, daß sie bei der Standortwahl den Erfordernissen der Umwelt von vornherein Rechnung tragen muß und daß hinter diesem Anliegen im Einzelfall mitunter auch betriebswirtschaftliche Rentabilitätsüberlegungen zurücktreten müssen.
Ich möchte hier allerdings hinzufügen, daß dies nicht damit abzutun ist, indem man das Stichwort „Verursacherprinzip" in den Mund nimmt; denn wenn Rentabilitätsüberlegungen zurücktreten gegenüber berechtigten Umweltbelangen , dann bedeutet dies doch ganz einfach, daß die erzeugte Energie teurer wird. Dies trägt nicht der Verursacher, sondern am Ende selbstverständlich der Verbraucher.
Das heißt, bei dem notwendigen Maß an Versorgungssicherheit kann das notwendige Maß an Umweltfreundlichkeit eben nur über den Preis erreicht werden. Wir müssen bereit sein, im Interesse des Lebens in unserem Lande diesen Preis zu zahlen. Ich will hinzufügen, daß wir bei Maßnahmen und organisierten Maßnahmen gegen Energiestandorte und Produktionsanlagen draußen zwischen den Maßnahmen und den Befürchtungen gegenüber Kernkraftanlagen und denen gegenüber anderen Energieerzeugungsanlagen zu unterscheiden haben. Bei den anderen ist es meistens die Belastung der Luft oder des Wassers, die zu Protesten Anlaß gibt. Wir müssen ganz einfach in Rechnung stellen, daß es bei Kernkraftanlagen sehr häufig der Angstkomplex ist, der bei den Menschen in diesem Lande hinzukommt.
Deshalb haben die beteiligten Ressorts — das Bundesministerium für Forschung und Technologie, der Bundesinnenminister und der Bundeswirtschaftsminister — eine Aufgabe darin gesehen, in den nächsten Jahren eine möglichst einsehbare und ob- jektive Aufklärung über diese Dinge zu starten, damit der Angstkomplex beseitigt wird und wir die Dinge auf das Maß an objektiver Belastung der Umwelt zurückführen.
Energiepolitik, meine sehr verehrten Damen und Herren, war in diesem Hohen Hause meist ein Feld, bei dem Meinungsverschiedenheiten im Detail gegenüber einem starken Miteinander im Grundsätzlichen zurücktraten. Die Zusammenarbeit bei der Beratung des ersten Energiesicherungsgesetzes war ein Beispiel davon, die Zusammenarbeit bei der Beratung des Verstromungsgesetzes ein zweites. Ich hoffe, daß die Beratungen des Zweiten Energiesicherungsgesetzes, die im Anschluß an diese Debatte stattfinden, ebenso dieses Maß an Gemeinsamkeit erkennen lassen wie die Besprechung über die Fortschreibung des Energieprogramms, mit der die Bundesregierung den Versuch macht, die Herausforderungen anzunehmen, die im letzten Winter auf die Bundesrepublik Deutschland zugekommen
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sind, und mit der sie den Versuch macht, die Konsequenzen aus neuen Daten zu ziehen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Russe.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Minister, Sie haben zur Einführung in diese Debatte einen Bericht über teilwese sehr aktuelle, teilweise mit dem Programm und seiner Fortschreibung, wie es auf der Tagesordnung steht, zusammenhängende Fragen gegeben. Wir sind mit Ihnen der Auffassung, daß wir uns in diesem ersten Jahr nach der Ölkrise, besser gesagt: nach der Energiekrise nicht dem trügerischen Schluß hingeben dürfen, daß nun alles wieder in Ordnung sei. Von daher sind wir also gehalten, uns weiterhin mit aller Kraft der Problematik einer gesicherten Energieversorgung zu widmen.
Lassen Sie mich eine zweite Bemerkung zu Ihrer Einführung machen: Wir sind mit Ihnen der Auffassung — dies war immer unsere Position, und sie wird es auch zukünftig in Übereinstimmung mit Ihnen bleiben , daß die Interdependenz der Währungs-, Außenhandels- und Energiepolitik nicht außer acht gelassen werden darf. Gäbe man sich hier einer anderen Orientierung hin, würde dies schwerwiegende, fürchterliche Konsequenzen haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reuschenbach?
Verzeihen Sie, Herr Kollege Reuschenbach; lassen Sie mich jetzt erst einmal in aller Ruhe für meine Fraktion vortragen, was wir zu diesem Programm festgestellt wissen wollen. Sie wissen, daß ich sonst nicht kneife; aber hier geht es zunächst einmal darum, daß auch wir unsere Meinung zur Kenntnis geben. Sie wollten ja absolut diese Debatte. Wir sind dazu bereit, und deshalb unsere Stellungnahme insgesamt. Sie haben nachher Gelegenheit, dazu im einzelnen Stellung zu nehmen. Sie sind ja wohl der nächste Redner.
Meine Damen und Herren, mit der reichlich verzögerten Vorlage dieses fortgeschriebenen Energieprogramms hat die Bundesregierung zweifellos Konsequenzen — allerdings sehr späte Konsequenzen — aus der im vergangenen Jahr etwa um die gleiche Zeit eingetretenen Entwicklung im Gesamtbereich Energie
und vor allem aus der veränderten Lage hinsichtlich der Preise und der Mengen im Ölsektor gezogen. Dabei folgte sie, wenn auch überwiegend nur mit Absichtserklärungen, zum Teil auch Aufforderungen meiner Fraktion, so z. B. bei der heimischen Steinkohle endlich auf das unsinnige Gesundschrumpfen zu verzichten, wie es noch im Septemberprogramm 1973 von der Bundesregierung beabsichtigt war.
Das wollen Sie doch wohl nicht bestreiten. Ich erinnere Sie an die Debatte am 18. Januar dieses Jahres, in der ich diese Einlassung schon einmal vertreten habe und mir der Herr Minister aus seiner damaligen Schau entsprechend entgegengetreten ist. Lesen Sie das doch nach; dann können Sie doch nicht zu einer solchen Reaktion kommen.
Wir haben zu jeder Zeit und an allen Stellen immer wieder darauf hingewiesen, daß die Kohle unser sicherster Energieträger ist und daß sie bei der gegebenen und sicher zu erwartenden Ölpreisentwicklung für uns gleichzeitig eine präterpropter kostengünstige Versorgungsreserve darstellt. Wir unterstützen deshalb grundsätzlich, daß das Kabinett der Kohle für die kommenden zehn Jahre eine so gesicherte Größenordnung in der gesamten Energieversorgung unseres Landes einräumen will, etwa der gegenwärtigen technischen Förderkapazität im deutschen Steinkohlenbergbau entsprechend. Genau diesen Ansatz haben wir, ob Ihnen das paßt oder nicht, bereits in unserem Energieprogramm vom November 1972 intendiert und verdeutlicht. Damals sind wir nicht, jedenfalls nicht von allen, verstanden worden, und es hat viele Leute gegeben, die angesichts des damaligen, für alle geradezu faszinierend niedrigen Ölpreises eine solche Forderung für absurd hielten. Heute beweist sich, wie richtig diese damalige Grundsatzforderung war und ist. Ich verweise auf unsere Anträge zur Energiepolitik vom 29. November 1973 und vom 11. Dezember 1973. Auch dort können Sie nachlesen, daß unsere Fraktion nicht bereit war, den von Ihnen auf den Weg gebrachten Gesundschrumpfungsprozeß mitzumachen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf folgendes verweisen: Die großen Mineralölgesellschaften in den Vereinigten Staaten von Nordamerika kaufen seit langem Kohlezechen, um sich sozusagen das zweite zukunftsträchtige Standbein neben dem Öl zur Verfügung zu halten. Könnte die natürliche Verknappung von Rohstoffen, hier auch Naturvorkommen von Kohle, bei Fortschreibung dieser Entwicklungstendenzen nicht eines Tages dazu führen, daß Kohle-Anbieterpositionen erwachsen, die mit der Position der heutigen Ölscheichs beschreibbar sind, mit den dann bekannten negativen Konsequenzen? Ist insofern — ich frage auch dies — nicht Sorge angebracht, ob mit Hilfe etwa von Importkohle der Steinkohlebedarf bei uns langfristig ausreichend sicher gedeckt werden kann? Herr Minister, hier würde sich dann das Problem, das Sie mit dem Hüttenvertrag angesprochen haben, unter Umständen potenzieren, wenn nämlich dann die Gefahr oder die Tatsache nicht ausreichender Importe gegeben wäre.
Die Ruhrkohle-AG ist seit etwa vier Wochen arbeitskräftemäßig absolut ausgelastet. Man könnte den Mut haben, zu sagen: Der Bergmannsberuf hat offensichtlich wieder die Zugkraft erlangt, die er jahrzehntelang gehabt hat.
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Russe
— Herr Kollege Wolfram, das glauben Sie doch selbst nicht, was Sie da gesagt haben. Ich werde Ihnen das noch beweisen. Ich weiß ja, wie Sie diesbezüglich immer wieder Dinge behaupten, von denen Sie selbst nicht überzeugt sein können, weil sie einfach nicht stimmen. Aber Sie haben trotzdem immer wieder die Kühnheit, es zu behaupten. Aber dadurch wird es nicht wahrer.
— Das ist richtig, da fragen Sie mal Ihre Kumpels!
Hinzu kommt, daß die Ruhrkohle-AG es sich leisten kann, ihr Know-how und ihre ihr Know-how tragenden Experten ins Ausland zu schicken und sich dort zusätzlich „Kohlebeine" zu erschließen; eine Entwicklung, von der ich meine, daß sie zweifellos den richtigen Weg geht.
Aber lassen Sie mich, nachdem ich als ein Mann aus dem Ruhrgebiet mit Begeisterung zunächst zur Kohle gesprochen habe, nunmehr auf den systematischen Teil des uns vorliegenden ersten Fortschreibungsergebnisses eingehen.
Zunächst dies: Absichtserklärungen, die wir in großer Zahl in diesem Programm finden, sind für uns noch keine schlüssige Politik. Wir gehen einig mit Ihnen in dem beschreibenden Teil dieses Energieprogramms. Aber dieser beschreibende Teil nimmt einen ganz erheblichen Teil ein. Es bleibt aus diesem Grund schon ganz entschieden die Frage zu stellen, ob die hier zusammengetragenen Positionen so lange in den Schubläden des Ressorts verbleiben mußten, ob es nicht möglich gewesen wäre, die seit dem vergangenen Winter gewonnenen Erfahrungen viel früher auf den Tisch zu legen. Wir haben Hinweise, daß dies möglich gewesen wäre, und die CDU/CSU bedauert deshalb ausdrücklich, daß wir erst jetzt, mehr als ein Jahr nach dem ersten Programm und mehr als ein Jahr nach dem Eintritt der Versorgungsschwierigkeiten in unserem Land, zu dieser Bestandsaufnahme gekommen sind.
Wir wollen uns nicht mit Ihnen von der Koalition und der Bundesregierung über die Bestandsaufnahme streiten. Wir müssen allerdings für das gesamte daraus abgeleitete Programm die Feststellung treffen, daß es ein — erlauben Sie mir diesen etwas laxen Ausdruck — außerordentlich „geschöntes" Programm ist. Denn dieses Programm enthält eine Vielzahl von erwarteten, befürworteten und angenommenen Entwicklungslinien für die Primärenergiedarbietung in unserem Land, wie sie sich aus den heute überschaubaren oder abzuschätzenden Marktdaten für die Zeit bis 1985 ergeben. Es enthält aber nicht — und eben das halten wir für einen ganz entscheidenden Mangel dieses Papiers oder dieses Programms — eine klare, strategisch durchgehende Position für den Fall, daß z. B. die bis 1985 erwarteten Ölmengen nicht oder aber nur zu einem solchen Preis zur Verfügung stehen, der die vorgesehenen Einsatzmengen der Bundesrepublik illusorisch macht. Das ist das Problem der Lagebeurteilung in den für unser Land als Hauptlieferanten für Erdöl in Frage kommenden Ländern, die Sie in Ihrem Programm —zugegeben — als nicht ausreichend kalkulierbar ansehen. Dies haben Sie, Herr Minister, vorhin auch zutreffend hervorgehoben. Aber gerade deshalb und im Gegensatz zu Ihnen ist dieser skalierte, — von mir aus mit Varianten, minus, minus und folgende —, kalkulierbare und mit Pflicht zu kalkulierende Unsicherheitsfaktor für unsere Ölversorgung zu unterstellen. Aus diesem zu kalkulierenden Risikofeld der Versorgung müßte man in bezug auf alle anderen Energieträger und das 01 und seine Einsatzmengen, wie wir meinen, eine andere Strategie oder andere Strategien entwickeln als die — ich wiederhole — geschönte Darstellung von Erwartungen, wie sie sich in Ihrem Programm wiederfinden. Die CDU! CSU, meine Damen und Herren, hat nicht die Absicht, die sich im Ölgeschäft auch in der nächsten Zukunft dennoch abzeichnenden Marktchancen als nicht gegeben anzusehen. Aber wir sind der Meinung, daß das mit den politischen Unwägbarkeiten der Nahostländer verbundene Versorgungsrisiko als ein zu unterstellendes Faktum angesehen werden muß, aus dem sich eine eindeutige Strategie zum Mineralöleinsatz ableiten läßt.
Nun zum Öl selbst! Die vorgesehene Verminderung des Mineralöleinsatzes von gegenwärtig 55 % des Gesamtenergieverbrauchs auf 44 % im Jahre 1985 ist im Grundsatz zu begrüßen, bedeutet aber — und das muß man sehen, meine Damen und Herren — hinsichtlich der absoluten Einsatzmengen eine erhebliche Steigerung in den vor uns liegenden Jahren, deren Möglichkeit wir weniger günstig beurteilen als Sie. Im übrigen ist an dieser Stelle anzumerken, daß die Europäische Gemeinschaft sich auf ein weit stärkeres Zurückdrängen des Öleinsatzes verständigt hat, als dies in diesem Programm getan wird. Nun, Herr Kollege Springorum wird nachher für uns dazu noch ergänzende Ausführungen machen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ergänzend darauf hinweisen, daß die Absicht der Bundesregierung, die Bundesrohölreserve jetzt auf 4 Millionen Tonnen festzulegen und im Laufe der nächsten Jahre auf 10 Millionen Tonnen aufzustokken, sicher zu unterstützen ist. Wie aber wollen Sie den damit verbundenen Pferdefuß der Finanzierung dieser 10 Millionen t erklären, wenn Sie selbst folgendes bemerken — und ich zitiere aus Ihrem Programm —:
Der Zeitplan für die Durchführung der Aufstokkung wird von den Möglichkeiten des Bundeshaushalts bestimmt.
Wir alle wissen doch um die Situation des Haushalts. Die Erklärungen des Finanzministers sind Ihnen wie uns gleichermaßen bekannt. Können wir da zuversichtlich sein, was die Erhöhung unserer Versorgung, der Versorgungssicherheit im Rahmen des „nach Maß" gearbeiteten Bundeshaushalts angeht? Ich finde, die Bundesregierung muß sich hierzu sehr viel konkreter und präziser äußern, als es in dem Programm geschieht. Da muß eine Finanzierungsplanung stehen oder meinetwegen jetzt eingeleitet werden, die Klarheit über die Vorhaben und über die zeitlichen Abläufe gibt.
Im übrigen an dieser Stelle noch eine Anmerkung. Die jetzt einzulagernden 4 Millionen t Mineralöl kosten heute etwa genauso viel wie seinerzeit vor
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einem Jahr - im alten Programm - die vorgesehenen 10 Millionen t. Sie können daran sehen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition: Die Inflation frißt nicht nur ihre Kinder; sie frißt auch ihre Väter.
Noch einmal zurück zur Steinkohle. Sie halten eine Steinkohlenreserve von ebenfalls 10 Millionen t für erforderlich. Wir sind der gleichen Meinung, fragen Sie allerdings, warum Sie eine solche Notwendigkeit erst vorn Jahre 1977 ab begründen und erst von 1977 an die entsprechenden Finanzierungsmittel vorsehen. Wir sind der Auffassung, die Anlage einer Kohlenreserve hätte schon in der Mitte dieses Jahres vorgenommen werden müssen.
— Ach, hören Sie doch auf. Herr Kollege Reuschenbach, der Zwischenruf überzeugt Sie doch selbst nicht. Sie wissen doch selbst, was in der Mitte dieses Jahres noch auf Halde war. Das wissen Sie doch!
Ich kann mir vorstellen, daß Sie spätestens an dieser Stelle fragen, woher das Geld hätte kommen sollen. Nun, meine Damen und Herren, Sie dürfen eben nicht so viel z. B. für das Aufblasen von Stellen- und Organisationsplänen verbraten. Energiesicherung ist für unsere Volkswirtschaft, aber auch gerade für unsere Verteidigung, die wichtigste Gemeinschaftsaufgabe. Wenn einem die Versorgungssicherheit nach den Erfahrungen des vergangenen Winters tatsächlich am Herzen läge, hätte man schon längst handeln müssen. Jetzt aber muß man endlich die dazu erforderlichen Daten setzen.
Jeder Fachmann weiß, daß der Ausbau z. B. neuer Kohlekapazitäten rundweg acht Jahre in Anspruch nimmt. Daraus ergibt sich die Konsequenz, daß alles das, was wir heute nicht tun, 1980 einfach nicht zur Verfügung steht. Deshalb nochmals: Was hier fehlt, ist die durchgehende strategische Konzeption der Regierung für das, was nach 1980 zur Verfügung stehen soll und deshalb heute begonnen werden muß.
Zum Stichwort Braunkohle kann ich nur feststellen, daß die Bundesregierung die Braunkohle in ihrem Programm nur in einer einzigen Teilziffer, Nummer 61, geradezu stiefmütterlich behandelt hat. Wir als CDU/CSU-Fraktion schätzen die Bedeutung der Braunkohle für die Energieversorgung viel höher ein als Sie von den Koalitionsfraktionen, die Sie mit den Sonderabschreibungen nach dem Steueränderungsgesetz 1973 entsprechende finanzielle Hilfen geben wollen. Dieses Kapitel ist unzulänglich.
Jeder weiß, daß, wenn man von der Aufschließung neuer Braunkohlenfelder spricht, zweifellos der Hambacher Forst gemeint ist und daß seine Aufschließung Milliarden erfordert, bevor überhaupt mit der Förderung der Braunkohle begonnen werden kann.
Wir müssen uns alle miteinander die Frage stellen, ob es sich, wenn es um Begünstigungen seitens der öffentlichen Hand geht, wirklich um „klassische" Subventionen handelt oder ob die Zulassung von Sonderabschreibungen und z. B. die eventuelle Aussetzung der Vermögensteuer bis zur Inbetriebnahme sowie gegebenenfalls Beihilfen zu möglichst zinsverbilligtem Kapital nicht Maßnahmen strategischer Art für ein Energiekonzept sind, die mit dem schlichten Subventionscharakter nichts mehr zu tun haben.
Fachleute sollten wissen, daß die in diesen Gebieten anfallende Braunkohle nicht, wie wir dies bisher hauptsächlich getan haben, allein in konventionellen Kraftwerken zur Stromerzeugung verwandt werden sollte, vor allem dann nicht, wenn das Kernreaktorprogramm eines Tages erfüllt ist. Dann muß nämlich Braunkohle in verstärktem Maße zur Vergasung zur Verfügung stehen. Das ist ein Aspekt, den wir beleuchten müssen, über den sich Ihr Programm allerdings ziemlich ausschweigt.
Zum Stichwort Gas. Wir können zwar in den kommenden Jahren bis etwa 1980 — vorausgesetzt, Ihr Tableau geht mengen- und preismäßig nicht völlig schief mit ausreichender Erdgasversorgung rechnen. Insofern halten wir die Politik der Diversifizierung der Erdgasimporte im Grundsatz für richtig. Ich bitte allerdings zu bedenken, daß sich auf Grund der enorm ansteigenden Erdgasimportabhängigkeit zumindest ähnliche Schwierigkeiten im Versorgungssicherheitsbereich auf dem Gassektor ergeben könnten, wie wir sie beim Öl erlebt haben. Zwar verringert die Verteilung der Erdgasbezüge auf verschiedene Kontinente und Länder tendenziell diese Gefahr, aber in bezug auf die politische Labilität einiger Lieferländer läßt sie sich zumindest nicht ganz ausschließen. Diese Betrachtung sollte man nicht nur im Hinterkopf haben.
Im Zusammenhang mit Kohle und Gas ist es notwendig, bereits heute darauf hinzuweisen, daß wir zunächst der Kohlevergasung und später auch der Kohleverflüssigung ganz intensive und aktive Aufmerksamkeit schenken müssen, weil eben dies die Möglichkeit umfaßt, den zweifellos steigenden Gasbedarf aus heimischen und vor allem deutschen, in gewissem Umfang auch aus europäischen Quellen zu decken. Dabei wird die Prozeßwärme aus dem Hochtemperaturreaktor zur Vergasung von Braunkohle, aber auch von Steinkohle eine besondere Bedeutung erhalten.
Übrigens tritt mit dieser Entwicklung der Vergasung von Kohle mit Hilfe von Prozeßwärme der bisher sicherlich einzigartige Fall ein, daß in einer Anlage sowohl Elektrizität als auch Gas erzeugt werden könnte. Ich behaupte in Übereinstimmung mit meinen Fachkollegen aus der Fraktion, daß dies einen völlig neuen Abschnitt in der Energiewirtschaft eröffnet. Hierzu wird sich Herr Kollege Lenzer später noch einlassen.
Meine Damen und Herren, zum Thema Kernenergie.
- Sie wollten doch die Debatte, Graf Lambsdorff.
Wir wollten sie ja vertagen. Jetzt müssen Sie sich
das auch anhören. Jetzt müssen Sie hier — wenn Sie
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so wollen — die Zeit absitzen, bis Sie die letzte
Stellungnahme von uns zur Kenntnis erhalten haben.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt mit der Absicht der Regierung überein, die Installierung einer Kernkraftwerksleistung für 1985 von 45 000 MW anzustreben. Wir wären wie Sie sicherlich glücklich darüber, wenn man sogar die 50 000 MW erreichen könnte. Wenn Sie allerdings, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, davon ausgehen, daß die Belange des Umweltschutzes und der Energiepolitik gleich bewertet werden müssen — insofern sind wir für Ihre vorherige Einlassung dankbar, Herr Minister, aber wir wollen trotzdem ergänzend noch einmal unsere Meinung dazu feststellen; ich habe im Prinzip nichts gegen diese Gleichbewertung —, so müssen Sie sich allerdings fragen lassen, was Sie bisher dazu getan haben, um die Planungs- und Genehmigungsverfahren so zu beschleunigen und die Standortfragen der Kernkraftwerke mit den notwendigen Bauvorhaben so in Einklang zu bringen, daß dieser Zielkonflikt, der sich aus Ihrem Papier ergibt, nicht auftritt.
Die CDU/CSU-Fraktion hat in ihrem Antrag zur Energiepolitik vom 11. Dezember 1973, also vor einem Jahr, die Bundesregierung ausdrücklich aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, daß die Planungs-
und Genehmigungsverfahren für Bau- und Inbetriebnahme aller Energieversorgungsanlagen, insbesondere von Kernkraftwerken, vereinfacht und die Fristen dafür abgekürzt werden,
daß über Landesentwicklungspläne eine langfristige Standortplanung für Raffinerien und Kraftwerke sichergestellt wird und daß in diesem Zusammenhang die Entscheidungskompetenzen bei Bund, Ländern und Gemeinden zusammengefaßt und koordiniert werden.
— Herr Kollege, jetzt nicht.
— Ja, Sie hören es nicht gern, daß Sie ein Jahr nichts getan haben. So ist doch die Tatsache, nicht anders.
Gegenwärtig müssen wir doch feststellen, daß allein mehrere Jahre nur für die Vorklärung der Standorte erforderlich sind. Wir fordern Sie deshalb erneut auf, meine Damen und Herren, unverzüglich umfassende Maßnahmen zur Verbesserung und Verkürzung des Genehmigungsverfahrens, zur Realisierung des verstärkten Einsatzes von Kernkraftwerken einzuleiten. Solche Maßnahmen wären etwa, die im Rahmen der Abwicklung des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens vorgesehenen
Aufgaben von Bund und Ländern im Detail ganz eindeutig abzugrenzen
und technische Richtlinien und Weisungen zur Vereinheitlichung und Harmonisierung der Genehmigungsverfahren zu erlassen.
— Also wissen Sie, Ihre Einlassung wird auch nicht dadurch besser, daß Sie sie oft wiederholen. Was Sie sagen, stimmt nämlich nicht.
Lassen Sie mich diesen Fragenkomplex vielleicht noch anders, plastischer darstellen. Neue Kernkraftwerke werden zur Zeit, auch wenn bereits Anlagen des gleichen Konzepts mit gleichem Standort begutachtet und genehmigt wurden, in vollem Umfang und in allen Einzelheiten erneut durchgeführt und begutachtet. Bei erprobten Kernkraftwerks-anlagen müßte und könnte eine einmalige Typengenehmigung für einen zu bestimmenden Zeitraum ausgesprochen werden. Das Genehmigungsverfahren wäre dann im wesentlichen auf die Standortgenehmigung zu beschränken. Der Aufwand für die technische Prüfung des einmal genehmigten Typs würde eingespart bzw. sich auf allenfalls denkbare technische Teiländerungen oder Verbesserungen beschränken. Mir ist dabei die Problematik der Notwendigkeit einer weitgehenden Standardisierung von Kernkraftwerken, ihrer Komponenten und Systeme in Hindeutung auf eine mögliche Festschreibung der Technik in diesem Zeitraum durchaus bewußt. Im Verlauf einer solchen Zeitspanne oder danach ist die Eingabe eines dann wieder zu standardisierenden Typs mit einer geänderten, angepaßten oder neuen Technik in das Genehmigungsverfahren durchaus möglich und praktikabel. Im übrigen müßte man tatsächlich dafür Sorge tragen, daß die zuständigen Genehmigungsbehörden insbesondere personell, aber auch fachlich in die Lage versetzt werden, den wachsenden Aufgaben nachzukommen, wie Begutachtung, Bewältigung der anfallenden Einwendungen Dritter — die berühmten Masseneinwendungen —, die Hinzunahme der Genehmigungsverfahren, die Frage der Aufsicht über die steigende Zahl im Betrieb befindlicher Kraftwerke und anderes mehr.
Meine Damen und Herren, um nicht mißverstanden zu werden — ich wiederhole es an dieser Stelle —: Es wendet sich niemand gegen den notwendigen und den verpflichtenden Umweltschutz — jedenfalls werden Sie das von unserer Fraktion nicht hören —, aber solange die Bundesregierung nicht bereit ist, unverzüglich eindeutige Abstimmungskriterien zwischen dem notwendigen Umweltschutz und dem verstärkten Einsatz von Kernkraftwerken zu nennen, solange bleiben die Vorhaben in der Kernkraftwirtschaft graue Theorie.
Bei den heute erforderlichen Planungs- und Bauzeiten und der weiterhin zu befürchtenden Kostenexplosion in diesem Bereich steht in zehn Jahren eben nur das an Kernenergie zur Verfügung, was heute in allen Instanzen positiv entschieden wird. Sie schreiben zu diesem Thema zwar an allen mög-
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lichen Stellen, daß entsprechende Maßnahmen eingeleitet sind, in der Praxis aber erleben wir ziemlich genau das Gegenteil von dem, was notwendig wäre. Das Programm bedarf also auch an dieser Stelle einer stärkeren Konkretisierung.
Lassen Sie mich ein anderes Stichwort aufgreifen: Energieeinsparung. Die Bundesregierung gibt in dem Kapitel F einen vorzüglichen Versprechenskatalog. Sie erwartet, daß es zu einem wesentlich rationelleren Energieeinsatz kommt und sie wird, so sagt sie, ergänzende Maßnahmen ergreifen, sie wird ein Gesetz zur verbindlichen Einführung erhöhten Wärmeschutzes im Neubau schaffen und ähnliches mehr. Alles Zukunft, meine Damen und Herren! Warum haben Sie beispielsweise bei der Vergabe öffentlicher Hochbauvorhaben nicht schon längst entsprechende Wärmeschutzbedingungen zur Energieeinsparung zur Pflicht gemacht?
— Ich komme darauf. — Es gibt Hinweise dafür, daß etwa das in Bau befindliche Bundeskanzleramt, hier in unserer Nachbarschaft, von diesen ganzen Absichtserklärungen Ihres modernen und fortgeschriebenen Energieprogramms in diesem Bereich, nämlich Energieeinsparung, völlig unberührt geblieben ist.
Darin war und ist eine Klimatisierungs- und Heizungsanlage, wie in einem Riesenglashochhaus, vorgesehen.
Im Nachhinein, so kann man jedenfalls hören, sind lüftbare Fenster eingeführt worden, die Energieanlage selbst aber bleibt bestehen und kostet, wie man erfahren kann, jährlich 1,2 Millionen DM für Energieaufwand.
Meine Damen und Herren von der Koalition, wie wollen Sie dies z. B. in Übereinstimmung bringen mit dem, was Sie in Ihrem Programm zur Energieeinsparung geschrieben haben!
— Sie wissen das, Herr Kollege Carstens. — Wir halten die Verzögerungen, mit der längst gewonnene Einsichten in die Tat umgesetzt werden, für nicht vertretbar, wenn nicht sogar verhänignisvoll.
Meine Damen und Herren, europäische Energiepolitik ist ein schwer erziehbares Kind.
Wer weiß dies inzwischen nicht. Die CDU/CSU-
Fraktion befürwortet ganz entschieden, daß unsere
Versorgungs- und Sicherheitsprobleme in eine europäische und darüber hinausgehende internationale Konzeption der Verbraucherländer eingebettet werden müssen.
Völlig einverstanden mit Ihnen, Herr Minister, wenn Sie dies vorhin ausdrücklich noch einmal feststellten. Aber auf diesen sehr wesentlichen Aspekt werde ich nicht näher eingehen; dies wird mein Kollege Springorum gleich im einzelnen noch tun. Nur eine Feststellung dazu von mir noch: Was die Bundesregierung auf diesem Betätigungsfeld bisher nicht getan hat, ist entschieden mehr als das, was sie erreicht hat oder was sie noch anstrebt.
Wenn ich jetzt noch auf einige Finanzierungsüberlegungen eingehe, so nicht mit der Absicht, mich mit den wirklich außerordentlich schwierigen Problemen der arabischen Ölmilliarden und der daraus resultierenden Defizite in den europäischen Verbraucherländern zu beschäftigen. Wir führen zwar heute eine energiepolitische Debatte, aber — der Minister hat es zu Anfang mit Recht gesagt — dies erscheint mir in diesem Zusammenhang wichtig: Wir alle sind uns darüber im klaren, daß wir in der nächsten Zukunft ein „wahnsinniges" Geld für die Investitionen im Energiebereich brauchen werden. Dabei muß es grundsätzlich zur Aufgabe der Energieversorgungsunternehmen gehören, sich das Kapital zur Finanzierung ihrer Investitionen auf dem Energiesektor selbst zu beschaffen. Unsere Energiewirtschaft hat in den zurückliegenden Jahren im großen Durchschnitt nahezu die Hälfte der Investitionen aus eigenen Mitteln aufgebracht. Unter der Voraussetzung, daß keine politischen Preise erzwungen werden, muß dieses Prinzip auch beibehalten werden.
Das aber setzt voraus, daß bei der Preispolitik der Energieversorgungsunternehmen dieser Beitrag für Investitionen lassen Sie es mich etwas deutlicher sagen — ein anerkannter, kalkulierter Posten sein muß. Materiell ist er ohnehin zu einem Teil, und zwar zu einem nicht unerheblichen Teil, eine Berechtigung für die durch die Inflation zu gering gewordenen Abschreibungen.
Wir werden also in der Zukunft in der Energiewirtschaft den Kapitalmarkt verstärkt in Anspruch nehmen müssen. Das bedeutet, daß ein nicht unerheblicher Teil der Kapitalströme zur Energiewirtschaft geleitet werden muß. Damit hier niemand auf dumme Gedanken kommt: Ich meine damit keine Lenkung. Wenn man aus anderen Investitionsbereichen diese Mittel aber nicht abzweigen kann —und davon müssen wir wohl ausgehen —, dann ist es dringend erforderlich, einen Teil der den Ölländern für das Mineralöl gezahlten hohen Preise in den volkswirtschaftlichen Kreislauf zurückzuführen.
Aber neben diesem von uns allen sicher als notwendig, wenngleich auch als problematisch erkannten Weg sollten unsere Bürger in diesem Lande durch Beteiligung am Eigenkapital der Energiever-
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sorgungsunternehmen starker als bisher zur Finnanzierung der Investitionen beitragen und beitragen können.
Auf die Initiative meines Fraktionskollegen Burgbacher hin ist im Aktienrecht eine Bestimmung verankert, daß Unternehmen von allgemeinem Interesse auch neue Mehrstimmrechtsaktien einführen können. Es könnte ein Weg — ich betone: ein Weg — unter anderem darin gesehen werden, daß die Energieversorgungsunternehmen stimmrechtsmäßig mehrheitlich bei der öffentlichen Hand — oder wo auch immer sie sein mögen — verbleiben, daß aber das Aktienkapital der Unternehmen noch stärker in die Hände der Bürger gelegt wird.
Sie wissen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, daß Eigentumspolitik immer unsere Initiative gewesen ist und nicht Ihre. Sie wissen auch, daß die Volksaktien unsere Erfindung waren. Wer auch immer über die heutigen Kurse lamentiert, sollte sich darüber klar sein: Für diese Entwicklung der Kurse ist die schlechte Wirtschaftspolitik verantwortlich, nicht das Volksaktienprinzip.
Im übrigen darf ich an dieser Stelle die Anmerkung machen — das muß erlaubt sein —, daß das unter meinem Vorsitz im Jahre 1968 erarbeitete Modell der CDU zu einer Deutschen Energie-AG die Eigentumsbeteiligungen breiter Schichten unseres Volkes wie selbstverständlich mit einschloß. Daß solche Überlegungen in Ihrem Konzept fehlen, überrascht, glaube ich, nur wenige.
Wir sind in der ersten Lesung. So spät auch das Papier gekommen ist, liegt es doch noch nicht lange genug vor, um alle Aspekte eingehend kritisch, aber vielleicht auch positiver als geschehen, würdigen zu können. Dies hier ist und war ein erster Durchgang zum fortgeschriebenen Energieprogramm der Bundesregierung. Dies waren nur einige kurze kritische Anmerkungen.
— Es kommt noch mehr; warten Sie ab!
Wir werden als CDU/CSU-Fraktion die Position dieses Papiers in den Beratungen der Ausschüsse sehr eingehend prüfen. Wir werden uns Zeit dazu nehmen. Wir lassen uns in dieser Frage nicht unter Druck setzen, wie es in letzter Zeit bei Ihnen immer mehr die Übung geworden ist.
Alles muß schon vorgestern verabschiedet sein, was übermorgen erst möglich oder früh genug. Wir lassen uns nicht unter Druck setzen.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stellt abschließend fest, daß sie Teile des Energieprogramms in ihrer Zielsetzung unterstützt, daß sie allerdings eine klare strategische Linie zur Verminderung des Abhängigkeitsgrades von politisch sehr instabilen Außenbedingungen völlig vermißt. Darüber hinaus muß der größte Teil der Absichtserklärungen so konkretisiert werden, daß sich für die Herstellung eines höheren Maßes an Versorgungssicherheit für unser Land klare, eindeutige Handlungsmaximen ableiten lassen.
— Herr Reuschenbach, das ist typisch für Sie!
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfram.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Energiedebatte ist nicht die erste und wird nicht die letzte sein, die dieses Parlament führt; in der Geschichte der deutschen Energiepolitik in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg kommt ihr aber sicherlich ein besonderer Stellenwert zu:
Zum ersten Male legt eine Bundesregierung ein in sich geschlossenes Energieprogramm und die erste Fortschreibung und Aktualisierung dieses Programms vor. Dafür gebührt der Bundesregierung, vor allem aber den Bundesministern für Wirtschaft, der Finanzen und für Forschung und Technologie, Dank und Anerkennung.
Dabei erinnert sich ein Sozialdemokrat, auch wenn er selbst diesem Parlament damals noch nicht angehört hat, früherer Energiedebatten, vor allem Ende der 50er und in den 60er Jahren. Seitens der SPD-Fraktion waren es seinerzeit vor allem unsere Energie- und Wirtschaftsexperten Dr. Heinrich Deist und Walter Arendt, der heute als erfolgreicher Arbeits- und Sozialminister dieser Bundesregierung angehört, die immer und immer wieder auf die Bedeutung der Energie für unsere Volkswirtschaft und für den Lebensstandard aller Bürger hingewiesen und von den damaligen CDU/CSU-geführten Bundesregierungen und deren CDU/CSU-Wirtschaftsministern eine planmäßige Energiepolitik und vor allem ein Energiekonzept gefordert haben. Dr. Heinrich Deist, Walter Arendt und andere Sprecher unserer Fraktion haben immer wieder auf die Gefahren und Risiken einer zu großen und einseitigen Importabhängigkeit, insbesondere bei Mineralöl, und auf die Möglichkeit eines Machtmißbrauchs durch Rohölproduzenten und multinationale Mineralölkonzerne hingewiesen. Die damaligen CDU/CSU-geführten Bundesregierungen, insbesondere deren Wirtschaftsminister Erhard und Schmücker, hielten dem immer wieder die These von der billigen Energie und einen Katalog punktueller Maßnahmen — die der Regierung abgetrotzt werden mußten und in der Regel zu spät kamen — entgegen.
Nun, Herr Kollege Russe, zu Ihnen. Für wie vergeßlich halten Sie eigentlich die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes und vor allem die Bergleute an der Ruhr, an der Saar und in anderen Revieren, wenn Sie dieser Bundesregierung vorwerfen, sie habe nur Absichtserklärungen von sich gegeben und nichts weiter getan? Die Zechenstillegungen ha-
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ben sich doch in der Zeit abgespielt, als Sie regierten.
Sie stellen doch die Tatsachen völlig auf den Kopf!
— Da haben Sie recht: Das hatte nichts mit einem Energieprogramm zu tun.
Das hatte nichts mit einem Energieprogramm zu tun, weil Sie damals kein Energiekonzept hatten.
Weil Sie damals kein Energiekonzept hatten!
Sie haben die Verantwortung dafür, daß wir in dieser Situation sind.
Ich will Ihnen gern, wenn es der Herr Präsident gestattet, einen Katalog von dem vorhalten, was damals Energiekonzept war und darunter verstanden wurde.
Herr Schmücker hat in der Bundestagsdebatte am 16. März 1966 — ich bitte Sie, Herr Präsident, mir das Zitat zu gestatten — gesagt: „Das energiepolitische Programm der Bundesregierung fasse ich in Stichworten zusammen. Es handelt sich um folgende Punkte: Erstens die Verbesserung der Maßnahmen für die soziale Sicherung der Bergarbeiter, zweitens die Gewährung einer Stillegungsprämie zur geordneten Anpassung der Förderung an die Absatzverhältnisse, drittens in Verbindung damit die Gründung einer Aktionsgemeinschaft" usw. usf.
In einer späteren Debatte am 30. Juni 1966 hat der gleiche Wirtschaftsminister gesagt, „das energiepolitische Programm sei auf das zugeschnitten, was angesichts der Situation auf dem Energiemarkt und im Steinkohlenbergbau angezeigt sei, zugleich aber auch von dem bestimmt, was gesamtwirtschaftlich vertreten werden müsse". Er fuhr fort: „Natürlich müßte man manches hinzufügen, wenn man alle Wünsche befriedigen wollte. Man muß dann aber auch sehen, daß dies sehr viel Geld kostet, und zwar sehr viel mehr, als wir vorgesehen haben, und noch mehr, als wir zur Verfügung haben."
Ich könnte Ihnen diesen Zitaten-Katalog noch beliebig verlängern. Sie würden sehen, welch entscheidende Fehler seinerzeit auf dem Gebiet der Energiepolitik gemacht worden sind,
besser noch: welche Unterlassungen begangen worden sind. Lieber Herr Russe, Sie stellen die Tatsachen auf den Kopf.
Wenn Sie dieser Bundesregierung vorschlagen, sie hätte bereits Mitte dieses Jahres eine Kohlenreserve anlegen müssen, dann muß ich sagen: Gehen Sie erst einmal vor Ort und stellen Sie fest, daß die Bergleute noch und noch arbeiten, um die heute benötigte Förder- und Kohlenmenge herauszuschaffen. Im Moment gibt es doch überhaupt keine Möglichkeit, Halden und Reserven anzulegen. Die Bergleute wissen gar nicht, wann sie ihre angemessene Freizeit in Anspruch nehmen können.
— Sie sind also für Vertragsbruch, Sie sind dagegen,
daß wir unseren Verpflichtungen in der Europäischen Gemeinschaft nachkommen. Es ist doch ganz logisch, daß wir Kohleimporte haben und Kohle auch exportieren und daß wir diese Verträge auch erfüllen müssen. Ihr Vorschlag ist doch lächerlich.
Im übrigen ist es doch ein absoluter Widerspruch, wenn Sie sagen, diese Bundesregierung kalkuliere nicht ein, daß eines Tages Störungen auf dem Ölmarkt bis hin zu einer völligen Nichtbelieferung eintreten könnten. Dabei haben Sie noch vor wenigen Tagen verhindern wollen, daß wir ein unbefristetes Energiesicherungsgesetz verabschieden. Das sind doch alles Ungereimtheiten und Widersprüche.
Herr Abgeordneter Wolfram, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Burgbacher?
Herr Professor Burgbacher, im Gegensatz zu meinem Kollegen Russe gestatte ich Ihnen sehr gern eine Zwischenfrage.
Wollen Sie allen Ernstes den Versuch machen, die „Schuld", die Verantwortung für die nach meiner Ansicht miserable Kohlepolitik und für die Bauchlandung in der Ölpolitik einer Fraktion anzukreiden, während es in diesem Falle eigentlich die größte Fraktion des Hauses war, die das zu verantworten hat?
Herr Professor Burgbacher, Sie wissen, wie sehr ich Sie schätze und wieviel ich von Ihren energiepolitischen Fachkenntnissen — neben all den anderen Vorzügen, die Sie
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haben — halte. Ich kenne auch Ihre Position, die Sie schon zu Zeiten eingenommen haben, als Ihre Partei die Regierung gestellt hat. Ich weiß, Sie sind immer ein ernster Mahner gewesen, den heimischen Energien, dem heimischen Bergbau einen sichereren Platz einzuräumen, als das geschehen ist.
Aber Sie werden doch nicht bestreiten, daß damals, als die CDU/CSU regierte, entscheidende Weichen falsch gestellt worden sind. Das hat sich fortgesetzt. Spätere Regierungen mußten in vorgezogenen Gleisen weitermachen, bis zum erstenmal durch das Gesetz zur Gesundung des Steinkohlenbergbaus die Grundlage für eine planvolle Energiepolitik geschaffen wurde und bis eine Bundesregierung der sozialliberalen Koalition das verwirklicht hat, was man vor 20 Jahren hätte erwarten müssen, nämlich ein in sich geschlossenes Energiekonzept vorzulegen. Ich glaube, wir sind uns in der Beurteilung dieser Frage sehr einig.
Ich habe diesen Rückblick in die Vergangenheit gemacht, nicht um Vergangenheitsbewältigung zu treiben, nicht um das, was Herr Kollege Russe vergessen machen möchte, noch einmal aufzufrischen, sondern weil sich jeder draußen im Lande fragen muß, was geschehen oder, besser gesagt, was alles nicht passiert wäre, hätte man seinerzeit auf Dr. Deist, Walter Arendt und andere gehört, die immer wieder eine energiepolitische Gesamtkonzeption gefordert haben, die alle Energieträger, insbesondere auch unsere heimischen Energieträger, umfaßt.
Seit gut einem Jahr haben wir das erste energiepolitische Gesamtkonzept und seit wenigen Wochen die Fortschreibung und Aktualisierung. Ich verstehe Ihren Vorwurf, Herr Kollege Russe, die Bundesregierung sei mit dieser Fortschreibung zu spät gekommen, nicht. Soweit ich unsere Gespräche im Wirtschaftsausschuß in Erinnerung habe, waren wir übereinstimmend der Meinung, daß es sinnvoll und richtig sei, die Entwicklung lieber noch ein bißchen länger und exakter zu beobachten, um die Entwicklungstendenzen genauer beurteilen zu können und nicht voreilig Schlüsse zu ziehen, die möglicherweise falsch gewesen wären. Aber das ist doch gar nicht das Problem.
Tatsache ist, daß die Bundesregierung in dieser Zeit seit Vorlage des ersten Konzepts gehandelt hat. Tatsache ist, daß sie nichts hat liegenlassen, sondern daß im Sinne des Energiekonzepts — ich werde Ihnen den Katalog, Herr Kollege Russe, wenn Sie einmal ein bißchen mehr zuhören und nicht dauernd dazwischenreden würden,
der vielen energiepolitischen Entscheidungen und Maßnahmen in den letzten zwölf Monaten gleich vorhalten — die Bundesregierung vieles getan hat, um der Krise zu begegnen und Vorsorge zu treffen. Sie haben als CDU/CSU-Opposition keine Alternativen gehabt. Sie haben Ihre Vorstellungen doch aus dem Konzept der Bundesregierung abgeschrieben. So war es und nicht umgekehrt.
Sie können das, was Sie 1972 verkündet haben, doch nicht als der Weisheit letzten Schluß hinstellen und sagen, daß sich die Bundesregierung danach gerichtet hat. Genau umgekehrt wird ein Schuh daraus.
Meine Damen und Herren, mit Genugtuung stellen wir Sozialdemokraten fest, daß sich dieses erste Gesamtkonzept bewährt hat und in seinen wesentlichen Teilen nach wie vor richtig ist. Es geht aus von einer realistischen Einschätzung der Lage auf dem Weltenergiemarkt und vor allem von der permanenten Gefahr von Versorgungsrisiken bei Mineralöl und einer Energiepreisexplosion. Konzept und Fortschreibung definieren eine realistische Politik. Ziel dieser Energiepolitik ist es, langfristig die Voraussetzungen für eine sichere Energieversorgung zu schaffen und mittelfristig die Risiken, insbesondere die Importabhängigkeit bei Mineralöl, so klein wie möglich zu halten. Die Fortschreibung berücksichtigt die Erfahrungen des ersten Krisenjahres und setzt neue und zusätzliche Schwerpunkte.
Die SPD-Fraktion begrüßt die verstärkten Bemühungen um die Sicherung der Mineralölversorgung, die beschleunigte Entwicklung von Kernenergie, Erdgas, Braun- und Steinkohle, um die Abhängigkeit von Mineralöl zu vermindern. Wir begrüßen vor allem, daß die Bundesregierung fest entschlossen ist, die in unserem Lande vorhandenen Steinkohlen- und Braunkohlenreserven für die Versorgung der Bundesrepublik Deutschland optimal zu nutzen.
Ich hoffe sehr, daß die verehrten Kollegen Springorum oder Burgbacher nachher bestätigen werden, daß sich die Braunkohle gar nicht stiefmütterlich behandelt zu fühlen brauche, wie es Herr Russe behauptete. Es kommt nicht darauf an, wieviel Zeilen in einem Konzept über die Braunkohle stehen. Sicher ist, daß auch die heimische Braunkohle ihren optimalen Versorgungsbeitrag leisten wird. Es geht nicht darum, daß Sie einer Gesellschaft oder einem Wirtschaftszweig, der in den letzten Jahren relativ gute Ergebnisse zu verzeichnen hatte, mit steuerlichen Erleichterungen, die letztlich zu Lasten der Steuerzahler gehen, entgegenkommen, sondern hier geht es — wenn überhaupt — um die Frage: Wo müssen Investitionsprogramme und -konzepte in Zukunft Schwerpunkte setzen,
und wo muß die öffentliche Hand hier flankierende Hilfe leisten?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wissen, daß die Bundesregierung die heimische Kohle in diesem Energiekonzept angemessen berücksichtigt. Auch der letzte Bürger draußen im Lande — ob im Norden oder im Süden — hat den Wert und die Bedeutung heimischer Energien und heimischer Kohle in der Krise erkannt. Das aktualisierte Energiekonzept zieht daraus die praktischen Konsequenzen. Dabei ist für mich der Streit, welche Förderzahl die richtigere ist, von sekundärer Bedeutung. Welche Zahl im Jahre 1980 exakt stimmen
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wird, kann heute niemand mit letzter Bestimmtheit sagen. Sicher aber ist, daß ohne die heimische Kohle und eine Fördermenge in, wie ich meine, mindestens der heutigen Höhe eine Sicherung der zukünftigen Energieversorgung nicht denkbar und nicht möglich ist. Hinzu kommt, daß wir vorsorglich daran denken müssen, daß sich das erste Energieforschungsprogramm, das Minister Matthöfer dankenswerterweise vorgelegt hat, vorwiegend mit der Kohleforschung befaßt. Die Ergebnisse des Forschungsprogramms werden sicherlich zu einem verstärkten Einsatz der Kohle, zur Entlastung des Ölverbrauchs und damit zur Erhöhung der Versorgungssicherheit führen. Ich brauche nicht weiter darauf einzugehen. Dies wird mein Kollege Stahl in einem weiteren Diskussionsbeitrag für uns tun.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, der deutsche Bergbau ist in der Lage, seinen gegenwärtigen Versorgungsbeitrag zunächst zu stabilisieren und, wenn es notwendig ist, langfristig auch zu steigern. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß entscheidende Investitionen im Bergbau und in der Energiewirtschaft vorgenommen werden. Deshalb fordern wir Sozialdemokraten mit Nachdruck eine zukunftsorientierte Investitionspolitik durch die Energiewirtschaft, für die die öffentlichen Hände die notwendige und mögliche flankierende Hilfe leisten sollten.
Auf jeden Fall können die heimische Energiewirtschaft und vor allem der Bergbau und die in ihm beschäftigten Menschen wieder zuversichtlich in die Zukunft blicken. Die Zeit, in der wegen planloser Zechenstillegungen Existenzangst die Bergbaustädte und -gemeinden und ihre Bürger beschlichen hat, ist doch Gott sei Dank vorbei. Wir wissen auch, daß der Energieverbraucher erkannt hat, daß heimische Energie immer noch die sicherste Energie ist.
Mit einer Prognose zur Energieentwicklung und zum Energiebedarf will ich mich nicht lange aufhalten. Ich will nur klargestellt wissen, daß wir zukünftig nicht mehr mit einem wirtschaftlich und politisch ungestört funktionierenden Weltenergiemarkt und mit nur maßvollen Preissteigerungen bei den einzelnen Energieträgern rechnen können. Wir sollten deshalb sicherstellen, daß die einzelnen Verbrauchssektoren vor allem auch nach dem Grad ihrer Versorgungsnotwendigkeit bewertet werden, wobei wir wissen müssen: Es gibt Verbrauchsektoren, wo eine Versorgung unbedingt und in jedem Fall sichergestellt sein muß. Das heißt, anders ausgedrückt, daß wir z. B. den Bereich der Kraftwirtschaft als unbedingt notwendig ansehen müssen und ihm deshalb vollkommen sichere Energieträger zuordnen müssen.
Zur Sicherstellung der Versorgung mit elektrischer Energie — das wissen wir alle — brauchen wir bis zum Jahre 1985 den Bau einer großen Anzahl von Kraftwerken, insbesondere Kernkraftwerken. Dafür ist ein hoher Investitionsaufwand erforderlich. Unabhängig von der Frage der Finanzierung stellt sich das bekannte und bisher nicht befriedigend gelöste Problem der Standorte und der Genehmigungsverfahren. Hier, Herr Kollege Russe, wieder an Ihre
Adresse: Es genügt nicht, daß wir hier verbale und platonische Erklärungen abgeben „Wir brauchen Standortentscheidungen" und daß wir draußen im Lande, wenn konkrete Standortentscheidungen anstehen — Sie wissen, worauf ich hinziele und worauf ich hinweise —, dann einer klaren Stellungnahme als Abgeordnete im Wahlkreis ausweichen.
Dann muß man auch den Mut haben, sich Bürgerinitiativen entgegenzustellen, wenn man der Meinung ist: Der Kraftwerksbau darf nicht verzögert werden. Verzögerungen kommen nicht nur durch zu lange Genehmigungsverfahren, sie kommen auch, wenn Politiker in den Kommunen und in den Ländern nicht den Mut haben, vor die Bürger hinzutreten und sie vor die Alternative zu stellen: Wollt ihr eure zukünftige Energieversorgung gesichert wissen, wollt ihr neue Beschäftigung und neue Arbeitsplätze, oder wollt ihr andere Gesichtspunkte überbewerten?
Herr Abgeordneter Wolfram, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Russe?
Aber sicher, Herr Kollege Russe, im Gegensatz zu Ihnen, der Sie meinen Freunden keine Gelegenheit gegeben haben.
Vielen Dank, Herr Kollege Wolfram. Beim nächsten Mal kriegen Sie von mir auch wieder das Wort, wenn Sie fragen.
Darf ich die Frage stellen, ob Sie bereit wären, dem Hohen Hause auch davon Kenntnis zu geben, daß bei dem von Ihnen zitierten Podiumsgespräch für alle drei Abgeordneten, auch für Sie, der Informationsstatus nicht ausreichend war, um ein endgültiges Ja zu sprechen? Sie haben sich allerdings festgelegt — das muß ich anerkennen—, unter Ihrem Informationsstatus würden Sie ja sagen. Aber Herr Kollege Ollesch, der unter uns ist, und Sie und ich, haben wir nicht alle drei miteinander gesagt: Der Informationsstatus reicht nicht aus, um eine endgültige Erklärung in diesem Podiumsgespräch abzugeben? Würden Sie dies dem Hohen Hause bestätigen?
Herr Kollege Russe, mit einer Einschränkung gebe ich das zu: Sie und der verehrte Kollege Ollesch haben eine solche Stellungnahme abgegeben.
— Ich habe das nicht gesagt, denn sonst wäre ich nicht — und ich vermag logisch zu denken — am Schluß zu dem Ergebnis gekommen: Ich mische mich nicht in Waltroper und Dattelner Verhältnisse ein. Aber stünde die Entscheidung in meiner Heimatstadt Recklinghausen an, würde der Abgeordnete Erich Wolfram dem Rat der Stadt empfehlen, das Projekt zu genehmigen, und zwar sehr schnell.
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— Ich habe nur allgemein auf diese Problematik hingewiesen. Im übrigen mußte sich das nicht jeder gleich anziehen; das gilt für uns alle. Wenn eine Standortentscheidung mit Sicherheit im Genehmigungsverfahren so geprüft wird, daß allen Gesichtspunkten, vor allem denen des Umweltschutzes, Rechnung getragen wird, sollten wir den Mut haben, das draußen auch zu vertreten. Wenn wir dann nicht den Mut haben, vor die Bürger hinzutreten und für die Standortentscheidung zu plädieren, dann werden wir selbst unglaubwürdig; wir können nicht immer die Verantwortung auf die Bürokratie abschieben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind dem Bundeskanzler dankbar, daß er in Gesprächen mit den Ministerpräsidenten der Länder versucht, und wir sind Ihnen, Herr Wirtschaftsminister, dankbar, daß Sie im Kontakt mit Ihren Länderkollegen versuchen, die Genehmigungsverfahren für energiewirtschaftliche Vorhaben effektiver zu gestalten und ein zügigeres Verfahren zu ermöglichen, und daß Sie für eine das gesamte Bundesgebiet umfassende Standortvorsorge eintreten.
Den umweltbesorgten Bürgern im Lande können wir versichern, daß der unabdingbar erforderliche Bau und Betrieb von Kernkraftwerken mit dem vorrangig bestehenden Ziel des Schutzes der Bürger vor eventuellen Schäden durchaus zu vereinbaren ist. Darauf wird man selbstverständlich immer zu achten haben.
Die Bundesregierung, jederzeit unterstützt vom Deutschen Bundestag, hat seit Erstellung des Energieprogramms im Jahre 1973 alle in dieser Zeit erforderlichen und möglichen Maßnahmen getroffen. Die Bundesregierung hat sich aktiv und konstruktiv an der internationalen Zusammenarbeit der Hauptverbraucherländer beteiligt. Die Washingtoner Energiekonferenz im Februar 1974 war eine erste Antwort auf die Politik der Förderländer. Wichtige Aufgabe war und bleibt es, einen weltweiten Protektionismus als Folge der durch die Ölpreiserhöhungen bedingten Zahlungsbilanzdefizite zu verhindern. Das ist durch den Ministerratsbeschluß vom 30. Mai dieses Jahres über ein Stillhalteabkommen der OECD-Länder angestrebt worden.
Von großer Bedeutung ist sicherlich auch die Unterzeichnung eines Übereinkommens über ein internationales Energieprogramm am 18. November dieses Jahres. Es handelt sich dabei um die erste konkrete Form einer energiepolitischen Zusammenarbeit einer großen Zahl von Industrienationen. Es bleibt nur zu hoffen, daß möglichst bald ein Weg dafür gefunden wird, daß sich auch Frankreich an der Mitwirkung beteiligen kann. Unbegreiflich ist allerdings — ich nehme an, daß hier die Sprecher mit europäischer Erfahrung noch ein kritisches Wort sagen werden —, daß im Bereich der Europäischen Gemeinschaften solche und weitere Fortschritte einer konkreten Zusammenarbeit nicht zustande kommen.
Wir wissen, daß das Abkommen, das Internationale Energieprogramm IEP—, seit Unterzeichnung vorläufig anwendbar ist. Der Entwurf des Vertragsgesetzes liegt bereits seit Ende November dem Bundesrat vor. Wir werden heute im Zusammenhang mit der Beratung und Verabschiedung des Energiesicherungsgesetzes unsere grundsätzliche Bereitschaft bekunden, das internationale Energieprogramm so schnell wie möglich auch für die Bundesrepublik in Kraft zu setzen.
Wir haben also einen vorläufigen Krisenmechanismus, und wir begrüßen es, daß inzwischen auch die internationale Energieagentur bei der OECD errichtet worden ist.
Mit Interesse haben wir die Vorschläge des amerikanischen Außenministers Kissinger und des US-Finanzministers Simon zur Kenntnis genommen. Wir wissen, daß Bundeskanzler Schmidt in Washington den deutsch-amerikanischen und den europäischamerikanischen Dialog über eine koordinierte Energiepolitik fortsetzen wird. Sicher wird dabei eine entscheidende Rolle die Frage spielen, wie nicht nur die Zusammenarbeit der Ölverbraucherländer intensiviert, sondern wie vor allem die Kooperation mit den Rohölförderländern erreicht und ausgebaut und — was nach meinem Dafürhalten ebenso wichtig ist — wie vor allem den von der Ölpreisexplosion am härtesten betroffenen Entwicklungsländern wirkungsvoll geholfen werden kann.
Bei Anerkennung der Notwendigkeit einer multilateralen Zusammenarbeit ist es richtig, daß wir die Zusammenarbeit mit den Rohölförderländern, wie sie z. B. durch die Besuche des Herrn Bundesministers für Wirtschaft im Iran, in Saudi-Arabien oder in Ecuador zum Ausdruck kommt, intensiv fortsetzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Bereich der deutschen energiepolitischen Entscheidungen hat die Bundesregierung richtig gehandelt, indem sie ihren Beitrag zur beschleunigten Zusammenführung von VEBA und Gelsenberg geleistet hat. Wir erwarten allerdings, daß mit Nachdruck DEMINEX in die Lage versetzt wird, die übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Organisatorische Strukturverbesserungen und Konzentration in der DEMINEX sind erforderlich. Im Anschluß an das DEMINEX-
Starthilfeprogramm sind Haushaltsmittel in Höhe von 800 Millionen DM für die Jahre 1975 bis 1978 in der Finanzplanung und im Haushalt vorgesehen.
Die Novelle zum Mineralölbevorratungsgesetz mit der Erhöhung der Pflichtbevorratung und der Einbeziehung der unabhängigen Importeure muß von den gesetzgebenden Körperschaften beschleunigt beraten und verabschiedet werden. Die Fortschreibung des Energiekonzepts sieht die Anpassung der Novelle an die durch die Ölkrise veränderten Verhältnisse vor. Sicher kann man unsere derzeitige Bevorratungssituation als befriedigend bis gut bezeichnen, vor allem dann, wenn uns „General Winter" keinen Streich spielt und die Verbraucher mit Energie sparsam umgehen.
Ich habe Verständnis, daß vor dem Hintergrund der Nahost-Verhältnisse immer wieder die Frage gestellt wird, ob die Energieversorgung der Verbraucher im Winter gesichert ist. Wir begrüßen deshalb, daß die Bundesregierung die Versorgungslage sorgfältig beobachtet und im engen Kontakt mit den
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entsprechenden Wirtschaftszweigen die Voraussetzungen für eine gesicherte Versorgung schafft. Wir haben zwar die Kohlehalden fast weg, aber wir haben bei den Mineralölerzeugnissen erfreulicherweise höhere Bestände als vor Beginn der Krise.
Das entbindet uns aber nicht von der Pflicht, alles zu tun, um die Bevorratungsmengen noch stärker zu erhöhen. Das geschieht im Rahmen des Aufbaus der Bundesrohölreserve, wobei wir hoffen, daß die Ausspülungen der Kavernen planmäßig vorangehen und daß diese, was noch viel wichtiger ist, dann auch zügig gefüllt werden. Damit wir zwei uns nicht dauernd streiten, Herr Kollege Russe! Ich hätte es auch lieber gesehen, wenn wir schon vor zwei Jahren eine nennenswerte Bundesrohölreserve zu damals sicherlich wesentlich günstigeren Bedingungen hätten anlegen können, aber dafür gab es leider keine Voraussetzungen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung baut das in der Mineralölkrise aufgebaute Informationssystem aus. Es wird ausgedehnt auf die bilateralen Beziehungen zu einzelnen Verbraucherländern und auf die Erfordernisse des Internationalen Energieprogramms.
Mit Genugtuung haben wir zur Kenntnis genommen, daß mit der UdSSR im August 1974 der dritte Erdgas-Liefervertrag abgeschlossen werden konnte und daß der Staatsvertrag mit Norwegen vom 16. Januar 1974 über Erdgaslieferungen zur Ratifizierung ansteht. Wir hoffen zuversichtlich, daß die Erdgasverhandlungen mit Algerien und im Rahmen des geplanten Dreiecksgeschäftes Iran—UdSSR—Bundesrepublik erfolgreich abgeschlossen werden können.
Wir haben mit Genugtuung festgestellt, daß im deutschen Teil der Nordsee die Exploration wiederaufgenommen und das Inlandstiefbohrprogramm nach Erdgas angelaufen ist. Das alles trägt dazu bei, daß auch im Erdgasbereich alle Möglichkeiten des Ausbaus und der Diversifizierung ausgeschöpft werden. Auch dafür gebührt der Bundesregierung Dank.
Die von Parlament und Bundesregierung in dieser Zeit getroffenen Kohlemaßnahmen sind bekannt. Sie haben mit dazu beigetragen, zu unterstreichen, wie ernst die Bundesregierung ihre Aussage nimmt, die heimische Kohle optimal zu nutzen. Es ist gut, daß die Entscheidung im Braunkohlenbereich mit dem Aufschluß des Hambacher Forstes gefallen ist.
Ein besonderer Problembereich ist im Rahmen des Energieprogramms und dessen Fortschreibung die Kernenergie. Das haben auch die jüngsten Hearings gezeigt. Die im Energieprogramm gesetzten Ziele sind klar. Die Bundesregierung hat auch auf diesem Gebiet konsequent ihre Pflichten erfüllt. Die Industriegespräche über eine Standardisierung bei Kernkraftwerksanlagen und die Überlegungen zur Verkürzung des Genehmigungsverfahrens stehen, wie wir mit Freude erfahren haben, vor dem Abschluß. Wir hoffen sehr, daß im Vergleich zu den bisherigen Schwierigkeiten Genehmigung und Bau von Kernkraftwerksanlagen zukünftig planmäßiger erfolgen können.
Mit Genugtuung haben wir zur Kenntnis genommen, daß es den Energieversorgungsunternehmen
gelungen ist, weitere Verträge über den Bezug von angereichertem Uran abzuschließen und damit den Bedarf bis Anfang der achtziger Jahre vollständig zu decken. Das Ende 1973 von der Bundesregierung verabschiedete Vierte Atomprogramm mit Förderungsmitteln des Bundes von 6,1 Milliarden DM für die Jahre von 1973 bis 1976 wird planmäßig durchgeführt.
Meine Damen und Herren, zu den im Energiekonzept und dessen Fortschreibung enthaltenen wichtigen Kapiteln der Energieforschung, der rationelleren. Energieverwendung und des Problemkreises Energieversorgung einerseits und Umweltschutz andererseits brauche ich mich nicht näher zu äußern; das wird mein Kollege Stahl in einem besonderen Diskussionsbeitrag tun. Ich will hier nur darauf hinweisen, daß die Koalitionsfraktionen SPD und FDP gestern eine Große Anfrage zur rationelleren und sparsameren Energieverwendung eingebracht haben, die unterstreicht, wie wichtig im Sinne der Erzielung eines größeren Grades der Unabhängigkeit vor allem von Mineralölimporten der Bundesrepublik die Einsparung von Energie ist.
In diesem Zusammenhang bitte ich die Bundesregierung noch einmal, zu prüfen, wie alle Mittel und Möglichkeiten ausgeschöpft werden können, vorhandene Fernwärmenetze optimal auszunutzen. Ich kann am Beispiel unserer Stadt sagen, daß das dort bereits vorhandene Fernwärmenetz ausreichen würde, doppelt so viele Verbraucher anzuschließen und zu versorgen wie gegenwärtig, was sicherlich zu einer rationelleren Energieverwendung führen würde und auch für die Verbesserung der Umweltbedingungen von großer Bedeutung und Wichtigkeit ist.
Wir danken Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Sie alles tun, um die Information der Energieverbraucher zu verbessern, und daß Sie sich auch zusammen mit Ihrem Kollegen Matthöfer bemühen, in der Öffentlichkeit ein entsprechendes Problembewußtsein zu schaffen. Wir danken vor allem dem Forschungs- und Technologieminister dafür, daß er schwergewichtig Forschungsvorhaben zur rationelleren Energieverwendung fördert.
Zusammenfassend kann ich zu diesem Komplex für die SPD-Fraktion mit Genugtuung feststellen, daß die Bundesregierung seit der Vorlage des Ersten Energieprogramms alles in ihren Kräften Stehende getan hat, um die im Energieprogramm konzipierten Ziele zu erreichen. Diese Bundesregierung handelt planmäßig und konsequent. Sie überläßt nichts dem Zufall. Sie handelt auch nicht nur punktuell. Mit dem Energieprogramm und der Fortschreibung liegt ein Handlungsrahmen vor, der umfassend ist und die Voraussetzungen dafür bietet, daß wir im Lande und international alles tun, um die zukünftige Energieversorgung sicherzustellen und die Risiken so klein wie möglich zu halten.
Die Ölkrise hat nicht nur einen Schock ausgelöst. Sie hat unserer Volkswirtschaft und der Weltwirtschaft in allen Bereichen Probleme beschert, die tief in unser Leben, auch in das des einzelnen Bürgers, eingreifen. Viele unserer wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Probleme haben in der Ölkrise und
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Wolfram
in der Energie- und Rohstoffpreis-Explosion ihren Ursprung. Es wäre eine Illusion, zu glauben, daß wir das Rad der Entwicklung zurückdrehen können. Das heißt, daß wir auch in Zukunft mit einem völlig veränderten Weltenergiemarkt rechnen müssen. Wir müssen warnen vor einer Einstellung, daß es bis auf höhere Preise keine Energieprobleme mehr gebe. Energie wird knapp bleiben und teurer werden. Die Versorgungsrisiken bleiben bestehen. Es wird also entscheidend darauf ankommen, daß wir alle Anstrengungen machen, um ein Höchstmaß an Versorgungssicherheit zu erreichen.
Wir danken der Bundesregierung, dem Herrn Bundeswirtschaftsminister und vor allem auch Ihren an der Erarbeitung des Energiekonzepts beteiligten Damen und Herren für die ausgezeichnete Arbeit. Wir werden das Programm und seine Fortschreibung intensiv und zügig, Herr Kollege Russe, in den Ausschüssen beraten. Die Bundesregierung weiß, daß die SPD-Fraktion auf der Basis dieses ersten und umfassenden und aktualisierten Energiekonzepts eine gemeinsame und zukunftsorientierte Energiepolitik tragen und unterstützen wird.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir dürfen vielleicht sagen, daß meine Freunde und ich mit etwas Amüsement und etwas Distanz das Duell der Kollegen Russe und Wolfram hier verfolgt haben. Wir würden sagen: Nach unserem Eindruck Recklinghausen gegen Recklinghausen 3:1 für den Oberbürgermeister.
Herr Kollege Russe, Sie haben wirklich keine schöne Rede gehalten,
und zwar deswegen nicht das „schön" bezieht sich
ja nur auf die Form, nicht auf den Inhalt —, weil Sie Zwischenfragen einfach nicht zulassen. Das kann man natürlich so handhaben; es stört einen weniger im Fluß der Rede und im Manuskript. Auf Zurufe antworten Sie immer: Das glauben Sie selber nicht! Das ist eine sehr einfache Beantwortung, damit kommt man relativ schnell aus den Kalamitäten heraus.
Sie haben aber auch keine gute Rede gehalten. Sie haben zum Schluß zusammengefaßt, das Energieprogramm lasse die Verminderung des Abhängigkeitsgrades von Energieimporten und von der Energiesituation, in die wir weltweit eingebunden sind, vermissen. Nun, Herr Russe, dann allerdings möchte ich Sie fragen: Wie eigentlich soll das anders bewerkstelligt werden als mit den Wegen, die das Energieprogramm aufzeigt, mit den diversifizierenden
Methoden, deren wir uns bedienen müssen, sowohl geographisch wie politisch wie in der Art der Energie. Es kann doch gar nicht anders gehandelt werden als so, wie die Bundesregierung diesen Weg beschritten hat, und ich glaube, daß das, was die Bundesregierung versucht hoffentlich erfolgreich versucht , richtig ist. Aber sie hängt ja von Faktoren ab, die keineswegs ihrer eigenen Entscheidung unterworfen sind, Herr Russe. Wir können diese Entscheidungen nur marginal beeinflussen, jedenfalls in weiten Bereichen. Und wenn jemand kommt und uns neben einigen Einzelpunkten, wie die falsche Belüftung des Bundeskanzleramts ich komme noch darauf zurück —, dann zum Schluß sagt, die Verminderung der Abhängigkeit der Energiesituation sei hier in unzulänglichem Maße vorgesehen, dann müßte dies etwas substantiierter vorgetragen werden, als Sie es in 35 Minuten fertiggebracht haben.
Herr Kollege Russe, Sie haben sich z. B. zum Thema verbesserte nationale Krisenvorsorge zur Bundesrohölreserve geäußert und den Vorwurf erhoben, daß wir die 4 Millionen Tonnen nicht zu niedrigeren Preisen eingekauft haben.
— Ja, wenn Sie die bei sich zu Hause hätten unterbringen können, dann wäre es gut gewesen. Aber ich kann Ihnen aus meiner Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied der IVG sagen, daß die Kavernen noch nicht da waren. Wo wollten Sie das denn in dieser Zeit hinpacken? Sie hätten uns natürlich vorschlagen können, Herr Russe, das 01 seinerzeit per Termin zu kaufen. Aber ich habe den Eindruck, daß wir beide von Termingeschäften im Warenverkehr nicht allzuviel halten und daß Sie das wohl auch nicht der öffentlichen Hand empfehlen werden.
Die Bundesrohölreserve sähen wir lieber bei einer Größenordnung von 10 Millionen Tonnen, aber wir müssen in dem Bereich bleiben, der machbar und finanziell darstellbar ist. Natürlich ist das Anlegen einer Reserve im gleichen Umfang teurer geworden, wie die allgemeine Preisentwicklung nach oben gegangen ist.
Was die Novelle zum Mineralölbevorratungsgesetz betrifft, Herr Kollege Wolfram, so sind wir mit Ihnen der Meinung, daß dieses Problem bald in den gesetzgebenden Körperschaften behandelt werden sollte. Allerdings bleibt bei uns immer noch die Frage offen — und darüber muß Klarheit geschaffen werden —, in welchem Umfang die Belastungen so gestaltet werden können, daß sie nicht wettbewerbsverzerrend sind. Das ist das Grundproblem.
Ich will auf die Pflichtbevorratung, Ölkraftwerke und ähnliches in Einzelheiten nicht eingehen, um die, wie wir finden, ausgezeichnete Darstellung, die mein Vorredner geliefert hat, nicht zu wiederholen. Auch das nachfolgende Gesetz zur Energiesicherung werden wir ja heute noch beraten. Ich habe jetzt festgestellt, daß wir auf Veranlassung der Kollegen von der CDU/CSU unter deutlichem Hinweis auf den Bundesrat und die verfassungsmäßige Lage, nämlich die Zustimmungsbedürftigkeit dieses Gesetzes, einen interfraktionellen Antrag eingebracht haben, mit
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Dr. Graf Lambsdorff
dem wir dann gemeinsam beschließen, daß die Energiekrise in fünf Jahren beendet ist.
Das ist immerhin ein Fortschritt, meine Damen und Herren; denn im Herbst vorigen Jahres waren Sie ja noch bei sechs Monaten. Also wollen wir sehen, wie es weitergeht.
— Aber sie lernen immer etwas hinzu, Herr Kollege Wolfram. Heute morgen wollten Sie uns verbieten, etwas zu lernen und Konsequenzen zu ziehen. Sie haben es jetzt auch getan; wir sollten ganz zufrieden sein.
Die Sicherung einer ausreichenden und kontinuierlichen Mineralölversorgung, meine Damen und Herren, besteht natürlich auch in der Aufgabe, die Kooperation mit den Förderländern fortzusetzen. Hier hat die Bundesregierung, wie wir glauben, die Bemühungen der Mineralölgruppen um enge Zusammenarbeit ausreichend und erfolgreich unterstützt, und sie hat gerade auf dem Gebiet von Öl und Gas durch die Verhandlungen mit dem Iran, durch das Dreiecksgeschäft mit der UdSSR und auch mit der Türkei Maßstäbe gesetzt und erfolgreiche Arbeit geleistet.
Daß wir — was wir schon vor Monaten gesagt haben — den Zusammenschluß von VEBA und Gelsenberg begrüßen, brauche ich nicht zu wiederholen. Mir scheint, daß schon die jetzige Entwicklung den Nachweis dafür erbracht hat, daß diese Konzentration richtig und notwendig gewesen ist.
Herr Kollege Sprung, hier nur eine Anmerkung! Sie haben dieses Thema vorhin mit der Forderung erwähnt, in einem Nachtragshaushalt solche Mittel zu bewilligen. Nur über eines werden wir uns doch hoffentlich klar sein: daß solche Pläne nicht vor dem Umtauschangebot in die Öffentlichkeit und auch nicht ins Parlament gebracht werden können, weil wir uns sonst natürlich über Insiderprobleme nicht mehr ernsthaft zu unterhalten brauchten.
Ihrem Hinweis, Herr Wolfram, auf die Deminex stimmen wir zu.
Nun aber, meine Damen und Herren, kommt es ja im wesentlichen darauf an, daß der Mineralölanteil an der Energieversorgung von 55 % im Jahre 1973 auf etwa 44 % im Jahre 1985 verringert werden soll. Herr Kollege Russe, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, hat kein Wort der Kritik an diesem Ziel und an diesem Plan geäußert. Daran ist auch keine Kritik zu äußern. Aber hiermit zeigt sich, daß bei einem 44prozentigen Versorgungsanteil des Mineralöls auch nach allen Anstrengungen im Jahre 1985 von einer wie auch immer gearteten Unabhängigkeit oder gar Autarkie überhaupt nicht gesprochen werden kann. Dies wäre reine Theorie.
Die im Hambacher Forst vorhandenen Braunkohlevorkommen werden wir aufschließen, Herr Russe, und wir werden auch die Mittel dafür zur Verfügung stellen. Nur ist die Frage zu prüfen, inwieweit der Eigentümer zunächst einmal selbst
zur Kasse gebeten werden kann. Das kann doch nicht in erster Linie auf den Bund zukommen. Und wenn Sie hier einen feinen Unterschied zwischen der klassischen Subvention und der strategischen Subvention gemacht haben, muß ich aus unserer Sicht sagen, es ist ziemlich gleichgültig, ob klassisch oder strategisch in die Tasche des Steuerzahlers gefaßt wird; blechen muß er am Schluß immer. Auch hinsichtlich der Erdgasprobleme hat die Bundesregierung — neben dem Tiefbohrprogramm, das hier durchgeführt wird — die politische und finanzielle Flankierung für Auslandsgeschäfte geliefert.
Herr Kollege Russe, Sie haben die Erdgasimportabhängigkeit kritisiert und auf die politische Labilität der Lieferländer hingewiesen. Ich habe nicht so ganz recht verstanden, wen Sie eigentlich damit gemeint haben. Sollen wir das hier in der Tat vertiefen, wer langfristig abgeschlossene Lieferverträge für Erdgas heute nicht so erfüllt, wie sie eigentlich erfüllt werden müßten? Oder wo suchen Sie die Labilität der Lieferländer? Wir haben doch bisher die Feststellung zu treffen, daß es keineswegs so aussieht, daß etwa die viel gescholtenen sozialistischen Länder hinter dem Eisernen Vorhang ihre Verträge nicht erfüllen. Vielmehr haben andere Länder, deren Gesellschaftsform mit der unsrigen verwandt ist, in der Zeit der Not erkannt, daß ihnen das Hemd näher ist als der Rock.
— Dann ist es gut. Sie haben von politischer Labilität der Lieferländer gesprochen.
— Sehr gut, vielen Dank; dann sind wir einig.
Beim Punkt Kernenergie, Herr Kollege Russe, wird der Herr Bundeswirtschaftsminister, wie ich annehme, auf die Frage der Genehmigungsverfahren zurückkommen.
Lassen Sie mich einige Worte zur Situation der Steinkohle sagen. Herr Russe, zunächst einmal weisen wir die Formulierung „Politik des unsinnigen Gesundschrumpfens" zurück. Wir weisen die Formulierung nicht einfach mit dem Ausdruck der Empörung zurück — das macht sich zwar gut, ist aber wenig begründet —, sondern wir weisen darauf hin, daß wir 83 Millionen t genannt und 94 Millionen t gefördert haben, während Sie 130 Millionen t genannt und 95 Millionen t gefördert haben.
So sah ihre Politik nämlich aus.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Russe?
— Bitte sehr!
Graf Lambsdorff, würden Sie mit mir übereinstimmen, daß meine Feststellung
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Russe
durchaus gerechtfertigt war, wenn Sie bedenken, was der Wirtschaftsminister des Landes NordrheinWestfalen zu diesem Punkt gesagt hat, nämlich: zurück auf 63 Millionen t? Können Sie dann Ihre Zurückweisung noch aufrechterhalten?
Herr Kollege Russe, mit dem Wirtschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen, mit dem mich relativ enge Beziehungen verbinden, sind wir bezüglich dieses Kohleprogramms völlig einig. Wir sind mit ihm völlig einig hinsichtlich der Förderrichtzahlen, die wir vorgelegt haben. Wir hoffen nur — und dies habe ich hier schon einmal gesagt, Herr Wolfram, daß wir dies für ein politisch und wirtschaftlich ehrgeiziges Ziel halten, ein Ziel auf Dauer, nicht in diesem Jahr und nicht im nächsten Jahr. Wir werden die Bundesregierung unterstützen, alles dafür zu tun, daß dies ermöglicht wird. Aber wir müssen sehen, daß wir diese Kohleentwicklung auf der Basis eines ganz ungewöhnlichen Weltstahlbooms zu verzeichnen haben. Sie haben das ja vorhin selbst geschildert. Der Weltstahlboom ist jedoch bereits, wie ich Ihnen nicht zu sagen brauche, deutlich im Abklingen. Daraus werden sich auch Konsequenzen für die Kohle — weltweit, nicht nur für uns — ergeben.
Im übrigen, Herr Russe, brauche ich Ihnen eigentlich nicht zu erläutern — Sie hätten es ruhig selber dazusagen sollen —, daß die Frage des Aufkaufs von Kohlevorhaben durch amerikanische Gesellschaften und in den Vereinigten Staaten immer noch eine völlig andere Frage ist als die Erhöhung der Förderrichtzahlen hier, und zwar wegen der ganz unterschiedlichen Kostenlage. Das Problem besteht doch darin, daß man dort Steinkohle im Tagebau gewinnen kann, während wir hier unter Bedingungen fördern, die Sie besser kennen als ich.
Wir haben aber auch das Dritte Verstromungsgesetz geschaffen. Hier, Herr Russe, haben Sie ein praktisches Beispiel dafür erlebt, daß wir Umweltbedingungen, die der Errichtung von Kraftwerken auf Steinkohlebasis entgegenstanden, in gemeinsamer Arbeit in Ordnung gebracht haben, so daß die Genehmigung für diese Kraftwerke vorliegt und jetzt gebaut werden kann. Ich will die übrigen Maßnahmen, die Herr Wolfram genannt hat, nicht wiederholen. Ich darf allenfalls noch darauf hinweisen, daß wir großen Wert darauf legen, daß das Kohlezollkontingentgesetz bis zum Jahre 1981, wie es im Energieprogramm angekündigt ist, verlängert wird.
Zum Thema der Energieeinsparung, Herr Russe, wird Herr Professor Laermann nachher ein Wort sagen.
— Entschuldigen Sie, wenn ich noch einen Hinweis gebe. Herr Kollege Russe, ich habe nicht die Bauaufsicht im Bundeskanzleramt und weiß nicht, ob im Zusammenhang mit der Klimaanlage dort lüftbare Fenster eingebaut worden sind. Ich weiß nur,
daß im neuen VEBA-Verwaltungsgebäude in Düsseldorf dasselbe gemacht worden ist.
— Herr Russe, ich nehme Sie mit dorthin. Sie waren lange nicht da.
— Sie waren nicht oft genug da. Ich nehme Sie mit dorthin und zeige Ihnen, wo das der Fall ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Russe?
Graf Lambsdorff, ich sitze hier nicht in beruflicher Position, sondern als Abgeordneter meiner Fraktion. Aber Sie haben mich diesbezüglich angesprochen: Darf ich Sie einladen, dieses Haus zu besichtigen, um dann selbst festzustellen, ob Sie ein Fenster in diesem Haus finden, das zu öffnen ist?
Wir gehen zusammen hin, Herr Russe.
Meine Damen und Herren, ich will zum Ergebnis der Energieeinsparung, Herr Russe, hier noch einmal betonen: Bei Mineralölprodukten haben wir in der Bundesrepublik von Januar bis September 1974 gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum einen Minderverbrauch von 9,4 % zu verzeichnen. Herr Professor Laermann wird dazu nachher noch einiges sagen und vor allen Dingen Vorschläge und Anregungen machen, wie diese Entwicklung verstärkt werden kann. Aber eines sei festgehalten: im Vergleich zu allen anderen Nachbarländern ist dies bei uns die erfolgreichste Entwicklung. Dies liegt natürlich u. a. daran, daß wir die Energiepreisentwicklung in einem marktwirtschaftlichen System haben vor sich gehen lassen. Dies hat dazu geführt, daß über einen erhöhten Preis Knappheitserscheinungen so ausgeglichen worden sind, daß sich die Verbraucher zurückgehalten haben. Es hat im übrigen dazu geführt, daß in ganz Europa — die Steuern natürlich herausgerechnet — die Vergaserkraftstoffe in der Bundesrepublik Deutschland mit Abstand und deutlich am niedrigsten liegen, übrigens natürlich gar nicht immer zum ungeteilten Vergnügen der Produzenten.
Über die Frage der Prioritäten für Energieforschung will ich mich hier nicht verbreiten, da ich annehme, daß der dafür zuständige Bundesminister für Forschung und Technologie dazu noch einige Worte sagen wird.
So begrüßenswert und so notwendig das alles ist, was wir hier miteinander besprechen, ich glaube, es muß uns klar sein, daß wir jedenfalls mit diesen Maßnahmen und mit diesen Regelungen mittel- bis längerfristig Probleme lösen, daß aber die nächsten drei bis fünf Jahre die entscheidenden Probleme mit sich bringen, die wir überwinden müssen. Diese liegen nicht so sehr in den Energiearten als vielmehr in
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Dr. Graf Lambsdorff
den Folgen der Energiepreisentwicklung. Ich will hier nicht wörtlich zitieren, was das Gutachten des Sachverständigenrates des Jahres 1974 in seinem allerletzten Absatz auf Seite 345 sagt, daß wir nämlich, wenn wir dieser Probleme nicht Herr werden, ernste Gefahren nicht nur für die unmittelbar betroffenen Länder, sondern für die Gesamtheit der industrialisierten westlichen Länder zu gewärtigen haben. Dieses ist der Hintergrund des energiepolitischen Problems, der meinen Freunden und mir die größten Sorgen macht. Bei aller Bedeutung, die wir der Fortschreibung des Energieprogramms zumessen: hier gibt es Kooperationsverlangen und Kooperationsbedürfnisse, denen wir nachzukommen haben und über die wir vorhin im Zusammenhang mit der Refinanzierung der EG-Anleihe gesprochen haben.
Ich will hier nicht noch einmal ausbreiten, was sich alleine auf dem finanziellen Sektor auf den Weltfinanzmärkten getan hat. Wir haben darüber vorhin gesprochen. Es sind abenteuerliche Zahlen. Und seien Sie sich darüber im klaren — Herr Russe, Sie haben über den Kapital- und Finanzierungsbedarf bei der Entwicklung von Energiesubstitution gesprochen —, daß bei der Zerrüttung der internationalen Finanzmärkte, die jetzt durch ein System von Roll-over-Krediten gerade noch verdeckt wird, erhebliche Gefahren auf uns zukommen. Was sich an den Euromärkten alleine vom Volumen her tut, ist bei aller Respektierung der Leistung dieser Märkte, ohne die wir die Defizitfinanzierung der Zahlungsbilanzen überhaupt nicht zustande gebracht hätten, schon etwa das, was Herr Abs neulich ganz treffend die „Münemann-Illimited" genannt hat. Auch bei der Substitutionsentwicklung von Energie müssen wir uns darüber im klaren sein, daß wir uns in irgendeiner Form dagegen absichern müssen, daß diejenigen, die heute ein hartes Verkäuferkartell mit hohen Preisen exerzieren, uns eines Tages in einem Verkäuferkartell mit gezielten Dumpingpreisen gegen entwickelte Substitutionsenergie unterlaufen wollen. Und wir müssen uns zumindest den Kopf darüber zerbrechen, wie wir uns auf solche Ereignisse einrichten und vorbereiten wollen.
Im Grunde muß, um das westliche Wirtschaftssystem funktionsfähig zu halten, der Ölpreis mindestens für eine vorübergehende Zeit deutlich gesenkt werden. Ist das zu erreichen, oder ist das reines Wunschdenken, müssen wir uns mit der Tatsache abfinden, daß wir auf dieser Basis zu leben haben? Ich bin mir nicht völlig sicher. Ich glaube, daß es Möglichkeiten gibt, die aus dem politischen Bereich herrühren, aus dem heraus die erste Bildung dieses Kartells zustande gekommen ist. Ich kann mir aber auch vorstellen, daß die Lieferanten eines Tages zu dem Ergebnis kommen, daß sie Käufer brauchen, die nicht langsam, aber sicher bankrott gehen Die gleiche Überlegung, die wir mit der Finanzierungshilfe bei Zahlungsbilanzdefiziten unserer Kunden — darf ich sie einmal so nennen — anstellen, könnte natürlich eines Tages auch denen in der Sinn kommen, die langfristig Absatzmärkte für ihr Öl brauchen. Absatzmärkte reichen nicht, sie müssen auch Kunden haben, die zahlungsfähig bleiben.
Wenn das aber nicht der Fall ist, meine Damen und Herren, dann müssen wir uns, glaube ich, ernsthaft zwei Fragen stellen und zwei Gefahren sehen. Wenn ich mir die Vorgänge — ich will sie hier ohne ein kritisches Beiwort einfach Vorgänge nennen — in der Vollversammlung der Vereinten Nationen ansehe, dann frage ich mich jedenfalls, ob die Bemerkung der früheren israelischen Premierministerin, der Westen habe bei der Wahl zwischen Gerechtigkeit und Erdöl das Erdöl gewählt, ohne jeden Kern von Berechtigung ist.
Verfolgen Sie einmal die amerikanische Presse der letzten Zeit, verfolgen Sie amerikanische Wirtschaftsgutachten, und zwar von Gutachtern, die die amerikanische Regierung beraten, dann stellen Sie fest, daß dort ganz unverhohlen und ganz öffentlich — die Fundstelle kann ich Ihnen gern zeigen: Institutional Investor, Ausgabe November — mit der Wahrscheinlichkeit bzw. Möglichkeit gerechnet wird, daß man die internationale Wirtschaftslage nur unter der Annahme eines neuen bewaffneten Konflikts im Nahen Osten innerhalb der nächsten neun bis zwölf Monate beurteilen könne. Wenn dann der Ölhahn vollständig zugedreht werden sollte, stehen wir vor ganz einschneidenden und ganz entscheidenden Fragen, wie diese Lage zu behandeln wäre.
— Herr Schlesinger hat sich Gedanken gemacht; er hat Spengler als einen Optimisten bezeichnet.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Narjes?
Jawohl, bitte sehr!
Graf Lambsdorff, angesichts Ihrer Beurteilung der Ernsthaftigkeit der Lage in Nahost, die ich teile, möchte ich Sie fragen: Halten Sie es für eine angemessene Antwort, wenn die Bundesregierung in ihrem fortgeschriebenen Programm die Vorratspolitik so langfristig — wenn Sie mir erlauben, zu sagen: so kläglich — behandelt, wie das jetzt geschehen ist?
Herr Narjes, dies ist natürlich eine Frage, die man nur nach dem Grade und dem Rahmen seiner eigenen Möglichkeiten beantworten kann.
Auch hier braucht man ja Mittel, die wir, wie Sie wissen, in einem so großen Umfang nicht haben. Im übrigen möchte ich für mich sagen, daß alle Anstrengungen der Bevorratung, zu der wir verpflichtet sind — ich will das nicht bestreiten —, doch nur von einem sehr relativen Erfolg sein können. Bei der Abhängigkeit, in der wir uns befinden — nicht nur vom Öl, aber in erster Linie vom Öl —, können wir nach meiner Überzeugung nur mit relativen
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Dr. Graf Lambsdorff
Erfolgen rechnen. Die Beseitigung der Abhängigkeit ist nicht möglich.
Die zweite Frage, die sich stellt, und zwar über das Thema des eigentlichen heutigen Anlasses hinaus, ist die, ob denn die demokratischen Systeme in den westlichen, industrialisierten Ländern den Wohlstandsverlust, der mit diesen massiven Einkommensübertragungen verbunden ist, aushalten. Wenn nicht, beugt man sich dann einem Kartell, wie wir es schon einmal erlebt haben? Beugt man sich diesem Kartell in der Weise, daß man ein Gegenkartell bildet, oder beugt man sich dem Kartell in der Weise, daß man in bilateralen, in Einzelverhandlungen versucht, die Schwierigkeiten zu umgehen?
Deswegen, meine Damen und Herren, ist es so wichtig, daß die Bundesregierung heute und in dem Energieprogramm auf die Notwendigkeit der internationalen Zusammenarbeit hingewiesen hat. Deswegen ist es wichtig, daß die Bundesregierung positiv auf die Chikagoer Rede des amerikanischen Außenministers zur Bewältigung der Ölkrise reagiert hat, obwohl ich mit dem Bundesfinanzminister darin einig bin, daß es natürlich, bevor man 25 Milliarden DM im wesentlichen zu unseren Teillasten refinanziert, auch politischer Bedingungen bedarf, die erfüllt werden müssen. Denn wenn wir diese Mittel aufbringen, dann können wir sie zur Refinanzierung oder zur Finanzierung ölbedingter, ölpreisbedingter Defizite, nicht aber zur Finanzierung inflationsbedingter Defizite zur Verfügung stellen — eine schwierige, aber, wie mir scheint, eine wichtige Unterscheidung, die wir nach meiner Auffassung auch dem deutschen Steuerzahler schuldig sind.
Der nationale energiepolitische Handlungsrahmen ist doch nun einmal beschränkt, und die internationale energiepolitische Zusammenarbeit bei diesen weltweiten Problemen ist unerläßlich. Das gilt sowohl für die Verbraucherländer untereinander als auch für die Beziehung zwischen den Verbraucher- und den Förderländern. Deswegen begrüßen wir den Beschluß, der ja nachher mit dem Energiesicherungsgesetz verabschiedet wird, über das internationale Energieprogramm, an dem wir, zusammen mit unseren Partnern, aktiv partizipieren und das sich auf gemeinsamen Krisenmechanismus, Transparenz der Aktivitäten der internationalen Erdölgesellschaften, Zusammenarbeit bei rationeller Nutzung der Energie und was wichtig ist — auf die Vorbereitung des Dialogs mit den Erdölförderländern und mit den anderen Verbraucherländern bezieht. Dieses, so scheint uns, ist der richtige Angang, die Probleme über den Tag hinaus, über die Problematik des aktuellen Energieprogramms hinaus, das Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, auch im nächsten Jahr werden fortschreiben müssen, zu lösen. Dann wird vermutlich der Kollege Russe wieder kommen und sagen „Warum habt ihr das nicht schon 1974 gewußt?". — Das nehmen wir in Kauf, Herr Russe.
Wir werden jedes Jahr und jeden Monat darüber nachzudenken haben, wie dies weitergeht.
Meine Freunde und ich haben die feste Zuversicht und das Vertrauen, daß diese Bundesregierung, daß dieser Bundeskanzler und dieses Kabinett sich dieser Aufgaben gewachsen zeigen werden. Wir begrüßen die Vorlage des fortgeschriebenen Energieprogramms.
Das Wort hat Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hauff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige Erläuterungen zu dem Beitrag, den Forschung und Technologie nach Auffassung der Bundesregierung zur Sicherung der Energieversorgung unseres Landes leisten können und nötigenfalls mit Hilfe des Staates und mit seiner Unterstützung leisten müssen.
Das Energieprogramm betont die Bedeutung der Energieforschung nachhaltig. Die Energieversorgungskrise des letzten Jahres hat deutlich gemacht, daß unsere Möglichkeiten, Energieprobleme nur mit herkömmlichen Mitteln zu meistern, doch sehr begrenzt sind. So zeigt die Fortschreibung deutlich, daß wir die Abhängigkeit vom Erdöl nur mit Hilfe neuer Energiequellen wesentlich vermindern können, d. h. mit Hilfe der Kernenergie. Sie soll deshalb nach unserer Planung bis zum Jahre 1985 die Versorgung zumindest in den wichtigsten Bereichen der Elektrizitätserzeugung sicherstellen und insoweit die gleiche Bedeutung einnehmen wie die Kohle.
Wir gehören auf dem Gebiet der Kernenergie heute zu den technologisch führenden Ländern der Welt. Dies ist nicht selbstverständlich. Der große Rückstand, den wir noch vor 20 Jahren gegenüber anderen Ländern hatten, welche die Entwicklung der Kernenergie sehr viel früher vorantreiben konnten, wurde nur unter größten Anstrengungen aufgeholt. Bei aller ernst zu nehmenden Kritik und bei allen Sorgen vor Nachteilen der Kernenergieentwicklung in der Öffentlichkeit sollten wir hier einmal feststellen: Dies ist ein bemerkenswerter Erfolg, der unseren Kernforschungszentren und unserer Industrie mit ihren Mitarbeitern ein hervorragendes Zeugnis ausstellt, denen wir dafür Dank und Anerkennung schulden. Dank und Anerkennung gebühren vor allem auch den Forschern, die sich mit Zähigkeit und Durchhaltewillen über Jahre hinweg einer Arbeit widmen, die erst nach Jahrzehnten ihre Früchte tragen kann.
Die Bundesregierung wird ihr Kernenergieprogramm konsequent und mit langem Atem weiterentwickeln. Das Atomprogramm dient vor allem der Entwicklung von Technologien, die wir als Voraussetzung für den großtechnischen Einsatz der Kernenergie benötigen. Hier nenne ich besonders und mit Nachdruck die nukleare Entsorgung, der ich die oberste Priorität bei unseren Anstrengungen zumesse. Hier liegt einer der Schlüssel für den Fort-
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Parl. Staatssekretär Dr. Hauff
schritt der Kernenergie, weil ohne Zustimmung und das Verständnis der Öffentlichkeit auf die Dauer die notwendige Basis für die friedliche Nutzung der Kernenergie fehlte.
Unser Programm zielt ferner auf die Entwicklung derjenigen Technologien, die zur vollen Erschließung des Potentials der Kernenergie erforderlich sind. Das sind insbesondere die fortgeschrittenen Reaktorlinien.
Das Atomprogramm war bereits ein wichtiger Teil des Energieprogramms des Jahres 1973. Die Lehre, die wir aus der Energieversorgungs- bzw. Energiepreiskrise gezogen haben, lautet: Konzentration der Forschungsanstrengungen auf nur eine Energiequelle reicht angesichts der vielfältigen Probleme, die wir zu lösen haben, bei weitem nicht aus. Es genügt nicht, nur für die langfristige Zukunft neue Energiequellen bereitzustellen. Ebenso wichtig ist es, Forschung und Technologie gezielt zur Lösung akuter Probleme einzusetzen. Dies ist unter den in der Bundesrepublik gegebenen Bedingungen auf zweierlei Art möglich und erforderlich: 1. durch die Entwicklung energiesparender Technologien und 2. durch die Förderung des Einsatzes unseres heimischen Energieträgers, also der Kohle. Für beide Bereiche hat die Bundesregierung im Januar dieses Jahres das Rahmenprogramm Energieforschung verabschiedet, das nun in der Fortschreibung auch Bestandteil des Energieprogramms der Bundesregierung geworden ist. Es konzentriert sich in erster Linie auf die Kohle. Dieser wichtige Energieträger, dem wir zum großen Teil unseren Stand als hochentwickeltes Industrieland verdanken, ist in den letzten 20 Jahren in seiner relativen Bedeutung für die deutsche Energieversorgung stetig zurückgegangen. Diese Entwicklung wäre sicher noch weit schneller verlaufen, wenn man ihr nicht durch energiepolitische Maßnahmen entgegengetreten wäre.
Der entscheidende Fehler war jedoch, daß man versuchte, Hilfe für die Steinkohle nur mit dem Mittel der Subvention zu leisten und nicht durch die Förderung von Innovationen zur leichteren Gewinnung und besseren Verwertung der Kohle.
So kommt es, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß wir heute, wo wir wieder stärker auf unsere heimische Kohle angewiesen sind, noch immer mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben, die für den Rückgang des Kohleanteils an der Energieversorgung verantwortlich sind.
Unsere Kohleförderung ist im Vergleich zu anderen Fördergebieten und zu anderen Energieträgern teuer und außerordentlich lohnintensiv. Die Handhabung der Kohle im Kleinverbrauch ist unpraktisch und unbequem. Der Transport von Kohle ist aufwendig und teuer, und die Verbrennung von Kohle schafft erhebliche Umweltprobleme.
Deshalb, so meinen wir, müssen wir neben anderen wichtigen Maßnahmen wie dem Dritten Verstromungsgesetz beispielsweise, das den Absatz der Kohle sichern hilft, neue Technologien für die Kohleveredlung und neue Technologien in der Bergbautechnik entwickeln und einführen. Kohle sollte
uns zu schade sein für Technologien von gestern. Zwar zählt die Bundesrepublik Deutschland in der Kohletechnologie heute ganz sicher zu den führenden Ländern der Welt; ohne unser Forschungsprogramm müßte ich allerdings hinzufügen: noch. Denn weltweit wird an der Entwicklung von Verfahren zur Kohlevergasung und Kohleverflüssigung intensiv gearbeitet, vor allem in den USA und in Großbritannien. Diese Entwicklungen beruhen weitgehend auf dem, was vor und während des zweiten Weltkriegs in Deutschland an Erfahrungen gesammelt wurde. Sie wurden zwar in der Zwischenzeit in der Bergbauforschung und einigen weitblickenden Industrieunternehmen fortgeführt; aber wir verfügen heute nicht über Verfahren, die für den großtechnischen Einsatz geeignet sind.
Hier setzt das Rahmenprogramm Energieforschung an. Technologien zur Kohlevergasung stehen im Vordergrund der Entwicklungsmaßnahmen zur Kohleveredelung. Sie sind für unsere Stein- und Braunkohleförderung gleichermaßen von Bedeutung. Verschiedene Verfahren sollen zur Gewinnung von Synthesegas und Methan aus Kohle führen. Dadurch kann es gelingen, Erdölprodukte als Energieträger und als Rohstoff für die chemische Industrie zu ersetzen.
Langfristig gesehen, sind unsere fossilen Bodenschätze zu schade zum Verbrennen. Kohleveredelungsverfahren dienen dazu, dem Rohstoffcharakter der Kohle gerecht zu werden.
In diesem Sinne ist auch die spätere Anwendung von nuklearer Prozeßwärme interessant. Hierdurch kann rund ein Drittel der Kohle, die bei konventionellen Prozessen zur Heizung benötigt wird, eingespart werden. Die preisgünstige Kernenergiewärme wird die Wirtschaftlichkeit der Kohlevergasung verbessern und gleichzeitig erlauben, die Kohle weseitlich besser zu nutzen.
Neben der Kohlevergasung fördern wir, wenn auch in geringerem Umfang, Technologien zur Kohleverflüssigung, wobei wir uns auf die Gewinnung von synthetischem schweren Heizöl aus Kohle konzentrieren. Die Gewinnung von Benzin aus Kohle ist aus wirtschaftlichen Gründen weniger aussichtsreich. Es kommt nicht darauf an, alle Erdölprodukte aus Kohle substituieren zu können. Da Kohleprodukte quantitativ nur zu einem geringen Teil Erdölerzeugnisse ersetzen können, genügt es, wenn aussichtsreiche Verfahren zur Herstellung einiger synthetischer Ölprodukte verfolgt werden.
Bei fast allen Kohleveredelungsverfahren läßt sich verhältnismäßig leicht eine Entschwefelung und Entaschung durchführen, so daß die gewonnenen Produkte außerordentlich umweltfreundliche Energieträger darstellen. Über die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens läßt sich heute noch keine ganz zuverlässige Abschätzung oder Prognose abgeben. Der Preisunterschied der Veredelung zu Erdölprodukten ist seit der Ölkrise zwar erheblich verändert, aber noch nicht beseitigt.
Der Wert leistungsfähiger Kohletechnologien als Garant sicherer und umweltfreundlicher Energieversorgung wird — dies haben wir alle gelernt — gewiß nicht allein vom Preis bestimmt.
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Parl. Staatssekretär Dr. Hauff
Von mindestens gleicher Bedeutung wie Technologien zur Kohleveredelung erscheinen mir neue Technologien in der Bergbautechnik, die zum Ziel haben, die Wirtschaftlichkeit des Kohlebergbaus zu steigern und vor allem die Arbeitsbedingungen im Bergbau zu verbessern. Wenn wir zum Ziel setzen, die Kapazität der deutschen Kohleförderung zu erhalten, dann müssen wir etwas tun, um die Arbeitsbedingungen der Bergleute zu verbessern.
Man kann es nicht oft genug sagen: die Belastung und Gesundheitsgefährdung unserer Bergleute durch Kohlestaub und Luftverschmutzung, durch Lärm und physische Überlastung sind eine Herausforderung an unser Bekenntnis zu menschengerechten Arbeitsbedingungen. Insofern steht das Rahmenprogramm Energieforschung auch in enger Beziehung zu unserem Programm Humanisierung der Arbeit.
An den Beispielen Kohle und Kernenergie zeigt sich die Bedeutung technologischer Innovationen für die Zukunft eines hockentwickelten Industrielandes wie der Bundesrepublik Deutschland. Es muß unser Ziel sein, unsere begrenzten Vorräte an eigenen Rohstoffen, wie beispielsweise der Kohle, so gut wie möglich, d. h. in veredelter Form, zu nutzen.
In letzter Zeit ist freilich immer deutlicher geworden, daß eine bloße Vermehrung des Energieangebots durch bessere Nutzung konventioneller, ja, selbst durch Entwicklung neuer Energiequellen nicht ausreicht, um alle Probleme zu lösen. Kurzfristig werden wir die _noch dominierenden und ständig knapper werden fossilen Energiequellen nicht ablösen können. Langfristig werden die Umweltprobleme eine bedenkenlose Ausweitung unseres Energieverbrauchs kaum erlauben. Deshalb kommt es in Zukunft entscheidend auch darauf an, den Energieverbrauch durch vernünftige Maßnahmen in Grenzen zu halten. Dabei müssen wir uns immer der Tatsache bewußt bleiben, daß Energieverbrauch und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zumindest gegenwärtig noch, d. h. bei dem gegebenen Stand der Infrastruktur und bei dem gegebenen Stand der Technik, eng miteinander verbunden sind. Maßnahmen zur Einschränkung des Energieverbrauchs setzen deshalb gründliche Überlegungen und Vorsicht voraus. Man muß insbesondere versuchen, den Zusammenhang zwischen Energieverbrauch und Entwicklung des Bruttosozialprodukts zu lockern. Dies ist möglich durch neue Technologien, die die verfügbare Energie besser ausnutzen. Energieverluste, die insgesamt rund zwei Drittel unseres gesamten Energieverbrauchs verschlingen, sind in ihrem Ausmaß im Grunde nicht zu rechtfertigen.
Es gibt eine Reihe technischer Möglichkeiten, die hier schlummernden Reserven zu erschließen, Energie besser und rationeller zu nutzen und Energieverluste zu vermeiden, z. B. durch die technische Verbesserung der Raumheizungssysteme, die allein rund 40 % der gesamten Primärenergie in der Bundesrepublik benötigen. Wärmeverluste durch ungünstige Gebäudeform und -auslegung sowie schlechten Heizbetrieb können in diesem Bereich 30 bis 50 % an Einsparungen der eingesetzten Primärenergie bringen. Hier sind vielfältige Verbesserungen, insbesondere auch bei der Isolation von Wohnbauten, erforderlich.
Über die Vorteile von Fernwärmeverbundnetzen, die ganz erhebliche Einsparungen ermöglichen würden, vor allem wenn es gelänge, in diesem Versorgungssystem auch die jetzt ungenutzte und zum Schaden der Umwelt an Gewässer und Atmosphäre abgegebene Abwärme der Kraftwerke nutzbar zu machen, brauche ich nach dem vom Bundestag angenommenen gemeinsamen Antrag der Fraktionen nichts Näheres vorzutragen.
Lassen Sie mich abschließend noch eines sagen. Die Bundesregierung läßt zur Zeit die Entscheidungsunterlagen erstellen, die für eine gezielte Durchsetzung des Fernwärmekonzepts erforderlich sind. Ein sogenannter Wärmeatlas für die Bundesrepublik und Planungsunterlagen für vier exemplarische Siedlungsräume werden Entscheidungshilfen liefern. Die Einführung von Fernwärmesystemen erfordert freilich auch von seiten der Wirtschaft, insbesondere der Elektrizitätswirtschaft, und auch von seiten der Kommunen die Bereitschaft zum Umdenken und zu grundlegenden Strukturveränderungen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier wird sich zeigen, ob wir in der Lage sind, mit bewußten Strukturveränderungen und Innovationen auf Krisen wie die der Energieversorgung zu reagieren.
Das Wort hat der Abgeordnete Springorum.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich möchte vorab deutlich sagen, daß ich hier nicht im Namen der Fraktion, sondern in eigenem Namen spreche, obwohl ich weiß, daß meine Freunde mit mir einer Meinung sind. Ich möchte auch nicht als Vorsitzender des Ausschusses für Energie, Forschung und Technologie im Europäischen Parlament sprechen, obwohl ich weiß, daß auch die Mitglieder dieses Ausschusses — gleichgültig, aus welcher Fraktion und welcher Delegation — mit mir einer Meinung sind. Ich möchte als Bürger dieses Landes sprechen, der die energiepolitischen Zusammenhänge kennt und zu diesem Papier, das die Bundesregierung jetzt vorgelegt hat, mit einer gewissen Bitterkeit und einer gewissen Sorge Stellung nehmen möchte.
Ich möchte mit einem Kompliment an den Herrn Bundeswirtschaftsminister beginnen. Es ist ein Kompliment für eine Gabe, die er besitzt. Ein Staatssekretär aus den Reihen der Koalition hat einmal gesagt, auch ihm als Bundespressesprecher sei es nicht möglich, aus einer schlechten Politik etwas Gutes zu machen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat dies aber tatsächlich hervorragend fertiggebracht, und zwar mit folgendem Kunstgriff. Er belastet niemanden in diesem Papier. Er verlangt von keinem Bürger ein Opfer oder Belastungen. Auf der anderen Seite formuliert er so geschickt, bis hin zur verbalen Unredlichkeit, daß dem normalen Leser und selbst Fachleuten das, was in diesem Papier fehlt, gar nicht zum Bewußtsein kommt. Dafür mein Kompliment!
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Springorum
Wenn ich dieses Papier so hart kritisiere, so tue ich das nicht, weil ich alles schlecht fände. Unter den 84 Ziffern gibt es eine ganze Reihe von Ziffern, denen ich hundertprozentig zustimme. Nicht alles ist schlecht, aber das Ganze ist schlecht — und das ist ein wesentlicher Unterschied. Das Ganze ist schlecht, weil es unserer nationalen Problematik nicht gerecht wird und weil es jede klare Zielangabe vermissen läßt. Selten ist mir die Richtigkeit eines Wortes von Christian Morgenstern so klar geworden wie in der heutigen Debatte. Morgenstern läßt ein Gedicht mit folgenden Worten anfangen: „Wer das Ziel nicht hat, wird den Weg nicht haben, wird sein Leben lang nur im Kreise traben".
— Bitte hören Sie doch zu! Ich bin doch erst am Anfang.
Nennen Sie uns bitte das Ziel, das Sie mit dieser Energiepolitik verfolgen! Es wurde vorhin eine Zeitlang darüber gestritten, daß es 13 Monate bis zur Fortschreibung dieses Papiers gedauert habe. Es dreht sich gar nicht um dieses Papier, das heute vorgelegt worden ist. Es dreht sich vielmehr darum, daß die Energieinvestoren immer wieder vertröstet worden sind. Ihnen wurde gesagt: Wartet auf die Fortschreibung unseres Papiers; ihr werdet dann gewiß Orientierungsdaten daraus entnehmen können. — Dadurch sind viele Monate unnütz verlorengegangen.
Ich möchte auch zu dem Vorwurf der verbalen Unredlichkeit etwas sagen. Das Papier strotzt von Beispielen dafür. Ich möchte das, was ich mit diesem Vorwurf meine, nur an wenigen Beispielen klarmachen:
In Ziffer 18 heißt es: Der Mineralölanteil soll zurückgedrängt werden. Dieser schöne Satz bedeutet in Wahrheit nichts anderes als folgendes: Die Wachstumsrate, die in dem Papier von 1973 mit 4 % beziffert wurde, wird in der Fortschreibung auf 2 % heruntergesetzt. Das bedeutet, daß sich unsere Abhängigkeit nicht reduziert, sondern weiter steigt.
Ein anderes Beispiel. Es heißt so schön in diesem Papier, Ziffer 49: Die deutschen Steinkohlenreserven sollen optimal genutzt werden.
Denken Sie einmal darüber nach, was ein solcher schwammiger Satz bedeuten soll. Dahinter verbirgt sich im Grunde nichts anderes, als daß die deutsche Steinkohlenförderung von in diesem Jahr 97 Millionen Tonnen auf 94 Millionen Tonnen schrumpfen soll und daß der Kohleanteil von 22 % auf 14 % gesenkt werden soll, und das immerhin bei einem Vorrat von 84 Millionen Tonnen Steinkohle und 24 Milliarden aufgeschlossenen Tonnen in der Bundesrepublik. Das nennt man dann „optimale Nutzung". Das nenne ich verbale Unredlichkeit.
In dem Papier wird der Mineralölindustrie eine ganze Reihe neuer Subventionen versprochen, um sie anzureizen, größere Vorräte anzusammeln. Dann hätte auf der anderen Seite in der mehrjährigen Finanzplanung zumindest irgendeine Andeutung
darüber stehen müssen, woher ,das Geld kommen soll. Nichts davon; auch das nenne ich unredlich.
Nun komme ich zu dem Satz, der mich in dem ganzen Papier eigentlich am meisten bedrückt hat. Hier heißt es gleich in der Präambel wortwörtlich: Die Krise konnte überwunden werden. Meine Damen und Herren, die Krise ist doch nicht überwunden! Hören Sie denn nicht, daß die Zeitzünder der Ölpreisbombe und der Ölmengenbombe weiter ticken? Behaupten Sie nicht, daß das Panikmache wäre. Nein, wer Ohren hat zu hören, der hört das Ticken dieser Zeitzünder. Wir Energiepolitiker kommen uns häufig wie Kassandra vor: Wir sind verurteilt zu warnen, aber anscheinend will uns niemand glauben. Und seien Sie bitte überzeugt, Herr Bundeswirtschaftsminister, beide Bomben werden eines bisher noch nicht bestimmten Tages mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit explodieren. Und da sprechen Sie davon, die Krise sei überwunden! Nein, wir müssen endlich beginnen, uns aktiv vor der Gefahr dieser Explosion zu schützen.
Unsere Situation hat sich doch in diesem letzten Jahr nicht etwa verbessert. Sie haben neulich vorgetragen, daß die Mineralölvorräte von 63 oder 64 Tagen, die wir vor einem Jahr hatten, nun auf 67, 68 oder 69 Tage gestiegen seien. Was soll das? Wir hatten fast 20 Millionen Tonnen Steinkohle auf Halden liegen, die sind weg. Es war Ihr Vorvorgänger, der vor dieser Krise in erheblicher Weitsicht eine Bundesrohölreserve von 10 Millionen Tonnen vorgesehen hatte. Aber sein Nachfolger — zur Richtigstellung, Graf Lambsdorff —, der Vorgänger von Herrn Friderichs, hat die Mittel dafür im Haushalt wieder gestrichen. Wir stehen also vor keiner leichteren Situation.
Hier gestatten Sie mir eine weitere kritische Bemerkung. Sie schreiben fünf-, sechs-, sieben-, achtmal in Ihrem Papier, daß die Situation auf dem Energiemarkt unüberschaubar und unkalkulierbar sei. Hier unterscheiden wir uns grundsätzlich in unserer Aussage. Ich halte es für eine ganz klare Tatsache, daß jede Tonne Mineralöl aus dem Krisengebiet des Nahen Ostens, auf die wir angewiesen sind, unsere Erpreßbarkeit erhöht und daß jede Tonne, um die wir unsere Abhängigkeit mindern, auch unsere Erpreßbarkeit mindert. Diese Tatsache muß in unserer Energiepolitik die erste Priorität haben. Was ist da eigentlich noch zu kalkulieren, frage ich mich.
Dieses ganze Papier leidet ja darunter, daß Sie ununterbrochen versuchen, sich am Markt zu orientieren. Der Markt kann aber ordnungspolitisch einfach nicht funktionieren, wenn auf der einen Seite — Graf Lambsdorff hat darauf hingewiesen — ein Produzentenkartell steht, ein Monopol, das rücksichtslos, brutal, ja, bis zur Vernichtung eines Staates seine ganze Macht einzusetzen bereit ist. Dann bleibt eben auf der anderen Seite auch nichts anderes übrig, als sich nicht am Markt, sondern an der Krise zu orientieren.
Nehmen Sie sich bitte ein Beispiel an den fünf Sachverständigen, die jetzt in ihrem Gutachten auf diese Fragen, vor allem in der Ziffer 458, eingegan-
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gen sind. Diese fünf Weisen können doch bestimmt als Marktwirtschaftler gelten. Wenn Sie deren Vorschläge aus dem letzten Gutachten für eine Energiepolitik in Ihrem Papier befolgt hätten, sähe Ihr ganzes Papier anders aus, hätte ein anderes Gesicht und ein anderes Gewicht.
Ich darf noch einen weiteren Punkt der Kritik an diesem Papier anfügen. Sie haben zwar vorhin gesagt, daß noch eine ganze Reihe von Problemen offen wäre. Ich habe begrüßt, daß Sie das hier vorgetragen haben. Aber weshalb steht nicht in Ihrem Papier, welche Probleme offengeblieben sind?
In dem ersten Programm von 1973 gab es einen Abschnitt über finanzielle Konsequenzen, den Abschnitt F. Sucht man die Fortschreibung dieses Abschnittes in dem neuen Papier, dann sucht man vergebens nach dieser so außerordentlich wichtigen Aussage. Da steht drin, daß statt der 15 Milliarden DM je Jahr an Aufwendungen nun 21 Milliarden notwendig sind. Aber jede andere Aussage über die finanzielle Konsequenz mit all ihrer Bitterkeit, die heute durch die Hushaltslücken entstehen wird, ist einfach unter den Tisch gekehrt. Ich halte das nicht für korrekt.
Wie sieht man nun eigentlich die deutsche Energiepolitik von draußen an? Erstaunen erregt immer wieder, daß es eigentlich nichts gibt, dem die Bundesregierung nicht zustimmt und was sie nicht begrüßt. Ob es Vorschläge aus Washington sind, sie werden begrüßt, ob es Vorschläge aus Frankreich sind, sie werden begrüßt, ob es Vorschläge aus Brüssel sind, sie werden begrüßt. Alles wird eben begrüßt, gleichgültig ob es zueinander paßt oder nicht, Daß man draußen in der Welt darüber den Kopf etwas schüttelt, mögen Sie, meine Damen und Herren, verstehen.
Noch am 17. September hat im Ministerrat eine Debatte über die Vorlage der Kommission zur Energiestrategie der Gemeinschaft stattgefunden, und der Ministerrat hat diesem Papier seine Zustimmung gegeben. Ich hatte nun geglaubt, daß unsere neue Fortschreibung wenigstens in etwa mit dieser Energierstrategie, die die Kommission vorgelegt hat — der wir zugestimmt haben —, deckungsgleich wäre. Aber nichts davon! Beide Papiere — das Papier der Kommission, das Papier der Gemeinschaft, das Papier des Ministerrates und das jetzige Papier der Bundesregierung — unterscheiden sich in einem wesentlich, nämlich in der Grundsatzfrage der Einsparung des Mineralöls. Während die Kommission vorschlägt, daß bis zum Jahre 1985 20 Prozentpunkte Mineralöl eingespart werden sollen, d. h. daß die 500 Millionen Tonnen, die heute innerhalb der Gemeinschaft pro Jahr verbraucht werden, mengenmäßig in etwa eingefroren werden, bis im Jahre 1985 etwa die Hälfte dieser Menge aus der Nordsee bezogen werden kann und damit die Gemeinschaft weitgehend nicht mehr erpreßbar wäre, nimmt die Bundesregierung in diesem Papier für sich in Anspruch, ihren Mineralölanteil nur um 10 % zu senken. Dabei sind wir im Gegensatz zu den anderen Ländern der Gemeinschaft ein Land, das über erhebliche eigene Energieressourcen verfügt.
— Wir haben Ersatz- und Substitutionsenergien, die die Franzosen und Italiener nicht haben. Daher ist für sie die verlangte Einsparung von 20 Prozentpunkten wesentlich schwieriger als für uns.
Es wird immer wieder auch in diesem Papier von Solidarität und Lastenausgleich gesprochen. Daß muß dann aber auch in die Wirklichkeit umgesetzt werden. Europa darf nicht, wenn es einmal zu einer gewissen Opferbereitschaft aufgefordert ist, zu einer Leerformel werden.
- Ich komme zum Schluß noch darauf. Ich habe in meinem Konzept stehen, daß mich jemand nach der Alternative fragen wird. Wenn mich leider niemand danach fragt, dann muß ich von alleine darauf kommen.
Ich hatte nach der Lektüre des Papiers ein unangenehmes Gefühl. Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie sprechen so häufig davon, daß man in diesem Lande zur Energiepolitik eine ruhige Hand brauche. Ich habe das Gefühl, daß an dieser ruhigen Hand der Finger, der sich mit der Energiepolitik beschäftigt, eingeschlafen ist. Wecken Sie ihn auf, lieber heute als morgen! Wir müssen in diesem Falle wirklich handeln.
Nun darf ich Ihnen die Alternative nennen, für die leider 13 Monate verstrichen sind:
Erstens: Bau von Konversionsanlagen und Schutz vor mißbräuchlichem Wettbewerb von draußen; denn Sie können keinem Investor zumuten, vier bis fünf Milliarden DM einzusetzen, wenn es auf der anderen Seite den Scheichs gefallen könnte, die Erdölpreise auf die Hälfte zu senken. Dieser Schutz, den auch die Sachverständigen und Graf Lambsdorff forderten, fehlt in diesem Papier völlig.
Das zweite — nun schreien Sie nicht, Herr Wolfram — ist die Steigerung der Förderung des deutschen Steinkohlenbergbaus. Wir haben so häufig bereits erlebt — ich bin in dieser Beziehung Fachmann —, daß es möglich war, die Förderung zu steigern, wenn sich das als notwendig erwies. Voraussetzung ist nur, daß den Bergleuten die Schrumpfungsmentalität, in der sie 15 Jahre erzogen wurden, genommen wird und daß sie wieder Zutrauen zu einer sicheren Zukunft bekommen. Dazu fehlt ein klares Wort.
Drittens: Ich will jetzt nicht mehr über die Genehmigungsverfahren sprechen — —
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wolfram?
Selbstverständlich!
Vielen Dank! Herr Kollege Springorum, wollen Sie bitte bestätigen, daß ich mich in meinem Debattenbeitrag ganz klar für eine Erhaltung der derzeitigen Förderung ausgesprochen und auf die Möglichkeiten und die Notwendigkeiten von Fördersteigerungen hingewie-
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Wolfram
sen habe mit der Bemerkung vor allem: wenn das Energieprogramm greife und wenn wir es machen könnten. Würden Sie das bitte bestätigen, damit hier nicht der falsche Eindruck entsteht, als würde ich das Gegenteil sagen?
Um Gottes willen, Herr Wolfram! Wenn ich jetzt „Herr Wolfram" gesagt habe, wollte ich damit sagen: Wir beide sind einer Meinung, daß eine Steigerung der deutschen Steinkohlenförderung sogar in erheblichem Umfang möglich ist.
Es wurde genug — das möchte ich als Punkt 3 einer Alternative sagen — über die Genehmigungsverfahren für den Bau von Kernkraftwerken gesagt. Ich will das deshalb nicht wiederholen. Ich möchte nur eine niedliche Geschichte zum besten geben. Ein Kernkraftwerkserbauer erzählte mir neulich, daß es eines sechsmonatigen Schriftverkehrs — mit Verzögerungen für die Inbetriebnahme — wegen der Türzargen bedurft habe, die schon an drei anderen Kraftwerken genehmigt waren. Hier macht sich ein Bürokratismus breit, der einfach unerträglich wird und der allein das Genehmigungsverfahren auf etwa drei Jahre ausgedehnt hat. Hier soll die Bundesregierung nicht mit in der Verantwortung stehen?
Natürlich die Länder auch.
Viertens — Sie werden erstaunt sein, Herr Friderichs, daß ich das sage —: die Freigabe der Kohleimporte. Im gleichen Zuge, wie wir Hydro-Cracker einrichten und dadurch schweres Heizöl aus den Kraftwerken herausziehen, müssen wir Importkohle zur Verfügung haben. Selbst wenn Sie davon einmal einige Tonnen auf Halde nehmen müßten, wäre darin keine Problematik zu sehen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Bitte schön, Graf Lambsdorff!
Darf ich Sie zu Ihrer Bemerkung zur Erhöhung des Importkohlekontingents und zu der Verstärkung des Imports von Kohle in Anbetracht des Beifalls, den Ihnen Herr Köhler dazu gespendet hat, fragen, ob Sie mit uns der Meinung sind, daß dies auch Veränderungen beim Hüttenvertrag zur Folge haben müßte.
Teils, teils. Ich habe vorhin mit Herrn Köhler darüber gesprochen. Ich möchte hier jetzt nicht als Mann der Kohle etwas sagen. Ich würde das Ausscheiden aus dem Hüttenvertrag begrüßen, Herr Köhler sicher nicht. Das hat aber nichts mit dem zu tun, was wir hier zur Energiepolitik sagen.
Ich bin der Meinung, daß jedes Jahr einige Millionen Tonnen Importkohle sukzessive bis zur endgültigen Freigabe freigegeben werden sollten; die endgültige Freigabe könnte dann sicher in wenigen Jahren erreicht sein. Ich bin überzeugt, daß wir leider, leider nicht allzuviel Kohle bekommen
werden.
— Selbst wenn sie billiger sein sollte, sollten wir sie nehmen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?
Herr Kollege Springorum, ist Ihnen bewußt, daß Sie damit eine bislang gemeinsam vertretene Position aufgeben, und wissen Sie, daß wir alle erklärt haben, daß natürlich mittelfristig auf das Instrument der Kohleimporte nicht verzichtet werden soll, daß jetzt aber der Zeitpunkt noch nicht da ist?
Ich darf mit aller Offenheit sagen: Ich vertrete in der gegebenen energiepolitischen Situation keine speziellen Interessen von irgend jemandem und bin der Meinung, daß in der augenblicklichen Situation uns einfach nichts anderes übrig bleibt, als jeden Weg zu beschreiten, der uns vom Mineralöl des Krisengebietes etwas mehr unabhängig macht. Das allein muß das Leitmotiv unserer Energiepolitik sein.
Ich darf fortfahren: Die Einsparungsmöglichkeiten scheinen mir in diesem Papier mit lächerlichen 9 % außerordentlich gering bemessen zu sein. Ein Expertengremium hat vor einigen Wochen eine Expertise veröffentlicht. Danach wird festgestellt — und es wird minutiös aufgezählt —, daß 15 % ohne Belastung für den Bürger, ohne Belastung für die Wirtschaft möglich sind, wenn eine Regierung bereit ist zu handeln, und daß mit relativ geringen Belastungen auch 20 % möglich sind. Ich meine, daß wir diesen Weg vorbereiten sollten.
Und Punkt 6 meiner Alternative ist, daß die Bundesregierung endlich die Ärmel hochkrempelt, sich nicht in Verbalismen erschöpft, sondern anfängt, konkret etwas zu tun. Wenn Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, vielleicht nachher sagen werden, in den anderen Ländern passiere ja auch nicht mehr: Bitte, wir sind in einer anderen Situation, und ich möchte das mit großem Ernst sagen. Wir, das deutsche Volk, unterscheiden uns hier. Ich halte es für das deutsche Volk, für seine Geschichte und für seine Zukunft für unerträglich, daß dieses Volk einmal vor die Frage gestellt werden könnte, die dann vielleicht eine Lebensfrage wäre: Wie hältst du es mit Israel? Daß diese Frage uns gestellt werden kann, muß mit allen Mitteln vermieden werden. Deshalb brauchen wir den Mut zum konkreten Handeln. Verzichten Sie auf die bisherige Schönwetterpolitik! Sie kann zum Schaden für uns alle führen. Betreiben Sie eine gute Politik! Eine gute Politik
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Springorum
heißt, daß es eine Politik der Vorsorge ist. Hoffen wir aber gemeinsam, daß trotz der notwendigen Vorsorge der Ernstfall nie eintreten möge.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Laermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Springorum etwas sagen, der sich zu der Behauptung verstiegen hat, das Papier strotze von verbalen Unredlichkeiten, und der dann darauf abhebt, daß die Wachstumsrate nicht mehr 4 % betrage, wie im vergangenen Jahr, sondern nur noch mit 2 % angesetzt sei. Ich darf doch fragen, ob ihm nicht bekannt ist, daß bei hochentwickelten Gesellschaften auch die Kurve des Energiebedarfs — nachzulesen bei Meadows „Grenzen des Wachstums" — asymptotisch verläuft, d. h. mit abnehmenden Steigerungsraten.
Ich bin der Meinung, daß dieses Papier, das hier vorliegt, sehr wohl brauchbar ist, und wir sind der Meinung, daß wir manche Anregungen zwar noch ergänzen dürften, aber daß es als Grundkonzept durchaus seine Berechtigung hat. Es kann keinen Zweifel darüber geben, daß die Sicherung des Energiebedarfs heute und für die Zukunft die grundlegende Voraussetzung für die Sicherung und Weiterentwicklung der Lebensverhältnisse in unserem Lebensraum und damit die Voraussetzung für die volle Verwirklichung auch unserer gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen ist.
Für die Fraktion der FDP kann ich deshalb nochmals mit allem Nachdruck unterstreichen, daß wir die energiepolitischen Maßnahmen und insbesondere auch die erste Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung begrüßen und unterstützen. Ich möchte mich in meinen Ausführungen, wie vorhin schon angekündigt, besonders mit dem Aspekt der rationellen Energieverwendung und dem Einsatz der Kernenergie in diesem Zusammenhang näher befassen; denn ich bin der Meinung — und das klang bereits in verschiedenen Debattenbeiträgen an —, daß wir uns auch um sehr kurzfristige Lösungen des Energieproblems kümmern müssen und daß die Frage, die vorhin auftauchte, wie sie von Herrn Springorum angesprochen wurde: Wie halten Sie es mit Israel? selbstverständlich schon morgen auf dem Tisch liegen kann und wir dann morgen vor der Situation stehen und mit langfristigen Lösungen zu spät kommen, weil sie nicht rechtzeitig greifen können. Wir müssen uns also darüber im klaren sein, daß wir in Zukunft sehr kurzfristige Lösungen angehen müssen.
Es erscheint uns, der Fraktion der FDP, notwendig, — und hier wissen wir uns einig mit dem Koalitionspartner —, über den Rahmen dessen hinaus, was im Energieprogramm bereits ausgeführt ist, alle Anstrengungen zu unternehmen, die Anstiegsrate des Energiebedarfs zu reduzieren, ohne und dies sei hier ausdrücklich betont — daß damit ein Produktions-, Konsum- oder Komfortverzicht verbunden ist. Wir sind auch der Meinung — und hier stimmen wir
auch dem Wirtschaftsminister zu —, daß in das freie Spiel der Kräfte am Markt nicht eingegriffen werden darf und daß der bestehende begrenzte Wettbewerbsspielraum nicht eingeengt werden darf. Wir sind aber der Meinung, daß dies zu erreichen ist.
In diesem Zusammenhang darf ich erwähnen, daß die Koalitionsfraktionen gemeinsam eine Große Anfrage an die Bundesregierung zur rationellen und sparsamen Energieverwendung eingebracht haben. Es erscheint uns nämlich dringend geboten, die Frage der sparsamen und rationellen Energieverwendung nicht nur im Zusammenhang mit der Situation am Erdölmarkt zu sehen, sondern sie auch hinsichtlich der Begrenztheit der Weltvorräte an fossilen Energieträgern, der Begrenztheit der Vorräte an Rohstoffen überhaupt — dieses Thema steht hier allerdings nicht zur Debatte — im Zusammenhang zu betrachten. Wir müssen mit den Ressourcen dieser Erde haushalten; das ist unsere politische Verpflichtung, das ist unsere uns an die Zukunft bindende Verantwortung, meine Damen und Herren, unsere Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen. Wir müssen uns sehr wohl darüber im klaren sein, in welchem Zeitraum die auch im Energiebereich vorhandenen Ressourcen abgebaut sind und was danach passiert.
Es erscheint uns weiterhin auch notwendig, Energiepolitik nicht nur von der Erzeugerseite her zu betreiben, sondern ganz wesentlich und in verstärktem Maße von der Verbraucherseite her, und zwar in allen Verbraucherbereichen, das heißt im Bereich des privaten Verbrauchs, im Bereich der Industrie und auch im Bereich des Verkehrs. Wir müssen den Verbraucher problembewußter machen, wir müssen ihn informieren, wir müssen ihm Alternativen und Konsequenzen energiepolitischer Maßnahmen und Zusammenhänge, die ihn besonders betreffen, aufzeigen und ihn somit motivieren, sich der enormen volkswirtschaftlichen Bedeutung rationeller Energieverwendung entsprechend zu verhalten.
Dieser Programmpunkt ist erfreulicherweise in den Maßnahmenkatalog des Energieprogramms aufgenommen und hier mit einem besonderen Akzent versehen worden. Bedenkt man, daß die Hälfte der Endenergie ungenutzt bleibt — und dies bedeutet unter Berücksichtigung der Umwandlungsverluste, daß weniger als ein Drittel der Primärenergie überhaupt nur genutzt wird , so dürfte klar werden, welche Möglichkeiten zur Sicherung der Energieversorgung kurzfristig ohne Erhöhung des Primärenergiebedarfs gegeben sein dürften. Denn schon durch eine Einsparung von 25 % auf dem Energiesektor im Bereich Haushalt und Kleinverbrauch kann eine Einsparung von rund 17 % des Primärenergiebedarfs erzielt werden. Dies ist nicht utopisch, meine Damen und Herren, sondern dies ist durchaus schon heute technisch und finanziell realisierbar
lassen Sie mich hier nur einige Stichworte angeben —: erstens durch Herabsetzung der Energieintensität, d. h. in erster Linie durch eine bessere Wärmedämmung der Bauten, entsprechende Bauweisen und dergleichen hier ergeben sich für den Gesetzgeber einige Möglichkeiten, aber wir müssen auch sehen, daß dies in die Zuständigkeit der Län-
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Dr.-Ing. Laermann
derregierungen fällt, die hier durch entsprechende Novellierung der Bauordnungen einen erheblichen Beitrag leisten können —, zweitens durch Verwirklichung von Energiekreisläufen, den Einsatz von Wärmepumpen usw. in der Haustechnik in verstärktem Maße, stärker als es bisher geschehen ist, und drittens durch das Prinzip der Wärmekraftkoppelung, also stärkere Nutzung von Verlustenergie und eventuell sogar von Abfallenergie, wie von Müllverbrennungsanlagen oder Kläranlagen, zur Wärmeversorgung. Dies bedeutet verstärkten Ausbau eines Fernwärmenetzes.
Wir sind der Meinung, daß hier durchaus auch kurzfristig eine Energieeinsparung erzielbar ist. Was eine derartige Einsparung an Primärenergie bedeutet, das mögen Sie sich, meine Damen und Herren, an dem Beispiel klarmachen, daß diese Einsparung an Primärenergiebedarf in Höhe von 17 % dem Anteil der Steinkohle an der Energieversorgung entspricht, d. h. also einem Äquivalent von 80 Millionen t Steinkohleneinheiten. Das entspricht etwa einem Drittel der für das Jahr 1985 vorgesehenen Erdölimporte, und das entspricht etwa im vollen Umfange dem vorgesehenen Anteil der Kernenergie.
Zu diesen Einsparungsmöglichkeiten im Bereich des privaten Verbrauchs kommen nun noch die möglichen Minimierungen des Energiebedarfs im Bereich der industriellen Verbraucher. Wie der amerikanische Petrol Council in einer Untersuchung festgestellt hat, kann der Energiebedarf um durchschnittlich 10 bis 15 % durch andere Produktionsverfahren, durch andere Technologien usw. reduziert werden. Nutzt man zusätzlich noch, wie im Energieprogramm schon angedeutet, die Möglichkeit zur Rückgewinnung und Wiederverwendung energieintensiver Rohstoffe, so schlagen wir — wenn Sie mir den Ausdruck gestatten — gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: kostensenkende Produktionen, Energieeinsparung, Sicherung und Erhaltung auch anderer wertvoller und immer knapper werdender Rohstoffe.
Aus der Gesamtbetrachtung kann der Bereich Verkehr sicherlich nicht ausgeklammert werden. Auch wenn in diesem Bereich nur 10 bis 12 % des Energiebedarfs verbraucht werden, so kommen wir doch nicht um die Tatsache herum, daß von diesem Anteil lediglich 20 % genutzt werden. Technologische Weiterentwicklungen erfolgversprechende Ansätze sind vorhanden — sollten hier bis zum Beginn der achtziger Jahre zu einer weiteren Reduzierung des Bedarfs an Primärenergie führen. Durch langfristige Forschungsprojekte — dies deutete eben Staatssekretär Dr. Hauff an — in der Primärenergiesicherung, mit dem Ziel, diese Primärenergieträger effizienter auszunutzen, neue Technologien zu entwickeln, neue Energieträger zu erschließen, werden wir weiterhin eine Möglichkeit erkennen können, den Energiebedarf selbst zu reduzieren.
Wir sehen uns in unseren Ansätzen, in diesen Überlegungen bestätigt durch die EG-Kommission, die bei ihren Überlegungen zur Energiesicherung davon ausgeht, daß eine Reduzierung des Energiebedarfs im Jahre 1985 um wenigstens 10 % möglich ist, ohne daß dadurch die wirtschaftliche und soziale Entwicklung beeinträchtigt wird. Auf der gleichen Linie liegt wohl auch US-Außenminister Kissinger, der in seinem energiepolitischen Plan vor wenigen Tagen der Energieeinsparung ebenfalls eine hohe Priorität eingräumt hat. Meine Damen und Herren, die Senkung der Zuwachsrate des Energiebedarfs ist von außerordentlicher politischer Bedeutung. Die FDP wird daher diesen Aspekten ihre besondere und verstärkte Aufmerksamkeit zuwenden.
In diesem Zusammenhang möchte ich nunmehr kurz auf das Problem der Kernenergie zu sprechen kommen. Sicher können wir zukünftig nicht auf Kernenergie und den Ausbau der Kernkraftwerkskapazität verzichten. Hier stimmen wir von der Fraktion der FDP durchaus der diesbezüglichen Aussage im Energieprogramm zu, insbesondere dann aber lassen Sie mich das sehr deutlich sagen: aber auch nur dann —, wenn diese angestrebte expansive Nutzung unter voller Berücksichtigung aller Sicherheitsaspekte, unter gleichzeitiger Weiterentwicklung der Reaktorsicherheit, erfolgt. Die Fraktion der FDP begrüßt daher ausdrücklich die klare Aussage im Energieprogramm, daß der Schutz der Bevölkerung vor möglichen Schäden absolute Priorität bei der Nutzung der Kernenergie besitzt.
Aber wir müssen feststellen, daß es offensichlich noch viele ungeklärte Fragen in diesem Bereich gibt, sicherheitstechnischer wie wirtschaftlicher Art: biologische und ökologische Auswirkungen, technische Schwierigkeiten, die Brennstoffaufbereitung, die Behandlung und die Endlagerung hochtoxischen radioaktiven Mülls, die Standortprobleme der zahlreichen neu zu errichtenden Anlagen und einiges mehr.
Deshalb erscheint es mir verfrüht — ich darf hier ausdrücklich sagen, es handelt sich um meine persönliche Meinung —, sich schon jetzt bedingungslos dem Risiko Kernenergie zu unterwerfen. Es mehren sich die kritischen Stimmen in der Welt, gerade der Experten, gerade von früher starken Befürwortern der wirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie. Und wer von uns könnte schon den Mut aufbringen, diese Stimmen abzuwerten und sich den vorgebrachten Argumenten gegenüber zu verschließen? Wir werden als die politisch Verantwortlichen sorgfältig abzuwägen haben zwischen dem wirtschaftlichen und dem Sicherheitsinteresse. Wir werden daher die Ergebnisse der Anhörungen zur Reaktorsicherheit und zur Energieforschung sowie den Bericht des Innenministers sehr genau und sehr kritisch auszuwerten haben. Mit kurzfristig erzielbaren Energieeinsparungen ließe sich Zeit gewinnen, mit mehr Ruhe die Weiterentwicklung der friedlichen Nutzung der Kernenergie zu betreiben, eine Vielzahl noch ungeklärter Probleme einer Lösung näherzubringen und die Risiken zu vermindern.
Die Fraktion der FDP fordert in diesem Zusammenhang eine umfassende und objektive Information der Bürger über Erfordernis, Alternativen und
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Dr.-Ing. Laermann
Konsequenzen. Sie fordert die rechtzeitige Einbeziehung der Bürger in die Genehmigungsverfahren, um ihnen, Herr Minister Friderichs, die Angstkomplexe zu nehmen. Ich glaube, daß das eine unbedingte Notwendigkeit ist.
Wir lehnen auch Pauschalgenehmigungen ab, vor allem dann, wenn damit — ich darf hier einen Informationsdienst zur Energiewirtschaft zitieren — eine schnellere Abwehr hemmender Einsprüche erzielt werden soll.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in Anbetracht der fortgeschrittenen Stunde zum Ende kommen. Ich möchte enden mit einem Zitat von John Stuart Mill, einem englischen Philosophen und Volkswirtschaftler, der in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts fragte — ich darf zitieren —:
Zu welchem Endziel führt der technische Fortschritt? In welchem Zustand wird sich die Erde befinden, wenn der Prozeß zu Ende ist?
Diese Fragen, scheint mir, haben heute mehr denn damals ihre Gültigkeit. Meine Freunde von der FDP und ich werden sie bei allen relevanten politischen Entscheidungen deutlich vor Augen haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Lenzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst, bevor ich mich dem eigentlichen Thema zuwende, Herrn Kollegen Dr. Laermann zu seiner Rege hier in diesem Hause beglückwünschen. Es war die erste Rede, wie ich gerade erfahren habe.
Herr Staatssekretär Hauff und der Herr Bundeswirtschaftsminister haben auf die zentrale Bedeutung der Kernenergie verwiesen, die diesem Energieerzeugungszweig im Rahmen des Energieprogrammes zukommt. Ich möchte hier gleich einsteigen und Ihnen, Herr Kollege Dr. Laermann, etwas widersprechen, obwohl ich, was die Sicherheitsanforderungen anbetrifft, Ihre Skepsis voll teile. Ich möchte Ihnen dahin gehend widersprechen, daß ich mich zu dem Stichwort Kernenergie etwas optimistischer äußern möchte. Es klang bei Ihnen etwas an, als ob es eine Alternative gäbe, auf der einen Seite Einsatz von Kernenergie, auf der anderen Seite Rationalisierung, Energieersparnis. Diese Alternative besteht nicht. Wir müssen das eine tun, ohne das andere zu lassen.
Gestatten Sie mir noch eine weitere Vorbemerkung zu dem Stichwort, das der Herr Kollege Dr. Hauff gebracht hat, zu der Energieforschung. Es hat uns in letzter Zeit stärker beschäftigt. Wir haben uns in einem Hearing jetzt auch des Fachausschusses damit zu beschäftigen gehabt. Wir haben im Ausschuß erfahren, daß die Mittel für 1974 auf dem Gebiet gerade der nichtnuklearen Energieforschung sehr langsam abfließen, daß also eine gewisse Verlegenheit besteht, das Geld, das im Haushalt bereitgestellt ist, dort sinnvoll auszugeben. Insbesondere Vorhaben außerhalb des Bereichs Kohleforschung sind bisher nur in geringem Maße beurteilt und beschieden worden. Das hängt natürlich damit zusammen, daß erst eine solche Beratungskapazität in dem Projektträger, dort in der KFA Jülich aufgebaut werden mußte. Aber ich würde meinen, zahlreiche Forschungsvorhaben, die zur Zeit in anderen Referaten des Ministeriums zur Prüfung anstehen, haben als Nebeneffekt nicht unerhebliche direkte und indirekte Energieersparnis zur Folge. Deswegen wäre es vielleicht möglich, derartige Vorhaben wegen Knappheit der Mittel, die in anderen Referaten möglicherweise aus diesen Gründen abgelehnt werden, daraufhin zu überprüfen, ob sie nicht auf andere Weise aus dem nichtnuklearen Forschungsförderungstopf finanziert werden können.
Kernenergie, meine Damen und Herren, ist im Rahmen einer langfristigen Energiesicherung ohne Alternative. Etwa 60 % der in der Bundesrepublik benötigten Energierohstoffe stammen gegenwärtig aus ausländischen Quellen. Nur der verstärkte Einsatz der Kernenergie kann deshalb langfristig die Energieversorgung sichern und das Mineralöl für die Bereiche schonen — Treibstoff, Petrochemie —, in denen es kaum oder nur unter volkswirtschaftlich nicht vertretbaren Kosten substituiert werden kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Erstens. Störfälle in Kernkraftwerken sind im Vergleich zu konventionellen Industrieanlagen selten. Zweitens. Störungen traten an konventionellen Bauteilen auf und waren nie nuklearer Art. Das ist ein Eindruck, der von Kernenergiegegnern in der Öffentlichkeit immer wieder erweckt wird. Drittens. Durch die umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen wurden die Störfallfolgen ohne Schwierigkeiten auf das Innere der Reaktoranlage begrenzt. Viertens. In keinem Fall wurde unkontrollierbar oder in unzulässigen Mengen Radioaktivität an die Umgebung abgegeben. Fünftens. In keinem Fall — das ist für uns das Beruhigendste, was wir feststellen können
wurde irgend jemand aus der Bevölkerung geschädigt.
In der nun etwa 30jährigen Entwicklung von Kernkraftwerken ist nicht ein einziger Störfall aufgetreten, der zum grundsätzlichen Zweifel an der Sicherheit dieser Art der Energiegewinnung Anlaß gäbe. Viemehr wurden die Sicherheitsmaßnahmen laufend verbessert und in einem Maße vervollkommnet, wie es in kaum einem anderen Zweig der Technik der Fall ist.
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Lenzer
Ein weiteres Zeugnis ist der Rasmussen-Report der USAEC, der amerikanischen Atomenergiebehörde. Dort wird auf 3 000 Seiten in 14 Bänden ebenfalls der Sicherheitsaspekt untersucht, und dort heißt es:
Im Vergleich zu anderen Risiken des Lebens, die bewußt von allen in Kauf genommen werden, ist die Gefährdung durch einen nuklearen Unfall vernachlässigbar klein. Es besteht also beispielsweise ein etwa zweihundertmal größeres Risiko, vom Blitz erschlagen zu werden.
Eine weitere Quelle, die nicht zu einer Nachlässigkeit unsererseits in der Beurteilung dieser Dinge führen soll — ich bitte, mich da richtig zu verstehen , sondern eine weitere Argumentationshilfe gerade für diejenigen sein soll, die eingesehen haben, daß es im Rahmen der Erreichung der energiepolitischen Ziele unbedingt der Kernenergie bedarf, wäre auch der Bericht über die Umweltradioaktivität in der Drucksache 7/2510 vom 29. August 1974, der diesem Hause vorliegt. Auch dort heißt es:
Aufgrund einer von Anfang an restriktiven Auslegung der auf internationalen Empfehlungen beruhenden Strahlenschutzvorschriften und entsprechender technischer Maßnahmen ... sind in keinem Fall die zulässigen Grenzwerte erreicht oder überschritten worden.
Das gilt auch, wohlgemerkt, für die angesprochenen Störfälle.
Wegen der Ölkrise erhält die Kernenergie erhöhte Bedeutung. Sie bietet auf Grund des im Brennstoffkreislauf vorhandenen Energiepotentials und der problemlosen Lagerung großer Energiemengen im Kernbrennstoff eine hohe Versorgungssicherheit. Sie wird in absehbarer Zukunft durch die Erzeugung von nuklearer Prozeßwärme und ihren Einsatz bei der Fernwärmevesogung größerer Wohngebiete und Industrieanlagen neue Anwendungsmöglichkeiten finden. Nicht zuletzt wird sie die einheimische Kohle als Rohstoff erschließen.
Lassen Sie mich ein Wort zum atomrechtlichen Genehmigungsverfahren sagen. Während das atomrechtliche Genehmigungsverfahren bei den ersten kommerziellen Anlagen von Antragstellung bis Baubeginn etwa ein halbes Jahr benötigte, ist diese Zeit im Laufe des letzten Jahres zum Teil auf zweieinhalb Jahre angestiegen. Dadurch haben sich Planungs- und Bauzeiten für neue Kraftwerke auf etwa acht bis zehn Jahre verzögert. Die zügige Abwicklung des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens ist jedoch die wichtigste Grundbedingung zum Erreichen der energiewirtschaftlichen Ziele.
Am Ende der Entwicklung muß eine Straffung und schnellere Abwicklung des Verfahrens stehen, ohne daß dabei der Sicherheitsaspekt vernachlässigt wird. Dies ist durch Standardgutachten — hier sind wir anderer Meinung, Herr Kollege Laermann —, Konzeptgenehmigungen und die Entwicklung verbindlicher Richtlinien zum Zwecke der Rationalisierung zu erreichen.
Deshalb möchte ich die Bundesregierung fragen, wie sie die Vorschläge des Deutschen Atomforums
vom 11. April 1974 beurteilt und vor allem wann und gegebenenfalls welche Konsequenzen sie daraus zu ziehen gedenkt. Wie beurteilt sie die Errichtung von Standardkraftwerken, die zeichnungsgleich immer wieder gebaut werden können, ohne daß erneut der gesamte Prozeß Komponente für Komponente überprüft werden muß? Hält sie es für möglich, unverzüglich zur Erteilung von Genehmigungen für standardisierte Komponenten bei Kernkraftwerken zu kommen? Wann wird sie dem Hause Vorschläge für eine Schematisierung des Verfahrensablaufs des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens machen?
Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Standortvorsorge. Auch dieser Punkt ist von Herrn Bundesminister Friderichs und Herrn Staatssekretär Hauff angesprochen worden. Um die Planziele des Energieprogramms zu erreichen, müssen in absehbarer Zeit außer den in Betrieb und Bau befindlichen Anlagen Standorte für rund 30 weitere Kernkraftwerksblöcke gefunden werden. Es ist deshalb erforderlich, als Vorsorgemaßnahme projektfreie Standortgenehmigungen zu erteilen. Hier hat gerade die Bundesregierung die besondere Aufgabe, durch eine umfassende Unterrichtung und Aufklärung der Bevölkerung auf die Notwendigkeit dieser Maßnahme im Interesse einer langfristigen Sicherung der Energieversorgung hinzuweisen und Vorurteile auszuräumen.
Was das Ausräumen von Vorurteilen betrifft: Ich glaube, wir werden alle — Bundesregierung, Koalition und Opposition — unsere liebe Not haben, in der Öffentlichkeit die Vorurteile auf diesem Gebiet abzubauen, wenn wir auf der anderen Seite Erfolg mit unseren angestrebten Zielen haben wollen.
Im übrigen werden auch noch weitere Standorte — das wird oft vergessen — zur Wiederaufarbeitung der Brennelemente und der Verarbeitung der Kernbrennstoffe benötigt.
Drittens. Wir müssen den Brennstoffkreislauf beherrschen lernen. Ebenso wichtig wie die Errichtung neuer Kraftwerke ist dieses Thema, das uns vor große technische, aber auch wirtschaftliche Probleme stellt. 1985 — ich sage dies nur, um einmal die Dimensionen klarzumachen — wird der voraussichtliche Jahresbedarf etwa 10 000 t Natururan und etwa 6 500 t Brennarbeitseinheiten bei der Urananreicherung betragen. Man stelle sich diese Dimension einmal vor, um einen Begriff auch von der wirtschaftlichen Seite dieses Bereiches zu bekommen.
Diese Zahlen lassen uns in etwa die Größenordnung erkennen. Die benötigte Trennarbeit sollte dabei aus Gründen der Versorgungssicherheit mindestens zur Hälfte in Anlagen mit deutscher Beteiligung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft erbracht werden. Der Rest muß durch langfristige Verträge mit anderen Anreicherungsfirmen gedeckt werden. Für die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente soll nach derzeitigen Planungen 1983 eine Anlage mit einem Durchsatz von 1 500 Jahrestonnen in der Bundesrepublik Deutschland verfügbar sein. Dies entspräche der Kapazität des Jahres 1985 bei den Kernkraftwerken.
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Lenzer
Es ist uns allen klar, daß diese Maßnahmen erhebliche wirtschaftliche Risiken in sich bergen, so daß die Frage erlaubt ist, auf welche Weise der Bund zu deren Abdeckung mit beitragen kann.
Einige weitere Fragen. Wie sieht es mit der internationalen Kooperation auf dem Gebiet des Brennstoffzyklus aus? Befindet sich der Bau der Anreicherungsanlagen im Plan, und werden die notwendigen Kapazitäten überhaupt erreicht? Wann ist angesichts der in immer größeren Mengen anfallenden Brennelemente mit der Entscheidung über den Bau der großen Wiederaufarbeitungsanlage zu rechnen? Was geschieht mit dem in immer größeren Mengen anfallenden Plutonium? Auch hier eine Zahl: Ein Kraftwerk der 1200-Megawatt-Klasse erzeugt in einem Jahr etwa 250 Kilogramm Plutonium mit allen Problemen, die das aufwirft. Wie will man das Problem der Endlagerung hochaktiver Rückstände lösen mit den dazugehörigen Teilproblemen wie der Transportsicherung und ähnlichen Fragen?
Dies alles sind konkrete Fragen, die unverzüglich beantwortet werden müssen, um die gesteckten Ziele zu erreichen.
Meine Damen und Herren, ich will jetzt der Versuchung widerstehen — auch angesichts der fortgeschrittenen Zeit —, auch zu den anderen Punkten der Weiterentwicklung der Reaktortechnik etwas zu sagen. Bei der Leichtwasserreaktortechnik sind wir noch längst nicht am Ende. Hier können noch Forschungen angestellt werden über eine höhere Verfügbarkeit und über eine Erhöhung des Abbrandes, über eine Erhöhung des Nutzungsgrades. Auch dies ist ein Beitrag zur rationelleren Einsetzung der Energie, insbesondere der kostbaren und teuren Brennstoffe. Zum Thema Hochtemperaturreaktor hat die CDU/CSU-Fraktion bereits sehr frühzeitig entsprechende Initiativen in diesem Hause ergriffen. Ich weise auf die Drucksache VI/3394 zum Thema nukleare Prozeßwärme hin.
Nur noch ein Wort zum Problem des schnellen Brüters. Hier sind in der letzten Zeit einige Diskussionen, einige Rangeleien hochgekommen. Die Auffassung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist hier völlig klar. Der SNR 300 in Kalkar — das habe ich bereits einmal in einer Debatte hier betont, als es um eine Große Anfrage zur Forschungspolitik ging — muß zunächst einmal gebaut werden, da nur auf dieser Basis die Bundesrepublik Deutschland überhaupt ein attraktiver Partner für eine später mögliche internationale Zusammenarbeit werden kann.
Dazu gehören selbstverständlich auch die Planungsarbeiten für den SNR 2; denn erst auf der Grundlage von Planungsarbeiten wird eine Entscheidung darüber möglich sein, ob die Bundesregierung und gegebenenfalls, wenn sie die Frage positiv beantwortet, wie sie sich zu einer Beteiligung entschließen kann.
Zum Abschluß möchte ich auch noch kurz das Finanzierungsproblem ansprechen. Uns kann bei aller technischen Betrachtungsweise nicht der ungeheure finanzielle Aufwand uninteressiert lassen, den die Sicherstellung unserer Energieversorgung gerade im Kernkraftwerksbereich erfordert. Dies würde uns vor völlig neue Probleme der Finanzierung stellen. Daß hier bereits ein gewisser Denkprozeß in Gang gekommen ist, beweist zum Beispiel eine Studie der Dresdner Bank, die unter Einrechnung eines Inflationszuschlags zu einer Zahl von 310 bis 320 Milliarden DM bis zum Jahre 1985 kommt — ein Kapitalbedarf, der eine astronomische Summe ausweist. Ob es zur Realisierung dieses Vorschlags der Gründung einer besonderen Bank für Energieinvestitionen, also einer Spezialbank, bedarf, ist ein interessanter Diskussionsbeitrag, den man zumindest einmal in Erwägung ziehen und mit berücksichtigen sollte.
Meine Damen und Herren, in der Debatte am 8. November 1974, in der 127. Sitzung, hat der Bundesminister für Forschung und Technologie anläßlich der Verabschiedung des Verstromungsgesetzes gesagt, daß man sich darum kümmern müsse, wie auf der Basis des Vorhandenen, des kurzfristig Machbaren für die unmittelbar vor uns liegende Zukunft bessere Lösungen angeboten werden können. Dem stimme ich zu. Ich habe mir erlaubt, im Laufe meiner Ausführungen einige Probleme aufzuzeigen und entsprechende Fragen zu formulieren. Diese Fragen bedürfen — auch nach Meinung meiner Fraktion —einer Antwort und bewegen sich im Rahmen des Machbaren, zum Teil sogar des kurzfristig Anzupackenden.
Alles dies ist selbstverständlich auch der Bundesregierung bekannt; es ist nicht besonders originell. Aber der Bundesregierung obliegt es nun, möglichst umgehend die entsprechenden Schlußfolgerungen daraus zu ziehen und diese in konkrete Maßnahmen umzusetzen. Sie ist wieder am Zuge.
Das Wort hat der Abgeordnete Stahl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich jetzt in die Debatte einsteige, gestatten Sie mir vielleicht zwei Sätze zu den Ausführungen des Kollegen Springorum. Herr Kollege Springorum, Sie haben all das, was in diesem Energieprogramm dargestellt ist, als besonders negativ und schlecht bezeichnet. In der Rede Ihres Fraktionskollegen, Herrn Russe, die wir eben gehört haben und sehr aggressiv war, die wir aber doch in einigen Punkten zustimmend zur Kenntnis nehmen können, ist zumindest hervorzuheben, daß der Bundesregierung für den Bereich des Nuklearprogramms in etwa die Note „gut" erteilt wird, während Sie, Herr Springorum, dazu genau im Widerspruch stehen. Ich meine, das sollte vorab einmal hierzu gesagt werden.
Aber, meine Damen und Herren, die heutige Debatte und das jetzt im Anschluß zu verabschiedende Energiesicherungsgesetz zeigen uns wohl deutlich, daß das Energieproblem und das von der Bundesregierung fortgeschriebene und nun dem Hohen Hause vorliegende Energieprogramm aktuell sind und demnächst einen wesentlich höheren Stellenwert auch im Bereich der Öffentlichkeit einnehmen werden, als viele, auch vielleicht in diesem Hause
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974 9147
Stahl
nach den heutigen Reden, es eigentlich glauben möchten. Wir von der SPD-Fraktion begrüßen dieses Programm, und wir begrüßen es besonders, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister und der Herr Bundesforschungsminister aus der Krisenversorgung des letzten Winters unverzüglich Schlüsse gezogen haben, die im Energieprogramm festgeschrieben sind.
Mein Kollege Wolfram hat zum Problem der Energieversorgung allgemein gesprochen und notwendige Schwerpunkte aufgezeigt. Der Herr Staatssekretär Hauff hat von seiten der Regierung den Part der Forschung dargestellt. Lassen Sie mich noch einiges hinzufügen, indem ich besondere Einzelheiten aus dem Bereich der Forschung herausstelle.
Im Vergleich zu den USA und anderen Industrieländern, insbesondere aber den USA, sind wir natürlich im Bereich der Energieversorgung schlecht dran; denn unser Importanteil liegt bei 55 %. Deshalb ist es einfach unerläßlich, daß künftig eigene vorhandene Energiequellen, wie Stein- und Braunkohle sowie Erdgas, durch Forschungsvorhaben stärker genutzt und ausgebaut werden. Ich darf nur am Rande schon jetzt darauf hinweisen, daß es dabei in Zukunft in erster Linie auf die beiden großen „K", und zwar Kohle und Kernenergie, ankommen wird. Sie werden die künftigen Säulen eines größeren Eigenanteils an der Energieversorgung darstellen, wobei uns vielleicht schon in einigen Jahren bei der Uranversorgung ein ähnliches Desaster drohen kann wie jetzt bei der Ölversorgung. Hier gilt es, rechtzeitig Vorsorge zu treffen. Dies ist aber — und das sage ich anerkennend an die Adresse der Bundesregierung —, soweit es eben ging, schon geschehen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, es ist interessant, wie einige Kollegen aus Ihrer Fraktion zu diesem Punkt in der Öffentlichkeit Stellung nehmen, obwohl sie in den zuständigen Ausschüssen von ihrem in der Öffentlichkeit dargelegten Kenntnisreichtum wenig oder fast gar keinen Gebrauch machen. So schreibt z. B. mein verehrter Kollege Herr Lenzer in der „Bonner Rundschau" unter der Überschrift „Energiefach braucht eine strenge Hand" — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich wenigstens den ersten Absatz seines Artikels einmal zitieren —:
Die Bundesregierung hat eine Neuformulierung ihres Energieprogramms der Öffentlichkeit vorgelegt. Diese Neuorientierung begrüßen wir, weil wir uns hierfür seit Jahren
— und das betone ich besonders: seit Jahren —
stark eingesetzt haben. Bei der gerechten Beurteilung der Anstrengung der Bundesregierung im Bereich der Energieforschung muß man auch fragen, was eigentlich in diesem Jahr an wirklich neuen Erkenntnissen im Vergleich zu vorhergehenden Jahren vorliegt.
Aus diesem Zitat und seiner weiteren Aussage ist
klar zu erkennen, daß sich die Opposition schon seit
Jahren, möchte ich sagen — Herr Lenzer, nehmen Sie es mir nicht übel —, hellseherisch betätigt.
— Sie sagen, das sei Ihre Stärke. Ich würde sagen: das ist eigentlich Ihre Schwäche. Wie anders ist es sonst zu erklären, daß sie nie — Herr Lenzer, jetzt hören Sie einmal gut zu — den Vorschlag gemacht hat, ein geschlossenes Energieprogramm zu konzipieren, vor allen Dingen nicht zu Zeiten, als Sie allein die Regierung gestellt haben. Damit ergibt sich die Preisfrage an die Bevölkerung unseres Landes — es ist in letzter Zeit üblich, daß Sie sie in der Öffentlichkeit stellen —: Wer wußte dies schon vorher alles besser? — Nun, ich gebe Ihnen auch die Antwort: Es war die gute CDU/CSU.
Ich meine, einer derartigen, bewußt falschen Darstellung muß entgegengetreten werden. Ich bin der Meinung, daß der Widerspruch solcher Aussagen nicht nur im Kohlenpott, sondern auch in anderen Bereichen unseres Landes durchaus richtig erkannt und, wie ich glaube, auch richtig gewertet wird.
Zur künftigen Bewältigung des Energieproblems braucht man sicherlich Männer mit starker Hand; darin stimme ich Ihnen, Herr Lenzer, voll zu. Aber wir haben sie, meine Damen und Herren von der Opposition, seien Sie unbesorgt; denn das vorliegende Energieprogramm beweist dies ja wohl klar.
Meine Damen und Herren, die im Energieprogramm vorgesehene Verstärkung des Anteils der Kohle und der Kernenergie kann in ihrer Verbindung künftig an Bedeutung für die Volkswirtschaft der jetzt vorhandenen Verbindung von Kohle und Stahl ebenbürtig werden. Sie soll nicht nur die Versorgungssicherheit verbessern, sondern auch den strengen Anforderungen der Umweltfreundlichkeit genügen. Neue Technologien, die eine sichere und ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit kostengünstiger Energie mit den Notwendigkeiten des Umweltschutzes in Einklang bringen werden, sind bzw. werden bereits im Rahmen des Vierten Atomprogramms und des Rahmenprogramms „Energieforschung" entwickelt und berücksichtigt und werden in dem vorliegenden Programm gleichfalls besonders klar aufgeführt. Nur die Kernenergie kann, wenn wir auch weiterhin das Wirtschaftswachstum unseres Landes halten bzw. steigern wollen, die wichtigste Energiequelle sein, welche langfristig eine starke Abhängigkeit vom Öl vermeiden hilft. Meine Damen und Herren, hierüber sind sich, wie ich glaube, wohl alle Fraktionen dieses Hauses weitgehend einig. Zwar ist der Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung zur Zeit noch gering, aber er soll bis 1980 — dies ist im Energieprogramm klar aufgezeigt — auf 25 % gesteigert werden und bis etwa 1985 45 % betragen. Hier müssen erhebliche Anstrengungen gemacht werden, um dies möglich zu machen.
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Stahl
Neben einer größeren Risikobereitschaft der Industrie ist hierzu auch die Bereitschaft erforderlich, in eigener Verantwortung gewisse Bereiche der Entwicklung voranzutreiben und den Fortschritt nicht allein vom staatlichen Angebot und dessen Hilfen abhängig zu machen. Die Rationalisierung durch Standardisierung muß beim Bau von Kernkraftwerken stärker in den Vordergrund treten. Hersteller und Betreiber von Kraftwerken sollten hier so schnell wie möglich zu einer vernünftigen Einigung kommen. Die Anstrengungen, die notwendige Kraftwerkskapazität zu schaffen und vorzuhalten müssen durch organisatorische Maßnahmen der Aufsichts- und Genehmigungsbehörden im Verfahrenswege unterstützt werden, um dadurch Planungs- und Bauzeiten der Kernkraftwerke zu verkürzen. Meine Damen und Herren, ich glaube, über die Genehmigung von Kraftwerken und über den Verfahrensweg gibt es im Grundsatz keinen Streit. Nur meine ich, es ist unfair, wenn die Opposition der Bundesregierung in diesen Punkten den Vorwurf macht, sie habe nicht gehandelt. Dies stimmt nicht, meine Damen und Herren von der CDU/CSU. Sie wissen das aus den Ausschußsitzungen wirklich besser.
Herr Bundesminister Friderichs wird über diese Punkte — er hat schon einiges dazu ausgeführt — wohl in nächster Zeit mit den Ländern besonders verhandeln müssen, damit dieses Problem endlich vom Tisch ist.
In der Anhörung vor dem Ausschuß für Forschung und Technologie, die vor drei Wochen stattfand, wurde deutlich, daß in letzter Zeit von allen Seiten Anstrengungen unternommen werden, die bei der Energieerzeugung anfallende Abwärme mit relativ niedrigen Temperaturen aus Kraftwerken — für diese Abwärme gab es bisher keine oder nur wenig Verwendung — für die Fernheizung von Wohnungen, Bürohäusern, ja, sogar ganzen Stadtteilen und Großstädten nutzbar zu machen. Damit wird zugleich eine schädliche Aufheizung unserer Flüsse vermieden und — was auch besonders wichtig ist — der Wirkungsgrad der Anlagen wesentlich verbessert. In dieser Hinsicht gibt es schon präzise Vorstellungen und auch erfolgreich durchgeführte Versuche.
Im Rahmenprogramm „Energieforschung" ist weiterhin eine Reihe von Forschungsvorhaben vorgesehen, die — über die eben skizzierte Kraft-WärmeKupplung hinausgehend — zu einer weiteren Einsparung von Energie führen sollen. Voraussetzung für eine rationelle Planung sind jedoch bessere Kenntnisse des Energieflusses, der Wärmeverteilung und der Verbrauchsart in den jeweiligen Regionen der Bundesrepublik. So lange nicht erkannt ist, wie sich die Energieströme verzweigen, wohin sie fließen, lassen sich Planungen zur Verbesserung der Bedienung und der Versorgungsstruktur kaum in Angriff nehmen. Daher wird ein Wärmeatlas für die Bundesrepublik vorbereitet und eine Analyse des Verbrauchs-, des Energieflusses und der -art erstellt; die Daten — so hoffen wir — werden bis Ende kommenden Jahres vorliegen. Zugleich werden die Technologien zur Einsparung von Energie weiterentwickelt. Sie reichen vom erhöhten Wärmeschutz in Neu- und Altbauten über Verbesserung der Technik im Haus- und Wohnbereich und im Verkehrswesen bis zur Entwicklung neuer Produktionsabläufe, die zur Energierückgewinnung im industriellen Bereich führen.
Da damit zu rechnen ist, daß die Niedrigpreise für Energie ein für allemal vorbei sind und die eben aufgezeigten Punkte besonderes Gewicht haben, da ihre Realisierung kurz- bis mittelfristig möglich ist, ist dieser Bereich des Energieprogramms besonders zu begrüßen und besonders wichtig. Die Verbesserung des Wirkungsgrades bei der Energieerzeugung und bei dem anschließenden Verbrauch ist das Gebot der Stunde. Keine großen Reden, keine großen Pläne werden uns in den nächsten zwei oder drei Jahren Erfolge bescheren, die in irgendwelchen großen Vorhaben liegen. Aber in diesen kleinen Bereichen der Verbesserung der Wirkungsgrade ist einiges zu tun. Gerade hier wird auch der künftige Verbund von Kernenergie und Kohle seinen Schwerpunkt haben.
In die geplanten und in Bau befindlichen Projekte der Nutzung nuklearer Prozeßwärme zur Kohleveredlung und zur Umwandlung fester fossiler Rohstoffe setzen wir große Hoffnungen. In Schmehausen ist ein Anfang gemacht. Energieerzeugung und Kohleveredlung ergänzen sich zu einer Kombination, die weit über die jetzt abschätzbaren zeitlichen Grenzen hinaus eine feste Basis für die Energie- und Rohstoffversorgung der Bundesrepublik zu werden verspricht. Es ist damit zu rechnen, daß die Entwicklung von Verfahren zur nuklearen Kohlevergasung und die Projektierung einer Demonstrationsanlage 1980 abgeschlossen sein werden und bereits 1978, also zwei Jahre davor, mit dem Bau einer Anlage zur Erzeugung nuklearer Prozeßwärme einschließlich einer nachgeschalteten Anlage zur Kohleveredlung begonnen wird, so daß die Inbetriebnahme 1983 erfolgen kann.
Meine Damen und Herren von der Opposition, an diesen Zahlen allein können Sie sehen, daß sich die Bundesregierung sehr stark bemüht, hier schon einiges an Zeit aufzuholen, indem nach beendeter Planung mit dem Bau der Anlagen sofort begonnen wird, und daß in einigen Bereichen, wo sich dies überschneidet, einige Sachen vorgezogen werden können. Voraussetzung dafür, daß die neue Ehe zwischen — lassen Sie es mich salopp sagen — Mütterchen Kohle und der Kernenergie klappt, ist, daß die erforderlichen Mengen langfristig und kostengünstig zur Verfügung stehen. Zu diesem Bereich hat mein Kollege Wolfram schon einiges im Detail ausgeführt. Hierfür sind, wie im Energieforschungsprogramm vorgesehen, die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zur Erschließung neuer Lagerstätten und zur eventuellen Kapazitätserhöhung sowie zur Rationalisierung der Kohleförderung Investitionshilfen vorgesehen. In den nächsten Jahren soll durch die Entwicklung verbesserter, vollmechanisierter Vortrieb- und Abbausysteme die Produktivität des Steinkohlenbergbaus noch wesentlich verbessert werden. Die tägliche Betriebspunktförderung soll von zur Zeit 1 000 Tonnen auf mehr als das Doppelte erhöht werden. Ich brauche dabei nicht darauf hinzuweisen, daß die Leistung des deut-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974 9149
Stahl
schen Steinkohlenbergbaus die höchste in Europa ist.
Herr Kollege, ich muß Sie auf den Ablauf der Redezeit aufmerksam machen.
Von 1974 bis 1977 werden allein für Forschung und Entwicklung im Bereich des Bergbaus und seiner Technik sowie zur Verbesserung der Aufbereitung 330 Millionen DM zur Verfügung gestellt.
Die Anlaufs-, Entwicklungs- sowie Planungs- und Bauzeiten für Großkraftanlagen bis zur praktischen Anwendung betragen in der Regel ein Jahrzehnt. Hier gilt es, durch neue Erkenntnisse in absehbarer Zeit die Zeiten zu verkürzen.
Die veränderten Verbrauchergewohnheiten und die Verminderung des Wachstums durch Energieeinsparung sowie die bessere Nutzung des Energieangebotes mit verbesserten Wirkungsgraden werden die heute gemachte Aussage bestätigen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch einige Sätze sagen.
Herr Kollege, nicht einige Sätze, sondern einen guten Schluß!
Dem Problem der Verbesserung von Wirkungsgraden, unserer Energieerzeugungssowie der sparsamen Energieverbrauchsanlagen ist besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
Diese Maßnahmen sind von der Bundesregierung eingeleitet. Die Punkte, die ich eben aufführte, gilt es zügig zu verwirklichen. Ich glaube, es wäre gut, wenn die Zahlen, die heute von vielen Rednern auch der Regierungsseite genannt wurden, der Bevölkerung stärker dargelegt würden. Wenn Sie von der Opposition sich ein Herz nehmen, diesem Energieprogramm zu folgen und ihm seine Zustimmung zu geben und dabei in den Ausschüssen zügig mitarbeiten, ist die Lage auf dem Sektor der Energieforschung und Energieversorgung in Zukunft nicht so „schwarz" zu beurteilen, wie Sie sie oft sehen!
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte noch einmal kurz auf die bisherigen Beiträge eingehen.
Auf die Frage des unsinnigen Gesundschrumpfens des Herrn Abgeordneten Russe
— ich meine seine Bemerkung über das Gesundschrumpfen sind die Abgeordneten Wolfram und Graf Lambsdorff eingegangen. Ich habe dazu eigentlich nicht mehr viel zu sagen. Man kann die Vergangenheit heranziehen und nachsehen, wann das geschehen ist. Aber was soll das alles? Ich glaubte und hoffe nach wie vor, daß die Debatte hier in diesem Hohen Hause vor Ende dieses Jahres auch eine Behandlung des Energieproblems nicht unter dem Gesichtspunkt eines bestimmten Landtagswahlkampfes möglich macht.
Nur soviel soll klar gesagt sein, Herr Abgeordneter Russe: Es ist einfach eine Tatsache, daß wir in Deutschland Steinkohle zu Kosten fördern, die volkswirtschaftlich höher sind als die von Wettbewerbsenergien. Das ist ein Faktum. Und dann muß man sich entscheiden — und diese Regierung hat sich entschieden —, wieviel dieser volkswirtschaftlich teureren Förderung man aus Gründen der Sicherheit vornehmen will, und man muß dann der Öffentlichkeit klar sagen, was das kostet. Das ist ähnlich wie beim Abschluß einer Krankenversicherung oder einer Lebensversicherung. Sie können sie in unbegrenzter Höhe abschließen; dann ist auch der Preis sehr hoch. So entscheidet sich doch letztlich jeder, wie hoch er das Risiko wertet und wieviel er dafür zu zahlen bereit ist. Aber man muß eben wissen, daß man zahlen muß, und dann darf man nicht im selben Atemzug — das war Ihr nächster Satz — über Inflationsraten reden. Denn höhere Gestehungskosten gehen einfach in die Teuerungsrate — ich spreche jetzt nicht von Preissteigerungsraten — über höhere Rohstoffkosten ein. Das ist ganz einfach so. Aber bitte, wir haben insofern eine ganz andere Politik gemacht, als wir eine Rate genannt haben. Ich kann für mich und diese Regierung in Anspruch nehmen, daß, seitdem wir regieren, die genannte Zahl nicht unterschritten worden ist.
140 Millionen Tonnen habe ich nicht genannt und 112 Millionen nicht gefordert.
— Aber selbstverständlich, wer denn sonst?
Entschuldigen Sie bitte, wer hat denn 112 Millionen genannt? Das wissen Sie genausogut wie ich.
— Sie persönlich nicht. Aber es gibt ja eine gewisse Solidargemeinschaft innerhalb politischer Parteien; so nahm ich jedenfalls bisher an.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Russe?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Selbstverständlich, nachdem er selbst keine gestattet hat!
9150 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974
Zuerst einmal vielen Dank für diese Spitze, Herr Minister. Ich habe ja inzwischen erklärt, daß ich das das nächste Mal tun werde.
Herr Minister, ich bitte um Entschuldigung: Würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß diese Fraktion in diesem Bundestag in dieser Legislaturperiode und auch in der vorherigen Legislaturperiode immer erklärt hat, daß es unser Ziel sei und bleiben werde, daß die vorhandene Förderkapazität ausgenützt wird? Es ist nie von einem Freund meiner Fraktion von 112 Millionen Tonnen gesprochen worden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich nehme dies zur Kenntnis für die Äußerungen der CDU/CSU-Abgeordneten in diesem Hause. Ich nehme es nicht zur Kenntnis für die Äußerungen der Abgeordneten derselben Fraktion in der Öffentlichkeit,
weil mir kein Dementi der Betreffenden, die vor etwa drei Wochen oder vier Wochen 120 Millionen Tonnen gefordert haben, über Pressemeldungen bekanntgeworden ist.
— Mir ist nichts Derartiges bekannt. Ich habe von keinem FDP-Abgeordneten eine Äußerung über 120 Millionen Tonnen in der Presse gelesen; nicht daß ich wüßte.
Der nächste Punkt ist der Vorwurf, wir kämen zu spät. Ich habe hier noch nichts erlebt, ohne den Vorwurf zu bekommen, wir kämen zu spät. Das mag daran liegen, daß die Regierung so langsam ist. Ich will Ihnen aber offen sagen, warum ich mit dazu beigetragen habe, daß das Programm zu diesem Zeitpunkt vorgelegt wurde. Ich bekenne mich dazu.
Erstens — das habe ich in der Debatte des vergangenen Winters gesagt — wollte ich die Fortschreibung des Programms aus der noch unsicheren emotionalen Atmosphäre des vorigen Winters heraushaben. Das war der Punkt 1.
Der Punkt 2 war, daß ich zusammen mit meinen Mitarbeitern und auch den beiden Koalitionsfraktionen den Versuch machen wollte, das Programm in einen internationalen Zusammenhang zu bringen.
Dazu mußte man auch den internationalen Terminkalender kennen. Dies ist gelungen. Wenn Sie die Daten der Europäischen Gemeinschaft verfolgen, werden Sie feststellen, daß die Vorlage unter Berücksichtigung der Entwicklung der Energiepolitik innerhalb der Gemeinschaft erst zu diesem Zeitpunkt möglich war. Es hat eine lange Diskussion mit meinen Mitarbeitern im Hause gegeben, ob wir mit dem Programm noch kurz vor der Sommerpause kommen sollten, wohl wissend, daß wir das Ergebnis der Verhandlungen über das Internationale Energieprogramm, die Gründung der Internationalen Energieagentur, in unser Programm nicht hätten aufnehmen können, daß wir aber durch die zwei Monate keine nennenswerten Vorteile gewonnen hätten.
Das waren die Gründe, warum ich am Ende gesagt habe, es solle nicht mehr vor der Sommerpause, sondern unmittelbar danach eingebracht werden. Wir wußten, daß dadurch nichts Nennenswertes versäumt wurde.
Herr Abgeordneter Springorum hat geglaubt, einen Dissens zwischen dem, was die EG sage, und dem, was wir sagten, feststellen zu können oder zu müssen, und behauptet, wir begrüßten das immer; er hat das ein bißchen ins Lächerliche gezogen. Ich kann Ihnen nur sagen, daß die Kommission der Europäischen Gemeinschaft am 22. November im Energieausschuß der Gemeinschaft wörtlich erklärt hat — ich zitiere —, das deutsche Energieprogramm sei mit der am 17. September behandelten Strategie der Gemeinschaft in voller Übereinstimmung. Eine Erklärung der Kommission der Europäischen Gemeinschaft im zuständigen Gremium! Ich weiß also nicht, worauf der Abgeordnete Springorum seinen vermeintlichen oder, vielleicht richtiger gesagt: seinen behaupteten Dissens stützt.
Die Kommission hat uns vielmehr offiziell aufgefordert, ihr unverzüglich das deutsche Verstromungsgesetz zuzuleiten, weil sie dies offensichtlich als eine Möglichkeit sieht, ihre eigene Politik damit anzureichern.
Nun kommt der nächste Punkt. Herr Abgeordneter Russe, Sie sprachen von der Abhängigkeit vom Import, von Risiken usw. Es gibt keinen Dissens darüber, daß wir in einem unvorstellbar großen Ausmaß vom Import abhängig sind, nicht nur bei der Energie, sondern bei Rohstoffen generell. Daß wir ein rohstoffarmes Land sind, liegt ja wohl nicht auch noch in der Verantwortlichkeit der Bundesregierung. Wir sind allerdings dafür zuständig, diese Abhängigkeit zu minimieren. Vielleicht darf ich den Begriff gebrauchen, obwohl mir eben der Begriff „optimieren" schon wieder um die Ohren geschlagen worden ist. Es ist offensichtlich nicht mehr erlaubt, volkswirtschaftliche Begriffe in Programme aufzunehmen. Zwischen Optimierung und Maximierung gibt es schließlich gewisse Unterschiede; deswegen stand der Satz darin.
Ich verkenne diese Abhängigkeit also nicht. Aber ich frage zurück: Am Montag dieser Woche — bleiben wir doch einmal bei dem ganz einfachen Beispiel — hat mir ein ausländischer Kollege, der hier zu Besuch ist und mit dem ich seit mehr als einem Jahr über ein Gasgeschäft verhandele, bei dem wir am Ende darüber einig waren, daß uns im Teil 1 13 Milliarden Kubikmeter geliefert werden sollen, plötzlich gesagt: Herr Kollege, nach all den erfreulichen Beratungen kann ich Sie fragen: Wollen Sie die doppelte Menge haben? Ich weiß, daß die doppelte Menge heißt: die doppelte Abhängigkeit, und ich sehe den Tage kommen, an dem Sie hier hingehen und sagen: Wie konntet Ihr nur diese
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974 9151
Bundesminister Dr. Friderichs
Menge durch dieses Land - vorhin haben Sie das
nicht gemeint; ich meine die Sowjetunion — leiten, obwohl wir wissen, daß, wenn wir diese 26 Milliarden oder die 13 haben wollen, wir sie nur auf diesem Wege bekommen können! Das heißt, dann sagen Sie bitte hier in aller Deutlichkeit: Wir wollen das Gas nicht! Das können Sie haben. Nur: Dann haben Sie kein unsicheres Gas, dann haben Sie gar kein Gas.
Die Vergangenheit - Graf Lambsdorff hat darauf
hingewiesen — hat doch gezeigt, daß die Sicherheiten nicht einfach mit dem jeweiligen Gesellschaftssystem gleichzusetzen sind. So einfach können wir es uns doch wohl nicht machen. Ich habe meine Margen, die ich möglichst nicht überschreiten möchte. Aber bei der Frage: Willst du überhaupt oder willst du nicht? muß man sich eben entscheiden, es sei denn, meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sagen: Keinen Gasimport mehr, wir steigern unsere Steinkohlenförderung von 94 auf 140 zu den hier erforderlichen volkswirtschaftlichen Kosten, knallen das dem Verbraucher obendrauf, beklagen gleichzeitig die Inflationsrate und greifen die Bundesregierung an, weil sie über das Verstromungsgesetz die entstehenden Kosten dem Verbraucher anlastet. Nun machen Sie mir mal weis, wie diese Politik in sich deckungsgleich gemacht werden kann! Das ist doch die Wahrheit.
Nun haben Sie die Frage der Ölreserve aufgegriffen. Wir konnten die Kavernen ja nicht füllen, bevor sie fertig waren. Als diese Bundesregierung ihr Amt antrat, 1969, hat sie weder volle noch leere Kavernen vorgefunden; weder volle noch leere. Sie hat sich dann allerdings darangemacht, welche zu bauen, und sie macht sich nunmehr daran, welche zu füllen.
Und billig, anders kann ich das nicht qualifizieren, war die Zusatzbemerkung — ich hoffe, ich zitiere richtig, ohne Protokoll —, daß wir vor ein, zwei Jahren für denselben Preis 10 Millionen Tonnen hätten haben können, für den wir jetzt nur 4 bekämen; so sehe man, daß die Inflation ihre Väter auffresse. Verehrter Herr Abgeordneter Russe, wollen Sie damit sagen, die Ölpreiserhöhung habe etwas mit der Inflation zu tun? Insoweit ja, als sie Ursache für weitere Preisschübe ist. Entschuldigen Sie bitte, ich pflege sonst nicht mit Berufen um mich zu werfen; da Sie aber den Beruf des Abgeordneten Wolfram erwähnt haben: Ich kann mir nicht vorstellen, daß das Vorstandsmitglied einer der größten deutschen Aktiengesellschaften, die zu allem Überfluß auch noch mit diesen Produkten handelt, diese Behauptung ernst gemeint hat.
Sie wissen ganz genau, vor welcher Frage wir stehen: ob wir jetzt kaufen oder nicht, zu den Preisen, zu denen wir es angeboten bekommen, oder nicht. Sie wissen, was in Saudi-Arabien war, Sie wissen, mit wem ich da war, und Sie wissen, wie lange wir überlegt haben, ob wir kaufen sollen oder nicht zu dem angebotenen Preis, weil wir eben nicht
wissen, ob nicht nach wenigen Monaten jemand kommt und sagt: Na, da haben wir aber einen Schönen hingeschickt, für den Preis hat der eingekauft? Kaufen wir nicht, bekommen wir womöglich nach sechs Monaten gesagt: Warum habt Ihr Idioten nicht gekauft, denn jetzt ist es ja noch teurer!? So ist einfach die Lage, weil wir wissen, daß hier nicht ökonomsche Gesetze den Ausschlag geben, sondern ganz andere, politische Dinge, die wir nicht mit letzter Genauigkeit beurteilen und erst recht nicht beeinflussen können; jedenfalls nicht unmittelbar.
Sie haben die Frage gestellt — ich will sie sachlich beantworten —: Hat die Bundesregierung denn überhaupt etwas zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren etc. getan? Sie haben gesagt: Warum nicht standardisierte Typen? Da wird einmal genehmigt, und dann können die Dinger gebaut werden, wo auch immer Bauplätze vorhanden sind! Bei der Frage der Genehmigungsverfahren für Kernkraftwerke begeben wir uns auf ein ganz schwieriges und nach meiner Meinung bisher auch nicht befriedigend geregeltes Gebiet. Vielleicht ist es auch teilweise ein Preis, den wir für den Föderalismus zahlen müssen, daß die Verwaltungs- und Gerichtspraxis in den Bundesländern bisher unterschiedlich ist. Aber ich mache das den Ländern nicht einmal zum Vorwurf, weil ich weiß, daß bei einer so neuen Materie, einer so risikobehafteten Materie, einer Materie mit so wahnsinnigen Implikationen im Bereich des Umweltschutzes, wie mein Fraktionskollege Laermann das eben noch einmal dargelegt hat, sich eine Praxis nur erst entwickeln kann. Aber Sie fragen: Was haben Sie getan? Ich sage es Ihnen:
Erstens: Die Novelle zum Atomgesetz zur Verfahrensreform ist im Innenministerium erarbeitet.
Zweitens: Wir haben eine Lösung der Schwachstellen des Genehmigungsverfahrens in den Ländern eingeleitet und sind hier in eine ernsthafte Diskussion und nach meiner Meinung auch sogar einen Schritt weiter gegangen, obwohl es sehr mühsam ist. Das will ich auch sagen.
Drittens: Die Atomanlagenverordnung soll hinsichtlich des Problems der Masseneinwendungen dem Bundesimmissionsschutz angepaßt werden, also durch eine öffentliche Zustellung, was die Abwicklung beschleunigt.
Viertens: Das Gutachterwesen im Rahmen des Genehmigungsverfahrens wird derzeit gestrafft. Für bestimmte technische Probleme sollen dafür spezialisierte Gutachter eingesetzt werden. Die Arbeit der verschiedenen Gutachterorganisationen muß aufeinander abgestimmt werden. Wir sind gerade dabei.
Die Kernkraftwerkshersteller haben erst standardisierte Reaktorkonzepte vorgelegt, die derzeit geprüft werden. Gleichzeitig wird dazu an der Einführung einer Typengenehmigung gearbeitet.
Aber, sehr verehrter Herr Kollege Russe, das wissen Sie doch auch, daß es in einer Branche oder bei einem technischen Gegenstand wie einem Kernkraftwerk, das so jung ist und sich in einer so rasanten Entwicklung befindet, wahnsinnig schwierig ist, zu standardisierten Typen überzugehen. Das ist kein VW-Käfer, der da gekauft wird. Ich frage Sie noch
9152 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974
Bundesminister Dr. Friderichs
einmal in Ihrer beruflichen Eigenschaft: Wäre denn etwa die Veba bereit, noch zehn weitere Kernkraftwerke vom Typ Würgassen zu kaufen? Ich glaube nicht. Ich nenne nur das Beispiel. Sie sehen doch daran, daß die Kernkraftwerke von Typ zu Typ weiterentwickelt worden sind. Als mir die Kraftwerksunion sagte: endlich Typisierung, fand ich das eine begeisternde Idee. Als ich dann zu den Elektrizitätsversorgungsunternehmen gegangen bin, haben die gesagt: Moment, wieviel Megawatt? — 600. — Längst passé. Wir wollen größere haben: Biblis, Biblis A, 1200, 1 300 Megawatt. Die KWU sagte: Wir sind schon in der nächsten Generation. — Da liegen doch die Probleme. Richtig ist, daß man Biblis A bereits als Typ in die Sowjetunion verkaufen kann. Aber wir wissen genauso gut, daß für die Bundesrepublik selbst auch dort schon eine Entwicklung wieder im Gang ist.
Ich wende mich doch gar nicht dagegen. Ich habe begeistert diese Typengenehmigung aufgenommen, mußte aber bei den Elektrizitätsversorgungsunternehmen feststellen — das wissen Sie doch fachlich viel besser als ich selbst, weil ich nicht aus dieser Branche komme —, daß die sagen: für dieses Netz in der Region wollen wir aber einen Typ mit der und der Nennleistung haben. Da ist auch noch ein Erziehungsprozeß durchzumachen, wie er ursprünglich in der Schiffahrt nötig war, ehe wir in der Lage waren, neue Tankertypen zu bauen, die als eine Art Serie abgenommen werden konnten.
So zu tun, als ob wir uns um die ganzen Dinge nicht gekümmert hätten, stimmt doch einfach gar nicht. Ich bin froh, daß ein neues Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs für ein Kernkraftwerk da ist, weil das die Rechtsprechung einen Schritt weiter bringt. So kompliziert sind doch die Dinge. Sie hier so simplifizierend darzustellen, bringt uns doch nicht weiter.
Sie haben versucht Kritik zu üben oder glaubten Kritik an der Exportpolitik der Ruhrkohle AG üben zu müssen. Es ist doch gesagt worden: statt eine Halde aufzubauen, hätten wir — offensichtlich die Regierung — Kohle exportieren sollen. Zunächst muß ich feststellen: wir sind immer noch nicht und werden auch nicht Eigentümer dieser Gesellschaft, während Sie zweifellos zu den Eigentümern gehören. Das ist doch wohl keine Frage. Hielten Sie es wirklich für richtig, daß wir in einer Zeit eines steigenden, mindestens temporär steigenden Kohlebedarfs in der Europäischen Gemeinschaft, verursacht durch die Politik der OPEC-Länder, unseren Nachbarn, wo es rechtliche Verpflichtungen in der Montanunion gibt, sagen sollen: Wir haben zwar 20 Millionen Tonnen Kohle, Freunde, aber wir denken doch nicht daran, sie zu verkaufen; schaut doch, wo ihr den Kram herkriegt! Ich gebe sogar zu: wir verkaufen heute noch unter dem Weltmarktpreis an die Europäische Gemeinschaft, weil zu anderen Zeiten Verträge abgeschlossen worden sind und weil wir der Meinung sind, daß wir vertragstreu sein müssen. In dem Programm steht aber jetzt, daß wir das in Zukunft nicht mehr wollen. Wir sind bereit, die Europäische Gemeinschaft mit Kohle zu versorgen. Aber dann mag sie bitte die Kosten bezahlen,
die in Deutschland anfallen. So sind doch die wahren Ursachen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte!
Herr Minister, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich diese Exporte, von denen Sie auf Grund eines Zwischenrufs gerade gesprochen haben, nicht gemeint habe.
Ist Ihnen nicht genauso wie mir bekannt, daß Exporte bis in den Hinteren Orient durchgeführt worden sind?
Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß dies nicht unbedingt notwendig gewesen wäre, und würden Sie gleichzeitig zur Kenntnis nehmen, daß nicht zuletzt auf Grund dessen die Binnenversorgung jetzt schon erhebliche Schwierigkeiten aufzuweisen hat? Ihnen sind doch sicherlich auch entsprechende Schreiben bekannt, die an die Energieversorger geschrieben worden sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Russe, mir ist bekannt, daß über die bestehenden Verträge hinaus Exportgeschäfte abgeschlossen und getätigt worden sind, eines beim Abendessen in Teheran — ich saß zufällig am selben Tisch — über Kokskohle, über Weltmarktpreis, für die iranische Stahlindustrie.
— Ich meine neue Verträge. Nehmen Sie X andere Verträge!
Aber wir wissen doch, warum. Weil dieses Unternehmen auf Grund seiner Geburtsfehler und ähnlicher Umstände sich in einer ganz miserablen Liquiditäts- und Ertragslage befand und nun glücklich war, eine zum Teil abgeschriebene Halde verscherbeln zu können, um damit endlich Geld für Investitionen zu bekommen — das waren doch die Ursachen —, trotz der Bitte der Bundesregierung, mit den Exporten ein bißchen langsam zu machen und die Förderung so hoch wie möglich zu halten. Aber die Eigentümer, denen Sie sich doch sehr verbunden fühlen, waren offensichtlich der Meinung, es müsse exportiert werden, um die Liquiditätslage zu verbessern. Das ist doch wohl unbestritten.
Ich glaubte, wir könnten eine sachliche Energiedebatte führen. Aber wenn es nicht gewünscht wird: ich kann das auch anders.
Zum Thema Energieeinsparung haben Sie geglaubt, das Bundeskanzleramt heranziehen zu müssen. Sie haben es als Hochhaus bezeichnet. Ich habe bisher unter Hochhäusern immer so etwas wie andere Häuser, aber nicht wie dieses verstanden.
— Ach so, wie bei einem, Entschuldigung.
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Bundesminister Dr. Friderichs
Ich kann Ihnen nur sagen, daß der Bundesbauminister im Januar 1974 durch Erlaß für die öffentlichen Baumaßnahmen des Bundes vorgeschrieben hat, daß die Mindestdämmwerte der einschlägigen DIN-Norm 4 108 bei den künftigen Baumaßnahmen zu verdreifachen sind. Er hat den Ländern und Gemeinden empfohlen, dieselbe Regelung für die öffentlichen Bauten auf deren Ebene ebenfalls unverzüglich zu treffen.
Richtig ist allerdings, daß das Bundeskanzleramt zu diesem Termin bereits im Bau war und daß dieser Erlaß des Bundesbauministers für den Bau des Bundeskanzleramtes daher nicht mehr zur Anwendung kam und kommen konnte. Wollen wir denn an solchen Fragen wie Kanzleramt hier die Energiepolitik abhandeln? Sie können meinetwegen den Bau dieses Amtes kritisieren. Aber es nun heranzuziehen für das Nichstun auf dem Gebiete der Energieeinsparung, ist doch geradezu lächerlich. Es kommt mir fast so vor, als wenn man hier die Frage anschnitte, wie es mit der Energieeindämmung beim CDU-Hochhaus stehe. Ich weiß es nicht; es geht mich auch nichts an, um es ganz deutlich zu sagen.
— Ja, ja, wir wollen einmal abwarten, wie lange sie darin bleibt.
Zu dem Beitrag des Abgeordneten Springorum. Er hat mir verbale Unredlichkeit vorgeworfen. Ich will mich mit diesem Vorwurf nicht auseinandersetzen. Ich hätte nur die Bitte, daß derjenige, der jemandem verbale Unredlichkeit vorwirft, sich wenigstens nicht einer intellektuellen Unredlichkeit schuldig macht. Er hat behauptet, in diesem Programm stehe, die Krise sei überstanden. Er hat dazu aus dem Zusammenhang gerissen zitiert. Ich sage Ihnen: Dieser Satz steht in der Tat unter Ziffer 8 auf Seite 10. Er bezieht sich auf die Mengenproblematik des vergangenen Winters, und da ist der Satz richtig. Bezüglich der Gesamtlage zitiere ich die Ziffer 18 auf der Seite 15. Dort heißt es ganz klar:
Die Erklärungen vieler Förderländer, daß sie das Olangebot tendenziell knapp halten wollen, um ihre eigenen Reserven zu schonen und sie optimal zu nutzen, müssen ernst genommen werden. Das Risiko temporärer Krisen und Angebotsstörungen besteht weiter. Andererseits ist der energiepolitische Handlungsrahmen angesichts der hohen Einfuhrnotwendigkeiten und der begrenzten Möglichkeiten, kurzfristig große Ölmengen zu ersetzen, beschränkt. Die deutsche Volkswirtschaft muß mittelfristig mit diesem Risiko leben.
Der Begriff Risiko und Krise zieht sich doch durch dieses Programm. Wenn jemand einem Unredlichkeit vorwirft, erwarte ich von ihm wenigstens intellektuelle Redlichkeit auf der eigenen Seite.
Ich habe mich mit seinen Vorwürfen zur europäischen Politik und der Unvereinbarkeit mit der deutschen auseinandergesetzt. Ich weiß nicht, was der Abgeordnete mit dem Schutz vor falschem Wettbewerb von draußen gemeint hat. Natürlich können wir, wenn eines Tages eine Strategie der Förderländer gegen uns durch Unterbietungen und damit volkswirtschaftliches Unrentabelmachen unserer Energieanlagen gefahren würde, etwas tun. Die Gemeinschaft könnte ihre Außenzölle erhöhen.
— Das mag er gemeint haben. Aber das ist im Augenblick nicht das Gebot der Stunde.
Dieses Instrument haben wir; das brauchen wir in kein Energieprogramm hineinzuschreiben. Im Augenblick kämpfen wir — dazu hätte ich lieber etwas gehört — darum, daß die Gemeinschaft den Außenzoll für Fertigprodukte senkt oder abbaut. Dies scheitert permanent am Widerstand einiger unserer Partner. Und es ist nicht einfach, den Förderländern klarzumachen, wir seien von hohen Energiepreisen volkswirtschaftlich bedroht, wenn wir gleichzeitig den Import von Fertigprodukten in die Europäische Gemeinschaft mit Zöllen belegen und damit vor einer ganz schwierigen Rentabilitätsfrage bei unseren Bemühungen im Iran stehen, dort eine Gemeinschaftsraffinerie zu bauen, deren Fertigprodukte hereinkommen und einem Außenzoll der Gemeinschaft unterliegen und daher in eine ganz schwierige Wettbewerbssituation auf dem Binnenmarkt kommen. Als ob diese Dinge nicht selbstverständlich Gegenstand unserer Überlegungen und Beratungen gewesen wären!
Er sprach von der Steigerung der Kohleförderung. Wir haben die Ruhrkohle und die anderen Unternehmen aufgefordert, das zu fördern, was sie im Augenblick fördern können. Wir sollten aber auch nicht so tun, als ob in einer x-beliebigen Zahl für 1980, 1985 keine Risiken wären. Eines möchte ich nicht: den Bergarbeitern jetzt vorgaukeln, wir brauchten 1985 jede beliebige Menge Steinkohle, und dann mit ihnen dasselbe tun, was früher mit ihnen getan worden ist, nämlich zu erklären, wir hätten uns leider geirrt, die Zahl stimme nicht, und nun brauchten wir sie nicht mehr. Das kann man ganz einfach weder mit diesen Langfristinvestitionen noch mit den Menschen machen, die ihre Gesundheit hergeben, damit die erforderliche Menge Steinkohle aus 1 500 m Tiefe an das Tageslicht gebracht wird. Insbesondere verstehe ich den Kontext des Abgeordneten Springorum nicht, der gesagt hat, wir sollten jedes Jahr einige Millionen Tonnen mehr importieren lassen und gleichzeitig die Förderung steigern. Wenn dies wirklich die Meinung der Opposition ist, dann darf ich bitten, das im Ausschuß für Wirtschaft zu fragen. Sie werden mich sofort an Ihrer Seite haben. Liebend gern hätte ich der deutschen Stahlindustrie ein größeres Importkontingent zur Verfügung gestellt, um endlich diesem Subventionsdruck der Stahlindustrie ausweichen zu können und zu sagen: Bitte, hier habt Ihr 10 Millionen t; macht, was Ihr wollt; zur Kasse braucht Ihr uns aber nicht mehr zu bitten!, und nicht wie in der Vergangenheit mehrere hundert Millio-
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Bundesminister Dr. Friderichs
nen D-Mark pro Jahr an diesen Wirtschaftszweig zu übertragen, um eben seine Rentabilität oder, richtiger gesagt, seine Wettbewerbschancengleichheit sicherzustellen. Ich nehme zur Kenntnis, daß die Opposition empfiehlt, die Importkontingente jährlich um einige Millionen Tonnen zu erhöhen. Einverstanden, wir werden darüber diskutieren. Ich halte dies für nicht verantwortbar, ohne das gesteckte Förderziel mittelfristig zu gefährden. Aber im Ausschuß wird es ja die Möglichkeit geben, darüber sachliche Beratungen zu führen.
— Dann habe ich die Rede des Abgeordneten Springorum nicht verstanden; ich bitte um Entschuldigung. Ich werde sie nachlesen.
— Ich bitte um Entschuldigung. Ich wußte nicht, daß er nicht für die Fraktion der CDU/CSU gesprochen hat. Dann sage ich dies nur an seine persönliche A dresse.
Letzte Bemerkung. Er hat uns zu einer guten Politik aufgefordert: ich sollte die Finger wachmachen, ich sollte die Ärmel hochkrempeln und was nicht alles. Ich möchte das hier nicht tun, weil ich glaube, daß es nicht zum Stil dieses Hauses gehört, mit hochgekrempelten Ärmeln zu reden. Aber so viel möchte ich sagen: diese Bundesregierung kann sich mit ihren beiden Energieprogrammen sehen lassen. Wir haben in dieser Republik, die immer energieimportabhängig war, die immer wußte, daß Energie die Basis ihres Wirtschaftens sei, bis zu dem ersten Programm in diesem Lande ohne jedes Energieprogramm gelebt. Und ich erinnere mich an harte Diskussionen mit einem meiner Amtsvorgänger, der den jetzigen Oppositionsparteien angehört, als ich versucht habe, ihn, als wieder einmal ein deutsches Mineralölunternehmen verkauft wurde — an ein anderes Land, an die Amerikaner —, zu bedrängen, doch diese Chance zu nutzen und zusammen mit einigen vorhandenen kleineren Dingen endlich einen Schritt auf aktive Energiepolitik hin zu gehen — ohne jeden Erfolg.
— Nein, der war niedersächsischer CDU-Abgeordneter und Bundeswirtschaftsminister. Jetzt habe ich das so eingegrenzt, daß Sie eigentlich erraten müßten, wen ich meine.
Um das klar zu sagen: Diese Diskussion hat stattgefunden, als die DEA an die TEXACO verkauft war. Und wir haben damals gesagt: Warum nicht mit Rheinpreußen, mit DEA, mit VEBA und mit Verhandlungen mit CFP in Frankreich und ENI eine europäische Energiepolitik machen mit dem Vorschlag, draußen zu bohren, sich eigene Quellen zu sichern? — Alles in den Wind geschlagen. Energie ist doch billig! Die kriegen wir! Marktwirtschaft-
liches System! Was habt ihr für Vorstellungen! Das war doch die Diskussion. Deswegen nehme ich Ihre Kritik hier an dem, was diese Regierung auf energiepolitischem Gebiet getan hat, ganz gelassen hin. Mein Eindruck ist, daß die Öffentlichkeit draußen einen absolut anderen Eindruck hat, als den, den Sie hier vermitteln wollten.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Drucksache 7/1057 dem Ausschuß für Wirtschaft — federführend — dem Innenausschuß, dem Ausschuß für Forschung und Technologie und dem Haushaltsausschuß - mitberatend —, die Drucksache 7/2713 dem Ausschuß für Wirtschaft — federführend — und den genannten Ausschüssen — ebenfalls mitberatend — zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 1 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Energieversorgung bei Gefährdung oder Störung der Einfuhren von Erdöl, Erdölerzeugnissen oder Erdgas
— Drucksache 7/2461 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/2899 —Berichterstatter: Abgeordneter Röhner
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 7/2898 —Berichterstatter: Abgeordneter Russe
Abgeordneter Christ
Ich darf zunächst den beiden Herren Berichterstattern sehr herzlich danken und fragen, ob eine Ergänzung des Berichtes gewünscht wird? — Das ist nicht der Fall.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe auf die §§ 1, 1 a, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16. - Kein Widerspruch; so beschlossen.
§ 17! Anstelle des zurückgezogenen Änderungsantrags auf Drucksache 7/2902 liegt dazu der Änderungsantrag auf Drucksache 7/2918 vor.
Das \\Vort hat der Herr Abgeordnete Zeyer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte nach der langen Debatte zu dem Energieprogramm der Bundesregierung einige knappe Bemerkungen zu dem jetzt zur Beratung anstehenden Gesetzestext.
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Herr Kollege, im Augenblick sind wir in der zweiten Beratung, in der wir nur den Änderungsantrag zu § 17 zu verabschieden haben. Mir ist gesagt worden, Sie wollten diesen Antrag kurz begründen.
- Herr Kollege, ich muß erst die zweite Beratung
abschließen. Oder wird auf eine Begründung verzichtet?
Dann werde ich Ihnen nachher das Wort geben; ich bitte um Verständnis. Auf eine Begründung wird also verzichtet.
Wer dem Änderungsantrag zu § 17 auf Drucksache 7/2918 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? —
— Aber entschuldigen Sie, er hat auf die Begründung verzichtet.
- Die Aussprache findet in der dritten Beratung
statt; so wird üblicherweise nach der Geschäftsordnung verfahren. Sie kommen zu Wort; das ist gar kein Problem.
Jetzt ist nur über den Änderungsantrag in der zweiten Beratung abgestimmt worden. Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Wer dem so geänderten § 17 sowie der Einleitung und der Überschrift zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfram.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte um Verständnis dafür, daß wir Ihre Geduld noch etwas in Anspruch nehmen müssen. Aber Energie und Energiesicherung sind sicherlich ein so wichtiges Thema der Zeit, daß wir da auch selbst etwas Energie einsetzen müssen.
Das von diesem Haus am 9. November 1973 verabschiedete Gesetz zur Sicherung der Energieversorgung bei Gefährdung oder Störung der Einfuhren von Mineralöl oder Erdgas -- kurz „Energiesicherungsgesetz" genannt — tritt am 31. Dezember 1974 außer Kraft. Wir brauchen eine Anschlußregelung. Dabei muß unseres Erachtens sichergestellt sein,
daß diese mit Wirkung vom 1. Januar 1975 in Kraft e treten kann.
Deshalb ist unsere Fraktion dankbar dafür, daß wir den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf heute in zweiter und dritter Lesung beraten und verabschieden. Wir hoffen, daß der Bundesrat in seiner letzten Sitzung in diesem Jahr dem Gesetz zustimmt. Es wäre verantwortungslos, wenn vielleicht wegen nebensächlicher Einwände und Bedenken ein nahtloser Anschluß zum Jahreswechsel gefährdet würde.
Mancher in diesem Lande mag vielleicht den Eindruck haben, daß es zur Zeit keine mengenmäßigen Energieversorgungsprobleme, vor allem keine Energieimportschwierigkeiten, gibt. Das wäre ein Irrglaube. Nach wie vor ist die Sicherheit der Energieversorgung in der Bundesrepublik in erster Linie durch mögliche Gefährdungen oder Störungen der Mineralöl- und Erdgaseinfuhr bedroht. Deshalb ist es notwendig, daß wir das Energiesicherungsgesetz ab sofort in Kraft setzen können.
Dieses Energiesicherungsgesetz ist auch Teil des fortgeschriebenen Energiekonzepts. Das neue Gesetz gibt wie das auslaufende der Bundesregierung die Möglichkeit, staatliche Maßnahmen angemessen sowie schnell und wirkungsvoll zu treffen. Ein detaillierter Ermächtigungsrahmen zum Erlaß von Rechtsverordnungen schafft die Voraussetzungen, daß die Bundesregierung flexibel handeln kann.
Wir halten die Erweiterungen im neuen Gesetz gegenüber den bisherigen Möglichkeiten für richtig und notwendig. Dabei geht der Gesetzentwurf zu Recht davon aus, daß Maßnahmen zur Verbesserung der Energieversorgungsstruktur und Regelungen zur Einsparung und zur rationelleren Verwendung von Energie durch das fortgeschriebene Energiekonzept abgedeckt werden.
Den Einlassungen von verschiedenen Seiten, insbesondere des Bundesrats, die Geltungsdauer zustimmungsfreier Rechtsverordnungen von sechs auf zwei Monate zu verkürzen, kann nicht gefolgt werden. Das wäre eine viel zu kurze Frist. Das könnte in der Praxis bedeuten, daß eine Rechtsverordnung, ehe sie überhaupt vor Ort ankommt, bereits wieder abgelaufen ist. Sechs Monate sind die richtige Zeitspanne. Dabei kann man davon ausgehen, daß der Wirtschaftsminister eine Rechtsverordnung nur solange wie unbedingt nötig aufrechterhält. Bei allem berechtigten Mißtrauen gegenüber einer Ministerialbürokratie: Ein wenig mehr Vertrauen zum Bundeswirtschaftsminister sollten die Gegner der Sechsmonatsfrist schon haben.
Die SPD-Fraktion hat es von Anfang an für richtig gehalten, daß Regelungen des internationalen Energieprogramms, soweit sie sich mit der Energiesicherung befassen, in unser neues Energiesicherungsgesetz aufgenommen werden. Wir halten den im internationalen Energieprogramm vorgesehenen Krisenmechanismus im Prinzip für richtig. Wir haben eigentlich nicht verstanden, daß die Opposition eine Zeitlang nicht bereit war, das mit aufzunehmen. Sie haben sich schwergetan, dem zuzustimmen. Es ist dann doch geschehen, nachdem wir durch die Neu-
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Wolfram
formulierung des § 1 a einen Weg gefunden haben, der allen Bedenken Rechnung trägt.
Herr Abgeordneter Wolfram, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Russe? — Bitte!
Herr Kollege Wolfram, wollen Sie freundlicherweise zur Kenntnis nehmen, daß ich im Wirtschaftsausschuß vom ersten Moment der Beratung an festgestellt habe, daß wir damit einverstanden sind, dieses Übereinkommen in das Gesetz einzubeziehen? Wollen Sie weiter zur Kenntnis nehmen, daß ich lediglich den Antrag gestellt habe, keine Entscheidung zu treffen, bevor sich die mitberatenden Ausschüsse entschieden haben? Das, was Sie jetzt hier festgestellt haben, entspricht nicht den Tatsachen.
Wir können das an Hand der Protokolle der entsprechenden Wirtschaftsausschußsitzungen klären. Wir haben ja eine Kompromißformel im neuformulierten § 1 a gefunden.
Ich lasse mir gerade von den FDP-Kollegen bestätigen: Es war unser Eindruck, daß Sie am Anfang nicht bereit waren. Sie haben sich damit ein bißchen schwergetan.
Lassen Sie mich noch ein letztes Wort zur Frage der Befristung des Gesetzes überhaupt sagen. Ich habe eigentlich nicht verstanden, warum die Opposition eine solche Befristung gefordert hat. Wir haben auch vergeblich nach einer plausiblen Begründung für ein solches Ansinnen gefragt. Graf Lambsdorff hat speziell Sie, Herr Kollege Russe, im Wirtschaftsausschuß darauf angesprochen.
Das Gesetz sollte unseres Erachtens unbefristet gelten, weil wir das Ende von Versorgungsrisiken nicht terminieren können. Wir wissen außerdem, daß die Kontinuität einer Rechtsgrundlage gesichert werden muß, wobei gegen eine mißbräuchliche Anwendung des Gesetzes im Gesetz selbst genügend Sicherungen eingebaut worden sind.
Wir haben uns nun heute zu diesem Kompromiß aus einem einzigen, ganz einfachen Grunde bereit erklärt, nämlich um zu sichern, daß dieses Gesetz heute über die Bühne geht und daß es auch der Bundesrat in seiner letzten Sitzung akzeptiert.
— Es steht heute auf der Tagesordnung, und Sie haben im Ältestenrat zugestimmt.
Im übrigen sollten wir alle, meine Damen und Herren, wissen, daß wir dem Mißbrauch der Macht von Rohölproduzenten um so mehr begegnen werden, je ernsthafter und glaubwürdiger unsere Bemühungen um Substitution, Diversifizierung und Schaffung eines wirkungsvollen Krisenmechanismus sind.
Die Bundesregierung und die SPD-Fraktion nehmen die Verantwortung für die Sicherung der zukünftigen Energieversorgung ernst. Das Energiesicherungsgesetz, dem die SPD-Fraktion in dritter Lesung zustimmen wird, ist Teil dieser planmäßigen und zielstrebigen Energiepolitik.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Zeyer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wiederholt ist nach der plausiblen Erklärung für die von uns verlangte Befristung gefragt worden. Ich will versuchen, diese plausible Erklärung in wenigen Sätzen zu geben.
Mit der vorliegenden Materie behandeln wir ein ungewöhnliches Gesetz. So jedenfalls hat es der Herr Bundeswirtschaftsminister bei der Verabschiedung des ersten Energiesicherungsgesetzes am 9. November 1973 in diesem Hohen Hause formuliert. Das Ungewöhnliche liegt vor allem darin, daß der Gesetzgeber in sehr weitem Umfange der Bundesregierung bzw. dem Herrn Bundeswirtschaftsminister die Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen einräumt. Der Rahmen reicht so weit, daß dieses Gesetz zu einem Instrument für eine geplante Wirtschaftslenkung gemacht werden könnte, sollte von der Ermächtigung in unangemessener Weise Gebrauch gemacht werden.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat allerdings am 9. November 1973 von dieser Stelle aus versichert, daß die Bundesregierung das Gesetz nicht zur Erprobung oder zur Durchsetzung sachfremder Erwägungen mißbrauchen werde. Wir bestätigen dem Herrn Bundeswirtschaftsminister auch gerne, daß er von der ihm erteilten Ermächtigung zurückhaltend Gebrauch gemacht und statt dessen unter Verzicht auf dirigistische Maßnahmen in Kooperation mit der betroffenen Wirtschaft versucht hat, Versorgungsengpässe während der akuten Ölkrise zu überwinden.
Indessen konnte aber auch er der Versuchung eines solchen Gesetzes nicht ganz widerstehen. Mit Verordnung vom 19. November 1973 wurden zur Einsparung von Benzin ein Fahrverbot an Sonntagen und eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen und anderen Straßen angeordnet. Während die Bundesregierung bereits im Januar 1974 auf ein weiteres Fahrverbot an Sonntagen verzichtete, wurde die Geschwindigkeitsbeschränkung noch auf lange Wochen hinaus beibehalten, auch zu einem Zeitpunkt, als bei Autobenzin längst keine Versorgungsschwierigkeiten mehr bestanden.
Nach den Vorstellungen des damaligen Bundesverkehrsministers sollte auf diesem Wege eine generelle Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen eingeführt werden.
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Zeyer
Dem Bundeswirtschaftsminister als dem zuständigen Ressortminister kann der Vorwurf nicht erspart bleiben, dem Mißbrauch des Energiesicherungsgesetzes zur Durchführung sachfremder Erwägungen in diesem Falle nicht oder zumindest nicht entschieden genug entgegengetreten zu sein.
Herr Minister, ich darf eines hinzufügen. Ich habe Sie mit Schreiben vom 18. Februar 1974 auf diesen Mißbrauch hingewiesen. Ich muß allerdings noch heute auf die Antwort auf mein Schreiben — vom 18. Februar! — warten. Der damalige Bundesverkehrsminister ist gegangen. Die Versuchungen, die in dem weiten Ermächtigungsrahmen des Energiesicherungsgesetzes liegen, bestehen jedoch fort. Sie sind nicht kleiner, sondern größer geworden.
Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf soll die Bundesregierung bzw. der Bundeswirtschaftsminister nunmehr auch die Ermächtigung erhalten, durch Rechtsverordnung Vorschriften über Buchführungs-, Nachweis- und Meldepflichten hinsichtlich bestimmter Energieträger, über Mengen und Preise sowie über sonstige Marktverhältnisse bei diesen Gütern zu erlassen. Hier drängt sich mir zunächst die Parallele zu dem allerdings in unserem Prozeßrecht nicht zulässigen Ausforschungsbeweis auf. Zum anderen kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, daß die auf diesem Wege erlangten Daten für andere Ziele und Zwecke mißbräuchlich verwendet werden.
Mir scheint deshalb höchste Vorsicht am Platze zu sein.
Es kommt wohl auch nicht von ungefähr, daß sich in dem Bericht des mitberatenden Rechtsausschusses vom 4. Dezember dieses Jahres folgende beiden Sätze finden — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:
Der Rechtsausschuß hat die Rechtsfrage erörtert, ob das Gesetz im Hinblick auf die zahlreichen Ermächtigungen bis zum Ablauf des 31. Dezember 1977 befristet werden sollte. Er hat einen entsprechenden Antrag mit Mehrheit abgelehnt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten gerade die im Rechtsausschuß geäußerten Bedenken sehr ernst nehmen. Ich füge hinzu: Wir sollten der Bundesregierung in solch entscheidenden Fragen keine unbefristete Blankovollmacht erteilen.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat bei der Verabschiedung des noch geltenden Energiesicherungsgesetzes im vergangenen Jahr durch ihr Verhalten deutlich gemacht, daß sie bereit ist, der Bundesregierung für außergewöhnliche Situationen auch außergewöhnliche Instrumente an die Hand zu geben. Sie will aber eine mißbräuchliche Benutzung dieser Instrumente verhindern. Diesem Ziel dienten die von uns bereits in den Ausschüssen gestellten
Anträge, dieses Gesetz zu befristen. Die Frist sollte so bemessen sein, daß die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung bei Gefährdungen oder Störungen in der Energieversorgung in vollem Umfang gewährleistet ist, das Parlament sich aber nicht auf Dauer seines Rechts und seiner Pflicht begibt, die Sicherstellung der Energieversorgung durch gesetzgeberische Maßnahmen — statt durch Anordnungen der Exekutive — zu gewährleisten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir hatten für die zweite Beratung dieses Gesetzes einen Antrag eingebracht, der eine Befristung auf drei Jahre vorsah. Wir haben diesen Antrag zurückgezogen, nachdem es zu einer interfraktionellen Vereinbarung gekommen war. Wir stimmen der nunmehr vorgesehenen Befristung des Gesetzes auf die Dauer von fünf Jahren nach der interfraktionellen Vereinbarung zu.
Das Wort hat Herr Abgeordnete Christ.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die weltweit schwelende Krisensituation der Energieversorgung, in der nicht nur wir uns in diesem Lande befinden, kann kaum treffender umschrieben werden, als es der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten 1974 getan hat. Die Ölversorgungskrise des Winters 1973/ 1974 und die damit zusammenhängende Preisexplosion, die uns alle empfindlich getroffen hat und trifft, haben dem arbeitsteiligen System der Weltwirtschaft einen Schock versetzt, der die auf forciertes Wachstum orientierten Industriestaaten zum Umdenken zwingt.
Eines der folgerichtigen Ergebnisse dieses Umdenkens war das Energiesicherungsgesetz vom November 1973, dessen Fortgeltung wir heute beschließen wollen. Für Liberale ist es eine eigenartige Sitution, mit einem Gesetz konfrontiert zu sein, das in allen wesentlichen Punkten dem widerspricht, was wir unter normalen Umständen von einer parlamentarischen Demokratie und einer marktwirtschaftlichen Ordnung verlangen.
Das Energiesicherungsgesetz soll der Bundesregierung und auch dem Bundeswirtschaftsminister das erforderliche Instrumentarium an die Hand geben, um im Fall einer schweren Versorgungskrise — aber eben nur beschränkt auf diesen Fall — mit Hilfe von Rechtsverordnungen diejenigen Maßnahmen ergreifen zu können, die zur Sicherung des lebenswichtigen Bedarfs an Energie für unsere Volkswirtschaft erforderlich sind. Ohne Zweifel ist dies ein Ermächtigungsrahmen von einschneidender Natur, weil er eben die Marktverhältnisse sämtlicher Energieträger und Energien von der Produktion bis zur Verwendung erfaßt. Der Ermächtigungsrahmen beschränkt sich allerdings auf den Fall, daß die Versorgungskrise nicht durch marktgerechte Maßnahmen behoben werden kann.
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Christ
Trotz der verständlichen Bedenken — wir haben solche natürlich auch — wird meine Fraktion dem Energiesicherungsgesetz 1975 die Zustimmung geben, denn dazu — das muß ich Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, sagen — gibt es eben keine Alternative. Ich frage Sie: Wie stellen Sie sich im Notfall ein schnelles, ein schlagkräftiges Reagieren der Bundesregierung für diese Gesellschaft, für diese Wirtschaftsordnung vor?
— Es ist das Recht der Opposition, daß sie der Regierung dann, wenn es nicht ihre eigene Regierung ist, einen anderen Vertrauensgrad entgegenbringt. Wir haben das muß ich mit aller Deutlichkeit sagen — in einem solchen Notfall zu jeder Regierung, also nicht nur zu der amtierenden Regierung Vertrauen.
Die Teilnehmerstaaten am Übereinkommen für ein internationales Energieprogramm, das mit die Grundlage für das Energiesicherungsgesetz 1975 bildet, sind demokratisch und marktwirtschaftlich organisierte Länder. Sonst hätten wir, meine Damen und Herren von der Opposition, übrigens nicht ursprünglich die Absicht gehabt, einen Beschluß über ein unbefristetes Inkrafttreten zu fassen. Es ist nicht so, daß wir im Hinblick auf die Zeit nach 1976 pessimistisch wären. Hier muß ich mich sozusagen bei Ihnen bedanken; denn aus den Worten Ihres Redners klang für Sie ein Pessimismus und für uns ein Optimismus heraus.
Herr Abgeordneter Christ, Herr Abgeordneter Lenz bittet um die Genehmigung, eine Zwischenfrage zu stellen.
Sie haben eben gesagt, Sie hätten in jede Regierung Vertrauen. Gestatten Sie uns, daß wir gegenüber jeder Regierung eine gesunde Dosis Mißtrauen haben?
Herr Kollege, das war allerdings keine Frage.
Das kann ich Ihnen gerne konzedieren. Ich habe das ja ausdrücklich für die Opposition festgestellt.
Die Teilnehmerstaaten am Übereinkommen für ein internationales Energieprogramm, das mit die Grundlage für das Energiesicherungsgesetz 1975 bildet, sind demokratisch und marktwirtschaftlich organisierte Länder, die durch die Politik der OPEC-Staaten nicht nur energiepolitisch und auch nicht nur wirtschaftspolitisch, sondern vor allem in ihrer Fähigkeit, sich als selbständige und souveräne Staaten zu behaupten, herausgefordert sind. Diese Herausforderung, die in der ersten Welle als ökonomische Belastung auf uns zukommt, in den Folgen aber zu einer Bedrohung aller Lebensbereiche in unserer Industrie wird, geht von einer Ländergruppe aus, die längst noch nicht über so verflochtene und damit empfindliche Wirtschafts- und Sozialstrukturen verfügt, wie sie in den bedrohten Ländern gegeben sind.
Eine Vielzahl von ineinander verwobenen Abhängigkeiten sozialer, ökonomischer und politischer Gegebenheiten machen gerade die westlichen Industrieländer gegen Boykottmaßnahmen besonders anfällig. Die langfristige Sicherung der Rohstoffversorgung kann aber nicht durch die Verbesserung unserer Abwehrmaßnahmen in Krisenfällen erreicht werden. Vielmehr kann die langfristige Verbesserung der Rohstoffversorgung nur dadurch gewährleistet werden, daß die westlichen Industrieländer noch konsequenter als bisher auch den weniger entwickelten Länder die volle Teilnahme am weltwirtschaftlichen Fortschritt, am weltwirtschaftlichen arbeitsteiligen Prozeß ermöglichen.
In diesem Zusammenhang dürfen wir eine Tatsache nicht übersehen, nämlich daß sich inzwischen in der sogenannten Dritten Welt zwei Gruppen von unterentwickelten Staaten herausgebildet haben. Zur ersten Gruppe gehören die Staaten, die zwar schon das Geld, aber noch nicht den Fortschritt besitzen, den wir zu verzeichnen haben. Zur zweiten Gruppe gehören die Staaten, die weder das eine noch das andere haben. Das sind die Ärmsten der Armen. Sie werden vom Ölpreisschock zweifellos genau so empfindlich getroffen wie wir als Industrienationen.
Diese Überlegungen zeigen allerdings nur den Rahmen auf, in dem langfristig ein Energiesicherungsgesetz überflüssig gemacht werden kann. Auf Grund vielfacher Versäumnisse — ich will das, was hier an Vergangenheitsbewältigung geschehen ist, nicht wiederholen —, die wir alle kennen und deren Folgen uns gemeinsam noch viele Kopfschmerzen bereiten werden, sind wir doch heute in einer Situation, in der die präventive Vorbereitung einschneidender Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene einfach notwendig wird. Schon die Vorbereitung dieser Maßnahmen ist ein Beitrag dazu, daß die Notwendigkeit, sie jemals anzuwenden, hoffentlich geringer wird.
In diesem Zusammenhang muß ich auch die Frage einer möglichen Befristung des Gesetzes noch einmal kurz ansprechen. Hier muß man meines Erachtens mit aller Nüchternheit sehen, daß wir es eben nicht mit nur vorübergehenden Problemen zu tun haben, die schon in fünf Jahren oder in einer anderen, willkürlich genommenen Frist gelöst sein könnten. Wer weiß, daß die weltweit schwierige Versorgungslage mindestens ein Problem dieses Jahrhunderts sein wird, darf eigentlich nicht wollen, daß ein solches Instrumentarium wie das Energiesicherungsgesetz, eingebettet in die internationale Krisenordnung, nur zeitlich begrenzt erlassen wird.
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Christ
Wenn das, was wir auf nationaler und internationaler Ebene beschließen, als glaubwürdiges und letztlich abschreckendes Kriseninstrumentarium funktionieren soll, dann bedürfte es letztlich einer politischen Entscheidung ohne zeitliche Begrenzung. Meine Fraktion ist trotzdem bereit, dem Wunsch der Opposition entgegenzukommen, nicht weil uns Ihre Argumente überzeugt haben, sondern weil wir ohne Einspruch durchläuft, und weil wir wollen, len, daß dieses Gesetz den Bundesrat, dessen Mehrheitsverhältnisse wir genau einschätzen können, ohne Einspruch durchläuft, und weil wir wollen —, daß das Gesetz am 1. Januar 1975 in Kraft treten soll.
Die Fraktion der Freien Demokraten begrüßt ausdrücklich, daß es gelungen ist, bestehende internationale Meinungsunterschiede weitgehend zu überbrücken und ein Übereinkommen zu erzielen, das konsequentes und schlagkräftiges Verhalten im Falle einer neuen Notsituation möglich macht.
Es war deshalb der Wunsch meiner Fraktion, die Vorschriften des internationalen Energieprogramms schon jetzt, nämlich im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Energiesicherungsgesetzes 1975, in den nationalen Gesetzesrahmen einzufügen. Sicherlich wäre es wenig sinnvoll gewesen, mit dieser Einfügung bis zum Abschluß des Ratifizierungsverfahrens zu warten. Mit dem jetzigen Einbau in das Energiesicherungsgesetz dokumentiert die Bundesregierung, daß sie bereit ist, mit festem Willen Schwierigkeiten auf dem Energiesektor durch internationale Kooperation zu bewältigen. Zur rechtlichen Klarstellung hat der Ausschuß ausdrücklich festgestellt, daß der Krisenmechanismus des internationalen Energieprogramms erst dann Grundlage einer nationalen Ermächtigungsvorschrift sein kann, wenn dieses internationale Programm von der Bundesrepublik völkerrechtlich rechtswirksam ratifiziert worden ist.
Auch unter diesen Überlegungen stimmt meine Fraktion dem vorliegenden Gesetzentwurf zu.
Meine Damen und Herren, ich habe noch eine Wortmeldung. Das Wort hat Herr Abgeordneter Russe.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Herr Kollege Wolfram hat vorhin eine Feststellung getroffen. Um sie endgültig zu bescheiden, habe ich mich noch einmal zu Wort gemeldet. Ich möchte zu diesem Gesetz im Namen meiner Fraktion noch einmal folgende Erklärung abgeben.
Als wir vor einem Jahr das erste Energiesicherungsgesetz zu bescheiden hatten, durfte ich für meine Fraktion feststellen, daß dieses Gesetz kein Jahrhundertgesetz sei. Diese damals getroffene Feststellung wiederholen wir heute. Denn wir müssen uns bewußt bleiben, daß auch nach der Verabschiedung des fortgeschriebenen Energiesicherungsgesetzes am heutigen Tag einschneidende Beschränkungen der Rechte dieses Hohen Hauses und des
Bundesrates die Folge sein werden. Deshalb sollten wir uns miteinander erneut auffordern — wie vor einem Jahr —, das Denken über die hier zur Entscheidung stehende Sache mit der Verabschiedung des heutigen Energiesicherungsgesetzes zweiter Ordnung nicht einzustellen.
Wir alle wissen, daß wir ein solches Energiesicherungsgesetz leider noch brauchen. Wenn dies aber so ist, dann bleibt für uns dennoch die Pflicht, die Rechtskürzung für dieses Hohe Haus und den Bundesrat auf die absolut unvermeidbaren Fälle zu beschränken. Dies gilt sowohl für den Grundsatz als auch für die Dauer. Aus diesem Grunde hatten wir schon im federführenden Ausschuß erneut den Antrag auf Befristung gestellt. Drei Jahre oder auch fünf Jahre Geltungsdauer — das war unsere Auffassung — müßten doch genügen, um die möglichen Ursachen für die Anwendung dieses Gesetzes durch eine dynamische und erfolgreiche Energiepolitik ad absurdum zu führen.
Meine Damen und Herren, nur durch eine aktive und schlüssige Energiepolitik sichern wir letztlich, daß ein mit solch ordnungspolitischen Bedenken angefülltes Gesetz erstens entweder überhaupt nicht oder nur ausnahmsweise im Falle der ernsthaften Krise angewandt werden muß oder zweitens überhaupt nicht mehr durchgeführt zu werden braucht, weil eine solche Notlage, wie wir sie vor einem Jahr hatten, gar nicht mehr eintreten kann. Denn, meine Damen und Herren, kein Dirigismus heilt Ursachen.
Sie haben die Befristung zunächst abgelehnt. Was mußte man daraus schließen? Rechnen Sie mit einer neuen Krise? — Dann hätten wir handeln müssen. Rechnen Sie nicht mit einer neuen Krise, dann brauchten wir das Gesetz nicht zu verlängern. Oder glauben Sie, daß die Welt uns fürderhin mit Öl in Hülle und Fülle versorgen wird? Dann könnten wir ebenfalls auf eine Verabschiedung dieses Gesetzes verzichten.
Wenn aber beides nicht zutrifft — und dies ist der Fall , dann unterlagen Sie bis zur Verständigung am heutigen Tage offensichtlich dem Irrtum, daß man Verständnis, Übereinkommen, Kooperation in der Welt erringen kann, indem man dabei bleibt, dieses unpopuläre Gesetz durchzusetzen und weiterhin zur Verfügung zu haben, und dies — ich wiederhole es — unbefristet!
Nun steht die Einigung auf eine Befristung von fünf Jahren heute fest. Wir werden deshalb diesem Gesetz, wie Kollege Zeyer gesagt hat, in der Endabstimmung unsere Anerkennung nicht versagen. Diese Zustimmung in der technischen Frage der Vorsorge für den Notfall kann aber von Ihnen und auch von der deutschen Öffentlichkeit nicht so ausgelegt werden, als würden wir auch einverstanden sein mit all dem, was von Ihnen seit der letzten Krise zur Behebung der Ursachen getan oder auch unterlassen worden ist.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. Ich danke Ihnen. - Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmige Annahme! Damit, meine Damen und Herren, ist der Zusatzpunkt 1 erledigt.
Ich rufe nunmehr Punkt 16 auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Verteidigungsausschusses zu dem Jahresbericht 1973 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages
— Drucksachen 7/1765, 7/2726 —Berichterstatter: Abgeordneter Rommerskirchen
Ich frage zunächst den Herrn Berichterstatter, ob er eine Ergänzung des schriftlichen Berichts wünscht. — Das ist nicht der Fall. Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wenn ich richtig unterrichtet bin, hat das Wort der Herr Wehrbeauftragte erbeten. Ich erteile ihm das Wort nach § 116 c Abs. 1 der Geschäftsordnung.
Schultz, Wehrbeauftragter: Für die Beratung des Jahresberichts des Wehrbeauftragten für das Jahr 1973 im Verteidigungsausschuß hat sich als sehr hilfreich erwiesen, daß der Bundesminister der Verteidigung seine abweichende Auffassung in Gestalt einer Synopse dargestellt hat. Dafür möchte ich besonders danken.
In der Diskussion im Verteidigungsausschuß konnte natürlich nicht Übereinstimmung in allen Punkten herbeigeführt werden. These und Antithese stehen sich nach wie vor gegenüber. Es bleibt offen, ob die im Ausschußbericht ausgesprochene Empfehlung, die Bundesregierung möge die Anregungen des Wehrbeauftragten prüfen und — soweit möglich — ihnen Rechnung tragen, zu einer Entscheidung in der Sache führen wird. Hierfür nur einige Beispiele.
Unter dem Teilabschnitt meines Berichts „Fragen der Personalführung" habe ich oft die in den Teilstreitkräften seit langem widersprüchlich geregelten sportlichen Leistungsnachweise als Voraussetzung für Beförderungen, Übernahme als Berufssoldat u. ä. hingewiesen. Es gibt keine einheitlichen Bestimmungen für Marine, Luftwaffe und Heer. Mir scheint, daß die unterschiedliche Verfahrensweise mit der Chancengleichheit, die wir sonst so hochhalten, nicht zu vereinbaren ist.
Nun habe ich auch schon in früheren Jahren auf das Problem hingewiesen, nicht nur in diesem Jahresbericht, sondern auch in direktem Gedankenaustausch mit dem Bundesminister der Verteidigung. Die Prüfung ist mir immer zugesagt worden; sie dauert inzwischen allerdings schon über zwei Jahre.
Ein weiteres Beispiel: Um die Transparenz der Personalführung zu fördern, habe ich angeregt, der Soldat sollte Einsicht in die Prüfungsunterlagen nehmen
dürfen, die über ihn geführt werden, natürlich erst dann, wenn eine angemessene Frist nach der Prüfung vergangen ist. Der Bundesminister der Verteidigung vertritt demgegenüber die Ansicht, daß die Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit der Prüfer durch ein solches Verfahren beeinträchtigt werden könnte und daß auch der Entwicklung der Rechtsprechung auf diesem Gebiet nicht vorgegriffen werden sollte.
Ein weiterer strittiger Punkt liegt auf der gleichen Ebene, nämlich bei dem Beurteilungswesen. Der Werdegang eines Soldaten wird entscheidend durch Beurteilungen beeinflußt. Beförderung, Einweisung in höhere Planstellen, die Zulassung zu anderen Laufbahnen und die Übernahme in ein anderes Dienstverhältnis gründen sich in erster Linie auf die über den Soldaten gefällten Beurteilungswertungen, die mit Noten in der Schule zu vergleichen sind. Ich habe mich in diesem Zusammenhang dafür eingesetzt, daß über den Wortlaut der Nr. 75 der Beurteilungsbestimmungen vom März 1972 hinaus jede Stellungnahme eines höheren Vorgesetzten eröffnet werden sollte, selbst wenn der höhere Vorgesetzte lediglich zum Ausdruck bringt, daß er den Soldaten genauso für befähigt hält wie der beurteilende unmittelbare Vorgesetzte oder dieselben Mängel festgestellt hat. Es wird so sein, daß die gleiche Meinung mehrerer Vorgesetzter den Soldaten im Leistungswillen bestärken oder aber ihn anregen wird, seine Leistung zu verbessern. Auch ist es für den Soldaten interessant, zu wissen, ob der nächsthöhere Vorgesetzte zwar dem Urteil seines unmittelbaren Vorgesetzten zustimmt, dessen Maßstab aber als zu wohlwollend bemißt.
Der Bundesminister der Verteidigung war nun der Meinung, daß die von mir vorgeschlagene Verfahrensweise zu aufwendig und den Grundsätzen der inneren Führung hinreichend Rechnung getragen sei, wenn der Soldat, wie bisher, nur dann unterrichtet und gehört werde, wenn offensichtlich nachteilige Feststellungen über ihn getroffen würden.
Meine Damen und Herren, die Beispiele lassen sich vermehren, in denen durch den Wehrbeauftragten Empfehlungen gegeben und Vorschläge gemacht wurden, ohne daß im Verteidigungsausschuß eine Entscheidung über ihre Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit getroffen wurde. Meine Mitarbeiter und ich nehmen natürlich nicht für uns in Anspruch, daß wir den Stein der Weisen gefunden hätten. Wir mögen auch in Einzelfällen irren. Ich meine aber, daß der gemeinsamen Arbeit gedient und sie effektiv gemacht würde, wenn der Wille des Parlaments klarer zum Ausdruck käme und gerade dort, wo die Meinungen konträr sind, eine Entscheidung getroffen würde, die sich entweder die Auffassung des Wehrbeauftragten zu eigen macht oder sich der des Bundesministers der Verteidigung anschließt oder beide im Kompromiß zusammenführt. Dies hätte nämlich zweierlei Vorteile: Einmal könnte ich auf Fragen der Soldaten, die mir bei Truppenbesuchen und Eingaben gestellt werden, konkretere Antworten geben, zum anderen könnte ich darauf verzichten, gleiche Sachverhalte im nächsten Jahresbericht wieder anzusprechen.
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Wehrbeauftragter Schultz
In diesem Zusammenhang möchte ich an den Beschluß des Bundestages vom Juli 1969 erinnern, in dem die Bundesregierung aufgefordert wurde, die Grundsätze der inneren Führung so zusammenzufassen, daß sie lehr- und lernbar gemacht werden können. Diese Willensäußerung des Parlaments hat immerhin dazu geführt, daß im Jahre 1972 die Zentrale Dienstvorschrift „Hilfen für die innere Führung" herausgegeben wurde, die nun in ihrem Teil III noch ausgefüllt werden soll.
Ich habe in meinem Jahresbericht auch einige Fragen bezüglich der Zukunft der Schule für Innere Führung in Koblenz gestellt. Sie konnten bisher auch noch nicht geklärt werden. Die Fragen lauten etwa so: Wie lange soll die Phase des Übergangs, wie sie der Bundesminister der Verteidigung bezeichnet, noch anhalten? Wann wird die Schule ihrem Namen gerecht werden und zur Weiterentwicklung des Gedankenguts der inneren Führung beitragen können? Ich bedaure vor allem die Absetzung der Kompaniechefs-, Kommandeurs- und Generalstagungen; diese Lehrgänge und Tagungen waren wegen ihrer vervielfältigenden Wirkung als besonders wertvoll für die Vermittlung des Gedankenguts der inneren Führung anzusehen.
Es ist verschiedentlich sowohl in diesem Hohen Hause als auch außerhalb festgestellt worden, daß die Theoriediskussion über die Grundsätze der inneren Führung zu einem gewissen Abschluß gekommen ist. Jedoch ist ihre Anwendung in der täglichen Praxis Wandlungen und Fortentwicklungen unterworfen. Allein die Frage, wie weit die Entfaltungsmöglichkeiten eines Kompaniechefs oder eines Bataillonskommandeurs in Eigenverantwortlichkeit seiner Führungskunst heute noch gegeben sind, nachdem die Ausbildung verkürzt und in enge Schemata gepreßt werden mußte und die Personalbewegung und Personalführung durch Datenverarbeitung und Programmierung vorherbestimmt sind, wäre wert untersucht zu werden.
Ebenso wäre eine Aussage darüber von Interesse, in welchem Tempo Umorganisationen in der Ausbildung und Umstrukturierung von Streitkräften von den Menschen in den Streitkräften überhaupt verkraftet werden können. Mit anderen Worten: Wann ist die Grenze des Machbaren erreicht, die die Planung zwingt, die gesteckten Ziele weiter in die Zukunft zu verschieben? Natürlich kann man solche Untersuchungen auch außerhalb der Bundeswehr an Instituten und Forschungseinrichtungen der Universitäten anstellen. Die Nutzung der Schule für Innere Führung dazu hätte den Vorteil des direkten Bezugs zur untersuchten Sache. Ich gehe nämlich nach wie vor davon aus, daß die Leistungsfähigkeit des Menschen die Wirksamkeit von Waffensystemen bestimmt und daß Höchstforderungen an das physische und psychische Leistungsvermögen immer nur für eine begrenzte Zeit möglich sind.
Auch in dem zu Ende gehenden Jahr war die Zusammenarbeit sowohl mit dem Bundesminister der Verteidigung und seinen nachgeordneten Behörden als auch mit der Truppe in ihrer Gesamtheit als „im allgemeinen gut" zu bezeichnen. Auskünfte wurden erteilt, zeitliche Verzögerungen meist ausreichend
begründet, der Wehrbeauftragte und seine Mitarbeiter korrekt bis freundlich bei der Truppe aufgenommen.
Dennoch wurde in Einzelgesprächen mit jungen Führern in der Bundeswehr die Frage gestellt: Ist die Beibehaltung der Institution des Wehrbeauftragten heute, nachdem durch jahrelange Praxis die Grundsätze der inneren Führung und der Schutz der Grundrechte Allgemeingut geworden sind, noch zeitgemäß? Ich werde gefragt: Müssen Sie sich als Institution nicht auch in Frage stellen lassen? Der Grund für solche Fragen, die ich für völlig legitim halte, ist der alte: Warum werden wir in der Bundeswehr besonders kontrolliert? Warum gibt es nicht für andere öffentliche Einrichtungen, wo Macht ausgeübt wird, ähnliche Überwachungsfunktionen? Warum reichen die rechtsstaatliche Ordnung und das Petitionsrecht nach § 17 GG nicht aus?
Die Diskussion über solche Fragen wird nicht nur bei uns geführt. In der Schweiz liegt eine Interpellation vor, für die dortige Armee einen Wehrbeauftragten zu schaffen. In Australien ist eine entsprechende Gesetzgebung im Gange; der designierte Ombudsman war bei uns zu einem Informationsbesuch. Der Europarat hat sich in einer Ausschußsitzung mit der Frage befaßt, ob die Einsetzung eines europäischen Ombudsmans sinnvoll sei.
Dies muß man wissen, quasi als Vorbemerkung, wenn ich nun über einen anderen Punkt rede, der in der Fortführung anderer Jahresberichte auch 1973 angesprochen wurde. Ich hatte vorgeschlagen, die Zuständigkeit des Wehrbeauftragten in einer Novelle zum Gesetz über den Wehrbeauftragten neu zu formulieren und gleichzeitig abzugrenzen und auch sonst Schwächen und Überholtes im Gesetz auszugleichen und zu beseitigen. Der Verteidigungsausschuß hat diesen Vorschlag dankenswerterweise aufgegriffen und aus seiner Mitte heraus im Juni 1972 eine Unterkommission gebildet, die dann in unveränderter Zusammensetzung ihren Bericht am 21. Juni 1974 vorlegte. Er wurde vom Gesamtausschuß am 9. Oktober zur Kenntnis genommen und den Fraktionen des Hohen Hauses für ihre politische Arbeit übermittelt. Ich würde es natürlich sehr begrüßen und im Sinne der Sache für sehr förderlich halten, wenn von seiten der Fraktionen der Bericht nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch in politische Aktionen umgesetzt würde. Soweit noch keine Übereinstimmung mit meinen Gedanken, die sich an eine vierjährige Erfahrung in diesem Amt orientieren, erzielt worden ist, würde ich mich freuen, wenn ich den Fraktionen Rede und Antwort stehen dürfte. Dies betrifft nur zwei bis drei Punkte, die ich, um hier Zeit zu sparen, nicht im einzelnen darlegen möchte. Auch wäre dann die Zeit vorhanden, näher auf das einzugehen, was ich eben in meinen Vorbemerkungen zu dieser angestrebten Gesetzesnovelle gesagt habe. Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zum Schluß noch ein zur Zeit relevantes Problem ansprechen, das einerseits durch die Ankündigung des Bundesministers der Verteidigung, das Prüfverfahren für Kriegsdienstverweigerer auszusetzen, andererseits durch Überlegungen der Fraktionen des Hohen Hau-
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Wehrbeauftragter Schultz
ses, die in ähnliche Richtung gehen, ausgelöst worden ist! In der letzten Zeit haben Befehlsverweigerungen von Soldaten, die schon vor ihrer Einberufung Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt und noch keine Entscheidung bekommen haben und dann einberufen wurden, zugenommen. Sie bereiteten den Disziplinarvorgesetzten Schwierigkeiten. Diese sicher zu Recht verhängten disziplinaren und strafrechtlichen Maßnahmen können sich auf das spätere berufliche und zivile Weiterkommen der Soldaten negativ auswirken; denn sie sind unter Umständen vorbestraft. Die durch höchstrichterliche Rechtsprechung sanktionierten und im Bereich der Bundeswehr verhängten Maßnahmen werden zu propagandistischen Angriffen gegen die Institution Bundeswehr benutzt.
Sicher wird noch eine gewisse Zeit vergehen, bis angestrebte Änderungen im Gesetzgebungsverfahren ihren Niederschlag gefunden haben. Ich hielte es daher für wünschenswert, zu überprüfen, ob für diese Übergangszeit nicht der Erlaß des Generalinspekteurs vom Jahre 1966 in seiner Modifizierung vom Jahre 1968 wieder in Kraft gesetzt oder benutzt werden könnte. Dementsprechend wurde ein Antragsteller, der einberufen worden war, obwohl er einen Antrag laufen hatte, zum Dienst ohne Waffen herangezogen, bis der Prüfungsausschuß entschieden hatte. Fiel die Entscheidung negativ aus, hatte der Soldat jede Art von Dienst zu leisten. Nur in außergewöhnlichen Fällen waren Ausnahmen möglich.
Sicher läßt sich auch noch über andere Weisungen nachdenken, die an Behörden und Dienststellen gegeben werden könnten, die mit Erfassung, Musterung und Einberufung beschäftigt sind. Obwohl die Zahl der Antragsteller, die die Disziplinarvorgesetzten vor erhebliche Schwierigkeiten in der Menschenführung stellen, nach wie vor im Verhältnis zur Gesamtzahl der Antragsteller gering ist — die meisten versehen ihren Dienst korrekt und gewissenhaft —, sollte man die Belastung für den Einheitsführer nicht gering einschätzen und soweit wie möglich Abhilfe schaffen. Man sollte vielleicht auch versuchen, Menschen nicht in allzu große Gewissensnöte und Schwierigkeiten zu bringen.
Ich danke, daß Sie mir zugehört haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stahlberg.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten für das Jahr 1973 spricht eine Vielzahl von Problemen aus dem Bereich der Streitkräfte an. Der Bericht ist aus der Sicht der CDU/CSU insgesamt instruktiv und abgewogen. Wie der Wehrbeauftragte, so begrüßen wir es sehr, daß keine schwerwiegenden Grundrechtsverletzungen im Bericht erwähnt werden mußten und daß keine bekanntgeworden sind; und hoffentlich hat es solche tatsächlich in der Bundeswehr auch nicht gegeben. Wir stimmen der Feststellung des Wehrbeauftragten zu, daß die positive Darstellung der verfassungsmäßigen Ordnung und die entschiedene Bejahung der von der Verfassung auferlegten Pflichten in vielen Bereichen leider vernachlässigt werden, so daß die Fragen der Wehrbereitschaft und der Wehrpflicht im Schulunterricht und im Elternhaus häufig unzureichend und einseitig negativ dargestellt werden.
Das trifft bedauerlicherweise auch für Publikationen aller Art zu.
Erfreulich ist, daß im Bericht die verschiedensten Hilfeleistungen der Bundeswehr und ihrer Soldaten, die in der Bevölkerung positiv gewürdigt werden, dargestellt worden sind.
Weiterhin begrüßen wir die Forderung des Wehrbeauftragten nach Aufstellung eines Sozialplanes bei Verlegungen, Umgliederungen, Neuaufstellungen von Einheiten. Wie auch immer die künftige Wehrstruktur aussehen mag, wird es zur Auflösung von Einheiten und Dienststellen gegebenenfalls kommen. Auch dafür sollte es diesen vorgeschlagenen Sozialplan geben, damit größere Härten vermieden werden können.
Wir sind der Auffassung, daß die ausgewogene Darstellung zum Führungsverhalten von Vorgesetzten im Bericht notwendig war. Die genannten Beispiele können einen Beitrag dazu leisten, die disziplinäre Würdigung vergleichbarer Vorkommnisse künftig angemessen vorzunehmen.
Wir unterstützen die Auffassung des Herrn Wehrbeauftragten hinsichtlich sinnvoller Reservistenplanung. Andererseits wundern wir uns darüber, daß offensichtlich immer noch Reservisten zu Standorten einberufen werden, die Hunderte von Kilometern von ihrem Heimatort entfernt liegen. Eine solche Einberufung, so meinen wir, kann nicht sinnvoll sein. Außerdem muß man den Truppenvorgesetzten Hilfen an die Hand geben, mit denen das vom Wehrbeauftragten geschilderte disziplinlose Verhalten von Reservisten während der Übungen wirkungsvoll eingeschränkt werden kann.
Der Bericht des Wehrbeauftragten kritisiert truppenfremde Entscheidungen und Maßnahmen der oberen Führung. Diese Kritik kann auch unserer Meinung nach nicht ernst genug genommen werden. Wir gehen davon aus, daß das Bundesministerium der Verteidigung bei diesen und anderen Kriterien zu einer gründlichen und kritischen Analyse kommt.
In diesem Zusammenhang muß ohnehin betont werden, daß der Bericht des Wehrbeauftragten nur dann seinen entscheidenden Zweck erfüllt, wenn das Bundesministerium der Verteidigung bei der Auswertung des Berichts auch zu sichtbar gezogenen Konsequenzen kommt und wenn das verbessert wird, was verbessert werden kann. Dies sollte, wie es der Herr Wehrbeauftragte eben erwähnt hat, in einem angemessenen Zeitraum auch wirklich geschehen.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974 9163
Stahlberg
Wir alle sind sicher aufgefordert, die dazu notwendigen Schritte sorgfältig zu beobachten.
Die positive Einstellung zum Jahresbericht 1973 des Wehrbeauftragten soll nicht dadurch geschmälert werden, daß wir zu der Feststellung kommen, daß die Bewertung der Meinungsumfragen in dem Abschnitt „Streitkräfte und Bevölkerung" nach unserer Auffassung zu positiv ausgefallen ist. Wenn 44 % der Befragten den Gedanken an die Wehrpflicht ziemlich unsympathisch oder äußerst unsympathisch finden, wird kaum gefolgert werden dürfen, wie es in dem Bericht geschieht, daß eine recht große Zahl der Wehrpflichtigen dem Wehrdienst positiv gegenüberstehe. Wenn 38 % der Wehrpflichtigen den Dienst in der Bundeswehr als verlorene Zeit ansehen und 29 % die Wehrpflicht völlig ablehnen, dürfen wir uns nicht einfach mit dem Argument trösten, daß es sich um einen gesamtgesellschaftlichen Wandel handele und daß dies nur dem Abbau traditioneller Autoritätsstrukturen entspreche. Wir meinen, daß die wirklichen Ursachen gründlicher analysiert werden müssen.
Das wirft eigentlich logischerweise die Frage auf: Warum sind die Soldaten, die Wehrpflichtigen mit den in der Bundeswehr erlebten Realitäten unzufrieden? Könnte es nicht auch daran liegen, daß der Dienstablauf zu einseitig ist und vielleicht einfallsreicher gestaltet werden sollte? Gewiß wird dies zu weiteren Fragen Anlaß geben, wenn wir selbst darauf kommen, daß die Einheitsführer kaum noch Zeit und Möglichkeit haben werden, die von oben befohlenen Ausbildungsstoffpläne mit schöpferischer Initiative auszufüllen.
Wir hätten es für besser gehalten, wenn das skizzenhaft dargestellte Umfrageergebnis nicht einfach hingenommen worden wäre. Sicher ist der Wehrbeauftragte in dieser Sache nicht allein aufgefordert, sich nachdrücklich um Verbesserung der dargestellten Lage zu bemühen.
Die vom Wehrbeauftragten getroffene allgemeine Feststellung, daß sich die Disziplin in der Truppe verbessert habe, ist unserer Meinung nach unbefriedigend. Wir würden es nicht für besonders glücklich halten, wenn eine solche angebliche Entwicklung an Statistiken abgelesen würde. Zahlenwerte in einem so diffizilen Bereich können immer nur ein schiefes Bild abgeben. Gestatten Sie mir, daß ich ein kleines Beispiel wähle. Wenn die Zahl der eigenmächtigen Abwesenheiten von der Truppe nur solche Soldaten erfaßt, die länger als drei volle Kalendertage abwesend waren, ist daraus nur die Schlußfolgerung zu ziehen, daß die tatsächliche Zahl der unerlaubten Abwesenheiten viel höher ist. Wir hätten uns gewünscht, daß auch festgestellt worden wäre, ob nicht die Dienstaufsicht der Vorgesetzten nachgelassen hat oder ob nicht großzügiger, nachsichtiger mit Dienstpflichtverletzungen gegenüber den Untergebenen umgegangen worden ist.
Wir bitten den Wehrbeauftragten, das Kapitel Pflichtbewußtsein der Vorgesetzten in allen Führungsebenen im nächsten Jahresbericht einmal ausführlich zu schildern. Dazu gibt uns auch der Hinweis des Wehrbeauftragten Anlaß, daß die Handhabung des Erlasses „Haar- und Barttracht" von einem Teil der Einheitsführer und Kommandeure teils gleichgültig, teils großzügig angewendet oder ausgelegt wird.
Der Wehrbeauftragte kritisiert den geringen Stellenwert der politischen Bildung in der Truppe. In dem Bericht ist weiter zu lesen, daß dieses Bildungsangebot unverhältnismäßig weit hinter Taktik, Technik und Logistik eingestuft sei. Wir legen Wert darauf, festzustellen: Die Streitkräfte verdienen ihren Namen unserer Meinung nach nur dann, wenn in der Bundeswehr in erster Linie ausgebildet wird, um dann schließlich sinnvoll und oft kostspielig üben zu können. Erst dann kommt nach unserer Auffassung die politische Bildung. Unter der Voraussetzung, daß diese Rangfolge klar ist, kann man sich oder muß man sich über die Qualität der politischen Bildung in der Truppe unterhalten.
Wenn in diesem Zusammenhang die pädagogischen Fähigkeiten der Unterrichtenden kritisiert werden, dann sollte an die Stelle der Kritik der Vorschlag treten, wie man diese pädagogischen Fähigkeiten vermittelt. Wir hätten es auch begrüßt, wenn der Wehrbeauftragte Aussagen darüber gemacht hätte, wie er das Film-, Bild- und Tonmaterial der Bundeswehr beurteilt. Reicht das, was dort angeboten wird, aus, um das Unterrichtsziel zu erreichen, unsere Soldaten vom Wert unserer freiheitlichen Lebensordnung zu überzeugen? Dabei muß deutlich gemacht werden, wofür und wogegen Soldaten heute noch einzustehen haben. Wenn es so etwas nicht geben sollte, müssen solche Unterrichtsfilme in Auftrag gegeben werden. Die hervorragendsten Einfälle sind für diesen Bereich unserer Meinung nach gerade gut genug. Wir meinen, daß dies auch eine Aufgabenstellung für die Schule der Bundeswehr für innere Führung sei. Der Wehrbeauftragte hat zu Recht beklagt, daß die Zukunft der vorgenannten Schule leider immer noch unklar ist.
Gerade jetzt begrüßen wir die klare Feststellung des Wehrbeauftragten, daß Überlegungen zur Abschaffung des Prüfungsverfahrens für Kriegsdienstverweigerer erst dann befürwortet werden können, wenn die Funktionsfähigkeit und die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte durch Neuregelungen des Dienstpflichtrechtes nicht beeinträchtigt wird. Wir meinen, daß es nicht genügt, wenn — ebenfalls in dem betreffenden Abschnitt — gesagt wird, daß das Problem der ständigen Befehlsverweigerung eines Antragstellers im Dienst nicht mit der Wiederholung der vorläufigen Festnahme beantwortet werden darf. Hier kann der Hinweis auf eine entsprechende grundlegende Entscheidung des Ersten Wehrdienstsenates nicht genügen. Die Forderung, solche Beschlüsse den Disziplinarvorgesetzten unverzüglich bekanntzumachen, reicht auch nicht aus. So kann man dem Kompaniechef bei der Erfüllung seiner Dienstpflichten sicher nicht helfen. Das kann doch eigentlich nur dazu führen, daß die täglichen Befehlsverweigerungen übersehen werden. Wir meinen, wenn der Wehrbeauftragte ein solches Problem erkennt, sollte er auch einen Weg zur Lösung vorschlagen. Sicherlich ist dies in dem, was er hier soeben ausgeführt hat, schon teilweise enthalten.
9164 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 134. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Dezember 1974
Stahlberg
Natürlich erwarten wir insbesondere vom Bundesminister der Verteidigung, daß er den Disziplinarvorgesetzten gerade in diesem Bereich unmißverständliche Hilfen gibt.
Die wissenschaftsorientierte Ausbildung der Offiziere hat angefangen. Darauf ein Loblied zu singen, halten wir allerdings für verfrüht. Wir sind auch mit dem Vorschlag des Herrn Wehrbeauftragten einverstanden, daß, wie er sich ausdrückt, die nicht mehr so jungen Offiziere einen Einblick in die jetzt praktizierte wissenschaftsorientierte Ausbildung erhalten sollten. Es geht hier sicher nicht nur darum, dadurch den Unterschied zwischen dem alten und dem neuen Offizierstypus gering zu halten, sondern vielmehr darum, daß wir zwar eine Verbesserung des wissenschaftlichen Teils der Offiziersausbildung begrüßen, aber gleichzeitig vor Vorschußlorbeeren warnen. Nach unserer Meinung darf man Erwartungen und Hoffnungen noch nicht zu hoch schrauben; sonst könnte es allzu leicht zu Enttäuschungen kommen. Denn wir sollten alle wissen, daß die herkömmliche Offiziersausbildung vorzügliche Führer und Ausbilder hervorgebracht hat,
Offiziere, die national und international ihre Anerkennung gefunden haben. Dagegen muß sich die Qualität der künftigen Offiziere erst erweisen.
Der Wehrbeauftragte legt ausführlich dar, wie die Diskussion um Fragen der Mitbestimmung, Mitverantwortung und Kooperation von ihm gesehen wird. Als Ganzes betrachtet, begrüßen wir dies. Wir vermissen aber den Hinweis auf Versuche, das Amt des Vertrauensmannes zu anderen Zwecken zu mißbrauchen. Nach unserer Auffassung liegen hier eine Gefahr und ein Problem in der Truppe. Im Jahresbericht 1972 hat der Herr Wehrbeauftragte darauf hingewiesen.
In diesem Zusammenhang lobt der Wehrbeauftragte die Vertrauensmännerkonferenzen, die vor einigen Jahren stattgefunden haben. Wir können uns diesem Lob nicht anschließen. Wir sind vielmehr der Auffassung, daß Arbeitstagungen in kleinerem, bescheidenerem Umfang ergiebiger sein könnten. Hier ist unserer Meinung nach weniger auf Publikumswirksamkeit zu achten, als vielmehr von der Sachdienlichkeit auszugehen.
Wir hätten erwartet, daß sich der Wehrbeauftragte in seinem Bericht mit den Vorwürfen auseinandergesetzt hätte, die im Berichtsjahr mehrfach erhoben wurden, indem der Bundeswehr mangelnde Verfassungstreue unterstellt worden ist,
weil dies eine ungewöhnliche Publizität gefunden hat. Die Schwere der Vorwürfe hätte es unbedingt erforderlich gemacht, hier Stellung zu beziehen.
Schließlich stellt der Wehrbeauftragte fest, daß die Aktivitäten linksextremer Organisationen weiter anhalten und das Ziel haben, die Streitkräfte von innen zu zersetzen und zu verunsichern. Wir sind der Auffassung, daß eine sorgfältige Beobachtung, die der Wehrbeauftragte vorschlägt, der Truppe
nicht genügen kann. Wir erwarten, daß die Bundesregierung klare Richtlinien herausgibt, die aufzeigen, wo das Grundrecht der freien Meinungsäußerung nicht angetastet werden darf und wo erkennbar wird, daß dieses Grundrecht durch Verstöße gegen Pflichten im Soldatengesetz verwirkt ist.
Diese Stellungnahme macht deutlich, daß ich auch am Schluß meiner Ausführungen namens der CDU/ CSU-Fraktion das am Anfang Gesagte noch einmal unterstreiche: Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten für das Jahr 1973 ist insgesamt instruktiv und abgewogen. Wir danken deshalb dem Wehrbeauftragten und allen seinen Mitarbeitern, die ihm bei der Abfassung des Jahresberichts und in seinem Amt geholfen haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Buchstaller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man sich die Einleitungsbemerkungen des Herrn Wehrbeauftragten und die Rede, die jetzt der Kollege Stahlberg gehalten hat, ansieht, dann könnte man zu dem ersten sagen: Herr Wehrbeauftragter, nichts ist so gut, daß es nicht noch besser gemacht werden könnte, und bei Ihnen, Herr Stahlberg, würde die Devise zutreffen: Nichts ist so gut, daß es nicht von der Opposition schlecht gemacht werden könnte.
Die Arbeit und Leistung des Wehrbeauftragten und seiner Mitarbeiter ist nirgends bestritten. Sein Bericht ist eine objektive Beratungsgrundlage für die Verbesserung zum Wohle der Soldaten und zur Stärkung der Schlagkraft der Bundeswehr. Daß aus seinem Bericht die Politiker politische Wertungen und Schlußfolgerungen ziehen, liegt in der Natur der Sache, und das ist auch Aufgabe des Parlaments.
Ich möchte sagen, daß die SPD-Bundestagsfraktion Ihnen, Herr Wehrbeauftragter, und Ihren Mitarbeitern herzlich Dank sagt für die geleistete Arbeit.
—Ich darf sagen: für das ganze Parlament.
Ich möchte sagen, daß bei der Durchsicht und einem Vergleich der Jahresberichte der letzten Jahre auffällt, daß sich die Zahl der Eingaben jetzt eingependelt hat, nachdem sie in den ersten sechs Jahren um 64 % angestiegen war. Im letzten Jahr gab es sogar 1 000 Eingaben weniger als im vorletzten Jahr. Ich glaube, daß das auch etwas mit der Konsolidierung innerhalb der Bundeswehr zu tun hat.
Es ist auch interessant, daß sich diejenigen, die damals bei den Diskussionen zur Schaffung dieses Amtes dabei waren und bei der Gesetzgebung in
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Buchstaller
bezug auf dieses Amt mitgewirkt haben, nicht vorstellen konnten, daß die Eingaben aus den Streitkräften nicht unterschiedlich sein würden je nach den einzelnen Dienstgraden. Wir sind damals alle davon ausgegangen — auch diejenigen, die in anderen Aufgabenbereichen diskutiert haben —, daß der Haupteingang selbstverständlich aus den Mannschaftsdienstgraden und von den Wehrpflichtigen kommen werde. Tatsache ist aber, daß bei diesen Eingaben alle Dienstgrade und interessanterweise auch alle Teilstreitkräfte prozentual ausgewogen beteiligt sind. Luftwaffe, Marine und Heer haben zwar bei den Beschaffungsvorlagen außerordentlich unterschiedliche Auffassungen, sind aber bezüglich dessen, was die Truppe bedrückt, offensichtlich gleichermaßen betroffen.
Wir glauben, daß man bei der politischen Wertung, die ich für die SPD hier vortragen darf, die positiven Feststellungen des Herrn Wehrbeauftragten unterstreichen sollte, und zwar deshalb, weil damit auch eine Erfolgsbestätigung seiner Arbeit und der Arbeit seiner Mitarbeiter verbunden ist. Im Jahresbericht 1973 stehen bei den Eingaben vor allen Dingen Fragen der Inneren Führung, der Ausbildung, der Erziehung und der Dienstgestaltung im Vordergrund. Wir möchten es ebenso wie der Sprecher der Opposition sehr eindringlich begrüßen, daß schwere Grundrechtsverletzungen keinen Eingang in den Bericht finden mußten. Auch das spricht nicht nur für den Bericht, sondern auch für den Zustand der Truppe und für die bessere Handhabung der Menschenführung in der Truppe.
Ich bin zutiefst davon überzeugt: Wenn es die Einrichtungen des Wehrbeauftragten oder eine ähnliche Einrichtung in anderen gesellschaftlichen Großorganisationen gäbe, wären die Klagen nicht weniger eindeutig und zahlenmäßig nicht geringer.
In der Gesellschaft zeigt sich, wie eine Statistik aussagt — wenn wir schon statistische Zahlen strapazieren wollen —, daß 44 0/o der Arbeiter und Angestellten über den Ton verärgert sind, in dem ihr Chef mit ihnen redet. Warum sollte das in der Bundeswehr viel anders sein als in anderen gesellschaftlichen Bereichen?
Im Jahresbericht 1973 des Wehrbeauftragten stehen hauptsächlich vier Punkte im Vordergrund: die politische Bildung, die Neuordnung der Ausbildung und Bildung, die Fürsorge sowie die Betreuung. Ich glaube, daß trotz der vielen angeführten Einzelbeispiele in bezug auf die Darstellung des Gesamtzustands von einer erfreulichen Entwicklung der letzten Jahre gesprochen werden kann.
Die Erörterung der Reformmaßnahmen der Aus-, Fort- und Weiterbildung der Unteroffiziere und Offiziere ist zu begrüßen. Der Wehrbeauftragte hebt dabei besonders die vom Bundesminister der Verteidigung am 1. Oktober 1973 vorlegte Konzeption zur Neuordnung von Ausbildung und Bildung für den Unteroffizier hervor und erkennt an, daß damit die Unteroffiziersausbildung sowohl dem Wandel des zivilen Bildungssystems als auch den steigenden Anforderungen des militärischen Auftrags entspricht. Um dieser Konzeption noch größeren Nachdruck zu verleihen, würde ich die Bitte des Wehrbeauftragten an das Ministerium ausdrücklich unterstreichen, daß diese Möglichkeiten der Bundeswehr, die Ausbildungsmaßnahmen der Bundeswehr noch transparenter gemacht würden und daß die jungen Menschen noch mehr Einsicht in die Möglichkeiten bekommen, die für den jungen Menschen in der Bundeswehr bestehen.
Herr Stahlberg, natürlich sollte man, vor allen Dingen, wenn man in der Opposition ist, die Regierung nicht mit Vorschußlorbeeren überschütten; aber ich denke nur an das Drama, bis überhaupt der Durchbruch zu den Bundeswehrhochschulen gelang, angefangen von den ersten Widerständen bis weit in die Führungsposition der Truppe, von Ihnen ganz zu schweigen.
— Natürlich ist es sehr konstruktiv gewesen, daß Sie ein paar Monate später in die Notwendigkeit einer akademischen Ausbildung auch des Offizierskorps eingeschwenkt sind.
— Herr Rommerskirchen, immer, wenn man bereit ist, so einsichtig zu sein, anzuerkennen, daß das, was der andere vorhatte, ob nun Regierung oder Opposition, das Bessere ist, und man sich dann auch dazu bekennt, ist das konstruktiv. Insofern, meine ich, war die Haltung der Opposition konstruktiv, weil sie die Einsicht, wenn auch später, aufgebracht hat.
Wir sind jedenfalls der Meinung — da werden mir meine Kollegen des Verteidigungsausschusses recht geben —, daß man das natürlich noch nicht werten kann; natürlich müssen wir abwarten. Aber eine so weitreichende Neuerung mit so weitgehenden neuen Aufgabenstellungen, wie dies bei den Bundeswehrhochschulen der Fall ist, braucht natürlich ihre Anlaufzeit und hat auch ihre Anlaufschwierigkeiten.
Der Herr Wehrbeauftragte ging auf die Frage der Mitbeteiligung ein. Sehen Sie, Herr Wehrbeauftragter, so unterschiedlich ist also die politische Wertung auch in diesem Parlament. Wir meinen jedenfalls, daß Sie zwar über die Vorstellungen, die zur Zeit Grundlage im Verteidigungsausschuß sind, und über die Vorschläge der Regierung hinausgegangen sind; wir meinen aber deshalb noch lange nicht, daß diese Ihre Vorstellungen zur Mitbeteiligung nicht diskutabel wären. Vielmehr wollen wir sie mit in die Diskussion zu diesem Themenkreis einbezogen haben. Denn auch wenn wir, Herr Staatssekretär, demnächst ein Gesetz verabschieden werden, gehen wir ja nicht davon aus, daß wir es für die nächsten zwanzig Jahre verabschieden, sondern davon, daß es später auch noch einmal besser gemacht werden kann.
In diesem nicht mehr ganz gefüllten Plenarsaal auf eine Bemerkung zurückzukommen, die Sie, Herr
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Buchstaller
Stahlberg, gemacht haben, ist etwas schwierig, weil Sie nämlich von Wehrmüdigkeit gesprochen haben und ja auch hier keine außerordentlich große Lebendigkeit aufgezeigt werden kann. Aber was wollen Sie damit eigentlich? Tatsache ist doch, daß der Wehrdienst und die Wehrpflichtzeit für den jungen Menschen einen ungeheuren Einschnitt darstellen. Das hat doch mit seiner Einstellung zur Bereitschaft und zur Notwendigkeit der Verteidigung dieses Landes nichts zu tun.
Er muß von zu Hause weg, er muß von seiner Freundin weg, er muß heraus aus liebgewordenen Umgebungen, er muß schwer arbeiten, vielleicht schwerer, als das vor seinem Eintritt der Fall war, er muß tausenderlei Unbilden in Kauf nehmen, er muß 150, 200 km vom Heimatort entfernt seine Arbeit leisten. Und dann soll er auch noch, wenn er befragt wird, auf die sehr klugen Fragen der Meinungsumfrager antworten: Jawohl, natürlich bin ich hundertprozentig dafür, daß ich eingezogen werde. Das ist doch kein Maßstab, von dem man ableiten könnte, daß Wehrmüdigkeit oder nicht genügend Wehrmotivation bestehe.
Ich möchte feststellen, meine sehr verehrten Kollegen von der Opposition: Noch nie war die Personalsituation in der Bundeswehr, bei den Streitkräften, so gut wie jetzt.
Noch nie war die Einsatzkraft auf Grund der geleisteten Ausbildung so stark wie zur Zeit.
Jetzt dauernd herumzumäkeln, hat doch keinen Sinn. Sollen die Wehrpflichtigen vielleicht jeden Tag hurra rufen und fragen: Wann kommen wir endlich dran? — Nein, sie werden ihren Dienst auch dann leisten, wenn sie ungern zur Bundeswehr gehen und schon darauf warten, daß sie bald wieder herauskommen. Sie werden ihren Dienst trotzdem, so meine ich, in hervorragender Weise ableisten.
Herr Abgeordneter, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rommerskirchen gestatten?
Jawohl, Herr Präsident!
Herr Kollege Buchstaller, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß der Kollege Stahlberg, ausgehend von den statistischen Angaben im Jahresbericht, nur dazu aufgefordert hat, den wirklichen Ursachen, die dem zugrunde liegen, etwas intensiver nachzugehen und das ganze sorgfältig zu analysieren. An keiner Stelle seiner Ausführungen fand ich die Feststellung von Wehrmüdigkeit oder eine entsprechende Klage darüber.
Herr Rommerskirchen, das nehme ich gerne zur Kenntnis. Sie kennen die Beurteilung, bei der der eine sagt: dieses Glas ist nur noch halb voll, und der andere sagt: es ist schon
wieder halb leer. Das heißt, die 44 % kann man so und so auswerten. Wir jedenfalls meinen, daß es angesichts der Stimmungslage, der Propaganda, die in diesem Land betrieben wird, eine positive Einstellung ist, wenn mehr als die Hälfte der Wehrpflichtigen auch unter Berücksichtigung persönlicher Opfer klar und deutlich ja zur Notwendigkeit der Ableistung ihrer Wehrpflicht sagen.
Ich komme jetzt zu einigen Punkten, Herr Wehrbeauftragter — wir sind gehalten, uns kurz zu fassen —, die Sie als noch offen gegenüber dem Ministerium bezeichnet haben. Ich muß sagen: einige Fragen scheinen auch mir noch nicht genügend beantwortet zu sein. Es kann noch kommen. Der Herr Wehrbeauftragte bemerkte, daß Sportkriterien und andere Kriterien für alle Teilstreitkräfte gleich sein müßten. Das müßte allmählich zu einer Selbstverständlichkeit werden. Genauso selbstverständlich müßte es werden, daß man bestimmte Vorgänge nicht zwei Jahre und länger untersucht. Trotzdem habe ich, Herr Wehrbeauftragter — nehmen- Sie es mir nicht übel, wenn ich das so offen sage —, bei einem Vergleich des Schriftwechsels, der Synopsen und Gegensynopsen oder anderer Darstellungen manchmal den Eindruck, daß es sich dabei weniger um eine Auseinandersetzung zwischen dem Wehrbeauftragten und dem Verteidigungsminister als um eine Auseinandersetzung zwischen Bürokraten handelt. Das heißt: hier setzt sich die Bürokratie der Hardthöhe mit der Bürokratie des Amts des Wehrbeauftragten auseinander.
Dabei geht es dann um die Rechtsauslegung von einigen Paragraphen. In Wirklichkeit müßte es einfach darum gehen, politische Entscheidungshilfen zu finden.
Sie haben, Herr Wehrbeauftragter, die sehr schwierige Frage einer Neuformulierung des Prüfungsverfahrens für Wehrdienstverweigerer angesprochen. Wir werden bald, so hoffe ich, in diesem Parlament Gelegenheit zu einer sachlichen Diskussion über das von Ihnen aufgeworfene Problem bekommen. Dann werden wir die Möglichkeit haben, alle Ihre Vorschläge mit in diese Diskussion einzubeziehen.
Lassen Sie mich zum Schluß noch folgendes sagen. Selbstverständlich muß ein Hilfsorgan des Parlaments davon ausgehen, daß es genauso wie das Parlament selbst in einem Spannungsverhältnis zur Exekutive lebt. Der Spannungsbogen ist, glaube ich, dadurch verkürzt und entspannt worden, daß mit der Synopse, mit den Gegendarstellungen eine sachliche Diskussionsposition geschaffen wurde, um Meinungsverschiedenheiten auszugleichen oder auch aus diesen Meinungsverschiedenheiten notwendige Entscheidungen abzuleiten. Sie haben ja auch im Verteidigungsausschuß genauso wie das Ministerium — nicht in allen Punkten volle Übereinstimmung finden können. Sie haben die leidvolle Geschichte der Kommission, die mit den Kompetenzen des Wehrbeauftragten befaßt war, angesprochen. Sie wissen, hier geht es darum, Verfahrensfragen und auch Grundsatzfragen zu überdenken.
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Ich will jetzt dem roten Licht Rechnung tragen und versuchen, einen Schlußsatz anzufügen. Herr Wehrbeauftragter, wir sind der Meinung: Der Auftrag des Wehrbeauftragten ist es in erster Linie, um das Wohl der Soldaten bemüht zu sein und den Notwendigkeiten der Bundeswehr zu dienen, Das haben Sie in ausgezeichneter Form getan. Dafür herzlichen Dank!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graaff.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In einem Interview, das der Herr Wehrbeauftragte im Frühjahr dieses Jahres gegeben hat, stellte er fest, daß er in seiner Arbeit bisher nicht enttäuscht worden sei. Er machte dabei aber auch — sicherlich zu Recht — Einschränkungen. Auf die Frage, ob sich das Parlament bei der Beurteilung seines Jahresberichtes nicht eher allzu lässig gegeben habe, sagte er — ich zitiere —:
Wenn Sie mich zu Anfang gefragt haben, ob mir die Arbeit das gebracht habe, was ich erhofft hatte, muß ich sagen: Ich bin in diesem Bereich enttäuscht worden. Ohne Zweifel könnte der Wehrbeauftragte dem Deutschen Bundestag mehr Hilfestellung leisten, als dieser bereit ist anzunehmen.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang möchte ich feststellen, daß der Wehrbeauftragte das Hilfsorgan des Bundestages ist. Wir müssen uns fragen, ob wir als Abgeordnete von der Möglichkeit, mit der wir eine parlamentarische Kontrolle ausüben können und wollen, stets den optimalen Gebrauch gemacht haben.
In dem gleichen Interview hat der Wehrbeauftragte beanstandet, daß die Debatten über die Jahresberichte im Verteidigungsausschuß meist zu spät stattfänden. In diesem Jahr ist es zwar auch wieder Dezember geworden, bis der Bericht vom Plenum verabschiedet wird. Diesmal ist aber, so möchte ich meinen, die Zeit im Verteidigungsausschuß intensiv genutzt worden. Ich hoffe, daß auch der Wehrbeauftragte das Gefühl hat, daß dieser Jahresbericht im Verteidigungsausschuß sorgfältig beraten worden ist und der Verteidigungsausschuß ausführlich über diesen Bericht diskutiert hat. Der Bundesminister der Verteidigung hat in einer synoptischen Darstellung, in einem wahren Wunderwerk deutscher Bürokunst auf immerhin mehr als 100 Seiten bereits im September dieses Jahres dazu Stellung genommen. Dabei ist nahezu jeder Absatz des Berichtes einer kritischen Würdigung unterzogen worden. Das hat dann auch dem Wehrbeauftragten die Möglichkeit gegeben, strittige Punkte dieser Darstellung nochmals anzusprechen. Er hat dies ausführlich in der Sitzung des Verteidigungsausschusses am 9. Oktober getan. Die schriftliche Fixierung dieser Debatte
im Verteidigungsausschuß liegt als Ausschußdrucksache inzwischen vor.
Wenn der Bericht des Wehrbeauftragten und damit seine gesamte Tätigkeit in der Öffentlichkeit auch nur eine geringe Aufmerksamkeit findet — ich will wegen der späten Stunde damit nicht gleichzeitig auch die Aufmerksamkeit in diesem Hause monieren —, so möchte ich aus dieser Tatsache letzten Endes doch einen positiven Schluß ziehen. Eine Institution, die gute Arbeit leistet, unerläßlich ist und sich eingespielt hat, verursacht keine Reibungen und löst keine spektakulären Ereignisse aus. Sie wird also, weil sie als selbstverständlich angesehen wird und ihre Funktion anerkannt ist, wenig beachtet werden. In dieser Rolle sehe ich die Institution des Wehrbeauftragten dieses Hohen Hauses.
Im vorigen Bericht, den wir vor einem Jahr behandelt haben, spielte noch die Frage eine Rolle, ob der Wehrbeauftragte auf die Darlegung von problematischen Sachverhalten und Einzelfällen verzichten sollte, die offensichtlich auf Kommunikationsschwierigkeiten des Wehrbeauftragten mit dem Bundesministerium der Verteidigung beruhten und die zum Zeitpunkt der Abfassung des Jahresberichts bereits geklärt waren, oder ob der Wehrbeauftragte als Hilfsorgan des Deutschen Bundestages seine Pflicht darin zu sehen hätte, das Parlament über Meinungsverschiedenheiten zu unterrichten und damit Entwicklungen, Tendenzen und Erfahrungen im Bereich der Streitkräfte aufzuzeigen. Diese Frage ist inzwischen glücklicherweise geklärt und daher heute ohne Belang.
Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten ist längst zu einem wichtigen Baustein in der Beurteilung des Gesamtbildes der Streitkräfte geworden. Das hat mein Kollege Krall bereits im vorigen Jahr festgestellt, als er den Bericht als einen wichtigen Anhaltspunkt für die Beurteilung des inneren Gefüges der Streitkräfte im Spannungsfeld von Militär und Gesellschaft bezeichnet hatte.
Ich möchte noch einmal auf den immerwährenden Streit zwischen Legislative und Exekutive zurückkommen, der sich um die Frage dreht: Wie weit soll die Legislative die Exekutive kontrollieren? Nach Ansicht der Exekutive hat die Legislative die Gesetze lediglich zu machen, die Durchführung liege bei der Exekutive. Wenn das Parlament versucht, die Durchführung der Gesetze zu überwachen, ist die Exekutive — und wie könnte das anders sein — selten damit einverstanden. Ähnlich verhält es sich beim Wehrbeauftragten, der zwar im Rahmen seiner Befugnisse alles kontrollieren darf und auch Empfehlungen gibt; aber der Wehrbeauftragte will und kann nicht zweiter Verteidigungsminister sein.
Lassen Sie mich jetzt noch auf einige Punkte des Berichts selbst eingehen. Einen Lichtblick sehe ich darin, daß festgestellt worden ist, die Disziplin in den Streitkräften habe sich offensichtlich gebessert. Zwar heißt es im Bericht des Wehrbeauftragten, daß sich Disziplin und Ordnung lediglich auf einem dem Vorjahr vergleichbaren Niveau stabilisiert haben, wogegen der Bundesminister der Verteidigung in seiner Stellungnahme bereits von einer Besserung spricht. Wie dem auch sei, es bleibt zu hoffen, daß
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Graaff
die verschiedenen Entwicklungen der letzten Zeit
zu einer dauerhaften Besserung der Disziplin führen.
Als eine der wesentlichen Ursachen für Disziplinlosigkeit wird im Bericht der Alkoholmißbrauch bezeichnet. Dazu hatte mein Kollege Krall schon bei der Vorlage des Jahresberichts im März 1974 festgestellt, daß der Alkohol nicht wieder — wie er sich auszudrücken pflegte — „der Kitt der Armee" werden dürfe, wie ein viel zitiertes Wort über die Wehrmacht und auch wohl über die Reichswehr gelautet hatte. Es bleibt abzuwarten, wie die inzwischen getroffenen Maßnahmen — dabei insbesondere auch die Information für Kommandeure— sich auswirken werden. Wir werden diese Entwicklung sorgfältig beobachten müssen.
Einen weiteren Grund für Disziplinschwierigkeiten sehen wir in der noch immer unzureichenden Ausbildung derjenigen Vorgesetzten, die den engsten Kontakt zum Wehrpflichtigen haben, nämlich der Unteroffiziere. Es ist anerkennenswert, daß die Ausbildung zum Offizier und die Weiterbildung der Offiziere wie auch die Weiterbildung der Unteroffiziere mit so großem Nachdruck in der Neuordnung der Ausbildung vorangetrieben werden. Eine Lücke besteht aber bei der Ausbildung z u m Unteroffizier. Es hat den Anschein, daß der Bundesminister der Verteidigung dies sehr wohl erkannt hat. Wir warten mit gespannter Aufmerksamkeit auf das, was auf diesem Gebiet geändert wird, weil wir darin eine Grundvoraussetzung für die Verbesserung der Disziplin in der Truppe sehen.
Es ist richtig, daß der Wehrbeauftragte Fragen der Kriegsdienstverweigerung entsprechende Aufmerksamkeit widmet. Das Thema beschäftigt uns alle, und eine Lösung muß und wird gefunden werden. Wenn dabei auch die Frage gestellt wird: Inwieweit sind die jungen Deutschen eigentlich bereit, die Bundeswehr als unverzichtbares Mittel unserer Außenpolitik zu betrachten, dann sind wir es alle in diesem Hohen Hause, die eine Antwort darauf geben müssen.
Ich möchte mit meinem Dank und dem meiner Fraktion an den Herrn Wehrbeauftragten für seinen Bericht schließen, aber auch für seinen unermüdlichen Einsatz. Der Dank gilt in gleicher Weise seinen Mitarbeitern.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium. Herr Staatssekretär, ich nehme an, Sie nutzen Ihre Chance zu dieser späten Stunde.
Herr Präsident, ich weiß genau, was Sie unter der Chance verstehen. Sie haben mich ja eben sehr höflich behandelt; in einem privaten Gespräch haben Sie mir aber etwas ganz anderes angedroht, falls ich die Redezeit über Gebühr ausdehnen würde. Ich will versuchen, mich im Rahmen zu halten.
Herr Kollege Buchstaller hat hier gesagt, wie sehr er es begrüßt, wenn der Wehrbeauftragte darauf hinweist, daß man die Möglichkeiten, die in der Bundeswehr für junge Männer gegeben sind, transparenter macht. Nun, wir bemühen uns darum. Ich glaube, es ist auch schon ganz erfolgreich gewesen; die Zahlen der Verpflichtungen, die ich hier in der Fragestunde nennen durfte, deuten darauf hin.
Herr Graaff war so freundlich, darauf hinzuweisen, daß wir „bürokratische Künstler" sind. Ich muß selbst darüber nachdenken, ob es zweckmäßig ist, mit 100 Seiten zu versuchen, recht zu behalten. Denn in der Auseinandersetzung mit dem Parlament und mit dem Wehrbauftragten des Parlaments wird es für das Bundesministerium der Verteidigung nicht darauf ankommen, recht zu behalten, sondern es wird für alle drei Seiten — für den Wehrbeauftragten, für das Ministerium, aber auch insbesondere für das Parlament — darauf ankommen, den richtigen Weg zu finden,
und das in einem gemeinsamen Bemühen. Ich bedanke mich für den Hinweis, Herr Graaff; Sie haben es sehr charmant und humorvoll gemacht, und ich nehme es überhaupt nicht tragisch. Aber wir wollen uns bessern. Wir werden das nächste Mal nur 99 Seiten vorlegen.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wehner?
Herr Parl. Staatssekretär, sind Sie sich der Ironie des Herrn Kollegen Graaff voll bewußt? Er hat ja vergessen, bei den verschiedenen Bürokratien die Fraktionsbürokratien aufzuzählen.
Herr Abgeordneter Wehner, darüber steht mir kein Urteil zu; aber ich gehe davon aus, daß in Deutschland die Grafen immer etwas Besonderes gesagt haben.
Deshalb habe ich meinem Kollegen Graaff so aufmerksam zugehört.
Sie haben aber noch etwas gesagt, Herr Graaff, was mich sehr nachdenklich gestimmt hat. Sie haben die Frage aufgeworfen, ob das Parlament immer optimalen Gebrauch von den Ratschlägen des Wehrbeauftragten gemacht hat. Ich finde, wenn man Gebrauch macht, so reicht das aus. Es muß nicht immer alles optimal sein. Mir wird angst und bange bei der Vorstellung, daß, wenn alles optimal gelöst würde, der Staat so vollständig wäre, daß man in ihm vielleicht nicht mehr leben möchte. Ich will Ihnen nur die Gewißheit geben: Wir haben von den Ratschlägen des Wehrbeauftragten Gebrauch gemacht.
Jetzt könnte ich Einzelfälle aufzählen, die der Wehrbeauftragte in seinem Bericht genannt hat:
Er hat davon gesprochen, wie es in einem besonderen Fall bei einem selbstmordgefährdeten Sol-
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Parl. Staatssekretär Berkhan
daten zugegangen ist. Ich will Sie hier nicht langweilen und das nicht noch einmal aufzählen. Aber, Herr Wehrbeauftragter, wie ernst wir so etwas nehmen, mögen Sie daraus ersehen, daß in einem G-1-Hinweis an die Truppe besonders darauf eingegangen wurde, daß die Inspektion für das Sanitätswesen darauf eingegangen ist, daß wir versucht haben, Kameraden, Ärzte, Vorgesetzte darauf hinzuweisen, daß sie die Pflicht haben, einen gefährdeten jungen Mann in ihre Obhut zu nehmen. Vielleicht war Ihre Bewertung etwas anders als die unsrige. Sie gingen davon aus, daß es in diesem Fall nicht korrekt war, ungeschulte Kameraden gewissermaßen dafür einzusetzen, ihre Pflicht wahrzunehmen. Sie hielten das für eine Überforderung. Ich glaube nicht, daß das ganz richtig gesehen ist; aber ich will in dieser späten Stunde mit Ihnen darüber nicht rechten. Es wird darauf ankommen, daß jeder von uns einen Gefährdeten in seine Obhut nimmt. Das gilt auch für die Soldaten.
Lassen Sie mich auch noch auf etwas anderes eingehen. Sie wollten gleiche Sachverhalte gleich behandelt wissen und kamen dabei zu dem Beispiel sportlicher Prüfungen. Ich glaube, daß eine Bundeswehr mit fast 500 000 Soldaten, die so viele Spezialisten braucht, nicht überall absolut gleiche Maßstäbe anlegen kann. Jemand, der ein guter Tastfunker sein soll, und das als Hauptfunktion auszuüben hat, ist vielleicht ein besserer Tastfunker, wenn er auch noch Schwimmer ist. Aber wenn wir keinen Schwimmer finden, werden wir uns mit einem Nichtschwimmer als gutem Tastfunker zufriedengeben. Wir werden ihn nicht in seiner Laufbahn hindern und sagen, weil er Unteroffizier werden wolle, müsse er unbedingt auch noch Schwimmer werden. Ich meine, daß absolut gleiche Maßstäbe unsere Welt verbiegen und unter Umständen eine solche Uniformität des Typs hervorrufen könnten, daß wir in ihr nicht mehr leben wollten.
— Das ist natürlich zu beklagen, nicht daß er Hauptfeldwebel geworden ist, aber daß ein Nichtschwimmer hier im Parlament sitzt und so durch die Debatten schwimmt, halte ich allerdings für ein ganz gefährliches Unterfangen.
Ich kann dem Kollegen Stahlberg nur empfehlen, alsbald Schwimmer zu werden. Ich bin gerne bereit, Herr Kollege Stahlberg — ich habe die Schwimmlehrerprüfung —, Ihnen einen Sonderkurs zu ganz billigen Preisen anzubieten, nämlich zum Nulltarif.
— Reizen Sie mich nicht; der Präsident entzieht mir sonst das Wort, und das würde einen ganz schlechten Eindruck machen.
Herr Wehrbeauftragter, Sie haben eine Frage aufgeworfen, die ich sehr ernst nehme. Sie haben sich
die Frage stellen lassen und haben Sie hier wiederderholt, ob sich die Institution des Wehrbeauftragten in Frage stellen lassen müsse. Ich bin für Ihre Antwort dankbar gewesen, denn ich bin zutiefst davon überzeugt, daß das besondere Gewaltverhältnis, unter das wir den wehrpflichtigen Soldaten durch Gesetz stellen, uns auch verpflichtet, dieses besondere Gewaltverhältnis so einzugrenzen, daß Mißbrauch nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen ist
oder daß man dort, wo ein Mißbrauch dieses besonderen Gewaltverhältnisses eintritt, diesem mit gebührenden Maßnahmen begegnet.
Ich meine, der Wehrbeauftragte hat es verdient
— ich gehe davon aus, daß das Ihr letzter Bericht ist, Herr Wehrbeauftragter — —
— Ich habe mir zufällig ZDF-Nachrichten schildern lassen und bin irgendwie ein bißchen peinlich davon berührt. Ich muß davon ausgehen, daß das erste Andeutungen sind, daß Sie in ein anderes Arbeits- oder Lebensverhältnis wechseln wollen. — Ich meine, der Wehrbeauftragte hat es verdient, daß ich hier noch einmal betone — wohl wissend, daß zwischen Wehrbeauftragtem als Person und Institution einerseits und dem Bundesminister der Verteidigung andererseits ein gesundes Spannungsverhältnis existieren muß und daß es auch unauflösbare Gegensätze geben wird —, daß nicht nur er die Zusammenarbeit mit dem Ministerium als gut empfunden hat, sondern daß sich auch meine Mitarbeiter im Ministerium bei Ihnen, Herr Schultz, für Fairneß, Zusammenarbeit und für die Gutwilligkeit, Probleme nicht nur aufzuzeigen, sondern auch an Lösungsvorschlägen für Probleme mitzuarbeiten, bedanken. Herzlichen Dank und für die restlichen Monate Ihrer Tätigkeit alles Gute! Danach Gesundheit, Glück und Zufriedenheit!
Der Herr Staatssekretär hat die Frage gestellt, wer schon immer rechten Gebrauch von Ratschlägen mache. Ich danke ihm dafür, daß er den rechten Gebrauch gemacht hat, und schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses. Wer dem Antrag des Ausschusses auf der Drucksache 7/2726 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 11. Dezember, 13.30 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.