Protokoll:
7128

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 7

  • date_rangeSitzungsnummer: 128

  • date_rangeDatum: 7. November 1974

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 19:56 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 128. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dr. Freiwald . . . 8559 A Eintritt des Abg. Stahlberg in den Deutschen Bundestag 8559 C Abwicklung der Tagesordnung . . . . 8559 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung (Antrag der Abgeordneten Hölscher, von Schoeler, Biermann, Glombig und der Fraktionen der FDP, SPD) — Drucksache 7/1588 —, Bericht des Haushaltsausschusses gem. § 96 GO — Drucksache 7/2749 —, Bericht und Antrag des Rechtsausschusses — Drucksache 7/2711 — Zweite und dritte Beratung in Verbindung mit Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung (Antrag des Bundesrates) — Drucksache 7/1058 —, Bericht und Antrag des Rechtsausschusses — Drucksache 7/2711 — Zweite Beratung Erhard (Bad Schwalbach) (CDU/CSU) 8560 A, 8562 D Lambinus (SPD) 8561 A von Schoeler (FDP) 8564 A Entwurf eines Gesetzes über die Ermächtigung des Landes Baden-Württemberg zur Rechtsbereinigung — Drucksache 7/2206 —, Bericht und Antrag des Rechtsausschusses — Drucksache 7/2714 — Zweite und dritte Beratung Dr. Hauser (Sasbach) (CDU/CSU) . . 8566 A Frau Däubler-Gmelin (SPD) . . . . 8567 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rennwett- und Lotteriegesetzes — Drucksache 7/2483 —, Bericht und Antrag des Finanzausschusses — Drucksache 7/2680 — Zweite und dritte Beratung . . . . . 8567 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Ergänzungsprotokoll zum Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei infolge des Beitritts neuer Mitgliedstaaten zu der Gemeinschaft, Ergänzenden Internen Finanzabkommen und Ergänzungsprotokoll über die EGKS-Erzeugnisse vom 30. Juni 1973 — Drucksache 7/1974 —, Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft Drucksache 7/2681 — Zweite Beratung und Schlußabstimmung 8567 D II Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Waffenschmidt, Dr. Schneider, Braun, Frau Stommel, Dr. Warnke, Frau Tübler, Blumenfeld, Dr. Jahn (Münster), Vollmer, Vogt, Eilers (Wilhelmshaven), Pfeifer, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Köhler (Wolfsburg), Dr. Zimmermann, Biehle, Röhner, Dr. Jobst, Thürk, Vehar, Frau Verhülsdonk und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Lage der Städte, Gemeinden und Kreise — Drucksachen 7/1247, 7/2409 — Dr. Waffenschmidt (CDU/CSU) . . . 8568 B Dr. Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 8574 A Engelhard (FDP) . . . . . . . . 8580 D Dr. Dr. h. c. Maihofer, Bundesminister (BMi) 8584 C, 8661 D Schiess, Minister des Landes Baden-Württemberg . . . . . . . . 8587 B Dr. Jahn (Münster) (CDU/CSU) . . 8591 A Dr. Apel, Bundesminister (BMF) . . 8595 C Gaddum, Minister des Landes Rheinland-Pfalz 8625 A Wertz, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen . . . . . . . 8627 D Eilers (Wilhelmshaven) (CDU/CSU) . 8631 C Scheffler (SPD) . . . . . . . . 8634 D Dr. Wendig (FDP) . . . . . . . 8636 D Dr. Schneider (CDU/CSU) . . . . . 8639 A Ravens, Bundesminister (BMBau) . . 8642 B Hauser (Krefeld) (CDU/CSU) . . . 8646 C Braun (CDU/CSU) . . . . . . . 8650 A Groß, Minister des Landes Niedersachsen 8651 D Dr. Zeitel (CDU/CSU) 8653 C Dr. Vohrer (FDP) . . . . . . 8656 A Schmöle (CDU/CSU) 8658 D Krockert (SPD) . . . . . . . 8660 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sortenschutzgesetzes — Drucksache 7/596 —, Bericht des Haushaltsausschusses gem. § 96 GO — Drucksache 7/2751 —, Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Drucksache 7/2706 — Zweite und dritte Beratung Sander (SPD) 8662 C Antrag des Auswärtigen Ausschusses zu den durch die Deutsche Delegation in der Nordatlantischen Versammlung zur Unterrichtung übermittelten Berichten — Drucksachen 7/1396, 7/1636, 7/2669 — Mattick (SPD) 8663 B Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 3. März 1973 über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen (Gesetz zum Washingtoner Artenschutzübereinkommen) — Drucksache 7/2626 — Erste Beratung . . . . . . . . . 8665 C Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 138 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 26. Juni 1973 über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung — Drucksache 7/2685 — Erste Beratung . . . . . . . . . 8665 C Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. Januar 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen über den Transport von Kohlenwasserstoffen durch eine Rohrleitung vom Ekofisk-Feld und benachbarten Gebieten in die Bundesrepublik Deutschland — Drucksache 7/2686 — Erste Beratung . . . . . . . . . 8665 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. März 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada über den Luftverkehr — Drucksache 7/2691 — Erste Beratung 8665 D Entwurf eines Gesetzes über den rechtlichen Status der Bundeswasserstraße Saar — Drucksache 7/2692 — Erste Beratung . . . . . . . . . 8665 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 31. Oktober 1973 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Sozialistischen Republik Rumänien über die steuerliche Behandlung von Straßenfahrzeugen im internationalen Verkehr — Drucksache 7/2694 — Erste Beratung . . . . . . . . . 8665 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. April 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über gegenseitige Unterstützung zur Verhinderung, Ermittlung und Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen die Zollvorschriften — Drucksache 7/2695 — Erste Beratung . . . . . . . . . 8666 A Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft zu den Vorschlägen der EG- Kommission für eine Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 III Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Zulassungs- und Eichgebühren bei Gaszählern Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie Nr. 73 /95/ EWG der Kommission vom 26. März 1973 zur Durchführung der Artikel 13 und 14 der Richtlinie des Rates vom 4. März 1969 zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über den aktiven Veredelungsverkehr Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1445/72 über das Warenverzeichnis des Außenhandels der Gemeinschaft und des Handels zwischen ihren Mitgliedstaaten (NIMEXE) — Drucksachen 7/2332, 7/2426, 7/2446, 7/2639 — 8666 A Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Bekämpfung der Nelkenwickler — Drucksachen 7/2076, 7/2641 — . . . . . . . . . . . . 8666 B Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates über reinrassige Zuchtrinder einen Beschluß des Rates zur Einsetzung eines Ständigen Tierzuchtausschusses — Drucksachen 7/1849, 7/2670 — . . . . 8666 B Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu dem Vorschlag der EG- Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Verlängerung und Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2829/72 des Rates vom 28. Dezember 1972 über das Gemeinschaftskontingent für den Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten -- Drucksachen 7/2241, 7/2668 — 8666 C Ubersicht 10 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht — Drucksache 7/2644 — in Verbindung mit Ubersicht 11 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht — Drucksache 7/2688 — . . . . 8666 D Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Sicherheitsgurte und Kopfstützen — Drucksache 7/2349 — Straßmeir (CDU/CSU) 8667 A Wurche (SPD) 8668 A Hoffie (FDP) . . . . . . . . 8668 D Antrag der Abgeordneten Dr. Warnke, Dr Waffenschmidt, Susset, Dr. Jobst, Niegel, Eigen, Sick, Hösl, Biehle, Leicht, Nordlohne, Dr. Unland, Straßmeir, Schröder (Lüneburg), Dr. Jenninger, Gerlach (Obernau), Milz, Dreyer, Kiechle, Dr. Köhler (Wolfsburg), Dr. h. c. Wagner (Günzburg), Carstens (Emstek), Dr. Fuchs, Dr. Waigel, Dr. Müller (München) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Schließung von Stückgutbahnhöfen — Drucksache 7/2663 (neu) — 8669 D Fragestunde — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — Frage A 1 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Niegel (CDU/CSU) : Auswirkungen der Novelle zum Bundesbaugesetz; Verhältnis des Arbeitsaufwands zu den zu erwartenden Ausgleichsbeträgen Dr. Haack, PStSekr (BMBau) . 8603 A, C, D, 8604 B Niegel (CDU/CSU) . . . . 8603 B, C, D Henke (SPD) . . . . . . . . . 8604 B Frage A 122 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Niegel (CDU/CSU) : Kritik von Bundeskanzler Schmidt, Bundesjustizminister Dr. Vogel und Parlamentarischem Staatssekretär Haack am Hirtenbrief der katholischen Bischöfe zur bayerischen Landtagswahl im Vergleich zur Haltung gegenüber dem Wahlaufruf des Deutschen Gewerkschaftsbundes Frau Schlei, PStSekr (BK) . . . . . 8604 C, 8605 B, C, 8606 B, C Niegel (CDU/CSU) . . . . 8605 A, B, C Stücklen (CDU/CSU) . . 8605 D, 8606 A Friedrich (SPD) . . . . . . . . 8606 B Höcherl (CDU/CSU) . . . . . . . 8606 C Frage A 123 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Wittmann (München) (CDU/CSU) : Pressemeldungen über geheime Verhandlungen in Ost-Berlin über die Verlängerung des Swing im Interzonenhandel sowie über die Rücknahme der IV Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 Erhöhung des Zwangsumtauschsatzes für Reisende in die „DDR" Frau Schlei, PStSekr (BK) . 8606 D, 8607 A Dr. Wittmann (München) (CDU CSU) 8606 D Jäger (Wangen) (CDU/ CSU) . . . . 8607 A Frage A 124 — Drucksache 7 2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Röhner (CDU/ CSU): Für den Journalisten Gengenbach nachteiliges Material des Bundesnachrichtendienstes in den Händen der Behörden der CSSR; Erklärung der Bundesregierung dazu Frau Schlei, PStSekr (BK) . . . 8607 B, C Röhner (CDU/CSU) 8607 B Dr. Hupka (CDU/CSU) 8607 B Frage A 125 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Fuchs (CDU CSU) : Definition des „Bildungs-Bürgers alter Schule" durch die Bundesregierung und Begründung der angeblichen Sozialschädlichkeit dieses Phänomens Bolling, StSekr (BPA) . 8607 C, D, 8606 A Dr. Fuchs (CDU/CSU) . . 8607 D, 8608 A Frage A 126 -- Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Spranger (CDU/ CSU) : Haltung der Bundesregierung zur Entstehung industrieller, nicht an gleichzeitige Landbewirtschaftung gebundener Großbetriebe für die Herstellung von Grundnahrungsmitteln Bölling, StSekr (BPA) . . . 8608 B, C, D Spranger (CDU/CSU) . . . . . 8608 B, C Höcherl (CDU CSU) 8608 D Frage A 127 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Spranger (CDU/ CSU) : Einstellung der Verteilung der vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung hergestellten, für Jugendliche bestimmten Zeitschrift „DingsBums" wegen parteipolitischer und weltanschaulicher Einseitigkeit und wegen geschmackloser Ausführung Bölling, StSekr (BPA) 8608 D, 8609 B, C, D Spranger (CDU/CSU) . . . . . 8609 B, C Dr. Kunz (Weiden) (CDU/CSU) . . . 8609 D Fragen A 129 und 130 -- Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Jäger (Wangen) (CDU/CSU) : Vereinbarkeit einer Behauptung der sowjetrussischen regierungsamtlichen Zeitung Iswestija zur deutschen Frage mit den Vertragspflichten der UdSSR aus dem Moskauer Vertrag; Vertretung des Wiedervereinigungsanspruchs des deutschen Volkes durch die Bundesregierung Moersch, StMin (AA) . . 8610 A, B, C, D, 8611 A, B, C, D Jäger (Wangen) (CDU/CSU) . . . 8610 A, B, 8611 A, B Dr. Mertes (Gerolstein) (CDU /CSU) . 8610 C Jahn (Marburg) (SPD) . . . . . . 8611 B Dr. Hupka (CDU/CSU) . . . . . . 8611 C Friedrich (SPD) . . . . . . . . 8611 D Frage A 132 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Roser (CDU/ CSU) : Pressemeldung über die Zurückweisung von Einladungen an sowjetische Wissenschaftler zu der Berliner Tagung des Club of Rome unter Hinweis auf das Vier-Mächte-Abkommen Moersch, StMin (AA) 8611 D, 8612 B, C Roser (CDU/CSU) . . . . . . . 8612 B Friedrich (SPD) . . . . . . . . 8612 C Frage A 133 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Roser (CDU CSU): Direktwahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments Moersch, StMin (AA) 8612 C, 8613 A, B Roser (CDU/CSU) . . . . . 8613 A, B Frage A 136 Drucksache 7,2720 vorn 31. 10. 74 — des Abg. Reiser (SPD) : Konsulat der Bundesrepublik Deutschland in Windhuk (Namibia) Moersch, StMin (AA) . . . 8613 B, C, D Reiser (SPD) . . . . . . . 8613C, D Hansen (SPD) 8613 D Frage A 140 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 -- des Abg. Graf Stauffenberg (CDU/CSU) : Haltung der Bundesregierung zu einer KSZE-Vereinbarung zugunsten der freien Ausreise von Bürgern kommunistischer Staaten Moersch, StMin (AA) 8614 B, C Graf Stauffenberg (CDU/CSU) . . 8614 C Fragen A 145 und 146 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Mertes (Gerolstein) (CDU/CSU): Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 V Verhalten der Sowjetunion seit Abschluß des Vier-Mächte-Abkommens über Berlin hinsichtlich der Einbeziehung Berlins in bilaterale und multilaterale Abkommen und Verträge der Bundesrepublik Deutschland Moersch, StMin (AA) . . 8614 D, 8615 C Dr. Mertes (Gerolstein) (CDU/CSU) . 8614 D, 8615 C Frage A 147 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Werner (CDU/ CSU) : Definition der Begriffe „Status" und „Sicherheit" im Vier-Mächte-Abkommen über Berlin in Theorie und Praxis der Vier Mächte Moersch, StMin (AA) . 8615D, 8616 A, B Werner (CDU/CSU) 8616 A, B Dr. Mertes (Gerolstein) (CDU/CSU) . 8616 B Fragen A 148 und 149 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Böhme (Freiburg) (SPD) : Probleme der Immissionen geplanter Industrieansiedlungen im Elsaß zur deutschen Rheinseite; Mechanismen für eine gemeinsame Planung im Grenzgebiet Moersch, StMin (AA) . . . . . . 8616 C, 8617 A, B, C, D Dr. Böhme (Freiburg) (SPD) . 8617 A, C, D Fragen A 150 und 151 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Hansen (SPD) : Termine für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Kuba, Nord-Vietnam und Nord-Korea Moersch, StMin (AA) 8617 D, 8618 A, C, D, 8619 A Hansen (SPD) 8618 A, B, C Dr. Hupka (CDU/CSU) 8618 D Dr. Schmitt-Vockenhausen, Vizepräsident . . . . . . . . 8618 D Reiser (SPD) . . . . 8619 A Frage A 152 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Hupka (CDU/ CSU) : Verwendung des Ausdrucks „Deutschstämmige aus Polen" durch die Bundesregierung in ihrem „Arbeitsbericht 74" Moersch, StMin (AA) 8619 B Frage A 153 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Czaja (CDU/ CSU) : Schritte der Bundesregierung gegen die Bezeichnung Berlins als selbständiger, von der Bundesrepublik unabhängiger politischer Einheit in amtlichen polninischen Messekatalogen Moersch, StMin (AA) 8619 C, D Dr. Czaja (CDU/CSU) 8619 D Fragen A 154 und 155 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Kunz (Berlin) (CDU/CSU) und Fragen A 159 und 160 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Kliesing (CDU/CSU): Hintergrund der Beschwerde der Bundesregierung beim Heiligen Stuhl wegen der Bezeichnung und Plazierung des Berliner Bischofs, Kardinal Bengsch, in dem Verzeichnis der an der römischen Synode teilnehmenden deutschen Bischöfe; Weigerung von Papst Paul VI., zusammen mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin auch den Deutschen Botschafter beim Heiligen Stuhl in Audienz zu empfangen; Haltung des Heiligen Stuhls in der Deutschland- und Berlin-Frage; Abweichung der Haltung des Heiligen Stuhls von früheren Grundsätzen Moersch, StMin (AA) . . . 8620 A, C, D, 8621 A, B, C, D, 8622 A, C, D, 8623 A, B, C, D, 8624 A, B Kunz (Berlin) (CDU/CSU) . 8620 B, C, D, 8622 C Dr. Kliesing (CDU/CSU) . 8621 A, 8622 D, 8623 B, C, 8624 A, B Böhm (Melsungen) (CDU/CSU) . . 8621 B Dr. Czaja (CDU/CSU) . .. . . 8621 C, D Straßmeir (CDU/CSU) . . . . . . 8621 D Dr. Mertes (Gerolstein) (CDU/CSU) . 8623 A Frage A 156 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Schweitzer (SPD) : Verlauf der Gespräche mit dem Stellvertretenden Ministerpräsidenten der Volksrepublik Polen; Entwicklung der Handelsbeziehungen zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland Moersch, StMin (AA) . . . . . 8624 B, D Dr. Schweitzer (SPD) . . . . . 8624 C, D Nächste Sitzung 8670 A VI Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 Anlagen Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 8671* A Anlage 2 Antwort des PStSekr Logemann (BML) auf eine Zusatzfrage des Abg. Rollmann (CDU/CSU) (124. Sitzung, Seite 8285 B): Ermittlung der Kommission gegen die wichtigsten französischen Champignonproduzenten wegen des Verdachts von Preisabsprachen 8671* C Anlage 3 Antwort des PStSekr Logemann (BML) auf eine Zusatzfrage des Abg. Eigen (CDU/CSU) (124. Sitzung, Seite 8286 C): Behauptung über die Einfuhr von Rog- gen mit Lindan und DDT aus der DDR 8671* C Anlage 4 Antwort des BMin Matthöfer (BMFT) auf die Frage A 2 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Jahn (Braunschweig) (CDU/CSU) : Koordinierung der Forschungsmaßnahmen auf dem Energiesektor im Rahmen der EG; Kooperation mit den USA . . 8671 * D Anlage 5 Antwort des PStSekr Dr. Schmude (BMI) auf die Fragen A 6 und 7 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Evers (CDU/CSU) : Neue Grenztafeln mit der Aufschrift „Halt Landesgrenze" im Zonenrandgebiet 8672* B Anlage 6 Antwort des PStSekr Dr. Schmude (BMI) auf die Frage A 8 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Gerlach (Obernau) (CDU/CSU) : Befürchtungen betreffend einen weiteren Anstieg der politisch motivierten Gewalttätigkeit ausländischer Gruppen in der Bundesrepublik 6672* D Anlage 7 Antwort des PStSekr Dr. Schmude (BMI) auf die Frage A 9 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. h. c. Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) : Forderungen Ost-Berlins betreffend Anerkennung der Mitte des Elbstromes als Grenze zur „DDR"; Pressemeldungen betreffend ein eventuelles Eingehen der Bundesregierung hierauf . . 8673* B Anlage 8 Antwort des PStSekr Dr. Schmude (BMI) auf die Frage A 10 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Franke (Osnabrück) (CDU/CSU) : Sonderurlaub für Bundesbeamte aus Anlaß der Vorbereitung der Wahl in eine kommunale Vertretungskörperschaft 8673* D Anlage 9 Antwort des PStSekr Dr. Schmude (BMI) auf die Frage A 11 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Vorschläge aus der Industrie zur Novellierung des Bundesimmissionsschutzgesetzes hinsichtlich der Beschaffenheit von Verpackungsmaterial . . . . . 8674* B Anlage 10 Antwort des PStSekr Dr. Schmude (BMI) auf die Frage A 14 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Gierenstein (CDU/CSU) : Pressemeldung betreffend Auslassung der Karte mit den Grenzen Deutschlands von 1937 im Statistischen Jahrbuch 1974 für die Bundesrepublik Deutschland 8674* C Anlage 11 Antwort des PStSekr Haehser (BMF) auf die Frage A 27 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Schröder (Lüneburg) (CDU/CSU) : Äußerung des Bundesfinanzministers betreffend Arbeitslosigkeit . . . . . 8674* D Anlage 12 Antwort des PStSekr Haehser (BMF) auf die. Fragen A 31 und 32 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Häfele (CDU/CSU) : Auswirkungen einer Mehrwertsteuererhöhung auf Arbeitnehmerhaushalte, Rentnerhaushalte und die Haushalte der Selbständigen; Verteilung der Steuerentlastungen auf Grund der Steuerreform auf diese Haushalte . . 8675* A Anlage 13 Antwort des PStSekr Grüner (BMWi) auf die Frage A 42 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Einrichtung öffentlicher Sammelstellen für Altöl zur Verhinderung von Umweltschäden 8675* B Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 VII Anlage 14 Antwort des StSekr Dr. Wolters (BMJFG) auf die Frage A 54 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Rollmann (CDU/CSU) : Verhandlungen der Bundesregierung mit den Ländern und Gemeinden über die Finanzierung eines neuen Jugendhilfegesetzes 8677* C Anlage 15 Antwort des StSekr Dr. Wolters (BMJFG) auf die Fragen A 55 und 56 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Urbaniak (SPD) : Anzahl der bisher gestellten Kindergeldanträge; Maßnahmen der Bundesregierung zur Unterrichtung der Offentlichkeit 8677* D Anlage 16 Antwort des StSekr Dr. Wolters (BMJFG) auf die Frage A 57 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Schäfer (Appenweier) (SPD) : Giftrückstände in Milch infolge unsachgemäßer Verwendung von Schädlingsbekämpfungsmitteln 8678* B Anlage 17 Antwort des StSekr Dr. Wolters (BMJFG) auf die Frage A 58 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Biehle (CDU/ CSU) : Pressemitteilungen über Einfuhr von Bocksbeuteln mit portugiesischem Wein 8678* C Anlage 18 Antwort des PStSekr Zander (BMJFG) auf die Frage A 59 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Schweitzer (SPD) : Förderung des „SHB" aus Mitteln des Bundeshaushalts 8679* A Anlage 19 Antwort des PStSekr Haar (BMV) auf die Fragen A 60 und 61 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Straßmeir (CDU/CSU) : Wartezeiten am 12. Oktober 1974 am Kontrollpunkt Marienborn; Maßnahmen zur Gewährleistung eines reibungslosen Transitverkehrs . . . . . . . 8679* B Anlage 20 Antwort des PStSekr Haar (BMV) auf die Frage A 62 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Zeitel (CDU/ CSU) : Minderung von Wettbewerbsverzerrungen im grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr . . . . . . . . . . 8679* C Anlage 21 Antwort des PStSekr Haar (BMV) auf die Fragen A 63 und 64 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Westphal (SPD) : Zustimmung der Deutschen Bundesbahn zum Einsatz eines ergänzenden Schulbusses auf einer Strecke, die von einem Bus der Deutschen Bundesbahn im Linienverkehr befahren wird; Änderung des Personenbeförderungsgesetzes 8680* A Anlage 22 Antwort des PStSekr Haar (BMV) auf die Fragen A 65 und 66 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dreyer (CDU/ CSU) : Aufwendungen der Deutschen Bundesbahn für die Herausgabe von Druckerzeugnissen 8680* B Anlage 23 Antwort des PStSekr Haar (BMV) auf die Frage A 67 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Haenschke (SPD) : Angabe des Baujahrs im Kraftfahrzeug- brief 8680* B Anlage 24 Antwort des PStSekr Haar (BMV) auf die Frage A 68 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Haenschke (SPD) : Lärmgrenzwerte für Sportflugzeuge . . 8680* C Anlage 25 Antwort des PStSekr Haar (BMV) auf die Frage A 69 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Wittmann (München) (CDU/CSU) : Finanzielle Unterstützung der Herausgabe „Verkehrssicherheitsbeilage September 1974" in der „Münchener Post" 8680* D Anlage 26 Antwort des PStSekr Haar (BMV) auf die Frage A 70 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Gierenstein (CDU/ CSU) : Meldung des „Tagesspiegel" über Schikanen im Berlin-Verkehr . . . . . 8681 * B VIII Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 Anlage 27 Antwort des PStSekr Dr. de With (BMJ) auf die Frage A 73 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Graf Stauffenberg (CDU/CSU) : Meldung über Weitergabe von Gutachten zur Verfassungs- und Rechtmäßigkeit des Regierungsentwurfs zum Mitbestimmungsgesetz an den DGB . . 8681* C Anlage 28 Antwort des PStSekr Dr. de With (BMJ) auf die Frage A 74 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Höcherl (CDU/ CSU) : Termin für die Vorlage des Rechtsgut- achtens zur Mitbestimmung . . . . 8681* D Anlage 29 Antwort des PStSekr Dr. de With (BMJ) auf die Frage A 75 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Schneider (CDU/CSU) : Anpassung der öffentlichen Benutzungsordnungen an die vom 50. Deutschen Juristentag für die Allgemeinen Geschäftsbedingungen empfohlenen Anforderungen 8682* A Anlage 30 Antwort des PStSekr Logemann (BML) auf die Frage A 76 — Drucksache 7/2770 vom 31. 10. 74 — der Abg. Frau Huber (SPD) : Zeitplan hinsichtlich der Durchführungsverordnungen zum Tierschutzgesetz . . 8682* C Anlage 31 Antwort des PStSekr Logemann (BML) auf die Frage A 77 — Drucksache 7/2770 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Früh (CDU/ CSU) : Grenzausgleich für Agrarprodukte . . 8682* D Anlage 32 Antwort des PStSekr Logemann (BML) auf die Fragen A 80 und 81 Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Kempfler (CDU/CSU) : Frist zur Stellung eines Antrags auf Ausgleichsleistung nach dem Gesetz über die Errichtung einer Zusatzversorgungskasse für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft . . . . . 8683* B Anlage 32 a Antwort des PStSekr Logemann (BML) auf die Frage A 82 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 des Abg. Dr. Kunz (Weiden) (CDU/CSU) : Mengensteuerung bei der Agrarproduktion 8683* C Anlage 33 Antwort des PStSekr Logemann (BML) auf die Frage A 83 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Böhm (Melsungen) (CDU/CSU) : Auskunft über Einfuhr von mit Giftstoffen behandeltem oder mit Käferbesatz befallenem Getreide nach Hessen aus der DDR, Polen oder der Sowjetunion 8683* D Anlage 34 Antwort des PStSekr Buschfort (BMA) auf die Fragen A 84 und 85 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr.-Ing. Laermann (FDP) : Einsatz von Berufsberatern der Bundesanstalt für Arbeit; unbesetzte Stellen trotz ausreichender Anzahl von Bewerbern 8684* B Anlage 35 Antwort des PStSekr Buschfort (BMA) auf die Frage A 88 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Rollmann (CDU/ CSU) : Zahl der in den Händen von Arbeitnehmervertretern befindlichen Aufsichtsratsmandate 8684* C Anlage 36 Antwort des PStSekr Buschfort (BMA) auf die Frage A 89 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Milz (CDU/CSU) : Erfassung der nicht mehr beschäftigten Pendler im jeweiligen Gastland auf Grund von Vereinbarungen mit den EG-Partnern 8685* A Anlage 37 Antwort des PStSekr Buschfort (BMA) auf die Frage A 90 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Franz (CDU/ CSU) : Selbstverwaltungseinrichtungen entsprechend denen der Bundesanstalt für Arbeit in den Mitgliedstaaten der EG; regelmäßige Zusammenkünfte dieser Einrichtungen 8685* B Anlage 38 Antwort des PStSekr Buschfort (BMA) auf die Frage A 91 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Wüster (SPD) : Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 IX Anspruch auf Entschädigung für Verzögerung der Auszahlung von Renten durch Verschulden des Versicherungsträgers 8685* C Anlage 39 Antwort des PStSekr Buschfort (BMA) auf die Frage A 92 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Egert (SPD) : Merkblatt über Konkursausfallgeld der Bundesanstalt für Arbeit 8685* D Anlage 40 Antwort des PStSekr Buschfort (BMA) auf die Frage A 93 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Jobst (CDU/ CSU) : Gutachten des Bundesarbeitsministers über die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik . . . . . 8686* A Anlage 41 Antwort des PStSekr Buschfort (BMA) auf die Frage A 94 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. '74 — der Abg. Frau Schleicher (CDU/CSU) : Vorsorgeuntersuchungen gegen Grünen Star 8686* B Anlage 42 Antwort des PStSekr Grüner (BMWi) auf die Fragen A 95 und 96 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Geiger (SPD) : Frist für die Antragstellung auf Konkursausfallgeld 8686' C Anlage 43 Antwort des PStSekr Buschfort (BMA) auf die Frage A 97 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Schäfer (Appenweier) (SPD) : Gleichstellung aller Schwerbehinderten nach dem neuen Schwerbehindertengesetz; Folgerungen für andere Gesetze 8686* D Anlage 44 Antwort des PStSekr Buschfort (BMA) auf die Frage A 98 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Flämig (SPD) : Zulassung von Blindenlesegeräten als Hilfsmittel im Rahmen der Durchführungsverordnung zum neuen Schwerbeschädigtengesetz . . . . . . . . 8687* A Anlage 45 Antwort des PStSekr Buschfort (BMA) auf die Fragen A 99 und 100 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 des Abg. Wolf- ram (SPD) : Verzögerungen bei der ersten Überweisung von Arbeitslosenunterstützung . 8687' B Anlage 46 Antwort des PStSekr Buschfort (BMA) auf die Fragen A 101 und 102 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 des Abg. Geisenhofer (CDU/CSU) : Gewährleistung des Rücklagesolls bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte . . . . . . . . . . . 8687* C Anlage 47 Antwort des PStSekr Buschfort (BMA) auf die Fragen A 103 und 104 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 des Abg. Ziegler (CDU/CSU) : Vorausberechnungen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und des Verbandes Deutscher Versicherungsträger über die finanzielle Situation der Rentenversicherungsträger; Modellrechnungen der Bundesregierung 8688* A Anlage 48 Antwort des PStSekr Buschfort (BMA) auf die Frage A 105 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Althammer (CDU/CSU) : Forschungsaufträge der Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel . . . . . . . . . . . . 8688* C Anlage 49 Antwort des PStSekr Buschfort (BMA) auf die Frage A 106 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 des Abg. Gansel (SPD) : Zunahme der Zahl der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer . . . . 8688* D Anlage 50 Antwort des PStSekr Dr. de With (BMJ) auf die Fragen A 107 und 108 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Schmidhuber (CDU/CSU) : Gutachten zur Untersuchung der Verfassungsmäßigkeit der paritätischen Mitbestimmung . . . . . . . . . 8689* A Anlage 51 Antwort des PStSekr Buschfort (BMA) auf die Fragen A 109 und 110 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 des Abg. Dr. Hammans (CDU/CSU) : Anpassung der im Sozialleistungsrecht festgelegten Diätzuschüsse an die wirtschaftliche Entwicklung . . . . . . 8689* B X Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 Anlage 52 Antwort des PStSekr Buschfort (BMA) auf die Frage A 111 — Drucksache 7/2720 vorn 31. 10. 74 des Abg. Leicht (CDU/CSU) : Anzahl der kurzarbeitenden Arbeitnehmer bis zum 31. Oktober 1974; diesbezüglicher Monatsdurchschnitt . . . . 8689* C Anlage 53 Antwort des PStSekr Berkhan (BMVg) auf die Frage A 112 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 des Abg. Würtz (SPD) : Pressemeldungen über vermeidbare Flurschäden durch deutsche Truppen aus Anlaß des Herbstmanövers „Red Rat" 8689* D Anlage 54 Antwort des PStSekr Berkhan (BMVg) auf die Frage A 113 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10.74 — des Abg. Horstmeier (CDU/CSU) : Einrichtung eines Sprengübungsplatzes in Naturschutzgebieten 8690* B Anlage 55 Antwort des PStSekr Berkhan (BMVg) auf die Frage A 114 Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. von Alten-Nordheim (CDU/CSU) : Abzug von drei HAWK-Batterien der niederländischen Streitkräfte aus Deutschland 8690* C Anlage 56 Antwort des PStSekr Berkhan (BMVg) auf die Fragen A 115 und 116 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Walkhoff (SPD) : Zahl der vor einer endgültigen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung über ihren Antrag zur Bundeswehr eingezogenen Kriegsdienstverweigerer; Anteil der Arrestierten 8690* D Anlage 57 Antwort des PStSekr Berkhan (BMVg) auf die Frage A 117 — Drucksache 7/2770 vom 31. 10. 74 — des Abg. Ollesch (FDP) : Sonderurlaub für Bundeswehrangehörige zur Mithilfe in der Landwirtschaft 8691* A Anlage 58 Antwort des PStSekr Herold (BMB) auf die Frage A 118 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Sauer (Salzgitter) (CDU/CSU) : Anwerbung von „Grenzhelfern" durch die Regierung der „DDR" . . . . . 8691 * B Anlage 59 Antwort des PStSekr Herold (BMB) auf die Frage A 120 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Rainer (CDU/ CSU) : Verweigerung der Einreise für den Erzbischof von Paderborn an einem Grenzübergang nach Ost-Berlin . . . 8691* C Anlage 60 Antwort des PStSekr Herold (BMB) auf die Frage A 121 Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Freiherr von Fircks (CDU/CSU) : Gewährung von Bundesmitteln an die hessische Landesregierung für Fahrten von Jugendgruppen an die Zonengrenze 869P D Anlage 61 Antwort des StSekr Bölling (BPA) auf die Frage A 128 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 des Abg. Gerlach (Obernau) (CDU/CSU) : Stellungnahme der Bundesregierung zu der in der Schrift „Die Bundesrepublik Deutschland — Unser Staat" enthaltenen Behauptung, „die Bevölkerung" habe 1969 „eine völlige neue Bundesregierung, die sozialliberale Koalition, gebildet aus SPD und FDP", gewählt 8692* A Anlage 62 Antwort des StMin Moersch (AA) auf die Frage A 131 — Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 des Abg. Dr. Jahn (Braunschweig) (CDU/CSU) : Haltung der Bundesregierung zur Institutionalisierung der KSZE durch ein ständiges Sekretariat . . . . . . . 8692* B Anlage 63 Antwort des StMin Wischnewski (AA) auf die Fragen A 134 und 135 Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) : Pressemeldung über die sowjetische Behauptung betreffend Einigung zwischen der Sowjetunion und Frankreich über einen neuen Handelsvertrag; Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschalt für den Abschluß von Handelsverträgen; Reaktion der Bundesregierung . . . . . . . . . .... . . 8692 *C Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 XI Anlage 64 Antwort des StMin Wischnewski (AA) auf die Frage A 37 — Drucksache 7/2720 vorn 31. 10. 74 — des Abg. Seefeld (SPD) : Termin für die Benennung eines Nachfolgers für das ausgeschiedene deutsche Mitglied der Kommission der Europäischen Gemeinschaft, Professor Ralf Dahrendorf . . . . . . . . . 8693* A Anlage 65 Antwort des StMin Moersch (AA) auf die Frage A 138 Drucksache 7/2720 vom 31. 10. 74 — des Abg. Hösl (CDU/CSU) : Pressemeldung über Protest des sowjetischen Vertreters beim Internationalen Turner-Bund gegen die Ausrichtung des Weltturnfestes Gymnaestrada im Jahre 1975 in West-Berlin 8693* B Anlage 66 Antwort des StMin Moersch (AA) auf die Fragen A 157 und 158 — Drucksache 7/2720 vorn 31.10.74 — des Abg. Dr. Becher (Pullach) (CDU/CSU) : Strafe von zehn Jahren Gefängnis für den deutschen Journalisten Werner Gengenbach wegen angeblicher Wirtschaftsspionage; Geist des Normalisierungsvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakei 8693* C Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 8559 128. Sitzung Bonn, den 7. November 1974 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Adams * 8. 11. Dr. Ahrens ** 9. 11. Dr. Aigner * 8.11. Alber ** 8. 11. Dr. Artzinger * 8. 11. Dr. Barzel 8.11. Behrendt * 8. 11. Frau von Bothmer ** 8. 11. Breidbach 7. 11. Christ 7. 11. Conradi 15. 11. Eigen 8. 11. Dr. Ehrenberg 15. 11. Dr. Eppler 8. 11. Fellermayer * 7. 11. Flämig * 7. 11. Frehsee * 7.11. Gerlach (Emsland) * 7.11. Graaff 8.11. Härzschel * 7.11. Heyen 7. 11. Dr. Holtz ** 9.11. Immer 8. 11. Dr. Jens 12.11. Kater * 7. 11. Dr. Klepsch ** 8. 11. Krall * 7. 11. Dr. Kreile 8. 11. Lange * 7.11. Lautenschlager * 7.11. Lemmrich ** 9. 11. Lücker * 7.11. Maucher 15.11. Memmel * 7.11. Dr. Mikat 7. 11. Müller (Mülheim) * 8. 11. Mursch (Soltau-Harburg) * 7.11. Frau Dr. Orth ' 7.11. Frau Dr. Riedel-Martiny 7.11. Sauer 9. 11. Scheu 14. 11. Schmidt (München) * 7.11. Schmidt (Wattenscheid) 15.11. Dr. Schulz (Berlin) 8.11. Dr. Schwörer * 7. 11. Springorum * 7. 11. Staak (Hamburg) 8. 11. Dr. Starke (Franken) * 7. 11. Strauß 8. 11. Dr. Vohrer ** 9. 11. Walkhoff * 7.11. Wehner 7. 11. Wienand 15. 11. Dr. Wörner 7. 11. Dr. Zimmermann 8. 11. *Parlaments ** Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarats Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Logemann auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Rollmann (CDU/CSU) (124. Sitzung, Seite 8285 B) Nach den mir vorliegenden Informationen wird augenblicklich der Markt für Champignonkonserven von der Kommission der EG auf seine Funktionsfähigkeit hin geprüft. Sollte diese Untersuchung das Bestehen vertragswidriger Tatbestände zum Ergebnis haben, so werden von der Kommission die entsprechenden Verfahren eingeleitet werden. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Logemann auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Eigen (CDU/CSU) (124. Sitzung, Seite 8286 C) Die inzwischen von den durchführenden Stellen erstatteten Berichte ergeben folgendes: Von den Einführern ist mit der DDR-ZentralKommerz GmbH als Verkäuferin die Lieferung von Roggen aus der DDR in das Bundesgebiet vertraglich vereinbart worden, der den in der Bundesrepublik geltenden Höchstmengen-Vorschriften für Pflanzenschutzmittelrückstände entspricht. Die Beachtung dieser Vorschriften ist von Zentral-Kommerz mit Schreiben vom 8. Oktober 1974 ausdrücklich bestätigt worden; dieses Schreiben liegt dem BML vor. Die Erfahrungen aus Einkäufen von DDR-Getreide für die Bundesreserve, bei denen jede einzelne Partie untersucht wird, stimmen damit überein. Infolgedessen beschränkt sich die Kontrolle bei Getreidebezügen aus der DDR für den freien Markt in der Bundesrepublik auf regelmäßige Pflanzenbeschau (Befall mit Schadorganismen) und auf Stichproben-Untersuchungen nach Rückständen von Pflanzenschutzmitteln. Bei der Verbringung von DDR-Roggen über den Bahnknotenpunkt Bebra hat sich nach den mir vorliegenden Unterlagen seit Frühjahr dieses Jahres in einem Falle ergeben, daß die Höchstmengen leicht überschritten waren; dieser Waggon ist zurückgewiesen worden. Anlage 4 Antwort des Bundesministers Matthöfer auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Jahn (Braunschweig) (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 2) : Ist die Bundesregierung bereit, im Rat der Europäischen Gemeinschaften dafür einzutreten, daß eine Koordinierung aller Forschungsmaßnahmen auf dem Energiesektor erfolgt in engster Kooperation mit dem umfassenden Forschungsprogramm der USA? 8672* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 Die Koordinierung aller Forschungsmaßnahmen auf dem Energiesektor wird von der Bundesregierung bereits praktiziert. Vertragsgemäß hat sie das 4. Atomprogramm und das Rahmenprogramm Energieforschung der Kommission der EG vorgelegt. Innerhalb der EG hat unter maßgeblicher Beteiligung der Bundesrepublik ein Unterausschuß des Ausschusses für wissenschaftliche und technische Forschung (CREST) eine Übersicht über die in den Ländern der EG laufenden Forschungs- und Entwicklungsvorhaben fertiggestellt. Ziel dieser Übersicht ist, die nationalen Programme zu koordinieren und darüber hinaus Möglichkeiten der Zusammenarbeit festzustellen. Die Kommission der EG hat auf dieser Grundlage ein Strategiepapier „Energie für Europa: Forschung und Entwicklung" vorgelegt, das folgende Themen für gemeinschaftliche Forschungs- und Entwicklungsarbeiten vorsieht: — Fossile Energieträger (Kohle, Kohlenwasserstoffe) — Kernenergie (Kernspaltung, Kernfusion) — Rationelle Energieverwendung — Wasserstoff als Sekundärenergieträger — Geothermik — Sonnenenergie — Systemanalyse. Im Gefolge der Energiekonferenz von Washington im Februar d. J. wurde von zwölf Staaten (alle EG-Länder außer Frankreich; Kanada; Japan; Norwegen; USA) das Internationale Energie Programm (IEP) ausgearbeitet. Dieses Programm enthält als Vorschlag für eine Zusammenarbeit zehn Themen. Das Kabinett hat am 23. Oktober beschlossen, das IEP gemäß Artikel 68 IEP ab 18. November 1974 vorläufig in Kraft zu setzen. Die Bundesregierung bemüht sich auch nachdrücklich darum, anderen Ländern und den Europäischen Gemeinschaften den Weg zum Beitritt zu ebnen, der im IEP ausdrücklich vorgesehen ist. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schmude auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Evers (CDU/ CSU) (Drucksachen 7/2720 Fragen A 6 und 7) : Trifft es zu, daß im Zonenrandgebiet die bisherigen Grenztafeln „Halt Zonengrenze" und „Halt Demarkationslinie" durch neue Tafeln mit der Aufschrift „Halt Landesgrenze" ersetzt werden und daß es den Beamten des Bundesgrenzschutzes offiziell untersagt worden ist, die Begriffe „Zonengrenze" oder „Demarkationslinie" zu verwenden und nur noch von „Staats- oder Landesgrenze" zu sprechen? Wie begründet die Bundesregierung dieses Vorgehen, und warum ist die deutsche Offentlichkeit hiervon nicht unterrichtet worden? Ein genereller Austausch der vom Bundesgrenzschutz aufgestellten Grenztafeln mit der Aufschrift „Halt Zonengrenze" durch neue Tafeln mit der Aufschrift „Halt Landesgrenze" ist weder angeordnet worden noch beabsichtigt. Es ist jedoch vorgesehen, daß die Schilder, deren Aufstellung in Zukunft notwendig wird, die Aufschrift „Halt, Grenze" tragen sollen. Den Beamten des Bundesgrenzschutzes ist nicht untersagt worden, die Begriffe „Zonengrenze" oder „Demarkationslinie" zu verwenden. Sie sind auch nicht angehalten worden, in Zukunft nur noch von „Staatsgrenze" oder „Landesgrenze" zu sprechen. Lediglich für die Meldetätigkeit des Bundesgrenzschutzes ist nach dem Ergebnis einer Besprechung mit den zuständigen Beamten der Grenzschutzkommandos vom 2. Oktober des Jahres einheitlich der Begriff „Grenze zur DDR" anzuwenden. Die dargestellten Maßnahmen tragen dem geänderten Sprachgebrauch in der deutschen Öffentlichkeit Rechnung. Sie stimmen auch mit der im Grundvertrag enthaltenen Terminologie überein. Die Umstellung der Hinweisschilder ist bisher verwaltungsintern vorbereitet worden. Das Erfordernis einer Unterrichtung der Öffentlichkeit hat sich dabei nicht ergeben. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schmude auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Gerlach (Obernau) (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 8) : Trifft die Meldung der „Welt" vom 16. Oktober 1974 zu, die Sicherheitsbehörden befürchteten einen weiteren Anstieg der politisch motivierten Gewalttätigkeit ausländischer Gruppen, nachdem Pläne über den Zusammenschluß aller Terrorvereinigungen zu einer schlagkräftigen Einheitsorganisation bekannt geworden seien und nachdem sich die politischen Gewalttaten ausländischer Gruppen im ersten Halbjahr 1974 gegenüber dem ersten Halbjahr 1973 verdoppelt hätten, und was wird die Bundesregierung unternehmen, um diesem Treibeis erfolgreich entgegenzutreten und die Sicherheit der Bevölkerung in vollem Umfang zu gewährleisten? Die Meldung des Axel-Springer-Dienstes in der „Welt" vom 16. Oktober 1974 nimmt Bezug auf einen Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Dieser Bericht war als „VS-Vertraulich" eingestuft. Seine öffentliche Behandlung in der Presse steht in einer Reihe mit anderen Veröffentlichungen geheimhaltungsbedürftiger Tatsachen aus dem Bereich der Nachrichtendienste, die sich in letzter Zeit häufen. Die Bundesregierung benutzt die Gelegenheit, um auf die außerordentliche Schädlichkeit dieser Praxis hinzuweisen. Die öffentliche Preisgabe von Arbeitsmethoden und Ermittlungsergebnissen unserer Nachrichtendienste droht deren Funktionsfähigkeit nachhaltig zu gefährden. Mühsam erarbeitete Erkenntnisse werden dadurch in ihrem Wert gemindert, das für eine ergiebige Arbeit erforderliche Vertrauen in die Dienste im In- und Ausland —wird gestört. Es liegt in unser aller Interesse, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Die von Ihnen, Herr Kollege, angesprochene Pressemeldung verkürzt den Sachverhalt und erweckt dadurch einen unrichtigen Eindruck. Der Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz, auf Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 8673* dem sie beruht, läßt die in der Meldung wiedergegebene Schlußfolgerung auf Pläne zur Bildung einer Einheitsorganisation ausländischer Terroristen nicht zu. Die Information über eine Verdoppelung der politisch motivierten Ausschreitungen von Ausländern im ersten Halbjahr 1974 gegenüber dem vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres ist zwar an sich richtig. Da jedoch die Zahl der erfaßten politisch motivierten Gewalttaten mit 44 im ersten Halbjahr 1973 und 105 im ersten Halbjahr 1974 gering ist und in dieser Zahl bereits leichtere Demonstrationsdelikte und Gewaltandrohungen enthalten sind, kann nach Auffassung der Bundesregierung auch auf dieser Grundlage nicht von einer Bedrohung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gesprochen werden. Selbstverständlich wird die Bundesregierung auch weiterhin dafür sorgen, daß die Aktivitäten radikaler ausländischer Gruppen mit aller gebotenen Sorgfalt beobachtet werden. Sie wird auch nicht zögern, die gesetzlich zulässigen Exekutivmaßnahmen zu ergreifen, wenn das notwendig ist. Die Feststellungen, auf die sich die genannte Pressemeldung bezieht, geben jedoch zu einem solchen Einschreiten keine besondere Veranlassung. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schmude auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. h. c. Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 9): Trifft die Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 24. Oktober 1974 zu, die Bundesregierung habe nicht die Absicht, sich in der gemeinsamen Grenzkommission den widerrechtlichen Forderungen Ost-Berlins zu widersetzen, die Mitte des Elbstromes als Grenze zur „DDR" anzuerkennen, und worin sieht — bejahendenfalls — die Bundesregierung eine Rechtsgrundlage für ein solches einseitiges Zugeständnis, nachdem sie lediglich befugt ist, die Grenze entsprechend den Übereinkünften der Alliierten (Vereinbarung, der Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen die alten deutschen Verwaltungsgrenzen zugrunde zu legen, die in einer offiziellen paraphierten Karte ihren Niederschlag gefunden hat, und ergänzende rechtsverbindliche Übereinkünfte der zuständigen alliierten Truppenbefehlshaber) festzulegen und zu markieren, und nicht befugt ist, auf Bundesgebiet zu verzichten? Bei den Gesprächen in der Grenzkommission geht es nicht um einen Verzicht auf Bundesgebiet, sondern allein um die Feststellung der Grenze zur DDR. Nach dem Grundvertrag kann die Grenzfeststellung auch im Elbeabschnitt nur nach den besatzungsrechtlichen Festlegungen vorgenommen werden. In der Erklärung zu Protokoll über die Aufgaben der Grenzkommission heißt es hierzu in Übereinstimmung mit der Rechtslage Deutschlands wörtlich: „Der Verlauf der Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bestimmt sich nach den diesbezüglichen Festlegungen des Londoner Protokolls vom 12. September 1944. Soweit örtlich die Grenze von diesen Festlegungen aufgrund späterer Vereinbarungen der damaligen Besatzungsmächte abweicht, wird ihr genauer Verlauf durch die Kommission an Ort und Stelle unter Beiziehung aller Unterlagen festgelegt und markiert." Für fünf Teilabschnitte der Elbe mit insgesamt rund 52 km Länge bestehen gegenwärtig Unklarheiten über die von den Alliierten getroffenen Vereinbarungen. Das Londoner Protokoll verweist für den Elbabschnitt auf alte Landesgrenzen (zwischen Preußen und Mecklenburg) oder Provinzgrenzen (zwischen den preußischen Provinzen Hannover und Mark Brandenburg), die die Elbe in dem betreffenden Abschnitt mehrfach kreuzten. Die dem Londoner Protokoll zur Erläuterung beigefügten Karte ist eine Übersichtskarte ohne Anspruch auf Genauigkeit im Detail. Die Aufgabe der Grenzkommission besteht darin, die von den damaligen Besatzungsmächten getroffenen späteren, vom Londoner Protokoll abweichenden Vereinbarungen zu ermitteln. Die Grenzkommission hat aber neben der Grenzfeststellung eine weitere wesentliche Aufgabe. Nach dem Zusatzprotokoll zum Grundvertrag wird sie „gleichermaßen zur Regelung sonstiger mit dem Grenzverlauf im Zusammenhang stehender Probleme beitragen". Es besteht deshalb ein enger Zusammenhang zwischen der Grenzfeststellung einerseits und einer befriedigenden Regelung der im Elbe-Abschnitt bestehenden praktischen Probleme andererseits. Das gilt vor allem für Fragen, die mit der Nutzung des Flusses für die Binnenschiffahrt, einschließlich der Sportschiffahrt, und für die Fischerei zusammenhängen. Dies macht es erforderlich, alle diese Fragen, die überwiegend zur Zuständigkeit der Verkehrskommission nach dem Verkehrsvertrag mit der DDR gehören, im Zusammenhang zu regeln. Angesichts der laufenden Gespräche mit der DDR kann ich hier öffentlich auf weitere Einzelheiten nicht eingehen. Die zuständigen Bundestagsausschüsse und Abgeordnete aus den betroffenen Gebieten werden über den Verlauf der Gespräche in der Grenzkommission von Zeit zu Zeit unterrichtet. Die Bundesregierung bietet ausdrücklich an, diese — vertraulichen — Unterrichtungen fortzusetzen. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schmude auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Franke (Osnabrück) (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 10) : Trifft es zu, daß Bundesbeamte im Gegensatz zu den Landes-und Kommunalbeamten in den meisten Ländern zur Vorbereitung der Wahl in eine kommunale Vertretungskörperschaft keinen Sonderurlaub erhalten, und ist die Bundesregierung bereit, eine Regelung in Angleichung an die Vorschriften der meisten Länder zu treffen? Die Gewährung von Sonderurlaub an Bundesbeamte aus Anlaß der Bewerbung um ein Mandat ist in § 2 der Verordnung über Sonderurlaub für Bundesbeamte und Richter im Bundesdienst vom 18. August 1965 geregelt. Danach ist einem Beamten, der die Aufstellung als Bewerber für die Wahl zum Abgeordneten des Deutschen Bundestages oder 8674* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 einer gesetzgebenden Körperschaft eines Landes annimmt, innerhalb der letzten zwei Monate vor dem Wahltag der zur Vorbereitung seiner Wahl erforderliche Urlaub unter Fortzahlung der Dienstbezüge zu gewähren. Sonderurlaub zur Vorbereitung auf die Wahl zu einer kommunalen Vertretungskörperschaft sieht die Verordnung nicht vor. Maßgebend hierfür war die Überlegung, daß bei einem kommunalen Mandat wegen der räumlichen Begrenzung der Wahlvorbereitung ein Sonderurlaub nicht zwingend erforderlich sei; außerdem sollten die Urlaubsanlässe aus personalwirtschaftlichen und finanziellen Gründen auf ein vertretbares Maß beschränkt werden. Es ist richtig, daß die Urlaubsvorschriften der Länder die Gewährung von Sonderurlaub überwiegend auch zur Vorbereitung auf ein kommunales Mandat zulassen. Die Praxis ist allerdings sehr unterschiedlich, insbesondere hinsichtlich der Dauer des Sonderurlaubs für diesen Zweck. Zum zweiten Teil Ihrer Frage möchte ich auf einen Beschluß der Ständigen Konferenz der Innenminister der Länder vom 14. Juni dieses Jahres hinweisen. Danach soll die Frage der Gewährung von Sonderurlaub an Beamte aus Anlaß der Bewerbung um ein Mandat von dem zuständigen Arbeitskreis der Innenministerkonferenz mit dem Ziel geprüft werden, eine möglichst einheitliche Praxis aller Dienstherren sicherzustellen. Ein Ergebnis dieser Prüfung liegt bisher nicht vor. Erst danach kann die Bundesregierung über Folgerungen entscheiden. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schmude auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen (SPD) (Drucksache 7/2720 Frage A 11) : Wie beurteilt die Bundesregierung Vorschläge aus der Industrie zur Novellierung des Bundesimmissionsschutzgesetzes und anderer Gesetze, durch die sichergestellt werden soll, daß die Beschaffenheit von Stoffen und Erzeugnissen, die zur Verpakkung von Waren dienen, nur verwendet werden dürfen, wenn sie bestimmten Anforderungen in der Zusammensetzung und im Herstellungsverfahren unterliegen? Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) vom 15. März 1974 in absehbarer Zeit zu novellieren. Die Vorschrift des § 35 BImSchG enthält bereits eine Ermächtigungsgrundlage für Rechtsverordnungen, in denen vorgeschrieben werden kann, daß bestimmte Stoffe oder Erzeugnisse aus Stoffen nur dann in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn sie nach bestimmten umweltfreundlichen Kriterien hergestellt worden sind. Hierzu gehören auch Verpackungsmaterialien. Im Rahmen der Vorbereitungen der Bundesregierung zum Abfallwirtschaftsprogramm werden u. a. auch Fragen, die die Verpackung von Waren betreffen, mit behandelt. Eine Beurteilung von Vorschlägen der Industrie zu diesem Problemkreis ist erst nach Abschluß dieser Arbeiten möglich. Das wird voraussichtlich im Frühjahr 1975 der Fall sein. Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Schmude auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Gierenstein (CDU/ CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 14) : Trifft die Meldung des „Tagesspiegel" vom 23. Oktober 1974 zu, das Statistische Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland erscheine 1974 erstmals auf Anweisung der Bundesregierung ohne eine Karte mit den Grenzen Deutschlands von 1937, was zu einer Verzögerung der Auslieferung, die sonst Mitte des Jahres erfolgt, bis Dezember dieses Jahres führen werde, und wie rechtfertigt die Bundesregierung — bejahendenfalls — diese Ent- scheidung, insbesondere im Hinblick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundvertrag? Die Meldung des „Tagesspiegel" vom 23. Oktober 1974, das Statistische Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland erscheine auf Anweisung der Bundesregierung 1974 erstmals ohne Karte mit den Grenzen von 1937, trifft zu. Die Bundesregierung beabsichtigt, das vom Statistischen Bundesamt herausgegebene Statistische Jahrbuch neu zu gestalten. Die Überarbeitung und Straffung des Teils Geographische Angaben für die Bundesrepublik Deutschland in den Grenzen des Deutschen Reiches vom 31. Dezember 1937" und die Aufnahme geographischer Angaben in den Hauptteil „Bundesrepublik Deutschland" und in den Teil „Deutsche Demokratische Republik und Berlin (Ost) " des Statistischen Jahrbuches 1974 sind erfolgt. Die Herausgabe des Jahrbuches 1974 verzögert sich dadurch. Die Bundesregierung erwägt, von 1975 an eine weitergehende, umfassende Neugestaltung des Statistischen Jahrbuches vorzunehmen. Bei der bisher veranlaßten Änderung hat sich die Bundesregierung von den Anforderungen leiten lassen, die die Benutzer an ein Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland stellen. Sie ist zu der Überzeugung gekommen, daß die im Statistischen Jahrbuch 1973 aufgeführte Deutschlandkarte in den Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 keinerlei Aussagewert für den Benutzer hat, weil sie - nicht die in den Tabellen gemachten geographischen Angaben — soweit sie in einer Karte darstellbar sind enthält. Die mit der Auffassung der Bundesregierung übereinstimmende Feststellung des Bundesverfassungsgerichtes in dem von Ihnen genannten Urteil, daß Deutschland als Ganzes fortbesteht, wird durch die Änderung nicht berührt. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Haehser auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Schröder (Lüneburg) (CDU/ CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 27) : Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 8675* Trifft es zu, daß der Bundesfinanzminister auf einer Veranstaltung in Hamburg erklärt haben soll, daß ein gewisses Maß an Arbeitslosigkeit derzeit unvermeidlich sei, und wie anders als das bewußte Inkaufnehmen von Arbeitslosigkeit ist eine solche Aussage zu bewerten? Es trifft nicht zu, daß der Bundesminister der Finanzen die in Ihrer Frage unterstellte Äußerung gemacht hat. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Haehser auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Häfele (CDU/ CSU) (Drucksache 7/2720 Fragen 31 und 32) : Mit welchen Belastungsbeträgen würde sich eine Mehrwertsteuererhöhung von 11 v. H. auf 13 v. H. und 5,5 v. H. auf 6,5 v. H. (ermäßigter Steuersatz) auf Arbeitnehmerhaushalte, Rentnerhaushalte und die Haushalte der Selbständigen verteilen (Basis 1975)? Wie verteilen sich die ab 1975 vorgesehenen Steuerentlastungen auf Grund der Steuerreform von rund 13,5 Milliarden DM auf diese Haushalte, und welche Entlastungen bzw. Mehrbelastungen würden bei Gegenrechnung der Belastungen aus der angegebenen Mehrwertsteuererhöhung jeweils übrigbleiben (Basis 1975) ? Zu Frage A 31: Die Bundesregierung hat wiederholt, u. a. erst in der letzten Fragestunde, erklärt, daß sie nicht beabsichtigt die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Aus diesem Grund hat sie auch keine Berechnungen darüber angestellt, wie sich eine Mehrwertsteuererhöhung auswirken könnte. Wenn die CDU/CSU-Fraktion die Absicht hat, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, ist die Bundesregierung selbstverständlich bereit, für sie entsprechende Berechnungen zu erstellen. Zu Frage A 32: Von den durch die Steuerreform vorgesehenen Entlastungen in Höhe von 13,5 Mrd. DM entfallen rd. 90 % auf Arbeitnehmer sowie Rentner und Pensionäre. Im einzelnen wirken sich die Entlastungen wie folgt aus: 10,8 Mrd. DM für Arbeitnehmer 1,3 Mrd. DM auf nicht mehr Erwerbstätige 1,4 Mrd. DM auf Selbständige und Unternehmen. Eine Gegenüberstellung der Steuerentlastungen durch die Steuerreform und hypothetischer Mehrbelastungen durch eine Mehrwertsteuererhöhung ist aus den Gründen, die ich Ihnen in der Antwort auf Ihre 1. Frage nannte, weder nötig noch mir im Augenblick möglich. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen (SPD) (Drucksache 7/2720 Frage A 42) : Hält die Bundesregierung die Einrichtung öffentlicher Sammelstellen für Altöl, das vor allem bei von vielen Kraftfahrzeugbesitzern zuhause durchgeführten Ölwechseln anfällt, für notwendig, um dadurch insgesamt doch erhebliche Umweltschäden zu verhindern? Das Problem der sog. Selbstwechsler-Altöle hat den Bundestag verschiedentlich beschäftigt, zuletzt auf Grund mündlicher Fragen 36 und 37 des Herrn Abgeordneten Hugo Brandt in der Fragestunde am 20./22. September 1972. Das Problem ist in ständigem Kontakt mit den Landesregierungen, den kommunalen Spitzenverbänden, den Spitzengremien des Einzelhandels sowie der Mineralölwirtschaft erörtert worden. Auf Grund dieser Gespräche und der daraus abgeleiteten Initiativen haben die Verbände des Handels ein „Memorandum gegen den unkontrollierten Verbleib des Altöls beim Ölwechsel von Kraftfahrzeugen" veröffentlicht. Eine Ausfertigung des Memorandums darf ich hier beifügen. Es zeigt sich, daß die von Warenhäusern usw. verkauften Schmierölmengen nicht den oft behaupteten großen Umfang haben. Auch werden die Anstrengungen des Handels deutlich, das Problem der Rücknahme von Altöl in eigener Regie zu lösen; dies wird durch die Feststellung betont, daß allein ein Warenhauskonzern mehr als 70 Rücknahmestellen eingerichtet hat. Nicht zuletzt sind auch im öffentlichen Bereich bereits zahlreiche Annahmestellen für Altöl vorhanden. Beispielsweise bestehen im Regierungsbezirk Mittelfranken 118 Stellen; weitere 35 sind vorgesehen. In der Bundeshauptstadt sind inzwischen 4 solcher Stellen vorhanden. Weitere Besprechungen mit den zuständigen Kreisen sind vorgesehen. Über abschließende Ergebnisse zu dem Gesamtproblem hoffe ich berichten zu können, wenn die Bundesregierung den dem Bundestag gemäß § 2 Abs. 4 des Altölgesetzes vom 23. Dezember 1968 bis zum 31. März 1975 zu erstattenden zweiten Altölbericht vorlegt. Eingehendere schriftliche Darstellungen von Altöl-Problemen enthalten die Bundestagsdrucksachen VI /3014 (Selbstwechsleröl) und VI/3312 (erster Altölbericht). Memorandum gegen den unkontrollierten Verbleib des Altöls beim Ölwechsel von Kraftfahrzeugen 1. Zur gegenwärtigen Situation Beim Ölwechsel, den Kraftfahrzeugbesitzer selbst vornehmen, besteht die Gefahr, daß das Altöl in das öffentliche Kanalnetz oder in das Erdreich gegossen wird und dadurch Umweltschäden entstehen. Da zum Selbstwechseln vor allem sog. „Handelsöle" verwendet werden, ist gelegentlich die Auffassung vertreten worden, nur durch ein Verbot des Verkaufs dieser Öle könne die Gefährdung der Umwelt verhindert werden. Eine solche Radikallösung ist aber aus wettbewerbs-, preis- und verbraucherpolitischen Gründen nicht zu vertreten und würde auch nicht zu dem gewünschten Erfolg führen. Der Handel ist vielmehr der Auffassung, daß 8676* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 durch andere Maßnahmen ein hinreichender Schutz gegen den unkontrollierten Verbleib des Altöls erreicht werden kann. Eine Reihe solcher Maßnahmen hat der Handel bereits von sich aus getroffen; weitere Maßnahmen wurden eingeleitet. Um das Ausmaß der Umweltgefährdung beurteilen zu können, ist zunächst zu berücksichtigen, daß nach den Ermittlungen des Handels der überwiegende Teil des gekauften Handelsöls nur zum Nachfüllen benutzt wird. Der Ölwechsel selbst wird vom Kraftfahrzeugbesitzer (vor allem wegen der damit verbundenen Verschmutzung) weithin als zu lästig angesehen. Ein weiterer Teil des Handelsöls wird zum Ölwechsel verwendet, den Kfz-Vertragswerkstätten und Tankstellen mit diesem vom Kunden selbst gestellten Öl durchführen. Nach unseren Erfahrungen sind Werkstätten und Tankstellen in zunehmendem Maße hierzu bereit. Für die Fälle, in denen Handelsöl zum Selbstwechseln verwendet wird, darf nicht übersehen werden, daß das anfallende Altöl nicht nur von den Kommunen oder vorn Handel eingerichteten Sammelstellen angenommen wird, sondern — von wenigen Ausnahmen abgesehen — auch von den Tankstellen und Kfz-Vertragswerkstätten. Von dieser Möglichkeit der Altölrückgabe wird tatsächlich auch Gebrauch gemacht. Es ist nicht gerechtfertigt, zu unterstellen, daß ein großer Teil des beim Selbstwechsel anfallenden Altöls umweltgefährdend beseitigt wird, zumal sich dieses Mißtrauen gegenüber dem Verantwortungsbewußtsein der Bürger nur auf Vermutungen stützt. Die Aufklärung über die Umweltgefährdung ist schon bisher nicht ohne Erfolg gewesen. 2. Menge des verkauften Handelsöls Wiederholt wurde mit unzutreffenden Zahlen über die Menge des verkauften Handelsöls gearbeitet, um — nicht zuletzt aus Konkurrenzgründen — das Problem der Umweltgefährdung größer erscheinen zu lassen als es in Wirklichkeit ist. Bei einer Umfrage im Handel ergaben sich annähernd folgende Verkaufsmengen für das Jahr 1973: Warenhauskonzerne und Versandhäuser ca. 3 950 t Selbstbedienungswarenhäuser und Filialunternehmen ca. 2 000-2 500 t Konsumgenossenschaften ca. 500 t ca. 6 500-7 000 t Die Mineralölindustrie hat zwar wesentlich höhere Zahlen ermittelt (bis zu 20 000 t). Diese sind aber nach Auffassung des Handels überhöht. 3. Maßnahmen des Handels zur Beseitigung des Altöls a) Schon jetzt haben einige große Unternehmen des Einzelhandels firmeneigene Sammelstellen eingerichtet. Dort kann der Kunde, ohne Frischöl kaufen zu müssen und ohne anzugeben, wo er das 01 gekauft hat, das bei ihm anfallende Altöl zurückgeben. Das Altöl wird bei diesen Unter- nehmen gesammelt und dann von den abholpflichtigen Unternehmen im Sinne des § 2 Absatz 2 Altölgesetz abtransportiert. Fachkundiges Personal und Einhaltung der erforderlichen Sicherheitsbestimmungen gewährleisten eine gefahrlose Lagerung bei diesen Einzelhandelsunternehmen. b) Waren- und Versandhäuser, die Autoreifen verkaufen, haben mit Tankstellen oder Reparaturwerkstätten Vereinbarungen getroffen, nach denenen dort nicht nur die Autoreifen gewechselt werden können, sondern auch Altöl abgegeben werden kann. c) Der Handel führt eine umfangreiche Aufklärung der Kunden durch. Es wird jeweils auf die nächstliegenden Sammelstellen (eigene und kommunale) hingewiesen, und zwar — mit Hinweisschildern an den Verkaufsregalen — mit Aufdrucken oder Banderolen auf den Öldosen — mit Handzetteln, die an der Kasse den Kunden übergeben werden. Zusätzlich wird auf die Gefahr der Umweltverschmutzung und auf die Strafbarkeit der Grundwasserverschmutzung hingewiesen. Die Handelsverbände haben jetzt sowohl ihren Mitgliedsunternehmen als auch den Herstellern von Handelsölen empfohlen, bundeseinheitlich etwa folgenden Text zu verwenden: Achtung beim Ölwechsel! Altöle nicht in das Kanalnetz oder Erdreich ablassen. Grundwasserverschmutzung wird streng bestraft. Altöl wird bei den Sammelstellen kostenlos angenommen. Es folgen dann die Anschriften der örtlichen handelseigenen und kommunalen Sammelstellen, die jeweils von dem Unternehmen einzusetzen sind. d) Damit der Kunde das Altöl sauber und einfach zu den Sammelstellen bringen kann, werden vom Handel bereits jetzt handliche Kleinbehälter angeboten oder in den nächsten Wochen neu auf den Markt gebracht. In diesen Behältern, die etwa 8-10 1 fassen, kann das beim Ölwechsel anfallende Altöl sowohl aufgefangen als auch gesammelt und zur Abgabestelle gebracht werden. Diese Behälter, deren Anschaffungspreis gering ist (zum Teil unter DM 10,—), können unbegrenzt wieder benutzt werden. e) Der Handel wird über die von ihm selbst durchgeführte breite Aufklärung (z. B. auch in eigenen Pressemitteilungen) hinaus, Verbindung zu den Verbraucherorganisationen aufnehmen, um sie zu einer Mitwirkung an dieser Aufklärungskampagne zu gewinnen. Diese Aufklärung soll koordiniert werden mit der vom Bundeswirtschaftsministerium geplanten Aufklärung. f) Der Handel hat inzwischen Gespräche mit der Arbeitsgemeinschaft Mittelständischer Mineralölraffinerien und der Gewerbeaufsicht aufgenom- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 8677* men mit dem Ziel, Modelle für die Einrichtung rationeller handelseigener Altölsammelstellen zu entwickeln. Dabei wurden sowohl Fragen der Sicherheit erörtert als auch die Frage der Kostenbelastung. Es hat sich gezeigt, daß sich die Kosten in der Regel in Grenzen halten werden, so daß auch unter diesem Gesichtspunkt die Einrichtung zusätzlicher Sammelstellen dem Handel möglich sein wird. 4. Mitwirkung der Kommunen und der Mineralölindustrie Nachdem der Handel schon seit Jahren eigene Maßnahmen zur schadlosen Beseitigung von Altöl ergriffen hat und diese Bemühungen einschließlich der Aufklärung der Verbraucher noch verstärken wird, wäre es zu begrüßen, wenn sich die Kommunen mehr als bisher an dieser Aufgabe beteiligen würden. Während allein ein Warenhauskonzern in der Bundesrepublik mehr als 70 Rücknahmestellen eingerichtet hat, gibt es noch zahlreiche Kommunen, die überhaupt noch keine Rückgabemöglichkeit bieten. Sammelstellen werden nur dann wirklich in Anspruch genommen, wenn der Verbraucher einen möglichst kurzen Weg zurücklegen muß. Besonders in ländlichen Gebieten (in denen die Bewohner insbesondere bei allen landwirtschaftlichen Maschinen den Ölwechsel selbst vornehmen) sollte die Zahl der kommunalen Sammelstellen vergrößert werden. Als positives Beispiel können hier die Initiativen der Städte Bonn und Hannover erwähnt werden, die in ihren Bereichen alleine 4 bzw. 10 Sammelstellen für Altöl eingerichtet haben und mit einem Informationsblatt darauf hinweisen. Schließlich wäre es zu begrüßen, wenn sich auch die Mineralölindustrie dafür einsetzen würde, daß bei ihren Tankstellen jedermann ungehindert Altöl abgeben kann. Hier sind schon Einrichtungen vorhanden, und das geschulte Personal an den Tankstellen kann unter Beachtung der Sicherheitsvorkehrungen das Altöl annehmen. (Zudem besteht hier die Möglichkeit, daß aus einem „Handelsölwechsler" ein neuer Tankstellenkunde wird). Konkurrenzgesichtspunkte zwischen den verschiedenen Mineralölherstellern dürfen die Bekämpfung von Umweltgefährdungen nicht erschweren. Juli 1974 Arbeitsgemeinschaft der Lebensmittel-Filialbetriebe, Bonn Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels, Köln Bundesverband des deutschen Versandhandels, Frankfurt Bundesverband der Selbstbedienungs-Warenhäuser, Bonn Bund Deutscher Konsumgenossenschaften, Hamburg Hauptgemeinschaft des deutschen Einzelhandels, Köln Anlage 14 Antwort des Staatssekretärs Dr. Wolters auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Rollmann (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 54) : In welcher Weise hat die Bundesregierung bisher mit den Ländern und Gemeinden über die Finanzierung des von ihr seit der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 laufend versprochenen, von den Ländern und Gemeinden aber zu bezahlenden, Vorhabens eines neuen Jugendhilfegesetzes verhandelt? Seit der Einsetzung einer Sachverständigenkommission im Jahre 1970, die den Auftrag hatte, Vorstellungen für ein neues Jugendhilferecht zu entwickeln, sind die Länder laufend über den Stand der Arbeiten unterrichtet worden. Die obersten Landesjugendbehörden haben sämtliche Niederschriften über die Sitzungen der Kommission erhalten. Der Kommission gehörten Mitglieder an, die von den obersten Jugendbehörden vorgeschlagen waren. Ferner waren die Länder bei der vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit durchgeführten Anhörung im November 1973 vertreten. Danach wurde der vorbereitende Entwurf als „Referentenentwurf eines Jugendhilfegesetzes" den obersten Jugendbehörden der Länder am 27. März 1974 übersandt. In der Sitzung der Arbeitsgemeinschaft der obersten Landesjugendbehörden am 20. Juni 1974 wurden darüber hinaus Unterlagen mit detaillierten Angaben zu den Kosten des Entwurfs vorgelegt. Stellungnahmen der Länder hierzu sind bisher nicht eingegangen. Bei der Ermittlung der voraussichtlichen Kosten ist auch das Beratungsergebnis von Sachverständigen ausgewertet worden, die den Auftrag hatten, auf der Grundlage des Diskussionsentwurfs zu einem Jugendhilfegesetz Überlegungen anzustellen, mit welchem Bedarf und mit welchen Kosten zu rechnen sein würde. Diesem Gremium gehörten Vertreter von Jugendwohlfahrtsbehörden und kommunalen Spitzenverbänden an. Der Arbeitskreis Familie und Jugend des Deutschen Städtetages hatte sich mit „Überlegungen für eine Kostenschätzung des Referentenentwurfs" auf seiner Sitzung am 11. Oktober 1974 in München befaßt. Für das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit nahm der zuständige Abteilungsleiter an der Sitzung teil. Anlage 15 Antwort des Staatssekretärs Dr. Wolters auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Urbaniak (SPD) (Drucksache 7/2720 Fragen A 55 und 56) : Treffen Meldungen der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 15. Oktober 1974 zu, daß bisher erst ein Drittel aller Antragsberechtigten Kindergeldanträge bei den zuständigen Arbeitsämtern gestellt hat? Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung bisher getroffen, die Offentlichkeit über die neue Kindergeldregelung zu unterrichten, und was gedenkt die Bundesregierung weiterhin zu unternehmen, um die Antragsberechtigten über die neue Regelung zu informieren? 8678* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 Zu Frage A 55: Bis einschließlich 25. Oktober 1974 sind bei den Arbeitsämtern rund 3 Millionen Anträge auf das neue Kindergeld gestellt worden. Das sind 50 v. H. der Anträge aller auf Grund der Reform des Familienlastenausgleichs erstmalig Kindergeldberechtigten außerhalb des öffentlichen Dienstes. Zu Frage A 56: Hinsichtlich der bisher getroffenen Maßnahmen verweise ich auf die schriftliche Antwort des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit vom 25. September 1974 auf eine ähnlich lautende Anfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wernitz. Die Antwort ist in der Anlage 15 zum Stenografischen Bericht über die 119. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 26. September 1974 wiedergegeben. Ergänzend ist zu erwähnen, daß die Bundesregierung und die Bundesanstalt für Arbeit sich bemühen, durch weitere geeignete Informationsmaßnahmen die Antragsberechtigten zur rechtzeitigen Antragstellung zu veranlassen. Anlage 16 Antwort des Staatssekretärs Dr. Wolters auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Schäfer (Appenweier) (SPD) (Drucksache 7/2720 Frage A 57) : Treffen Pressemeldungen zu, wonach infolge unsachgemäßer Verwendung von Schädlingsbekämpfungsmitteln in Ställen Giftrückstände in Milch in Baden-Württemberg festgestellt wurden, und kann mir die Bundesregierung mitteilen, um welche Fabrikale von Schädlingsbekämpfungsmitteln es sich dabei handelt, damit die Landwirte aufgefordert werden können, solche Insektizide zukünftig nicht mehr zu verwenden? Nach Mitteilung des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung Baden-Württemberg liegen den Pressemeldungen zwei Fälle zugrunde, in denen die Behandlung von Ställen mit Lindanhaltigen Insektiziden des Fabrikats „Nexit stark" zu Lindangehalten in der Anlieferungsmilch führte, welche die nach der Höchstmengenverordnung für tierische Lebensmittel zulässige Menge überschritten. Das Landesministerium hat diese Feststellung zum Anlaß genommen, die Milcherzeuger in einer Pressemitteilung vorsorglich auf die Gefahren hinzuweisen, die durch unsachgemäßen Gebrauch von Insektiziden entstehen können. Im Hinblick auf die in der landwirtschaftlichen Praxis teilweise noch bestehende Unkenntnis über die Auswirkungen der Anwendung von Pestiziden und anderen Stoffen bereitet das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit z. Z. ein Merkblatt vor, das unter Berücksichtigung der verschiedenartigen Kontaminationsquellen wie Futter, Gerätschaften, Stallanstriche, Ungezieferbekämpfungsmittel den am Markt Beteiligten aufklärende Hinweise geben soll über mögliche Ursachen der Kontamination von Lebensmitteln tierischer Herkunft und über deren Vermeidung. Anlage 17 Antwort des Staatssekretärs Dr. Wolters auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Biehle (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 58) : Ist der Bundesregierung bekannt, daß nach Pressemitteilungen der Main-Post Würzburg vom 23. Oktober 1974 deutsche Importeure innerhalb eines Jahres 44 Millionen Bocksbeutel mit portugiesischem Wein einführen wollen, obwohl der fränkische Bocksbeutel als besondere Flaschenform geschützt ist, und was gedenkt die Bundesregierung zum Schutze der fränkischen Winzer zu unternehmen? Der Bericht der Würzburger „Main-Post" vom 23. Oktober 1974, der sich mit dem Schutz der Bocksbeutel-Flasche für Frankenwein befaßt, ist der Bundesregierung bekannt. Die darin enthaltene Aussage, der deutsche Importeur „wolle in einem Jahr 44 Millionen Bocksbeutel aus Portugal auf den deutschen Markt bringen", ist nach den eingeholten Informationen allerdings unzutreffend und beruht offensichtlich auf einem Mißverständnis. Denn bei der genannten Menge von 44 Millionen Flaschen handelt es sich um die Gesamtproduktion des in Rede stehenden portugiesischen Roséweines. Diese Menge verteilt sich aber beim Export auf über 70 Länder, wobei im Jahre 1973 auf die Bundesrepublik Deutschland 381 072 Flaschen entfielen. Das ist nicht, wie es in der „Main-Post" heißt, mehr als die gesamte fränkische Weinernte, sondern beträgt, auf das Jahr 1973 bezogen, noch nicht 1 Prozent. Selbst wenn die neue deutsche Allein-Importfirma durch groß angelegte Werbemaßnahmen eine wesentliche Absatzsteigerung erzielen sollte, ist dadurch nach Auffassung der Bundesregierung eine Beeinträchtigung der fränkischen Weinwirtschaft nicht zu besorgen. Die Frage, ob der in bocksbeutelähnlichen Flaschen eingeführte portugiesische Roséwein aufgrund von § 17 der Wein-Verordnung beanstandet werden muß, ist Gegenstand von Besprechungen mit den für den Vollzug des Weinrechts zuständigen obersten Landesbehörden am 28. Februar 1973 und am 18. Januar 1974 im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit gewesen. Dabei haben sich alle Bundesländer — mit Ausnahme Bayerns — gegen eine Beanstandung der Flaschenform ausgesprochen, sofern durch eine deutliche Kennzeichnung der portugiesischen Weine eine Verwechslung mit Frankenwein ausgeschlossen wird. Dies zu kontrollieren, ist Sache der den Bundesländern obliegenden Lebensmittelüberw achung (Weinkontrolle), wobei in Zweifelsfällen die letzte Entscheidung den Gerichten vorbehalten bleiben muß. Bei den Beratungen der EWG-Bezeichnungs-Verordnung für Wein hat die Bundesregierung — gerade im Hinblick auf die Bocksbeutel-Flasche — gegen den Widerstand der anderen Delegationen in Artikel 40 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung die Aufnahme einer Ermächtigung durchsetzen können, bestimmte Behältnisse bestimmten Erzeugnissen vorzubehalten. Sie wird sich bei den Beratungen der hierzu notwendigen Durchführungsverordnung mit allem Nachdruck für Vorschriften einsetzen, die den für die Frankenweine gerechtfertigten Schutz der Bocksbeutel-Flasche sicherstellen. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 8679* Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretärs Zander auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Schweitzer (SPD) (Drucksache 7/2720 Frage A 59) : Welche Linie verfolgt die Bundesregierung zur Zeit hinsichtlich des Problems einer Förderung des SHB aus Mitteln des Bundeshaushalts? Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion -- Bundestagsdrucksache 7/1006 — bezüglich der Förderung des SHB aus Mitteln des Bundeshaushalts darauf hingewiesen, daß sie Zweifel daran hat, ob der SHB die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit bietet, wie es in § 9 Abs. 1 des Jugendwohlfahrtsgesetzes als Voraussetzung für eine Förderung vorgeschrieben ist. Diese Zweifel waren durch eine Analyse der Publikationen des SHB nicht zu beseitigen. Deshalb hat das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit am 6. Mai 1974 dem SHB eine Reihe konkreter Fragen vorgelegt und um deren schriftliche, für den Gesamtverband verbindliche Beantwortung gebeten. Eine Antwort hierauf hat der SHB inzwischen gegeben. Sie wird zur Zeit geprüft. Eine Abstimmung zwischen den Ressorts der Bundesregierung und eine abschließende Beurteilung stehen kurz vor dem Abschluß. Außerdem sehen die Richtlinien des Bundesjugendplans vor, daß die Bundesregierung -vor der Entscheidung, ob die Voraussetzungen für die Förderungswürdigkeit des Trägers entfallen sind, das Bundesjugendkuratorium anhört. Anlage 19 Antwort des Parl. Staatssekretärs Haar auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Straßmeir (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Fragen A 60 und 61): Trifft die Meldung der Berliner Morgenpost" vom 15. Oktober 1974 zu, wonach am Sonnabend, dem 12. Oktober 1974, Reisende nach Berlin am Kontrollpunkt Marienborn bei der Abfertigung durch die Grenzorgane der DDR schikanöse Wartezeiten bis zu teilweise 1 1/2 Stunden hinnehmen mußten, die zu Protestaktionen der Reisenden führten? Wenn ja, welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung, um die DDR künftig wirksam zur Einhaltung des Transitabkommens vom 17. Dezember 1971 zu veranlassen und einen reibungslosen Transitverkehr ohne ungebührlidie Wartezeiten zu gewährleisten? Zu Frage A 60: Nach den hier vorliegenden Meldungen über Angaben von Reisenden haben sich am Sonnabend, dem 12. Oktober 1974 in Marienborn in der Zeit von 18.00 Uhr bis 18.45 Uhr Abfertigungsverzögerungen ergeben, die zwar nicht bis zu 90, wohl aber bis zu 45 Minuten gedauert haben sollen. Zu Frage A 61: Nach Artikel 19 des Transitabkommens ist es Aufgabe der Transitkommission, Schwierigkeiten und Meinungsverschiedenheiten bei der Anwendung oder Auslegung des Transitabkommens zu klären. Die Bundesregierung wird in der Transitkommission auf eine Artikel 2 Absatz 1 des Transitabkommens entsprechende Abfertigung hinwirken, daß nämlich der Transitverkehr in der einfachsten, schnellsten und günstigsten Weise erfolgt, wie es in der internationalen Praxis vorzufinden ist. Anlage 20 Antwort des Parl. Staatssekretärs Haar auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Zeitel (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 62) : Inwieweit ist die Bundesregierung gewillt, die Wettbewerbsverzerrungen im grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr für innerdeutsche Unternehmen durch Maßnahmen im Bereich der Kraftfahrzeug- und Mineralölsteuer zu mindern? Die Bundesregierung ist gewillt, im Rahmen des Möglichen einen Beitrag zum Abbau von Wettbewerbsverzerrungen im grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr zu leisten. So ist im Regierungsentwurf für das neue Kraftfahrzeugsteuergesetz vorgesehen, künftig die sog. „überzähligen" Sattelauflieger von der Steuer freizustellen. Ähnliche Vergünstigungen gelten schon jetzt in einigen Nachbarländern; insoweit wird ein Wettbewerbsnachteil zu Lasten der deutschen Unternehmer beseitigt. Außerdem ist die Bundesregierung bestrebt, eine Harmonisierung der Kraftfahrzeugsteuern im Rahmen einer gemeinsamen EWG-Wegekostenregelung zu erreichen. Der Bundesminister für Verkehr hat dies in seiner „Wegekosten-Erklärung" anläßlich der letzten Verkehrsministerratstagung sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Es muß allerdings einkalkuliert werden, daß diese Harmonisierung wegen der sehr unterschiedlichen nationalen Interessen ein langwieriger und mühsamer Prozeß ist. Bei der Kraftfahrzeugsteuer ist auch zu berücksichtigen, daß sie nur einer von zahlreichen Wettbewerbsfaktoren ist, und zwar keineswegs der bedeutendste: Sie macht in der Bundesrepublik Deutschland trotz ihres hohen Niveaus nur rd. 5 % der Jahres-Gesamtkosten eines Schwerlastzuges aus. Die Wettbewerbsnachteile zu Lasten der deutschen Unternehmer können also nicht allein aus den Unterschieden beim Kfz-Steuer-Niveau im internationalen Vergleich erklärt werden; sie sind vielmehr auch auf andere Wettbewerbsfaktoren, wie z. B. die Lohnkosten zurückzuführen. Im Gegensatz zur Kraftfahrzeugsteuer bewirkt die Mineralölsteuer keine Wettbewerbsverzerrung im grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr. Für eine bestimmte Beförderungsstrecke ist die Mineralölsteuerbelastung für deutsche und ausländische Unternehmer die gleiche. 8680* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 Anlage 21 Antwort des Parl. Staassekretärs Haar auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Westphal (SPD) (Drucksache 7/2720 Fragen A 63 und 64) : Trifft es zu, daß die Deutsche Bundesbahn auf einer Strecke die von einem Bus der Deutschen Bundesbahn im Linienverkehr befahren wird, nur dann ihre Zustimmung zum Einsatz eines ergänzenden Schulbusses durch einen privaten Busunternehmer gibt, wenn der Bundesbahnbus, der 50 Sitzplätze enthält, laufend von 150 Schülern auf Sitz- und Stehplätzen beansprucht wird, und ist schon einmal versucht worden, 150 Schüler in einen solchen Bus hineinzuzwängen? Ist es nach Ansicht der Bundesregierung notwendig, das Personenbeförderungsgesetz zu ändern, um die in Frage 63 dargestellte unrealistische Anforderung an den Auslastungsgrad von Bundesbahnbussen, die als Schulbusse verkehren, zu ändern, oder gibt es andere Wege zur Vermeidung dieses unvertretbaren Zusammenpferchens von Kindern in einem Bundesbahnbus? Die von Ihnen beschriebene Verfahrensweise der Deutschen Bundesbahn ist mir nicht bekannt. Sofern Ihre Frage auf einen konkreten Fall abhebt, bitte ich, mir Einzelheiten mitzuteilen; die Angelegenheit werde ich sodann umgehend dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn zur Prüfung vorlegen. Anlage 22 Antwort des Parl. Staatssekretärs Haar auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Dreyer (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Fragen A 65 und 66) : Hält es die Bundesregierung für angebracht, daß die Deutsche Bundesbahn angesichts deren Finanzmisere das Buch „Dienstrecht der Mitarbeiter der Deutschen Bundesbahn", das im Buchhandel 32 DM kostet, auch in mehreren Exemplaren den kleinsten Dienststellen der Deutschen Bundesbahn zuteilt? Tritt die Bundesregierung meiner Feststellung bei, daß die Deutsche Bundesbahn eine Fülle von Druckerzeugnissen herausgibt, die hohe Kosten erfordern — wie es z. B. beim Report 74 der Fall ist — und deren Wirkung für das Unternehmen nicht allzu hoch ist? Beide Fragen, die die Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Bundesbahn und die Versorgung von Mitarbeitern der Deutschen Bundesbahn mit Informationsmaterial betreffen, fallen in den ausschließlichen Verantwortungsbereich des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn: Ihre Fragen habe ich daher an die Deutsche Bundesbahn weitergegeben; sobald mir die Antwort des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn vorliegt, werde ich Sie über den Inhalt unterrichten. Anlage 23 Antwort des Parl. Staatssekretärs Haar auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Haenschke (SPD) (Drucksache 7/2720 Frage A 67) : Denkt die Bundesregierung angesichts wachsender Autohalden daran, die Angabe des Baujahrs im Kraftfahrzeugbrief wieder einzuführen? Nachdem die Angabe des Baujahrs auf dem Fabrikschild schon seit der Änderungsverordnung zur Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom 7. Juli 1960 nicht mehr gefordert war, wird seit 1963 das Baujahr auch im Fahrzeugbrief nicht mehr verlangt. Statt dessen wird in den Fahrzeugpapieren der Tag der ersten Zulassung eingetragen. Diese Regelung trägt den verkehrsrechtlichen Belangen voll Rechnung, um z. B. bei notwendig werdenden Nachrüstungen aus Anlaß von Gesetzesänderungen (z. B. Warnblinkanlage, Sicherheitsgurte) einen Bezugspunkt für die unter die Nachrüstungspflicht fallenden Altfahrzeuge zu haben. Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, diese verkehrsrechtliche Regelung zu ändern. Anlage 24 Antwort des Parl. Staatssekretärs Haar auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Haenschke (SPD) (Drucksache 7/2720 Frage A 68) : Ist die Bundesregierung bereit, darauf hinzuwirken, daß durch eine weitere Herabsetzung der zulässigen Lärmgrenzwerte die Entwicklung leiserer Motoren für Sportflugzeuge angeregt wird? Die Bundesregierung hat schon 1972 Grenzwerte für die Geräuschemission leichter Propeller-Flugzeuge der allgemeinen Luftfahrt definiert und als Stand der Technik für die Erstzulassung neuer Entwicklungen festgelegt. Diese Regelung soll auch durch die ICAO zur internationalen Norm erhoben werden. Für neue Flugzeuge, die in der Bundesrepublik nach 1976/77 als Muster oder aber zum Schul- bzw. Schleppbetrieb zum Verkehr zugelassen werden sollen, sind Senkungen der gegenwärtig gültigen Grenzwerte um ca. 5 Dezibel vorgesehen. Es muß in diesem Zusammenhang jedoch darauf hingewiesen werden, daß in der Bundesrepublik Deutschland bis auf wenige Motoren für Motorsegler keine Kolbenflugmotoren für Leichtflugzeuge hergestellt werden. In den USA jedoch, dem fast ausschließlichen Herstellerland, sind Maßnahmen zur Lärmbeschränkung an Leichtflugzeugen erst im Anfangsstadium. In der Bundesrepublik Deutschland wird nur ein geringer Teil der in den USA produzierten Kolbenmotoren eingeführt. Gleichwohl werden sowohl die US-Luftfahrtbehörden als auch Kleinflugzeug-, Motoren- und Propeller-Produzenten in den USA mit Nachdruck auf die zukünftigen Maßnahmen in der Bundesrepublik Deutschland und die damit sehr gering werdenden Aussichten, „laute" Flugzeuge bei uns abzusetzen, hingewiesen. Anlage 25 Antwort des Parl. Staatssekretärs Haar auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Wittmann (München) (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 69) : Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 8681* Haben Bundesregierung oder eine von ihr finanziell bzw. sonst unterstützte Einrichtung durch die sechsseitige „Verkehrssicherheitsbeilage September 1974" in dem Münchner SPD-Blatt „Münchener Post", Nummer 33, Oktober 1974, diese Zeitung oder die SPD selbst unter Mißbrauch der berechtigten Sicherheitsbelange des Straßenverkehrs unterstützt, und wie kann diese Aktion gegebenenfalls vor dem Steuerzahler gerechtfertigt werden? Zur Verstärkung der Public Relation-Aktivitäten bei der seit dem Frühsommer dieses Jahres laufenden Aufklärungskampagne zum Anlegen von Sicherheitsgurten und als ein Mittel publizistischer Vorbereitung auf die noch in diesem Jahr einsetzende Aufklärungsaktion über die Gefahren des Alkohols im Straßenverkehr ist vom Referat für Öffentlichkeitsarbeit des Bundesverkehrsministeriums die sechsseitige „Verkehrssicherheitsbeilage September 1974" für periodisch erscheinende Zeitungen herausgegeben worden. Inhalt und Aufmachung dieser Beilage sind darauf gerichtet, breiten Kreisen der Bevölkerung die verschiedenen Aspekte der beiden Themenbereiche nahezubringen, damit Gurte bei jeder Autofahrt angelegt werden und Kraftfahrer auf den Genuß von Alkohol verzichten. Die Beilage zielt auch darauf, beide Aufklärungsaktionen als Ausdruck eines zusammenhängenden Systems verkehrssichernder Maßnahmen erkennbar zu machen. Die Zeitungen einer Arbeitsgemeinschaft, zu der auch die „Münchner Post" gehört, sind vertraglich verpflichtet, 1 190 000 Exemplare eingelegt in ihr Verlagsobjekt an die Haushalte im jeweiligen, über mehrere Länder der Bundesrepublik Deutschland reichenden Verbreitungsgebiet zu verteilen. Bei der Auftragsvergabe ist selbstverständlich nach den Regeln der „Verdingungsordnung für Leistungen" verfahren worden. Von einer mißbräuchlichen Unterstützung einer Zeitung oder gar einer Partei, wie das in der Frage unterstellt ist, kann also nicht die Rede sein. Anlage 26 Antwort des Parl. Staatssekretärs Haar auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Gierenstein (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 70) : Trifft die Meldung des „Tagesspiegel" vom 16. Oktober 1974 zu, am vergangenen Wochenende sei sowohl am Kontrollpunkt Marienborn als auch am Kontrollpunkt Drewitz die Abfertigung im Berlinverkehr äußerst schleppend gewesen, und ist — bejahendenfalls — die Bundesregierung der Auffassung, daß die mit Recht über diese Schikanen erbosten Autofahrer es selbst in die Hand nehmen müßten — etwa durch lautstarke Proteste —, die Ostberliner Grenzkontrolleure zur Einstellung ihrer vertragswidrigen Praktiken zu veranlassen? Zu den Abfertigungsverzögerungen, die sich nach Berichten von Transitreisenden am Sonnabend, den 12. Oktober 1974 in Marienborn und Drewitz ergeben haben, hat die Bundesregierung bereits auf die Anfrage des Kollegen Straßmeir Stellung genommen. Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß für die Klärung von Schwierigkeiten bei der Abwicklung des Transitverkehrs die nach Artikel 19 des Transitabkommens gebildete Transitkommission zuständig sei. Das schließt jedoch nicht aus, daß sich ein Transitreisender über eine Maßnahme bei den DDR- Grenzorganen beschwert, wenn er sich durch sie belastet fühlt. Anlage 27 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. de With auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Graf Stauffenberg (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 73) : Trifft die Meldung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 22. Oktober 1974 zu, der Bundesjustizminister habe ihm vorliegende Gutachten zur Verfassungs- und Rechtmäßigkeit des Regierungsentwurfs zum Mitbestimmungsgesetz, die den Abgeordneten des Bundestages und der Öffentlichkeit vorenthalten werden, dem DGB zur Kenntnis gebracht, und wie rechtfertigt die Bundesregierung — bejahendenfalls — die ungleiche Behandlung der Sozialpartner und die Diskriminierung der übrigen Vereinigungen der Arbeitnehmer? Es trifft zu, daß dem Bundesministerium der Justiz je ein Gutachten der Professoren Rupert Scholz und Thomas Raiser zu dem Entwurf eines Mitbestimmungsgesetzes vorliegt. Die Gutachten sind dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung sowie jeweils denjenigen Stellen und Organisationen, die um deren Überlassung gebeten haben, zur Verfügung gestellt worden. Dies sind die Herren Vorsitzenden der drei im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen, der Vorsitzende des federführenden Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung, eine Reihe weiterer Bundesministerien und der Deutsche Gewerkschaftsbund. Es ist nicht üblich, daß die Bundesregierung von ihr eingeholte Sachverständigengutachten von sich aus der Offentlichkeit oder einzelnen Verbänden, die vielleicht an dem Inhalt solcher Gutachten interessiert sein könnten, anbietet. Anlage 28 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. de With auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Höcherl (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 74) : Wann wird die Bundesregierung dem Bundestag das Rechtsgutachten zur Mitbestimmung vorlegen? Es ist grundsätzlich nicht üblich, daß von der Bundesregierung zu Gesetzgebungsvorhaben eingeholte Gutachten als Bundestags-Drucksache vervielfältigt und auf diese Weise allen Mitgliedern des Deutschen Bundestages zugänglich gemacht werden. Dies ist auch nirgendwo gesetzlich oder in der Geschäftsordnung eines Verfassungsorgans vorgeschrieben. Die Gutachten der beiden Rechtswissenschaftler Scholz und Raiser, auf die Sie sich mit Ihrer Frage offensichtlich beziehen, sind im übrigen den Vorsitzenden der drei Bundestagsfraktionen übermittelt worden, also auch dem Vorsitzenden der Fraktion der CDU/CSU. 8682* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 Anlage 29 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. de With auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Schneider (CDU/ CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 75) : In welchen Bereichen und auf welche Weise ist die Bundesregierung bereit, der Entschließung des 50. Deutschen Juristentags Rechnung zu tragen und die öffentlichen Benutzungsordnungen im Bereich der allgemeinen Daseinsvorsorge sowie der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Bundespost den Anforderungen anzupassen, die für die Allgemeinen Geschäftsbedingungen empfohlen worden sind? Der in meinem Hause erarbeitete Gesetzentwurf zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen bezieht ohne Rücksicht auf eine wie immer geartete Mitwirkung des Staates alle vorformulierten Benutzungsbedingungen in den Anwendungsbereich der AGB-Regeln ein, sofern diese Benutzungsbedingungen nicht den Charakter von Rechtsnormen haben. Ihre Frage bezieht sich deshalb nur auf den Bereich der Benutzungsbedingungen mit Rechtsnormqualität. Insoweit sind ohne Anspruch auf Vollständigkeit u. a. zu nennen: Aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen die Postordnung, die Postzeitungsordnung, die Fernmeldeordnung, die Postsparkassenordnung und die Postscheckordnung, aus dem Bereich des Bundesministers für Verkehr die Eisenbahnverkehrsordnung, die Kraftverkehrsordnung sowie die Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und Obusverkehr sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen, aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft die aufgrund des Energiewirtschaftsgesetzes für allgemeinverbindlich erklärten Allgemeinen Versorgungsbedingungen für Elektrizität und die ebenfalls für allgemeinverbindlich erklärten Allgemeinen Bedingungen für die Versorgung mit Gas aus dem Versorgungsnetz. Die von mir aufgezählten Benutzungsbedingungen haben sich im großen und ganzen bewährt und auch die Anerkennung der Gerichte gefunden. Einzelne ältere Vorschriften, die zugegebenermaßen hart formuliert sind, haben in der Praxis keine Bedeutung. Trotzdem hält es die Bundesregierung für angebracht, auch die als Rechtsnormen ausgestalteten Benutzungsbedingungen dort, wo dies nötig erscheint, den berechtigten Belangen der Benutzer anzupassen. Dabei wird allerdings eine volle Anwendung der für privatrechtliche AGB in Aussicht genommenen Regeln nicht möglich sein. Anders als beim Güteraustausch zwischen Privatleuten kann für den Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge die Privatautonomie nicht das maßgebende Gestaltungsprinzip sein. Wie Sie wissen, müssen die Versorgungsleistungen grundsätzlich zu jeder Zeit an jedermann zu gleichen Bedingungen erbracht werden. Das Angebot kann nicht wie bei einem privaten Dienstleistungsunternehmen auf solche Bereiche und Abnehmergruppen beschränkt werden, bei denen dies unter Risiko- und Rentabilitätsgesichtspunkten attraktiv wäre. Eine gesicherte und preiswürdige Versorgung setzt voraus, daß neben den Interessen des individuellen Einzelabnehmers auch die Interessen der Gesamtheit der Abnehmer von Versorgungsleistungen gebührend Berücksichtigung finden. Unter Berücksichtigung dieser und der weiteren insbesondere technischen Besonderheiten der öffentlichen Daseinsvorsorge wird die Bundesregierung prüfen, inwieweit eine Anpassung der öffentlichen Benutzungsbedingungen an die geplanten AGB-Regeln geboten und möglich ist. Die Bundesministerien sind bereits im Rahmen der Prüfung des in meinem Hause erarbeiteten Referentenentwurfs zur Stellungnahme aufgefordert. Soweit erforderlich werden zu gegebener Zeit organisatorische Maßnahmen zur interministeriellen Abstimmung in Betracht gezogen werden. Anlage 30 Antwort des Parl. Staatssekretärs Logemann auf die Mündliche Frage der Abgeordneten Frau Huber (SPD) (Drucksache 7/2720 Frage A 76) : Wann ist mit den Durchführungsverordnungen zum Tierschutzgesetz zu rechnen? Als erste Durchführungsverordnung nach § 13 Abs. 1 des Tierschutzgesetzes vom 24. Juli 1972 ist am 12. Juni 1974 die Verordnung über das Halten von Hunden im Freien verkündet worden. Die weiteren Durchführungsverordnungen — z. B. nach § 13 Abs. 1 und 3 zur Regelung der speziellen tierschutzrelevanten Fragen, die sich u. a. bei der heutigen Haltung großer gleichartiger Nutztierbestände auf begrenztem Raum in neuzeitlichen Haltungssystemen ergeben — zugrunde zu legenden Mindestanforderungen des Tierschutzes beinhalten zahlreiche wissenschaftliche und fachtechnische Fragen, mit deren Ausarbeitung auf meine Veranlassung hin seit einiger Zeit besondere Arbeitsgruppen von Sachverständigen aus Wissenschaft und Praxis befaßt sind. Von den Sachverständigen dabei herausgestellte Fragen bedürfen zudem einer forschungsmäßigen Bearbeitung. Ich unternehme alle Anstrengungen im Rahmen der materiellen wie personellen Gegebenheiten, die Vorlage dieser Grundlagen zu beschleunigen, um so die fachlichen Voraussetzungen für die anstehenden Rechtsverordnungen zu erhalten. Anlage 31 Antwort des Parl. Staatssekretärs Logemann auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Früh (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 77) : Ist die Bundesregierung der Auffassung von Bundesminister Dr. Friderichs, daß der deutsche Grenzausgleich für Agrarprodukte als eine „Neue Wettbewerbsverzerrung" abgebaut werden müsse, und wie stellt sich die Bundesregierung den finanziellen Ausgleich für die Landwirtschaft bei einem Abbau vor? Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 8683* Eine Erklärung, daß der deutsche Grenzausgleich für Agrarprodukte als eine neue Wettbewerbsverzerrung abgebaut werden müsse, wurde von Bundesminister Friderichs nicht abgegeben. Bundesminister Friderichs hat dagegen in seiner jüngsten Veröffentlichung „Mut zum Markt" ausgeführt, daß bei unveränderter Anwendung des Grenzausgleichssystems auf Dauer sich Wettbewerbsverschiebungen beim Außenhandel mit Agrarerzeugnissen ergeben können, da relative Kostenvorteile aufwertender Länder und relative Kostennachteile abwertender Länder unberücksichtigt bleiben. Solche Kostenvorteile oder -nachteile können zwar wegen der nicht vorhandenen Vergleichsmöglichkeiten der Daten nicht quantifiziert werden, jedoch dürften die Feststellungen von Bundesminister Friderichs tendenziell zutreffend sein. Die Bundesregierung hat deshalb der Festsetzung sog. „Grüner Paritäten" für Italien, Großbritannien und Irland zugestimmt, durch die die nationalen Agrarpreise in diesen Abwertungsländern angehoben und die Grenzausgleichsbeträge verringert bzw. völlig beseitigt wurden. Ich möchte in diesem Zusammenhang hervorheben, weil ich glaube, daß dies weitgehend unbekannt ist, daß durch die „Grüne Lira" die italienischen Agrarpreise innerhalb eines Jahres um 33 % angehoben wurden, und zwar zusätzlich zur Erhöhung der gemeinsamen Agrarpreise. Für das italienische Agrarpreisniveau bedeutet dies eine Anhebung von annähernd 50 % innerhalb eines Jahres. Der deutsche Grenzausgleich steht in diesem Zusammenhang nicht zur Diskussion. Anlage 32 Antwort des Parl. Staatssekretärs Logemann auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Kempfler (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Fragen A 80 und 81): Hat die Bundesregierung davon Kenntnis, daß die diesjährige Frist zur Stellung eines Antrags auf Ausgleichsleistung nach dem Gesetz über die Errichtung einer Zusatzversorgungskasse für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft viel zu kurz war, weil das Gesetz erst am 3. August 1974 im Bundesgesetzblatt erschienen ist, und den zuständigen Behörden die notwendigen Antragsvordrucke und Informationsschriften erst unmittelbar vor Ablauf der Frist zur Verfügung standen? Ist die Bundesregierung bereit, die Frist angemessen zu verlängern, da viele Berechtigte anders für dieses Jahr nicht mehr in den Genuß der Zusatzversorgung kommen können? Zu Fragen A 80: Bereits seit der Verabschiedung des Gesetzes durch den Deutschen Bundestag im Juni 1974 habe ich im Pressedienst meines Hauses mehrfach auf die Zusatzversorgung der Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft und die Antragsfrist zum 30. September 1974 für das Jahr 1974 hingewiesen. Diese Informationen wurden regelmäßig nicht nur von der Fachpresse, sondern vor allem auch von der Tagespresse übernommen. Zur Einhaltung der Antragsfrist genügte es, wenn der Antrag formlos gestellt wurde, d. h. also für den Anspruch selbst war es unschädlich, wenn der Antrag noch nach dem 30. September ergänzt wurde. Dem Eingang des Antrages bei der zuständigen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft stand dabei der Eingang bei einem anderen deutschen Versicherungsträger oder bei einer anderen deutschen Behörde — also z. B. einer Gemeindeverwaltung — gleich. Insgesamt haben 42 000 Berechtigte ihre Anträge fristgerecht gestellt. In knapp 4 000 Fällen wurde die Frist zwar versäumt, in diesen Fällen werden die Anträge jedoch bereits als rechtzeitig für das nächste Jahr gestellt angesehen, so daß diesen Berechtigten die Ausgleichsleistung ab dem kommenden Jahr gezahlt werden kann. Zu Frage A 81: Da die Antragsfrist im Gesetz festgelegt ist, hat die Bundesregierung von sich aus keine Möglichkeit, diese Frist zu verlängern. Hierzu wäre eine Änderung des am 3. August 1974 verkündeten Gesetzes notwendig. Anlage 32 a Antwort des Parl. Staatssekretärs Logemann auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Kunz (Weiden) (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 82): Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung über die künftige Mengensteuerung bei der Agrarproduktion? Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß bei einigen Agrarprodukten die Funktion der Mengensteuerung jedenfalls nicht mehr allein durch gemeinsame Preise erfüllt werden kann. Das Instrumentarium für eine Mengensteuerung als Mittel zur Stabilisierung der Märkte reicht von der Beratung bis zur Kontingentierung. Erst wenn die beschlossene Bestandsaufnahme der Agrarpolitik vorliegt, ist es möglich zu erkennen, bei welchen Produkten eine besondere Mengensteuerung erforderlich ist und welchen Intensitätsgrad sie haben muß. Es kann gesagt werden, daß auf jeden Fall weitgehende Mitwirkung der Wirtschaft vorgesehen ist. Es muß um Verständnis gebeten werden, daß die Bundesregierung derzeit in der Öffentlichkeit keine ins einzelne gehende Ausführung machen kann. Anlage 33 Antwort des Parl. Staatssekretärs Logemann auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Böhm (Melsungen) (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 83) : Hat die Bundesregierung jetzt endlich von der hessischen Landesregierung die erforderlichen Auskünfte darüber erhalten, ob und gegebenenfalls in welchen Mengen aus der DDR, Polen oder der Sowjetunion mit Giftstoffen behandeltes oder mit Käferbesatz befallenes Getreide nach Hessen eingeführt wurde, und wie lauten diese Auskünfte? 8684* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 Inzwischen liegt ein abschließender Bericht der hessischen Dienststellen vor. Hieraus ergibt sich: Von den Einführern wurde mit der DDR-ZentralKommerz-GmbH als Verkäuferin von Roggen in das Bundesgebiet vertraglich vereinbart, daß die Lieferungen den für die Bundesrepublik gültigen Bestimmungen über Höchstmengen von Pflanzenschutzmitteln zu entsprechen haben. Aus den bisherigen Erfahrungen, bestätigt durch mehrere im Frühjahr 1974 gezogene Proben, konnte davon ausgegangen werden, daß diese Vereinbarungen eingehalten werden. Wie ich an anderer Stelle bereits erläutert habe, mußten Mitte Juni 1974 3 Waggon Roggen wegen starken Käferbesatzes zurückgewiesen werden. In diesen Partien wurden erhöhte DDT-Rückstände festgestellt, die in einem Waggon den Höchstwert von 0,095 ppm enthielt. Aus diesem Sachverhalt darf geschlossen werden, daß wegen des hohen Käferbesatzes vor der Verladung nochmals eine Behandlung des Getreides durchgeführt worden ist. Weitere Beanstandungen lagen nicht vor; mit Ablauf des Monats Juli waren die Lieferverträge m. W. erfüllt. Anlage 34 Antwort des Parl. Staatssekretärs Buschfort auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Dr.-Ing. Laermann (FDP) (Drucksache 7/2720 Fragen A 84 und 85) : Wie viele Berufsberater hat die Bundesanstalt für Arbeit. Nürnberg, im gesamten Bundesgebiet in der Berufsberatung — getrennt nach Hauptschule, Realschule und Gymnasium — eingesetzt, und wie ist das Verhältnis der besetzten zu den unbesetzten Stellen (Ist /Soll-Verhältnis)? Welche Begründung kann die Bundesregierung dafür geben, daß seit dem 1. April 1974 achtzig dringend benötigte Stellen der Berufsberatung bei der Bundesanstalt für Arbeit bis heute nicht besetzt worden sind, obwohl genügend Bewerbungen vorliegen? Der Haushaltsplan 1974 der Bundesanstalt für Arbeit enthält 1 965 Planstellen für Fachkräfte der allgemeinen Berufsberatung. Die allgemeine Berufsberatung ist zuständig für Absolventen von Hauptschulen und Realschulen einschließlich Klasse 10 der Gymnasien. Eine Aufgliederung der in der allgemeinen Berufsberatung angesetzten Berufsberater nach Haupt- und Realschulen ist nicht möglich, weil die sachliche Zuständigkeit für die Aufgabendurchführung insoweit ungeteilt ist. Nach der letzten Erhebung am 15. Juli 1974 waren insgesamt 229 Stellen in der allgemeinen Berufsberatung nicht besetzt. Dabei handelt es sich sowohl um flukturierend freie Stellen als auch um Stellen für Nachwuchskräfte, für die nach Abschluß ihrer Ausbildung Planstellen bereitstehen müssen. Noch in diesem Jahr werden 183 Fachanwärter der Berufsberatung ihre Ausbildung beenden. Die Zahl der Planstellen für Berufsberater für Abiturienten und Hochschüler beträgt im laufenden Haushaltsjahr 349. Davon waren zum vorgenannten Erhebungszeitpunkt 99 nicht besetzt. Zur Zeit befinden sich 35 Nachwuchskräfte der Berufsberatung für Abiturienten und Hochschüler in Ausbildung oder stehen kurz vor ihrem Einsatz. Die in Ihrer zweiten Frage genannten 80 unbesetzten Stellen beziehen sich offenbar nur auf die Berufsberatung für Abiturienten und Hochschüler. Über die vorliegenden Bewerbungen konnte nach Mitteilung der Bundesanstalt für Arbeit noch nicht entschieden werden, weil die nach dem Bundespersonalvertretungsgesetz vorgesehenen Verfahren innerhalb der Bundesanstalt noch nicht abgeschlossen sind. Anlage 35 Antwort des Parl. Staatssekretärs Buschfort auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Rollmann (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 88) : Ist es richtig, daß von den 32 000 Aufsichtsratsmandaten in der deutschen Wirtschaft sich bereits 9000 in den Händen von Arbeitnehmervertretern befinden und durch die geplante paritätische Mitbestimmung weitere 7000 bis 8000 Aufsichtsratsmandate in die Hände von Arbeitnehmervertretern kommen werden? Es gibt zur Zeit keine praktikable Möglichkeit, zuverlässiges Material über die Zahl der Aufsichtsratsmandate zu erhalten. Daher kann ich die in Ihrer Frage genannten Zahlen über die heute vorhandenen Aufsichtsratsmandate nicht bestätigen. Zur Anzahl der Arbeitnehmermandate nach Inkrafttreten des neuen Mitbestimmungsgesetzes könnte man jedoch folgende Schätzung wagen: Unterstellt man, 1. daß in rd. 650 Unternehmen, die vom Mitbestimmungsgesetzentwurf erfaßt werden, die Aufsichtsräte gegenwärtig im Durchschnitt zwischen 6 und 9 Mitglieder haben, darunter also 2 bis 3 Arbeitnehmer, und 2. daß sich diese Aufsichtsräte künftig auf eine zwischen 12 und 16 liegende durchschnittliche Mitgliederzahl vergrößern werden, so daß 3. pro erfaßtes Unternehmen zusätzlich 4 bis 5 Aufsichtsratsmitglieder von den Arbeitnehmern zu wählen sein werden, dann errechnet sich für das Anwachsen der Aufsichtsratsmandate der Arbeitnehmer eine Zahl zwischen 2 600 und 3 250. Die in Nr. 42 der Wirtschaftswoche abgedruckte Schätzung dürfte also entschieden zu hoch ausgefalen sein. Näher an der Wirklichkeit scheint die Zahl zu liegen, die dieselbe Zeitschrift in ihrer unmittelbar folgenden Ausgabe, der Nr. 43 vom 18. Oktober 1974, auf Seite 26 veröffentlicht hat. Dort ist die Zahl 3 500 genannt. Eine nicht unbeachtliche Erhöhung der Zahl der Mandate wird allerdings auch auf der Anteilseignerseite eintreten, weil sich durch das Mitbestimmungsgesetz die Aufsichtsräte insgesamt vergrößern werden. Anlage 36 Antwort des Parl. Staatssekretärs Buschfort auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Milz (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 89) : Ist die Bundesregierung bereit, in Vereinbarungen mit allen EG-Partnern eine Regelung zur Erfassung der nicht mehr beschäftigten Pendler im jeweiligen Gastland zu treffen, und könnten regelmäßige Zusammenkünfte der Präsidenten der nationalen Arbeitsverwaltungen hierbei hilfreich sein? Die im Aufbau befindliche Beschäftigtenstatistik auf der Grundlage des Meldeverfahrens zur Sozialversicherung wird auch die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte einschließlich der Grenzgänger ausweisen; eine getrennte Erfassung der Grenzgänger ist aufgrund der Technik des gewählten Systems jedoch nicht möglich. Arbeitslose Grenzgänger sind nur — allerdings nicht gesondert — in der Arbeitslosenstatistik des Wohnlandes enthalten, das, zumindest innerhalb der EG, auch für die Zahlung der Arbeitslosenunterstützung zuständig ist. Insbesondere seit dem Wegfall der Arbeitserlaubnis für Arbeitskräfte aus der Gemeinschaft aufgrund der Freizügigkeitsverordnung wäre die Erfassung von nicht mehr beschäftigten Grenzgängern mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden. Die Bundesregierung würde ein solches Vorhaben deshalb nicht unterstützen, zumal solche Angaben über die laufend erhobenen Daten hinaus keine nennenswerte zusätzliche Information zur Beurteilung der Arbeitsmarktlage bringen würden. Die Bundesregierung schließt damit nicht aus, daß, auch im Rahmen der mit dem Sozialpolitischen Aktionsprogramm am 21. Januar 1974 vom Rat beschlossene Förderung der Zusammenarbeit der Arbeitsverwaltungen, Probleme der Grenzgänger von den Mitgliedstaaten behandelt werden. Anlage 37 Antwort des Parl. Staatssekretärs Buschfort auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Franz (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 90) : Welche der Bundesanstalt für Arbeit entsprechende Selbstverwaltungseinrichtungen gibt es für deren Zuständigkeitsbereich in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, so daß regelmäßige Zusammenkünfte von deren Leitern wie die der Notenbank-Gouverneure angezeigt erscheinen, und was hat — bejahendenfalls — die Bundesregierung unternommen, um solche Zusammenkünfte zu initiieren bzw. zu ermöglichen? In den übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft gibt es keine Arbeitsverwaltung, bei der die Tarifparteien, wie im Falle der Bundesanstalt für Arbeit, an der Geschäftsführung beteiligt werden und beim Erlaß von autonomem Satzungsrecht mitwirken. In anderen Ländern üben sie beratende Funktion aus, so in Frankreich bei der nationalen Beschäftigungsagentur, in Belgien und in Luxemburg beim nationalen Beschäftigungsbüro sowie in den Niederlanden im Arbeitsmarktrat und in regionalen Ausschüssen. Im Vereinigten Königreich arbeitet die Regierung bei der Neuorganisation der Arbeitsverwaltung mit den Tarifparteien zusammen. Nach Artikel 14 der EWG-Freizügigkeitsverordnung tauschen die Arbeitsverwaltungen der EG- Mitgliedstaaten „Informationen über die Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie über die Arbeitsmarktlage aus, die geeignet sind, den Arbeitnehmern in den anderen Mitgliedstaaten als Orientierungshilfe zu dienen." In seiner Entschließung vom 21. Januar 1974 über ein sozialpolitisches Aktionsprogramm hat der Rat der Europäischen Gemeinschaften die insbesondere von der Bundesregierung angestrebte Förderung einer besseren Zusammenarbeit der einzelstaatlichen Arbeitsverwaltungen als prioritäres Ziel bezeichnet. Die EG-Kommission hat sich verpflichtet, entsprechende Vorschläge noch im Laufe des Jahres 1974 vorzulegen. Anlage 38 Antwort des Parl. Staatssekretärs Buschfort auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Wüster (SPD) (Drucksache 7/2720 Frage A 91) : Beabsichtigt die Bundesregierung, im Sozialgesetzbuch einen Anspruch von Rentnern auf Entschädigung in den Fällen zu verankern, in denen sich durch Verschulden des Versicherungsträgers die Auszahlung der Rente verzögert? Der dem Deutschen Bundestag vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuchs sieht eine Verzinsung solcher Geldleistungen vor, die von den Sozialleistungsträgern nicht rechtzeitig erbracht werden. Die Vorschrift, die vor allem für Renten der Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung von Bedeutung ist, setzt kein Verschulden des Leistungsträgers voraus, da sich ein Verschulden in der Praxis nur schwer feststellen ließe. Sie macht aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung die Verzinsung allein vom Ablauf fester Fristen abhängig. Aus denselben Gründen wird der Ausgleich für die verspätete Rentenzahlung nicht nach den individuellen Nachteilen des Rentenberechtigten, sondern nach einem festen Zinssatz vorgenommen. Anlage 39 Antwort des Parl. Staatssekretärs Buschfort auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Egert (SPD) (Drucksache 7/2720 Frage A 92) : Ist der Bundesregierung bekannt, daß das Merkblatt über Konkursausfallgeld der Bundesanstalt für Arbeit hinsichtlich der Vorschußzahlung von Konkursausfallgeld eine Information enthält, die den Willen des Gesetzgebers insoweit einengt, als Vorschußzahlungen nur dann geleistet werden sollen, wenn die Übertragung, Pfändung oder Verpfändung des Anspruchs auf Arbeitsentgelt wegen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht er- 8686* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 folgt ist, und was gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls zu tun, um die Information der Bundesanstalt für Arbeit zu berichtigen? Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß das von der Bundesanstalt für Arbeit herausgegebene Merkblatt über Konkursausfallgeld den Willen des Gesetzgebers einengt. Die Vorschußregelung ist grundsätzlich auf die Arbeitnehmer des zahlungsunfähigen Arbeitgebers zugeschnitten. Bei ihnen wird vermutet, daß sie wegen der aufgelaufenen Rückstände auf schnelle Zahlung dringend angewiesen sind. Ein solches Bedürfnis besteht bei Personen, an die Arbeitsentgeltsansprüche abgetreten oder verpfändet worden sind oder die sie gepfändet haben nur, wenn dies wegen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht erfolgt ist. Anlage 40 Antwort des Parl. Staatssekretärs Buschfort auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Jobst (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 93) : Hat der Bundesarbeitsminister ein internes Gutachten über die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland erstellen lassen, und trifft es zu, daß hier auch wie in dem Gutachten der fünf wirtschaftswissenschaftlichen Institute das Anschwellen der Arbeitslosigkeit auf eine Million Erwerbslose vorausgesagt wird? Ein derartiges Gutachten ist nicht erstellt worden. Anlage 41 Antwort des Parl. Staatssekretärs Buschfort auf die Mündliche Frage der Abgeordneten Frau Schleicher (CDU/ CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 94) : Teilt die Bundesregierung die Auffassung, die auf dem internationalen Symposion über die Ursachen des Grünen Star vorgetragen wurde, die gesetzlichen Vorsorgeuntersuchungen seien auch auf diese Krankheit auszudehnen, die im Entstehungsstadium, das in der Regel keine Beschwerden verursacht, überwiegend heilbar sei, und welche Schlußfolgerung wird die Bundesregierung — bejahendenfalls — daraus ziehen? Die Bundesregierung hat von der auf dem internationalen Symposium über die Entstehung des grünen Stars vorgetragene Auffassung, die gesetzlich vorgesehenen Früherkennungsuntersuchungen sollten auf den grünen Star ausgedehnt werden, Kenntnis genommen. Nach geltendem Recht sind Früherkennungsuntersuchungen beschränkt auf Untersuchungen für Frauen und Männer zur Früherkennung von Krebskrankheiten sowie für Kinder zur Früherkennung von Krankheiten, die eine normale körperliche oder geistige Entwicklung des Kindes in besonderem Maße gefährden. Darüber hinaus kann der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit weitere Maßnahmen zur Früherkennung vorsehen, wenn die in § 181 a Abs. 1 Nr. 1 bis 4 der Reichsversicherungsordnung genannten Voraussetzungen vorliegen. Die Bundesregierung wird die Erkenntnisse des internationalen Symposiums über die Ursachen des grünen Stars zum Anlaß nehmen zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erstreckung der Maßnahmen zur Früherkennung auf den grünen Star erfüllt sind. Anlage 42 Antwort des Parl. Staatssekretärs Buschfort auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Geiger (SPD) (Drucksache 7/2720 Fragen A 95 und 96) : Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch Verschleppung der Konkurseröffnung oder Ablehnung des Konkurses die Lohnansprüche der Arbeitnehmer über das Konkursausfallgeld für die letzten drei Monate nicht mehr erfüllt werden können? Wird die Bundesregierung eine Änderung der Frist von drei Monaten für die Antragstellung auf Konkursausfallgeld vorschlagen? Der Bundesregierung ist bekannt, daß sich in besonders gelagerten Einzelfällen die Bearbeitung der Anträge auf Konkurseröffnung so stark verzögert hat, daß dadurch die Sicherung der rückständigen Arbeitsentgeltansprüche durch das Konkursausfallgeld verkürzt worden ist. Sollte sich herausstellen, daß sich die Konkursgerichte inzwischen nicht auf die Notwendigkeit schneller Entscheidungen gerade im Hinblick auf das neu geschaffene Konkursausfallgeld eingestellt haben, so wäre die maßgebende Vorschrift des Arbeitsförderungsgesetzes derart zu ergänzen, daß Ansprüche auf Konkursausfallgeld durch Verzögerungen der Entscheidungen über einen Konkursantrag auch nicht ausnahmsweise verkürzt werden. Anlage 43 Antwort des Parl. Staatssekretärs Buschfort auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Schäfer (Appenweier) (SPD) (Drucksache 7/2720 Frage A 97) : Beabsichtigt die Bundesregierung, nachdem das neue Schwerbehindertengesetz bei der Beurteilung der Körperbehinderung keinen Unterschied macht und im Arbeitsleben alle Schwerbehinderten, ungeachtet der Art der Behinderung, gleichstellt, eine Novellierung der Gesetze, wie z. B. des Kraftfahrzeugsteuergesetzes, nach denen gewisse Vergünstigungen nach wie vor von der Art der Behinderung abhängig sind, und um welche Gesetze würde es sich dabei im einzelnen handeln? Nachdem am 1. Mai dieses Jahres in Kraft getretenen Schwerbehindertengesetz sind die Vorschriften über Vergünstigungen für Behinderte so zu gestalten, daß die Vergünstigungen der Art und Schwere der Behinderung Rechnung tragen, und zwar unabhängig von der Ursache der Behinderung. Von dieser Willensbekundung des Gesetzgebers sind an Gesetzen im wesentlichen das Kraftfahrzeugsteuergesetz in der Fassung vom 1. Dezember 1972 und das Gesetz über die unentgeltliche Beförderung von Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten sowie von Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 8687* anderen Behinderten im Nahverkehr vom 27. August 1965 betroffen. Zum Kraftfahrzeugsteuerrecht liegt bereits der Entwurf der Bundesregierung eines Kraftfahrzeugsteuergesetzes 1975 vor, in dem dem vorerwähnten Grundsatz Rechnung getragen werden soll. Hiernach sollen alle Schwerbehinderten hinsichtlich der Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer ohne Rücksicht auf die Ursache ihrer Behinderung gleichbehandelt werden. Was die Freifahrtvergünstigung anlangt, ist inzwischen der Entwurf eines Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr vorbereitet worden. Auch in diesem Entwurf soll der im Schwerbehindertengesetz enthaltene Grundsatz verwirklicht werden. Anlage 44 Antwort des Parl. Staatssekretärs Buschfort auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Flämig (SPD) (Drucksache 7/2720 Frage A 98) : Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, Blindenlesegeräte als Hilfsmittel im Rahmen der Durchführungsverordnung zum neuen Schwerbeschädigtengesetz zuzulassen, um die berufliche Rehabilitation der Blinden wesentlich zu erleichtern? Das neue Schwerbehindertengesetz verpflichtet den Arbeitgeber von blinden Schwerbehinderten, den Arbeitsplatz mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen auszustatten. Hierzu können auch die von Ihnen angesprochenen Blindenlesegeräte gehören. Für die Anschaffung solcher Geräte können dem Arbeitgeber Geldleistungen gewährt werden. Auf diese Weise ist es aufgrund der Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes und auch der sonstigen Bestimmungen über die berufliche Rehabilitation grundsätzlich möglich, die Ausstattung der Blinden mit Lesegeräten finanziell zu fördern. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß auch in diesem Bereich von der technischen Entwicklung weitere Verbesserungen zu erwarten sind. So wird es darauf ankommen, die heute bekannten Blindenlesegeräte technisch zu vervollkommnen, neue Gerätetypen zu entwickeln und vor allem auch preisgünstiger herzustellen. Die Bundesregierung fördert diese Entwicklung unter Federführung des Bundesministers für Forschung und Technologie aus Mitteln des Bundeshaushalts. Anlage 45 Antwort des Parl. Staatssekretärs Buschfort auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Wolfram (SPD) (Drucksache 7/2720 Fragen A 99 und 100) : Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage des Präsidenten des Landesarbeitsamts Nordrhein-Westfalen, Dr. Degen, am 16. Oktober 1974 in Recklinghausen, daß in Nordrhein-Westfalen Arbeitslose bis zu zehn Wochen auf die erste Überweisung ihrer Unterstützung warten müssen? Ist es überhaupt vertretbar, Arbeitslose so lange auf das von ihnen dringend benötigte Geld warten zu lassen, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, Abhilfe zu schaffen? Wie mir der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit bestätigt, kommen Wartezeiten von 10 Wochen — wenn man von besonders gelagerten Einzelfällen absieht — nicht vor. Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer beträgt zur Zeit 2 bis 3 Wochen. Die Bundesanstalt für Arbeit unternimmt alle Anstrengungen, damit diese Bearbeitungszeit auch bei einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit eingehalten werden kann. In diesem Zusammenhang muß jedoch nachdrücklich an die Arbeitgeber die Bitte gerichtet werden, den Arbeitnehmern, die bis zum Zeitpunkt der Entlassung noch keinen neuen Arbeitsplatz gefunden haben, sofort die Arbeitsbescheinigung für die Arbeitslosenversicherung auszustellen. Dadurch könnte in vielen Fällen die Bearbeitungszeit abgekürzt werden. Anlage 46 Antwort des Parl. Staatssekretärs Buschfort auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Geisenhofer (CDU/ CSU) (Drucksache 7/2720 Fragen A 101 und 102) : Was wird die Bundesregierung unternehmen, wenn auch, wie von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte befürchtet, dieser finanziell am besten gestellte Rentenversicherungsträger nicht mehr in der Lage ist, das gesetzliche gemeinsame Rücklagesoll von drei Monatsrenten zu gewährleisten? Wie erklärt die Bundesregierung dieses Mißverhältnis, obwohl Löhne und Gehälter und damit die Beiträge stärker gestiegen sind, als noch vor einem Jahr von ihr angenommen wurde, und ist es nach den jüngsten Erkenntnissen noch gerechtfertigt, weiterhin den Faktor Arbeitslosigkeit von jährlich 250 000 Arbeitslosen in die Vorausberechnungen einzusetzen? Die Ergebnisse der im Rentenanpassungsbericht 1975 vorgelegten neuen 15jährigen Vorausberechnungen weisen nach, daß die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in der Lage ist, das gesetzlich vorgeschriebene gemeinsame Rücklagesoll von 3 Monatsausgaben zu gewährleisten. Die Annahmen und Methoden, die diesen Vorausberechnungen zugrunde liegen, sind wegen ihrer Bedeutung für das Ergebnis der Vorausberechnungen in einem besonders dafür eingerichteten Abstimmungskreis eingehend beraten und abgestimmt worden. Diesem Abstimmungskreis gehört auch die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte an. Sie hat den Annahmen und Methoden der Vorausberechnung zugestimmt. Zu Ihrer zweiten Frage möchte ich bemerken, daß kurzfristig abweichende Entwicklungen mit den Methoden der langfristigen Vorausberechnungen durchaus zu vereinbaren sind. In den neuen Vorausberechnungen des Rentenanpassungsberichts 1975, rechnet die Bundesregierung langfristig mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenquote von 1,5 v. H.; das bedeutet eine Zahl von 300 bis 350 000 Arbeitslose im Jahresdurchschnitt. Die Annahme einer Durchschnittszahl schließt kurzfristige Abweichungen nach oben oder unten mit ein. 8688* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 Anlage 47 Antwort des Parl. Staatssekretärs Buschfort auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Ziegler (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Fragen A 103 und 104) : Wie erklärt die Bundesregierung, daß sowohl die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte als auch der Verband Deutsche Rentenversicherungsträger trotz unterschiedlicher Interessenlage in ihren selbständig und unabhängig voneinander für jeweils fünf Jahre angestellten Vorausberechnungen zu Ergebnissen kommen, nach denen die finanzielle Situation der Rentenversicherungsträger erheblich schlechter ist, als sie die Bundesregierung nach ihren Vorausberechnungen darstellt, und teilt die Bundesregierung — sollten die Berechnungen der Rentenversicherungsträger zutreffen — die Besorgnis, daß der Beitragssatz zur Rentenversicherung von 18 % auf lange Sicht erhöht werden muß? Welche Rückschlüsse zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, daß entgegen ihren früheren Vorausberechnungen schon in diesem Frühsommer die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte der Rentenversicherung der Arbeiter mit einer Liquiditätshilfe von 800 Millionen DM beispringen mußte und der Finanzausgleich nicht, wie von der Bundesregierung vorausgesagt, 1975, sondern schon in diesem Jahr, beginnen muß, und welche Schlußfolgerungen ergeben sich insbesondere für die einen Zeitraum von 15 Jahren umfassenden Modellrechnungen der Bundesregierung, wenn sie die Zahlen für dieses Jahr im Verhältnis zu den Angaben, die sie vor einem Jahr gemacht hat, bereits um drei Milliarden DM korrigieren muß? Die Bundesregierung legt im Rentenanpassungsbericht 1975 neue Vorausberechnungen vor, deren Annahmen und Methoden in dem eigens dafür eingerichteten Abstimmungskreis eingehend beraten worden sind. Dem Abstimmungskreis gehören auch die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger an. Beide haben den zugrundegelegten Annahmen und Methoden zugestimmt. Die Vorausberechnungen wurden also mit den abgestimmten Annahmen durchgeführt. Die Ergebnisse weisen aus, daß der Beitragssatz zur Rentenversicherung von zur Zeit 18 v. H. im langfristigen Vorausberechnungszeitraum nicht erhöht werden muß. Zu Ihrer zweiten Frage möchte ich folgendes anmerken: Seit der Vorlage des Rentenanpassungsberichts 1974 ist mehr als ein Jahr vergangen. Seit dieser Zeit hat sich nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland die wirtschaftliche Lage erheblich gewandelt. Die den langfristigen Vorausberechnungen zugrunde liegenden abgestimmten Annahmen schließen solche kurzfristigen Schwankungen mit ein. Die im Jahre 1974 notwendig gewordene Liquiditätshilfe an die Rentenversicherung der Arbeiter betrifft im übrigen nicht die finanzielle Gesamtsituation der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, sondern lediglich das finanzielle Innenverhältnis zwischen diesen beiden Versicherungszweigen. Weil die langfristigen Vorausberechnungen vor sechs Jahren diese Entwicklung schon erkennen ließen, ist im Dritten Rentenversicherungsänderungsgesetz im Jahre 1968 die Liquiditätshilfe gesetzlich festgelegt worden. Die in den Vorausberechnungen ausgewiesene gemeinsame Rücklage und deren Entwicklung wird durch die Liquiditätshilfe nicht berührt. Im übrigen ist es nicht Aufgabe der langfristigen Vorausberechnungen, die kurzfristige finanzielle Entwicklung im Sinne eines Haushaltsvoranschlages aufzuzeigen. Vielmehr besteht ihre Aufgabe darin, zu zeigen, daß die aktuelle Rentenanpassung bei Zugrundelegung vorsichtiger Annahmen langfristig mit dem geltenden Beitragssatz finanzierbar ist. Anlage 48 Antwort des Parl. Staatssekretärs Buschfort auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Althammer (CDU/ CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 105) : Welche Forschungsaufträge wurden durch die Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel bisher vergeben, welche Kosten sind für die einzelnen Projekte veranschlagt, und wer erhielt die Aufträge? Die Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel hat bis Ende Oktober 1974 144 Forschungsprojekte vergeben. Sie kosten zusammen rund 5,04 Millionen DM. Rechnet man die 45 vorliegenden, vom früheren Arbeitskreis Automation — das ist der Vorläufer der Kommission vergebenen Projekte hinzu, so wird die Kommission 189 Forschungsarbeiten, die zusammen rund 7,44 Millionen DM kosten werden, für ihren Bericht auswerten können. Die Kommission ist in ihrer Tätigkeit unabhängig; ihre Zusammensetzung (7 Wissenschaftler, je 5 Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter) gewährleistet die Ausgewogenheit des Forschungsprogramms. Die Forschungsprojekte wurden im Wege der öffentlichen Ausschreibung vergeben; die Auftragnehmer sind regional gestreut. Durchschnittlich haben sich pro Forschungsthema ca. 8 private Forscher, Hochschullehrer, Hochschulinstitute und andere Forschungsinstitutionen beworben. Das Vergabeprogramm der Kommission ist abgeschlossen. Die Kommission rechnet damit, daß bis zum Sommer 1975 die Ergebnisse vorliegen. Angesichts der Vielzahl von Forschungsprojekten ist ihre Aufgliederung nach Auftragnehmern und Kosten an dieser Stelle nicht möglich. Wenn Sie es wünschen, bin ich gerne bereit, die Kommission zu bitten, Ihnen, Herr Kollege, eine entsprechende Ubersicht zuzuleiten. Anlage 49 Antwort des Parl. Staatssekretärs Buschfort auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Gansel (SPD) (Drucksache 7/2720 Frage A 106) : Wie beurteilt die Bundesregierung die Zunahme der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländer innerhalb der letzten zwölf Monate um 4 °/o in Anbetracht des „Anwerbestopps" für ausländische Arbeitnehmer, und welche sozialpolitischen Konsequenzen beabsichtigt sie aus dieser Entwicklung zu ziehen? Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, daß der von Ihnen genannte Prozentsatz durch eine Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes bestätigt wird. Gleichwohl ist die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer seit dem vergangenen Jahr rückläufig. Das Anwachsen der Ausländerzahl insgesamt beruht darauf, daß Kinder ausländischer Ehepartner im Bundesgebiet geboren werden und daß Ehefrauen und Kinder auch nach Inkrafttreten des Anwerbestopps den bereits hier lebenden ausländischen Arbeitnehmern nachreisen. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 8689* Die Bundesregierung hat in ihrem Aktionsprogramm zur Ausländerbeschäftigung vom 6. Juni 1973 auf die Notwendigkeit einer sozialverantwortlichen Konsolidierung der Ausländerbeschäftigung hingewiesen. Über ihre Vorstellungen im einzelnen hat die -Bundesregierung auf zwei kleine Anfragen im Laufe dieses Jahres im einzelnen berichtet. Im Rahmen dieser Politik wird sich die Bundesregierung weiterhin um die Eingliederung ausländischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen bemühen. Anlage 50 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. de With auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Schmidhuber (CDU/ CSU) (Drucksache 7/2720 Fragen A 107 und 108) : Welche Gutachten hat die Bundesregierung zur Untersuchung der Verfassungsmäßigkeit der paritätischen Mitbestimmung in Auftrag gegeben? Wann wird die Bundesregierung diese Gutachten veröffentlichen? Zu Frage A 107: Das Bundesministerium der Justiz hat die Professoren Scholz und Raiser um gutachtliche Äußerungen zu dem von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Mitbestimmungsgesetzes gebeten. Dies ist inzwischen allgemein bekannt. Weitere Gutachten sind nicht in Auftrag gegeben worden. Zu Frage A 108: Die Bundesregierung wird die beiden vorliegenden Gutachten nicht veröffentlichen. Es ist nicht üblich, daß die Bundesregierung von ihr eingeholte Sachverständigen-Gutachten von sich aus der Offentlichkeit oder einzelnen Verbänden, die vielleicht an dem Inhalt solcher Gutachten interessiert sein könnten, anbietet. Es ist jedoch damit zu rechnen, daß die beiden Gutachter die Gutachten in Kürze publizieren werden. Anlage 51 Antwort des Parl. Staatssekretärs Buschfort auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Hammans (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Fragen A 109 und 110): Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, die im Sozialleistungsrecht festgelegten Diätzuschüsse in angemessenen Zeitabständen an die wirtschaftliche Entwicklung anzupassen, nachdem bei nahezu allen Sozialleistungen eine Dynamisierung vorgesehen ist? In welchen Gesetzgebungsbereichen und von welchen Zeitpunkten ab gedenkt die Bundesregierung, entsprechende Schritte einzuleiten? Nach § 193 Absatz 2 der Reichsversicherungsordnung in der bis zum 30. September 1974 geltenden Fassung konnte die Satzung der Krankenkasse bei der Krankenpflege noch andere als kleinere Heilmittel — wie zum Beispiel Krankenkost — oder einen Zuschuß hierfür zubilligen. Diese Vorschrift ist mit dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation aufgehoben worden, da die durch sie getroffene Unterscheidung zwischen kleineren und größeren Heilmitteln weggefallen ist. Die Krankenpflege umfaßt nach dem neuen § 182 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung nunmehr die Versorgung mit Heilmitteln, zu denen auch Diätkost zählen kann, ohne jede Kostenbegrenzung. Die Frage, ob Diätkost der Heilung dient und deshalb ein Heilmittel ist, das von der Krankenkasse als Sachleistung zur Verfügung zu stellen ist, läßt sich nur im Einzelfall aus medizinischer Sicht beantworten. Anlage 52 Antwort des Parl. Staatssekretärs Buschfort auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Leicht (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 111) : Wie viele Arbeitnehmer waren auf Grund der ungünstigen Wirtschaftslage bis zum 31. Oktober 1974 gezwungen, bei geringerem Arbeitsentgelt kurz zu arbeiten, und wenn ja, wie stellt sich der diesbezügliche Monatsdurchschnitt dar? Am Stichtag 15. Oktober 1974, hat die Bundesanstalt für Arbeit 369 600 Kurzarbeiter gezählt. Der Durchschnitt der Stichtagszahlen für die Monate Januar bis Oktober 1974 beträgt 234 400 Kurzarbeiter. Die von Ihnen auch angesprochenen Einkommensverluste der von Arbeitsausfall betroffenen Arbeitnehmer werden großen Teils schon durch das Kurzarbeitergeld ausgeglichen. Als weitere Kompensation wirkt sich die Steuerrückvergütung im Rahmen des Lohnsteuerjahresausgleichs aus, die der Arbeitnehmer erhält, weil das Kurzarbeitergeld steuerfrei ist. Da schließlich auch die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung des Kurzarbeiters für die Zeit des Arbeitsausfalls von der Bundesanstalt für Arbeit übernommen werden, halten sich die finanziellen Nachteile der Kurzarbeit für den einzelnen Arbeitnehmer in engen Grenzen. Anlage 53 Antwort des Parl. Staatssekretärs Berkhan auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Würtz (SPD) (Drucksache 7/2720 Frage A 112) : Wie beurteilt die Bundesregierung eine Meldung der Kreiszeitung für die Grafschaft Hoya und des Landkreises Verden vom 10. Oktober 1974, wonach gemäß Aussage des LandvolkKreisverbands deutsche Truppen „durchaus vermeidbare Flurschäden" aus Anlaß des Herbstmanövers „Red Rat" verursacht haben, und beabsichtigt sie, in diesem Zusammenhang Untersuchungen einzuleiten sowie die verantwortlichen militärischen Führer zur Rechenschaft zu ziehen? 8690* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 Bei der Übung „RED RAT" handelte es sich um eine Übung der 4. britischen Panzerbrigade. An dieser Übung waren auch eine deutsche Panzer- und Panzergrenadierkompanie (MARDER) beteiligt. Das Bundesministerium der Verteidigung hat Ihre Frage zum Anlaß genommen, Auskünfte bei den für die Bearbeitung von Flurschäden zuständigen zivilen und militärischen Stellen einzuholen. Als Ergebnis bleibt festzustellen, daß das Ausmaß der Flurschäden bei der Übung „RED RAT" wegen des rücksichtsvollen Verhaltens gerade auch der deutschen Truppenteile, unter dem von vergleichbaren Übungen liegt. So sind während der Übung keinerlei Klagen aus dem zivilen Bereich den beteiligten deutschen Kompaniechefs gegenüber geäußert worden. Es ist daher nicht beabsichtigt, irgendwelche Untersuchungen und Folgemaßnahmen einzuleiten, was bei einem schuldhaften Verhalten der verantwortlichen militärischen Führer selbstverständlich der Fall gewesen wäre. Anlage 54 Antwort des Parl. Staatssekretärs Berkhan auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Horstmeier (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 113) : Treffen Pressemeldungen zu, nach denen in Naturschutzgebieten ein Sprengübungsplatz eingerichtet werden soll? Ich darf davon ausgehen, daß Anlaß Ihrer Frage Planungen der Bundeswehr in der näheren Umgebung Ihres Heimatortes sind. Es trifft zu, daß die Bundeswehr für die in Minden stationierten Pioniere im Wiehengebirge einen Spreng-Übungsplatz einrichten will. Zu diesem Zweck sollen etwa 3 800 qm Gelände in einem stillgelegten Steinbruch südlich der Ortschaft Oberlübbe in Anspruch genommen werden. Ein benachbarter, ebenfalls stillgelegter Steinbruch soll zum Abstellen der Kraftfahrzeuge dienen. Das Gelände liegt nach hiesige Information nicht im Naturschutz-, sondern im Landschaftsschutzgebiet. Der Interministerielle Ausschuß für Verteidigungsliegenschaften des Landes Nordrhein-Westfalen hat zu dem Vorhaben nach Anhörung aller berührten Behörden am 15. April 1969 zustimmend gemäß § 1, Absatz 2, Landbeschaffungsgesetz Stellung genommen. Am 24. März 1971 ist das Vorhaben im Einvernehmen mit den beteiligten Bundesministern gemäß § 1, Absatz 3, des Landbeschaffungsgesetzes bezeichnet worden. Die Bundesvermögensverwaltung bemüht sich zur Zeit, das Gelände durch den Abschluß von Nutzungsverträgen mit den Eigentümern für die Bundeswehr bereitzustellen. Anlage 55 Antwort des Parl. Staatssekretärs Berkhan auf die Mündliche Frage des Abgeordneten von Alten-Nordheim (CDU/ CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 114) : Besteht bereits Gewißheit, welche drei HAWK-Batterien der niederländischen Streitkräfte aus Deutschland abgezogen werden, und welches Hauptquartier mit den dazugehörigen Versorgungseinheiten davon betroffen wird, nachdem die Entscheidung nunmehr gefallen ist, daß von elf Batterien nur acht in Deutschland verbleiben? Nachdem die Niederlande ihre Pläne hinsichtlich der Anzahl der abzuziehenden Batterien geändert hatten, sind die niederländischen Streitkräfte im Stadium der Überlegungen, welche Einheiten abgezogen werden sollen und wie die Stationierung der verbleibenden Batterien zu regeln ist. Die Niederlande habe uns am 5. November 1974 mitgeteilt, daß das Hauptquartier der Lenkwaffengruppe in Hessisch-Oldendorf im Verlauf des nächsten Jahres aufgelöst werden wird. Welche anderen Einheiten abgezogen werden, ist bislang noch nicht bekannt. Anlage 56 Antwort des Parl. Staatssekretärs Berkhan auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Walkhoff (SPD) (Drucksache 7/2720 Fragen A 115 und 116) : Wie groß ist die Zahl derjenigen, die, nachdem ihr Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer von dem Prüfungsausschuß bzw. der Prüfungskammer in erster oder zweiter Instanz abgelehnt wurde, zur Bundeswehr eingezogen wurden, obwohl eine endgültige Entscheidung durch das Verwaltungsgericht noch ausstand? Wie viele der davon betroffenen Soldaten wurden deshalb arrestiert, weil sie den Dienst mit der Waffe verweigerten? Es werden keine Statistiken darüber geführt, wie viele Wehrpflichtige zur Bundeswehr eingezogen worden sind, bevor über ihren Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer durch das Verwaltungsgericht endgültig entschieden wurde. Zu Ihrer zweiten Frage darf ich darauf hinweisen, daß bei den Erhebungen für die Statistik über Straf-und Disziplinarmaßnahmen unter anderem festgestellt wird, wieviel derartige Maßnahmen wegen Nichtbefolgung von Befehlen, Ungehorsam oder Gehorsamsverweigerung im Laufe eines Kalenderjahres in der Bundeswehr getroffen werden mußten. In wieviel Fällen die Ablehnung des Waffendienstes zur Gehorsamsverweigerung geführt hat, wird nicht erfaßt. Des weiteren ist die Tatsache, daß ein Soldat die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer beantragt oder einen ablehnenden Bescheid auf einen solchen Antrag erhalten hat, kein Erfassungsmerkmal für diese Statistik. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 8691* Anlage 57 Antwort des Parl. Staatssekretärs Berkhan auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Ollesch (FDP) (Drucksache 7/2720 Frage A 117): Ist die Bundesregierung bereit, angesichts der sehr schlechten Witterungsverhältnisse dafür Sorge zu tragen, daß Anträge auf Sonderurlaub zur Mithilfe in der Landwirtschaft von Bundeswehrangehörigen schnell und ohne bürokratische Umwege bewilligt werden? Maßgebend für die Gewährung von Urlaub für Soldaten der Bundeswehr ist die Soldatenurlaubsverordnung. Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit kann nach § 9 dieser Verordnung Sonderurlaub unter Wegfall der Geld- und Sachbezüge erteilt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt und dienstliche Gründe nicht entgegenstehen. Hierzu zählt auch die Erntehilfe im Familienbetrieb. Einem Soldaten, der aufgrund der Wehrpflicht Grundwehrdienst leistet, kann im Rahmen des § 12 der Soldatenurlaubsverordnung Sonderurlaub aus wichtigem Grunde unter Wegfall der Geld- und Sachbezüge nur gewährt werden, wenn die Nichtgewährung des Urlaubs für ihn wegen persönlicher, insbesondere häuslicher, beruflicher oder wirtschaftlicher Gründe eine besondere Härte bedeuten würde. Härtefälle dieser Art sind in der Regel gegeben, wenn aufgrund schlechter Wetterverhältnisse die Ernte nicht rechtzeitig eingebracht werden kann und daher die Mithilfe des Soldaten in seinem eigenen oder dem elterlichen Betrieb erforderlich wird. Sonderurlaub aus wichtigem Grunde bis zur Dauer von sechs Werktagen im Urlaubsjahr erteilt der nächste Disziplinarvorgesetzte, bis zu einem Monat der nächsthöhere Disziplinarvorgesetzte. Hierdurch ist ein schnelles und unbürokratisches Verfahren sichergestellt. Anlage 58 Antwort des Parl. Staatssekretärs Herold auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Sauer (Salzgitter) (CDU/ CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 118) : Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Regierung der „DDR" trotz ständigen Ausbaues ihrer Befestigungsanlagen entlang der Zonengrenze in letzter Zeit zahlreiche sogenannte „Grenzhelfer" — es handelt sich um Parteimitglieder oder um Reservisten der Streitkräfte bzw. der Grenzsicherungstruppen, die im Grenzgebiet ansässig sind — angeworben und in die Grenzhelfergruppen eingegliedert hat? In der DDR werden seit vielen Jahren Helfer der Grenztruppen der Nationalen Volksarmee angeworben und einzeln oder in geschlossenen Gruppen zur Unterstützung der Volksarmee eingesetzt. Die Tätigkeit und die Befugnisse dieser sogenannten Grenztruppenhelfer sind seit über 15 Jahren allgemein bekannt. Einzelheiten über die Befugnisse und den Einsatz dieser Grenztruppenhelfer sind in der „Verordnung über die Zulassung und die Tätigkeit freiwilliger Helfer zur Unterstützung der Volkspolizei und der Grenztruppen der Nationalen Volksarmee vom 16. März 1964" geregelt, die im Gesetzblatt der DDR veröffentlicht ist. Anlage 59 Antwort des Parl. Staatssekretärs Herold auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Rainer (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 120) : Gehört die in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 18. Oktober 1974 gemeldete neuerliche Verweigerung der Einreise für den Erzbischof von Paderborn — diesmal an einem Grenzübergang nach Ost-Berlin — zu den von der Bundesregierung propagierten Erleichterungen für die Menschen im geteilten Deutschland? Ihre Frage, ob eine Einreiseverweigerung zu den Erleichterungen für die Menschen im geteilten Deutschland gehöre, beantwortet sich von selbst. Sie stimmen sicher mit der Bundesregierung darin überein, daß sie sich um die Korrektur und Verminderung von Einreiseverweigerungen in immer wieder im einzelnen bekanntgewordenen Fällen bemüht hat und weiter bemüht. Die Bundesregierung weiß sich in diesem Bemühen gerade mit ihrer Vertragspolitik gegenüber der DDR auf dem richtigen Wege. Zur Sache kann ich Ihnen mitteilen, daß Bundesminister Egon Franke sich sofort nach Bekanntwerden der Einreiseverweigerung an den Erzbischof von Paderborn mit der Bitte gewandt hat, ihm nähere Einzelheiten des Vorganges mitzuteilen. Sobald mir seine Antwort vorliegt, werde ich veranlassen, daß der Fall durch die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Regierung der DDR mit dem Ziel zur Sprache gebracht wird, dem Erzbischof Degenhardt künftig die Einreise in die DDR zu gestatten. Anlage 60 Antwort des Parl. Staatssekretärs Herold auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Freiherr von Fircks (CDU/ CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 121) : Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß der hessischen Landesregierung Bundesmittel für Fahrten von Jugendgruppen an die Zonengrenze nicht mehr gewährt werden können, wenn das der hessischen Landesregierung unterstehende Landesjugendamt den Jugendgruppen, die von Beamten des Bundesgrenzschutzes bei solchen Fahrten an die Zonengrenze geführt und informiert werden, entsprechende Zuschüsse verweigert? Nach Auffassung der Bundesregierung besteht keine Veranlassung, die Frage der Zuweisung von Bundesmitteln an die Hessische Landesregierung für Fahrten von Jugendgruppen in das Grenzgebiet zur DDR zu behandeln. 8692* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 Vorbereitung und Betreuung der Informationsreisen werden nach wie vor von den in Hessen zuständigen Informationsstellen und den Betreuungsstellen der Landratsämter ohne Schwierigkeiten durchgeführt. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Antwort des Bundesministers des Innern vom 19. September 1974 auf eine Anfrage des Herrn Kollegen Schröder (Lüneburg) (116. Sitzung BT Anlage 23) in der die Bundesregierung zu der Betreuungsarbeit des BGS ausführlich Stellung genommen hat. An der seinerzeit gegebenen Sachdarstellung hat sich nichts geändert. Anlage 61 Antwort des Staatssekretärs Bölling auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Gerlach (Obernau) (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 128) : Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß ihre in der Schrift „Die Bundesrepublik Deutschland — Unser Staat" enthaltene Behauptung, „die Bevölkerung" habe 1969 „eine völlige neue Bundesregierung, die sozialliberale Koalition, gebildet aus SPD und FDP", gewählt, weder den historischen Tatsachen über die Wahlauseinandersetzung und über die Vorgänge, die nach der Wahl zur Regierungsbildung führten, noch den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der parlamentarischen Demokratie entspricht? In der Einleitung der Broschüre „Die Bundesrepublik Deutschland — Unser Staat" heißt es: „Die Bevölkerung hat seit Mitte der 60er Jahre gespürt, daß die politische Führung unter der CDU nicht mehr in der Lage war, diese Probleme zu lösen: So wählte sie 1969 eine völlig neue Bundesregierung, die sozialliberale Koalition, gebildet aus SPD und FDP". Die Wahlentscheidung von 1969 machte deutlich, daß der Wähler eine grundsätzliche Änderung der politischen Führung wollte. Sie bot — und das ist für die Regierungsbildung allein maßgebend — die Möglichkeit, eine „völlig neue Bundesregierung" zu bilden. Ihre Auffassung kann ich deshalb nicht teilen. Anlage 62 Antwort des Staatsministers Moersch auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Jahn (Braunschweig) (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 131) : Wird die Bundesregierung gegen die Institutionalisierung der KSZE durch ein von der Sowjetunion angestrebtes ständiges Sekretariat eine ablehnende Haltung einnehmen wie die Mehrheit der Konferenzteilnehmer? Es gibt in Genf keinen offiziellen Vorschlag zur Schaffung eines „Ständigen Sekretariats", weder von östlicher noch von anderer Seite. Der offizielle Vorschlag der osteuropäischen Länder, den die CSSR bereits auf der Außenministerkonferenz von Helsinki im Juli 1973 einbrachte und der auch veröffentlicht wurde, sieht die Schaffung eines „Konsultativkomitees" vor, das auf Wunsch zusammentritt. Die „Dienste eines technischen Sekretariats" sollen von dem Land, in dem das Komitee zusammentritt, zur Verfügung gestellt werden. Im übrigen hat die Bundesregierung bereits in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU zur KSZE klargestellt, daß sie die Bedenken der Opposition gegenüber der Schaffung eines KSZE-Organs, das nach Abschluß der Konferenz generelle politische Zuständigkeiten wahrnehmen soll, teilt. Anlage 63 Antwort des Staatsministers Wischnewski auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Fragen A 134 und 135) : Trifft die in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 16. Oktober 1974 wiedergegebene sowjetische Behauptung zu, die Sowjetunion und Frankreich seien sich bereits über einen neuen Handelsvertrag einig, obwohl die Zuständigkeit, einen solchen Vertrag abzuschließen, inzwischen von den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft an deren Organe übergegangen ist, und wird die Bundesregierung die Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft beachten und ihr zukünftig den Abschluß von Handelsverträgen für die gesamte Gemeinschaft in eigener Verantwortung überlassen? Wie wird die Bundesregierung, sollte die sowjetische Behauptung nicht zutreffen, auf den dann offenkundigen Versuch der sowjetischen Seite reagieren, die einzelnen Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft mit unwahren Behauptungen gegeneinander auszuspielen, und wie wird die Bundesregierung angesichts dieser Erfahrung in Zukunft sowjetische Tatsachenbehauptungen im diplomatischen Verkehr mit der UdSSR werten? Zu Frage A 134: a) Es trifft nicht zu, daß sowjetische Regierungsvertreter gegenüber der deutschen Delegation anläßlich der Tagung der deutsch-sowjetischen Wirtschaftskommission vom 15.-18. Oktober 1974 in Moskau behauptet haben, Frankreich und die Sowjetunion seien sich über einen neuen Handelsvertrag einig. Erklärt worden ist während der Sitzung der deutsch-sowjetischen Wirtschaftskommission von sowjetischer Seite lediglich, daß man mit Frankreich einen Briefwechsel „so gut wie vereinbart" habe, der sicherstellen solle, daß die Prinzipien des sowjetisch-französischen Abkommens von 1951 weiterhin angewandt werden. Hierbei handelt es sich also nicht um den Abschluß eines neuen Vertrages. Ein solcher Briefwechsel ist in den letzten Tagen nach vorheriger Konsultation mit der EG-Kommission in Brüssel auch paraphiert worden. Er steht in Übereinstimmung mit dem Ratsbeschluß vom 15. Oktober 1974, wonach die Gemeinschaft die Meistbegünstigung, um die es den osteuropäischen Ländern am meisten geht, nach Auslaufen der bilateralen Abkommen nicht ändern wird. b) Die Bundesregierung steht ohne jede Einschränkung zur Verwirklichung der Gemeinsamen Handelspolitik, die sie als ein wesentliches Element der europäischen Einigung betrachtet. Sie sieht es als ihre selbstverständliche Pflicht an, die Grundsätze und Regeln der Gemeinsamen Handelspolitik, an deren Ausarbeitung sie maßgebenden Anteil hatte, voll zu beachten. Neue Handelsabkommen können hiernach nur noch von der Gemeinschaft ausgehandelt und abgeschlossen werden. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 8693* Zu Frage A 135: Frage 135 geht davon aus, daß die Meldung über die sowjetische Behauptung tatsächlich zutrifft. Dies ist aber, wie bereits eingangs dargelegt, nicht der Fall. Es dürfte sich bei der zitierten Zeitungsmeldung um ein Mißverständnis handeln. Eine Beantwortung erübrigt sich daher. Anlage 64 Antwort des Staatsministers Wischnewski auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Seefeld (SPD) (Drucksache 7/2720 Frage A 137): Wann beabsichtigt die Bundesregierung, den Nachfolger für das ausgeschiedene deutsche Mitglied der Kommission der Europäischen Gemeinschaft, Professor Ralf Dahrendorf, zu benennen? Das Bundeskabinett hat in seiner Sitzung am 6. November 1974 beschlossen, Ministerialdirektor Dr. Guido Brunner als Nachfolger für Herrn Professor Dahrendorf zu benennen. Dr. Brunner ist der Leiter des Planungsstabes des Auswärtigen Amts und leitet gleichzeitig als Botschafter die Delegation der Bundesrepublik Deutschland bei der KSZE in Genf. Anlage 65 Antwort des Staatsministers Moersch auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Hösl (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Frage A 138) : Trifft die Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 22. Oktober 1974 zu, der sowjetische Vertreter beim Internationalen Turner-Bund habe gegen die Ausrichtung des Weltturnfestes Gymnaestrada im Jahr 1975 in West-Berlin mit der Begründung protestiert, West-Berlin sei „ein Ort auf dem Gebiet eines anderen Landes" und könne deshalb nicht Schauplatz der dem Deutschen Turnerbund übertragenen internationalen Veranstaltung sein, und was hat die Bundesregierung — bejahendenfalls — unternommen, um diesem neuerlichen Verstoß gegen das Vier-Mächte-Abkommen über Berlin entgegenzutreten und insbesondere der agressiven Falschinterpretation des Abkommens einen Riegel vorzuschieben? Die Meldung trifft zu. Der sowjetische Vertreter beim Internationalen Turner-Bund, Jurij Titow, hat sich in einer Sitzung dieses internationalen Sportfachverbandes mündlich in dem zitierten Sinne geäußert. Wie aus einer Meldung des Sport-Informations-Dienstes Nr. 234 vom 24. Oktober 1974 hervorgeht, erklärten sowjetische Sportfunktionäre und -journalisten die Äußerungen Titows als ein Mißverständnis. Der Internationale Turner-Bund hat bereits Anfang Februar 1973 mit überzeugender Mehrheit beschlossen, die Gymnaestrada 1975 in Berlin (West) abzuhalten. Nach Erklärungen des schweizerischen Präsidenten des Internationalen Turner-Bundes, Herrn Arthur Gander, war dieser Beschluß mit der Stimme des sowjetischen Vertreters gefaßt worden. Für einen sowjetischen Protest zum jetzigen Zeitpunkt würde daher eine Berechtigung fehlen. Die Bundesregierung hat der sowjetischen Seite ihre Verwunderung über diese Äußerung Titows zum Ausdruck gebracht und ist um eine Klärung der sowjetischen Position in der Frage der Durchführung internationaler Sportveranstaltungen in Berlin (West) bemüht. Die Gespräche, die der Bundeskanzler und der Bundesminister des Auswärtigen in Moskau geführt haben, haben im übrigen auch in dieser Frage Fortschritte in Richtung auf eine reibungslose Einbeziehung Berlins in den Sportverkehr mit der Sowjetunion erbracht. Die Frage wird im übrigen in nächster Zeit zunächst mit dem Deutschen Sportbund und dann mit der Sowjetunion aufgegriffen werden. Anlage 66 Antwort des Staatsministers Moersch auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Becher (Pullach) (CDU/CSU) (Drucksache 7/2720 Fragen A 157 und 158) : Hält die Bundesregierung die gegen den deutschen Journalisten Werner Gengenbach in Prag wegen angeblicher Wirtschaftsspionage ausgesprochene Strafe von zehn Jahren Gefängnis für berechtigt? Glaubt die Bundesregierung, daß die gegen den 61jährigen deutschen Journalisten verhängte Strafe dem Geist des Normalisierungsvertrags entspricht, der zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakei geschlossen wurde? Hinsichtlich Ihrer ersten Frage, sehr geehrter Herr Kollege, möchte ich bemerken, daß die Urteilsbegründung dem Auswärtigen Amt noch nicht vorliegt. Das Auswärtige Amt kann sich daher über die Gründe der Verurteilung noch kein genaues Bild machen. Ich bin jedoch der Auffassung, daß eine Freiheitsstrafe von 10 Jahren wegen angeblicher Wirtschaftsspionage außerordentlich hart erscheint und wohl kaum gerechtfertigt sein dürfte. Ich nehme an, daß ich mit diesen Ausführungen auch gleichzeitig Ihre zweite Frage beantwortet habe.
Gesamtes Protokol
Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0712800000
Die Sitzung ist eröffnet.

(Die Abgeordneten erheben sich)

Am 26. Oktober 1974 verstarb in einem Frankfurter Krankenhaus unser Kollege Dr. Friedrich Wilhelm Freiwald im 64. Lebensjahr. Schon Anfang des Jahres hatte Dr. Freiwald sich einer lebensgefährlichen Operation unterziehen müssen, die jedoch den Tod nur aufhalten, aber nicht bannen konnte. Sein ausgeprägtes Pflichtgefühl in der Ausübung seines Bundestagsmandats führte ihn trotz seines geschwächten Gesundheitszustandes zur Bundespräsidentenwahl im Mai nach Bonn, ebenso wie zu der im Juli angesetzten Sondersitzung.
Friedrich Wilhelm Freiwald wurde am 8. Mai 1911 in Berlin-Lichterfelde geboren. Nach seinem Abitur und anschließendem Studium der Rechtswissenschaft und der Nationalökonomie war er als Wirtschaftsjurist in der Organisation der gewerblichen Wirtschaft tätig.
Am zweiten Weltkrieg hat er von 1941 bis 1945 teilgenommen. Von 1950 an war er bis zu seinem Tod Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Papier, Pappe und Kunststoff verarbeitenden Industrie in Frankfurt/Main.
Dr. Freiwald hatte sich schon bald nach Kriegsende der Christlich-Demokratischen Union angeschlossen, für die er 1956 als Stadtverordneter in die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung einzog. Er gehörte dieser Versammlung bis zum Jahre 1965 an, von 1962 ab als Vorsitzender der CDU- Fraktion.
1965 wurde Dr. Freiwald über die hessische Landesliste der CDU in den Deutschen Bundestag gewählt. Er gehörte unserem Parlament bis zu seinem Tod ununterbrochen rund neun Jahre lang an. Schwerpunkte seiner parlamentarischen Arbeit waren die Wirtschafts- und Sozialpolitik.
In Würdigung seiner Verdienste für die Bundesrepublik Deutschland wurde Dr. Freiwald am 5. Oktober 1973 von dem Herrn Bundespräsidenten mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.
Der Tod hat nicht nur einen unermüdlichen Kämpfer für soziale Gerechtigkeit abberufen; mit Friedrich Wilhelm Freiwald verliert das Hohe Haus einen Kollegen, der durch seine liebenswürdige Art und seine stete Hilfsbereitschaft überall Zuneigung erworben hat.
Ich spreche der Familie des Verstorbenen und der Fraktion der CDU/CSU meine aufrichtige Anteilnahme aus. Der Deutsche Bundestag wird Friedrich Wilhelm Freiwald ein dankbares Andenken bewahren.
Als Nachfolger des verstorbenen Abgeordneten Dr. Freiwald ist mit Wirkung vom 1. November 1974 der Abgeordnete Stahlberg in den Bundestag eingetreten. Ist Herr Abgeordneter Stahlberg im Saal? — Herr Abgeordneter, ich begrüße Sie herzlich und wünsche Ihnen alles Gute im Deutschen Bundestag.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung wie folgt abgewickelt werden: Punkte 7 a und b, 3, 4, 5, 6, 8, 9 sowie nach Möglichkeit die Punkte 26 und 27. Weiter wollen wir versuchen, heute auch noch die Punkte 10 bis 21, bei denen es keine Aussprache gibt, zu erledigen. Für Freitag verbleiben dann die Punkte 22 bis 25 in dieser Reihenfolge.
Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 7 a und b auf:
7 a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hölscher, von Schoeler, Biermann, Glombig und den Fraktionen der FDP, SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung
— Drucksache 7/1588 —
aa) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/2749 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Möller (Lübeck)

bb) Bericht und Antrag des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 7/2711 —Berichterstatter:
Abgeordneter Erhard (Bad Schwalbach)

Abgeordneter Lambinus

(Erste Beratung 80. Sitzung)




Präsident Frau Renger
b) Zweite Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung
— Drucksache 7/1058 —
Bericht und Antrag des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 7/2711 — Berichterstatter:
Abgeordneter Erhard (Bad Schwalbach)

Abgeordneter Lambinus (Erste Beratung 57. Sitzung)

Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/2742 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU vor. Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Erhard (Bad Schwalbach).

Benno Erhard (CDU):
Rede ID: ID0712800100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die beiden Vorlagen zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, die zu einem Vorschlag zusammengefaßt sind, enthalten zwei Elemente. Das erste ist zwischen uns innerhalb der Fraktionen unstreitig und von Fraktionsbindungen unabhängig, nämlich die Vereinheitlichung des Verwaltungsgerichtsverfahrens nach örtlichen Zuständigkeiten, wenn es um Fragen der Wehrdienstverweigerung geht. Das soll nicht zentralisiert werden, sondern in die Wohnortszuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit kommen. Wer also einen Verwaltungsstreit hat, führt ihn an dem seinem Wohnsitz am nächsten gelegenen Verwaltungsgericht.
Das zweite Element betrifft etwas viel Wesentlicheres, was uns alle von der Sache her im ganzen mit großen Sorgen erfüllt. Wir wissen alle, wie schwierig es ist, nach bestandenem Abitur einen Studienplatz zu erhalten. Die Unterschiedlichkeiten zwischen den einzelnen Ländern und den einzelnen Universitäten, aber auch von Schule zu Schule innerhalb der einzelnen Länder bezüglich der Bewertung des Abiturs führten und führen zu Ungerechtigkeiten und Ungleichmäßigkeiten bei der Zulassung zum Studium. Die Länder haben bereits im Jahre 1972 zur Vereinheitlichung der Zulassungsbedingungen und zu einer optimalen, technisch erfaßbaren Gerechtigkeit eine zentrale Stelle zur Erfassung und zur Zulassung eingerichtet. Alle Zulassungen laufen nunmehr über diese Zentralstelle in Nordrhein-Westfalen, in Dortmund.
In der Ländervereinbarung — genannt „Staatsvertrag" — war vorgesehen, daß für ablehnende Bescheide das sogenannte Widerspruchsverfahren entfällt und, um ein einheitliches Gerichtsverfahren durchzuführen — einheitlich nur von den Tatsachen, nicht vom Rechte her —, ein einziges Gericht zuständig sein sollte, das Verwaltungsgericht, das zu Dortmund gehört, jetzt also das Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen. Dieses Verwaltungsgericht hat seine
Tätigkeit aufgenommen. Alle Ablehnungsbescheide, die angefochten wurden, wurden vor diesem Gericht angefochten. Die Länder waren aber schon damals der Überzeugung, daß die Verwaltungsgerichtsordnung, die in die Bundeszuständigkeit gehört, in einem Punkte geändert werden müsse; das konnten die Länder selbst nicht tun.
Nun haben die Länder über den Bundesrat einmütig einen Gesetzentwurf vorgelegt, den die Bundesregierung, damals noch unter Federführung von Herrn Jahn, bis auf den letzten Tag der Dreimonatsfrist liegengelassen hat. Wir haben längere Zeit darüber nicht beraten. Im Rechtsausschuß haben wir nicht beraten, weil die Koalition nicht recht wußte, wohin sie gehen sollte.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Das ist meistens so!)

Schließlich hat man den Entwurf dann zusammen mit dem Änderungsantrag, über den wir nicht unterschiedlicher Meinung sind und der hier heute auch zur Abstimmung vorliegt, abgelehnt.
Wir sind mit den Wortführern in der Koalition der Meinung, daß man keine generelle Ermächtigung den Ländern geben kann, die verwaltungsgerichtliche Zuständigkeit allein nach eigenem Ermessen oder nach den Bestimmungen eines zwischen den Ländern abgesprochenen Staatsvertrages zu bestimmen. Eine solche Pauschalermächtigung findet auch unsere Zustimmung nicht. Wir haben die Dinge im Rechtsausschuß sehr eingehend erörtert und haben vor allem den Leiter der Zentralstelle und seinen Mitarbeiter zu der Frage gehört, wie denn technisch das Verwaltungsstreitverfahren bei Ablehnung der Zulassung zu einer Universität oder Hochschule überhaupt durchgeführt werden kann, wenn mehrere Verwaltungsgerichte in erster und zweiter Instanz zuständig wären. Es läßt sich technisch fast überhaupt nicht machen, denn die einzelnen Gerichte, die ja dann mehr oder weniger gleichzeitig mit Zulassungsfragen befaßt werden, können den jeweiligen Stand der freien Plätze nach der generellen Vergabe, bei der Einzelplätze frei werden, nicht gleichzeitig kennen. Vor allen Dingen kann man über einen Platz, der frei geworden ist, nicht an drei Gerichten gleichzeitig verfügen. Das läßt sich nur zentral durchführen. Deswegen ja auch die Zentrale Zulassungsstelle, die mit Computer arbeitet, und deswegen auch das eine Verwaltungsgericht. Das Verfahren ist also technisch und in bezug auf die Wirksamkeit der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle vom Tatsächlichen her überhaupt nur möglich, wenn das zusammengefaßt ist.
Aus diesem Grunde haben wir den vom Bundesrat vorgelegten Entwurf auch nicht gut geheißen, sondern ihn geändert. Der Ihnen nun vorliegende Änderungsantrag ist auch von den Ländern akzeptiert worden. Der Präsident des Bundesrates hatte, bevor wir im Rechtsausschuß beraten haben, noch an alle Fraktionen geschrieben, man möge doch unter allen Umständen die Zentralstelle und auch die zentrale Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes erhalten. Das Bundesverfassungsgericht hat selbstverständlich gesagt: Das ist nicht möglich, ohne daß die Verwaltungsgerichtsordnung geändert wird. Wir ha-



Erhard (Bad Schwalbach)

ben also jetzt den Zustand, daß der eine zum Verwaltungsgericht nach Gelsenkirchen geht, der andere zu seinem Wohnsitz-Gericht. Die Entscheidung von Gelsenkirchen kann verfassungswidrig sein, weil seine Zuständigkeit verfassungswidrig ist. Wir sind deshalb in der Fraktion generell mit den Bundesländern der Meinung, es sei dringend notwendig, speziell für das Vergabeverfahren bei der Zulassung zu den Universitäten die zentrale Zuständigkeit nach der Verwaltungsgerichtsordnung zu ermöglichen. Das ist der Inhalt dieses Entwurfs.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0712800200
Das Wort hat der Abgeordnete Lambinus.

Uwe Lambinus (SPD):
Rede ID: ID0712800300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion wird den soeben von Herrn Kollegen Erhard begründeten Änderungsantrag auf Drucksache 7/2742 ablehnen.
Wir haben im Rechtsausschuß vorgetragen, daß wir aus grundsätzlichen Überlegungen Wert darauf legen, daß in allen Fällen, in denen Bürger sich rechtsuchend an ihre Gerichte wenden, diese Gerichte bürgernah sind.

(Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Das tun wir auch!)

Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen sich Bürger, die in der Regel sozial schwach sind, an ihre Gerichte wenden, und wir gehen davon aus, daß Studienplatzbewerber in der Regel sozial schwach sind. Wir wollen deshalb, daß sie, wie es in unserem Antrag vorgesehen ist, den Gerichtsort ihres Wohnsitzes aufsuchen können. Wir glauben, daß sich nicht jede Behörde ihr eigenes Hausgericht schaffen kann. Dies gilt insbesondere in diesem Fall. Wir werden deshalb den Antrag ablehnen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0712800400
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 7/2742 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen jetzt zu der Abstimmung über Art. 1. Wer dem Art. 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Art. 1 ist angenommen.
Ich rufe auf Art. 2, 3, Einleitung und Überschrift. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Das Gesetz ist in zweiter Beratung beschlossen. Ich rufe nunmehr die
dritte Beratung
auf. Dazu wünscht das Wort der Herr Abgeordnete Lambinus. Bitte!

Uwe Lambinus (SPD):
Rede ID: ID0712800500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Fast auf den Tag genau vor 15 Jahren hat die sozialdemokratische Partei ihr Godesberger Programm verabschiedet. In ihm heißt es:
Wirtschaftliche Überlegenheit oder Schwäche dürfen keine Folgen für den Rechtsweg oder für die Rechtsprechung haben.
Mit diesem Satz wurde eine zentrale Forderung unserer Rechtspolitik umrissen, einer Rechtspolitik, die ein breites Programm erfordert, das mit der Entwicklung unserer Gesellschaft fortzuschreiben ist. Zu diesem Programm gehört die Reform des verbraucherfeindlichen Rechts der „Allgemeinen Geschäftsbedingungen" ebenso wie der Aufbau eines Systems der kostenlosen Rechtsberatung für Bürger mit geringem Einkommen. Wir wollen die Chancengleichheit auch auf dem Gebiete des Rechtswesens durchsetzen.
Diesem Ziel dient unter anderem das bürgernahe Gericht. Der Bürger soll sich selbst ein Bild davon machen können, wie in seiner Sache Recht gesprochen wird. Er soll eine faire Chance erhalten, seine Rechte wahrzunehmen und durchzusetzen. Die verbesserte Möglichkeit, sein Gericht zu erreichen, hilft ihm dabei. Das Recht des einzelnen darf nicht im Gestrüpp eines schriftlichen Verfahrens hängenbleiben. Auch darf es dem Prozeßgegner nicht gestattet sein, sich auf Grund seiner wirtschaftlichen und sozialen Überlegenheit eine eigene Hausgerichtsbarkeit zurechtzuschneidern. Dies würde aber durch die Konzentration aller Verfahren vor einem einzigen Gericht erreicht werden, da der wirtschaftlich und sozial Überlegene dann Richter und Rechtsprechung im Gegensatz zum unterlegenen Gegner bis ins einzelne kennt.
Auf dem Wege zum bürgernahen Gericht haben wir schon viel erreicht. Seit ca. sechs Jahren besteht für Mietsachen ein ausschließlicher Gerichtsstand bei dem Gericht, in dessen Bezirk sich die Wohnung befindet. Wir haben eine ähnliche Regelung für Abzahlungsgeschäfte. In diesem Jahre sind die Gerichtsstandsvereinbarungen zuungunsten der wirtschaftlich Unterlegenen grundsätzlich verboten worden. Niemand kann hier einem wirtschaftlich Schwächeren einen entfernten und deshalb ungerechten Gerichtsstand aufzwingen.
Doch es bleibt eine Lücke. Der Staat als Gesetzgeber kann sich für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten, an denen er selbst beteiligt ist, einen Gerichtsstand schaffen, ohne dabei im Einzelfall Rücksicht auf seine Prozeßgegner nehmen zu müssen. Ich meine, ob durch Vertrag oder durch Gesetz: das Problem der gefährdeten Chancengleichheit vor Gericht ist das gleiche. Der Staat sollte sich deshalb nicht etwas erlauben, was er den Wirtschaftsunternehmen gerade erst aus gutem Grunde verboten hat. Deshalb wird die sozialdemokratische Fraktion heute dem Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung in der vom Rechtsausschuß beschlossenen Fassung zustimmen.
Das Gesetz sieht folgendes vor. Erstens. Es wird klargestellt, daß Studienplatzbewerber, die von der Dortmunder Zentralstelle für die Vergabe von Stu-



Lambinus
dienplätzen abgelehnt worden sind, Anträge auf einstweilige Anordnungen und Klagen an das Verwaltungsgericht ihres Wohnsitzes richten können.
Zweitens. Für Klagen, die auf Befreiung oder Zurückstellung vom Zivildienst gerichtet sind, wird das Verwaltungsgericht zuständig sein, in dessen Bezirk der Zivildienstpflichtige seinen Wohnsitz hat.
Drittens. Es wird eindeutig geregelt, daß für Rechtsstreitigkeiten aus dem Zivildienstverhältnis ebenfalls das Verwaltungsgericht des Wohnsitzes des Zivildienstleistenden zuständig ist.
Den Zivildienstpflichtigen und Zivildienstleistenden bringt das Gesetz außer dem bürgernahen Gerichtsstand auch die Gleichstellung mit den Wehrpflichtigen in dieser Frage. Nach der bisherigen Regelung der Verwaltungsgerichtsordnung mußten Zivildienstpflichtige vor dem Verwaltungsgericht Köln klagen; dort hat die zuständige Bundesbehörde, das Bundesamt für den Zivildienst, seinen Sitz. In Zukunft werden sie die Möglichkeit haben, das Verwaltungsgericht ihres Wohnsitzes anzurufen. Für Rechtsstreitigkeiten aus dem Wehrpflichtverhältnis war dies von jeher so.
Für die Semester für Semester ca. 40 000 Studienplatzbewerber, die einen ablehnenden Bescheid aus Dortmund erhalten, wird das Gesetz den Rechtsschutz ebenfalls verbessern. Sie gehören genauso wie die Zivildienstpflichtigen in aller Regel zu einem Personenkreis, der wegen seiner wirtschaftlichen und sozialen Lage bei der Zuständigkeit eines entfernten Gerichts Nachteile in der Wahrnehmung seiner Rechte hatte. Sie haben die Möglichkeit, durch Anrufung des Verwaltungsgerichts eine unter Umständen für sie günstige Entscheidung zu erlangen, die oft eine Entscheidung ist, die ihren Lebensweg nachhaltig beeinflußt. Wenn wir es Wirtschaftsunternehmen zumuten, sich bei Streitigkeiten, die letztlich um finanzielle Dinge geführt werden, an ca. 700 Amts- und Landgerichte wenden zu müssen, müssen wir es dem Staat erst recht zumuten, daß er in Gerichtsverfahren, in denen es um den Lebensweg vieler junger Menschen geht, die Zuständigkeit von nur 25 Verwaltungsgerichten in Kauf nimmt.
Wir werden heute zugleich nach dem Vorschlag der Ausschußmehrheiten, der Bundesregierung und der Fachverbände den Bundesratsentwurf zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung ablehnen. Mit ihm sollte die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen für alle Streitigkeiten, an denen die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen beteiligt ist, begründet werden. Wir können aber für die Studienplatzbewerber keine andere Regelung treffen als für Zivildienstleistende und Wehrpflichtige. Die von den Bundesländern im Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen vom 20. Oktober 1972 vereinbarte zentrale Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen wurde vom Bundesverfassungsgericht im Mai dieses Jahres aus Kompetenzgründen für verfassungswidrig erklärt.

(Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Das war von vornherein klar!)

Die einzelnen Verwaltungsgerichte vertreten in der Frage der Zuständigkeit unterschiedliche Auffassungen. Wir wollen diese Rechtsunsicherheit im Interesse der Studienplatzbewerber schnell beseitigen. Mit der Bundesregierung und der Mehrheit des Rechtsausschusses meinen wir, daß schon nach gegenwärtiger Rechtslage das Verwaltungsgericht am Wohnsitz des Studienplatzbewerbers zuständig ist.
Diese zutreffende Auslegung wollen wir nun in der Rechtspraxis durchsetzen und nicht erst auf die mühselige Klärung der einschlägigen Fragen durch die verschiedenen Gerichte warten. Die Studienplatzbewerber müssen jetzt eine Antwort erhalten, nicht erst in einigen Jahren. Die Dezentralisierung der Streitigkeiten der Dortmunder Zentralstelle wird zur Entlastung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen führen. Die gerichtlichen Entscheidungen müssen schnell erfolgen, da sie sonst für das laufende Semester zu spät kommen. Das Sommersemester 1974 hat am 1. April 1974 begonnen. Am 1. September 1974 waren beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen noch immer 17 Anträge auf Einstweilige Anordnungen und 426 Klagen von Studienplatzbewerbern anhängig. Diese Zahlen sprechen für sich.
Auch nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen können Streitigkeiten, die nach Abschluß des zentralen Vergabeverfahrens entstehen oder die sich auf die Überprüfung der Hochschulkapazität beziehen, nicht vor das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen gebracht werden. Gerade hinsichtlich der Überprüfung der Hochschulkapazitäten liegt vieles im argen. Die öffentlichen Auseinandersetzungen der letzen Wochen zum Thema der unrichtigen Kapazitätsberechnungen zeigen, daß hier ein echtes Bedürfnis nach mehr Rechtsschutz be-besteht. Unser Entwurf ist ein erster Schritt dazu. Der Ausbau des Normenkontrollverfahrens muß folgen. Heute geht es um einen ersten wichtigen Schritt in die richtige Richtung.
Kern unseres Anliegens ist folgendes: Wir wollen verhindern, daß der Studienplatzbewerber mit seinem Anliegen in einem schriftlichen, für ihn in der Regel undurchschaubaren Verfahren vor Gericht verwaltet wird. Die Arbeitsfähigkeit der Dortmunder Zentralstelle wird durch bürgernahe Gerichtsstände nicht entscheidend berührt. Im übrigen sollten gerade Fragen des Rechtsschutzes nicht vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsfähigkeit der Verwaltung, sondern unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzes für den Bürger gesehen werden, denn nach unserer Auffassung sind die Verwaltungsgerichte für den Bürger da, nicht für die Verwaltung.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0712800600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erhard (Bad Schwalbach).

Benno Erhard (CDU):
Rede ID: ID0712800700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist bedauer-



Erhard (Bad Schwalbach)

lieh, daß wir bei einer Frage der Zuständigkeit für bestimmte Verfahren eine ideologiebelastete Position erfahren mußten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist mir völlig unverständlich, was hier an Behauptungen in den Raum gestellt werden mußte, um zu sagen, es sei notwendig, unsere Gerichtsverfahren und die Zulässigkeit bzw. den Zugang zu unseren Gerichten von den Unterschieden nach Einkommen und ähnlichem frei zu machen. Davon ist in unserer rechtlichen und der konkreten Wirklichkeit überhaupt keine Rede. Das jetzt vorgelegte und hier zur Abstimmung stehende Gesetz enthält darüber auch nicht den geringsten Anhalt, da etwas zu ändern, was hier beschworen wurde. Es muß doch jedem klar sein, daß man Zivilstreitigkeiten, daß man Prozesse, wo Bürger gegen Bürger, ein Bürger gegen ein größeres Unternehmen oder ein kleines oder ein großes Unternehmen gegen ein kleines in einer völlig anderen Zuordnung sehen muß als Streitigkeiten des Bürgers gegen den Staat. Wer diesen Unterschied nicht sieht, macht die Augen vor der Notwendigkeit zu, hier zu unterscheiden.

(Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Oder ist dumm!)

Im Zivilprozeß müssen die Parteien ihren Prozeß führen, sie müssen vortragen, müssen beweisen. In dem Verfahren, wo es gegen den Staat geht, haben die Gerichte von Amts wegen zu ermitteln, weil der Bürger gar nicht weiß, wie er die Behörden denn nun tatsächlich auf eine bestimmte Tatsachenposition festlegen und sein Recht beweisen könnte. So ist unsere Rechtsordnung ausgestaltet, längst vor dem Godesberger Programm und längst bevor Sozialdemokraten derartige Ideen entwickelt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben für den Armen eine Rechtsordnung, die ihm jede Möglichkeit zum Zugang bis zum letzten Gericht, bis zum höchsten Gericht in unserem Staate, dem Verfassungsgericht, gibt. Was soll hier dieses Geschwafel — entschuldigen Sie das, Herr Kollege —, daß nunmehr der Zugang zu den Gerichten erleichtert werden soll? Das ist doch überhaupt nicht irgendwie angesprochen und schon gar nicht von irgendeiner Position her, die Sie aus dem Godesberger Programm ableiten könnten. Wie erklären Sie es sich denn sonst, daß das Land Nordrhein-Westfalen federführend verlangt, daß für das Verfahren betreffend die Zulassung zu Hochschulen das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen zuständig sein solle? Wie erklären Sie es sich, daß alle von der SPD geführten oder allein regierten Länder der gleichen Auffassung sind? Sind das etwa alles Abweichler gegenüber dem, was im Godesberger Programm steht? Wollen Sie uns das weismachen?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich kann Ihnen nur sagen: Die hessische SPD würde sich bitter beklagen, wenn ihr dieser Vorwurf hier gemacht würde,

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

nach der verlorenen Wahl vielleicht noch ein kleines bißchen deutlicher als vor der Wahl.

(Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Herr Kollege Erhard, die weichen natürlich auch ab!)

Wenn hier wirklich ein soziales Problem angesprochen wäre, müßten Sie versuchen, das Armenrecht zu ändern. Ich habe aber nicht den geringsten Anlaß zu glauben, daß Sie das wollen, denn ich habe nichts davon gehört.

(Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Hört! Hört!)

Sie sagen, die Studenten, die im Zulassungsverfahren mit der zentralen Stelle im Streit liegen, seien selbstverständlich sozial und wirtschaftlich schwach.

(Zuruf von der SPD: In der Regel!)

Herr Kollege Lambinus, die Zulassung zu den Universitäten richtet sich nach dem Notendurchschnitt und nicht nach dem Portemonnaie, d. h. nach der geistigen und nicht nach der wirtschaftlichen Kapazität. Gerade daß es nicht nach der wirtschaftlichen Kapazität geht, ist ja in diesem Verfahren festgelegt. Der Arme, der intelligent ist, kommt vor dem Reichen, der dumm ist.

(Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU] : Gott sei Dank! — Zuruf von der SPD: Das ist doch nicht das Problem! — Weitere Zurufe von der SPD)

Um das sicherzustellen und um die einheitliche Zulassung zu den Universitäten zu gewährleisten, glauben der Bundesrat und wir, daß hier nicht nur eine zentrale Behörde, sondern auch eine einheitliche Rechtsprechung und zentrale Gerichtsinstanz notwendig seien. Sie haben das abgelehnt; es ist nicht mehr Gegenstand unserer Gesamtberatung. Wir stimmen mit Ihnen jedenfalls darin überein, daß beim Zivildienstpflichtigen genau die gleiche gerichtliche Zuständigkeit gegeben sein soll wie beim Wehrpflichtigen. Der Punkt, der jetzt im Gesetz ausformuliert vorliegt, ist nicht kontrovers. Kontrovers ist die Ideologie, die daran geknüpft wird, und kontrovers ist die Frage, wie man bei den Studienplätzen vorgehen müßte. Die Zuständigkeit in dem Verfahren, das streitig ist, ist durch das Bundesverfassungsgericht geklärt. Wir wußten, daß der Staatsvertrag der Länder ohne die Absegnung durch den Bundesgesetzgeber nicht verfassungskonform wäre. Das wußten auch die Länder. Deswegen haben sie sich ja mit ihrem Vorschlag aus dem Bundesrat an den Bundestag gewandt.
Die einheitlichen Bedingungen für die Zulassung zu unseren Universitäten, die angestrebt werden, die zwischen den Ländern und auch zwischen den Hochschulen zu erreichen versucht werden und die ein Teil der Gesetzgebungsmaterie eines Hochschulrahmengesetzes sind, werden, wenn wir jetzt die Entscheidungen über die Zulassung auf die 22 Verwaltungsgerichte der Bundesrepublik aufteilen und von daher eine große Rechtszersplitterung bekommen, von innen her unterlaufen. Wir haben uns an den Universitäten erkundigt, wir haben uns bei der zentralen Stelle erkundigt. Hier liegt für die mittelfristige Zukunft die eigentliche politische Gefahr. Wer haben will, daß man nachher auf Grund von



Erhard (Bad Schwalbach)

Beziehungen oder ähnlichem leichter zum Studium kommt als auf Grund seiner Leistungen, muß es so machen, wie Sie es machen. Ich bin aber der festen Überzeugung: auf die Dauer werden die Sozialdemokraten — so wie die Sozialdemokraten in den Ländern es jetzt schon sind — unserer Meinung sein. Wer wirklich haben will, daß ein sozial gerechter Zugang zu unseren Universitäten eröffnet wird, muß unserer Meinung folgen. Ich bin der Auffassung, daß wir dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Form — er enthält ja nichts mehr über die Zulassung zu den Universitäten — zustimmen müssen. Das andere Problem bleibt aber auf dem Tisch.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0712800800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Schoeler.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712800900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Erhard, ich möchte Sie beglückwünschen. Sie haben es hervorragend fertiggebracht, die ganze Zeit gegen etwas zu reden, um zu begründen, daß Sie dem Gesetzentwurf zustimmen. Mein Kompliment dazu!
Von Ihnen stammt das Wort im Rechtsausschuß, daß es sich hier nicht um eine parteipolitische Frage handle. Ich stimme Ihnen darin zu. Ich wäre allerdings froh, wenn auch die dritte Lesung hier im Parlament entsprechend gehalten würde.

(Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU] : Wer hat Ihnen das denn vorgeworfen? — Dr. Ritz [CDU/CSU]: Diesen Stil haben wir ja nicht begonnen. — Rawe [CDU/CSU] : Herr von Schoeler wendet sich jetzt gegen die Sozialdemokratische Partei! Das ist völlig richtig!)

— Nein, ich wende mich ja gerade an Herrn Kollegen Erhard und sage: Wir sind uns darüber einig, daß es möglich gewesen wäre, diese Dinge etwas mehr abwägend und unter Einbeziehung verschiedener Gesichtspunkte darzustellen. Sie haben hier aber mehr das Parteipolitische in den Vordergrund gestellt.
Die beiden uns vorliegenden Gesetzentwürfe betreffen eine Vielzahl junger Staatsbürger in unserem Lande, einmal im Bereich der Zivildienstpflichtigen und Zivildienstleistenden und im anderen Falle im Bereich der Studienplatzbewerber. Der Rechtsausschuß hat sich — wie wir Freien Demokraten meinen, zu Recht — in beiden Fällen für das Prinzip der Dezentralisierung der örtlichen Gerichtszuständigkeiten entschieden. Diese Entscheidung ist im Interesse der betroffenen rechtsuchenden Bürger erfolgt. Die Dezentralisierung entspricht diesen Interessen,

(Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Das ist eine andere Frage!)

weil sie erstens dem Bürger die Möglichkeit gibt, an einem ortsnahen Gericht seine Rechte durchzusetzen, und weil sie zweitens durch eine breite Entwicklung der Rechtsprechung besser zu einer Fortentwicklung bei neu auftauchenden Problemen führt,
als dies bei einer zentralen Zuständigkeit für solche Streitverfahren zu erwarten wäre.
Durch den von den Fraktionen der FDP und SPD eingebrachten Gesetzentwurf wird mit einer ungerechten Ungleichbehandlung von Zivildienstleistenden und Zivildienstpflichtigen einerseits und Wehrpflichtigen andererseits Schluß gemacht; in diesem Punkt besteht in diesem Hause Einigkeit. Während der Wehrpflichtige Herr Meyer aus Hamburg, der einen Einberufungsbescheid zur Bundeswehr erhalten hatte und gegen diesen gerichtlich vorgehen wollte, beipielsweise weil er eine Zurückstellung vom Wehrdienst erreichen wollte, seine Klage bisher beim Verwaltungsgericht in Hamburg einreichen konnte, mußte der anerkannte Kriegsdienstverweigerer Herr Meyer aus Hamburg die Klage im gleichen Falle beim Verwaltungsgericht in Köln einreichen. Mit der Beseitigung dieser Ungerechtigkeit durch die Verabschiedung des von uns Freien Demokraten 'erarbeiteten Gesetzentwurfs gehen wir einen Schritt auf dem Wege in die richtige Richtung einer generellen rechtlichen Gleichstellung von Zivildienstpflichtigen und Wehrdienstpflichtigen.

(Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Ob das die richtige Richtung ist, darüber werden wir in einem anderen Zusammenhang reden!)

— Wenigstens sind wir uns in dem hier zur Diskussion anstehenden Punkt darin einig, Herr Kollege Lenz.
Die gleichen Überlegungen, die in diesem Falle zu einer Auflockerung der örtlichen Zuständigkeit geführt haben, mußten auch den Ausschlag zu einer Ablehnung des Bundesratsentwurfs zu der zweiten uns vorliegenden Frage geben. Es ist ganz unbestreitbar, daß es für den einzelnen Studienbewerber aus Kiel oder Konstanz ein erheblicher Nachteil wäre, wenn er gegen einen Bescheid der Zentralen Vergabestelle für Studienplätze nicht an dem für seinen Wohnsitz zuständigen Verwaltungsgericht klagen könnte, sondern sich dafür an das Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen wenden müßte. Es handelt sich deshalb bei der Ablehnung des vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurfs nicht um eine ideologische, sondern um eine pragmatisch an den Interessen der betroffenen jungen Bürger orientierte Lösung.
Nun sind im Rechtsausschuß einige Argumente vorgetragen worden, die darauf hinausliefen, daß man von diesem von uns allen anerkannten Grundsatz hier ausnahmsweise abgehen müsse, weil es gewisse Besonderheiten im Verfahren für die Zulassung der Zentralstelle gebe, die hier eine andere Entscheidung — im Interesse der betroffenen Bürger, das will ich durchaus anerkennen — notwendig mache. Die Frage war: Sind diese Argumente durchschlagend oder nicht? Ich glaube, wenn man sich an die Sitzung des Rechtsausschusses erinnert, wird man sagen können: Keiner, der darin saß, war der Meinung, er habe den Stein der Weisen gefunden. Uns allen war wohl klar, daß die besondere Schwierigkeit des Verfahrens und die besonderen Schwierigkeiten der Technik hier etliche Probleme aufwerfen, die man nicht einfach durch eine Lösung so



von Schoeler
oder so aus der Welt schaffen kann. Es ging also um eine Abwägung. Diese Abwägung haben wie vorgenommen, mit unterschiedlichen Ergebnissen bei der Mehrheit und bei der Minderheit des Rechtsausschusses. Ich will versuchen, hier darzustellen, warum die Argumente, die gegen die Annahme des Bundesratsentwurfs sprechen, für uns mehr Durchschlagskraft haben.
Die Argumente, die dort vorgetragen worden sind, Herr Kollege Erhard, waren erstens Argumente, die sich aus den technischen Zwängen des Verfahrens ableiten. Da war z. B. davon die Rede — ich will das einmal zur Information des Hohen Hauses zitieren , daß dort Rückvergrößerungen mikroverfilmter Zulassungsformulare, auf denen nur Zahlen und Kästchen seien, vorgelegt würden und daß deshalb nicht jeder, sondern nur ein hochspezialisierter Richter entscheiden könne. Und da war die Rede davon, daß dem Richter, der entscheiden müsse, ein sogenannter Stammsatzauszug vorgelegt werde, der auch für die Mitarbeiter der Zentralstelle, also Computerfachleute, nur mit Hilfe einer Schablone zu lesen sei. Und daraus wurde der Schluß gezogen, es gehe, um es überspitzt zu sagen, im Rechtsausschuß darum, den Richter zu finden, der diese Schablone richtig anlegen kann. Das Argument für die Zentralisierung, Herr Kollege Erhard, war: Je mehr wir den Richter dort mit der Schablone lesen lernen lassen, desto besser wird er die Schablone beherrschen und desto besser ist das im Sinne des Rechtsschutzes. Nur, ich glaube, auch Sie werden in dieser Diskussion im Rechtsausschuß das Gefühl nicht abgelegt haben, daß hier die Gefahr zumindest nahe war, daß uns eine Verwaltungsbehörde erklärt, wie der Richter beschaffen sein sollte, der sie am besten kontrollieren könne, und nicht, wie eine Verwaltungsbehörde ihren Verfahrensablauf organisieren müßte, damit ein Gericht sie möglichst effektiv kontrollieren könne. Denn bisher ist es jedenfalls so, daß wir unsere gerichtlichen Kontrollen, unsere gerichtlichen Zuständigkeiten, die ganzen Verfahrensbestimmungen nicht so regeln, wie es die Behörden wünschen, und die Gerichte nicht so konstruieren, daß sie möglichst nahtlos mit den Behörden zusammenarbeiten, sondern den Behörden die Aufgabe geben, ihre Entscheidungsabläufe so zu gestalten, daß die Gerichte zu einer effektiven Kontrolle in der Lage sind.

(Beifall bei der FDP)

Für uns ist es eine beängstigende Vision, sich vorzustellen, daß das Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen — ohne auch nur die geringste Kritik an den Verwaltungsrichtern dieses Gerichts zu üben — in diesen Verfahren in Zukunft zu einer Außenstelle der Zentralen Vergabestelle für Studienplätze wird. Das kann, glaube ich, niemand von uns wollen.
Das zweite Argument, das vorgetragen wurde, war das schwergewichtigere, wie ich meine. Es wurde nämlich gesagt: Die Dezentralisierung der Gerichtszuständigkeiten kann dazu führen, daß zwar der einzelne Verwaltungsrichter dem Bewerber bzw. dem Kläger recht gibt, aber die Verfügungsmasse — sprich: die Studienplätze an den Universitäten — schon vergeben ist und deshalb der für den
Kläger günstige Entscheid des Verwaltungsgerichts nicht praktisch werden kann. Nun, gegen dieses Argument bestanden im Rechtsausschuß doch auch wieder ganz eindeutig die Bedenken, daß die Konzentration aller Verfahren bei dem Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen dazu führen müsse, daß dieses Gericht innerhalb kürzester Zeit — nämlich innerhalb von etwa vier Wochen — eine Vielzahl von Fällen — beispielsweise 2 000 Fälle — zu entscheiden hätte. Das Argument, daß die Notwendigkeit der schnellen Durchführung einer Vielzahl von Fällen dazu führen würde, daß erstens der Rechtsschutz nicht unbedingt der beste wäre und zweitens auch nicht alle Verfahren entschieden werden könnten, war doch gar nicht von der Hand zu weisen.
Deshalb haben uns die beiden Argumente, die Sie, Herr Kollege Erhard, hier noch einmal vorgetragen und die wir auch nicht etwa negiert, sondern die wir aufgenommen und abgewogen haben mit den Argumenten, die ich soeben vorgetragen habe, nicht endgültig überzeugt. Sie haben bei uns nicht den Ausschlag geben können, und ich glaube, Sie sollten die Sache im Plenum genauso sachlich, genauso abgewogen diskutieren, wie wir das im Rechtsausschuß gemacht haben.
Ich gebe zu, daß keiner von uns zum Ergebnis kommen wird, unsere Entscheidung hier werde nun alle Probleme bewältigen. Aber wir sollten uns nicht gegenseitig unterstellen, daß wir die Argumente, die vorgetragen worden sind, nicht mit der notwendigen Sachlichkeit und mit dem notwendigen Ernst abgewogen haben.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0712801000
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir stimmen nunmehr über den Gesetzentwurf in der vom Ausschuß beschlossenen Fassung ab. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke schön. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir haben jetzt noch über den Antrag des Rechtsausschusses auf Drucksache 7/2711, Buchstabe a, abzustimmen, den Gesetzentwurf Drucksache 7/1058 abzulehnen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke schön. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung auf: Ermächtigung des Landes Baden-Württemberg
Wünschen die Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Das Wort wird nicht gewünscht? — Dann rufe ich Art. 1 entsprechend dem Ausschußantrag, Art. 2, 3, 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.



Präsident Frau Renger
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hauser (Sasbach).

Dr. Hugo Hauser (CDU):
Rede ID: ID0712801100
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Was die Landesregierung Baden-Württembergs in der Begründung zu ihrem Entwurf eines Landesgesetzes über die Freiwillige Gerichtsbarkeit zuversichtlich vermerkt hat, es sei damit zu rechnen, daß der Bundestag das Gesetz über die Ermächtigung des Landes Baden-Württemberg zur Rechtsbereinigung rechtzeitig verabschieden wird, ist mit der heutigen dritten Lesung in der Tat eingetreten und wahr geworden. Damit kann das Land sein Vorhaben zu einer Rechtsbereinigung zügig durchführen.
Worum geht es dabei? Im Zuge eines umfassenden Planes, das Landesrecht im Justizbereich zu vereinheitlichen und der neueren Rechtsentwicklung anzupassen, ist Baden-Württemberg auch bestrebt, sein noch sehr uneinheitliches Recht auf dem Gebiet der Freiwilligen Gerichtsbarkeit und im Notariatswesen auf eine gemeinsame Basis zu stellen, zusammenzufassen und gleichzeitig mit einem ersten Schritt dem Bundesrecht anzugleichen, gibt es doch noch im badischen Landesteil ein anderes Notariatsrecht als im alten Württemberg und im früheren preußischen Hohenzollern wiederum besondere Vorschriften und Einrichtungen.
Da diese einzelnen landesrechtlichen Bestimmungen, Kompetenzen und Institutionen, wie man so sagt, „versteinert" sind, bedarf es zu ihrer Änderung einer bundesrechtlichen Ermächtigung; stützen sich die bisherigen Vorschriften doch noch teilweise auf Gesetze aus dem letzten Jahrhundert. Vor allem aber sind die bisherigen Landesbehörden durch eine Verordnung aus dem Jahre 1935 zementiert, die bestimmt, daß diese landesrechtlichen Vorschriften fortgelten.
Diese notwendige Ermächtigung wird nun mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gegeben. Dabei sind die Einzelermächtigungen eng begrenzt und ganz auf den Entwurf zu dem Landesgesetz, das in der Folge erlassen werden soll, zugeschnitten. Sie sollen dem Land die Möglichkeit geben, Bundesrecht teilweise zu ändern, aufzuheben oder durch Bestimmungen mit entsprechendem Inhalt zu ersetzen, die bisher nur in einem Teil des Landes gelten. Hier ist z. B. vorgesehen, die seit Jahrzehnten bestehenden, recht eingegrenzten badischen Beurkundungszuständigkeiten der Ratschreiber und Grundbuchhilfsbeamten, die ihre Aufgabe stets mit großer Verantwortung und Sorgfalt erfüllt haben, für das ganze Land zu übernehmen. Dies ist nur mit einer Ermächtigung durch den Bund zu erreichen, womit dann gleichzeitig auch die Möglichkeit zur öffentlichen Beglaubigung von Unterschriften und Abschriften verbunden ist.
Es ist ferner geplant, Testamente und Erbverträge, die in Württemberg bei den Bezirksnotaren, in Baden und Hohenzollern aber bei den Amtsgerichten verwahrt werden, einheitlich bei den Amtsnotariaten in Verwahrung zu geben, die ja meist die Urkunden erstellt haben und zudem die Aufgabe der Nachlaßgerichte wahrnehmen. So wird vermieden, daß künftig die Zuständigkeit der Notare als Nachlaßrichter und auf der anderen Seite die Zuständigkeit des Verwahrungsgerichts auseinanderfallen. Im Hinblick darauf, daß das Bürgerliche Gesetzbuch in § 2258 a eine Verwahrung bei den Amtsgerichten vorsieht, bedarf es auch hier einer besonderen bundesrechtlichen Ermächtigung zu einer Ausnahmeregelung durch das Land.
Schließlich sind durch die Gebietsreform einzelne Bezirke umgegliedert und so auch dem Zuständigkeitsbereich eines anderen Oberlandesgerichts zugeordnet worden, sei es daß sie aus dem Rechtsgebiet des Oberlandesgerichts Stuttgart nach Karlsruhe kamen oder umgekehrt. In diesen bestimmten Gebietsteilen soll nun das Recht eingeführt werden, das am Sitz des entsprechenden Oberlandesgerichts gilt. Dies trifft in gleicher Weise für die ehemals hohenzollernschen Gebiete zu, die nunmehr im württembergischen Rechtsgebiet aufgehen sollen. Auch hierzu ist eine Ermächtigung durch den Bund erforderlich. In diesem genau eingegrenzten Rahmen hält sich die Ermächtigung, die mit diesem Gesetz gegeben wird.
Wie schon gesagt, soll damit ein erster Schritt zu einem einheitlichen Notariatswesen und zu einer behutsamen Angleichung an das Bundesrecht unternommen werden.
Jetzt mit einem Federstrich gleichzeitig die in der Bundesnotarordnung vorgesehenen Formen des Nur-Notariats oder des Anwaltsnotariats zu dekretieren — Erwägungen, die in diesen Tagen in den Reihen der SPD angestellt worden sind, nachdem dazu die Zuständigkeit des Bundes festgestellt ist —, wäre wahrhaftig überstürzt, ja, sogar unklug. Die Bevölkerung im badischen wie im schwäbischen Landesteil würde ein solch plötzliches Unternehmen wahrhaftig nicht verstehen. Kann man doch nicht daran vorbeigehen, daß die Notare in Baden-Württemberg seit Generationen als die „Anwälte der armen Leute" gegolten haben und als solche stets besonders respektiert wurden. Ihr Rat und ihre Vermittlung bei Erbteilungen, bei Grundstücksverkäufen, überhaupt bei Notariatsgeschäften wurden immer gern entgegengenommen und außerordentlich geschätzt. Diese große Wertschätzung haben auch Anläufe auf eine Änderung der Notariatsverfassung im Lande selbst immer wieder versanden lassen. Zeigte sich doch regelmäßig, wieviel Widerstand gegen solche Vorhaben in der Bevölkerung sofort hochkam.
Das Land tut deshalb gut daran, wie dies auch vorgesehen ist, mit allem Bedacht die Frage zu prüfen, welche neue oder andere Notariatsform am ehesten dem Bild gerecht wird, das sich in der Bevölkerung seit Jahrzehnten von ihrem Notar festgewurzelt hat, ob dies — mit anderen Worten — eher das Anwaltsnotariat oder das Nur-Notariat als die Regelform der Bundesnotarordnung sein kann.



Dr. Hauser (Sasbach)

Uneingeschränkt wird meine Fraktion — dies darf ich zum Schluß anmerken — der Vorlage zustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0712801200
Das Wort hat Frau Abgeordnete Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):
Rede ID: ID0712801300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem Herr Dr. Hauser als erster Berichterstatter Ihnen den Inhalt und die Tragweite des uns heute vorliegenden Gesetzentwurfs zur Rechtsbereinigung eingehend dargelegt und als Sprecher seiner Fraktion zugleich die Bedeutung und auch die möglichen Auswirkungen für die baden-württembergischen Lande unterstrichen hat, muß ich es mir als Sprecherin der SPD-Fraktion, die diesen Gesetzentwurf voll begrüßt, schweren Herzens versagen, dies zu wiederholen oder Ihnen weitere prickelnde Einzelheiten der baden-württembergischen Rechtszersplitterung auf Teilgebieten des Grundbuchs-, Testaments- und Beurkundungsorganisationsrechts nahezubringen, obwohl ich Ihre Enttäuschung über diese Unterlassung geradezu von Ihren Gesichtern ablesen kann.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Ich möchte an dieser Stelle vielmehr Ihre Aufmerksamkeit auf einen anderen Punkt richten, der mit diesem Gesetz wirklich bedeutsam verknüpft ist. Gegenwärtig — das wissen Sie — sehen sich besonders die sozialliberalen Mitglieder dieses Hohen Hauses immer wieder kränkenden Vorwürfen der baden-württembergischen Landesregierung ausgesetzt, der Bund tue nichts für Baden-Württemberg, er vernachlässige baden-württembergische Interessen. Das ist sachlich — —

(Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Das sind hier aber keine 950 Millionen!)

— Herr Dr. Lenz, ob Sie als Nichtschwabe heute einen Zwischenruf machen dürfen, das ist völlig ungeklärt.

(Heiterkeit)

Diese kränkenden Vorwürfe sind natürlich völlig unhaltbar und in diesem Hause ja von diesem Platz schon mehrmals widerlegt worden. Diese Widerlegung hat jedoch in keiner Weise dazu geführt, daß diese Kritik verstummt ist; ist sie doch so wirksam und bleibt doch immer die Feststellung übrig, man berücksichtige hier in Bonn in Gesetzen gelegentlich auch, daß außerhalb des Landes Baden-Württemberg ebenfalls Menschen wohnen, die keine spezifischen baden-württembergischen Interessen haben.

(Dr. Lenz [Bergstraße] [CDU/CSU] : Aber Zwischenrufe machen!)

Mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs wird dies jedoch alles völig anders, und zwar erstens deshalb, weil seine Existenz ausschließlich auf baden-württembergisches Gedankengut zurückgeht und zweitens, weil der Bundesgesetzgeber ausschließlich baden-württembergische Interessen regelt, wenn er, natürlich mit Geltungskraft für das Land Berlin, ausschließlich Baden-Württemberg zur Bereinigung seiner historischen Rechtszersplitterung auf Gebieten ermächtigt, die für Schwaben und Alemannen ja seit jeher besonders wichtig waren, nämlich Häusle, Erbschaft und was daran hängt. Und drittens, meine Damen und Herren, geschieht dies alles mit einem Höchstmaß an Zustimmung aller Fraktionen dieses Hauses. Weder im Rechtsausschuß noch hier fiel und fällt ein einziges Wort der Widerrede.
Also kurz gesagt: Der uns heute vorliegende Gesetzentwurf ist ein Gesetz so richtig nach dem Herzen der baden-württembergischen Landesregierung, und er hat, wie man hört, auch schon seine Auswirkungen gezeigt. Denn die baden-württembergische Landesregierung soll glaubhaft versichert haben, sie werde, so sich der Bund in Zukunft auf die Verabschiedung von Gesetzen dieser Qualität beschränke, ihre Kritik an ihm zurückstellen und sogar mit Sozialdemokraten in den Ruf ausbrechen: Hie gut, Baden-Württemberg alle Wege!

(Beifall)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0712801400
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung.
Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Rennwett- und Lotteriegesetzes
— Drucksache 7/2483 —
Bericht und Antrag des Finanzausschusses (7. Ausschuß)

— Drucksache 7/2680 —
Berichterstatter: Abgeordneter Schreiber (Erste Beratung 116. Sitzung)

Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? --- Das ist nicht der Fall.
Ich rufe den Art. 1 entsprechend dem Ausschußantrag, die Art. 2 und 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer diesen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. Danke. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein.
Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Wir kommen zu Punkt 5 der Tagesordnung:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ergänzungsprotokoll zum Assoziierungsabkommen zwischen



Präsident Frau Renger
der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei infolge des Beitritts neuer Mitgliedstaaten zu der Gemeinschaft, Ergänzenden Internen Finanzabkommen und Ergänzungsprotokoll über die EGKS-Erzeugnisse vom 30. Juni 1973
Drucksache 7/1974 —
Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß)

— Drucksache 7/2681 —
Berichterstatter: Abgeordneter Breidbach (Erste Beratung 96. Sitzung)

Ich rufe die Art. 1, 2 und 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden.
Wer diesem Gesetz in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Den Punkt 6 der Tagesordnung müssen wir zurückstellen, da der Bericht des Haushaltsausschusses noch nicht vorliegt.
Ich rufe nunmehr den Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Waffenschmidt, Dr. Schneider, Braun, Frau Stommel, Dr. Warnke, Frau Tübler, Blumenfeld, Dr. Jahn (Münster), Vollmer, Vogt, . Eilers (Wilhelmshaven), Pfeifer, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Köhler (Wolfsburg), Dr. Zimmermann, Biehle, Röhner, Dr. Jobst, Thürk, Vehar, Frau Verhülsdonk und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Lage der Städte, Gemeinden und Kreise Drucksachen 7/1247, 7/2409 —
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Waffenschmidt.

Dr. Horst Waffenschmidt (CDU):
Rede ID: ID0712801500
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Großen Anfrage zur Lage der Städte, Gemeinden und Kreise und der heutigen Aussprache über diese Anfrage und die Antwort der Bundesregierung möchte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mehreren Zielen dienen.
Erstens. Es geht um die Notwendigkeit einer offenen und klaren Bestandsaufnahme zur Lage der kommunalen Selbstverwaltung in der Bundesrepublik Deutschland. Dies ist deshalb so wichtig, weil die Gemeinden und Gemeindeverbände wesentliche Träger öffentlicher Aufgaben sind. Dies ist aber auch deshalb so bedeutsam, weil eine leistungsfähige und bürgernahe Selbstverwaltung ein entscheidendes Element unserer freiheitlichen demokratischen Ordnung ist.
Zweitens. Die Städte, Gemeinden und Kreise sind in der Bundesrepublik durch Aufgabenbelastungen, unzureichende Finanzausstattung und mannigfaltige staatliche Planungen und Maßnahmen leider vielerorts in eine sehr schwierige Lage gekommen. In manchem Rathaus breitet sich angesichts dieser Lage Resignation aus. Zudem müssen viele Bürger nach der kommunalen Gebietsreform ihr Verhältnis zu ihrer kommunalen Heimat neu suchen und gestalten. Deshalb soll und muß diese Aussprache im Deutschen Bundestag heute der kommunalen Selbstverwaltung in der Bundesrepublik wieder neue positive Impulse geben, und all denen, die sich für den Dienst in Städten, Gemeinden und Kreisen zur Verfügung stellen, um für das allgemeine Wohl zu arbeiten, sollte sie eine neue Ermutigung für ihre Aufgabe und Arbeit geben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, gerade in einer Zeit, in der die Aufgaben der öffentlichen Hand allgemein schwieriger werden, in einer Zeit, in der kritische nationale und internationale Entwicklungen zu meistern sind, gilt es, im Interesse der Bürger die Gemeinden funktionstüchtig zu erhalten. Die Erfahrung lehrt uns, daß es immer wieder unsere Städte und Gemeinden waren, die in schwierigen Zeiten des Mangels oder des Wiederaufbaus Großes vollbrachten, weil sie nämlich unmittelbar die Bürger im örtlichen Bereich für die aktuellen Aufgaben ansprechen können, weil sie auch immer wieder erfinderisch waren und sind, mit neuen modernen und oft auch einfachen, sehr pragmatischen Mitteln Aufgaben zu meistern. Deshalb ist es auch im Blick auf viele unserer schwierigen aktuellen Aufgaben so ungeheuer wichtig, die Gemeinden zu stärken, die Bürgereinsatzbereitschaft lebendig zu erhalten und — das will ich hier gleich einfügen — auch positive Bürgerinitiativen zu unterstützen.
Wir von der CDU/CSU meinen: Wer das tut und fördert, schafft eine große positive Einsatzreserve für unser Land. Wer das hindert oder die kommunale .Selbstverwaltung entmutigt oder — auch das muß hier gesagt werden — die kommunale Selbstverwaltung durch utopische Systemveränderer praktisch funktionsuntüchtig machen läßt, beraubt unser Land einer großen und wichtigen Möglichkeit, unter schwierigen Verhältnissen mit den Problemen besser fertig zu werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In diesem Zusammenhang möchte ich gleich an dieser Stelle all den Mitbürgern herzlich danken, die sich in ehrenamtlicher Aufgabenerfüllung, aber auch im Hauptberuf in unseren Städten, Gemeinden und Kreisen im unmittelbaren Dienst für die Mitbürger in ihrem örtlichen Lebensbereich um einen entscheidenden Beitrag für den Ausbau unseres freiheitlichen und sozialen Bundesstaates bemühen. Alles das, was wir für die Gemeinden wollen — dies ist der rote Faden und die Ziellinie für das, was wir hier heute für unsere Fraktion aussprechen wollen —, ist kein Selbstzweck für die Gemeinden, für Bürgermeister oder Landräte, sondern es soll helfen, dem Bürger, dem Mitbürger in unserem Land im örtlichen Bereich Möglichkeiten in seiner Lebenssituation an die Hand zu geben und ihn zu unterstützen.

(Beifall bei der CDU/CSU)




Dr. Waffenschmidt
Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage ist — das muß ich hier für meine Fraktion offen und deutlich aussprechen — in hohem Maße unzureichend und enttäuschend. Dieser Antwort fehlt leider der positive und weiterführende politische Impuls für die kommunale Selbstverwaltung. Die Antwort ist nach unserer Auffassung eine Mischung aus statistischer Fleißarbeit auf der einen Seite und Versuchen zur Beschönigung der wahren Situation der Städte, Gemeinden und Kreise auf der anderen Seite.

(Eilers [Wilhelmshaven] [CDU/CSU] : So ist es!)

Meine Damen und Herren, da muß man auch gleich feststellen: Nach dem Kommunalkongreß der SPD in Nürnberg sieht man an der Antwort auf die Anfrage, wie wenig Einfluß im Grunde alle diejenigen bei der Bundesregierung haben, die neulich auf diesem Kongreß die schwierige Lage der Gemeinden breit beschrieben haben. Von alledem findet sich in der Antwort der Bundesregierung nichts mehr wieder.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Die Antwort der Bundesregierung hat alle die enttäuscht, die sich etwa positive Anstöße und Vorschläge zu dem wichtigen Bereich der kommunalen Selbstverwaltung erhofft haben. Mit dieser Antwort wird von dieser Regierung aber eigentlich nur weitergeführt, was sie schon bisher praktiziert hat. Ich sage hier ganz deutlich: Daran kann niemand Freude haben, der es mit der kommunalen Selbstverwaltung gut meint. Es ist aber unsere Pflicht, die Lage deutlich zu analysieren.
Die Antwort der Bundesregierung — das will ich gleich vorweg sagen — und die seit Jahren praktizierte Politik dieser Koalition, verglichen mit den Forderungen und Versprechungen der SPD-Politiker für die Gemeinden, sind ein weiteres Kapitel in dem traurigen Buch der SPD „Versprochen und nicht gehalten".

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn es nach den früheren Worten und Versprechungen gegangen wäre, hätte man sicherlich viel erwarten dürfen. Da kam als erster Kanzler dieser Koalition ein langjähriger Präsident des Deutschen Städtetages. Man erinnert sich natürlich an alle kommunalpolitischen Forderungen des SPD-Vorsitzenden und Bürgermeisters Willy Brandt. Dieser sagte z. B. auf dem SPD-Städtekongreß in Köln: Eine von uns geführte Bundesregierung wird den Belangen der Städte und Gemeinden vom Grundsatz her aufgeschlossen und freundlich begegnen. Er meinte damals: Dies wird der erste und entscheidende Unterschied gegenüber dem sein, womit wir es bisher in Bonn zu tun hatten.
Aber auch Äußerungen in seinen Regierungserklärungen klangen zunächst ganz verheißungsvoll. Aber dann kam die traurige Bilanz der Mißerfolge für die Gemeinden. Die Verschuldung der Gemeinden mit rund 70 Milliarden DM liegt heute fast doppelt so hoch wie bei Beginn der jetzigen Koalition.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Sie stieg mehr als bei Bund und Ländern zusammen. Die Steuereinnahmen stiegen im gleichen Zeitabschnitt aber nur um 9 Milliarden DM, während sie gleichzeitig beim Bund um 36 und bei den Ländern um 30 Milliarden DM stiegen. Das sind eindeutige Zahlen aus dem Monatsbericht der Deutschen Bundesbank vom Oktober dieses Jahres. Das ist eine ganz traurige Bilanz. Man muß offen feststellen: In der Regierungszeit Willy Brandts sind die Gemeinden völlig in die roten Zahlen gekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Leider wahr!)

Wenn dann die jetzige Bundesregierung auf unsere Große Anfrage antwortet, die Verschuldungsbereitschaft der Gemeinden in den letzten Jahren habe sich stark an der Entwicklung der Einnahmen orientiert, die höhere Verschuldung der Gemeinden ergebe sich aus ihren erhöhten Einnahmen aus der Finanzreform, so kann man eigentlich nur fragen: Wie weit weg von der Realität leben Bundesminister, die so etwas von sich geben, meine Damen und Herren?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Verschuldung ist doch nicht dadurch gekommen, daß die Gemeinden zuviel Geld bekommen hätten, sondern weil sie die Programme im kulturellen, sozialen und in anderen Bereichen ausführen mußten, die von Bund und Ländern verabschiedet, propagiert und dann den Gemeinden zur Ausführung aufgetragen wurden, aber leider ohne das notwendige Geld mitzuschicken.
Dann kam noch ein langjähriger Kommunalpolitiker in die Bundesregierung: Dr. Vogel. Von München aus ließ er den Appell erschallen: Rettet unsere Städte jetzt! Im ersten Glück seiner neuen Bundesministertätigkeit beteuerte er auf der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages in Dortmund, dieser Ruf von München sei auch eine Herausforderung an den Bundesminister Vogel. Auch von ihm wurden aber leider all diejenigen enttäuscht, die große Hoffnungen auf ihn gesetzt hatten. So forderte Vogel z. B. noch 1965 einen besseren Steueranteil der Gemeinden. Damals betrug dieser nach seinen eigenen Angaben noch 13 % des Steueraufkommens. Er wollte ihn zu Lasten von Bund und Ländern verbessern. Heute beträgt der Steueranteil der Gemeinden nur noch rund 12 %. Hätten wir wenigstens noch die 13 % aus der Regierungszeit der CDU/CSU, so wären bei dem heutigen Gesamtsteueraufkommen rund 2 Milliarden DM mehr in den Kassen der Gemeinden. Was wäre das für ein Gewinn, wenn man sieht, wie die kommunalen Spitzenverbände um eine Mehrbeteiligung an der Einkommensteuer von 1 Milliarde DM kämpfen müssen! Hätte Bundesminister Vogel Erfolg gehabt, so hätte die Antwort der Bundesregierung viel besser ausfallen können. Aber mit der Hilfe für die Gemeinden war es bei Bundesminister Vogel ähnlich wie mit seiner Tätigkeit in manch anderen Bereichen: die Erfolge blieben eben aus.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : So ist es!)

Bürgermeister Hans Koschnick schildert die heutige schlechte Beteiligung der Gemeinden an den



Dr. Waffenschmidt
Steuereinnahmen in seiner Rede vor der kommunalpolitischen Bundeskonferenz der SPD in Nürnberg wie folgt:
Der Anteil der eigenen Steuereinnahmen an den Gesamteinnahmen der Gemeinden, der von besonderer Bedeutung für das Maß der eigenverantwortlichen Aufgabenerfüllung und für die Investitionsfinanzierung ist, hat trotz der Gemeindefinanzreform von 1969 nicht
— so Hans Koschnick —
seine Bedeutung der sechziger Jahre wiedererlangen können.
Meine Damen und Herren, da ist fast schon Nostalgie nach den Jahren der CDU-Regierungstätigkeit bei der SPD-Spitze ausgebrochen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Nun muß ich aber zur Gesamtbilanz noch einen anderen erwähnen: den heutigen Bundeskanzler Schmidt. In seiner Regierungserklärung hatte er zwar nicht einen einzigen hilfreichen Satz für die Gemeinden übrig, aber es bestand ja immerhin die Chance, seine früheren Erklärungen zur kommunalen Selbstverwaltung würden auch den Finanzminister und den Kanzler leiten, z. B. das, was er als Innensenator von Hamburg sagte. Da gibt es nämlich sehr markige Worte des Politikers Helmut Schmidt aus einer Zeit, als es den Gemeinden noch viel besser ging.
Er sagte z. B.:
Die schon vor 150 Jahren in Deutschland postulierte Eigenständigkeit der Kommunen ist durch die finanzielle Praxis des Staates ausgehöhlt worden. Wir müssen sie wiederherstellen. Es muß endlich wahr werden, was das Grundgesetz in Art. 28 vorschreibt: Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.
Und dann sagte Schmidt weiter:
Die Verteilung der öffentlichen Finanzmasse muß zu einem Spiegelbild der öffentlichen Aufgaben werden.
Und er meinte:
Den Gemeinden werden heute Lasten und Sorgen aufgebürdet, denen sie nicht mehr gewachsen sind.
Alles nachlesbar im „Vorwärts", meine Damen und Herren.
Nur, als dann der Finanzminister und Kanzler Helmut Schmidt mit der Beantwortung unserer Großen Anfrage befaßt war, war dann in der Antwort der Bundesregierung von den schönen Vorsätzen nichts mehr zu merken. Kein weiterführender Vorschlag für eine langfristige, aufgabengerechte Finanzverteilung. Kein Impuls für eine Koordination von Aufgabenplanung und Finanzplanung. Vorschläge und Anregungen von uns in dieser Richtung werden abgetan. Kein konkreter Vorschlag zur weiterführenden Funktionalreform. Keine weiterführenden Überlegungen etwa zum Ausbau der Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden und freien Trägern. Ich muß hier für meine Fraktion feststellen: Diese politisch unzulängliche Antwort der Bundesregierung auf unsere Anfrage ist in wichtigen Bereichen leider ein kommunalpolitischer Offenbarungseid dieser Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber dies geht nicht nur unserer Anfrage so. Seit Jahren bitten die Innenminister aller Bundesländer von allen Parteien — ich betone: allen Parteien — die Bundesregierung, die drängenden Probleme und Aufgaben auf diesem Gebiet aufzugreifen und Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Die Bundesregierung hat das alles ignoriert. Statt dessen die Fortentwicklung einer Staatspraxis, die die kommunale Selbstverwaltung auf das höchste gefährdet.
Einige Beispiel: Die Kosten steigen durch Bundesgesetze immer mehr, die Sozialhilfe inzwischen auf rund 6 Milliarden DM, das Doppelte von 1969. Wohlgemerkt: Ich spreche nicht gegen die Zielsetzung des Gesetzes, Hilfsbedürftigen zu helfen. Aber gerade in diesem Bereich sind die Gemeinden Hauptgeschädigte der inflationären Entwicklung geworden, weil nämlich alle Sozialsätze dauernd steigen müssen. Hier sind eben entsprechende Ausgleichsleistungen an die Gemeinden längst überfällig.
Die Bundesregierung propagierte jahrelang weitreichende Vorstellungen zum öffentlichen Personennahverkehr, ohne aber — wir haben das neulich hier diskutiert — die Folgekosten ausreichend zu berücksichtigen. Die Folge: Milliardendefizite; Hauptbetroffene: die Gemeinden als Träger der meisten Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs.
In der Raumordnung, meine Damen und Herren, werden durch überspannte Zentralitätsbemühungen die Entwicklungsimpulse in vielen Gemeinden gelähmt. Viele Gesetzesinitiativen — das kommt hinzu — der SPD in Bund und Ländern folgen überdies dem sozialistischen Drang, möglichst alles für den Bürger bei der öffentlichen Hand anzusiedeln. Sie überfordern aber damit die Gemeinden und entmutigen die freien Träger und freien Kräfte der Gesellschaft, was wir für einen ganz schlimmen Übelstand halten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dies alles ist eine traurige Bilanz für diese Koalition in diesem Bereich und ein ganz schlechter Tatbestand für die Gemeinden. Die Politik dieser Koalition war im Grunde in vielen Bereichen eine Auszehrung der kommunalen Selbstverwaltung. Und wenn die Bundesregierung nun gerne auf manche Landesregierung verweist mit dem Vorwurf „Die haben auch Fehler gemacht", so muß man eindeutig feststellen: aber die Bundesregierung setzt die Impulse und Maßstäbe für den Gesamtstaat, und aus dieser Verantwortung kann sie nicht entlassen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nur in einem Punkt verbreitet die Antwort der Bundesregierung nach unserer Meinung etwas Hoffnung: dort, wo es um die Prüfung von mehr Betei-



Dr. Waffenschmidt
ligungsrechten der kommunalen Spitzenverbände auf Bundesebene geht. Hier ist positiv festzustellen, daß durch unsere Große Anfrage einiges in Bewegung gekommen ist und innerhalb der Bundesregierung und mit den Spitzenverbänden Möglichkeiten untersucht werden. Der Bundeskanzler selbst hat hier auch einige Zusagen gemacht. Dies soll, anerkannt werden; ich denke hier an das Gespräch des Bundeskanzlers mit den kommunalen Spitzenverbänden. Aber nun wird es heute hier in dieser Debatte und auch bei den weiteren Beratungen darum gehen, konkrete Ergebnisse zu erreichen. Dabei haben wir das Ziel, daß die kommunalen Spitzenverbände ihrer Aufgabe entsprechend ihren Auftrag erfüllen können. Sie sind nicht irgendein Lobbyisten-Klub, sondern eine Vertretung für Städte, Gemeinden und Kreise, die für alle Bürger da sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wie soll es nun weitergehen? Die kommunale Selbstverwaltung in der Bundesrepublik, die Verantwortlichen in den Städten, Gemeinden und Kreisen fragen für ihre Aufgaben und für die Bürger, die davon betroffen sind: Wie soll die weitere Entwicklung verlaufen, was kann für die Gemeinden und damit für vitale Bürgerinteressen geschehen?
Zur Beantwortung dieser Frage gehört eine ganz aktuelle Momentaufnahme. Die SPD hat auf ihrer kommunalpolitischen Bundeskonferenz in Nürnberg eine ganze Reihe von Forderungen erhoben. Das Parteiorgan der SPD, „Vorwärts", hat für die Berichterstattung über diese Tagung der SPD den eigenartig ironischen Titel gewählt: „Das Festival der leeren Taschen". In der Tat hatte der Beschluß dieser SPD-Konferenz über die Erhöhung des Anteils an der Lohn- und Einkommensteuer von 14 v. H. auf mindestens 18 v. H. das größte Presseecho. Aber wie kam er zustande? Wolfgang Roth zum Beispiel begründete diesen Beschluß mit der Sorge um die weitere Finanzierung dessen, was die SPD seit Jahren alles verspricht.
Tatsächlich -- man muß es sich immer wieder klarmachen — kommt die drastische Verschlechterung der Lage der kommunalen Selbstverwaltung nicht zuletzt von der überstürzten und daher der Inflation Vorschub leistenden sogenannten Reformpolitik des ersten Kanzlers dieser Koalition.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir wissen heute: die ungedeckten Wechsel dieser Politik sind zuerst in den Gemeinden und in vielen Rathäusern geplatzt. Die Parole „Wir schaffen das moderne Deutschland" mit all den Versprechungen, die damit verbunden waren, ist noch allen wohlbekannt. Aber diese Politik ohne Augenmaß hat bis jetzt die Gemeinden mit erheblichen zusätzlichen Aufgaben und Ausgaben überhäuft, unter denen die Mehreinnahmen aus der Gemeindefinanzreform wie Schnee in der Sonne geschmolzen sind. Das Ergebnis einer solchen unsoliden Politik ist dann eben leider „das Festival der leeren Taschen" der Kommunalpolitiker der SPD.
Aber wenn man die SPD in Nürnberg hörte, dann meinte man, in Bonn führe eine ganz andere Partei die Bundesregierung.

(Vogt [CDU/CSU] : Das wird auch bald so sein!)

— Das können wir nur hoffen, auch im Interesse der Gemeinden, Herr Kollege Vogt.
Zu der Forderung der SPD nach einem höheren Steueranteil der Gemeinden möchte ich einmal den Bundesfinanzminister zitieren. Der erste Teil seiner Aussage dazu hört sich sehr staatsmännisch an; der zweite Teil muß den Kommunalpolitikern der SPD eigentlich wie Hohn in den Ohren klingen. Minister Apel sagte:
Die Forderung ist insgesamt vernünftig. Über den Zeitpunkt ihrer Verwirklichung wird man reden müssen. Wenn der Kongreß gemeint hat, 1975 oder 1976 dies verwirklichen zu können, so irrt er sich. Wenn er es als Zielvorstellung für das Ende des achten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts betrachtet, na ja, dann kann man darüber reden, das ist also Futurologie.
So Minister Apel. Nun soll die SPD nach unserer Auffassung unter sich ausmachen, ob diese ihre Forderungen von Nürnberg Futurologie sind und als Futurologie abzuqualifizieren sind.
Eines aber ist sicher: So, wie die SPD das macht, wird die Politik der geplatzten Wechsel wahrscheinlich fortgesetzt, denn womit will die SPD ihre neuen großen kommunalpolitischen Versprechungen finanzieren, nachdem die Gemeinden schon ihre bisherigen Aufgaben kaum finanzieren können? Das ist doch auch auf der SPD-Bundeskonferenz deutlich zum Ausdruck gekommen, denn Hans Koschnick sagte hierzu:
Ohne eine entsprechende Finanzausstattung muß diese Forderung
— gemeint ist das SPD-Kommunalprogramm — aber reine Scharlatanerie bleiben.
Meine Damen und Herren, nun muß die SPD bei sich selbst einmal Klarheit schaffen. Auf jeden Fall macht die Politik unfinanzierbarer kommunalpolitischer Forderungen einerseits und der mangelnden Bereitschaft zur ' Verbesserung der kommunalen Finanzausstattung andererseits die SPD-Politik in diesem Bereich für die Bürger völlig unglaubwürdig.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nur kann man es sich nicht so einfach machen, wie wir das in den letzten Wochen hörten, und sofort wieder neue Steuererhöhungen fordern. Dies lehnen wir als CDU/CSU eindeutig und entschieden ab!

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU)

Bundesaufgabe Nr. 1 für die Kommunalpolitik bleibt die aufgabengerechte Verteilung der vorhandenen Steuermittel zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Die Bundesregierung muß endlich die Folgerungen daraus ziehen, daß sich in den letzten Jahren die Ausgabeverpflichtungen der Gemeinden dreimal so schnell entwickelt haben wie die Aus-



Dr. Waffenschmidt
gabeverpflichtungen etwa des Bundes. Es muß aufhören, daß die Bundesregierung die Gemeinden wie ganz entfernte Verwandte behandelt. Der Bundeskanzler und die gesamte Bundesregierung müssen wissen: Wenn in den Gemeinden nichts mehr läuft, wenn z. B. keine Investitionen mehr vorgenommen werden, dann läuft kaum noch etwas bei der öffentlichen Hand, und das sicherlich auch zu Lasten vieler Arbeitsplätze.
Nun muß man auch dies sagen: Auch noch so attraktiv verkaufte Zuschußprogramme nützen gar nichts, wenn die Gemeinden die notwendigen Eigenmittel für die dafür erforderlichen Investitionen und Folgekosten nicht mehr aufbringen können.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Das Gebot der Stunde heißt also: Bilanz machen im Hinblick auf die bestehenden Aufgaben und Ausgabeverpflichtungen und danach die Verteilung der vorhandenen Steuermittel.
Nunmehr will ich fünf Grundsätze und einige aktuelle Vorschläge der Union für die kommunale Selbstverwaltung kurz erläutern.
Erstens. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion betrachtet die kommunale Selbstverwaltung als ein staatspolitisches Ordnungsprinzip, dem wesentliche gesellschaftliche Bedeutung zukommt. Die kommunale Selbstverwaltung ist ein Element der Machtverteilung im Staat und sichert die Freiheit der Bürger. Deshalb achtet unsere Fraktion darauf, daß bei allen kommunal bedeutsamen Entscheidungen des Bundestages die Erhaltung und der Ausbau der kommunalen Selbstverwaltung gewährleistet werden. Gerade in den Möglichkeiten der Gemeinden für dezentralisierte und bürgernahe politische Entscheidungen sehen wir ein wirksames Mittel gegen die verderblichen und für die Bürger so nachteiligen sozialistischen Neigungen zu Kollektivismus und extremem Zentralismus.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zweitens. Bei der Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ist es Grundsatz der CDU/CSU, daß die Aufgaben so weit wie möglich nach unten verlagert werden müssen. Unsere Fraktion verlangt die Bürgernähe von Entscheidungen und Aufgabenerfüllung für die Bürger. Bei zugewiesenen Aufgaben wollen wir für die Gemeinden ein Höchstmaß an eigener Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit, insbesondere auch, um die Eigenverantwortlichkeit in den Gemeinden zu stärken. Ich meine, alle Parteien in diesem Hause haben geade nach der kommunalen Gebietsreform eine verstärkte Verpflichtung, den größer gewordenen kommunalen Gebietskörperschaften auch mehr Zuständigkeiten und Rechte zu geben. Die gesamte Reform wäre nämlich ein Schlag ins Wasser, wenn nicht die Funktional-, die Zuständigkeitsreform folgen würde.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Drittens. Für die CDU/CSU gilt der Grundsatz — und darauf möchte ich in dieser Debatte besonders Wert legen, und Kollegen werden noch dazu sprechen —, daß der Staat nicht an sich ziehen soll, was die Menschen unmittelbar miteinander füreinander tun können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist notwendig, das freie Bürgerengagement zu ermuntern und zu unterstützen. Deshalb erteilt unsere Bundestagsfraktion allen Vorstellungen eine klare Absage, Wirkungsmöglichkeiten der freien Träger zu beschneiden oder unmittelbar oder mittelbar einzuengen. Das kann nicht auf unsere Unterstützung rechnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Viertens. Die Finanzausstattung von Bund, Ländern und Gemeinden muß der Aufgabenverteilung zwischen den drei Ebenen entsprechen. Auf der Basis 1962 gleich 100 betrug der Index der Bundesausgaben im Jahr 1972 etwa 220, für die Länder 229, während der Index der Gemeindeausgaben auf 269 angestiegen ist. Dies kommt eindeutig von den vielen Aufgaben insbesondere im sozialen und kulturellen Bereich.
Die Bundesregierung verweist nun immer gerne auf Einnahmesteigerungen und Steuerzuwächse bei den Gemeinden. Wir meinen aber, dies ist völlig einseitig und irreführend, wenn man nicht zugleich auch die Ausgabeverpflichtungen dem direkt gegenüberstellt. Nur so ergibt sich ein klares und realistisches Bild. Durch die periodischen Verhandlungen über die Aufteilung der Umsatzsteuer haben Bund und Länder die Möglichkeit, in relativ kurzen Fristen die Finanzausstattung an die Entwicklung der Aufgabenverteilung anzupassen. Ich sage dies hier deutlich für meine Fraktion: Es muß auf jeden Fall aufhören, daß weiterhin Politik zu Lasten Dritter, nämlich zu Lasten- der Gemeinden gemacht wird, indem ihnen Aufgaben ohne Finanzierungsmittel überwiesen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will hier auch deutlich hinzufügen: Was ich hier insbesondere gegenüber der Bundesregierung sage, das sage ich auch gegenüber allen Ländern. Wir sind mit den Ministerpräsidenten der Union in einem guten Meinungsaustausch über diese Frage, denn sie müssen ja bei den Gesprächen um die Neuverteilung der Mehrwertsteuer mithelfen.
Der gegenwärtig unangemessen hohe Anteil von Einzelbewilligungen bei den Einnahmen der Gemeinden widerspricht dem Grundsatz der kommunalen Selbstverwaltung.

(Dr. Wagner [Trier] [CDU/CSU] : Richtig!)

Allein die zweckgebundenen Investitionszuweisungen stiegen von 1956 bis 1973 im Rahmen der gemeindlichen Einnahmen auf das Dreifache, während die Beteiligung an den Steuereinnahmen zurückging. Dies muß hier deutlich ausgesprochen werden — ich meine, darin müßten sich alle Fraktionen einig sein —: Die Politik des goldenen Zügels und die Verlockung mit Einzelzuschüssen korrumpiert auf Dauer die kommunale Selbstverwaltung und muß deshalb zugunsten allgemeiner aufgabengerechter Finanzausstattung abgebaut werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nun noch einige Forderungen der CDU zur aktuellen Situation. Auf der Grundlage dieser fünf Grund-



Dr. Waffenschmidt
Sätze erhebt die CDU/CSU in der aktuellen Situation sieben Forderungen, die meine Kollegen an Hand der vorgelegten Entschließungsanträge im einzelnen erläutern werden:
1. Ein verstärktes Anhörungsrecht der kommunalen Spitzenverbände bei der Vorbereitung und Beratung von Bundesgesetzen und Bundesmaßnahmen.
2. Klare Finanzierungsvorschläge bei künftigen neuen Aufgaben für die Gemeinden.
3. Alle zwei Jahre einen Bericht der Bundesregierung über die Auswirkung von Bundesgesetzen und Bundesmaßnahmen auf die Gemeinden.
4. Die Mehreinnahmen aus der Grundsteuerneuregelung vom 1. Januar 1974 dürfen nicht nachträglich in die Steuerneuverteilung ab 1. Januar 1975 als belastungsmindernd für die Gemeinden eingeschoben werden.
5. Ausgleich der Mindereinnahme der Gemeinden durch Anhebung des Gewerbesteuerfreibetrages. Das tritt ab 1. Januar 1975 in Kraft, und wir hatten in diesem Hohen Hause schon im Dezember 1973 hier im Bundestag einmütig um einen entsprechenden Ausgleich gebeten.
6. Klare Vorstellungen über die Fortführung der Gemeindefinanzreform. Gerade hier muß überlegt werden, wie das zur Zeit der Großen Koalition nach vorn gebrachte Werk der Gemeindefinanzreform fortgeführt werden kann.
7. Bei künftigen Konjunkturprogrammen eine stärkere Berücksichtigung gemeindlicher Projekte zur Verbesserung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Grundausstattung der Gemeinden.
Meine Damen und Herren, wenn unseren Entschließungsanträgen zugestimmt wird, so wird damit eine Reihe von wichtigen Forderungen der kommunalen Selbstverwaltung von diesem Parlament positiv beschieden. Es würden einige notwendige positive Impulse im Rahmen des Möglichen gegeben. Es würden z. B. Einnahmen der Gemeinden in Höhe von rund 1,5 Milliarden DM für die Gemeinden gesichert, nicht zusätzlich gefordert — Einnahmen, die heute auf Grund vielfältiger Umstände im Streite befangen sind.
Lassen Sie mich dazu abschließend noch folgendes feststellen. Den Gemeinden geht es immer am besten, wenn die Arbeitsplätze gesichert sind und Wirtschaft, Handel und Handwerk gedeihen können, denn die Gemeinden leben vom lebendigen Bürgereinsatz und schließlich auch von den Steuern auf Lohn, Einkommen, Gewerbekapital und Gewerbeertrag. Deshalb ist unser Hauptziel für die Kommunalpolitik der Union zuerst auch immer die Stabilitätspolitik, gekoppelt mit den bewährten Grundsätzen einer klaren sozialen Marktwirtschaft, einer Marktwirtschaft ohne Wenn und Aber.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, auch die Gemeinden haben in der Vergangenheit ihre Bereitschaft unter Beweis gestellt, Stabilitätspolitik zu unterstützen. Sie müssen und werden das auch in Zukunft tun, weil sie von inflationären Entwicklungen besonders hart betroffen werden, insbesondere bei Personalkosten und den Bauinvestitionen.
Wir fügen im Zusammenhang mit diesen Rahmenbedingungen aber auch ein kristallklares Nein dazu an, die Städte und Gemeinden zum Tummelplatz von Utopisten und Systemveränderern zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wohin die bisherige Toleranz der SPD gegenüber solchen Utopisten in ihren Reihen geführt hat, haben ja die Bürger in Frankfurt und München in besonderem Maße erlebt. Sie haben in den letzten Wahlen ja auch eine deutliche Aussage gemacht, was sie von diesen Angeboten solcher SPD-Politik halten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Weil dies so ist und eben nicht alles Nachteilige für die Mitbürger nur aus gestiegenen Öl- und Rohstoffpreisen resultiert, müssen wir für die Kommunalpolitik der Union immer zuerst sagen: Wir müssen wieder zu einer Grundausrichtung der deutschen Politik zurückkehren, die zu Leistung und Investition ermutigt und uns mit dem Fleiß der Mitbürger in schwierigen Jahren des Wiederaufbaus das brachte, was in aller Welt einmal als das deutsche Wunder gelobt wurde.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich nun noch zum Ablauf der Debatte eine Bemerkung machen. Die Kommunaldebatte vor drei Jahren hatte vor allen Dingen die SPD damit zu bestreiten versucht, daß die einzelnen Redner in immer neuen Variationen darzustellen versucht haben, wo und in welchen Programmen des Bundes die Mittel erhöht worden sind, die auch den Gemeinden zugute kommen. Das war damals der Beitrag der SPD zur Verbesserung der kommunalen Finanzausstattung. Aber damit hat die SPD der kommunalen Selbstverwaltung letztlich einen schlechten Dienst erwiesen, denn solche Programme, so gut sie sich im einzelnen auch verkaufen lassen, schränken die Eigenverantwortung der Gemeinden ein. Natürlich kann die SPD auch heute genauso verfahren und dies alles aufzählen. Dann muß sie sich aber mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, es mit der Entscheidungsfreiheit der kommunalen Selbstverwaltung nicht sehr ernst zu nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir wünschen von der Regierung und den Koalitionsparteien jedenfalls klare Vorstellungen, die den Gemeinden bei der Erfüllung ihrer Anliegen und dort, wo sie der Schuh drückt, wirklich ein Stück positiv weiterhelfen.
Die großen Wahlerfolge der Unionsparteien in den letzten Monaten — insbesondere auch bei den Kommunalwahlen — zeigen, daß unsere Mitbürger großes Vertrauen in die Arbeit der Union auch für die Städte, Gemeinden und Kreise setzen. Wir werden alles tun, um dieses Vertrauen weiter auszubauen und zu rechtfertigen. Unser Leitmotiv für diese Aufgabe heißt: Die kommunale Selbstverwaltung muß gestärkt werden, denn Selbstverwaltung sichert Freiheit.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)





Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0712801600
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schmitt-Vockenhausen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712801700
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Waffenschmidt, wenn eine Hoffnung getrogen hat, dann war es die, daß Sie hier heute eine solide Bilanz für die Lage der Städte, Gemeinden und Kreise darstellen würden. Das haben Sie leider nicht getan. Denn wenn wir eine solide Bilanz machen wollten, dann müßten heute morgen auch die von der Union gestellten Regierungschefs genannt werden, die noch nicht einmal auf den Wunsch der kommunalen Spitzenverbände, mit den Länderchefs über die Finanzausstattung der Gemeinden zu reden, positiv reagiert haben, sondern die dieses Gespräch bis heute abgelehnt haben, das der Bundeskanzler bereits am 1. Oktober mit uns geführt hat. Das muß hier, auch um der Wahrheit willen, Herr Kollege Waffenschmidt, gesagt werden.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zuruf des Abg. Stücklen [CDU/CSU])

— Aber Herr Kollege, die Regierung war doch
schon vorher da, sie hatte doch Gelegenheit genug.

(Stücklen [CDU/CSU] : Heute wird die Regierung entscheiden!)

— Aber Herr Kollege Stücklen, Sie wissen doch ganz genau, daß gerade der Freistaat Bayern derjenige ist, der es ablehnt, daß der Bund sich mit der Finanzlage der Gemeinden beschäftigt, weil er aus seiner
) Staatlichkeit heraus kein unmittelbares Verhältnis zwischen den Gemeinden und dem Bund zulassen will. Insoweit sind Sie der schlechteste Advokat für das, was Herr Waffenschmidt hier vorgetragen hat.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Herr Kollege, ich nehme es gern zur Kenntnis, wenn Sie das in Zukunft ändern ich werde Sie oft beim Wort nehmen — und dafür sorgen, daß diese unmittelbare Verbindung hergestellt wird. Wir wollen dann im Bundesrat sehen, wie wir mit Ihnen zurechtkommen. Herzlichen Dank für dieses Angebot der Unterstützung; die Gemeinden werden das gern tun.
Herr Kollege Waffenschmidt, die CDU/CSU hat natürlich einen großen kommunalpolitischen Nachholbedarf.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Ich frage mich, ob Sie mit Ihrer Rede und mit dem, was Sie hier aufgeführt haben — — Ja, Herr Kollege Eilers, schon der Altbundeskanzler hat 1963 überzeugend festgestellt — das ist gar nichts Neues, und das wissen Sie auch —, daß Sie diesen Nachholbedarf befriedigen werden. Aber das ist Ihre Aufgabe, und diese Rede sollte dazu dienen.
Ich meine, nur wer die Lage sorgfältig prüft und Konsequenzen darstellt, kann der Selbstverwaltung bei der Erfüllung ihrer Aufgaben helfen. Es ist nun einmal so — und da helfen, Herr Minister Schiess, auch alle Beschlüsse der Innenministerkonferenz nichts —: Solange die Kabinette diese Erklärung der Innenministerkonferenz nicht mit Geld honorieren, so lange sind Sie mit den Ländern im Wort. Im Augenblick haben Sie als Opposition die Front einfach umgedreht, indem Sie sich heute nur an den Bund gewandt haben, statt an die, die hier zu sitzen haben, die ihre Obhutspflicht hier immer wieder ausdrücklich geltend machen, wenn es um die Finanzen und um die Aufgaben der Gemeinden geht.
Ich will hier auch einmal daran erinnern — das muß in einer solchen Debatte zu Beginn auch gesagt werden —, daß es in den 60er Jahren — und es gibt noch einige Kollegen, die diese Debatten mitgemacht haben — gerade Vertreter der Union waren, die von dieser Stelle aus den deutschen Städten und Gemeinden den Schwarzen Peter mißlungener Konjunktur- und Ausgabenpolitik allzuoft zuschanzen und sie zum Sündenbock machen wollten.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Der Wettbewerb auch in der Komunalpolitik hilft dem Bürger, und ich sage hier: er bewahrt vor zu großer Selbstzufriedenheit, die übrigens gelegentlich auch darin bestehen kann, daß man gegen Selbstzufriedenheit öffentlich zu Felde zieht.
Die kommunalpolitische Bundeskonferenz der SPD in Nürnberg hat deutlich gemacht, daß die SPD sich den Aufgaben der Kommunen vor heute stellt. Denn, meine Damen und Herren, ich sage: Auch Lorbeer welkt, und Vertrauen muß immer wieder durch neue Leistungen und nicht durch noch so gekonnte Zusammenstellungen von Reden erworben werden. Das ist der Sinn der Demokratie.

(Sehr wahr! und Beifall bei der CDU/CSU — Eilers [Wilhelmshaven] [CDU/CSU] : Wir warten darauf, was die Bundesregierung dazu sagt!)

— Herr Kollege Eilers, ich werde Ihnen gleich noch das Notwendige dazu sagen.
In ihrer Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 hat die Regierung Brandt /Scheel die Gemeinden neben Bund und Ländern als Partner bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben ausdrücklich angesprochen. Das ist die erste Regierungserklärung in diesem Hause überhaupt, in der die deutschen Städte und Gemeinden in ihren Aufgaben und ihrer Bedeutung angesprochen worden sind. Das haben doch viele Regierungen, in denen Sie die Verantwortung getragen haben, gar nicht fertiggebracht. Das muß doch gesagt werden.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Das stimmt mit Sicherheit nicht! Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Damit ist ein positiver Akzent gesetzt worden, dem sich auch Bundeskanzler Helmut Schmidt verpflichtet fühlt. Sein erstes Gespräch mit den kommunalen Spitzenverbänden am 1. Oktober 1974 — hier sitzen ja Teilnehmer — wurde in diesem Geist geführt. In diesem Sinne ist auch die heutige Debatte als Bestandsaufnahme zur Lage der kommunalen Selbstverwaltung in der Bundesrepublik grundsätzlich zu begrüßen.



Dr. Schmitt-Vockenhausen
Die SPD hat die Selbstverwaltung nie isoliert gesehen. Sie hält es für die gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen, im Rahmen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung den Ausbau des sozialen Rechtsstaats weiter voranzutreiben und für mehr Lebensqualität unserer Bürger zu sorgen. Dabei gehen wir von der Gleichrangigkeit der Ebenen von Bund, Ländern und Gemeinden aus, und wir erwarten — wie wir das in dem Entschließungsantrag gesagt haben —, daß die Bundesregierung diesem Grundsatz in ihrer zukünftigen Politik weiterhin den erforderlichen Rang einräumt.
Die Große Anfrage der CDU/CSU hat mit zahlreichen — und wie ich meine: zu zahlreichen — Einzelfragen versucht, weite Bereiche und Komplexe in die Erörterung einzubeziehen. Ich darf in diesem Zusammenhang gleich anmerken, daß es an der Form der von den Fragestellern gewählten Fragestellung liegt, daß auch die Bundesregierung in ihrer Antwort eine Reihe von Details in den Mittelpunkt rücken mußte. Wie schon so oft sind Sie auch hier, meine Damen und Herren von der Opposition, der Gefahr erlegen, daß man bei einer solchen Aufsplitterung und Einzelbehandlung des Themas den Wald vor lauter Bäumen dann nicht mehr sieht. Damit meine ich folgendes:
Erstens. Gerade die Gemeinden und damit die kommunale Selbstverwaltung haben nach dem zweiten Weltkrieg eine Renaissance erlebt, die nur mit dem Beginn der kommunalen Selbstverwaltung unter Stein-Hardenberg verglichen werden kann. Nach den Jahren der Gleichschaltung sind überall jene Frauen und Männer für die Selbstverwaltung in die Bresche gesprungen, die man heute Männer und Frauen der ersten Stunde nennt. Viele, die zwölf Jahre lang auf politische Arbeit verzichten mußten, die sogar in der Emigration oder in der Haft waren, waren glücklich, endlich wieder eine Aufgabe vor sich zu haben. Es war die Zeit, in der einige Faktoren der Kommunalpolitik auch schnell zu sichtbaren Erfolgen und markanter Anerkennung verhalfen. Wenn auch die Kommunalpolitiker unter der Fülle und der Last der Probleme fast zusammenbrachen, so spürten sie doch, welche Chance ihnen diese Zeit gegeben hatte. Und Hand aufs Herz: Sicher war es auch kein Zufall, daß viele bedeutende Kommunalpolitiker nicht nur in Weimar, sondern auch in unserer Republik den Weg in die höchsten Organe des Bundes und der Länder gefunden haben.

(Eilers [Wilhelmshaven] [CDU/CSU] : Sehr wahr!)

Es gibt wenige Städte und Gemeinden, in denen nicht die Bürgermeister, vor allem in der Nachkriegszeit, zum Symbol der Aufbauarbeit und der Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung geworden sind. Darüber hinaus haben sie vor allem auch in den Großstädten die deutsche politische Landschaft bereichert. Die Reihe der eindrucksvollen Persönlichkeiten reicht von Brauer und Kaisen über Wimmer, Kolb, Ernst Reuter, Luise Schröder, Henßler, Andreas Gayk und Burauen bis hin zu Dr. Hans-Jochen Vogel.

(Beifall bei der SPD — Lachen bei der CDU/CSU)

Nebenbei und mit ein wenig Humor bemerkt: Es würde diesem Lande nicht schaden, wenn die Parteien überlegen würden, für die Länderparlamente und den Deutschen Bundestag möglichst Kandidaten aufzustellen, die vorher eine Legislaturperiode in einer kommunalen Körperschaft mitgearbeitet haben.

(Beifall)

Mancher Senkrechtstarter würde die Startrampe nach Bonn dann gar nicht erst erreichen.

(Heiterkeit — Dr. Carstens [Fehmarn] : [CDU/CSU] : Er sieht seine eigene Fraktion an!)

— Ach, Herr Carstens, zu denjenigen, die die kommunale Erfahrung brauchen, zählen auch Sie.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Mir fiel auf, daß Sie eben Ihre eigene Fraktion ansahen!)

— Herr Kollege Carstens, ich sehe Sie im Geiste immer vor mir. Dafür sitzen Sie zuviel hier, als daß ich das nicht sofort mit einbeziehe.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Das weiß ich zu schätzen, Herr Kollege!)

Zweitens. Die Leistungen, die die Selbstverwaltung bisher für unsere Republik und unsere Demokratie vollbracht hat, verdienen Respekt und Anerkennung. Dennoch muß eine kritische Bilanz nach 25 Jahren Grundgesetz auch zu der Feststellung kommen, daß sich für die kommunale Selbstverwaltung nicht alle Hoffnungen erfüllt haben, die mit ihrer Renaissance verknüpft wurden. Dazu gehört — und das ist hier völlig untergegangen —, daß der föderalistische Aufbau des Grundgesetzes ein direktes Verhältnis zwischen Bund und Gemeinden nicht vorgesehen hatte. Dafür, meine Damen und Herren, haben Ihre Fraktion und Ihre Freunde ein entscheidendes Stück Verantwortung. Das kann auch in dieser Stunde hier nicht geleugnet werden.

(Hösl [CDU/CSU] : Wird doch gesagt!)

— Gut, dann war nur der Adressat in vielen Punkten falsch.
Die politische Willensbildung vollzieht sich in der Bundesrepublik im wesentlichen auf drei Ebenen: auf der Bundesebene im Bundestag, auf der Ebene der Länder in den Landtagen und auf der kommunalen Ebene in den Vertretungen der Städte, Gemeinden und Kreise. Diese Vielfalt der politischen Meinungsbildung liegt im Wesen unseres föderativen Bundesstaates begründet. Sie ist ein Positivum und eine Bereicherung unserer parlamentarischen Demokratie und nicht etwa, wie manche noch immer zu glauben scheinen, eine unnütze Komplizierung des Staatsapparats. Dabei ist in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, daß sowohl die Länder im Verhältnis zum Bund als auch die Gemeinden und Kreise im Verhältnis zum Land eigenständige Gebietskörperschaften mit autonomen Regelbefugnissen und nicht etwa nur bezirkliche und lokale Untergliederungen des Gesamtstaates sind.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Sehr richtig!)




Dr. Schmitt-Vockenhausen
Obwohl die Länder sicher froh waren, die Gemeinden und damit die Selbstverwaltung in ihre Obhut nehmen zu können — ihre Selbstverwaltungsfreundlichkeit, Herr Minister Schiess, möchte ich hier ausdrücklich anerkennen —, haben sie jedoch auch darunter .gelitten, daß sie zugunsten des Bundes eigene Zuständigkeiten verloren und in dem Wunsch, eine stärkere Aktivität zu entfalten, Einwirkungsmöglichkeiten vor allem in der Gesetzgebung und Planung nach unten in die Selbstverwaltung gesucht haben. Daran führt kein Weg vorbei, und das wissen Sie doch alle selbst auch.
Natürlich sind auch hier im Zuge einer Vereinheitlichung und Verbesserung der Lebensverhältnisse und im Zuge der Verwirklichung des Verfassungsgebotes mancher Eingriff und manche parlamentarische Vorstellung nicht ohne Einfluß auf die Entwicklung geblieben. Die Gemeinden selbst haben sehr lange, wie ich heute rückschauend meine, zu lange, die Frage der Stellung der Selbstverwaltung nur als eine Frage der Ausstattung mit Finanzmitteln gesehen. In mehreren Anläufen, die insbesondere durch die Bemühungen meines vor Jahren verstorbenen hochgeschätzten Kollegen Professor Dr. Gülich, des früheren Finanzministers von Schleswig-Holstein, in Gang kamen, ist es dann zu der ersten Phase der Finanzreform gekommen. Damals
— Sie werden sich erinnern — gaben die Gemeinden einen Teil der konjunkturempfindlichen Gewerbesteuer ab und wurden dafür mit 14 % an der Lohn- und Einkommensteuer beteiligt.
Der Beginn der Finanzreform, der der erste große Schritt überhaupt für die Finanzausstattung der Kommunen war, geht auf die SPD und nicht zuletzt auf meinen Kollegen und späteren Finanzminister Alex Möller zurück, der in den Koalitionsverhandlungen zur Bildung der Großen Koalition jene 5 Pf Mineralölsteuer durchsetzte, die nachher, Herr Kollege Müller-Hermann, für die Durchführung vieler kommunaler Verkehrsaufgaben entscheidend waren.

(Beifall bei der SPD)

und die einen Neubeginn auch in den Beziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden herbeigeführt haben.

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : An dem ich aber auch noch einige Verdienste in Anspruch nehme!)

— Herr Kollege, bei Erfolgen gibt es immer genügend Väter. Bei Mißerfolgen ist, wie Sie wissen, die Vaterschaft immer umstritten. Das wird in der Politik auch so bleiben.

(Dr. Müller-Hermann [CDU/CSU] : Das ist jetzt aber Ihr Bier!)

Für die SPD-Fraktion erwarte ich, daß die Frage der Verteilung der Kosten aus der Einkommensteuerreform im Geiste der Erklärung des Bundeskanzlers zwischen Bund und Ländern ausgehandelt wird. Die Bundesregierung hat die gesamtstaatliche Verantwortung der Städte, Gemeinden und Kreise für die Haushalte von Bund und Ländern bekräftigt und damit deutlich gemacht, daß auch die Finanzen der Gemeinden geordnet bleiben müssen. Wie ernst der Bundeskanzler diese Aufgaben nimmt, können Sie jeden Tag der Tagespresse entnehmen und dort feststellen.
So schwer es den Gemeinden im Hinblick auf die zunehmende Belastung durch Folgekosten von Investitionen und neue Gesetze des Bundes und der Länder, die wegen des wesentlich höheren Ausgabenzuwachses durch die Mehreinnahmen der Kommunen nicht aufgewogen werden, auch fällt, so sind sie doch aus ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung heraus bereit, den Anteil an den Einnahmeausfällen auf Grund der Steuerreform zu tragen. Sinn und Ziel der Erklärungen der Bundesregierung müssen aber sicherstellen, daß sie nicht noch über diesen Anteil hinaus belastet werden.
Meine Damen und Herren, heute kann ich hier für meine Fraktion mit Genugtuung feststellen: Geschenke an den Steuerzahler zu Lasten der Kommunen, wie Sie sie mit Ihren Mehrheiten mit der zehnjährigen Grundsteuerbefreiung bei Neubauten, mit bestimmten Änderungen der Gewerbesteuer ohne jeden Ausgleich für die Gemeinden durchgeführt und vor allem als Wohltaten vor Bundestagswahlen allein auf Kosten der Gemeinden beschlossen haben, gibt es seit 1966, seitdem die Sozialdemokraten in diesem Hause Mitverantwortung tragen, nicht mehr. Das sollte in dieser Stunde ganz klar und eindeutig gesagt werden.

(Beifall bei der SPD Zuruf von der CDU/ CSU: Das hat zwei Seiten! — Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Aber so ist es!)

— Aber, Herr Kollege, die zweite Seite habe ich ja gerade deutlich gemacht: Seit wir hier sind, gibt es das nicht mehr, daß von dieser Stelle aus Wahlgeschenke gemacht werden, die die Gemeinden bezahlen müssen. Das ist der entscheidende Punkt.

(Widerspruch bei der CDU/CSU) Das ist der Ärger, den Sie jetzt hier haben.


(Zuruf des Abg. Vogel [Ennepetal] [CDU/ CSU])

— Herr Kollege Vogel, warum wir in die Regierung eingetreten sind, das können Sie in der Regierungserklärung von Herrn Kiesinger nachlesen: weil Ihre Regierung damals gescheitert war und die Staatsfinanzen wieder in Ordnung gebracht werden mußten. Das war der Grund, warum wir in die Regierung eingetreten sind.

(Beifall bei der SPD — Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Aber in neun Jahren haben Sie die Staatsfinanzen total ruiniert! — Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Aber, Herr Carstens!)

— Herr Kollege, wenn wir sie in neun Jahren ruiniert hätten, dann haben Sie offensichtlich drei Jahre erheblich daran mit ruiniert, wenn ich das



Dr. Schmitt-Vockenhausen
zeitlich richtig in Erinnerung habe. Sie sollten da vorsichtig sein.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Aber es ist inzwischen klar, daß bei der eingetretenen Verschuldung und der Zementierung der großen Ausgabenblöcke in Bund und Ländern eine so nachhaltige Verbesserung, wie sie erforderlich wäre, kurzfristig — und das zeigt ja auch der Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU in dem entscheidenden Punkt, nämlich in der Frage des Einkommensteueranteils — nicht durchzuführen ist, zumal —

(Zurufe von der CDU/CSU)

und ich hätte erwartet, daß das hier gesagt würde — auch die Besoldungs- und Tarifpolitik die offene Flanke in der Finanzwirtschaft der Kommunen ist, meine Damen und Herren. Es bedarf keiner Frage, daß hier neue Strukturen gefunden werden müssen. Was für die Unternehmen und ihre Wirtschaftlichkeit in weiten Bereichen selbstverständlich ist, nämlich daß es nicht ohne Schlichtung und sorgfältige Austarifierung geht, muß auch für den kommunalen und staatlichen Bereich entwickelt werden, auch wenn zeitweilig gerade dort mit dem Druck der sogenannten Abwerbung und dem Konkurrenzdruck aus der Wirtschaft die größten Schwierigkeiten entstanden sind. Herr Eilers, mit der Regelbeförderung hat es begonnen, und bei knappen Finanzmitteln kann das zum Besoldungschaos führen, zumal ja auch der Leistungsgedanke bei vielen Verbesserungen sicher nicht den höchsten Stellenwert hatte. Meine Damen und Herren, ich hätte erwartet, daß an dieser Stelle auch diese Fragen angeschnitten worden wären.

(Beifall bei der SPD)

Jedermann weiß doch, daß allein im Jahre 1973 die Besoldungsbelastung der Kommunen um 15,1 % gestiegen ist. Das sind doch die Probleme, vor denen wir stehen. Hier ist eine Schwarzweißmalerei betrieben worden, ohne die wirklichen Grundlagen in die Bilanz aufzunehmen.
Zur gegenwärtigen Lage der Kommunalpolitik ist festzustellen:
a) Die mit dem Gutachten zur großen Finanzreform verlangte Gebiets- und Verwaltungsreform ist in ihre letzte Phase getreten. Noch läßt sich nicht übersehen, ob sie die angestrebten Ziele überall erreicht. Unbestritten dürfte sein, daß sie der Bürgernähe und der ehrenamtlichen Mitwirkung zunächst Grenzen gesetzt hat. Die Frage ist berechtigt, welches wichtige Kapitel unserer jungen Demokratie, auf deren Entwicklung wir alle stolz sind, verlorengehen würde, wenn Zehntausenden von Menschen, die ehrenamtlich ihr Bestes gegeben und zum Ausbau und zur Stabilisierung dieser Demokratie beigetragen haben, die Mitwirkungs- und Mitverantwortungsmöglichkeiten in den kommenden Jahren stärker genommen würden. Allen Bemühungen des Herrn Ministers Schiess, in den Ländern die ehrenamtliche Mitarbeit zu sichern, gilt unsere Unterstützung und unsere Hoffnung. Wenn die Städte und Gemeinden immer größer werden, besteht die Gefahr, daß immer weniger Menschen die Zeit und die Möglichkeit haben, ehrenamtlich zu wirken. Hier setzt die Gefahr eines imperativen Mandats und mißverstandener Bürgerinitiativen ein.
Um es deutlicher zu machen: Die Demokratie darf sich nicht abdrängen lassen — weder von den repräsentativen Organen noch von den Bürgern. Wenn der Abstand zwischen Wählern und Gewählten so groß geworden ist und auch von den Gewählten nicht verringert werden kann, weil die Einheiten größer geworden sind, dann muß der Bürger mehr sprechen und mehr wählen und mehr entscheiden können. Das ist auch eine der Forderungen unseres Nürnberger Kongresses.
Ich komme dann zur Funktionalreform. Die Gemeinden haben für die Verwaltungs- und Gebietsreform große Opfer gebracht, deren positive und negative Seiten aufzuzeigen hier nicht der Ort ist. Diese Opfer haben aber nur dann einen Sinn, wenn die größer gewordenen Gemeinden auch entsprechende Funktionen erhalten, wenn also politisch bedeutsame Aufgaben auch weiterhin in der Gemeinde entschieden werden können und wenn den Gemeinden zusätzliche Zuständigkeiten zugeteilt werden. Denn wenn man den Gemeinden alle wichtigen Aufgaben nimmt oder vorenthält, darf man sich nicht wundern, wenn unsere Demokratie ihre Basis verliert, weil sich der Bürger dem Staat entfremdet fühlt.
Funktionalreform ist nicht nur die gelegentliche Verlagerung von Zuständigkeiten, sondern die umfassende Neuverteilung aller Sachaufgaben der Verwaltung auf die verschiedenen Verwaltungsträger und verschiedenen Verwaltungsstufen. Dieser Aspekt der funktionalen Verwaltungsreform ist über den Bereich der einzelnen Länder hinaus von gesamtstaatlicher Bedeutung und sollte auch den Bund veranlassen, meine Herren von der Bundesregierung, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um einer Aushöhlung der gemeindlichen Selbstverwaltung zu begegnen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Nach Art. 84 und 85 des Grundgesetzes hat der Bund die Möglichkeit, in bestimmten Fällen auch im Bereich der Länder die Behörden zu bestimmen, die Bundesgesetze auszuführen haben. Er sollte diese Kompetenz nutzen, um das Bemühen der Länder um eine sachgerechte Funktionalreform auch im Sinne der Gemeinden zu unterstützen. Mein Kollege Scheffler, der gerade in diesen Fragen große Erfahrungen hat, wird im Laufe der Debatte zu diesen Fragen noch im einzelnen Stellung nehmen.
Im Bereich der großen Städte haben insbesondere die Fragen der Bau- und Bodenpolitik eine große Rolle gespielt. Es ist kein Wunder, daß der Herr Kollege Waffenschmidt auf diese Frage kaum eingegangen ist. Allzu lange mußten die Städte und Gemeinden — ungeachtet auch manch' eigener Fehler und Versäumnisse — auf das entscheidende gesetzliche Instrumentarium durch den Bund warten. Die Tatsache, daß es nach der Verabschiedung des Bundesbaugesetzes Anläufe in drei Legislaturperioden bedurfte, um das Städtebauförderungsgesetz zu verabschieden, und daß wir heute noch vor der Novel-



Dr. Schmitt-Vockenhausen
lierung des Bundesbaugesetzes, die eine Anpassung des allgemeinen Städtebaurechts an die Erfordernisse des Städtebauförderungsgesetzes, insbesondere was die Verbesserung des Planungsinstrumentariums und des Durchführungsinstrumentariums betrifft, bringen soll, und vor einer Regelung der Wertabschöpfung stehen, geht weitgehend, Herr Kollege, zu Lasten Ihrer Partei, die sich in diesen Fragen immer wieder gesperrt hat, zu schnellen und klaren Beschlüssen zu kommen.

(Beifall bei der SPD)

Diese Linie, meine Damen und Herren, wird jetzt durch den Bundesrat fortgesetzt. Die erste Stellungnahme des Bundesrates zu dieser Novelle ist außerordentlich kommunalunfreundlich ausgefallen; da haben Sie ja die Mehrheit. Nachdem die Bundesregierung in dieser Novelle ein eindeutiges Bekenntnis zur gemeindlichen Planungshoheit abgelegt hat, verlangt der Bundesrat jetzt eine gesetzliche Ermächtigung, nach welcher die gemeindlichen Planungsaufgaben nach dem Bundesbau- und Städtebauförderungsgesetz auf Verbände und sonstige kommunalen Körperschaften übertragen werden können. Diese Vorschläge, meine Damen und Herren, stellen die Planungshoheit generell in Frage, vor allem dann, wenn mit schwacher Begründung, Herr Minister Schiess, darauf hingewiesen wird — unzutreffenderweise —, daß die Bauleitplanung in Verdichtungsräumen nicht zum Kernbestand der Kommunalplanung gehöre.

(Zuruf des Abg. Dr. Schneider [CDU/CSU])

Darüber hinaus muß ich daran erinnern, daß ja auch gerade diese Probleme, die sich aus dem Wiederaufbau der Städte und aus der verzögerten Neuordnung des Bau- und Bodenrechts ergeben haben, von Chaoten und anderen als Exerzierfeld benutzt wurden, indem sie diese Fragen zum Hebel einer revolutionären Strategie gemacht haben und immer noch machen.

(Nordlohne [CDU/CSU] : Aha!)

— Ja, meine Damen und Herren, es gibt auch manche, die gemeint haben, man könne daraus im Wege einer Doppelstrategie eine vernünftige Politik machen. Die haben sich geirrt, und soweit sie es noch nicht wissen, werden sie es noch merken.

(Eilers [Wilhelmshaven] [CDU/CSU] : Aber der Irrtum war bei Ihnen!)

— Herr Kollege Eilers, wo der Irrtum liegt, das müssen Sie im einzelnen nachprüfen; auch bei Ihnen gibt es viel Irrtum. Und ich denke, Sie wollen doch auch immer zur Wahrheit reisen.

(Erneuter Zuruf des Abg. Eilers [Wilhelmshaven] [CDU/CSU])

Ein weiteres Problem für die Kommunalpolitik der Gegenwart bedeutet, meine Damen und Herren, die zunehmende Flut der Gesetze.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

Herr Kollege Waffenschmidt, es hätte Ihnen gut angestanden, wenn Sie in dieser Beziehung auch einmal ein ehrliches Wort zu der Gesetzgebung der von Ihnen regierten Länder, vom Kindergartengesetz bis zu anderen, gebracht hätten, wenn Sie gesagt hätten, wie sehr die Selbstverwaltung hier eingeschnürt ist.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Habe ich gesagt!)

— Herr Kollege, ich habe immer nur gesehen, daß Sie da herübergeguckt haben und kaum den Blick nach drüben gerichtet haben.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Die kenne ich schon so gut! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Jaeger)

Was steht denn hier im Raum? Hier steht das allgemeine Problem eines Vollzugsdefizits im gemeindlichen Raum, das mehr und mehr in das Bewußtsein der betroffenen Behörden und Verwaltungsorgane, damit aber auch zugleich in das Bewußtsein der gesetzgebenden Institutionen rücken muß. Die Zahl der von den gesetzgebenden Institutionen verabschiedeten Gesetze und Gesetzesnovellen hat ein Ausmaß erreicht, daß die Verwaltungen allmählich vor schwer lösbaren Ausführungsproblemen stehen. Nicht zu Unrecht spricht man in diesem Zusammenhang von einer Gesetzesinflation, der ja wiederum die gute Absicht zugrunde liegt, möglichst jeden Fall an eine gerechte Lösung heranzubringen.
Für die Gesetzgebung ergibt sich neben der Fülle neuer Gesetze zusätzlich, daß diese neuen Gesetze auch umfangreicher, weil kasuistischer und näher am Präzedenzfall gearbeitet, ausfallen. Ich sage hier auch klar: Je geringer die Zeit der Praxis der führenden Ministerialbeamten ist und je länger diese Zeit im Verhältnis zu ihrer Ministerialtätigkeit zurückliegt, desto weniger wird auf die Durchführbarkeit der Gesetze geachtet. Das ist ein Problem von Bund und Ländern. Gerade das Instrument des Planspiels kann hier in Zukunft entscheidend helfen. Auch diese Fragen müssen in einer solchen Debatte viel stärker in das Bewußtsein gerückt werden.
Die Frage ist, wo wir in der Bundesrepublik im Augenblick stehen. Können wir nur von einem Vollzugsdefizit in einzelnen Bereichen sprechen, oder gibt es bereits Anzeichen dafür, daß wir partiell oder aufs Ganze gesehen an einer Schwelle angelangt sind, von der ab man von einer Vollzugskrise sprechen muß? Bundestag und Bundesrat sind hier gefordert. Die Bundesregierung, Herr Minister Maihofer, sollte die Frage des Vollzugsdefizits zum Gegenstand einer grundsätzlichen Prüfung mit den Ländern und mit dem Bundesrechnungshof machen, um Klarheit über diese drängenden Fragen zu erhalten.
Meine Damen und Herren, ich komme dann zur Mitwirkung an der Planung. Nach 1945 war es eine Selbstverständlichkeit, daß die Freiheit der Kommunen und der Bürger wieder in den Mittelpunkt gestellt wurde. Heute sind die Stunden der schöpferischen Kommunalpolitik weitgehend ersetzt durch viele Planungen im Bund, aber vor allem in den Ländern, welche die Zukunft bestimmen sollen. Zum Teil gehen diese Planungen so weit und werden von der Exekutive so weit vorangetrieben, daß sie bei



Dr. Schmitt-Vockenhausen
der ohnehin geringen Finanzausstattung der Gemeinden diese nur noch zu Erfüllungsgehilfen von Bund und Ländern machten,

(Eilers [Wilhelmshaven] [CDU/CSU] : Sehr gut!)

wenn die Gemeinden hier nicht ihre Position behaupten und eine Gegenbewegung einleiten.
Um so dankbarer muß ich hier sagen, daß wir alle anerkennen müssen, daß sowohl Herr Minister Lauritzen als auch Herr Minister Vogel und jetzt der Städtebauminister Ravens — aber auch andere Ressortminister — deutlich gemacht haben, daß sie auf die Mitsprache und das Wissen der Gemeinden nicht verzichten wollen. Ich bitte die Bundesregierung, in Zukunft auf diesem Wege mit aller Konsequenz weiterzugehen, auch wenn sich das eine oder andere Bundesland kritisch dazu äußert, wie wir das in den vergangenen Monaten erlebt haben.
Die Kommunen können heute, gerade weil sie soviel Opfer für die Gebietsreform unter Aufgabe des Selbstverwaltungsrechts tausender kleiner Gemeinden und Städte gebracht haben, fordern, daß sie selbst aktiv an den Planungen und der Gestaltung der Lebensqualität und der Daseinsvorsorge teilhaben können und auch einen freien Raum für eigene Initiativen behalten.
Die Enquete-Kommission Verfassungsreform hat daher die Aufgabe, diese Stellung der Gemeinden zu sichern; denn Selbstverwaltung heißt ja nicht, mit Hilfe staatlicher Zuwendungen nur staatliche Pläne auszuführen, sondern sie muß auch Raum zur freien Gestaltung besitzen.

(Beifall bei der SPD)

Leider konnte eine für die Gemeinden befriedigende Lösung von der Kommission noch nicht gefunden werden. Der Zwischenbericht läßt zwar erkennen, daß über die Mitwirkung der Gemeinden an der staatlichen Verbundplanung gesprochen wurde; der formulierte Änderungsvorschlag sieht aber die Beteiligung kommunaler Vertreter an den Planungsgremien noch nicht vor.
Mein Kollege Dr. Schäfer, der ja der Vorsitzende der Enquete-Kommission Verfassungsreform ist, hat in zahlreichen Diskussionen mit Vertretern der Kommunen diese Fragen sachkundig erörtert. Ich bin ihm dankbar dafür, daß er sich im weiteren Verlauf der Debatte aus dieser Sicht und auch für meine Fraktion zur Situation der Kommunen und ihrer Einordnung im Rahmen einer Neuordnung von Bund, Ländern und Gemeinden äußern wird. Die Gemeinden müssen und können jedenfalls erwarten, daß diese Frage erneut in Angriff genommen wird. Konkrete Vorschläge meiner Partei, aber auch der kommunalen Spitzenverbände liegen hierzu vor.
Dasselbe gilt für die Mitwirkung der Kommunen an der Gesetzgebung, die nach der Meinung meiner Fraktion ausgestaltet werden muß. Der Herr Bundeskanzler läßt im Augenblick im Anschluß an ein Gespräch — ich hätte mich gefreut, Herr Kollege Waffenschmidt, wenn Sie hier deutlich gemacht hätten, wie sehr positiv der Bundeskanzler dieses
Gespräch bewertet hat, das die kommunalen Spitzenverbände mit ihm geführt haben — prüfen, in welcher Weise durch Änderung und Ergänzung der GGO erreicht werden kann, daß die besondere Stellung der Kommunen auch in den Verfahrensregeln der Bundesregierung ihren Ausdruck findet.
Dasselbe, meine Damen und Herren, muß für den Deutschen Bundestag und seine Geschäftsordnung gelten. Die Möglichkeiten zur Stellungnahme der Kommunen bei Gesetzesvorhaben, die sie betreffen, sind zu verbessern. Die finanziellen Auswirkungen gesetzgeberischer Entscheidungen auf dem kommunalen Bereich sind zu verdeutlichen.
Lassen Sie mich in dem Zusammenhang aber auch noch anmerken, daß mir eine bessere Transparenz und Gesamtübersicht über die durch neue Gesetzentwürfe, vor allem im Bereich des öffentlichen Dienstrechts, entstehenden Mehrkosten geboten erscheint. Die ständig zunehmenden Einzelbelastungen im Personalhaushalt engen den Investitionsspielraum in den öffentlichen Haushalten immer mehr ein. Ich meine, es wäre an der Zeit, daß Bundestag und Bundesrat nur noch einmal jährlich Vorlagen verabschieden, die zu Mehrkosten in den Personalhaushalten führen. Dem Bundestag liegt ja in dieser Beziehung wieder eine Fülle von Einzelvorlagen vor. Ich wäre glücklich, wenn der Innenausschuß eine Gesamtbetrachtung herbeiführte, wie sie im Augenblick angestrebt wird. Auch das kann den Kommunen und ihrer Situation nur zugute kommen.
Ich habe, meine Damen und Herren, bewußt darauf verzichtet, einen Katalog der Sorgen und Probleme der Gemeinden im einzelnen aufzustellen. Sie werden sicher im weiteren Verlauf vom Nahverkehr bis zu den Fragen des Baurechts noch detailliert zur Sprache kommen. Aber was ich hier noch einmal tun möchte, ist, für meine Fraktion wieder mit Nachdruck für die Bürgernähe in der Kommunalpolitik und der kommunalen Selbstverwaltung zu plädieren.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen dem Bürger wieder mit besonderem Einsatz deutlich machen, daß dieser Staat und die örtliche Gemeinschaft mit ihm rechnen, daß der Bürger Selbstverantwortung mit anderen Bürgern übernehmen muß.
Erste Erfolge zeichnen sich hier ab. Längst totgeglaubte Eigenschaften wie Zivilcourage, Idealismus, Verantwortungsbewußtsein, Engagement und Kritikfähigkeit treten zutage. Der verplante Bürger zeigt der ihm allmächtig erscheinenden Technokratie und der Bürokratie die Stirn. Positive Bürgerinitiativen gehören heute zum unverzichtbaren Bestandteil unserer demokratischen Ordnung. Die wertvollen oder, wie Theodor Heuss sagte, die werthaltigen Kräfte solcher Bürgerinitiativen liegen in Anstößen zu weiteren Reformen. Das Engagement und die Sachkunde dieser Bürgerinitiativen sollten wir uns zunutze machen, gleichzeitig aber auch das gestörte Verhältnis zwischen Wählern und Gewählten in dem Sinne wieder enger gestalten, daß die Mandatsträger Notwendigkeiten und Bedürfnisse der Bevölkerung schneller und deutlicher erkennen und vertreten können.



Dr. Schmitt-Vockenhausen
Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß die deutschen Gemeinden in den vergangenen 25 Jahren nicht auf einer Insel gelebt haben, sondern stets in den Kreis der europäischen Selbstverwaltung und der europäischen Entwicklung eingebettet waren. Zehntausende von Städten und Gemeinden — meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten haben hier, wie Sie ja wissen, einen entscheidenden Anteil an dem Zusammenschluß zu dem Rat der Gemeinden Europas — leben in der kommunalen Praxis bereits vor, was die Staaten untereinander als große europäische Idee in der Zukunft erst noch verwirklichen müssen. Die großen europäischen Gemeindetage, wie sie z. B. 1966 in Berlin und 1970 in London durchgeführt wurden, haben den europäischen Gedanken auch dann noch im Bewußtsein der Öffentlichkeit und der Bürger durch die Kommunalpolitik gehalten, als es in vielen Ländern Rückschläge auf den staatlichen Ebenen gab.
Meine Damen und Herren, meine Partei, die SPD, ist vor allem auf dem Weg über eine erfolgreiche Arbeit in den Städten und Gemeinden und dann in den Ländern und auch im Bund in die politische Verantwortung gekommen. Gerade die kürzlich in Nürnberg veranstaltete kommunalpolitische Bundeskonferenz der SPD hat erneut deutlich gemacht, welchen entscheidenden Stellenwert die Kommunalpolitik in der SPD auch in der Zukunft haben wird. Die Konferenz von Nürnberg, die auf der Leistung der Sozialdemokraten und auf ihren vielfältigen Erfahrungen aufbaut, ist Mahnung und Auftrag für die weitere Gestaltung des kommunalen Raumes. Ob aus den dort und an anderer Stelle vorgebrachten Wünschen etwas wird, ist nicht nur eine Frage an die Kommunalpolitiker, meine Damen und Herren, sondern ist vor allem auch die Frage, ob in Bund und Ländern der Stellenwert der Kommunalpolitik und der kommunalen Selbstverwaltung so angesetzt wird, daß die kommunale Selbstverwaltung ihre Aufgaben voll erfüllen kann.
In diesem Zusammenhang begrüße ich es, daß sich der Kongreß in Nürnberg für die Zulassung eines Bürgerbegehrens ausgesprochen hat. Wer mehr Demokratie wagen will, wie es Willy Brandt gesagt hat, darf sich nicht hinter der repräsentativen Demokratie verschanzen. Ich hätte übrigens auch gegen die Zulassung eines Bürgerentscheids keine Bedenken. Was für die Länder gut und richtig ist, kann doch für die Gemeinden und ihre Demokratie nicht falsch sein. Wer dem mündigen Bürger im Beruf und im Leben ein hohes Maß an Vertrauen schenkt, daß er in der Lage ist, verantwortlich an der Gestaltung unseres gesellschaftlichen und staatlichen Lebens auf allen Ebenen mitzuarbeiten, kann ihn nicht nur in der Rolle des Wahlbürgers belassen, der lediglich durch die Abgabe seiner Stimme zu festgesetzten Wahlterminen tätig wird.
In diesem Sinne begrüße ich es auch, daß der Kongreß deutlich gemacht hat, daß Ausländer, die fünf Jahre in der Bundesrepublik gelebt haben, nach den Vorstellungen von Nürnberg aktiv in die kommunale Arbeit einbezogen werden. Auch sie, meine Damen und Herren, haben damit die Chance, in den Gemeinden, in denen sie leben, am gesellschaftlichen und staatlichen Leben beteiligt zu werden. Hier verwirklicht sich praktische Humanität für den Bürger, aktive politische und soziale Mitarbeit in einer supranationalen Kategorie, die ein hoffnungsvoller Baustein auch für die Zukunft in und mit Europa sein kann.

(Beifall bei der SPD)

Für die Lebenskraft der Selbstverwaltung, meine Damen und Herren, bleibt aber letztlich immer entscheidend das staatsbürgerliche Engagement im Ehrenamt, die Gewinnung von Frauen und Männern mit Initiative und schöpferischer Gestaltungskraft im Hauptamt und mehr denn je die enge Zusammenarbeit der Kommunen über ihre Repräsentanten in Bund und Ländern in den Spitzenverbänden, um ihre Anliegen zu verdeutlichen. Letzteres — lassen Sie mich das hier ansprechen — wird heute dadurch erschwert, daß in den meisten Landtagen die Stimmen der Kommunalpolitik durch die Inkompatibilitätsbestimmung zweifellos schwächer geworden sind — ein Problem, dessen ganze Tragweite uns wohl erst in den nächsten Jahren bewußt werden wird — und das es möglicherweise mit sich bringt, daß wir statt zuviel Kommunalpolitiker, wie vielleicht bisher, in Zukunft möglicherweise, Herr Minister Schiess, in einigen Länderparlamenten zuwenig Kommunalpolitiker haben werden.
Meine Damen und Herren, die Sozialdemokraten haben in ihrem Entschließungsantrag mit unseren Freunden von der Freien Demokratischen Partei deutlich gemacht, welchen Beitrag wir heute hier zur Gleichwertigkeit der drei Ebenen für den Bürger in dieser Debatte leisten können. Nicht durch Schwarzweißmalerei, nicht durch einseitige Darstellung und Einäugigkeit, sondern durch eine klare und solide Bilanz können wir dazu beitragen, daß die Städte, Gemeinden und Kreise den ihnen gebührenden Stellenwert in der öffentlichen Diskussion erhalten. Die Sozialdemokraten bauen in diesen Fragen auf gutem und bewährtem Grund auf und werden die Aufgaben auch in Zukunft meistern.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0712801800
Das Wort hat der Abgeordnete Engelhard.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID0712801900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Städte und Gemeinden sind historisch gesehen der Ausgangspunkt alles staatlichen Lebens und, ich glaube, nicht nur dies. Sie sind — wenn wir einen Blick auf die Zeit unmittelbar nach 1945 werfen — in Notzeiten auch die letzte Bastion und die letzte Zuflucht aller Staatlichkeit überhaupt. Deswegen stehen Bund, Länder und Gemeinden in ihrer politischen Wertigkeit für uns gleichrangig nebeneinander. Städte und Gemeinden sind nur insofern die oft apostrophierte unterste politische Ebene, als sie die bürgernächste Ebene sind und als dort die Leistungen erbracht werden, die den Bürger am unmittelbarsten berühren. In den Städten und Gemeinden vollzieht sich das Leben noch in einem überschaubaren Rahmen, und daher kommt es, daß dort auch das Engagement des Bürgers am stärksten einsetzt und sich am stärksten realisieren kann.



Engelhard
Alle Untersuchungen der letzten Jahre haben gezeigt, daß das politische Interesse der Bürger in unserem Lande zunächst wachgerufen wird durch einige wenige große Fragen der Bundespolitik und der internationalen Politik von existentieller Bedeutung. Aber dann kommen sofort die Fragen der Kommunalpolitik; auch nicht unbedeutende Fragen der Landespolitik bedürfen nach diesen Untersuchungsergebnissen jeweils bereits der örtlichen Aktualisierung, um überhaupt noch das Interesse des Bürgers zu finden.
Die Kommunalpolitik ist ganz einfach die breiteste Ebene für das Engagement, und Tausende und aber Tausende unserer Bürger halten es, ohne nun den Entschluß zu fassen, Politiker zu werden, ohne sich mit Haut und Haaren der Politik zu verschreiben, für notwendig, sich hier in ihrem engsten Lebensbereich zu engagieren, ihre Freizeit zu opfern und ihren Beitrag zu leisten. So verwirklicht sich dieses Engagement des Bürgers auf der Kommunalebene im Guten wie sicherlich auch im Schlechten; denn die Verhältnisse in den letzten Jahren zeigen uns, daß hier und da politische Extremisten und festgefahrene Dogmatiker eben die kommunalpolitische Ebene als den ihnen geeignet erscheinenden Platz erwählt und als Exerzierplatz für ihre Ideen zu benützen gesucht haben.
In der Gemeinde tritt der Staat dem Bürger am unmittelbarsten entgegen. Ich wage deswegen die Feststellung, daß vom Gemeindeleben her das Verhältnis des Bürgers zum Staat überhaupt ganz wesentlich mitbestimmt wird. Wenn man das für richtig hält, dann kann die Konsequenz doch nur sein, wo immer es möglich ist, das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden zu stärken.
Dieses große Ziel gerät aber in Konflikt mit der allgemeinen, der technischen und der gesellschaftlichen Entwicklung in unserem Lande wie anderswo auch, einer Entwicklung, die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft häufig fast schon zur Angelegenheit der Region, der ganzen Nachbarschaft, ja fast schon zur Angelegenheit aller macht und die isolierte Lösungen im örtlichen Bereich vielfach überhaupt nicht mehr zuläßt.
Ich glaube, in der Beantwortung der Großen Anfrage der Opposition hat dies die Bundesregierung sehr deutlich gemacht, und es ist deswegen ganz einfach unrichtig, wenn bereits in einer Presseerklärung der CDU/CSU-Fraktion vom 23. Juli 1974 ausgeführt wird, in der Beantwortung werde eine heile Welt der kommunalen Selbstverwaltung dargestellt, die es leider heute nicht mehr gebe. Das ist unrichtig, weil es begrüßenswert ist, daß mit dem notwendigen Maß an Zurückhaltung und mit dem notwendigen Augenmaß seitens der Bundesregierung hier nicht irgendwelche großen Sprüche jenseits des Realisierbaren gemacht wurden, sondern daß der Versuch unternommen wurde, einerseits klarzumachen, welch hohen Stellenwert für diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien Städte, Gemeinden und Kreise einnehmen, und deutlich zu machen, für wie wichtig die Selbstverwaltung der kommunalen Gebietskörperschaften angesehen wird, gleichzeitig aber auch all die Schwierigkeiten aufzuzeigen, die nach allen allgemeinen Entwicklungen der totalen und optimalen Verwirklichung dieses Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsrechts der kommunalen Körperschaften entgegenstehen. Und es sind ja nicht nur tatsächliche, sondern auch rechtliche und verfassungsrechtliche Schwierigkeiten, die einer solchen Lösung entgegenstehen.
Es liegt sicherlich nahe, für diese notwendige Begrenzung des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden einen gewissen Ausgleich darin zu suchen, daß man die Gemeinden über ihre Spitzenverbände stärker an der Gesetzgebung und an der Maßnahmenplanung im Bund wie in den Ländern beteiligt. Nur gibt es hier eben verfassungsrechtliche Schranken. Und ich muß ganz offen sagen, für etwas habe ich kein Verständnis: Ich hätte den Tumult, den Lärm, das Geschrei hören wollen, wenn die Bundesregierung auch nur im Ansatz, nur im Denkansatz den Versuch unternommen hätte, jenseits der Verfassung oder etwas an diesen verfassungsrechtlichen Schranken vorbei in einer Quasi-Koalition direkt mit den Kommunen und den Kreisen hier das ihr vielleicht notwendig Erscheinende zu tun.

(Hösl [CDU/CSU]: Ist bereits geschehen!)

Wir müssen hier ganz einfach die verfassungsrechtlichen Schranken sehen.

(Hösl [CDU/CSU] : Gott sei Dank!)

Der Bund hat nach dem Grundgesetz eine Garantenstellung für das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden, aber andererseits sind, wie in der Beantwortung richtig ausgeführt wird, die Gemeinden zunächst Teile der Länder, und eben diese Bundesländer setzen für die kommunalen Körperschaften das Recht und sind deswegen in erster Linie auch für sie vertretungsberechtigt.
Schon heute stellen wir jenseits der Institutionalisierung einen recht erfreulichen Einfluß nicht nur der kommunalen Spitzenverbände, sondern auch anderer kommunaler Vorschläge und Überlegungen fest. Es ist ja vielleicht interessant, daß einzelne Gemeinden in den letzten Jahren auch dort, wo es ihnen nicht unmittelbar aufgegeben war, versucht haben, mit Vorschlägen aus der Sicht der Kommunalpolitiker für die Landes- wie für die Bundespolitik hilfreich etwas beizutragen.
Ich erinnere mich aus meiner Zeit als Münchener Stadtrat etwa daran, daß — ganz unabhängig davon, wie man zu dieser oder jener Forderung im einzelnen stehen mag — ein vielbeachtetes Papier seitens der Landeshauptstadt München zu Fragen des Bodenrechts erarbeitet worden ist, daß die Erarbeitung zu Fragen des Umweltschutzes und der ausländischen Arbeitnehmer nicht nur im ganzen Bundesgebiet, sondern auch auf internationaler Ebene viel Beachtung gefunden haben und daß diese Papiere auflagenmäßig überhaupt nicht mit der Nachfrage aus weiten Teilen Europas Schritt halten konnten. Ich glaube auch von daher: Der nicht institutionalisierte Einfluß der Gemeinden und der kommunalen Ebene auf das staatliche Leben in den Ländern wie im Bund sollte nicht unterschätzt werden.
Nun hat die Bundesregierung ausgeführt, daß an der gesetzlichen Verankerung von Mitwirkungsrech-



Engelhard
ten der Gemeinden gearbeitet wird, und zwar insbesondere in der Enquete-Kommission für Fragen der Verfassungsreform. Wer wirklich die Lösung aus einem Guß will, wird die Ergebnisse dieser Kornmission abwarten müssen. Aber es gibt natürlich eine ganze Fülle anderer Lösungen. Ich will im einzelnen zu deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit gar nicht Stellung nehmen. Ich will nur einige Punkte nennen, die sich sehr schnell, jedenfalls schneller als das Konzept aus einem Guß, verwirklichen ließen. So wäre es etwa möglich, in den Ländern Kommunalkammern als zweite Kammern zu schaffen. Man müßte daran denken, in den Ländern ein Gemeindeinitiativrecht zu verankern, und zwar auf Grund des qualifizierten Votums einer Gemeindevertretung, verbunden mit dem Zwang für den jeweils zuständigen Landtag, sich mit dem Vorschlag der Gemeinde zu befassen. Es wäre auch an die Absicherung einer solchen Initiative durch den Landesgesetzgeber zu denken, damit die Angelegenheit und das Anliegen der Gemeinde über den Bundesrat weitergebracht werden können. Es wäre notwendig und nicht nur möglich, daß bei der kommunalen Gebietsreform die Länder jeweils nicht nur von der Rationalisierung und vom technischen Ablauf her denken, sondern gleichzeitig flankierend dafür Sorge tragen, daß auf der untersten Ebene in kleinen Gemeinden, die jetzt aufgelöst werden, das bürgerschaftliche Engagement, der kommunale Erfahrungsschatz vieler Bürger, die sich über Jahrzehnte für die ehrenamtliche Arbeit zur Verfügung gestellt haben, erhalten bleibt, daß etwa rechtzeitig Ortsbeiräte geschaffen werden,

(Zuruf des Abg. Kroll-Schlüter [CDU/CSU])

daß die Aufgaben dezentralisiert werden. In unserem Lande hört man hierzu nicht immer nur Erfreuliches.
Zur Funktionalreform! Natürlich wird hier vom Bund her einiges getan werden müssen. Das macht aber nicht halt bei den Ländern. Ich denke in unserem Bereich etwa daran, mit welchem Nachdruck, aber zum Teil auch mit welchen Mitteln in Bayern die Verstaatlichung der kommunalen Polizeien betrieben worden ist, die auch vor der Polizei einer Millionenstadt nicht haltgemacht haben. Ich war damals im Münchener Stadtrat die einzige Stimme, die sich bis zuletzt mit Nachdruck dagegen gewandt hat.

(Dr. Schneider [CDU/CSU] : Mit welcher Begründung?)

Ich halte diese Entscheidung auch heute noch für richtig. Wenn es von der Polizei und ihren Aufgaben her nicht zwingend geboten ist, ist nicht einzusehen, warum eine Verstaatlichung vorgenommen werden muß. Sie sollten einmal darüber nachdenken. Das ist ein ganz zielstrebiges Abdrängen der Gemeinden von ihrer hoheitlichen Tätigkeit.

(Dr. Schneider [CDU/CSU] : Die Polizeifachleute denken anders! — Zuruf von der CDU/CSU: Der Bundesinnenminister auch!)

Die Zuständigkeit der Gemeinde wird letztlich auf den Bereich der Daseinsvorsorge beschränkt. Denken Sie einmal über folgendes nach: Ich habe damals pointiert und sicher überspitzt gesagt, ich sehe den Zeitpunkt kommen, wo eines Tages der Oberbürgermeister einer Millionenstadt auf Grund seiner Zuständigkeiten vom Bürger, der das alles nicht versteht, der diese Machtlosigkeit nicht versteht, nur noch als quasi der oberste Müllkutscher dieser Gemeinde betrachtet wird.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU] : Oder Bieranzapfer! — Weiterer Zuruf von der CDU/ CSU: Als Briefträger!)

— Sie können sagen, der oberste Zahlmeister oder was immer sonst im sozialen Bereich liegt. Wir haben hier jedenfalls ein Abdrängen der Großgemeinde aus dem hoheitlichen Bereich, und es verbleibt ihr lediglich der sicherlich wichtige, aber eben nicht ausreichende Bereich der Daseinsvorsorge.
Lassen Sie mich einen anderen Punkt ansprechen, den der Bürgermitwirkung. Wir haben das kommunale Wahlrecht, und man sollte sich vielleicht einmal in allen Teilen dieser Republik Gedanken darüber machen, ob es nicht im Sinne der stärkeren Mitwirkung und des stärkeren möglichen Einflusses der Bürger liegt, dieses Wahlrecht in einigen Ländern zu durchleuchten, dem Bürger bei den Kommunalwahlen keine vordiktierten Parteilisten mehr zu servieren,

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Wie bei Ihrem Mitbestimmungsmodell!)

sondern ähnlich wie in Bayern und in Baden-Württemberg das Häufeln und Panaschieren, das dort gerade in den kleineren Gemeinden vorbildlich praktiziert wird, einzuführen. Dies schafft in dem Bereich, wo die persönliche Beziehung des Wählers zum Gewählten noch möglich und vorhanden ist, mehr Bürgermitwirkung als dort, wo man sich offensichtlich über diese Dinge noch keine weiterführenden Gedanken gemacht hat. Oder nehmen wir — Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen hat es angesprochen — das Gesetz zur Änderung des Bundesbaugesetzes. Ich erinnere daran, daß vor einigen Wochen die erste Lesung dieses Gesetzes stattfand. Es muß ganz einfach beanstandet werden, daß, wenn seitens der Bundesregierung der Versuch unternommen wird, hier im Ansatz endlich zu mehr Bürgermitwirkung und Bürgerbeteiligung bei der Bauleitplanung zu kommen, kaum daß man sich auf die Muß-Vorschrift dieser Beteiligung festgelegt hat, seitens des Bundesrates der Versuch unternommen wird, das Ganze auf eine Soll-Bestimmung zurückzudrehen.
In diesem Zusammenhang muß mit aller Deutlichkeit folgendes gesagt werden. Kommunalfreundlichkeit heißt nicht, daß man sich in jedem Fall auf die Seite des technischen Apparats und der Gemeindeverwaltungen schlägt. Man muß sich zunächst einmal in einem ausgewogenen Verhältnis an die Seite des Bürgers stellen. Die Dinge können nicht allein von cien manchmal sehr durchsichtigen Einwendungen des Apparats auf Gemeindeebene her betrachtet werden. Auf dieser Ebene muß sich vor allem für den Bürger die Möglichkeit zu mehr Mitwirkung eröffnen.



Engelhard
Ich habe hier nur einige Punkte angesprochen. Es ging dabei um Fragen, die teilweise sozusagen auf der Straße liegen. Es gibt allerdings, was Ihre Große Anfrage betrifft, einen Pferdefuß: Hier sind die Länder, hier ist der Landesgesetzgeber aufgerufen, einmal über einige Dinge nachzudenken. Ich sage das nicht in der ganz billigen Absicht, hier für den Bund oder die Bundesregierung ein Alibi zu schaffen. Darum geht es nicht. Es geht aber auch nicht an, auf der Bundesebene die große Klage zu führen und sich seitens der Opposition quasi als Treuhänder der Gemeinden hinzustellen, Ihrerseits große Sprüche zu machen, andererseits aber dort, wo mit wenigen Änderungen Wesentliches hätte bewirkt werden können, im Kommunalrecht nämlich, wie bisher untätig zu bleiben. Hier muß auch unterstrichen werden, daß der finanzielle Bereich ganz sicherlich nicht unterschätzt werden darf. Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen hat aber schon darauf hingewiesen, daß dies allein nicht das Selbstverwaltungsrecht unserer Kommunen ausmacht, sondern daß wesentlich mehr dazugehört. Sich darüber einmal im Rahmen ganz unbestrittener Länderkompetenz Gedanken zu machen wäre auch einiges Schweißes wert.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0712802000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID0712802100
Bitte schön!

Alex Hösl (CSU):
Rede ID: ID0712802200
Herr Kollege, ich möchte Sie — bei aller Übereinstimmung in der ideellen Einstellung — fragen, wie Sie sich denn angesichts der Aufteilung von Einkommen- und Körperschaftsteuer in drei Teile eine aufgabengerechte Mittelverteilung vorstellen. Dazu hat auch Herr Schmitt-Vockenhausen nichts gesagt.

(Dr. Schneider [CDU/CSU] : 18 %!)


Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID0712802300
Herr Kollege, ich komme gerade auf die Frage der Finanzen zu sprechen. Einschränkend möchte ich allerdings gleich sagen, daß für unsere Fraktion dazu nachher Herr Kollege Dr. Wendig noch Stellung nehmen wird. Im Blick auf die Frage der Finanzen wollte ich hier nur einmal darauf hinweisen, daß auch der Bereich der gemeindlichen Finanzen im Einzelfall ganz sicherlich etwas differenziert betrachtet werden muß. Wir kommen nicht darum herum, festzustellen, daß sich ein Großteil der Gemeinden in unserem Lande in einer schwierigen finanziellen Lage befindet. Aber das gilt natürlich nicht ohne Einschränkungen. Wenn ich etwa lese, daß die Stadt Offenbach, bevor die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst überhaupt begonnen haben, bereits in einer Sondervereinbarung jedem ihrer Bediensteten für 1975 die Zahlung von 300 DM Urlaubsgeld in Aussicht stellt, so mag man das vom sozialen Standpunkt her als besonderen Ausdruck der Fürsorgepflicht dieses Dienstherren sehr begrüßen. Aber es wird ganz sicher kein wesentliches Argument sein, um die finanzielle Notlage dieser Stadt in leuchtenden und grellen Farben malen zu können. Ich glaube, das muß auch einmal sehr deutlich gesagt werden. Das ändert aber an der generell schwierigen finanziellen Situation unserer Gemeinden nichts.
Ich muß allerdings auch kritisch anmerken, daß ich hier in Bonn bei Politikern aller Parteischattierungen manchmal, was Gemeindefinanzen anbelangt, eine stark zurückhaltende Haltung vorgefunden habe. Das wird meist damit begründet, daß es in einzelnen Fällen natürlich auch auf der gemeindlichen Ebene zu Mißständen und zu Verschwendung gekommen ist. Nur muß man wohl ganz deutlich sehen, daß auf der Gemeindeebene Derartiges deutlicher wird als auf der Ebene der Länder und des Bundes. Dort geht es im Großen unter, dort ist es schwer kontrollierbar. Aber es ist das Glück für den Bürger und das Unglück mancher Gemeindeverwaltung, daß jede finanzielle Mißwirtschaft in der Gemeinde nach kurzem aufgedeckt werden kann und deutlich gemacht werden kann und der Kritik unterzogen werden kann.
Ich glaube, daß wir die Frage der Finanzausstattung auch nicht ausschließlich von der Quantität her sehen dürfen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Diesen Standpunkt vertrete ich dezidiert. Denn die Gemeinden dienen auch als wohlhabende Kostgänger nicht der Stärkung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts. Ich halte es für notwendig, unseren Städten und Gemeinden mehr Einnahmen aus eigenem Recht zu verschaffen. Deswegen ist der Vorschlag richtig — und es liegen dazu bereits ausgearbeitete Entwürfe, etwa des Bayerischen Städtetages, vor —, den Gemeinden längerfristig das Hebesatzrecht bei der Einkommensteuer einzuräumen. Ich sage „längerfristig", weil ich damit auch gleich das wichtigste Gegenargument im jetzigen Zeitpunkt ansprechen will, das lautet, daß damit möglicherweise eine Gefährdung der Konjunktur- und Stabilitätspolitik der Bundesregierung verbunden sein könnte. Wenn man die Dinge genau betrachtet, dann wird man einräumen müssen, daß von seiten der Bundesländer, welcher politischen Couleur auch immer, wie von seiten der Gemeinden in den vergangenen Jahren auf diese Konjunktur- und Stabilitätspolitik nur geringe Rücksicht genommen wurde. Man hat dort ganz einfach das, was man finanziell bekommen konnte, unabhängig von der Stabilitätssituation und von der Konjunkturlage auch sofort ausgegeben. Das ist ein sehr wichtiger Einwand. Aber längerfristig wird das nichts daran ändern, daß man sich um mehr Einnahmen, mehr Einnahmen aus eigenem Recht, für unsere Gemeinden wird bemühen müssen. Das ist dann eben nicht nur die Frage der Quantität und der größeren finanziellen Masse, sondern es erscheint mir auch aus anderen Gründen notwendig, so zu verfahren.
Dem Bürger müssen gerade auf der Gemeindeebene, wo er noch die Möglichkeit hat, selbst mitzusprechen, mitzudenken und Einblick zu nehmen, die Zusammenhänge zwischen der eigenen finanziellen Leistung und der öffentlichen Gegenleistung im überschaubaren Raum deutlich gemacht werden. Ich halte es für ein Unding, was sich in unserem Lande



Engelhard
abspielt, dieses Dotations- und Zuschußwesen, ob es die Schlüsselzuweisungen oder die zweckgebundenen Zuweisungen sind, aus hunderterlei Töpfen, deren Zahl und Einzelbestimmung nicht einmal mehr dem Fachmann im einzelnen bekannt ist.
Wozu führt das auf seiten des Bürgers? Es hat ganz sicherlich wesentlich dazu beigetragen, die manchmal maßlosen Forderungen ins nahezu Unermeßliche auf der Seite des Bürgers zu schrauben, weil dem einzelnen überhaupt nicht mehr klar ist, daß das, was dort geschaffen und gebaut wird, letztlich aus seinem Geldbeutel bezahlt wird. Dort bestehen danz dubiose Vorstellungen: Da gibt es Leute, die reisen nach Bonn oder in die Landeshauptstadt und sind tüchtig und bekommen aus einem Säckel, dessen Inhalt nicht näher bekannt ist und dessen Herkunft dem einzelnen nicht näher bekannt ist, eine Zuwendung, gleich so, als ginge das in einer Weise, daß dieses Geld vom Himmel fiele und nicht vom einzelnen Bürger durch seine Steuermittel aufgebracht werden müßte.
Das führt auch zu einem sehr undurchsichtigen und damit zu einem nahezu demokratieschädlichen System. Wir müssen das sehr genau sehen. Die Freien Demokraten haben sich damals — um die Parallele zu ziehen — mit Nachdruck gegen die Konstruktion der Gemeinschaftsaufgaben und ähnliche Bereiche gewandt, wo es vom Demokratischen her undurchsichtig wird, wo nicht mehr kontrolliert werden kann. Verfolgen Sie einmal draußen — sei es auf der Landesebene oder in der Bundespolitik — unsere Wahlkämpfe! Ähnliches greift ja zunehmend auf die Gemeinden über.
Ich halte es für nahezu unerträglich, daß der einzelne Bürger nicht mehr in der Lage ist, auch als gewissenhafter interessierter Zeitungsleser, die Dinge im einzelnen zu verfolgen und mit seinem Stimmzettel in für ihn wichtigen Fragen entsprechend zu reagieren; denn er kann im finanziellen Bereich überhaupt nicht mehr feststellen, wer für ihn was getan hat. Das ist untergegangen im Dschungel der Zuschüsse, der Dotationen, von denen jeder völlig ungestraft behaupten kann, sie seien letztlich durch ihn bewirkt worden. Der eine zahlt, der andere verteilt das Geld; der andere behauptet, der andere habe es verteilt; der Dritte behauptet, es sei überhaupt nicht von dem gezahlt worden, der behaupte, er habe es gezahlt. Wer will das alles noch nachprüfen?
Es gilt, auf der Gemeindeebene, in diesem überschaubaren, unteren, bürgernahen Bereich zumindest mit diesen Dingen Schluß zu machen. Dann wird auch die schlechte Gemeindeverwaltung eher um eine Ausrede verlegen sein müssen, wenn man ihr deutlich macht, daß sie schlecht gewirtschaftet hat. Darum geht es.
Ich glaube, das Hebesatzrecht muß insbesondere nicht nur von der größeren finanziellen Masse her gesehen werden, sondern unter dem Gesichtspunkt der Möglichkeit des Bürgers, im überschaubaren Gemeindebereich endlich wieder die vernünftige Relation zwischen seinem eigenen Geldbeutel und dem, was er von der Gemeinschaft verlangt und glaubt, fordern zu können, herzustellen. Das führt zu mehr
Kritikfähigkeit, das führt auch zu mehr Zurückhaltung, das führt zu einer vernünftigen Betrachtungsweise des einzelnen Bürgers. Hier können wir wesentlich dazu beitragen, daß wenigstens auf der kommunalen Ebene künftig mehr Demokratie — recht verstanden, so wie wir sie meinen — verwirklicht wird.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0712802400
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.

Dr. Werner Maihofer (FDP):
Rede ID: ID0712802500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viel zu selten hat dieses Hohe Haus wie heute die ausdrückliche Gelegenheit, sich mit Grundsatzfragen der Kommunalpolitik zu befassen,

(Eilers [Wilhelmshaven] [CDU/CSU] : So ist es!)

wie ich dies zum Abschluß der ersten Runde der Debatte dieses Parlaments auch von meiner Seite tun will.
Das föderative System unseres Grundgesetzes geht, wie Sie wissen, von einem zweistufigen Gesamtstaatsaufbau aus. Er ruht auf zwei Säulen, wie man so sagt: dem Bund und den Ländern, wobei die Gemeinden als innere Gliederung der Länder aufgefaßt werden. Mit dieser juristischen Konstruktion unseres Verfassungsrechts ist die tatsächliche Stellung unserer Gemeinden in der Verfassungswirklichkeit nur unzureichend erfaßt. Die Gemeinden sind in unserem Staatsaufbau nach ihrer politischen Position nicht bloße Anhängsel der Länder, sie sind eigenständige Gebietskörperschaften, wie auf höheren Ebenen die Länder und zuletzt der Bund. Schon von daher unterscheiden sich die Gemeinden als Teileinheiten im Gesamtaufbau des Staates grundsätzlich von allen jenen Einzelverbänden im Gesamtzusammenhang unserer Gesellschaft, seien es die bei uns nach privatem Recht organisierten Gewerkschaften, seien es die als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfaßten Kirchen in unserer Gesellschaft. Zwar sind danach die Gemeinden nicht Staaten im Rechtssinne; aber sie gehören doch zur Sphäre des Staates und nicht bloß zur Sphäre der Gesellschaft. Das sind eben zweierlei verschiedene Dinge, ob sie Staaten sind oder ob sie zur Sphäre des Staates gehören. Deshalb hat schon der berühmte Staatsrechtslehrer Karl von Rotteck zu Anfang des 19. Jahrhunderts die Gemeinde geradezu als einen „Staat im Kleinen" bezeichnet und vom größeren Staat gesagt — ich zitiere —:
Er besteht naturgemäß aus einer größeren oder kleineren Zahl von Gemeinden, welche sich untereinander in solchen weiterreichenden Verein begeben haben, um den von jeder einzelnen sich gesetzten, aber durch eine kleine und schwache Gesellschaft nur unvollständig zu erreichenden Zweck mittelst der Vereinbarung zum größeren Staat sicherer und vollkommener zu verwirklichen.
Auch heute verkörpern so die Gemeinden als Gebietskörperschaften in ihrem Teilbereich den Staat,



Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer
wie auf höheren Ebenen Länder und Bund; ja, sie stellen sogar die unmittelbarste alltägliche Begegnung des Bürgers mit dem Staate dar. Was der Staat darum auf dieser lokalen Ebene der Gemeindepolitik von dem Bürger fordert oder für ihn leistet, das trifft und betrifft ihn in manchen Lebensbereichen nicht weniger, eher mehr als das, was auf der regionalen Ebene der Landespolitik oder gar der zentralen Ebene der Bundespolitik geschieht oder auch nicht geschieht.
Wie immer dabei im einzelnen die Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden verteilt sein mögen: in der alltäglichen Wirklichkeit kommt es vor allem darauf an, wo die Initiative für einen bestimmten Bereich der Politik tatsächlich wahrgenommen wird. Und läßt sich nun eben nicht bestreiten: So eindeutig die primäre Initiative für die Wirtschaftspolitik in unserem Gesamtstaat beim Bunde, für die Hochschulpolitik aber etwa bei den Ländern liegt, so eindeutig muß die primäre Initiative für all das, was die urbane Infrastruktur einer, ich darf es einmal so sagen, „wirtlichen Stadt" ausmacht, ob Kindergärten oder Spielplätze, ob Verkehrsverhältnisse oder Freizeitanlagen, bei den Gemeinden liegen. Ja, es muß für jeden, der das strukturelle Prinzip unseres föderativen Systems wirklich ernst nimmt, auch für diese Ebene insgesamt der Grundsatz gelten, daß staatliche Aufgaben, die auf gemeindlicher Ebene erfüllt werden können, auch dort vor Ort erfüllt werden sollen, wie es nicht anders auch für die Länder im Verhältnis zum Bund gilt. Ob man eine solche Aufgabenteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden im Gesamtstaat nun aus dem Subsidiaritätsprinzip begründet oder nicht, ist für mich keine grundsätzliche Frage.
In eben diesem Sinne sprechen daher auch die Koalitionsparteien — wie ich meine, zu Recht — von der Gleichrangigkeit der Ebenen von Bund, Ländern und Gemeinden — denn nur so macht das einen Sinn — und erwarten, daß die Bundesregierung diesem Grundsatz auch in ihrer zukünftigen Politik den gebührenden Rang einräumt. Entsprechend hat die Bundesregierung schon bei der Beantwortung der Großen Anfrage betont auf den hervorragenden Platz hingewiesen, den Städte, Gemeinden und Kreise im Verwaltungsaufbau der Bundesrepublik einnehmen.
Doch wichtiger noch, wie ich meine, als diese funktionale Betrachtungsweise, die in den Kommunen als den örtlichen Verwaltungsträgern das Fundament der öffentlichen Verwaltung in der Bundesrepublik sieht — und das wird ja immer und immer wieder von allen Seiten bekräftigt —, ist das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung selbst. Die Bundesregierung hat mit ihrer Antwort die Überzeugung bekräftigt, daß die in den lokalen Kommunen praktizierte Demokratie, also die Teilnahme und Mitbestimmung der Bürger unserer Städte, Gemeinden und Kreise an der verantwortlichen Gestaltung ihrer eigenen Angelegenheiten, die unerläßliche Voraussetzung des demokratischen und sozialen Rechtsstaates überhaupt ist.
Die Antwort der Bundesregierung stellt deshalb fest: Ohne eine funktionsfähige kommunale Selbstverwaltung ist das Leitbild vom mündigen Bürger ebensowenig erreichbar wie das von der bürgernahen Verwaltung. Sie ist die beste Gewähr dafür, daß die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland im Alltag gelebt wird. Wo der „vitale Bürgergeist" — wie auch in der Antwort gesagt wird — zu Hause ist, wo verantwortungsbewußte und verantwortungsbereite Menschen demokratisch am Leben und an der Gestaltung des örtlichen Gemeinwesens mitwirken, haben extreme und antidemokratische Kräfte keine Chance.
Nicht vergessen ist in diesem Zusammenhang, wie Herr Kollege Engelhard — wie ich meine, zu Recht — bereits hervorgehoben hat, auch die entscheidende Rolle, die zuletzt in jener extremen Situation erneut sichtbar geworden ist, die unsere Städte, Gemeinden und Kreise nach dem zweiten Weltkrieg gespielt haben, als alle staatliche Gewalt aufgehoben und die kommunalen Körperschaften auf sich selbst gestellt waren. Nicht zuletzt das Verantwortungsbewußtsein, das Organisationstalent, aber auch der Wiederaufbauwille vieler Bürgermeister und Gemeindevertreter haben die materiellen, aber auch — und das ist wichtiger noch — die ideelen Grundlagen dafür gelegt, daß hier — ich darf es hier einmal in Gänsefüßchen setzen — „Staat" auch im Zusammenbruch aller sonstigen Hoheitsgewalt überdauert hat und zuletzt auf den Ebenen der Länder und des Bundes wiederentstehen konnte.
Meine Damen und Herren, ich meine, es ist kein geringer Vertrauensbeweis gegenüber unseren Städten, Gemeinden und Kreisen, wenn auch der Gesamtstaat in die Funktionsfähigkeit der örtlichen Verwaltungen so großes Vertrauen setzt, daß er ihnen zunehmend die Durchführung staatlicher Aufgaben im weitesten Sinne überträgt. Das dient dem Bürger, der die öffentlichen Angelegenheiten ortsnah verwaltet findet, und erspart dem Gesamtstaat die Einrichtung eigener örtlicher Verwaltungen.
Die Opposition hat nun der Bundesregierung vorgeworfen — und Sie haben das heute nochmals wiederholt —, sie zeichne in ihrer Antwort auf die Große Anfrage das Bild einer „heilen Welt der kommunalen Selbstverwaltung". Das, meine Damen und Herren, ist ein arges Mißverständnis. Die Bundesregierung träumt hier so wenig wie sonst Träume von einer heilen Welt. Sie betont lediglich die bei allen Mängeln im einzelnen insgesamt funktionsfähige kommunale Selbstverwaltung in diesem Lande. Eine Selbstverwaltung, die in zahlreichen Städten, Gemeinden und Kreisen von Vertretern der Oppositionsparteien getragen wird, die sich zu Recht wehren würden, wenn man ihre Kommune als unheiles Gebilde darstellen wollte. Eher wird genau umgekehrt von den Städten, Gemeinden und Kreisen die Einschränkung der gemeindlichen Gestaltungsspielräume durch Pläne und Programme der höheren Ebenen beklagt: durch Landesraumordnungspläne, Regionalpläne, durch Fachplanungen auf Bundes- und Landesebene überhaupt. Die damit verbundene Einschränkung des kommunalen Gestaltungsspielraums ist jedoch ein Faktum und — wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage ausgeführt hat — ein notwendiges Faktum.



Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer
Wir leben ja heute nicht unter den Bedingungen des 19. oder gar des 18. Jahrhunderts.
Die Erfahrungen im Bereich der Raumordnung, auf dem Felde der Verkehrsplanung oder im Umweltschutz haben gezeigt, daß Koordinierung von Politiken auf allen staatlichen Ebenen nach übergeordneten Planungen unerläßlich ist. Städte, Gemeinden und Kreise sind hierbei nicht unberücksichtigt geblieben; so sind sie z. B. durchweg nach den Landesplanungsgesetzen an der Erstellung übergeordneter Planungen mitbeteiligt. Sie sind in den Ländern ebenso wie im Bund in zahlreichen Gremien mitbestimmend oder mitberatend vertreten.
Die Bundesregierung konnte darum bei der Beantwortung der Großen Anfrage auf zahlreiche Planungsgremien, Kuratorien, Kommissionen, Beiräte und Ausschüsse verweisen, in denen bereits heute Vertreter der Kommunen mitarbeiten. Insbesondere die kommunalen Spitzenverbände — auch darauf hat die Bundesregierung in ihrer Antwort hingewiesen — nehmen in ständig steigendem Umfang Einfluß auf Planung und Gesetzgebung des Bundes wie der Länder; und ich würde fast meinen: mehr des Bundes als der Länder.
Deshalb halte ich es für eine folgerichtige Entwicklung, wenn die Gemeinden und Gemeindeverbände heute eine rechtliche Absicherung ihrer Beteiligungsrechte an der Gesetzgebung und Planung des Bundes geltend machen. Es gehört zu den Hauptaufgaben der kommunalen Spitzenverbände, auf eine Berücksichtigung der besonderen Belange der Städte, Gemeinden und Kreise hinzuwirken und so, nicht zuletzt bei Fragen des praktischen Verwaltungsvollzugs ihren besonderen Sachverstand mit einzubringen. Schon nach der bisherigen informellen Praxis sind die kommunalen Spitzenverbände an der Gesetzesvorbereitung der Bundesregierung in erheblichem Umfang beteiligt worden.
Die Bundesregierung erkennt den kommunalen Spitzenverbänden als zentralen Repräsentanten der Gebietskörperschaften im Staatsaufbau dabei eine Sonderstellung gegenüber den sonstigen Verbandsorganisationen zu. Als repräsentative Organisationen der Gebietskörperschaften stehen sie in der politischen Verantwortung, die ihre Mitglieder in diesem Staate auf der Ebene der Gemeinden als seiner untersten Ebene mittragen; eben das macht den grundlegenden Unterschied gegenüber allen bloßen Verbänden aus.
Bestrebungen, darüber hinaus entsprechende Beteiligungsrechte der kommunalen Spitzenverbände in der Verfassung institutionell zu verankern, berühren das von der Enquete-Kommission für Fragen der Verfassungsreform behandelte Gebiet der Stellung der Gemeinden in der verfassungsrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik überhaupt. Sie werfen schwerwiegende Probleme des bundesstaatlichen Aufbaus auf, auf die soeben hingewiesen worden ist. Die kommunalen Spitzenverbände haben ihre Vorstellungen hierzu inzwischen an die Enquete-Kommission herangetragen. Vorschläge wie die Mitwirkung der Kommunen im Bundesrat, die Festlegung von Mitbeteiligungsrechten in Art. 28 des Grundgesetzes, die Beteiligung der Kommunen an der gemeinsamen Rahmenplanung von Bund und Ländern sind jedoch nur langfristig und im Rahmen einer Verfassungsreform zu verwirklichen. Da gibt es gar kein Herumreden. Herr Kollege Engelhard hat hierzu soeben höchst bedenkenswerte Überlegungen vorgetragen.
Die Bundesregierung möchte diese Angelegenheit jedoch nicht auf die lange Bank einer grundlegenden Verfassungsänderung schieben, sie möchte schnell und wirksam handeln. Sie hat bei der Beantwortung der Großen Anfrage deshalb zugesagt, zu prüfen, ob eine formelle Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände an der Gesetzesvorbereitung in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien vorgesehen werden kann. Dieses Verfahren — lassen Sie mich auch das hier sagen — hätte folgende Vorzüge:
Erstens. Die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien könnte schnell durch einfachen Kabinettsbeschluß entsprechend ergänzt werden.
Zweitens. Zwar nicht vom juristischen Standpunkt, wohl aber vom politischen Gehalt hat die Normierung eines Beteiligungsrechts in der Gemeinsamen Geschäftsordnung die gleiche praktische Wirkung, die mit einer entsprechenden Ergänzung des Art. 28 des Grundgesetzes angestrebt wird, und hält sich zudem vollständig innerhalb der verfassungsmäßigen Grenzen.
Drittens. Eine Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände in den frühen Stadien des Gesetzgebungsganges ist ein bereits nach dem derzeitigen Rechtszustand häufig praktiziertes Verfahren der Bundesregierung, das sich bewährt hat. Warum soll man es nicht in eine formelle Prozedur überführen?
Mein Haus führt deshalb mit Vertretern der kommunalen Spitzenverbände Gespräche über eine derartige Ergänzung der Gemeinsamen Geschäftsordnung. Diese Bestrebungen finden meine nachdrückliche Unterstützung.

(Beifall bei der SPD)

Der Verfassungsauftrag der Städte, Gemeinden und Kreise, die umfassende demokratische Legitimation ihrer Vertretung sowie die allgemeine politische Verantwortung, in die sich Bund, Länder und Gemeinden teilen, sind für mich zureichende Grundlage eines gemeindlichen Mitspracherechts bei der Vorbereitung von Gesetzen und Maßnahmen der Bundesregierung. Hier stimmen, wie ich mit Befriedigung feststelle, Koalition und Opposition —wie dies auch aus den Beiträgen vor allem von Herrn Schmitt-Vockenhausen und Herrn Waffenschmidt deutlich wurde — mit der Bundesregierung grundsätzlich überein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Abschluß ein offenes Wort auch zu einer anderen Seite dieser Sache der Gemeinden sagen. Die Kommunen klagen häufig hier ist dieses Hohe Haus unmittelbar angesprochen — über die allzu perfektionistische Ausgestaltung der Bundesgesetze, die ja zu einem großen Teil von den Gemeinden und Gemeindeverbänden durchgeführt werden. Der Drang zur erschöpfenden Regelung be-



Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer
lastet die ausführende Verwaltung oft erheblich, oft unzulässig. Er zwingt zur Anstellung ausgebildeter Spezialkräfte, er drückt somit verteuernd und aufblähend auf die Personalhaushalte.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Sehr treffliche Bemerkung!)

Die Einengung des Ermessensspielraums kann zudem die Arbeits- und Verantwortungsfreude der kommunalen Bediensteten lähmen und die Verwaltungen dem Vorwurf des Bürgers aussetzen, den sie dann noch nicht einmal abwehren können, unnötig bürokratisch zu verfahren.
Ich meine, hier gäbe es — ohne Schwarzer-PeterSpiel hin und her — in Regierung und Parlament, ich darf aber auch einmal sagen: zwischen Bundestag und Bundesrat, ja zwischen Koalitionsfraktionen und Oppositionsfraktionen einigen Anlaß zu grundsätzlichen Neuüberlegungen.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Das ist sehr bedenkenswert, was Sie sagen!)

Das ist eine alte und doch stets neue Frage und Klage, die schon beim Freiherrn vom Stein nachzulesen ist, wo es heißt:
Das zudringliche Eingreifen der Staatsbehörden in private und Gemeindeangelegenheiten muß aufhören, und dessen Stelle nimmt die Tätigkeit des Bürgers ein, der nicht in Formen und Papier lebt, sondern kräftig handelt, weil ihn seine Verhältnisse in das wirkliche Leben hinrufen und zur Teilnahme an dem Gewirre der menschlichen Angelegenheiten nötigen.
Ich meine, in diesem bei aller sprachlichen Fremdheit über die Zeiten hinweg zu uns hinüberwehenden frischen Geist sollten sich Regierung und Parlament, Koalition und Opposition zu gemeinsamer Anstrengung verbinden, den Gemeinden den Anteil und das Gewicht im Gesamtaufbau unseres Staates in Bund und Ländern tatsächlich zu gewähren und rechtlich zu sichern, die ihnen in dem durchgängig auf Freiheit zur Selbstbestimmung gegründeten rechtsstaatlichen, sozialstaatlichen und demokratischen Gemeinwesen unseres Grundgesetzes zukommen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0712802600
Als Vertreter des Bundesrats hat der Herr Minister des Innern des Landes Baden-Württemberg das Wort.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712802700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Innen- und damit auch Kommunalminister des Landes Baden-Württemberg nehme ich gerne die Gelegenheit wahr, in dieser kommunalpolitischen Debatte des Hohen Hauses das Wort zu ergreifen. Ich bin dazu auch aufgemuntert worden durch mehrmaliges Ansprechen seitens der Redner sowohl hinsichtlich der Länder als auch hinsichtlich meiner eigenen Person.
Ich darf Ihnen, Herr Dr. Schmitt-Vockenhausen, gleich zu Beginn folgendes sagen. Sie haben mit sehr viel Freude dargestellt, daß der SPD-Parteitag in
Nürnberg beschlossen habe, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid einzuführen. Ich darf Ihnen sagen: Im Land Baden-Württemberg gibt es diese Einrichtung seit dein Jahre 1955. Wir sind in unserer CDU- Regierung im Augenblick dabei, diesen Bürgerentscheid und dieses Bürgerbegehren auszuweiten, um eine stärkere Mitbeteiligung der Bürger am kommunalen Geschehen zu erreichen. Ich wage nicht, zu sagen, der SPD-Kommunalparteitag in Nürnberg habe das unserem Land abgeguckt. Aber immerhin hat es mich aufgemuntert, das hier zu sagen.
Ich darf hinzufügen, daß aus der Sicht eines Bundeslandes mit einer bekannt reichen kommunalen Tradition wohl Anlaß besteht, die Stellung und Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung in der Verfassungswirklichkeit unseres Staatswesens etwas kritisch zu betrachten. Es ist damit gewissermaßen ein Korreferat zu dem, was der Herr Bundesinnenminister Maihofer gerade gesagt hat.
Meine Damen und Herren, in unserer Demokratie, die das Gegeneinander von Staat und Gesellschaft des 19. Jahrhunderts überwunden hat, stehen die kommunale Selbstverwaltung und die Staatsverwaltung nicht mehr im Sinne eines Kontrastes zwischen Staatshoheit und bürgerlicher Freiheit gegeneinander. Kommunale Selbstverwaltung und Staatsverwaltung beruhen heute auf demselben politischen Grundprinzip, der Demokratie.
Gemeinden und Kreise sind heute integrierte Bestandteile des Gesamtaufbaus unseres Staatswesens und sind nach der föderalistischen Grundentscheidung das wurde heute schon mehrmals betont —, genau gesagt, Glieder der Bundesländer und nicht des Bundes. In diesem Gesamtaufbau sind die Gemeinden und Kreise jedoch kraft Verfassungsrecht autonome Einheiten mit eigener politischer Individualität. Sie stützen sich auf eine eigene demokratische Legitimation. Wie keine andere Instanz sind deshalb die Gemeinden berufen und befähigt, die Angelegenheiten in ihrer örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln. Den Kreisen steht im übrigen dasselbe Recht für die ihnen zugewiesenen Aufgaben zu.
In diesem Wirkungskreis der Selbstverantwortung soll oder sollte sich der kommunalpolitische Wille ohne Weisung und ohne Vormundschaft des Staates entfalten können. Maßgebend für die Führung der Selbstverwaltungsangelegenheit muß deshalb der bürgernahe kommunale und darf nicht der staatliche Wille sein. So stellen sich die Gemeinden und Kreise als dezentrale Einheiten der eigenständigen Initiative und Entscheidung im Gesamtgefüge unserer Verwaltung dar.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Ich sehe hier eine Parallele zum Föderalismus. Die dezentrale demokratische Ordnung garantiert uns sowohl im Föderalismus als auch in der Selbstverwaltung die Lebendigkeit unseres Staatswesens.
Meine Damen und Herren, die lebendige Demokratie in den Gemeinden ist einer der zuverlässigsten Gradmesser für die Kraft unserer Demokratie überhaupt.

(Beifall bei der CDU/CSU)




Minister Schiess
Hier werden die Bürger am unmittelbarsten zur politischen Mitwirkung und Verantwortung aktiviert Die Betätigung in der Kommunalpolitik fördert auch das Interesse an der Landes- und der Bundespolitik. So gesehen — das hat heute schon einmal jemand gesagt — ist die Kommunalpolitik die Schule der Demokratie. Das hat im übrigen auch der verstorbene Bundeskanzler Konrad Adenauer bei jeder Gelegenheit zu betonen gewußt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn der Bürger nämlich erkennt, wie sich der demokratisch gebildete Wille unmittelbar in kommunalpolitische Taten umsetzt, wenn er weiß, wer für welche Entscheidung die Verantwortung trägt, dann wird er sich mit unserer demokratischen Ordnung in ganz anderer Weise identifizieren, als wenn dieser Verantwortungsbereich verwischt oder anonym wäre. In diesem Sinne ist die Selbstverwaltung unseres Staates eine starke Barriere gegen antidemokratische Kräfte.
Aus alledem folgt, meine Damen und Herren, daß dieser Gestaltungs- und Verantwortungsraum der kommunalen Demokratie nicht aufs Spiel gesetzt werden darf. Ich sehe mit Sorge eine Entwicklung, die diesem fundamentalen Anliegen unserer Selbstverwaltung zuwenig Rechnung trägt. Lassen Sie mich das etwas ausführen. Im heutigen sozialen Leistungsstaat umfaßt der kommunale Wirkungskreis die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Daseinsvorsorge in großem Umfang für die Bürger.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0712802800
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vohrer?

Dr. Manfred Vohrer (FDP):
Rede ID: ID0712802900
Herr Schiess, sehen Sie nicht den Widerspruch zwischen dem, was Sie hier zur Selbstverwaltung der Gemeinden und zu mehr Selbstverantwortung auf der Gemeindeebene ausführen, und dem, was Sie in Baden-Württemberg mit der Gemeindereform praktizieren, und sehen Sie nicht auch den Unterschied zwischen dem, was Herr Innenminister Maihofer hier zu dem Bürgerentscheid ausgeführt hat, und dem, was Sie in Baden-Württemberg praktizieren, wo Sie teilweise arrogant über die Entscheidung der Bürger hinweggehen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712803000
Ich bin bereit — ich werde das im Laufe meiner Ausführungen auch noch tun —, darzulegen, in welcher Weise wir, uns ausschließlich nach Verfassung und Recht richtend, eine Gemeindereform in unserem Lande durchgeführt haben, von der wir zutiefst überzeugt sind, daß sie a) notwendig und b) für die Selbstverwaltung in unserem Lande förderlich ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0712803100
Meine Damen und Herren, ich glaube, der Verhandlungsstil zwischen den Abgeordneten des Deutschen Bundestages und den Vertretern des Bundesrates sollte von besonderer Höflichkeit geprägt sein. Ich würde mich freuen, das Wort „arrogant" in diesem Zusammenhang nicht mehr zu hören.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Ein bißchen arrogant vielleicht? Meine Damen und Herren, ich hatte gesagt, daß die Selbstverwaltung eine umfassende Daseinsvorsorge für den Bürger zu gewährleisten hat und daß sich das nicht in der Befriedigung der Grundbedürfnisse erschöpft, sondern daß es sich dabei um die Gestaltung des gesamten Rahmens der menschlichen Lebensführung handelt. Darin sehe ich das Wesensmerkmal der deutschen kommunalen Selbstverwaltung. Selbstverständlich läßt sich dieser Wirkungskreis bei den zunehmend überörtlichen Verpflechtungen der Lebenszusammenhänge nicht mehr isoliert betrachten. Insoweit pflichte ich Ihnen, Herr Kollege Maihofer, bei. Hier aber beginnt und offenbart sich auch der echte Zielkonflikt zwischen Einheitslösung einerseits und der Eigenständigkeit und Vielfalt der kommunalen Selbstverwaltung andererseits. Dieser Zielkonflikt darf nicht ohne Not und schon gar nicht im Zweifel zugunsten der Einheitlichkeit entschieden werden. Die Gemeinde muß grundsätzlich der Mittelpunkt der eigenverantwortlichen Initiative und Entscheidung in ihrem Aufgabenkreis bleiben. Die Nähe zum Bürger, seine verantwortliche Mitwirkung und die Überschaubarkeit der Verhältnisse ermöglichen es besser als Bund und Land, die anstehenden Probleme im örtlichen Bereich wirksam anzugehen. Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, Sie haben vorhin den Hinweis gegeben, man dürfe die ehrenamtliche Tätigkeit nicht aushöhlen. Ich möchte Ihnen da durchaus zustimmen. Sie können diese ehrenamtliche Tätigkeit aber nur dann erhalten, wenn Sie, wie ich es soeben gesagt habe, die echte Selbstentscheidung der Gemeinde stärken. Denn wenn der Bürger das Gefühl bekommt, im Rahmen seiner Selbstverwaltung mehr Vollzugsorgan des Staates zu sein, als selber entscheiden zu können, dann erlischt die Freude an der ehrenamtlichen Tätigkeit und wächst eine Staatsverdrossenheit heran. Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen? Herr Staatsminister, würden Sie mir zustimmen, daß das, was Sie eben gesagt haben, noch einmal die Notwendigkeit der Funktionalreform deutlich unterstreicht? Aber natürlich! Dem möchte ich nicht widersprechen. Meine Damen und Herren, erst und nur — in zweiter Linie haben die Gemeinden und Landkreise auch staatliche Aufgaben wahrzunehmen, und zwar solche, die auf unmittelbaren Verkehr mit dem BürMinister Schiess ger zugeschnitten sind. Ich frage mich etwas, Herr Kollege Maihofer, warum die Bundesregierung diese Rangfolge der eigenen und staatlichen Aufgaben der Kommunen in ihrer Antwort auf die Große Anfrage genau umgekehrt dargestellt hat. Es muß uns aufhorchen lassen, wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort über die Gemeinden und Kreise fast so spricht, als wären sie zu einem großen Teil staatliche Vollzugsstellen. Meine Damen und Herren, die vom Grundgesetz und den Verfassungen der Länder verbürgte Stellung und Bedeutung der Gemeinden und Kreise, die ich hier skizziert habe, wird nun durch zwei grundlegende Umstände erheblich beeinträchtigt. Ich meine einmal die außerordentliche Zunahme der einschränkenden Eingriffe in die kommunale Autonomie und die immer tiefergreifende gesetzliche Regelung des kommunalen Aufgabenkreises. Ich meine zum zweiten die besondere finanzielle Abhängigkeit der Gemeinden und Kreise sowie die ständig zunehmende. staatliche Einflußnahme im Rahmen der finanziellen Dotierungen. Haben sich Gemeinden und Kreise zuvor weitgehend umfassend und frei in ihrem Wirkungskreis betätigen können und haben sie mit dem Ausbau von Einrichtungen der Versorgung gerade auch in der schweren Aufbauzeit nach dem Krieg — was heute mehrmals gesagt wurde — oftmals echte Pionierarbeit geleistet, so sind die gleichen Bereiche, in denen damals diese Pionierarbeit geleistet wurde, heute in weitem Umfang von der staatlichen Gesetzgebung reguliert oder von staatlicher Planung und staatlicher Investitionslenkung erfaßt. Vielfach sind sie in überörtliche Zusammenhänge überführt oder so eingehend im einzelnen durchgestaltet worden, daß auch der materielle Entscheidungsvollzug bereits weitgehend von außen bestimmt wird. Der eigene kommunale Wirkungskreis wird auf diesem Wege fortschreitend in einen staatlich vorgeordneten Wirkungsbereich verwandelt, in dem die Gemeinde oder der Kreis im Prinzip nachzuvollziehen haben, was andere bereits bestimmt haben. An dieser Entwicklung, so scheint mir, hat auch der Bund mit dem immer dichter werdenden Netz der bis ins einzelne gehenden Regelungen einen großen und erheblichen Anteil. Wer in der Verwaltung mit der Ausführung der Bundesgesetze befaßt ist, weiß dies zu würdigen. In der Antwort der Bundesregierung wird dazu — und Sie haben das vorhin noch einmal wiederholt — auf die immer stärker zunehmenden Verflechtungen hingewiesen, die immer weniger eine einzelgemeindliche Betrachtung zulassen. Zum Ausgleich wollen Sie nun auf die Aktivitäten der kommunalen Spitzenverbände auf Bundesund Landesebene verweisen. Diese Aktivitäten sind gewiß kein Ersatz für den fortschreitenden Schwund der eigenverantwortlichen Betätigungsmöglichkeiten der kommunalen Selbstverwaltung. Sie sind aber in dieser Lage notwendiger denn je. Deswegen scheint es mir — ich möchte mich hier vorsichtig ausdrükken — an der Zeit, daß die obligatorische Anhörung der kommunalen Spitzenverbände auch bei der Vorbereitung kommunal bedeutsamer Gesetze und Verordnungen des Bundes verankert wird. Ich darf Ihnen dazu sagen: In Baden-Württemberg ist das Anhörungsrecht der kommunalen Landesverbände seit jeher sogar verfassungsrechtlich gewährleistet. (Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Hört! Hört!)

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712803200

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0712803300
Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712803400
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712803500



Aus dieser Verfassungsbestimmung ergibt sich auch eindeutig, daß man sich in unserem Lande immer darüber im klaren war, daß kommunale Spitzenverbände nicht mit irgendwelchen anderen Verbänden oder Interessengruppen gleichgesetzt werden dürfen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung unternimmt nun den Versuch, das fortschreitende bundesgesetzliche Eindringen in den Aufgabenbereich der kommunalen Selbstverwaltung mit übergreifenden Zwangsläufigkeiten zu rechtfertigen. Wir wollen die Augen keineswegs vor so manchem dringenden Bedürfnis im einzelnen verschließen, aber auf diesem Altar der Bundeseinheitlichkeit darf nichts an kommunaler Substanz geopfert werden.
Ich bestreite nicht, daß hier auch die Länder gelegentlich an eine sündige Brust zu klopfen haben. Ich meine allerdings nicht, daß in diesen Zusammenhang die Frage der Überführung der kommunalen Polizei in die staatliche Polizei gehört; ich bin aber gern bereit, mit dem Herrn Kollegen darüber ein Privatissimum abzuhalten.
Hier muß in jedem Einzelfall — und das scheint mir nun wichtig zu sein; damit kommen nämlich die Sünden — unter Berücksichtigung der ganzen Tragweite und Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung echt abgewogen werden, was man regeln muß und was man den Gemeinden überlassen kann. Denn es ist — und daher kommt, glaube ich, die schwierige Lage — nicht so sehr die Erfassung einzelner Angelegenheiten, wodurch die Eigenverantwortlichkeit der kommunalen Initiative und Entscheidung gefährdet wird; die akute Gefahr geht von der Summierung dieser Reglementierungen aus, welche die kommunalpolitische Individualität zu Fall bringen und die Gemeinden und Kreise substantiell und strukturell eben nahe an staatliche Vollzugsinstanzen führen.
Meine Damen und Herren, statt der immer stärkeren gesetzlichen Ein- und Anbindung sollte wieder mehr auf die freie kommunalpolitische Kraft und auf die verantwortungsvolle Einsicht der Kommunen in die bestehenden Zusammenhänge vertraut werden. In sämtlichen Flächenstaaten der Bundesrepublik ist die Herausforderung — und ich darf es noch einmal betonen: die Herausforderung — zu einer kommunalen Neuordnung der Gemeinden angenommen worden. Ich meine, die kommunale Neuordnung — der Kollege hört mir jetzt leider nicht zu — stärkt die Verwaltungskraft und Leistungsfähigkeit der Gemeinden und Landkreise; wir glauben, daß sie die Leistungserwartungen der Bevölkerung in die Gemeinde verstärkt und die Gemeinden auch in den Stand setzt, diese Erwartungen zu erfüllen.
Obwohl die Gemeindereformen im Gebietlichen noch nicht in allen Ländern abgeschlossen sind —

Minister Schiess
im Funktionellen noch etwas weniger —, werden wir immerhin am 1. Janunar 1975 statt früher 24 282 noch zwischen 10 000 und 11 000 Gemeinden haben; bei den Landkreisen hat sich die Zahl von 425 auf 249 verringert. Diese Zahlen zeigen den tiefgreifenden Wandel in der Kommunalstruktur der Bundesländer, der bei aller Schmerzlichkeit des Erneuerungsprozesses von den Ländern und der kommunalen Selbstverwaltung einzig und allein deshalb vorgenommen wurde, um die Funktionsfähigkeit für die Zukunft zu sichern. Die von den Kommunen und den Bürgern durchgestandene Neuordnung muß deshalb auch — sonst wird sie unvollkommen bleiben — den Wert der kommunalen Autonomie steigern; sonst wäre der Sinn dieser großen Opfer und Anstrengungen in Frage gestellt.
Das zweite, das hier als einer der starken Eingriffe in die Selbstverwaltung einschlägt, ist der stramme finanzielle Zügel, der die eigenverantwortliche Initiative und Enascheidung der Gemeinden und Landkreise stört. Es besteht bei allen politisch Verantwortlichen Einigkeit, daß zur verfassungsrechtlichen Garantie der Selbstverwaltung auch eine angemessene Finanzausstattung gehört. Dem entsprechen die finanzrechtlichen Garantien für die Gemeinden und Gemeindeverbände in den Artikeln 106 und 107 des Grundgesetzes. Leider sind die Kommunen in Wirklichkeit aber eben nicht ihren Aufgaben entsprechend an den gesamten öffentlichen Einnahmen beteiligt. Unseren Gemeinden fehlen heute durchgängig frei verfügbare Finanzmittel,

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

die sie für eigenverantwortliche Aufgabenerfüllung benötigen, mehr benötigen als die Länder und der Bund. Unter diesen unangemessen starken finanziellen Engpässen leidet die kommunale Autonomie. Hierzu kommt noch eine Art Fernsteuerung über zweckgebundene Dotationen mit der Folge, daß man mit diesem goldenen Zügel die Gemeinden zu Entscheidungen veranlaßt und zwingt, ohne daran zu denken, daß nicht nur die Investitionen, sondern auch die Folgekosten den finanziellen Rahmen der Gemeinden einengen und einzwängen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte hier nicht den Ausführungen vorgreifen, die heute nachmittag mein Kollege, Finanzminister Gaddum, zu diesen finanziellen Fragen vortragen wird. Ich meine, dies scheint das ernsteste und wichtigste Problem zu sein, denn alle theoretischen Aussagen über die Selbstverwaltung vertrocknen auf der Strecke, wenn man nicht auch die entsprechende finanzielle Ausstattung parallel zu diesen Aufgaben lenkt.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, es zieht nicht, wenn Sie hier vorhin dieses auf die Länder ablenken und ableiten wollten. Wir haben unsere primäre Verantwortlichkeit nie bestritten. Wir haben auch — wieder einmal in unserem Lande — eine Verfassungsbestimmung, in der steht, daß, wenn wir einer Gemeinde durch Gesetz neue Aufgaben übertragen, gleichzeitig eine Regelung für die dadurch entstehenden finanziellen Lasten zu erfolgen hat. Das beschränkt sich aber auf unsere Landesgesetzgebung. Wenn Bundesgesetze neue zusätzliche Lasten und Aufgaben bringen, hilft dies nicht. Im übrigen kann kein Land mehr an seine Gemeinden geben, als es selbst besitzt. Ich darf Ihnen hier aber sagen, daß unser Land im kommenden Haushaltsjahr die Ausfälle, die durch die Steuerreform und durch den Mindereingang an Steuern eintreten werden, nicht auf die Kommunen weiterwälzen, sondern die kommunalen Finanzausgleichsleistungen in voller Höhe durchtragen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, zum Schluß dieses Plädoyers für die Erhaltung und Förderung der kommunalen Selbstverwaltung lassen Sie mich bitte noch etwas ausdrücklich feststellen, was vielleicht in diesem Hohen Hause nicht ganz so gern gehört wird, daß nämlich der zunehmende Durchgriff des Bundes auf das Tätigkeitsfeld und die politische Individualität der Gemeinden auch das Eigenorganisationsrecht der Länder stark berührt. Die Gemeinden und Kreise sind heute unbestritten Teil der Verwaltungsorganisation der Länder. Deswegen haben die Länder die Gesetzgebungskompetenz für das Kommunalverfassungsrecht. Wenn entgegen dieser föderalistischen Grundentscheidung immer wieder einmal mit einer Rahmenkompetenz des Bundes für die kommunalen Organisationen kokettiert wird, etwa mit der Begründung einer .möglichst großen Einheitlichkeit des kommunalen Verfassungsrechts, dann darf ich Ihnen sagen, daß die Länder dem mit aller Entschiedenheit entgegentreten werden.

(Dr. Schäfer [Tübingen] [SPD] : Die Frage wurde auch nicht hier aufgeworfen)

— Ich habe nicht gefragt, wer es gesagt hat, Herr Kollege Schäfer. Ich bin überzeugt, daß es überall schon gesagt wurde und man überall daran gedacht hat, ohne Rücksicht darauf, welcher Farbe der Träger zugehört. Das gestehe ich Ihnen zu. Genauso entschieden werden Sie von den Ländern hier — ohne Rücksicht auf die Farbe der Landesregierung — ein hartes Nein hören. Ich meine, für die berechtigten Zwecke des Bundes weisen die verschiedenen kommunalen Organisationssysteme genügend Gleichmäßigkeit auf. Wenn weitere Angleichungen notwendig sind, wenn ein Bedürfnis dafür besteht, werden die Länder mit Sicherheit von sich aus bemüht sein, dem Rechnung zu tragen.
Es muß noch einmal mit aller Deutlichkeit gesagt werden, daß ein föderalistisches Staatswesen unterschiedliche Regelungen nicht nur ertragen kann, sondern die Mannigfaltigkeit der demokratischen Institutionen bewahren muß.
Meine Damen und Herren, ganz zum Schluß dies: Lebendiger Föderalismus und lebendige Selbstverwaltung sind wichtige, entscheidende Garanten unserer demokratischen Grundordnung. Ich meine, wir alle — Bund, Länder und Sie alle in diesem Hohen Hause — sollten uns deshalb gemeinsam bemühen, Föderalismus und kommunale Selbstverwaltung zu stärken, wo immer es geht.

(Beifall bei der CDU/CSU)





Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0712803600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jahn (Münster).

Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0712803700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte zeigt, daß die Qualität des Lebens nicht allein im wissenschaftlichen Kolleg von Herrn Minister Maihofer erblickt werden kann. Als, Herr Minister, Freiherr vom Stein im 19. Jahrhundert seine Kommunalreform durchführte, wollte er nicht so sehr die Effizienz der Verwaltung verbessern, sondern insbesondere den Bürgern durch die Gemeindeautonomie einen gesicherten Bestand an bürgerschaftlicher Selbstverwaltung gewährleisten. Angesichts der Überbürdung der Gemeinden mit staatlichen Aufgaben und der immer stärkeren Einbeziehung der Kommunalverwaltung in das Gewebe zentralstaatlicher Verwaltungen müssen wir heute eine Art Neuauflage der Kommunalreform anstreben.
Es geht darum, dem Bürger mehr Mitwirkungsrechte auf der Gemeindeebene und auf der Kreisebene zu geben. Die fortschrittliche Gemeindeordnung des Landes Rheinland-Pfalz zeigt den richtigen Weg.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

Der Nürnberger SPD-Kommunalkongreß hat sich nur noch an diesen Zug angehängt.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Es geht aber nicht nur darum, dem einzelnen Bürger in der Gemeinde mehr Mitwirkungsrechte zu geben. Heute bahnt sich in diesem Hohen Hause ja geradezu ein Wettbewerb an, auch den kommunalen Spitzenverbänden eine verstärkte Mitwirkung an der Gestaltung der Gesetzgebung des Bundes zu geben. Das ist deshalb notwendig, weil wir in einem Zeitalter der permanenten Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung durch die Subventionsverwaltung des Bundes und des Landes leben. Die gemeindliche Planungshoheit wird ausgehöhlt durch staatliche Standortförderung, durch Entwicklungsplanung, durch Subventionsverwaltung — wie schon gesagt — und durch die Begründung neuer gesetzlicher Aufgaben, die vielfach unter Mißachtung des Subsidiaritätsprinzips der privaten Initiative oder der kommunalen Selbstverwaltung entzogen werden.
Wollen wir vom Gießkannenprinzip weg — das müssen wir alle, auch strukturpolitisch, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen —, dann kann nicht mehr in jeder Gemeinde ein Hallenbad gebaut werden. Das zentralörtliche Gliederungsprinzip, die Konzentration in der Fläche, zeigt den richtigen Weg für den geeigneten Standort. Die Frage des „Ob" einer jeden kommunalen Einrichtung wird damit nicht mehr von der Gemeinde allein geplant.
Allerdings müssen die Grenzen dieser Tangierung der kommunalen Planungshoheit eingehalten werden. Die Ministerialbürokratie draußen im Lande ist schon lange dabei, generell immer mehr Einfluß darauf zu nehmen und zu bestimmen, was in den einzelnen Gemeinden und Kreisen planerisch geschieht und künftig geschehen soll. Der Trend geht dahin, daß der Staat die Entwicklungsplanung der
Gemeinde nicht nur einzuengen, sondern sogar zu gestalten versucht.
Es erfüllt daher die CDU/CSU mit großer Sorge, wenn sie sieht, wie in der Novelle zum Bundesbaugesetz die gemeindliche Planungshoheit tangiert wird, insbesondere auch bei der sogenannten Entwicklungsgenehmigung. Hier werden wir eine zentrale Aussprache im Ausschuß benötigen. Ist es nicht widersprüchlich — so frage ich —, auf dem Kommunalkongreß der SPD von der Bürgerbeteiligung und Demokratisierung der Planung zu sprechen, auf der anderen Seite aber mehr und mehr die Gemeinde als die Entscheidungsebene, auf der der Bürger die meiste und unmittelbare Möglichkeit der Mitsprache hat, aus der Verantwortung für die örtliche Planung zu verdrängen.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

Wenn, wie noch immer in einigen Bundesländern, nicht alle Gemeinden eine ausreichende Leistungskraft haben — und das wird zugestanden —, um die örtlichen Angelegenheiten sachgemäß ausführen zu können, so ist dies ein Faktum, das der Bundesgesetzgeber nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Mittels nicht durch die Hochzonung der Planungshoheit, sondern der Landesgesetzgeber durch die kommunale Gebietsreform zu lösen hat.
Einschneidend für die kommunale Planungshoheit wirkt sich weiter aus, daß der Staat die Genehmigung von Bauleitplänen der Gemeinden von den Prinzipien seiner Förderungspolitik abhängig macht. Schauen wir draußen in die politische Landschaft: Nicht mehr derjenige hat die Macht, der nach dem Gesetz die Kompetenz hat, sondern derjenige, der die Subventionsverwaltung steuert, und dies kann nicht so weitergehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zugegeben: die einzelne Gemeinde darf nicht isoliert gesehen werden, so wie auch der Bürger die einzelne Gemeinde nicht mehr isoliert sieht. Die einzelne Gemeinde darf erst recht nicht im Gegensatz zur Nachbargemeinde gesehen werden. Die einzelne Gemeinde ist keine autarke Festung, sie ist eingebettet und in ihrem eigenen Fortschritt abhängig vom Raum, vom Kreis, von der Region, vom Land und auch vom Bund.
Schon heute ist der Einfluß des Bundes auf die Kommunalpolitik fast so groß wie der Einfluß der Länder. In vielen Bereichen werden überregionale Ziele und Leitlinien künftig vom Bund und den Ländern gewiesen werden. Das bedeutet einen steigenden Planungsverbund aller Verwaltungsebenen, ein Faktum, das der Politiker nicht übersehen darf. Wir sollten ebenso offen auch hier vor diesem Hohen Hause sagen, daß die alte Selbstverwaltungsherrlichkeit, die zuweilen bei Festreden in der Zitierung des Satzes gipfelt: „Die Gemeinden sind wichtiger als der Staat", hinter uns gelassen werden muß. Denn die Disparität zwischen dem Anspruch einer überholten Selbstverwaltungsideologie und der Wirklichkeit wird immer größer.



Dr. Jahn (Münster)

Aber andererseits: Die Selbstverwaltungsebene bleibt auch für die Zukunft — und das ist heute von allen Seiten angeklungen — eine unverzichtbare Stufe im Verwaltungs- und Staatsaufbau. Das Grundgesetz gewährleistet ihre institutionelle Garantie. Die kommunale Selbstverwaltung muß klare Zuständigkeiten behalten. An ihrem Wesenskern, insbesondere der Planungshoheit, darf nicht gerüttelt werden. Die Gemeinde hat dem Bürger diejenigen öffentlichen Einrichtungen zu bieten und diejenigen privaten Dienstleistungen zu fördern, die er zur Verwirklichung seiner Lebensziele braucht. Die vom Bundesverfassungsgericht bekräftigte Regelungsbefugnis der Gemeinden für die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft darf nicht eingeschränkt werden. Darüber hinaus hat die Gemeinde die überörtlichen Planungen und Maßnahmen umzusetzen und in den örtlichen Bereich einzupassen. Dies sind Aufgaben von hohem Rang, zwar nicht gleichartig, aber auf jeden Fall gleichwertig gegenüber den Aufgaben des Bundes und der Länder. Die kommunale Selbstverwaltung muß von der Verfassung garantiert bleiben. Sie wird aber nur dann im Bewußtsein unserer Bevölkerung angenommen und respektiert werden, wenn sie durch ihre Überschaubarkeit und durch ihre Ortsnähe überzeugt.
Die kommunale Selbstverwaltung, wichtiger Garant der Machtverteilung und der Mitbestimmung des Bürgers im Staat, darf nicht zu zentralistischen Tendenzen führen. Die sich ausweitende Politik der Staatsdotationen und die Politik des „goldenen Zügels" zerstören auf Dauer in diesem Ausmaße die Eigenverantwortlichkeit unserer Bürger. Freie Trägerschaften und positive Bürgerinitiativen in Städten, Gemeinden und Kreisen sind nach Auffassung unserer Fraktion ein wesentliches Lebenselement der kommunalen Selbstverwaltung. Kommunalsozialismus ist kein bürgerfreundlicher Weg für die Zukunft.

(Lenders [SPD] : Dolle Wortschöpfung! — Weitere Zurufe von der SPD — KrollSchlüter [CDU/CSU] : Das trifft! Wiederholen Sie das noch einmal!)

— Herr Kollege, das trifft, und Sie zwingen mich dazu, dann auf die Zielaussagen Ihres SPD-Kommunalkongresses einmal zu sprechen zu kommen. In der Präambel Ihres Kongresses steht der Satz — ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren —:
Das programmatische Ziel der Sozialdemokratischen Partei ist die Veränderung der bestehenden Gesellschaft zu einer neuen Gesellschaft, die für jeden einzelnen die freie Persönlichkeitsentfaltung ... gewährleistet.
Das ist der erste Satz Ihrer Präambel.
Mit diesem verbalen Lippenbekenntnis zur freien Persönlichkeitsentfaltung hat es dann aber in Ihrer Präambel von Nürnberg sein Bewenden. Für den Grundsatz, daß der Staat und die Gemeinde — wie Herr Kollege Waffenschmidt heute morgen schon ausführte -- nicht an sich ziehen sollen, was Menschen selbst füreinander tun können und wollen, ist in der Ideologie der SPD offensichtlich kein Platz. Das Wort „einzelner" in der Präambel des kommunalpolitischen Grundsatzprogramms wird immer wieder negativiert, und zwar mit den Zusätzen: privater oder wirtschaftlicher Vorteil. Positiviert werden dagegen die Interessen der großen Mehrheit und die gesamtwirtschaftlichen Bedürfnisse. Hier zeigt sich — den Vorwurf kann ich an die Adresse der Sozialdemokratie nicht ersparen — eine eindeutig kollektivistische Grundrichtung auch in der Kommunalpolitik der SPD.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Damit Sie nicht sagen, die Behauptung stehe im Raum, aber der Beweis wird nicht geliefert, möchte ich Ihnen auch den Beweis antreten.
Erstens. In der Raumordnungsdebatte hat sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Grundsatz der freien Entfaltung der Persönlichkeit in der Gemeinschaft eingesetzt. Wir haben den zuständigen Minister, der hier im Saal ist, Herrn Minister Ravens, gefragt, warum die Bundesregierung in der Beantwortung der Großen Anfrage mit keinem Worte hierauf eingegangen ist. Die Frage ist nicht beantwortet worden.
Zweiter Punkt — das ist ja durchgängig —: Nehmen Sie Ihre Mitbestimmung! Die Rechte des einzelnen Arbeitnehmers sind zurückgestellt zugunsten des Wahlmännergremiums.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : So ist es!)

Das ist keine Politik für den einzelnen Arbeitnehmer, sondern für eine verstärkte Machtposition der Gewerkschaften.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Carstens [Fehmarn] .[CDU/CSU]: Das versteht jeder Arbeiter!)

Und wenn Sie mich dazu zwingen, Herr Kollege Schwencke, auch noch einiges mehr: Was haben wir denn in der Eigentumspolitik? Wir beraten zusammen im Ausschuß ein Gesetz zur breiten Streuung des privaten Eigentums. Ihre Regierung bekennt sich draußen im Lande verbal zu diesem Prinzip, und in diesem Gesetzentwurf nehmen Sie Abschied von der Zielsetzung.

(Zuruf von der SPD: Stimmt nicht!)

— Ich darf zitieren, wenn das bestritten wird. Nach geltendem Recht dient der Wohnungsbau zwei Zielsetzungen: erstens zur Beseitigung der Wohnungsnot und zweitens zur breiten Eigentumsstreuung. Es heißt im geltenden Recht wörtlich: ... zugleich weite Kreise des Volkes durch Bildung von Einzeleigentum mit dem Grund und Boden zu verbinden." Das ist geltendes Recht. Eine CDU-Regierung hat das geschaffen.
Dieselbe Bundesregierung, die sich draußen im Lande verbal zu diesem Prinzip bekennt, hat von der zweiten Zielsetzung Abschied genommen, indem sie in der Novellierung diese zweite Zielsetzung ersatzlos gestrichen hat.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Das muß auch einmal ganz deutlich gesagt werden.



Dr. Jahn (Münster)

Ein Drittes, wenn Sie mich schon zur Angabe von Beispielen zwingen, Herr Kollege Schwencke: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung — Drucksache 7/577 — geht davon aus, daß überwiegend zugunsten unserer sozial Schwachen echtes privates Eigentum gebildet werden soll. 51 % steht im Gesetzentwurf der Regierung Brandt. Jetzt erleben wir von der Bundesregierung Schmidt ein Abweichen von diesem Prinzip. Hier geht die Bundesregierung nicht einen Schritt nach rechts, sondern nach links, indem sie von der Zahl 51 %, d. h. von dem Wort „überwiegend" in den Ausschußberatungen abweichen will. Die Frage an Sie: Ist das eine Politik, die in die Richtung geht, von der man sagen kann, daß sie eine Politik für den einzelnen ist?

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0712803800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Möllemann?

Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0712803900
Bitte schön.

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID0712804000
Herr Kollege, wenn Sie so schlicht und ergreifend definieren, wer demokratisch denkt und wer nicht, müssen Sie sich schon die Frage gefallen lassen: Erscheint es Ihnen nicht sonderbar, daß Sie die Problematik des Wahlmännergremiums als eine undemokratische Lösung bezeichnen, während Sie selbst in Münster gar nicht von ihren Parteimitgliedern, sondern von Wahlmännern Ihrer Partei nominiert worden sind?

(Rawe [CDU/CSU] : Der hat keine Ahnung, wie das auf unserem Parteitag gemacht wird!)


Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0712804100
Herr Kollege Möllemann, ich rede hier nicht von dem kommunalen Wahlmännergremium in bezug auf den einzelnen Bürger, sondern von mehr Beteiligung des einzelnen Bürgers im Gegensatz zum Kollektiv.

(Rawe [CDU/CSU] : Bei uns entscheiden das — anders als bei Ihnen, Herr Möllemann — Parteitage!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0712804200
Gestatten Sie eine Zusatzfrage des Abgeordneten Möllemann?

Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0712804300
Bitte schön!

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU] : Es waren mehr Delegierte da, als er Parteifreunde in Münster hat! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0712804400
Ich möchte nicht, daß Unterhaltungen außerhalb der an den Redner gerichteten Zwischenfrage stattfinden.

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID0712804500
Konkret hieß die Frage: Warum lassen Sie dann nicht Ihre einzelnen Parteimitglieder darüber entscheiden, wer sie vertritt? Sie haben auch Wahlmänner. Genau das gleiche Prinzip gibt es in anderen Bereichen ebenfalls.
Dann müßten Sie auch hier hingehen und dieses Prinzip in Ihrer eigenen Partei kritisieren.

(Zurufe von der CDU/CSU)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0712804600
Herr Abgeordneter Möllemann, Sie müssen Ihre Ausführungen in die Frageform kleiden.

Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0712804700
Herr Kollege Möllemann, wir haben in Münster Gott sei Dank so viele kräftige und überzeugende CDU-Mitglieder,

(Dr. Ritz [CDU/CSU] : Mehr Mitglieder als er Wähler!)

daß wir im Moment vom Prinzip der Urwahl praktisch nicht Gebrauch machen können.

(Lachen bei der SPD und der FDP)

Dadurch wird aber die Demokratie nicht auf den Kopf gestellt. Sonst müßte ja auch hier im Deutschen Bundestag eine Urabstimmung stattfinden.

(Rawe [CDU/CSU] : Herr Jahn, Sie hätten ihn davon unterrichten müssen, daß bei der Aufstellung mehr Mitglieder anwesend waren, als seine Partei in Münster Mitglieder hat!)

— Richtig, ja.
Meine Damen und Herren, hier muß ein Weiteres zur Wohnungsbaupolitik gesagt werden. Herr Minister Ravens wird wahrscheinlich noch in dieser Debatte dazu sprechen. Nach den bisherigen Vorschriften des Bundesbaugesetzes sollen die Bauleitpläne die Eigentumsbildung im Wohnungswesen fördern. Durch die Novelle zum Bundesbaugesetz ist dieser Grundsatz erheblich abgeschwächt worden. Erst auf den Einspruch des Bundesrates hin hat die Bundesregierung einer Formulierung zugestimmt, nach der bei der Bauleitplanung die Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung berücksichtigt werden soll. Dies ist ein Punkt, den ich soeben angesprochen habe und an dem Sie sehen, daß man in der Regierung Schmidt im Moment von dem Ziel „überwiegend" echte Eigentumspolitik draußen im Lande abgeht. Dies ist eine Abweichung vom Gesetzentwurf. Es ist nicht ein Schritt nach rechts, sondern ein Schritt nach links.
Ein Letztes. Auf dem Gebiet der Wohnungsbaupolitik wird uns in den nächsten Wochen der Wohnbesitzbrief schmackhaft gemacht werden. Damit wird nicht die Position des einzelnen Mieters, sondern die Position des Eigentümers und die Position des Vermieters gestärkt. Dies ist ein Novum. Geschaffen werden sollen der Eigentümer ohne Eigenkapital und der Eigentümer ohne Risiko. Nach diesem Modell, geboren bei der Neuen Heimat, getauft von der SPD, geschluckt von der FDP, hat der Mieter 15 % der Bausumme des Objekts, das er bewohnt, als Zuschlag zur Kostenmiete aufzubringen. Außerdem trägt er, der Mieter — nicht der Vermieter, der Eigentümer —, das Mietausfallrisiko für leerstehende Wohnungen. Diese Politik zugunsten des Eigentümers und zu Lasten des Mieters erfolgt nur deshalb, weil der Eigentümer, der den Wohnbesitzbrief herausgibt, nach den Vorstellungen der Regierung



Dr. Jahn (Münster)

kein einzelner Privatmann mehr sein darf, sondern im Grunde nur große Wohnbaugesellschaften. Dies ist Politik für das Kollektiv und hat mit einer Wohnungsbaupolitik zugunsten einzelner recht wenig zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Minister Ravens, Sie wollen im Bundesbaugesetz das Vorkaufsrecht ausdehnen, gleichzeitig aber die Reprivatisierung zugunsten einzelner einschränken. Das Eigentum bleibt also bei der Gemeinde und kommt nicht dem privaten Einzelnen zugute.

(Bundesminister Ravens: Wo steht das?)

— Ich komme noch darauf. Gemäß dem SPD-Parteitagsbeschluß soll künftig kein Quadratmeter Grund und Boden, der im Eigentum von Bund, Land oder Gemeinde steht, mehr an Private veräußert werden. Ich habe das Programm hier bei mir. Dies ist kein bürgernaher Individualismus, sondern ideologischer Sozialismus.
Die kommunale Selbstverwaltung in der Bundesrepublik bedarf der Stärkung und Weiterentwicklung zugunsten der freien Entfaltung der Persönlichkeit, und zwar der Einzelpersönlichkeit. Die Verfassungsgarantie muß durch evolutionäre, nicht durch gesellschaftsverändernde Strukturen gestärkt werden. Dazu gehört die Beteiligung der Kommunen an der staatlichen Planung und an der Gesetzgebungsarbeit. Die CDU/CSU begrüßt deshalb die Antwort der Bundesregierung, wonach sie überprüfen will, ob es möglich sei, die Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände in der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien festzulegen. Jedoch vertreten wir die Auffassung, daß es bei diesen verbalen Bekundungen, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, allein nicht sein Bewenden haben darf. Aus diesem Grunde fordern wir die Bundesregierung in dem Ihnen vorliegenden Entschließungsantrag auf, an Stelle der bisher unverbindlichen Informationsmöglichkeit in der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien nunmehr bindend festzulegen, daß bei der Vorbereitung von Gesetzentwürfen, Rechtsverordnungen und wichtigen Verwaltungsvorschriften und Programmen, die Belange der kommunalen Selbstverwaltung berühren, die kommunalen Spitzenverbände an den Beratungen rechtzeitig beteiligt werden. Wir werden den Antrag stellen — ich darf ihn namens der Fraktion jetzt schon stellen —, unseren Entschließungsantrag an den Innenausschuß zu überweisen.
Das Erfordernis, den kommunalen Spitzenverbänden Anhörungs- und Mitspracherechte einzuräumen, ergibt sich einmal aus dem bundesstaatlichen Bezug der kommunalen Selbstverwaltung, aber auch aus der Sonderstellung der kommunalen Spitzenverbände. Die Gemeinde bildet keinen in sich geschlossenen Lebenskreis mehr. Ihre Tätigkeit spielt sich vielmehr in einem administrativen wie auch finanziellen Verbund zu Bund und Land ab, und Entsprechendes gilt für die Kreise.
Das Selbstverständnis der kommunalen Spitzenverbände geht mit Recht dahin, daß sie sich keineswegs als Interessenverbände neben anderen Verbänden betrachten, sondern als Vertreter des allgemeinen Interesses gegenüber Gruppeninteressen. Der wesentlichste Unterschied liegt klar zutage: Die Mitglieder der kommunalen Spitzenverbände sind nicht nur Körperschaften des öffentlichen Rechts, sondern gleichzeitig Gebietskörperschaften! Gebietshoheit steht nur dem Staat, den Gemeinden und Gemeindeverbänden zu. Während in den anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts berufsständische oder sonstige Gruppen der Bevölkerung zusammengeschlossen sind, gehören zu den gemeindlichen Gebietskörperschaften alle Einwohner des Gemeindegebietes, mithin zur Gesamtheit dieser Gebietskörperschaften alle Bürger der Länder und des Bundes. Damit besteht eine unterschiedliche Wertrelativität zwischen den Verbänden, die auch öffentliche Interessen vertreten, und den kommunalen Spitzenverbänden darin, daß jene ein Gruppeninteresse, diese aber Gesamtinteressen vertreten. Es gibt zweifellos auch andere Verbände, die öffentliche Interessen wahrnehmen; aber es sind immer Gruppeninteressen. Nur bei den kommunalen Spitzenverbänden sind es Gesamtinteressen.
Nach dem Grundgedanken der repräsentativen Demokratie werden die Bundesgesetze vom Bundestag und somit von Abgeordneten beschlossen, die Vertreter des ganzen Volkes sind und ein allgemeines politisches Mandat haben. Meine Damen und Herren, unser Entschließungsantrag trägt diesem Verfassungsverbot der Beeinträchtigung von Parlamentskompetenz und Regierungsverantwortung Rechnung. Unser Entschließungsantrag erstreckt sich nämlich nicht auf eine Mitwirkung an der Entscheidung, sondern nur auf eine Mitwirkung an der Meinungsbildung. Es entspricht dem Rang der kommunalen Selbstverwaltung, ihr über ihre Spitzenverbände Beteiligungsrechte an der Gesetzgebung und an Gemeinschaftsplanungen des Bundes in diesem Umfang zuzubilligen. Hiermit soll gewährleistet werden, daß Planung und Gesetzgebung selbstverwaltungsgerecht sind. Kommunale Erfahrungen und Vorstellungen sollen bereits in die staatlichen Zielvorgaben einfließen. Der Gesetzgeber soll gehalten sein, sich dort zu informieren, wo die Erfahrungen über die Auswirkungen der Gesetze gesammelt werden. Es soll der Basisferne des Bundes entgegengetreten, die Entscheidung am „grünen Tisch" vermieden werden.
Herr Kollege Engelhard, Sie haben dann gesagt, man sollte alles aus einem Guß machen und doch die Erfahrungen, die in der Enquete-Kommission gesammelt werden, abwarten. Wir von unserer Fraktion sind nicht dieser Auffassung, die Sie hier vertreten haben. Die Enquete-Kommission hat nämlich ausweislich der Drucksache 7/2409 die Aufgabe, sich mit der Stellung der Gemeinden in der verfassungsrechtlichen Ordnung zu befassen. Dementsprechend haben die kommunalen Spitzenverbände auch Vorschläge vorgelegt, die auf eine bessere Berücksichtigung der kommunalen Gebietskörperschaften in der Verfassung des Bundes abzielen. Was wir hier wollen, ist nicht eine Änderung des Grundgesetzes, sonder eine Änderung der Geschäftsordnung. Vielleicht fällt es Ihnen dadurch leichter, unserem Antrag auf



Dr. Jahn (Münster)

Verweisung in den Innenausschuß und auf wohlwollende Behandlung dort zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der CDU/ CSU hätte es begrüßt, wenn die Regierungserklärung Schmidt die Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung für das gesamtstaatliche Wohl ausdrücklich hervorgehoben hätte. Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen hat das heute morgen sehr elegant gemacht. Er hat das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung und das Bekenntnis seitens der Bundesregierung zur kommunalen Selbstverwaltung nicht aus der Regierungserklärung Schmidt, sondern aus einer Regierungserklärung eines früheren Kanzlers abgeleitet, und zwar nur deshalb, weil in der Regierungserklärung Schmidt hierüber auch nichts zu lesen ist.

(Dr Waffenschmidt [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren, dies kann heute nur nachgeholt werden. Denn die Aussage des Herrn Kollegen Schmitt-Vockenhausen war zwar elegant, aber der Sache nach konnte er aus der Regierungserklärung Schmidt dazu nichts zitieren.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0712804800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schwencke?

Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0712804900
Bitte schön, Herr Kollege Schwencke!

Dr. Olaf Schwencke (SPD):
Rede ID: ID0712805000
Herr Kollege Dr. Jahn, können Sie mir sagen, welche CDU-Regierungserklärung eine Aussage zu dieser Frage gemacht hat?

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Kiesinger! — Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Kiesinger und Erhard!)


Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0712805100
Lesen Sie die Regierungserklärungen unserer früheren Kanzler — sowohl die von Herrn Kiesinger als auch die von Herrn Erhard — durch, dann werden Sie darauf stoßen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Adenauer?! — Rawe [CDU/CSU] : Den brauchen Sie nicht zu zitieren, der hat das sowieso immer gesagt! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wir bitten Sie, unserem Antrag zuzustimmen und auch zu unseren Überlegungen in den Ausschußsitzungen, insbesondere im Innenausschuß, ein wohlwollendes Bekenntnis abzulegen.
Lassen Sie mich mit folgendem Satz schließen: Gerade in diesem Jahr, in dem uns unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung an das 25jährige Bestehen des Grundgesetzes erinnert, dankt die Fraktion der CDU/CSU den kommunalen Selbstverwaltungen, den Bürgern draußen im Lande ausdrücklich für all das, was sie hauptamtlich, vor allem aber für all das, was sie ehrenamtlich zum
Aufbau unseres Staates in Freiheit beigetragen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0712805200
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0712805300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte, bevor ich zu dem finanzwirtschaftlichen Teil dieser Debatte, der eine große Rolle spielt, auch in der Großen Anfrage der Opposition, Stellung nehme, drei Vorbemerkungen machen.
Erste Vorbemerkung: Es trifft nicht zu, Herr Kollege Eilers, wenn Sie aus dem Nicht-Nennen in der Regierungserklärung Helmut Schmidts meinen ableiten zu können, daß die Kommunen für uns in unserer Politik eine Quantité négligeable wären. Wenn Sie diese Regierungserklärung genau lesen, werden Sie feststellen, daß der Bundeskanzler sie ausdrücklich unter das Motto „Kontinuität und Konzentration" gestellt hat. Und wir sagen immer wieder zu Recht — ich bitte Sie, das genauso ernst zu nehmen, wie es gemeint ist — daß das, was nicht genannt ist, natürlich weiterhin Grundlage unserer Arbeit bleibt.

(Beifall bei der SPD — Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Nur muß man wissen, was eigentlich!)

— Z. B. dieser Bereich und die Bedeutung, die wir diesem Bereich zumessen.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Sehr gut, daß das gesagt worden ist!)

Wenn Sie, Herr Kollege Carstens, dem Fraktionsredner, der vor mir gesprochen hat, mit dem Hinweis auf die Regierungserklärungen Erhard und Kiesinger auf die Sprünge geholfen haben, so sind dort zwar die Gemeinden genannt, aber wenn ich mich recht erinnere — das waren so die ersten Regierungserklärungen, die ich hier als junger Abgeordneter miterlebt habe —, hat man den Gemeinden bei der Gelegenheit die Leviten gelesen, und zwar kräftig. Ob dies allerdings der Stil ist, den Sie und wir heute wollen — sicherlich nicht!

(Beifall bei der SPD und FDP)

Seien wir einmal mit derartigen Bemerkungen vorsichtig und führen wir sie auf das Wesentliche zurück!
Zweite Vorbemerkung: Mir ist aufgefallen, daß den Herren der Opposition nach einem Pawlowschen Effekt immer dann die Hände zusammenfallen, wenn hier der Begriff Sozialismus auftaucht. Ich weiß nicht ganz, was das in dieser Debatte eigentlich soll. Ich dachte, dies sollte eine seriöse Debatte sein. Deswegen werde ich mich jetzt hier nicht mit Begriffen auseinandersetzen, die ich Ihnen als Etikett ebenso sehr an Ihre Bäuche kleben könnte. Nur, das bringt uns nicht weiter.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU] : Heißt das, daß Sozialismus unseriös ist?! Machen Sie doch einmal dazu eine Aussage!)




Bundesminister Dr. Apel
— Ich mache Ihnen dazu sehr gerne eine Aussage. Nur, wie Sie Sozialismus in Verbindung bringen, versuchen Sie ihn doch bewußt zu diskreditieren und als ein Schreckgespenst hinzustellen, weil Ihnen sonst nichts weiter einfällt.

(Beifall bei der SPD — Kroll-Schlüter [CDU/ CSU] : Ist doch unpolitisch, was Sie sagen! Wollen Sie sich denn damit auseinandersetzen? — Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/ CSU]: Sehr gefährlich!)

Dritte Vorbemerkung.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0712805400
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn (Münster) ?

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0712805500
Bitte schön.

Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0712805600
Herr Minister, haben Sie Verständnis dafür, daß wir das Wort „Sozialismus" auch im Rahmen dieser Debatte in den Mund nehmen, da dieses Wort „Sozialismus" auch zum Bekenntnis der SPD auf dem Kommunalkongreß in Nürnberg gehörte?

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0712805700
Herr Kollege Jahn, Sie sollten unser Grundsatzprogramm lesen. Wir bekennen uns zum freiheitlichen Sozialismus. Was abzulehnen ist und was ich nicht akzeptiere, ist diese Art von Interpretation des Begriffs „freiheitlicher Sozialismus", die Sie hier versuchen.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU] : Die lassen wir uns von Ihnen nicht vorschreiben!)

Natürlich schreibe ich Ihnen gar nichts vor. Ich kenne ja Ihre Fähigkeiten, demagogisch zu argumentieren und an der Sache vorbeizureden. Ich will Ihnen ja gar nichts vorschreiben.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Herr Apel, diese Art von Argumentation reicht nicht aus! Dann verlieren Sie auch alle künftigen Wahlen; das sage ich Ihnen! Schnoddrigkeit ist ganz gut; aber ein bißchen sachlich muß man auch sein! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Herr Minister Schiess, ich habe mit großem Interesse zur Kenntnis genommen, daß Sie gesagt haben, Sie wollten die Konsequenzen der Steuerreform, die Ihr Land treffen, nicht an die Gemeinden weitergeben.

(Vorsitz : Vizepräsident Dr. SchmittVockenhausen)

Ich habe hier nur eine Rückfrage zu stellen, nämlich ob das mit den Aussagen des Finanzressorts abgestimmt ist. Wir haben nämlich in den Besprechungen, die wir geführt haben, leider andere Erfahrungen gemacht. Das Land Baden-Württemberg hat — ich will das gar nicht kritisieren, sondern der intellektuellen Redlichkeit willen anmerken — in dem
zuständigen Arbeitskreis sehr wohl gesagt: Natürlich müssen wir einen Teil der Konsequenzen der Steuerreform an die Gemeinden weitergeben. Dieses widerspricht Ihrer Aussage. Bitte klären Sie das, damit wir in dieser Frage klarsehen.
Bundeskanzler Helmut Schmidt hat in der letzten Debatte zur Finanzverfassung in seiner Funktion als Finanzminister sehr nüchtern dargestellt, was denn überhaupt beim Bund alles an Befugnissen angesiedelt werden müßte, wenn der Bund in der Lage sein sollte, das an Ansprüchen zu erfüllen, was augenscheinlich immer wieder — auch heute in dieser Debatte — von der Opposition vom Bund gefordert wird. Diese mehr theoretische Betrachtung des Bundeskanzlers — des damaligen Finanzministers — hat heftige Widersprüche ausgelöst, weil man in dieser mehr theoretischen Betrachtung einen Versuch gesehen hat, grundsätzlich verankerte Dinge zu ändern.
Ich stelle heute erneut fest, daß wir überhaupt nicht daran denken, uns aus der Funktions- und Aufgabenteilung des Grundgesetzes herauszubewegen — ganz im Gegenteil. Herr Kollege Waffenschmidt, wenn wir in diesem Bereich der Finanzen argumentieren, muß alles an die richtige Adresse gerichtet sein; dann muß man vieles, was hier an Finanzproblemen dargestellt wird, was an Forderungen aufgestellt wird, nicht hier abladen wollen, sondern es ist dort abzuladen, wo die Länder ihre Zuständigkeit für die Gemeinden mit wahrzunehmen haben.
Es ist eben so, daß der Bund nur auf Grund von Verfassungsänderungen im Jahre 1956, durch die Finanzreform 1969 und dabei vor allem durch die Einführung des Art. 104 a — hier insbesondere Abs. 4 — gewisse Mitfinanzierungskompetenzen bekommen hat. Wir werden uns über diese Mitfinanzierungskompetenzen noch zu unterhalten haben, weil ich aus dieser Debatte den Eindruck gewonnen habe, als liege hier ein Problem bei der Opposition vor, als hätten Sie Probleme mit diesen Mitfinanzierungskompetenzen in der von mir dargestellten Weise.
Andererseits darf ich daran erinnern, daß wir das alles gemeinsam beschlossen haben. Wir haben in diesem Hause gemeinsam festgelegt, daß im Zuge der Finanzreform gewisse Dinge verändert werden, und wir haben insbesondere festgelegt, daß Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes so und nicht anders formuliert werden sollte. Ich glaube, wir müssen hier sehr vorsichtig in der Argumentation sein, damit wir nicht Fronten aufbauen, die in der Tat nicht vorhanden sind.
Wie eingeschränkt die Mitwirkungsrechte des Bundes sind, wird mir als Finanzminister gerade in diesen Tagen sehr deutlich gemacht, da ich feststelle, daß bei dem jetzt laufenden Sonderprogramm für die regionale und strukturelle Entwicklung einzelne Bundesländer — insbesondere das Bundesland Bayern — die Mitwirkung des Bundes an diesen Dingen überhaupt in Frage stellen. Dann werden Sie natürlich auf der anderen Seite nicht erwarten kön-
Deutscher Bundestag --- 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 8597
Bundesminister Dr. Apel
nen, daß der Bund nur das Geld zur Verfügung stellt, es überweist und ansonsten auf die Programmatik selbst keinen Einfluß nimmt. Das geht nicht. Da wir mit den Programmen, die der Bund betreiben will, auch einen Zweck verfolgen, nämlich z. B. die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse auch in einer konjunkturell schwierigen Situation mit einem entsprechend dimensionierten und programmierten Vorgehen durchzuführen, muß der Bund mitsprechen. Bei ihm muß zwar kein Vetorecht, aber ein eindeutiges Mitformulierungs- und Mitentscheidungsrecht liegen.
Das sollten wir hier nicht kritisch miteinander debattieren. Es ist gemeinsames Anliegen geblieben und wird nach meiner Meinung auch in Zukunft gemeinsames Anliegen bleiben. Nur so können wir die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in unserem Land durchsetzen und bezüglich einer gewissen gleichmäßigen Behandlung der Staatsbürger vorankommen.
Ich sehe diesen Problemkreis trotz der Bemerkungen, die hier gemacht worden sind, auch von meinem Vorredner, als unproblematisch an. Hier sind wir uns in der Sache einig. Daß wir uns unter Umständen in der einen oder anderen Facette, z. B. auch in der Verteilung dieser Mittel auf einzelne Bundesländer, nicht einig sind, ist andernorts und in einer anderen Debatte für mich deutlich geworden.

(Eilers [Wilhelmshaven] [CDU/CSU] : Und die Zielsetzung ist eine andere, Herr Apel!)

— Das weiß ich nicht. Das müßten Sie dann begründen — durch eine Zwischenfrage —, wieso es hier in der Zielsetzung unterschiedliche Stellungnahmen gibt. Aber Sie haben ja, wie ich gesehen habe, nach mir oder auf jeden Fall im Laufe der Debatte noch das Wort. Ich sehe hier keine andere als die von mir dargestellte Zielsetzung, die sich ja auch aus dem Auftrag des Grundgesetzes ergibt.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit allerdings sagen, daß sich der Bund nicht nur in diesem Bereich sehr energisch um die Finanzausstattung der Länder kümmert, sondern seit 1970 insgesamt wesentliche Verbesserungen in der Finanzausstattung auch von Gemeinden durchgesetzt werden konnten. Im wesentlichen — das ist der Hauptansatzpunkt, den wir noch gemeinsam in der Großen Koalition beschlossen hatten — hat hier die Finanzreform, bei der vor allem Alex Möller ein besonderes Verdienst gehabt hat, über einen 14prozentigen Anteil der Gemeinden an der Einkommensteuer — wenn dafür auch ein Teil der Gewerbesteuer an Bund und Länder abgetreten werden mußte — einen großen Wandel in der finanziellen Ausstattung der Gemeinden durchgesetzt.
Wir haben gerechnet: Schon 1970 brachte die Saldierung von Vor- und Nachteilen dieser Finanzreform den Gemeinden 2,4 Milliarden DM mehr. In diesem Haushaltsjahr, 1974, werden die Gemeinden allein aus diesem Ansatz 6 Milliarden DM mehr haben. Von daher erklärt sich auch, daß sich der Anteil der Gemeinden am Steueraufkommen wesentlich verbessert hat.
Herr Kollege Dr. Waffenschmidt, hier sind Sie von falschen Zahlen ausgegangen. Sie haben gesagt, 1965 sei der Anteil der Gemeinden 13 v. H. gewesen.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Da habe ich Herrn Vogel zitiert!)

— Dann haben Sie Herrn Vogel nicht ganz richtig zitiert; denn Herr Vogel hatte dabei die Stadtstaaten mit einbezogen. Nun ist das Einbeziehen von Stadtstaaten — Hamburg, Bremen und Berlin — in eine derartige Rechnung eine sehr problematische Angelegenheit, weil diese Stadtstaaten auch und im wesentlichen Länderfunktionen wahrnehmen.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Das müßten Sie mit Herrn Vogel klären!)

— Sicherlich! Oder Sie haben Herrn Vogel falsch zitiert. Das wird zu klären sein. Jedenfalls will ich Ihnen jetzt die richtigen Zahlen geben, damit wir wissen, worüber wir reden.
1962 betrug der Anteil der Gemeinden am Steueraufkommen 11,6 %. Er sank in den folgenden Jahren ab, und zwar so: 1966 11,2 %, 1967 11,0 %, 1968 10,9% 1969 10,8 %. 1969 war der Tiefstand. Dann begann das zu wirken, was Alex Möller eingeführt hat

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Und Strauß!)

und wir gemeinsam beschlossen haben. — Ich bitte Sie! Initiiert von Alex Möller, von Ihnen mitgetragen. Okay!

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Wer war Finanzminister? — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch das Letzte!)

— Na ja, schön. Ich bitte Sie! Wenn Sie Wert darauf legen: Es war ein Anliegen der Sozialdemokraten, das sie in die Große Koalition mit hineingetragen haben und das dann Herr Strauß exekutiert hat. Das sei hier für das Protokoll ausdrücklich erwähnt.

(Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Das ist eine Seriosität, die Sie an den Tag legen!)

Es geht dann also 1970 auf 11,3, 1971 auf 11,5

(Zuruf von der CDU/CSU: Kein Apel, sondern ein Appel!)

— ich habe schon bessere Zwischenrufe gehört, das muß ich doch sagen —, 1972 auf 11,8, und 1974 sind wir bei 12,4. Es stimmt also nicht, Herr Kollege Dr. Waffenschmidt, wenn Sie sagen, es habe einmal rosigere Zeiten gegeben. Im Endeffekt ging zur Zeit der Mehrheit der CDU/CSU und auch — das gebe ich zu — während der Großen Koalition der Anteil der Gemeinden immer nach unten. Erst die Finanzreform bringt ihn dann auf 12,5 wie heute.

(Zuruf von der CDU/CSU: 12,4!)

— 12,4.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712805800
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Waffenschmidt?

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0712805900
Aber natürlich.




Dr. Horst Waffenschmidt (CDU):
Rede ID: ID0712806000
Herr Minister Apel, wie erklären Sie sich nach dem, was Sie gerade geschildert haben, die Schilderung Ihres Parteifreundes Koschnick auf der Kommunalkonferenz der SPD in Nürnberg, der da sagte: Wahrscheinlich werden wir nie wieder die gute Beteiligung der Gemeinden an den Steuereinnahmen erreichen, wie wir sie in den sechziger Jahren, als zur CDU-Zeit, hatten?

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Spillecke [SPD] : Da war der Herr Koschnick falsch informiert! — Große Heiterkeit bei der CDU/ CSU — Dr. Zeitel [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Nein, das ist doch nun meine Rede.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712806100
Herr Kollege, Sie müssen zunächst einmal dem Herrn Minister die Möglichkeit geben, die Frage des Herrn Abgeordneten Waffenschmidt zu beantworten.

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0712806200
Und dann, Herr Präsident, möchte ich doch sehr darum bitten, darauf zu achten, daß das meine Rede ist und nicht die Rede der Opposition. Ich werde erst einmal diese Frage beantworten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712806300
Herr Minister, diese Möglichkeit haben Sie selber. Ich muß Sie nur nach der Geschäftsordnung fragen, ob und inwieweit Sie Zwischenfragen zulassen.

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0712806400
Ich habe noch eine zu beantworten. Dann möchte ich einen kleinen Moment — dafür werden Sie Verständnis haben — weiterreden dürfen. Dann bitte schön, jederzeit, wenn es einen Anlaß gibt, aber im Moment möchte ich mich erst einmal mit dieser Frage auseinandersetzen.
Ich kann das, was Herr Koschnick gesagt hat, überhaupt nicht beurteilen; ich bin nicht dagewesen. Unterstellt, daß er das gesagt hat, kann man nur das sagen, was von Herrn Spillecke gesagt wurde: er war falsch informiert. Dies kommt auch bei Sozialdemokraten vor; das ist ja wohl klar.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU — Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Auch bei Ministern?)

— Auch bei Ministern. Das hat man ja, als Sie noch
— es ist lange her — in der Regierung waren, sehr häufig gemerkt.

(Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Sie sollten ein paar andere Jahre heranziehen, dann wird es richtig!)

Der zweite Punkt, den wir einbeziehen müssen, wenn wir die Finanzlage der Gemeinden heute erörtern wollen, ist die Neuverteilung der Umsatzsteuer zwischen den Ländern und dem Bund. 1970 betrug der Anteil der Länder 30 °/o, heute — Gott sei es geklagt — 37 %. Auf Grund der verfassungsmäßig gegebenen Rechte sind die Gemeinden an diesem Zugewinn der Länder bei der Umverteilung der Umsatzsteuer zugunsten der Länder beteiligt. Das bringt für 1972 und 1973 Gewinne von rund
450 Millionen DM. 1974 kommen noch einmal 200 Millionen DM dazu, so daß hier eine erneute wesentliche Verbesserung der Finanzausstattung der Gemeinden gegeben ist.
Und schließlich verweise ich auf die Grundsteuerreform, die im Haushaltsjahr 1974 den Gemeinden zusätzlich 800 Millionen DM bringt.
Ich ziehe jetzt einmal eine Zwischenbilanz; ich komme dann noch auf die Gemeinschaftsaufgaben zurück. Wir wollen Ihnen die Rechnung gern vortragen, falls Sie sie bezweifeln sollten. Herr Dr. Waffenschmidt bezweifelt sie augenscheinlich, weil er von ganz anderen, viel niedrigeren Zahlen ausgeht. Zwischenbilanz: Von 1970 bis 1974 hat es eine allgemeine Verbesserung der Gemeindefinanzen um einen Betrag von 23 Milliarden DM gegeben. Wie gesagt: diese Zahlen wollen wir Ihnen gern geben, damit Sie sie nachprüfen können. Sie sind genau berechnet. Die Beträge stehen im übrigen den Gemeinden zur freien Verfügung und stärken damit in einem hohen Maße die Eigenverantwortlichkeit der Gemeinden.
Es ist also falsch, wenn hier in der Debatte behauptet wird, der Bund tue nichts hinsichtlich der auch ihm obliegenden Verantwortung für die Finanzausstattung der Gemeinden. 23 Milliarden DM von 1970 bis 1974! Das ist ein Wort, das sich durchaus sehen lassen kann.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Ich habe die Zahlen der Bundesbank genommen!)

— Nun gut, dann wollen wir uns nachher zusammensetzen und sehen, welche Daten von welchen Ausgangspunkten gerechnet werden, und dann werden wir ja sehen, ob Sie recht haben oder ob ich recht habe. Dies werden wir gemeinsam prüfen können. Unsere Zahlen sind exakt; ich gehe davon aus, daß sie stimmen.
Daneben haben wir nun, meine Herren von der Opposition, eine ganze Reihe von weiteren Dingen gemacht, die im wesentlichen auf Art. 104 a Abs. 4 GG beruhen: Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, Krankenhausfinanzierungsgesetz, Städtebauförderungsgesetz. Darauf wird sicherlich Herr Kollege Ravens noch eingehen. Die Finanzhilfen auf diesen drei Bereichen betrugen 1970 — damals waren noch nicht alle Bereiche dabei — 650 Millionen DM, heute sind es 3,4 Milliarden DM allein aus diesem Bereich; das ist eine Verfünffachung in diesem Zeitraum. Wenn Sie dann noch mit einberechnen, was wir im Bereich der Gemeinschaftsaufgabe machen, was wir über die beiden Konjunkturprogramme — 300 Millionen DM bzw. 350 Millionen DM — und das ERP-Gemeindeprogramm tun, dann komme ich zu dem Ergebnis — ich habe sehr grob gerechnet —, daß wir in dem Zeitraum 1970/1974 ungefähr 33 Milliarden DM den Gemeinden zusätzlich zur Verfügung gestellt haben.
Eine Bemerkung zu dem Dotationsvorwurf des Kollegen Jahn, der vor mir geredet hat. Der Kollege Jahn ist im Moment nicht im Saal; ich werde das dennoch sagen dürfen. Der Vorwurf, der Bund würde über Dotationen die Gemeinden binden, ist bei einer Größenordnung von rund 4 Milliarden



Bundesminister Dr. Apel
DM — wenn wir die Programme dazurechnen, 4,6 Milliarden DM — wohl nicht ganz haltbar. Die Zuweisungen der Länder betragen das Sechsfache. Nun ist das nicht alles Dotation, vieles ist auch freie Zuwendung; aber lassen wir hier bitte die Kirche im Dorfe, und tun wir nicht so, als wollte der Bund über diese Politik den Gemeinden etwas antun. Im Gegenteil, wir übernehmen Aufgaben, Lasten, Notwendigkeiten der Gemeinden im Bereich des Straßenbaus, des schienengebundenen Nahverkehrs, des Krankenhauswesens, der Städtesanierung, die ohnehin gemacht werden müßten. Ich meine, auch hier sollten wir die Argumentation auf das richtige Maß zurückführen.
Nun werden Sie sagen, und ich will mich damit auseinandersetzen: Schön, das mag ja alles richtig sein, was der Herr Finanzminister hier erzählt, diese 33 Milliarden DM mögen ja stimmen; aber er unterschlägt der Öffentlichkeit eine Aussage dazu, daß natürlich in der Zwischenzeit durch die Bundesgesetzgebung — ich füge hinzu: sehr viel stärker als durch die Landesgesetzgebung; aber wir sind hier für den Bund zuständig — den Gemeinden auch neue Aufgaben — und Aufgaben sind normalerweise Ausgaben — zudiktiert wurden.
Hier müssen wir eine Vorbemerkung machen, liebe Kollegen von der Opposition, wenn wir wiederum intellektuell redlich sein wollen. Wenn ich mich recht erinnere, sind die meisten der Gesetze
— ich behaupte sogar, eigentlich alle, aber das wäre zu untersuchen; ich sage deswegen die meisten, weil ich da nicht so ganz sicher bin, ich kenne mich da auch nicht in allen Ressorts so genau aus —, die die Gemeinden mit Kosten belasten, hier im Deutschen Bundestag einstimmig verabschiedet worden. Das heißt, wenn hier jemand „mea culpa" rufen will, dann mögen das alle Bänke dieses Hauses tun. Dann kann jetzt niemand sich hier hinstellen und sagen, es sei ganz schlimm, daß die Gemeinden soviel Aufgaben und damit Ausgaben bekommen hätten, und dafür sei die Regierungskoalition verantwortlich. Nein, dann bitte auch bei sich selbst anfangen und genau nachprüfen, wie das eigentlich gewesen ist, bei Ihnen selbst, meine Herren von der Opposition.
Ich will Ihnen dazu ein Beispiel geben. Herr Dr. Waffenschmidt hat hier und draußen immer wieder auf das Bundessozialhilfegesetz abgehoben und auf die Kosten hingewiesen. Ich will jetzt mit Ihnen gar nicht darüber streiten, ob Ihre Zahlenangaben richtig sind. Mir ist gesagt worden: von 1970 bis 1974 zusätzlich nur 1,5 Milliarden DM. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, haben Sie 6 Milliarden DM ins Feld geführt.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Jetzt insgesamt!)

— Gut, dann mögen diese Zahlen stimmen. Nur, Herr Kollege Dr. Waffenschmidt, wie war es? Zustimmung aller Fraktionen hier in diesem Hause; der Bundesrat hat zusätzlich weitere Forderungen gestellt, den Forderungskatalog ausgeweitet und damit die Kosten dieses Gesetzes erneut erhöht. Wir
wollen doch nun auch die politische Seite gerade dieses Gesetzes nicht falsch sehen.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Die politische Seite wollen wir alle!)

— Gut, über die politische Frage sind wir uns also einig, daß Vereinheitlichung der zersplitterten Sozialhilferegelung notwendig ist, daß es keinen Zweck hat, den Sozialhilfeempfängern einen unterschiedlichen Anspruch in den einzelnen Gemeinden zu geben, und wir haben die Feststellung abgehakt, daß Sie diesem Gesetz zugestimmt haben.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Das habe ich heute morgen erklärt!)

— Das finde ich sehr gut. Nur ist dann die Debatte zu diesem Punkt wenigstens insofern beendet, als hier niemand Schuld verlagern kann, sondern nur jeder sagen kann: hier haben wir alle zusammen vielleicht etwas zu großzügig gehandelt.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU) : Dann muß

man den Gemeinden aber auch Geld dafür
geben! Das ist doch klar!)
— Ich habe Ihnen gesagt, daß wir dieses getan haben. Alleine bei den Auswirkungen der Gemeindefinanzreform sind es 14,3 Milliarden DM gewesen. Denen stehen die 1,5 Milliarden DM gegenüber.
Nur in einem will ich Ihnen entgegenkommen — und da wollen wir uns treffen —: Wir müssen uns natürlich sehr genau überlegen, was wir jetzt tun.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Eben!)

Alles das, was bei uns, in unseren Blütenträumen so blüht und wozu die schiefe Schlachtordnung „Wir beschließen und haben den Ruhm, und die Gemeinden müssen zahlen" oft auch als Argument dient, muß natürlich sehr genau dahin gehend überdacht werden, ob dies eine solide Finanzpolitik ist. Hier sage ich Ihnen als Bundesfinanzminister: ich werde diese Argumentation nicht mehr akzeptieren. Es gibt einen öffentlichen Gesamthaushalt, für den Sie wie wir Verantwortlichkeit tragen. Wir sind in der Bundesregierung und in Bundesländern in der Verantwortung. Ich bitte, daß wir diese Dinge dann auch gemeinsam sehr ernst nehmen. Ich gebe damit auch durchaus meine Zustimmung dafür, daß wir rechnen, rechnen allerdings nicht in der Art, wie Sie es wollen, mit Berichten im Abstand von zwei Jahren über die Kostenauswirkungen. Ich muß Ihnen sagen, daß ich vor dieser Idee, so sympathisch ich sie im ersten Ansatz fand, aus drei Gründen zurückgeschreckt bin. Der erste Grund ist die Notwendigkeit neuer Planstellen.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Ihr habt doch so viele in den Presseabteilungen, nehmt doch davon!)

— Herr Dr. Waffenschmidt, ich bin dafür, daß wir die Debatte auf dem Niveau halten, auf dem sie zur Zeit geführt wird. Dieses ist nicht das Niveau.

(Seiters [CDU/CSU]; Vorhin haben Sie das Niveau noch kritisiert!)

— Na schön! Also das müssen Sie sehen. Es ist ein Riesenrechenapparat, der hier verlangt wird.
8600 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den '7. November 1974
Bundesminister Dr. Apel
Zweitens muß man dann auch gegenrechnen, was bei den Gemeinden weggefallen ist. Da fallen auch einmal Aufgaben und Ausgaben weg.
Drittens würde eine derartige Globalrechnung, so fürchte ich, den Einblick in die Finanzsituation einzelner Gemeinden und Gemeindegruppen nicht bringen. Unser Problem ist doch, daß die Finanzlage der Gemeinden sehr unterschiedlich ist. Es gibt Gemeinden, die sind in großen Schwierigkeiten — —

(Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Niemand hindert Sie doch, das darzulegen!)

— Bitte, ich habe gerade eben gesagt, daß das nach meiner Meinung nicht geht.

(Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Legen Sie es dar!)

— Im übrigen haben wir Ihnen in unserer Antwort dargelegt, warum das nach unserer Meinung nicht geht, so sympathisch ich eigentlich die Idee finde. Das ist verwaltungsmäßig nicht zu machen. Ich füge hinzu: Ich bin auch gar nicht so sicher, ob sie im Interesse der Gemeinden selbst läge. Bitte, ich bin hier offen, mit Ihnen über diese Frage weiter zu sprechen.
Ich möchte eine weitere Bemerkung machen: Sie fordern in Ihrer Frage 12 vergleichende Bedarfsermittlungen der unterschiedlichen Ebenen. Auch hier muß ich sagen: Im Prinzip ist die Forderung sehr gut. Wie soll das jedoch in der Praxis gehen? Die bloße Addition wünschenswerter Vorhaben reicht ja wohl nicht aus.
Wie sollen eigentlich die unterschiedlichen politischen Ebenen mit ihren Entscheidungszentren
— Landesregierung, Landesparlamente, Bundesregierung, Bundesparlament — hier auf einen Nenner kommen? Ich glaube, auch hier haben wir es mit einer sehr abstrakt-theoretischen und — ich fürchte leider — in einer Föderation, in einem Bundesstaat, nur mit Mühe zu lösenden Aufgabe zu tun. Meine Erfahrungen mit dem Finanzplanungsrat, die erst gering sind — das gebe ich zu —, lassen mich hier nicht sehr optimistisch sein, daß wir da nicht einer Schimäre nachrennen.
Wesentlicher scheint mir zu sein, daß wir auch in Zukunft die Unabhängigkeit der Haushalts- und Finanzgestaltung von Bund, Ländern und Gemeinden sehen und akzeptieren — darauf legen wir, Herr Dr. Waffenschmidt, großen Wert , daß wir die Abstimmungsschwierigkeiten zur Kenntnis nehmen, aber dennoch nicht vor der Notwendigkeit resignieren, das Ganze in einem Zusammenhang zu sehen, und daß wir nicht meinen, wir könnten auf den einzelnen Ebenen Politik nach der Devise machen: Das geht mich nichts an, das ist eine andere politische Ebene; hier haben wir uns finanziell nicht zu engagieren.
Lassen Sie mich auf die Probleme zurückkommen — —
Ja, bitte schön!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712806500
Bitte, Herr Kollege, der Herr Minister läßt die Frage zu.

Dr. Gerhard Zeitel (CDU):
Rede ID: ID0712806600
Herr Minister, wenn Sie die Notwendigkeit einer Gesamtorientierung der Finanzpolitik bejahen, halten Sie es dann nicht für unerläßlich, daß man auch den gesamten Finanzbedarf der Gemeinden im Sinne einer gemeinsamen Abstimmung berücksichtigen muß?

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0712806700
Herr Kollege, man kann das alles zusammenzählen, auflisten. Das ist also nicht das Problem, nur werden dann 300 % daraus.

(Offergeld [SPD] : 500!)

— Hier wird 500 gesagt. Vielleicht ist das sogar richtig, Herr Kollege Offergeld. Das Problem liegt dann in der politischen Wertigkeit und der Bewertung. Da wir eine Föderation sind und kein Zentralstaat — und wir wollen keine zentralstaatlichen Regelungen —, kommt dann sofort der politische Konflikt. Dieses müssen Sie doch genauso sehen wie wir. Deshalb hat es doch keinen Zweck, einer Schimäre nachzulaufen.

Dr. Gerhard Zeitel (CDU):
Rede ID: ID0712806800
Der Konflikt, Herr Finanzminister, ist damit doch nicht beseitigt, aber er wird transparent, und es findet eine notwendige Diskussion über die Prioritäten auf allen Staatsebenen statt. Würden Sie dies nicht für unerläßlich halten, wenn wir überhaupt für die Zukunft eine solide Finanzpolitik in unserem Lande sichern wollen?

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0712806900
Ich gehe davon aus, Herr Kollege, daß der Finanzplanungsrat um diese Debatte nicht herumkommt. Ob diese Debatte zu Lösungen führen wird, habe ich allerdings meine Zweifel, meine sehr, sehr großen Zweifel. Die Debatte muß aber geführt werden, das ist ganz klar. Nur werden dann auch die gesellschaftspolitischen Prioritäten und das Gerangel der verschiedenen politischen Ebenen in unserem Lande sichtbar werden. Dann wird plötzlich eines sichtbar werden, und das ist ganz interessant, daß sozialliberal und christdemokratisch auf den unterschiedlichen Ebenen plötzlich etwas ganz Unterschiedliches ist.

(Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Aber dann lassen Sie doch den Begriff der Schimäre weg, jetzt kommen wir doch auf die Linie!)

- Na, schön, wenn Sie sich an diesem Begriff stören, wird er nachher aus dem vorgelegten Text gestrichen werden. Ich bin ja ein höflicher Mensch, wie Sie wissen.

(Heiterkeit — Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Nein, das meinte ich nicht, aber das Niveau, Herr Minister!)

Lassen Sie mich zurückkommen zu den kommunalen Haushalten, wie wir sie sehen, denn das ist einer der Punkte, die wir hier besprechen müssen. Wir sind der Meinung, daß die Haushalte ab 1972 in eine gewisse Normallage zurückgekehrt sind. Das liegt im wesentlichen an den hohen Finanzhilfen des Bundes, aber auch den expansiven Steuereingängen bei den Gemeinden und hier natürlich auch in einem gewissen Sinne der unübersehbaren Hilfe, die



Bundesminister Dr. Apel
die Landesfinanzminister ihren Gemeinden gegeben haben, und die sollten wir in dieser Debatte durchaus positiv bewerten und ansprechen.
Wenn wir uns einmal die Zahlen ansehen, die wir errechnet haben, so stellen wir fest, daß die Gemeinden eigentlich in den letzten Jahren gut gefahren sind. Die Neuverschuldung der Gemeinden war 1971 9,2 Milliarden DM, 1972 7 Milliarden DM, 1973 5 Milliarden DM. Für 1974 habe ich keine Zahlen. In jedem Falle sehen wir, daß sich die Neuverschuldung der Gemeinden reduziert.
Auch der Anteil der Gemeinden an der Gesamtverschuldung der öffentlichen Hände ging von 70,8 % im Jahre 1970 — ein hoher Anteil — auf 32,5 % im Jahre 1974 zurück. Hier haben wir genau das gleiche Bild: die Gemeinden sind zwar immer noch diejenigen, die auf Grund eines hohen Anteils öffentlicher Investitionen Kredite auf dem Kapitalmarkt aufnehmen müssen, bilden also eine große Gruppe der sich Verschuldenden; aber insgesamt hat sich ihre Situation so verbessert, daß sie nicht mehr die zentralen Schuldner sind. Ihre Verschuldung geht vielmehr von 70 % Anteil am Finanzierungssaldo der öffentlichen Haushalte, wie ich sagte, auf 32 % zurück.
Man muß also sagen, wir sollten die Dinge, meine Herren von der Opposition, in einem richtigen Rahmen sehen, in dem richtigen Rahmen nämlich, daß die Gemeinden nun wirklich nicht so schlecht dastehen, wie sie selbst meinen, das malen zu sollen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712807000
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Waffenschmidt?

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0712807100
Ja.

Dr. Horst Waffenschmidt (CDU):
Rede ID: ID0712807200
Herr Minister, würden Sie meine Ansicht teilen, daß der Rückgang bei den Kapitalaufnahmen auch darauf zurückzuführen ist, daß mittlerweile bei den Gemeinden der Schuldendienst so groß geworden ist, daß freie Spitze nicht mehr vorhanden ist und deshalb die Investitionstätigkeit einfach nachlassen muß? Ich glaube, das ist die Folgerung aus der Entwicklung.

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0712807300
Ja, aber dieses widerspricht nun wiederum den Zahlen, die ich hier vorliegen habe, wonach in der Tat nicht nur die freien Spitzen — ich gebe zu, das ist von Gemeinde zu Gemeinde sehr unterschiedlich — durchaus noch gewachsen sind, sondern der Anteil der Investitionen am Gesamthaushalt zugenommen hat. 1970 betrug der Anteil der Gemeinden an den Investitionen 62,7 %, 1974 beträgt er 66,0 %. Das Bedenkliche ist, daß in dieser Zeit die Investitionen des Bundes rückläufig sind. Dazu haben wir ja bei der ersten Lesung des Haushalts hier übereinstimmend kritische Bemerkungen gemacht.

(Eilers [Wilhelmshaven] [CDU/CSU] : Und jetzt tun Sie alles, damit die Investitionen wieder steigen!)

— Herr Kollege Eilers, lassen Sie mich abschließend einige Bemerkungen machen — —

Dr. Horst Waffenschmidt (CDU):
Rede ID: ID0712807400
Herr Minister, nur damit wir uns verständigen können: Würden Sie mir denn zustimmen, wenn ich hier unter Bezugnahme auf den Bericht der Deutschen Bundesbank vom Oktober 1974 — der Bericht ist also noch gar nicht so alt — feststelle, daß von Dezember 1969 bis März 1974 — dies ist ein überschaubarer Zeitraum die Gesamtverschuldung der Gemeinden immerhin von 36 Milliarden DM auf 63 Milliarden DM gestiegen ist, und meinen Sie nicht auch, daß dies für die Gemeinden ein insgesamt sehr belastender Vorgang in diesen Jahren ist?

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0712807500
Das ist richtig. Allerdings müssen wir hier natürlich folgendes sehen. Die Gemeinden — das hat sich ja auch aus den Zahlen eben ergeben — realisieren immer noch zwei Drittel der investiven Ausgaben der öffentlichen Hände in unserem Land, d. h. der Schwerpunkt der Investitionen liegt auf dieser Ebene.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU] : Aber mit Schulden!)

— Aber ich bitte Sie, dieses ist doch durchaus auch vorgesehen.

(Dr. Zeitel [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Seit einer Minute sollte die Fragestunde im Gange sein. Wir können hier keine Zwiegespräche führen. Entschuldigen Sie, wir können unser Gespräch nachher beim Mittagessen fortsetzen.
Dies muß man einfach sehen.

(Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Man muß die Dinge korrekt darstellen!)

Man muß hier natürlich einfach auch den Zusammenhang zwischen dem riesigen Investitionsvolumen auf der einen Seite und der Zunahme der Verschuldung auf der anderen Seite sehen. Das geht doch Hand in Hand.

(Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Herr Minister, der Schuldendienst ist die entscheidende Frage!)

— Bitte, wir führen diese Debatte hier fort. Ich bin den ganzen Tag hier und werde erneut antworten, falls es notwendig ist.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß kommen. Sie werden natürlich fragen: Wie soll das mit den Gemeindehaushalten und der gemeindlichen Finanzierung angesichts der Steuerreform gehen? Trotz der Steuerausfälle der Gemeinden auf Grund der Steuerreform werden die Steuereinnahmen der Gemeinden auch 1975 noch in einer zweistelligen Größenordnung zunehmen. Für den Bund wird die Zunahme der Steuereinnahmen sehr viel geringer sein. Sie wird nur einen Bruchteil dessen ausmachen, was den Gemeinden an Steuermehreinnahmen zuläuft. Damit wird bereits deutlich, daß die Möglichkeiten, die der Bund hat, um den Gemeinden bei der Abnahme von Lasten auf Grund der

Bundesminister Dr. Apel
Steuerreform entgegenzukommen, begrenzt sind, begrenzt sein müssen, denn natürlich müssen die Gemeinden auch ihre Last als Konsequenz der Steuerreform tragen. Die Steuerreform wiederum — das muß man hier ins Gedächtnis zurückrufen — ist das Ergebnis eines Beschlusses aller politisch relevanten Kräfte in diesem Lande. Die 14 Milliarden DM, die die Steuerreform kostet, müssen wir also gemeinsam tragen und gemeinsam unterbringen. Ein Teil entfällt also auch auf die Gemeinden.
Dennoch können die Gemeinden sicher sein, daß für den Bund auch weiterhin das gilt, was in der Revisionsklausel zwischen Bund und Ländern abgemacht worden ist, nämlich daß die Finanzlage der Gemeinden bei der Aushandlung der Konsequenzen der Steuerreform und der Übertragung von Umsatzsteueranteilen auf den Bund berücksichtigt werden wird. Meine Herren von der Opposition, unter dieser Perspektive kann ich natürlich dem Großteil der in Ihrem Antrag vorgetragenen Wünsche überhaupt nicht nähertreten, weil die Realisierung Ihrer Wünsche eine Belastung des Bundeshaushaltes bedeutete — darauf liefe es ja im wesentlichen hinaus, wenn wir insbesondere beim Einkommensteueranteil etwas täten —, die nicht zu vertragen und nicht zu verkraften ist. Wer so etwas fordert, muß auch sagen, wo das Geld herkommen soll.

(Eilers [Wilhelmshaven] [CDU/CSU] : Ihr Kongreß in Nürnberg aber auch!)

— Ja, darauf komme ich gleich zurück. Unser Kongreß in Nürnberg war vernünftig genug, dieses als eine langfristige Forderung zu bezeichnen. Wenn Sie Ihre Forderung auch als langfristig deklarieren, stimmt sie mit der Forderung unseres Nürnberger Kongresses überein. Ich spreche hier aber über das Haushaltsjahr 1975. Dort sind diese Dinge in der Tat überhaupt nicht unterzubringen — und 1976, wie ich fürchte, auch nicht, um ganz redlich zu sein. Im übrigen rechne ich im Geiste bei diesen Forderungen der Opposition auch immer noch ein, daß das, was Herr Höcherl — er ist gerade in den Saal gekommen — und andere gefordert haben, bei weiteren Steuervergünstigungen und Senkung der Mehrwertsteuer in anderen Bereichen fast in die Nähe von 12 Milliarden DM kommt.
Lassen Sie mich abschließen.

(Abg. Höcherl [CDU/CSU] begibt sich zu einem Saalmikrophon — Allgemeine Heiterkeit)

— Herr Höcherl, wollen Sie noch eine Frage dazu stellen? Bitte schön!

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0712807600
Herr Bundesfinanzminister, ist ihnen entgangen, daß wir keinen Termin gesetzt haben, sondern daß wir auf das schwedische Beispiel hingewiesen haben, wo es angesichts der nachlassenden Binnenkonjunktur notwendig war, solche Maßnahmen zu ergreifen?

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0712807700
Nein, aber ich dachte immer, die konjunkturelle Schwäche, die unser Land zur Zeit durchmacht, sei eine zeitlich begrenzte und Sie wollte die Maßnahmen nicht durchgesetzt haben, wenn wir wieder in der Hochkonjunktur sind. Deswegen habe ich sie auf das Jahr 1975 gebucht. Aber vielleicht irre ich mich da.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0712807800
Sind Sie bereit, in Zukunft so zu zitieren, wie der von Ihnen wiederholt falsch zitierte Urheber das gemeint hat?

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0712807900
Da muß ich zurückfragen, Herr Urheber: Wann wollen Sie das gemacht haben, wann soll das passieren, irgendwann einmal?

(Höcherl [CDU/CSU] : Warten wir ab, es wird schlimm genug werden! — Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, ich bin bei meiner letzten Bemerkung. Für die Gemeinden reichen Forderungen nicht. Die Finanzlage für die Gemeinden ist nicht so kritisch, wie versucht wird, sie hier darzustellen.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU] : Hoffentlich haben das viele Bürgermeister gehört!)

Die Finanzlage aller öffentlichen Hände wird in den Haushaltsjahren, die vor uns liegen, eine sehr schwierige sein. Es hat überhaupt keinen Zweck, zu versuchen, Probleme, die in dem einen Sektor sind, auf den anderen zu verschieben; das bringt uns überhaupt nicht weiter. Es hat also überhaupt keinen Zweck, der Ebene der Gemeinden etwas zu versprechen und damit der Ebene des Bundes etwas wegzunehmen. Es bleibt nur eines: Die von uns allen gesetzten Daten — Steuerreform: 14 Milliarden DM — gerecht überall einzusparen. Sparsamkeit ist kein Selbstzweck, sondern auf allen Ebenen der öffentlichen Hände in Zukunft Gebot der Stunde.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712808000
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Aussprache zur Großen Anfrage betreffend Lage der Städte, Gemeinden und Kreise — Drucksachen 7/1247, 7/2409 — und rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 7/2720 —
Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf.
Herr Kollege Höcherl, auch Ihre Anwesenheit kann leider die Zulässigkeit Ihrer Frage 30 nicht begründen; sie ist nach Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde unzulässig.
Die Fragen 31 und 32 des Abgeordneten Dr. Häfele und die Frage 33 des Abgeordneten Dr. Hauser (Sasbach) werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen abgehandelt.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und



Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Städtebau auf. Hier liegt die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Niegel vor:
Welche Auswirkungen hat die jetzt dem Deutschen Bundestag vorgelegte Novelle zum Bundesbaugesetz, insbesondere bei der Berechnung des Ausgleichs auf den Personal- und Arbeitsaufwand in den einschlägig damit befaßten Behörden und Dienststellen, und steht dieser Aufwand noch in einem richtigen Verhältnis zu den zu erwartenden Ausgleichsbeträgen?
Herr Staatssekretär Dr. Haack steht zur Beantwortung zur Verfügung.

Dr. Dieter Haack (SPD):
Rede ID: ID0712808100
Ich sehe nur den Herrn Kollegen Niegel noch nicht, Herr Präsident.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712808200
Herr Staatssekretär, der amtierende Präsident hat ihn aber schon gesehen.

Dr. Dieter Haack (SPD):
Rede ID: ID0712808300
Ich bitte um Entschuldigung.
Herr Kollege Niegel, die Novelle zum Bundesbaugesetz will vorrangig die bürgerschaftliche Mitwirkung verstärken, den Gemeinden geeignete Mittel für eine verantwottliche Gemeindeentwicklungspolitik geben und mit dem Planungswertausgleich ein wichtiges bodenrechtliches Instrumentarium gegen die Bodenspekulation schaffen.
Selbstverständlich wird das zu einem zusätzlichen Arbeitsaufwand führen. Sie wissen als Mitglied des zuständigen Bundestagsausschusses selbst, daß wir uns gestern und vorgestern in Wuppertal sehr intensiv in einem sogenannten Planspiel mit diesen Fragen befaßt haben und auch in den Beratungen des Ausschusses in den nächsten Wochen und Monaten noch auf diese Fragen zurückkommen werden. Ich glaube, Sie konnten gestern und vorgestern selbst feststellen, daß die Vertreter der Städte — sowohl einer sehr großen Stadt, einer großen Stadt als auch einer mittelgroßen Stadt —, die sich dort an dem Planspiel beteiligt haben, festgestellt haben, daß der Arbeitsaufwand durchaus vertretbar ist.
Im übrigen möchte ich in Übereinstimmung mit dem Vorsitzenden des zuständigen Bundestagsausschusses, Herrn Dr. Schneider, noch bemerken, daß es bei dem Planungswertausgleich, den Sie in Ihrer Frage angesprochen haben, vorrangig um Bodenpolitik geht, nicht aber um Einnahmeverbesserungen der Gemeinden. Außerdem muß festgestellt werden, daß dann, wenn dieses neue Bundesbaugesetz mit diesen neuen Instrumenten in Kraft tritt, die Gemeinden auf der Ausgabeseite durchaus Kosten einsparen werden, so daß sich dieses Gesetz im Endergebnis auch auf die Finanzsituation positiv auswirken wird.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712808400
Eine Zusatzfrage.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0712808500
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bei den gestrigen und vorgestrigen Darlegungen der beiden Städte in Wuppertal klar geworden, daß z. B. die Wuppertaler mit einer Verdreifachung der Personalausstattung und die Stadt Viersen mit einer Verdoppelung der Personalkosten auf diesem Gebiet rechnen und daß bei Berücksichtigung der Mehraufwendungen und der anfallenden Gerichtskosten wegen des Planungswertausgleiches für die Gemeinden unter dem Strich letztlich nichts mehr bleiben wird?

Dr. Dieter Haack (SPD):
Rede ID: ID0712808600
Nein, genau das Gegenteil ist der Fall. Wenn Sie sich auf das Planspiel berufen — ich nehme an, daß Sie genau so aufmerksam zugehört haben wie auch andere Teilnehmer —, werden Sie gemerkt haben, daß gerade die Vertreter derjenigen Städte, die Sie erwähnt haben, deutlich gemacht haben, daß sich dieses Gesetz trotz eines gestiegenen Arbeits- und Kostenaufwands nicht nachteilig auswirken wird, sondern die Relation des Arbeitsaufwandes zum Planungswertausgleich etwa 1 : 4 oder 1 : 5 sein wird.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712808700
Eine weitere Zusatzfrage.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0712808800
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, wieso gerade in England der Planungsausgleich abgeschafft wurde? Wahrscheinlich, weil er aus Verwaltungsgründen nicht praktikabel war und weil er zuviel Aufwand erfordert hätte.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712808900
Herr Kollege, ich bitte um Verständnis, daß ich diese Zusatzfrage nach den Richtlinien der Fragestunde nicht zulasse. Sie haben nach den Auswirkungen der dem Deutschen Bundestag vorliegenden Novelle gefragt.

(Niegel [CDU/CSU] : Das ist doch parallel!)

— Entschuldigen Sie, die Zusatzfrage muß in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der schriftlich eingereichten Frage stehen.
Aber ich gebe Ihnen die Möglichkeit, eine weitere Zusatzfrage zu stellen.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0712809000
Herr Staatssekretär, wenn wir von diesen beiden Städten ausgehen und berücksichtigen, daß diese Voraussetzungen wie in Wuppertal und in Viersen nicht immer vorhanden sein werden, sondern es sicherlich eine Reihe von Städten, insbesondere kleinere Städte, geben wird, die die Ausstattung an Personal und auch diesen Grundstücksverkehr noch nicht haben: Wir wird sich das dann auf die kleineren Gemeinden, auf die kleineren Städte — wir debattieren ja gerade darüber — auswirken? Und in diesem Zusammenhang: Wie werden die durch die Konjunktur vor allem unter Druck stehenden Baulandpreise berücksichtigt?

Dr. Dieter Haack (SPD):
Rede ID: ID0712809100
Herr Kollege Niegel, es ist doch völlig unmöglich, im Rahmen einer Fragestunde detailliert auf solche Fragen einzugehen. Es ist ja genau der Sinn



Parl. Staatssekretär Dr. Haack
etwa des Planspiels, des Hearings in der nächsten Woche und der monatelangen Beratungen, die zur Novelle des Bundesbaugesetzes im Bundestag anstehen werden, die einzelnen Auswirkungen zu prüfen. Ich glaube nicht — ich bitte, mir das zu entschuldigen —, daß wir die Ausschußberatungen in die Fragestunde verlagern können.
Aber eine Bemerkung möchte ich in diesem Zusammenhang doch noch machen. Wenn Sie etwa den wichtigen Teil der bürgerschaftlichen Mitwirkung herausgreifen — das ist ja indirekt auch in Ihrer Frage enthalten —: Wir waren uns alle darüber im klaren, daß selbstverständlich, wenn wir hier mehr Bürgerbeteiligung und damit auch mehr Demokratie wollen, das auch zu einer zusätzlichen Belastung der Verwaltung führen wird. Ich bin allerdings der Auffassung, daß sich diese zusätzliche Belastung nur bei einer vordergründigen Betrachtung als Belastung herausstellen wird. Die Gemeinden werden viele Schwierigkeiten, die sie jetzt haben, bei einem solchen verbesserten Instrumentarium und bei einer verbesserten bürgerschaftlichen Mitwirkung in Zukunft nicht mehr haben, so daß der Arbeitsaufwand und der Verwaltungsaufwand im Endergebnis nicht größer sein werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712809200
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Henke.

Erich Henke (SPD):
Rede ID: ID0712809300
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß all diese Fragen gestern und vorgestern bei dem Planspiel in Wuppertal ausreichend diskutiert worden sind und die Möglichkeit bestanden hat, offen gebliebene Fragen dort zu klären, und können Sie weiter bestätigen, daß die beteiligten Städte — —

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712809400
Herr Kollege Sie können, bitte, nur von einer Zusatzfrage Gebrauch machen.

Erich Henke (SPD):
Rede ID: ID0712809500
— — und die beteiligten Institute am Schluß des Planspiels ausdrücklich festgestellt haben, daß losgelöst von den finanziellen Erwartungen ganz besonders aus bodenpolitischen Gründen die Einführung des Planungswertausgleichs dringend notwendig ist?

Dr. Dieter Haack (SPD):
Rede ID: ID0712809600
Ich kann das voll bestätigen. Ich bin dem Herrn Kollegen Niegel sehr dankbar, daß er gestern das Planspiel abgewartet und von seiner ursprünglichen Absicht, während des Planspieles wegen dieser Frage in den Bundestag zu fahren, Abstand genommen und die Erörterung dieser Frage auf heute verschoben hat.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712809700
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und Bundeskanzleramts auf. Frage 122 ist von dem Herrn Abgeordneten Niegel gestellt:
Welche Gründe veranlaßten Bundeskanzler Schmidt, Bundesjustizminister Dr. Vogel und Parlamentarischen Staatssekretär Haack, den Hirtenbrief der katholischen Bischöfe zur bayerischen Landtagswahl zu kritisieren, ihn insbesondere als Wahleinmischung zu bezeichnen und der katholischen Kirche einen Rückfall in alte Zeiten vorzuwerfen, und welche Gründe veranlaßten den gleichen Personenkreis, den ähnlich gelagerten Wahlaufruf des Deutschen Gewerkschaftsbundes — Landesbezirk Bayern —Orientierungspunkte zur Landtagswahl" nicht in ähnlicher Form zu kritisieren bzw. ihn sogar zu begrüßen?
Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Schlei zur Verfügung.

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0712809800
Lieber Herr Kollege Niegel, Ihre Frage besteht aus zwei Teilen und verlangt deshalb eine gegliederte Antwort.
Teil eins der Frage, lieber Kollege Niegel, hätten Sie zunächst auch an den Vorsitzenden Ihrer Landesgruppe richten können. Herr Stücklen selbst nämlich hat den Hirtenbrief der bayerischen Amtskirche als „nicht hilfreich" bezeichnet.

(Heiterkeit)

Ich schätze dieses Wort eines erfahrenen Parlamentariers. Wir finden es in der Tat nicht hilfreich, wenn in einem Hirtenbrief, wie geschehen, demokratischen Parteien dieses Hauses die demokratische Substanz abgesprochen wird. Solche Äußerungen sind nicht vom Auftrag der katholischen Kirche getragen. Dieser Auftrag lautet dahin,

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

für die Entwicklung und Achtung sittlicher Wertvorstellungen zu wirken. Dieser Auftrag der Kirchen wird von der Bundesregierung und den sie tragenden Kräften in vollem Umfang anerkannt und unterstützt. Die Amtskirche weicht jedoch dann von ihrem Auftrag ab, wenn sie sich selbst zum Austragungsort einer Wahlentscheidung in einer funktionierenden parlamentarischen Demokratie macht. Daß diese Selbstverständlichkeit in einem Landtagswahlkampf ausgesprochen werden mußte, ist bedauerlich.
In der Sache ist nichts dagegen einzuwenden, daß die bayerischen Bischöfe, wie in dem Hirtenwort geschehen, dazu aufrufen, Abgeordnete zu wählen, die für Recht, Freiheit und Solidarität eintreten. Dies sind nämlich die Grundwerte des demokratischen Sozialismus.

(Lachen bei der CDU/CSU — Dr. Czaja [CDU/CSU] : Aber nicht nur!)

Im Godesberger Programm steht lediglich die Freiheit an der ersten Stelle der Reihenfolge. Sonstige Unterschiede gibt es nicht.

(Seiters [CDU/CSU] : Sprechen Sie für die SPD oder für die Koalition? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Ja, lesen Sie es einmal nach, meine Herren!
Im zweiten Teil Ihrer Frage, Herr Niegel, geht es darum, weshalb kein Anlaß gesehen wurde, den Aufruf des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Landtagswahlkampf 1974 in Bayern zu kritisieren. Auch diese Frage hätten Sie einem Ihrer Fraktionskollegen stellen können. Am letzten Sonntag hat nämlich Ihr Kollege Franz Xaver Geisenhofer die



Parl. Staatssekretär Frau Schlei
Grüße und Wünsche Ihres Landesvorsitzenden Franz Josef Strauß den Delegierten des 12. Ordentlichen Gewerkschaftstages der Gewerkschaft Textil und Bekleidung überbracht. Dabei hat er besonders hervorgehoben, daß in den Wahlkämpfen des Jahres 1974 — so wörtlich — „keine wesentlichen Verletzungen der parteipolitischen Unabhängigkeit der Gewerkschaften" hätten registriert werden müssen. Soweit die Grußworte im Namen von Franz Josef Strauß.
In der Tat enthält der von Ihnen zitierte Wahlaufruf lediglich erstens den Aufruf, zur Wahl zu gehen, zweitens die Absage an alle extremen Parteien und drittens ein Bekenntnis zum freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Darin vermag die Bundesregierung nicht den Versuch einer unzulässigen Wahlbeeinflussung zu erkennen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712809900
Zusatzfrage.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0712810000
Frau Staatssekretärin,

(Zuruf von der CDU/CSU: „Liebe" Staatssekretärin! — Parl. Staatssekretär Frau Schlei: Ja, nun lassen Sie uns mal unsere Beziehungen! — Heiterkeit)

sprechen Sie prinzipiell den Kirchen und den Vertretern der Kirchen, also den Bischöfen, das Recht zu, genauso wie andere Organisationen in unserem Lande, z. B. wie der DGB, zu Fragen unserer Wertordnung und auch zu Wahlen grundsätzlich Stellung zu nehmen?

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0712810100
Aber es wird doch gar nicht bestritten, daß wir den Kirchen das Recht zugestehen, sich um sittliche Wertordnungen zu kümmern.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Den Amtskirchen!)

Nur ist es etwas anderes, ob man Wahlaufrufe macht oder ob man, wie geschehen, Abgeordneten Empfehlungsbriefe zur Wahl schreibt.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Haben wir eine freie Wahl?)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712810200
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0712810300
Frau Staatssekretärin, wenn Sie schon den Herrn Kollegen Geisenhofer zitieren, so hat sich dieser — das darf ich dazu sagen; ich bin von ihm autorisiert worden — im wesentlichen auf Einmischungen während — —

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712810400
Fragen Sie bitte, Herr Kollege!

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0712810500
Das muß ich dazu noch erklären. Dann kommt die Frage.

(Heiterkeit)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712810600
Herr Kollege, Sie hatten Gelegenheit, sich auf die Zusatzfrage vorzubereiten. Statt einer Erklärung müssen Sie eine damit unmittelbar im Zusammenhang stehende Zusatzfrage stellen.

(Zurufe von der CDU/CSU)


Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0712810700
Ist Ihnen bekannt, Frau Kollegin, daß Herr Geisenhofer mit „Wahlveranstaltungen" den laufenden Wahlkampf als solchen gemeint und nicht von den Orientierungspunkten gesprochen hat, die ich zum Gegenstand meiner Frage gemacht habe, und daß in den Orientierungspunkten des DGB in Bayern die Bayerische Staatsregierung angegriffen worden ist?

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0712810800
Es ist mir bekannt, daß Sie sicherlich die Orientierungspunkte meinen. Es ist mir auch bekannt, daß der DGB zusätzlich zu dem von Ihnen zitierten Wahlaufruf, zu dem ich in meiner Antwort ja eben Stellung genommen habe, eine Broschüre veröffentlicht hat. Der Inhalt dieser Broschüre ist auch nicht so, daß ich Ihre Frage bejahen kann, Ihre Frage im Teil eins. In dieser Broschüre werden nämlich unter anderem lobend hervorgehoben: das bayerische Naturschutzgesetz und das bayerische Energieprogramm. An anderen Stellen wird wiederum dargelegt, daß Gewerkschaftsforderungen in Bayern noch nicht erfüllt sind. Das muß man aushalten. Die dabei getroffenen Feststellungen — —

(Niegel [CDU/CSU] : Das muß man dann genauso bei der Kirche aushalten!)

— Jetzt sind wir bei den Gewerkschaften und bei diesem Wahlaufruf der Gewerkschaften mit den Orientierungspunkten. Die dabei getroffenen Feststellungen liegen alle im Rahmen des Auftrages der Gewerkschaft, nämlich der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Das geht mehr den Körper an. Die Kirche kümmert sich ja, wie wir wissen, vorwiegend um die Seelen. Das hat der Gewerkschaftsbund durchaus getrennt.

(Niegel [CDU/CSU] : Bei den Seelen darf man es nicht mehr machen, gnädige Frau? — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben aber einen tollen Kirchenbegriff!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712810900
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stücklen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0712811000
Verehrte Frau Staatssekretärin, sind Sie mit mir der Meinung, daß es unzulässig ist, aus einem Interview nur einen Halbsatz herauszugreifen, und wäre es nicht der Darstellung der ganzen Wahrheit dienlicher, wenn man dann schon diese vier oder fünf Sätze zitierte, die sich mit meiner Äußerung als Vorspann befassen, z. B. daß ich ausdrücklich den. Kirchen — —

(Zurufe von der SPD: Frage!) — Moment, das ist die Frage.


(Weitere Zurufe)





Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712811100
Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Stücklen fragt nach seinen eigenen Ausführungen. In diesem Fall lasse ich die Möglichkeit der Erläuterung zu.

(Heiterkeit)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0712811200
Sehr korrekt, Herr Präsident! Ich habe z. B. den Kirchen ausdrücklich das Recht zugesprochen, sich auch zu tagespolitischen Fragen, insbesondere zu Fragen, die § 218 oder das Kirchenpapier zum Inhalt haben, äußern zu können. Ich habe ausdrücklich — —

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712811300
Herr Kollege —

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0712811400
Ich bin noch nicht fertig.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712811500
Herr Kollege, den entscheidenden Punkt haben Sie dargelegt. Sie wissen, Zusatzfragen müssen knapp und klar sein.

(Zuruf von der CDU/CSU: Antworten auch!)

Ich gebe jetzt der Frau Staatssekretärin die Möglichkeit der Antwort.

(Weitere Zurufe)


Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0712811600
Herr Stücklen, ich werde noch einmal mit Sorgfalt nachlesen, was Sie mit dem Ausdruck „nicht hilfreich" gemeint haben könnten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712811700
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Friedrich.

Bruno Friedrich (SPD):
Rede ID: ID0712811800
Frau Staatssekretärin, ist es nicht so, daß diese Frage zwar an die Bundesregierung gerichtet ist, daß aber die Genannten diese Erklärungen im Wahlkampf als Vertreter ihrer Partei abgegeben haben, und wie erklären Sie es sich, daß der Kollege Niegel, der doch im Stellen von Fragen eine ungeheure Fruchtbarkeit wie kein anderer Kollege entfaltet,

(Zurufe)

eine solche Unterscheidung nicht zu treffen vermochte?

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0712811900
Der Herr Kollege Niegel — was auch immer er wollte — wollte sicherlich nicht den Wahlkampf hier nachholen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712812000
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Höcherl.
Meine Damen und Herren, ich darf einmal sagen: So reizvoll die Nachklänge zu Wahlkämpfen auch sind: Ich habe noch eine Fülle von Fragen von Kollegen vorliegen, die den Wunsch haben, daß ihre Fragen mündlich beantwortet werden. An den Wahlergebnissen selbst wird sich ohnehin nichts mehr
ändern, mögen die Fragen auch noch so witzig sein.

(Niegel [CDU/CSU] : Gott sei Dank!)


Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0712812100
Frau Staatssekretär, können Sie sich so weit überwinden, daß Sie die hohen sittlichen Eigenschaften, die Sie den Anhängern des demokratischen Sozialismus zubilligen, auch den anderen Mitgliedern des Hauses, die sich nicht zu dem demokratischen Sozialismus in Ihrem Sinne bekennen können, zuerkennen?

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0712812200
Herr Höcherl, daran ist, glaube ich, nie ein Zweifel geäußert worden, nicht einmal von Ihrer Seite.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712812300
Ich rufe die Frage 123 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann auf:
Treffen Pressemeldungen zu, der Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen habe in Ost-Berlin geheime Verhandlungen über die Verlängerung des Swing im Interzonenhandel sowie über die Rücknahme der Erhöhung des Zwangsumtauschsatzes für Reisende in die „DDR" geführt, wovon der Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in OstBerlin bis vor kurzem nicht unterrichtet gewesen sei, und wie vereinbart — bejahendenfalls — die Bundesregierung dieses Verhalten mit ihren durch die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundeskanzler erteilten Antworten in der Fragestunde des Deutschen Bundestages, in denen jede Verhandlung über die Rücknahme der Erhöhung des Zwangsumtauschsatzes oder gar Verhandlungen über Gegenleistungen geleugnet wurden mit der Begründung, die Rücknahme sei allein Sache Ost-Berlins?
Bitte, Frau Staatssekretär!

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0712812400
Herr Dr. Wittmann, die von Ihnen genannten Pressemeldungen stimmen nicht; sie treffen nicht zu.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712812500
Eine Zusatzfrage!

Dr. Fritz Wittmann (CSU):
Rede ID: ID0712812600
Worüber hat denn Herr Pöhl dann verhandelt, Frau Staatssekretärin, könnten Sie das kurz darlegen?

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0712812700
Herr Pöhl hat über die ständige Verbesserung der Beziehungen zur DDR verhandelt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712812800
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Fritz Wittmann (CSU):
Rede ID: ID0712812900
Könnten Sie mir, da schon in den Pressemeldungen sowohl vom Swing im Interzonenhandel als auch von einem Entgegenkommen seitens der DDR die Rede ist, die konkreten Punkte nennen? Und worin bestand denn dann das Entgegenkommen der DDR?

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0712813000
Was in den Pressemeldungen steht, muß ja nicht zutreffen, Herr Kollege Dr. Wittmann, wenn Sie Ihre Fragen auf die Gespräche richten, die Herr Pöhl geführt hat.



Parl. Staatssekretär Frau Schlei
Zum Inhalt dieser Gespräche möchte ich Ihnen sagen, daß ich Ihr Verständnis dafür brauche, daß die Beantwortung dieser Fragen im innerdeutschen Ausschuß in einem Brief des Bundeskanzlers an Ihren Kollegen, Herrn von Wrangel, angekündigt worden ist. Der Zeitpunkt, zu dem dies geschehen kann, ist von mir im Augenblick noch nicht zu nennen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712813100
Eine Zusatzfrage hat der Abgeordnete Jäger.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0712813200
Frau Staatssekretärin, wären Sie bereit, zu bestätigen, daß sich die Gespräche, die der Herr Staatssekretär Pöhl geführt hat, auch auf den innerdeutschen Handel und speziell auf den Swing im innerdeutschen Handel bezogen haben?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712813300
Sie hätten, wenn Sie vorhin zugehört hätten, feststellen können, daß ich dazu nicht bereit bin.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712813400
Ich rufe die Frage 124 des Herrn Abgeordneten Röhner auf:
Wie erklärt sich die Bundesregierung den Umstand, daß Bundesnachrichtendienstmaterial an die Behörden der CSSR gelangt ist, das dem Journalisten Gengenbach geschadet hat?
Bitte, Frau Staatssekretär!

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0712813500
Herr Kollege Röhner, weder die Bundesregierung noch der Bundesnachrichtendienst haben an irgendeiner Stelle in der CSSR mittelbar oder unmittelbar BND-Material zur Verfügung gestellt oder irgendwie dorthin gelangen lassen. Derartige Behauptungen — von wem immer sie aufgestellt worden sind — sind falsch.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712813600
Eine Zusatzfrage!

Paul Röhner (CSU):
Rede ID: ID0712813700
Frau Staatssekretär, kann die Bundesregierung ausschließen, daß in diesem Fall BND-Material an die Behörden der CSSR gelangt ist?

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0712813800
Ja, Herr Kollege, das ist vollkommen auszuschließen, weil darüber überhaupt kein Material bestand. Es wurde erst eine Akte angelegt, als dieser traurige Fall eintrat, und zwar eine solche Akte, die Hilfsmaßnahmen festhält, wie das auch bei anderen Fällen geschieht.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712813900
Eine Zusatzfrage hat der Herr Abgeordnete Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0712814000
Frau Staatssekretärin, wie erklären Sie sich dann, daß sich die tschechoslowakischen Stellen — und vor allem dieses Gericht — darauf beziehen, im Besitz von BND-Material zu sein?

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0712814100
Das ist erstens nicht erwiesen, und zweitens liegt eine solche Frage beim Herrn Kollegen Moersch vor.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712814200
Ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen, Frau Staatssekretärin. Für die Beantwortung der weiteren Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes steht Herr Staatssekretär Bölling zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 125 des Herrn Abgeordneten Dr. Fuchs auf:
Wie definiert die Bundesregierung den Begriff „Bildungs-Bürger alter Schule" („Die Bundesrepublik Deutschland, unser Staat!" Herausgeber: Presse- und Informationsamt), den wir uns ihrer Ansicht nach nicht leisten können, und wie begründet sie des näheren die angebliche Sozialschädlichkeit dieses Phänomens?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712814300
Der Begriff, der Sie offenkundig irritiert hat, Herr Dr. Fuchs, ergibt sich aus dem Kontext des ganzen Absatzes. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich diese kurze Passage aus der Broschüre vorlesen. Da heißt es unter dem Zwischentitel „Unser Kapital: Das Know-how":
Unser Land verfügt nicht über reiche Bodenschätze. Wenn wir unseren Platz im internationalen Wettbewerb behaupten wollen, müssen wir immer mit an der Spitze sein, was Forschung und Technologie, Modernität unserer Industrie und Können unserer Unternehmer, Ingenieure, Forscher, Arbeiter und Kaufleute angeht.
Deshalb brauchen wir auch ein Bildungssystem, das leistungsfähig ist und die Voraussetzung bietet, daß jeder seinen Anlagen entsprechend die bestmögliche Ausbildung erhält.
Und dann kommt der Terminus:
Bildungs-Bürger alter Schule können wir uns nicht leisten: Bildung ist kein Luxus, sondern eine Existenzfrage für unser Land.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712814400
Eine Zusatzfrage hat der Herr Abgeordnete Dr. Fuchs.

Dr. Karl Fuchs (CSU):
Rede ID: ID0712814500
Herr Staatssekretär, in welcher Form ist der Text dieser Broschüre — vor allem diese Passage — mit dem Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft abgestimmt worden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712814600
Ich glaube, Herr Abgeordneter Dr. Fuchs, hier bedurfte es nicht einer Abstimmung; denn hier sollte ja nur charakterisiert werden, was heute nicht mehr das Ziel der Bildungspolitik einer modernen Regierung in einem Industriestaat sein kann. Wenn ich das noch



Staatssekretär Bolling
hinzufügen darf, Herr Dr. Fuchs: Dieser Terminus „Bildungsbürger alter Schule" ist ja in keiner Weise desavouierend zu verstehen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712814700
Sie haben noch eine zweite Frage.

Dr. Karl Fuchs (CSU):
Rede ID: ID0712814800
Herr Staatssekretär, halten Sie es für zweckmäßig, daß in einer Zeit, die häufig als „Bildungsgesellschaft" apostrophiert und angesprochen wird, gerade dieser Begriff „Bildungsbürger" doch offensichtlich in einem abwertenden Sinne gebraucht wird?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712814900
Nein, dies kann ich, Herr Abgeordneter, überhaupt nicht konzedieren, denn tatsächlich heißt es ja auch „Bildungsbürger alter Schule". Es gibt viele literarische Belege dafür, daß damit die Zugehörigkeit zu einer zu dieser Zeit privilegierten Bevölkerungsschicht ausgedrückt war. Darin stimmen Sie sicherlich mit mir überein.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712815000
Ich rufe die Frage 126 des Herrn Abgeordneten Spranger auf:
Bedeutet die in einer Broschüre des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung aufgestellte These, „allein die industrielle Produktion in der Landwirtschaft könne das Überleben sichern", daß die Bundesregierung die Entstehung industrieller, nicht an gleichzeitige Landbewirtschaftung gebundener Großbetriebe für die Herstellung von Grundnahrungsmitteln befürwortet und fördert, oder wie anders ist die genannte Behauptung zu verstehen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712815100
Herr Abgeordneter, Ihre Frage darf ich wie folgt beantworten. Der Satz, der Ihnen in der Broschüre „Die Bundesrepublik Deutschland — unser Staat" störend aufgefallen ist, lautet vollständig: „Allein die industrielle Produktion auch in der Landwirtschaft kann das Überleben einer explosionsartig wachsenden Weltbevölkerung sichern".
Die Publikation enthält einleitend eine allgemeine Darstellung der Probleme, wie Ihnen bekannt, die es mit den Mitteln der Politik zu lösen gilt. Dieser allgemeinen Einführung ist das Zitat entnommen. Es bezieht sich also nicht auf die aktuelle Agrarpolitik dieser Regierung — diese wird in einem zweiten Teil behandelt —, sondern auf die Frage, wie das Überleben der Weltbevölkerung gesichert werden kann.
Der Satz ist also als ein Hinweis zu verstehen, daß die Anwendung industrieller Verfahrensweisen auf der ganzen Welt auch in der Landwirtschaft erforderlich ist, um die Ressourcen auszuschöpfen, jedenfalls dort, wo die geographische Situation das zuläßt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712815200
Zusatzfrage, bitte!

Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID0712815300
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung Bedenken hätte, die Einführung der industriellen Produktion im landwirtschaftlichen Sektor zum agrarpolitischen Programm zu erheben?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712815400
Ja, ganz sicherlich. Aber es ist ja auch in dem Teil, aus dem ich nicht zitiert habe, deutlich dargelegt worden, welches im Konkreten und im Generellen die Leitlinien der Agrarpolitik dieser Regierung sind. Hier galt es nur deutlich zu machen, daß die moderne Technologie vor dem Land unmöglich haltmachen kann.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712815500
Sie haben eine zweite Zusatzfrage.

Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID0712815600
Herr Staatssekretär, würden Sie einräumen, daß der Begriff „industrielle Produktion" zumindest mißverständlich ist und hier eine exaktere Wortwahl angemessen gewesen wäre?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712815700
Über die Präzision von Ausdrücken läßt sich immer streiten. Aber in diesem besonderen Zusammenhang kann ich nicht einsehen, daß dies eine irreführende Charakterisierung dessen ist, was gemeint ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712815800
Herr Kollege Höcherl, Sie wollten eine Zusatzfrage stellen.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0712815900
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung entgangen, daß die Familienbetriebe viel leistungsfähiger sind als die industriell geführten Landwirtschaften?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712816000
Herr Abgeordneter Höcherl, ganz im Unterschied zu Ihnen bin ich auf dem Felde, zu dem ich mich jetzt nur für einen informationspolitischen Aspekt zu äußern habe, ein richtiger Amateur. Deshalb möchte ich mit Ihnen hier nicht in ein Fachgespräch eintreten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712816100
Ich rufe die Frage 127 des Herrn Abgeordneten Spranger auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Verteilung der vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung hergestellten, für Jugendliche bestimmten Zeitschrift „DingsBums" wegen parteipolitischer und weltanschaulicher Einseitigkeit und wegen geschmackloser Ausführung, die dem geistigen Niveau und Urteilsvermögen der angesprochenen Jugendlichen nicht entspricht, eingestellt werden sollte?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712816200
Herr Abgeordneter, ich teile Ihre Auffassung nicht. Die Illustrierte läßt keine politische oder weltanschauliche Einseitigkeit erkennen. Sie scheint uns vielmehr ein geeignetes Medium, mit dem man den besonderen Leserkreis, den wir da im Visier haben, erreicht, um die Politik der Bundesregierung zu erklären.



Staatssekretär Bolling
Was die angeblich geschmacklose Ausführung betrifft, läßt sich hier — dieses ist eine sehr triviale Bemerkung, die Sie bitte verstehen werden — natürlich streiten. Sie haben wahrscheinlich einen anderen Geschmack als jene, welche die Zeitung entworfen haben. Aber nicht alle Abgeordneten dieses Hohen Hauses scheinen Ihre Auffassung von dem, was guter Geschmack ist oder nicht, zu teilen; denn wir haben eine ganze Reihe von Bestellungen von Abgeordneten des Deutschen Bundestages für diese Zeitschrift bekommen. Die Zeitschrift wendet sich vor allem an berufstätige Jugendliche, insbesondere an Lehrlinge. Durch die Sozialforschung ist im übrigen empirisch nachgewiesen, daß diese Jugendlichen mehrheitlich abstrakte politische Sachdarstellungen ablehnen und gar nicht lesen. Es ist deshalb notwendig, solche Sachinformationen — z. B. Informationen über die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters — mit Informationen aus der Erfahrungswelt der Jugendlichen zu verknüpfen.
Sollte sich aber bestätigen, daß dieser Versuch, den wir mit dieser Zeitschrift machen, nämlich Interesse für politische Fragen zu wecken, nicht überzeugend ausfällt, müßte man von neuem darüber nachdenken. Bisher hat es den Anschein, daß diese Zeitschrift eine ganz bemerkenswerte Resonanz findet.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712816300
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Spranger.

Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID0712816400
Herr Staatssekretär! Es tut mir leid, daß ich auf Grund Ihrer Antwort dann folgende Frage stellen muß. Hält es die Bundesregierung für geschmackvoll, wenn in der Schrift zwei Fotos beziehungsvoll nebeneinandergestellt sind, von dem das eine einen jungen Mann darstellt, der eine Sau krault, während auf dem Nebenfoto ähnliches mit einer Frau geschieht, und können Sie mir sagen, wo hier ein erzieherischer Wert zu sehen ist?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712816500
Herr Abgeordneter! Es wird wohl immer so sein, daß Angehörige unserer Generation solche Fragen ein wenig anders ansehen als Lehrlinge und Schüler. Ich plädiere nicht dafür, daß man bei der Beurteilung einer solchen Zeitschrift in jedem Fall moralische Kategorien außer Betracht läßt, ganz gewiß nicht! Auch ich finde, wenn ich diese Zeitschrift kritisch ansehe, einige Dinge, die ich als Redakteur entweder nicht so oder gar nicht in die Zeitschrift hineingenommen hätte. Aber wenn Sie mit Jugendpublikationen vertraut sind, werden Sie mir zugeben, daß es hier einer ganz besonderen Methodik bedarf, um überhaupt an junge Leser heranzukommen.

(Zuruf von der SPD)

Da darf man nicht den Eindruck erwecken, als sei man „moralinsauer" und prüde. Dann wäre das nämlich alles Makulatur.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712816600
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Spranger.

Carl-Dieter Spranger (CSU):
Rede ID: ID0712816700
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung es parteipolitisch und weltanschaulich für ausgewogen, wenn zum Thema „Frauen und Politik" lediglich Politikerinnen von SPD und FDP zu Wort kommen, wenn insbesondere zu § 218 die Abtreibung in bezug auf die Fristenlösung als ein Ausfluß des Diktats der Männer bezeichnet wird, das bisher bestanden hat und das man deshalb abbauen müsse? Wie würden Sie das bewerten?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712816800
Ich glaube, daß es völlig in der Ordnung ist, daß die Bundesregierung in einer Zeitschrift, die für junge Leute bestimmt ist, ihre Vorstellungen darlegt, und ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren, was vor langen Jahren Professor Ludwig Erhard zu dem Prinzipiellen Ihrer Frage gesagt hat, Herr Abgeordneter. Professor Erhard hat damals gesagt:
Wenn Regierungspublikationen für die Regierung und ihre Politik werben und dies auch den Regierungsparteien zugute kommt, so liegt diese Wirkung in dem verfassungsrechtlich legitimen Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung und kann nicht als unzulässige Unterstützung der Regierungsparteien beanstandet werden.

(Hört! Hört! bei der SPD)

So weit Ludwig Erhard.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712816900
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kunz (Weiden).

Prof. Dr. Max Kunz (CSU):
Rede ID: ID0712817000
Herr Staatssekretär, wurde bei der Erstellung dieser Schrift eine Werbeagentur herangezogen, und wo wurde diese Schrift gedruckt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712817100
Über diese technischen Details kann ich Sie später gern unterrichten; ich habe sie nicht im Kopf.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712817200
Diese Frage steht in ihrem zweiten Teil sicherlich auch nicht mehr in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Hauptfrage. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Die Frage des Herrn Abgeordneten Gerlach wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr Moersch, zur Verfügung. Ich weise zunächst darauf hin, daß die Fragen 139 und 141 bis 144 gemäß Nr. 2 Abs. 2 der Fragestundenrichtlinien



Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
unzulässig sind und von mir nicht aufgerufen werden. Ich rufe die erste Frage des Herrn Abgeordneten Jäger (Wangen) auf.
Wie ist die Behauptung der sowjetrussischen regierungsamtlichen Zeitung Iswestija (verbreitet durch Radio Moskau am 3. Oktober 1974), „die sogenannte deutsche Frage" sei „nun abgeschlossen und von der Geschichte in allen ihren real verstandenen sozialpolitischen Aspekten gelöst worden", mit den Vertragspflichten der UdSSR aus dem Moskauer Vertrag im Hinblick auf die Annahme des Briefs zur deutschen Einheit und der gemeinsamen Entschließung des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 1972 durch die sowjetische Regierung zu vereinbaren?
Bitte sehr, Herr Staatsminister!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712817300
Soll ich gleich auch die Frage 130 mit beantworten? Sind Sie damit einverstanden?

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0712817400
Nein! Ich bitte um getrennte Beantwortung.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712817500
Das angegebene Zitat, Herr Kollege, stammt aus „Iswestija" vom 3. Oktober 1974 und befindet sich im Bericht eines Ostberliner Korrespondenten dieser Zeitung. Wie an dieser Stelle mehrmals betont wurde, ist die Bundesregierung nicht bereit, sich, aus welchem Anlaß auch immer, mit Presseäußerungen auseinanderzusetzen oder sich in öffentliche Diskussionen, möglicherweise polemischer Art, einzulassen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712817600
Zusatzfrage.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0712817700
Herr Staatsminister, gilt diese Antwort, die Sie gegeben haben, auch dann, wenn es sich bei einem Presseorgan wie der „Iswestija" um die offizielle und amtliche sowjetische Regierungszeitung handelt, die in ihren Äußerungen fast ständig die offizielle Ansicht der Regierung der UdSSR wiedergibt?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712817800
Herr Abgeordneter, das gilt in dem Maßstab, den ich hier in einer anderen Fragestunde genau umrissen habe. Offizielle Äußerungen von Regierung zu Regierung finden auf dem dafür im internationalen Verkehr vorgesehenen Wege statt. Daß es Zeitungen gibt, die im Regierungsbesitz sind und Regierungsmeinungen vertreten, ist eine Sache, die davon unberührt bleibt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712817900
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0712818000
Herr Staatsminister, darf ich daraus schließen, daß die Bundesregierung bisher noch nicht zur Kenntnis genommen hat, daß es zu den Gepflogenheiten der sowjetrussischen Politik gehört, auch amtliche Darstellungen nicht nur in Verbalnoten oder ähnlichen offiziellen Dokumenten, sondern geradezu mit Vorliebe in derartigen Zeitungsmeldungen zu verbreiten?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712818100
Herr Abgeordneter, Sie unterschätzen die Bundesregierung, was diesen Punkt betrifft. Trotzdem hält die Bundesregierung an den Gepflogenheiten fest, die internationalem Übereinkommen entsprechen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712818200
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mertes.

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0712818300
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß die in „Iswestija" abgedruckte Auffassung auch die Auffassung der Regierung der Sowjetunion ist, da diese Auffassung in amtlichen Dokumenten der Sowjetunion ihren Ausdruck ausgedruckt gefunden hat?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712818400
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen das bestätigen, was ich vorhin gesagt habe: daß wir sicher noch oft Gelegenheit haben werden, uns darüber im einzelnen zu unterhalten. Ich vermag hier nicht aus dem Gedächtnis zu zitieren.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712818500
Ich rufe die Frage 130 des Herrn Abgeordneten Jäger (Wangen) auf:
Was hat die Bundesregierung unternommen, bzw. was gedenkt sie zu unternehmen, um dieser in der Iswestija zum Ausdruck gekommenen Politik der sowjetrussischen Regierung entgegenzutreten und den Wiedervereinigungsanspruch des deutschen Volkes nach außen beharrlich zu vertreten", wozu sie durch das Grundgesetz verpflichtet ist?
Herr Staatsminister!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712818600
Zu dieser Frage darf ich feststellen, Herr Kollege, daß für niemanden, der die Politik der Bundesregierung verfolgt hat, ein Zweifel daran bestehen dürfte, daß die Bundesregierung dem Auftrag des Grundgesetzes nachgekommen ist und weiterhin nachkommt. Sie hat das im Brief zur deutschen Einheit formulierte Postulat, daß es das politische Ziel der Bundesrepublik Deutschland ist, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt, ständig und mit Nachdruck überall dort vertreten, wo dies angemessen und angezeigt war. Sie wird dies auch weiterhin tun. Ich darf in diesem Zusammenhang nun auf die Äußerungen der Minister Scheel und Genscher vor der 28. und 29. Generalversammlung der Vereinten Nationen hinweisen und insofern das wiederholen, was ich Ihnen gestern auf eine entsprechende Frage im Innerdeutschen Ausschuß gesagt habe. Anläßlich der Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die Vereinten Nationen hat der damalige Bundesminister des Auswärtigen den Wiedervereinigungswillen in aller Klarheit vor diesem Weltforum vorgetragen. Minister Genscher hat dort noch im September dieses Jahres folgende Erklärung abgegeben — ich zitiere —:
Wir können die Teilung nicht als das letzte Wort der Geschichte über die deutsche Nation akzeptieren. Dieses Wort wird vom deutschen Volk selbst gesprochen werden.




Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712818700
Zusatzfrage.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0712818800
Herr Staatsminister, wenn ich Ihre Antwort richtig verstehe, ist sie so zu interpretieren, daß die Bundesregierung es nicht für notwendig erachtet, der in der „Iswestija" wiedergegebenen Auffassung der Sowjetunion ausdrücklich entgegenzutreten. Liegt in dieser Weigerung der Bundesregierung nicht eine grobe Unterschätzung der Bedeutung der Sowjetunion als einer der für Deutschlands Einheit zuständigen vier Mächte und eine Unterschätzung ihrer Äußerungen zur deutschen Frage?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712818900
Nein, Herr Abgeordneter. Wenn es irgendein Forum gibt, auf dem man wirklich seine Auffassung dei ganzen Welt deutlich machen kann, ist es das Forum der Vereinten Nationen. Ich wüßte nicht, wo man das besser tun könnte.

(Zustimmung bei der SPD)

Die Bundesregierung hat sich keinerlei Vorwürfe zu machen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712819000
Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Claus Jäger (CDU):
Rede ID: ID0712819100
Herr Staatsminister, angesichts der Tatsache, daß die Bundesregierung mit der Sowjetunion längst vor unserem Eintritt in die Vereinten Nationen in Korrespondenz und Unterhandlung gewesen ist, darf ich Sie fragen, ob das Verfassungsgebot, die deutsche Einheit nach außen beharrlich zu vertreten, wie es das Bundesverfassungsgericht von der Bundesregierung verlangt, nicht dadurch verletzt wird, daß solchen wichtigen Aussagen der sowjetischen amtlichen Politik gegenüber eine Vogel-Strauß-Politik betrieben wird.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712819200
Nein, Herr Abgeordneter.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712819300
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jahn (Marburg) .

Gerhard Jahn (SPD):
Rede ID: ID0712819400
Herr Staatsminister, trifft es zu, daß sowohl der Bundeskanzler als auch der Bundesaußenminister den letzten Besuch in Moskau zum Anlaß genommen haben, die Position der Bundesrepublik Deutschland mehrfach auch öffentlich deutlich werden zu lassen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712819500
Herr Abgeordneter, es trifft nicht nur zu, sondern es ist auch gestern in diesem Hause noch einmal dargelegt worden, und die Wiederholung bestätigt nur, was wir bereits längst gesagt haben.

(Stücklen [CDU/CSU] : In diesem Punkt!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712819600
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0712819700
Herr Staatsminister, wie kann der Staatsbürger den wahren Sachverhalt überhaupt erfahren, wenn eine derartige Meldung der „Iswestija" von der Bundesregierung unwidersprochen bleibt?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712819800
Herr Abgeordneter, offensichtlich besteht in der Einschätzung der Bundesbürger eine Differenz. Wir gehen davon aus, daß die Bundesbürger immer wieder Gelegenheit haben, den Standpunkt der Bundesregierung kennenzulernen, so daß es nicht einer Politik des ständigen Reagierens auf irgendwelche Presseäußerungen bedarf, die irgendwo erscheinen und mit unserer Meinung nicht übereinstimmen. Das ist weder im Inland noch im Ausland üblich.

(Dr. Hupka [CDU/CSU]: Die „Iswestija" ist nicht „irgendwo" !)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712819900
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Friedrich.

Bruno Friedrich (SPD):
Rede ID: ID0712820000
Herr Staatsminister, können Sie hier nochmals bestätigen, was über alle Fernsehund Rundfunksender ging: daß der Bundeskanzler in Moskau auch vor dem sowjetischen Fernsehen den Willen zur Wiedervereinigung ausdrücklich betont hat?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712820100
Herr Abgeordneter, ich glaube, es würde etwas von der Frage wegführen, wenn ich alle Belegstellen hier noch einmal aufzählen wollte. Ich möchte den Kollegen, die das nicht zur Kenntnis genommen haben, die entsprechenden Dokumente zur Einsicht gerne überlassen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712820200
Herr Staatsminister, die Frage 131 des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn (Braunschweig) wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 132 des Herrn Abgeordneten Roser auf:
Trifft die Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 15. Oktober 1974 zu, Einladungen an sowjetische Wissenschaftler zu der Berliner Tagung des Club of Rome seien unter Hinweis auf das Viermächteabkommen zurückgewiesen worden, und was hat die Bundesregierung — bejahendenfalls — unternommen, um die von der Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung ausgerichtete Tagung vor verfälschenden Interpretationen des Viermächteabkommens zu schützen?
Herr Staatsminister Moersch!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712820300
Herr Abgeordneter, es trifft zu, daß dem Club of Rome mitgeteilt wurde, sowjetische Wissenschaftler könnten an der Jahrestagung in Berlin nicht teilnehmen, weil die Bestimmungen des Viermächteabkommens über Einladungen zu internationalen Veranstaltungen nicht eingehalten worden seien. Hierzu ist folgendes festzustellen:



Staatsminister Moersch
Der Präsident des Club of Rome hat in seinem Einladungsschreiben an die sowjetischen Wissenschaftler darauf hingewiesen, daß seine Einladung in voller Übereinstimmung mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin ausgesprochen werde. Er ist dabei offenbar davon ausgegangen, daß diese Form der Einladung auf sowjetischer Seite nicht auf Schwierigkeiten stoßen werde. Die sowjetische Reaktion veranlaßte ihn, in einem Telefongespräch mit dem zuständigen sowjetischen Staatskomitee klarzustellen, daß eine Einladung des Senats wie auch eine solche der Bundesregierung dem Club of Rome tatsächlich vorliege. Möglicherweise hat die sowjetische Seite die mündliche Klarstellung nicht als ausreichend angesehen. Es kann allerdings auch nicht ausgeschlossen werden, daß andere Gründe für das Fernbleiben sowjetischer Wissenschaftler maßgebend waren. Dafür gibt es Anhaltspunkte. Hierfür spricht z. B. auch die Tatsache, daß entgegen der Pressemeldung, die darüber erschienen ist, nach Auskunft des Komitees, die mir vorliegt, zwei polnische und ein bulgarischer Wissenschaftler an der Tagung teilgenommen haben.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712820400
Zusatzfrage.
Roser (CDU/CSU) Herr Staatsminister, können Sie mir bestätigen, daß im Viermächteabkommen vereinbart ist, daß der Senat von Berlin nur dann als Mithandelnder bei Einladungen auftritt, wenn die Bundesregierung — mithin auf staatlicher Ebene — handelt, und welche Folgerungen würden Sie aus diesem Tatbestand für Einladungen anderer Organisationen internationaler Art wie aus dem nationalem Raum ableiten?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712820500
Herr Abgeordneter, das Viermächteabkommen darf ich hier als bekannt voraussetzen. Wir haben mit der Organisation darüber Gespräche geführt. Aber ich muß noch einmal auf meine vorhin gegebene Antwort verweisen, daß nämlich die Begründung, die für die Absage gegeben wurde, ganz offensichtlich nicht die alleinige oder eigentliche Begründung gewesen ist. Das schließen wir erstens aus der Teilnahme von Wissenschaftlern anderer Ostblockstaaten und zweitens aus anderen Dingen. Ich bin gerne bereit, Ihnen den entsprechenden Brief zur Verfügung zu stellen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712820600
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege.

Hans Roser (CSU):
Rede ID: ID0712820700
Herr Staatsminister, sind Sie mit mir nicht auch der Meinung, daß die Bundesregierung im Zusammenhang mit dieser Frage nicht die Aufgabe der Motivforschung hat, sondern zu Rechtssachverhalten Stellung zu nehmen hat?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712820800
Die Bundesregierung hat dazu Stellung genommen, und sie hat dem nichts hinzuzufügen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712820900
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Friedrich.

Bruno Friedrich (SPD):
Rede ID: ID0712821000
Ist es nicht so, Herr Staatsminister, daß in dem technologisch-wissenschaftlichen Abkommen die Außenvertretung Berlins durch die Sowjetunion akzeptiert worden ist und daß dies der Rechtstatbestand ist?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712821100
Herr Abgeordneter, es ist, glaube ich, durch die Klarstellung deutlich geworden, daß es sich hier nicht um eine Differenz im Rechtlichen handelt, die zu dieser Absage geführt hat.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712821200
Ich rufe die Frage 133 des Herrn Abgeordneten Roser auf:
Trifft es zu -- wie „Le Monde" vom 17. Oktober 1974 berichtet --, daß die französische Regierung bereit ist, Initiativen zu unterstützen, die auf die nationale Direktwahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments gerichtet sind und dieses Thema zu einem Tagesordnungspunkt auf der bevorstehenden Gipfelkonferenz der EG-Staats- und Regierungschefs zu machen, und wird die Bundesregierung diesem Vorschlag folgen?
Herr Staatsminister!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712821300
Ja, Herr Abgeordneter. Die französische Regierung hat verschiedene Vorschläge gemacht, wie Europa der weltweiten Herausforderung unserer Tage begegnen kann. Sie hat diese Vorschläge offenbar auch gegenüber der Presse erläutert, wie aus dem Bericht von „Le Monde" vom 17. Oktober 1974 hervorgeht. In diese Vorschläge sind die Vorstellungen einer Reihe von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft bereits eingegangen. Einer dieser Vorschläge betrifft die Direktwahl der Abgeordneten zum Europäischen Parlament. Allgemeine unmittelbare Wahlen nach einem einheitlichen Verfahren in allen Mitgliedstaaten sind bereits gemäß Art. 138 des EWG-Vertrages als ein Auftrag an den Rat, entsprechende Bestimmungen zu erlassen, postuliert.
Das Europäische Parlament ist gegenwärtig damit beschäftigt, seinen Entwurf aus dem Jahre 1960 zu überarbeiten und der inzwischen eingetretenen Entwicklung — vor allem in bezug auf die Erweiterung der Gemeinschaft — anzupassen. Der Entwurf soll noch in diesem Jahr vom Europäischen Parlament beraten und dann dem Rat vorgelegt werden.
Die Bundesregierung hat sich in der Vergangenheit stets für die Einführung der Direktwahl zum Europäischen Parlament eingesetzt. Da bisher nicht alle Mitgliedstaaten dem Vorhaben aufgeschlossen gegenüberstanden, hatte die Bundesregierung in den letzten Jahren mehr Gewicht auf die Stärkung der Befugnisse des Europäischen Parlaments gelegt. Sie begrüßt die französische Haltung und hofft, daß Hand in Hand mit einer zu erwartenden Stärkung der Haushaltsbefugnisse des Europäischen Parlaments auch die nötigen Schritte zu einer direkten Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments eingeleitet werden können. Ohne eine Übertragung von echten Befugnissen an das Europä-



Staatsminister Moersch
ische Parlament wäre jedoch zu befürchten, daß viele der an eine Direktwahl geknüpften Erwartungen enttäuscht würden. Auf der anderen Seite sollen gerade durch Direktwahlen neue Impulse für die Bildung eines europäischen Bewußtseins gegeben werden. Die Bundesregierung hofft deswegen, daß auf einer Gipfelkonferenz durch eine grundsätzliche Einigung über die Einführung von Direktwahlen zum Europäischen Parlament die Weichen für eine stärkere Demokratisierung in der Gemeinschaft gestellt werden können.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712821400
Eine Zusatzfrage.

Hans Roser (CSU):
Rede ID: ID0712821500
Herr Staatsminister, sind Sie bereit und sehen Sie sich dazu in der Lage, zu der eigentlichen Frage Stellung zu nehmen, ob es zutrifft, daß die französische Regierung bereit sein könne, sich auch einer nationalen Direktwahl gegenüber sehr aufgeschlossen zu zeigen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712821600
Herr Abgeordneter, ich vermag nicht ganz den Unterschied zu erkennen; denn wo soll die Direktwahl sonst stattfinden als innerhalb der einzelnen Staaten?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712821700
Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Hans Roser (CSU):
Rede ID: ID0712821800
Darf ich davon ausgehen, Herr Staatsminister, daß Sie die Diskussion um die Einführung der nationalen Direktwahl etwa in unserem Lande, aber auch in anderen Ländern aufmerksam genug verfolgt haben, um zu wissen, daß es hier Unterschiede gibt?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712821900
Entschuldigen Sie, Herr Abgeordneter, vielleicht habe ich gerade eine Gedankensperre; ich kann also nicht erkennen, wieso die Antwort nicht auf Ihre Frage eingegangen sein soll.

(Zuruf des Abg. Roser [CDU/CSU])


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712822000
Ich rufe die Fragen 134 und 135 des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl (München) auf. Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe nunmehr Frage 136 des Herrn Abgeordneten Reiser auf:
Hält die Bundesregierung weiterhin ein Konsulat in Windhuk (Namibia) für erforderlich, nachdem die Bundesrepublik Deutschland das einzige Land ist, das entgegen Beschlüssen der Vereinten Nationen dort eine diplomatische Vertretung unterhält?
Bitte!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712822100
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung unterhält in Windhuk keine diplomatische, sondern eine konsularische Vertretung und gedenkt, daran festzuhalten.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712822200
Eine Zusatzfrage.

Hermann P. Reiser (SPD):
Rede ID: ID0712822300
Haben Sie nicht den Eindruck, Herr Staatsminister, daß eine solche konsularische Vertretung im Grunde genommen die Selbständigkeitsbestrebungen der Bevölkerung eher benachteiligt als fördert, weil dann natürlich ein gewisser Ruch von Kolonialismus aufkommen kann?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712822400
Nein, Herr Abgeordneter. Wir haben unseren Standpunkt hierzu auch gegenüber dem Generalsekretär der Vereinten Nationen deutlich gemacht, und es ist Ihnen sicher nicht entgangen, daß dieses Konsulat direkt dem Auswärtigen Amt und nicht etwa der diplomatischen Vertretung in Südafrika unterstellt ist. Die Bundesregierung hat zur Frage der Selbständigkeit sehr eindeutig Stellung bezogen, zuletzt vor wenigen Tagen bei den Vereinten Nationen; da kann kein Zweifel entstehen.

(Stücklen [CDU/CSU] : Und nicht besonders glücklich! — Zuruf von der CDU/CSU: Das weiß der Reiser aber nicht)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712822500
Eine Zusatzfrage.

Hermann P. Reiser (SPD):
Rede ID: ID0712822600
Herr Staatsminister, gibt es denn einige Beispiele für ganz konkrete Aufgabenstellungen besonderer Art, weil ja das Konsulat dem Auswärtigen Amt unterstellt ist?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712822700
Selbstverständlich, Herr Abgeordneter. Da ist die konsularische Betreuung von mehreren tausend deutschen Staatsbürgern. Außerdem gibt es den Wunsch, daß wir auf diese Weise auch eine Direktinformation dieser Staatsbürger von uns aus vornehmen können;

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

ohne dieses Konsulat wären diese Staatsbürger auf andere Stellen angewiesen, die ihnen sicherlich weniger sympathisch wären.

(Erneute Zustimmung bei der CDU/CSU)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712822800
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.

Karl-Heinz Hansen (SPD):
Rede ID: ID0712822900
Herr Staatsminister, hängt die auffallende Zurückhaltung der Bundesrepublik bei Abstimmungen über Anträge in den Vereinten Nationen, die die Apartheid-Politik der Südafrikanischen Union kritisieren, vielleicht mit dem besonders großen wirtschaftlichen Engagement deutscher Firmen in Südafrika oder mit weitreichenden sicherheitspolitischen Vorstellungen zusammen?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712823000
Herr Kollege Hansen, ich lasse diese Zusatzfrage



Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
nicht zu, weil sie mit der hier eingereichten Frage nicht in der notwendigen Verbindung steht.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

Herr Abgeordneter Roser, hatten Sie eine Zusatzfrage? Sonst rufe ich die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Seefeld auf.

(Zurufe von der CDU/CSU: Nein, Dr. Becher! — Zusatzfrage! — Er wollte noch!)

— Meine Damen und Herren, bis jetzt sind erst wenige beantwortet worden und wir haben noch solche Fülle von Fragen vor uns. Im Hinblick auf die Bestimmungen der Geschäftsordnung bin ich gehalten, die Fragestunde so abzuwickeln, daß möglichst viele Fragesteller zu Antworten kommen.
Wir kommen zur Frage 137 des Herrn Abgeordneten Seefeld. Er bittet um schriftliche Beantwortung. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Das gleiche gilt für die Frage 138 des Herrn Abgeordneten Hösl.
Ich rufe die Frage 140 des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg auf:
Ist die Bundesregierung bereit — ähnlich der erfolgreichen Aktion von Senator Jackson und der Mehrheit im amerikanischen Kongreß zugunsten der freien Ausreise jüdischer Staatsbürger aus der Sowjetunion —, eine gemeinsame Initiative der westlichen Teilnehmerstaaten an der KSZE für eine KSZE-Vereinbarung zugunsten der freien Ausreise von Bürgern kommunistischer Staaten, unabhängig von deren Nationalität, Religion, Beruf und Wohnort, einzuleiten bzw. zu unterstützen und wirtschaftliche Zugeständnisse des Westens an kommunistische Staaten (in Korb II der KSZE) von der Zustimmung dieser Staaten zu einer derartigen Vereinbarung (in Korb III der KSZE) abhängig zu machen?
Herr Staatsminister.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712823100
Herr Abgeordneter, wie die Bundesregierung bereits in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU zur KSZE und in der Debatte am 17. Oktober ausgeführt hat, ist für die westlichen Teilnehmerstaaten die Lösung humanitärer Fragen ein wesentlicher Faktor bei den Bemühungen, im Rahmen der KSZE den Entspannungsprozeß zu fördern. Gemeinsam mit ihren Verbündeten unterstützt die Bundesregierung alle Initiativen auf der KSZE, eine Verbesserung der restriktiven Praxis bei der Ausreise aus gewissen Ländern zu erreichen. Dies gilt für den allgemeinen Reiseverkehr, besonders aber für die Familienzusammenführung, für Verwandtenbesuche und für Eheschließungen. Hier ist doch wohl der Hinweis angebracht, daß Abreden über die Familienzusammenführung auch jüdischen Emigranten zugute kommen, sofern sie Familienangehörige in einem der KSZE-Teilnehmerstaaten haben. Zu diesen gehören neben den europäischen Staaten auch die USA und Kanada.
Die KSZE-Beschlüsse werden von den Teilnehmerstaaten in der Schlußphase erst gemeinsam verabschiedet werden, wenn ausgewogene und befriedigende Ergebnisse in allen Bereichen vorliegen. Die Fragen der politischen Sicherheit einschließlich ihrer militärischen Aspekte, der Wirtschaft, Wissenschaft, Technologie, Umweltschutz, humanitäre Fragen, verbesserte Kontakte, Informations- und Kulturaustausch sind, wenn Sie so wollen, in einem großen Paket zusammengeschnürt. Einzelne Komplexe auszusondern oder zwischen ihnen direkte Bezüge in diesen globalen Verhandlungen herzustellen, ist deshalb weder möglich noch nötig.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712823200
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Graf Franz Ludwig Schenk von Stauffenberg (CSU):
Rede ID: ID0712823300
Herr Staatsminister, ist dieses Anliegen der Bundesregierung, so wie Sie es jetzt geschildert haben, bei dem Besuch des Bundeskanzlers und des Herrn Bundesaußenministers in Moskau zur Sprache gekommen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712823400
Herr Abgeordneter, es sind alle Probleme zur Sprache gekommen, die ich hier angeschnitten habe und die auch im Kommuniqué aufgeführt sind.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712823500
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 145 des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes auf:
Wie verhält sich die Sowjetunion seit Abschluß des VierMächte-Abkommens über Berlin vom 3. September 1971 bei der Einbeziehung Berlins in multilaterale Abkommen und Verträge, an denen die Bundesrepublik Deutschland beteiligt ist?
Herr Dr. Mertes, Sie haben zwei Fragen gestellt. Ich weiß nicht, ob und inwieweit Sie an eine Verbindung denken.

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0712823600
Ich hatte die beiden Fragen als eine Frage eingereicht.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712823700
Dann schlage ich vor, daß sie gemeinsam beantwortet werden.

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0712823800
Das entspricht meiner ursprünglichen Vorstellung.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712823900
Dann rufe ich auch noch die Frage 146 des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes (Gerolstein) auf:
Wie verhält sich die Sowjetunion seit Abschluß des VierMächte-Abkommens über Berlin vom 3. September 1971 hinsichtlich der Einbeziehung Berlins in bilaterale Abkommen und Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland einerseits und Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts, Mitgliedstaaten des Atlantischen Bündnisses und Nicht-Mitgliedstaaten der beiden Bündnisse andererseits?
Bitte, Herr Staatssekretär, wenn auch Sie einverstanden sind!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712824000
Herr Abgeordneter, die Sowjetunion hat auch nach dem Abschluß des Viermächteabkommens gegen die Erstreckung multilateraler völkerrechtlicher Vereinbarungen auf Berlin (West) protestiert, Einwendungen erhoben oder sie zumindest kommentiert. Die Begründung der sowjetischen Einwendungen ist je nach Sachlage unterschiedlich. In Fällen, in denen unsere Berlin-Erklärung die Bezeichnung „Land Berlin" enthält, wendet die Sowjetunion ein, Berlin (West) sei kein Land oder Bestandteil der Bundes-



Staatsminister Moersch
republik Deutschland. In anderen Fällen begründet die Sowjetunion ihre Einwendungen damit, daß mit der Erstreckung dieser Verträge auf Berlin (West) Status- und Sicherheitsfragen berührt seien, die seitens der Bundesrepublik Deutschland abgegebene Berlin-Erklärung daher im Widerspruch zum Viermächteabkommen stehe und deshalb unwirksam sei. In einer dritten Fallgruppe beschränkt sich die Sowjetunion auf eine Erklärung, daß sie von der Ausdehnung der Anwendung eines multilateralen Vertrags nur in dem Sinne Kenntnis nehmen könne, daß dies in Übereinstimmung und unter der Voraussetzung der Einhaltung der festgelegten Verfahren erfolge.
Sämtliche bilateralen völkerrechtlichen Vereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts .seit dem Inkrafttreten des Viermächteabkommens enthalten eine Berlin-Klausel. Im Verhältnis zu diesen Staaten findet eine Formel Verwendung, über die nach entsprechenden Verhandlungen mit der Sowjetunion ein Einvernehmen erzielt werden konnte. Diese Formel weicht von unserer Standard-Berlin-Klausel durch eine Bezugnahme auf das Viermächteabkommen und auf die festgelegten Verfahren sowie durch die Bezeichnung „Berlin (West)" ab. Mit den festgelegten Verfahren sind die einschlägigen und seit langem in Kraft befindlichen Anordnungen der Drei Mächte gemeint, die die oberste Gewalt in Berlin (West) ausüben und deren Entscheidungen über die Einbeziehung Berlins in unsere Verträge weiterhin maßgebend sind. An dieser Rechtslage hat das Viermächteabkommen nichts geändert.
Schwierigkeiten bei der Aufnahme einer BerlinKlausel in einen Vereinbarungstext haben sich nur dann ergeben, wenn die Sowjetunion sich auf den Standpunkt stellt, durch die Erstreckung der Vereinbarungen auf Berlin würden Status und Sicherheit berührt. In diesen Fällen sind entsprechende Abkommen nicht zustande gekommen.
Schwierigkeiten ergaben sich ferner bei der Ausfüllung von Rahmenabkommen. Dies gilt z. B. für das wissenschaftlich-technische Abkommen, das Folgevereinbarungen vorsieht, für die sicherzustellen ist, daß das Berliner wissenschaftliche Potential am Austausch teilnehmen kann. Bei Abschluß des Besuches, den Bundeskanzler und Bundesaußenminister der Sowjetunion abgestattet haben, konnte, wie es im gemeinsamen Kommuniqué heißt, festgestellt werden, daß
. . . in den Besprechungen, die sie über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit, über den Kulturaustausch und die Einrichtung von Touristik-Büros in beiden Ländern führten, Fortschritte erzielt wurden, die es gestatten, die Arbeit an diesen Abkommen erfolgversprechend fortzuführen.
Zur Einbeziehung Berlins in bilateriale Verträge der Bundesrepublik Deutschland mit Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts, Mitgliedstaaten des Atlantischen Bündnisses und Nichtmitgliedstaaten der beiden Bündnisse hat sich die Sowjetunion gegenüber der Bundesregierung nicht geäußert.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712824100
Bitte, Herr Kollege, eine Zusatzfrage!

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0712824200
Herr Staatsminister, hat sich die Sowjetunion gegenüber anderen Staaten zu der letztgenannten Frage geäußert?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712824300
Das müßte ich prüfen, Herr Abgeordneter. Das ist mir nicht gegenwärtig.

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0712824400
Ich wäre dafür dankbar.
Herr Staatsminister, wie qualifiziert die Bundesregierung politisch das sowjetische Verhalten nach dem Viermächteakbommen, von dem wir wohl alle zu Recht erwartet hatten, daß es die Einbeziehung Berlins in unsere auswärtigen Beziehungen und in unsere internationalen Verträge endgültiger und unzweideutiger klärt, als es jetzt der Fall zu sein scheint?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712824500
Herr Abgeordneter, ich muß hier auf die von der Bundesregierung in dieser Stelle abgegebenen Erklärungen verweisen, die Ihnen doch sicher bekannt sind.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712824600
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 147 des Herrn Abgeordneten Werner auf:
Wie definieren in Theorie und Praxis die Vier Mächte, die gemeinsame Rechte und Verantwortlichkeiten für die vier Sektoren Berlins innehaben und ausschließlich zuständig sind für Fragen des Status und der Sicherheit von Berlin, die für die Auslegung und praktische Anwendung des Vier-Mäthte-Abkommens zentralen Begriffe „Status" und „Sicherheit"?
Bitte, Herr Staatsminister!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712824700
Herr Abgeordneter, die Bundesrepublik Deutschland ist nicht Signatar des Viermächteabkommens vom 3. September 1971. Die Bundesregierung ist daher nicht legitimiert, verbindliche Aussagen zur Auslegung des Abkommens durch die vier Signatarstaaten zu machen. Nach dem Schreiben, mit dem die drei Westmächte der Bundesregierung am 3. September 1971 den Wortlaut dieses Abkommens übermittelt haben, bleiben die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in bezug auf Berlin ebenso unberührt wie der diesbezügliche Vorbehalt der drei Westmächte in Art. 2 des Deutschlandvertrages. Durch die Einführung der Begriffe „Sicherheit" und „Status" in Anlage IV zum Viermächteabkommen ist demnach kein neues Element eingeführt worden. In Ausübung ihrer Rechte haben die drei Westmächte nämlich bereits in Ziffer II der Erklärung der Alliierten Kommandantur vom 5. Mai 1955 klargestellt, daß sie das Recht behalten — ich zitiere —,
... falls sie es für notwendig erachten, solche
Maßnahmen zu ergreifen, die zur Erfüllung ihrer
internationalen Verpflichtungen und zur Erhal-



Staatsminister Moersch
tung des Status und der Sicherheit Berlins notwendig sind.
Diese Rechtslage ist in den Ziffern 1 und 2 der Mitteilung der Drei Mächte an die Regierung der Sowjetunion, die den Teil A der Anlage IV zum Viermächteabkommen bildet, bekräftigt worden. Die Sowjetunion hat dies in Teil B der Anlage IV zum Viermächteabkommen zur Kenntnis genommen und zum Bestandteil ihrer Erklärungen in der Frage der Außenvertretung Berlins (West) gemacht.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712824800
Eine Zusatzfrage.

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID0712824900
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß es offensichtlich in der Frage der Bindungen zwischen Berlin und der Bundesrepublik, zwischen den Westmächten und der UdSSR Meinungsverschiedenheiten gibt?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712825000
Herr Abgeordneter, der Bundesaußenminister und der Bundeskanzler haben gestern noch einmal dargelegt, daß es um praktische Regelungen geht, die unberührt von den Rechtspositionen sind, die die verschiedenen Seiten ursprünglich und bis heute eingenommen haben. Dies kann implizieren, daß es hier auch Meinungsverschiedenheiten etwa bei der Auslegung geben mag. Dabei befindet sich unsere Definition immer in Übereinstimmung mit der Definition der drei Westmächte.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712825100
Herr Abgeordneter, Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID0712825200
Herr Staatsminister, wie beurteilt die Bundesregierung denn in diesem Zusammenhang die Situation, daß Ost-Berlin trotz des Viermächteabkommens mit sowjetischer Billigung in zunehmendem Maße in die DDR integriert wird?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712825300
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat, glaube ich, in ihrer Antwort deutlich gemacht, wo die Verantwortung der Drei Mächte oder der Vier Mächte insgesamt liegt. Diese Mächte sind die Adressaten für Kommentierungen und Definitionen dieser Art.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712825400
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mertes.

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0712825500
Herr Staatsminister, besteht Veranlassung zu der Feststellung, daß die Sowjetunion den Begriff „Status" und den Begriff „Sicherheit" erheblich extensiver interpretiert als die drei Westmächte?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712825600
Herr Abgeordneter, das müßte im einzelnen zu prüfen sein. Jedenfalls befindet sich die Definition der Bundesregierung in Übereinstimmung mit der Definition der drei Westmächte, und es ist nicht sinnvoll, hier weitere Definitionsversuche zu machen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712825700
Ich rufe die Frage 148 des Herrn Abgeordneten Dr. Böhme (Freiburg) auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß am Oberrhein auf französischer Rheinseite im Elsaß umfangreiche Industrieansiedlungen (zum Teil von deutschen Firmen, wie z. B. das Bleichemiewerk bei Marckolsheim) geplant sind, die schädliche Immissionen auf die deutsche Rheinseite und den dort betriebenen Weinbau am Kaiserstuhl und im Breisgau zur Folge haben können, und sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, Abkommen abzuschließen und regionale Institutionen zur Zusammenarbeit mit Frankreich zu schaffen, die für den Austausch von Informationen über alle mit Umweltfragen zusammenhängenden Bereiche zuständig sind, um sicherzustellen, daß die Umweltbelange der Region am Oberrhein als Ganzes beachtet werden?
Herr Staatsminister!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712825800
Herr Abgeordneter, der Bundesregierung ist bekannt, daß auf der französischen Seite des Oberrheins Industrieanlagen geplant sind. Die zuständigen Behörden auf beiden Seiten stehen wegen des genannten Projekts in einem Meinungsaustausch über Emissions- und Immissionswerte, um schon im Planungsstadium schädliche Emissionen zu verhindern. Die Bundesregierung ist maßgeblich an der Erarbeitung von internationalen Grundsätzen beteiligt, nach denen die Fragen der grenzüberschreitenden Verschmutzung geregelt werden sollen. So werden die für Umweltfragen zuständigen Minister der OECD-Länder auf ihrer Sitzung am 13. und 14. November 1974 eine Empfehlung zur Frage der grenzüberschreitenden Verschmutzung verabschieden. Darin werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, für gefährdete Grenzregionen eine gemeinsame langfristige Politik zum Schutz und zur Verbesserung der Umwelt zu entwickeln. Hierfür werden wichtige Grundsätze aufgestellt: Informationen, Konsultationen auf Behördenebene, Warnsysteme bei plötzlich eintretenden grenzüberschreitenden Verschmutzungen, gleiches rechtliches Gehör für die Bürger aller beteiligten Staaten, keine Diskriminierung von Grenzregionen.
Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, daß diese Prinzipien von den örtlich zuständigen Stellen beachtet und angewandt werden, so wie dies bereits mit der 1971 verabschiedeten Entschließung des Europarats zur Luftreinhaltung in Grenzgebieten geschieht. Der in dieser Entschließung vorgesehene rechtzeitige Austausch von Informationen ist im Falle des geplanten Bleichemiewerkes in Marckolsheim beachtet worden.
Außerdem steht die Bundesregierung im Rahmen der deutsch-französischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Umwelt auch in Fragen der grenzüberschreitenden Verschmutzung mit der französischen Regierung in ständigem Kontakt. Die Bundesregierung ist deshalb der Auffassung, daß zusätzliche bilaterale Umweltabkommen mit Frankreich nicht erforderlich sind.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712825900
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter!




Dr. Rolf Böhme (SPD):
Rede ID: ID0712826000
Wenn ich recht verstanden habe, bejaht die Bundesregierung somit die Notwendigkeit einer grenzüberschreitenden Planung. Bejaht die Bundesregierung dann auch den Grundsatz, daß Maßnahmen eines Staates im Grenzbereich keine schädlichen Auswirkungen auf den Nachbarstaat haben dürfen, und unterwerfen sich beide Staaten, also Deutschland und Frankreich, diesem Grundsatz?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712826100
Herr Abgeordneter, wir bejahen die Meinung, daß die Grenze für die Nachbarn keinen Schaden bringen soll. Deswegen sind ja auch für die geplante Konferenz am 13. und 14. November in Paris die Abmachungen vorgesehen, die ich in meiner Antwort bereits zitiert habe. Ich gehe davon aus, daß dies die allgemeine Meinung der europäischen Nachbarstaaten, vor allem auch in dieser Region, ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712826200
Sie haben noch eine Zusatzfrage. Bitte!

Dr. Rolf Böhme (SPD):
Rede ID: ID0712826300
Steht zu erwarten, daß die Konferenz vom 13./14. November unmittelbare Auswirkungen auf den Fall Marckolsheim haben kann, oder werden da nur allgemeine Fragen geregelt, die den betreffenden Fall nicht berühren werden? Läßt sich das schon absehen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712826400
Herr Abgeordneter, meiner Ansicht nach sollten die bereits vom Europarat verabschiedeten Empfehlungen, die hier ebenfalls zur Beachtung stehen, und die französische Gesetzgebung selbst, die diesem Gesichtspunkt durchaus Rechnung trägt, schon eine genügende Gewähr dafür bieten, daß auf unserer Seite keine Schädigungen oder Belästigungen entstehen können. Soweit mir bekannt ist, wurde auch der Behördenkontakt zu dem Zweck geführt, festzustellen, daß die französischen Vorschriften unseren Vorstellungen durchaus entsprechen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712826500
Ich rufe die Frage 149 des Herrn Abgeordneten Dr. Böhme auf:
Ist die Bundesregierung bereit, unter Bezugnahme auf die Beschlüsse der III. Internationalen Parlamentarierkonferenz zu Umweltfragen vom 8. bis 10. April 1974 in Nairobi sich dafür einzusetzen, daß die Planung im Grenzgebiet am Oberrhein grenzüberschreitend erfolgt, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, besondere Mechanismen für eine gemeinsame Planung im Grenzgebiet zu schaffen, die Fragen der Landnutzung und des Umweltschutzes auf beiden Seiten des Rheins berücksichtigen und sicherstellen, daß die Bürger auf beiden Seiten der Grenze an solchen gemeinsamen Planungsarbeiten beteiligt werden?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712826600
Zwischen der Bundesregierung, der französischen und der schweizerischen Regierung sind seit längerem Überlegungen im Gange, eine dreiseitige Regierungskommission für regionale Fragen im Grenzraum Baden–Elsaß–Baseler Kantone zu bilden. In dieser Regierungskommission sollen nach Ansicht der Bundesregierung auch Umweltfragen erörtert werden.
Außerdem ist die Bundesregierung seit längerem bemüht, die bisher nur in loser Form geführten deutsch-französischen Gespräche zwischen den für die Raumordnung zuständigen Ministerien beider Staaten zu intensivieren und im Rahmen des Erforderlichen zu institutionalisieren.
Auf regionaler Ebene bestehen bereits grenzüberschreitende Kontakte, z. B. die ständige DeutschFranzösisch-Schweizerische Konferenz für regionale Koordination, die conférence tripartite.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712826700
Eine Zusatzfrage.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712826800
Herr Staatsminister, sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, in den Gremien, die Sie ansprachen, auch eine Abstimmung bezüglich der Kernkraftwerke beiderseits des Rheins im Wege einer grenzüberschreitenden Planung herbeizuführen, und zwar für die Sicherheitsvorschriften, für die Auswirkungen ökologischer Art, aber auch für mögliche Industrieansiedlungen, die ein Kernkraftwerk zur Folge haben wird?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712826900
Herr Abgeordneter, unsere Kontakte sind umfassender Art und enthalten alle Fragestellungen, die Sie eben genannt haben.
Außerdem gibt es auch Kontakte mit den anderen Rhein-Anliegerstaaten — es sind ja nicht nur die beiden —, etwa die Wassererwärmung, im Hinblick auf die Belastbarkeit des Rheines und vieles andere mehr. Ich möchte allerdings bitten, daß fachliche Fragen gegebenenfalls so formuliert werden, daß die zuständigen Ministerien sie beantworten können. Ich bin bei diesen Konferenzen auch Zuschauer gewesen.

Dr. Rolf Böhme (SPD):
Rede ID: ID0712827000
Eine letzte Frage, die die Zuständigkeit betrifft: Sind die Gremien alle in der Zuständigkeit des Bundes oder in der des betreffenden Landes?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712827100
Es werden wesentliche Zuständigkeiten der Länder berührt, weil durch die Sperrminorität zur Verfassungsänderung die entsprechende Bundeszuständigkeit bisher nicht erreicht werden konnte, wie ich zu meinem Bedauern feststellen muß, so daß natürlich auch eine hohe Verantwortlichkeit der Länder, soweit sie zuständig sind, gegeben ist. Die Länder wirken bei den gemeinsamen Gesprächen mit den RheinAnlieger-Staaten mit.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712827200
Ich rufe die Frage 150 des Herrn Abgeordneten Hansen auf:
Wann wird die Bundesregierung diplomatische Beziehungen zu folgenden Staaten aufnehmen bzw. wiederaufnehmen: Kuba, Nord-Vietnam und Nord-Korea?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712827300
Herr Abgeordneter, zu keinem der von Ihnen ge-



Staatsminister Moersch
nannten Fälle kann ich einen Zeitpunkt für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen nennen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712827400
Eine Zusatzfrage.

Karl-Heinz Hansen (SPD):
Rede ID: ID0712827500
Herr Staatsminister, ist es richtig — wie aus Presseverlautbarungen zu entnehmen war —., daß die Bundesregierung aber zumindest im Falle Kuba und Nord-Vietnam seit Wochen Gespräche mit den betroffenen Ländern führt, die zu einer Aufnahme diplomatischer Beziehungen führen sollen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712827600
Herr Abgeordneter, wenn Sie mir Gelegenheit geben, Ihre zweite Frage zu beantworten, dann werden Sie eine präzisere Zusatzfrage stellen können.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712827700
Dann rufe ich die Frage 151 des Herrn Abgeordneten Hansen auf:
Welches sind die besonderen politischen Grande, die die Aufnahme bzw. Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu den genannten Staaten bisher verhindert haben oder noch verhindern?
Bitte, Herr Staatsminister!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712827800
Mit Kuba bestehen, wie ich bereits in der Fragestunde vom 10. Oktober 1974 angedeutet habe, Herr Abgeordneter Hansen, seit längerer Zeit Kontakte. Diese haben dazu geführt, daß am 21. August 1974 in Havanna ein Abkommen zur Regelung der Rückzahlung kubanischer Altschulden an deutsche Gläubiger abgeschlossen wurde. Außerdem hat die kubanische Regierung kürzlich in humanitären Fragen Entgegenkommen gezeigt. Sobald auch die restlichen noch offenen Fragen geregelt sein werden, steht der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen von unserer Seite aus nichts mehr im Wege.
Wir sind auch jederzeit bereit, in Gespräche über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Regierung der Demokratischen Republik Vietnam einzutreten. Zwecks Vereinbarung eines Gesprächstermins stehen wir in Kontakt mit der nordvietnamesischen Seite. Die Regierung in Hanoi zögert bisher, auf unser Gesprächsangebot — das war im Juli 1973 — einzugehen.
Der Regierung der Demokratischen Volksrepublik Korea ist die Bereitschaft der Bundesregierung, mit allen Staaten, die das wünschen, diplomatische Beziehungen aufzunehmen, bekannt. Sie hat aber einen dahin gehenden Wunsch nicht geäußert. Wir werden von uns aus jetzt keine Initiative ergreifen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712827900
Eine Zusatzfrage.

Karl-Heinz Hansen (SPD):
Rede ID: ID0712828000
Herr Staatsminister, können Sie mir sagen, welche rechtlichen Fragen zwischen Kuba und der Bundesrepublik Deutschland noch zu klären sind, die zur Zeit noch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen behindern?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712828100
Als ein Beispiel darf ich nennen, daß die Vertretung der Interessen Berlins durch die Bundesrepublik Deutschland in befriedigender Weise geregelt werden muß, wie wir das mit allen Staaten vereinbart haben, mit denen wir diplomatische Beziehungen aufgenommen haben. Das ist eine der Fragen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712828200
Eine weitere Zusatzfrage.

Karl-Heinz Hansen (SPD):
Rede ID: ID0712828300
Herr Staatsminister, ich kann also davon ausgehen, daß es zur Zeit auf diese Gespräche keine Einwirkung der Vereinigten Staaten gibt, zumal erkennba ist, daß auch dort — wie sich Henry Kissinger neulich ausgedrückt hat — die Bereitschaft besteht, in einen neuen Dialog mit Kuba einzutreten?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712828400
Herr Abgeordneter, Sie können immer davon ausgehen, daß die Bundesregierung im Interesse der Bundesrepublik Deutschland handelt und daß sie alle Fragen, die auch die Interessen anderer berühren, mit denen bespricht, deren Interessen berührt werden oder berührt werden könnten. Das ist nicht nur im Bündnis üblich, das ist weltweit üblich. Das entspricht z. B. der Praxis in den Vereinten Nationen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712828500
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0712828600
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung aufgefallen, daß bei der Aufzählung der Staaten, mit denen die Bundesrepublik Deutschland keine diplomatischen Beziehungen unterhält, Albanien ausgelassen worden ist?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712828700
Herr Abgeordneter, das hat mit Auffallen wenig zu tun. Die Frage ist kürzlich schön hier behandelt worden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712828800
Entschuldigung. Herr Abgeordneter, die Frage steht nicht in dem notwendigen Zusammenhang.
Ich gebe noch dem Herrn Abgeordneten Reiser die Möglichkeit zu einer Zusatzfrage.

(Abg. Hansen [SPD] meldet sich zu einer weiteren Zusatzfrage)

— Herr Abgeordneter Hansen, Sie haben Ihre Fragen konsumiert.

(Hansen [SPD] : Nein!)

— Ich weiß, was Sie sagen wollen. Der Herr Abgeordnete Reiser hat die Möglichkeit — —

(Hansen [SPD] : Herr Präsident, darf ich darauf aufmerksam machen, daß Sie mein Fragereck beschneiden! Ich habe zwei Fragen gestellt, so daß ich das Recht habe, vier Zusatzfragen zu stellen!)

Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sit ung. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 8619
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
— Herr Abgeordneter, Sie haben zur ersten Frage keine zweite Zusatzfrage gestellt.

(Hansen [SPD]: Das ist richtig!)

Damit ist Ihr Fragerecht konsumiert.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Reiser!

(Hansen [SPD] : Ich nehme diese eigenartige Praxis zur Kenntnis! — Lachen bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Er kann nicht zählen!)

- Bitte?

(Seiters [CDU/CSU] : „Eigenartige Praxis" hat er gesagt!)

— Herr Abgeordneter, ich rüge diese Bemerkung ausdrücklich.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Hermann P. Reiser (SPD):
Rede ID: ID0712828900
Herr Staatsminister Moersch, ist Ihnen bekannt, das große deutsche Reisegesellschaften Kuba neuerdings in ihr Ferienprogramm aufgenommen haben, und ergibt sich daraus nicht gegebenenfalls die Notwendigkeit, mit Havanna beschleunigt in Verbindung zu treten?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712829000
Herr Abgeordneter, hier entsteht die Frage — mir ist das Programm von Reisebüros nicht bekannt; ich kann mir das aber gut vorstellen —,wer eines Tages zuerst da ist, die Reisenden oder die Diplomaten.

(Heiterkeit)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712829100
Ich rufe die Frage 152 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Warum bedient sich die Bundesregierung in ihrem „Arbeitsbericht 74" des Ausdrucks „Deutschstämmige aus Polen", obwohl dieser Ausdrudc den wahren Sachverhalt nicht trifft, da es sich doch gemäß unserer Rechtsauffassung und auch der von der Bundesregierung am 15. August 1974 erteilten Antwort um Deutsche handelt, die heute in einem fremden Herrschaftsbereich leben müssen und genauso Deutsche sind wie die Bürger der Bundesrepublik Deutschland, oder sollen die aus Ostdeutschland stammenden Mitbürger nunmehr Deutsche einer besonderen Kategorie sein?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712829200
Herr Abgeordneter, zur Formulierung der von Ihnen beanstandeten Art habe ich bereits in der von Ihnen zitierten Antwort vom 15. August grundsätzlich Stellung genommen. Für den von Ihnen nunmehr angesprochenen konkreten Fall gilt voll und ganz das damals Festgestellte, wonach keine Rede davon sein kann, daß eine derartige Formulierung in der Absicht verwendet wird, einen Hinweis auf den Status der Betroffenen als deutsche Staatsangehörige oder als deutsche Volkszugehörige zu vermeiden. Dies ergibt sich im übrigen auch im Arbeitsbericht 1974 der Bundesregierung eindeutig aus dem Zusammenhang, in dem die von Ihnen kritisierte Redewendung steht. Im einleitenden Satz, also wenige Zeilen vorher, finden Sie zweimal das Wort „Deutsche" in Zusammenhang mit der Frage der Umsiedlung, was meiner Ansicht nach die Haltung der Bundesregierung, die im übrigen der polnischen Seite seit langem bekannt ist, unmißverständlich darstellt. Dennoch bedauere ich die in diesem Bericht enthaltene Ungenauigkeit und bin Ihnen für Ihren Hin-,.weis dankbar. Ich habe auch bereits angeregt, daß in einer Neuauflage des Arbeitsberichts ein einheitlicher und unmißverständlicher Ausdruck gebraucht wird.

(Stücklen [CDU/CSU] : Endlich mal eine vernünftige Antwort!)

— Auf konkrete Fragen kann man auch konkret antworten, Herr Abgeordneter.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712829300
Das ist damit erledigt.
Ich rufe die Frage 153 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Welche Schritte wird die Bundesregierung unternehmen, damit in einer Zeit, in der die Volksrepublik Polen infolge einer schweren Krise sehr hohe Finanzhilfen und staatsverbürgte Waren- und Investitionskredite von der Bundesrepublik Deutschland erstrebt, auf der Posener Konsumgütermesse Berlin in amtlichen Messekatalogen nicht durch amtlichen Zwang als selbständige, von der Bundesrepublik Deutschland abhängige politische Einheit zwischen Belgien und Brasilien ausgewiesen wird und daß diese völkerrechtswidrige Einmischung Polens in die innerstaatlichen Bindungen des freien Berlin an die Bundesrepublik Deutschland, die ihre Grundlage im Grundgesetz und in den Vollmachten der Westmächte haben, jedoch auch nach dem Vier-Mächte-Abkommen zu bewahren und auszubauen sind, ein Ende findet?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712829400
Die Bundesregierung wird auch der Volksrepublik Polen gegenüber darauf hinwirken, daß Berlin bei Messen und Ausstellungen in einer Weise behandelt wird, die nicht hinter der Regelung des Viermächteabkommens zurückbleibt. Dazu gehört insbesondere, daß in den Messekatalogen Berlin nicht als selbständiges Ausstellerland erscheint, sondern unter der Rubrik „Bundesrepublik Deutschland" aufgeführt wird.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712829500
Herr Abgeordneter, wollen Sie Zusatzfragen stellen?

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0712829600
In welcher Weise wird die Bundesregierung gegenüber der Volksrepublik Polen das, was Sie jetzt ausgeführt haben, in diplomatischen Schritten dahin gehend untermauern, daß sie eine Einmischung der Volksrepublik Polen in die innerstaatlichen Bindungen des Landes Berlin an die Bundesrepublik nicht hinzunehmen bereit ist?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712829700
Herr Abgeordneter, auf dem diplomatischen Wege, der uns dafür zur Verfügung steht, machen wir auf einen Tatbestand, der uns wichtig erscheint, aufmerksam.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712829800
Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0712829900
Werden Sie einen förmlichen Protest dagegen einlegen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712830000
Herr Abgeordneter, ich weiß nicht, auf welchen Fall Sie dabei abzielen. Wir werden darauf hinwirken, daß es nur ein Messekatalog der Bundesrepublik Deutschland ist, wie das in anderen Staaten Osteuropas ja auch Praxis ist.




Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712830100
Ich rufe die nächste Frage, die Frage Nr. 154 des Herrn Abgeordneten Kunz (Berlin) auf und schlage vor, Herr Staatssekretär, daß wir die Fragen 154, 155, 159 und 160 — die beiden letzten Fragen waren von dem Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing eingereicht — in der Behandlung verbinden. Läßt sich das aus Ihrer Sicht ermöglichen? Die Fragesteller sind mit diesem Verfahren einverstanden.
Welchen politisch-rechtlichen Hintergrund hat die kürzliche Beschwerde der Bundesregierung beim Heiligen Stuhl wegen der Bezeichnung und Plazierung des Berliner Bischofs, Kardinal Bengsch in dem Verzeichnis der an der römischen Synode teilnehmenden deutschen Bischöfe?
Wie beurteilt die Bundesregierung die Weigerung von Papst Paul VI., zusammen mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin audi den Deutschen Botschafter beim Heiligen Stuhl in Audienz zu empfangen?
Ist die gegenwärtige Haltung des Heiligen Stuhls in der Deutschland- und Berlinfrage nach Auffassung der Bundesregierung völlig konkordatsgemäß, und wird sie als so loyal empfunden, wie das deutsche Volk es berechtigterweise vom Heiligen Stuhl erwartet?
Entspricht die Haltung des Heiligen Stuhls nach Auffassung der Bundesregierung in seiner jüngsten Deutschland- und Berlinpolitik seinem früheren Grundsatz, nämlich Veränderungen im weltlichen Bereich — insbesondere nach Kriegen und gewaltsamen Nachkriegsmaßnahmen — Neuregelungen im kirchlichen Bereich erst dann folgen zu lassen, wenn die neuen Verhältnisse durch einen Friedensvertrag völkerrechtlich eindeutig und endgültig geregelt sind?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712830200
Herr Abgeordneter, in der Teilnehmerliste zur Bischofssynode in Rom wurde als Vertreter einer Bischofskonferenz für die DDR Kardinal Bengsch auch in seiner Eigenschaft als Bischof von Berlin aufgeführt. Weil hierbei die Sonderstellung von Kardinal Bengsch, dessen Diözese auch Berlin (West) umfaßt, und damit die besonderen rechtlichen Gegebenheiten in Berlin unerwähnt blieben, hatte das Auswärtige Amt wiederholt Gegenvorstellungen beim Heiligen Stuhl erhoben, sobald es von der vorgesehenen Form der Liste erfahren hatte. Hierauf wurde die endgültige Teilnehmerliste vom Heiligen Stuhl mit einem Vorspruch versehen, wonach sie keinerlei offiziellen Charakter habe und aus ihr keine politischen Wertungen hinsichtlich der in ihr aufgeführten Gebiete abgeleitet werden könnten. Dem Heiligen Stuhl ist daraufhin von uns deutlich gemacht worden, daß diese Behandlung der Sache den rechtlichen Gegebenheiten in Berlin nicht hinreichend Rechnung getragen hat. Die Bundesregierung hat hierbei keinen Zweifel daran gelassen, daß sie in solchen Angelegenheiten vom Heiligen Stuhl eine rechtzeitige Konsultation und eine volle Berücksichtigung der gegebenen Rechtslage erwartet, wobei der Behandlung Berlins bei allen etwaigen kirchlichen Neuregelungen eine besondere Bedeutung zukommt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712830300
Zusatzfragen?

Gerhard Kunz (CDU):
Rede ID: ID0712830400
Herr Staatsminister, welche Beweggründe im einzelnen haben die Bundesregierung zu ihrer kürzlichen Beschwerde beim Heiligen Stuhl veranlaßt, und ist die Bundesregierung bereit, — —

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712830500
Ich habe das akustisch nicht verstanden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712830600
Herr Kollege, ich bitte um Verständnis. Sie haben eine Reihe von Zusatzfragen. Jeder Abgeordnete will natürlich möglichst viele Fragen stellen. Aber ich möchte Sie bitten, zunächst einmal eine Frage zu stellen, und die wird jetzt beantwortet.

Gerhard Kunz (CDU):
Rede ID: ID0712830700
Ja, es ist eine, Herr Präsident!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712830800
Herr Präsident, ich hatte um Wiederholung gebeten. Ich hatte das akustisch nicht verstanden.

Gerhard Kunz (CDU):
Rede ID: ID0712830900
Welche Beweggründe im einzelnen haben die Bundesregierung zu ihrer kürzlichen Beschwerde beim Heiligen Stuhl veranlaßt, und ist die Bundesregierung bereit, den Inhalt der Beschwerde der deutschen Öffentlichkeit mitzuteilen?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712831000
Herr Kollege Kunz, das sind zwei Zusatzfragen.

(Kunz [Berlin] [CDU/CSU] : Aber nein!)

— Aber, Herr Kollege, streiten Sie sich doch nicht mit mir über die Auslegung. — Herr Staatsminister, Sie haben jetzt die Möglichkeit zur Antwort.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712831100
Herr Kollege, ich bin der Ansicht, daß ich beide Fragen bereits in meiner Antwort auf Ihre erste Frage beantwortet habe, und zwar klar und deutlich. Ich habe den Inhalt unserer Demarche hier mitgeteilt, und ich habe gesagt, daß wir immer dann, wenn wir glauben, Anlaß zu haben, solche Einwände machen zu müssen, diese Demarchen vornehmen werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712831200
Sie haben die Möglichkeit zu einer weiteren Zusatzfrage.

Gerhard Kunz (CDU):
Rede ID: ID0712831300
Sieht die Bundesregierung, Herr Staatsminister, die Gefahr, daß der Heilige Stuhl in Zukunft die Berliner Ordinarienkonferenz als nationale Bischofskonferenz der DDR behandelt, und hat die Bundesregierung durch ihre Beschwerde gegen eine entsprechende Behandlung des Vatikans Rechtsverwahrung eingelegt?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712831400
Meine Damen und Herren, ich mache noch einmal darauf aufmerksam: Zwei Zusatzfragen werden auch nicht durch das Wort „und" zu einer Zusatzfrage.

(Kunz [Berlin] [CDU/CSU] : Herr Präsident . . . !)




Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Haben Sie doch für den amtierenden Präsidenten Verständnis, Herr Kollege.

(Zuruf von der SPD: Das begreift er nicht! Er ist Jurist!)

Bitte, Herr Staatsminister!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712831500
Herr Abgeordneter, eine hypothetische Frage ist nicht zu beantworten. Zum zweiten Teil Ihrer Frage muß ich sagen, daß wir vorstellig geworden sind, wie immer Sie das im einzelnen als Jurist nennen mögen. Zu demarchieren ist das, Was im diplomatischen Verkehr die angemessene Form darstellt.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712831600
Herr Abgeordneter Kliesing, Sie wollen eine Zusatzfrage stellen.

Dr. Georg Kliesing (CDU):
Rede ID: ID0712831700
Herr Staatsminister, teilen Sie die Auffassung, daß die Beunruhigung, die durch diesen Fall ebenso wie durch die Angelegenheit des Regierenden Bürgermeisters von Berlin entstanden ist, deshalb so groß ist, weil dieses Problem nicht isoliert gesehen werden darf, sondern im Zusammenhang mit anderen Aktivitäten des Vatikans, z. B. seiner Haltung gegenüber den Kardinälen Mindszenty und Wyszynski und den Bischofsernennungen in der Tschechoslowakei und in Ungarn?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712831800
Die Äußerungen, die wir in diesen Gesprächen von vatikanischer Seite bekommen haben, geben keinen Anlaß für die Bundesregierung, etwa diese Meinung zu teilen. Die vatikanische Meinung ist anders.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712831900
Keine weiteren Zusatzfragen mehr? — Bitte, Herr Kollege!

Wilfried Böhm (CDU):
Rede ID: ID0712832000
Herr Staatsminister, besteht nach Ihrer Auffassung zwischen den Änderungen des Standpunktes des Vatikans und bevorstehenden Verhandlungen zwischen dem Vatikan und der DDR-Regierung ein Kausalzusammenhang?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712832100
Herr Abgeordneter, es ist nicht die Aufgabe der Bundesregierung, Vermutungen über Haltungen der Regierung eines anderen Staates anzustellen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Doch!) Das ist in diesem Fall der Vatikan.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Ihre Pflicht, Herr Staatsminister!)

Wir haben unseren Standpunkt dargelegt. Ich hätte gewünscht, daß Sie sehr genau auf die Antwort gehört hätten, die ich dem Kollegen Kunz dazu gegeben habe. Ich bin auch bereit, zunächst die anderen Fragen zu beantworten, die von Ihren Kollegen gestellt worden sind. Vielleicht erübrigt sich dann diese Frage.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712832200
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0712832300
Herr Staatsminister, da die Bundesrepublik mit dem Vatikan wie mit vielen anderen Staaten fortbestehende vertragliche Bindungen auf Grund der verfassungs- und völkerrechtlich verankerten Identität der Bundesrepublik mit dem rechtsfähigen Deutschen Reich hat, frage ich Sie, in welcher diplomatischen Form die Bundesregierung die Rechtslage Deutschlands, der Deutschen und des Landes Berlin dem Vatikan in ausreichender Weise so notifiziert hat, wie dies für alle Staatsorgane das in allen Teilen verbindliche Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 31. Juli 1973 besonders präzise umreißt?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712832400
Herr Abgeordneter, es ist Ihnen möglicherweise entgangen, daß wiederholt Konsultationen der Völkerrechtsexperten mit dem Vatikan stattgefunden haben. Es ist Ihnen vielleicht auch entgangen, daß wir einen Botschafter haben, der selbstverständlich im Gesprächskontakt mit den vatikanischen Stellen, mit dem Staatssekretariat steht. Sie können also nicht unterstellen, daß etwa keine geeignete Form gefunden worden wäre, dem Vatikan unsere Auffassung deutlich zu machen.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0712832500
Ist notifiziert worden oder nicht?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712832600
. Herr Kollege, Sie müssen schon warten, ob ich noch eine Zusatzfrage gebe. Ich nehme das als Zusatzfrage zu der zweiten Frage. Bitte!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712832700
Ich habe noch nie den Eindruck gehabt, daß etwa der Nuntius des Vatikans hier in Bonn unsere Position nicht kenne. Auch Sie werden sicher in einem Kontakt mit dem Nuntius diesen Eindruck nicht haben können.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712832800
Herr Abgeordneter Kunz, Sie haben keine Zwischenfragen mehr? — Ich wollte Ihnen nur noch einmal sagen: Sie haben ja sicher selbst ausgerechnet, daß Sie insgesamt sechs Zusatzfragen haben, ohne daß Sie hätten kumulieren müssen.

(Heiterkeit)

Herr Abgeordneter Straßmeir!

Günter Straßmeir (CDU):
Rede ID: ID0712832900
Herr Staatsminister, nachdem Sie auf die Frage des Kollegen Böhm, ob die Bundesregierung hinsichtlich der Änderung der Haltung des Vatikans eine Vermutung dahin gehend habe, daß das mit den Verhandlungen mit der DDR im Zusammenhang stehe, gesagt haben, daß es nicht die Aufgabe der Bundesregierung sei, Vermutungen anzustellen, möchte ich Sie fragen, ob es nicht nachgerade Ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit ist, Vermutungen darüber anzustellen, ob hier eine



Straßmeir
Änderung des politischen Standpunktes eingetreten ist.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712833000
Wenn ein hoher vatikanischer Vertreter Erklärungen abgibt, die zu der gestellten Frage keinerlei Anlaß geben, hat die Bundesregierung die Pflicht und Schuldigkeit, Herr Abgeordneter, den Vatikan hier nicht als unglaubwürdig, sondern als glaubwürdig darzustellen. In Ihrer Frage jedoch ist die Unglaubwürdigkeit des Vatikans unterstellt worden. Ich habe versucht, diesem Problem in höflicher Form auszuweichen. Wenn Sie mich dazu zwingen, mich diesem Problem zu stellen, dann muß ich Ihnen sagen, daß es ungehörig wäre, wenn die Bundesregierung hier zu erkennen gäbe, daß sie Erklärungen von vatikanischen Diplomaten nicht ernst nimmt oder als nicht glaubwürdig ansieht. Ich nehme an, das ist die Meinung des ganzen Hohen Hauses.

(Beifall bei der FDP und SPD)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712833100
Dann zur Frage 155.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712833200
Herr Abgeordneter Kunz, der Heilige Stuhl hat sowohl öffentlich als auch auf diplomatischem Wege der Bundesregierung erklärt, daß sich seine Haltung ausschließlich aus den Übungen des vatikanischen Protokolls erkläre. Die Bundesregierung hat dies zur Kenntnis genommen. Der Heilige Stuhl hat auf dem gleichen Wege klargestellt, daß er in keiner Weise beabsichtigt habe oder beabsichtige, die bestehenden Bindungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) in Frage zu stellen oder zu beeinträchtigen. Die Bundesregierung hat dies mit Befriedigung aufgenommen.
Die Bundesregierung kann jedoch bei der Beurteilung des gesamten Vorgangs nicht an der Tatsache vorübergehen, daß der Regierende Bürgermeister von Berlin während seiner Aufenthalte in anderen Staaten seine Besuche bei hochrangigen Repräsentanten in Begleitung des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland abstatten kann, wenn er dies wünscht. Es liegt nahe, daß sowohl der Regierende Bürgermeister als auch die Bundesregierung auf eine derartige Begleitung, die die Zusammengehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland mit Berlin (West) zum Ausdruck bringt, Wert legen. Ein Verzicht hierauf könnte Anlaß zu Mißdeutungen geben. Es findet daher das volle Verständnis der Bundesregierung, wenn der Regierende Bürgermeister von Berlin es unter den gegebenen Umständen vorgezogen hat, von seinem Besuch beim Heiligen Stuhl abzusehen.
Die Bundesregierung hätte es begrüßt, wenn alle Möglichkeiten des Protokolls des Heiligen Stuhls ausgeschöpft worden wären, dem Wunsch des Besuchers auf Begleitung durch den Botschafter der Bundesrepublik Deutschland zu entsprechen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712833300
Eine Zusatzfrage!

Gerhard Kunz (CDU):
Rede ID: ID0712833400
Herr Staatsminister, treffen Pressemeldungen zu, nach denen Bischof Poggi als einer der engsten Mitarbeiter von Erzbischof Casaroli an einer von der Ost-CDU veranstalteten Friedenskonferenz von Katholiken und Kommunisten in Ost-Berlin teilnehmen soll?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712833500
Herr Abgeordneter, ich kenne diese Pressemeldungen nicht, und ich erkenne auch nicht den Zusammenhang mit der gestellten Frage.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712833600
Ich kann hier ebenfalls keinen Zusammenhang mit der von Ihnen eingereichten Frage erkennen, Aber ich gebe Ihnen noch die Möglichkeit einer Zusatzfrage.

Gerhard Kunz (CDU):
Rede ID: ID0712833700
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Nicht-Begleitung des deutschen Botschafters aus Anlaß der damaligen Besuche des früheren Regierenden Bürgermeisters Brandt beim Vatikan in den Jahren 1960 und 1966 nicht vergleichbar ist mit der Situation, die sich auf Grund der Bitte des Regierenden Bürgermeisters um diesmalige Begleitung jetzt ergeben hat?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712833800
Der Bundesregierung ist zunächst einmal daran gelegen, richtigzustellen, daß der damalige Regierende Bürgermeister — jedenfalls bei dem Besuch, den ich im Auge habe; vielleicht haben Sie einen anderen im Auge — seinen Besuch in Begleitung eines Vertreters der Botschaft vorgenommen hat.
Zum zweiten hat die Bundesregierung ihre Haltung deutlich gemacht, die ich in meiner Antwort dargestellt habe.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712833900
Eine Zusatzfrage hat der Herr Abgeordnete Kliesing.

Dr. Georg Kliesing (CDU):
Rede ID: ID0712834000
Herr Staatsminister, wird nach Auffassung der Bundesregierung die Äußerung von Erzbischof Casaroli, es habe sich bei der deutschen Resonanz um einen „Sturm im Wasserglas" gehandelt, der Situation gerecht?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712834100
Herr Abgeordneter, der Herr Bundesaußenminister selbst hat in einem Gespräch mit dem Nuntius die deutsche Situation und die Auffassung über die rechtliche Problematik dargestellt. Ebenso hat dies unser Botschafter beim Vatikan getan. Ich habe keinen Anlaß, anzunehmen, daß diese Äußerung aufrechterhalten würde, wenn sie gefallen wäre.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712834200
Herr Abgeordneter Kliesing, Sie haben keine Zwischenfrage mehr? — Herr Abgeordneter Mertes, Sie haben das Wort zu einer Zusatzfrage.




Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0712834300
Herr Staatsminister, kann die Bundesregierung angesichts des heutigen Artikels in der Wochenzeitung „Die Zeit" „Der Botschafter ist an den Schütz-Wirbel schuld" bestätigen, daß sich unser Botschafter beim Heiligen Stuhl, Herr Alexander Böker, auch in dem Zusammenhang, den wir gerade erörtern, loyal und pflichtgemäß verhalten hat, und zwar sowohl gegenüber der Bundesregierung und dem Berliner Senat als auch gegenüber dem Vatikanstaat, und können Sie bestätigen, daß eine in diesem Zusammenhang — so heißt es — erfolgte Indiskretion weder in Rom noch in Bonn begangen wurde?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712834400
Herr Kollege, das ist aber eine sehr, sehr „kurze" Zusatzfrage, von der Sie selbst überzeugt sind, daß sie sich nicht im Rahmen der Geschäftsordnung hält.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712834500
Ich verfüge leider nicht über genügend Scharfsinn, Herr Kollege, deswegen kann ich auch nicht bestätigen, wo Indiskretionen nicht stattgefunden haben; das festzustellen ist außerordentlich schwierig. Es gibt hierüber nur zutreffende oder weniger zutreffende Vermutungen, und es hat keinen großen Sinn, über Tatbestände, die nicht aufzuklären sind, hier Erklärungen abzugeben.
Ich möchte den ersten Teil der Frage noch beantworten. Die Bundesregierung hat keinen Anlaß — daß muß ich noch sagen, weil es wichtig ist —, an der Loyalität eines ihrer Beamten zu zweifeln. Das schließt alle Botschafter ein. Wenn sie Zweifel hätte, zöge sie die Konsequenz.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712834600
Herr Staatsminister, ist aus dem Fragenkomplex noch etwas zu beantworten? Ich habe das Gefühl, es ist noch eine Frage des Herrn Abgeordneten Kliesing zu beantworten, die Frage 159 des Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712834700
Jawohl, die Frage 159 und 160.
Herr Abgeordneter, der Heilige Stuhl hat erklärt, daß die Behandlung der Teilnehmerliste zur Bischofssynode und der Audienz des Regierenden Bürgermeisters von Berlin beim Papst nicht eine Änderung seiner Haltung in der Deutschland- und Berlin-Frage anzeigen. Er hält nach allem, was der Bundesregierung bekannt ist, auch am Reichskonkordat fest.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712834800
Wollen Sie eine Zusatzfrage stellen, Herr Dr. Kliesing?

Dr. Georg Kliesing (CDU):
Rede ID: ID0712834900
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß, falls beim Heiligen Stuhl Absichten bestehen oder entstehen sollten, die auf eine Änderung der Circumskription deutscher Bistümer hinzielen, aus dem Konkordat heraus eine vatikanische Konsultationspflicht gegenüber der Bundesregierung besteht?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712835000
Herr Abgeordneter, ich habe dieses Thema schon vorhin behandelt. Aber ich möchte hier zum Grundsätzlichen vielleicht folgende Bemerkung machen dürfen. Es ist etwas schwer, Fragen, die Hypothesen enthalten, exakt zu beantworten. Dies ist im zwischenstaatlichen Verkehr auch nicht üblich.
Die Bundesregierung wird im Lichte der Ankündigung des Heiligen Stuhls, die Verhandlungen mit der DDR demnächst fortzusetzen, weiterhin darauf dringen, daß ihr vor etwaigen, die Position der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Reichskonkordats berührenden Neuregelungen der kirchlichen Verhältnisse Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird, wie es dem bisher guten und loyalen Verhältnis — das darf ich ausdrücklich betonen — zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Heiligen Stuhl entspräche.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712835100
Zusatzfrage!

Dr. Georg Kliesing (CDU):
Rede ID: ID0712835200
Herr Staatsminister, in diesem Zusammenhang wäre die Frage zu stellen, ob der Heilige Stuhl als kraft seiner moralischen Autorität berufener Sprecher für die Menschenrechte, also auch für das Selbstbestimmungsrecht der Völker, in seiner derzeitigen Deutschlandpolitik und auch im Hinblick auf die kommenden Verhandlungen mit der DDR dem legitimen Anspruch des deutschen Volkes auf Verwirklichung seines Selbstbestimmungsrechts voll gerecht wird.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712835300
Herr Abgeordneter, ich bitte um Verständnis dafür - —

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712835400
Bitte, Sie wollen auf die Problematik des Zusammenhangs hinweisen. Bitte, Herr Staatsminister!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712835500
Ich bitte um Verständnis dafür, wenn ich Ihnen bei einer Frage, mit der Sie — wenn ich das richtig verstehe — religiös-sittliche Wertvorstellungen einführen, sagen muß, daß diese Fragen ja zunächst einmal die Gemeinschaft der Gläubigen betreffen. Davon sind die Fragen, die den Verkehr von Staaten betreffen, zu trennen. Die Bundesregierung hat sich nicht zu dem Gebiet zu äußern, das Ihnen offensichtlich hier besonders am Herzen liegt. Gleichwohl ist das eine beachtliche Art der Fragestellung.
Es ist jetzt noch die Frage 160 des Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing zu beantworten.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712835600
Die Bundesregierung erwartet, daß der Heilige Stuhl bei allen seinen Erwägungen und Maßnahmen, welche die kirchlichen Verhältnisse betreffen, der besonderen Rechtslage in Deutschland — insbesondere auch, was den Status von Berlin anlangt — Rechnung tragen wird.




Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712835700
Zusatzfrage!

Dr. Georg Kliesing (CDU):
Rede ID: ID0712835800
Herr Minister, hat der Vatikan nach Wissen der Bundesregierung die Circumskription der Diözesen in den anderen Teilen Ost- und Mitteleuropas, insbesondere im polnischsowjetischen Grenzbereich, bereits den dortigen politischen Veränderungen der Nachkriegszeit angepaßt?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712835900
Herr Abgeordneter, entschuldigen Sie, ich habe die Frage nicht gehört.

Dr. Georg Kliesing (CDU):
Rede ID: ID0712836000
Hat der Vatikan aus den Nachkriegsveränderungen, wie sie in anderen Teilen Europas zu verzeichnen sind — ich nannte als Beispiel die Verschiebung der sowjetisch-polnischen Grenze —, bereits die Konsequenzen gezogen, die Circumskription der betroffenen Diözesen zu verändern?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712836100
Herr Abgeordneter, das steht nicht in einem Zusammenhang mit der Frage. Ich bin aber bereit, dies als Frage aufzufassen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712836200
Herr Staatsminister, ich lasse diese Zusatzfrage nicht mehr zu. Herr Abgeordneter, Sie können noch eine andere Zusatzfrage stellen.

Dr. Georg Kliesing (CDU):
Rede ID: ID0712836300
Herr Minister, wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß der Vatikan abweichend von seiner sonstigen Haltung in diesen Fragen in Deutschland die Neuregelung im kirchlichen Bereich schon jetzt, 'd. h. ohne Berücksichtigung des Friedensvertragsvorbehalts, vorwegnehmen will, obwohl die deutsche Frage völkerrechtlich offenbleibt?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712836400
Herr Abgeordneter, ich habe vorhin auf die Erklärung des Vatikans im Zusammenhang mit diesem Besuch hingewiesen. Ich glaube, die Grundlage für diese Frage ist nach den uns vom Vatikan gegebenen Antworten nicht vorhanden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712836500
Ich rufe die Frage 156 des Herrn Abgeordneten Professor Dr. Schweitzer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Verlauf der Gespräche mit dem Stellvertretenden Ministerpräsidenten der Volksrepublik Polen und insbesondere die Entwicklung der Handelsbeziehungen zwischen der Volksrepublik Polen und der Bundesrepublik Deutschland?
Bitte, Herr Staatsminister!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712836600
Die Gespräche mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten der Volksrepublik Polen sind in sachlicher und guter Atmosphäre verlaufen. Sie haben uns zu einem eingehenden Meinungsaustausch über bilaterale Wirtschaftsfragen Gelegenheit gegeben. Insoweit haben sie zum gegenseitigen Verständnis beigetragen und werden sich in Verbindung mit dem am 1. November 1974 unterzeichneten Kooperationsabkommen günstig auf die weitere Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen auswirken. Neue Impulse für die Intensivierung der deutsch-polnischen Zusammenarbeit werden von der im Kooperationsabkommen vorgesehenen gemischten Regierungskommission ausgehen, die schon Anfang nächsten Jahres zu ihrer ersten Sitzung zusammentreten soll.
Unser Außenhandel mit Polen wies in den vergangenen drei Jahren außergewöhnlich hohe Zuwachsraten auf. In den ersten acht Monaten des laufenden Jahres belief sich das Volumen auf 3,85 Milliarden DM. Innerhalb von zwei Jahren hat sich der Warenverkehr verdoppelt. Die Bundesrepublik Deutschland steht bei der Einfuhr Polens nach der Sowjetunion an zweiter Stelle. Sie ist seit 1971 größter westlicher Handelspartner vor Großbritannien und den USA. Umgekehrt nimmt Polen in unserem Osthandel den zweiten Platz nach der Sowjetunion ein.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712836700
Zusatzfrage.

Prof. Dr. Carl-Christoph Schweitzer (SPD):
Rede ID: ID0712836800
Herr Staatsminister, wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeiten einer Lieferung deutscher Bergbauausrüstungen an Polen zwecks Steigerung des polnischen Kohleexports in die Bundesrepublik, damit vielleicht auch auf diesem Wege das entstandene Handelsdefizit noch stärker ausgeglichen werden kann?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712836900
Herr Abgeordneter, dies ist ein sehr spezieller Teil der Gespräche gewesen. Ich werde die Frage gern prüfen lassen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712837000
Eine weitere Zusatzfrage.
Dr. 'Schweitzer (SPD) : Herr Staatsminister, hält es die Bundesregierung nicht für sinnvoll, einmal umfassend vor der Offentlichkeit, vielleicht in einem Artikel des Bulletins, die ganze Bandbreite des begonnenen Prozesses der Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen darzustellen — diese Normalisierung ist nach den Belastungen der Vergangenheit ja keineswegs selbstverständlich —, und zwar gänzlich unabhängig von den gewiß sehr ernsten Problembereichen, die noch einer Lösung harren?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0712837100
Herr Abgeordneter, das ist sicher eine prüfenswerte Anregung. Gleichwohl darf ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Geschäftsordnung des Bundestages den Abgeordneten die Möglichkeit der Kleinen Anfrage gibt, durch die man eine umfassende schriftliche Darstellung veranlassen kann, die

Staatsminister Moersch
dann in die Dokumente des Bundestages eingeht. Das ist sicher die höhere Form -der Darstellung.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712837200
Damit ist die Zeit für die Fragestunde abgelaufen. Herr Staatsminister, ich danke Ihnen.
Ich mache noch bekannt, daß die Fragen 38, 39 und 44 nach Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde unzulässig sind und daß die Fragen 50, 51, 78, 79 und 119 von den Fragestellern zurückgezogen worden sind. Die übrigen nicht behandelten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir nehmen die unterbrochene Aussprache wieder auf. Das Wort hat Herr Staatsminister Gaddum, Finanzminister des Landes Rheinland-Pfalz.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712837300
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Die Länder haben in Zusammenarbeit mit den Gemeinden und Gemeindeverbänden sicherlich eine Verantwortung besonderer Art. Hier ist heute vormittag zu Recht darauf hingewiesen worden, daß sehr vieles, was in der theoretischen Diskussion über die Rolle der Gemeinden von Bedeutung ist, erst Leben erhält, wenn es mit den notwendigen finanziellen Mitteln ausgefüllt werden kann. Wenn die finanziellen Mittel angesprochen sind, sind natürlich auch die Finanzminister angesprochen. Herr Kollege Apel hat dazu aus der Sicht des Bundes heute vormittag schon etwas gesagt.
Lassen Sie mich hierzu nur in einigen Passagen aus der Sicht eines Landes Stellung nehmen, teilweise unterstützend, teilweise in der Meinung allerdings auch abweichend.
Es sind in der Stellungnahme von Herrn Apel u. a. die augenblicklichen Meinungsunterschiede angesprochen worden, die zwischen Bund und Ländern über die Auslegung des Art. 104 a GG ausgetragen werden, d. h. die Möglichkeiten der Mitwirkung des Bundes bei gemeinsam finanzierten Maßnahmen im Zusammenhang mit den Konjunkturprogrammen. Ich möchte diesen Streit hier jetzt nicht fortsetzen; die unterschiedlichen Meinungen sollten klärbar sein. Es ist aber, meine ich, ein besonderes Recht wie auch eine besondere Pflicht der Länder, hier in besonderer Weise in der tatsächlichen Verwaltungspraxis für die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse zu sorgen, während Art. 72 GG lediglich auf die unterschiedlichen Gesetzgebungskompetenzen hinzielt, woraus sich aber nicht unmittelbar eine Verwaltungskompetenz des Bundes ergeben kann.
Die Ansprache der Ausgleichsfunktion gibt mir aber Gelegenheit, noch auf einen Zusammenhang hinzuweisen, der mir von Bedeutung erscheint. Es ist das Anliegen aller Kommunalpolitiker — das ist heute vormittag hier auch deutlich geworden —, den Rahmen der allgemeinen Zuweisungen zu erweitern. Dabei wird dann — dies ist auch heute vormittag hier geschehen — der goldene Zügel angesprochen, der sich daraus ergibt, daß die jeweils Helfenden oder Zuweisenden über mögliche Zuweisungen die betroffenen Gemeinden praktisch zu sehr gängeln. Dieser Streit um sogenannte zweckgebundene Zuweisungen und solche Zuweisungen, die allgemein zum Haushaltsausgleich gegeben werden, ist ein alter Streit, und ich glaube, er wird uns auch erhalten bleiben. Auf der einen Seite wird man schon sehen müssen, daß bestimmte zweckgebundene Zuweisungen sein müssen, weil es ganz einfach nicht möglich ist — wegen der begrenzt vorhandenen Finanzmasse —, sozusagen alle Ausgleichsmittel allgemein zur Verfügung zu stellen. Dies würde im Ergebnis die Folge haben, daß bestimmte arme Gemeinden überhaupt nicht mehr in der Lage wären, ihren Mindestanforderungen Rechnung zu tragen; denn der Anteil, der dann auf sie entfallen würde, würde für die Durchführung bestimmter Infrastrukturmaßnahmen nicht ausreichen. Wir müssen also davon ausgehen, daß wir diese Bedarfszuweisungen, oder wie man sie nennen will, behalten müssen, gerade auch um dieses Ziel der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet zu erreichen.
Der andere Pol ist dann erreicht, wenn diese gesonderten Zuweisungen ein solches Ausmaß annehmen, daß sie eigentlich nicht mehr nur dem Ausgleich dienen, sondern mehr der Durchsetzung einer politischen Zielsetzung seitens der dotierenden Behörde. Ich glaube, genau an diesem Punkt muß die Grenze gefunden werden zwischen dem, was notwendig ist, und dem, was noch zulässig ist. In der Offentlichkeit herrscht weitgehend das Gefühl, daß diese Grenze überschritten sei. Ich bin der Meinung — ich kann dies nur für mein Land sagen —, daß man dies im Einzelfall sehr sorgfältig prüfen sollte. In den weitaus meisten Fällen aber muß gerade auch aus der Sicht der Gemeinden auf die Notwendigkeit dieser Zweckzuweisungen immer wieder hingewiesen werden. Der Rubikon ist, glaube ich, dann überschritten, wenn die Länderhaushalte — sprich: die Fachressorts — praktisch Mittel andienen müssen, sie aber nicht mehr loswerden, weil die Gemeinden nicht mehr mitfinanzieren können. Dann ist zweifellos der zulässige Grat überschritten. Aber solange die Gemeinden noch in der Lage sind, Teilfinanzierungen aufzubringen, müssen auch die Länder die entsprechenden Zweckfinanzierungsmittel aufwenden.
Meine Damen und Herren, ich sagte, daß die Länder in besonderer Weise natürlich eine Mitverantwortung für die Finanzausstattung der Gemeinden haben. Die Länder werden diese besondere Verantwortung auch in den Verhandlungen mit dem Bund über die Revisionsklausel wahrzunehmen haben. Dabei möchte ich hier jetzt nicht in den Zahlenstreit oder in die unterschiedliche Darlegung der Zahlen eintreten sowie in den Streit darüber, ob hier Herr Koschnick oder Herr Apel recht hat. Ich bin der Überzeugung, die beiden werden sich darüber noch einmal unterhalten. Nach meiner Interessenlage neige ich natürlich jetzt erst einmal dazu, in dieser Situation Herrn Koschnick Recht zu geben, was Sie nicht sonderlich verwundern wird, aber darüber wird man sicherlich noch reden können. Ich halte es für müßig, sich in einen konkreten Zahlenstreit hineinzubegeben.



Minister Gaddum
Aber eines, Herr Kollege Apel, bitte ich doch sehr zu überlegen: ob es wirklich richtig ist, wenn in dem Aufrechnungssystem, das vorgeschlagen worden ist, in dem Verfolg der - wie richtig dargestellt — verabredeten Regelung, daß jede der drei Säulen ihren Anteil an den Steuerausfällen aus der Steuerreform tragen muß, den Gemeinden die 840 Millionen DM sozusagen belastend angerechnet werden sollen, die sie aus dem Grundsteuermehraufkommen erwarten sollen. Ich drücke mich hier sehr vorsichtig aus, weil ich nach den Erfahrungen, die ich bisher in unserem Land habe, sehr skeptisch bin, ob diese 840 Millionen DM überhaupt erreicht werden.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

Dies ist bisher auch nur eine vorläufige Vermutung; ich verwende diese Zahl mit Skepsis. Aber die Tatsache als solche, meine ich, sollten wir hier schon diskutieren, daß hier ein Posten den Gemeinden als Mehraufwendung doch seit vielen Jahren zugesagt war.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

Das geht noch zurück auf Aussagen der Großen Koalition. Insofern sitzen wir auch hier fast in einem Boot.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU]: Genau!)

Nur muß ich sagen: wir müssen jetzt darauf Wert legen, daß diese Zusage, die damals gegeben wurde, auch eingehalten wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb darf ich bitten, Herr Kollege Apel, doch hier zu überlegen, ob es richtig ist, diese geschätzte Mehreinnahme den Gemeinden sozusagen im Aufrechnungsverfahren anzulasten und auf diese Art und Weise — wenn auch mit einem nicht allzu großen Betrag, aber immerhin — den Bund an diesem vermuteten, erhofften, gewünschten Mehraufkommen partizipieren zu lassen.
Meine Damen und Herren, die positive Entwicklung des Anteils am Steueraufkommen ist hier zitiert worden. Auch diese Zahlen kann ich jetzt hier nicht nachkontrollieren; ich halte das auch gar nicht für den entscheidenden Punkt. Denn, meine Damen und Herren, wenn wir unsere Haushalte übersehen — das geht doch dem Bundeshaushalt nicht anders als dem Landeshaushalt, und das geht auch den Gemeindehaushalten nicht anders —, dann ist die Einnahmeseite nur die eine Seite und auch nur ein Teil der einen Seite, soweit es sich um die Steuereinnahmen handelt. Wenn ich die wirkliche wirtschaftliche Situation sehen will, muß ich mir auch einige Ausgabenpositionen ansehen. Deshalb, meine ich, muß man doch darauf hinweisen, daß man die Entwicklung der Einnahmeseite der Gemeinden nicht würdigen kann, wenn man nicht mit gleichem Nachdruck — Sie haben das mit einem Nebensatz auch getan, ich möchte sagen: mit gleichem Nachdruck — auf die Aufgabenentwicklung, auf die Ausgabenentwicklung, auf die Lastenentwicklung eingeht. Von daher, meine ich, stellen sich die Schwierigkeiten bei unseren Gemeinden. Sie stellen sich in der Tat nicht, wenn ich nur die Einnnahmen sehe, aber dies ist nach meinem Dafürhalten auch eine unzulässige Betrachtungsweise.
Ich darf dies mit einem Beispiel ergänzen. Sie nannten die Verschuldungsentwicklung. Nun kann man diese natürlich in Zahlenreihen zurückverfolgen. Lassen Sie mich Ihre Zahlen hier nun wirklich mit nur ganz wenigen Zahlen ergänzen, und zwar für die Entwicklung der Neuschulden von Bund, Ländern und Gemeinden in den letzten drei Jahren in DM je Einwohner. Dann ergibt sich von 1969 auf 1973 ein Zuwachs der Neuschulden um 150 DM, bei den Flächenländern ein Zuwachs von 170 DM und bei den Gemeinden in den Flächenländern — hier habe ich jetzt bewußt die Städte draußen gelassen — ein Zuwachs von 440 DM. Ich meine, dies ist die Aussage, die für uns wichtig ist: daß zweifellos die Verschuldung der Gemeinden gerade in den letzten Jahren ganz erheblich gestiegen ist.
Dies korrespondiert durchaus mit Aussagen, die Sie, Herr Kollege Apel, gemacht haben zu den finanziellen Hilfen, die den Gemeinden gegeben werden. Denn hierbei muß doch eines mit berücksichtigt werden: daß diese Hilfen des Bundes — wie auch viele Hilfen der Länder, aber fast alle Hilfen des Bundes — für investive Maßnahmen gegeben werden. Das liegt also in der Struktur dieser Aufgabenstellung. Nur, mit der Durchführung investiver Maßnahmen beginnt natürlich auch für die Gemeinde eine Folge von weiteren — und zwar kostenwirksamen — Prozessen. Auf diese Entwicklung gehen Sie, meine ich, in diesem Zusammenhang dann zu wenig ein. Das ist jetzt auch nicht unmittelbar Ihre Aufgabenstellung; nur, es sind Danaergeschenke, wenn wir den Gemeinden — unter Umständen auch durch die Weckung eines öffentlichen Bedürfnisbewußtseins — Investitionen, so möchte ich sagen, jetzt sozusagen fast aufzwingen, gleichzeitig aber wissen, daß diese Gemeinden dann nicht mehr in der Lage sind, die Folgekosten und den Schuldendienst zu tragen.
Dabei lege ich auf die Formulierung „Folgekosten" großen Wert. Es geht hier nicht nur um den Schuldendienst aus der von Ihnen zitierten freien Spitze, die bei den Gemeinden noch gewachsen ist, müssen diese ja z. B. die Folgekosten abdecken. Dies sind, rein rechtlich gesehen, freiwillige Aufgaben; das sind keine Ausgaben, zu denen die Gemeinde rechtlich verpflichtet ist. Ob eine Gemeinde, nachdem sie ein Schwimmbad gebaut hat, auch den Bademeister bezahlt, liegt nicht rechtlich verpflichtend fest. Aber nun frage ich Sie: Wie soll sie es denn machen, soll sie das Bad leerstehen lassen?
Sie haben derartiger Beispiele sehr viele, Beispiele dafür, daß sich praktisch aus den Investitionen Folgekosten ergeben, die für die Gemeinden faktisch den Charakter zwingender Ausgaben haben. Und dies macht zu einem großen Teil ihre heutige Schwierigkeit aus; nicht, daß sie sich völlig festgezurrt hätten, wenn ich nur den Schuldendienst sehe, aber ich muß diese Folgekosten aus Investitionen im gleichen Zusammenhang sehen.
Hier bin ich der Meinung, das, was bisher hierzu gesagt wurde — auch von der möglichen Hilfe —, ist zu wenig, denn in dieser Schwierigkeit, in der die Gemeinden zur Zeit sind, helfen ihnen die Finanzierungshilfen, die auf Investitionen hinausgehen,



Minister Gaddum
eigentlich nicht. Und dann ist eben — wenn auch nicht auf heute und morgen — doch die Frage der grundsätzlichen Steuerverteilung gestellt, und deshalb ist, so meine ich, diese Frage, die hier gestellt wurde, auch wieder die Frage — Sie kennen meine Vorliebe für dieses Thema — der Gesamterfassung der öffentlichen Aufgaben, von daher schon gerechtfertigt.
Ich bin mir völlig darüber im klaren, daß eine solche Zusammenschreibung solcher Aufgaben erst einmal einen großen Wunschkatalog ergeben wird. Aber, meine Damen und Herren, wir haben ja in diesem Zusammenhang — auch in unseren Finanzplanungen — einige Erfahrungen gesammelt. Was verschlägt's denn eigentlich — wenn wir zu unserer Finanzplanung ja sagen —, wenn man dies einmal zusammenträgt, um rechtzeitig sagen zu können, dies, was dort in diesem oder jenem Bereich geplant wird, ist nicht notwendig? Ich habe den Eindruck, wer dieser perspektivischen Zusammenfassung der Planung ausweicht, der weicht eigentlich mehr dem aus, was dort an Zahlen herauskommt, was natürlich — das weiß ich genauso — für uns alle — und ich sage dies ganz bewußt auch für die Länder — alles andere als angenehm sein wird. Sie haben davon gesprochen. Wenn wir eine vernünftige und eine solide Finanzwirtschaft betreiben wollen, halte ich es schon für notwendig, daß wir uns dann auch einen solchen Überblick verschaffen, auch wenn der uns zunächst unangenehme Zahlen bringen wird.
Meine Damen und Herren, mehr möchte ich in diesem Zusammenhang jetzt gar nicht sagen. Aber
) ich möchte doch noch auf eine Frage eingehen, die mir wichtig erscheint; damit fühle ich mich auch selbst angesprochen. Sie erwähnten den Finanzplanungsrat und die, wenn ich es recht verstanden habe, nicht ganz ermunternden Erfahrungen mit dem Finanzplanungsrat in mancherlei Beziehung. Ich bin hinsichtlich der Wirksamkeit des Finanzplanungsrates in gleicher Weise skeptisch wie Sie. Allerdings sind wir das, glaube ich, aus unterschiedlichen Gründen. Ich muß dann doch daran erinnern, daß — auch nach den entsprechenden gesetzlichen und statuarischen Vorschriften — die Führungsrolle in diesem Gremium ganz eindeutig beim Bund liegt. Hier stellt sich nun eben die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Bund eigentlich diesen Finanzplanungsrat in Anspruch nimmt bzw. wann er sich eigentlich dieses Mittels bedient, um die Finanzplanung zu koordinieren.
Ich will dies an einem sehr konkreten Beispiel erläutern, und das führt eigentlich auch sehr konkret in die Situation für unsere Gemeinden hinein. Sehen Sie, wir alle arbeiten ja zur Zeit mit Steuerschätzungen noch lustig weiter, von denen wir im Grunde genommen alle wissen, daß sie überholt sind; sie stammen aus dem Sommer dieses Jahres. Wir haben uns darüber kürzlich schon einmal unterhalten. Der Finanzplanungsrat wird erst zu einem späteren Zeitpunkt tagen, der möglicherweise — ich kann es nicht genau sagen, nehme es aber an — im November liegt, vielleicht aber auch erst im Dezember. Das ist dann ein Zeitpunkt, zu dem er die Steuerschätzungen für 1975, im Ergebnis korrigiert, zur Kenntnis nehmen und entsprechend die finanziellen Planungen beurteilen muß. Dies bedeutet doch wiederum im Ergebnis, daß auch die Landeshaushaltspläne von diesem Datum an zu korrigieren sein werden, und dies bedeutet im Ergebnis, daß die Gemeinden, die daran sowohl über den kommunalen Finanzausgleich als auch über ihre eigenen Steuerschätzungen hängen, auf einen Planungsvorgang warten müssen, der durch Initiativen des Bundes hinausgeschoben worden ist, und dies doch, wenn wir ehrlich sind, aus dem Grunde, daß die Bundesregierung kein Interesse daran hatte, diese Zahlen vor der Einbringung des Bundeshaushaltes auf den Tisch zu legen.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU — Zuruf des Bundesministers Dr. Apel)

— Herr Kollege Apel, ich kann es mir eigentlich nicht denken. Wie kann es möglich sein, daß alle Welt inzwischen von diesen ca. 12 Milliarden DM Ausfällen redet, nur die Bundesregierung noch nicht?

(Bundesminister Dr. Apel: Wir müssen erst die Daten haben!)

— Ja, sicherlich, Herr Kollege Apel, ich bin mir natürlich darüber im klaren — —

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0712837400
Ich weise noch darauf hin, daß es kein Zwiegespräch zwischen dem Rednerpult und der Regierungsbank geben kann. — Bitte schön!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712837500
Ich glaube, daß wir bei dieser Kritik an der Bundesregierung schon davon ausgehen können, daß diese Steuerschätzungen auch der Bundesregierung bekannt sind, denn so wie sie uns bekannt sind und wie sie in die Offentlichkeit gekommen sind und wie sie errechnet worden sind, mußten sie auch der Bundesregierung bekannt sein. Ich bin der Meinung, es wäre gut gewesen, diese Zahlen rechtzeitig auf den Tisch zu legen. Dies hätte uns die Möglichkeit gegeben, unsere Haushalte auch für das Jahr 1975 zu einem früheren Zeitpunkt auf eine Entwicklung einzustellen, soweit dies von der Einstellung her überhaupt möglich ist. Und dies ist ein Punkt, der den Bund und die Länder überhaupt kein Geld kostet, sondern wo es einfach darum geht, daß man sich im tatsächlichen politischen Verhalten rechtzeitig etwas mehr aufeinander abstimmt und nicht im Grunde genommen Länder und Gemeinden aus der einseitigen Politik des Bundes heraus in einen Zugzwang bringt, eine Politik, für die ich zwar rein taktisch durchaus Verständnis habe, von der ich aber der Meinung bin, daß sie dann nicht unbedingt das Urteil „gemeindefreundlich" für sich in Anspruch nehmen sollte.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0712837600
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Wertz.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712837700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es mir anstünde, ein Resümee zu ziehen, so könnte ich mich



Minister Wertz
auf die Formel herausreden: Die Fragesteller, die Interpellanten haben ausgerufen: „Die Not ist groß", der antwortende Bundesfinanzminister hat dargelegt: „Alle haben mehr bekommen, einige mehr Mehr bekommen, insbesondere die Gemeinden". Dies wäre aber zu einfach. Dennoch, glaube ich, reduziert sich die Debatte, soweit sie hier die Finanzverfassungswirklichkeit betrifft, auf so simple Formeln, denn sonst wäre es nicht möglich, daß sich die Debatte über die große Finanznot im Lande und insbesondere bei den Gemeinden ausschließlich orientieren würde an der Sozialhilfe — bei Herrn Waffenschmidt — und an der Verschuldung - bei Herrn Waffenschmidt und nachfolgenden Rednern inklusive des Herrn Kollegen Gaddum.
Meine verehrten Damen und Herren, ich glaube jedoch, in diesem Saale ist es durchaus angemessen, sich zunächst daran zu erinnern, daß die Knappheit der öffentlichen Finanzen, die Beschränkung der öffentlichen Finanzen ein alle Gebietskörperschaften in Deutschland treffender Sachtatbestand ist. Ich glaube nicht, daß die CDU/CSU-Opposition in diesem oder in irgendeinem anderen Hause Überfluß in den öffentlichen Finanzen länger tolerieren würde als eine Sitzungsperiode des jeweiligen Hauses, sondern daß sie dann erfahrungsgemäß bei der Hand wäre, für Erleichterungen für den Steuerzahler zu plädieren, und sie fände dabei sicherlich lebhafte Unterstützung. Wir haben es also mit einer weit verbreiteten finanziellen Enge zu tun und mit einer Knappheit, die, so möchte ich jedenfalls meinen, auch in den öffentlichen Haushalten nie zu einem Ende kommen kann und kommen darf. Denn wenn bei uns in den öffentlichen Haushalten erst der Überfluß ausgebrochen wäre — ich erlaube mir diese rhetorische Vorbemerkung —, dann weiß ich nicht, wie wir unsere Sonderfachleute, die wir heute in diesem Hohen Hause vermissen, und die präjudizieren, was wir gemeinsam finanzpolitisch, haushaltspolitisch, nationalökonomisch versuchen, nämlich das Äquilibrium zwischen Einnahmen und Ausgaben, daran hindern könnten, daß dieser Ausgleich ständig stärker gefährdet wird. Herr Dr. Waffenschmidt, die Sozialhilfe ist vor allen Dingen deshalb kein Beispiel, weil sie nur eine außerordentlich untergeordnete Rolle in den öffentlichen Haushalten insgesamt spielt, auch in den kommunalen Haushalten. Der Durchschnittswert — Sie haben ihn mit 6 Milliarden veranschlagt — liegt aufgerundet bei 7 % aller statistisch erfaßten Kommunalhaushalte.

(Reddemann [CDU/CSU] : Das ist ein ganz schöner Satz!)

— 7 % ist sicherlich ein beachtlicher Satz, aber es läßt Rückschlüsse zu, daß hier kein anderer Kostenprogressionswert genannt worden ist.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Es sind noch andere genannt, z. B. der Schuldendienst — Reddemann [CDU/CSU] : Also doch etwas genannt!)

- -- Auf die Schulden komme ich gleich zurück.
Ich habe mir zu Beginn erlaubt anzumerken, daß die Schuldensituation und die Sozialhilfe die beiden einzigen konkreten Sachverhalte seien, die bisher in die Debatte zum Beweis der Finanznot in deutschen Landen und insbesondere der Kommunen eingeführt sind.
Lassen Sie mich zunächst folgendes feststellen: Sozialhilfe ist ein sehr untergeordneter Faktor. Die 7 % in den Kommunalhaushalten lassen tiefe Rückschlüsse und Einsichten über die Problemstellung in den einzelnen Gruppen zu, die sich diesem Gegenstand widmen. Ich muß aber außerdem hinzufügen, daß diesen 6 Milliarden größenordnungsmäßig über 50 Milliarden Sozialleistungen, Sozialaufwand in dem Gesamthaushalt der öffentlichen Hände gegenüberstehen, und zwar ohne Sozialversicherungsträger, ohne Krankenversicherungsträger und ohne Kommunen.
Wer also über die Soziallasten spricht, sollte nicht übersehen, daß auch die anderen Haushalte damit belastet sind. Und in diesem Hause halte ich es für angemessen, darauf aufmerksam zu machen, daß der Bundeshaushalt in einem sehr viel stärkeren Umfange mit Sozialleistungen, Zuschüssen zu den Sozialversicherungsträgern und anderem belastet ist. Der Bundesfinanzminister kann mich korrigieren, aber nach meiner Erinnerung macht es etwa ein Drittel des diesjährigen Haushalts und auch im nächsten Haushalt aus. Wenn ich seine Finanzplanung richtig in Erinnerung habe, dann wächst der Sozialaufwand im Bundeshaushalt in diesem Jahr um 25 %, und er wächst in den folgenden Jahren bis einschließlich 1978 um 15 % bei einem angenommenen durchschnittlichen Wachstum der Bundeshaushalte nach der Finanzplanung um rund 9 %.
Ich würde es also für angemessen halten — da wir uns ja alle zusammen bemühen, für das Ganze hier einzustehen —, diese Differenzierung zu sehen.
Nun zum Thema der Verschuldung! Ich halte Verschuldung, also Kapitaldienst aus Verschuldung herrührend, nicht für eine öffentliche Last, die unabhängig von der Frage der Kreditfinanzierung als dynamischer Prozeß, von der Kreditschöpfung, von den monitären und konjunkturpolitischen Aspekten eine besondere Hervorhebung verdient, und zwar deshalb, weil es andere durch Gesetze und Gewohnheiten in unseren Haushalten verankerte Ausgabenblöcke gibt, die viel stärker wachsen als die Verschuldung.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Der Personalhaushalt!)

— Herr Kollege! Dazu gehört aber das schöne Thema, ob sich die Kommunen an Tarifverträge halten. Die Darstellung dazu braucht nicht nur von hessischen Einzelheiten zu leben. Es gibt dazu auch bergische und rheinisch-bergische Beispiele,

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Auch norddeutsche!)

— und norddeutsche, falls Sie das Bedürfnis haben, sich darüber mit mir auseinanderzusetzen.
Die Verhaltensweise der Gebietskörperschaften steht nicht immer in einem — wie hier unterstellt
— geradezu mechanischen Zusammenhang mit der Finanzverfassung, in der sie sich befinden.



Minister Wertz
Lassen Sie mich damit zu der grundsätzlicheren Frage kommen, ob das Bild, das hier gezeichnet wurde, der Finanzverfassungswirklichkeit entspricht. Ich muß dazu vorbemerken und einräumen, daß alle Vergleiche auf methodische Schwierigkeiten stoßen und daß ein Teil der Vergleiche auch hinken kann. Ich werde mich bemühen, bei einem Vergleich Fehlerquellen gleich mit anzudeuten.

(Zuruf des Abg. Reddemann [CDU/CSU])

— Ich glaube, ich habe keinen Anlaß, mich zu bedanken, falls ich die Intention Ihrer Bemerkung richtig einschätze, Herr Kollege. Aber vielleicht haben wir ein anderes Mal Gelegenheit, das weiter auszutragen.
Ist das Bild, das hier gezeichnet wurde, der Finanzverfassungswirklichkeit adäquat?
Zunächst, meine Damen und Herren, einige internationale Werte. In der Bundesrepublik Deutschland entfallen in den frühen 70er Jahren — mir liegen nur die Zahlen für 1971 vor; ich habe zu dieser Stunde zumindest keine anderen greifbar auf den staatlichen Oberverband 55 v. H. der Steuereinnahmen. Der verbleibende Wert von 45 v. H. verteilt sich auf die beiden nachgeordneten Ebenen gleichmäßig unter Einschluß der auf Grund Verfassungsvorschrift durch Gesetz geregelten Steuerüberweisungen wie kommunale Finanz- und Lastenausgleiche und ähnliches.
In den Vereinigten Staaten von Nordamerika entfallen 61 v. H. der Steuereinnahmen, also 6 Prozentpunkte mehr, auf den staatlichen Oberverband.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU]: Heißt das „Bund"?)

— Unterverbände sind Länder und Kommunen. —Wir haben also im Vergleich zu den Vereinigten Staaten von Nordamerika eine relativ beachtliche Position.
Es gibt in Europa nur einen Staatenbund, nämlich die Konförderation der Schweiz, bei dem der Anteil des Bundes niedriger ist als in anderen Ländern, die man möglicherweise zum Vergleich heranziehen kann. Dort liegt der Anteil nämlich bei 41 v. H.
Ich möchte meinen, daß die Tatsache, daß in der Bundesrepublik Deutschland der Bund selbst nur über knapp 55 % der Steuereinnahmen verfügt
— und die Tendenz ist fallend —, ein gutes Zeugnis für die Steuerverteilung bei allgemeiner Betrachtung ist. Bei den Nachbarländern, die eine zentrale Verwaltungsstruktur haben, betragen die Werte 89 oder 88 % zugunsten des Staates.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0712837800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Professor Dr. Zeitel?

Dr. Gerhard Zeitel (CDU):
Rede ID: ID0712837900
Herr Minister, halten Sie es wirklich für sehr hilfreich, daß Sie in einer Kommunaldebatte Zahlen anführen, die bei unterschiedlicher Staatsverfassung noch dazu nicht einmal den Anteil der Kommunen erkennen lassen?

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712838000
Ich würde, bevor ich eine solche Frage stelle, Herr Bundestagsabgeordneter, doch zunächst ein wenig zuwarten, zu welchen Konklusionen der Redner kommt. Ich hoffe, Sie überzeugen zu können, daß es sinnvoll ist, eine solche Vorbemerkung, wie ich sie jetzt mache, zu treffen.

(Eilers [CDU/CSU]: Das läßt uns ja hoffen! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)

— Hoffen wir gemeinsam!

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir sind alle guter Hoffnung! Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Ich heiße euch hoffen!)

Jedenfalls verfügen die Länder und die Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland über einen relativ hohen Anteil an Steuereinnahmen. Dieser Anteil ist verfassungsrechtlich abgesichert. Die Unterverteilung ist sehr viel problematischer, als es hier den Anschein hat. Wenn man die Probleme der Unterverteilung, die sich von Land zu Land unterschiedlich stellen,

(Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

genauer kennt, dann findet man wohl auch die zumindest rhetorisch zulässige Frage berechtigt, ob die Debatte darüber hier im richtigen Saal stattfindet. Denn — Herr Kollege Gaddum hat das schon andeutungsweise gesagt, und ich muß das bekräftigen — zwischen Bayern und Niedersachsen oder zwischen Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen ist ein letztlich zuverlässiger, zutreffender Vergleich der finanziellen Beziehungen zwischen Staat und Gemeinden nicht möglich, jedenfalls nicht mit der notwendigen Sicherheit. Die Näherungswerte, die wir versucht haben zusammenzutragen, sind letztlich immer unbefriedigend geblieben.
Aber ein paar Dinge sind von den ermittelten Sachverhalten ebenso wie von dem kleinen internationalen Vergleich abzulesen, nämlich: Wenn in den Beziehungen zwischen einem Land und seinen Gemeinden in einem erheblichen Umfange Verfügungsfreiheit für die Gemeinden besteht — einige Redner haben heute morgen in dem Zusammenhang von Kollektivismus und Zentralismus gesprochen; ein anderer Redner hat davon gesprochen, daß es notwendig sei, kommunale Selbstverwaltung ohne Weisungen und ohne Vormundschaft zu gewährleisten —, bietet sich bei Betrachtung der vorhandenen Zahlenvergleiche durchaus der Schluß an, daß wir zwischen den deutschen Bundesländern beachtliche Unterschiede haben.
Es gibt z. B. vier Bundesländer — Schleswig-Holstein, Hessen, Rheinland-Pfalz und Bayern , bei denen die Zweckzuweisungen, also Zuweisungen mit Dotationsauflagen, höher sind als die allgemeinen Zuweisungen. Wenn Sie von den verbleibenden allgemeinen Zuweisungen, die nach Einwohnerzahlen mit Beiwerten aufgeschlüsselt sind, die Umlagen abziehen, die die Länder von ihren Kommunen erheben -- Beiträge, die sie von ihnen einziehen —, dann bleiben mit einem positiven Saldo nur noch Nordrhein-Westfalen und das Saarland übrig; mit der Einschränkung, daß bei dem Vergleich im Falle



Minister Wertz
Bayerns, wo eine kräftigere Diskrepanz herrscht, die Wirkungen der nahezu vollständigen Überweisung der Kraftfahrzeugsteuer nicht erfaßt ist, und mit der Einschränkung, daß der Aufgabenzuschnitt sehr unterschiedlich ist und daß schließlich das Saarland nicht mit den größeren Flächenländern vergleichbar ist. Es ist nahezu unmöglich, einen zutreffenden Vergleich herbeizuführen und damit eine völlige Transparenz der kommunalen Finanzausstattung und -lage für alle Gemeinden in allen Bundesländern zuwege zu bringen. Wenn ich ein paar Hinweise auf die Finanzstruktur der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften im Lande Nordrhein-Westfalen geben darf, so betrachte ich sie deshalb nicht als repräsentativ und betrachte daran im Vergleich zu anderen Ländern möglicherweise geknüpfte Kombinationen als nur bedingt zutreffend. Ich möchte jedenfalls nicht ohne weiteres Folgerungen daraus ziehen.
Nur soviel wollte ich bitten, zur Kenntnis nehmen zu wollen: daß im Lande Nordrhein-Westfalen der kommunale Gesamthaushalt — die zum Teil geschätzte Summe aller Haushalte im Lande Nordrhein-Westfalen — zu 59,8 v. H., also zu rund 60 v. H., im laufenden Jahre 1974 aus eigenen Steuereinnahmen, aus eigenen Einnahmen aus Verwaltung und Betrieb und aus Einnahmen der Vermögensbewegung — neben Verschuldungsvorgängen — bestritten wird. Das, möchte ich sagen, ist eine zutreffende Kennzeichnung der Finanzverfassung der Gemeinden in einem größeren Bundeslande der Bundesrepublik Deutschland. Unsere Kommunen in Nordrhein-Westfalen — —

(Dr. Zeitel [CDU/CSU]: Sind gut dran! Da gibt es keine Probleme!)

— Ich habe nicht unterstellt, daß es keine Probleme gibt, Herr Professor. Ich habe nicht einmal unterstellt, daß wir „gut dran" sind. Ich bin dabei, festzustellen, daß die Zuweisungen der beiden staatlichen Ebenen jedenfalls nicht allein ausschlaggebend sind für die finanzielle Verfassung unserer Gemeinden. Ich habe ausdrücklich, und zwar mit anderen Worten, gesagt, daß das nicht repräsentativ ist. Ich wollte mir erlauben, der Fanfare, die Herr Dr. Waffenschmidt heute morgen hier geblasen hat

(Reddemann [CDU/CSU] : Die klang wenigstens!)

— nicht nur wegen des Klanges —, diesem agitatorischen Beitrag, einen Sachbeitrag entgegenzusetzen. Dies scheint mir notwendig zu sein,

(Zustimmung bei der SPD)

um Ihnen Klarheit über die Sachverhalte zu verschaffen, die Sie beurteilen wollen; denn sonst hätten Sie — so schätze ich jedenfalls das parlamentarische Leben in der Bundesrepublik ein — in diesem Hohen Hause keine Interpellation eingebracht.

(Reddemann [CDU/CSU] : Wann kommen Sie denn nun zur Sache?)

— Falls Sie damit die von mir getroffenen Feststellungen als unsachliche Feststellungen bewerten wollen, weise ich die als Unterstellung zurück, Herr Abgeordneter.

(Zuruf von der SPD: Herr Reddemann empfindet das immer so!)

— Wenn er das immer so empfindet, bitte ich, mir eine gewisse Eingewöhnungszeit einzuräumen. Ich werde mich dann sehr bald in der geeigneten Weise anpassen.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Tun Sie sich keinen Zwang an, Herr Minister! Wir sind auf das Weitere, was Sie sagen werden, gespannt! — Heiterkeit)

— Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Neben diesen rund 60 v. H. originären eigenen Steuereinnahmen, Einnahmen aus Verwaltung und Betrieb und Einnahmen aus der Vermögensbewegung ohne Verschuldungsvorgänge, stehen unseren Kommunen im laufenden Jahr 26,8 v. H. an Zuweisungen zur Deckung ihrer Haushalte zur Verfügung. Diese Zuweisungen sind fast zu 50 v. H. Zweckzuweisungen und allgemeine Finanzzuweisungen. Die allgemeinen Finanzzuweisungen sind nur etwas höher als die Zweckzuweisungen.
Nun empfinde ich persönlich das nicht als eine Feststellung, die mich zur Heiterkeit veranlassen könnte, Herr Abgeordneter Dr. Zeitel, sondern diesen Vorgang empfinde ich als Finanzpolitiker und empfindet, soweit ich die Intentionen des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen in der Vergangenheit kennengelernt habe und gegenwärtig kenne, auch der Innenminister als betrüblich. Aber die kommunalen Spitzenverbände — das muß ich bei dieser Gelegenheit einmal hier anfügen -bekennen sich zu der Maximierung der allgemeinen Finanzzuweisungen auch nur an hohen Feiertagen. Sie können nämlich als Spitzenverbände jeder für sich — dafür haben wir zahllose Beweise — nicht gewährleisten, daß die fachlichen Gruppierungen, also etwa die Schulausschüsse, die Kulturausschüsse, die Theaterausschüsse, die Verkehrsausschüsse, die Weiterbildungsausschüsse, und was es sonst noch an Fachgruppierungen im Rahmen der kommunalen Spitzenverbände gibt, nicht zugleich
— dafür habe ich auch Zeugen hier im Hause — höhere Zweckzuweisungen fordern. Dieser Zielkonflikt ist infolge der Divergenzen, die innerhalb der Verbände und auch zwischen den Gemeinden tatsächlich bestehen, und zwar zwischen Gemeinden nach verschiedenen Klassifizierungen, vor allen Dingen zwischen Gemeinden unterschiedlicher Größenklassen, stets immanent gewesen. Das ergibt sich aus der Natur der Sache.
Was dann in der Einnahmerechnung unserer Gemeinden verbleibt, meine Damen und Herren, sind 4,2 v. H. Zuweisungen des Bundes und 9,2 v. H. Kreditfinanzierung brutto. Das sind etwa 3 Milliarden DM. Diesem Betrag steht etwa 1 Milliarde DM Tilgung gegenüber. Die Nettoverschuldungsrate liegt bei 2 Milliarden DM.
Ich halte dieses Bild — nicht das Stakkato ohne jeden Beweis: Die Not ist groß — für den zutreffenden Ausgangspunkt neuer, weiterführender Erwägungen. Wir versuchen Jahr für Jahr, die Richtlinien



Minister Wertz
für die Finanzplanung der Gemeinden mit den kommunalen Spitzenverbänden zu koordinieren. Dies ist uns mehrere Jahre lang, seitdem wir die Korn-munen veranlaßt haben, Finanzplanung zu betreiben, gelungen. Wir befinden uns mit ihnen auch in Sachen Steuerreform in grundsätzlicher Übereinstimmung. Der verehrliche Herr Kollege aus Stuttgart — er ist nicht mehr anwesend — hat dazu eine Bemerkung gemacht, die schon aufgegriffen worden ist. Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände haben auch prinzipiell Übereinstimmung darüber erzielt, daß die Kosten, die Lasten des schließlich doch gefundenen, von allen gebilligten Steuerreformkompromisses von allen drei Ebenen gleichmäßig getragen werden sollen. Ich kann das Lamento nicht ernst nehmen, wonach es untragbar sei, daß eine Ebene die Folgen der gemeinsam gewollten Steuerreform zu tragen habe, bevor nicht Beweis dafür angetreten wird, weshalb die Folgen im Einzelfall nicht getragen werden können.
Wenn ich für das Land Nordrhein-Westfalen noch ein Wort sagen darf: wir haben uns in dem letzten Jahrzehnt nach Kräften bemüht, die Finanzausstattung unserer Gemeinden zu verbessern. Wir praktizieren, wie im Grundgesetz vorgeschrieben, einen Steuerverbund von 28,5 v. H., und darüber hinaus fließen aus dem Staatshaushalt mehr als 2 Milliarden DM an Zweckzuweisungen. Im Rahmen des Steuerverbunds stehen etwa 1,5 Milliarden DM Zweckzuweisungen ausschließlich für Schulbau und Städtebau zur Verfügung. Wir haben darin aus kommunaler Sicht den Vorteil gesehen, daß die Kommunen an der Dynamik der Verbundsteuern partizipieren.
Wir haben darüber hinaus im Zusammenhang mit der Gemeindefinanzreform die Struktur der Finanzausstattung verbessert. Wenn ich das in einem Zahlenwert ausdrücken darf, so ist die Summe aller Zuweisungen an die Kommunen im Lande Nordrhein-Westfalen brutto für das Jahr 1975, vorbehaltlich einer neuen Steuerschätzung, meine Herren Kollegen, mit 9,5 Milliarden DM veranschlagt, und die Summe der strukturellen Verbesserungen außerhalb des Haushaltes — Beteiligung an der Einkommensteuer, Erlaß von Umlagen und Verzicht auf Beiträge — beläuft sich für das Jahr 1975 auf 3,9 Milliarden DM jährlich.
Ich wollte Ihnen damit den Eindruck vermitteln, meine sehr verehrten Damen und Herren Interpellanten, daß die Struktur der öffentlichen Finanzen sehr viel differenzierter ist, als bisher in den Beiträgen, die von Ihnen geleistet worden sind, zum Ausdruck gekommen ist. Ich hoffe sehr, daß es uns gemeinsam gelingt, in den nächsten Jahren Wege zu finden, die möglichen Verbesserungen zu bewerkstelligen, denn selbstverständlich ist nach wie vor auch in Sachen Finanzverfassung das Bessere der Feind des Guten.

(Beifall bei der SPD — Reddemann [CDU/ CSU] : Ist das alles? Meint er es so ernst, wie er es gesagt hat?)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0712838100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eilers.

Jan Eilers (CDU):
Rede ID: ID0712838200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Wertz hat uns soeben einen anschaulichen Unterricht zu geben versucht über Tarifpolitik und Gemeindefinanzpolitik. Herr Minister Wertz, Sie haben nahezu wörtlich zum Ausdruck gebracht, es erscheine Ihnen unmöglich, einen zutreffenden Vergleich zwischen den einzelnen Gemeinden anzustellen. Ich muß bekennen: nach Ihren Darlegungen scheinen für mich die Möglichkeiten nicht größer geworden zu sein, diesen Vergleich oder eine Übersicht zu gewinnen. Es wäre also interessanter, uns in der Tat mit der allgemeinen Finanzpolitik, der Gemeindefinanzpolitik und dem Finanzausgleich zu beschäftigen, wie wir es uns heute für die Kommunaldebatte vorgenommen hatten.
Mit großem Vergnügen habe ich heute morgen gehört, als Herr Bundesminister Maihofer eingangs unserer Aussprache zum Ausdruck brachte, daß es erfreulich sei, hier diese eigentlich viel zu seltene Aussprache über kommunalpolitische Fragen zu erleben. Deshalb habe ich eigentlich ein wenig bedauert, sehr verehrter Herr Minister Maihofer, daß Sie eine ganze Zeit leider nicht unter uns sein konnten. Aber ich nehme an, daß Sie sich über die Mitglieder des Kabinetts noch eine Unterrichtung geben lassen können. Sie sind gerade vor fünf Minuten gekommen und ich hatte eigentlich vor, dieses Bedauern besonders nachdrücklich zum Ausdruck zu bringen. Ich beschränke mich jetzt auf diese Feststellung.

(Zuruf von der SPD: Das ist aber Pech!)

und meine, Herr Minister Maihofer, daß wir uns darüber besonders freuen, Sie jetzt wieder bei uns zu haben.

(Offergeld [SPD] : Hätten Sie diese Passage in Ihrem Manuskript nicht streichen können?)

— Das hätte ich können, aber ich habe es bewußt
nicht getan; das haben Sie gemerkt, Herr Offergeld.
Unser Freund und Kollege Herr Vizepräsident Schmitt-Vockenhausen hat heute morgen mit großer Freude festgestellt, daß eine ganze Anzahl früherer leitender Kommunalpolitiker Bundeskanzler und Bundesminister geworden seien. Er hat dabei auch eine ganze Anzahl von Persönlichkeiten genannt. Ich habe das mit großer Freude gehört, sehr verehrter Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen. Ich habe nur bedauert, daß Sie den doch nicht nur in Deutschland, sondern weit darüber hinaus sehr geachteten früheren Kommunalpolitiker und ehemaligen Oberbürgermeister von Köln, Konrad Adenauer, den ersten Bundeskanzler, nicht nannten. Das schien mir ein bemerkenswertes Versäumnis zu sein.

(Waffenschmidt [CDU/CSU] : Sehr richtig! — Zuruf des Abg. Dr. Schmitt-Vockenhausen [SPD] )

— Ja, ja, Herr Schmitt-Vockenhausen, wir wollten
uns aber bemühen — auch Sie hatten das zum Aus-



Eilers (Wilhelmshaven)

druck gebracht —, hier zu einer Gemeinsamkeit zu kommen.

(Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Schmitt-Vokkenhausen [SPD])

— Herr Schmitt-Vockenhausen, ich weiß das ja durchaus. Es schien mir aber dennoch nötig zu sein, das noch einmal aufzuzeigen. Ich nehme an, Sie werden das durchaus so verstehen, wie ich es hier gemeint habe.

(Offergeld [SPD] : Zum Thema!)

Herr Minister Apel hat uns eine ganze Reihe von Zahlenspielen vorgeführt. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, Herr Minister, daß Ihnen die Schläue, Gerissenheit und vor allem auch die Taktik der alten Seeräuber an der Nordsee nicht fremd geblieben sind. So wie Sie es uns vorgeführt haben, war es wirklich mit Genuß anzuhören. Ich darf Ihnen allerdings sagen, daß Sie uns durch diese Zahlenspiele durchaus nicht zu überzeugen vermochten, daß Ihre Zahlen „richtiger" seien als die unsrigen.
Sie haben unterstellt, daß das, was Sie uns an Zahlen hier vorführen, wohl doch mehr Gewicht besitze als das, was die Opposition durch ihre Arbeit aufzubieten vermöge. Ich glaube, Herr Minister, es wäre das Gescheiteste, diese Zahlenspiele hier nicht fortzusetzen, sondern Sie zu bitten, uns im Finanzausschuß einmal mit der Art, wie Sie diese Zahlen berechnet haben, vertraut zu machen, so daß wir dann mit genügender Vorbereitung die Zahlen — Sie unsere, wir Ihre — miteinander vergleichen und auf diese Weise die Möglichkeit haben, uns zu verständigen. Ich nehme an, daß das unter Finanzpolitikern möglich sein sollte.
Als Sie heute morgen in Ihren Ausführungen u. a. davon sprachen, daß der Nahverkehr die Kommunen erheblich belaste, hatte ich eigentlich erwartet, daß Sie auf die gestrige Pressemitteilung in der „Süddeutschen Zeitung" eingehen würden, die eine für uns recht beachtliche Überschrift enthält: „Nahverkehr soll Gemeindesache werden." Nach dieser Zeitungsmeldung, von der ich natürlich nicht weiß, ob sie zutrifft — aber es wäre auf alle Fälle richtig gewesen, wenigstens zu sagen, ob sie zutrifft oder nicht —, sollen Herr Bundeskanzler Schmidt und Herr Bundesverkehrsminister Gscheidle ein Gespräch geführt haben mit dem Ziele, daß die Deutsche Bundesbahn den Personennahverkehr künftig den Ländern und vor allem den Gemeinden zuordnet, um auf diese Weise von dem erheblichen Defizit von 10 Milliarden DM jährlich herunterzukommen. Es würde mich sehr interessieren, Ihre Stellungnahme dazu zu hören. Denn eine solche Absicht wäre allerdings, glaube ich, nicht die richtige Art, wie die Bundesregierung und die Länder mit den Kommunen umgehen sollten, nämlich auf diese Weise das Bundesdefizit wesentlich zu verringern, um es bei den Gemeinden neu entstehen zu lassen.
Sie erklärten — ich darf das hier als Ouvertüre noch weiter offerieren —, daß in den Jahren 1970 bis 1974 die Schuldenaufnahme bei den Gemeinden rückläufig gewesen sei. Sie hatten daran die Erwartung geknüpft und die Folgerung daraus gezogen, daß die Gemeinden inzwischen offenbar eingesehen hätten, daß Investitionen in dem Maße, wie sie in den 60er Jahren vorgenommen worden waren, nicht mehr möglich seien. Sie haben sich dabei in Ihrer Schlußfolgerung nur auf die Jahre 1970 bis 1974 bezogen. Doch ist es wohl so, daß der Schuldendienst der Gemeinden nicht nach vier Jahren Investitionstätigkeit berechnet und vor allen Dingen nicht beurteilt werden kann, sondern so, daß der Schuldendienst 10 oder gar 30 Jahre zu laufen pflegt. Infolgedessen entbehrt diese Schlußfolgerung, wie ich meine, wohl der tatsächlichen Begründung.
Aus all dem und aus dem, was im übrigen heute in dieser Debatte klargeworden ist, ergibt sich, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß die gegenwärtige Finanzverfassung in der Bundesrepublik Deutschland den Anforderungen einer modernen Industriegesellschaft nicht gerecht zu werden vermag. Bund, Länder und Gemeinden müssen deshalb nach meiner Auffassung bei der beabsichtigten Reform als im Ursprung gleichberechtigte Partner bei der Verteilung der Steuerquellen und des Steueraufkommens berücksichtigt werden. Die Gemeinden und Städte erwarten von dieser mehr als überfälligen Neuregelung entscheidende Impulse für ihre Aufgaben, die alle Bürger angehen. Von Vertretern der Bundesregierung wird ebenso wie von Vertretern der Regierungen der Länder — wie auch heute — stets versichert, daß die Gemeinden die Grundlage des demokratischen Staates seien. Die Selbstverwaltung und die daraus erwachsende Selbstverantwortung der Bürger scheint jedenfalls auch nach den heutigen Äußerungen der Vertreter der Bundesregierung und der Länderregierungen zumindest im theoretischen Raum durchaus allgemeiner Zustimmung sicher zu sein.
In der Praxis dagegen sieht es wesentlich anders, wesentlich negativer aus. Die Selbstverwaltung und die Selbstverantwortung bleiben eine hohle Phrase, sie stehen auf tönernen Füßen, wenn sie nicht auf eigene und ausreichende Finanzkraft gegründet sind. Finanzzuweisungen des Bundes und der Länder, die mit Auflagen für die Verwendung verknüpft sind, können nicht nur nicht die Verantwortungsfreudigkeit der Bürger fördern und stärken, sondern werden sie am Ende ersticken und verkümmern lassen.
In einer Zeit, da nationale Grenzen im freien Teil Europas immer durchlässiger werden, darf nach meiner Auffassung die Bundesrepublik Deutschland nicht ein Opfer eines überspitzten Föderalismus werden. Die Grenzen der Länder dürfen keine Linien der innerpolitischen und finanzpolitischen Abschnürung sein. Deshalb setzt ein gemeinsames Handeln von Bund und Ländern nicht nur eine klare Auffassung von der künftigen Finanzverfassung voraus, sondern auch die notwendige Einsicht in die Schaffung einer einheitlichen und übersichtlichen Ordnung.
Es ist nicht nur interessant, sondern auch durchaus anzuerkennen, daß alle Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland — wie es heute morgen auch schon angedeutet wurde —, bis auf den amtierenden Bundeskanzler Helmut Schmidt, in ihren Regierungserklärungen zum Ausdruck brachten, wie



Eilers (Wilhelmshaven)

hoch der ideelle Wert der kommunalen Selbstverwaltung zu veranschlagen sei.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bereitschaft, die eigene Finanzhoheit der Gemeinden zu stärken, fand im theoretischen-Raum und erst recht in Räumen großer Kundgebungen häufig eine euphoristische Darstellung und Unterstützung. Das waren in der Tat sehr oft Worte, welche die Gemeinden und Städte mit neuer Hoffnung hätten erfüllen können.
Wie aber ist gegenwärtig die Lage im politischen Raum? Der Bundesregierung ist es in ihren Vorbereitungen bisher leider nicht entscheidend gelungen, ihre Interessen mit denen der Länder und Gemeinden einigermaßen in Einklang zu bringen.
Wir alle wissen, daß der Lebensraum des modernen Menschen über die historisch gewachsenen Stadt- und Landesgrenzen hinweggeht und daß auch vor den Ländergrenzen nicht haltgemacht werden kann, die vor allem von den damaligen Regierungen der militärischen Mächte sehr wesentlich unter dem Eindruck des gewonnenen Krieges gezogen wurden. Wie schwierig die Lage ist, zeigt sich an den ständig diskutierten Prinzipien des föderalistischen Staatsaufbaus, dessen Grundzüge angeblich durch diese Reform gefährdet würden oder gar zerstört zu werden drohten. Dabei sollte die Erkenntnis endlich Raum greifen, daß die gegenwärtige Gliederung nach Ländern in dem deutschen Rumpfstaat Bundesrepublik Deutschland ebenso dringend reformbedürftig ist wie die Finanzverfassung in unserem Staat.
Gegenwärtig jedoch wollen Bund, Länder und Gemeinden nicht nur eine Neuverteilung der Steuereinnahmen, sondern jeder für sich auch noch den entscheidenden Einfluß darauf, wie diese Einnahmen verteilt werden. Der Bund will über den Finanzplanungsrat bei der Ausgabenpolitik der Länder und Gemeinden mitreden. Die Länder wiederum pochen ständig auf ihren Verfassungsanspruch, daß der finanzpolitische Rahmen der Gemeindepolitik nur von ihnen unter Ausschluß des Bundes gezogen werden dürfe. Die Gemeinden wiederum wollen möglichst viele Steuereinnahmen zu eigenem Verfügungsrecht, um ihre Angelegenheiten ohne Abhängigkeit von Finanzzuweisungen erfüllen zu können. Das alles spielt sich zu einer Zeit ab, in der es mehr denn je darauf ankommen müßte, vernünftige Gemeinschaftslösungen bei der Erfüllung der großen Aufgaben unseres Volkes zu erreichen und den Anforderungen einer modernen Industriegesellschaft gerecht zu werden.
Einer der wesentlichsten Gründe der Krise des neu zu überdenkenden deutschen Föderalismus liegt gewiß in der unterschiedlichen Finanzausstattung der Länder, die eine tiefe Kluft zwischen den reichen und den armen unter ihnen aufgerissen hat. Die Bundesregierung will diesen Unterschied zwischen arm und reich durch eine Neugestaltung der gesamten Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden beseitigen. Die Länder aber berufen sich immer mehr auf die Unverletztlichkeit ihrer Staatsqualität, zu der ein besonderes Maß eigener Steuerhoheit gehöre.
In diesem Zusammenhang ist äußerst interessant, was das Institut „Finanzen und Steuern" in einer Broschüre vom August 1974 feststellt — ich zitiere —:
Der Vergleich zeigt für 1970
— neuere Zahlen hat dieses Institut noch nicht zur Verfügung —
eine erhebliche Kluft zwischen der durchschnittlichen Finanzausstattung der Gemeinden der finanzstarken und der finanzschwachen Länder.
Die Gemeinden der finanzstarken Länder verfügten im Durchschnitt über eine Finanzmasse von rd. 540 DM je Einwohner, die Gemeinden der finanzschwachen Länder dagegen nur über eine Finanzmasse von rd. 470 DM je Einwohner, bei jeweils verhältnismäßig geringen Abweichungen innerhalb der beiden Gruppen.
Die Unterschiede zwischen den Gemeindefinanzmassen der finanzstarken und der finanzschwachen Länder gingen über die Finanzkraftunterschiede zwischen den Ländern hinaus und waren insoweit Ausdruck einer unterschiedlichen Bewertung des Finanzbedarfs für den gemeindlichen und den staatlichen Bereich durch die einzelnen Länder.
In beiden Gruppen wurden die gemeindlichen Aufgaben um so stärker berücksichtigt, je geringer die Finanzkraft des Landes war, wobei zugleich ein gewisses Nord-Süd-Gefälle in der Finanzausstattung der Gemeinden festzustellen ist.
In diesem Zusammenhang darf ich sagen, daß die ärmsten, die finanzschwächsten Länder diejenigen sind, die sich für die Gemeinden am fürsorglichsten bewegten. An der Spitze steht Schleswig-Holstein. Dann gibt es ein Nord-Süd-Gefälle mit immer geringeren Beträgen.
In dieser Schrift des Instituts „Finanzen und Steuern" heißt es ferner:
Die Einnahmen der Gemeinden (Gemeindeverbände) aus Zuweisungen und Darlehen der Länder deckten 1972 rund 25 v. H. der gesamten gemeindlichen Ausgaben und blieben damit in ihrem finanziellen Gewicht nur wenig hinter der Haupteinnahmequelle der Gemeinden, den Steuern, zurück, die 1972 rund 28 v. H. des Ausgabenbedarfs deckten.
Daraus ergibt sich, daß die Forderung des Grundgesetzes, die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet zu wahren, bisher leider noch längst nicht erfüllt ist. Der Sinn der weiterzuführenden Gemeindefinanzreform muß deshalb sein, die Finanzausstattung der Gemeinden quantitativ und qualitativ zu verbessern. Das Ziel unserer gemeinsamen Anstrengungen muß die leistungsfähige Gemeinde sein.
Äußerst bedeutsam ist die Tatsache, daß der Anteil der Gemeinden und Gemeindeverbände an



Eilers (Wilhelmshaven)

den öffentlichen Sachinvestitionen 1972 66 % und 1973 67 % aller Ausgaben betrug.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU]: Betrug!)

Die gemeindlichen Investitionen werden in der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung unseres Staates eine immer größere Rolle spielen. Das gilt vor allem für die zukunftssichernden Investitionen im Bereich des Schul- und Bildungswesens, des Verkehrs- und des Gesundheitswesens sowie bei der Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur. Das zeigt sich auch jetzt wieder bei dem Konjunkturförderungsprogramm der Bundesregierung mit einer Ausstattung von 950 Millionen DM, wo die Gemeinden diejenigen sind, die in allererster Linie und möglichst schnell in der Konjunkturankurbelung mithelfen sollen.
Gerade diese Entwicklung verlangt neben der Erhöhung der Gemeindefinanzmasse auch die Verbesserung des Gemeindefinanzsystems. Das Gesetz über die Gemeindefinanzreform vom 8. Juni 1969 hat den Anteil der Gemeinden an dem Gesamtsteueraufkommen wesentlich erhöht. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß es die Gemeindefinanzreform unter Bundeskanzler Kiesinger und Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß war, die diesen entscheidenden Neubeginn für die Verbesserung der Gemeindefinanzen brachte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die Mehreinnahmen aus dieser Verbesserung der Gemeindefinanzen haben jedoch immer noch nicht ausgereicht, die den Gemeinden erwachsenen Mehrausgaben zu decken. Im Gegenteil: Die Belastungen der Gemeinden, vor allem durch die Steigerung der Personalkosten und der Aufwendungen für Investitionen, haben nach der Feststellung der Konferenz der Innenminister der Länder die Steigerung der Einnahmen weit übertroffen. Die Innenministerkonferenz der Länder hat am 30. März 1973 eine Erklärung zur Finanzlage der Gemeinden und Gemeindeverbände abgegeben, deren erster Satz lautet:
Die Gemeinden und Gemeindeverbände sind nicht in der Lage, mit ihrer derzeitigen Finanzausstattung die ihnen namentlich im Investitionsbereich obliegenden Aufgaben zu erfüllen.
Es ist also nicht verwunderlich, wenn die. Schuldenaufnahme der Gemeinden aus Kreditmarktmitteln und aus anderen, öffentlichen Quellen trotz gegenteiliger Empfehlung des Finanzplanungsrates erheblich zunahm. Die Empfehlungen des Konjunkturrates und des Finanzplanungsrates haben also nicht verhindern können, daß die Kreditaufnahme, d. h. die Verschuldung, von 1969 bis 1973 unter dem harten Druck des kommunalen Ausgabebedarfs außerordentlich zugenommen hat.
Eine sparsame Ausgabenpolitik erfordert auch aus diesen Gründen vor allem eine stärkere Zurückhaltung des Gesetzgebers in Bund und Ländern bei der Belastung der Kommunen durch neue Aufgaben. Die auf Bundes- und Landesgesetzen beruhenden Ansprüche der Bürger auf Geld- und Dienstleistungen haben zu einer außergewöhnlichen Belastung der kommunalen Haushalte geführt. Die Dritte Novelle zum Bundessozialhilfegesetz und die Vorstellungen zur Novellierung des Jugendhilferechts sind hier sehr warnende Beispiele.
Der Appell des Bundeskanzlers zum solidarischen Verhalten aller Gebietskörperschaften wird von den Städten, Gemeinden und Kreisen voll unterstützt. Sie müssen aber erwarten, daß der erbetenen Solidarität ebenso ein partnerschaftliches Verhalten der Bundesregierung und der Länderregierungen gegenübersteht. Deshalb geben wir der Erwartung Ausdruck, daß die Bundesregierung bei den kommenden Beratungen über die Neuverteilung der öffentlichen Einnahmen den Bund, die Länder und die Gemeinden in partnerschaftlicher Verantwortung zu vereinigen gewillt ist. Mit anderen Worten: Wir wollen, daß die Gemeinden und Gemeindeverbände bei diesen Beratungen von vornherein gleichberechtigt mit den Vertretern des Bundes und der Länder beteiligt sind.
Meine Damen und Herren, aus allen diesen Darlegungen ersehen Sie, wie sehr das Schicksal jedes einzelnen Bürgers von der Finanz- und Wirtschaftspolitik des Bundes, der Länder und der Kommunen abhängt.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

Die Zeit kurzatmiger Beschlüsse sollte endlich vorbei sein. Es geht um die Bereitschaft zu langfristig richtigen Entscheidungen auch auf die Gefahr hin, daß sie kurzfristig unpopulär sein mögen. Es gilt, den Bürger als verantwortungsbewußten und aktiven Gestalter der Zukunft in der Gemeinde und damit für unseren sozialen und demokratischen Rechtsstaat zu gewinnen und zu verankern.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0712838300
Das Wort hat der Abgeordnete Scheffler.

Hermann Scheffler (SPD):
Rede ID: ID0712838400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wäre angesichts der Kassandra-Rufe, die auf dem finanzpolitischen Sektor heute morgen ertönt sind, sehr versucht, dazu etwas zu sagen. Aber ich möchte mich auf ein spezielles Gebiet zurückziehen, das meines Erachtens noch ein wenig zu kurz gekommen ist.
Die Antwort der Bundesregierung zur Lage der Städte, Gemeinden und Kreise ist in dankenswert klarer Form auf die Frage der Funktionalreform eingegangen. Nachdem die kommunale Gebietsreform in den meisten Ländern der Bundesrepublik nunmehr abgeschlossen ist, ergibt sich folgendes Bild. Abgesehen von den Ländern Niedersachsen und Bayern, wo die Kreise bzw. Gemeinden bis Anfang 1976 neu geordnet sein werden, ist die kommunale Gebietsreform abgeschlossen. Von den 24 282 Gemeinden des Jahres 1968 werden am 1. Januar 1975 lediglich noch 11 009 vorhanden sein. 13 273 sind untergegangen, sei es durch Zusammenlegung, sei es durch Eingemeindung. An der Spitze der prozentualen Abnahme liegen die Länder Saarland und Nordrhein-Westfalen mit über 80 % Verringerung



Scheffler
des ursprünglichen Gemeindebestandes. Die Zahl der Landkreise wurde im gleichen Zeitraum von 425 auf 249 und die Anzahl der kreisfreien Städte von 193 durch Wiedereinkreisung auf 93 verringert.
Die Struktur der Gemeindegrößen hat sich zugunsten einer Größenordnung zwischen 10 000 und 50 000 Einwohnern verschoben. Immer noch wohnen 58,3 % — das sind etwa 36 Millionen Menschen — der Bevölkerung in Städten bis zu 50 000 Einwohnern, während in Städten zwischen 50 000 und 100 000 Einwohnern 8,8 % oder etwa 5,5 Millionen und in Städten über 100 000 Einwohnern 32,9 % oder etwa 20 Millionen Menschen leben.
Die Anzahl der 276 000 gewählten Vertreter in den Gemeinde- und Stadtparlamenten ist auf rund 164 000 zusammengeschmolzen. Wahrscheinlich ein rigoroser Aderlaß am guten Willen des ehrenamtlichen Elements der Bürgerschaft, der nur vertretbar ist, wenn die gemeindliche Selbstverwaltung und die Interessen der Bürger aus diesem Prozeß spürbar gestärkt hervorgehen. Aber davon später.
Die kommunale Gebietsreform allein, und hier meine ich konkret die Neugliederung, bringt keine unmittelbaren Vorteile. Sie ist weder bürgernäher, noch hat sie das Dienstleistungsangebot der Verwaltung verbessert, und erst in der vergangenen Woche ist der Innenminister eines Landes der Auffassung entgegengetreten, daß die Gebietsreform eine Einsparung von Steuermitteln bewirken könne. Wenn aber Verwaltung kein Selbstzweck sein soll, sondern vielmehr den Interessen der Bürger zu dienen hat, dann verdient die Gebietsreform diesen Namen nur, wenn konsequent Verwaltungsaufgaben nach unten verlagert werden, und erst, wenn mit dieser Verlagerung auch Qualitätsverbesserungen für die Bürger verbunden sind, kann man überhaupt von Funktionalreform reden.
Übrigens ist Funktionalreform wieder einmal ein Wort, das dem Bürger Sachverhalte eher vernebelt als klarer macht. Man hätte von Neuverteilung der Sachaufgaben reden sollen. Ich unterstreiche deshalb mit allem Nachdruck die Darstellung der Bundesregierung, die — wenn ich zitieren darf, Herr Präsident — sagt:
In erster Linie bedeutet Funktionalreform die Neuverteilung der Zuständigkeit zwischen den einzelnen Verwaltungsebenen vor allem durch eine Delegation von Aufgaben nach unten.
Deshalb höre ich nicht sehr gerne das Wort vom „Hochwandern" aus dem Munde von Landesministern. Ich meine: soviel Delegation nach unten wie möglich und nur soviel Hochwandern von Aufgaben wie nötig ist das Gebot der Stunde.

(Beifall bei der SPD)

Das gilt im übrigen nicht nur für die Beziehungen der Gemeinden zu den Kreisen, sondern auch für die staatliche Mittelinstanz, Herr Eilers, wenn ich das sagen darf. Von daher sollten den Kreisen auch neue Aufgaben zuwachsen.
Die Neuverteilung von Sachaufgaben ist aber in erster Linie Sache der Länder. Die bereits heute gegebenen Möglichkeiten sind noch nicht ausgeschöpft, obwohl einige Länder beachtliche Anstrengungen unternehmen, den ihnen zur Verfügung stehenden Rahmen auszufüllen. Alle Beteiligten müssen wissen, daß Millionen von Bürgern durch die Gebietsreform unmittelbar und nachhaltig betroffen worden sind. Der Staat ist für den Bürger nicht zu Unrecht zunächst einmal die eigene Gemeinde und nicht etwa ein abstraktes Organisationsgefüge irgendwo im Land oder weit draußen im Bund. Nach der oft schmerzhaften Operation für viele Beteiligte bei der Neugliederung kann keine Verschnaufpause eingelegt werden. Die Funktionalreform muß hier und heute beginnen, und die vom Bund zugesagte Unterstützung der Länder nach Lockerung bundesrechtlich abschließender Zuständigkeitsregelungen kann deshalb gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Ich will und kann hier keinen Katalog all der Möglichkeiten aufführen, die zur Neuverteilung anstehen. Der Bundesrat hat in seinem Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Verwaltungsreform in den Ländern entsprechende Vorschläge unterbreitet. Der nordrhein-westfälische Städte- und Gemeindebund hat meines Wissens bereits 1972 rund 50 Möglichkeiten einer gezielten Funktionalreform aufgezeigt. Wer die kommunalpolitische Landschaft in der Bundesrepublik Deutschland kennt, ist sich der Tatsache bewußt, daß rein schematische Übertragungen von Verwaltungsgrößenordnungen und Aufgabenumverteilungen unrealistisch wären. Aber Schwierigkeiten, die im föderativen System begründet liegen, dürfen kein Hinderungsgrund sein, begonnene Reformen auch zügig zu Ende zu bringen.
An dieser Stelle muß allerdings wieder einmal und auch im Hinblick auf die Ausführungen des Bundesratsvertreters am heutigen Vormittag die Frage aufgeworfen werden, ob die Vielfalt unserer Gemeindeverfassungen in dieser Form noch den modernen Anforderungen entspricht. Dabei muß man nicht gleich an eine völlige Einebnung aller Unterschiede denken; aber, meine Damen und Herren, ich lasse mir nicht einreden, daß eine Annäherung der Gemeindeverfassungen nicht möglich wäre. In einer Zeit, in der viele Menschen eine Europaverfassung wünschen und in der die eigene Verfassung einer Überprüfung unterzogen wird, können Gemeindeverfassungen nicht tabu sein.

(Beifall bei der SPD)

Denn von Durchschaubarkeit für den Bürger kann überhaupt keine Rede sein, und der Bürger kann ja im übrigen nur sehr schwer begreifen, daß in den verschiedenen Bundesländern Landrat nicht gleich Landrat und Bürgermeister nicht gleich Bürgermeister ist.
Schließlich will ich auch noch ein Wort zur vielzitierten Selbstverwaltung sagen, denn die ständige Konferenz der Innenminister hat ja im Dezember 1972 noch einmal ausdrücklich besiegelt, daß der Mitwirkungsmöglichkeit der Bürger ein echter Handlungsspielraum gegeben werden muß. Praktizierende Kommunalpolitiker hören solche Botschaften gern; allein, sie möchten auch Fakten sehen. Denn bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt geht es auch den Städten und Gemeinden wie dem alten Mann mit seinem großen Fisch: administrative Einengun-



Scheffler
gen, finanzielle Fernsteuerung, ausgeweitete Personalhaushalte und kräftig gestiegene Investitionskosten haben von der Souveränität der Städte und Gemeinden in der Regel nur noch ein Gerippe übriggelassen. Das ist die Selbsterkenntnis, die wir in der Praxis haben. Man kann von einem übersteigerten Selbstverwaltungsanspruch deshalb überhaupt nicht mehr reden.
Lassen Sie mich aber auch ganz klar sagen, daß Selbstverwaltung zwar eine Frage der Finanzen ist, aber nicht ausschließlich. Deshalb befinde ich mich auch nicht im Widerspruch zu der Aussage des Herrn Finanzministers, die er heute morgen von dieser Stelle aus gemacht hat.
Eine Gefahr droht auch durch die wachsende Abhängigkeit von Kommunikations- und Informationssystemen, ohne deren Einsatz Verwaltungs- und Planungsaufgaben größeren Stils heute nicht mehr lösbar sind. Es ist nur konsequent, wenn der Bundesminister für Forschung und Technologie den Bereich „kommunale Technologien" in sein Forschungsprogramm einbezogen hat.

(Beifall bei der SPD)

In diesen Tagen ist eine erste empirische Untersuchung über die Entwicklung eines kommunalen Informationssystems von der Stadt Köln vorgelegt worden, die ebenfalls vom Ministerium für Forschung und Technologie gefördert worden ist.

(Sehr gut! bei der SPD)

Daraus geht aber u. a. hervor, daß grundlegende Planungs- und Investitionsentscheidungen ohne systematisch erarbeitete Informationen weit über den Rahmen der heute üblichen Datenverarbeitung hinaus nicht mehr möglich sind. Die technische Entwicklung aller Kommunikationssysteme im Breitbandbereich wird in absehbarer Zeit Möglichkeiten des unmittelbaren Dialogs zwischen Bürgern und Gemeinden geschaffen haben, die heute nur in schwachen Umrissen und mit viel Fantasie in ihrer ganzen Tragweite erkannt werden können. Daraus, meine Damen und Herren, läßt sich ersehen, daß die Frage der Funktionalreform ein andauernder Prozeß sein wird.
Es muß sehr nachdenklich stimmen, wenn in der Kölner Untersuchung noch einmal ausdrücklich Edgar Pisani zitiert wird, der bereits 1969 in Wien folgende Warnung aussprach:
Der Verwaltungsapparat entwickelt sich zu einem Gebäude, das zwar Bewunderung erregt, aber verschlossen bleibt und vor dem der Bürger ein Gefühl der Ohnmacht empfindet. In dem Maße, wie die Verwaltung sich entwickelt, wird der Bürger ihr Untertan.
Er wird das Objekt der Verwaltung und nicht ihre Grundlage und ihr Meister. Und so wird nach und nach der Bürgersinn zerstört. Die Ohnmacht des Bürgers gegenüber dem Verwaltungsapparat bedeutet das Desinteresse des Bürgers für die öffentlichen Angelegenheiten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, niemand wird behaupten können, daß diese Mahnung gegenstandslos geworden wäre. Wenn wir die Gefahren aber erkennen, haben wir auch zu reagieren. Eines der Mittel ist die Neuverteilung der Aufgaben und die Stärkung der verantwortlichen Mitarbeit der Städte, Gemeinden und der Kreise in der Selbstverwaltung. Ob das Mittel der Bezirksverfassung diese Stärkung herbeiführen kann, steht noch dahin. Man muß jedoch zunächst positiv vermerken, daß die Landesregierungen in der Endphase der Gebietsreform sehr klar erkannt haben, daß ohne Schaden für das bürgerschaftliche Verhältnis zwischen Bürger und Gemeinde Verantwortung in der ehrenamtlichen Mitarbeit nicht ersatzlos gestrichen werden kann.
Ich begrüße deshalb, daß die kommunalen Spitzenverbände aus dieser Debatte gestärkt hervorgehen werden. Ich tue das nicht, um einer gewissen Lobby Vorschub zu leisten. Sie alle haben heute unter Beweis gestellt, daß die Spitzenverbände eine Sonderstellung einnehmen. Sie sind in besonderer Weise aufgerufen, ebenso wie die Kommunal- und Landespolitiker selbst für eine erweiterte Verantwortung der Städte und Gemeinden mit Nachdruck einzutreten. Ich stimme dem Entschließungsentwurf der Koalitionsfraktionen deshalb vorbehaltlos zu.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0712838500
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wendig.

Dr. Friedrich Wendig (FDP):
Rede ID: ID0712838600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will in meinem nur kurzen Beitrag keine allgemeine Erklärung oder kein allgemeines Bekenntnis zur Bedeutung der Gemeinde und der Bindung des Bürgers an die Gemeinde für unsere Demokratie zum Ausdruck bringen. Das ist an vielen Stellen schon gesagt worden. Ich will nur zwei kurze Bemerkungen vorausschikken, die uns sachlich ein wenig auf die große Aufgabe der CDU/CSU-Fraktion zurückführen.
Erstens. Wir sprechen immer von der Trennung der öffentlichen Gewalt in zwei oder drei Säulen. Bei den zwei Säulen meinen wir Bund und Länder und sehen die Gemeinden eingebunden in die Länder. Bei der Drei-Säulen-Theorie sehen wir Bund, Länder und Gemeinden nebeneinander. Es gibt aber meines Erachtens eine andere Zwei-Säulen-Theorie, die man in das Gespräch einführen sollte, weil sie für das Verständnis einer Aufgabenreform, die mit einer Finanzreform zusammenhängt, eminent wichtig ist. Ich meine eine Zwei-Säulen-Theorie, die den Staat auf der einen Seite und die gemeindliche Selbstverwaltung auf der anderen Seite sieht, wobei die staatliche Verwaltung in sich wieder in einem föderativen Staat in Bund und Länder geteilt ist. Das muß man beachten, wenn man die Verknüpfung der gemeindlichen Planung mit der staatlichen Planung sieht: Was ist staatliche Verwaltung, was ist gemeindliche Selbstverwaltung? Denn an den Toren der Gemeinden macht ja letztlich auch der Staat nicht halt.
Zweite Vorbemerkung. In den Beiträgen zur Diskussion gehen ein wenig die Fragen, was jetzt geschehen kann — und wenn ich jetzt sage, meine ich das Jahr 1974 und was an lang- oder längerfristi-



Dr. Wendig
gen Entwicklungen für notwendig gehalten wird, durcheinander. Auch diese beiden Dinge muß man, wenn man sie richtig beurteilen will, voneinander trennen.
Ich will mich, dies vorausgeschickt, in der Hauptsache einigen finanzpolitischen Aspekten der Gemeinden und Gemeindeverbände zuwenden, soweit sie durch die Große Anfrage der CDU/CSU berührt werden und werde mich bemühen, Wiederholungen zu vermeiden. Dabei muß man sich natürlicherweise darüber im klaren sein, daß zwischen den verfassungspolitischen Elementen der Finanz- und der Aufgabenstruktur der Gemeinden, der Länder und des Bundes und des Bundes im ganzen nicht getrennt werden kann. Im Grunde genommen haben ja alle Beiträge zu der Debatte, von welcher Seite sie auch gekommen sind, diese enge Verflechtung aller Ebenen gezeigt, was eben auch Auswirkungen auf die Finanzierung hat. Aber lassen wir dies beiseite. Eines können wir jedenfalls nicht — und das ist die Diskrepanz, die ich in den Reden der Oppositionsvertreter immer wieder habe erkennen müssen —: ich kann nicht auf der einen Seite schlicht mehr Geld für die Gemeinden fordern und auf der anderen Seite dem Bund keine oder keine entsprechenden Kompetenzen geben.
Ein ursprüngliches Recht der Gemeinden auf eine Verstärkung ihrer eigenen Steuerquellen wird und wurde wohl von keiner Seite dieses Hauses je bestritten. In der Tat hat ja schon im Jahre 1965 die Gemeindefinanzreform einen ersten wesentlichen Schritt nach vorn auf dem Wege zur unmittelbaren Beteiligung der Gemeinden am Steuerverbund getan. Damals wurde die schon oft zitierte Beteiligung der Gemeinden an der Einkommensteuer mit 14 % eingeführt. Die Einzelanfragen in der Großen Anfrage der CDU/CSU spitzen sich meines Erachtens auf zwei Punkte zu, nämlich erstens in der Frage nach der Erhöhung des Anteils der Gemeinden an der Einkommensteuer, und zwar jetzt, und zweitens in der Behauptung einer fehlenden oder unzureichenden Koordination zwischen der Sachplanung und der Finanzplanung im Verhältnis von Bund, Ländern und Gemeinden. Gestatten Sie mir zu diesen beiden Punkten einige Worte.
Zunächst zu der beantragten Erhöhung des Anteils an der Einkommensteuer. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort deutlich gemacht, warum und aus welchen zutreffenden Gründen eine solche Erhöhung bei der gegenwärtigen Finanzausstattung des Bundes für 1974 nicht in Betracht kommen kann. Der Herr Bundesfinanzminister hat diesen Standpunkt in seinen Ausführungen noch einmal mit einer langen Reihe von Gründen unterstützt. Das mag Sie, wie Sie von der Opposition immer wieder gesagt haben, sicherlich nicht befriedigen. Wir müssen aber immerhin doch wissen, daß nach der Gemeindefinanzreform von 1969 eine ganz erhebliche Verstärkung der Finanzmassen bei den Gemeinden eingetreten ist. Wir dürfen auch nicht außer acht lassen, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien der sozialliberalen Koalition — das gilt auch schon für die vorletzte Regierung von 1969 bis 1972 — die Finanzkraft der Gemeinden durch eine Reihe von
Einzelmaßnahmen, die in Einzelgesetzen niedergelegt waren, nachhaltig gestärkt haben. Ich will die Summen hier nicht im einzelnen aufführen. Wir wollen keinen Zahlenstreit, den wir hier doch nicht zu Ende führen. Ich nenne nur das Verkehrsfinanzgesetz von 1971, das zwei Drittel des Aufkommens aus der Mineralölsteuer den Gemeinden für den Straßenbau zuwies. Ich nenne weiter das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz von 1971. Ich nenne das Städtebauförderungsgesetz von 1971. Ich nenne auch den Zugewinn, den die Gemeinden der Finanzminister sprach davon — bei der Umsatzsteuerverteilung erfahren haben. Letztlich werden auch bei Durchführung der Revisionsklausel die Belange der Gemeinden bei der Verteilung der Umsatzsteuer mit berücksichtigt. Es ist also eine ganze Reihe von Einzelmaßnahmen zugunsten der Gemeinden angelaufen. Es kann ganz einfach nicht die Rede davon sein, daß der Bund die Gemeinden im finanziellen Bereich vergessen hätte. Denken Sie auch daran, daß die strukturpolitischen Maßnahmen dieses Jahres — sowohl die vom Februar als auch die vom September — in erster Linie den betroffenen Gemeinden zugute gekommen sind oder zugute kommen werden. Ich glaube, dies alles ist kein Vollzugsdefizit, wie einer der Redner der Opposition vorhin gemeint hat. Dies zur jetzigen Situation.
Ich will hier eine Unterteilung mit dem Blick auf die Zukunft vornehmen. Daß auch in Zukunft, also über 1974 hinaus, die Finanzlage der Gemeinden — und zwar auch mit den eigenen Steuerquellen zusammen mit der Finanzverfassung des Bundes sozusagen auf dem Tisch meiner Fraktion, wahrscheinlich aber aller Fraktionen liegen wird, dessen dürfen Sie gewiß sein. Was die Frage der selbständigen Steuerquellen angeht, so hat unter anderen mein Koalitionskollege Engelhard vorhin hinsichtlich der Hebesatzzuständigkeit der Gemeinden einen Vorschlag gemacht, der sicherlich diskussionswert ist.
Nicht minder wichtig — dies ist die zweite Frage — wird von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, nun die Behauptung genommen, daß es an einer ausreichenden Koordination zwischen Sach- und Finanzplanung bei Bund, Ländern und Gemeinden fehle. Das ist doch der Kern der ganzen Diskrepanz, die Sie vorführen. Dies kommt besonders in der Stellungnahme zum Ausdruck, die die CDU/CSU-Fraktion unter dem 23. Juli zu der Großen Anfrage an die Bundesregierung nach draußen gegeben hat. Meine Damen und Herren, man kann eines nicht tun. Man kann nicht einerseits die fehlende Planungszuständigkeit beklagen und auf der anderen Seite eine Übermacht des Bundes oder des Staates rügen.
Dies greift schon auf einen dritten Fragenkomplex über, der die Gemeinden und die gemeindliche Haushaltswirtschaft bis hin zu ihrer Einbeziehung auch in die Konjunkturpolitik betrifft. Wenn man diese Frage stellt, wird man auch nach dem rechtlichen Instrumentarium fragen dürfen, das dem Bund für eine solche Tätigkeit gegenüber den Gemeinden zur Verfügung steht. Die einschlägigen Artikel des Grundgesetzes — sie wurden mehrfach zitiert — geben im Verhältnis zu den Gemeinden



Dr. Wendig
nicht viel her. Daneben haben wir dann noch — ich will es hier doch einmal nennen — das Stabilitäts-
und Wachstumsgesetz, das die Dinge, wie es nicht anders sein kann, vorwiegend unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten sieht.
Aber neben der Begrenzung der Kreditaufnahme durch die Gemeinden (Schuldendeckelverordnung) — hierbei ist mir nicht ganz klar, ob Sie sie nun beibehalten wollen oder nicht — gibt auch dieses Gesetz für den Bund nicht viel her. Es bietet nicht einmal eine Grundlage, um im Wege der freiwilligen Koordination zu einer echten Einbeziehung der Gemeinden in die gesamtstaatliche Konjunkturpolitik zu gelangen. Dies geschieht zwar beispielsweise zwischen Bund und Ländern; denn im Konjunkturrat sind immerhin die elf Länder vertreten. Demgegenüber muß darauf hingewiesen werden, daß sowohl dem Konjunkturrat als auch dem Finanzplanungsrat nur vier Vertreter der Gemeinden angehören. Daß damit die von Ihnen angesteuerte Gesamtkonzeption nicht zu verwirklichen ist, meine Damen und Herren, das steht, glaube ich, auch außer Zweifel. Anders kann aber nach der gegenwärtigen Rechtslage schlicht nicht verfahren werden.
Im übrigen aber verlangen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, vom Bund etwas, was kein Land, ganz gleich, welcher politischen Zusammensetzung, auf diesem Gebiet zustandegebracht hat, obwohl es nach dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz möglich gewesen wäre. Kein Land hat ein Ausführungsgesetz erlassen, das nach § 16 Abs. 4 des soeben zitierten Gesetzes möglich wäre und die gemeindliche Haushaltswirtschaft den Zwecken der großen Konjunkturpolitik anpassen könnte.
Wem dies alles als ein konjunkturpolitischer Nebenkriegsschauplatz erscheint, dem möchte ich doch folgende Gesichtspunkte kurz in Erinnerung rufen.
Erstens. Die Lage ist sicherlich schwierig und wird von allen als solche erkannt. Aber — der Herr Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen hat es in seinen Ausführungen vorhin sehr deutlich gesagt — die finanziellen Schwierigkeiten bestehen bei der öffentlichen Hand gegenwärtig auf allen Ebenen, nicht nur bei den Gemeinden, sondern ebenso bei den Ländern und ebenso beim Bund. In der gegenwärtigen verfassungs- und finanzpolitischen Lage gibt es keine rechtlichen und keine tatsächlichen Grundlagen dafür, über das hinauszugehen, was die Bundesregierung auf die Große Anfrage der Opposition geantwortet hat und was die Minister Maihofer und Apel in ihren Ausführungen noch einmal unterstrichen haben.
Zweitens. Gesamtstaatliche Finanzpolitik, Konjunkturpolitik und Aufgabenplanung — von letzterer hat der Kollege Jahn von der Opposition vorhin sehr eingehend gesprochen — sind ohne Einbeziehung der Gemeinden, zusammen mit den anderen öffentlichen Händen, sicherlich nicht möglich.
Drittens ist dies aber eine Frage, die, wie ich eingangs schon sagte, mit der Aufgabenstruktur von Bund, Ländern und Gemeinden, also allen öffentlichen Ebenen, und den Kompetenzen des Bundes zu tun hat. Eine stärkere Kompetenz bedeutet aber möglicherweise auch eine stärkere Einbindung der Gemeinden. Auch das muß man wissen.
Dies alles ist nur möglich durch eine Änderung der Finanzverfassung und nicht nur durch eine Überlegung, ob der Anteil bei der Einkommensteuer 14 % betragen soll oder mehr, wenn wir die Frage einmal über das Jahr 1974 hinaus betrachten wollen. Das hängt, wie schon gesagt, mit der Verfassungsstruktur zusammen. Mehr als 25 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes sollten wir ruhig einmal intensiver und umfassender darüber nachdenken, was zum Teil auch auf diesen Gebieten geschieht — nicht nur in der Enquetekommission, auf die ich gleich zu sprechen komme — und künftig noch geschehen wird.
Kenner der deutschen Verfassungsgeschichte wissen, daß sich die Frage der gerechten, d. h. der aufgabengerechten Finanzverfassung, insbesondere stets im Zusammenhang mit der Veränderung der Verfassungsstruktur unseres Landes ergeben hat. Das galt für die Miquelsche Finanzreform im 19. Jahrhundert; das galt von der Verfassungsstruktur der Finanzverfassung nach 1919, und das gilt auch heute noch. Jedoch müssen wir uns heute überlegen, ob die Finanzstruktur, mit der der Verfassungsgesetzgeber im Jahre 1949 der Aufgabenteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zu entsprechen meinte — Herr Eilers, Sie haben dieses Verhältnis auch angesprochen —, heute einfach noch paßt; denn im Laufe der Jahre sind doch Stück für Stück — auch das dürfen wir nicht vergessen — mehr Kompetenzen von den Ländern auf den Bund übergegangen. Das ist die eine Seite.
Die andere Seite aber ist, daß Art. 20 des Grundgesetzes, Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, nicht nur für den Bund, sondern ebenso für die Länder und für die Gemeinden gilt. Und schließlich sind drittens — das ist in den letzten zehn Jahren, möchte ich sagen, stärker als vorher deutlich geworden — im Bereich der öffentlichen Hand die Finanz- und Aufgabenplanung über längerfristige Zeiträume hin zu einer staatlichen Aufgabe geworden, mit der sich unsere Väter und Vorväter in diesem Ausmaße noch nicht haben beschäftigen müssen.
Alle diese Dinge führen doch im Grunde dazu, einmal neu zu überdenken, wie die Aufgabenverteilung in einem föderativen Staat — den ich auch hier für meine Fraktion bejahen möchte — zweckmäßigerweise aussieht mit den Planungsnotwendigkeiten, die einfach über Grenzen hinausgehen müssen, und wie danach die Finanzverfassung aussehen müßte. Auch das ist eine Frage, mit der sich die Enquetekommission wird befassen müssen. Aber wir sollten uns damit allein nicht zufrieden geben. Wir sollten immer wieder daran arbeiten und diese Frage neu überdenken.
Aber so, wie die Dinge heute stehen, ist die Antwort der Bundesregierung bzw. der Bundesminister des Innern und der Finanzen auf die Große Anfrage der Opposition sowohl zutreffend wie erschöpfend. Sie zeigt, mit welchem Gewicht die Bundesregierung



Dr. Wendig
die Finanzsituation der Gemeinden betrachtet und wie sie nach dieser Erkenntnis handelt. Meine Fraktion steht hinter der Antwort der Bundesregierung, die Ihnen in der Drucksache 7/2409 vorliegt.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0712838700
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schneider.

Dr. Oscar Schneider (CSU):
Rede ID: ID0712838800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Lage der Städte, Gemeinden und Kreise reflektiert spiegelbildlich die wirtschaftliche, finanzielle und konjunkturpolitische Lage des Bundes. Den Gemeinden — wer möchte es bezweifeln? — geht es schlecht, weil es dem Bund schlecht geht und weil unser Bundeshaushalt in den Strudel der Inflation gerissen wurde. Die Gemeinden können mit zahlenmäßig höheren Einnahmen weniger bauen, weniger Daseinsvorsorge bieten.
Bekenntnisse zur gemeindlichen Selbstverwaltung sind gut. Sie verlieren aber an Glaubwürdigkeit, wenn die Folgen einer verfehlten Bundespolitik die Gemeinden mehr und mehr in eine größere Krise treiben. Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen

(Konrad [SPD] : Er ist da!)

— ich freue mich, den Herrn Präsidenten des Deutschen Städte- und Gemeindebundes zu sehen —, ich teile Ihr Credo an die gemeindliche Selbstverwaltung. Ich stimme vor allem Ihren grundsätzlichen Ausführungen zu, zumal der Feststellung, daß die gemeindliche Selbstverwaltung nach dem zweiten Weltkrieg eine kräftige und allgemeine Renaissance erfahren hat. Damals freilich war der ehemalige und eindrucksvoll erfolgreiche Oberbürgermeister der Stadt Köln, Konrad Adenauer, 14 Jahre lang Bundeskanzler.

(Konrad [SPD] : So etwas haben wir heute doch schon einmal gehört!)

— Ich werde etwas Neues hinzufügen. (Konrad [SPD] : Da bin ich aber gespannt!)

Erst als der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin und ehemalige Präsident des Deutschen Städtetages, Willy Brandt, zum Bundeskanzler gewählt worden war, signalisierte der damalige Oberbürgermeister von München, der heutige Bundesjustizminister Vogel, an Bundesregierung und Bundestag: „Rettet die Städte jetzt!"

(Konrad [SPD] : Das ist doch ein wirkungsvoller Slogan!)

„Rettet die Städte jetzt!" war ein Notschrei, ein SOS-Ruf vor drei Jahren. Im Mai 1971 nämlich stellte der Deutsche Städtetag in München einstimmig fest: „Die gemeindlichen Mehreinnahmen aus der Finanzreform des Jahres 1969 sind im Boom der Hochkonjunktur verpufft." Das wurde wortwörtlich in München festgestellt, und zwar ausgefertigt, quasi notariell unterzeichnet, durch den damaligen Präsidenten des Deutschen Städtetages, Dr. Hans-Jochen Vogel. Die politische Verantwortung für diese Entwicklung, nämlich daß die Mehreinnahmen aus der Finanzreform „im Boom der Hochkonjunktur verpufft"
sind, kann man der Bundesregierung hier und heute nicht abnehmen.
Ich muß noch einmal den Herrn Kollegen SchmittVockenhausen zitieren

(Konrad [SPD] : Sehr gut!)

— in diesem Fall teile ich allerdings seine Auffassung nicht —, daß die Länder im Wort seien. Die Länder sind zugegebenermaßen ebenso wie die Gemeinden in eine bedenkliche Finanznot geraten. Vielfach sind die Länder außerstande, ihren komplementären Finanzierungsanteil im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben aufzubringen. Vielfach scheitern Ländermaßnahmen auch daran, daß der Bund seinen gesetzlichen Verpflichtungen nicht nachkommt. Ich möchte als Beispiel nur das Krankenhausfinanzierungsgesetz anführen, wonach der Bund bekanntlich ein Drittel der Kosten tragen soll. In den allermeisten Fällen übernimmt er aber tatsächlich nur ein Sechstel der Kosten.
Der Vorwurf, die Unionsparteien hätten die Abschöpfung planungsbedingter Bodenwertsteigerungen verhindert, geht ins Leere.

(Henke [SPD] : Ja, das ist aber neu!) — SPD und FDP regieren gemeinsam seit 1969.


(Zuruf von der SPD: Wie schreiben Sie „Leere", mit „ee" oder mit „eh"?)

— Ich schreibe es der authentischen deutschen Orthographie gemäß, und danach darf ich gleich fortfahren. Die SPD stellt seit sieben Jahren den zuständigen Ressortminister.

(Sehr richtig! in der Mitte — Dr. Ritz [CDU/ CSU] : So ist es!)

Bis heute liegt dem Parlament — ich will mich jetzt sehr präzise ausdrücken — kein brauchbares Modell vor, wie der Planungswertausgleich bewertungsrechtlich und steuerrechtlich ermittelt,

(Zuruf von der SPD: Dies hatten Sie ja angekündigt!)

veranlagt und in unsere gesamte Finanz- und Steuerordnung eingebaut werden soll.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0712838900
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Henke?

Dr. Oscar Schneider (CSU):
Rede ID: ID0712839000
Sehr gerne!

Erich Henke (SPD):
Rede ID: ID0712839100
Herr Kollege Schneider, darf ich Sie fragen, ob Ihre Rede schon am Montag fertig war, also vor dem Planspiel, das gestern und vorgestern in Wuppertal zum Bundesbaugesetz stattgefunden hat und in dem eindeutig klargestellt worden ist, daß der Planungswertausgleich auch mit der geringeren Abschöpfungsquote durchaus sinnvoll und praktikabel ist.

Dr. Oscar Schneider (CSU):
Rede ID: ID0712839200
Herr Kollege Henke, ich darf Ihnen mein Manuskript zeigen. Es ist erst entstanden, nachdem ich dort zugehört hatte.

(Henke [SPD] : Das wundert mich dann aber sehr!)




Dr. Schneider
— Aber ich darf gleich darauf eingehen. Das Planspiel hat seinen Zweck in jeder Hinsicht und in vollem Umfang erfüllt. Es hat Positionen klarer gemacht. Ich will jetzt auf dieses Thema nicht näher eingehen. Sonst müßte ich nämlich darüber reden, ob die Feststellungen bezüglich der Eingangswerte zutreffend waren, wie die gemeindlichen Behörden erneuert, ergänzt, umgegliedert werden müssen, was es damit auf sich hat, wenn man sagt: die Gemeinden brauchen dann eigene Bewertungsämter, was es damit auf sich hat, daß die kommunalen Gutachterausschüsse ergänzt, organisatorisch umgegliedert werden müssen, insbesondere was es mit der Frage 50 % oder 100 % oder mit der Anrechnungsfähigkeit der Erschließungskostenbeiträge auf sich hat. Das sind aber Detailfragen, auf die ich hier im einzelnen nicht eingehen möchte. Ich persönlich wäre wirklich froh, wenn es ein Modell gäbe — ich sprach von einem brauchbaren Modell —, mit dem alles gelöst werden könnte. Denn selbst die im Regierungsentwurf vorgesehene Lösung ist nur grundsätzlicher Art. Die Lösung der Detailprobleme soll ja erst in einer Rechtsverordnung der Bundesregierung verankert werden, die mit Zustimmung des Bundesrates in Kraft gesetzt werden soll. Erst dort wird Letztes enthalten sein. Der Vorwurf also, daß wir mit unserem Widerstand vielleicht gar den Gemeinden Milliarden vorenthalten hätten — das klang im Hinterkopf so etwas durch —, stößt ins Leere.
Meine Damen und Herren! Im Zeichen der Gebiets- und Verwaltungsreform, der Raumordnungs-
und Strukturpolitik, der Umweltschutzprogramme, der Novellierung des Bau- und Bodenrechts gewinnen die Gemeinden als Träger der bürgerschaftlichen Selbstverwaltung und als Zentren der Wirtschaft, der Kultur und des Verkehrs eine wachsende Bedeutung für die Gesamtheit unserer staatlichen Ordnung. Unsere heutige Aussprache über die Lage der Städte, Gemeinden und Kreise verfehlte daher ihren vollen politischen Zweck, vergäßen wir dabei auf den verfassungsrechtlichen Rang hinzuweisen, den die Gemeinden durch den Verfassungsgeber zugesprochen erhalten. Die bürgerschaftliche Selbstverwaltung gewinnt im förderalen Sozialstaat an wachsender Bedeutung; denn ein wesentlicher Teil sozialstaatlicher Wirklichkeit wird durch die gemeindlichen Einrichtungen des sozialen und kulturellen Gemeinbedarfs repräsentiert. Im Gegensatz zur staatlichen Verwaltung, die auch im Zeitalter einer sozialstaatlichen Verfassung ihren primären Ordnungscharakter nicht verloren hat, ist die gemeindliche Selbstverwaltung aufs engste mit den gesellschaftlichen Gruppierungen verbunden. Ich denke z. B. an die freien Träger der Jugend- und Sozialhilfe, an die Kultur- und Sportverbände. In der Gemeinde erfährt der Bürger am unmittelbarsten die Aufgaben und Gewaltenteilung der Demokratie; denn jeder Mensch ist zuerst Bürger seiner Gemeinde, ohne deren Gemeinschaftsdienste kein modernes Wohnen, Arbeiten und Erholen möglich wäre. Die Gemeinden sind unbestrittenermaßen Träger einer universalen Daseinsvorsorge, ohne die unsere arbeitsteilige Wirtschaftswelt nicht vorstellbar wäre.

(Sehr Richtig! bei der CDU/CSU) Der Sozialstaat wird in den Gemeinden und ihren Gemeinschaftseinrichtungen am augenscheinlichsten sichtbar. Nirgendwo tritt dies greifbarer und tragischer in Erscheinung als in den Gemeinden an der Zonengrenze, wo man schon durch einen Blick über den Zaun feststellen kann, welches System hier und dort an der Macht ist.

Trotz der Allzuständigkeit der Gemeinden, trotz ihres Satzungsrechtes sind die Gemeinden der Exekutive zuzurechnen. Dieser Behauptung steht auch nicht die Tatsache entgegen, daß die Träger der gemeindlichen Gewalt aus freien demokratischen Wahlen hervorgehen. Solche Wahlen kennen wir auch bei anderen Selbstverwaltungskörperschaften, z. B. bei den Versicherungsträgern. Auch die öffentliche Bauleitplanung und Stadt- und Entwicklungsplanung vollziehen sich in den räumlichen Vorgaben des Raumordnungsprogrammes des Bundes, der Landesentwicklungspläne und der regionalen Planstrukturen. Die örtliche Gebietsplanung wächst immer stärker in gesamtstaatliche Planungsabhängigkeiten hinein.
Die Gemeinden gelten als das demokratische Fundament des Staates. Manche bezeichnen sie auch als die dritte Säule unserer staatlichen Baustruktur. Das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht hat im Verfassungsstaat des 19. Jahrhunderts den sozialen Aufstieg des deutschen Volkes erst möglich gemacht. Vor 125 Jahren hat die Reichsverfassung der Paulskirche, der wir die Grundlegung unserer demokratischen Ordnung und die Befreiung aus obrigkeitsstaatlicher Bevormundung verdanken, in § 185 erstmals die Verfassungsrechtliche Gewährleistung der gemeindlichen Selbstverwaltung gebracht. In einigen Länderverfassungen, z. B. in Bayern und Württemberg, war das Recht der örtlichen Selbstverwaltung schon früher anerkannt worden.
Gemeindliche Selbstverwaltung einerseits und staatliche Gesetzgebungs- und Regierungskompetenz andererseits sind zwei wesentlich verschiedene Ebenen und haben unterschiedliche Rechtsinhalte. Das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht vollzieht sich im Rahmen der Rechts- und Fachaufsicht der Länder. Ungeachtet der Einbindung der Gemeinden in die Länder ist das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht ein originäres Gemeinderecht. Es erhält aus der Einbindung in die Länder seine komplementäre Gewichtung und Bedeutung.
Die kommunalen Spitzenverbände können als Vereiniung des Privatrechts keine Verfassungsposition besitzen, wohl aber ist ihre fachliche und förmliche Anhörung bei der Gesetzgebung sinnvoll und hilfreich.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Richtig!)

Staatliches Handeln setzt in einem weiten Umfange leistungsstarke und funktionsfähige Städte, Gemeinden und Kreise voraus.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Sehr gut!)

Unsere bundesstaatliche Ordnung kennt also nur zwei staatliche Ebenen: den Bund und die Länder. Das entspricht im übrigen deutscher Verfassungstradition, wo es auch früher nur ein Verhältnis



Dr. Schneider
zwischen Reich und Ländern gegeben hat. Die Theorie der dritten Säule findet in Art. 28 des Grundgesetzes keine verfassungsrechtliche Grundlage. Das Gemeinderecht gehört zur alleinigen Zuständigkeit der Länder, die Gemeinden gehören zur inneren Ordnung der Länder. Dem Bund ist ein direkter Zugriff auf den gemeindlichen Bereich verwehrt. Andererseits freilich darf nicht übersehen werden: ein politischer und rechtlicher bundesstaatlicher Bezug des kommunalen Bereichs ist durchaus gegeben.
Die gemeindliche Finanzaustattung war beim Inkrafttreten des Grundgesetzes in vollem Umfange Sache der Länder. In der ersten Fassung des Grundgesetzes war der finanzverfassungsrechtliche Teil so geartet, daß die Gemeinden dort nicht verankert gewesen sind. Erst durch die Änderung der Finanzverfassung vom 24. Dezember 1956 wurde die verfassungsrechtlich garantierte Eigenständigkeit und Autonomie der Gemeinden durch eigene Finanzquellen finanzpolitisch gesichert. Der frühere Bundesfinanzminister Fritz Schäffer verdient dafür heute noch den Dank der Gemeinden, Städte und Kreise und gewiß auch dieses Hohen Hauses.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Versuche, dem Bund das Recht zu geben, durch bundesgesetzliche Vorschriften die Aufteilung der Einkommensteuer auf die Gemeinden zu regeln und dadurch in den in die Länderhoheit fallenden kommunalen Finanzausgleich einzugreifen, scheiterten am Widerstand des Bundesrates. Die Länder sind gleichsam die verfassungsmäßig bestellten Schutzherren der Gemeinden. Nach Art. 106 des Grundgesetzes gelten Einnahmen und Ausgaben der Gemeinden als Einnahmen und Ausgaben der Länder. Auch die Finanzhilfen des Bundes an die Gemeinden nach Art. 104 a Abs. 4 fließen über die Länder.
Vorhin wurden Vergleiche hinsichtlich der Leistungen der Länder an die Gemeinden angestellt. Ich hörte sogar das Wort von einem Nord-Süd-Gefälle. Hier darf ich sagen: Bei solcherlei Vergleichen muß man außerordentlich vorsichtig sein, vorsichtig sein deshalb, weil in vielen Ländern eine andere Art der Berechnung zugrunde gelegt werden muß. So führt beispielsweise der Freistaat Bayern schon seit 1961 das volle Aufkommen aus der Kraftfahrzeugsteuer auf Heller und Pfennig an seine Gemeinden ab.
Neben Fragen der Steuerverteilung, des Finanzausgleichs und der Finanzverwaltung hat das Grundgesetz die gemeindliche Ebene auch in die Investitionshilfe des Bundes und in seine Kompetenzen zur Abwehr von Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts einbezogen. Man betrachte insbesondere die Bedeutung der Gemeinden nach dem Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft aus dem Jahre 1967! Mit Blick auf die Lage auf dem Sektor Bauwirtschaft wird die Bedeutung der Gemeinden zur Wiederbelebung der Baukonjunktur ganz drastisch deutlich.
Die Gemeinden vollziehen den weitaus größten Teil der Bundesgesetze. Nach Art. 84 und 85 des
Grundgesetzes hat der Bund auch bestimmte Ingerenzrechte gegenüber dem kommunalen Bereich. So ist dem Bund die Entscheidung gegeben, ob die Gemeinden ein Bundesgesetz in Selbstverwaltung oder als Auftragsangelegenheit vollziehen. Auch können durch Bundeskompetenz in Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes die Einrichtungen der Behörden und das Verwaltungsverfahren in den Ländern — und damit auch in den Gemeinden — bundesrechtlich vorgeformt werden.
Der Bund hat auch das Recht, Rahmensvorschriften für die im öffentlichen Dienst der Gemeinden stehenden Personen zu erlassen; das ist in Art. 75 Nr. 1 des Grundgesetzes geregelt. Darüber hinaus gibt es noch weitere Verfassungsrechte des Bundes, in die Gemeindebereiche direkt einzugreifen.
Trotz allem ergibt der verfassungsrechtliche Befund: Das Grundgesetz hat die gemeindliche Selbstverwaltung in die bundesstaatliche Ordnung einbezogen und dafür verfassungsrechtliche Garantien eingebaut. Insbesondere sichert die Finanzverfassung des Grundgesetzes das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein zweigliedriger Bundesstaat. Eine Durchföderalisierung des Staatsaufbaus bis zur gemeindlichen Ebene ist mit unserer geltenden bundesstaatlichen Verfassungsordnung unvereinbar. Unser Staatsföderalismus ist ein Bund-Länder-Föderalismus, nicht aber ein Bund-Länder-Gemeinde-Föderalismus.
Ich habe mich mit den Forderungen der kommunalen Spitzenverbände gründlich befaßt. In ihren Vorschlägen wird die bisherige föderative Struktur des Bundes als entwicklungsfähig und verbesserungsbedürftig gekennzeichnet. Dem trete ich ohne Einschränkung bei. Die Forderungen bestehen im wesentlichen konkret darin, den Gemeinden eine Mitwirkungsmöglichkeit im Planungsverfahren und in der Gesetzgebung einzuräumen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat darüber hinaus eine kommunale Repräsentation im Bundesrat gefordert.
Ich will darauf im einzelnen nicht näher eingehen. Ich darf mich in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen beziehen, die heute morgen mein Kollege Dr. Jahn hier gemacht hat.
Freilich, meine Damen und Herren: Den Gemeinden kann nicht dadurch geholfen werden, daß wir im Bundesrat eine eigene Gemeindebank schaffen, sondern nur dadurch, daß wir unsere staatliche Gesamtordnung im Zuge der Verfassungsreform in ihrer föderalen Struktur von Widersprüchlichkeit befreien und sachgerecht fortentwickeln.
Die bisherigen Beratungsergebnisse in der Enquete-Kommission Verfassungsreform, der ich angehöre, sind freilich nicht allzu ermutigend. Herr Kollege Dr. Wendig — er ist leider nicht mehr hier — hat vorhin einen äußerst bedenklichen Satz ausgesprochen. Er hat nämlich gesagt: Man kann nicht mehr Geld für die Gemeinden fordern, aber dem Bund keine Kompetenz geben.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)




Dr. Schneider
Das ist die Politik und der Grundsatz: Wer zahlt, schafft an. Anders ausgedrückt: Das ist eine Dotationspolitik auf den Gipfel getrieben.

(Dr. Ritz [CDU/CSU]: So ist es!)

Einer solchen Meinung, Herr Kollege Wendig müßte ich mit allen meinen Freunden entschieden entgegentreten. In diese Richtung darf auf keinen Fall die Verfassungsreform gehen, mit der sich heute die genannte Enquete-Kommission zu befassen hat. Reformmaßnahmen müssen in erster Linie darauf abzielen, die verfassungsrechtliche Kompetenz der Länder im Geiste eines kooperativen Föderalismus zu stärken. Wer sich zentralistischen Tendenzen bei künftigen Verfassungsänderungen widersetzt, nimmt zugleich die Rolle eines Anwalts für mehr gemeindliche Selbstverwaltung wahr. Das sollte man bedenken.
Die echten Föderalisten sind zugleich auch die zuverlässigsten Freunde der Städte, Gemeinden und Kreise. Sehen Sie in uns die echten Föderalisten. Sie sind gut beraten, wenn Sie gleichzeitig annehmen, daß sich in der Fraktion der CDU/CSU die besten Anwälte für die Städte, Gemeinden und Kreise befinden.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0712839300
Das Wort hat Herr Bundesminister Ravens.

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0712839400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatte um die Lage der Städte, Gemeinden und Kreise hat sich heute im Laufe des Tages überwiegend — wie konnte es zunächst anders sein? — mit der finanziellen Lage der Städte und Gemeinden beschäftigt. Aber ich denke, neben all der Aktualität, die dieses Thema hat, gibt es ja wohl auch eine strukturelle Ursache für die finanziellen Lasten auf der Seite unserer Gemeinden. Diese strukturellen Ursachen darf man in dieser Debatte wohl nicht einfach übergehen. Ich habe bisher nur wenige Hinweise auf einige dieser Probleme gehört bzw. soeben eine — ich möchte es vorsichtig sagen — sehr eigenwillige Auslegung durch den Kollegen Schneider.
Ich will damit klarstellen, daß es nicht sachgerecht sein kann, immer nur nach der Einnahmeseite der Städte und Gemeinden zu fragen. Wir sollten den Blick auch einmal auf die Ausgabenseite lenken und fragen, wieso diese bei den Städten und Gemeinden zu einem Teil in einem so hohen Maße gestiegen ist. Wahr ist doch, daß den Städten und Gemeinden — dies möchte ich als ein Beispiel darstellen — in der Vergangenheit erhebliche Lasten entstanden sind, weil das bodenpolitische und das planungsrechtliche Instrumentarium der Städte und Gemeinden unzureichend ist. Die Städte und Gemeinden haben trotz dieses unzureichenden Instrumentariums Gemeinschaftsaufgaben für ihre Bürger erfüllen müssen. Für diese Zwecke mußten sie Grund und Boden erwerben, der aber gerade wegen ihrer Investitionsentscheidungen und -absichten immer teurer wird. Das ist doch wie ein Kreislauf gewesen. Hätte die
Gemeinde nicht investiert, dann hätte die Bodenspekulation nur eine geringe Chance gehabt. Aber gleichzeitig hätte das weniger Leistungen für die Bürger in den Gemeinden bedeutet. Investierte die Gemeinde, so bedeutete das zwar mehr Leistungen für die Bürger, gleichzeitig aber kassierten zufällige Grundeigentümer, und der Steuerzahler zahlte die Zeche.
Diesen Kreislauf zu durchbrechen, das ist e i n Ansatzpunkt, um nicht nur die finanzielle, sondern auch die interne Lage der Städte und Gemeinden zu verbessern; den es geht ja wohl auch darum, unsere Städte und Gemeinden lebenswerter und menschenwürdiger gestalten zu können.
Auch darüber müssen wir reden. Auf diesem Gebiet des Boden- und Planungsrechts, Herr Kollege Schneider, hat die Opposition während ihrer Regierungszeit die Gemeinden alleingelassen. Sie hat der Bodenspekulation nichts, aber auch gar nichts entgegengesetzt, weil das Dogma der reinen marktwirtschaftlichen Lehre am Bodenmarkt unerschütterlich stand,

(Sehr wahr! bei der SPD)

und sie hat den Gemeinden das notwendige Instrumentarium zur Durchsetzung ihrer Planungen aus der Hand genommen bzw. es ihnen nicht in die Hand gegeben.
Es ist doch ein wenig anders, als Sie es hier dargestellt haben. Zwei Anläufe hat es unter CDU/ CSU-Regierungen gegeben, um ein Städtebauförderungsgesetz mit einem bodenrechtlichen Teil über die Hürden Ihrer Fraktion zu bringen. In der einen Legislaturperiode ist dies schon im Kabinett gescheitert, in der zweiten in der Fraktion. Im dritten Anlauf, den wir dann gemeinsam unter Federführung von Lauritz Lauritzen mit einem Entwurf versucht haben, der aus der Mitte meiner Fraktion kam, war es der seinerzeitige Koalitionspartner — die jetzige Opposition —, der die Verabschiedung dieses Gesetzes in der damaligen Legislaturperiode durch hinhaltenden Widerstand erneut verhinderte. Zwölf Jahre, drei Legislaturperioden, haben die Gemeinden auf ein ausreichendes boden- und planungsrechtliches Instrumentarium warten müssen, und zwar wegen der Haltung derer, die heute ihr Herz für die Kommunalpolitik in diesem großen Maß entdecken.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Erinnern wir uns doch: Erst 1968 war es möglich. Meine Damen und Herren, diese zwölf Jahre sind nicht wiedergutzumachen. Das alles steht heute in den Schuldenhaushalten unserer Gemeinden als zusätzliche Belastung zu Buch und fordert seinen Zins.
1969 haben wir dann in der sozialliberalen Koalition mit dem Städtebauförderungsgesetz einen Anfang machen können, auch hier gegen den hinhaltenden Widerstand und nach zweimaligem Durchgang durch Bundesrat und Vermittlungsausschuß.
Das Städtebauförderungsgesetz ist ein erster Fortschritt auf dem Gebiet neuer boden- und planungsrechtlicher Instrumente. Aber es ist auch eine Hilfe für die Gemeinden. 665 Millionen DM sind bisher vom Bund für Sanierungs- und Entwicklungsmaß-



Bundesminister Ravens
nahmen der Städte und Gemeinden zur Verfügung gestellt worden. Viele sagen, das reiche nicht aus. Lassen Sie mich sagen: Unter CDU/CSU-Regierungen hätte es nach den Erfahrungen der Vergangen-. heit bis heute nicht einmal das gegeben.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Und im übrigen, Herr Kollege Jahn und Herr Kollege Waffenschmidt, mit den „goldenen Zügeln" ist das hier so eine besondere Sache. Hier werden sicherlich Planungs- und Investitionsentscheidungen von Gemeinden beeinflußt. Wenn der Bund in einem so hohen Umfang für eine ureigene Gemeindeaufgabe Mittel zur Verfügung stellt, wird der eine oder andere Stadtrat sicherlich überlegen, ob man sich an dieser Aufgabe nicht beteiligen sollte. Aber dies ist kein „goldener Zügel". Die Aufgabe der Sanierung stellt sich der Stadt so oder so. Hier stellt sich nur die Frage, ob wir die Stadt mit dieser Aufgabenstellung alleinlassen oder ob wir ihr Instrumente und finanzielle Hilfe bei Bund und Ländern zur Verfügung stellen, damit sie das tun kann.

(Beifall bei der SPD)

Man muß da sehr vorsichtig sein ich bin selber
noch Kommunalpolitiker —, wenn man diesen Begriff des „goldenen Zügels" so leicht in den Mund nimmt. In viellen Fällen sind Bund und Land auch Hilfeleistende für Aufgaben, die die Gemeinden haben — aber nur einzelne Gemeinden, nicht in der ganzen Bundesrepublik — und die diese dann mitfinanzieren müssen, wenn sie die Aufgabe nicht, weil sie nur in einzelnen Städten gegeben ist, auf die Ebene der Länder oder des Bundes heraufziehen lassen wollen. Dann aber geht eben nur der Weg, den wir beim Städtebauförderungsgesetz gegangen sind.
Übrigens — das kommt hinzu — ist mit dem Städtebauförderungsgesetz der Deutsche Rat für Stadtentwicklung gebildet und eingerichtet worden. Ihm gehören vier Vertreter der Gemeinden und Gemeindeverbände an. Das ist ein Beispiel dafür, wie frühzeitig die Überlegungen und Anregungen von Bund, Ländern und Gemeinden zur Stadtentwicklung zusammenfließen und wie unmittelbar die Gemeinden an der Gestaltung des Programms und damit auch an der Gestaltung von Rechtsverordnungen, die für dieses Gesetz notwendig sind, beteiligt werden. In den Gremien, in denen in meinem Ministerium Wohnungspolitik und Raumordnung zu beraten sind, sind die Gemeinden ebenso maßgeblich beteiligt. Ich möchte auf Ihren Rat als Vertreter der Gemeinden und Gemeindeverbände an dieser Stelle auch nicht verzichten.
Ich halte die Diskussion über die Beteiligung der Gemeinden an der Gesetzgebung für notwendig. Aber die wenigen Beispiele mögen zeigen, daß im Vorfeld der Gesetzgebung und der Gesetzgebungsvorbereitung die Gemeinden bereits heute Möglichkeiten der Einflußnahme haben. Unsere Enquete-Kommission hat hier die wichtige Aufgabe, weiter darüber nachzudenken, wie sich das noch verbessern läßt.
Wie ernst wir es mit der Frage nehmen, wie das, was wir tun, in den Gemeinden geht, hat sich doch gestern und vorgestern auch in dem Planspiel zur Novelle des Bundesbaugesetzes in Wuppertal gezeigt. Zu den wichtigsten Teilen dieser Novelle, zum Planungswertausgleich, zur Entwicklungsplanung, zur bürgerschaftlichen Beteiligung und zu den Durchführungsinstrumenten sind die Konsequenzen der Novelle für die Städte und Gemeinden am Beispiel der Städte Wuppertal, Viersen und Hamburg vor dem 15. Ausschuß dieses Hauses durchgespielt worden. Naturgemäß haben dabei die kommunalen Belange eine dominierende Rolle gespielt. Ich bin froh, mit den Planspielern, die ich für objektive Be-werter dieses Planspiels halte, sagen zu können, daß dieses Planspiel bestätigt hat: Mit der Novelle zum Bundesbaugesetz hat die Bundesregierung den richtigen Weg eingeschlagen.
Die vorgesehenen Regelungen sind praktikabel. Sie können im einzelnen noch verbessert werden. Die Novelle zum Bundesbaugesetz bringt eine entscheidende Verbesserung für unsere Städte und Gemeinden; sie bringt über den Ausgleichsbetrag in einem gewissen Umfang auch finanzielle Vorteile auf der Einnahmeseite, Vorteile aber vor allem auf der Ausgabenseite. Denn in Zukunft werden die Gemeinden ihre Investitionen im Interesse der Bürger rationeller planen und auch verwirklichen können, weil sie nicht mehr Gefahr laufen, von der Bodenspekulation überrollt zu werden.
Gestern ist auch gesagt worden: Hätten wir dieses Gesetz doch schon vor zehn Jahren gehabt! Dem ist voll zuzustimmen. Wer hier nach den Ursachen fragt, den muß ich an die Adresse der Opposition und die Zeit ihrer Regierungsverantwortung verweisen.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU] : Welche Initiativen haben Sie denn als Opposition entwickelt?)

— Wir haben in der Opposition — das können Sie nachlesen — im Rahmen des Bundesbaugesetzes unsere Anträge auf den Tisch gelegt, und Werner Jacobi hat von diesem Pult hier für Vorstellungen gestritten, die auch Herr Wildermuth vertreten hat und die er damals in seinem Ministerium nicht durchsetzen durfte, z. B. Planungswertausgleich.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Lassen Sie mich im Zusammenhang mit der Großen Anfrage noch einmal auf zwei Punkte im Zusammenhang mit dem Bundesbaugesetz hinweisen, wo mir auch in der Opposition die notwendige Klarheit nicht gegeben zu sein scheint. Heute morgen ist hier durch Herrn Dr. Jahn die Frage der Bürgerbeteiligung so sehr in den Mittelpunkt gestellt worden. Wenn ich die Opposition richtig verstanden habe, sieht sie in der im Regierungsentwurf vorgesehenen Regelung zu einer frühzeitigen und angemessenen Bürgerbeteiligung eine positive Regelung.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Richtig, tun wir!)

Ich begrüße das, frage mich aber, Herr Waffenschmidt, wie Sie die Haltung des Bundesrates mit seiner CDU/CSU-Mehrheit dann werten; denn der Bundesrat hat sich für eine beschränkte Bürger.



Bundesminister Ravens
beteiligung ausgesprochen. Ich denke, es stünde dem Hause gut an, wenn es gerade in dieser Frage eine einhellige positive Meinung und Auffassung einnähme.
Der Kollege Jahn hat Befürchtungen geäußert, die Planungshoheit der Gemeinden könnte mit der Novelle eingeschränkt werden. Ich sehe eine solche Einschränkung jedenfalls nicht in der vorgeschlagenen Entwicklungsplanung. Allerdings muß er dann seine CDU/CSU-regierten Länder fragen, warum auch sie eigentlich im Bundesrat beantragt haben, daß in § 4 Abs. 8 der Novelle festgelegt werden soll, daß die Planungshoheit der Gemeinden auch auf andere übertragen werden kann, auch wenn die Gemeinde nicht zustimmt.

(Zuruf des Abg. Dr. Waffenschmidt [CDU/ CSU])

Die Bundesregierung hat diesem Vorschlag des Bundesrates nicht widersprochen.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Aha! Das wollten wir nämlich nur hören!)

Ich will Ihnen sagen, warum. Die Bundesregierung geht davon aus, daß das Gestaltungsverhältnis zwischen Ländern und Gemeinden durchaus auch von der Bundesregierung, soweit es sich um dieses Gestaltungsrecht handelt, zu respektieren ist. Wir werden im Bundestag in den Ausschüssen sicherlich Gelegenheit haben, darüber sehr ernsthaft nachzudenken und zu diskutieren.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Das müssen wir!)

Ich stelle nur fest: dies war nicht der Vorschlag der sozialliberalen Regierung, sondern dies war auch der Vorschlag CDU/CSU-regierter Länder.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Herr Kollege Jahn, ich würde Ihnen raten, schicken Sie diesen Teil Ihrer Rede an die richtige Adresse und nicht an die falsche.

(Erneuter Beifall bei der SPD und der FDP)

Wie gesagt: Ich möchte das hier angeschnittene Problem nicht weiter vertiefen. Wir werden uns in den zuständigen Ausschüssen sicherlich sehr intensiv darüber unterhalten. Ich will nur noch einmal festhalten: wer hier kritisiert, muß den wahren Adressaten auch in den eigenen Reihen suchen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0712839500
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Waffenschmidt?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0712839600
Ja.

Dr. Horst Waffenschmidt (CDU):
Rede ID: ID0712839700
Herr Minister Ravens, sind Sie bereit zuzugeben, daß bei diesen Vorgängen im Bundesrat, die Sie gerade geschildert haben, auch Landesregierungen zugestimmt haben, die eine Regierung haben, die von SPD und FDP getragen wird? Insofern würde ich ein bißchen vorsichtig sein mit dem Schwarzer-Peter-Spiel, daß Sie hier betreiben.

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0712839800
„Auch zugestimmt" würde ich zugeben. Das war eine Mehrheitsentscheidung.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Dann sagen Sie das auch!)

Er hat gefragt, ob ich zugebe, daß auch sozialdemokratisch regierte Länder zugestimmt haben. Er hat gesagt: „auch".

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Ja, weil Sie so tun, als wäre das nur die CDU! Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU] : Warum spielen Sie die CDU gegen den Bundesrat aus?)

Ich habe gesagt, von wem es kam, und ich versuche hier einmal aufzuhellen, daß man hier nicht irgend jemandem Bälle in die Tasche stecken darf, die nicht in dessen Tasche gehören. Man muß sich dann erst einmal in der eigenen Mannschaft umsehen, ob man nicht eventuell den eigenen Spieler trifft.

(Beifall bei der SPD und der FDP — von Bockelberg [CDU/CSU] : Aber wer zustimmt, trägt doch die Verantwortung mit! — Dr. Jahn [Münster] [CDU CSU] : Sie haben zugestimmt!)

— Die Bundesregierung hat nicht widersprochen, und ich habe meine Gründe genannt.
Gestatten Sie, Herr Kollege Jahn, daß ich auch noch zu ein paar Punkten Stellung nehme, die Sie in Ihrer Rede erwähnt haben. Sie haben ja wohl in dieser Debatte nicht darauf verzichten können, so gewissermaßen als Nebeneffekt den Sozialdemokraten noch einmal den Kollektivismusgedanken und die Eigentumsfeindlichkeit unter die Nase zu reiben.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

Wie ist das nun wirklich? Herr Kollege Jahn, kann man denn wirklich glaubhaft sein, wenn man jahrelang nur davon gesprochen hat, für breite Schichten der Bevölkerung Eigentum an Grund und Boden bilden zu wollen, gleichzeitig aber nichts getan hat, um die Bodenspekulation in diesem Lande zu verhindern?

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Mit dem Satz im Gesetz haben Sie keinem kleinen Mann geholfen. Sie haben nicht verhindern können, daß er 100 DM oder 60 DM für einen Quadratmeter Bauland bezahlen mußte, wenn er sich sein Stück Gartenland kaufen wollte; er konnte es gar nicht.

(Dr. Jenninger [CDU/CSU] : Haben Sie denn geholfen?)

Hier ist über den Preis die Sperre eingetreten, und wir versuchen jetzt mit dem Städtebauförderungsgesetz und mit dem Bundesbaugesetz, diese Geschichte aufzureißen. Wir versuchen jetzt, sie aufzureißen, und ich hoffe, daß wir das gemeinsam tun können; das, was der Kollege Schneider auf seinem CSU-Parteitag hat durchsetzen können, ging ja in eine ähnliche Richtung.




Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0712839900
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0712840000
Ja.

Dr. Friedrich-Adolf Jahn (CDU):
Rede ID: ID0712840100
Herr Minister, wie will denn die Bundesregierung die breite Streuung praviten Eigentums glaubwürdig darstellen, wenn Ihre Partei auf dem Bundeskongreß in Hannover einen Beschluß faßt, der wörtlich lautet:
Für das Bundeseigentum an Boden ist gesetzlich festzulegen, daß ein Verkauf an Private grundsätzlich ausscheidet.

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0712840200
Herr Kollege, hier geht es um öffentlichen Grund und Boden, um öffentlichen Besitz, der sicherlich — so wie bei katholischen und bei evangelischen Kirchen — auch eine ganz besondere Aufgabe erfüllt. Und für manch einen kleinen Mann, der gegen die Konkurrenz des Großen im Preis nicht ankann, ist die Möglichkeit, auf staatlichem Boden mit Erbbaurecht bauen zu können, die einzige Form geworden, überhaupt noch Eigentum zu erwerben. Die wollen wir ihm nicht auch noch verbauen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0712840300
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0712840400
Nein, bitte nicht mehr, Frau Präsidentin!
Sie haben auch den Wohnbesitzbrief angesprochen und gesagt, hier würde eine ganz schreckliche Form gefunden. Herr Kollege, ich muß sagen, so kann über den Wohnbesitzbrief nur jemand reden, der ihn entweder nicht gelesen oder nicht verstanden hat

(Zuruf von der SPD: Oder wider besseres Wissen!)

oder dem das alles noch nicht ganz klar geworden ist.
Was soll der Wohnbesitzbrief eigentlich erreichen? Er soll neben der klassischen Form des Eigentums demjenigen, dem von seiner Einkommenssituation her in der Regel sonst nur die Alternative „Mietwohnung" bliebe, wirtschaftliches Miteigentum an seiner Wohnung und damit Vermögenszuwachs an der Wohnung, in der er wohnt, ermöglichen.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU] : Das wollten Sie ihm doch gar nicht geben! — Zurufe von der SPD)

Dies alles soll ihm zuwachsen, Herr Jahn. Wenn Sie
etwas anderes sagen, waren Sie entweder während
der Beratungen nicht da, oder Sie haben nur die
Überschrift gelesen; ich will nicht unterstellen, Sie wollten böswillig etwas anderes tun.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU] : Die Vermögensbeteiligung, Herr Minister, stammt vom Bundesrat!)

Hier geht es um eine Beteiligungsform, die neben die Form des klassischen Eigentums gestellt wird und damit die Palette verbreitert, nicht schmaler macht.
Die gleiche Situation haben wir beim Wohnbesitzbrief, von dem Sie gesprochen haben, und da wollen Sie nun weg von der Formulierung „überwiegendes Eigentum". Auch hier, Herr Kollege Jahn: Vorher in der Landschaft umgucken!

(Zuruf von der SPD: Bundesrat!)

Die Regierungsvorlage sagt „überwiegend". Der einstimmige Beschluß des Bundesrates heißt, dieses „überwiegend" herauszunehmen,

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

weil ein „überwiegend" in den 25 Jahren der Nachkriegszeit nie erreicht worden sei und wohl auch nicht erreichbar sei, und die Landesregierungen würden ungern einen Gesetzentwurf passieren lassen, von dem sie schon heute wüßten, daß sie dieses „überwiegend", also 51 °/o, auch in Zukunft nicht erreichen können.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU] : Und die Bundesregierung hat zum Bundesrat nein gesagt und ist jetzt erst im Begriff, umzufallen!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0712840500
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Waffenschmidt? — Bitte!

Dr. Horst Waffenschmidt (CDU):
Rede ID: ID0712840600
Herr Bundesminister, da Sie gerade von den letzten 25 Jahren sprachen, möchte ich Sie fragen: Sind Sie bereit zuzugeben, daß der hier vielzitierte kleine Mann in der Zeit der CDU/CSU-Regierungen sich wenigstens noch sein Eigenheim schaffen konnte, während er dazu heute aus vielerlei Umständen unter dieser Regierung kaum noch kommt?

Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0712840700
Das ist ein Irrtum, Herr Kollege Waffenschmidt. Auch Sie müßten Zahlen lesen; dann würden Sie sehen, daß die Eigentumsmaßnahmen im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus, sei es die der eigengenutzten Wohnung oder die des Eigenheims, von 31 % im Jahre 1972 auf 33 % im Jahre 1973 angestiegen sind.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Jetzt haben Sie die Wohnungen noch dabei!)

— Eigentumsmaßnahmen! Die sind nie anders gezählt worden, Herr Kollege. Der Satz von 30 % ist der mittlere Wert der letzten 25 Jahre.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Der mittlere!)




Bundesminister Ravens
— Der mittlere Wert der letzten 25 Jahre. Er lag mal bei 33, mal bei 28, bei uns liegt er jetzt bei 33; er liegt also oben, nicht unten.

(Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU])

Ich denke, auch dies sollte man dazusagen.
Um das, was Herr Kollege Jahn heute morgen versucht hat, so nebenbei mit loszuwerden, und was in Ihrer Frage mitschwang, dann auch zu beantworten, muß ich sagen: die Zahlen zeigen, wie es mit der „Eigentumsfeindlichkeit" dieser Bundesregierung im Wohnungsbau in Wahrheit steht. Von 1969 bis 1973 haben wir vom Bund 5,2 Milliarden DM Wohnungsbauprämien zur Verfügung gestellt.

(Zuruf von der CDU/CSU)

— Jawohl, zur Schaffung von Eigentum. Die Steuermindereinnahmen durch steuerliche Begünstigung von Beiträgen zu Bausparkassen betrugen im gleichen Zeitraum 1,6 Milliarden DM beim Bund. Die Vergünstigungen über § 7 b, die ja auch der Eigentumsbildung dienen, sind bei Bund, Ländern und Gemeinden in den drei Jahren mit 4,4 Milliarden DM eingeschätzt. Ich denke, daß dies eine ganz ordentliche Bilanz ist, mit der wir uns wohl sehen lassen können.

(Dr. Jahn [Münster] [CDU/CSU] : Nur konnte man weniger damit bauen!)

— Das ist ein Irrtum. Die Steigerungsraten zeigen, daß nicht etwa weniger gebaut werden konnte.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Der Herr Ravens hat eine andere Statistik!)

— Bitte?

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Das ist eine an sich lebensfremde Statistik; die Fakten des täglichen Lebens sprechen eine andere Sprache!)

— Wir haben im Augenblick eine besondere konjunkturelle Situation, Herr Kollege. Ich denke nicht, daß man von einer kurzfristigen konjunkturellen Situation auf langfristige Trends schließen darf. Dies wäre falsch.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Das wollen wir hoffen!)

Dies erinnert an das Huhn, das über das eine Korn den Futtersack nicht sieht.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Der Vergleich hinkt ein bißchen!)

Darauf muß man auch ein bißchen mit sehen.
Lassen Sie mich aber diesen Einschub abschließen, meine Damen und Herren. Mir lag daran, noch einmal deutlich zu machen, daß die Lage der Städte und Gemeinden nicht allein von ihrer Finanzsituation abhängt und nicht allein von ihrer finanziellen Situation geprägt ist.
Die Lage der Städte und Gemeinden bestimmt sich auch an den Aufgaben, die ihnen gestellt werden. Sie bestimmt sich aber auch in hohem Maße danach, inwieweit der Gesetzgeber bereit ist, unseren Städten und Gemeinden das Instrumentarium an die
Hand zu geben, das sie benötigen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Das Bundesbaugesetz, das Städtebauförderungsgesetz, die Modernisierungsrichtlinien, dies alles sind solche Instrumente, die im Laufe der letzten fünf Jahre geschaffen worden sind und die die Lage der Gemeinden und damit auch die Lage der Bürger in den Gemeinden verbessern können. Hier, meine Damen und Herren von der Opposition, z. B. bei den Beratungen der Novelle des Bundesbaugesetzes, wird sich zeigen können und werden Sie sich messen lassen müssen, wie ernsthaft Ihre heutigen Appelle eigentlich gemeint waren; denn dann richten sich diese Appelle nicht mehr nur an den sozialdemokratischen Finanzminister, dann richten sie sich an den eigenen Mut. Ich hoffe, er fehlt Ihnen dann nicht.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0712840800
Das Wort hat der Abgeordnete Hauser.

Hansheinz Hauser (CDU):
Rede ID: ID0712840900
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Ravens, Sie haben bedauert, daß bis jetzt in erster Linie die finanziellen Probleme der Städte und Gemeinden hier zur Sprache gekommen sind. Ich habe volles Verständnis für dieses Bedauern und unterstreiche auch die Bedeutung der übrigen Probleme. Ich muß aber aus zwei Gründen trotzdem jetzt noch einmal auf dieses Thema zurückkommen.
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen hat heute morgen gesagt, wir sollten uns doch bemühen, hier eine solide Bilanz aufzumachen. Zu einer soliden Bilanz gehört in einem guten Geschäft, daß man Einnahmen und Ausgaben gegeneinanderstellt und einen Saldo zu ziehen versucht, um dann festzustellen, ob man mit Verlust oder mit Gewinn arbeitet.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Sehr gut!)

Der Herr Finanzminister hat uns heute morgen Zahlen vorgetragen, die in erster Linie dartun, in welcher Weise die Einnahmen der Gemeinden gestiegen sind. Er hat gesagt, der Anteil der Gemeinden am Steueraufkommen betrage 12,4 °/o, aber er hat es versäumt, gleichzeitig hinzuzufügen, in welcher Weise in den letzten Jahren die Ausgaben gestiegen sind. Es ist unstreitig, daß die Ausgaben in den Gemeinden, verglichen mit anderen öffentlichen Haushalten, am stärksten gestiegen sind. Die Statistik, die vom Statistischen Bundesamt kommt und die sicherlich auch vom Herrn Finanzminister nicht bestritten wird, zeigt deutlich, daß — Ausgangspunkt ist das Jahr 1962 mit 100 Punkten — die Ausgaben im Bund auf 220, in den Ländern auf 229 und in den Gemeinden auf 269 Punkte angestiegen sind. Die Einnahmen haben sich in dieser Zeit in der Weise entwickelt, daß der Bund eine Steigerung auf 223, die Länder eine Steigerung auf 240, die Gemeinden aber nur eine Steigerung auf 228 Punkte zu verzeichnen haben. Wenn man diese Zahlen einmal in Relation zueinander bringt, stellt man fest, daß beim Bund und bei den Ländern die Einnahmen stärker gestiegen sind als die Ausgaben, daß bei den Gemeinden aber die Ausgaben stärker gestiegen sind als die Einnahmen. Hier liegt die Diskrepanz, Herr



Hauser (Krefeld)

Kollege Schmitt-Vockenhausen, die in einer ehrlichen, soliden Bilanz aufgezeigt werden müßte.
Ich muß noch ein weiteres Mal auf dieses Thema zurückkommen, weil Herr Finanzminister Wertz hier gesagt hat, diese Debatte finde unter der Überschrift statt: Die Not ist groß, aber ohne Beweis. Meine Damen und Herren, es ist etwas leichtfertig, so zu argumentieren.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Ich glaube, daß wir sehr wohl in der Lage sind, mit diversen Beispielen den Beweis dafür anzutreten, daß die Not der Gemeinden nicht deshalb immer wieder so deutlich nach außen vorgetragen wird, weil es das Bedürfnis der Spitzenverbände oder der Kommunalpolitiker wäre, sich jeweils zum Zeitpunkt der Haushaltsberatungen politisch irgendwie zu artikulieren. Es ist vielmehr so, daß die Gemeinden einfach an einem Punkt angelangt sind, an dem es nicht mehr geht, an dem die Gemeinden nicht mehr wissen, wie sie ihre Haushalte ausgleichen sollen, und daß die Gemeinden insofern nicht einmal das Minimum der ihnen gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben erfüllen können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn man weiß, daß 80 % der gemeindlichen Ausgaben zwangsläufige Ausgaben sind, tröstet es uns sehr wenig, wenn man uns darauf aufmerksam macht, daß wir von den freiwilligen Aufgaben unter Umständen einiges abgeben könnten. Ich möchte das hier einmal an einem Beispiel verdeutlichen. Die Bewältigung des öffentlichen Personennahverkehrs ist sicherlich keine Selbstverwaltungsaufgabe im eigentlichen Sinne und auch keine Pflichtaufgabe. Ich möchte aber einmal erleben, was die Bürger in einer Stadt oder in einer Gemeinde sagen, wenn der Stadtrat beschließt, daß das öffentliche Personennahverkehrsunternehmen ab morgen nicht mehr tätig sein werde, weil der städtische Haushalt sich außerstande sieht, die Defizite abzudecken.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Das ist eine Selbstverwaltungsaufgabe, die aber überhaupt nicht zur Disposition stehen kann. Dasselbe gilt für viele Einrichtungen der Daseinsvorsorge, für Anlagen, die zur Freizeitgestaltung dienen, angefangen von den Schwimmbädern bis hin zu den Sportplätzen und vielem anderem mehr. Ich möchte auch einmal die kommunale Aufsichtsbehörde, den Regierungspräsidenten hören, wenn die Gemeinden in dieser Notsituation zu solchen Praktiken greifen würden, wie sie beispielsweise hier im Bund üblich sind, wo man die Defizite der Bundesbahn getrost aus dem Bundeshaushalt ausklammert und in Schattenhaushalte überführt. Was würde passieren, wenn die Gemeinden nun ihrerseits hingingen und die Milliardendefizite der Verkehrsbetriebe aus ihren Haushalten herausnähmen und in separaten Haushalten unterbrächten, um sie dann jeweils über den Kreditmarkt zu finanzieren? Ich glaube, dann würde die Kommunalaufsicht mit Recht — so sage ich — einschreiten, weil das einer sauberen Haushaltsführung widerspräche. Das ist also die
Situation, in der die Gemeinden stehen. Das ist der Ausgangspunkt, von dem her man auch diese Debatte sehen muß.
Es gibt noch einen weiteren Punkt, der nicht unerwähnt bleiben sollte. Als die Gemeinden die Haushaltspläne für das Jahr 1974 verabschiedeten, wurden vom Finanzplanungsrat Steuereinnahmen mit einem Zuwachs von 14 % prognostiziert. Diese Zahl wurde im Laufe des Monats Juni auf 13 % und dann auf 11 % zurückgenommen. Heute wissen wir, daß die Steuermehreinnahmen im Jahre 1974 wahrscheinlich knapp die 10-%-Marge erreichen, in den kreisfreien Städten unter Umständen sogar unter 8 % bleiben werden. Das heißt, daß auf der Basis der vom Finanzplanungsrat gegebenen Zahlen die kommunalen Haushalte im Jahre 1974 mit einem größeren Defizit abschließen werden und damit die Ausgangslage für die Haushalte des Jahres 1975 katastrophal sein wird.
Wenn wir uns nun in dieser Stunde über diese Frage unterhalten, dann ist natürlich die Antwort auf die Große Anfrage, in der wir uns nach den Auswirkungen von Bundesgesetzen auf die Kommunalpolitik erkundigt haben, außerordentlich unbefriedigend. In der Antwort zu den Fragen 9 und 10 heißt es nämlich: „Den Belastungen durch einzelne Gesetze oder Maßnahmen kann in der Regel nicht gesondert Rechnung getragen werden!"
Es nützt uns gar nichts, daß in diesem Zusammenhang in einer Peilung über den Daumen gesagt wird, man habe bei der Finanzverteilung diese ganzen Dinge in Betracht gezogen, wenn man im letzten Satz feststellen muß, daß in Wirklichkeit die Mehrausgaben, die sich jeweils für die Gemeinden ergeben, nicht berücksichtigt worden sind.
Wir haben eine ähnliche Praxis, gestützt durch die Gemeindeordnungen, in einer Reihe von Bundesländern. Dort wird jeweils gesagt, wo die Gemeinden die Finanzierung sichern sollen, wenn ihnen neue Landesgesetze Ausgaben auferlegen. Meistens heißt es dann lapidar: Die Ausgaben werden durch die Gemeinden gedeckt.
Ich glaube, man muß an dieser Stelle die Frage stellen, ob die Relation zwischen Einnahmen und Aufgaben überhaupt noch stimmt. Der Herr Finanzminister hat heute morgen in diesem Zusammenhang gesagt, daß wohl der Finanzplanungsrat bei der Diskussion über die Verteilung der Steuermittel insgesamt eine wertvolle Basis sei. Ich räume ein, daß dieser Finanzplanungsrat zwar die eine oder andere Zuarbeit leisten kann, meine aber, daß dieses Problem nur in der Fortsetzung der gemeindlichen Finanzreform und in einem neuen Durchdenken der Relation zwischen öffentlichen Aufgaben und Leistungen einerseits und den Einnahmen, die den jeweils Verantwortlichen zur Verfügung stehen, andererseits gelöst werden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Heute morgen wurden schon Beispiele angeführt, und Herr Minister Wertz meinte, das Heranziehen von Problemen wie der Sozialhilfe usw. sei alles ein bißchen fragwürdig. Ich möchte aber nur zwei Beispiele aus der jüngsten Zeit nehmen, wobei ich gar



Hauser (Krefeld)

nicht sage, daß sie nur die eine oder die andere Fraktion treffen. An Hand dieser Beispiele sollten wir gemeinsam die Konsequenzen sehen.
Die Bearbeitung eines Falles von Wohngeldgewährung das Gesetz wurde in diesem Haus beschlossen — kostet die Gemeinden im Durchschnitt 40 Mark an Personalausgaben. Ähnliches gilt bei den Heizkostenzuwendungen, die die Gemeinden abzuwickeln haben. Es ist zwar richtig, daß in der Vergangenheit eine Fülle von Gesetzen eine einmütige Zustimmung in der Sache gefunden haben. Es erscheint mir aber auch notwendig, daß wir in Zukunft alle miteinander darauf achten, daß nicht eine ganz nebensächlich scheinende Formulierung in einem Gesetz dazu führt, daß sich das Gesetz auf der kommunalen Ebene in den Kosten verheerend auswirkt.
Hier im Bundestag kontrollieren wir unsere Gesetze auf ihre Rechtsförmlichkeit und auch auf ihre Sprache hin. Ebenso wäre es aber auch an der Zeit, sie einmal auf ihre Effizienz hin zu kontrollieren und die Frage zu prüfen, welche Konsequenzen sich ergeben, wenn ein Gesetz so oder so verabschiedet wird.
In diesem Zusammenhang darf ich auf ein Problem eingehen, das heute morgen auch schon einmal angeschnitten, meines Erachtens aber nicht hinreichend diskutiert wurde, nämlich auf die Frage, welche Konsequenzen die Finanzreform auf die Gemeinden hat. Die Mindereinnahmen werden mit rund 2,5 Milliarden DM veranschlagt, und die Frage, ob dabei die Grundsteuermehreinnahmen der Gemeinden eine Rolle spielen sollen, ist streitig diskutiert worden.
Zunächst einmal möchte ich darauf verweisen, daß diese Grundsteuermehreinnahmen im Rahmen der Gemeindefinanzreform den Gemeinden im Jahre 1969 verbindlich zugesagt waren, und zwar schon für das Jahr 1972.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

Wenn sie nun 1974 erstmalig zur Verfügung stehen — wobei die Größenordnung von 800 Millionen DM noch sehr zweifelhaft ist —, dann ist es doch recht merkwürdig, wenn jetzt plötzlich bei den Auswirkungen der Steuerreform das alles mit verrechnet werden soll. Ich glaube, daß die Einlassungen des Bundesfinanzministeriums nicht ziehen können, das sagt: Ja, damals, 1969, war das Ganze aufkommensneutral, und nun müssen wir das alles verrechnen, weil wir ja Steuermindereinnahmen haben. Wenn man diese Rechnung so aufmacht, dann muß man allerdings der Bundesregierung auch die über zehn Milliarden DM Steuermehreinnahmen aus den Verbrauchsteuern anrechnen, die sie in den Jahren von 1970 bis 1975 gehabt hat bzw. haben wird. Dann muß man die Rechnung allerdings auch auf der ganzen Breite machen und nicht nur für den Grundsteueranteil der Gemeinden.
Die Schwierigkeiten, die sich aus der Finanzreform ergeben — ich glaube, da sind wir einer Meinung —, werden auf allen Ebenen zu Konsequenzen führen. Die Frage ist allerdings, wie man hier zu einer gerechten Aufteilung der Lasten aus den
Steuermindereinnahmen kommt. Hier möchte ich auch noch einmal an den einstimmigen Beschluß dieses Hohen Hauses vom Dezember vorigen Jahres — Drucksache 7/1411 — erinnern —, in dem den Gemeinden der Ersatz der Ausfälle aus der Reform der Gewerbesteuer zugesagt worden war und der Bundestag einmütig erklärt hat, er erwarte, daß den Gemeinden entsprechend geholfen werde.
Lassen Sie mich zu einem zweiten Punkt kommen, der in dem Zusammenhang von Bedeutung ist. Das sind die Investitionen, mit denen sich die Fragen 11 bis 16 befassen. Die Bundesregierung stellt fest, daß 67 % der öffentlichen Sachinvestitionen über die Gemeinden abgewickelt werden. Das heißt doch, daß wir alle Maßnahmen, die zu irgendwelchen Investitionen in der Daseinsvorsorge für unsere Bürger führen, zu zwei Dritteln über die Gemeinden abwickeln müssen und nur ein Drittel bei den Ländern und beim Bund verbleibt. Dabei darf man ja nicht nur die Investitionskosten im eigentlichen Sinne sehen, sondern muß sich auch darüber klar sein, daß alle Folgekosten — vom Kapitaldienst angefangen bis zur Unterhaltung — den Gemeinden voll zur Last gelegt werden und daß deshalb die Frage, ob es uns gelingt, die viel beschworene Qualität des Lebens wirklich zu realisieren, im letzten davon abhängt, ob unsere Gemeinden in der Lage sind, die Aufgaben zu erfüllen, die ihnen zugewiesen sind. Das sind aber nur, wenn sie auch die entsprechende finanzielle Rückenstärkung haben und wenn sie nicht darauf angewiesen sind, bei jeder Mindereinnahme sofort Investitionen in Frage zu stellen, weil sie a) keine Rücklagen mehr haben und weil b) keinerlei Dispositionsspielraum in ihren Einnahmen mehr besteht und sie deswegen gezwungen sind, möglicherweise bereits begonnene Investitionen stillzulegen und sie als Ruinen stehen zu lassen.
In diesem Zusammenhang ist vielleicht von Interesse, was der frühere Oberstadtdirektor Martin Neuffer in seinem bemerkenswerten Buch „Entscheidungsfeld Stadt" zu diesem Problem aus der Sicht der Stadt Hannover gesagt hat. Ich zitiere ihn besonders gerne, weil er ja nicht im Verdacht steht, der Opposition irgendwelches Material liefern zu wollen. Herr Neuffer hat dargestellt, daß das Volumen der Einnahmen und Ausgaben der Stadt Hannover im Jahre 1974 mit 921 Millionen DM auf
2 364 Millionen DM im Jahre 1985 ansteigen wird.
Er hat weiter darauf aufmerkasm gemacht, daß sich
das Investitionsvolumen in diesem Zeitraum um
3 Milliarden DM ausweitet und daß der Schuldendienst von 129 Millionen DM im Jahre 1974 auf 373 Millionen DM im Jahre 1985 anwächst, mit dem Hinweis darauf, daß damit der Schuldendienst der Stadt Hannover größer ist als die jährlichen Investitionsraten, die hinzukommen. Er ist zu dem Schluß gekommen:
Ungeachtet aller denkbaren Ungenauigkeiten zeigt eine derartige Rechnung zunächst, daß eine offenbar unsinnig hohe, direkt in die Finanzkatastrophe hineinführende Verschuldungszunahme mit einem ständigen Rückgang der Investitionskraft bei steigendem Sozialprodukt verbunden ist.



Hauser (Krefeld)

Soweit der Oberstadtdirektor Neuffer aus Hannover. Ich kann nur hoffen, daß er sich als Intendant des Norddeutschen Rundfunks an diese seine Prognose erinnert und sein Publikationsorgan dazu benutzt, auf diese Entwicklung bei den gemeindlichen Haushalten und Investitionen aufmerksam zu machen.
Es ist in diesem Zusammenhang natürlich außerordentlich bemerkenswert, wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage von einer Verschuldungsbereitschaft der Gemeinden spricht.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Wer eine solche Formulierung in diesem Zusammenhang wählt, dem muß doch vorgehalten werden, daß er entweder die wahren Verhältnisse nicht kennt oder daß er glaubt, die Interpellanten in dieser Frage so etwas für dumm verkaufen zu können. Es verschuldet sich doch niemand in der Gemeinde etwa deshalb, weil das eine besonders schöne Angelegenheit ist und weil es so wunderschön ist, ständig mit steigenden Verschuldungen fertig werden zu müssen. Genau dasselbe gilt auch für die Beurteilung der Bundesregierung im Hinblick auf die längerfristige und mittelfristige Investitionsplanung, wo gesagt wird, daß derartige Bedarfsschätzungen eine bloße Addition wünschenswerter Vorhaben seien,

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

bei der Erwartungen entstünden, die letztlich nicht erfüllt werden könnten. Hier muß man doch einmal fragen: Wer hat denn bei uns in der Bundesrepublik Erwartungshorizonte aufgebaut, die sich jetzt in der Realität der Ereignisse nicht mehr ausfüllen lassen? Waren das die Gemeinden, oder war das die Bundesregierung der sozialliberalen Koalition, bei der man glauben konnte, die Qualität des Lebens sei von heute auf morgen zu realisieren, wenn andere dafür die Finanzen aufbringen?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Frage, die hier zur Debatte steht, die Frage, in welcher Weise die Gemeinden in Zukunft in der Lage sind, ihre Aufgaben zu erfüllen, ist von existentieller Bedeutung, weil nämlich ohne die Mitwirkung der Gemeinden in unserem Staat für den Bürger erkennbar nur sehr, sehr wenig läuft. Der Bürger wird in seiner Gemeinde mit dem Staat konfrontiert,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

und an dem, was die Gemeinde ihm bietet, beurteilt er die Lebensumstände, unter denen er zurechtkommen muß. Wenn die Gemeinde nicht mehr in der Lage ist, über die Pflichtaufgaben, über die Personal- und Sachausgaben hinaus Leistungen zu erbringen, dann wird der Bürger sehr schnell merken, wohin die Politik geführt hat, die letztlich bei aller Aufgabenanspannung immer wieder zu Lasten der Gemeinden gegangen ist und die dazu geführt hat, daß wir heute in einer Situation sind, Herr Minister Wertz, in der die Not nicht nur groß ist, sondern auch die Beweise der Not hier in vielfältiger Weise angeboten werden können.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Sehr richtig! Siehe Innenministerkonferenz!)

Ich glaube, daß es wirklich notwendig ist, daß wir uns in dieser Frage auch über die Fraktionen hinweg darüber unterhalten, wie man mit diesen Problemen fertig wird, daß wir die Leistungskraft unserer Gemeinden nicht als das Problem der einen oder anderen politischen Gruppe sehen, sondern daß wir uns gemeinsam darum bemühen, dieses Problem zu einer Lösung zu bringen, die zu einem auch für unsere Bürger vernünftigen Ergebnis führt.
Meine Damen und Herren, der Herr Minister Ravens hat von dem goldenen Zügel gesprochen und gemeint, daß die Gemeinden doch sehr dankbar sein könnten, wenn man ihnen zu Aufgaben auch noch das Geld mitliefere. Herr Minister, das ist gar nicht das Problem, daß die Gemeinden zu bestimmten Aufgaben das Geld bekommen. Das Problem ist doch, daß den Gemeinden Aufgaben aufoktroyiert werden mit dem Hinweis: Du bekommst das Geld nur, wenn Du das und das machst!, und daß Aufgaben, die aus der Sicht der Gemeinden als notwendig erkannt werden, nicht gelöst werden können, weil dafür das Geld fehlt. Es nützt uns recht wenig, wenn wir beispielsweise für Sanierungsmaßnahmen Geld bekommen können, wenn uns im Schulbau und in anderen Bereichen das Geld fehlt und wir dort nicht weiterkommen. Deswegen ist auch die Frage, wie man die Zweckzuweisungen und Dotationen in eine Relation zu den Schlüsselmitteln und den frei verfügbaren Mitteln bringt, nicht nur die Frage, ob man den Gemeinden einen Spielraum läßt oder nicht, sondern auch die Frage, ob die Gemeinden von daher auf Dauer in der Lage sind, die Aufgaben zu erfüllen, die sich aus der speziellen Sicht der Gemeinden stellen und die sich in jeder Gemeinde anders stellen, und nicht nur die Aufgaben, von denen man in Bonn, Düsseldorf, Stuttgart oder wo auch immer meint, daß sie gerade an der Reihe seien und man dafür Geld zur Verfügung stellen müßte, wobei alles andere darüber in Vergessenheit gerät.
Meine Damen und Herren, die Diskussion heute hat deutlich gemacht, wie schwierig die Finanzsituation der Gemeinden ist. Ich glaube aber, daß wir die Probleme nicht dadurch lösen, daß wir für den Augenblick eine Entlastung schaffen. Wir können das Problem nur lösen, wenn wir die Bedürfnisse der öffentlichen Haushalte in ihrer gesamten Breite von den Einnahmen und von den Ausgaben her ermitteln und miteinander darüber diskutieren. Dies ist nur im Rahmen der Fortsetzung der Gemeindefinanzreform zu machen. Deswegen ist auch in dem Entschließungsantrag meiner Fraktion auf dieses Problem ausdrücklich aufmerksam gemacht, wobei es nicht darum geht, nur das eine ohne das andere zu sehen, sondern hier muß man ehrlicherweise in einer wirklich guten Bilanz die Einnahmen und Ausgaben in ein rechtes Verhältnis bringen. Das ist der Sinn der heutigen Debatte, und das ist das, was einmal deutlich gemacht werden muß, damit man weiß, woran man ist. Darauf sollte die Bundesregierung möglichst bald eine Antwort geben.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0712841000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Braun.




Gerhard Braun (CDU):
Rede ID: ID0712841100
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Sicherlich ist heute in der Debatte ein Thema nur am Rande behandelt worden und etwas zu kurz gekommen, nämlich die Rolle der freien Träger in der Kommunalpolitik.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Deswegen möchte ich mich kurz mit den Antworten auf die Fragen 2 bis 5 unserer Großen Anfrage befassen. Denn hier geht es im Prinzip um die Einstellung der Bundesregierung zu den freien Trägern.
Zunächst möchten wir in unserer Fragestunde gerne wissen, was folgender Satz aus der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 zu bedeuten hat — ich zitiere—:
Es liegt auf der Hand, daß in unseren Städten und Gemeinden — und zwar mit erheblichen Anstrengungen — Einrichtungen und Dienste geschaffen werden müssen, die bisher zu kurz gekommen sind.
Wenn man das liest, meine Damen und Herren: wahrlich ein bombastischer Satz. Wenn Sie den Satz aber mit dem vergleichen, was in der Antwort der Bundesregierung auf unsere präzisen Fragen, welche Einrichtungen und Dienste bisher zu kurz gekommen seien, ausgesagt ist, dann bleibt nichts übrig. Aus den „erheblichen Anstrengungen" wird der schlichte Satz; ich zitiere wieder aus der Antwort der Bundesregierung:
Mit dieser Erklärung werden keine zusätzlichen Maßnahmen der Bundesregierung angekündigt.
Im übrigen, so wird weiter gesagt, könnten die Prioritäten bei der Verbesserung der kommunalen Infrastruktur nur von den Gemeinden selbst gesetzt werden.
Mit unserer fünften Frage wollten wir dann wissen, welche Möglichkeiten die Bundesregierung sieht, durch Anreiz und Förderung vermehrt freie Träger für die Erfüllung von Diensten im kommunalen Raum zu gewinnen. Die gegebene Antwort ist sicherlich beachtlich und — ich sage es hier ausdrücklich — erfreulich. Nur müssen wir feststellen, daß zwischen der Theorie — und das ist hier die Antwort der Bundesregierung — und der Praxis — das ist die Beschlußfassung in den einzelnen Kommunalparlamenten und auch zum Teil in den Länderparlamenten — ein großer Unterschied vorhanden ist.

(Frau Schroeder [Detmold] [CDU/CSU] : Sehr wahr! — Dr. Waffenschmidt [CDU/ CSU] : Sehr richtig!)

Die Bundesregierung sagt — ich zitiere aus der Antwort —:
...,sie
— also die Bundesregierung —
ist aber auch der Meinung, daß echtes mitmenschliches und mitbürgerliches Engagement des einzelnen oder von Gruppen gerade im sozialen Bereich notwendig und hilfreich ist und durch keine noch so perfekte behördliche Hilfeleistung ersetzt werden kann.
Dieser Satz — ich sage es noch einmal — findet unsere ungeteilte Zustimmung. Und weiter heißt es in der Antwort:

(Gemeindeverbände nicht zögern, diesen Gruppen Aufgaben zu übertragen. Dies gilt z. B. — so heißt es in der Antwort der Bundesregierung weiter — für Kindergärten, Kindertagesstätten, Spielplätze, Heime, Beratungsstellen, Maßnahmen der Altenhilfe und vieles mehr. Meine Damen und Herren, das, was hier ausgesagt wurde, ist etwas, was die CDU und CSU jahrzehntelang in ihrer kommunalen Praxis durchgeführt haben, (Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

etwas, wovon wir nicht nur geredet haben, sondern wo wir echtes soziales Engagement praktiziert und den freien Trägern diese Möglichkeiten gelassen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn das, meine Damen und Herren, wirklich die Meinung der Bundesregierung ist, der Bundesregierung, die von SPD und FDP gemeinsam getragen wird, warum werden dann nicht selten in Gemeinden mit SPD-Mehrheiten z. B. kirchliche Kindergärten finanziell schlechter gestellt als kommunale? Und, Herr Minister Wertz aus Nordrhein-Westfalen, warum geht das Kindergartengesetz in Nordrhein-Westfalen ganz eindeutig und klar dazu über, den Schwerpunkt bei den kommunalen Trägern zu sehen, statt diese Aufgaben, wie es in der Antwort der Bundesregierung gesagt ist, den freien Trägern zu überlassen?
Meine Damen und Herren, die soeben von mir zitierte Ansicht in der Antwort der Bundesregierung ist in der Praxis offenbar eben doch nicht die Ansicht der SPD im kommunalpolitischen Alltag. Eine Informationslücke von oben nach unten scheint mir hier allerdings nicht zu bestehen. Vielmehr besteht der Verdacht, daß hier mit zwei Zungen geredet wird oder — so könnte man es anders ausdrücken — daß hier eine Doppelstrategie betrieben wird: Wenn die freien Träger wissen wollen, wie die Bundesregierung zu bestimmten Dingen steht, bekommen sie die Antwort mitgeteilt, und in der Praxis sieht es dann trotzdem so aus, daß die freien Träger die notwendigen Möglichkeiten in den Gemeinden nicht haben, in denen die SPD die Mehrheit hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973, die ja laut Bundeskanzler Schmidt für die ganze Legislaturperiode gilt, hörten wir:
Die sozialen Einrichtungen der karatativen Organisationen und der freien Wohlfahrtspflege



Braun
sollen vom Staat nicht angetastet werden; denn die Gemeinschaft braucht sie.
Und im Arbeitsprogramm der Jungsozialisten „Kommunalpolitik für wen?" lesen wir auf Seite 122 unten und Seite 123 oben:
Kinder, Alte, Kranke und Außenseiter werden noch heute überwiegend der Betreuung durch kirchliche Körperschaften, freie Wohlfahrtsverbände und Privatärzte in ganz oder teilweise öffentlich finanzierten, aber privat genutzten Einrichtungen ausgeliefert.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Hört! Hört!)

Sie hörten richtig, meine Damen und Herren: „Kinder, Alte, Kranke werden noch heute kirchlichen Körperschaften und freien Wohlfahrtsverbänden ausgeliefert!"
Hier wird durch die Wortwahl „Auslieferung" einfach unterstellt, daß die freien Träger ihrer Verpflichtung und Verantwortung gegenüber den von ihnen betreuten Mitmenschen nicht nachkommen. Diese jungsozialistische Aussage hat nichts mit der „tätigen Barmherzigkeit" zu tun, von der in der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 noch die Rede war.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

Das, was hier gesagt wird, ist eine Diffamierung der freien Träger, denen wir alle großen Dank schulden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben die große Sorge, daß zuviel Geist — ich müßte besser sagen: Ungeist — aus diesem Arbeitsprogramm der Jungsozialisten einen entsprechenden Niederschlag im kommunalpolitischen Grundsatzprogramm der SPD gefunden hat. In diesem Programm sind nämlich die Begriffe „private Initiative" und „freie Träger" überhaupt nicht enthalten. Zufall? — Das glaube, wer mag.
Dabei sollte nicht unerwähnt bleiben, da ich gerade von den freien Trägern spreche, daß sozialistische Schulpolitik in manchem SPD-regierten Land dazu geführt hat, daß die Eltern in einem freien Träger — in diesem Fall in einer privaten Schule — die letzte und einzige Möglichkeit für eine vernünftige und ordnungsgemäße Erziehung ihrer Kinder sehen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren, zum Schluß noch wenige Bemerkungen zu dem in der Antwort der Bundesregierung erwähnten verstärkten Engagement von Bürgern, z. B. in Bürgervereinen. Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung diesen Gruppen gerade in der Umweltpolitik die Rolle eines aktiven Partners ermöglichen möchte. Gerade auf dem Gebiet der Verkehrsplanung, insbesondere bei der Planung von Autobahnen und Fernstraßen, muß eine rechtzeitige Information und eingehende Unterrichtung durch die mit der Planung beauftragten Stellen erfolgen. Manche Bürgerinitiative hätte vermieden werden können, manches Mißtrauen wäre erst gar nicht aufgekommen, wenn der Rat der Stadt und die Vereinigungen der Bürger nicht nur informiert, sondern auch an den Planungen mitbeteiligt worden wären.
Noch ist der Eindruck zu stark vorhanden, daß Umweltschutz und Landschaftsschutz gerade bei staatlichen Planungen nicht die Beachtung finden, auf die der Bürger heute Anspruch hat. Noch, Herr Staatssekretär Haar, ist vor allen Dingen der Eindruck vorhanden, daß hier einfach ein Monopol der Bundesplanung besteht, daß die Planungen auch des Bundesverkehrsministeriums auf die heutige Gesetzgebung zu wenig Rücksicht nehmen, daß man dein einzelnen Bürger, dem kleinen Unternehmer hohe Auflagen macht, daß aber bei Planungen des Bundes dieselben Gesetze und Maßnahmen nicht berücksichtigt werden.
Die kommunale Selbstverwaltung lebt von der Mitarbeit vieler ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer. Wir können auf diese ehrenamtlichen Kräfte im Interesse der Gemeinde, aber auch im Interesse unseres demokratischen Staates nicht verzichten. Die Bundesregierung hat die Aufgabe, deutlich zu machen und vor allen Dingen glaubwürdig darzulegen, daß diese Mitarbeit auch in Zukunft erwünscht und notwendig ist. In den Antworten auf die von mir behandelten Fragen — ich betone es nochmals — sind hierzu zum Teil erfreulich klare Aussagen gemacht worden. Es kommt nur darauf an — und das ist das Entscheidende —, daß Ihre eigenen Fraktionen, meine Damen und Herren von der Regierung, diese Ihre Antwort auch erfahren.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

Hier eine Bitte: Sie sind doch sonst nicht so pingelig mit dem Ausgeben von Geld für Regierungspropaganda. Schicken Sie diese Ihre Antwort an Ihre Kommunalpolitiker in den Gemeinden mit der freundlichen Bitte, das von Ihnen Gesagte nicht nur zu beherzigen, sondern auch in der kommunalen Praxis entsprechend zu handeln.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0712841200
Das Wort hat Herr Minister Groß, Niedersachsen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712841300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist sicher von Nutzen, in diesem Hause etwas zu tun, was sonst vorzugsweise in Landtagen stattfindet, nämlich über Kommunalfragen zu sprechen. Dabei hatte ich heute nachmittag manchmal den Eindruck, daß sich diese kommunalpolitische in eine kommunalfinanzpolitische Debatte auswuchs, wobei sich gleichzeitig die Grenzen dessen zeigten, was der Bundestag tun kann und darf. Denn die Masse der Probleme, die die Kommunen bewegt, sind in der Tat nur in den Ländern zu lösen. Hier wird man sich weitgehend mit den Finanzproblemen auseinandersetzen müssen.
Aber bei der Begrenzung dieser Debatte auf die Fragen der Finanzausstattung der Gemeinden und Kreise, von denen übrigens in dieser Debatte auffallenderweise verhältnismäßig wenig die Rede ge-



Minister Groß
wesen ist, laufen wir meines Erachtens Gefahr, uns an einigen Symptomen aufzuhalten und uns nicht so sehr zu fragen, wo denn eigentlich die Ursachen nicht nur dieser Finanzprobleme, sondern auch jenes Unbehagens liegen, das man allerorten in der kommunalen Selbstverwaltung der Gemeinden und Kreise vorfinden kann.
Die Finanzlage der Gemeinden ist ganz gewiß ein schwieriges Problem. Ich will sie nicht bagatellisieren. Aber die Einengung einer kommunalpolitischen Diskussion auf die Fragen der Finanzausstattung scheint mir eine verteufelte Ähnlichkeit mit den bildungspolitischen Debatten der 60er Jahre zu haben, als man glaubte, man könne die bildungspolitischen Probleme ausschließlich als quantitative, insbesondere Finanzprobleme verstehen und mit höheren Finanzspritzen lösen.
Erst jetzt, eine ganze Reihe von Jahren später, kommen wir dazu, festzustellen, daß diese Probleme eben nicht finanziell zu bewältigen waren, sondern tiefer lagen. Hier wie dort besteht die Gefahr, daß wir möglicherweise mit höheren Finanzdotationen die strukturellen Probleme und strukturellen Schwierigkeiten gerade noch zementieren. Deswegen scheint es mir notwendig zu sein, ohne von diesen Finanzproblemen ablenken zu wollen, noch einige Fragen zu stellen, die uns in einer zusätzlichen Diskussion vielleicht weiterführen.
In den Gemeinden und Kreisen, meine Damen und Herren, zeigen sich die Bedürfnisse des Bürgers am unmittelbarsten. Die Gemeinden und Kreise sind deshalb auch pragmatisch, fernab jeder Theorie, die es, wenn auch seltener, da ebenfalls gibt, geneigt, diese unmittelbaren Bedürfnisse mit viel gutem Willen zu befriedigen. Aber sie tun das mit personellen und finanziellen Mitteln, die oft nicht in einem angemessenen Verhältnis zu den Bedürfnissen stehen.
Hier, meine Damen und Herren, besteht wahrscheinlich schon der erste Mangel: daß wir von diesen Gemeinden Dinge verlangen, denen sie jedenfalls bisher weder finanziell noch — was wahrscheinlich schlimmer ist — ihrer Struktur, ihrer Arbeitsweise, ihren Möglichkeiten und ihrem Selbstverständnis nach gewachsen waren. Daß sich das nach der in allen Bundesländern entweder durchgeführten oder noch durchzuführenden Gemeindereform — sprich: Territorialreform auf Gemeindeebene — ändern wird und die Gemeinden durch eine größere Leistungsfähigkeit Möglichkeiten haben, mehr Aufgaben wahrzunehmen, bleibt zu hoffen. Aber hier haben die Länder mit Sicherheit eine Aufgabe, den Gemeinden und Kreisen durch ein entsprechendes Instrumentarium stärker zu helfen.
Ein zweites Problem, das den Gemeinden und
nicht nur ihnen, sondern auch ihren Bürgern — zu schaffen macht, ist die immer abstrakter werdende Kommunalpolitik, wenn es sich um den Bereich Planung, um die Einwendungen der Gemeinden und Kreise bei Landesplanung und Bundesplanung handelt. Hier vermag der normale Kommunalvertreter, wenn er sich nicht gerade darauf spezialisiert, kaum noch mitzuhalten. Hier entwickelt sich jenes Gefühl, das wir bei jeder sich bietenden Gelegenheit finden.
Man hat den Eindruck: Das, was wir in der Gemeinde tun, ist allenfalls noch Spielen mit den demokratischen Instrumenten, aber die Entscheidungen, die zu fällen sind, werden woanders vorgegeben. Selbst wenn dies nicht der Fall ist, wäre hier ebenfalls anzusetzen. Es ist eine Aufgabe der Bürgerbeteiligung, diese so abstrakte Fachsprache, dieses abstrakte Instrumentarium dem Bürger und seinen Repräsentanten in den Gemeinden wesentlich konkreter darzustellen.
Wir müssen aber noch ein anderes fragen: Ist denn bei uns in den letzten 50 Jahren und bei der hektischen Wiederaufbauarbeit nach dem Kriege überhaupt darüber nachgedacht worden, welche Stellung die Gemeinde und der Kreis im Staat haben sollen? Herr Kollege Schneider hat vorhin so apodiktisch festgestellt, daß es nur zwei staatliche Ebenen gebe. Wo steht denn das geschrieben? Woher kommen wir zu dieser Vorstellung, daß die Gemeinde und der Kreis letztlich nicht auch Staat sind? Nehmen wir nicht alle, die wir heute einen Gemeinderat, morgen einen Landtag und übermorgen einen Bundestag wählen, nicht letztlich öffentliche Aufgaben wahr? Ist dieser Dualismus zwischen Gemeinde und Staat mit allen seinen Konsequenzen heute eigentlich noch gerechtfertigt? Ich stelle diese Frage nur, weil an dieser Stelle deutlich wird, daß wir hier Vorstellungen mitschleppen, die in den letzten 20 und 30 Jahren wahrscheinlich überhaupt nicht geprüft worden sind. Wir sollten darüber sehr intensiv nachdenken.
Meine Damen und Herren, ist das Instrumentarium, mit dem die kommunale Selbstverwaltung fertig werden muß, nicht auch ein Grund für die Zerreißproben, die da gelegentlich geliefert werden müssen? Ist die Kommunalverfassung, so buntscheckig sie in der Bundesrepublik ist — sie wird sicherlich nie völlig einheitlich sein und es auch nicht sein müssen —, diese Kommunalverfassung, die teilweise mit einer monokratischen Spitze ausgestattet, teilweise kollegial organisiert ist, eigentlich noch geeignet, diese Aufgaben wahrzunehmen? Können die Kommunalvertreter bei dieser Arbeitsweise noch mit den Finanzproblemen, die hier mehr oder minder dramatisch dargestellt worden sind, fertig werden? Auch diese Frage scheint einer dringenden Erörterung bedürftig zu sein.
Das Thema Dotationen ist hier bereits angesprochen worden. Es ist in der Tat ein unglücklicher Zustand — sicher aber ein Zustand, der von manchen Ministerien in den Ländern gar nicht so ungern gesehen wird —, daß man mit Hilfe von Zweckzuweisungen natürlich auch sehr intensiv in die Gemeinden hineinregieren kann. Wir sind in Niedersachsen dabei, das Verhältnis zwischen allgemeinen Zuweisungen und Zweckzuweisungen an die Gemeinden zugunsten der allgemeinen Zuweisungen zu verändern, gerade weil wir einen hohen Respekt vor der kommunalen Selbstverwaltung haben. Dabei müssen wir in Kauf nehmen, daß da und dort auch Mißbrauch getrieben wird. Denn wenn ich das hier einflechten darf — so ideal sind natürlich Kommunalvertreter auch nicht, daß dort, sei es in der Personalpolitik, sei es in der Investitionspolitik,



Minister Groß
alles so liefe, wie man sich das vorstellt. Aber das ist in den Ländern und sicher auch im Bund nicht grundsätzlich anders.
Meine Damen und Herren, mir scheint es notwendig — und wir versuchen, dies auf Landesebene zu tun; ich glaube, wir sind das erste Land, das dies jetzt tut —, einmal in einer Sachverständigenkommission all diese grundsätzlichen Fragen des Verhältnisses der Gemeinde, des Kreises zum Staat, des Verhältnisses der Gemeinde zum Kreis, des Verhältnisses innerhalb einer Gemeinde zwischen den Bürgern und den Organen dieser Gemeinde zu überprüfen, und wir müssen in diesem Zusammenhang natürlich auch die Frage der Kommunalverfassung in den Ländern einmal ansprechen. Es stellt sich immer deutlicher die Frage — dies sollte eine Frage sein, die sich auch der Gesetzgeber des Bundes einmal sehr kritisch vornehmen müßte —, ob es glücklich ist, daß alle Bundesländer aus gewiß jeweils nicht unberechtigten Gründen daran gehen, stets neue Formen für ihre Bedürfnisse zu entwickeln. Der eine nennt das Großraumverband, der andere nennt das Mehrzweckpflichtverband, der dritte wieder anders. Wie eigentlich der Bundesgesetzgeber bei der Festlegung von Zuständigkeiten mit diesem Dickicht von sich überschneidenden Ebenen fertig werden will, ist mit Sicherheit ein Problem, das hier einmal erörtert werden müßte.
Ich will ein anderes noch sagen. Man kann sehr wohl — und wir sind dabei, dies zu tun — die kommunale Selbstverwaltung an den Aufgaben der Landesplanung und der Raumordnung stärker beteiligen, als es gemeinhin üblich ist. Wir sind dabei, z. B. die Aufgabe der Raumordnung aus der Ebene der „staatlichen Mittelinstanz" auf die Ebene der kommunalen Selbstverwaltung des Kreises zu verlagern. Damit gibt der Staat zwar etwas aus der Hand, meint aber dies verantworten zu können in der Hoffnung auf die Vernunft der kommunalen Selbstverwaltung.
Wir sind weiter dabei — die Frage ist, wieweit dies nicht auch im Bundestag geschehen kann , bei der Gesetzgebung im Landtag die kommunalen Spitzenverbände nicht nur anzuhören, sondern mit ihnen auch zu diskutieren, und wir haben jetzt das Verfahren der Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände bei der Vorbereitung der Gesetze, also im Verhältnis zur Exekutive, zu verbessern, indem wir ihnen mehr Möglichkeiten geben.
Meine Damen und Herren, wenn ich aus der Sicht eines Landes eine Bitte an dieses Hohe Haus richten soll, dann diese: Geben Sie uns mit einer möglichst baldigen Verabschiedung des Gesetzes zur Erleichterung der Verwaltungsreform in den Ländern eine Möglichkeit, tatsächlich ein Stückchen mehr Funktionalreform in den Ländern zu machen. Ich bin weit davon entfernt, zu behaupten, daß eine Verlagerung von Zuständigkeiten von einer Ebene auf die andere, d. h. von der sogenannten oberen Ebene auf eine tiefere Ebene, den Kommunen letztlich Entscheidendes mehr bringt. Sie haben zwar mehr Möglichkeiten, den Bürger nicht weite Wege laufen zu lassen, aber das Entscheidende bei der Funktionalreform ist letztlich, daß bei größeren Gemeinden und auch bei größeren Kreisen die Möglichkeit besteht, tatsächlich Entscheidungsmasse zu haben, über die es sich zu diskutieren lohnt, statt wie bisher manchmal mangels Entscheidungsmasse in winzigen und kleinen Gemeinden nur Demokratie spielen zu können.
Meine Damen und Herren, ich wollte mit diesem Beitrag nicht ablenken von den Finanzproblemen, sondern nur die Frage gestellt haben, ob es allein die Finanzen sind, ob hier nicht Strukturprobleme sind, die wir manchmal mit Finanzen nur unzulänglich zukleistern.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0712841400
Das Wort hat Herr Professor Zeitel.

Dr. Gerhard Zeitel (CDU):
Rede ID: ID0712841500
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist erfreulich, daß man feststellen kann, daß hier in diesem Hohen Hause über die grundsätzliche Stellung der Kommunen in unserem Staatswesen keine Meinungsverschiedenheiten bestehen.

(Dr. Carstens [Fehmarn] [CDU/CSU] : Sehr gut!)

Aber mir scheint auch, daß es nicht genügt, Beschwörungsformeln über die kommunale Autonomie und ihre Bedeutung auszusprechen. Und es genügt auch nicht, sich allein auf die aktuelle Entwicklung zu beschränken und mit unterschiedlich ausgewählten Zahlenreihen Attacken gegeneinander zu führen.
Dieses Hohe Haus hat auch die Verpflichtung, die längerfristigen Perspektiven der Kommunalpolitik in das Blickfeld der Betrachtung hineinzuziehen

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

und über den Tellerrand der nächsten Haushaltsprobleme hinwegzusehen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Was der Finanzminister hierzu beigetragen hat, ist leider im Rahmen des Tellerrandes geblieben. Ein Aufzeigen irgendwelcher Perspektiven längerfristiger Art ist er nahezu vollkommen schuldig geblieben.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Ich glaube, mit dieser Frage müssen wir uns auseinandersetzen, weil die Kommunen ein Recht darauf haben, zu wissen, wie hier über die längerfristige Entwicklung gedacht wird, denn sie können die Haushaltspläne und großen Zukunftsaufgaben nicht nur für ein Jahr angehen.
Alle Parteien dieses Hohen Hauses — davon habe ich mich anhand der Protokolle überzeugt — waren sich bei der Finanzreform 1969 darüber einig, daß dies nur ein erster Schritt in einer weiterführenden Entwicklungslinie sein sollte. Wenn wir prüfen, was seitdem geschehen ist und was diese Regierung zur Fortführung der Finanzreform getan hat, so ist glatte Fehlanzeige zu erstatten.
Wenn irgendwo das Wort von der Demokratisierung und der Bewältigung zukunftsweisender Aufgaben bedeutsam ist, dann ganz gewiß im Bereich der längerfristigen Orientierung der Kommunalpoli-



Dr. Zeitel
tik. Es wäre verdienstvoll, wenn die Regierung darüber einmal etwas sagen würde,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

wenn sie nicht nur über die akuten Probleme des nächsten Vierteljahres nachdenken würde. Pragmatische Wurstelei führt in dieser Frage nicht sehr viel weiter.
Ich glaube, ich kann mich nach dem, was hier über die Leitlinien einer zukünftigen Finanzpolitik ausgegeführt worden ist, kurz fassen, denn alle Redner haben übereinstimmend betont, daß die Gemeinden einen möglichst großen Spielraum eigenverantwortlich disponibler Mittel haben sollten.
Wir brauchen dann nur zu fragen, wie die Fakten gegenwärtig sind. Herr Finanzminister, hier sollte man nun nicht willkürlich Zahlenreihen auswählen. Es hat auch keinen Sinn, einmal auf das Jahr 1965 einzugehen und dann die letzten vier Jahre aufzuaddieren. Das alles können wir uns sparen. Die fraglichen Probleme sind durch die folgenden wesentlichen Tatbestände gekennzeichnet.
Der Anteil — und das erklärt die positive Entwicklung der Gemeinden in den ersten Jahren der Nachkriegszeit — eigener Steuereinnahmen ist langfristig abgesunken.
Genau in umgekehrter Richtung haben die Zweckzuweisungen in einem erheblichen Umfange zugenommen. Dies ist der zweite Tatbestand. Jene Einnahmeform, durch die die Gemeinden am meisten vom staatlichen Oberverband abhängig werden, haben also an Gewicht gewonnen.
Der dritte Tatbestand, Herr Finanzminister: Es hat doch keinen Sinn, ein paar absolute Schuldenzahlen aus ein paar ausgewählten Jahren zu nennen. Dies wird doch dem Sachverhalt nicht gerecht. Unbestreitbare Tatsache ist, daß der Schuldendienst der Gemeinden unter allen staatlichen Teilverbänden mit Abstand der höchste ist und daß sich die niedrigen Verschuldungszahlen zum Teil nur daraus ergeben, daß die Genehmigungsbehörden eine weitere Verschuldung gar nicht mehr zulassen. In nicht wenigen Fällen ist die Verschuldungsgrenze erreicht.
Dies sind die Fakten, und darum sollten Sie nicht herumreden.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Sie gebieten eben gerade deshalb eine Antwort, weil Deckungsverantwortung und Aufgabenverantwortung nicht mehr übereinstimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich noch auf einen Sachverhalt hinweisen, der vielleicht ein wenig zu kurz erörtert wurde. Wenn wir uns die Palette der großen Zukunftsaufgaben in unserem Lande ansehen, dann fallen mit die wesentlichsten Aufgaben im Bereich der Kommunen an: vom Umweltschutz angefangen, über den Nahverkehr, über die Einrichtung des Sozialwesens bis hin zur Gesundheitsfürsorge. Und bedrückend ist nicht so sehr die gegenwärtige Lage — die alles andere als befriedigen kann —, sondern beängstigend sind die Zukunftsperspektiven, die sich angesichts des aufsummierten Bedarfs ergeben. Und deshalb sollten wir in diesem Hohen Hause — bei aller Anerkennung der Schwierigkeiten und der gemeinsamen Verantwortung — Überlegungen darüber anstellen, wie denn die längerfristigen Perspektiven einer Problemlösung aussehen könnten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich hier wenigstens einige Sachverhalte nennen. Sie wollen ja immer von uns Konzepte haben, weil sie offenkundig selbst nicht in der Lage sind, Konzepte zu entwickeln. Sie tun in der Öffentlichkeit immer nur so, als hätten Sie ein Konzept.

(Zuruf von der SPD: Kommt Zeitel, kommt Rat!)

— Mit Sicherheit.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Darf ich vielleicht deshalb die wesentlichsten mittel- und längerfristigen Probleme die zur Diskussion stehen, ansprechen:

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. SchmittVockenhausen)

Erstens. Die Deckung der Zukunftsaufgaben kann sicher nicht durch einen zunehmenden Anteil der Verschuldungseinnahmen gefunden werden. Wer die Zahlen kennt, wird zugeben müssen, daß die Gemeinden hier am äußersten Rande der Möglichkeiten operieren, vielleicht die angemessene Verschuldungsquote insgesamt schon überschritten ist — unabhängig von Einzelfällen. Lassen Sie mich hier auch deutlich machen, daß es zu den Märchen gehört, die nicht sehr gut tun, wenn man über eine Schuldendeckung den Eindruck zu erwecken versucht, als könnten wir damit die Belastungsprobleme in die Zukunft verschieben. Die Realprobleme der Verschuldung stellen sich in der Gegenwart: Die gegenwärtige Generation muß die realen Produktionsfaktoren für die Durchführung öffentlicher Aufgaben bereitstellen. Was vertagt wird, sind die Verteilungsprobleme.
Auf dem Wege einer höheren Verschuldung sind die Probleme also sicher nicht zu lösen. Es muß ebenso offen gesagt werden — — Bitte!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712841600
Herr Kollege, der Herr Kollege gestattet eine Zwischenfrage.

Dr. Manfred Vohrer (FDP):
Rede ID: ID0712841700
Herr Kollege Zeitel, die Konsequenz aus Ihren Ausführungen über die ehrlichste Finanzierung von Gemeindeausgaben ist doch dann die Finanzierung aus Steuermitteln?

Dr. Gerhard Zeitel (CDU):
Rede ID: ID0712841800
Die ist sicher im Hinblick auf die kommunale Aufgabenerfüllung die angemessenste. Diese Frage ist freilich im Gesamtverbund der staatlichen Aufgabenerfüllung zu erörtern. Darüber wird noch einiges zu sagen sein.
Zweitens. Ich möchte offen sagen, daß es bei der längerfristigen Perspektive nicht sehr sinnvoll ist, die Finanzierungslasten immer größer werden zu



Dr. Zeitel
lassen in den Bereichen, in denen die Kommunen eigenständig finanzieren können. Durch Vorschläge von Nulltarifen etwa werden die Finanzierungsprobleme noch schwieriger. Solche Vorstellungen gibt es ja in der sozialliberalen Koalition. Es wäre deshalb angebracht, daß die Deckungsmöglichkeiten im Bereich von Gebühren und Beiträgen voll ausgeschöpft wurden. Daran werden die Kommunen nicht vorbeikommen. Wir sollten auch überlegen, ob namentlich im Rahmen von Erschließungsbeiträge den Gemeinden für die Zukunft weitere Einnahmequellen zugewiesen werden können.
Drittens. Es ist sicher nicht angemessen hinsichtlich der Aufgaben, die die Kommunen zu erfüllen haben, wenn der Weg höherer spezieller Deckungszuweisungen weiter beschritten wird.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Es ist zutreffend darauf hingewiesen worden, daß dies für die Gemeinden nicht nur keine eigenverantwortlich disponiblen Mittel bedeutet, sondern, was ich für gravierender halte, auf diesem Wege die Bürgermeister zu „Klinkenputzern" bei den staatlichen Oberverbänden werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das wäre ein Beitrag zu einer völligen Denaturierung der kommunalen Willensbildung. Das Projekt hat dann die Priorität, für das der höchste Zuschuß zu erlangen ist, aber nicht dasjenige Projekt, das vom Standpunkt eigenverantwortlicher Gestaltungsmöglichkeit gewählt werden würde.
Wir können und sollten also den Anteil spezieller Deckungsmittel nicht ausdehnen. Unausweichlich stellt sich daher die Frage, wie im Bereich der Besteuerung die Probleme der Kommunen, Herr Vohrer, dauerhaft gelöst werden können. Hier müssen wir zunächst festhalten, daß der Prozeß, der mit der Finanzreform beabsichtigt war, nämlich einen Abbau der Gewerbebesteuerung auf längere Sicht herbeizuführen, sich langsam wieder in das Gegenteil verkehrt. Daran ändern die erhöhten Freibeträge nichts, weil die Gemeinden gezwungen werden, die Hebesätze anzuheben und da, wo sie noch keine Lohnsummensteuer haben, die Lohnsummensteuer einzuführen. Um es für meine Fraktion klar zu sagen: wir halten auf längere Sicht die Gewerbesteuer heutiger Prägung für ein paläontologisches Fossil und nicht für ein Element des modernen Steuersystems. Infolgedessen muß geprüft werden, wie die hier entstehenden Deckungsprobleme gelöst werden können. Ein Schritt in die richtige Richtung war die Beteiligung der Gemeinden an der Einkommensteuer. Sicher ist es unerläßlich, zu einem höheren Kommunalanteil zu kommen. Lassen Sie mich aber deutlich folgendes hinzufügen: Auf diese Weise werden angesichts des Bedarfs, der abzusehen ist, die Finanzierungsprobleme der Gemeinden nicht zu lösen sein.
Ich bin eigentlich verwundert, daß sich die Regierung noch nicht zur Frage der Einführung differenzierter Hebesätze geäußert hat. Es gibt vom kommunalpolitischen Standpunkt aus gute Gründe, diese Forderung zu erheben. Ich habe aber Zweifel, ob es gesamtwirtschaftlich angemessen wäre, hier liegende
Reserven auszuschöpfen. Wir sollten aber den Gemeinden sagen, was sie in dieser Hinsicht zu erwarten haben, damit sie entsprechend disponieren können.
Lassen Sie mich als dritten Punkt im Bereich der Besteuerung darauf hinweisen, daß auf längere Sicht kein Weg daran vorbeiführen wird, daß die steuerlichen Finanzierungsprobleme der Gemeinden nur durch eine Ausdehnung des Steuerverbundes zu lösen sein werden. Den Gemeinden sollte auf längere Sicht auch der Zugang zur Umsatzsteuer eröffnet werden. Die Gemeinden würden mit einem Umsatzsteueranteil über eine Einnahmequelle verfügen, die bei nicht zu großer örtlicher Streuung der Steuerkraft zugleich eine stetige Einnahmeerzielung und damit auch eine stetige Aufgabenerfüllung ermöglicht. Zu dieser Frage, wie sich eine solche Maßnahme in das gesamte Finanzkonzept einordnet, würden wir eigentlich gerne baldmöglichst die Vorstellungen der Regierung hören. Davon hängt doch langfristig die Solidität unserer Finanzpolitik mit ab. Darum können wir uns nicht herummogeln und herumdrücken. Die Regierung möge doch einmal sagen, welche Vorstellungen sie eigentlich für richtig hält. Jedenfalls ist ohne eine Erweiterung des Steuerverbundes im Bereich der Umsatzsteuer eine eigenverantwortlich disponible Aufgabenerfüllung für die Kommunen auf die Dauer nicht sicherzustellen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch einen letzten Gedanken anführen. Die Gemeinden sind in der Vergangenheit im Zusammenhang mit der Stabilitätspolitik wiederholt in der Richtung angegriffen worden, daß sie sich prozyklisch verhalten hätten. Wir sollten klarstellen, daß die Kommunen im Unterschied zu Bund und Ländern zu einer stabilitätsgerechten Konjunkturpolitik weder gleich befähigt sind, noch in dieser Hinsicht in einem entsprechenden Umfang tätig werden sollten. Sie sind vielmehr durch eine falsche Einnahmestruktur in eine prozyklische Aufgabenerfüllung hineingedrängt worden. Aus dieser Lage sollten wir sie befreien. Das heißt, wir brauchen ein Einnahmensystem, das der stetigen Aufgabenerfüllung der Gemeinden angemessen ist und sie automatisch in einen Verstetigungskurs hineinzwingt. Wir sollten sie also nicht mit speziellen Maßnahmen in ein stabilitätspolitisches „go and stop" einbeziehen.
Lassen Sie mich abschließend bemerken: Alles dieses wird für die Katz sein, wenn es uns nicht gelingt, mehr Stabilität in unserem Lande herbeizuführen und wenn es uns nicht gelingt, die Kostenlawine im öffentlichen Bereich auf allen Ebenen zu stoppen. Ich bin eigentlich überrascht, warum nicht auch im kommunalen Bereich durch verstärkte Forschung und Vergleiche zwischen den einzelnen Kommunen ein Beitrag dazu geleistet wird, wie wir die Dinge bei der Ausgabengestaltung mehr unter eine Effizienzkontrolle bringen können. Ohne ein Abstoppen der Kostenlawine werden wir längerfristig jedenfalls mit den drängenden Zukunftsaufgaben nicht fertig.
Das dritte Problem — Herr Finanzminister, hier haben Sie ja heute morgen, wenn ich das richtig verstanden habe, entgegen Ihren ersten Bekundun-



Dr. Zeitel
gen bereits eingelenkt — ist das: Wie immer die Probleme einer Abstimmung von Prioritäten und Posterioritäten zwischen allen öffentlichen Händen geartet sind — und sie sind nicht einfach zu lösen —, wäre es doch gut, wenn sich alle öffentlichen Ebenen — Bund, Länder und Gemeinden — an einen Tisch setzten und einmal die Bedarfszahlen zusammenstellten.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Sehr gut!)

Unsere Bevölkerung sollte erkennen können wie die Bedarfszahlen sich gestalten. Und wir alle sollen wissen, was mit der gegebenen Leistungskraft realisiert werden kann und was wir im Hinblick auf die Erhaltung unserer Leistungsfähigkeit und Stabilität zurückstellen müssen. Es ist allerhöchste Zeit, daß ein solcher Umdenkprozeß eingeleitet wird. Auch hier zögert die Bundesregierung — wie in so vielen anderen Bereichen — viel zu lange.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712841900
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vohrer.

Dr. Manfred Vohrer (FDP):
Rede ID: ID0712842000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der sachliche Beitrag von Herrn Professor Zeitel, dem ich in weiten Teilen zustimmen kann, hat den Eindruck erweckt, als ob es sich bei all den aufgezählten Punkten um Fehler der jetzigen Regierung handeln würde. Herr Zeitel, seien wir ehrlich: Die Mehrzahl der von Ihnen kritisierten Gesetze wurde schon viel früher beschlossen, nämlich in Zeiten, zu denen Ihre Partei mit in der Regierungsverantwortung saß.

(Zuruf von der CDU/CSU: Inzwischen hat die Regierung auch nichts getan!)

Lassen Sie mich das deutlich machen. Es ist doch unbestreitbar, daß die Gewerbesteuer und die hohe Aufkommenselastizität dieser Steuer nicht auf einen Gesetzentwurf der jetzigen Regierung zurückgeht.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712842100
Herr Abgeordneter, Sie gestatten die Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Zeitel? — Bitte!

Dr. Gerhard Zeitel (CDU):
Rede ID: ID0712842200
Können Sie sich daran erinnern und würden Sie mir darin zustimmen, daß der letzte wesentliche Schritt in Richtung auf den Abbau der Gewerbesteuer mit der Finanzreform 1969 unter dem Finanzminister Strauß und nicht, wie der jetzige Finanzminister meint, unter Herrn Möller getan worden ist?

Dr. Manfred Vohrer (FDP):
Rede ID: ID0712842300
Herr Zeitel, wer nun die einzelnen Schritte getan hat, ist nicht so entscheidend wie die Tatsache, daß die Richtung stimmt.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Und die Schritte, die wir mit der Finanzreform unternommen haben, gehen genau in der Richtung, die Sie gefordert haben.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Können Sie nicht schlicht und einfach ja sagen?)

Im übrigen befaßt sich fast die Hälfte aller von der Opposition gestellten Fragen zur Lage der Städte, Gemeinden und Kreise mit der Finanzausstattung. Dabei wird sowohl in der Anfrage wie auch nunmehr in der Debatte der Nachweis geführt, daß steigende Aufgaben der Gemeinden auch wachsende Ausgaben mit sich bringen. Herr Kollege Zeitel, Sie haben die Bereiche Umweltschutz, öffentlicher Nahverkehr, Infrastruktur usw. aufgezählt. Deshalb sollen die Gemeinden nach Ihrer wie nach unserer Meinung mehr Geld zur Verfügung haben.
Im gleichen Zusammenhang macht jedoch der Kollege Waffenschmidt — hier sehen Sie den großen Unterschied zu Ihren Ausführungen, Herr Zeitel —unter dem Beifall seiner Fraktionskollegen klar, daß er neue Steuererhöhungen ablehnt. Mit der so plausibel klingenden Forderung nach mehr Verteilungsgerechtigkeit der Gelder zwischen Bund, Ländern und Gemeinden will er, wie viele andere Oppositionskollegen, die Finanzausstattung der Gemeinden verbessern.
Dies ist eines der berühmten Beispiele der Arbeitsteilung innerhalb der CDU/CSU, die wir in allen Fachbereichen wiederfinden. Der eine fordert mehr Geld für den Bund bzw. geringere Einnahmen, der andere mehr Geld für die Länder oder die Senkung der Einnahmen der Länder, der dritte mehr Geld für die Gemeinden; aber niemand sagt, woher dieses Mehr an Geld kommen soll. Ja, man lehnt sogar in aller Deutlichkeit die steuerliche Finanzierung ab. Ausgenommen sind nur Sie, Herr Zeitel, der Sie doch immerhin andeuten, daß von der gütermäßigen Belastung her die steuerliche Finanzierung sicherlich die gerechteste wäre, weil später mit der Kreditfinanzierung die Verteilungsprobleme noch zusätzlich auftauchten.

(Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Wir haben keine Differenzen innerhalb der Fraktion!)

Wir müssen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, deshalb fragen, wie nach Ihren Vorstellungen und Forderungen eine gerechte Verteilung von Steuermitteln auf Bund, Länder und Gemeinden aussehen müßte. Im Bund haben Sie im Verlauf dieser Legislaturperiode Anträge gestellt, deren Verwirklichung zu Mehrausgaben in der Größenordnung von 20 Milliarden DM geführt hätte. Gleichzeitig haben Sie über die von den Regierungsparteien verabschiedete Steuerreform hinaus, die allein schon zu staatlichen Mindereinnahmen in der Größenordnung von 11 Milliarden DM geführt hätte, durch den Bundesrat noch weitere 3 Milliarden DM infolge der umstrittenen Regelung der Sonderausgaben zu verantworten, die Ihnen bei den Gemeinden jetzt fehlen. Wir möchten in aller Deutlichkeit darauf hinweisen, daß die Gemeinden nicht in diesem Maße Federn lassen müßten, wenn wir nicht durch den Bundesrat zusätzlich 3 Milliarden DM an Mindereinnahmen hätten.
Seit Verabschiedung der Steuerreform hat die Opposition in der Öffentlichkeit Forderungen nach Steuersenkungen erhoben, die nochmals zu Steuerverlusten allein des Bundes in Höhe von 11 Milliarden DM geführt hätten. Ich bin gern bereit, zu



Dr. Vohrer
zitieren, was einzelne Kollegen zur Mineralölsteuer während der Ölkrise, was sie zur Kraftfahrzeugsteuer, was sie zu den verschiedenen Anträgen gesagt haben und in welchen Zeitungen sie sich mit ihren Forderungen draußen populär gemacht haben. Der bayerische Landtagswahlkampf hat allein ein Volumen von rund 5 Milliarden DM an solchen öffentlichkeitswirksamen Wahlversprechen hervorgerufen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712842400
Herr Kollege, lassen Sie eine weitere Zwischenfrage zu?

Dr. Manfred Vohrer (FDP):
Rede ID: ID0712842500
Bitte schön.

Dr. Gerhard Zeitel (CDU):
Rede ID: ID0712842600
Herr Kollege Vohrer, halten Sie es in einer Debatte für sehr seriös, Forderungen, die aus unterschiedlichen Anlässen entstanden sind, einfach miteinander zu addieren und Phantasiezahlen in die Gegend zu setzen?

Dr. Manfred Vohrer (FDP):
Rede ID: ID0712842700
Herr Zeitel, ich trete gern dem Vorwurf entgegen, daß es sich um Phantasiezahlen handelt. Ich kann Ihnen einige aufführen, die Ihre Kollegen — und ich hoffe doch, daß die Herren Strauß und Höcherl für die Opposition einigermaßen repräsentativ sind — draußen gestellt haben. Da ist die Forderung, die Herr Höcherl in der „BildZeitung" am 15. August 1974 gestellt hat auf ermäßigten Steuersatz für Textilien und Kraftfahrzeuge. Das würde uns rund 4 Milliarden DM kosten. Da ist die Forderung von Herrn Höcherl und Herrn Strauß, bei Fernsehgeräten, Kühlschränken, Elektroherden, Geschirrspülern ebenfalls die Mehrwertsteuer zu senken.

(Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Darüber ist gesprochen worden, als Sie nicht hier waren! Wiederholen Sie das doch nicht!)

Dann müssen Sie sich das auch vorhalten lassen.

(Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Aber darüber ist doch schon gesprochen worden!)

Das sind Ihre Anträge, die Sie gestellt haben, und dann sagen Sie, Sie wollten mehr Geld zur Verfügung haben, ohne gleichzeitig die Steuern zu erhöhen.

(Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Sie hätten besser heute morgen bei der Debatte hier sein sollen!)

Wie Sie bei dieser traurigen oppositionellen Antragsbilanz noch Gelder des Bundes für die Gemeinden für eine gerechtere Verteilung zur Verfügung stellen wollen, müssen Sie in diesem Hause erst noch zeigen.
Auf der Länderebene sieht es ähnlich aus. Die Haushalte der Länder stiegen während der gesamten vergangenen Jahre schneller als das Bruttosozialprodukt und lagen in ihren Wachstumsraten auch durchweg über denen des Bundes. Die Diskussion um die anteilige Aufteilung der von der Steuerreform verursachten Mindereinnahmen wird beweisen, daß die Länder Mehrforderungen stellen, ohne
Bereitschaft zu zeigen, aus ihren Mitteln die Gemeinden in größerem Maße zu unterstützen.
Jetzt wollen Sie, Herr Waffenschmidt, aus Ihrem großen Hut durch das dauernde Murmeln der Zauberformel „mehr Verteilungsgerechtigkeit" zu guter Letzt mehr Geld für die Gemeinden herausziehen. Diesen Rechentrick sollten Sie uns einmal erklären. Die Bundesregierung hat ohne Rechentricks den Gemeinden mehr Geld zur Verfügung gestellt. Diese Bundesregierung hat den Gemeinden durch die Gemeindefinanzreform 1974 über 5,3 Milliarden DM zugute kommen lassen, und die Koalitionsparteien hatten den Mut, durch die Grundsteuerreform den Gemeinden 800 Millionen DM mehr zugute kommen zu lassen. Dafür werden wir landauf, landab in den Versammlungen von Haus- und Grundbesitzern von der Opposition angegriffen. Einige der Kollegen der Opposition vergessen dabei ab und zu, daß Sie dem Gesetz zugestimmt haben.
Wir haben über den Umweg der Länderhaushalte den Umsatzsteueranteil der Gemeinden um 200 Millionen DM erhöht. Das alles sind Fakten, die den Bürgern in den Gemeinden und den für die Gemeinden Verantwortlichen weit mehr nutzen als Ihre leeren Forderungen, die ja stets nur von einem Teil der Partei getragen werden.
Vielleicht war es zu anspruchsvoll zu erwarten, daß Sie in dieser Debatte einmal Vorschläge bringen, wie die Gemeinden besser in die Konjunkturpolitik einbezogen werden können, nachdem vom Institut Finanzen und Steuern ein umfangreiches Gutachten zu der Frage vorliegt, wie das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft besser koordiniert für Bund, Länder und Gemeinden angewendet werden kann. Ich hatte mir vorgestellt, daß Sie auf der Basis dieser Überlegungen neue Vorschläge bringen. Aber leider läßt sich aus der Problematik des prozyklischen Verhaltens der kommunalen Haushalte keine werbewirksame These ableiten. Sie sind anscheinend noch viel zu sehr dem Wahlkampfstil verhaftet, als daß Sie sich einer solchen mehr sachbezogenen Diskussion stellen würden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was heißt „noch"?! Schon wieder!)

Wir sollten uns gemeinsam Gedanken machen, wie wir 30 % der öffentlichen Ausgaben und zwei Drittel der gesamten öffentlichen Investitionen konjunkturgerechter einsetzen können.
Sie sollten hier auch ein deutliches Wort sagen, ob Sie die Schuldendeckelverordnung für überholt ansehen und mit den Gemeindehaushalten konjunkturpolitisch durchstarten wollen. Sie müßten dann aber auch sehr deutlich sagen, daß ein Mehr an öffentlichen Ausgaben ein Weniger an Stabilität mit sich bringt. Sie sollten sich jedoch nicht zu sehr darauf verlassen, daß die Gruppe, die Ihre Widersprüche nicht durchschaut, sehr groß ist.
Auch die Verwendung der Mittel der Eventualhaushalte und ihre Eignung für Gemeindeinvestitionen müßte meiner Ansicht nach viel stärker im Mittelpunkt einer solchen Auseinandersetzung über die Finanzausstattung der Städte, Gemeinden und



Dr. Vohrer
Kreise stehen. Die strukturelle Unterbeschäftigung im Bausektor kann nämlich durch die Nachfrage der öffentlichen Hände gemildert werden, und die Gemeinden sind in hervorragender Weise geeignet, hier freie Beschäftigungskapazitäten zu nutzen.
Auch die Steuerquellen, die der Gemeinde zufließen sollen, sollten einmal von Ihnen genauer analysiert werden. Herr Zeitel ging in diese Richtung. Wir haben zwar bei der Steuerreform die Anhebung der Freibeträge bei der Gewerbesteuer beschlossen und damit die Gewerbesteuer in ihrem Ertrag reduziert; trotzdem besteht in der hohen Aufkommenselastizität der Gewerbesteuer als Gemeindeeinnahmequelle ein permanentes Risiko. Herr Zeitel, ich fand es sehr positiv, daß Sie darauf hinwiesen, daß von den Gemeinden nicht verlangt werden kann, daß sie antizyklisch Konjunkturpolitik machen.
Wir sollten uns deshalb überlegen, welche Steuerquelle für die Gemeinde geeignet ist. Ist es an Stelle der Gewerbesteuer die Mehrwertsteuer? Hier liegt das Gutachten des Ifo-Instituts vor, mit der ganzen Problematik der Auswirkung auf die Lebenshaltungskosten. Oder sollen wir uns,

(Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Da muß die Koalition einmal herangehen!)

wie mein Kollege Engelhard vorschlug, überlegen, ob wir den unteren proportionalen Teil der Einkommensteuer heranziehen

(Zuruf von der CDU/CSU: Was meinen Sie?) und individuelle Gemeindehebesätze zulassen?


(Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Sie sind doch in der Regierung!)

Wir sind zu dieser sachlichen Diskussion von Alternativen bereit, bloß wehren wir einem in diesem Hause: daß Sie hier den Eindruck erwecken, daß die CDU/CSU gegen die Gewerbesteuer ist, damit neuerlich rund 20 Milliarden DM Steuerausfälle befürwortet, ohne daß Sie hier Farbe bekennen, welche alternative Steuer Sie hier vorschlagen.

(Windelen [CDU/CSU] : Das ist Ihnen jetzt erst eingefallen! — Eilers [Wilhelmshaven] [CDU/CSU] : Herr Vohrer, was wollen Sie denn?)

— Herr Eilers, ich habe hier darauf hingewiesen, daß die Gewerbesteuer wegen ihrer prozyklischen Wirkung als Kommunalsteuer problematisch ist.

(Dr. Zeitel [CDU/CSU]: Liefern Sie uns doch einmal ein Konzept!)

Ich kann mir vorstellen, nachdem die Gewerbesteuer sowieso überwälzt wird, daß die Wirkung der Mehrwertsteuer der Gewerbesteuer am ähnlichsten wäre. Die zweite Alternative mit der Einkommensteuer müßte in der Diskussion gleichwertig gesehen werden. Wir sind bereit in eine solche sachliche Diskussion mit Ihnen einzutreten, aber Sie sollten nicht draußen den Eindruck erwecken, als ob Sie ein Patentrezept mit der Abschaffung der Gewerbe-
steuer brächten, ohne daß Sie gleichzeitig sagen, wodurch Sie die Mittel substituieren wollen.

(Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Aber Herr Vohrer, das habe ich Ihnen doch gesagt!)

— Herr Zeitel, womit wollten Sie die Mittel substituieren?

(Dr. Zeitel [CDU/CSU] : Durch eine Beteiligung an der Mehrwertsteuer! Sie müssen doch zuhören!)

Wenn Sie das gesagt haben, dann können wir das im Protokoll ja nachlesen. Sie werden sehen, daß die Konsequenz 4 % mehr Mehrwertsteuer von Ihnen nicht gezogen wurde, daß diese Konsequenz fehlt. Wenn Sie das jetzt durch Ihren Beitrag hier noch hinzufügen, dann finde ich das ganz hervorragend; denn dann steht immerhin einmal ganz eindeutig im Protokoll, daß Herr Zeitel die Gewerbesteuer durch Mehrwertsteuer ersetzt sehen möchte.

(Zuruf von der SPD: Das zahlen dann die Verbraucher!)

— Genau. Das ist die offene Frage: Wie wirkt sich die Umstellung in den Verbraucherpreisen aus?
Ich freue mich, daß der Beitrag von Herrn Zeitel zu guter Letzt noch dazu geführt hat, daß die finanzpolitische Diskussion ehrlicher und lebhafter wurde. Denn ich habe bis zu diesem Beitrag den Eindruck gehabt, daß die Opposition steuerpolitisch sehr wenig neue Ideen gebracht hat. Wenn jetzt hier von der Opposition noch das klare Bekenntnis kommt, die Gewerbesteuer durch die Mehrwertsteuer ersetzen zu wollen, dann meine ich, es war doch noch eine wertvolle Verdeutlichung ihrer Ziele, die in der weiteren Debatte, wenn die Anträge an die Ausschüsse überwiesen werden, von uns wieder aufgegriffen wird.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712842800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmöle.

Hans Werner Schmöle (CDU):
Rede ID: ID0712842900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich Herrn Kollegen Vohrer herzlich danken, daß er Professor Zeitel noch eine gute Note und damit der Debatte zum Abschluß eine gute Note erteilt hat. Das war sicherlich sehr hoffnungsreich und wir können insofern auch in Zukunft dankbar darauf zurückgreifen.
Ich möchte heute nicht mehr über die finanzielle Situation der Gemeinden sprechen, sondern ein anderes Thema aufgreifen, weil ich glaube, daß die finanzielle Situation ausreichend im Vordergrund gestanden hat. Die Gemeinden haben noch andere Sorgen, sehr drängende Sorgen, die sich in gleicher Weise ebenfalls auf die Erhaltung der Selbstverwaltung entsprechend dem Verfassungsgebot auswirken. Ich möchte es in Verbindung bringen mit der Erfahrung, die wir gerade in den letzten Tagen bei einem Planspiel in Wuppertal gemacht haben, auf das Minister Ravens zurückgekommen ist, in Verbindung auch mit der Praktikabilität der Durchführung von Verwaltungsmaßnahmen, die wir



Schmöle
als Bundesgesetzgeber schließlich den Gemeinden auferlegen. Wir sollten in dieser Debatte grundsätzlich beachten, daß ein wesentlicher Unterschied zwischen den Gemeinden und den Gesetzgebern Bund und Land darin besteht, daß die Gemeinden sich ihre Aufgaben in der Regel nicht selbst aussuchen können, sondern diese Aufgaben von oben zugeteilt erhalten, und daß sie sich auf der anderen Seite auch ihre finanziellen Zuwendungen nicht selbst aussuchen können, sondern darauf angewiesen sind, was ihnen der Bundes- oder Landesgesetzgeber zuteilt.
In den vergangenen Jahren haben nahezu alle Bundesländer die Gebietsreform durchgeführt. Dein Bürger ist diese Gebietsreform überall als Verwaltungsreform verkauft worden und damit sind bestimmte Erwartungshorizonte geweckt worden. Die Bürger haben unter dieser Gebietsreform verstanden, daß die geschaffenen größeren Verwaltungseinheiten auch eine bessere, sachgerechtere und kostengünstigere Verwaltung gewährleisten. Damit ist zugleich der Ruf nach einer Funktionalreform der Verwaltung laut geworden.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Es stellt sich die Frage nach deren Voraussetzungen und Inhalt. Es stellt sich gerade an den Bundesgesetzgeber, den wir vertreten, die Frage, ob und wie er seine Gesetzgebungsarbeit den Bedürfnissen einer rationellen Verwaltung anpassen kann.
Die Funktionalreform stellt nicht nur die Frage nach der Zuordnung und Zuständigkeit der Neugliederung oder der Neuorganisation von bestimmten Verwaltungsebenen und ihrer parlamentarischen Kontrolle. Sie stellt ebensosehr die Frage nach der Praktikabilität der Gesetze, nach eindeutigen Begriffsbestimmungen der gesetzlichen Rechtsnormen, welche den Kommunalpolitikern klare Entscheidungsgrundlagen, der Verwaltung auslegungssichere Handlungsmöglichkeiten und nicht den Verwaltungsgerichten das letzte Wort geben.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

weil die politischen Entscheidungsprozesse die Einigung auf unbestimmte Rechtsbegriffe viel leichter machen als auf klare Rechtsbegriffe. Sie stellt die Forderung nach zuverlässiger Zuständigkeitsregelung und schließlich, das ist deutlich geworden, nach Sicherung einer ausreichenden Finanzierung. Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, wir alle sollten dabei einige selbstkritische Fragen stellen. Ich sage es sehr bewußt: wir alle; denn die Kommunen draußen haben überhaupt nichts davon, wenn wir gegeneinander überlegen, was auf dieser oder jener Seite vorgebracht werden kann, sondern nur etwas, wenn von uns Verwaltungserleichterungen vorgeschlagen werden können. Achten wir deshalb als Bundesgesetzgeber auf ausreichende Praktikabilität unserer Gesetze.

(Waltemathe [SPD]: Dafür haben wir ja das Planspiel gemacht!)

— Hier komme ich gerade darauf, Herr Kollege Waltemathe, was wir in den letzten beiden Tagen miteinander erlebt haben. In der Tat, dafür machen wir
Planspiele und ich finde das gut. Nur ziehe ich aus den Planspielen, die gemacht worden sind, eben eine andere Konsequenz, als sie vorhin Minister Ravens gezogen hat, der nämlich gesagt hat, im Grunde hätten die Planspiele ergeben, daß das, was die Bundesregierung als Novelle zum Bundesbaugesetz vorgelegt habe, in dieser Form praktikabel sei.

(Waltemathe [SPD] : Das können Sie auch nicht bestreiten!)

— Doch, ich bestreite das ganz energisch.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU] : Sehr richtig!)

weil nämlich die Planspiele ergeben haben, daß die Praktiker gesagt haben: Das, was wir vorgelegt bekommen haben, ist in allen Bereichen sehr wenig praktikabel. Und sie haben in der Gesetzgebungsarbeit entschieden Veränderungen und Verbesserungen gefordert.
Die zweite Frage, meine Damen und Herren, ist: Achten wir auf klare Rechtsbestimmungen? Oftmals — und das geht uns alle an — sind wir geneigt, bei der Formulierung der Gesetze unklare Rechtsbestimmungen zu nehmen, damit der politische Einigungskompromiß leichter möglich wird. Das trifft die Gemeinden in der Regel dann so, daß die Verwaltungsarbeit sehr schwierig wird und die Verwaltungsgerichte das letzte Wort haben. Ich will hier ein Beispiel nehmen, das allerdings nicht aus der letzten Zeit stammt, auch ein Beispiel aus dem Bundesbaugesetz.
Im Bereich des Erschließungsbeitragsrechts ist beispielsweise der Begriff geprägt worden, daß die Erschließungsbeitragspflicht dann entsteht, wenn die Erschließungsanlagen endgültig hergestellt sind. Wir wissen alle, daß ein großer Teil der Schwierigkeiten, die die Gemeinden in ihrer finanziellen Situation haben, auch dadurch entstanden ist, daß eben dieser unbestimmte Rechtsbegriff für die Gemeinden zu einer ungeheuren Anzahl von Prozessen geführt hat und es eben nicht ermöglicht hat, daß man die Erschließungsbeiträge schnell hereinbekommt.

(Waltemathe [SPD] : Wen kritisieren Sie denn jetzt?!)

— Entschuldigung, sehen Sie es als meine Aufgabe an, daß ich hier ausschließlich die Regierungskoalition kritisiere? Ist es nicht möglich, hier zu sagen, welche Aufgaben der Gesetzgeber insgesamt erfüllen muß, um den Gemeinden eine Verwaltungsarbeit zu ermöglichen, die den Ansprüchen, die an eine rationelle und moderne Verwaltung gestellt werden müssen, generell genügt?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Eine weitere Frage, die ich stellen möchte, ist die nach den zuverlässigen Zuständigkeitsregelungen. Auch das ist wieder eine Frage aus der aktuellen Diskussion, die wir in den vergangenen Tagen geführt haben und wo wir festgestellt haben, daß etwa die Bestimmungen im Bundesbaugesetz — Herr Kollege Jahn hat darüber heute gesprochen — die Planungshoheit der Gemeinden sehr häufig dadurch aushöhlen, daß die Aufsichtsbehörden hier eben nicht mehr nur die Rechtsaufsicht, sondern auch die



Schmöle
Fach- und Sachaufsicht ausüben und insofern die Selbstverwaltungsaufgabe der Planungshoheit absolut unterhöhlen. Ich sage das alles in diesem Zusammenhang, weil ich der Auffassung bin, daß wir hier zusammen überlegen müssen, wie man den Gemeinden praktikable Gesetze an die Hand geben kann.
Ich möchte als Fazit ziehen, daß die Gesetzgebungsarbeit, die dieses Hohe Haus leistet, die Verwaltungsarbeit oftmals vermehrt, weil sie häufig unpraktikabel ist.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712843000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Waltemathe?

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID0712843100
Herr Kollege Schmöle, nachdem Sie nun den Gesetzgeber insgesamt kritisiert bzw. Forderungen an ihn gestellt haben, auf das Bundesbaugesetz eingegangen sind und da der Herr Kollege Dr. Schneider bereits am 15. Dezember 1973 angekündigt hat, es werde eine Alternative der Opposition geben, darf ich fragen: Wann beispielsweise kommt Ihre Gesetzesinitiative zum Bundesbaugesetz auf den Tisch dieses Hauses?

Hans Werner Schmöle (CDU):
Rede ID: ID0712843200
Herr Kollege Waltemathe, das ist genau unsere Auffassung gewesen: daß wir zunächst einmal von sachkundigen Praktikern erfahren wollten, was sie zu dieser Novelle des Bundesbaugesetzes bezüglich der praktischen Arbeit sagen würden.

(Waltemathe [SPD] : Sie meinen: Erst das Planspiel und dann den Gesetzentwurf?!)

— Nein, nein. Sie wissen sehr gut, daß wir verschiedene praktische Vorschläge, etwa zum Bereich des Planungswertausgleichs, der Abschöpfung der planungsbedingten Wertsteigerung, vorgelegt haben, wobei wir uns aber sehr wohl dessen bewußt waren, welche Schwierigkeiten das geben würde. Das schließlich hat das Planspiel wohl auch für alle gezeigt.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal sagen: Die Gesetzgebungsarbeit vermehrt die Verwaltungsarbeit, weil sie häufig unpraktikabel ist; sie lähmt die Entscheidungsfähigkeit der kommunalen Parlamente, weil sie oftmals unpräzise ist, und macht diese dadurch mehr und mehr von Verwaltungsauskunft und verwaltungsgerichtlicher Entscheidung abhängig; sie überlastet die Verwaltungsgerichte und schiebt dadurch Entscheidungsfristen ungebührlich lange hinaus und bewirkt Rechtsunsicherheit bei Bürgern, Kommunalparlamenten und Verwaltung. Sie beschäftigt schließlich durch unklare Zuständigkeiten verschiedene Verwaltungsebenen in gleichem Umfang mit gleichen Vorgängen, und sie belastet letztlich die Kommunen mit finanziellen Verpflichtungen, ohne deren Finanzierung zu regeln. Sie schafft durch immer größere Subventionsverwaltungen neue Verwaltungsebenen, ungenaue Entscheidungskompetenzen und höhlt damit die Selbstverwaltung aus. Kurzum: sie macht die Verwaltung teurer, komplizierter, undurchschaubarer und rechtsunsicherer.
Ich möchte nach den Konsequenzen fragen, die für uns daraus zu ziehen sind. Zunächst glaube ich, daß bei der Gesetzgebungsarbeit eine stärkere Beteiligung der Kommunalpraktiker am Gesetzgebungsverfahren dringend erforderlich ist. Wir haben in unserem Antrag gefordert, daß die kommunalen Spitzenverbände entsprechend eingeschaltet werden müssen. Ich bin der Auffassung, daß darüber hinaus die Praktiker selbst bei der Gesetzgebungsarbeit mitbeteiligt werden müssen.
Zweitens. Ich glaube, daß die Delegation von Entscheidungsbefugnissen — Herr Minister Groß hat vorhin darauf hingewiesen durch Entkrampfung des Aufsichtswesens eine sehr dringende Notwendigkeit wäre; denn eine höhere Behörde bedeutet nicht gleichzeitig auch höhere oder weisere Erkenntnis.
Drittens meine ich, daß die Beachtung dieser Notwendigkeiten — das scheint mir eine sehr wichtige Aufgabe zu sein auch bei den Rechtsverordnungen erfolgen muß, die von den Ministerien erlassen werden. Schließlich glaube ich, daß die Finanzausstattung in diesem Rahmen für die Gemeinden eine wesentliche Aufgabe sein wird.
Daß wir heute in wesentlichen Fragen der Beurteilung bezüglich der Situation der Kommunen zu gleicher Auffassung gekommen sind, läßt den Schluß zu, daß es Aufgabe der Regierung ist, im Rahmen der Verteilungsgerechtigkeit Vorschläge darüber vorzulegen, wie die Gemeinden finanziell in die Lage versetzt werden sollen, ihre Aufgaben besser als bisher durchzuführen. Wir sind offensichtlich gemeinsam zu der Auffassung gekommen, daß es auch Aufgabe der Regierung ist, die Praktikabilität von Gesetzen vorher durchzuprüfen, weil die Regierung diejenige Organisation ist, die in bezug auf die Gesetzgebungsarbeit in der Vorhand ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712843300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Krockert.

Horst Krockert (SPD):
Rede ID: ID0712843400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition hat es in dieser heutigen Debatte unternommen, die Solidität des Bemühens dieser von uns vertretenen Bundespolitik zugunsten der Gemeinden in Zweifel zu ziehen. Die Opposition mag darin ihre Aufgabe sehen; dazu will ich nichts sagen. Sie hat es aber auch unternommen, dies am Beispiel unserer Bodenrechts- und Städtebaupolitik zu tun und es ausgerechnet daran aufzuhängen. Dies hätte die Opposition besser nicht getan.
Die Interessen unserer Gemeinden sind bei unserer Politik gut aufgehoben. Es ist der Opposition insbesondere nicht gelungen, ein Angebot zu unterbreiten, das in den Gemeinden den Glauben erwecken könnte, daß dies etwa bei ihr und ihrer politischen Konzeption besser der Fall wäre.
In den Gemeinden wird allgemein anerkannt, was diese Koalition insbesondere auf dem Gebiet des Städtebaus und der Bodenrechtspolitik bisher geleistet hat und noch vorhat. Das findet in den Ge-



Krockert
meinden allgemein Zustimmung. In den Gemeinden ist andererseits nicht vergessen worden, daß die Einreden der Opposition dagegen von einem Mißtrauen gegen die Gemeinden durchsetzt und gekennzeichnet waren, bezüglich der Wahrnehmung des Rechts, nein der Verpflichtung, das Allgemeinwohl in der Abwägung gegen private Interessen zu schützen und durchzusetzen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712843500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Zeitel?

Dr. Gerhard Zeitel (CDU):
Rede ID: ID0712843600
Herr Kollege, glauben Sie wirklich, daß dies bei einem Wohnungshaldenbestand von über 200 000 eine gute Politik ist?

Horst Krockert (SPD):
Rede ID: ID0712843700
Herr Präsident, Herr Kollege Zeitel versucht, an einem Punkt besonderer Schwierigkeit die Vorstellung zu retten, daß die Politik dieser Koalition zugunsten der Städte und Gemeinden zweifelhaft wäre oder Kritik verdienen würde. Herr Kollege Zeitel, Sie übersehen — ich muß angesichts Ihres Intelligenzstandes annehmen: nicht ohne Absicht und nicht ohne Wissen —, daß die Schwierigkeiten, denen wir auf diesem Gebiet begegnen, nicht der Ausfluß und nicht das Ergebnis dieser Politik sind, daß wir aber auf der anderen Seite sehr wohl in der Lage sind, auf diese Schwierigkeiten eine Antwort zu finden.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, ich betone: In den Gemeinden ist nicht vergessen worden, daß in den Debatten, zumal hier im Hause — ich erinnere an die Auseinandersetzung über das Städtebauförderungsgesetz —, Ihre Einreden gegen unsere Politik und gegen die Vorlagen der Bundesregierung von Mißtrauen gegen die Gemeinden gekennzeichnet waren. Das haben die Gemeinden nicht vergessen. Dies wiederholt sich jetzt in der Auseinandersetzung über das Bundesbaugesetz.
Dieser Ihr Versuch, auch heute wieder Zweifel daran zu erwecken, daß unsere Städtebau- und Bodenrechtspolitik die Interessen der Gemeinden am besten wahrnimmt, auf jeden Fall besser als das, was Sie auf diesem Gebiet bis jetzt geleistet haben und in Aussicht stellen, ist mißraten. Erstens haben Sie kein besseres Angebot einer bundespolitischen Konzeption auf den Tisch legen können. Zweitens beschränkte sich das, was Sie zu diesem Thema sagen konnten, im Grunde auf den Hinweis, die Regierungsentwürfe — beispielsweise zum Bundesbaugesetz, Herr Kollege Schmöle — seien verbesserungsbedürftig. Ja, dies wird von der Bundesregierung und auch von uns nicht bestritten.
Ich muß Ihnen als Parlamentarier sogar sagen: Es erfüllt mich mit Genugtuung, daß wir — ich nehme an, zusammen — auch an dieser Vorlage beweisen können, daß das Parlament noch zu etwas da ist und daß das endgültige Gesetz wie in vielen Fällen auch in diesem Fall sicher noch ein bißchen besser aussehen wird als der Regierungsentwurf. Alles, was Sie an Einzelbeispielen genannt haben, fällt darunter. Ganz gewiß werden wir diese Vorlage verbessern. Ganz gewiß rechnet auch die Bundesregierung damit, daß im weiteren Verlauf der Beratungen über diese Entwürfe Verbesserungen zustande kommen. Dies ist kein Nachweis für eine schlechte Regierung oder eine schlechte Regierungspolitik. Auch insofern ist Ihnen der Nachweis nicht gelungen.
Ich anerkenne, daß Herr Kollege Schmöle in seinen Darlegungen, sagen wir einmal, ein Klima der allgemeinen Selbstkritik zugrunde legen wollte. Dies war sicher richtig. Aber auch all das, was er gesagt hat etwa bezüglich des Verwaltungsaufwandes, der durch Einzelheiten des Bundesbaugesetzes entstehen könnte; auch sein Hinweis auf Zuständigkeitsregelungen, ebenso sein Hinweis darauf, daß die Abhängigkeit der Gemeinden von einer bloß grundsätzlichen Kontrolle und Aufsicht, durch eine sachbezogene Aufsicht der vorgeordneten Behörden etwa bedroht sein könnte —, bestätigt im Grunde nur, daß die Gemeinden auch von uns mit der Advokatur zugunsten ihrer Autonomie vertreten werden, die nicht eingeschränkt werden wird, auch nicht durch das Bundesbaugesetz.
Meine Damen und Herren, das in diesem Zusammenhang immer wieder genannte Beispiel der Entwicklungsgenehmigung ist dann falsch, wenn es mit der Absicht zitiert wird, zu unterstellen, hier würde gerade eine solche Umkehrung der Abhängkeit geschaffen. Das ist nicht der Fall. Vor allem die Entwicklungsgenehmigung ist ein Instrument im Interesse der Gemeinden, damit sie sich nämlich gegen ganz bestimmten Druck von privater Seite zur Wehr setzen können, wenn nämlich in den Planungsprozeß eingegriffen wird, um ganz bestimmte Interessen durchzusetzen.
Meine Damen und Herren, Sie haben in dieser Debatte sehr viel von Geld geredet. Wir reden vom Recht, und zwar vom Recht der Gemeinden, das in Schutz zu nehmen ist und verstärkt werden muß gegen privates Interesse, wobei die Gemeinde der Wahrer des Allgemeinwohls ist. Dies ist von uns immer unterstrichen worden, und es ist nachdrücklich durch Verbesserungen des Städtebau- und Bodenrechts gewährleistet worden. Darin wollen wir fortfahren.
Ich schließe, meine Damen und Herren, mit einem Appell an die Opposition: Gehen Sie in sich! Suchen Sie doch bitte die Möglichkeiten oppositioneller Selbstdarstellung nicht ausgerechnet da, wo die Leistungen der Koalition für die Gemeinden so unbestritten anerkannt werden wie gerade auf dem Gebiet der Städtebau- und Bodenrechtspolitik!

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712843800
Meine Damen und Herren, nach dem letzten Appell zur Selbstbesinnung der Herr Bundesinnenminister.

Dr. Werner Maihofer (FDP):
Rede ID: ID0712843900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß Ihre Erwartungen enttäuschen; denn ich möchte mich — auch im Namen von Herrn Kollegen Apel — am Ende dieses langen Tages ganz einfach



Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer
bei den Kollegen der Regierungs- und Oppositionsfraktionen für die fruchtbare Aussprache ausdrücklich bedanken. Sie haben in vielen Grundsatzfragen der Kommunalpolitik, wie ich meine, erfreuliche Übereinstimmungen auf allen Seiten des Hauses sichtbar gemacht. Ich meine, wir können diese Aussprache trotz aller dezidierten Kritik von seiten der Opposition — die ihr gutes Recht, ja ihre Pflicht ist — in dem Bewußtsein schließen, in Regierung und Parlament zumindest in der Absicht übereinzustimmen, Anteil und Gewicht der Gemeinden im Staatsaufbau unseres föderativen Systems in konstruktiver Interpretation von Art. 28 unseres Grundgesetzes weiter zu stärken.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712844000
Herr Bundesinnenminister, der allgemeine Beifall zeigt Ihnen, daß wir das als einen guten Beitrag zur Debatte angesehen haben.
Ich schließe die Aussprache.
Es liegen drei Entschließungsanträge vor.
Ich beginne zunächst mit dem Entschließungsantrag Drucksache 7/2741. Ich gehe davon aus, daß die Vorlage dem Innenausschuß — federführend — und wegen des letzten Absatzes dem Geschäftsordnungsausschuß — mitberatend — überwiesen wird.
Ich schlage Ihnen ferner vor, die Drucksache 7/2744 -- federführend — dem Geschäftsordnungsausschuß und — mitberatend — dem Innenausschuß zu überweisen entsprechend den Intentionen der Antragsteller.
Darüber hinaus schlage ich Ihnen vor, den letzten Antrag Drucksache 7/2745 dem Innenausschuß zu überweisen und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. —
Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Damit, meine Damen und Herren, ist Punkt 8 der heutigen Tagesordnung abgeschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sortenschutzgesetzes
— Drucksache 7/596 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/2751 — Berichterstatter: Abgeordneter Löffler
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß)

— Drucksache 7/2706 —Berichterstatter: Abgeordneter Sander
Abgeordneter Dr. Ritgen

(Erste Beratung 39. Sitzung)

Das Wort zur Ergänzung des Berichts wünscht Herr Abgeordneter Sander.

Engelbert Sander (SPD):
Rede ID: ID0712844100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte vorweg um Nachsicht, aber die Rede wird nicht länger als drei Minuten dauern. Ich glaube, das entschuldigt dann zugleich.
Mit der Verabschiedung des Änderungsgesetzes zum Sortenschutzgesetz will der Gesetzgeber das Sortenschutzgesetz den seit 1968 auf nationaler und internationaler Ebene eingetretenen Entwicklungen anpassen. Um das erreichen zu können, muß eine ganze Reihe von komplizierten Fragen geregelt werden. Ein Blick in die Beratungsergebnisse des Ausschusses verdeutlicht das in eindrucksvoller Weise. Ich möchte aber darauf verzichten, an Hand von Einzelbeispielen hier die schwierige Problematik zu veranschaulichen. Jedes Beispiel würde ein Spezialthema für sich sein und wäre sicherlich nur interessant für die Pflanzenschutzexperten dieses Hauses, die ohnehin heute abend hier nicht mehr anwesend sind.
Aber lassen Sie mich als Berichterstatter noch etwas anderes anfügen. Für die Entscheidungen des Ausschusses waren von großem Wert zunächst die Aussagen jener Sachverständigen, die sich Anfang des Jahres in einer Anhörung vor dem Ausschuß zu den einschlägigen Fragen geäußert haben. Dann muß ich in diesem Zusammenhang erwähnen die Fachverbände, die einzelnen engagierten Züchter und Vermehrer, und ich möchte auch nennen die Vertreter des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, des Bundessortenamtes und des Kartellamtes. Sie alle haben mitgeholfen, dieses Gesetz zustande zu bringen. Dafür sei ihnen an dieser Stelle herzlich gedankt.
Meine Damen und Herren, wie Sie aus den Beschlüssen des Ausschusses ersehen, ist der Ausschuß auch in einigen gravierenden Fragen nicht den Vorstellungen der Regierung oder den Vorstellungen der Verbände gefolgt. Immer wieder stand der Ausschuß vor der Aufgabe, die Interessen eines Wirtschaftszweiges gegen die Interessen der Allgemeinheit abzuwägen. Auch dieses Gesetz stellt insoweit einen Kompromiß dar. Darin besteht ja wohl auch die wesentliche Aufgabe eines jeden Parlaments. Trotzdem hoffe ich, daß es uns in langer Arbeit gelungen ist, im großen und ganzen eine ausgewogene Lösung für alle Beteiligten zu finden.
Diejenigen, die in Zukunft mit diesem Gesetz arbeiten müssen, darf ich um Verständnis für diese Haltung des Parlaments bitten. Wir werden in den nächsten Wochen das noch fehlende Kostengesetz und die noch ausstehende Novelle zum Saatgutverkehrsgesetz beraten und verabschieden. Damit dürfte dann ein nicht unwichtiges Rechtsgebiet vorerst seinen befriedigenden Abschluß gefunden haben.

(Beifall)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712844200
Meine Damen und Herren, ich darf dem Herrn Berichterstatter und den übrigen beteiligten Bericht-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 128. Sitzuna. Bonn, Donnerstag, den 7. November 1974 8663
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
erstattern und Mitberichterstattern sehr herzlich danken.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe auf Art. 1, 2, 3, 4, 5, 6, Einleitung und Überschrift. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Wir kommen zur dritten Beratung.
Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird in der dritten Beratung nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist in dritter Beratung einstimmig angenommen.
Es liegen keine weiteren Ausschußanträge dazu vor, so daß ich nunmehr Punkt 9 der heutigen Tagesordnung aufrufen kann:
Beratung des Antrags des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß) zu den durch die Deutsche Delegation in der Nordatlantischen Versammlung zur Unterrichtung übermittelten Berichten
— Drucksachen 7/1396, 7/1636, 7/2669 — Berichterstatter: Abgeordneter Mattick
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Mattick als Berichterstatter.

Kurt Mattick (SPD):
Rede ID: ID0712844300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Absicht, den Bericht schriftlich zu hinterlegen, ist, wie ich sagen muß, leider mit Recht vom Präsidenten abgelehnt worden. Ich wollte Ihnen eigentlich diese Zeit ersparen.
Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt Ihnen, die vorliegenden Drucksachen, die der Präsident soeben genannt hat, zustimmend zur Kenntnis zu nehmen. Es handelt sich um den Bericht des Ausschusses der Neun und um die Empfehlungen und Entschließungen, die die Nordatlantische Versammlung auf ihrer 19. Jahrestagung in Ankara angenommen hat. Insbesondere der Bericht des sogenannten NeunerAusschusses der Nordatlantischen Versammlung verdient die Aufmerksamkeit des Hauses.
Wie Ihnen sicherlich bekannt ist, hat die Nordatlantische Versammlung auf ihrer 17. Jahrestagung im September 1971 in Ottawa einen Ausschuß von neun international anerkannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus Italien, Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland, Großbritannien, USA, Norwegen und Kanada unter Vorsitz des amerikanischen Senators Javits eingesetzt, um die Zukunft der Atlantischen Allianz und die Rolle der Nordatlantischen Versammlung eingehend zu untersuchen. Die zentrale Aufgabe bestand nach Auffassung des Neuner-Ausschusses darin, eine gründliche Neubewertung der Beziehungen zwischen Westeuropa und Nordamerika auf sicherheitspolitischem, wirtschaftlichem, politschem und interparlamentarischem Gebiet vorzunehmen und Empfehlungen für die Verstärkung der Beziehungen zwischen Amerika und Europa im Hinblick auf die Herausforderungen und Möglichkeiten der nächsten zehn Jahre zu formulieren.
Die Ergebnisse der Untersuchung, die in den beiden folgenden Jahren vorgenommen wurden, liegen Ihnen heute vor. Sie sind zwar zum Teil von den jüngsten Ereignissen inzwischen überrollt wie durch den Nahostkrieg und seine Folgewirkungen, durch die im Frühjahr dieses Jahres geführte atlantische Debatte sowie durch die atlantische Erklärung vom Juni dieses Jahres; aber auch heute noch stellt der Bericht eine durchaus wertvolle Diskussionsgrundlage dar. Es bleibt die Aufgabe bestehen, im Lichte der jüngsten Ereignisse, von denen ich sprach, die Schlußfolgerung des Berichts neu zu durchdenken und zu konkretisieren. Dies wird heute vielleicht sogar leichter sein, als es zu der Zeit war, als der Bericht abgefaßt wurde.
Der Bericht wurde — das ist unübersehbar — unter dem überragenden Eindruck handels- und währungspolitischer Spannungen zwischen den USA und Westeuropa noch vor der Öl-, Energie- und Rohstoffkrise geschrieben. Erst der Yom-Kippur-Krieg brachte diese Krise ganz in unser Bewußtsein. Heute sind wir mit den Beschlüssen der Washingtoner Energiekonferenz sowie mit der atlantischen Erklärung vom Juni dieses Jahres schon ein gutes Stück bei der Neuformulierung des atlantischen Verhältnisses weitergekommen. Die weiteren Überlegungen werden auf diesem konkreten Ergebnis aufbauen können.
Ich möchte hier einige Ergebnisse des NeunerBerichts hervorheben, die für das Haus von besonderer Bedeutung sind. Der Bericht hebt in einer allgemeinen Einleitung insbesondere die Veränderungen in der Weltpolitik in den letzten fünf bis sechs Jahren hervor und weist auf die Notwendigkeit hin, die atlantische Allianz an diese Entwicklungen anzupassen.
Im einzelnen sind folgende Ergebnisse von Bedeutung, die das Haus noch weiter beschäftigen sollten. Angesichts der strategischen Parität zwischen den USA und der Sowjetunion sowie waffentechnologischer Entwicklungen wird eine Überprüfung der Strategie und der Taktik der Allianz gefordert. In diesem Rahmen muß nach Ansicht des Neuner-Komitees auch eine Überprüfung der Strategie der flexiblen Reaktion vorgenommen werden.
Als Konsequenz der Entwicklung der europäischen Integration, insbesondere der Erweiterung, wird angeregt, die Zusammenarbeit der westeuropäischen Länder auf dem Verteidigungssektor — vor allem auf dem Gebiet der Rüstung — zu intensivieren. Der Bericht schließt auch die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der nuklearen Waffen in Westeuropa nicht aus und enthält den Vorschlag, auch diese Zusammenarbeit zu verstärken. Insgesamt wird als Ziel eine größere Selbständigkeit Westeuropas im Verteidigungsbereich empfohlen.
Bei der Erörterung der militärischen Lage des Bündnisses wird ferner mit besonderem Nachdruck



Mattick
auf das militärische Ungleichgewicht in den Flankenländern der NATO hingewiesen. Unter Hinweis auf die laufenden Verhandlungsprozesse zwischen Ost und West — z. B. SALT, KSZE und MBFR — wird darauf hingewiesen, daß die Mitgliedstaaten des Bündnisses eine gemeinsame Vorstellung darüber entwickeln sollten, wie die Struktur der europäischen Sicherheit beschaffen sein müßte, die sich aus den derzeitigen Verhandlungen ergeben soll.
Ein Teil der Sorgen, die hier bei der Prüfung der Sicherheitslage der Allianz zum Ausdruck kommen, ist uns allen vertraut. Die neuen Vorschläge im Hinblick auf die Anpassung der Allianz, die hier gemacht werden — einige habe ich genannt —, bedürfen jedoch weiterer Erörterungen. Dazu wird während der bevorstehenden Jahrestagung der Nordatlantischen Versammlung, die nächste Woche in London stattfindet, eine erste Gelegenheit bestehen.
Wie schon gesagt, ist der Bericht deutlich unter dem Eindruck der handels- und währungspolitischen Spannungen abgefaßt worden, die besonders in der ersten Hälfte des Jahres 1973 die europäisch-amerikanischen Beziehungen belasteten. In diesem Zusammenhang sind die folgenden im Neuner-Bericht genannten Fragen besonders zu nennen: die Reform des Währungssystems, die Verhandlungen im Rahmen des GATT, die Agrarpolitik, der Abbau von Handelsbeschränkungen, der Ost-West-Handel, Energiefragen und die Hilfe für die Entwicklungsländer.
Ein Teil dieser Probleme ist heute deutlich hinter dem hohen Rang der Fragen zurückgetreten, die sich aus der Energie- und Rohstoffkrise und dem Problem der Nahrungsmittelversorgung besonders benachteiligter Länder, aus der Inflation und der gemeinsamen Sorge um die Arbeitsplätze ergeben. Auch für diese Probleme gilt es, Lösungen zu finden, auch wenn sie den bisherigen Horizont der Allianz überschreiten. Diese Probleme sind auch an anderer Stelle und in anderen Zusammenhängen zu erörtern. Aber ich weise darauf hin, daß mit all diesen Fragen auch das politische Verhältnis zwischen Europa und Amerika angesprochen ist.
Es verdient hervorgehoben zu werden, daß der Neuner-Ausschuß auf politischer Ebene dem gewandelten Ost-West-Verhältnis eine besonders große Bedeutung beimißt. Er hat daraus eine sicherheitspolitische Konsequenz gezogen, die ich hier zitieren möchte, weil sie mir besonders wichtig erscheint. Es heißt dort:
So handelt es sich in der Sicherheitspolitik beispielsweise nicht mehr einfach darum, auf eine von niemandem zu bestreitende militärische Drohung zu antworten, sondern darum, die Erfordernisse der militärischen Sicherheit mit der seit langem erwarteten Verbesserung des Ost-West-Verhältnisses zu vereinbaren. Diese Aufgabe ist viel schwieriger und viel komplexer als in der Vergangenheit, da im Laufe des nächsten Jahrzehnts die Sicherheitspolitik Europas und Amerikas im wesentlichen darin bestehen wird, zwei scheinbar entgegengesetzte
Ziele gleichzeitig zu verfolgen: Aufrechterhaltung eines angemessenen militärischen Gleichgewichts und Förderung der Entspannungsbemühungen mit einem Gegner, der dadurch zugleich zum Partner wird. Die grundlegende These der europäisch-amerikanischen Sicherheitspolitik lautet, daß Entspannung und Verteidigung einander ergänzen und nicht einander widersprechen. Eine solche Aufgabe erfordert jedoch Politik auf höchster Ebene und einen breiten Rückhalt in der Öffentlichkeit.
Der Bericht stellt weiter fest, daß im europäischamerikanischen Verhältnis in bezug auf die Ost-West-Beziehungen eine Basis geschaffen worden ist, die auf eine Konsolidierung der friedlichen Koexistenz und auf eine sinnvolle Entspannung in den nächsten Jahren hoffen läßt. Ich möchte die Feststellung, daß zwischen Europa und Amerika im Prinzip eine Konvergenz der Interessen hinsichtlich des Ost-West-Verhältnisses zu verzeichnen ist, hier noch einmal besonders hervorheben. Der Ausschuß empfiehlt weiter, im Rahmen der atlantischen Allianz auch eine gemeinsame China-Politik zu entwikkeln. Eine Zusammenarbeit der atlantischen Nationen wird ferner auf dein Gebiet der Entwicklungs-hilf e und im Umweltschutz empfohlen. Auch wird eine stärkere Zusammenarbeit aller westlichen Industrienationen angeregt. Insgesamt wird als Konsequenz aus den neuen politischen Entwicklungen die Aufforderung an uns alle abgeleitet, den europäisch-amerikanischen Beziehungen eine neue politische Orientierung zu geben.
Als Leiter der Deutschen Delegation in der Nordatlantischen Versammlung ist es mir eine Freude gewesen, festzustellen, daß der Neuner-Bericht der interparlamentarischen Zusammenarbeit ein besonders großes Gewicht beigemessen hat. Die Intensivierung dieser Zusammenarbeit wird noch weiter Gegenstand unserer Erörterung in der Nordatlantischen Versammlung und sicher auch in diesem Hause sein. Die Nordatlantische Versammlung ist, wie es im Bericht heißt, die einzige Instanz, in der regelmäßig Sitzungen von Parlamentariern Westeuropas und Nordamerikas stattfinden. Dieser Besonderheit kommt in einer Zeit, da die transatlantischen Beziehungen — infolge der Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft und anderer aktueller Ereignisse auf der Weltbühne — in starkem Wandel begriffen sind, größte Bedeutung zu.
Der Nordatlantischen Versammlung wird empfohlen, die Handels-, Währungs- und Energiefragen sowie die Ost-West-Beziehungen, die Entwicklungshilfe und das europäisch-amerikanische Verhältnis erneut zu untersuchen. Ferner wird ein Kontaktgremium auf hoher Ebene aus der gleichen Anzahl von europäischen und amerikanischen Mitgliedern der Nordatlantischen Versammlung vorgeschlagen, das sich laufend mit den Beziehungen zwischen den USA und Europa befassen soll. Schließlich wird — und das möchte ich unterstreichen — die offizielle Anerkennung der Nordatlantischen Versammlung als parlamentarisches Gremium der Allianz durch ein Protokoll oder eine Erklärung gefordert.



Mattick
Meine Damen und Herren, die Vorschläge, die im Bericht des Neunerausschusses enthalten sind, sind es wert, mit Aufmerksamkeit aufgenommen und weiter diskutiert zu werden. Dies gilt auch für eine Reihe von Empfehlungen, die die Nordatlantische Versammlung auf ihrer 19. Jahrestagung in Ankara und Instanbul ausgesprochen hat. Diese Empfehlungen liegen Ihnen heute ebenfalls vor. Sie gehen vor allem dahin, die Entspannungsbemühungen zu stützen, dabei die Menschenrechte besonders zu betonen und eine gemeinsame Haltung des Westens bei KSZE und MBFR zu wahren, die US-Präsenz aufrechtzuerhalten und bei MBFR-Gesprächen die NATO-Prinzipien zu wahren.
Darüber hinaus haben auch die einzelnen Ausschüsse der Nordatlantischen Versammlung Empfehlungen ausgesprochen. Der Militärausschuß empfiehlt, das Prinzip der Lastenteilung im Bündnis anzuerkennen und Verfahren zu suchen, mit denen den USA hinsichtlich der Devisenkosten ein verbesserter Ausgleich geleistet werden kann. Dazu wird ein gemeinsamer Fonds empfohlen. Der Militärausschuß empfiehlt weiter, eine Neukonzeption der NATO- Verteidigung einschließlich der strategischen Doktrin zu suchen, eine verstärkte Integration bei der Verteidigung, insbesondere durch die Eurogroup, zu fördern und ein europäisches Rüstungsamt im Rahmen der Eurogroup zu schaffen.
Der Wirtschaftsausschuß empfiehlt, die Tätigkeit der multinationalen Konzerne zu kontrollieren, die wirtschaftliche Zusammenarbeit im Mittelmeerbekken zu intensivieren, die wirtschaftliche Zusammenarbeit auch auf der Ebene des Bündnisses zu verbessern und die Energieversorgung im Bereich des Nordatlantischen Bündnisses zu sichern.
Der Ausschuß für Wissenschaft und Technik empfiehlt eine Verbesserung der Maßnahmen im Anschluß an die Arbeit des Ausschusses für die Aufgaben der modernen Gesellschaft, ein internationales System zur Überwachung des Nordatlantiks durch Satelliten sowie ein Informationssystem im Bereich von Wissenschaft und Technologie.
Meine Damen und Herren, es geht hier nicht darum, eine Einzelwertung der Vorschläge oder Empfehlungen, die in den beiden Vorlagen der Nordatlantischen Versammlung enthalten sind, vorzunehmen. Eine solche Einzelwertung mag durchaus unterschiedlich ausfallen. Auch sind in der Versammlung nicht alle Beschlüsse einstimmig gefaßt worden. Worauf es mir ankommt, ist, daß diese Vorlagen in unseren weiteren Debatten nicht außer acht gelassen werden. Ich bitte Sie -- auch im Namen des Verteidigungsausschusses —, die Vorlagen gemäß dem Antrag des Auswärtigen Ausschusses zustimmend zur Kenntnis zu nehmen.
Ich bitte um Entschuldigung, daß ich dies hier etwas schnell verlesen habe. Ich wollte Ihre Zeit nicht zu lange in Anspruch nehmen. Mir lag daran, Ihnen dies zur Kenntnis zu bringen und es im Protokoll festgehalten zu haben.

(Beifall)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712844400

Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache.
Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! —Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 10 bis 16 der Tagesordnung auf:
10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 3. März 1973 über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen (Gesetz zum Washingtoner Artenschutzübereinkommen)

— Drucksache 7/2626 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 138 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 26. Juni 1973 über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung
— Drucksache 7/2685 --
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 16. Januar 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen über den Transport von Kohlenwasserstoffen durch eine Rohrleitung vom Ekofisk-Feld und benachbarten Gebieten in die Bundesrepublik Deutschland
— Drucksache 7/2686 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft
13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. März 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada über den Luftverkehr
— Drucksache 7/2691
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den rechtlichen Status der Bundeswasserstraße Saar
— Drucksache 7/2692 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 31. Oktober 1973 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Sozialistischen Republik Rumänien über die steuer-



Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
liche Behandlung von Straßenfahrzeugen im internationalen Verkehr
— Drucksache 7/2694 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß (federführend)

Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
16. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. April 1974 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über gegenseitige Unterstützung zur Verhinderung, Ermittlung und Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen die Zollvorschriften
— Drucksache 7/2695 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ich stelle fest, daß das Wort hierzu nicht begehrt wird. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates bitte ich Sie aus der Tagesordnung zu entnehmen. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe die Punkte 17 bis 20 der Tagesordnung auf:
17. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eine
Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Zulassungs- und Eichgebühren bei Gaszählern
Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie Nr. 73 /95/ EWG der Kommission vom 26. März 1973 zur Durchführung der Artikel 13 und 14 der Richtlinie des Rates vom 4. März 1969 zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über den aktiven Veredelungsverkehr
Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1445/72 über das Warenverzeichnis des Außenhandels der Gemeinschaft und des Handels zwischen ihren Mitgliedstaaten (NIMEXE)
— Drucksachen 7/2332, 7/2426, 7/2446, 7/2639 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Burgbacher
18. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Bekämpfung der Nelkenwickler
— Drucksachen 7/2076, 7/2641 —
Berichterstatterin:
Abgeordnete Frau Dr. Riede (Oeffingen)

19. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft
und Forsten (10. Ausschuß) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für
eine Verordnung (EWG) des Rates über reinrassige Zuchtrinder
einen Beschluß des Rates zur Einsetzung eines Ständigen Tierzuchtausschusses
— Drucksachen 7/1849, 7/2670 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Schröder (Wilhelminenhof)

20. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Verkehr und für das Post-und Fernmeldewesen (14. Ausschuß) zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Verlängerung und Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2829/72 des Rates vom 28. Dezember 1972 über das Gemeinschaftskontingent für den Güterkraftverkehr zwischen den Mitgliedstaaten
— Drucksachen 7/2241, 7/2668 — Berichterstatter: Abgeordneter Wendt
Ich frage zunächst, ob einer der Berichterstatter das Wort wünscht? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort in der Aussprache begehrt? — Auch das ist nicht der Fall. Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber über diese Punkte gemeinsam abstimmen? — Ich höre keinen Widerspruch.
Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschußanträge in den Drucksachen 7/2639, 7/2641, 7/2670 und 7/2668. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Ubersicht 10 des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
— Drucksache 7/2644 —
b) Beratung der Ubersicht 11 des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
— Drucksache 7/2688 —Meine Damen und Herren, die beiden Berichte von dem Herrn Abgeordneten Lenz als Ausschuß-vorsitzendem und Berichterstatter liegen Ihnen vor. Ich frage, ob das Wort begehrt wird. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die gleichlautenden Anträge des Ausschusses zu den beiden Vorlagen. Wer den Anträgen des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist so beschlossen.



Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Damit kommen wir zu Punkt 26 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Sicherheitsgurte und Kopfstützen
— Drucksache 7/2349 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
Zur Begründung des Antrags hat das Wort der Herr Abgeordnete Straßmeir.

Günter Straßmeir (CDU):
Rede ID: ID0712844500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Drucksache 7/2349 beantragt die CDU/CSU-Fraktion, durch eine Änderungsverordnung zur Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung, 1. die nachträgliche Ausrüstung mit Sicherheitsgurten für alle im Verkehr befindlichen Pkws in zeitlich gestufter Folge bis zum 1. Juli 1976 vorzuschreiben; 2. Vorschriften über bauartgenehmigte Kopfstützen zu erlassen und 3. die Ausrüstung der Vordersitze von neu zugelassenen Pkws mit bauartgenehmigten Kopfstützen vorzuschreiben.
Ziel des Antrages ist es, die Anzahl der Verkehrstoten und die Anzahl der Verletzten bei schweren und leichten Unfällen auf unseren Straßen entscheidend zu reduzieren. Die CDU/CSU bringt diesen Antrag in der Gewißheit ein, damit einen wichtigen Beitrag für die Verkehrssicherheit auf unseren Straßen zu leisten. Sie bringt diesen Antrag zugleich in der sicheren Erwartung ein, daß er auch die Zustimmung der Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung finden kann.
Dieser Antrag war notwendig, weil uns die bisherigen Anstrengungen der Bundesregierung, wie sie im Verkehrssicherheitsprogramm, das wir ja durch einen gemeinsamen Entschließungsantrag gestützt haben, zum Ausdruck gekommen sind, auf diesem speziellen Sektor der Verkehrssicherheit ergänzungsbedürftig erscheinen. Nach dem gegenwärtigen Sachstand ist lediglich der Einbau von Sicherheitsgurten für Vordersitze in Neuwagen seit dem 1. Januar 1974 vorgeschrieben, und für 1976 ist die Anschnallpflicht für Fahrer in solchen Pkws vorgesehen, die mit Sicherheitsgurten ausgerüstet sind.
Wir glauben, daß dieser zeitliche Verzug nicht vertretbar ist; denn nach diesem Sachstand würde die zur Zeit effektivste Verkehrssicherheitsmaßnahme bei einem durchschnittlichen Alter der zur Verschrottung kommenden Pkws von neun bis zehn Jahren erst 1980 voll zum Tragen kommen.
Hinzu kommt, daß die Bundesrepublik im europäischen Vergleich sehr schlecht abschneidet, weil sie deutlich nachhinkt. Die Bundesregierung steckt Millionen von Mark in Aufklärungsaktionen, die dem Kraftfahrer das Anlegen von Sicherheitsgurten dringend nahelegen. Tatsache aber bleibt, daß wir erst 40 % aller Pkws und Kombis mit Gurten ausgerüstet haben.
Die geltende Einbaupflicht bewirkte zwar einen ansteigenden Prozentsatz, aber eben nur in einer Größenordnung von 7 % pro Jahr. Dies ist entschieden zu wenig, wissen wir doch, daß z. B. die Ausrüstung mit Sicherheitsgurten in Frankreich 50 % aller Pkws umfaßt; in Dänemark 60 %, in der
Schweiz 70 %, in Großbritannien 87 % und in Schweden 98 %. Ich glaube, da können wir uns mit unseren 40 % nicht sehen lassen.
Nach diesen Bemerkungen über die gegebene Sachlage möchte ich noch einige Argumente zur Begründung unseres Antrages anfügen:
Nach allem, was die Experten ermittelt haben, läßt sich mit dem Sicherheitsgurt der mit Abstand höchste Sicherheitseffekt erzielen. Diese Auffassung ist inzwischen unbestritten und wird auch von der Bundesregierung ausdrücklich hervorgehoben. Die unbestrittene These lautet, daß von vier toten Autofahrern noch zwei leben könnten und von vier Schwerverletzten drei nur leicht oder gar nicht verletzt wären, wenn sie im Zeitpunkt ihres Unfalls angegurtet gewesen wären. Diese Erkenntnis, so meinen wir, verpflichtet uns als Verantwortliche, aus unseren technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten die politischen Konsequenzen zu ziehen, indem wir diese Möglichkeiten im Interesse der Menschen voll ausschöpfen.
Wir müssen weiterhin bedenken, daß die Bundesrepublik im Vergleich zu den von mir eben erwähnten Ländern eine dreifache Verkehrsdichte hat. Bei uns dominiert also in besonderer Weise der Auffahrunfall, und genau dafür ist der Sicherheitsgurt der Lebensretter schlechthin. Ich glaube, wir sollten uns nicht nur bemühen, den Rückstand im internationalen Vergleich wettzumachen, sondern wir sollten uns anstrengen, hier einen Vorsprung zu bekommen.
Nach den uns zugänglichen wissenschaftlichen Untersuchungen sind im Jahre 1975 mehr als 90 % der in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeuge mit Haltepunkten für Sicherheitsgurte ausgerüstet. Dazu wird der Prozentsatz der ausrüstbaren Fahrzeuge durch Verschrottung von Altfahrzeugen jährlich 3 bis 5 % betragen. Das bedeutet in der Praxis nichts anderes, als daß bis Mitte 1976 eine stufenweise Nachrüstung der bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeuge mit Sicherheitsgurten möglich ist. In dieser Auffassung werden wir auch vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat, vom HUK-Verband und vielen Experten unterstützt.
Wir kennen den Einwand, daß bisher kein Land die Nachrüstung im Verkehr befindlicher Fahrzeuge angeordnet hat. Dem wäre entgegenzuhalten, daß wir bei der höchsten Verkehrsdichte am Ende des Geleitzuges liegen, was die Ausrüstung der Kraftfahrzeuge mit Sicherheitsgurten anlangt.
Wir kennen den zweiten Einwand, daß es dann immer noch einen kleinen, wenn auch unter 5 % liegenden Bestand von Fahrzeugen gibt, die nur mit unzumutbaren finanziellen Belastungen für die Fahrzeughalter oder gar nicht nachrüstbar wären, daß das meist finanziell schwächere Bevölkerungsgruppen träfe und mithin einer generellen Verordnung im Wege stünde. Auf diesen Einwand muß entgegnet werden: Wenn wir immer warten würden, bis eine Überwachung nahtlos möglich wäre, bis eine gesetzliche Regelung voll anwendbar wäre, gäbe es, so meine ich, auf dem Gebiete des Straßenverkehrs so gut wie keine gesetzlichen Regelungen.



Straßmeir
Wir sollten uns im Pragmatismus an den Erfolgen unserer europäischen Nachbarländer orientieren. Ich meine, wir sollten lieber gemeinsam einen Weg für eine annehmbare Ausnahmeregelung suchen, als auf diesen Maßnahmenkatalog insgesamt zu verzichten.
Wir sind auch in bezug auf die Punkte 2 und 3 unseres Antrages gesprächsbereit, weil wir auch hier davon ausgehen, daß es unter den Fraktionen keinen Meinungsunterschied darüber geben kann, daß der optimale Sicherheitseffekt in der Kombination von Sicherheitsgurt und eingebauter Kopfstütze gegeben ist.
Es ist unser Wunsch, daß wir im Ausschuß offen und frei sprechen und zu einer gemeinsamen Lösung kommen. Ich darf Sie bitten, diesem Antrag die Zustimmung zu geben.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712844600
Damit ist der Antrag begründet. Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Wurche.

Gottfried Wurche (SPD):
Rede ID: ID0712844700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte für die sozialdemokratische Fraktion zu dem eingebrachten Antrag der CDU/CSU folgende Erklärung abgeben, wobei ich mich auf Grund der Länge der heutigen Aussprache kurz fassen und nicht wiederholen möchte, was wir bereits sehr eingehend im Ausschuß für Verkehr beraten haben.
Aber mit Verwunderung — gestatten Sie mir, das so zu bemerken — haben wir zur Kenntnis genommen, daß Sie diesen Antrag eingebracht haben, obwohl wir uns im Ausschuß für Verkehr sehr eingehend über diese Kriterien unterhalten haben.

(Schulte [Schwäbisch Gmünd] [CDU/CSU] : Noch nicht über die Nachrüstung!)

— Wir haben uns, wenn Sie sich erinnern können, bei den Beratungen über das Verkehrssicherheitsprogramm — Drucksache 7/1283 — und über den Antrag der CDU/CSU Drucksache 7/1535 darüber sehr eingehend unterhalten. Daraus ist dann das entstanden, was Kollege Straßmeir mit dem gemeinsamen Antrag meinte. Hier haben wir uns auf einen Maßnahmen-Zeit-Katalog geeinigt, nach dem all diese Dinge bis zum 31. Dezember 1974 von der Bundesregierung abverlangt werden, u. a. auch die Dinge, die Sie angesprochen haben.

(Schulte [Schwäbisch Gmünd] [CDU/CSU] : Die Nachrüstung steht nicht im Sicherheitsprogramm und damit nicht im Entschließungsantrag, auf den wir Bezug nehmen!)

Wir haben uns im Verkehrsausschuß dahin gehend geeinigt, was die Einbaupflicht von Kopfstützen angeht, daß Kopfstützen nur dann von Nutzen sind, wenn sie bestimmten Anforderungen entsprechen; diese — das wissen Sie auch — werden gegenwärtig unter deutscher Beteiligung bei den Europäischen Gemeinschaften festgelegt, um sie als Wirkvorschrift erlassen zu können.
Bezüglich der Sicherheitsgurte wurde uns u. a. auch in der Diskussion erklärt, daß die Bundesregierung die Anlegepflicht nur für solche Kraftfahrzeuge fordern wird, für die Sicherheitsgurte vorgeschrieben sind, also für die ab 1. Januar 1974 neu zugelassenen Fahrzeuge. Die Verpflichtung, vor dem 1. Januar 1974 zugelassene Fahrzeuge ebenfalls mit Gurten auszustatten, kommt erst dann in Betracht, wenn die Prüfung zahlreicher Fahrzeugtypen ergeben hat, daß diese über Verankerungspunkte verfügen, die den technischen Anforderungen genügen.
Wir sind der Meinung, daß wir unter Würdigung der durchzuführenden Verkehrssicherheitsmaßnahmen davon ausgehen können, daß in dem von der Bundesregierung vorzulegenden Maßnahmen-ZeitKatalog Angaben über die zeitlichen Abläufe hinsichtlich des Erlasses von Vorschriften für das Anlegen von Sicherheitsgurten und den Einbau von Kopfstützen enthalten sein werden, mit denen wir uns dann noch sehr eingehend beschäftigen werden.
Wir werden den vorliegenden Antrag — Drucksache 7/2349 —, der unseres Erachtens bereits, wie ich vordem schon erklärte, in dem gemeinsamen Antrag — Drucksache 7/1733 — enthalten ist, im Ausschuß für Verkehr bei Vorlage des Maßnahmen-ZeitKatalogs durch die Bundesregierung mitbehandeln, dabei aber sehr genau darauf achten, daß zu dieser Frage, Ausrüstung der Pkw mit Sicherheitsgurten, die relevanten Verbände und Institutionen gehört werden, um so auch die Meinungen der betroffenen Autofahrer bei den Entscheidungen mit berücksichtigen zu können. Wir hoffen, daß bei den Beratungen im Verkehrsausschuß eine größtmögliche Übereinstimmung, wie es auch Herr Straßmeir meinte, herbeigeführt werden kann.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Schulte [Schwäbisch Gmünd] [CDU/CSU] : Aber heute wißt Ihr noch nicht, was Ihr wollt!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712844800
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat Herr Abgeordneter Hoffie.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0712844900
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Lassen Sie mich für die Freien Demokraten zu dem vorliegenden Antrag folgendes sagen:
Ich glaube, niemand in diesem Haus, kein vernünftig denkender Mensch, wird heute noch bezweifeln können, daß der Sicherheitsgurt die effektivste Maßnahme zur Verhinderung von Tod und Verletzung im Straßenverkehr ist. Von dieser Einsicht ausgehend, ist sicher auch der Schluß logisch, daß der Einbau von Sicherheitsgurten, wie ihn die Bundesregierung für Autos vorschreibt, die nach dem 1. Januar dieses Jahres erstmals zugelassen sind, sich nicht nur auf Neuwagen beschränken kann, sondern auch gerade die älteren Fahrzeuge erfassen muß, bei denen das Sicherheitsrisiko mit zunehmendem Alter immer größer wird. Das Essener Forschungsinstitut Mummert & Partner hat gerade in einer vom ADAC veröffentlichten Repräsentativumfrage dazu festge-



Hoffie
stellt, daß zwar 77 % der bis zu zwei Jahre alten Autos bereits mit Gurten ausgestattet sind, dagegen aber nur 41 % der Pkw, die zwei bis sechs Jahre alt sind, und weniger als ein Drittel der noch älteren Autos. Das ergibt unter dem Strich, daß nicht einmal jedes zweite Auto über die wichtigste Sicherheitsausrüstung verfügt. Insofern ist der Antrag der CDU/CSU sicher völlig unstrittig. Für meine Fraktion erinnere ich in diesem Zusammenhang an unsere entsprechenden Ausführungen in zurückliegenden Aussprachen zur Verkehrspolitik.
Ich glaube aber, einer kritischen Diskussion muß sich der Antrag hinsichtlich der von der Opposition vorgeschlagenen zeitlichen Festlegung für den Nacheinbau von Sicherheitsgurten in die Autos der aufgeführten Baujahrsreihen stellen. Hier sollen nach Auffassung der Opposition innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten zu unterschiedlichen Stichterminen Fahrzeuge aller Altersklassen erfaßt werden. Wir halten die sich daraus ergebende Verunsicherung der Fahrzeughalter wie auch die Probleme, die bei einer notwendigen Kontrolle entstehen, für unzumutbar. Hier sollte man sich wirklich auf einen einheitlichen Termin verständigen können.
Das ist für alle Fahrzeuge, die nach 1970 in den Verkehr gekommen sind, sicher unproblematisch, weil bei praktisch allen diesen Autos entsprechende Verankerungen für Dreipunkt-Sicherheitsgurte ohnehin gegeben sind, wie sie den ECE-Regelungen Nr. 14 entsprechen. Kritisch wird die Nachrüstung aber bei allen älteren Fahrzeugen, weil die notwendige Festigung der Verankerung und die Erreichbarkeit der Bedienteile der Sicherheitsgurte in Frage gestellt ist und von den Herstellern selbst auch nicht gewährleistet wird. Wir werden also dieses Problem im Ausschuß dahin gehend zu diskutieren haben, ob die Oppositionsforderung in diesem Punkt überhaupt haltbar ist; denn Sicherheitsvorkehrungen, die praktische Sicherheit im Endeffekt nicht gewährleisten, nützen niemandem.
Die FDP-Fraktion ist, was diesen Problemkreis anlangt, der Meinung, daß unsere besondere Aufmerksamkeit nicht zuletzt auch der Frage gelten muß, welche Vorschriften für wirkungsvolle Kindersitze gelten müssen. Wir fordern die Bundesregierung deswegen auf, die dazu bei der ECE laufenden Aktivitäten zu intensivieren und auch die begleitenden Forschungsarbeiten zu verstärken. Ich meine, wir müssen endlich dazu kommen, daß diejenigen Kindersitze vom Markt verschwinden, die das Leben eher gefährden als schützen.

(Sehr gut! bei der FDP)

Was die heiß diskutierte Anlegepflicht von Sicherheitsgurten betrifft, wiederholt die FDP ihre Auffassung, daß eine Vereinheitlichung und praxisgerechte Ausgestaltung der Gurte Vorbedingung sein muß. Wir verschweigen allerdings nicht, daß uns die Stellungnahme des diesjährigen Verkehrsgerichtstags in Goslar sympathischer ist, nach der das Anschnallen zwar eine Frage der Logik ist, nicht aber unbedingt ein Glaubenssatz sein muß, und daß eine freiwillige Anlegequote von 80 % eher zu begrüßen ist als ein hundertprozentiger Zwang.
Auch wiederholen wir erneut unsere Auffassung, daß wir die Initiativen der Versicherungsgesellschaften, die zu Leistungssteigerungen für diejenigen bereit sind, die sich anschnallen, für sehr hilfreich halten, wenn es sich um die Überwindung noch vorhandener psychologischer Barrieren gegen das Anschnallen handelt.
Mit ihrer Forderung, meine Damen und Herren von der Opposition, nach Vorschriften über bauartgenehmigte Kopfstützen und entsprechender Ausrüstung der Vordersitze neu zugelassener Pkws greifen Sie auf, was ich für meine Fraktion am 17. Januar dieses Jahres in der Verkehrsdebatte ausgeführt habe. Es besteht gar kein Zweitel daran, daß Sicherheitsgurte ohne Kopfstützen nur bedingten Wert haben. Aber auch hier wird es darauf ankommen, daß nur die Verwendung solcher Kopfstützen in Frage kommt, die nicht hindern oder gefährden, sondern tatsächlich wirksam schützen. Gegenwärtig werden im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft unter maßgeblicher deutscher Beteiligung entsprechende Richtlinien und Wirkvorschriften erörtert, und nach Angaben der Kommission sind entsprechende Vorschläge an den Rat noch in diesem Jahr zu erwarten. Sollten allerdings die notwendigen Vorschläge ausbleiben, wird die FDP unter Berücksichtigung der erforderlichen Wartezeiten nationale Aktivitäten fordern.
Ich meine abschließend, daß die erneute Diskussion im Ausschuß um Sicherheitsgurte und Nackenschutz verdeutlichen wird, daß wir mit unseren Verkehrssicherheitsmaßnahmen ich glaube, auch in einiger Übereinstimmung zumindest in diesen Fragen mit der Opposition — auf dem richtigen Wege sind.

(Beifall bei der FDP und der SPD und vereinzelt bei der CDU/CSU)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0712845000
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich schlage Ihnen vor, den Antrag an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 27 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Warnke, Dr. Waffenschmidt, Susset, Dr. Jobst, Niegel, Eigen, Sick, Hösl, Biehle, Leicht, Nordlohne, Dr. Unland, Straßmeir, Schröder (Lüneburg), Dr. Jenninger, Gerlach (Obernau), Milz, Dreyer, Kiechle, Dr. Köhler (Wolfsburg), Dr. h. c. Wagner (Günzburg), Carstens (Emstek), Dr. Fuchs, Dr. Waigel, Dr. Müller (München) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Schließung von Stückgutbahnhföen — Drucksache 7/2663 (neu)
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen (federführend)

Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen



Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Das Wort in der Aussprache wird ebenfalls nicht begehrt.
Ich schlage Ihnen vor, den Antrag an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — federführend — und den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen — mitberatend — zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit stehen wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 8. November 1974, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.