Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung soll derBericht der Bundesregierung betr. Einheitliches Notrufnummernsystem im Bundesgebiet— Drucksache 7/2588 —dem Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — federführend — und dem Innenausschuß — mitberatend — überwiesen werden.—Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit Schreiben vom 15. Oktober 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rollmann, Kroll-Schlüter, Lampersbach, Braun, Frau Stommel und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Situation deutscher Drogenabhängiger im Ausland — Drucksache 7/2321 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/2667 verteilt.Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 15. und 16. Oktober 1974 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachfolgenden, bereits verkündeten Vorlagen keine Bedenken erhoben hat:Beschluß des Rates betreffend die Einleitung von Verhandlungen mit Marokko und Tunesien im Hinblick auf die Verlängerung der Assoziierungsabkommen zwischen der Gemeinschaft und diesen LändernVerordnung des Rates zur Verlängerung der Regelung für den Warenverkehr mit Tunesien über den Ablauf des Assoziierungsabkommens hinausVerordnung des Rates zur Verlängerung der Regelung für den Warenverkehr mit Marokko über den Ablauf des Assoziierungsabkommens hinaus— Drucksache 7/2425 —Verordnung des Rates über den Zusatz von Alkohol zu Weinerzeugnissen— Drucksache 7/2448 —Überweisungen von EG-VorlagenDer Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:Verordnung des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Forschungsstelle, die in den Niederlanden dienstlich verwendet werden— Drucksache 7/2608 —überwiesen an den Innenausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung Nr. 1351/73 betreffend den Grundpreis der Standardqualität für geschlachtete Schweine— Drucksache 7/2646 — überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatBeschluß des Rates zur Festlegung eines ersten Dreijahres-Aktionsplans im Bereich der wissenschaftlich-technischen Information und Dokumentation— Drucksache 7/2647 —überwiesen an den Ausschuß für Forschung und Technologie , Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über die zolltarifliche Behandlung bestimmter Erzeugnisse, die zur Verwendung beim Bau, bei der Instandhaltung oder der Instandsetzung von Luftfahrzeugen bestimmt sind— Drucksache 7/2648 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 974/71 über bestimmte konjunkturpolitische Maßnahmen, die in der Landwirtschaft im Anschluß an die vorübergehende Erweiterung der Bandbreiten der Währungen einiger Mitgliedstaaten zu treffen sind— Drucksache 7/2649 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatRichtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Schilder, die vorgeschriebenen Angaben, ihre Lage und ihre Anbringungsart an Kraftfahrzeugen und ihren Anhängern— Drucksache 7/2650 —überwiesen an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Aufstellung der Grundregeln für die Lieferung von Rindfleischkonserven an bestimmte internationale Organisationen und Entwicklungsländer im Rahmen der NahrungsmittelhilfeBeschluß des Rates zur Eröffnung von Verhandlungen mit dem Welternährungsprogramm über eine Nahrungsmittelhilfe in Form von Rindfleischkonserven, wie in der obigen Verordnung vorgesehen, sowie über die vorzeitige Durchführung des ausgehandelten AbkommensEntschließung des Rates über die Finanzierung der durch die Lieferung von Rindfleischkonserven im Rahmen der Nahrungsmittelhilfe verursachten Ausgaben— Drucksache 7/2651 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten , Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über die Anlage einer Ölkartei in der Gemeinschaft— Drucksache 7/2652 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Einrichtung einer gemeinschaftlichen Überwachung der Einfuhren bestimmter Erzeugnisse mit Ursprung in Osterreich, in Finnland, in Island, in Norwegen, in Portugal, in Schweden, in der SchweizBeschlüsse der im Rat vereinigten Vertreter der Regierung der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zur Einrichtung einer Überwachung der Einfuhren bestimmter Erzeugnisse mit Ursprung in Osterreich, in Schweden— Drucksache 7/2653 —
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8438 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1974
Vizepräsident Frau Funckeüberwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Änderung der in der Landwirtschaft geltenden Preise für das Wirtschaftsjahr 1974/1975— Drucksache 7/2654 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Festsetzung eines in der Landwirtschaft anzuwendenden neuen repräsentativen Umrechnungskurses für das englische und irische Pfund— Drucksache 7/2655 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Erhebung einer Ausfuhrabgabe für gewisse Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse mit Zusatz von Zucker im Falle von Schwierigkeiten bei der Zuckerversorgung— Drucksache 7/2656 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatRichtlinie des Rates über die Beseitigung von Abfällen— Drucksache 7/2657 —überwiesen an den Innenausschuß , Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatIch rufe Punkt 23 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts und des Antrags des Haushaltsausschusses über den Antrag der Bundesregierung betr. Sonderprogramm zur regionalen und lokalen Abstützung der Beschäftigung nach § 6 Abs. 2 StWG— Drucksachen 7/2589, 7/2640 — Berichterstatter: Abgeordneter von BülowWird das Wort dazu gewünscht? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Suck.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte die Debatte vom vorigen Freitag nicht wieder neu aufleben lassen. Der Bundeswirtschaftsminister hatte noch einmal die Drucksache 7/2589 — Sonderprogramm zur regionalen und lokalen Abstützung der Beschäftigung nach § 6 Abs. 2 StWG — erläutert. Auch der Herr Kollege Schröder von der CDU/CSU hat seine kritischen Argumente zum Sonderprogramm in vier Bemerkungen zusammengefaßt und abschließend festgestellt, daß die CDU/CSU-Fraktion trotz dieser Bedenken der Vorlage zustimmen würde, damit wenigstens etwas in Richtung auf die sektoral und strukturell gefährdeten Gebiete geschieht.
In dem vorliegenden Entschließungsantrag Drucksache 7/2658 wird noch einmal die Bedeutung des Sonderprogramms aufgezeigt. Es läßt sich sicher darüber streiten, ob der Zeitpunkt des Anlaufens des Programms zu spät liegt, wie die Opposition glaubt, oder ob das Programm viel früher von der Bundesregierung hätte verabschiedet werden müssen. Die SPD-Fraktion ist jedenfalls der Auffassung, daß es sinnvoll und auch richtig war, nach dem Auslaufen des 900-Millionen-DM-Programms vom Februar und März dieses Jahres mit diesem 950-Millionen-DM-Programm den Anschluß an das Programm zu erreichen. Das Programm trägt dazu bei, vor Ort zu helfen, und die gesetzten Fristen — 5. November, 21. November, 31. Dezember 1974 und 31. März 1975 — werden es meines Erachtens ermöglichen, in den jeweiligen Regionen durch gezielte Maßnahmen den sektoralen Abschwächungen entgegenzuwirken und vor allem — das ist wohl auch der Sinn dieses Programms gewesen — die Arbeitsplätze zu sichern und die Arbeitslosigkeit zu mildern.
Die unterschiedlichen Meinungen, die quer durch die Fraktionen des Deutschen Bundestages und auch der Länderparlamente gehen, ob die Kriterien — der Verteilungsraster oder die Quoten für die Verteilung der Mittel an die Länder — richtig waren, werden sicher durch die von der Bundesregierung in dem Entschließungsantrag nun erbetenen Erfahrungen geklärt werden können. Ich will unterstellen, daß auch der Opposition daran gelegen ist, daß die Fortsetzung der Stabilitätspolitik der Bundesregierung dazu beiträgt, die Konjunkturlage zu verbessern.
Die Steigerungen des Preisindex für die Lebenshaltung im Monat September erklären sich überwiegend durch Sonderfaktoren. Sie wurden bereits am letzten Freitag durch meinen Fraktionskollegen Horst Haase hier vorgetragen und auch erläutert. Wir stehen immer noch am Ende der Liste der Preiszuwachsraten der Industrieländer Europas, ja, der Welt.
Aber gerade deshalb und auch wegen der unsicheren weltwirtschaftlichen Situation bittet die SPD FDP-Koalition die Bundesregierung, die Konjunkturlage zu beobachten und die mehr als neun Milliarden DM stillgelegten Mittel, die sicher eine solide Finanzbasis bilden, bei erforderlichem Eingreifen für die weiteren Programme zur regionalen und lokalen Abstützung der Beschäftigung zu verwenden.
Ich darf Sie bitten, meine sehr verehrten Damen und Herren, dem Ihnen vorliegenden Entschließungsantrag zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, nach dem Kollegen Suck hat jetzt der Abgeordnete Sick das Wort.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ein bißchen schwierig, wenn man aus derselben Gegend kommt und sich im Namen so wenig unterscheidet.Ich bin aber dem Kollegen Suck besonders dankbar für die Bemerkung, die er eben machte: Es geschieht wenigstens etwas.
— So wurde es gesagt, Herr Kollege Ehrenberg. Er hat damit ja recht; ich will dem Kollegen von der Regierungskoalition recht geben: Es geschieht wenigstens etwas.
— Warten Sie ab, Herr Ehrenberg. Wir werden zu dieser Sache noch einiges sagen müssen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1974 8439
SickEs geht nämlich nicht nur darum, meine Damen und Herren, hier ein Programm zu verabschieden, um wenigstens etwas zu tun, sondern wir werden auch deshalb zustimmen, weil die bei der vorigen Unterhaltung geäußerten Bedenken, ob § 1 es abdecke, daß man etwas aus der Konjunkturausgleichsrücklage nimmt, nach unserer Meinung ausgeräumt sind. Ich persönlich meine, daß eine solche Maßnahme durch § 1 abgedeckt wird; denn die Lage ist so ernst, daß man hier Präventivmaßnahmen ergreifen muß.Ich will zu dem Programm im einzelnen nichts sagen, auch nicht zur Frage der herangezogenen ökonomischen Daten, z. B. zur Einkommensdisparität, zur Infrastrukturdisparität oder zum Arbeitsplatzdefizit. Das werden andere Kollegen tun, die sich davon besonders betroffen fühlen.
— Das hat damit zu tun, Herr Dr. Ehrenberg; ich komme jetzt darauf. Es ist nämlich die Frage, ob man meint, mit diesem Programm etwas Grundsätzliches zu schaffen; es ist die Frage, ob bei diesem Programm etwas Sichtbai wird, was das Grundsatzliche berührt.So einfach kommen Sie nicht davon, daß Sie sagen: Wir machen hier ein Sonderprogramm, und damit ist grundsätzlich alles wieder in Ordnung gebracht. Wenn ich mich an die Rede von Bundesminister Friderichs erinnere, meine ich, daß darin der Unterton anklang, dieses Programm sei in der Lage, Schieflagen in bestimmten Branchen und in bestimmten Regionen zurechtzurücken.Meine Damen und Herren, eine solche Argumentation verschleiert die wirklichen Ursachen der Schwierigkeiten, die wir haben; denn in erster Linie ist dieses Programm, so wünschenswert es in seiner Teilwirkung ist, ein Indikator dafür, daß die Verhältnisse bei uns in der Bundesrepublik Deutschland generell nicht in Ordnung sind.
— Mein lieber Herr Kollege Ehrenberg, Sie stehen doch im Grunde vor dem Scherbenhaufen Ihrer wirtschaftspolitischen Illusionen. Dazu brauchen Sie diese Teildinge hier. Sie gehen nicht an die Ursachen, sondern Sie laborieren an den Erscheinungen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?
Aber gern!
Herr Kollege Sick, würden Sie mir freundlicherweise sagen, wo Ihre Alternativvorschläge zu dem 950-Millionen-DM-Programm der Bundesregierung sind?
Würden Sie mir zweitens die Frage beantworten, wo Ihre Kollegen von der Wirtschaftspolitik sind?
Ich sehe hier keinen einzigen. Wie kommt es, daß man einen Verkehrspolitiker die Erklärung der Opposition zum Konjunkturprogramm abgeben läßt?
Die Qualität Ihrer Zwischenrufe sollen Ihre eigenen Kollegen beurteilen, Herr Kollege Wolfram.Ich möchte auf die gestellten Fragen antworten. Zu der Alternative komme ich noch. Ich mache es mir ja nicht so einfach wie der frühere Fraktionsvorsitzende der SPD, Helmut Schmidt, der gesagt hat, es sei gar nicht Aufgabe der Opposition, Alternativen zu entwickeln. So einfach machen wir es uns nicht.
— Ach Gott, das Meckern, Herr Kollege Ehrenberg!Aber zu Ihrer anderen Bemerkung: Meinen Sie, daß es tunlich sei, die Kollegen in diesem Hause danach zu qualifizieren, in welchem Ausschuß sie zufällig arbeiten, oder meinen Sie nicht, daß es möglich sein könnte, daß ein Mitglied, das im Verkehrsausschuß seine Arbeit leistet, in anderer Weise auch ein bißchen mit Wirtschaftspolitik befaßt ist?
Im übrigen überlassen Sie das doch bitte uns, wen wir hier herstellen.Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen gesagt, wir stimmen zu. Aber wenn Sie erwarten — und das scheint mir der Fall zu sein —, daß darüber allgemeines Jubelgeschrei ausbricht, dann erwarten Sie, daß wir darüber jubeln sollen, daß Sie dem Patienten, den Sie zum Krüppel gemacht haben, jetzt ein paar Krücken verpassen. So sieht es doch aus!
Es ist zu spät und zu wenig, meine Damen und Herren, natürlich. Wir bleiben bei der Meinung: zu spät und zu wenig.Herr Kollege Ehrenberg, ich glaube, daß Sie sich in Ihrem besonders fachkundigen Kreise sicherlich über die Grundtendenzen werden unterhalten müssen, denen die wirtschaftspolitische Entwicklung für die Zukunft unterliegt. Denn so, wie ich sehe, war die Wirtschaftspolitik his etwa Mitte der 60er Jahre durch Konjunktureinflüsse, dann durch Währungseinflüsse bestimmt, und sie ist jetzt durch eine ausgesprochen strukturelle Komponente in der Entwicklung bestimmt.
— Die Wechselkurse, ja sicher. Kommen Sie doch nicht mit dem Märchen Strauß! Ich stelle nur fest, daß dem so ist. Denn daß wir kurzfristig, Herr Kollege Ehrenberg, wohl auch hinsichtlich unseres Exports darauf achten müssen, daß uns die Schwäche
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8440 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1974
Sickdes Dollars dort weh tun wird, leuchtet ein. Bisher wurde immer nur geschrien: Der starke Dollar kauft uns auf! Wir haben aber beim Export auch unsere Vorteile davon gehabt.Dieses Programm ist ein Tropfen auf den heißen Stein, meine Damen und Herren. Denn Herr Vietor, Vorstandsvorsitzender der „Neuen Heimat" — wohl ein unverdächtiger Zeuge —, hat ja gerade gestern einige Zahlen veröffentlicht, die leicht erschreckend sind. Er erwartet einen Anstieg der Arbeitslosen im Baugewerbe von 43 000 auf 250 000, und er spricht von den mehr als tausend Pleiten im Baugewerbe 1974. Meine Damen und Herren, das macht uns Sorge, und das ändern wir mit diesem Programm nicht; das ist langfristig strukturell angelegt. Das ist eben nicht nur eine Frage der Region, das ist eine Frage der Struktur. Hier wird die Kapazität zurückgeführt, ohne daß man weiß, wann sie wieder erstellt wird, und hier werden — das ist für uns, meine Damen und Herren, für meine Fraktion, die CDU/CSU, etwas sehr Wesentliches — ausgesprochen mittelständische Existenzen vernichtet und ein Zug zur Konzentration eingeleitet, den wir nicht wollen.Und dann sprach der Herr Bundeswirtschaftsminister vom Abfedern. Meine Damen und Herren, Abfedern kann man das schon nicht mehr nennen, hier liegt doch schon Achsenbruch vor. Hier kann man doch nicht mehr abfedern, mit diesen einzelnen Maßnahmen, mit diesen Pflästerchen.
— Hören Sie doch zu! Wir haben Ihnen gesagt, Herr Kollege Haase, daß wir dem Programm zustimmen. Und ich nehme hier Gelegenheit, aufzuzeigen, daß Sie mit diesem Programm die Probleme nicht lösen und daß Sie nicht so einfach aus dem Geschäft herauskommen.
Meine Damen und Herren, Sie fragten nach der Alternative. Wenn ich mir das, was Ihr Kollege Haase in dem vorhergehenden Durchgang gesagt hat,
als Ihre Alternative betrachte — ich darf zitieren —,Nicht der generelle Konjunkturabschwungmacht uns zu schaffen, wie es in den Jahren der— nun natürlich die Bemerkung: er wisse nicht, ob gewollten —Rezession um 1967 der Fall war, sondern der Konjunkturverlauf.dann ist Ihre Diagnose falsch, meine Damen und Herren. Es geht nicht mehr um einen generellen Konjunkturverlauf, sondern wir haben — und das wird keiner bestreiten wollen — eine gespaltene Konjunktur, und es geht überhaupt nicht mehr umKonjunkturverlauf, sondern um strukturelle Veränderungen.
— Ah, wie schön, Herr Kollege Ehrenberg; dann müssen Sie erklären, daß die Diagnose Ihres Kollegen Haase nicht die Ihrige ist; dann sieht's ganz anders aus, in Ordnung! Ich bin nämlich Ihrer Meinung: Es ist eine Strukturkrise und keine Konjunkturkrise — zumindest nicht mehr.Wenn wir das weiterführen wollen, Herr Kollege Ehrenberg, dann kommt ein Punkt hinzu, für den Sie nichts können, keiner in diesem Hause: die sogenannte Ölkrise, die in Wirklichkeit eine globale Rohstoffkrise ist. Ich meine, da werden wir in Zukunft unsere Überlegungen anstellen müssen; denn die Welt wird nie wieder so sein, wie sie vor der Ölkrise war.Diese strukturellen Entwicklungen sollten uns in diesem Hause Veranlassung geben, uns nicht mit solchen Sonderprogrammen zufriedenzugeben, sondern zu überlegen, wohin zielt denn die strukturelle Entwicklung in unserer Volkswirtschaft, die, wie ich meine, ganz eindeutig damit rechnen muß, daß die Produktion von uns wegen der steigenden Stückkosten irgendwohin verlagert werden muß und wir zu einer ganz anderen Qualität auch in unserer Wirtschaftsstruktur werden kommen müssen.Diese Bemerkungen hielten wir für nötig; einmal, um festzustellen die Verantwortung für die jetzigen Schieflagen, die mehr sind als das; festzustellen, daß das nicht ausreicht; und festzustellen, Herr Kollege Ehrenberg, daß in der Landschaft sicherlich eine ganze Menge in Bewegung geraten ist. Ob die Notenbank noch restriktiv fährt, ist ja zumindest fraglich geworden. Ob die Haushalte nicht schon wieder expansiv werden, Herr Kollege Ehrenberg, wenn im Finanzministerium oder im Wirtschaftsministerium bereits Überlegungen angestellt werden, ist ebenfalls ungeklärt. War tun wir, wenn Steuerermäßigungen und Renten nicht durchziehen?
— Arg durcheinander? Es geht um nichts anderes, als die Dinge wieder in Ordnung zu kriegen. Dazu wird dieses Programm nicht reichen. Deshalb unser Appell. Wir stimmen zu, aber wir fordern Sie auf, diese Dinge vom Grundsatz her zu durchdenken und sich darüber im klaren zu sein, daß die Schäden bereits viel tiefer, viel struktureller sind, als daß Sie sie noch mit solchen Maßnahmen wieder in den Griff bekommen könnten.
Das Wort hat der Abgeordnete Gallus.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, das, was Herr Kollege Sick gesagt hat, geht etwas über eine Erklärung hinaus. Ich möchte auch gleich die Widersprüche aufdecken, die in seinen Ausführungen enthalten sind. Man
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Galluskann nicht davon reden, Herr Kollege Sick, daß die Ölkrise die Welt verändere, und gleichzeitig den Vorwurf erheben, wir hätten diese Wirtschaft zum Krüppel geschlagen und alle Anstrengungen, die wir unternähmen, würden nicht taugen. So geht das nicht.
Aber das hat ja in der Zwischenzeit Methode. Ich zitiere Herrn Ehrenberg aus dem Protokoll der letzten Woche: „Dagegen reden und dafür stimmen." Mehr ist Ihnen bis jetzt als Alternative zu diesen Fragen nicht eingefallen.Ich hätte mir eigentlich gewünscht, daß gerade diese Debatte am heutigen Tag auch im Beisein des Bundesratspräsidenten hätte erfolgen können. Er kann leider nicht hier sein — ich weiß das —, weil zu gleicher Stunde eine Bundesratssitzung stattfindet. Aber es scheint mir doch angebracht, ein Wort zu den Reaktionen und Begleitumständen zu sagen, die die Diskussion draußen in den Ländern hervorgerufen hat, insbesondere im Lande Baden-Württemberg bei unserem dortigen Landesvater und den führenden Männern der CDU, angesichts der Tatsache, daß wir sicherlich quer durch die Reihen der Fraktionen verschiedene Meinungen zu diesem Programm haben können.Idealvorstellungen gibt es nicht, Herr Sick. Und es muß doch einer sagen, daß die Grundlinie stimmt. Das hat Wirtschaftsminister Friderichs hier deutlich ausgeführt, und ich möchte hinzufügen: Hier wird nach dem Motto gehandelt: Wer schnell hilft, hilft doppelt.
— Das können Sie alles nachlesen. — Aber ich frage mich: Was sollen denn diese Begleitumstände, diese Vorwürfe an die Bundesregierung, die Schlüssel, die zur Verteilung dieser 950 Millionen DM vom Bund verwendet worden sind, seien nicht richtig gewesen?
— Moment, darauf komme ich zu sprechen. Wir wissen alle, daß hier Schlüssel verwendet worden sind, die allgemein anerkannt sind: einerseits die Arbeitslosenquote und andererseits die Infrastrukturpolitik.
— Die Arbeitslosenquote ist berücksichtigt worden.Was nun das Land Baden-Württemberg anbetrifft— gerade dazu möchte ich etwas sagen —: Wenn den Vertretern des Finanzplanungsrates keine besseren Argumente einfallen, als daß der Großteil der Länder dieser Beteiligung zustimmen, dann, so muß ich hier sagen, bedauere ich, daß das Land Baden-Württemberg mit seinen führenden Ministern im Finanzplanungsrat nicht durchschlagende Argumente hat auf den Tisch legen können, um zu einer anderen Verteilung zu kommen. Aber nachdem ja die Mehrheit der Länder das gegen Baden-Württemberg akzeptiert hat, müssen wir das leider hinnehmen. Und die Adresse der Bundesregierung ist in diesem Falle völlig falsch.
Warum erweckt denn hier der Herr Filbinger den Eindruck, daß die Bundesregierung etwas falsch gemacht hat? Warum setzt er sich nicht mit seinem Kollegen Kohl, mit seinem Kollegen Stoltenberg, mit dem Herrn Goppel auseinander?
Aber es ist ja so einfach, der Bundesregierung die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben, daß wir hier etwas falsch gemacht hätten, weil man die Auseinandersetzung mit seinen eigenen Kollegen scheut. Ich kann mir nämlich sehr gut vorstellen, das das nicht so ist, wie es der Herr Kollege Dr. Wörner in Baden-Württemberg erklärt hat, daß hier wahltaktische Überlegungen Pate gestanden hätten; ganz im Gegenteil, wir haben den CDU-Ländern Geld gegeben,
und Sie werden draußen — ich kenne diese Dinge aus vielen Wahlkämpfen — diese Gelder als Ihren Erfolg verkaufen. Das kennen wir doch! Wir bezahlen, und die Länder verkaufen — —
— Der Bund in diesem Falle! Und die Länder verkaufen das als ihre Errungenschaft.
— Gerade deshalb, weil ich an die Bürger Baden-Württembergs denke, haben sie die Art, wie das gemacht worden ist, nicht verdient.
— Ja, das hat ihnen aber der Herr Landesvater beschert. Und weil ich der Auffassung bin, daß wir hier in der Bundesrepublik insgesamt in ein schiefes Licht geraten,
muß hier einiges klargestellt werden. Gestern abend war ja das große Weinfest im Haus Baden-Württemberg,
und bekanntlich gibt es ein altes Sprichwort, das da sagt: in vino veritas.
— Im Wein liegt die Wahrheit!
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8442 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1974
GallusInsofern möchte ich hier feststellen, daß die führenden Männer der CDU Baden-Württembergs schlechte Werbeträger für den baden-württembergischen Wein sind. Das möchte ich hier festgestellt haben.
Ich bin darüber hinaus der Meinung, daß der Herr Goppel als Bayer, nachdem er sehr stark in den Genuß dieser Mittel kommt, feststellen würde: Bei denen an der Spitze der CDU in Baden-Württemberg ist Hopfen und Malz verloren. Darüber hinaus bedauere ich, daß der Herr Strauß heute nicht zugegen ist,
denn ich würde ihm dringend empfehlen, in der Zukunft bei der Verteilung seiner Zensuren, was die führenden Männer der CDU anbetrifft, den Herrn Filbinger aus Baden-Württemberg nicht zu vergessen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Leicht.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe für eine Gruppe von Kollegen eine Erklärung abzugeben.
Wir haben im Haushaltsausschuß diese Frage eingehend behandelt. Wir haben uns sehr eingehend damit befaßt, daß — aus der Sicht des damaligen Ausgangspunktes — die Bestimmungen des Stabilitätsgesetzes, die zu diesen Möglichkeiten hinführten, diejenige Situation, die wir im Augenblick haben, nicht erfassen. Wir haben heute die gespaltene Konjunktur. Der damalige Ausgangspunkt, als das Stabilitätsgesetz kodifiziert worden ist, war ein anderer; man hatte diesen Tatbestand nicht vorausgesehen.
Deshalb sind die Kollegen der Meinung, daß die Bundesregierung bei einer Novellierung dieses Gesetzes dafür sorgen sollte, daß auch dieser Tatbestand unter die Möglichkeiten, die das Stabilitätsgesetz erfaßt, aufgenommen wird. Genauso wie eigentlich jetzt mit den Mitteln, die zur Verfügung gestellt werden, gegen das Stabilitätsgesetz verfahren wird. Denn an sich müßten die Ausgleichsrücklagen eingesetzt werden, so wie das Gesetz es sagt.
— Teilweise. Sie haben recht, bei den Ländern. Ich gebe ja nur eine Anregung, Herr Ehrenberg.
— Sie werden doch das noch diesem Parlament gestatten, daß man Dinge, die reparabel sind, demnächst reparieren sollte.
Ich wiederhole, daß es gut wäre, wenn man bei einer Novellierung des Stabilitätsgesetzes die neuen
Tatbestände mit berücksichtigte, damit von hierher
das Ganze etwas besser und dem Gesetz entsprechender gehandhabt werden kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfram.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Leicht, da hat etwas mit dem Timing nicht gestimmt; denn das Verstromungsgesetz werden wir in der ersten Novemberwoche beraten, und ich bin sicher, wir werden dann auch über die von Ihnen vorgebrachten Anmerkungen zu diskutieren haben. Nur eine Bemerkung! Sie können nicht auf der einen Seite dauernd gegen die angebliche Aufblähung der öffentlichen Haushalte sein und auf der anderen Seite, wenn man nach sehr eingehender und gründlicher Prüfung und Beratung eine Finanzierung der notwendigen Energieinvestitionen gefunden hat, wie im vorliegenden Falle, dagegen öffentlich polemisieren.
Das ist ein Widerspruch, erstens.
Zweitens! Was das 950-Millionen-Programm angeht — und ausschließlich darüber geht jetzt und hier und heute die Diskussion , ist mir nicht bekannt, daß aus Ihren Kreisen, zumindest nicht im Wirtschaftsausschuß, gegen die Finanzierung dieses Programms Bedenken erhoben worden sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Wörner.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
— Ich nehme an, daß wir hier eine Debatte haben, so daß ich die Möglichkeit habe, in dieser Debatte zu reden. Es war bis jetzt das selbstverständliche Recht jedes Abgeordneten, und ich gedenke nicht mir dieses Recht streitig machen zu lassen, Herr Kollege.
Meine Damen und Herren, darf ich das aufklären. Es waren ursprünglich Erklärungen vereinbart. Aber ich habe nicht den Eindruck, daß hier Erklärungen abgegeben wurden, sondern, daß von Anfang an eine Debatte lief. So kann es dabei bleiben.
Frau Präsidentin, ich bedanke mich sehr. Ich werde versuchen, in dem Duk-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1974 8443
Dr. Wörnertus meines Beitrags den Stil der Erklärung beizubehalten.
In der Antwort auf meine Schriftliche Anfrage Drucksache 7/2584, Frage B 17, und auch in der Antwort auf Fragen einiger meiner Kollegen aus Baden-Württemberg vertritt die Bundesregierung den Standpunkt, daß Baden-Württemberg bei der Verteilung der Mittel aus dem hier zur Diskussion stehenden Sonderprogramm angemessen berücksichtigt worden sei. Diese Auffassung hat der Herr Wirtschaftsminister in seiner Rede am vergangenen Donnerstag im Rahmen der ersten Lesung dieses Programms erneut bekräftigt. Er hat dabei noch ausdrücklich hinzugefügt, daß Baden-Württemberg den Verteilungskriterien zugestimmt habe, so daß es unverständlich sei, daß das Land sich nachträglich benachteiligt fühle.Lassen Sie mich hierzu einige kurze Anmerkungen machen:Erstens. Die Behauptung, die Landesregierung Baden-Württemberg habe keine konstruktiven Vorschläge für eine andere Verteilung der Mittel gemacht und schließlich den Verteilungskriterien zugestimmt, entspricht nicht den Tatsachen. Das Land hat sich vielmehr von Beginn der Verhandlungen an gegen den nunmehr festgelegten Verteilungsmodus gewandt und eine Beteiligung auch an den für den Wohnungsbau und den Agrarbereich vorgesehenen Mitteln ebenso gefordert wie eine Berücksichtigung bei den Bundesinvestitionen. Dies hat Herr Staatssekretär Grüner in seiner Antwort auf die Mündlichen Anfragen des Kollegen Sauter und die Zusatzfrage des Kollegen Susset am vergangenen Donnerstag in diesem Hause bestätigen müssen.Zweitens. Zu der Frage, ob sich Baden-Württemberg zu Unrecht bei der Verteilung der Mittel in den Sonderprogrammen des Bundes benachteiligt fühlt, die folgenden Tatsachen: Das Land erhielt von dem ersten Sonderprogramm des Bundes in Höhe von 600 Millionen DM 19,5 Millionen DM, das waren 3 % der Mittel. An dem nunmehr vorgelegten Programm wird es mit einer noch geringeren Quote, mit nur 12 Millionen DM oder 2 % partizipieren, und dies — und das scheint mir eben bemerkenswert, Herr Grüner —, obwohl die wirtschaftliche Entwicklung Baden-Württembergs seit Sommer dieses Jahres einen nicht zu übersehenden negativen Trend aufweist. Der Anteil Baden-Württembergs an der Gesamtzahl aller Arbeitslosen im Bundesgebiet betrug bei der Aufstellung des Programms 9,3 % und hat sich inzwischen auf 10 % erhöht. Der Anteil der Kurzarbeiter veränderte sich in diesem Zeitraum von 16,9 % auf 21 %. Das sind Tatsachen, die zwar der Herr Gallus noch nicht zur Kenntnis genommen hat, die aber im Lande Baden-Württemberg bei der Bevölkerung sehr wohl, und zwar sehr bedenklich und mit Sorge aufgenommen werden.
Beide, Arbeitslosigkeit wie auch Kurzarbeit, haben in Baden-Württemberg in den vergangenen Monaten ungleich stärker als im Bundesgebiet zugenommen — ungleich stärker!
Dieselbe Entwicklung zeigt sich bei den Auftragseingängen. Sie weisen in Baden-Württemberg seit Monaten eine anhaltende Abschwächung auf, die stärker ausgeprägt ist als im übrigen Bundesgebiet. Das Baugewerbe in Baden-Württemberg — um das anzusprechen, was der Kollege und Minister Friderichs in der letzten Debatte gesagt hat — hat von Juli 1973 bis Juli 1974 rund 30000 Beschäftigte freigesetzt. Der Rückgang der Beschäftigung im Baubereich war damit ebenso groß wie in anderen Teilen der Bundesrepublik. Im Hochbaubereich haben sich die Auftragseingänge im ersten Halbjahr 1974 sogar stärker rückläufig entwickelt, als es im Bundesdurchschnitt der Fall war. Schon hieraus ergibt sich, daß im Gegensatz zu den Behauptungen von Minister Friderichs ein etwaiger Vergleich der Zahl der Arbeitslosen mit der Zahl der offenen Stellen im Baugewerbe kein aussagekräftiges Bild über die tatsächliche Situation im Hochbau abgibt.Drittens. Es ist in Anbetracht dieser Situation unverständlich, daß das Land Baden-Württemberg nur 2 % der vorgesehenen Mittel erhalten soll. Der ernsten Lage auf dem Arbeitsmarkt und den auch in diesem Lande aufgetretenen wirtschaftlichen Problemen wird damit in keiner Weise Rechnung getragen. Die Verteilung der Mittel vermag darüber hinaus auch deshalb nicht zu befriedigen, weil den einzelnen Programmteilen unterschiedliche Verteilungskriterien zugrunde gelegt wurden. Berücksichtigt man, daß das Programm insgesamt ein und demselben Zweck, nämlich der Stabilisierung der Beschäftigungslage, dienen soll, so ist die Anwendung eines unterschiedlichen Schlüssels für die einzelnen Programmteile nicht verständlich.Viertens und letztens. Die bisherige Auseinandersetzung mit der Bundesregierung hat gezeigt, daß offensichtlich keine Bereitschaft besteht, an den festgelegten Verteilungskriterien und an den ausgeworfenen Länderquoten noch etwas zu ändern. Ich sage für meine Kollegen der CDU/CSU-Fraktion aus Baden-Württemberg: Wir bedauern dies, und wir bedauern vor allen Dingen die damit verbundene Ungerechtigkeit für das Land Baden-Württemberg. Man kann dieses Land Baden-Württemberg, das sich sicher durch eine gesunde Struktur auszeichnet, die auf Leistungen zurückgeht, nicht laufend dadurch benachteiligen und dafür, daß es etwas mehr getan hat, bestrafen, indem man es an Fördermitteln des Bundes unangemessen wenig beteiligt.
Das muß dazu führen, daß der Leistungsantrieb in diesem Lande nachläßt.Die einmal begonnene Diskussion um einen verbesserten und objektiveren Verteilungsmodus bei künftigen Programmen — Herr Grüner, ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen — sollte in diesem Stadium jedoch nicht abreißen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Zukunft — ich sagte das schon —,
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8444 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1974
Dr. Wörnerdie weitere Programme dieser Art nicht ausschließt. Wir wollen, wenn das ganze Programm hier zur Debatte stehen wird — Sie werden ja eines Tages damit kommen und kommen müssen —, nicht noch einmal erleben, daß Baden-Württemberg in dieser unangemessenen Weise benachteiligt wird.
Das werden wir uns nicht noch einmal bieten lassen, weder die Landesregierung noch wir hier in diesem Haus. Ich glaube, daß das auch nicht im Sinne aller Bundesländer ist. Ich möchte hier in Erinnerung rufen, daß Baden-Württemberg zu den Bundesländern gehört, die sich am kräftigsten am horizontalen Finanzausgleich zwischen den Bundesländern beteiligen. Man kann dem Land Baden-Württemberg also nicht vorhalten, daß es für die wirtschaftliche Situation anderer Bundesländer nicht Verständnis hätte und daraus Konsequenzen zöge.
— Sie müssen mir überhaupt nicht zugehört haben, Herr Ehrenberg. Gerade habe ich ausgeführt, daß Baden-Württemberg etwa auch für Schleswig-Holstein ein großes Maß an Verständnis aufbringt. Selbstverständlich hat Herr Stoltenberg recht, wenn er auf bestimmte Strukturschwächen seines Landes hinweist, so wie die Niedersachsen auf die ihren hinweisen. Uns geht es nicht darum, Schleswig-Holstein oder Niedersachsen zu benachteiligen.
Es geht uns nur darum, zu verhindern, daß durch eine Serie von Programmen etwas stattfindet, was schlußendlich auch nicht im Sinne der schwächeren Länder sein kann, nämlich die Schwächung der Leistungskraft der Länder, die bis jetzt am kräftigsten zum Finanzausgleich beigetragen haben.
Ich komme zum Schluß. Es muß eine zielkonforme Möglichkeit des Einsatzes der Mittel gefunden werden, die die arbeitsmarktpolitische Situation der einzelnen Bundesländer umfassend beachtet. Neben der Zahl der Arbeitslosen sollten Indikatoren berücksichtigt werden, die die weitere Entwicklung der Arbeitslosigkeit erkennbar machen. Das heißt, daß nicht nur die Arbeitslosen selbst, sondern auch diejenigen, deren Arbeitsplätze bereits gefährdet sind, wofür es konkrete Anhaltspunkte gibt, mit einbezogen werden. Das sind unsere Vorschläge in die Zukunft hinein. Es liegen bereits konstruktive Vorschläge des Landes Baden-Württemberg auf dem Tisch. Wir meinen, es sollte in den weiteren Verhandlungen der Zukunft gelingen, so überzeugende Verteilungskriterien zu finden, daß nicht erneut in unvertretbarer Eile für verschiedene Teile des gleichen Programms trotz gleicher Zielsetzung völlig unterschiedliche Verteilungsmaßstäbe gewählt werden. Ich möchte hier nicht polemisieren. Vor allen Dingen haben die Ausführungen des Herrn Gallus es nicht verdient, daß ich mich im einzelnen damit auseinandersetze. Vielleicht denkt er einmal darüber nach, warum die SPD-Landtagsfraktion — dies sagte deren Fraktionsvorsitzender, ich habe den Text vor mir liegen — sichergestellt haben will, daß Baden-Württemberg im 950-Millionen-Sonderprogramm des Bundes zur Konjunkturförderung dann stärker als vorgesehen berücksichtigt wird, wenn sich die Lage am Arbeitsmarkt im Land weiter verschlechtern sollte. Dies hat er am 9. Oktober so ausgedrückt. Inzwischen sind die Anzeichen dafür bereits deutlich vorhanden.Ich will Ihnen nicht alles vorlesen, was er ausgedrückt hat. Es unterscheidet sich sehr wenig von dem, was ich hier mit, wie ich glaube, aller Zurückhaltung ausgeführt habe. Vielleicht denken auch Sie, Herr Gallus, einmal darüber nach, ob Sie als Vertreter auch der baden-württembergischen Bevölkerung — sicher in der Verpflichtung dem Ganzen gegenüber — nicht doch etwas objektiver urteilen sollten, anstatt, wie ich meine, nicht angebrachte Ratschläge zu geben, wie sich die Bevölkerung Baden-Württembergs mit der zunehmenden Verschlechterung am Arbeitsmarkt abzufinden habe.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß das, was der Herr Kollege Wörner hier im Blick auf Baden-Württemberg vorgetragen hat, nicht unwidersprochen bleiben darf. Ich möchte gar nicht bestreiten, daß die Verteilung solcher Mittel selbstverständlich immer eine eingehende Auseinandersetzung rechtfertigt und daß hier unterschiedliche Gesichtspunkte eine Rolle spielen können. Was ich aber für außerordentlich bedauerlich halte, ist die Verfälschung der Wahrheit über den Verlauf dieser Diskussion, wie sie insbesondere der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg in die Öffentlichkeit getragen hat.
— Ich werde Ihnen das auch beweisen. Das ist einfach kein Stil, in dem man Föderalismus betreiben kann, Herr Kollege Wörner.
So geht es nicht.
Wenn zehn Länder zusammen mit dem Bund eindeutig die Auffassung vertreten, daß es bei diesem Sonderprogramm darauf ankomme, in Gebieten zu helfen, wo — in absoluten Zahlen — eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit herrscht, muß man sich eben der Tatsache stellen, daß das eine gemeinsame Aufgabe ist und daß Gebiete, in denen diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, in einem solchen Sonderprogramm dann auch nicht in gleich hohem Maße wie Länder wie Bayern oder Schleswig-Holstein berücksichtigt werden können. Das ist der entscheidende Ausgangspunkt unserer Gespräche im Konjunkturrat der öffentlichen Hand und im Finanzplanungsrat gewesen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1974 8445
Parl. Staatssekretär GrünerWir haben dieses Programm mit den Ländern entwickelt, und wir haben über die Vorschläge und Verteilungsmöglichkeiten mit den Ländern gesprochen. Es hat einen Vorschlag gegeben, ausschließlich die Arbeitslosigkeit zugrunde zu legen. Wäre dieser Vorschlag des Landes Nordrhein-Westfalen durchgegangen, hätte Baden-Württemberg keine Mark bekommen. Das muß man einfach sehen.Was hat nun Baden-Württemberg vorgeschlagen? Es hat eben keine konstruktiven Vorschläge gemacht, sondern Baden-Württemberg hat vorgeschlagen, die Zuwachsrate der Arbeitslosigkeit als Verteilungsschlüssel zu wählen.
— Das ist der Kernpunkt. Es ist richtig, daß die Zuwachsrate in Baden-Württemberg höher ist als im übrigen Bundesgebiet. Das hängt aber damit zusammen, daß der Ausgangspunkt in Baden-Württemberg sehr niedrig ist. 1 plus 1 sind 2, aber 100 % Zuwachs. 100 plus 10 sind 10 %; aber es sind 110.
— Nein, Herr Wörner, lassen Sie sich das in aller Nüchternheit sagen: das war der Vorschlag des Landes Baden-Württemberg.
— Herr Kollege Wörner, entscheidend ist, daß der Tatbestand, daß die absoluten Arbeitslosenzahlen in Baden-Württemberg weit unter dem Bundesdurchschnitt liegen, von allen Ländern als richtig angesehen worden ist.Nun komme ich zu der Frage der Zustimmung Baden-Württembergs. Ich habe hier im Bundestag gesagt: Baden-Württemberg hat nicht zugestimmt, weil sowohl Finanzminister Gleichauf als auch Wirtschaftsminister Eberle deutlich gemacht haben, daß sie mit diesem Verteilungsschlüssel nicht einverstanden seien.
Aber täuschen Sie sich nicht: eine formelle Ablehnung dieses Programms durch die beiden Minister hat es weder im Finanzplanungsrat noch im Konjunkturrat der öffentlichen Hand gegeben. Beide Minister mußten sich von den Argumenten der Länder überzeugen lassen,
daß sie keinen echten Alternativschlüssel vorlegen konnten.
Darüber sollten wir uns hier einig sein, und wir sollten das nicht zu einer öffentlichen Polemik benutzen, die im Lande Baden-Württemberg den Eindruck erweckt, als ob die Baden-Württemberger hiervom Bund über den Löffel halbiert worden seien. Das ist einfach unrichtig.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wörner?
Ist Ihnen bekannt, Herr Staatssekretär, daß das Land Baden-Württemberg, vertreten durch Minister Gleichauf, im Finanzplanungsrat gegen die vorgeschlagene Aufteilung der Mittel formell protestiert hat, daß eine förmliche Abstimmung nicht erfolgte, daß Herr Bundesfinanzminister Apel vielmehr die Sitzung mit den Worten eröffnete: „Wir reden hier doch nur über den Schnee von vorgestern?"
Herr Kollege Wörner, selber habeden Bundeswirtschaftsminister im Finanzplanungsrat vertreten. Es hat keine formelle Abstimmung gegeben, — —
— Entschuldigen Sie! Hören Sie zu, was ich gesagt habe. Ich habe deutlich gemacht: es war zu erkennen, daß das Land Baden-Württemberg sowohl im Finanzplanungsrat wie auch im Konjunkturrat — das ist das entscheidende Gremium -- gegen diesen Verteilungsschlüssel war; es hat aber keinen formellen Protest eingelegt, so daß — —
— Wenn Sie das Protokoll nachlesen, werden Sie feststellen, daß Bundeswirtschaftsminister Friderichs hier erklärt hat: die Länder haben zugestimmt.
— Entschuldigen Sie, er hat sich nicht mit dieser — lassen Sie es mich einmal so sagen — schwierig zu definierenden Haltung des Landes Baden-Württemberg auseinandergesetzt. Aber, meine Damen und Herren, wenn man hergeht wie Ministerpräsident Filbinger und derartige Protestdemonstrationen veranstaltet, hätte man eigentlich erwarten müssen, daß der Wirtschaftsminister Eberle und der Finanzminister Gleichauf in dieser Sitzung aufstehen und sagen: Meine Herren, wir legen gegen diesen Vertei-
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8446 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1974
Parl. Staatssekretär Grünerlungsschlüssel Einspruch ein. Das haben beide Herren nicht getan,
weil sie es unter dem Eindruck der Argumente ihrer Länderkollegen nicht für richtig gehalten haben, so zu argumentieren.
Herr Rawe, wollen Sie eine Frage stellen?
Sie müssen hier zwischen Finanzplanungsrat und Konjunkturrat der öffentlichen Hand unterscheiden. Im Konjunkturrat der öffentlichen Hand ist die Entscheidung gefallen. Dort ist zwar eine förmliche Abstimmung wegen der allgemeinen Zustimmung auch nicht vollzogen worden — etwa mit Handerheben —, aber es hat überhaupt keinen Zweifel gegeben, daß dieses Programm beschlossen, gebilligt worden ist, und die entsprechenden Presseerklärungen sind mit Zustimmung der Länder anschließend veröffentlicht worden,
sowohl im Finanzplanungsrat wie auch im Konjunkturrat der öffentlichen Hand.
Aber nun zu einem ganz wichtigen Punkt.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Grüner, noch einmal zur Klarstellung: War in diesen Gremien erkennbar, daß Baden-Württemberg diesem Verteilungsschlüssel nicht zustimmt, oder haben die Leute geschwiegen?
Baden-Württemberg hat durch Wirtschaftsminister Eberle einen anderen Verteilungsschlüssel vortragen lassen.
Der ist abgelehnt worden. Damit war Baden-Württemberg nicht einverstanden, aber es ist keine formelle Ablehnung des dann beschlossenen Schlüssels erfolgt.
Baden-Württemberg hat sich mit seinem eigenen Verteilungsschlüssel, den ich hier schon einmal qualifiziert habe, nicht durchgesetzt.
Entscheidend bleibt aber folgendes. Herr Kollege Wörner, Sie haben das erste und das zweite Konjunktursonderprogramm angesprochen. Wir haben beim ersten Programm in einer anderen konjunkturellen Situation einen anderen Schlüssel gewählt. In dem ersten Sonderprogramm war der Schlüssel maßgeblich, den wir auch für die Stärkung der wirtschaftsschwachen Regionen in der Gemeinschaftsaufgabe zugrunde legen — mit gewissen Modifikationen. Für das, was Baden-Württemberg damals verlangt hat, ist folgendes kennzeichnend. Baden-Württemberg hat in dem ersten Programm einen Verteilungsschlüssel verlangt, der Bayern 5 Millionen DM von seiner Zuteilung genommen hätte, und der bayerische Wirtschaftsminister hat beim gleichen Programm einen Verteilungsschlüssel verlangt, der Baden-Württemberg 5 Millionen DM gekostet hätte. Das ist der Widerspruch, den man in diesen Dingen immer wieder feststellen muß.
Wir sollten uns, glaube ich, als Abgeordnete des Deutschen Bundestages über eines im klaren sein: Wenn wir kooperativen Föderalismus praktizieren wollen, dann muß es möglich sein, sich auf Verteilungsschlüssel zu einigen, die für das ganze Bundesgebiet vertretbar sind und der Lage des ganzen Bundesgebietes Rechnung tragen. Das ist auch in diesem Sonderprogramm geschehen. Es ist sichtbar geworden durch die Übereinstimmung mit immerhin zehn Bundesländern in dieser Frage und durch die Klarstellung, daß der Verteilungsschlüssel, den Baden-Württemberg vorgeschlagen hat, sachlich einfach nicht haltbar und nicht vertretbar war. Denn man kann eine mögliche zukünftige Arbeitslosigkeit, Herr Kollege Wörner, eben nicht zur Grundlage eines solchen Verteilungsschlüssels nehmen.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gallus?
Herr Staatssekretär, können Sie dem Hohen Hause einmal erklären, wie es komme, daß Baden-Württemberg seit der ersten Verteilung im Frühjahr, wo es auch nur 15,6 Millionen DM bekommen hat,
bis zum 30. September erst 51,9 % der Mittel abgerufen hat?
Herr Kollege Gallus, der Abruf der Mittel gibt keinen Hinweis darauf, wie im Einzelfall die Programme abgewickelt werden.
— Meine Herren Kollegen von der Opposition, ichwürde es sehr begrüßen, wenn Sie in dem Bereich,
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Parl. Staatssekretär Grünerwo Ihnen Dinge am Herzen liegen, ähnlich objektiv argumentieren, wie wir das hier von seiten der Regierungsfraktion getan haben.
Lassen Sie mich abschließend, Herr Kollege Wörner, noch ein Wort zur Frage des Hochbaus sagen. Es ist entscheidend gewesen, daß wir uns mit zehn Ländern eindeutig geeinigt haben, daß der eine Maßstab für die Verteilung der Mittel eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit und der zweite Maßstab eine unterdurchschnittliche Beschäftigung im Baubereich sein sollte, weil diese Mittel eine Beschäftigungswirkung regionaler Art erreichen sollten. Hier muß man zur Kenntnis nehmen, daß die Beschäftigungslage im Hochbau in Baden-Württemberg sehr viel günstiger ist, als in anderen Bundesländern. Wir sollten froh sein, daß das so ist. Bei der ganzen Diskussion über die Verteilung der Mittel wird immer wieder übersehen, daß die Länder, die viel Geld aus solchen Sonderprogrammen bekommen, eben nicht so günstig stehen wie andere. Das ist kein Vorteil, sondern in Wahrheit ein Nachteil. Wir sollten in Baden-Württemberg sagen: Wir können froh sein, daß wir so gesund strukturiert sind.
— Ich will Ihnen das noch nicht einmal bestreiten, Herr Kollege Jenninger.
Wenn Sie sich dabei beruhigten und in der baden-württembergischen Offentlichkeit nicht der Eindruck erweckt würde, als ob hier schwere Benachteiligungen stattfänden, dann würde ich Ihnen sogar gern zugestehen, daß die CDU-Landesregierung hier einen Anteil leistet. Dabei meine ich allerdings: Entscheidend ist die erfolgreiche Politik, die diese Regierung im Bereich der Wirtschaft betrieben hat; denn hier werden die Rahmendaten gesetzt, die die Gesamtentwicklung bestimmen. Das, glaube ich, Herr Kollege Jenninger, können wir übereinstimmend feststellen.Aber, Herr Wörner, lassen Sie mich sagen: Da dieses Programm vorwiegend in den Hochbaubereich zielt, ist es ganz natürlich, daß die Situation im Bauhauptgewerbe nicht unberücksichtigt bleiben konnte. Hier zeigt die amtliche Arbeitsmarktstatistik — darauf hat Herr Minister Friderichs hingewiesen — in der Tat, daß in Baden-Württemberg bisher nicht nur die Arbeitslosigkeit im Bauhauptgewerbe relativ gering ist, sondern auch die Nachfrage nach Arbeitskräften in diesem Bereich, also die Zahl der offenen Stellen, relativ hoch ist. Dieser in Baden-Württemberg zugunsten der offenen Stellen bestehende Saldo hat sich von Juli bis August sogar noch vergrößert. Die Zahl der offenen Stellen übersteigt die Zahl der Arbeitslosen. An diesen Tatsachen konnten die übrigen Bundesländer und die Bundesregierung nicht vorübergehen, als wir dieses Programm konzipierten.Ich fuge hinzu, daß wir uns von der Bundesregierung, vom Bundeswirtschaftsministerium in dieserAuseinandersetzung zwischen den Ländern darüber, ob nur die absoluten Zahlen der Arbeitslosigkeit oder auch noch andere Merkmale in dieses Programm eingeführt werden sollten, schließlich durchgesetzt haben, indem wir nämlich noch die Arbeitsmarkt-Prognosen, die aus der regionalen Strukturpolitik stammen, in dieses Programm einführen konnten. Damit wurde sichergestellt, daß Baden-Württemberg nicht wegen der absolut geringeren Höhe der Arbeitslosigkeit leer ausging, sondern noch mit einem Betrag aus diesem Programm, das für die Infrastruktur der Gemeinden vorgesehen ist, in Höhe von 12 Millionen DM bedacht worden ist.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jenninger?
Herr Staatssekretär, können Sie mir einmal die Gründe darlegen, warum diese auch von mir für sehr vernünftig gehaltenen Kriterien für die 180 Millionen DM nicht durchgehend für das gesamte Programm der 950 Millionen DM zugrunde gelegt worden sind?
Das war deshalb nicht der Fall, weil darüber anläßlich der Programmdiskussion, die Verteilung ausschließlich nach der Arbeitslosigkeit gezielt verlangte, keine Übereinstimmung erzielt werden konnte. Herr Kollege Dr. Jenninger, es war ja schon schwierig, einen Beschluß zu verhindern, daß ausschließlich die Arbeitslosigkeit — dafür hätten natürlich gute Gründe gesprochen – zugrunde gelegt wird. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich mich hier vor allem mit den Argumenten aus Baden-Württemberg auseinandergesetzt habe.
Alle anderen Fragen sind hier nun eingehend diskutiert worden.
Herr Kollege Wörner, es soll uns in der Zukunft darauf ankommen, daß wir es vermeiden, wie Ministerpräsident Filbinger das getan hat, hier Polemik in die Öffentlichkeit zu tragen, die mit der sachlichen Entscheidungsgrundlage nichts zu tun hat.
Hier lobe ich mir in diesem Zusammenhang die zurückhaltende Art von Wirtschaftsminister Eberle und Finanzminister Gleichauf; denn die haben eben erlebt, wie die Diskussion gelaufen ist, und sie haben erlebt, daß sie keinen anderen sachlich haltbaren Schlüssel vorschlagen konnten, weil die Lage in Baden-Württemberg im Augenblick Gott sei Dank noch besser ist. Sollte sich das ändern, sollten weitere Programme notwendig werden, was Gott verhüten möge, dann wird selbstverständlich auch der Verteilungsschlüssel für Baden-Württemberg ein anderer sein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehrenberg.
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8448 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1974
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem gegen die unsprüngliche Verabredung, die ja auf eine Erklärungsrunde abgestellt war, die Opposition es für richtig hielt, eine Debatte anzufangen,
bitte ich meine Kollegen von der Medienpolitik um Verständnis dafür, daß hier abschließend noch zwei Feststellungen notwendig sind.
Erstens zum verehrten Kollegen Sick. Ich habe mit großer Freude und viel Interesse zur Kenntnis genommen, daß Herr Sick hier eindeutig festgestellt hat — so eindeutig ist das von den Oppositionsbänken noch nie erfolgt —, daß wir zur Zeit eine strukturelle Krise haben und keine konjunkturelle. Das ist insofern bedeutsam, als jedermann, der mit der nationalökonomischen Terminologie vertraut ist, weiß, daß sich Strukturen nur sehr langfristig und sehr langsam verändern, Konjunkturen jedoch etwas Schnelles und Bewegliches sind. Herr Sick hat für die Opposition damit eindeutig festgestellt, daß die gegenwärtigen Schwierigkeiten ihren Ursprung in den Versäumnissen von zwei Jahrzehnten ohne Strukturpolitik haben. Dafür sage ich der Opposition herzlichen Dank. Endlich wurde auch von ihrer Seite bestätigt, daß zwei Jahrzehnte falscher Wechselkurspolitik die gegenwärtigen Strukturschwierigkeiten begründet haben.
Das glaubt jeder, der etwas von Wirtschaft versteht.
Das heißt doch, daß Sie mehr haben wollen. Sie haben aber auch gesagt: Niemand soll weniger haben.
Also muß das Programm insgesamt vergrößert werden. Dann würde ich gern von Ihnen wissen, wie diese Forderung aus Baden-Württemberg nach mehr mit all dem, was von diesen Oppositionsbänken zur Stabilitätspolitik gesagt worden ist, auch nur im geringsten vereinbar sein soll.
Diesen Widerspruch werden Sie klären müssen. Abschließend bleibt hier nur festzustellen: von Heide bis Göppingen kommt viel Wind und nichts Konkretes zu diesem Programm!
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Debatte.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Ausschußantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zwei Gegenstimmen und zwei Enthaltungen angenommen.
Wir kommen nunmehr zu dem Entschließungsantrag der SPD und FDP auf Drucksache 7/2658. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen.
Auf Grund interfraktioneller Vereinbarung soll jetzt der Tagesordnungspunkt 22 aufgerufen werden:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses
— Drucksache 7/2507 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß Rechtsausschuß
Zur Einbringung hat das Wort Herr Bundesminister Maihofer.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Novelle des Gesetzes zu Art. 10, über die Sie heute beraten, ist bestimmt vom Bestreben dieser Bundesregierung, den Schutz der Sicherheit unseres Staates weiter zu stärken. Diese Novelle ist zugleich aber auch bestimmt von dem Bestreben, diesen Schutz der Sicherheit mit den Geboten unseres Rechtsstaates in Einklang zu bringen und zu halten.Das Gesetz zu Art. 10 des Grundgesetzes ist, wie Sie alle wissen, im Jahre 1968 im Zusammenhang mit der Verabschiedung der Notstandsverfassung beschlossen worden. Sie erinnern sich noch an die leidenschaftlichen Auseinandersetzungen, die in diesem Zusammenhang in diesem Hohen Hause und draußen im Land nicht zuletzt auch um dieses Gesetz geführt worden sind. Diese Auseinandersetzungen hatten ihren Nachhall in dem verfassungsgerichtlichen Verfahren, in dem die grundsätzlichen
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1974 8449
Bundesminister Dr. Dr. h. c. MaihoferRegelungen dieses Gesetzes, die sich auf den Ausschluß des Rechtsweges beziehen, angefochten worden sind.In seinem vielbeachteten Urteil vom 15. Dezember 1970 hat hierzu das Bundesverfassungsgericht mit 4 : 4 Stimmen festgestellt, daß das Gesetz zwar dem Grundgesetz entspricht, mit der Maßgabe freilich, daß die Regelung des § 5 Abs. 5 des Gesetzes insoweit mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist, als sie die Unterrichtung des Betroffenen über Beschränkungsmaßnahmen auch dann ausschließt, wenn sie ohne Gefährdung des Zwecks der Beschränkung erfolgen könnte.Seitdem sind nahezu vier Jahre verstrichen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat zwar in der Fachwelt eine breite juristische Diskussion ausgelöst, in der politischen Praxis ist es um das Gesetz dagegen still geworden. Das Gesetz wurde von den beteiligten Stellen der Regierung und des Parlaments, die darin vorgesehen sind, mit höchster Sorgfalt, aber auch beträchtlicher Wirksamkeit angewandt. Dabei wurden wertvolle Erfahrungen gesammelt. Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich darüber in der Offentlichkeit Einzelheiten nicht ausbreiten kann. Ich darf mich insoweit auf die Unterrichtungen des parlamentarischen Gremiums beziehen, das nach § 9 des Gesetzes in Abständen von allerhöchstens sechs Monaten über die Durchführung des Gesetzes unterrichtet wird.Mit dem Entwurf, der Ihnen nunmehr zur Beratung vorgelegt wird, verfolgt die Bundesregierung ein zweifaches Ziel:Erstens enthält der Entwurf Verbesserungen, die sich bei der bisherigen praktischen Anwendung des Gesetzes als notwendig erwiesen haben. Die Eingriffstatbestände des Gesetzes werden deshalb um zwei Regelungen erweitert, die den Schutz der alliierten Stationierungsstreitkräfte und die bessere Überwachung extremistischer Ausländerorganisationen zum Ziel haben, die auf dem Boden der Bundesrepublik in konspirativer Weise tätig sind und die die Sicherheit unseres Staates in bedrohlicher Weise gefährden.Zweitens. Vor allem aber zieht der Entwurf die juristischen Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Der damit gebotenen Verstärkung des rechtsstaatlichen Schutzes der Rechte des einzelnen dienen weitere Vorschriften dieses Entwurfs.Bereits mein Vorgänger im Amt hat — das können wir heute mit Stolz feststellen — über die gegenwärtige gesetzliche Regelung hinausgehend angeordnet, daß Beschränkungsmaßnahmen grundsätzlich erst dann vollzogen werden, wenn sie von der dafür vorgesehenen parlamentarischen Kommission gebilligt sind. Er hat damit die nachträgliche Kontrolle durch die Kommission, wie sie zunächst im Gesetz stand, in eine grundsätzlich vorausgehende Kontrolle umgewandelt. Dieses Verfahren hat sich inzwischen eingespielt und bewährt und soll nun auch gesetzlich verankert werden.Außerdem stellt der Entwurf klar, daß der Rechtsweg dann nicht ausgeschlossen sein soll, wenn demBetreffenden, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, von einer Überwachung Mitteilung gemacht wird. In allen diesen Fällen tritt neben die Kontrolle durch das parlamentarische Gremium nun die Möglichkeit der gerichtlichen Kontrolle. Damit ist ein Höchstmaß an rechtsstaatlicher Sicherung auch in solchen Verfahren gewährleistet.Schließlich sieht der Entwurf Regelungen vor, die sicherstellen sollen, daß durch Maßnahmen nach diesem Gesetz die Verteidigung eines Betroffenen im Strafverfahren nicht beeinträchtigt werden kann.Meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf ist sicher kein spektakuläres Projekt. Er bemüht sich nüchtern, das juristische Instrumentarium, das das Grundgesetz mit der Möglichkeit der Post- und Telefonüberwachung zur Verfügung stellt, wirksam, aber auch rechtlich weiterzuentwickeln. Die Bundesregierung ordnet ihn ein in die große Zahl ihrer Bemühungen um die Verstärkung der Sicherheit in unserem Lande. Diese Bemühungen sind — und ich finde das gut so — bisher von allen Seiten dieses Hohen Hauses und von Bund und Ländern gemeinsam getragen worden. Von diesem Geist demokratischer Kooperation mit dem Ziele der Stärkung unserer inneren Sicherheit sollten auch die weiteren Beratungen dieses Gesetzentwurfs getragen sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Miltner.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind Grundrechte, die nur auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden dürfen. Der hohe Wert dieser Grundrechte und auch der Verfassungsrang in Art. 10 des Grundgesetzes verlangen von uns Abgeordneten äußerste Vorsicht und Genauigkeit bei der Ausgestaltung des Gesetzesvorbehalts. Denn der Schutz des Bürgers vor staatlichem Eingriff in seine Privatsphäre ist die klassische rechtsstaatliche Aufgabe aller Staatsgewalten wie der Legislative. Bei der Schaffung des Art.-10-Gesetzes war 1968 der Weg zu beschreiben, wie im Interesse eines wirksamen Staats- und Verfassungsschutzes Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unter ganz bestimmten Voraussetzungen zugelassen werden konnten.Der heute einzubringende Entwurf zur Änderung dieses Art.-10-Gesetzes war notwendig geworden, weil das Bundesverfassungsgericht am 15. Dezember 1970 § 5 Abs. 5 dieses Gesetzes insoweit für verfassungswidrig erklärte, als es die Unterrichtung des Betroffenen über Beschränkungsmaßnahmen auch dann ausgeschlossen hat, wenn eine Unterrichtung ohne Gefährdung des Zwecks der Beschränkung hätte erfolgen können. Der Anlaß der Gesetzesänderung ist also eine Folge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.Es kann den sozialliberalen Regierungen seit 1970 nicht der Vorwurf erspart bleiben, daß sie immerhin vier Jahre gebraucht haben, um der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einer Novelle zum
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8450 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1974
Dr. MiltnerArt.-10-Gesetz Rechnung zu tragen. Schon im Januar 1972 schrieb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" zu diesem Thema, daß sich die Konsequenzen aus dem Urteil trotz der Auskunft des damaligen Bundesinnenministers verzögerten und weiter auf sich warten ließen. Nun haben wir schließlich im Oktober 1974 die Einbringung. Wir sollten daher auch bemüht sein, die Beratung des Gesetzes zügig abzuschließen.Zum Inhalt des Gesetzes kann im wesentlichen folgendes gesagt werden. Die Regelung, wonach der Betroffene von einer abgeschlossenen Überwachung dann unterrichtet werden muß, wenn diese Unterrichtung ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme möglich ist, ist die entscheidende Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Es ist darüber hinaus zu begrüßen, daß bei Gelegenheit der durch diese Entscheidung notwendigen Gesetzesänderungen auch zwei weitere Straftatbestände, nämlich § 89 StGB und § 47 Abs. 1 Nr. 7 des Ausländergesetzes, für eine Maßnahme in das Art.-10-Gesetz aufgenommen wurden.Damit sollen der Tatbestand der Zersetzung bei NATO-Truppen der nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikpaktes und weiter der Tatbestand der konspirativ in einem Geheimbund arbeitenden terroristischen Ausländer berücksichtigt werden. Es hat sich nämlich bei diesen beiden Tatbeständen als notwendig erwiesen, im Vorfeld strafprozessualer Ermittlungen die Möglichkeiten des Art.-10-Gesetzes ergreifen zu können.Ein wichtiger Punkt der Gesetzesänderungen soll in der Einführung einer Ausnahmeregelung für Verteidiger liegen, die den Maßnahmen des Art.-10-Gesetzes nicht unterworfen werden sollen. Dagegen hat der Bundesrat mit dem Hinweis auf die Erfahrungen mit Anwälten, die mit Anarchisten sympathisieren, Einwendungen erhoben. Er hat gleichzeitig festgestellt, daß die bisherige diesbezügliche Vorschrift im Art.-10-Gesetz vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich als verfassungskonform erklärt worden ist. Diese beiden gegenteiligen Standpunkte von Bundesregierung und Bundesrat müssen in der Beratung im Hinblick auf eine wirksame Anwendung des Gesetzes sorgfältig überprüft werden.Zu einem weiteren wichtigen Punkt legt die Bundesregierung eine Gesetzesänderung vor, und zwar zum Entscheidungsverfahren der Kommission. In den letzten Jahren hat der Bundesminister des Innern in der Praxis vor der Anordnung einer Maßnahme nach dem Art.-10-Gesetz eine Kommission gehört.
— Doch, vor der Anordnung! — Die Bundesregierung will nun diese Praxis der Vorabunterrichtung gesetzlich festschreiben. Dagegen sind prinzipielle Bedenken anzumelden. Wenn nämlich die Kommission vor dem Minister entscheiden soll, wird die originäre Verantwortung für eine Maßnahme der Exekutive verlagert und der Kommission zugeschrieben. Zwar kann sich die Bundesregierung auf diePraxis berufen, aber entscheidend für eine Verlagerung der Verantwortung ist schließlich die gesetzliche Festschreibung. Der Minister ist eben dem Parlament gegenüber der Verantwortliche — auch bei diesem Gesetz.
Wir sollten daher vermeiden, dem Minister Mitverantwortliche an die Seite zu geben, die dem Parlament nicht verantwortlich sind.Dieses und andere Probleme werden einer eingehenden Erörterung im Ausschuß bedürfen. Die CDU/CSU-Fraktion wird dazu beitragen, das Gesetz sorgfältig, aber auch zügig zu beraten.
Das Wort hat der Abgeordnete Arndt .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion darf ich Ihnen zu dem vorliegenden Gesetzentwurf folgende Erklärung abgeben.Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands im Deutschen Bundestag begrüßt diesen Entwurf. Er bringt drei bedeutende Verbesserungen auf dem hier zur Debatte stehenden Gebiet im Sinne von mehr Rechtsstaatlichkeit und von mehr demokratischer Transparenz, nämlich:Erstens. Im Gesetz wird nunmehr ausdrücklich verankert, was seit Antritt der sozialliberalen Koalition bereits ständige Praxis war: Der zuständige Minister unterrichtet die Dreier-Kommission vor dem Vollzug der Überwachungsmaßnahme. In Einschub in die Erklärung der SPD, die ich abzugeben habe, darf ich meinem Herrn Vorredner sagen, daß er insofern eben einem Irrtum unterlegen ist, als nicht die Dreier-Kommission — der ich selber seit 1968 angehöre und deren Praxis ich daher sehr genau kenne — vor der Anordnung des Ministers eingeschaltet worden ist und nach dem Gesetz werden soll, sondern daß zunächst die Anordnung des zuständigen Ministers ergeht, daß dann die Dreier-Kommission eingeschaltet wird und daß erst dann der Vollzug der Maßnahme erfolgt.Das ist ein entscheidender Unterschied; und zwar gerade derjenige Unterschied, der Wert darauf legt, daß die parlamentarische Verantwortlichkeit des anordnenden Ministers beibehalten wird. Ich selber habe mich in der Kommission immer mit großem Nachdruck dafür eingesetzt, daß hier keine Verantwortlichkeiten verwischt werden. Das wird auch durch diesen Entwurf nicht gemacht und ist auch in der bisherigen Praxis seit 1969 nicht so gewesen. Herr Kollege, Sie sind insoweit einem Irrtum unterlegen.Ich darf zur Erklärung der sozialdemokratischen Fraktion zurückkehren. In Zukunft wird also gesetzlich das fixiert, was bisher bereits auch seit Antritt der sozialliberalen Koalition die Praxis war. Es wird nämlich nach der Anordnung des Ministers, aber
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1974 8451
Dr. Arndt
bevor die Anordnung in Vollzug gesetzt wird, die Dreier-Kommission eingeschaltet, ohne deren Genehmigung Maßnahmen in diesem Lande schlechterdings unzulässig sind. Eine Ausnahme besteht — und muß natürlich bestehen — dann, wenn Gefahr im Verzuge ist. Dann kann und muß der Minister den Vollzug auch sofort anordnen.Zweitens. Neu eingeführt wird — und zwar auf Grund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts — die Mitteilung an den Betroffenen nach Einstellung der Maßnahme der Post- oder Telefonüberwachung und zugleich damit die Eröffnung des Rechtsweges an die Gerichte. Auch das wird bereits heute praktiziert. Die Bundesregierung hat bereits in den zurückliegenden Monaten in ganz erheblichem Umfange Betroffenen, die der Post- oder Telefonkontrolle unterlegen haben, die entsprechenden Mitteilungen gemacht. Offensichtlich sind diese Mitteilungen bei den Betroffenen bisher mindestens auf Verständnis gestoßen; denn bisher hat sich noch nicht ein einziger der Benachrichtigten dagegen gewandt, daß er nun, wie ihm mitgeteilt worden ist, in einer bestimmten Zeit hinsichtlich seiner Post oder seines Telefons überwacht worden ist. Das ist die Folge aber auch die einzige unmittelbare Folge —, die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1970 ergeben hat, das seinerseits auf Grund eines Antrages des Landes Hessen und gleichzeitig verschiedener Verfassungsbeschwerden ergangen war.Allerdings wird jedermann in diesem Lande verstehen, daß eine Mitteilung an den Betroffenen nach Abschluß der Maßnahme nur dann erfolgt, wenn der Zweck der Maßnahme selbst nicht mehr gefährdet ist, es sei denn, fünf Jahre sind nach ihrem Abschluß vergangen. Aber selbst in den Fällen, in denen also — nach der bisherigen Praxis auf Grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts und auch nach der Neufassung des Gesetzes — eine Mitteilung nicht erfolgt, ist dennoch die Rechtsstaatlichkeit in diesem Lande absolut sichergestellt. Denn in jedem Falle wird die Dreier-Kommission ja tätig, und ohne deren Genehmigung gibt es in diesem Lande keine derartige Maßnahme.Die Dreier-Kommission, die sich selbst übrigens — das darf ich insbesondere dem Herrn Bundesminister des Innern sagen — nicht als ein parlamentarisches Gremium, sondern in ihrem Selbstverständnis als eine andere Form des Rechtsweges im Sinne von Art. 19 des Grundgesetzes versteht —, nach Verfahren und Kontrollart außerdem wie ein Gericht arbeitet mit dem einzigen Unterschied, daß sic aus der Natur der Sache heraus dem Betroffenen kein rechtliches Gehör gewährt und gewähren kann —, bietet schon auf Grund der Qualifikation einer Reihe von Persönlichkeiten, die ihr angehören, in diesem Lande Gewähr dafür, daß sich jedermann darauf verlassen kann, daß hier nichts Unrechtes geschehen wird. Ich möchte nur den seit 1968 amtierenden Vorsitzenden dieser Kommission, den früheren Chefjustitiar des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Professor Dr. Kunze, erwähnen oder den früheren Generalbundesanwalt Güde oder die Freien Demokraten Busse, den unvergeßlichen Rechtsmitarbeiter in diesem Hause,
und den liberalen Kölner Bürgermeister Jacobs.Drittens. Dieses Gesetz bringt eine Formulierung für den ein neues Anwalts-, für ein neues Verteidigerprivileg mit sich, obwohl, wie dem Herrn Vertreter der CDU/CSU-Fraktion und auch dem Bundesrat zuzugeben ist, das Bundesverfassungsgericht auch die bisherige Regelung ohne Verteidigerprivileg für verfassungskonform erklärt und gesagt hat, es habe sich auch bis heute zumindest nicht um einen Verstoß gegen Art. 12 des Grundgesetzes, also gegen die Freiheit der Berufsausübung des Verteidigers, gehandelt.Als Verteidiger können Rechtsanwälte und Lehrer des Rechts an den deutschen Hochschulen auftreten. Sie sind dann schlechthin von Maßnahmen nach diesem Gesetz ausgeschlossen, es sei denn, daß sie selbst Verdächtige sind.Es könnte nach Auffassung der sozialdemokratischen Fraktion zweifelhaft sein, ob diese Regelung rechtlich unbedingt erforderlich ist, da § 2 Abs. 2 auch des geltenden Gesetzes bereits eine Überwachung von Personen, die Mitteilungen für den Verdächtigten annehmen oder für ihn transportieren, sowie Maßnahmen der Telefonüberwachung gegen einen Nichtbetroffenen zuläßt, über dessen Telefonanschluß ein Betroffener solche Mitteilungen entgegennimmt. Die vorgeschlagene Gesetzesvorschrift könnte bei strenger Überlegung eigentlich nur dann eine Anwendung finden, wenn der Betroffene Untermieter seines Verteidigers wäre; sonst ist eigentlich — auch nach der bisherigen Gesetzeslage — eine praktische Anwendung weitgehend nicht erkennbar.Wenn wir uns dennoch freuen, daß hier eine solche Vorschrift enthalten ist, beruht dies darauf, daß wir das Prinzip der freien Advokatur als ein so hohes rechtsstaatliches Gut ansehen, daß wir auch nur den Anschein vermeiden wollen, als könnte hier durch dieses Gesetz die freie Verteidigung in einem Strafverfahren beeinträchtigt werden. Das demonstriert den Willen dieser Regierung und der sie tragenden Koalition zum Rechtsstaat und das Bekenntnis zur freien Advokatur.Schließlich sind hier noch zwei Änderungen zu erwähnen, die wir ebenfalls für notwendig halten, weil wir sie aus der Verantwortung für diesen Staat heraus bejahen. Ich meine erstens die völlige Gleichstellung der alliierten Stationierungsstreitkräfte in Berlin und im übrigen Bundesgebiet mit der Bundeswehr hinsichtlich des Schutzes, der durch dieses Gesetz gewährt werden soll. Wenn eine Überwachung zum Schutz der Bundeswehr nach bisherigem Recht zulässig war und zulässig bleiben soll, soll die gleiche Art der Überwachung auch zum Schutz der uns verbündeten Streitkräfte hier in diesem Lande zulässig sein. Bisher deckten sich diese beiden Rechtsbereiche nicht vollständig; wir begrüßen, daß sie sich in Zukunft vollständig decken werden.Zweitens begrüßen wir in diesem Komplex, daß jetzt mit § 47 Abs. 1 Nr. 7 des Ausländergesetzes
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Dr. Arndt
bei der Geheimbündelei von Ausländern, auch dann, wenn sie sich nicht unmittelbar gegen die deutsche Verfassungsordnung richtet, eine Möglichkeit zum Schutz der Freiheit und Sicherheit dieses Landes gegeben wird. Die Bundesrepublik darf kein Tummelplatz ausländischer Geheimdienste und ausländischer Geheimbünde sein. Gerade gewisse Ereignisse während der Nahost-Kriege der vergangenen Jahre haben uns gelehrt, daß hier unser Instrumentarium zum Schutz gerade unserer eigenen Bürger vor Machenschaften in diesem Lande nicht vollständig genug war.Meine Damen und Herren, abschließend darf ich für die sozialdemokratische Fraktion sagen: Niemand von uns wird sich mit Begeisterung und Hingabe mit einer Materie wie dem Eingriff des Staates in das Post- und Telefongeheimnis befassen. Dennoch müssen wir ausdrücklich sagen: wir fühlen Verantwortung für diesen unseren Staat, und da dieser mit geheimdienstlichen Mitteln angegriffen, im geheimen angegriffen wird, sind wir bereit, ihn auch mit den erforderlichen Mitteln zu verteidigen.Allerdings darf und muß diese Verteidigung adäquat unserer Staats- und Verfassungsordnung sein. Als Demokraten und Sozialisten wissen wir, daß es für uns immer eine Zweck-Mittel-Relation gibt, die der freiheitliche Staat in jedem Fall zu beachten hat. Wir wahren daher zu unserem eigenen Schutz und dem unserer Freiheit den Rechtsstaat auch bei solchen Maßnahmen.Weil dieses Gesetz für jedermann erkennbar diesem Zwecke dient, begrüßen wir es und werden seine baldige Verabschiedung anstreben, nachdem wir es gründlich in den beiden Ausschüssen, die dafür vorgesehen sind, nämlich dem Innenausschuß und dem Rechtsausschuß, beraten haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe für meine Fraktion eine kurze Erklärung abzugeben. Das Artikel-10-Gesetz ist ein Kind der Notstandsgesetzgebung gewesen. Damals hat dieses Haus eine Regelung beschlossen, die einen tiefen Eingriff in ein altes Freiheitsrecht ermöglicht, nämlich in das Post- und Briefgeheimnis. Durch Art. 10 Abs. 2 des Grundgesetzes war vorgesehen worden, daß die Beschränkung dieses Rechtes beim Betroffenen nicht mitgeteilt zu werden braucht und daß der Rechtsweg zugunsten einer parlamentarischen Kommission ausgeschlossen werden kann.Wir Liberalen haben vor Jahren immer wieder erklärt, daß diese umfassende Regelung des Artikel-10-Gesetzes in seiner ursprünglichen Form verfassungswidrig ist. Es ist uns unverständlich geblieben, daß diese Einsicht zum Wohle staatlicher Raison verdrängt werden konnte. Ich habe die Rede nachgelesen, die — —
— Nicht durch diese Verfassungsänderung, aber durch das Gesetz selber, das unserer Meinung nach eine — und das Verfassungsgericht hat es ja bestätigt — —
— Herr Kollege Wehner, Sie werden sich daran erinnern, daß wir, der Herr Kollege Busse, seinerzeit in der Rede vom 15. Mai 1968 — ich habe sie nachgelesen — gerade die Regelung als verfassungswidrig angegriffen haben, die nun auch das Bundesverfassungsgericht als nicht haltbar erklärt hat, nämlich die Regelung, daß die Benachrichtigung des Betroffenen auch dann nicht erfolgt, wenn der Untersuchungszweck nicht mehr gefährdet ist.Das war ja in der Tat nicht einzusehen, warum eine Benachrichtigung nach § 101 StPO in diesen Fällen dann erfolgt, wenn ein Richter oder Staatsanwalt eingeschaltet war, nicht aber, wenn andere Staatsorgane die Überwachung beschlossen hatten. Es ist interessant, nachzulesen, daß der Abgeordnete Wilhelmi von der CDU damals diese Regelung damit verteidigt hat, daß die Gerichte bei einer solchen Prüfung überfordert seien, weil es sich um eine politische Frage und nicht um eine rechtliche Frage handele.Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 1970 ist zu begrüßen, weil es nun vorschreibt, daß die Betroffenen von Beschränkungsmaßnahmen unterrichtet werden müssen, wenn das ohne Gefährdung des Beschränkungszweckes erfolgen kann. Der damalige Innenminister Genscher hat bereits in der Praxis entscheidende Verbesserungen der Rechtsstellung des Betroffenen eingeführt, nämlich z. B. durch die grundsätzliche Unterrichtung der Kommission vor Inangriffnahme der Beschränkungen. Hier sind wir ganz im Gegensatz zu dem Kollegen Miltner der Meinung, daß der Minister durch die vorherige Unterrichtung keineswegs aus seiner eigenen Verantwortung entlassen wird. Wir begrüßen — —
— Sie haben doch dargestellt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, daß durch die vorherige Unterrichtung der Kommission durch den Minister dieser seine Verantwortung auf ein parlamentarisches Gremium abschiebe. Ich sage Ihnen, daß dies nach unserer Auffassung genau falsch ist, daß der Minister eben nicht aus seiner eigenen Verantwortung entlassen wird. Denn er ist es doch gerade, der die Vorlage macht, eine bestimmte Person zu überwachen.Wir begrüßen außerdem die Freistellung der Verteidiger, soweit sie nicht selbst als unmittelbar Verdächtige in Betracht kommen. Diese Ausnahme ist notwendig, denn jeder Anwalt wird sich die Übernahme einer entsprechenden Verteidigung sehr
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Dr. Hirschüberlegen, wenn er ohne eigenes Verschulden in die Gefahr gerät, daß er und auch seine gesamte sonstige Mandantschaft durch die Überwachung des Telefonverkehrs seiner Praxis in eine solche Überwachungsmaßnahme mit einbezogen wird. Diese Möglichkeit war für einen verantwortungsbewußten Verteidiger unerträglich.Wir begrüßen auch die Eröffnung des Rechtsweges. Es wird auch bei nachträglichen Feststellungen für die Verwaltungspraxis nicht ohne Bedeutung sein, wenn ein unabhängiges Gericht die Berechtigung von Überwachungsmaßnahmen prüfen kann.Es ist mir absolut unverständlich, daß der Bundesrat auf Antrag des Landes Bayern und mit den Stimmen der CDU/CSU-Länder die Streichung sowohl des Anwaltsprivilegs als auch der Zulässigkeit des Rechtsweges mit der lapidaren Begründung gefordert hat, daß hierfür kein Bedürfnis bestehe. Es wäre unserer Meinung nach dankbar zu begrüßen, wenn die Opposition wenigstens hier einmal dem Wunsche der bayerischen Landesregierung widerstehen und ein Gesetz mitbeschließen könnte, das auf einem wichtigen Gebiet rechtsstaatliche Verfahrensregeln gesetzlich fixieren wird.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Es ist vorgeschlagen, den Gesetzentwurf federführend an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden, dann bitte ich um das Handzeichen? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Pressestatistik
— Drucksache 7/2407 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes
— Drucksache 7/2467 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
c) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Erhaltung der Pressevielfalt
— Drucksache 7/2633 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk
— Drucksache 7/2539 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß Innenausschuß
e) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung, der Zivilprozeßordnung, der Reichsabgabenordnung und der Finanzgerichtsordnung
— Drucksache 7/1681 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß Innenausschuß
Finanzausschuß
f) Erste Beratung des von den Abgeordneten Vogel , Reddemann, Dr. Klein (Göttingen), Erhard (Bad Schwalbach) und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes
— Drucksache 7/1804 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Sonderausschuß für die Strafrechtsreform Innenausschuß
g) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung
— Drucksache 7/2377 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Es ist die Anregung gegeben worden, daß wir in der Debatte eine gewisse Unterteilung machen, und zwar zunächst a) bis c), dann d), e) und g) und schließlich f).
Wir kommen zunächst zur Einbringung bzw. Begründung der Vorlagen unter a) bis c). Zu Punkt a) hat Herr Bundesminister Maihofer das Wort.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Gesetz über eine Pressestatistik, dessen Entwurf dem Hohen Hause heute zur ersten Lesung vorliegt — und dazu will ich einen nüchternen, erläuternden Beitrag zur Einleitung der Pressedebatte leisten —, soll zum erstenmal gesetzlich die Möglichkeit geschaffen werden, gesicherte Kenntnisse über Lage und Entwicklung der Presse zu erlangen. Die Vorlage folgt einer Aufforderung des 6. Deutschen Bundestages vom 2. Juli 1969. Die Bundesregierung hat die Arbeiten am Entwurf eines Gesetzes für eine Pressestatistik bereits Anfang 1970 aufgenommen. Sie hatte dazu äußerst schwierige Vorverhandlungen mit den Verbänden zu führen, die über lange Zeit hinweg ihre Zustimmung zu einer gesetzlichen Pressestatistik verweigerten und auf freiwillige Erhebungen verwiesen. Inzwischen haben auch die Verbände eingesehen, daß es um die Erhebung von Fakten und Daten geht, die sie zur Erkenntnis ihrer eigenen Lage nicht weniger dringend benötigen.
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Bundesminister Dr. Dr. h. c. MaihoferDie Bundesregierung hat diese bedauerliche Verzögerung ihres Vorhabens mit Sorge gesehen, ging inzwischen doch das Fortschreiten der Pressekonzentration, das in den Jahren 1967 bis 1969 Parlament und Öffentlichkeit erregt und den Anlaß für ein Pressestatistikgesetz gegeben hatte, stetig weiter. Von Hannover über Stuttgart und Bremen bis ins Ruhrgebiet führt daher eine gerade Linie bis in unsere Tage. Die Presse ist heute in einer ähnlichen Lage wie damals. Wieder befindet sich besonders die Tagespresse in einer wirtschaftlich prekären Situation. Wieder ereignen sich spektakuläre Konzentrationsvorgänge, und wieder ergibt sich das gleiche Bild: Auch der heutigen Forderung nach wirtschaftlichen Maßnahmen für die Presse stehen ebenso mangelhafte Kenntnisse über ihre tatsächliche Lage gegenüber.Dies sage ich nicht, weil ich den Irrglauben hegte, daß mit Pressestatistik allein Pressekonzentration verhindert werden könnte. Ich halte dieses statistische Instrument aber für eine unverzichtbare Voraussetzung verantwortlicher wirtschaftlicher Maßnahmen zur Erhaltung und Förderung der Meinungsvielfalt in unserem Pressewesen.In ihrem Bericht über die Lage von Presse und Rundfunk vom 15. Mai 1974 hat die Bundesregierung deshalb gesagt:Dieses Material soll es ermöglichen, Entwicklungen, die die Freiheit çler Presse bedrohen könnten, rechtzeitig zu erkennen und etwaigen Gefahren zu begegnen. Die Statistik soll auchl den zuständigen Behörden Entscheidungshilfen liefern, wenn zur Erhaltung der Vielfalt des Informationsangebots wirtschaftliche Maßnahmen zugunsten hilfsbedürftiger Verlage eingeleitet werden sollen.Natürlich geht es bei solcher wirtschaftlicher Hilfe immer auch um die Arbeitsplätze von Journalisten.
Selbstverständlich geht es besonders auch um die wirtschaftliche Sicherung mittelständischer Betriebe. Es geht hier aber zugleich immer auch um mehr und anderes, nämlich darum, ob unsere freie Presse ihre öffentliche Aufgabe, die ihr von der Verfassung in einer konstitutionellen Demokratie zugewiesen ist, erfüllen kann oder nicht. Es geht — anders ausgedrückt — um die Gewährleistung der Meinungsvielfalt der Presse bei ihrer täglichen Mitwirkung an der staatsunabhängigen Bildung der öffentlichen Meinung.Diese Sicherstellung der demokratischen Funktion und nicht etwa nur die ökonomische Situation eines Presseunternehmens ist der eigentliche Grund für wirtschaftliche Hilfsmaßnahmen im Bereich der Presse. Deshalb hat die Bundesregierung, als erneute Berichte über wirtschaftliche Schwierigkeiten mit spektakulären Konzentrationsprozessen zusammentrafen, im März 1974 einen Staatssekretärausschuß gebildet, der die Aufgabe hat, die wirtschaftliche Situation der Zeitungsverlage zu untersuchen und gegebenenfalls Vorschläge zu entwickeln. Auf Vorschlag dieses Ausschusses hat die Bundesregierung bereits am 30. April 1974 erste Maßnahmen beschlossen, um der Presse zu helfen. Sie hat das Programm der Kreditanstalt für Wiederaufbau für die Presse geöffnet und die Höhe des ERP-Kreditprogramms wesentlich zugunsten der Presse ausgedehnt. Ebenso hat sie auch die Möglichkeiten zur Vergabe der Kredite sachlich erweitert. Dabei wurden insbesondere auch die Vertriebseinrichtungen mit einbezogen, weil diese auf der Kostenseite erfahrungsgemäß schwer zu Buch schlagen.Die Bundesregierung hat jedoch zugleich festgestellt, daß das vorliegende Zahlenmaterial nicht ausreicht, um die derzeitige wirtschaftliche Situation der Zeitungsverlage und die gegebenenfalls notwendigen Hilfsmaßnahmen verläßlich beurteilen zu können. Das bisher vorliegende Material läßt nur den Schluß zu, daß die wirtschaftliche Situation innerhalb der einzelnen Bereiche der Tagespresse außerordentlich unterschiedlich ist. Deshalb hat sich der von der Bundesregierung eingesetzte Staatssekretärausschuß schon Mitte April dieses Jahres an den Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger mit der Aufforderung gewandt, zur schleunigen Aufklärung der wahren Lage die erforderlichen Fakten und Daten zur Verfügung zu stellen.Nach monatelangen, hinsichtlich der Sache wie des Verfahrens — um es sehr zurückhaltend auszudrücken — nicht einfachen Verhandlungen mit dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger ist in diesen Tagen nunmehr endlich eine Vereinbarung über eine Erhebung bei den Zeitungsverlagen zustande gekommen. Danach werden für alle Zeitungsverlage Strukturdaten erhoben, die uns ein Bild über die zahlenmäßigen Gruppierungen und die wirtschaftliche Lage der Tagespresse verschaffen werden. Dabei geht es um die Beschäftigtenzahlen in den verschiedenen Produktionsbereichen der Zeitungsverlage ebenso wie um die Kooperationsvereinbarungen und die wirtschaftliche Situation. Damit soll erstmals auch eine verläßliche Feststellung möglich werden, in welcher Gruppe von Verlagen die größten Einbrüche zu verzeichnen sind. Nach dem derzeitigen Stand ist mit einer Auswertung der Erhebung spätestens im Januar 1975 zu rechnen. Doch hoffen wir, bereits früher erste Trendmeldungen zur Verfügung zu haben.Mit dieser Erhebung wird ein zeitlicher Abschnitt abgedeckt, für den es bisher nur unzulängliches Zahlenmaterial gibt. Im Anschluß daran sollen ab 1975 nun diese Daten und Fakten auf Grund einer gesetzlichen Regelung erhoben werden können, für die Ihnen die Bundesregierung diesen Entwurf eines Gesetzes über eine Pressestatistik vorgelegt hat. Seine laufenden Erhebungen werden uns ganz anders als bisher in den Stand setzen, wirtschaftliche Gefährdungen der Presse frühzeitig zu erkennen. Erst damit kommen wir in die Lage, durch differenzierte Maßnahmen Gefahren für die Meinungsvielfalt in unserer Presselandschaft wirtschaftlich wirksam zu begegnen. Durch pauschale Maßnahmen mit der Gießkanne, durch Segnungen also, die über Darbende und Blühende in gleicher Weise regnen — wenn ich das einmal so blumig ausdrücken darf —, die den einen damit zuwenig, den anderen zuviel
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Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer„Hilfe" geben, ist das Übel der Pressekonzentration noch nicht einmal zu mindern. Es wird dadurch eher noch gemehrt.Die Bundesregierung sieht alle ihre medienpolitischen Maßnahmen unter dem hohen Ziel, das vom Bundesverfassungsgericht einmal dahin umschrieben worden ist — mit diesem Zitat will ich hier meine kurze Einführung schließen —:Der Staat ist — unabhängig von subjektiven Berechtigungen einzelner — verpflichtet, in seiner Rechtsordnung überall, wo der Geltungsbereich einer Norm die Presse berührt, dem Postulat ihrer Freiheit Rechnung zu tragen. Freie Gründung von Presseorganen, freier Zugang zu den Presseberufen, Auskunftspflichten der öffentlichen Behörden sind prinzipielle Folgerungen daraus.Nun kommt der entscheidende Satz:Doch ließe sich etwa auch an eine Pflicht des Staates denken, Gefahren abzuwenden, die einem freien Pressewesen aus der Bildung von Meinungsmonopolen erwachsen können.Diese Vorsorge auf gesicherter Grundlage zu treffen, dazu dient das Ihnen heute vorliegende Pressestatistikgesetz.
Eine Sekunde, Frau Kollegin Walz! Der Bundesrat wird die Vorlage unter Punkt b) wohl nicht mündlich einbringen wollen, denn es ist niemand da. Darf ich fragen, ob eine Begründung des Antrags unter Punkt c) begehrt wird oder ob Sie sie gleichzeitig geben, Frau Kollegin Walz.
Dann gebe ich zunächst das Wort zur Begründung. Anschließend debattieren wir die Punkte a) bis c) zusammen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Zimmermann!
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesinnenminister hat in seinen Ausführungen zum Pressestatistikgesetz auch zur allgemeinen Lage der Presse und zu einer Reihe von Fragen Stellung genommen, die sich zwangsläufig bei unserem Antrag, den ich hier begründen darf, stellen. Wie ist die Lage der Presse heute? Das ist die Frage.Vor wenigen Wochen hat die Wochenzeitung „Die Zeit" ihren Preis von 1,80 DM auf 2 DM pro Exemplar erhöht. Der Verleger, der in diesem Hause nicht unbekannte Gerd Bucerius, hat das gegenüber seinen Lesern begründet: Erhöhung der Papierpreise um 56 %, der Druckfarben, Betriebs- und Hilfsstoffe um 20 %, Konjunktureinbrüche im Anzeigengeschäft, Erlösausfälle von Millionen. Die Preisanhebung um 20 Pf bringe, so sagte er, Mehrerlöse von 2,5 Millionen DM im Jahr für die größte deutsche Wochenzeitung — „zuwenig, um unser Defizit auszugleichen". Und: „Von heute an", sosagte er, „gelten auch höhere Anzeigenpreise. Auch diese Mehreinnahmen reichen nicht aus; wir müssen an Rationalisierungen leisten, was immer möglich ist," — und jetzt kommen die entscheidenden Worte — „um zu überleben."Die Situation der deutschen Tagespresse — auch hier bei der größten Wochenzeitung — ist ein Kampf ums Überleben geworden. Immer mehr Tageszeitungen sind schon auf der Strecke geblieben. Wir haben heute noch 124 Vollredaktionen, und wir haben einen von Monat zu Monat steigenden Anteil der sogenannten lokalen Monopolzeitungen. Wir haben also immer mehr Städte und Kreise, in denen nur mehr eine einzige Zeitung erscheint. Von diesen lokalen Monopolen sind heute 17 Millionen Bundesbürger betroffen. Nur mehr eine einzige Tageszeitung erscheint bereits in 38,3 % der gesamten Fläche der Bundesrepublik Deutschland. — Diese Angaben sind übrigens aus dem Bericht der Bundesregierung selbst.In diesem Jahr haben wir drei mehr oder minder spektakuläre Konzentrationserscheinungen: Im April 1974 rückten die „Stuttgarter Zeitung" und die „Stuttgarter Nachrichten" zusammen, im Juli dieses Jahres übernahm der „Weserkurier" die „Bremer Nachrichten", und im September kündigten „Westdeutsche Allgemeine Zeitung" und „Westfälische Rundschau" eine weitreichende Kooperation an. Daß diese Entwicklung eindeutig wirtschaftliche Ursachen hat, daß keine anderen Gründe daran schuld sind, darüber gibt es hier wohl keinen Streit.Deswegen, meine verehrten Damen und Herren, verehrte Bundesregierung mit dem Herrn Bundesinnenminister, helfen auch bloß administrative Maßnahmen wie Pressestatistikgesetz, Fusionskontrolle oder gar ein Presserechtsrahmengesetz gegen die wirtschaftliche Not der Zeitungen gar nichts. Die CDU/CSU will die Vielfalt der Presse erhalten wissen, weil wir in ihr eine wesentliche Voraussetzung der Pressefreiheit überhaupt sehen. Es ist richtig, was Jens Feddersen, der Chefradakteur der „Neuen Ruhrzeitung", sagte: „Starke, leistungsfähige und kerngesunde Zeitungsverlage sind die beste Sicherung der Pressefreiheit."Wir möchten erstens — damit komme ich zu den Einzelheiten unseres Antrages — die Erlöse aus dem Vertrieb von Tageszeitungen unter Beibehaltung des Vorsteuerabzugs von der Mehrwertsteuer freistellen. Das entspricht der Praxis fast aller Länder der Europäischen Gemeinschaft. Die Bundesregierung hat mir vor einem halben Jahr in einer Antwort auf eine mündliche Anfrage zugesichert, daß Hilfsmaßnahmen darauf gerichtet sein müßten, die Vielfalt der Meinungen in möglichst großem Umfang zu erhalten; deshalb sei der Bundesregierung — so wörtlich — „jede Zeitung wichtig". Der heutige Bundeskanzler hat sich schon als Finanzminister gegen eine Senkung der Mehrwertsteuer ausgesprochen und sprach als Bundeskanzler von „versteckten Subventionen". Er meinte, es könne nicht Aufgabe der Regierung sein, zu Lasten der Steuerzahler eine große Zahl von Zeitungen zu fördern, wenn sie nicht rationell arbeiten.
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Dr. Zimmermann— Das wollen wir gleich untersuchen. Das ist ein ganz fundamentaler Widerspruch, Herr Kollege; Sie werden das sofort merken.Wenn man andererseits ausgewählten Zeitungen helfen will — den besonders notleidenden, und das heißt doch nach Helmut Schmidts Ansicht folgerichtig: den besonders unrationell arbeitenden; denn notleidend kann ja nach den Worten des Bundeskanzlers nur jemand sein, der unrationell arbeitet —, haben wir hier doch einen eklatanten Widerspruch. Denn die Auswahlkriterien bei der Presse sind wirklich sehr delikat. Es gibt kleine Zeitungen, die finanziell relativ gesund dastehen, und große Zeitungen, die in den roten Zahlen sind. Es ist sehr schwierig, eine vernünftige Berechnungsgrundlage zu finden. Der Bundesinnenminister hatte recht, als er neulich vor dem Bundesverband der deutschen Zeitungsverleger feststellte, daß gezielte staatliche Hilfen für einzelne notleidende Zeitungen Zwangsläufig einen manipulativen Charakter haben müßten, daß daher globale wirtschaftliche Maßnahmen, auch wenn sie vielleicht nicht das gerechteste sind, was es gibt, zu befürworten seien. Ich habe ihn heute in seinem Statement allerdings ein wenig anders verstanden. Ich muß diesen Text aber erst noch einmal nachlesen. Ich würde bedauern, wenn er heute gegenüber der Zeit vor 14 Tagen seine Auffassung in einem, wie ich meine, wesentlichen Punkt geändert hätte.
Die Kollegen Baum und Hirsch haben sich vor nicht allzu langer Zeit in diesem Sinne geäußert. Ich hoffe, daß auch hier keine andere Einordnung Platz gegriffen hat.Wir sind nicht einmal so weit gegangen wie manche Kollegen der Koalition. Auch wir wissen um die schwierige Lage vieler Zeitschriften. Wir haben uns trotzdem aus Stabilitätsgründen bei dem Antrag zur Mehrwertsteuerentlastung zunächst auf die Tageszeitungen beschränkt.Die Nrn. 2 und 3 betreffen den Postzeitungsdienst. Es erscheint uns dringend geboten, diesen im bisherigen Umfang aufrechtzuerhalten und von der geplanten Gebührenerhöhung am 1. Januar 1975 abzusehen.
— Das muß auf den allgemeinen Haushalt übernommen werden, Herr Kollege. Das ist selbstverständlich. Die Deckungsvorschläge werden bei den Haushaltsberatungen gemacht werden.
Denn das ist eine öffentliche Aufgabe, was hier geschieht. Ein Monopolunternehmen kann nicht in einem Bereich Hunderte von Millionen, ja, Milliarden Plus machen, in anderen Bereichen ein Minus, um das dann untereinander auszugleichen. Hier sind die nach Art. 5 GG Privilegierten in einer besonders schwierigen Lage. Das darf selbstverständlichnicht zu Lasten der Post, sondern muß zu Lasten des allgemeinen Haushalts gehen.
Vielleicht geben Ihnen die nachfolgenden Worte zu denken. Vielleicht sind Sie dazu in der Lage, darüber nachzudenken, ob das stimmt. Wenn die lokalen Monopole zunehmen, verstärkt das die Bedeutung der überregionalen Zeitungen. Überregionale Zeitungen sind aber gerade von der Erhöhung von Postzeitungsdienstgebühren besonders betroffen. Besonders betroffen sind alle Zeitschriften, alle Fachzeitschriften. Wir sollten uns doch darüber einig sein, daß Zeitungen kein Luxusprodukt werden dürfen, gerade überregionale Zeitungen nicht, daß sie auch für Jugendliche und Rentner erschwinglich bleiben müssen, daß sie eben nicht 10 DM — wie heute --, sondern 30 DM pro Abonnement kosten müßten, wenn alles das ohne wirtschaftliche Hilfe auf die Presse zukommt, was sich abzeichnet.Zeitungen sind eine Ware besonderer Art. Wilhelm Dröscher, Landesvorsitzender der SPD in Rheinland-Pfalz, hat recht, wenn er sagt, im Problem der Postzeitungsgebühren stecke „ein Stück Meinungsvielfalt". Und er hat recht, wenn er der Bundesregierung empfiehlt, darüber nachzudenken, ob die Erhöhung durchgeführt werden muß.Die beiden letzten Nummern unseres Entschließungsantrags sind wohl nicht kontrovers: ERP-Kredite und Aufnahme von Papier in die Liste der als förderungswürdig erklärten Rohstoffprodukte.Wir kamen durch den Zwischenruf schon darauf, meine verehrten Damen und Herren, daß dieser Entschließungsantrag auch finanzielle Konsequenzen hat. Bei der Mehrwertsteuer sind es rund 80 Millionen DM, beim Postzeitungsdienst mehr. Trotzdem sind diese Vorschläge überlegt. Sie bewegen sich im Rahmen der Stabilität. Deckungsvorschläge werden wir vorlegen. Aber die Erhaltung von Pressevielfalt und damit Pressefreiheit muß uns etwas wert sein. Der Zeitungspreis ist ein politischer, aber auch ein sozialer Preis. Das muß er bleiben. Der Zeitungskauf muß für jeden Bürger erschwinglich sein.Wir haben in der Bundesrepublik ein System der öffentlich-rechtlichen Medien Rundfunk und Fernsehen und der privatwirtschaftlich strukturierten Presse: Zeitungen und Zeitschriften. Gemeinhin spricht man hier von einer „balance of power". Alle demokratischen Parteien sind für dieses System. Doch das allein reicht nicht aus. Man muß zur Erhaltung dieses Gleichgewichts auch etwas tun. Denn es ist wohl unbestritten, daß der Kostendruck unterschiedlich ist. So schwierig die Situation bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten ist, so haben sie doch eine stärkere Position als die Zeitungen und Zeitschriften.Wir wollen eine Entlastung für die Presse ohne staatliche Steuerungsmöglichkeit. Die Presse muß unabhängig bleiben. Nur dieser Weg entspricht dem Selbstverständnis dieses Staatswesens, das Toleranz ausübt. Deswegen hoffe ich — manche Anzeichen hat es in der Diskussion der letzten Wochen
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1974 8457
Dr. Zimmermanndafür gegeben — auf eine breite Unterstützung dieses Antrags aus dem ganzen Haus.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Grobecker.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt die Vorlage des Entwurfs eines Pressestatistik-Gesetzes, und sie wird dafür sorgen, daß dieses Gesetz in den Ausschüssen zügig beraten und auch schnell verabschiedet wird. Das Gesetz soll dafür sorgen, daß zuverlässige Daten — zuverlässige, Herr Zimmermann — über die Struktur und die wirtschaftliche Situation der deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverlage geliefert werden können. Zuverlässige Daten sind notwendig, um mögliche, vielleicht auch notwendige Hilfsmaßnahmen für die Presse zu konzipieren, einzuleiten und auch durchzusetzen. Diese Daten gibt es zur Zeit nicht.Nun weiß jeder, daß, wenn dieses Gesetz in Kraft tritt, das nicht heißt, daß sofort zuverlässige Daten vorhanden sein werden. Man braucht dafür etwas Zeit, und Fachleute rechnen damit, daß das mindestens ein Jahr dauert.Einer der Fehler der beiden anderen Vorlagen innerhalb der heutigen Tagesordnung, der Gesetzentwurf des Bundesrates mit dem Ziel, Vertriebserlöse für Zeitungen von der Umsatzsteuer zu befreien, und der Antrag der CDU/CSU mit ähnlichem Inhalt und schmückendem Beiwerk, besteht gerade darin, daß eben nicht von zuverlässigen Daten über die tatsächlichen Zusammenhänge und Gegebenheiten der Presse ausgegangen wird und auch nicht ausgegangen werden kann, weil diese Daten, wie gesagt, nicht vorhanden sind.Vor dem Hintergrund gewaltiger Konzentrationsbewegungen innerhalb des Pressewesens, die nicht nur Arbeitsplätze der Journalisten, Herr Minister, sondern auch Arbeitsplätze der Drucker und Setzer gefährden, hat die Bundesregierung schon im Frühjahr dieses Jahres einen Staatssekretärsausschuß eingesetzt, der nach Mitteln und Wegen suchen sollte, wie den Verlagen geholfen werden kann. Dieser Ausschuß hat richtig gehandelt, als er sich in seiner Empfehlung an die Bundesregierung auf zwei Maßnahmen beschränkte, nämlich a) die Einbeziehung der Zeitungsverlage in das Sonderprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau zur Umfinanzierung von Investitionen und zur Finanzierung für Mehraufwendungen im Zusammenhang mit den Preissteigerungen bei Zeitungspapier und b) Fortführung und Aufstockung der ERP-Programme für die Presseunternehmen. Er hat richtig gehandelt, als er nichts weiter vorgeschlagen und zur Zeit keine weiteren Maßnahmen ins Auge gefaßt hat. Wörtlich heißt es in der damaligen Kabinettsvorlage:Das bisher vorliegende statistische Materialreicht nicht aus, um die derzeitige wirtschaftliche Situation der Zeitungsverlage und dienotwendigen Hilfsmaßnahmen umfassend und abschließend beurteilen zu können.Die Opposition und der Bundesrat können ganz offensichtlich auf diese Daten verzichten und dennoch Vorschläge machen.Wenn ich nun feststelle, daß die Ergebnisse des Pressestatistik-Gesetzes frühestens in einem Jahr vorliegen können, so muß daraus geschlußfolgert werden, daß zwischenzeitlich also andere Möglichkeiten erschlossen werden müssen, um zu einer klaren und wahrheitsgemäßen Beurteilung der Lage im Pressewesen zu kommen. Dabei kommt den Verlegern selbst und ihren Verbänden eine Schlüsselrolle zu. Bis heute, bis jetzt haben sich die Verleger geweigert, verläßliches Material vorzulegen. Zur Zeit ist ein Umdenkungsprozeß im Gange, und wir hören mit Erstaunen und Wohlgefallen, daß die Verleger jetzt bereit sind, Daten vorzulegen. Verläßliche Daten sind einmal unabdingbar, um wirksame Hilfe zu geben und zum anderen, um diese möglichen Hilfen auch vor dem Steuerzahler vertreten zu können. Die Verleger haben jedoch, wenn ich richtig unterrichtet bin, nicht einmal auf den Vorschlag der Bundesregierung reagiert, ihre eigenen Angaben in dieser Richtung von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer nachprüfen zu lassen. Wenn dies jetzt anders ist, begrüßen wir das.Alle früheren Angaben und Prognosen der Verleger, alle düsteren Prophezeiungen sind jedoch in der jüngsten Ausgabe ihres eigenen Verbandsorgans „ZV und ZV", das Verbandsorgan des BDZV, Ausgabe 39/40 vom 2. Oktober selbst widerlegt worden. Danach beträgt der Gewinn pro Monat und Stück 1971 1,07 DM, 1972 2,48 DM, 1973 2,20 DM und für das erste Halbjahr 1974 2,06 DM. Das ist ganz sicher nicht zum Jubeln, aber es ist auch kein Grund zum Klagen. Meine Damen und Herren, dies beweist, daß wir zuverlässige Daten brauchen, bevor wir handeln können.
Nun noch ein paar Takte zu den im Gesetzentwurf des Bundesrates und im Antrag der CDU/CSU enthaltenen Maßnahmen. Meine Damen und Herren, globale Steuererleichterungen, wie sie hier vorgeschlagen werden, treffen arm und reich, florierende Unternehmen und solche, die krebsen. Dies lehnen wir ab. In Norddeutschland würde man auf Plattdeutsch dazu sagen: „De will noch fette Göse in'n Mors pieken." Ich will das nicht übersetzen. Mit einer derartigen Maßnahme wird ganz ohne Zweifel der Konzentrationsprozeß noch begünstigt, noch gefördert. Das muß doch auch der Herr Zimmermann wissen, der aus der Branche kommt. Die Steuererleichterungen nur eines der sieben großen Verlagshäuser, die dabei herauskommen würden, wenn wir Ihren Gesetzestext wörtlich nähmen, würden so viel Geld ausmachen, wie ein mittlerer Zeitungsbetrieb an Umsatz hat. Kein Mensch kann annehmen, daß das sinnvoll ist. Wenn geholfen werden soll und muß, dann muß denen geholfen werden, die es nötig haben. Mit diesem Vorschlag jedoch schaffen wir einen neuen Zuwendungsempfänger ohne Unterschied. Das bedeutet: wir würden das Gießkannen-
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Grobeckerprinzip erneut in Gang setzen. Wir haben aber in den letzten Jahren das Prinzip der Gießkanne mit Erfolg abgebaut und an dessen Stelle eine moderne Strukturpolitik gesetzt.Es ist eine unverschämte Unterstellung, Herr Zimmermann, wenn Sie vor einigen Tagen gesagt haben, wir würden mit gezielten Maßnahmen die Verleger und die Zeitungen in Abhängigkeit von der Bundesregierung bringen. Umgekehrt ist das der Fall.
— Umgekehrt ist es der Fall, Herr Zimmermann. Mit gezielten Maßnahmen entziehen wir die kleinen Verleger dem Zugriff der großen, und dies halten wir für richtig.
— Herr Zimmermann, ich bitte Sie. Ich weiß ja nicht, mit welchen Verlegern Sie verkehren. Ich kann es mir fast vorstellen.Im übrigen, meine Damen und Herren von der Opposition: Hätten Sie doch bei der Konzipierung Ihres Antrags Ihre eigenen Haushaltsleute gefragt!
Die hätten Ihnen sagen können, daß dieser Spaß, den Sie dort vorschlagen, den Bundeshaushalt mehr als 200 Millionen DM kosten wird und nicht, wie angegeben, 70 Millionen DM.
Das gilt im übrigen auch für die Punkte 2 und 3 Ihres Antrags. Es ist immer wieder dasselbe: Einmal zetern Sie über die Finanzsituation der Post, und hier fordern Sie Mindereinnahmen ohne Deckungsmöglichkeiten. Ich frage Sie, Herr Zimmermann: Wollen Sie, daß die Briefmarke teurer wird, daß die Telefoneinheit teurer wird, oder — das haben Sie vorhin angedeutet — wollen Sie, daß wir das Defizit der Post ab 1975 lieber auf den Bundeshaushalt übernehmen? Sagen Sie uns das!
Beim Punkt 4 wird die Ignoranz Ihrer Vorschläge überaus deutlich. Genau das, was Sie dort vorschlagen, hat die Bundesregierung vor fast einem halben Jahr beschlossen; nicht nur das, sie hat dafür gesorgt, die vorgesehenen Mittel auch noch zu erhöhen. Ich frage mich, ob Sie das nicht wußten oder ob Sie das geflissentlich übersehen haben.
Was Sie mit Ihrem Punkt 5, zu dem Sie sich überhaupt nicht geäußert haben, bezwecken, ist mir vollends schleierhaft. Wollen Sie die kanadischen Zelluloselieferanten subventionieren, oder wollen Sie den Zusammenschluß der deutschen Erzeuger mit den skandinavischen Lieferanten honorieren?
Dies bedarf nun wirklich einer Erklärung. Effektiv bedeutet Ihr Vorschlag, die Papierhersteller zusätzlich zu unterstützen und zu ermuntern, die Preise noch weiter ansteigen zu lassen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend folgendes sagen. Ihr Versuch, sich als Beschützer der Pressevielfalt und Pressefreiheit in der Bundesrepublik aufzuschwingen, ist allzu durchsichtig. Bei Ihrer Vergangenheit zur Pressefreiheit ist das auch kein Wunder.Die SPD-Bundestagsfraktion steht zur Pressefreiheit und zur Meinungsvielfalt. Sie ermuntert deshalb die Bundesregierung, auf der Grundlage verläßlicher Daten ein Konzept für Maßnahmen gezielter Art vorzulegen, in dem auch Gedanken über ein Presseinvestitionsgesetz nach den Kriterien des Pressefusionskontrollgesetzes enthalten sein können, ferner Überbrückungshilfen als Sofortmaßnahmen, Flurbereinigung der Vertriebsproblematik — auch hierüber muß man sich Gedanken machen — und letztlich auch die Anwendung des § 131 der Abgabenordnung. Die Stundung von Steuern wäre nämlich eine Sache, die man ins Auge fassen könnte.Wir müssen aber auch von den Verlegern verlangen, daß sie über Selbsthilfemaßnahmen nachdenken, bevor sie beim Staat an die Tür klopfen. Wie wäre es, so frage ich die Verleger, z. B. mit einem bundesweiten Anzeigenpool, aus dem die Erlöse je nach Auflagenhöhe verteilt werden? Ich hoffe sehr, daß wir von den Verlegern in den nächsten Wochen schlüssige Antworten erhalten.Wir bleiben dabei: Auf der Grundlage der gegenwärtigen Daten werden wir globalen Maßnahmen nicht zustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Walz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit die sozialliberale Bundesregierung die Medienpolitik entdeckt hat, fragen sich viele aufmerksame und nicht nur der CDU/CSU nahestehende Beobachter — darunter inzwischen auch sehr viele Journalisten —, ob die von ihr angekündigten oder eingeleiteten gesetzgeberischen medienpolitischen Maßnahmen nun eigentlich zur Erhaltung und Förde-
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Frau Dr. Walzrung oder zur Einengung und Einschränkung der Pressefreiheit in diesem Lande dienen sollen.Dabei kann auch das Thema „SPD und Presse"— heute sicher in vielfacher Hinsicht ein pikantes Thema — nicht ausgeklammert werden; denn Medienpolitik heißt für die SPD zur Zeit, da es sozialdemokratische Zeitungen fast nicht mehr gibt, in der Hauptsache „Formulierung abstrakter und vor allem ordnungspolitischer Prinzipien" — und zwar für die Zeitungen anderer.Als „Sündenfall" vollends muß den meisten Bürgern dieses Landes die Medienpolitik der FPD erscheinen; denn was auch immer sie in ihrer Vergangenheit zur Pressefreiheit beigetragen haben mag diese Position des historischen Liberalismus hat sie nunmehr längst an die CDU verloren. Wir sind mittlerweile nämlich die einzigen, die allein und ohne jeden Vorbehalt für die Sicherung aller Erzeugnisse der freien Presse dieses Landes eintreten.
— Wir werden es Ihnen anhand dieses Gesetzentwurfs beweisen, wie Sie die Presse gängeln wollen.
Jedenfalls sind wir der Meinung, daß wir im Augenblick die einzigen sind, und unsere Vorschläge sind ja auch die einzig vernünftigen.
- Glaube ist immer was Schönes. Aber ich kann es Ihnen auch durch facts untermauern.Manche von der Bundesregierung vorgesehenen Maßnahmen in diesem Bereich erscheinen, zunächst jedenfalls, ganz harmlos, und sie scheinen nützlich; ja, ihre Notwendigkeit scheint sogar einzuleuchten. Das gilt auch für das vorliegende Pressestatistikgesetz. Doch stellen sich bei näherem Zusehen die Probleme dieser Entwürfe und insbesondere auch dieses Entwurfs sehr rasch heraus.Zur Begründung der Notwendigkeit eines Pressestatistikgesetzes wird von seiten der Bundesregierung und soeben auch von Ihnen, Herr Bundesinnenminister — darauf hingewiesen — ich zitiere nur einen Teil —: über die Struktur und die wirtschaftliche Lage der Zeitungen und Zeitschriftenverlage gebe es kein amtliches Zahlenmaterial, das eine fundierte Analyse gestatte. Sie haben eben gerade wieder den Verlegern vorgeworfen, daß sie dieses Material verzögerten. Die Verleger sind allerdings völlig anderer Meinung und haben schon eine Presseerklärung zu dieser Ihrer Erklärung herausgegeben. Darin heißt es, von einer Verzögerung könne keine Rede sein; wenn überhaupt, dann im Staatssekretärsausschuß.Da Sie, Herr Minister, auch keine Hilfen, wie wir sie für die Presse vorsehen, geben wollen, weiß ich wirklich nicht, bei wem in diesem Zusammenhang die Verzögerungen liegen.
Sie haben gesagt, die bisher von privater Seite veröffentlichten Zahlen könnten nach Ansicht der Regierung diese Lücke nicht füllen — das haben Sie soeben auch wieder gesagt —, da Art und Umfang der Angaben auch von der jeweiligen Interessenlage der privatwirtschaftlichen Organisation der Presse bestimmt werden.Bereits die Michel-Kommission hatte im Jahre 1967 das Fehlen eines „Auskunftspflichtgesetzes" für das Nichtzustandekommen notwendiger statistischer Erhebungen verantwortlich gemacht. Es ist aber wahrlich nicht so, als ob es bis dahin kein zuverlässiges Zahlenmaterial gegeben hätte. So gibt es einmal die „Kostenstrukturstatistik" des Statistischen Bundesamtes, die früher alle vier Jahre erstellt wurde und jetzt alle zwei Jahre erstellt werden soll. Ebenfalls gibt es auf der Grundlage freiwilliger Auskünfte die Daten, die aus der notwendigen Zusammenarbeit der Zeitungsverleger mit der Werbewirtschaft resultieren.Zahlenmaterial gibt und gab es auch etwa über die Struktur und die Kaufkraft der Leserschaft, über Leserdichte und ähnliche spezielle Fragen. Schließlich hat Herr Walter J. Schutz, der ja jetzt im Presse- und Informationsamt sitzt, seine eigenen Stichtagserhebungen von 1954, 1965 und 1967 doch wohl ziemlich sorgfältig gemacht. Es müssen Ihnen also solche Angaben vorliegen.Eine klare, präzise Aussage der Regierung gibt es schließlich leider auch nicht über die Ziele dieses Gesetzes. So heißt es in der Begründung — ich zitiere —:Die Statistik soll insbesondere den zuständigen Behörden Entscheidungshilfen liefern, wenn zur Erhaltung der Vielfalt des Informationsangebots wirtschaftliche Maßnahmen eingeleitet werden sollen.Hier ist also von Entscheidungshilfen die Rede. Demgegenüber wird der Bundesrat in der Weise angeschrieben, daß die statistischen Unterlagen als Hilfsmaßnahmen zur Grundlage schlechthin genommen werden sollten. Handelt es sich nun um Grundlagen, oder sind es Entscheidungshilfen? Das würden wir doch gern noch hören.Unter diesen Umständen muß sich der Herr Bundesinnenminister fragen lassen: Ist die geplante Statistik überhaupt geeignet, für medienpolitische Entwicklungen oder wirtschaftliche Hilfsmaßnahmen zuverlässige Unterlagen zu liefern? Stellt dieses Gesetz, stellen die auf der Grundlage dieses Gesetzes beabsichtigten jährlichen Erhebungen des Statistischen Bundesamtes überhaupt einen Fortschritt gegenüber bisherigen Datensammlungen dar?Aber nicht genug damit, daß zwischen den zwei vrschiedenen Aussagen der Bundesregierung wenig Klarheit über Sinn und Zweck dieses Gesetzes vorhanden ist, auch der Wert, die Gestaltung und vor
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8460 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1974
Frau Dr. Walzallen Dingen die Konzeption des Erhebungsbogens, mit dem die Daten von den Zeitungs- und Zeitschriftenverlegern durch das Statistische Bundesamt jährlich eingeholt werden sollen, ist von ganz entscheidender Bedeutung.Wie dieser Erhebungsbogen schließlich aussehen soll, ist offenbar — nach allem, was man bis jetzt gehört hat — überhaupt noch nicht endgültig geklärt. So soll der Erhebungsbogen gegenwärtig neben den Fragen allgemeiner Art, wie etwa nach der Rechtsform des Unternehmens und allen im Verlag tätigen Personen, auch Angaben über den Umsatz nach Umsatzarten, ausgewählte Kosten und schließlich über Name, Zahl der Ausgaben, das Format und die Erscheinungsweise der in eigener wie in fremder Druckerei hergestellten Zeitungen und Zeitschriften ermitteln. Auch müssen Angaben über die Herstellung und den Bezug des Text- und Anzeigenteils sowie über die Seitenzahl je Jahresstück nach Text-und Anzeigenseiten etc., etc. gemacht werden.Was die neuen Auflagen angeht, so muß hier nun wohl doch gefragt werden: Wie eng ist die Gestaltung, wie eng sind die Fragen dieses Erhebungsbogens an den Gesetzestext gebunden? Betrachtet man den Gesetzentwurf und den bisher bekannten Entwurf des Erhebungsbogens sehr kritisch, dann könnte man zu dem Ergebnis kommen, daß es sich hier um ein Gesetz mit sehr weitreichenden „Ermächtigungen" handelt, das nicht nur auf Fragen von wirtschaftlicher Bedeutung, sondern auch auf Fragen eingeht, die z. B. die Personalwirtschaft der Verlage betreffen. Und genau das ist in der gegenwärtigen medienpolitischen Auseinandersetzung der kritische, weil entscheidende Punkt.Wer garantiert uns denn — und wir hören ja von Ihren Jusos und Judos derartige Töne ziemlich häufig —, daß nicht eines Tages gezielte Fragen nach den Kapitalverhältnissen gestellt, Daten über Betriebs- und Anlagekapital und schließlich Auskünfte über die Einlagen einzelner Gesellschafter verlangt werden? Wen wundert es, wenn bereits jetzt für diesen statistischen Erhebungsbogen eine Aufschlüsselung des gesamten Anzeigenumsatzes gefordert wird? Von solchen „Differenzierungen", bis zu „institutionalisierten Formen von Stichproben" wäre dann wirklich kein sehr weiter Weg mehr.
Bitte, Herr Kollege Hirsch, die Frau Kollegin gestattet Ihnen eine Zwischenfrage.
Frau Kollegin, da Sie es als eine mögliche Gefahr bezeichnet haben, daß vielleicht einmal nach den Kapitalverhältnissen gefragt werden könne, darf ich fragen, was Sie zu dem Wortlaut des Beschlusses des Deutschlandrates der Jungen Union sagen, in dem ausdrücklich die Publizitätspflicht der Besitzverhältnisse einschließlich der Konzernverflechtungen sowie Kennzeichnung anderer Zeitungsinhalte gefordert wird?
Das ist im Zusammenhang mit dieser Frage nicht zu gebrauchen. Hier kommt es darauf an, daß die Anonymität, daß die Verschlüsselung bei den Angaben gewahrt wird. Die Regierung will das aber in diesem Gesetz unverschlüsselt oder so haben, daß man doch genau merken kann, wer gemeint ist.
Frau Abgeordnete Walz, inzwischen hat sich ein weiterer Fragesteller, Herr Kollege Reiser, gemeldet.
Bitte schön.
Sie lassen die Frage zu. Bitte schön, Herr Kollege.
Frau Dr. Walz, kennen Sie eine Aussage des Medienpolitikers Ihrer Fraktion, Herrn Benz, die er auf einer Medienkonferenz gemacht hat, nämlich daß eine Verpflichtung zur Offenlegung von Inhaber- und Beteiligungsverhältnissen geschaffen werden muß — das sei Ansicht der CDU-CDU-
Fraktion —? Und wörtlich weiter:
Mir wäre es viel lieber, wenn diese Offenlegung der Besitz- und Eigentumsverhältnisse in jeder Ausgabe im Impressum erfolgte. Ich sehe darin keine sonderliche Belastung.
Das mag so gesagt worden sein. Ich meine trotzdem, daß von Staats wegen nicht die gesamte Aufschlüsselung durch ein Gesetz verlangt werden kann.Diesen Entwurf eines Gesetzes über eine Pressestatistik muß man ja auch im Zusammenhang lesen mit dem vom Kabinett bereits verabschiedeten „Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen", der pressespezifischen Fusionskontrolle. Hier scheint sich eine Entwicklung anzubahnen, die eines bösen Tages damit enden könnte, daß die Medienpolitik dieses Landes nur noch vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden und vom Bundeskartellamt in Berlin gemacht wird. Berücksichtigt man ferner darüber hinaus, daß der Entwurf eines Presserechtsrahmengesetzes — mit „typisch deutscher Superperfektion" gemacht, wie Herr Bundeskanzler Schmidt gesagt hat auch immer noch nicht vom Tisch ist, so wird man verstehen können, daß wir als Opposition den Gesetzentwürfen der Regierung auf diesem Gebiet mit etwas Skeptizismus entgegensehen.Das Zahlenmaterial, das sich die Bundesregierung als Entscheidungshilfe für wirtschaftliche Maßnahmen im Bereich der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage erhofft, läßt sich nämlich auch auf andere Weise, u. a. über die in den Landespressegesetzen von Bayern und Hessen vorgesehene Pflicht zur „Offenlegung der Besitzverhältnisse", beschaffen, die entsprechend in die Landespressegesetze der übrigen Bundesländer aufgenommen werden könnte. Daß es ohne ein solches Pressestatistikgesetz mög-
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Frau Dr. Walzlich ist, hinreichend Material über die wirtschaftliche Situation der Tageszeitungen und auch der Zeitschriften zu bekommen, hat kürzlich erst die Antwort der Hessischen Landesregierung auf eine Große Anfrage betreffend wirtschaftliche Situation der hessischen Tageszeitungen vom 6. August 1974 gezeigt. U. a. wurde der Hessischen Landesentwicklungs- und Treuhandgesellschaft der Auftrag erteilt, eine Studie über die wirtschaftliche Lage der hessischen Zeitungsverlage zu erstellen, die inzwischen fertiggestellt ist und auf deren Veröffentlichung man sehr gespannt sein darf.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind nicht die Anträge der Opposition und des Bundesrates, die dazu führen, etwas tiefer ausholen zu müssen, sondern es ist die Begründung, die diesen Anträgen beigegeben worden ist, insbesondere dem Entschließungsantrag der Opposition.
— Ihrer Meinung nach ist die Begründung gut. — Ich meine, sie läßt an der Ernsthaftigkeit zweifeln, nämlich die Selbstverständlichkeit, mit der Sie die unhaltbare Behauptung aufstellen, daß diese Regierung die privatwirtschaftliche Struktur der Presse beseitigen, also verfassungswidrig handeln wolle. Sie wolle die freie Presse in die Verfügungsgewalt der Gesellschaft überführen und staatlicher Kontrolle unterwerfen.
— Herr Kollege Professor Klein, da müssen Sie mal die Begründung Ihres Antrages lesen. — Solche Plakatmalereien sollten unserer Meinung nach auf die Gebiete von Vilshofen und Fulda beschränkt bleiben.
Solche Behauptungen sind deswegen empörend, weil sie unwahr sind und weil sie ohne jedes Problembewußtsein ausgerechnet von ,denen erhoben werden, die überhaupt keine Konzeptiondazu vorlegen können, wie sie denn den Gegensatz auflösen wollen, der zwischen der privatwirtschaftlichen Struktur der Presseunternehmen einerseits und ihrer öffentlichen Aufgabe, das Grundrecht des Art. 5 unserer Verfassung zu verwirklichen, andererseits besteht.
Daß Sie keine Konzeption haben, zeigen nicht nur die Ausführungen der verehrten Kollegin Walz, sondern auch Ihre Anträge. Sie fordern Subventionen, ohne zu sagen, welche strukturellen Wirkungen diese haben sollen. Sie verweigern das uneingeschränkte Zeugnisverweigerungsrecht, obwohl der Zeugniszwang für Journalisten das klassische Ersatzinstrument für den Verlust der präventiven Zensur ist und war. Sie diffamieren gleichzeitig unsere Bemühungen um die innere Pressefreiheit als dirigistische Eingriffe
und bekämpfen andererseits den Gesetzentwurf, der die Presse endlich der Fusionskontrolle unterwerfen wird. Ich kann darin nur die Verfolgung wirtschaftlicher Interessen erkennen, nicht aber ein Bemühen um die publizistischen.
Ich fürchte, Sie kämpfen um das Wohlwollen der Verleger und nicht für ,die Pressefreiheit und Meinungsvielfalt in diesem Lande!
Man kann — von der Forderung nach Subvention abgesehen nicht einmal erkennen, was Sie medienpolitisch eigentlich wollen. Im Bereich der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten üben Sie sich in Dauerinterventionen gegen Sendungen, die nach Ihrer Meinung nicht ausgewogen sind, wobei Herr Echternach die Rundfunkfreiheit seinen personalpolitischen Interessen nachordnet und Herr Filbinger bis zur Forderung einer Vorzensur problematischer Sendungen geht. Im Pressebereich üben Sie die Meinungsvielfalt offenbar in erster Linie in Ihrer eigenen Partei aus. Da werden alle denkbaren Positionen vertreten, angefangen von Forderungen, die unserem Medienpapier weitgehend entsprechen, bis zu ihrer totalen Ablehnung als verfassungswidrig, wobei Sie, Herr Professor Klein, sich durch besonders geringe Variationsfähigkeit auszeichnen.
Das Verwirrende für den Betrachter liegt darin, daß die verschiedenen Positionen nicht in einem — —
— Gemach, gemach!
Ich bin gern bereit, mit Ihnen hier auch über das Kirchenpapier zu diskutieren; ich würde es sogar dankbar begrüßen, wenn wir die Gelegenheit dazu hätten.
— Ja, das hängt ja damit zusammen, wenn Sie den Sachverhalt kennen.
— Aber bitte, meine Herren, warum wollen Sie denn von der Medienpolitik ablenken?
Das Verwirrende bei Ihnen, meine Damen und Herren Kollegen von der Opposition, liegt doch in erster Linie darin, daß die verschiedenen denkbaren
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Dr. HirschPositionen nicht in einem allmählichen Meinungsbildungsprozeß, sondern alle gleichzeitig vertreten werden. Ich muß einmal fragen: Wie ist die Sachlage wirklich?Die Pressefreiheit gehört konstituierend zu den Grundlagen einer freiheitlichen Demokratie, und es muß ein Zeitungswesen sein, das von keiner öffentlichen Gewalt gelenkt wird.
Die privatwirtschaftliche Struktur der Presse ist kein Selbstzweck, sondern folgt aus der Chance der Meinungsvielfalt. Das wiederum bedeutet, daß eine anhaltende Konzentrationsbewegung in der Presse die Pressefreiheit selbst gefährdet — und dies nicht etwa, wie früher, durch den Staat, sondern vielmehr durch die wirtschaftlichen Zwänge, die diese Konzentration bewirken. Es scheint din allgemeines Problem unserer Gesellschaft zu sein, daß ihre Freiheitsrechte nicht durch den Staat, sondern durch Entwicklungen dieser Gesellschaft selbst bedroht werden, so daß wir versucht sind, die klassischen Abwehrrechte gegen den Staat umzudeuten in eine Verpflichtung des Staates, durch aktives Handeln die Grundfreiheiten in dieser Gesellschaft zu erhalten.
Der Bericht der Bundesregierung zeigt für die letzten 20 Jahre — also nicht erst für die Zeit seit Bildung der sozialliberalen Koalition — eine Konzentrationsbewegung im Pressebereich, die ihresgleichen sucht. Im Jahre 1974 gab es 186 Tageszeitungsverlage weniger als 1954, und im selben Zeitraum nahm die Zahl der Vollredaktionen um 45 % ab. In 40 % aller Kreise in der Bundesrepublik gibt es nur noch eine einzige regionale Tageszeitung,
und in diesen Kreisen leben 30 % der Bevölkerung — in Rheinland-Pfalz sogar 74 % und in Bayern 65 %. Dieser Trend hält, wie Sie wissen, auch in diesem Jahre an.Es ist uns unverständlich, wie man sich mit Frau Noelle-Neumann damit beruhigen kann, daß Zeitungen mit lokalen Monopolen ihre Informationspflicht ebenso erfüllen wie Wettbewerbszeitungen.
Bei einer Vermehrung lokaler Monopole droht die Gefahr des publizistischen Machtmißbrauchs ebenso wie die Forderung, durch eine öffentlich-rechtliche Konstruktion zu einer Art gesetzlich verordneter Meinungsvielfalt zu gelangen.Die Pressekonzentration verändert überdies den journalistischen Arbeitsmarkt. Worin besteht denn noch die journalistische Freiheit, wenn der Journalist nicht mehr innerhalb eines zumutbaren geographischen Raumes Verleger und Zeitungen verschiedener politischer Richtungen findet, die miteinander konkurrieren und bei denen er arbeiten und zwischen denen er auch wechseln kann? Die Einstellung einer Zeitung läßt oft nicht nur minderwertige Arbeitsplätze verschwinden — das wäre zu begrüßen , sie führt auch zu harten Einzelschicksalen und zu der Erkenntnis, daß gerade die mangelhafte Ausbildung mancher Journalisten ihre wirtschaftliche Abhängigkeit und ihre Existenzangst verstärkt. In einem Berufszweig, in dem irreguläre Bildungsgänge überrepräsentiert sind, hängt die Pressefreiheit auch davon ab, daß die individuelle Unabhängigkeit der Journalisten durch eine Verbesserung der Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten gestärkt wird.Zur inneren Unabhängigkeit der Journalisten gehört übrigens aber auch, daß sie über die wirtschaftliche Lage ihres Unternehmens, also über ihre eigene wirtschaftliche Lage zuverlässig, rechtzeitig, besser und hinreichend informiert werden und eben deswegen nicht jeden Tag zu fürchten brauchen, entweder entlassen zu werden oder sich gegen ihren Willen in einer anderen Zeitung wiederzufinden.Der Antrag der Opposition sagt von beiden Umständen kein einziges Wort, weder von den Erfordernissen der journalistischen Ausbildung noch von der Notwendigkeit, ihnen rechtzeitig Klarheit über ihre wirtschaftliche Lage zu geben.Die Ursachen der Konzentrationsbewegung sind weitgehend erkannt. Karl-Hermann Flach hat eingehend dargestellt, daß diese Entwicklung vom Inserat, und zwar vom Markenartikelinserat, ausgeht und daß jeweils die zweitgrößten Zeitungen an einem bestimmten Markt von dieser Entwicklung am härtesten getroffen werden. Die Ursachen liegen weiter nicht nur in veränderten Verbrauchsgewohnheiten gegenüber Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen, sondern vor allem im Vordringen der großen Boulevardzeitungen, die einen wesentlichen Eingriff in das Abonnentengeschäft mit sich bringen. Gerade die Zweitzeitungen sind bei den gegebenen Marktverhältnissen kaum zu einer eigenen Preispolitik in der Lage und bilden so eine ständige Herausforderung zu einem ruinösen Wettbewerb durch den jeweiligen Marktführer.Dementsprechend haben in der Bundesrepublik die Zeitungen mit einer Verkaufsauflage über 150 000 in den letzten Jahren ihren Marktanteil um über 20 % auf 54 % zu Lasten der kleineren Zeitungen steigern können. Wir werden sehr sorgfältig zu prüfen haben, ob in dem internationalen Vergleich diese strukturelle Entwicklung in den Ländern positiv beeinflußt wird und wurde, in denen die Mehrwertsteuer bereits seit längerer Zeit erlassen worden ist. Es ist ein völlig zutreffender Hinweis, daß in fast allen anderen westlichen Ländern die Zeitungen von der Mehrwertsteuer befreit sind, und zwar auch in den Ländern, in denen die Mehrwertsteuern erheblich höher sind als in der Bundesrepublik und somit auch eine größere Bedeutung im Gesamtsteuersystem haben.Aber in Ihren Anträgen findet sich kein Wort darüber, daß die wirtschaftlichen Entwicklungen in den einzelnen Zeitungsgrößenklassen verschieden
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Dr. Hirschverlaufen und ob Ihre Vorschläge diese Strukturänderungen verändern können oder nicht. Es ist richtig, wie das der Pressebericht der Bundesregierung schon im Mai dargestellt hat, daß die beträchtliche Steigerung der Personalkosten, die Steigerung der Papierpreise bei denen der Mechanismus der Marktwirtschaft aus mir noch nicht einsichtigen Gründen wohl nicht zu funktionieren scheint — und schließlich der beträchtliche Gebührenanstieg im Post-Zeitungsdienst diese Strukturveränderungen drastisch und besorgniserregend beschleunigt.
— Und der Rückgang des Anzeigengeschäfts, jawohl. Hinzu kommt -- ich will gerade darauf kommen —, daß das Stagnieren der Vertriebserlöse die Zeitungen immer mehr von der Entwicklung der Anzeigenerlöse abhängig und damit konjunkturanfällig macht. Das führt zu der bemerkenswerten Konsequenz, daß bei einem Rückgang der Anzeigenerlöse nur durch eine Auflagenbeschränkung die Wirtschaftlichkeit einer Zeitung erhalten werden kann. Eine solche Entwicklung kann nicht tatenlos hingenommen werden, völlig richtig.Aber was hat zu geschehen?Erstens. Das Gesetz über die Konzentration im Pressebereich ist unserer Meinung nach beschleunigt zu verabschieden. Durch eine zwingende vorbeugende Fusionskontrolle, muß sichergestellt werden, daß solche Fusionen unterbleiben —
— Herr Kollege, warten Sie bitte ab. Ich möchte Ihnen ein Bündel von drei verschiedenen Maßnahmen vorstellen, die unserer Meinung nach in sich zusammenhängen und die alle drei notwendig sind, um das Problem zu lösen.Das erste ist das Konzentrationsgesetz. Es muß durch eine vorbeugende Fusionskontrolle sichergestellt werden, daß solche Fusionen unterbleiben, die wirtschaftlich nicht geboten sind. Es muß außerdem gesichert werden, daß wirtschaftlich gebotene Fusionen nicht zu einer weiteren Zusammenballung wirtschaftlicher und damit auch publizistischer Macht führen können.
Die Opposition wird bei diesem Gesetz Farbe bekennen müssen, ob für sie Pressefreiheit nur Verlegerfreiheit ist oder, wie Paul Sethe einmal formuliert hat, die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.
— Und heute, muß man hinzufügen, sind es nicht einmal mehr 200.Zweitens. Die Opposition wird erneut Farbe bekennen müssen, wenn die Bundesregierung das Presserechtsrahmengesetz vorlegt, das die innere Pressefreiheit in diesem Lande sichern soll. Dieses Gesetz wird die privatwirtschaftliche Struktur derPresse festigen und sie nicht etwa aushöhlen. Das Gesetz wird die Regeln für die Zusammenarbeit von Verlegern und Journalisten statuieren, wie sie sich in zahlreichen Zeitungen in Redaktionsstatuten bewährt haben. Wir erfüllen damit nicht nur unerfüllte Vorhaben und Erklärungen früherer Bundesregierungen, sondern auch eindeutige Entscheidungen des 49. Deutschen Juristentages 1972, dem man wohl kaum, auch in Wahlkämpfen nicht, verfassungsfeindliche Umtriebe vorwerfen könnte. Wir freuen uns darüber — ich habe das vorhin schon teilweise zitiert, Frau Kollegin Walz —, daß auch der Deutschlandrat der Jungen Union ein Medienpapier beschlossen hat, das unseren Vorstellungen nahekommt, wenn es auch hinter ihnen zurückbleibt.
— Ich meine den Beschluß des Deutschlandrates der Jungen Union vom 12. Mai in Hannover.
Es würde sich wirklich lohnen, wenn Sie das einmal selbst durchläsen.
— Herr Kollege, wollen Sie eine Zwischenfrage stellen?
— Bitte schön!
Herr Kollege Hirsch, Sie gestatten die Zwischenfrage? — Bitte!
Herr Kollege Hirsch, könnten Sie mir sagen, welches Ihre Vorstellungen sind? Sind das die des Herrn Innenministers, die er wieder zurückgezogen hat, oder sind es die Ihres Wiesbadener Parteitages, oder haben Sie inzwischen neue?
Ich werde Ihnen das ganz genau erklären, Herr Kollege. Wir haben in Wiesbaden ein Medienpapier beschlossen, das unserer Meinung nach eine fortschrittliche und positive Medienpolitik ermöglicht. Auf der Grundlage von Gesprächen zwischen den Koalitionsfraktionen hat es einen Entwurf gegeben, und dieser Entwurf ist Gegenstand eines Hearings gewesen. Nun weiß ich nicht, ob Sie es als einen Nachteil bezeichnen wollen, wenn die Bundesregierung oder der Bundesinnenminister dieses Hearing nicht nur als ein Schaugeschäft veranstaltet, sondern das, was dort von den unmittelbar Betroffenen gesagt wird, daraufhin prüft, in welchem Umfange es Gegenstand einer gesetzlichen Regelung werden kann.
Ich wüßte nicht, Herr Kollege Benz, warum mansich die Mühe eines Hearings machen sollte, wennman hinterher nur zu dem Ergebnis käme, daß der
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Dr. HirschArt. 1 der Mecklenburgischen Verfassung gelten, daß also alles beim alten bleiben soll.
Herr Kollege Hirsch, Sie gestatten eine weitere Zwischenfrage des Herrn Kollegen Benz?
Aber ja, natürlich.
Herr Kollege Hirsch, können Sie mir erklären, wieso diese Bundesregierung oder der Herr Innenminister diese Zeit von Jahren brauchte, um diesen Vorentwurf eines Entwurfs zu einem Gesetz vorzulegen, und warum er bei der hervorragenden Beamtenarbeit nicht vor der Fertigstellung ein Hearing veranstaltet hat, um sich zu erkundigen?
Ich bin Ihnen für diese Frage sehr dankbar. Sie wissen ja wie ich, daß es sich bei der Verwirklichung des Art. 5 des Grundgesetzes und bei allen Regulierungen der inneren Pressefreiheit um ein sehr diffiziles Gebiet handelt. Hier ist ja lange, lange gewartet worden, ob die Tarifpartner in ihren Verhandlungen über Redaktionsstatute autonome Regelungen entwickeln, die dem entsprechen, was man erwarten kann. Wenn Sie aber schon von Jahren reden: Der erste Referentenentwurf, der sich mit der inneren Pressefreiheit beschäftigt, stammt aus dem ersten Kabinett Adenauer.
Sie müssen also einmal darüber nachdenken, wie lange Zeit Sie gebraucht haben — und Sie haben nicht einmal einen Entwurf vorlegen können.
Sie können also in diesem Zusammenhang keine Vorwürfe gegen uns erheben, daß wir in dem Entwurf nun konkret etwas angehen, was Sie in Ihren eigenen Reihen nur als Gedankenblase behandelt haben.
Herr Abgeordneter Hirsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wagner ?
Aber selbstverständlich.
Herr Kollege Hirsch, können Sie mir sagen, ob Aussicht besteht, daß bei der Verbesserung des Entwurfs nicht nur die Ergebnisse des Hearings berücksichtigt werden. sondern auch die Meinung, die der Herr Bundeskanzler inzwischen zu diesem Entwurf geäußert hat?
Der Herr Bundeskanzler hat sich dahin gehend geäußert, daß ihm die erste Fassung des Entwurfes zu detailliert sei.
Selbstverständlich ist das eine Überlegung, die man bei jeder gesetzlichen Regelung anstellen muß. Perfektionistische Gesetzentwürfe sind selbstverständlich nicht der Weisheit letzter Schluß.
Wenn Sie dem aber folgen wollen, hoffe ich, daß wir gemeinsam sehr schnell zu einer Einigung und zu einem bundeseinheitlichen Presserechtsrahmengesetz kommen, das notwendig ist. Sie haben ein solches Gesetz bisher nicht fertiggebracht.
Sie bekämpfen ein solches Gesetz immer nur, mit welchen Positionen auch immer.
Ich würde es dankbar begrüßen, wenn sich die Initiativen der Opposition nicht nur auf Konferenzen, Parteitagen, in Beschlüssen oder wo immer erschöpften, sondern wenn Sie hier in diesem Hause endlich einmal Farbe bekennen würden, wie Sie sich die Regelung der inneren Pressefreiheit konkret vorstellen. Es wäre ein ungewöhnliches Erfolgserlebnis, das wir hier erzielen könnten.
Nun komme ich zum dritten Punkt, zu der Frage der wirtschaftlichen Hilfe. Es sind unserer Meinung nach auch außenwirtschaftliche Hilfen erforderlich, die sich aber nicht darauf beschränken dürfen, am Symptom zu kurieren,
sondern die langfristig geeignet sein sollten, zu stabilen wirtschaftlichen Verhältnissen im Pressewesen zu führen. Voraussetzung dafür ist die Existenz gesicherter Zahlen. Von dem Pressestatistikgesetz kann man solche Zahlen kurzfristig nicht erwarten. Sie sind also nur durch Zusammenarbeit mit den Verlegern selbst zu erhalten. Man kann dem BDZV den Vorwurf nicht ersparen, daß er durch Unentschlossenheit, Handlungsschwäche und Geheimniskrämerei
seit dem April 1974 bis heute ein halbes Jahr Zeit verplempert hat, innerhalb dessen die notwendigen Erhebungen längst hätten erfolgen können.
Wir begrüßen es, daß inzwischen mit dem BDZV über die Erhebung dieser Zahlen eine Verständigung herbeigeführt worden ist, so daß sie in Kürze vorliegen werden. Aber wir werden natürlich nicht heute Subventionen beschließen, die notwendigerweise zur Folge hätten, daß wir überhaupt keine Zahlen zu sehen bekämen. Wenn die zu erhebenden Zahlen eindeutig belegen, daß die Presse- und Meinungsvielfalt in diesem Lande ernsthaft bedroht ist, werden wir Freien Demokraten alles in unserer Macht Stehende tun, um auch durch wirtschaftliche
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Dr. HirschHilfen diese Gefahr abzuwenden. Die konkreten Maßnahmen müssen sich nach dem konkreten Sachverhalt richten. Wir können in diesem Zusammenhang keines der zahlreichen denkbaren wirtschaftlichen Hilfsmittel von vornherein ausschließen.Das gilt um so mehr, als gerade eine jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich betont, daß die schwierige wirtschaftliche Lage vieler Publikationsorgane und das Bestreben, die Vielfalt der Presse zu erhalten und zu stärken, es rechtfertigen, bestimmte Begünstigungen vorzusehen, ohne dadurch den Gleichheitssatz zu beeinträchtigen.Dementsprechend kann auch der Erlaß der Mehrwertsteuer als ein denkbares Mittel nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Ein solcher Erlaß könnte nicht global sein, aber es wären Modelle denkbar, daß z. B. Gewinne erzielende Presseunternehmen sich verpflichten, den von den Ertragssteuern nicht erfaßten Teil der Subventionen in einen zweckgebundenen Fonds einzuführen.Es gäbe auch andere Formen zweckgebundener Hilfe. Die Senkung der Gebühren im Postzeitungsdienst kann als ein denkbares Mittel nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Natürlich wird aber zu prüfen sein, ob aus der Liste des Postzeitungsdienstes nun alle 7000 Titel zu fördern sind, und wenn ja, in welcher Weise
[CDU/CSU] Nach
welchen Kriterien wollen Sie denn selektieren?)— gemach, lassen Sie mich doch wenigstens ausreden —, oder z. B. nur diejenigen, die einen besonders weiten Streubereich besitzen oder nach ihrer allgemeinen Aufgabenstellung nicht auf ein Individualinteresse, sondern auf die Meinungsbildung und Information der Gesamtbevölkerung ausgerichtet sind. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, gezielt vorzugehen, ohne durch die gezielte Förderung publizistischen Einfluß auszuüben.
Herr Abgeordneter Hirsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Benz?
Aber natürlich!
Wobei ich hier sagen möchte, daß der Kreis derjenigen, die den Beratungen folgen, durch weitere Zwischenfragen immer intimer wird.
Nachdem der Kreis der Beratenden sowieso jahrelang intim war, würde sich doch sofort — —
Herr Kollege, Sie müssen eine Frage stellen.
Herr Kollege Hirsch, können Sie mir den Schlüssel nennen, nach dem Sie dann selektieren?
Ich weiß, daß Sie darauf hinauswollen, ob durch eine gezielte Förderung publizistischer Einfluß ausgeübt wird. Ich habe Ihnen soeben gesagt: dieses ist nicht notwendig. Man muß zunächst einmal die Zahlen haben, um den Sachverhalt zu kennen, um zu erkennen, welche einzelnen Verlage in Gefahr geraten und welche nicht. Sie wissen aus den Zahlen über den Postzeitungsdienst — vieleicht wissen Sie es auch nicht —, daß die Tageszeitungen von sich aus in unterschiedlichem Umfang vom Postzeitungsdienst Gebrauch machen. Der Anteil schwankt von 10 bis über 30 % der Auflage. Dies hängt wieder vom Charakter der Zeitung und davon ab, ob sie sich in einem dünnbesiedelten Verbreitungsgebiet befindet oder nicht. Hier lassen sich durchaus ganz allgemeine Kriterien finden, die dann generell auf vergleichbare Objekte anwendbar sein können, wenn das — ich wiederhole es — strukturell zu einer gesunden und stabilen Zeitungswirtschaft führen kann.
Ich fasse zusammen: Erstens. Das Grundrecht der Presse- und Informationsfreiheit nach Art. 5 unserer Verfassung begründet unsere wenn nicht rechtliche, dann zumindest politische Pflicht, die Meinungsvielfalt in diesem Lande zu sichern. Dazu gehört nach unserer Auffassung auch die Sicherung der inneren Pressefreiheit.
Zweitens. Zur Pressefreiheit gehört die privatwirtschaftliche Struktur der Presse. Sie ist nicht antastbar.
Aber zu ihrem Charakter als einer wirtschaftlichen Unternehmung gehört auch die Verpflichtung, die Konzentrationsbewegung der Presse durch eine gesetzliche Regelung aufzuhalten.
Drittens. Die strukturellen Veränderungen unseres Pressewesens können nicht durch ein Kurieren am Symptom aufgehalten werden. Bei hohem finanziellen Aufwand würde man damit nichts erreichen. Darum ist es erforderlich, auf der Grundlage exakter Daten zu entscheiden, welche Maßnahmen am besten geeignet sind, am Pressemarkt stabile Verhältnisse zu erreichen, soweit das in einer Privatwirtschaft überhaupt möglich ist.
Viertens. Meine Fraktion ist entschlossen, auf dieser Grundlage zu handeln und alles zu tun, um die Presse- und Meinungsvielfalt in diesem Lande wirksam zu sichern.
Ich möchte dem Herrn Kollegen Hirsch sehr herzlich dafür danken, daß er weit über eine Viertelstunde unter der angemeldeten Zeit geblieben ist und damit den Ablauf der weiteren Beratungen gefördert hat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lutz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vieles von dem, was von den CDU-Spre-
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Lutzehern hier vorgetragen wurde, war ganz offensichtlich für Verlegerohren bestimmt. Sie wollten sich in angenehme Erinnerung bringen und sozusagen ein kleines Dankeschön für publizistische Dauerunterstützung durch gewisse große Konzerne abstatten.
— Das ist ja nicht strafbar.Aber glauben Sie nicht auch, daß Sie dem Problem nicht gerecht werden, wenn Sie in der heutigen schwierigen wirtschaftlichen Situation, in der sich einige Zeitungsunternehmen befinden, das Problem mit einem finanziellen Pflästerchen zukleistern wollen? Sie überschminken den Patienten. Das läßt ihn optisch günstiger erscheinen. Aber an der inneren Verfassung ändert sich nichts, und das Siechtum mancher Zeitungen wird dadurch schon gar nicht gebremst. Es siecht sich nur optisch schöner.Viele und bewegende Klagen über das Schicksal der Verlage sind schon vorgetragen worden. Es ist nicht zu bezweifeln, daß einige Zeitungen wegen des Anzeigenrückgangs, wegen steigender Papierpreise in Kostendruck geraten sind, aber keineswegs alle Zeitungen, so daß eine allgemeine, ungezielte Hilfe nach dem Gießkannenprinzip diese Folgen hätte: Sie würden die Großen stärken und einen Konzentrationsprozeß mit Steuermitteln beschleunigen.
Vor jeder Hilfe, so meinen wir, muß man den Zustand des Patienten Presse genau kennen. Dafür, daß solche Daten noch nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen, muß man allerdings auch dem Bundesverband deutscher Zeitungsverleger einen Vorwurf machen. Die Gespräche haben sich wirklich seit dem März über Monate hingezogen. Da sind Briefe ausgetauscht und wieder zurückgenommen worden, da sind Einwände erhoben worden. So ist das Problem von den Verlegern — wie ich meine, sehr zum Schaden der Presse auf die lange Bank geschoben worden. Deswegen begrüßen wir es, daß es jetzt doch zu der notwendigen Bestandsaufnahme kommt, daß wir als Politiker Entscheidungshilfen bekommen, um eine gezielte Förderung der Presse vornehmen zu können.Es ist eigentlich erstaunlich, daß Sie sich auf einem solchen Weg nicht anschließen. Es hätte Ihnen auch gut angestanden, wenn Sie hier in Ihren Reden auch ein paar höchst unangenehme Begleiterscheinungen der Pressekonzentration aufgegriffen, wenn Sie an die Tatsache erinnert hätten, daß so manche Zeitung mit Mann und Maus und über Nacht verhökert wurde in einem Stil, der für die Betroffenen nicht selten demütigend und erniedrigend war,
von den sozialen Begleiterscheinungen gar nicht zu reden.Im übrigen — und ich meine, auch dies sollte in diesem Hause einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden — sind nicht die Verlage allein in Schwierigkeiten geraten. Noch bedenklicher ist die Situation für manche Journalisten und freie Mitarbeiter. Wir haben rund tausend stellungsuchende Redakteure, die auf ein schmal gewordenes Berufsfeld zukommen. Die Chance, einen neuen Arbeitsplatz im publizistischen Bereich zu finden, ist zur Zeit sehr gering. Die unter Kostendruck geratenen Rundfunkanstalten vergrößern das Dilemma noch, indem sie zuerst da sparen, wo es am leichtesten ist: bei den freien Mitarbeitern. Das vergrößert die berufliche Misere. Auf immer weniger publizistische Arbeitsplätze warten immer mehr Arbeitsuchende. Und nicht wenige ausgemusterte Berufskollegen machen von den Möglichkeiten der Umschulung Gebrauch und suchen sich ein neues Betätigungsfeld, müssen sich ein neues Betätigungsfeld abseits der Medien suchen.
Ich meine also, Ihre mahnenden Worte und Ihre bewegenden Klagen würden sehr viel besser klingen und an Glaubwürdigkeit gewinnen, nähmen Sie sich auch dieses drängenden Problems an.Um es noch einmal zusammenfassend zu sagen: Für gezielte Hilfen ist die SPD-Fraktion jederzeit zu haben. Dazu bedarf es Ihres Drängens nicht. Für Ihr grobschlächtiges, ungezieltes Instrument steuerlicher Erleichterungen, die dem Kleinen und dem Großen der Branche gleichermaßen zuflössen, finden Sie bei uns keine Partner. Gezielte Hilfen aber sind ohne genaue Bestandsaufnahme nicht möglich, und diese Bestandsaufnahme sollte so schnell wie möglich in Angriff genommen und abgeschlossen werden. Ihr Konzept — Sie mögen es uns noch so wortreich anpreisen läuft darauf hinaus, dem Großen im Zeitungsbereich die finanziellen Mittel dazu zu geben, seine Hechtrolle im Karpfenteich der bundesdeutschen Gazetten weiterspielen zu können. Sie erhalten nicht die Pressevielfalt, sie beschleunigen den Konzentrationsprozeß
mit Steuersubventionen. Aber dazu warten Sie vergeblich auf eine Zustimmung aus unseren Reihen. Auf diesem Dampfer, meine Damen und Herren, bleiben Sie allein sitzen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Narjes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Rede des Kollegen Lutz hat einmal mehr erkennen lassen, wie die Blickverengung, die ein Denken in Klassenkampfvokabeln auslöst, das eigentliche Thema eher vernebelt, als es deutlich werden läßt.
Andernfalls wäre es Ihnen nicht entgangen, daß unser Thema die Erhaltung der Pressevielfalt ist. Dasist die Erhaltung selbständiger Redaktionen, der Ar-
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Dr. Narjesbeitsplätze der Journalisten und Techniker und einer privatwirtschaftlichen Pressestruktur, die lebensfähig ist. Darum geht es uns und nicht um Vorwände für Manipulationen aller Art.
Das Thema unseres Antrags ist durch den Umstand ausgelöst, daß die Existenz der Tagespresse nach unserer Ansicht in doppelter Hinsicht gefährdet ist. Sie ist wirtschaftlich gefährdet, weil wir seit knapp einem Jahr einen nachhaltigen Ertragsverfall der deutschen Tageszeitungen haben, der auf konjunkturpolitische, strukturpolitische und auch Rohstoffversorgungsgründe zurückzuführen ist, die sich sämtlich häufen und in ihrer Häufung eben diese beklagenswerte Auswirkung gehabt haben.Im Gegensatz zu den Herren, die für die Bundesregierung und die Regierungsparteien gesprochen haben, sind wir der Ansicht, daß sich bei hinreichend sorgfältiger Betrachtung des vorhandenen Zahlenmaterials doch schon jetzt verläßliche Anhaltspunktedefür ermitteln lassen, daß gehandelt weiden muß.Zunächst die Vorbemerkung: Es macht statistisch wohl wenig aus, ob ich die Zahlenergebnisse von 8 auf 12 Monate hochrechne oder den 9. Monat abwarte, um dann auf 12 Monate hochzurechnen. Diese 8 Monate sind da. Insoweit könnte genügendes Material vorhanden sein.Ich will Ihnen das mit Zahlen belegen, damit Sie wissen, wie wir gerechnet haben, und zwar auf der Basis der Zahlen bis einschließlich August, hochgerechnet nach den Vergleichszahlen und Daten des vergangenen Jahres auf das Ende 1974. Danach haben wir im Anzeigengeschäft mit Einbußen von 416 Millionen DM zu rechnen. Wir nehmen an das ist eine für die Verlage günstige Annahme —, daß davon etwa die Hälfte durch Mehreinnahmen für Annoncenpreiserhöhungen wieder ausgeglichen werden kann, so daß auf der Anzeigenseite insgesamt ein globaler Verlust von etwa 208 Millionen DM eintritt. Wir nehmen weiter an, daß sich die Personalkosten in diesem Jahr um etwa 170 Millionen DM erhöhen. Wir nehmen drittens an, daß die Papierkosten in diesem Jahr um 105 Millionen DM steigen; dabei haben wir schon den verminderten Papierverbrauch zugrunde gelegt.Alles in allem sind das 483 Millionen DM Ertragseinbuße, denen auf der Einnahmenseite eine Verbesserung der Abonnementserlöse um etwa 97 Millionen DM gegenübersteht. Das ergibt eine Minimum-Ertragseinbuße von 386 Millionen DM. Dabei haben wir, weil wir das nicht ermitteln können, nicht hinzugerechnet, was in Druckereien an zusätzlichen Kosten für Rohstoffeinsatz und ähnliches angefallen ist.Des weiteren wissen wir schon heute, daß 1975 die Papierkosten, auch wenn nur die Preise dieses zweiten Halbjahres fortgeführt werden, einen Mehraufwand von zusätzlichen 50 Millionen DM erfordern und daß der Postvertrieb, wenn nichts geändert wird, einen Mehraufwand von 16,7 Millionen DM auslöst. Hinzu kommen die Belastungen aus den Tarifverhandlungen des nächsten Jahres.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sieglerschmidt?
Herr Kollege Narjes, haben Sie bei Ihrer Prognose, die Sie hier stellen, diejenigen Zahlen berücksichtigt, die der Betriebsberater des Zeitungsverlegerverbandes, Herr Rutsatz, in „ZV+ZV" vom 2. Oktober gebracht hat, die doch ein ganz anderes Bild — auch in der Zusammenfassung von Herrn Rutsatz selbst, über die Gefährdungen ergeben, die er zwar nicht bestreitet, aber die er bei weitem nicht so einschätzt, wie das bei Ihnen jetzt zum Ausdruck kommt.
Vielen Dank für diese Frage, Herr Kollege Sieglerschmidt. Ich habe mich um das Rutsatz-Gutachten gekümmert. Wir haben nur festgestellt, daß unabhängig von den diskutablen, aber wahrscheinlich nicht haltbaren Ansätzen seines Betriebsvergleichsverfahrens — da gibt es erhebliche methodische Bedenken; wahrscheinlich ist ein Drittel bis ein Viertel der Verlage in seiner Repräsentativstatistik nicht enthalten, was ich aber jetzt beiseite lassen möchte — sein Zahlenwerk für das erste Halbjahr 1974 — ich spreche nur von 1974 — jedenfalls falsch sein wird und falsch sein muß. Keinesfalls kann das für dieses Jahr repräsentativ sein,
weil er a) die Papierpreise für das erste Halbjahr zugrunde gelegt, Lagerbestandsvorräte nicht hinreichend berücksichtigt und b) die Tarifabschlüsse des Monats April offenkundig noch nicht berücksichtigt hat, so daß seine Aussagen für 1974 — allein auf diese kam es an — für uns nicht zugrunde gelegt werden können.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ich bitte, das nicht auf meine Redezeit anzurechnen; denn wenn die Antwort auch so umfangreich ausfallen muß, ist meine Redezeit mit den Antworten auf Fragen ausgefüllt.
Herr Kollege Narjes, sind Sie nicht bereit, uns zu glauben, daß wir diese Zahlen kennen, daß es aber überhaupt nicht auf die Global-zahlen, sondern auf die Frage ankommt, wie sich die Zahlen auf die einzelnen Größenklassen der Zeitungen aufteilen, worüber Sie überhaupt kein Material vorliegen haben?
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8468 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1974
Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mich einmal mehr darauf hinweisen, daß ich auf diesen Teil Ihrer Ausführungen später noch eingehend werde antworten müssen.
Jedenfalls reichen diese Zahlen für uns aus, diesen Tatbestand als hinreichend geklärt anzusehen und zu erklären, daß hier schnell geholfen werden muß und nicht erst nach einem Verfahren der langen Bänke, das irgendwann in den Jahren 1975 oder 1976 zu Reaktionen führen soll. Dann können die Kinder schon in den Brunnen gefallen sein. Ich weiß gar nicht, auf was Sie warten, wenn Sie jeden Monat irgendeine Meldung über eine weitere größere Pressekonzentration auf dem Tisch haben.
Das sind doch alles nur Ausflüchte, die mit der Wirklichkeit einfach nicht mehr in Zusammenhang zu bringen sind.
Wir haben auch andere Möglichkeiten von Einnahmeverbesserungen kritisch geprüft und feststellen müssen, daß eine weitere Erhöhung der Anzeigenpreise zu einer solchen Verringerung der Fläche führt, daß damit praktisch der Einnahmeneffekt kompensiert wird. Wir haben festgestellt, daß ,die Erhöhung der Abonnementspreise praktisch durch entsprechende Abbestellungen kompensiert wird. Wir wissen, daß kurzfristig Rationalisierungsmaßnahmen nicht in einem Umfang möglich sind, der hier ins Gewicht fällt. Alles in allem ist das eine Lage, die zum Handeln und nicht zu weiteren Verschiebemaßnahmen aufruft.
Allerdings habe ich bei den existenzgefährdenden Tatbeständen, die ich hier genannt habe, nicht die besonderen Kriterien der Zusammenbrüche der SPD-Zeitungen erwähnt. Ich meine, das liegt weniger an den erwähnten wirtschaftlichen Umständen als an der Tatsache, daß bei diesen Zeitungen immer ein Unternehmer gefehlt hat.
Die zweite Bedrohung — auch diese möchte ich sehr deutlich unterstreichen — erfolgt auf der politischen Seite. Ich erwähne dies besonders, nachdem Herr Kollege Hirsch auf diese Themen abgehoben hat. Ich bin der Ansicht, daß ein konsequenter Sozialismus — Herr Kollege Hirsch, ich spreche Sie an, obwohl ich Sie damit nicht als Sozialisten angesprochen haben möchte, der Sie wohl nicht sind —, selbst wenn er sich demokratisch nennt, und ein von Unternehmern getragenes und auf den Wettbewerb um das beste Informationsangebot sich gründendes Pressewesen einander ausschließen; denn die sind auf lange Sicht nicht mehr miteinander vereinbar.
Da auch nicht ersichtlich ist, wie ohne eine privatwirtschaftliche Struktur auf längere Sicht die Pressevielfalt gewahrt werden könnte, sehen wir schon
im Denk- und Zielansatz des Sozialismus eine grundsätzliche Gefährdung der Pressefreiheit.
Ich glaube, insoweit stimme ich mit Ihnen überein, da auch Sie deutlich gesagt haben, daß Sie die Pressefreiheit nicht ohne eine Privatstruktur als gewahrt ansehen.
Herr Kollege Hirsch, Sie sind natürlich in einer mißlichen Lage, wenn Sie hier eine Regierungspolitik verteidigen müssen, die zu 80 % von demokratischen Sozialisten getragen wird, die ihrerseits Ihre Prämissen nicht akzeptieren.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch?
Herr Kollege, würden Sie dann diesem Auditorium verraten, welches Mitglied der Bundesregierung die Verstaatlichung der Presse verlangt?
Ich habe von den 80 % hinter der Bundesregierung stehenden demokratischen Sozialisten gesprochen. Ihnen ist doch bekannt, daß die Sozialdemokratie seit einiger Zeit Wert darauf legt, sich als Partei der demokratischen Sozialisten darzustellen,
und daß sie dementsprechend ernst genommen wird.
Aber ich will etwas hinzufügen: Außer den Einzelmaßnahmen, die in dieser Richtung zu Besorgnissen Anlaß geben, die in unserer Antragsbegründung enthalten sind, gibt es noch etwas anderes, was mich sehr stutzig gemacht hat. Das ist die Tatsache, daß in dem Langzeitprogramm der SPD — ein Programm, das immerhin die Unterschrift des jetzigen Bundeskanzlers trägt und parteioffiziell ist — das Pressewesen, das Medienwesen ausgesprochen unter Klassenkampfgesichtspunkten angegangen wird
„im Interesse der vielen gegen die Interessen der wenigen", wie es da in dem Jargon heißt. Gilt das alles nicht mehr?
Herr Abgeordneter Narjes, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sieglerschmidt?
Herr Kollege Narjes, ist es Ihnen entfallen, oder haben Sie es bewußt unterlassen, bei Ihrer Argumentation darauf abzuheben, daß die sozialdemokratische Partei in ihren verbindlichen Medienbeschlüssen die privatwirtschaftliche Struktur der Presse ausdrücklich vorsieht?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1974 8469
Diesen sogenannten „parteiverbindlichen Medienbeschlüssen" kann ich wenig Glaubwürdigkeit zumessen.
Sie stehen in einem krassen Widerspruch zu den sogenannten „Basistrategien" Ihrer radikalen Flügel, die sich schrittweise immer weiter durchsetzen, und diesen Widerspruch müssen Sie mit sich selbst ausmachen und nicht auf uns übertragen.
Wenn also wirtschaftliche und politische Gefahren zusammentreffen, so mache ich keinen Hehl daraus, daß gerade die politische Entwicklung bei Ihnen uns mit Mißtrauen gegenüber allem und auch jenem erfüllt, was Sie im Detail vorschlagen.
Wenn Sie das Wort Presse- und Medienpolitik in den Mund nehmen, habe ich den Verdacht, hier soll manipuliert werden, und diese Debatte hat mich darin bestärkt.
Wenn also dieses unsere Sicht Ihrer Politik und der damit verbundenen Gefahren ist, dann haben wir nur konsequent gehandelt, wenn wir Ihnen hier den Antrag vorgelegt haben, der ein Eilantrag, ein Notantrag ist und der ein Sofortprogramm enthalten und nicht etwa eine medienpolitische Gesamtkonzeption ablösen soll und deshalb auch nicht mit medienpolitischen Gesamtkonzeptionskriterien gemessen werden kann.
Die Einzelmaßnahmen, die wir nun vorgeschlagen haben, müssen erläutert werden, nachdem hier immer wieder von beiden Seiten der Regierungskoalition, von liberaler wie von sozialistischer Seite, der Vorwurf des Gießkannenprinzips oder der Abwesenheit von gezielten Maßnahmen in irgendeiner Form gemacht worden ist. Keiner von Ihnen, auch nicht auf der Regierungsseite, hat in irgendeiner Form darstellen können, wie man zielen kann, ohne der Versuchung der Manipulation Tür und Tor zu öffnen. Umgekehrt muß sich, wer den Gießkannenvorwurf erhebt, dem Verdacht aussetzen, sich Hebel schaffen zu wollen für Manipulation, für Selektion nach politischem Wohlverhalten.
— Sehr verehrte gnädige Frau, ich habe nur auf
das abgehoben, was in Ihren Kreisen zur Medienpolitik außerhalb des Saales seit Jahren gesagt wird, und das sollte hier auch diskutiert werden. Dann sollen Sie wenigstens zur Kenntnis nehmen, daß aus diesen und anderen Gründen Ihre Politik hier im Hause mit soviel Vorbehalten empfangen wird.
Herr Abgeordneter Dr. Narjes, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reuschenbach?
Gerne!
Herr Kollege Narjes, geben Sie also mit Ihren letzten Bemerkungen zu, daß Sie bewußt und gewollt ungezielt und global agieren wollen?
Herr Kollege Reuschenbach, wenn Sie meine Ansicht zu diesem Thema zusammengefaßt haben wollen, kann ich es nicht besser tun als mit einem Zitat Ihres Kollegen Ahlers aus dem August dieses Jahres.
Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten dieses Zitat bringen:
Gut wäre es auch, wenn Helmut Schmidt die zuständigen Kabinettsmitglieder Friderichs, Maihofer und Apel anhalten würde, die Überlegungen des zu diesem Zweck eingesetzten Staatssekretärausschusses hinsichtlich gezielter Hilfsmaßnahmen für die Presse zu beschleunigen, und zwar ohne sich ständig von der Sorge hemmen zu lassen, der eine oder der andere Vorschlag könnte die Konzentration fördern. Eine gesunde Demokratie braucht die starke vierte Gewalt der Presse. Deshalb ist der Staat zur Unterstützung verpflichtet.
Das ist die erste Antwort, die ich Ihnen gebe.
Die zweite Antwort hat Ihnen Herr Kollege Zimmermann mit dem Zitat des Ihnen nahestehenden Chefredakteurs Feddersen gegeben, der ebenfalls, wenn ich mich nicht täusche, auf die Notwendigkeit abgehoben hat, daß kerngesunde, leistungsfähige Zeitungsverlage die beste Sicherung der Pressefreiheit sind.
Im übrigen wiederhole ich auch an Sie die Frage, die ich vorhin schon einmal gestellt habe: Kennen Sie Zielmöglichkeiten, die nicht Manipulationsmöglichkeiten sind? Auf diese Frage sind Sie bisher die Antwort schuldig geblieben. Wir haben auch bei angestrengtem Nachdenken nichts finden können, was dieses ausschließt.
Herr Abgeordneter Narjes, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hirsch?
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8470 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1974
Ich möchte Ihnen gerade in diesem Zusammenhang helfen. Würden Sie es z. B. als eine unzulässige Manipulation betrachten, wenn man wirtschaftliche Unterstützungsmaßnahmen z. B. bindet an das Vorhandensein von Vollredaktionen, an ein bestimmtes Verhältnis von Anzeigentext zu redaktionellem Text, an eine Mindestseitenzahl von politischem Text, an bestimmte Umsatzgrößen, wenn man z. B. diese Vertriebssysteme stützen würde usw.? Ich bin in der Lage, Ihnen noch weitere zehn Kriterien vorzutragen.
Herr Kollege, die Möglichkeit besteht; nur, die Geschäftsordnung läßt das so nicht zu.
Jedes dieser Kriterien verdient eine eigene Antwort, aber eines will ich Ihnen jetzt schon sagen — das haben Sie eben nicht vorgetragen —: In irgendeiner Form Zeitungen mit Verlusten stärker mit öffentlichen Hilfen zu bedenken, als Zeitungen, die Gewinne machen, zu unterstützen — —
— Pardon, das ist etwas anderes. Das ist eine neutrale, rein ertragsmäßige Belastung des einzelnen Unternehmers. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, wollen Sie die Presseunternehmer, die Verluste machen, besser fördern als solche, die Gewinne machen.
— Doch; denn Sie wollen bei denen, die Gewinne machen, die Subventionen in irgendeiner Form mindern.
Herr Abgeordneter Narjes, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hirsch?
Herr Kollege, ist es Ihnen denn wirklich unbekannt, daß die Verleger selber den Vorschlag gemacht haben, daß z. B. die Zeitungen, die in der Gewinnzone sind, die nicht weggesteuerten Teile in einen gemeinsamen Fonds einstellen? Ist Ihnen das, wenn Sie sich mit diesem Thema überhaupt beschäftigen, denn wirklich unbekannt geblieben?
Herr Kollege Hirsch, Sie täuschen sich, wenn Sie unterstellen, daß ich hier Verlegerpolitik mache. Ich bin auch bereit, die Pressefreiheit gegen die Verleger durchzusetzen. Mir ist es völlig gleichgültig, welche Vorschläge im einzelnen dort gemacht sind oder nicht. Ich behalte mir mein Urteil selbst vor.
Ich will noch folgendes hinzufügen. Jede Form der Pressesubvention, die das Verlustemachen prämiiert, ist eine der größten Sünden gegen die marktwirtschaftliche Ordnung überhaupt. Dann könnte der Beteiligte sich darauf verlassen, daß in irgendeiner Form letzten Endes Vater Staat zahlt und er drauflos wirtschaften kann. Dies wollen meine Freunde und ich auf jeden Fall vermieden wissen.
— Nein, im Gegenteil. Unser Verfahren ist so einfach, so holzschnittartig, wenn Sie so wollen,
daß Sie da keinen Ansatz für irgendeine Selektion nach politischem Wohlverhalten finden.
Sie kommen nicht — ich wiederhole es zum dritenmal — um die Antwort herum, wie Sie zielen wollen, ohne politisch zu manipulieren, ohne Ihre Freunde zu belohnen und Ihre Gegner zu bestrafen. Darum geht es, wenn wir die Pressefreiheit erhalten wollen, wenn Sie es ernst damit meinen.
Ich möchte mich jetzt noch auf zwei Punkte konzentrieren. Der eine Punkt betrifft die Umsatzsteuer. Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zur Vorlage des Bundesrats zwei Bemerkungen gemacht, von denen wir eine für rechtlich diskussionswürdig halten, nämlich die Frage, ob der Vorschlag — so, wie er eingebracht worden ist dem Diskriminierungsverbot des EG-Vertrags widerspricht. Er müßte eventuell erweitert werden. Die andere Frage, ob unser Mehrwertsteuervorschlag mit den Mehrwertsteuerrichtlinien der EWG in Einklang zu bringen ist, beurteilen wir nach gründlicher Prüfung anders als Sie. Wir müssen darüber in den Ausschüssen sprechen.
Zum Schluß, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich noch auf einen Vorgang eingehen, der hier im Zusammenhang mit den Erörterungen der letzten Wochen in besonderem Maße Aufsehen erregt hat. Es handelt sich um Meldungen, Herr Bundesminister Maihofer, aus denen sich ergibt, daß die Bundesregierung versucht haben soll, der Presse das Angebot zu machen oder ihr nahezulegen, auf der einen Seite Hilfsmaßnahmen zur Behebung ihrer gegenwärtigen Schwierigkeiten anzunehmen, dagegen auf der anderen Seite ihren Widerstand gegen eine gesetzliche Regelung der inneren Pressefreiheit aufzugeben. Diese Meldungen sind, soweit ich sehe, nicht dementiert worden.
Ich bitte Sie, sie hier zu dementieren, andernfalls möchte ich Ihnen sagen, daß das einer der ungeheuerlichsten Vorfälle wäre, die ich kenne.
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Narjes, Ihre Äußerungen fordern mich
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1974 8471
Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofernun doch heraus, zum Schluß noch einige Worte zu sagen — nicht nur, weil Sie mit Ihrer Intervention hier an der Sache stracks vorbeigezielt haben.
Alles, was Sie eingangs über die globalen Mindereinnahmen, über die globalen Zusatzbelastungen gesagt haben, führt uns doch hier in der Sache keinen Schritt weiter. Denn hier geht es doch entscheidend darum — und das bestreitet niemand, der sich in der Presselandschaft heute auskennt —, daß wir auf der einen Seite Presseverlagsunternehmen haben, denen es — gleicherweise wie 1973 — gut geht, und auf der anderen Seite notleidende Presseunternehmen, die in der Tat in die Verlustzonen geraten sind.Wenn wir nun in der Tat nicht zu einer Deformation von Politik kommen wollen — denen, die Not leiden, zuwenig, denen, denen es gut geht, zuviel zu geben und damit — ich sagte es vorhin schon — hier eben nicht wirksam zu helfen, sondern in der Tat nur eher den Zustand zu verschlimmern, in dem wir heute stecken —, dann müssen wir zu differenzierten Maßnahmen kommen.Des weiteren glaube ich, daß Sie überhaupt nicht die prinzipielle Problematik sehen, in der wir hier stehen: eine nach unserem Bekenntnis privatwirtschaftlich organisierte Presse
mit ihrer öffentlichen Aufgabe in Einklang zu bringen, und zwar so, daß weder die privatwirtschaftliche Grundlage die öffentliche Aufgabe erschlägt noch — umgekehrt — die öffentliche Aufgabe die privatwirtschaftliche Grundlage vernichtet. Das ist doch hier das politische Problem.
Deshalb halte ich es für unerträglich — das hat mich hier heraufgebracht —, daß Sie mit der Stimmungsmache, ja, mit der Angstmache, wie sie landauf, landab betrieben wird, auch hier im Plenum des Bundestages fortfahren,
unseren sozialliberalen Kollegen nun nicht nur einen demokratischen Sozialismus vorzuwerfen — was gibt es daran vorzuwerfen! —, sondern hier in Verdächtigungen auszubrechen, daß sie im Hinblick auf die Presse deren privatwirtschaftliche Grundlage in Frage stellten, wo es doch, nicht nur in dieser Regierung, sondern auch in jener Partei in dieser Hinsicht klipp und klare Beschlüsse gibt, so daß es hier keinen Millimeter Differenz auch zwischen Sozialdemokraten und Freien Demokraten gibt.
Sie führen hier wirklich Gespensterschlachten von vorgestern,
ein solches Verhalten halte ich für unverantwortlich.Denn dieses Verhalten untergräbt das Vertrauen indie dieses parlamentarische System tragenden Parteien schlimmer als Scharen von Extremisten in unserem Lande.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Narjes? — Bitte.
Herr Bundesminister, halten Sie es für einen Vorwurf, wenn ich die Angehörigen der Sozialdemokratischen Partei entsprechend ihren eigenen parteiamtlichen Äußerungen als demokratische Sozialisten bezeichne?
Nein.
— Nein, ich habe das genaue Gegenteil, wenn Sie genau hingehört haben, gesagt. Was ist denn da schon ein Vorwurf, habe ich gesagt, wenn man jemanden einen demokratischen Sozialisten nennt? Aber das Schlimme ist doch, daß Sie auf Grund dessen nun stracks zu dem Schluß kommen, diese demokratischen Sozialisten träten dafür ein, die privatwirtschaftliche Grundlage unserer Presse zu beseitigen. Das ist doch ungeheuerlich.
Das gleiche gilt für Ihre letzte Bemerkung insoweit danke ich Ihnen für Ihre Worte. Ich möchte hierzu klipp und klar feststellen: Es ist eine üble Unterstellung, daß es irgend jemanden gegeben haben könnte, der hier ein Kopplungsgeschäft angeboten hätte: wirtschaftliche Hilfsmaßnahmen für die Presse gegen gesetzliche Maßnahmen etwa in einem Presserechtsrahmengesetz. Das ist eine unglaubliche Unterstellung. Aber mit so etwas — das muß ich nun wirklich beklagen — versucht man von seiten der Opposition, hier im Hause wie draußen, Medienpolitik zu machen.
— Aber sicher! Wer hat denn das in die Welt gesetzt? Doch nicht wir.
— Aber nein. Ich sage: drinnen und draußen. Es gibt ja, außer Ihnen hier drinnen auch draußen eine solche Opposition.
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Narjes?
Aber gern.
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8472 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1974
Herr Bundesminister, ist diese Meldung, auf die ich mich bezogen habe und zu der ich Sie aufgefordert habe sie zu dementieren, von Ihnen vorher in irgendeiner Form in Abrede gestellt oder dementiert worden?
Aber nein, weil sie ja so ungeheuerlich und so unglaublich ist, daß ein vernünftiger Mensch im Grunde auf solch einen Gedanken überhaupt nicht kommen kann.
Wenn wir jeden solchen blanken Unsinn dementieren wollten, dann könnten wir jeden Tag in diesen vom Wahlkampf verrotteten Zeiten Dementis abgeben.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Beratung des Tagesordnungspunktes 20 fort.
Zur Begründung des Tagesordnungspunktes 20 d hat das Wort der Herr Bundesjustizminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Rahmen der Medienpolitik und des Presserechts spielt das Zeugnisverweigerungsrecht des Journalisten seit jeher eine wichtige Rolle. Als ein Teilelement der 1848 als sogenannte März-Errungenschaft durchgesetzten Pressefreiheit findet es sich erstmals in Gesetzen einzelner Staaten des Deutschen Bundes, im Badischen Pressegesetz z. B. oder in der Württembergischen Strafprozeßordnung des 19. Jahrhunderts.Abgesehen von den Jahren der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ist das Zeugnisverweigerungsrecht seitdem beständig fortentwickelt worden. Einen vorläufigen Abschluß erreichte diese Entwicklung in den Landespressegesetzen der 50er und 60er Jahre, in denen das Zeugnisverweigerungsrecht — bei allen Unterschiedlichkeiten im Detail — ganz allgemein nicht mehr als ein Privileg eines Berufsstandes, sondern als ein Ausfluß der vom Grundgesetz gewährleisteten Informations- und Meinungsfreiheit geregelt wurde. Seine Grenzen wurden dementsprechend weit gezogen, einschränkende Voraussetzungen wie etwa die Verurteilung oder zu erwartende Verurteilung des verantwortlichen Redakteurs aufgegeben.Nach einer weitverbreiteten Meinung, die insbesondere von Presserechtlern vertreten wurde, bewegten sich die Bundesländer bei dem Erlaß dieser Vorschriften im Rahmen ihrer Gesetzgebungskompetenz für das Presserecht. Das Bundesverfassungsgericht hat sich jedoch dieser Auffassung nicht angeschlossen, sondern die einschlägigen Bestimmungen des Hessischen und auch des Hamburgischen Landespressegesetzes mit der Begründung für nichtig erklärt, es handele sich um eine Frage des Strafprozeßrechtes, für die allein der Bund zuständig sei.Die so entstandene Lücke muß nun durch den Bundesgesetzgeber alsbald geschlossen werden. Zu diesem Zweck liegen Ihnen heute drei Entwürfe in erster Lesung vor; nämlich der Entwurf der Bundesregierung, ein Entwurf des Bundesrates und ein Entwurf der Opposition. Alle drei Entwürfe zeigen ein erfreuliches Maß an Übereinstimmung und knüpfen sämtlich an die liberalen Regelungen etwa des Hessischen, des Hamburgischen und des Bayerischen Landespressegesetzes von 1949 an. Das gilt für die Abgrenzung des zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Personenkreises ebenso wie für die Ergänzung des Zeugnisverweigerungsrechts durch ein deckungsgleiches Beschlagnahmeverbot. Ich kann mich deshalb im wesentlichen auf die Darlegung der zwischen den Entwürfen bestehenden Unterschiede konzentrieren. In der Hauptsache geht es dabei um folgende vier Punkte.Erstens. Der Regierungsentwurf will ebenso wie der Oppositionsentwurf das Zeugnisverweigerungsrecht nicht nur für das Strafverfahren, sondern einheitlich für alle Verfahrensordnungen, also auch für das Zivilprozeßverfahren, das Verwaltungsgerichts- und das Finanzgerichtsverfahren, das Arbeits- und das Sozialgerichtsverfahren und für das Verfahren in der freiwilligen Gerichtsbarkeit, regeln. Der Bundesratsentwurf beschränkt sich demgegenüber auf das Verweigerungsrecht im Strafverfahren.Schon im Interesse der Rechtsvereinheitlichung verdient meines Erachtens der Regierungsentwurf den Vorzug.Zweitens. Regierungsentwurf und Bundesratsentwurf sehen das Zeugnisverweigerungsrecht für alle Straftaten vor. Der Oppositionsentwurf hingegen will für einige besonders schwere Delikte Ausnahmen machen, d h. in diesen Fällen die Journalisten der allgemeinen Zeugnispflicht unterwerfen.Es geht hier um die Abwägung zwischen der Informationsfreiheit einerseits und dem Interesse der Gemeinschaft an der Aufklärung und Aburteilung schwerer und schwerster Straftaten andererseits. Diese Abwägung sollte im Verlauf des weiteren Gesetzgebungsverfahrens mit Bedacht vorgenommen werden. Dabei wird zu berücksichtigen sein, daß in den meisten Bundesländern seit zehn und mehr Jahren ein uneingeschränktes Verweigerungsrecht gegolten hat, ohne daß negative Auswirkungen bekanntgeworden wären. Außerdem bleibt ja die allgemeine strafrechtlich sanktionierte Pflicht, drohende besonders schwere Verbrechen nach § 138 des Strafgesetzbuches anzuzeigen, unberührt.Drittens. Der Regierungsentwurf und der Bundesratsentwurf beschränken das Verweigerungsrecht auf den redaktionellen Teil. Der Oppositionsentwurf will das Recht auch auf den Anzeigenteil ausdehnen.Das erscheint problematisch, denn bei den Anzeigen stehen wohl eher wirtschaftliche Interessen, nicht aber Belange der Information und der Meinungsäußerung im Vordergrund. Auch ist in den letzten Jahren — so etwa von Hehlern und Erpressern — zunehmend versucht worden, Inserate zu strafbaren Zwecken zu mißbrauchen.
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Bundesminister Dr. VogelViertens. Alle drei Entwürfe regeln wegen des engen Zusammenhangs auch die Zuständigkeit für die Beschlagnahme von Beweismaterial in Redaktions- und Verlagsräumen oder in einer Rundfunkanstalt in den noch verbleibenden Fällen sowie für die Beschlagnahme von Druckwerken, bei denen wegen ihres strafbaren Inhalts mit einer Einziehung im objektiven Verfahren zu rechnen ist.Der Regierungsentwurf will die Anordnung solcher Beschlagnahmen wegen ihrer weitreichenden Folgen dem Richter vorbehalten. Der Bundesratsentwurf und die Opposition machen hier abweichende Vorschläge, die in den Ausschußberatungen noch zu prüfen sein werden.Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im vorliegenden Falle ist den Organen der Gesetzgebung sicherlich keine Reformaufgabe gestellt. Es geht hier nicht primär um die Erneuerung oder Fortentwicklung unseres Rechts; es geht vielmehr um die rasche Übernahme bewährter landesrechtlicher Regelungen in das Bundesrecht, um die Übernahme von Regelungen, die das in der Bundesrepublik Deutschland erreichte hohe Maß an Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit auch für die Zukunft gewährleisten. Dies sollte uns in gemeinsamer Arbeit bald gelingen.
Meine Damen und Herren, damit ist der Entwurf auf Drucksache 7/2539 begründet.
Ich erteile nunmehr dem Herrn Abgeordneten Dr. Klein das Wort. Ich gehe davon aus, daß Sie den Entwurf des Gesetzes zum Schutz von Redaktionsgeheimnissen auf Drucksache 7/1681 begründen werden. Bitte, Herr Kollege!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag nimmt, wenn ich es recht sehe, jetzt den zweiten und, wie wir alle hoffen, diesmal erfolgreichen Anlauf zur Bewältigung eines lange wie ich meine, allzu lange — schon anstehenden Problems, des Problems der bundeseinheitlichen Regelung des Zeugnisverweigerungsrechts für die Mitarbeiter von Presse und Rundfunk.Schon in der vierten Legislaturperiode haben sich der Bundesrat und auch der Bundestag intensiv mit dieser Materie beschäftigt. Danach ist die Angelegenheit in Vergessenheit geraten. Das hat hauptsächlich dadurch geschehen können, daß die Landespressegesetze ein im einzelnen freilich recht unterschiedlich ausgestaltetes Zeugnisverweigerungsrecht enthielten, durch welches dem Bundesgesetzgeber die Verantwortung abgenommen zu sein schien. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, auf die der Herr Bundesjustizminister hingewiesen hat, haben uns insoweit eines Besseren belehrt. Unter den Parteien dieses Hauses besteht erfreulicherweise Einigkeit darüber, daß — und sehr weitgehend auch wie — eine Novellierung der geltenden bundesgesetzlichen Regelungen erforderlich ist, und zwar nicht nur im Bereich desStrafverfahrensrechts, sondern auch im Bereich des Zivilprozesses und des finanzgerichtlichen Verfahrens.Die CDU/CSU-Fraktion tut sich einiges darauf zugute, daß sie zu einem sehr frühen Zeitpunkt, nämlich bereits im März dieses Jahres, dem Hause einen Entwurf vorgelegt hat, einen Entwurf, der längst die Form des Gesetzes hätte annehmen können, wenn die Fraktionen der Koalition bereit gewesen wären, auf seiner Grundlage die Beratungen aufzunehmen, statt abzuwarten, bis die Regierung endlich in der Lage war, einen eigenen Entwurf vorzulegen.Jede gesetzliche Regelung des Zeugnisverweigerungsrechts für Journalisten, und zwar einschließlich der parallel dazu erforderlichen Regelung des Beschlagnahme- und Durchsuchungsrechts, muß zwei Erfordernisse sehr sorgfältig gegeneinander abwägen. Auf der einen Seite steht der um der Freiheit der Presse und des Rundfunks und um der möglichst vollständigen Information der Bürger willen notwendige Schutz des Redaktionsgeheimnisses, auf der anderen Seite der rechtsstaatlich ebenso gebotene, vom Staat zu gewährende Schutz des Bürgers vor unzulässigen Einbrüchen in seine Rechtssphäre, aber auch der Schutz des Staates selbst vor gefährlichen Angriffen auf seinen Bestand.Das Bundesverfassungsgericht — auch die Begründung des Regierungsentwurfs weist darauf hin — hat mit großem Nachdruck hervorgehoben, daß die Einräumung von Zeugnisverweigerungsrechten stets eine erhebliche Behinderung der Rechtspflege darstellt, die, um vor der Verfassung Bestand haben zu können, jeweils einer besonderen Legitimation bedarf. Das Zeugnisverweigerungsrecht der Journalisten steht in einem unübersehbaren Bezug zur verfassungsrechtlichen Garantie der Freiheit der Presse wie des Rundfunks. Das Bundesverfassungsgericht sagt mit Recht — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —:Zur verfassungsrechtlich verbürgten Freiheit der Presse gehört als wesentliche Voraussetzung ihrer Funktionsfähigkeit auch ein gewisser Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und privaten Informanten. Er ist unentbehrlich, da die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informationsquelle aber nur dann ergiebig fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich auf die Wahrung des Redaktionsgeheimnisse verlassen kann. Das Recht der Presseangehörigen, die Aussage über den Inhalt von Mitteilungen und die Person des Informanten unter bestimmtenVoraussetzungen zu verweigern, dient unmittelbar diesem Schutz und trägt dadurch mittelbar zur Gewährleistung einer institutionell eigenständigen und funktionsfähigen Presse bei.Soweit das Zitat.Aus diesen Ausführungen kann nun sicherlich nicht abgeleitet werden — wie es wohl die Begründung zum Regierungsentwurf versucht —, das Bundesverfassungsgericht oder das Verfassungsrecht überhaupt fordere ein völlig einschränkungsloses Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten. Die
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Dr. Klein
Formulierungen, deren sich das Gericht bedient hat und die ich hier betont habe, bezeugen vielmehr im Gegenteil, daß nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts im Interesse einer funktionsfähigen Rechtspflege ein solches Zeugnisverweigerungsrecht gewissen Einschränkungen unterworfen werden muß.Der von meiner Fraktion eingebrachte Entwurf trägt diesem Umstand Rechnung. Der Regierungsentwurf hingegen verzichtet auf jegliche Einschränkung und vernachlässigt damit die Bedürfnisse der Rechtspflege in einer, wie wir meinen, nicht mehr vertretbaren Weise. Diese Einsicht scheint sich übrigens unterdessen auch der Bundesregierung selbst bemächtigt zu haben; denn in ihrer Gegenäußerung zu der Stellungnahme des Bundesrates wird eingeräumt, daß im Laufe der weiteren parlamentarischen Beratungen über Ausnahmen vom Zeugnisverweigerungsrecht noch wird beraten werden müssen. Der Herr Bundesjustizminister hat soeben diese Äußerung der Bundesregierung noch einmal bestätigt.Angesichts dieser Lage vermag ich den Verdacht nicht ganz von der Hand zu weisen, daß die Bundesregierung um eines kurzfristigen Propagandaeffektes willen zunächst auf solche Ausnahmen verzichtet hat, wohl wissend, daß sie im Endergebnis nicht zu umgehen sein werden. Der Entwurf meiner Fraktion zeichnet sich, glaube ich, in diesem Punkte den Journalisten gegenüber durch ein größeres Maß an Redlichkeit aus.
Übrigens befinden wir uns da in voller Übereinstimmung mit Vorstellungen, die noch vor zehn Jahren auch in SPD und FDP vertreten worden sind. Der Bundesrat hat damals mit den Stimmen SPD-regierter Länder einen Gesetzentwurf zur Änderung der Strafprozeßordnung angenommen, der über die heute von der CDU/CSU vorgeschlagenen Beschränkungen des Zeugnisverweigerungsrechts der Journalisten nicht unerheblich ,hinausging. Das gleiche gilt für einen damals von der FDP eingebrachten Gesetzentwurf, zu dessen Begründung die damalige Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus überaus beherzigungswerte und nachlesenswerte Äußerungen während der ersten Lesung gemacht hat.
Sehr deutlich hat sich in diesem Zusammenhang auch der damals von der FDP gestellte Bundesjustizminister ausgesprochen, Herr Dr. Bucher, der in der Sitzung des Bundestages vom 5. Februar 1964 das folgende gesagt hat — ich zitiere noch einmal mit der Erlaubnis des Herrn Präsidenten —:Ein solch uneingeschränkter Vorrang der Pressefreiheit— er setzte sich damals mit einem Entwurf der SPD-Fraktion auseinander —
läßt sich nach Auffassung der Bundesregierung aus Art. 5 des Grundgesetzes nicht begründen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist vielmehr zwischen den Erfordernissen einer freien Presse einerseits undden Belangen der Strafverfolgung andererseits abzuwägen und ein Ausgleich zu finden. Dabei sind zu den Belangen der Strafverfolgung auch die Belange der Strafverfolgten zu zählen. Diese Rechtsprechung macht deutlich, daß es Grenzen des Zeugnisverweigerungsrechts geben muß. Daß Interesse der Presse am Schutz ihrer Informationsquellen muß dann zurücktreten, wenn der Schutz höherrangiger Rechtsgüter, der zu den Aufgaben der Strafrechtspflege gehört, dies erfordert.Diesen Darlegungen, meine Damen und Herren, kann ich nur uneingeschränkt zustimmen.Wir sind uns des besonderen Verhältnisse zwischen Journalisten und Politikern sehr wohl bewußt. Aber das sollte uns, meine ich, nicht veranlassen, eines gerade bei den verantwortungsbewußten Journalisten sicherlich nur kurzfristig, wenn überhaupt, zu erzeugenden good Will halber zum Nachteil der Rechtspflege und derjenigen, die sich ihrem Schutz anvertrauen und auf ihn angewiesen sind, auf jegliche Beschränkungen des Zeugnisverweigerungsrechts zu verzichten. Solche oberflächliche Effekthascherei verträgt sich jedenfalls nicht mit jenem Verständnis einer verantwortungsbewußten Politik, zu dem wir uns als Christliche Demokraten bekennen.
Übrigens — und dies als abschließende Berner-kung —, auch der Deutsche Presserat hat sich im Jahre 1963 zu den hier vertretenen Grundsätzen bekannt. In seinen damaligen Leitsätzen zum Zeugnisverweigerungsrecht der Presse heißt es wörtlich — und ich erbitte ein letztes Mal die Erlaubnis für ein Zitat —:Der Schutz des Berufsgeheimnisses hat dann zurückzutreten, wenn der Bestand oder die Sicherheit des Staates und seine freiheitlichdemokratische Grundordnung in Gefahr sind. Bei strafprozessualen Maßnahmen ist zwischen den Erfordernissen einer freien Presse und denen der Strafverfolgung abzuwägen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, über die Einzelheiten wird in den folgenden Beratungen eingehend zu reden sein. Da wir uns, wie gesagt, über die Notwendigkeit einer Novellierung des geltenden Rechts einig sind, sollten diese Beratungen beschleunigt vonstatten gehen. Es wäre unerträglich, wenn sie sich abermals über diese Legislaturperiode hinaus verzögerten.
Zur Begründung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung — Drucksache 7/2377 — wird das Wort nicht gewünscht.
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sieglerschmidt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich zu-
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Sieglerschmidtnächst ein paar Bemerkungen zum Gesamtgegenstand dieses Tagesordnungspunktes mache. Die verbundene Debatte über diesen Punkt umfaßt Materien aus den verschiedensten Bereichen der Gesetzgebung: Statistik, Steuerrecht, Post, Wirtschaft, Prozeßrecht und Strafrecht. Was diese Gesetzentwürfe und den Antrag der Opposition miteinander verbindet, ist die Tatsache, daß es bei ihnen in der einen oder anderen Weise um die Presse geht, um ihre wirtschaftliche Lage einerseits und um die Rechte und Pflichten der in der Presse Tätigen im Bereich der Rechtspflege andererseits, wobei die Einordnung hinsichtlich der Geheimnisverletzung nach § 353 c des Strafgesetzbuches nur bedingt zutrifft. Davon wird noch zu sprechen sein. Offenbar wollte der Ältestenrat mit der Entscheidung für die verbundene Debatte allen denen sozusagen durch konkludente Handlung widersprechen, die innerhalb und außerhalb dieses Hauses ihre Einfallslosigkeit und ihren Konservatismus hinter dem flotten Satz zu verbergen suchen: Die beste Medienpolitik ist keine.
— Herr Kollege Klein, der Herr Kollege Benz hat sich auf einer Tagung, auf der ich auch war, z. B. in diesem Sinne geäußert.Was wir hier miteinander diskutieren, sind Teilbereiche der Medienpolitik. Zwei weitere werden uns in den nächsten Monaten beschäftigen, die Pressefusionskontrolle und das Presserechtsrahmengesetz. Es ist gut, so meine ich, daß durch diese Debatte deutlich wird, daß zwischen jenen Teilbereichen Zusammenhänge bestehen, die ihre sinnvolle Zuordnung zueinander erfordern, Zusammenhänge, mit denen wir Sozialdemokraten uns schon sehr ernsthaft zu einer Zeit beschäftigt haben, als andere noch nicht daran dachten, dies zu tun.Lassen Sie mich diese Zusammenhänge kurz verdeutlichen. Die wachsende Pressekonzentration, die uns allen schwere Sorgen bereitet, weil sie die Erhaltung von Informations- und Meinungsvielfalt gefährdet, ist zweifellos zu einem erheblichen Teil die Folge wirtschaftlicher Zwänge, deren Ursachen bekannt sind. Darüber besteht zwischen allen Beteiligten Einigkeit. Streitig ist jedoch, welche Maßnahmen geeignet sind, diese wirtschaftlichen Zwänge für die in Frage kommenden Verlage zu beseitigen oder doch wenigstens zu mildern, und bis zu welchen Grenzen es die Haushaltslage erlaubt, hierfür öffentliche Mittel sei es im Wege der Subvention oder sei es im Wege des Einnahmeverzichts — bereitzustellen. Darüber ist heute schon viel gesprochen und gestritten worden.Es ist aber einfach nicht richtig, so zu tun, als ob wirtschaftliche Zwänge die einzige Ursache der Pressekonzentration seien. Wirtschaftliches und publizistisches Machtstreben spielt dabei des öfteren eine durchaus beachtliche Rolle. Wem es also mit der Bekämpfung der Pressekonzentration ernst ist, der muß auch für eine wirksame Fusionskontrolle im Bereich der Presse eintreten, die der Ausdehnung von Verlagsimperien entgegentritt, soweit diese ohne wirtschaftliche Notwendigkeit geplant ist, die in Fällen unvermeidbarer Zusammenschlüsse oder Kooperationen aber auch der Erhaltung von Informations- und Meinungsvielfalt Beachtung zu verschaffen versucht. Wer die Fakten auf diesem Gebiet kennt und nüchtern wertet, wird sich indessen keine Illusionen darüber machen, daß auch, wenn alle Vorschläge, die die Opposition in ihrem Antrag gemacht hat, verwirklicht werden würden und der Regierungsentwurf zur Pressefusionskontrolle bereits Gesetz geworden wäre, einstweilen gegen den Fortgang der Pressekonzentration nur begrenzte Erfolge zu erzielen sind.Diese Einschätzung wird durch einen Blick auf die Situation in anderen Ländern mit freier Presse bestätigt. Obwohl dort der Staat nach Meinung des Zeitungsverlegerverbandes — davon ist heute ja auch gesprochen worden — sehr viel mehr für die Presse tut als bei uns, ist die Konzentrationsbewegung in den meisten dieser Länder weiter fortgeschritten als in der Bundesrepublik.Hier zeigt sich nun ein weiterer Zusammenhang zwischen medienpolitischen Teilbereichen, und es stellt sich die Frage, Was im Zustande wachsender Pressekonzentration getan werden kann, um wenigstens ein Mindestmaß an Informations- und Meinungsvielfalt zu erhalten. Ein Mittel dazu ist sicherlich eine bessere rechtliche Absicherung der journalistischen Unabhängigkeit in den Redaktionen. Zwar ist dies keineswegs das einzige Ziel des vorgesehenen Presserechtsrahmengesetzes. Doch kann man die Schaffung eines gesetzlichen Rahmens für das, was man innere Pressefreiheit nennt, sicherlich als das Kernstück dieses Gesetzentwurfs bezeichnen.Kritische journalistische Unabhängigkeit im Dienste der Öffentlichkeit wird aber auch durch ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten und andere an der Herstellung der Zeitung Beteiligte gestärkt. Lassen Sie mich, Herr Kollege Klein, hier zwei Bemerkungen zu Ihrem Beitrag machen. Ich glaube, wir können völlig darüber einig sein, daß weder das Verfassungsrecht noch das Verfassungsgericht ein uneingeschränktes Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten zwingend fordern. Aber ich glaube, so wie selbstverständlich das geltende Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten in § 53 der Strafprozeßordnung nicht verfassungswidrig ist, wäre auch ein uneingeschränktes Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten in verfassungsrechtlicher Hinsicht keineswegs bedenklich.
Eine zweite Bemerkung zu der Frage des Propagandaeffekts. Herr Kollege Klein, ich wollte dazu eigentlich einen Zwischenruf machen oder eine Zwischenfrage stellen. Wenn es um den Propagandaeffekt geht, so gucken Sie doch einmal auf Ihren Streichungsantrag zu § 353 c und auf vieles andere, was heute hier gesagt worden ist.
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SieglerschmidtLassen Sie mich fortfahren. Wir würden den Entwurf eines bundeseinheitlichen Zeugnisverweigerungsrechts für Journalisten wahrscheinlich erst als Artikel des Presserechtsrahmengesetzes beraten, wenn nicht das Bundesverfassungsgericht durch seine Beschlüsse von November 1973 und Februar 1974 entschieden hätte, daß die entsprechenden Vorschriften der Landespressegesetze nichtig sind. Man könnte es sich nun einfach machen und feststellen, daß sich der Bund an derjenigen Regelung zu orientieren habe, die bisher fast ausnahmslos in allen Ländern gegolten hat und durch die den Journalisten ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt worden war, zumal es dabei offensichtlich zu keinen Schwierigkeiten in der Rechtspflege und insbesondere in der Strafverfolgung gekommen ist. Dies gilt übrigens auch für die Ordnungszelle Bayern. Bayern hat schon seit langem kraft Landespressegesetz ein uneingeschränktes Zeugnisverweigerungsrecht. Gesetz und Ordnung und Strafrechtspflege sind deswegen in diesem Lande keineswegs ins Wanken geraten.
— Nein, auch dort nicht. Das Thema kommt noch; ich will es meinen Kollegen vorbehalten, darüber zu sprechen, Herr Kollege Hauser.Angesichts der Tatsache, daß der Oppositionsentwurf den Journalisten nur ein erheblich eingeschränktes Zeugnisverweigerungsrecht zugestehen will — bei etwa 40 Straftatbeständen soll das Zeugnisverweigerungsrecht unter bestimmten Voraussetzungen nach Auffassung der Opposition nicht bestehen —, der Bundesrat in dieser Frage eine wankelmütige Haltung an den Tag gelegt hat nämlich einmal so und dann wieder so — und auch die Bundesregierung sich in diesem Punkt immerhin diskussionsbereit zeigt, erscheint es angebracht, diesem Problem noch ein wenig nachzugehen.Mir scheint die entscheidende Frage allerdings nicht die des Ausmaßes des Zeugnisverweigerungsrechts zu sein, sondern wesentlich wichtiger ist die Entscheidung, welchen Personengruppen es zu gewähren ist. Grundsätzlich ist in dieser Beziehung sicherlich große Zurückhaltung geboten. Eine uferlose Ausweitung würde eine geordnete Rechtspflege ernstlich beeinträchtigen. Wir täten gut daran, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, etwaigen Wünschen weiterer Berufsgruppen auf Gewährung des Zeugnisverweigerungsrechts mit großer Reserve zu begegnen. Die in diesem Fall notwendige sorgfältige Abwägung muß jedoch bei den Journalisten zu einem positiven Ergebnis führen.Wesentlicher Bestandteil der Wahrnehmung des Grundrechts der Pressefreiheit ist die Funktion der Presse, Kritik zu üben und gegebenenfalls in diesem Zusammenhang bestehende Mißstände aufzudecken. Es liegt auf der Hand, daß diese Funktion nur wirksam erfüllt werden kann, wenn die Journalisten nicht gezwungen sind, die Quellen ihrer Informationen preiszugeben. Jede Einschränkung kann in dieser Hinsicht die journalistische Arbeit nur zu leicht beeinträchtigen.Nun wird hier eingewandt, daß in Fällen schwerer Kriminalität, Herr Kollege Klein, das Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung vorgehen müsse. Doch dieser Einwand überzeugt mich nicht. Zunächst ist zu fragen, warum er dann nur für die Journalisten, nicht aber für die vier anderen in § 53 der Strafprozeßordnung aufgeführten Berufsgruppen gelten soll. Ist die Gefahr des Mißbrauchs oder der Behinderung der Rechtspflege bei den Journalisten vielleicht größer? Die praktische Erfahrung mit den geltenden landesrechtlichen Bestimmungen gibt zu dieser Vermutung keinen Anlaß.In dem Entwurf der Opposition wird der Versuch gemacht, die für notwendig gehaltene Einschränkung des Zeugnisverweigerungsrechts gewissermaßen an objektive Kriterien zu binden. Die zu diesem Zweck vorgenommene Anknüpfung an § 100 a StPO ist jedoch nicht überzeugend. Bei dieser Bestimmung geht es doch um etwas ganz anderes, nämlich um die Telefonüberwachung von Personen, die auf Grund bestimmter Tatsachen als Täter oder Teilnehmer der dort genannten Straftaten verdächtigt sind. Es handelt sich also um Beschuldigte. Das ist etwas qualitativ anderes als das Zeugnisverweigerungsrecht.Im übrigen sind — der Herr Bundesjustizminister hat das schon erwähnt — Journalisten selbstverständlich auch bei uneingeschränktem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 138 StGB verpflichtet, geplante schwere Straftaten, von denen sie Kenntnis erhalten haben, anzuzeigen. Dabei ist darauf hinzuweisen, daß sich die in § 138 StGB und die in § 100 a StPO genannten Straftatbestände weitgehend dekken.Fragwürdig sind Einschränkungen des Zeugnisverweigerungsrechtes für Journalisten auch im Hinblick darauf, daß es für sie zu den Regeln beruflichen Anstandes gehört — wie es die Internationale Journalistenföderation ausgedrückt hat—, sich eher in Beugehaft nehmen zu lassen, als ihre Informanten preiszugeben. Angesichts dieses Verhaltens der Journalisten, das in den letzten Jahren mehrfach durch Fälle in der Praxis belegt ist, ist von .den Einschränkungen des Zeugnisverweigerungsrechts, die die Opposition vorschlägt, ohnehin kaum etwas anderes zu erwarten als unfruchtbare Auseinandersetzungen vor den Gerichten, die die betroffenen Journalisten in eine kaum vertretbare Konfliktlage bringen.Mindestens ebenso bedeutsam ist eine angemessene Abgrenzung des hier zur Zeugnisverweigerung berechtigten Personenkreises und die Entscheidung darüber, ob sich das Zeugnisverweigerungsrecht nur auf den redaktionellen Teil beziehen soll, wie es die Entwürfe der Bundesregierung und des Bundesrats vorsehen, oder auch auf den Anzeigenteil, wie es die Opposition vorschlägt.Was die letzte Frage betrifft — Herr Klein, hier geht es viel eher um das Wirtschaftliche —, ist die Notwendigkeit einer Ausdehnung auf den Anzeigenteil unter dem Gesichtspunkt der Pressefreiheit nicht erkennbar. Im Gegenteil, es spricht viel dafür, daß gerade in diesem Bereich die Strafverfolgung durch eine solche Erweiterung erschwert würde.
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SieglerschmidtHinsichtlich des berechtigten Personenkreises hat man sich bei allen drei Entwürfen um eine sorgfältige Abgrenzung bemüht. In der Ausschußberatung wird Gelegenheit sein, zu prüfen, ob allen hier durch die vorliegenden Definitionen einbezogenen Personen ein schutzwürdiges Zeugnisverweigerungsrecht zusteht.Eine letzte Bemerkung zur Neuregelung des Beschlagnahmerechts für Druckwerke: Der Entwurf der Bundesregierung sieht vor, daß solche Beschlagnahmen nur durch den Richter vorgenommen werden sollen. Bundesrat und Opposition wollen dagegen unter bestimmten Umständen auch die Beschlagnahme durch den Staatanwalt oder gar durch Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft zulassen. Die praktischen Erfahrungen aus den vergangenen Jahren — etwa im Zusammenhang mit der „Spiegel"-Affäre im Jahre 1962 — lassen es indessen angezeigt erscheinen, den Richtervorbehalt nicht aufzuweichen. Der politisch bedeutsame Unterschied für die Beschlagnahme von Druckwerken ist nicht zu übersehen, auch wenn man dabei nicht jenen bekannten bösartigen Spruch über die Staatsanwaltschaft im Hinterkopf hat. Es ist eigentlich nicht recht zu verstehen, daß die Opposition hinsichtlich der von ihr beantragten Streichung des § 353 c StGB, über die gleich gesprochen wird, einen solchen Eifer an den Tag legt, aber in dieser für die Pressefreiheit nun wirklich bedeutsamen Frage bereit ist, auf die durchgehende Sicherung durch den Richtervorbehalt zu verzichten.Wir von der sozialdemokratischen Fraktion, meine Damen und Herren, werden dafür sorgen, daß ein umfassendes, d. h. ein nicht durch 40 Einschränkungen durchlöchertes Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten Gesetz wird, um damit die Wahrnehmung der Pressefreiheit in einem wichtigen Teilbereich sichern zu helfen. In der Absicht, auf den verschiedenen Gebieten das wichtige Grundrecht des Art. 5 in seiner Wirksamkeit zu erhalten und zu stärken, sind sich alle Fraktionen dieses Hauses einig, mag es auch, wie sich heute gezeigt hat, Meinungsverschiedenheiten darüber geben, welche Maßnahmen diesem Ziel am besten dienen und welche Möglichkeiten zu ihrer Verwirklichung bestehen. Ich meine deshalb, die medienpolitischen Sprecher von seiten der Opposition sollten von dem auch heute wiederholt gemachten Versuch ablassen, sich als die alleinigen Verteidiger der Pressefreiheit aufzuspielen und die Regierungskoalition zu verdächtigen, sie wolle die Pressefreiheit unterminieren. Die Begründung Ihres Antrags zur Pressevielfalt bietet für dieses Vorgehen genügend Beispiele. Sie haben sie heule durch ihre Sprecher leider mehrfach in einer sehr unangenehmen und üblen Weise vermehrt. Wenn Sie sich auf solche Weise bei der Presse etwa lieb Kind machen wollen, nämlich indem Sie andere anschwärzen, wird Ihnen das kein verständiger Journalist und Verleger abnehmen. Der parteipolitische Nutzen, den sich einige bei Ihnen davon vielleicht versprechen, steht in keinem Verhältnis zu dem staatspolitischen Schaden, der aus solcher fragwürdigen Polemik entstehen kann.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich ganz kurzfassen und daher erst im Jahre 1862 beginnen, als das preußische Abgeordnetenhaus das unbeschränkte Zeugnisverweigerungsrecht beschlossen hatte, was dann selbstverständlich von der preußischen Regierung und dem Herrenhaus abgelehnt wurde. Ich hoffe, daß wir nach diesem langen Anlauf diesmal in der Lage sein werden, das unbeschränkte Zeugnisverweigerungsrecht einzuführen.Nach allen Reden hier ist es sicherlich nicht mehr erforderlich, die unstreitigen Ungereimtheiten des geltenden Rechts im einzelnen aufzuzeigen. Ich will mich auf zwei Punkte beschränken, einmal auf die Frage, ob eine Einschränkung des Verweigerungsrechts bei Kapitaldelikten angebracht ist, und dann darauf, ob eine Aussagepflicht entstehen soll, wenn ein potentieller Informant einen Journalisten von seiner Schweigepflicht — von seinem Schweigerecht, müßte ich sagen — entbindet.Für die Einschränkung des Zeugnisverweigerungsrechts bei Kapitaldelikten spricht in der Tat, daß clie Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wiederholt betont hat, das Zeugnisverweigerungsrecht sei als ein Eingriff in das Rechtsstaatsgebot an enge Voraussetzungen zu knüpfen, und nur engumschriebene Ausnahmen seien verfassungsgemäß.Aber gerade Ihr Entwurf zeigt eigentlich, daß eine Abgrenzung nach § 100 a StPO nach dem Kreis dieser Delikte kaum sachgerecht möglich ist, weil man dann sowohl reine, klassische Kapitaldelikte erfaßt als auch Straftatbestände, die in den Bereich des Staatsschutzrechts hineingehen. Da macht man natürlich eine ganz andere Problematik auf.Die Klausel, die Sie hinzufügen, daß die Ermittlung des Täters auf andere Weise nicht möglich sein dürfe oder jedenfalls stark erschwert sein müsse, halte ich für einen wirkungslosen Vorbehalt. Ein Staatsanwalt, der das Vorliegen dieser Voraussetzungen nicht nachweisen kann -- ich möchte fast sagen: in jedem beliebigen Fall , sollte seinen Beruf wechseln.Für besonders merkwürdig halte ich die von Ihnen vorgeschlagene Regelung, daß das Zeugnisverweigerungsrecht dann entfallen soll, wenn ein möglicher Informant den Journalisten von der Schweigepflicht entbindet. Denn bei dieser Klausel haben Sie offenbar Angst vor der eigenen Courage bekommen, wenn Sie hinzufügen, daß die Entbindung von der Schweigepflicht dann nicht gelten solle, wenn sie dem wirklichen Willen des möglichen Informanten nicht entspreche. Hier kann mir niemand mehr erklären, wie so etwas praktikabel sein soll, wer entscheiden soll, was nun dem wirklichen Willen des Entbindenden entspricht und was nicht.Weiter bleibt das Problem völlig ungelöst, wie ein Journalist Rechtens verfahren soll, wenn von zwei möglichen Informanten ihn der eine von der Schweigepflicht entbindet. Ich meine, daß diese Lö-
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Dr. Hirschsungen nicht angehen, und meine auch, daß der Einwand des Mißbrauchs des unbeschränkten Zeugnisverweigerungsrechts nicht überzeugend belegt werden kann. Wir haben dieses unbeschränkte Recht in Hamburg und Hessen gehabt. Mir ist kein Fall bekanntgeworden, in dem das tatsächlich zu Mißbräuchen geführt hätte.Wir wollen also das unbeschränkte Zeugnisverweigerungsrecht nach dem Grundsatz „in dubio pro libertate". Wir wollen auch erreichen, daß für die Beschlagnahme von Druckereierzeugnissen stets eine richterliche Entscheidung erforderlich ist, weil wir diese Vorgänge für einen außerordentlich tiefgehenden Eingriff in die Rechte und die tatsächlichen Arbeitsmöglichkeiten von Redaktionen halten.Ich hatte gehofft, daß Sie bereit wären, Ihren Gesetzentwurf zurückzuziehen. Ich merke aus den Reden, daß das nicht möglich ist. Immerhin bedanke ich mich für die Zusage, daß Sie bereit sind, diesen Gesetzentwurf möglichst schnell und zügig zu behandeln; denn in dem Punkt sind wir sicherlich im ganzen Hause einig, daß die im Augenblick geltende Regelung des Zeugnisverweigerungsrechts absolut unzureichend ist und daß wir alle uns beeilen sollten, diesen von allen als unbefriedigend empfundenen Tatbestand wirksam und schnell zu ändern.
Wir fahren in unseren Beratungen fort. Wir kommen zur ersten Beratung des von den Abgeordneten Vogel, Reddemann, Dr. Klein, Erhard und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Strafrechtsänderungsgesetzes, Drucksache 7/1804. Zur Begründung der Vorlage hat Herr Abgeordneter Vogel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von meiner Fraktion eingebrachte Gesetzentwurf betrifft die teilweise Streichung einer Bestimmung, die, verglichen mit dem Alter des Strafgesetzbuchs, verhältnismäßig jungen Datums ist, einer Bestimmung, die ihr Dasein zunächst mehr oder weniger unbeachtet gefristet hat, die jedoch in den letzten Jahren zunehmend immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik geraten ist.Eine erste harte Kritik wurde dem § 353 c des Strafgesetzbuches insgesamt durch ein Gutachten zuteil, das der Deutsche Journalistenverband und der Vorstand der Bundespressekonferenz im Jahre 1951 vorgelegt haben. Hier wurde gegen diese Vorschrift vorgebracht, sie sei typisch für nationalsozialistisches Strafrecht, da sie die kriminelle Verteidigungslinie vorverlege und eine bedenkliche Generalklausel schaffe. Das Anordnungsrecht der Regierung lasse autoritäre Führervorstellungen erkennen und habe im Rechtssystem der übrigen Kulturstaaten keine Parallele. § 353 c sei ein Maulkorbparagraph, der gegen die Pressefreiheit und das Recht der freien Meinungsäußerung verstoße.Diese Kritik ist sicher überspitzt. Sie ist vor allen Dingen bei dem Vorwurf überspitzt, daß es sich um typisch nationalsozialistisches Recht handele. Aber es zeigt, welche Brisanz in dieser Bestimmung liegt. Das haben auch die letzten Jahre insbesondere dadurch gezeigt, daß inzwischen eine ganze Reihe von Journalisten persönliche Bekanntschaft mit dieser Bestimmung gemacht haben.Mir liegt nun fern, einer Regierung generell das Recht zu bestreiten, bestimmte Tatsachen, Nachrichten, Schriftstücke geheimzuhalten. Eine wirksame Regierungstätigkeit wird in manchen Fällen eine Geheimhaltung erfordern. Aber hier sollten wir auch keine Irrtümer entstehen lassen. Deshalb muß an dieser Stelle gesagt werden, daß § 353 c des Strafgesetzbuches nur den Schutz von Regierungsgeheimnissen und nicht den Schutz von Staatsgeheimnissen betrifft. Staatsgeheimnisse sind in anderen Vorschriften des Strafgesetzbuches geschützt. Wir sind hier im Augenblick also nur mit dem Schutz von Regierungsgeheimnissen befaßt. Ich darf noch einmal wiederholen: sie sollen auch geschützt bleiben, aber — das ist der Sinn unserer Initiative — in vernünftiger Weise und nicht mit einem ausufernden Tatbestand wie dem des § 353 c Abs. 1.Herr Kollege Sieglerschmidt hat schon eine freundliche Bemerkung zu diesem Entwurf gemacht und von einem Entwurf gesprochen, bei dem es auf einen Propagandaeffekt ankomme. Herr Kollege Sieglerschmidt, ich hoffe, daß ich aus dieser Bemerkung nicht schließen darf, daß Sie hier heute einige freundliche Erklärungen zu dem Entwurf abgeben, um ihn dann in den Ausschußberatungen einschlummern zu lassen. Uns ist es mit dieser Initiative ernst — nehmen Sie das bitte zur Kenntnis , und ich wäre sehr dankbar, wenn wir an diesem Gesetzentwurf gründlich und genauso zügig wie an den anderen arbeiten würden. Es gibt eine Reihe von Fragen. über die man im einzelnen sprechen muß; ich räume das sehr wohl ein. Aber es geht darum, daß wir dieses Problem als solches angehen.
— Herr von Schoeler, ich habe es ja auch gar nicht anders angenommen, schon gar nicht bei Ihnen!Meine Damen und Herren, bei der heutigen Beschaffenheit und Handhabung des § 353 c des Strafgesetzbuches stehen wir vor der Frage, ob bei der Entscheidung, ob jemand mit einem Strafverfahren überzogen wird, nicht in vielfältiger Weise und letztlich auch unkontrollierbar — das scheint mir ein wichtiger Gesichtspunkt zu sein — manipuliert werden kann. Ich glaube, es ist das Schlimmste bei einer Strafvorschrift, wenn ihr Anwendungsbereich manipuliert werden kann. Ich glaube, damit sollten wir uns sehr ernst auseinandersetzen.Das fängt schon an bei der Frage, was mit dem Stempel „geheim" versehen wird, denn wir wissen, daß es hier ausreicht, daß der Stempel „geheim" draufkommt. Die Praxis zeigt, daß es feste Kriterien für die Entscheidung, ob der Stempel draufkommt oder nicht, nicht gibt. Das ist schlecht, wenn die Einstufung als „geheim" wahllos — ich würde sagen: nach Opportunität — erfolgt. Viele Beispiele bewei-
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Vogel
sen, daß die Einstufung als „geheim" ganz gezielt als Mittel der Politik eingesetzt wird.Neuestes Beispiel, wenn ich Presseberichten folgen darf,
ist das Gutachten des Berliner Staatsrechtlers Scholz zur Mitbestimmung, das der Bundesjustizminister sogar vor seinem Koalitionspartner versperrt hat; so die Meldungen der Presse.
— Wir werden das ja feststellen. Ich nehme an, daß es Ihnen inzwischen, Herr Kollege von Schoeler, zur Verfügung steht. Ich würde aber sagen, der Bundesjustizminister wäre dann nicht der einzige, der mit Gutachten, die in seinem Haus oder für sein Haus angefertigt worden sind, so verfahren ist. Wir wissen, daß das in der Vergangenheit häufig geschehen ist.Das Tüpfelchen auf dem i der Manipulierbarkeit der Informationspolitik ist die nach § 353 c des Strafgesetzbuches zur Strafverfolgung erforderliche Ermächtigung der Regierung. Die Strafverfolgungsbehörden können eine Strafverfolgung nämlich nur einleiten, wenn die Bundesregierung oder der Präsident des jeweiligen Gesetzgebungsorgans die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt. Diese Befugnis läßt alle möglichen Spielarten der Manipulation zu.Der Regierung mißliebige Journalisten müssen auch bei geringfügigen Anlässen damit rechnen, daß die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt wird. Das Verfahren mag zwar letztlich eingestellt werden, oder es erfolgt ein Freispruch; dann hat der Betroffene aber bereits die Unannehmlichkeiten eines Ermittlungsverfahrens bzw. eines Strafverfahrens hinnehmen müssen. Der Regierung genehme Journalisten sind dagegen solchen Beeinträchtigungen nicht ausgesetzt. Sie können ihrer Tätigkeit unbehelligt nachgehen, auch wenn Nachrichten veröffentlicht werden, die mit dem Geheim-Stempel versehen sind.Eine Fallgruppe ist besonders bezeichnend für diese Informationspolitik. Bestimmte Vorgänge und Nachrichten werden als „geheim" eingestuft, obwohl von der Qualität des Gegenstandes her dazu kein Anlaß bestände, etwa Umfrageergebnisse, die beim Bundespresse- und Informationsamt eingehen und der Regierung nicht gefallen.
Dieses Material wird gezielt bestimmten Journalisten zugespielt, die es ungeschoren und unbehelligt von § 353 c Abs. 1 veröffentlichen, weil die zuständige Stelle nicht die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilen wird.Eine weitere Variante ist die, daß Regierungsgeheimnisse, die auch im materiellen Sinne Geheimnise sind, Journalisten zur Veröffentlichung zugespielt werden, weil es aus politischen Gründen opportun erscheint, Glas Geheimnis an die Öffentlichkeit zu bringen. Es bedarf keiner Betonung, daß selbstverständlich die Journalisten, die die Veröffentlichung veranlassen, nicht mit einer Strafverfolgung nach § 353 c zu rechnen haben. Es liegt auf der Hand, daß eine derartige Handhabung der Ermächtigung nach § 353 c Abs. 4 des Strafgesetzbuches zur Rechtsunsicherheit führt.Darüber hinaus ist diese Unsicherheit geeignet, die Arbeit des am meisten betroffenen Berufskreises, der Journalisten nämlich, erheblich zu erschweren. Wie soll sich ein Journalist verhalten, der einen als „geheim" gekennzeichneten Vorgang kennt, von dem er annnimmt, daß seine Veröffentlichung keine wichtigen öffentlichen Interessen gefährdet, daß andererseits seine Veröffentlichung aber dringend geboten erscheint, um Mißstände aufzudecken? Dieser Journalist muß sich überlegen, ob er es riskiert, gegebenenfalls in ein Ermittlungsverfahren nach § 353 c StGB verwickelt zu werden. Diese Gefahr liegt nahe, auch wenn er meint, daß öffentliche Interessen nicht gefährdet sind.Bundesregierung und Staatsanwalt können sich auf einen anderen Standpunkt stellen. Bis die Rechtslage eindeutig geklärt ist, ist der Betroffene den Mißhelligkeiten des Ermittlungsverfahrens ausgesetzt. Will der Betroffene das Damoklesschwert eines Ermittlungsverfahrens vermeiden, sieht er von der Veröffentlichung ab. Damit ist nicht nur sein Recht zur Information erheblich eingeschränkt, sondern auch das Recht des Bürgers auf Information leidet.Diese Erwägungen, die ich hier knapp vorgetragen I habe, die sehr abstrakt klingen, von denen wir aber alle wissen, daß sie konkrete Wirklichkeit sind, haben uns dazu geführt, Ihnen die Streichung des Abs. 1 im derzeitigen § 353 c StGB zu empfehlen.Ich möchte darauf verzichten, weiteres zur Begründung dieses Gesetzentwurfs hier heute vorzutragen. Ich meine, daß die wichtigsten Gesichtspunkte angesprochen sind. Ich habe darauf hingewiesen, daß wir eine Reihe von zum Teil schwierigen Einzelfragen in den Ausschußberatungen zu erörtern haben werden. Ich wäre nur sehr dankbar, wenn wir im Zusammenhang auch mit den anderen Entwürfen diesen Gesetzentwurf zum Abschluß brächten und dieses Gesetz sehr bald verabschieden könnten.
Das Wort hat der Herr Bundesjustizminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der strafrechtliche Schutz von Staatsgeheimnissen und sonstigen geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen ist seit jeher Gegenstand lebhafter Diskussionen. Aus verständlichen, auch heute wieder deutlich gewordenen Gründen neigt die jeweilige Opposition eher dazu, den Schutz einzuengen, während die jeweilige Regierung die Schutzbedürftigkeit meist in größerem Umfang bejaht.
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Bundesminister Dr. VogelIm Einklang damit hat in den 60er Jahren die sozialdemokratische Fraktion eine Änderung des § 353 c StGB verlangt, während heute die Fraktion der CDU CSU eine entsprechende Modifizierung fordert.
— Um so bemerkenswerter, Herr Kollege Vogel, erscheint es, daß sich 1968 alle Parteien des Deutschen Bundestages bei der Beratung und Verabschiedung des Achten Strafrechtsänderungsgesetzes auf eine Neuregelung des strafrechtlichen Geheimnisschutzes geeinigt haben, bei der eben auch der § 353 c StGB die heute geltende Fassung erhielt.Ausweislich der Protokolle hat dabei die Abwägung zwischen der Informations- und Pressefreiheit einerseits und den berechtigten und schutzwürdigen Staatsinteressen andererseits eine ganz erhebliche Rolle gespielt. Das Ergebnis war eine fühlbare Einengung des Begriffs des Staatsgeheimnisses und damit des Tatbestands des Landesverrats. Der Begriff des Staatsgeheimnisses umfaßt seitdem nur noch solche Geheimnisse, deren Kenntnis durch Unbefugte die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland bedeuten würde. Dies erschien deshalb vertretbar, weil minder wichtige, aber dennoch schutzbedürftige Geheimnisse durch den völlig neu gefaßten Tatbestand des § 353 c StGB erfaßt wurden. Dabei, Herr Kollege Vogel, kommt es selbstverständlich nicht nur auf den Stempel an; der Tatbestand ist nur erfüllt, wenn die Preisgabe dieser Tatsache, die mit einem solchen Stempel versehen ist, wichtige öffentliche Interessen gefährdet. Das ist also nur die eine Hälfte des Tatbestands, nicht der ganze Tatbestand.Von dieser Verständigung aller im Deutschen Bundestag vertretenen politischen Kräfte löst sich der Initiativentwurf, den Sie, Herr Kollege Vogel, heute für Ihre Fraktion vorgetragen haben. Das mag ein Anstoß sein, die seinerzeitigen Regelungen zu überdenken und die praktischen Erfahrungen auszuwerten, die seit 1968 gesammelt wurden. Die Bundesregierung ist selbstverständlich bereit, daran im zuständigen Ausschuß mitzuwirken. Vor pauschalen Behauptungen und unzulässigen Verallgemeinerungen — sowohl zitierten, als auch eigenen — muß jedoch entschieden gewarnt werden.Außerdem ist zu bedenken, daß die ersatzlose Streichung des § 353 c Abs. 1 — und nur um den geht es anscheinend — eine Reihe schwieriger Probleme aufwerfen würde, von denen ich nur die folgenden nenne und zu denen sich die Oppsition bisher in keiner Weise geäußert hat.Erstens. Die Bundesrepublik muß eine größere Anzahl von Geheimnissen, die keine Staatsgeheimnisse auf Grund völkerrechtlicher Abkommen sind, gegen unbefugte Weitergabe schützen. Hier würde eine Lücke entstehen, die nur durch Einzelstrafvorschriften geschlossen werden könnte, was bei nichtratifizierungsbedürftigen Verträgen ganz besondere Schwierigkeiten mit sich brächte.Zweitens. Es gibt Geheimnisse, die nicht nur die äußere Sicherheit, sondern die internationale Stellung der Bundesrepublik betreffen.Drittens. Wie in jedem Staat gibt es auch in der Bundesrepublik Geheimnisse — ich glaube, daß ja gerade die Opposition diesen Gesichtspunkt bei jeder Gelegenheit sehr stark hervorhebt —, die sich auf die innere Sicherheit beziehen und die als solche gewahrt werden müssen.Übrigens, Herr Kollege Vogel, gibt es nicht nur Regierungsgeheimnisse, wie Sie hier ausgeführt haben. Der Tatbestand sagt ausdrücklich, daß der Schutz des § 353 c selbstverständlich auch solchen Tatsachen zugute kommt, deren Geheimhaltung Gesetzgebungsorgane, also der Deutsche Bundestag oder der Bundesrat, beschlossen haben. Es geht hier also, wie gesagt, nicht nur um Regierungsgeheimnisse.Nicht gut gewählt, Herr Kollege Vogel, war das Beispiel mit dem Gutachten des Herrn Professor Scholz aus Berlin. Erstens ist es nicht mit einem Geheimhaltungsstempel versehen, zweitens wird es auch gar nicht geheimgehalten, schon gar nicht gegenüber dem Koalitionspartner. Die Meldung von gestern — Sie haben offenbar den Informationsstand von gestern ist inzwischen in derselben Zeitung berichtigt worden; ich stelle Ihnen das gern zur Verfügung.
Mit der Einleitung von Verfahren nach § 353 c ist also in keiner Richtung zu rechnen.
— Lieber Herr Stücklen, alles, was Sie an Unterlagen wünschen, steht Ihnen nach Maßgabe der Geschäftsordnung und der rechtlichen Bestimmungen selbstverständlich zur Verfügung.
Wenn ich das als eine förmliche Einladung zur Übersendung auffassen darf, wollen wir das so im Protokoll festhalten.Alle diese Sachverhalte künftig ohne jede Abwägung schutzlos zu lassen, wenn sie erst einmal — auf welche Weise auch immer — aus dem Bereich des öffentlichen Dienstes hinausgelangt sind, trägt meines Erachtens den berechtigten Interessen des Staates nicht mehr hinlänglich Rechnung. Im übrigen: Die Darlegung, Herr Kollege Vogel, daß in der Zweifelsfrage — ob veröffentlichen oder nicht -der „Geheim"-Stempel von der Veröffentlichung abschrecke, ist in vielen Fällen wohl ganz unzutreffend. Nach meiner Kenntnis ist es — im Gegenteil -besonders reizvoll, die Dinge mit dem „Geheim"-Stempel im Faksimile zu veröffentlichen und abzudrucken; das macht gelegentlich offenbar gerade den besonderen Reiz der Veröffentlichung aus.Diese und weitere Detailfragen sollten im Ausschuß besprochen werden. Ich hoffe, daß es — wie schon beim 8. Strafrechtsänderungsgesetz — auch in diesem Falle gelingt, zu einer breiten und einvernehmlichen Lösung zu gelangen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Penner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 353 c ist wieder einmal im Gespräch und dies, obwohl die Neufassung dieser Vorschrift das Ergebnis eingehender Beratungen in der 5. Legislaturperiode gewesen ist. Dabei ist die praktische Bedeutung dieser Vorschrift verhältnismäßig gering.
Von der Ermächtigung zur Strafverfolgung ist bisher nur sehr zurückhaltend und in wirklich gravierenden Fällen Gebrauch gemacht worden. Aber da auch Journalisten, und zwar bei oder anläßlich ihrer beruflichen Tätigkeit, den Anwendungsbereich dieser Vorschrift streifen oder verwirklichen können, ergeben sich für die jeweilige Opposition fast zwangsläufig tatsächliche oder vermeintliche politische Möglichkeiten, wenn die Regierung die Strafverfolgung veranlaßt. Diese Zusammenhänge führen zu denkwürdigen Konsequenzen, Herr Kollege Vogel.
Bei den Beratungen zur Neufassung der Vorschrift äußerte der damalige CDU-Abgeordnete und spätere stellvertretende Bundesvorsitzende Heinrich Köppler,
daß der Abdruck eines geheimen Regierungsdokuments in jedem Fall strafwürdig sei und im journalistischen Bereich auch nicht üblich werden solle.
Ja, Köppler, bekanntlich Medienexperte im Präsidium der CDU, stellt in derselben Beratung die Frage, ob man glaube, mit einer Höchststrafe von drei Jahren auszukommen.
Nicht verwunderlich, daß der von der Regierung Erhard vorgelegte Entwurf eine weitergehende Fassung als der letztlich vom Parlament verabschiedete hatte, ganz zu schweigen von der Begründung der Vorlage, die unter dem CSU-Bundesjustizminister Dr. Richard Jaeger erarbeitet wurde. Darin heißt es, daß das Fehlen der Vorschrift eine empfindliche Lücke in den strafrechtlichen Schutz staatlicher Geheimnisse reißen würde; sie sei unentbehrlich, und für sie bestehe ein nachweisbares Bedürfnis.
Dieser Erkenntnis war kein langes Leben beschieden; denn schon im Jahre 1971 forderte die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion in einem Antrag, den Paragraphen ersatzlos zu streichen. Aber auch diese Einsicht war wohl nicht der Weisheit letzter Schluß; denn nach dem neuerlichen Antrag der CDU/CSU soll wenigstens ein Teilstück dieser Vorschrift erhalten bleiben.
: Sie sehen
den Reifeprozeß jetzt!)
Die SPD-Bundestagsfraktion neigt dazu, an der Vorschrift festzuhalten. Wir sind nicht der Auffassung, daß die Vorschrift im Widerspruch zu Art. 5 des Grundgesetzes steht. In wohl kaum einem anderen Land der Welt gibt es ein so hohes Maß an Informationsbereitschaft durch die Staatsorgane wie gerade in der Bundesrepublik.
Das entbindet uns aber nicht von der Pflicht, die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik im Auge zu behalten. Wir halten diese staatlichen Belange auch und gerade im Lichte der Verfassung für äußerst wichtig.
Der Strafrechtssonderausschuß hat seinerzeit das Problem sehr sorgfältig behandelt und nach unserer Auffassung zufriedenstellend gelöst. Er hat ausdrücklich festgestellt, daß im Rahmen der richterlichen Abwägung zwischen den Interessen des Staates an der Geheimhaltung und den Interessen der Öffentlichkeit an der offenen Diskussion das letztere überwiegen und damit die Strafbarkeit verneint werden kann. Das erscheint uns nach wie vor sinnvoll und verfassungskonform. Wir halten die Vorschrift weiterhin auch dem Inhalt nach für vertretbar.
Seit dem 8. Strafrechtsänderungsgesetz sind viele als Staatsgeheimnis bezeichnete Vorgänge nicht mehr durch die Staatsschutzvorschriften der §§ 93 ff. des Strafgesetzbuches erfaßt. Sie werden nunmehr durch § 353 c geschützt; denn darunter fallen alle Geheimnisse, die vor der Kenntnisnahme fremder Mächte geschützt werden müssen, um die Gefahr eines Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden, der aber kein schwerer Nachteil im Sinne des § 93 des Strafgesetzbuches ist. Im übrigen sollte die Strafvorschrift auch im Kontext zu zahlreichen internationalen Abkommen gesehen werden, die die Bundesrepublik Deutschland zur Geheimhaltung gegenseitiger Informationen verpflichten.
Die Beratungen im Ausschuß werden nicht einfach sein. Wer nur vordergründige Lösungen anstrebt, läuft Gefahr, den Kern des Problems nicht zu treffen. Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich mit der gebotenen Sorgfalt an den Beratungen beteiligen.
Meine Damen und Herren, als letzter Redner in der Aussprache hat das Wort Herr Abgeordneter von Schoeler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein völlig neues CDU-
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8482 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1974
von SchoelerGefühl, von Ihnen einmal die Streichung eines Straftatbestandes vorgeschlagen zu bekommen. Ich begrüße das. Sonst hören wir von Ihnen immer nur den Wunsch nach neuen Straftatbeständen oder nach Verschärfung bestehender Straftatbestände. Insofern also sicherlich ein begrüßenswerter Ansatzpunkt.
— Vielleicht entwickeln Sie hier neue Gefühle.Ich glaube, man sollte sich davor hüten, aus der Tatsache, daß über den § 353 c des Strafgesetzbuches heute im Zusammenhang mit einer medienpolitischen Debatte diskutiert wird, etwa die Schlußfolgerung zu ziehen, es handele sich bei diesem Paragraphen um ein Sondergesetz für die Presse. Nicht nur der Bereich der Presse, sondern auch andere Bereiche sind hier betroffen. Es geht auch nicht nur um „diplomatische Staatsgeheimnisse" und ihren Schutz, sondern eben auch um andere Dinge.So geht es hier beispielsweise um den Schutz vor Mitteilungen von Tatsachen, die aus verteidigungspolitischen Gründen geheim bleiben müssen und zu deren Geheimhaltung wir uns gegenüber anderen Staaten oder gegenüber supranationalen Behörden auch verpflichtet haben. Im Augenblick ist kein verteidigungspolitischer Sprecher Ihrer Fraktion da; ich weiß nicht, ob die betreffenden Herren dazu gehört worden sind.
— Entschuldigung, ich sehe nun doch einen CDU-Kollegen aus dem Verteidigungsauschuß.
Ich weiß nicht, ob Ihre verteidigungspolitischen Experten damit einverstanden sind, wenn wir hier internationale Verpflichtungen nicht mehr mit strafrechtlichen Mitteln sanktionieren.
Nun glaube ich aber, daß dieser Antrag der CDU/ CSU-Fraktion für uns einen Anlaß zur Prüfung des § 353 c Abs. 1 StGB darstellen sollte. Diese Prüfung sollte sich insbesondere auf zwei Punkte beziehen.Auch wir halten es für problematisch, daß der Bereich der als geheimhaltungsbedürftig strafrechtlich geschützten Gegenstände, Schriftstücke usw. in diesem Paragraphen sehr weit gesteckt ist. Die Anknüpfung an die formelle Sekretur birgt ja doch die Gefahr in sich, daß unter Umständen eine Behörde bestimmt, worüber ein Journalist schreiben darf. Die Gefahr können wir nicht von der Hand weisen; ich glaube, daß wir dieses Problem im Ausschuß diskutieren müssen.
Die Bedenken in diesem Punkte werden auch nicht dadurch völlig ausgeräumt, daß man auf die Verwaltungsordnungen der Länder und des Bundes hinweist, die gewisse Voraussetzungen für den Vermerk „VS-,Streng Geheim', ,Geheim', ,Vertraulich' oder ,Nur für den Dienstgebrauch'" geben. Denn die Verwendung dieser Geheimhaltungsstufen in der Praxis zeigt ja doch, daß wir heute in der Gefahr sind, daß die Inflation der Anwendung dieser Geheimhaltungsstufen dazu führt, daß wirklich geheimhaltungsbedürftige Tatsachen nicht mehr geheimgehalten werden, weil die Achtung vor der Verwendung dieser Stufen nicht mehr so ist, wie es bei einer restriktiven Handhabung der Fall wäre.
Nun gibt es einen zweiten Bereich, in dem wir aus Anlaß dieses Antrages im Ausschuß noch einmal über § 353 c Abs. 1 diskutieren sollten, und das ist die Frage des Begriffs des wichtigen öffentlichen Interesses in dieser Vorschrift. Hier ist es nicht zwingend, meine Damen und Herren von der Opposition, daß die Grundsätze der Rechtsprechung, die zum § 353 b entwickelt worden sind und die Sie in der Antragsbegründung zitieren, auch auf § 353 c Abs. 1 StGB Anwendung finden. Jedoch verkenne ich nicht, daß die Unbestimmtheit des hier verwendeten Begriffs die Gefahr in sich birgt, daß das Risiko bezüglich der Frage, in welchem Sinne die Rechtsprechung diesen Begriff auslegt, im Endeffekt dem schreibenden Journalisten aufgebürdet wird. Hier gibt es zweifellos ein Problem.Beide Punkte, die ich genannt habe, verdienen unsere Aufmerksamkeit im Strafrechtssonderausschuß. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sollten es sich nicht so einfach machen, lediglich mit Streichungsvorschlägen zu operieren, wo es zweifellos Gesichtspunkte gibt — ich habe sie vorhin beispielsweise im Verteidigungsbereich erwähnt —, die uns doch hier zu einer differenzierenden Stellungnahme veranlassen sollten. Wir erwarten jedenfalls Ihre Vorschläge, wie den Gesichtspunkten, die ich vorhin genannt habe, Rechnung getragen werden kann. Solche Vorschläge sind in der Debatte von Ihnen bisher nicht gemacht worden.
Die einfache Streichung — das habe ich ja vorhin erwähnt, meine Damen und Herren von der Opposition — wirft gewisse Fragen auf, die Sie bisher auch hier in der Debatte noch nicht behandelt haben.
Wir werden darüber im Sonderausschuß diskutieren müssen. Ich hoffe, daß Sie dann Vorschläge entsprechender Art haben werden; sonst würde die Ernsthaftigkeit der Unternehmung in Frage gestellt werden, und dann würde sich tatsächlich die Frage stellen, ob der Vorwurf, der vorhin von Herrn Kollegen Sieglerschmidt erhoben wurde, daß es hier mehr um plakative Ankündigungen und Liebeswerben bei der Presse ginge, nicht doch berechtigt ist.
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von SchoelerEs ist sicherlich richtig, daß der praktische Anwendungsbereich dieser Vorschrift gering ist, Herr Kollege Penner. Es ist auch ganz logisch, denn der Staat, der sich zur Geheimhaltung von besonders wichtigen Gegenständen darauf verlassen würde, daß das im Strafgesetzbuch steht, wäre sicherlich verlassen, weil die präventiven Maßnahmen die entscheidenden sind. Deswegen können wir, glaube ich, hier im strafrechtlichen Bereich in Ruhe im Strafrechtssonderausschuß die Einzelfragen, die ich erwähnt habe, diskutieren. Wir werden dabei als Liberale nach dem Motto verfahren: in dubio pro libertate.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Die Überweisungsvorschläge zu den Punkten 20 a bis g liegen Ihnen vor. — Ich stelle fest, daß keine Änderungs- oder Ergänzungsvorschläge gemacht werden. Ich schlage vor, entsprechend zu verfahren. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der verbundenen Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Vieh- und Fleischgesetzes
— Drucksache 7/1570 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 7/2598 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Schröder (Erste Beratung 80. Sitzung)
Der Berichterstatter hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Formulierung des Berichts des 10. Ausschusses hat sich leider ein kleiner Formulierungsfehler eingeschlichen. Es heißt dort bei den Eingangsworten zu Art. 1: „Das Vieh- und Fleischgesetz vom 25. April 1951 ..., zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Vieh- und Fleischgesetzes vom B. Mai 1969 ...". Dieser Bezug auf das Gesetz ist leider falsch. Richtig muß es heißen: „zuletzt geändert
durch Art. 225 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974". Das bitte ich als Ergänzung aufzunehmen und gebe das zu Protokoll.
Ich schlage vor, daß wir in der zweiten Beratung auf der geänderten Grundlage beraten. Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht.Ich rufe in der zweiten Beratung Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. — Wer dem Gesetzentwurf in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein. Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.Ich rufe Punkt 21 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts
— Drucksache 7/551 —Bericht und Antrag des Rechtsausschusses
— Drucksache 7/2600 — Berichterstatter:Abgeordneter Kunz Abgeordneter Gnädinger
Die Herren Berichterstatter haben keine Ergänzung des Berichtes erbeten. Ich danke den Herren Berichterstattern.Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf Drucksache 7/2678 zu den Nrn. 45 und 48 vor. Ein weiterer Änderungsantrag, auf Drucksache 7/2674, ist von den Antragstellern zurückgezogen worden.Ich frage, ob zur Begründung das Wort gewünscht wird. — Es wird nicht gewünscht. Ich schlage vor, daß wir über den Änderungsantrag bescheiden. Wer dem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich stelle Art. 1 in der soeben geänderten Fassung zur Abstimmung. Wer dem Art. 1 in dieser Fassung zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe die Artikel 2, 3, 4, die Artikel 7, 8, 9, 10 bis 16 und 17, Einleitung und Überschrift auf.—Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Wir treten in diedritte Beratungein. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe!—Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
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8484 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 18. Oktober 1974
Ich gehe davon aus, daß das Haus dem Ausschußantrag in der Ziffer 2 der Drucksache V2600 zustimmt und die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt erklärt. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der heutigen Beratungen. Ich danke denen, die hier ausgeharrt haben. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 6. November 1974, 13.30 Uhr ein. Ich schließe die Sitzung.