Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD benennt für den aus dem Rundfunkrat der Anstalt des öffentlichen Rechts „Deutschlandfunk" ausscheidenden Abgeordneten Dr. Glotz den Abgeordneten Friedrich. Ist das Haus mit diesem Vorschlag einverstanden? — Das ist der Fall. Damit ist der Abgeordnete Friedrich als Mitglied des Rundfunkrates der Anstalt des öffentlichen Rechts „Deutschlandfunk" gewählt.
Für den aus der Beratenden Versammlung des Europarates ausscheidenden Abgeordneten Wischnewski schlägt die Fraktion der SPD den Abgeordneten Offergeld vor. — Ich höre keinen Widerspruch. Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen. Der Abgeordnete Offergeld ist als Stellvertreter des Abgeordneten Sieglerschmidt in der Beratenden Versammlung des Europarates gewählt.
Die Fraktion der SPD schlägt vor, im Vermittlungsausschuß den Abgeordneten Offergeld zum Stellvertreter des Abgeordneten Dürr und den Abgeordneten Dr. Schellenberg zum Stellvertreter des Abgeordneten Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller zu bestellen — Das Haus ist auch damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat wird die heutige Tagesordnung erweitert um die
a) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
— Drucksache 7/2193 —
b) Abgabe von Erklärungen der Bundesregierung.
Auch damit ist das Haus einverstanden, wie ich sehe; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 1 der heutigen Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 7/2173 —
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Staatssekretärin Schlei zur Verfügung.
Ich rufe Frage 3 des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst auf:
Trifft die Meldung in der Zeitung „Die Welt" vom 29. Mai 1974 zu, daß die DDR ein engmaschiges Spitzelsystem eingeführt hat, um die im Grundvertrag mit der Bundesrepublik Deutschland vereinbarten menschlichen Erleichterungen zu unterlaufen, und liegt der Bundesregierung über diese Abgrenzungs- und Kontrollmaßnahme der DDR ein amtlicher Bericht vor?
Bitte, Frau Staatssekretärin!
Die Bundesregierung hat in der Zeit nach dem Inkrafttreten ,des Vertrages über die Grundlagen der Beziehungen mit der DDR aus verschiedenen Quellen und aus Zuschriften erfahren, daß der Kreis der sogenannten Geheimnisträger in der DDR beträchtlich über das bei uns übliche Maß hinaus erweitert wurde und daß solche Geheimnisträger in der DDR Kontaktverboten sowie amts-, partei-
und betriebsinternen Berichtspflichten unterliegen sollen. Die Bundesregierung hat sich hierüber sowohl gegenüber der Öffentlichkeit als auch gegenüber der DDR seit dem Aufkommen der ersten Meldungen und Hinweise, wie Sie wissen, immer wieder nachdrücklich und kritisch geäußert. Ein amtlicher Bericht über die Vorgänge in der DDR liegt der Bundesregierung nicht vor.
Eine Zusatzfrage. Bitte, Herr Kollege Jobst!
Frau Staatssekretär, hat die Bundesregierung Informationen darüber, ob es zutrifft, daß ein großer Teil der Bevölkerung der DDR der Abgrenzung gegen private Westkontakte unterliegt und daß dieser Personenkreis drüben erheblichen Beschränkungen — z. B. der Pflicht, die aus dem Westen kommende Post ungeöffnet staatlichen Dienststellen vorzulegen — unterworfen ist?
Herr Kollege, das, was Sie fragen, ist ja in meiner ersten Antwort bestätigt worden.
Eine Zusatzfrage.
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7086 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974
Frau Staatssekretär, gedenkt die Bundesregierung diesen Repressalien, die ja gegen den Sinn des Grundvertrages verstoßen, anders als mit dem, worüber Sie eben etwas gesagt haben, zu widersprechen?
Herr Kollege, Sie sind selbst Politiker genug, um solche Möglichkeiten und die Erfolgsaussichten einschätzen zu können.
Weitere Zusatzfragen? — Bitte, Herr Kollege Dr. Mertes!
Frau Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß der Ostberliner Partner des innerdeutschen Grundvertrages in dieser Frage seinen Souveränitätsbegriff dem Geist dieses Vertrages zuwider auslegt?
Unter dem Geist des Grundvertrages verstehen wir eine andere Einstellung zu den Verbesserungen, die wir für die Bevölkerung in der DDR erhofft haben.
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 4 des Herrn Abgeordneten Hauser auf:
Hat der Bundeskanzler nicht Anstoß an der Formulierung des Glückwunschtelegramms des Vorsitzenden des Ministerrats der „DDR" anläßlich seiner Wahl genommen, in welchem von der Bundesrepublik Deutschland einfach von der BRD die Rede ist?
Bitte, Frau Staatssekretär
Herr Kollege Hauser, in dem Glückwunschfernschreiben des Vorsitzenden des Ministerrats der Deutschen Demokratischen Republik an den Herrn Bundeskanzler kommt die Abkürzung „BRD" nicht vor.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hauser.
Hauser (CDU/CSU) : Frau Kollegin, hat dann die Bundesregierung Anlaß genommen, die Meldung im „Hamburger Abendblatt" vom 17. Mai, in der dies behauptet wird, zu dementieren?
Herr Kollege, Sie wissen, daß wir ein Heer von Beamten einstellen müßten, um alle Aussagen
von Zeitungen zu dementieren, die nicht unserer Ansicht und nicht den Gegebenheiten entsprechen.
Präsident 'Frau Renger: Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 5 des Herrn Abgeordneten Dr. Warnke auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Fragen 5 und G des Herrn Abgeordneten Dr. Warnke werden daher schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 7 des Herrn Abgeordneten Spranger auf:
Ist die Bundesregierung bereit, auf Grund des Geständnisses des früheren Bundeskanzlers Brandt, für Fahrlässigkeiten im Fall Guillaume verantwortlich zu sein, die Ermächtigung zur Einleitung einer Strafverfolgung wegen der Preisgabe von Staatsgeheimnissen gemäß § 97 StGB zu erteilen, und aus welchen Gründen wäre die Nichterteilung der Ermächtigung zu vereinbaren mit der Tatsache, daß auch im Falle der Verfahren gegen „Quick" und gegen Zeitungen des Springer-Verlages eine derartige Ermächtigung erteilt wurde?
Bitte, Frau Staatssekretär!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Spranger! Ehe ich zu den jetzt folgenden Fragen Stellung nehme, darf ich bemerken:
Im Anschluß an diese Fragestunde wird sich das Hohe Haus in der heutigen Sitzung mit dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/2193 befassen. Er wird bewirken, daß ein Untersuchungsausschuß zum Fall Guillaume eingesetzt wird. Dieser Untersuchungsausschuß soll sich nach dem. Willen der Antragsteller mit Themen befassen, die auch Gegenstand eines Teils der von mir zu beantwortenden Fragen sind. Zu sagen ist also, daß ich selbstverständlich die von der Bundesregierung erbetenen Antworten hier erteile, aber ich muß bemerken, daß es mir nicht möglich ist, Zusatzfragen zu beantworten, soweit diese Gegenstand der Arbeit des Untersuchungsausschusses sein werden.
Einen Augenblick, bitte! — Frau Staatssekretärin, sind Sie mit der Beantwortung dieser Frage zu Ende?
Die Beantwortung der Frage habe ich zugesagt, ich habe nur darauf hingewiesen, daß ich Zusatzfragen, soweit sie in den Katalog des von Ihnen aufgestellten Arbeitsbereichs des Untersuchungsausschusses fallen, nicht beantworten kann, und ich setze voraus, daß Sie zugestehen müssen, daß es eine Wertschätzung für den von Ihnen be-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974 7087
Parl. Staatssekretär Frau Schleiantragten Untersuchungsausschuß und Ihre politischen Absichten ist.
Herr Kollege, haben Sie unter diesen Umständen eine Zusatzfrage?
Ich gehe davon aus, daß meine Frage bisher noch nicht beantwortet wurde, sondern daß Sie lediglich eine einleitende Erklärung abgaben und erst jetzt zur Antwort auf meine Frage kommen. Dann werde ich Zusatzfragen stellen, da ich nicht beurteilen kann, ob sie unter die Kategorie der von Ihnen abzulehnenden Fragen fallen.
Herr Kollege, Sie wollten jetzt eine Zusatzfrage stellen?
Nein, ich wollte jetzt eine Antwort auf meine Frage 7.
Die Frau Staatssekretärin wird das so beantworten, wie sie es für richtig hält. Ich bitte Sie, dazu Stellung zu nehmen.
Frau Präsidentin, das habe ich, glaube ich, dem Hohen Hause deutlich gemacht.
Herr Kollege Spranger, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung hält es für abwegig, die Übernahme der politischen und persönlichen Verantwortung für bestimmte Vorgänge durch Herrn Bundeskanzler Brandt in ein strafrechtlich relevantes, von Ihnen sogenanntes „Geständnis" umdeuten zu wollen.
Für die Bundesregierung stellt sich deshalb die Frage der Ermächtigung nicht.
Wie Sie wissen, richtet sich das Verfahren bei der Beantragung und Erteilung einer Strafverfolgungsermächtigung nach festgelegten Bestimmungen. Ein solcher Antrag einer Strafverfolgungsbehörde, etwa nach § 97 StGB, liegt nicht vor. Wird der Bundesregierung ein solcher Antrag vorgelegt, wird sie darüber entscheiden.
Eine Zusatzfrage, bitte schön!
Frau Staatssekretärin, können Sie mir sagen, welche Prinzipien zu einer Strafverfolgungsermächtigung gegenüber Journalisten führten — z. B. bei der Veröffentlichung des Pauls-Telegramms —, und erzwingen diese Prinzipien nicht auch nach Ihrer Auffassung eine Strafverfolgungsermächtigung gegenüber dem ehemaligen Bundeskanzler Brandt deshalb, weil er in Kenntnis der Tatsache, daß Guillaume unter Spionageverdacht stand, mit ihm die Reise nach Norwegen unternahm und ihm dort Zugang zu geheimen NATO-Papieren ermöglichte?
Aber Herr Kollege Spranger, Sie müßten eigentlich wissen, daß es sich hier um völlig unvergleichbare Dinge handelt. Es hat eine Reihe von Verfahren gegeben, die die zuständigen Ermittlungsbehörden von Amts wegen auf Grund der Publizierung von amtlichen — teils vertraulichen, teils geheimen — Schriftstücken und Materialien eingeleitet haben. Mit Ausnahme eines Verfahrens hat die Bundesregierung in allen diesen Verfahren die Erteilung von Ermächtigungen zur Strafverfolgung abgelehnt.
Bei der Ausnahme handelt es sich um das Verfahren wegen der Veröffentlichung zweier geheimer Fernschreiben der deutschen Botschaft in Washington an das Auswärtige Amt. Nur in diesem Verfahren, welches sich gegen Unbekannt richtete, sind Ermächtigungen zur Verfolgung der Straftaten gemäß § 353 b und § 353 c StGB — Verletzung der Amtsverschwiegenheit und Geheimnisverletzung — erteilt worden, die im weiteren Verlauf zu gesonderten Verfahren gegen Redakteure der Zeitungen „Welt am Sonntag", „Quick", „Christ und Welt" und gegen einen Fernsehjournalisten geführt haben. Das ist also nicht vergleichbar.
Eine zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, beabsichtigt die Bundesregierung eventuell, eine Strafverfolgungsermächtigung gegenüber anderen Personen zu erteilen, die es trotz Kenntnis vom Spionageverdacht gegen Guillaume zugelassen haben, daß dieser die Reise nach Norwegen mitmachte, und haben nicht nach Ihrer Auffassung der jetzige Bundesaußenminister Genscher oder eventuell Herr Nollau durch pflichtwidriges Unterlassen, hier einzuschreiten, der Spionagetätigkeit von Guillaume Vorschub geleistet?
Frau Staatssekretärin, das fällt wohl in den Bereich, von dem Sie sprachen, daß Sie das dem Untersuchungsausschuß überlassen wollten. Aber das ist Ihre Sache.
— Einen Augenblick! Meine Damen und Herren, ich sehe wirklich keine Veranlassung, daß Sie bei einer Frage, die ja die Frau Staatssekretärin —
— Einen Augenblick! Meine Damen und Herren, ich bitte Sie sehr herzlich: Betrachten Sie den amtierenden Präsidenten so, wie es ihm gebührt. Das ist doch kein Stil.
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7088 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974
Bitte, Frau Staatssekretärin, wenn Sie diese Frage beantworten wollen, tun Sie das. Aber das steht natürlich in Ihrem Ermessen. — Was ist denn das hier für ein Stil!
Frau Präsidentin, ich möchte Herrn Kollegen Spranger gerne eine Antwort erteilen
und möchte darauf hinweisen, daß sich die Regierung selbstverständlich, wie jedes andere amtliche Gremium, nach den Rechtsverhältnissen richtet, die uns in der Bundesrepublik aufgegeben sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Vogel!
Frau Staatssekretärin, darf ich zunächst — wobei ich davon ausgehe, daß die Frau Präsidentin darüber entscheidet, ob eine Frage zugelassen wird — —
Herr Vogel, ich entziehe Ihnen das Wort, wenn Sie so weiterreden. So geht das nicht.
Bitte 'fahren Sie ohne diese Einlassung fort. Ich habe eine solche Feststellung nicht getroffen.
Steilen Sie eine Frage ohne die Bewertung, die Sie soeben getroffen haben.
Frau Präsidentin, ich gehe 'davon aus, daß Sie nicht genau mitbekommen haben, was ich gesagt habe; denn es gab keine Veranlassung zur Rüge. Das darf ich wirklich sagen.
Herr Kollege, ich bitte Sie herzlich, diese Frage ohne irgendwelche Bewertung an die Frau Staatssekretärin zu richten.
Sie hätten das feststellen können, Frau Präsidentin, wenn ich die Frage hätte zu Ende führen können; das darf ich wirklich sagen.
Präsident Frau 'Renger: Herr Kollege, bitte stellen Sie Ihre Frage an die Frau Staatssekretärin.
Ich darf meine Frage erneut beginnen, Frau Staatssekretärin. Davon ausgehend, daß ich eingangs bemerkt habe, daß es Sache der Präsidentin ist, eine Frage zuzulassen, frage ich, ob Sie bereit sind, die Frage zu beantworten, nach welchen Kriterien — damit ich etwas sachverständiger werde — Sie hier vorab pauschal sagen können, daß eine Frage von Ihnen nichtbeantwortet wird, ohne daß Sie die Zusatzfragen kennen, und darf ich fragen, Frau Staatssekretärin, ob Sie glauben, daß der Hinweis auf einen Beschluß, den der Bundestag noch zu fassen hat, allein ausreicht, hier von vornherein zu erklären: Fragen werden nicht beantwortet.
Herr Kollege Vogel, selbstverständlich werde ich alle Fragen beantworten,
die die Frau Präsidentin zuläßt. Wenn sie sie nicht zuläßt, kann ich sie nicht beantworten. Das ist Punkt 1.
Punkt 2. Selbstverständlich werde ich — damit wiederhole ich das, was ich eingangs gesagt habe — Ihre Fragen beantworten, aber ich werde keine Zusatzfragen beantworten, die zu dem Katalog der Fragen des Untersuchungsausschusses zu rechnen sind. Welche dazu zu rechnen sind, müßten Sie ja selbst beurteilen können; denn Sie haben den Katalog aufgestellt.
Das Wort zu einer Zusatzfrage hat der Abgeordnete Kliesing.
Frau Staatssekretärin, darf ich fragen, was Sie veranlaßt hat, während der zweiten Frage des Kollegen Spranger durch ein von mir von meinem Platze aus deutlich und klar wahrgenommenes, verneinendes Bewegen Ihres Kopfes mit Gesichtswendung zur Frau Präsidentin zum Ausdruck zu bringen, daß Sie den Wunsch hatten, daß diese Zusatzfrage nicht zugelassen wird.
Herr Abgeordneter! — Bitte!
Herr Kollege, es gibt einen sehr guten Aufsatz über die Bedeutung von Gesten, einen freundlichen Aufsatz.
Ich werde Ihnen den gern zur Verfügung stellen.
Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974 7089
Parl. Staatssekretär Frau Schlei
Ihre Ausdeutung meiner Geste muß ich als nicht richtig ansehen. Es handelt sich da bei Ihnen um ein subjektives Befinden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Czaja!
Frau Staatssekretärin, mit Bezug auf die Frage und die Erklärung des Bundeskanzlers frage ich Sie, ob die Bundesregierung — nicht der Untersuchungsausschuß — in die pflichtgemäße Untersuchung dieses Spionagefalles wie auch anderer Spionagefälle wenigstens auch die Frage einbeziehen wird, ob und inwieweit Erschütterungen deutscher Verhandlungspositionen durch solche Fälle eingetreten sind.
Herr Kollege Czaja, die Bundesregierung wird nichts unversucht lassen, was zur Aufklärung der Gesamtsituation beitragen kann.
Herr Kollege Friedrich, Sie haben eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, halten Sie es für möglich, daß der Herr Kollege Spranger seine Frage gestellt hat, weil er sich selbst wahrscheinlich zweifelhafter Quellen bedient hat,
und ist der Bundesregierung die Erklärung des Abgeordneten Spranger, veröffentlicht am 18. Mai in der „Fränkischen Landeszeitung", mit der wörtlichen Aussage bekannt:
Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß der Spion Guillaume Listen von Fluchthelfern der Ostberliner Regierung übermittelte.
Damit trägt
— nach Ansicht Sprangers, eines früheren Staatsanwalts, der weiß, was er sagt —
die Bundesregierung unmittelbar die Verantwortung auch für die Verurteilung der zwei Ansbacher Bürger als Fluchthelfer.
Und muß man davon ausgehen, daß die Bundesanwaltschaft dem Kollegen Spranger eine Sonderinformation gegeben hat, oder bedient er sich undefinierbarer Quellen?
Frau Staatssekretärin, können Sie diese Frage beantworten?
Herr Kollege, uns ist der Text, den Sie
zitieren, bekannt. Die Quellen, aus denen Herr Kollege Spranger zitiert, sind uns nicht bekannt, und für diese ist er selbst verantwortlich.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Kunz.
Frau Staatssekretär, darf ich Sie nach Ihrer Meinung fragen, ob es neben der von Ihnen sehr zutreffend hervorgehobenen Wertschätzung gegenüber dem Untersuchungsausschuß nicht darüber hinausgehend auch die Frage der Wertschätzung vor diesem Haus als Gesamtparlament gibt, die es verbietet, daß Sie vorweg und pauschal, noch dazu abstrakt, hier eine Erklärung abgeben, wonach Sie nicht bereit seien, Fragen und — wie ich hinzufüge: Zusatzfragen —, wenn sie interessant werden, nicht zu beantworten?
Frau Staatssekretärin, wollen Sie zu dieser Frage Stellung nehmen?
Es handelt sich nicht um meine Meinung von Wertschätzung, sondern um die Meinung der Bundesregierung, Herr Kollege Kunz,
und diese Wertschätzung drückt sich in der Formulierung aus, die ich im Hinblick auf den von Ihnen beantragten Untersuchungsausschuß hier gegeben habe. Ich habe da nichts zurückzunehmen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 8 des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz auf:
Trifft es zu, daß unter der Verantwortung des früheren Chefs des Bundeskanzleramts, Dr. Ehmke, 1971 Aktenvermerke aus den geheimen Archiven des Bundesnachrichtendienstes über Ostkontakte prominenter SPD-Politiker entnommen wurden und seitdem verschwunden sind, wo befinden sich diese Akten, und auf wessen Veranlassung wurde diese Aktion durchgeführt?
Herr Kollege Kunz, Ihre Frage ist mit einem klaren Nein zu beantworten. Weder unter der Verantwortung des früheren Chefs des Bundeskanzleramtes, Bundesminister Professor Ehmke, noch später sind Aktenvermerke aus den geheimen Archiven des Bundesnachrichtendienstes entnommen worden, also auch nicht solche über angebliche Ostkontakte prominenter SPD-Politiker.
7090 Deutschet Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974
Parl. Staatssekretär Frau Schlei
Sollten jedoch mit Ihrer Frage die Vorgänge im Bundesnachrichtendienst gemeint sein, die in Ziffer 14 des Antrags auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses angesprochen sind, so kann ich hier nur darauf verweisen, daß diese Vorgänge dort behandelt werden. Das parlamentarische Vertrauensmännergremium ist darüber schon zweimal und dieses Hohe Haus ist darüber am 21. September 1972 eingehend unterrichtet worden.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, sind auch die Akten noch vorhanden, nach denen angeblich Kontakte des späteren Bundesministers Egon Bahr, der seinerzeit noch nicht Bundesminister war, des jetzigen Bundesministers Egon Franke, des Herrn Fred Wesemann und des leider verstorbenen Herrn Leo Bauer mit der KPI, der Kommunistischen Partei Italiens, im Jahre 1968 hinter dem Rücken des seinerzeitigen Bundeskanzlers Kiesinger stattgefunden haben, und gilt das auch genauso für die SED-Kontakte, die seinerzeit stattgefunden haben, um diese Ostpolitik einzuleiten?
Herr Kollege Niegel, entnehmen Sie die Antwort aus dem vorhin Gesagten!
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Berger.
Frau Staatssekretärin, darf ich Ihrer Antwort auf die Frage meines Kollegen Kunz entnehmen, daß alle Meldungen über das Verbringen von Aktenvermerken unzutreffend waren?
Ich weiß nicht, welche Meldungen Sie meinen; aber es ist nochmals zu bestätigen, daß keine Akten, wie hier unterstellt wird, verschwunden sind.
Das Wort hat Herr Dr. Ehmke.
Frau Staatssekretärin, bitte.
Es ist nicht einzusehen,
daß sich hier eine Sachlage geändert haben sollte.
Meine Damen und Herren, ich verstehe überhaupt nicht Ihre Aufregung. Sie bekommen auf alle Ihre Fragen eine Antwort, ob Sie damit —
— Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, sich doch in Ihren Ausdrücken ein bißchen zu mäßigen. — Meine Damen und Herren, wünschen Sie, daß Sie durch diese Fragestunde informiert werden, oder wünschen Sie das nicht?
— In dem Rahmen, wie das möglich ist, wird das geschehen. — Sie haben eine Zusatzfrage, Herr Kollege Vogel.
Frau Staatssekrerin, kann ich davon ausgehen, daß bei den Aktenvernichtungen, die auf Weisung des damaligen. Chefs des Kanzleramtes, Minister Ehmke, vorgenommen worden sind, entsprechende Aktenvermerke angefertigt worden sind, so daß die heute noch zur Verfügung stehen?
Herr Kollege Vogel, ich kann nichts anderes sagen, als was Herr Professor Ehmke damals geäußert hat. Es gab für uns keinen Anlaß, das neu zu überprüfen.
Einen Augenblick bitte! Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Arndt!
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974 7091
Frau Staatssekretärin, wären Sie bereit, den Fragestellern von eben den Unterschied zu erläutern, der darin besteht, daß ein Dienstvorgesetzter in Ausübung seines Amtes die Vernichtung von Akten anordnet und daß andererseits Akten verschwunden sind? Würden Sie bereit sein, diesen fundamentalen Unterschied hier zu bestätigen?
Dem steht nichts entgegen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pfeffermann!
Frau Staatssekretärin, darf ich Ihrer vorhin gegebenen Antwort im Zusammenhang mit der Antwort auf die Frage des Kollegen Professor Ehmke entnehmen, daß Kontakte mit der KPI und die übrigen Kontakte, die hier angesprochen worden sind, in diesem Sinne als Inlandskontakte zu verstehen sind?
Herr Kollege, Sie wissen wie ich, daß ich überhaupt keine präzisen Angaben über die Dinge im Hause hier machen kann, die den Bundesnachrichtendienst angehen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Breidbach!
Frau Staatssekretärin, könnten Sie die eben gemachte Aussage des Bundesministers a. D. Ehmke bestätigen, daß Akten im Zusammenhang mit sogenannten von ihm definierten Inlandskontakten auf seine Weisung hin Anfang 1970 vernichtet worden sind?
Frau Staatssekretärin!
Es ist schwierig für mich, darauf zu antworten, Herr Kollege. Sie werden, da Sie sich ja stets als sehr menschlich und christlich begreifen, auch begreifen können, daß es für mich nicht leicht wird, innerhalb von wenigen Tagen diese Dinge so zu beantworten, wie es zu Ihrer Information nötig ist.
Bitte, akzeptieren Sie, Herr Kollege Breidbach, daß Fragen, die Sie noch zu stellen haben und die von mir beantwortet werden können, gerne und sehr zügig und schnell schriftlich beantwortet werden.
Herr Abgeordneter Stücklen, Sie wollten keine Zwischenfrage stellen? — Herr Abgeordneter Weber, bitte, eine Zusatzfrage!
Frau Staatssekretärin, stimmen Sie mit mir darin überein, daß es nicht zulässig ist — und daß Herr Minister a. D. Ehmke insoweit völlig recht gehandelt hat —, daß Unterlagen, die eine staatliche Behörde angelegt hat, ohne verfassungsrechtlich hierzu 'berechtigt zu sein, verbreitet werden?
Ich habe Sie akustisch nicht verstanden, Herr Kollege Weber.
Stimmen Sie, Frau Staatssekretärin, mit mir darin überein, daß es nicht zulässig ist — und daß insoweit Herr Minister Ehmke völlig zu Recht gehandelt 'hat —, Unterlagen, die eine staatliche Behörde angelegt hat, ohne hierzu verfassungsrechtlich befugt zu sein — ich meine also die Anlegung von Dossiers über politisch tätige Personen —, zu verbreiten?
Das ist ganz klar. Auch den Fragestellern im Hause ist das 'klar, Herr Kollege Weber.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerster.
Frau Staatssekretärin, könnten Sie uns, nachdem Sie hier zugegeben haben, ,daß es Ihnen schwerfällt, auf alle unsere Fragen zu antworten — um es sehr vorsichtig auszudrücken —,
mitteilen, welches die Beweggründe waren, warum Sie als neue Staatssekretärin die Fragen beantworten, und nicht der Herr Bundeskanzler, der sich hier im Raum befindet?
Herr Abgeordneter, das bestimmt ja wohl die Bundesregierung, wer hier antwortet. Wir haben ja nicht umsonst Parlamentarische Staatssekretäre.Aber bitte, wenn Sie darauf noch besonders antworten wollen!
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7092 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974
Herr Kollege, meine Antworten gelten für das Bundeskanzleramt, und damit gilt auch die Zusage, die ich dem Herrn Kollegen Breidbach gegeben habe.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Abelein.
Frau Staatssekretärin, wenn Sie schon wegen der kurzen Einarbeitungszeit die Fragen nicht präzise beantworten können, sehen Sie denn wenigstens, daß zwischen Ihren Aussagen und denen des Herrn Ministers a. D. ein eklatanter Widerspruch klafft?
Herr Kollege, ich danke für Ihre Nachsicht. Der Widerspruch liegt sicherlich zum Teil im Auge des Beschauers.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Frau Staatssekretärin, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß Gespräche namhafter deutscher Politiker mit Vertretern der Italienischen Kommunistischen Partei auch unter Auslandsaufklärung fallen?
Herr Kollege Czaja, es fällt mir sicherlich schwer, mit Ihnen in vielen Punkten einer Ansicht zu sein.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Conradi.
Conradi (SPD): Frau Staatssekretärin, - (fortgesetzte Zurufe von der C'D'U/CSU)
wären Sie so freundlich, der Opposition in diesem Hause das Protokoll der Fragestunde vom 21. September 1972 zugänglich zu machen, in der der damalige Bundesminister Ehmke dargelegt hat, welcher Mißbrauch vom Bundesnachrichtendienst unter CDU-Regierungen getrieben und wie diesem Mißbrauch begegnet worden ist, und würden Sie mir in der Bewertung des heutigen Verhaltens der Opposition dahin ,gehend zustimmen, daß diese offenbar den Mißbrauch des Bundesnachrichtendienstes unter ihrer Verantwortung hier noch nachträglich billigt?
Frau Staatssekretärin!
Herr Kollege Conradi, ich bin durchaus bereit, ihr diesen Text zuzustellen. Aber ich weise darauf hin, daß eine große Anzahl von Assistenten bezahlt werden, um eine solche Arbeit zu leisten.
Verzeihen Sie, Herr Kollege! Einen Moment! Wir haben eine Fülle von Fragen. Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich jetzt die letzte Zusatzfrage zulasse, damit die noch sehr 'zahlreichen weiteren Fragen ebenfalls beantwortet werden können.
Bitte, Herr Kollege!
Nachdem auch in meinem Auge der eklatante Widerspruch zwischen den Aussagen der Parlamentarischen Staatssekretärin und des Ministers a. D. Ehmke sichtbar geworden ist, frage ich Sie, Frau Staatssekretärin, ob Sie der Ansicht sind, daß Herr Ehmke Sie absichtlich oder unabsichtlich ins Messer laufen ließ.
Frau Staatssekretärin!
Herr Kollege, ich halte Herrn Kollegen Ehmke für einen genauso freundlichen Kollegen wie Sie. Wenn hier ein Widerspruch geklärt werden muß, wird er die Freundlichkeit haben, mir dabei behilflich zu sein.
Meine Damen und Herren, ich rufe die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Kunz auf:
Wer ist dafür verantwortlich, daß Guillaume während des Urlaubsaufenthalts des Bundeskanzlers Brandt in Norwegen im Juni 1973 Zugang zu streng geheimen und Cosmic-Dokumenten der NATO erlangen und ihren Inhalt seinen Auftraggebern in Ost-Berlin übermitteln konnte, obwohl er für diese beiden Geheimhaltungsgrade keine Ermächtigung besaß?
Bitte, Frau Staatssekretärin!
— Eine Sekunde! Ich habe hier die Frage 11. Es tut mir leid. Wenn Sie etwas anderes haben, muß ich das korrigieren lassen.
— Augenblick! Bei mir hier ist vorgedruckt: Frage 11. Das werden wir ganz schnell klären. Ich muß erst einmal die Frage 9 finden. Haben Sie sie, Frau Staatssekretärin!
Frau Präsidentin, die Fragen 9 und 10 wurden dem Bundesministerium des Innern zugeteilt; sie werden vom Herrn Minister beantwortet. Für mich steht die Frage 11 an, die Sie mit Recht aufgerufen haben.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974 7093
Ich bedanke mich, Frau Staatssekretärin. Wenn Sie dann bitte auf die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Kunz antworten würden.
Herr Kollege Kunz, richtig ist, daß Guillaume für die Geheimhaltungsgrade Streng geheim und Cosmic nicht ermächtigt war. Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen hat er Dokumente mit dieser Einstufung in Norwegen auch nicht in die Hände bekommen. Weitere Einzelheiten aber können zu dem laufenden Ermittlungsverfahren nicht gesagt werden. Im übrigen wird sich damit auch wohl der Untersuchungsausschuß befassen müssen. Vergleichen Sie bitte die Ziffern 9 und 12 Ihres eigenen Antrags!
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz.
Frau Staatssekretärin, wenn Sie auf den Untersuchungsausschuß verweisen und auf weitere und andere laufende Ermittlungen, darf ich Sie fragen: Was 'halten Sie für geheimhaltungsbedürftiger, die Frage, wer für den leichtsinnigen Umgang mit Geheimsachen 'höchster Stufe verantwortlich war, oder die Geheimsachen selbst, und teilen Sie nicht meine Ansicht, daß, nachdem der Inhalt der Geheimsachen selbst und auch die näheren Umstände ihrer Beschaffung dem Staatssicherheitsdienst der DDR bereits bekannt sind, wenigstens die Frage der Verantwortlichkeit auch vor diesem Parlament geklärt werden kann und muß?
Frau Staatssekretärin!
Herr Kollege Kunz, der Ausschuß ist ein Instrument des Parlaments, und insofern werden auch Ihre Fragen dort mit Recht geklärt werden. Ich sehe dort die Unterscheidung nicht.
Keine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Kunz? — Bitte schön!
Frau Staatssekretärin, nachdem Sie sich jetzt zum wiederholten Male auf Ihre einleitende Erklärung zurückgezogen haben, bestimmte Fragen nicht beantworten zu wollen, frage ich Sie: Wie würden Sie mir bitte erklären, daß das Ansehen des künftigen Untersuchungsausschusses dadurch beeinträchtigt werden könnte, daß Sie jetzt Fragen nach Ihrem gegenwärtigen Wissensstand beantworten?
Ich meine, daß Sie den sehr fähigen Kollegen, die da benannt werden können, diese umfang-
reiche Arbeit wirklich überlassen können, Herr Kollege.
Herr Kollege Kunz, Sie haben eine Zusatzfrage. Bitte schön!
Ich darf noch einmal auf die Frage von vorhin zurückkommen, Frau Staatssekretärin.
Präsident 'Frau Renger: Nein, Herr Abgeordneter, das können wir nicht machen.
— Verzeihen Sie, Sie hatten vorhin nur eine Zwischenfrage angemeldet und sich nicht zu einer zweiten gemeldet. Ich kann Ihre Frage also jetzt nachträglich zu dem Vorangegangenen nicht mehr annehmen.
— Es tut mir furchtbar leid. Wir werden es das nächste Mal besser machen. — Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg, Sie haben eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, sind Sie mit mir der Auffassung, daß die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses ausschließlich eine Einrichtung des Parlaments ist und daß diese Einrichtung des Parlaments, des Bundestages, in keiner Weise die Bundesregierung ihrer Verpflichtung enthebt, dem Parlament Auskunft über die hier anstehenden Fragen zu erteilen?
Ich sehe auch gar keine Grundlage für die Behauptung, daß ich es abgelehnt habe, Auskunft zu erteilen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Staatssekretärin, beabsichtigt die Bundesregierung, gegen die leichtfertig Mitverantwortlichen an dem Geheimnisverrat des Guillaume Disziplinarmaßnahmen einzuleiten, und sind Schritte in dieser Richtung schon unternommen worden?
Ich habe Ihnen schon einmal gesagt: 'Diese Regierung wird rechtmäßig handeln, und sie wird für alle Dinge zur Verfügung stehen, für die sie zur Verfügung zu stehen hat.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Abelein.
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7094 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974
Frau Staatssekretärin, wie beurteilt die Bundesregierung denn die Tatsache, daß vor dem Fall Guillaume der polnische Geheimdienst bereits eine Chefsekretärin beim SPD-Vorstand als Agentin plazierte, und wurde dieser Fall im deutsch-polnischen Gespräch als die Beziehungen belastender Gegenstand mit einbezogen, oder beabsichtigt die Bundesregierung, etwas ähnliches zu tun?
Herr Abgeordneter, ich kann also wirklich keinen Zusammenhang mit der hier gestellten Frage sehen. — Diese Frage brauchen Sie nicht zu beantworten.
Zu einer Zusatzfrage Frau Abgeordnete Pieser.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir bitte die Frage beantworten, ob die Bundesregierung die zuständigen Strafverfolgungsbehörden gebeten hat, ein Ermittlungsverfahren nach § 97 StGB einzuleiten? Wenn ja: Gegen wen?_ Nach dem genannten Paragraphen ist leichtfertiger Verrat von Geheimnissen strafbar.
Mir ist nichts bekannt.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gestellt.
Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Gerster auf:
Hat sich das Bundeskanzleramt 1970 im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung von Guillaume unmittelbar oder durch das Bundesamt für Verfassungsschutz mit dem Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen bzw. dem Gesamtdeutschen Institut in Verbindung gesetzt, um den Wert und die Bedeutung der Informationen über Guillaume vom November 1955 festzustellen?
Bitte, Frau Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, dem parlamentarischen Vertrauensmännergremium liegen seit dem 9. Mai 1974 die Akten des Bundeskanzleramts und des Bundesamts für Verfassungsschutz vor. Letztere sind eine VS-Sache. Auf diese Akten und auf die Unterrichtung des parlamentarischen Vertrauensmännergremiums zu diesem Punkt verweise ich.
Außerdem ist dieser Komplex in Abschnitt I Ziffer 1 Buchst. a, Ziffern 3, 4 und 5 Ihres Antrags auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses angesprochen. Dieser wird sich sicherlich auch damit befassen.
Herr Abgeordneter Gerster zu einer Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, teilen Sie meine Annahme, daß der Spion Guillaume und damit auch der Staatssicherheitsdienst der DDR über diesen Gegenstand Kenntnis erhalten haben und daß es von daher nicht mehr als
recht und billig ist, von dieser Stelle aus auch die deutsche Öffentlichkeit, soweit nur irgend möglich, zu informieren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
'Die deutsche Öffentlichkeit wird informiert, soweit es den Gegebenheiten entspricht, Herr Kollege Gerster.
Im übrigen gibt es bereits eine Information für Sie, die aus dem Inhalt der den Fraktionsvorsitzenden vorliegenden Akten zu beantworten ist. Ich weiß nicht, wieweit Ihnen diese Nachrichten bekannt sind.
Zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir wenigstens die Frage beantworten, was das Bundeskanzleramt zum Verzicht auf die Überprüfung der ihm gegebenen Hinweise bewogen hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Bundeskanzleramt hat auf nichts verzichtet. Bloß ist zum augenblicklichen Zeitpunkt darüber hier in der Öffentlichkeit nichts zu sagen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Ehmke.
Frau Staatssekretärin, würden Sie so gut sein, den Herrn Fragesteller darauf hinzuweisen, daß sich aus der Veröffentlichung der Akten, die der Chef des Kanzleramts im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern am 7. Mai 1974 vorgenommen hat, ergibt, daß das Kanzleramt alle Hinweise an die für die Sicherheitsüberprüfung zuständige Stelle weitergegeben hat und diese unter Einbeziehung dieser Hinweise zu dem Ergebnis gekommen ist — einmal im Januar 1970 bei der „Geheim"-Überprüfung, dann im September 1970 bei der „Streng geheim"-Überprüfung —, daß keine Bedenken gegen ,die Einstellung von Guillaume bestünden? Das können Sie in dieser Veröffentlichung selbst nachlesen.
Herr Kollege, das ergänzt meine Aussagen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Haase .
Gnädige Frau, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir es schon begrüßen würden, wenn Sie sich in der Lage sähen, zumindest die in Frageform gekleideten Antworten von Herrn Ehmke zu geben? Das wäre doch ein kleiner Schritt vorwärts!
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974 7095
Herr Kollege Haase, Sie sind mir als ein charmantes Mitglied dieses Hauses
bereits aus den Protokollen des Deutschen Bundestages bekannt, und ich muß sagen, daß Sie dazu heute ein weiteres beigetragen haben. Ich danke Ihnen für Ihre Kontinuität.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Vogel.
Frau Staatssekretärin, können Sie bestätigen, daß nach der von der Bundesregierung veröffentlichten Dokumentation die Stellungnahme des Bundesverfassungsschutzamtes nicht dahin lautete, daß keine Bedenken bestünden, sondern dahin, daß keine Erkenntnisse vorhanden seien, die der Einstellung entgegenstünden, und daß das ein Unterschied ist?
Frau Staatssekretärin!
Im Wortgebrauch ist sicherlich ein Unterschied, aber, Herr Kollege Vogel, ich kann Ihnen die Größe des Unterschieds, die Sie gern bestätigt haben wollen, leider nicht bestätigen.
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 13 des Herrn Abgeordneten Gerster auf:
Wer hat, nachdem Dr. Otto vom Bundesamt für Verfassungsschutz dem Sicherheitsreferenten Schlichter am 27. Januar 1970 empfohlen hatte, weitere Sicherheitsermittlungen durchzuführen, noch am gleichen Tage entschieden, auf weitere Sicherheitsermittlungen zu verzichten und Guillaume am folgenden Tag, am 28. Januar 1970, im Bundeskanzleramt einzustellen?
Frau Staatssekretärin!
Herr Kollege Gerster, auf weitere Sicherheitsermittlungen ist nicht verzichtet worden. Dieser Komplex ist mehrfach im parlamentarischen Vertrauensmännergremium abgehandelt worden. Er ist in der am 7. Mai 1974 der Öffentlichkeit übergebenen Dokumentation dargestellt. Die Akten selbst liegen dem parlamentarischen Vertrauensmännergremium ebenfalls vor; darauf verweise ich noch einmal. Dieses muß auch Ihnen bekannt sein.
Im übrigen gilt auch hier wieder, daß mehrere Punkte Ihres Antrags auf den Sachverhalt eingehen. Es sind dies die Punkte 1 a, 3 und 6. Der Untersuchungsausschuß wird sich also damit befassen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerster.
Frau Staatssekretärin, da über den Untersuchungsausschuß und den Gegenstand des Untersuchungsausschusses noch nicht entschieden ist, ich mich also mit Ihrer Ant-
wort nicht zufriedengeben kann, muß ich folgende weitere Frage stellen: Hat Guillaume tatsächlich am Tage nach der Entscheidung über seine Einstellung den Dienst angetreten?
Herr Kollege Gerster, ich bitte Sie, sich mit der Antwort zu bescheiden, daß ich hier im einzelnen Zusatzfragen nicht mehr beantworten möchte.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Warum sind, als der Präsident des Bundesnachrichtendienstes am 23. Dezember 1969 vorgeschlagen hatte, Guillaume nicht im sicherheitsempfindlichen Bundeskanzleramt, sondern in einer anderen Behörde zu beschäftigen, nicht Überlegungen im Sinne dieser Empfehlung angestellt worden?
Ich kann Ihnen darauf keine gültige Antwort geben. Ich verweise auf die Ermittlungsergebnisse, die demnächst vorliegen werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Frau Staatssekretärin, sind Sie mit mir der Meinung, daß nach ,den Auskünften des Verfassungsschutzamtes und des Bundesnachrichtendienstes sich die letzten Bedenken gegen Guillaume seinerzeit darauf beschränkten, daß er aus der DDR kam?
Teilen Sie auch meine Meinung, daß im Grunde diese bohrenden Fragen der Opposition zum Ergebnis haben müßten, daß sämtliche Staatsbürger der Bundesrepublik, die je aus der SBZ oder der DDR geflüchtet sind, bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst als Staatsbürger zweiter Klasse behandelt werden müßten?
Frau Staatssekretärin!
Herr Kollege Gansel, ich muß Ihnen bestätigen, daß diese Situation eine schwierige ist, die eines Tages sicherlich noch viele Menschen erfahren müssen. Sie erschwert die Situation all derer, die in Behörden tätig sind. Bei Beförderungen z. B. könnte in Zukunft vielleicht ein besonderes Augenmerk auf das Herkommen aus dem anderen Teil Deutschlands gerichtet werden. Ich glaube, daß dies eine bittere Sache ist. Wir alle hier in diesem Hause, aber auch die Öffentlichkeit sollte für diese Problematik Verständnis zeigen.
Bitte die letzte Zusatzfrage zu diesem Thema. Bitte, Herr Reddemann!
7096 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974
Frau Staatssekretärin, würden Sie mir bestätigen, daß die Zwischenfrage des Herrn Kollegen Gansel schon deswegen nicht richtig sein kann, weil die Bedenken, die sowohl von der Polizei in Berlin als auch vom Bundesnachrichtendienst und später vom Bundesamt für Verfassungsschutz gegen Herrn Guillaume vorgetragen wurden, nicht einfach darauf beruhten, daß er aus der damaligen SBZ kam, sondern daß Informationen vorlagen, er habe im Verlag „Volk und Wissen" als Agent für das Ministerium für Staatssicherheitsdienst eine Ausbildung erhalten?
Sie wissen selbst genau, Herr Kollege, daß diese Dinge nicht gravierend genug waren, um zu der von Ihnen skizzierten Entscheidung zu kommen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Schulte.
Frau Staatssekretär, hat es von irgendeiner Seite, nachdem die Fraktionsvorsitzenden dieses Hauses die Originalunterlagen in Fotokopie erhalten haben, Beanstandungen gegeben, daß die Originalunterlagen nicht bestätigen, daß die Dokumentation vollständig und richtig ist?
Es liegen gar keine Beanstandungen vor, Herr Kollege.
Bitte, Herr Stücklen!
Frau Staatssekretär, die Frage, die der Kollege Schulte gestellt hat, ist deshalb von Ihnen überhaupt nicht zu beantworten,
-- Ich frage schon, ich muß erst die Dreiecksfrage klären! —, denn seit wir diese Unterlagen haben, hat noch gar keine Vertrauensmännersitzung stattgefunden.
Frau Staatssekretärin, wollen Sie darauf antworten?
Herr Kollege Stücklen, auf Ihre nicht gestellte Frage antworte ich dahin gehend, daß Sie immer eine Möglichkeit finden, Beanstandungen in irgendeiner Form von sich zu geben.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 14 des Herrn Abgeordneten Volmer auf:
War die Stelle, auf der der Ostagent Guillaume 1970 in das Bundeskanzleramt eingestellt wurde, öffentlich ausgeschrieben,
oder ist allein Herr Guillaume — gegebenenfalls durch wen — auf die freie Stelle aufmerksam gemacht und zur Bewerbung veranlaßt worden?
Bitte, Frau Staatssekretär!
Herr Kollege Volmer, die Stelle, auf der Guillaume 1970 im Bundeskanzleramt eingestellt wurde, ist nicht ausgeschrieben worden. Auch bei früheren Bundesregierungen sind entsprechende Stellen des Bundeskanzleramtes nicht öffentlich ausgeschrieben worden. Nähere Einzelheiten zur Frage der Einstellung Guillaumes sind im Vertrauensmännergremium schon mehrfach erörtert worden. Im übrigen wird sich auch hiermit der Untersuchungsausschuß befassen.
Die Einzelheiten sind schon jetzt erkennbar in der Fragestellung zu den Punkten 1 b und 2.
Zusatzfrage Herr Kollege Volmer.
Frau Staatssekretärin, entspricht es der üblichen personalpolitischen Praxis dieser Regierung und ihrer beiden Vorgängerregierungen, daß eine so gut dotierte Stelle mit einem Bewerber ohne die normalerweise geforderte Vorbildung und ohne einschlägige Facherfahrung besetzt wird, ohne daß man auch nur den Versuch macht, Bewerber mit entsprechender Vorbildung und Facherfahrung anzusprechen, und obwohl der Personalrat Bedenken gegen die Einstellung hatte?
Herr Kollege, Sie unterstellen, daß gar keine Versuche gemacht worden sind. Außerdem dürfen Sie Ihre Frage ruhig dahin gehend ausweiten, daß das sicherlich für alle Bundesregierungen zutrifft, was jetzt von Ihnen auf die beiden letzten Bundesregierungen beschränkt wurde.
Zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, halten Sie dieses Verfahren mit dem allgemein anerkannten Grundsatz für vereinbar, daß Verfassungstreue über Parteienprivileg zu stehen hat?
'Frau Schlei, Parl. Staatssekretär beim Bundeskanzler: Das steht überhaupt nicht zur Diskussion!
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kunz .
Frau Staatssekretärin, wie konnte Guillaume quasi auf eine Ministerialratsstelle gesetzt werden, nachdem er vom inzwischen gestürzten Bundeskanzler Brandt als ein bißchen dümmlich bezeichnet worden war?
Deutscher Bundestag 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974 7097
Mir ist solche Äußerung nicht bekannt. Die Konsequenz aus einer solchen Äußerung wäre dann sicherlich anders gezogen worden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf darauf aufmerksam machen, Frau Staatssekretärin, daß Sie eine Frage des Kollegen Volmer nicht beantwortet haben, die ich wiederhole: Durch wen ist eigentlich Herr Guillaume auf die freie Stelle aufmerksam gemacht und zur Bewerbung veranlaßt worden?
Das sind sicherlich die Stellen gewesen, die solche Stellenbesetzung vorzunehmen haben.
— Ich weiß gar nicht, warum Sie sich darüber freuen!
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Graf Stauffenberg.
Frau Staatssekretärin, darf ich Ihrer Antwort an Herrn Kollegen Volmer, daß entsprechende Bemühungen bei der Einstellung bzw. bei der Vorbereitung der Einstellung stattgefunden haben, entnehmen, daß im Ergebnis kein anderer Bewerber für dieses Amt zu finden war oder daß sich nur weniger qualifizierte Bewerber beworben haben, so daß Herr Guillaume diese Stelle bekommen hat?
Sie wissen, daß er nach dem damaligen Erscheinungsbild als ein geeigneter Bewerber betrachtet worden ist
und demzufolge andere Bewerber als weniger geeignet angesehen werden mußten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schulte.
Frau Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß es zweckmäßig wäre, daß die Kollegen der CDU/CSU-Fraktion zunächst einmal die der Öffentlichkeit zugänglich gemachte Studie durchläsen, und sich dann manche Fragen erübrigten?
Herr Kollege, Sie wissen wie ich, daß das sicherlich eine Inszenierung ist, die hier für ein bestimmtes Datum eingeleitet wurde.
Die Bundesregierung wird nicht gerügt. Sie wissen, dafür gibt es in der Geschäftsordnung keine Hinweise und keine Möglichkeit.
— Verzeihen Sie, ich bin doch hier nicht der Richter darüber, welche Antworten gegeben werden.
Herr Abgeordneter Dr. Stark, Sie haben das Wort.
Wollen Sie Ihre Zusatzfrage stellen, Herr Abgeordneter Dr. Stark?
Frau Staatssekretärin, welches ist nach Ihrer Auffassung die Stelle, die im Bundeskanzleramt Stellen zu bestellen hat?
Das wird sich um die Stellen handeln, auf die es ankommt.
Ein Hausmeister, Herr Kollege, wird, wie Sie wissen, anders als ein Gärtner ausgesucht, und eine Angestelltenstelle wird wiederum anders besetzt als eine Beamtenstelle.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, bitte schön.
Frau Staatssekretärin, teilen Sie meine Auffassung, daß die Frage, ob eine öffentliche Ausschreibung stattgefunden hat oder nicht, nichts mit einem möglichen 'Sicherheitsrisiko zu tun hat?
Herr Kollege, das stimmt. Das wissen die Kollegen im Hause auch. Die Sicherheitsüberprüfungen sind j a erfolgt.
Meine Damen und Herren, ich wollte nur darauf aufmerksam machen,
Metadaten/Kopzeile:
7098 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974
Präsident Frau Rengerdaß die nächsten Fragen auch noch in diesem Zusammenhang stehen. Vielleicht können wir uns dann ein bißchen konzentrieren.Bitte, Herr Abgeordneter Gansel.
Frau Staatssekretärin, haben Sie den Zwischenruf aus den Reihen der Opposition gehört, der sich darüber erregte, daß Herr Guillaume unmittelbar nach dem Kriege als Würstchenverkäufer gearbeitet hat? Wären Sie innerhalb der Bundesregierung bereit, eine Statistik über die höheren Beamten unter der CDU/CSU-Regierung anzufertigen, die wegen ihrer Tätigkeit im Dritten Reich nach dem Kriege als Würstchenverkäufer gearbeitet haben?
Diese Frage steht doch wohl nicht ganz im Sachzusammenhang.
Frau Präsidentin, solche Zwischenrufe sind hier gemacht worden. Ich nehme an, daß das Protokoll diese Zwischenrufe auch verzeichnet hat. Wenn sie gestatten, Frau Präsidentin, würde ich dem Herrn Kollegen Gansel gern sagen, daß ich meine, daß der Beruf oder der Job eines Würstchenvertreters ein guter Job ist, so lange die Würstchen gut sind.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Breidbach.
Frau Staatssekretärin, Sie haben mich vorhin auf mein christliches Gewissen hingewiesen. Ich möchte Sie fragen, ob Sie, Frau Staatssekretärin, es mit einem sozialdemokratischen Gewissen und der Auffassung der Sozialdemokraten von Humanität am Arbeitsplatz in Obereinklang bringen können, daß sich Ihr Chef, obwohl Sie sich in einer so schwierigen Situation befinden, trotz Anwesenheit nicht langsam an Ihre Stelle stellt?
Herr Abgeordneter, das ist keine Zusatzfrage zur Frage 14.
Herr Abgeordneter — —
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege — — erlauben Sie, Frau Präsidentin?
Herr Abgeordneter, ich muß Ihnen sagen, daß da kein Sachzusammenhang ist. Aber wenn die Frau Staatssekretärin dennoch antworten will, will ich sie nicht hindern. Bitte!
Es gibt ja eine innere Beziehung zwischen dem Kollegen Breidbach und mir,
die ihn auch begreifen lassen wird, daß es überhaupt gar keinen Unterschied zwischen einem sozialistischen, einem sozialen und einem christlichen Gewissen geben muß.
Keine weitere Zusatzfrage.
— Meine Damen und Herren, schauen Sie sich doch bitte die nächsten beiden Fragen an; Sie können doch noch viele Zusatzfragen stellen. Aber so kommen doch die anderen Fragesteller überhaupt nicht zu ihrem Recht. Gestatten Sie also, daß ich zur nächsten Frage übergehe.
Ich rufe Frage 15 des Herrn Abgeordneten Volmer auf:
Trifft es zu, daß Herr Guillaume am 28. Januar 1970 zwar auf einer Planstelle der wirtschaftspolitischen Abteilung des Bundeskanzleramts eingestellt, aber schon bald darauf anderweitig beschäftigt wurde, und mit welchen Arbeiten war er bis zu seiner Übernahme in das Kanzlerbüro betraut?
Bitte, Frau Staatssekretärin!
Herr Kollege Volmer, auch hier kann ich Ihnen nur eine kurze Antwort erteilen. Das parlamentarische Vertrauensmännergremium ist über die Verwendung Guillaumes im Bundeskanzleramt eingehend unterrichtet worden. Aber über dies hinaus wird sich — und das ist nun eine Wiederholung, die ich immer wieder machen muß, und für die haben Sie die Grundlage gelegt — der Untersuchungsausschuß ebenfalls damit befassen. Das ergibt sich aus den Punkten 1 b) und 2 Ihres Antrages.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Volmer.
Frau Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Ihre normale Antwort auf meine Frage ein klares Ja sein müßte?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974 7099
Ein klares Ja ist das nicht, Herr Kollege.
— Ich will es gern wiederholen, damit Sie es interpretieren können: Das parlamentarische Vertrauensmännergremium ist über die Verwendung Guillaumes im Bundeskanzleramt eingehend unterrichtet worden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Volmer.
Frau Staatssekretärin, darf ich daraus dann entnehmen, daß dieses Ja genauso unklar ist wie Ihre anderen Antworten während dieser Stunde?
Das dürfen Sie nicht!
Keine Zusatzfragen. Ich rufe Frage 16 des Herrn Abgeordneten Berger auf:
Auf Grund welcher fachlichen Qualifikationsnachweise, insbesondere auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik, wurde der Spion Guillaume Anfang 1970 in die wirtschaftspolitische Abteilung des Bundeskanzleramts als Hilfsreferent in der Vergütungsgruppe II a BAT eingestellt, die tarifgemäß Angestellten mit abgeschlossener Hochschulbildung und gleichwertigen Angestellten mit entsprechender Tätigkeit vorbehalten ist?
Bitte!
Herr Kollege Berger, auch zu dieser Frage wurde dem parlamentarischen Vertrauensmännergremium bereits Auskunft erteilt. Ich kann darauf nur verweisen. Außerdem gibt es wiederum die Möglichkeit des Untersuchungsausschusses, nach seinen eigenen Fragestellungen in den Punkten 1 b) und 2 auf diesen Vorgang zurückzukommen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Würden Sie mir, Frau Staatssekretärin, dann darin zustimmen, daß die meisten Beamten und Angestellten des gehobenen Verwaltungsdienstes mit einigen Dienstjahren neben einer soliden Fachausbildung mindestens das Kenntnis-und Erfahrungsniveau besitzen — und für ihre Aufgaben besitzen müssen —, ,das sich aus den verschiedenen früheren Tätigkeiten des Herrn Guillaume vielleicht begründen ließ, und daß deshalb bei der Einstellung des Herrn Guillaume ein um mehrere Vergütungsgruppen großzügigerer Maßstab als sonst in der Verwaltung üblich angelegt worden ist?
Frau 'Schlei, Parl. Staatssekretär beim Bundeskanzler: Der Maßstab mag von Ihnen als großzügig beurteilt werden.
Sie wissen auch, daß die meisten Höhergruppierungen Regelgruppierungen sind und daß dies Einzelfälle sind, aber keine Einzelfälle, die sich auf das Bundeskanzleramt beschränken; sie sind vielmehr auch in anderen Verwaltungszweigen möglich.
Die zweite Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Würden Sie denn nun mit Ihrer Antwort die Behauptung aufstellen, daß auch vergleichbare Bewerber mit entsprechenden Berufserfahrungen allerdings ohne parteipolitische Fürsprache — reale Chancen hätten, genauso großzügig in die Spitzenvergütungsgruppen der Bundesverwaltung eingestellt zu werden? Und, wenn ja, können Sie mir vielleicht sagen, wer dann eigentlich noch freiwillig im mittleren und im gehobenen Dienst bleiben soll?
Ich habe gar keine Behauptungen aufgestellt, sondern auf Möglichkeiten verwiesen. Und im übrigen kann ich sagen, daß für die meisten gelten wird: „Denn die Verhältnisse, die sind nicht so."
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Zimmermann.
Frau Staatssekretärin, wollen Sie wirklich die Antwort auf die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Berger mit dem Hinweis auf das parlamentarische Vertrauensmännergremium verweigern, und halten Sie es für einen geheimhaltungsbedürftigen Tatbestand, wer Herrn Guillaume beurteilt und wer ihn höhergruppiert hat?
Ich habe gar keinen Grund, etwas zu verweigern.
Ich habe Hinweise gegeben; ich bitte diese zu akzeptieren.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ostman von der Leye.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Staatssekretärin, würden Sie es für möglich halten, daß bei einem CDU-Bundeskanzler ein Parteireferent eingestellt würde, der der SPD angehört, und welchen Hochschulabschluß soll ein solcher Parteireferent haben?
Metadaten/Kopzeile:
7100 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974
Eine sehr schwierige Frage, Herr Kollege.
Das ist von mir aus der Vergangenheit nicht zu beweisen, und für die Zukunft hoffe ich, daß das nicht bewiesen werden muß.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerster.
Frau Staatssekretärin, nachdem Sie nähere Einzelheiten, konkrete Angaben über die Einstellung und Beförderung des Herrn Guillaume im Kanzleramt hier verweigern oder nicht geben wollen: Würden Sie mir zustimmen, daß der Staatssicherheitsdienst der DDR mehr über diese Vorgänge und damit über Einzelheiten im Kanzleramt Bescheid weiß als dieses Hohe Haus und die deutsche Öffentlichkeit?
Herr Kollege, auf diese Frage kann ich Ihnen jetzt keine Antwort geben. Sie wissen ganz genau, daß ich im Augenblick nicht auf Dinge eingehen kann, die noch zu erörtern sein werden
in dem von Ihnen beantragten Ausschuß, dessen Arbeit Sie hier in einer gewissen Weise vorwegnehmen. Damit lassen Sie nicht erkennen, weshalb dann dieser Ausschuß eingesetzt worden ist, dem wir gerne Auskunft geben werden. Ein Teil Ihrer Fragen zielt wirklich in diese Arbeit.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stücklen.
Frau Staatssekretärin, sind Sie der Meinung, daß die Ausbildung oder Mitarbeit im Verlag Volk und Wissen nicht nur im Falle Guillaume, sondern auch in anderen Fällen die Voraussetzung ist, zu einer hohen Position bei dieser Bundesregierung zu kommen?
Herr Kollege, Sie haben Ihre Frage so angelegt, daß man erkennen kann, daß Sie sich selbst schon eine Antwort gegeben haben.
Sie wissen selbst, daß das keineswegs eine Voraussetzung oder ein Vorteil für Beförderungen ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Breidbach.
Frau Staatssekretärin, können Sie diesem Hohen Hause bestätigen, daß die Praxis, im Bundeskanzleramt Parteireferenten mit Steuergroschen einzustellen, erstmalig unter Bundeskanzler Willy Brandt in der Bundesrepublik Deutschland geübt worden ist?
Ich kann dies nicht bestätigen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Conradi.
Zusatzfrage, Herr Kollege Bahr.
Frau Staatssekretärin, sind Sie bereit zu bestätigen, daß einer der Vorgänger von Herrn Guillaume ein Mensch namens Hange gewesen ist?
Herr Kollege Bahr, ich würde übertreiben, wenn ich sagte, daß ich das bestätigen kann. Ich habe in diesen wenigen Tagen solche Ubersicht nicht gewinnen können, und ich glaube, es wird mir auch jeder hier im Hohen Hause zubilligen, daß es nicht möglich ist, sich in so viele Interna einzulesen.
Letzte Zusatzfrage zu diesem Komplex, Herr Kollege Carstens .
Frau Staatssekretärin, gehen Sie, nachdem Sie vieles auf den Untersuchungsausschuß verwiesen haben, davon aus, daß auf dort gestellte Fragen Minister bzw. ehemalige Minister nicht die Auskunft verweigern werden?
Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß dieser Ausschuß eine ,ausgezeichnete Arbeit unter allen möglichen und zu ermöglichenden Voraussetzungen leisten wird.
Ich rufe die nächste Frage auf.
— Ich hatte schon gesagt, daß dies die letzte Zusatzfrage zu der vorigen Frage war. Ich rufe die Frage 17 des Herrn Abgeordneten Berger auf:
Wann und von wem sind über die Leistungen des Herrn Guillaume als Angestellter des Bundeskanzleramts dienstliche Beurteilungen abgegeben worden, insbesondere vor seinen beiden Höhergruppierungen von Vergütungsgruppe II a BAT nach Gruppe I b BAT und von Gruppe I b BAT nach I a BAT, und rechtfertigten sie die Weiterbeschäftigung und die Höhergruppierungen?
Bitte, Frau Staatssekretärin!
Herr Kollege Berger, die Höhergruppierung Guillaumes erfolgte nach tarifrechtlichen Vorschriften. Auch diese Frage wird noch vom Untersuchungsausschuß behandelt werden. Das ist jetzt schon erkennbar in der Anlage Ihrer Fragen 1 b und 2.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Staatssekretärin, kommt es bei Höherstufungen nicht auch auf Bewährung und auf die tatsächliche Leistung an, und ist Ihnen der Bericht des „Spiegel" vom 6. Mai 1974 bekannt, nach dem Guillaume von Bundeskanzler Brandt als ein bißchen dümmlich bezeichnet, mindestens für beschränkt gehalten wurde? Ist Ihnen diese Beurteilung des damaligen Bundeskanzlers bekannt?
Herr Kollege, sie ist mir inzwischen durch Äußerungen, die im Hause gefallen sind, bekanntgeworden.
Im übrigen bin ich aber der Meinung, daß das, was
der „Spiegel" referiert, nicht immer die Beurteilungskategorien sein müssen, die wirklich angesetzt worden sind und angesetzt werden.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Volmer.
Frau Staatssekretärin, nachdem Sie vorhin erklärt haben, für die Beurteilung der Bewertung der Stelle sei der Stelleninhalt maßgebend: Darf ich aus der zweimaligen Beförderung entnehmen, daß sich der Stelleninhalt der Tätigkeit im Bundeskanzleramt zweimal verändert hat in dem Sinne, daß eine Beförderung gerechtfertigt war?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das wurde damals so gesehen.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Hürland.
Frau Staatssekretärin, sind Sie mit mir einer Meinung, daß in dieser Welt sehr oft die Dummheiten von Männern begangen werden und wir Frauen sie nachher auszubaden haben, daß also an Ihrer Stelle jetzt eigentlich Ihr Vorgänger im Amt die Fragen beantworten müßte?
Sehr verehrte Frau Kollegin Hürland, Sie wissen, wie gern ich mit Ihnen einer Meinung bin. Vielleicht können wir uns auch dahin gehend einigen, daß es viele Frauen -- und darunter sind wir vielleicht auch — gibt, die gerne die Dummheiten von Männern ausbaden.
Eine Zusatzfrage, Herr Gerster.
Frau Staatssekretärin, verstehe ich Sie richtig, daß Sie nicht ausdrücklich sagen wollen, daß der neue Bundeskanzler Schmidt Dummheiten begangen hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber Herr Kollege, Sie haben ihn doch selbst, obwohl Sie so wachsam sind, noch bei gar keiner Dummheit ertappen können.
Keine weitere Zusatzfrage.Ich rufe die Frage 18 des Herrn Kollegen Czaja auf:Warum sieht der Bundeskanzler die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundlagenvertrag als schädlich an, obwohl diese Anrufung sich auf Artikel 93 des Grundgesetzes stützt, das Bundesverfassungsgericht die schrankensetzende Gewalt des Grundgesetzes auch in Vertragsfragen verbindlich für alle Verfassungsorgane auslegt und es gerade in dem darauf er-
Metadaten/Kopzeile:
7102 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974
Präsident Frau Rengergangenen Urteil — in der besonderen Fassung des Urteilstenors und durch die Verbindlichkeit aller Teile der Begründung — entscheidende Schranken gegen die Aushöhlung der Rechtslage Deutschlands und aller Deutschen gesetzt sowie die Pflichten der Bundesrepublik für Deutschland als Ganzes präzis umrissen hat, auf die sich die Bundesregierung nach innen und außen nunmehr verstärkt berufen kann, muß und soll?Frau Staatssekretär!
Herr Kollege Czaja, daß die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts durch den Freistaat Bayern rechtlich zulässig war, hat hier nie in Streit gestanden.
Das hat übrigens auch der Herr Bundeskanzler
selber in der Debatte zur Regierungserklärung ge-
rade in diesem Zusammenhang ausdrücklich betont.
Im übrigen, Herr Kollege Czaja: Ich sage das nur zum besseren Kontrast, nicht etwa, weil dieser Fall vorgelegen hätte.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Czaja.
Frau Staatssekretärin, hätten Sie die Freundlichkeit, die Frage, die ich gestellt habe, zu beantworten, nämlich woraus zu schließen ist oder voraus der Bundeskanzler schließt, daß die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts schädlich war? Das habe ich gefragt, sonst nichts.
Jedenfalls ist diese Äußerung hier im Hohen Hause nicht gemacht worden.
Es ist vielmehr zu erkennen, Herr Kollege Czaja, daß der Bundeskanzler — wie auch jedes andere Mitglied der Bundesregierung — kraft seines Amtseids unmittelbar auf die Verfassung verpflichtet ist. Ich glaube, dem ist nichts hinzuzufügen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Czaja.
Frau Staatssekretärin, wie ist es dann zu erklären, daß er in den Ausführungen des Bundeskanzlers — nachzulesen im Protokoll der 101. Sitzung vom 20. Mai 1974 — wörtlich heißt: „Die Initiative Bayerns ... war für den Ruf der Bundesrepublik Deutschland im Ausland und in der Welt schädlich.",
und ist das Ausweichen, das in der Antwort auf die Frage liegt, nicht ein Eingeständnis, daß dieser Ausdruck ein schwerer Mißgriff gewesen ist?
Das wird auf den unterschiedlichen Seiten
des Hauses unterschiedlich bewertet. Die Aussagen dazu beziehen sich allerdings nicht auf die grundsätzliche Einstellung zu den Möglichkeiten, denen wir unterworfen sind, sondern gehen auf die vielen, vielen Zeitungsäußerungen im Ausland zurück, die wir über diese bayerische Aktivität berichtet bekamen.
Aber, Herr Kollege Czaja, die grundsätzliche Anrufungsmöglichkeit ist hier selbstverständlich nicht bestritten worden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt.
Frau Staatssekretärin, sind Sie bereit, den Herrn Fragesteller davon zu unterrichten, daß der in seiner Frage in Parenthese gesetzte Satz falsch ist, daß also nicht alle Teile der Begründung verbindlich im Sinne des § 31 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes sind, sondern allenfalls nur die sogenannten tragenden Gründe?
Ich möchte mit dem Kollegen Czaja nicht so hart umgehen,
sondern höchstens sagen: Es ist unrichtig.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Dr. Schulze-Vorberg.
Frau Staatssekretärin, ich darf den Versuch machen, auf eine klar gestellte Frage doch noch eine Antwort zu bekommen. Die Frage lautet — ich darf Sie Ihnen noch einmal vorlesen —:
Warum sieht der Bundeskanzler die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundlagenvertrag als schädlich an ...?
Würden Sie bitte darauf antworten; das ist eine klare Frage, die eine klare Antwort verlangt.
Ich glaube, aus dem Kontext ist zu erkennen, wie der Bundeskanzler das wirlich gemeint hat.
Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Stücklen.
Frau Staatssekretärin, wären Sie bereit, uns, der CDU/CSU, die Artikel in ausländischen Zeitungen zuzuleiten, die davon sprechen, daß dieses Urteil für das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland schädlich war,
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Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974 7103
Stücklenund, Frau Staatssekretärin, sind Sie der Meinung, daß sich der Herr Bundeskanzler die Meinung ausländischer Zeitungen zur eigenen Meinung als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland machen darf?
Herr Stücklen, ich bin gern bereit, Ihnen die Zeitungen bzw. die betreffenden Artikel zuleiten zu lassen.
Ich bin der Ansicht, daß gewisse Presseäußerungen selbstverständlich nicht ganz aus der Meinungsentstehung herausgenommen werden. Trotzdem gilt aber, was ich vorhin gesagt habe: daß sich der Herr Bundeskanzler auf die Verfassung verpflichtet fühlt und daß wir in diesem Hause sicherlich gemeinsam eine Politik betreiben werden, die eine Friedens-und Ostpolitik sein wird, wie sie unserem Volke frommt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Friedrich.
Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, daß es erst des massiven Eingreifens und der Teilnahme des CSU-Vorsitzenden Strauß an der Kabinettssitzung bedurft hat, um die Schädlichkeit festzustellen?
Herr Kollege, auch für die Verbreitung dieser Historie haben die Zeitungen gesorgt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Kunz .
Frau Staatssekretärin, sind Sie bitte bereit, Herrn Kollegen Dr. Arndt darauf hinzuweisen, daß es in der Kompetenz des höchsten deutschen Gerichtes selbst liegt, zu entscheiden, welche Gründe die tragenden Gründe sind, und daß es in der Tat noch keinen Fall gab, in dem ein Gericht schrieb, daß alle Gründe tragend sind, und daß demgemäß der Hintergrund und diese Ausführungen des Gerichts in höchstem Maße für sich selbst und für diese Politik sprechen, die Herr Dr. Arndt verteidigen zu müssen glaubt.
Herr Kollege Kunz, Sie wissen, daß es dieses Hinweises nicht bedarf, weil der Herr Kollege Arndt einer der kompetentesten Juristen für diesen Bereich ist.
Eine Zusatzfrage hat der Kollege Dr. Evers.
Frau Staatssekretärin, wären Sie bereit, einzuräumen, daß Sie dem Hohen Hause vorhin eine falsche Auskunft gegeben haben,
als sie erklärten, die Äußerung des Bundeskanzlers Schmidt sei nicht in diesem Hause gefallen?
Dann bitte ich, das als eine läßliche Sünde anzusehen, die ganz zu meinen Ungunsten
— Herr Kollege Stücklen, ich danke für die Hilfe —, zu meinen Lasten geht. Ich werde mich an Hand des Protokolls noch einmal vergewissern, wer recht hat.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Stauffenberg.
Frau Staatssekretärin sind Sie mit mir einer Auffassung, daß es für die Frage, welche Gründe in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts tragend und damit im Sinne der Rechtswirksamkeit entscheidend sind, eher auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als auf die Meinung des Herrn Kollegen Arndt ankommt?
Hier ist entscheidend, was für eine Politik die Bundesregierung durchsetzen kann.
Keine Zusatzfrage mehr.
Ich rufe die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Ist die Bundesregierung und der an ihrer Spitze stehende Bundeskanzler Schmidt ebenfalls der Meinung, daß ein heimtückischer Versuch eines kalten Staatsstreichs zurückgeschlagen worden sei?
Bitte, Frau Staatssekretärin!
Herr Kollege Niegel, die Bundesregierung sieht keinen Anlaß, zu den in der gestrigen Plenarsitzung gegebenen Erklärungen einen Nachtusch zu liefern, zumal den Ausführungen des Vorsitzenden der SPD-Fraktion nichts hinzuzufügen ist.Im übrigen weist die Bundesregierung darauf hin, daß die gestern von Herrn Professor Carstens und heute von Herrn Kollegen Niegel apostrophierte
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7104 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974
Parl. Staatssekretär Frau SchleiWendung „kalter Staatsstreich" am 27. April 1972 vom Vorsitzenden der CSU, Herrn Dr. Franz Josef Strauß, in einer Kolumne der „Münchner Abendzeitung" in den politischen Sprachschatz eingeführt worden ist.
Herr Dr. Strauß hat damals die absurde Behauptung aufgestellt, der Normalisierungs- und Gewaltverzichtsvertrag mit der UdSSR vom 12. August 1970 stelle einen kalten Staatsstreich der Bundesregierung dar.
Herr Kollege Niegel, seitdem sitzen Sie im Glashaus, und nachdem Sie das Glashaus mit eigenen Steinen beworfen haben, sitzen Sie jetzt im Freien, d. h. im Kalten.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Niegel!
Frau Staatssekretärin, hält es der Bundeskanzler für angemessen, seine Regierung weiter auf einen Fraktionsvorsitzenden zu stützen, der bewußt in dieser Form von einem kalten Staatsstreich sprach, und sind die Bundesregierung und Ihr Bundeskanzler der Meinung,
daß Herr Wehner aus der Zeit vor 1933 als kommunistischer Funktionär Erfahrungen auf diesem Gebiet hat?
Präsident 'Frau Renger: Ich glaube, daß das nicht in ganz engem Sachzusammenhang mit der Hauptfrage steht. Würden Sie sich das noch einmal überlegen?
Frau Staatssekretärin, bitte!
Herr Kollege, zwei Vorsitzende haben den gleichen Ausdruck gebraucht. Ich weiß nicht, weshalb jetzt der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der SPD hier härter bewertet werden soll als Ihr eigener Vorsitzender. Das geht nach dem Gesetz der Mengenlehre nicht und auch nicht nach sonstigen Berechnungstheorien.
Eine Zusatzfrage, Kollege Friedrich, bitte!
Frau Staatssekretärin, muß man, da sich die Union nicht von der damaligen Staatsstreicherklärung des CSU-Vorsitzenden Strauß distanziert hat, nicht davon ausgehen, daß die Erklärung des Fraktionsvorsitzenden Carstens gestern hier eine höchst vordergründige, geheuchelte Erklärung mit dem Ziel war, dem Vertrauensmännergremium fernzubleiben, um mit dem Argument, man sei nicht informiert, künftig besser Verdächtigungen produzieren und verbreiten zu können?
Herr Kollege, wir haben gestern diesen Teil der Debatte gehört und bewertet. Wir wissen auch, daß wir jetzt Wahlkampfzeit haben, in der manche Dinge vielleicht schärfer formuliert werden, als das sonst hier im Hohen Hause üblich ist. Ich empfehle für beide Seiten des Hauses, für das Vergangene und das jetzt Aktuelle das zu benutzen, was für den fairen Umgang miteinander förderlich wäre: daß gewisse Dinge auch einmal geschluckt werden.
Zusatzfrage, Herr Kollege Reddemann!
Frau Staatssekretärin, nachdem Sie eine frühere Äußerung des Herrn Kollegen Strauß im Zusammenhang mit dem Begriff „kalter Staatsstreich" als absurd bezeichnet haben, frage ich: Könnten Sie sich vielleicht dazu aufraffen, im Namen der Bundesregierung die Erklärung abzugeben, daß dann die Erklärung des Herrn Wehner ebenfalls absurd war?
Über die Formen von Absurdität läßt sich diskutieren. Im Augenblick kann ich aber keine Erklärung für den selber redegewandten Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion abgeben; er hat das ja gestern getan.
Moment, Moment, Herr Reddemann! — Zusatzfrage, Herr Kollege Mertes.
Frau Staatssekretär, könnten Sie Verständnis für meine Haltung aufbringen, daß ich der Bundesregierung nicht das Recht einräume, über Mitglieder dieses Hauses ein Urteil abzugeben?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974 7105
Herr Kollege, ich versuchte, 'das mit anderen Worten zum Ausdruck zu bringen. Ich denke, an dieser guten Tradition sollten wir weiter festhalten.
Zusatzfrage, Dr. Evers, bitte!
Frau Staatssekretärin, rechnen Sie zu den Bemerkungen, die nach Ihrer Ansicht geschluckt werden müßten, auch den Zuruf des Fraktionsvorsitzenden der SPD an einen CDU-Abgeordneten: „Sie sind ein Schwein"?
Herr Dr. Evers, das hat doch mit dieser Diskussion hier nun wirklich nichts zu tun. Wir können doch in dieser Form hier keine Fragestunde behandeln.
Ich kann diese Frage nicht zulassen.
— Ich kann diese Frage nicht zulassen. — Keine weiteren Zusatzfragen?
Die Frage 20 wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet; die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frau Staatssekretärin, wir danken Ihnen für Ihre Informationen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Der Herr Bundesminister des Innern steht zur Beantwortung der Fragen bereit.
Frage 46 des Herrn Abgeordneten Dr. Vohrer — er ist nicht anwesend — wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 47 des Herrn Abgeordneten Dr. Emmerlich auf. — Er ist ebenfalls nicht anwesend; auch diese Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 48 und 49 des Herrn Abgeordneten Schröder werden auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 50 des Herrn Abgeordneten Mende auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, in wieviel Betrieben und Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland bereits Sporteinrichtungen vorhanden sind?
Bitte, Herr Bundesminister.
Gestatten Sie, Frau Präsidentin, daß ich beide Fragen, 50 und 51, des Herrn Abgeordneten Wende zusammen beantworte?
Ich muß den Herrn Fragesteller fragen, ob er damit einverstanden ist. — Dann rufe ich auch Frage 51 auf:
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, die Betriebe, Unternehmen und öffentlichen Arbeitgeber zu ermuntern, im Interesse der Arbeitnehmer mehr noch als bisher den Bau von angemessenen Sporteinrichtungen zu fördern?
Bitte schön, Herr Bundesminister.
Die Bundesregierung sieht den Sport im Betrieb als ein wichtiges Mittel für die Erhaltung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit des arbeitenden Menschen an. Sie ist deshalb grundsätzlich bereit, Bemühungen auf diesem Gebiet im Rahmen ihrer Zuständigkeit zu unterstützen. Hierbei verkennt die Bundesregierung nicht, daß der Sport im Betrieb in erster Linie von den Betrieben in Übereinstimmung mit den Empfehlungen oder Vereinbarungen der Sozialpartner organisiert und getragen werden muß.Im Rahmen eines von der Bundesregierung geförderten Forschungsvorhabens „Bewegungspause am Arbeitsplatz" und eines weiteren Forschungsprojektes zum Thema „Sport im Betrieb" sind Erhebungen zu der Frage angestellt worden: „Gibt es irgendwelche Sporteinrichtungen in Ihrem Betrieb?" Dem Ergebnis der bisherigen Erhebungen ist zu entnehmen, daß in etwa 60 % der Betriebe und Unternehmen Sporteinrichtungen vorhanden sind. Diese vorläufige Zahl steht unter dem Vorbehalt, daß die Forschungsvorhaben noch nicht abgeschlossen werden.Die Bundesregierung prüft derzeit, ob im Rahmen der Arbeitsstättenzählung oder anderer statistischer Erhebungen des Statistischen Bundesamtes die Möglichkeit besteht, zu genaueren Zahlen, insbesondere auch über Art und Größe betrieblicher Sporteinrichtungen, zu gelangen. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Thematik ist die Bundesregierung darüber hinaus bereit, Modellversuche einschließlich wissenschaftlicher Begleitung, die von Bundeszentralen Organisationen, etwa dem Deutschen Sportbund, als zentrale Maßnahme durchgeführt werden, zu unterstützen. Daneben fördert die Bundesregierung die bereits genannten Forschungsvorhaben: das Vorhaben „Bewegungspause am Arbeitsplatz", das vom Bund Deutscher Betriebssportverbände e. V. durchgeführt wird, sowie das Forschungsprojekt der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg zum Thema „Sport im Betrieb". Zu beiden Forschungsvorhaben liegen erste Berichte vor.Ich bin gerne bereit, nach Abschluß der Forschungsberichte diese Ergebnisse dem Hause vorzulegen und den zuständigen Organisationen mit den sich aus den Projekten ergebenden Anregungen zuzuleiten.
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7106 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974
Zusatzfrage, Herr Kollege?
— Zu beiden Fragen keine Zusatzfragen; ich bedanke mich.
— Ja, ich wollte nur ganz schnell den Herrn Bundesminister informieren.
Herr Bundesminister, wir sollten die Fragen 9 und 10, die in einem Sachzusammenhang mit den Fragen zum Bundeskanzleramt stehen, vorziehen, wie wir es angekündigt hatten.
Meine Damen und Herren, ich rufe die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Gerlach auf:
Trifft es zu, daß Bundesminister Genscher Bundeskanzler Brandt am 29. Mai 1973 den Spionageverdacht gegen Guillaume mitgeteilt hat, und welche weiteren Personen im Bundeskanzleramt sind wann amtlich über den Spionageverdacht unterrichtet worden?
Bitte, Herr Bundesminister!
Wie dem parlamentarischen Vertrauensmännergremium bereits mitgeteilt worden ist, hat' der damalige Bundesinnenminister am 29. Mai 1973 den Bundeskanzler über die vom Bundesamt für Verfassungsschutz mitgeteilten Verdachtsmomente gegen Guillaume unterrichtet. Der Herr Bundeskanzler hat daraufhin den Chef des Bundeskanzleramts und den Leiter des Kanzlerbüros informiert.
Eine Zusatzfrage zu diesem Punkt? — Bitte schön, Herr Kollege!
Herr Bundesminister, wie ist es dann zu erklären, daß die Auswahl der unterrichteten Personen offensichtlich so lückenhaft war, daß es insbesondere während des Kanzlerbesuchs in Norwegen zu den aufgetretenen Pannen kommen konnte?
Herr Bundesminister!
Sie wissen, daß es den Grundsätzen der Verschlußsachenanweisung für die Bundesbehörden und den dementsprechenden fachlichen Ratschlägen in solchen Fällen entspricht, den Kreis der Unterrichteten jeweils so klein wie irgend möglich zu halten. Wie groß der Kreis danach gehalten worden ist, ergibt sich aus meiner ersten Antwort.
Herr Abgeordneter, ein kurzer Hinweis: Die Fragestunde ist gleich abgelaufen. Wenn Sie sich bei Ihren Zusatzfragen kurzfassen, könnten beide Fragen noch beantwortet werden. Könnten Sie vielleicht auf eine Zusatzfrage verzichten? — Ich bedanke mich.
Ich rufe dann Ihre Frage 10 auf, Herr Abgeordneter Gerlach:
Sind, als Bundeskanzler Brandt am 29. Mai 1973 durch Bundesminister Genscher über den gegen Guillaume entstandenen Verdacht der Spionage unterrichtet worden ist, Ratschläge und Empfehlungen für das Verhalten des Bundeskanzlers Brandt und seiner Mitarbeiter im Umgang mit Guillaume gegeben worden, und wie lauten sie?
Bitte, Herr Bundesminister!
Solche Ratschläge und Empfehlungen sind gegeben worden. Darüber ist das parlamentarische Vertrauensmännergremium unterrichtet worden. Den Inhalt dieser Ratschläge und Empfehlungen hier im einzelnen darzulegen, hieße, Mittel und Verfahren der Spionagebekämpfung in solchen Fällen öffentlich bekanntzugeben. Das ist aus Sicherheitsgründen und zudem wegen des schwebenden Verfahrens nicht möglich.
Ich darf zum Komplex Guillaume insgesamt jedoch zugleich daran erinnern, daß mit Beschluß des Bundeskabinetts vom 14. Mai 1974 eine aus unabhängigen Persönlichkeiten bestehende Untersuchungskommission mit dem ausdrücklichen Auftrag eingesetzt wurde, alle im Zusammenhang mit dem Fall Guillaume aufgetretenen Fragen des vorbeugenden Geheimschutzes zu prüfen, eine Wertung vorzunehmen sowie Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten. Ich bin überzeugt, daß dort alle aus Ihren Fragen sprechenden Zweifel an einer sachgemäßen Behandlung des Falls Guillaume geklärt werden.
Eine Zusatzfrage.
Nach den eingetretenen Pannen darf ich fragen, ob die Betroffenen die Empfehlungen auch befolgt haben, und ich darf weiter fragen, ob Konsequenzen aus dieser Spionagetätigkeit insofern gezogen werden, als jetzt schon Empfehlungen eingehalten werden müssen.
Herr Abgeordneter, ich darf unter ausdrücklicher Anknüpfung an die Antwort meiner Kollegin noch einmal daran erinnern, daß zum einen diese Vorgänge Gegenstand der Ermittlungsverfahren sind, die eingeleitet sind, und daß zum anderen — auch ich habe das mehrfach erklärt — jede Bereitschaft von seiten der Bundesregierung besteht, über Einzelheiten dieser Vorgänge auch zuvor schon im Vertrauensmännergremium zu sprechen. Es ist aber völlig unangebracht und unmöglich, daß wir während eines schwebenden Verfahrens über ,die Einzelheiten dieser Vorgänge öffentlich hier berichten.
Meine Damen und Herren, die Fragestunde ist abgelaufen. Ich kann keine weiteren Fragen mehr zulassen. — Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.Die Fragen A 34, 35, 36, 37, 38, 65, 66, B 32, 33 und 45 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Die anderen Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen zum Stenographischen Bericht abgedruckt.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974 7107
Präsident Frau RengerIch rufe nunmehr Punkt 2 unserer heutigen Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU betr. Einsetzung eines Untersuchungsausschusses— Drucksache 7/2193 —Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Vogel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die CDU/CSU-Fraktion habe ich den von meiner Fraktion vorgelegten Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses — Drucksache 7/2193 — zu begründen.Dieser Antrag hat freundlicherweise schon vorweg die Kritik des Herrn Kollegen Hirsch gefunden. Herr Kollege Hirsch, der von uns gestellte Antrag ist nur für den unverständlich, der nicht sieht oder nicht sehen will, daß die Bundesregierung vom Tage der Festnahme des Spions Guillaume, dem 25. April 1974, bis heute Verantwortlichkeiten systematisch zu verschleiern versucht hat.
Ich brauche hier nur auf die widersprüchlichen Erklärungen zur Verantwortlichkeit für die liederliche Sicherheitsüberprüfung des Herrn Guillaume vom 28. und 30. April, 1. Mai, 2. Mai und 6. Mai dieses Jahres hinzuweisen. Sie sind ein Musterbeispiel dafür, wie man mit parlamentarischen Gremien und mit der Nachrichtengebung gegenüber der Öffentlichkeit nicht umgehen sollte.Das eindrucksvollste Musterbeispiel ist die Behandlung des Themas in der heutigen Fragestunde.
Es gibt niemanden in unserer Fraktion, der nichtMitgefühl mit der Frau Kollegin Schlei gehabt hat.
Es gibt aber auch niemanden, der Verständnis aufgebracht hätte für das Verhalten des Bundeskanzlers in dieser Fragestunde.
Der Bundeskanzler war heute nicht nur ein schlechter Kavalier, meine Damen und Herren, er hat einen schlechten Stil demonstriert. Wir sind der Auffassung, daß das jedenfalls mit der Würde des Parlaments nicht mehr zu vereinbaren ist.
Wir halten es für die Pflicht des Parlaments, dafür zu sorgen, daß der. Fall Guillaume nicht mit Schweigen zugedeckt wird, nicht mit dem Schweigen unnötiger und unangemessener Vertraulichkeit und schon gar nicht mit dem Schweigen schlichten Vergessens, auch wenn manche amtierenden und ehemaligen Minister und Staatssekretäre, ein Fraktionsvorsitzender und einige hohe Beamte das noch so sehr wünschen. Genauso wenig werden wir uns von redseligen Beamten, denen der „Spiegel" so recht ist wie die Nationalzeitung, auf Nebenkriegsschauplätze ablenken lassen.
Allerdings wird zu gegebener Zeit über solche Leute zu sprechen sein.Die Fehler, Nachlässigkeiten, Ungereimtheiten, Widersprüche und Unwahrheiten, die diesem Hause und der Öffentlichkeit von Mitgliedern der Regierung Brandt/Scheel zugemutet worden sind, müssen von diesem Parlament selbst aufgeklärt werden.
Diese Aufgabe können wir uns nicht ausgerechnet von der derzeitigen Bundesregierung abnehmen lassen, die es für richtig hält, den Unzulänglichkeiten bei der Ausführung ihrer eigenen Richtlinien zur Sicherheitsüberprüfung ihrer Bediensteten durch Einsetzung einer eigenen Kommission nachzugeben. Mag sie das tun! Nur sind wir nicht bereit, uns die eigene Verantwortung und Kompetenz von der Regierung abnehmen zu lassen und ihre Untersuchungsausschuß-Verhinderungskommission als solche zu akzeptieren.
Das parlamentarische Vertrauensmännergremium ist kein geeignetes Instrument, um das Zwielicht aufzuklären, in das Nachrichtendienste und ihre zeitweiligen obersten Dienstherren leider geraten sind. Das Vertrauensmännergremium ist kein Ausschuß des Parlaments, auch wenn ihm neuerdings ein Parlamentarier und nicht mehr die Bundesregierung vorsitzt. Eigene Untersuchungsbefugnisse fehlen. Es ist ganz auf freiwillige, ehrliche und offene Kooperation der Bundesregierung und aller Fraktionen angewiesen. Im Fall Guillaume hat sich dieses Gremium bis jetzt als untauglich erwiesen. Leider ist das Vertrauensmännergremium so, wie die Dinge liegen, kein auf der Basis des Vertrauens arbeitendes Gremium.
Die unverzeihlichen Fehler und Versäumnisse in dieser Affäre sind vor diesem Gremium und — das muß hier in aller Deutlichkeit gesagt werden — im Zusammenwirken mit Mitgliedern dieses Gremiums heruntergespielt und beschönigt worden.
Wir von der Opposition haben nicht die Absicht, in das beim Generalbundesanwalt schwebende Ermittlungsverfahren gegen Guillaume einzugreifen oder es etwa zu behindern. Wir hoffen sehr, daß er seine Ermittlungen ungestört vollenden kann, auch ungestört von Zweckgerüchten, aus Guillaume sei nichts herauszubekommen. Aber auch hier hat das Parlament das Recht und die Pflicht, sich um die volle Wahrheit zu kümmern.
Wir wissen, daß es in diesem Land und in diesem Haus Leute gibt, in deren Weltbild der Verlust der politischen Macht durch eigenes Versagen keinen Platz hat.
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7108 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974
Vogel
Bei Ihnen sind immer die anderen schuld. Notfalls muß die Theorie vom „kalten Staatsstreich" herhalten. Wir wissen auch, daß diese Leute das größte Interesse daran haben, ihr Versagen im Falle Guillaume dem Dunkel der Vergessenheit anheimfallen zu lassen. Aber wir werden nicht zulassen, daß in dieser Affäre die Unzulänglichkeiten der Sicherheitsüberprüfung und die Motive dafür aus der Öffentlichkeit verdrängt werden.Natürlich stellt sich die Frage — sie ist ja schon wieder aufgeworfen worden —: Was kann bei diesem Untersuchungsausschuß herauskommen? Das Instrument Untersuchungsausschuß ist sicherlich nicht vollkommen. Wer wüßte das besser als wir! Wir haben bittere Erfahrungen aus dem Steiner/ Wienand-Ausschuß, die noch nicht vergessen sind. Das kann uns als Opposition aber nicht dazu bringen, auf dieses Instrument einfach zu verzichten.Daß wir der Regierung und der Koalition mit unserem Antrag unbequem sind, wissen wir. Offensichtlich haben wir den wunden Punkt getroffen.
— Wir werden es sehen, Herr Kollege Schäfer. — Man komme uns nicht mit dem Vorwurf — wie es schon geschehen ist —, wir zerstörten mit unserer Forderung auf Untersuchung der im Gefolge der Entlarvung Guillaumes sichtbar gewordenen Fahrlässigkeiten und Unzulänglichkeiten die 'Grundlagen des demokratischen Staats! Es ist das legitime Recht der Opposition, eines der wenigen Minderheiten-rechte, die im Grundgesetz verankert sind, wahrzunehmen. Das gilt besonders dann, wenn es der Regierung eben nicht in ihr Konzept paßt; denn wichtigste Aufgabe eines Untersuchungsausschusses wird es immer sein, wichtige Tatbestände, insbesondere Mißstände aus allen Gebieten des öffentlichen Lebens, zu prüfen und der parlamentarischen Diskussion zugänglich zu machen, vor allem aber die Verantwortung für sie festzustellen. — Diesen Satz verdanke ich dem Kollegen Professor Schäfer. Ich hoffe, daß Sie, meine Damen und 'Herren der Koalition, ihm folgen. Ich hoffe, daß alle Fraktionen dieses Hauses es als ihre Aufgabe ansehen, an der notwendigen Aufklärung mitzuwirken. Auch die gesamte Öffentlichkeit könnte und sollte das tun, nicht als Büchsenspanner für den einen oder anderen Beteiligten, sondern als Helfer bei 'der Wahrheitssuche.
Meine Damen und Herren der SPD-Fraktion, mit großem Interesse haben wir zur Kenntnis genommen, daß Sie sich der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses nicht widersetzen wollen. Das ist das Beste, was Sie tun können; denn Sie wissen ebensogut wie wir, daß Sie den Ausschuß nicht verhindern können. Um das festzustellen, genügt ein Blick in' das Grundgesetz.Wir können Ihnen auch nachfühlen, daß Sie einen Untersuchungsausschuß für wenig sinnvoll halten. Sie möchten, wofür wir Verständnis haben, schamhaft und nachsichtig mit einem breiten Mantel zudecken, was wir im Interesse der Ordnung undSicherheit unseres demokratischen Staates klären und dann in Ordnung bringen möchten.
Das wird uns nicht hindern, unsere Pflicht zu tun, und noch hoffen wir, daß es auch Ihnen gelingt, über Ihren eigenen Schatten zu springen und tatkräftig an der Aufklärung mitzuwirken.
Sie haben die Begründung gehört. Ich eröffne die Debatte. 'Das Wort hat der Abgeordnete Metzger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion hat bereits in der Plenarsitzung am 26. April 1974 durch ihren Vorsitzenden die volle Aufklärung des Spionagefalls Guillaume gefordert. Herbert Wehner hat von der Übereinstimmung gegenüber den zuständigen Stellen gesprochen, den klaren Willen des Parlaments zum Ausdruck zu bringen, daß rücksichtslos alles das ermittelt wird, was mit 'diesem Vorgang zusammenhängt und strafbar ist. An dieser klaren Haltung der SPD-Bundestagsfraktion hat sich nichts geändert.Das Recht und die Pflicht des Bundestages, Herr Kollege Vogel, im Grundgesetz festgelegt, auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, sind 'unbestritten. Gleichwohl gibt es berechtigte Zweifel — hier im Parlament und draußen in der Öffentlichkeit —, ob ein Untersuchungsausschuß in seiner jetzigen Konstruktion und mit den gegenwärtig zur Verfügung stehenden Mitteln geeignet ist, eine umfassende Aufklärung im Sinne des vorgelegten Beweisthemas zu gewährleisten.Diese Zweifel wurden auch bestätigt durch die vorausgegangene Fragestunde und die Art und Weise, wie sie von der Opposition gestaltet wurde. Das war nicht nur ein Musterbeispiel für schlechten Stil im Parlament, sondern auch ein Beweis dafür, daß die Vertreter der Opposition gewillt sind, ihre begonnene Verleumdungskampagne nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb dieses Parlaments fortzusetzen.
Herr Kollege Vogel, Sie mußten ja einige Klimmzüge machen, um diese Zweifel zu zerstreuen. Sie haben auch auf die leidvollen Erfahrungen des 1. Untersuchungsausschusses dieser laufenden Wahlperiode — von früheren Untersuchungsausschüssen und ihren Ergebnissen will ich hier gar nicht reden — hingewiesen. Nach einer Tätigkeit von zehn Monaten hat der Steiner-Ausschuß seine Arbeit eingestellt,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974 7109
Metzgerohne das Beweisthema auch nur zur Hälfte erledigt zu haben. In dem einstimmig verfaßten Teil des Untersuchungsberichts wird dazu ausgeführt — ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin —:Der Grund hierfür liegt darin, daß nach der übereinstimmenden Ansicht der Mitglieder des Ausschusses die Verfahrensregeln für Untersuchungsausschüsse Mängel aufweisen, die ein ,sachgerechtes Verfahren erheblich komplizieren und erschweren. Es ,erscheint deshalb vordringlich, das parlamentarische Untersuchungsrecht zu verbessern.In dem Bericht wird fortgefahren:Dabei wird es zunächst darum gehen, eine eigenständige Verfahrensordnung für Untersuchungsausschüsse zu schaffen, die den Besonderheiten dieses Verfahrens gerecht wird.Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, der Kollege Dr. Schäfer, hat deshalb auch im Namen aller Ausschußmitglieder den Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen in einem Brief vorgeschlagen, daß im Anschluß an die Auflösung des 1. Untersuchungsausschusses eine interfraktionelle Arbeitsgruppe mit dem Auftrag gebildet wird, den Entwurf eines Gesetzes über die Einsetzung und das Verfahren von Untersuchungsausschüssen zu erarbeiten und dem Bundestag vorzulegen.Noch kritischer hat sich ein Vertreter der Opposition, der Kollege Dr. Lenz, in der Bundestagssitzung vom 27. März dieses Jahres geäußert. Er sprach von einer „weitverbreiteten Wunschvorstellung", nach der „Untersuchungsausschüsse objektive, unparteiische Gremien" sind, „die sich gemeinsam nach besten Kräften bemühen, die Wahrheit herauszufinden." Herr Kollege Dr. Lenz fuhr dann fort: In der Praxis handele es sich bei dem Verfahren vor einem Untersuchungsausschuß um einen Mannschaftswettkampf, bei dem verschiedene Mannschaften gegeneinander angetreten sind.Wie die Öffentlichkeit über den Antrag der Opposition denkt, möchte ich mit einem Zitat aus der „Rheinischen Post" belegen, der man wirklich nicht nachsagen kann, daß sie der SPD nahesteht. Die „Rheinische Post" hat in ihrer gestrigen Ausgabe u. a. ausgeführt:Nach Fibag-, Spiegel- und Steiner/WienandAffäre, die allesamt in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und damit auch wie das bekannte Hornberger Schießen endeten, war bis gestern mittag eine Einsicht allgemeines parlamentarisches Gemeingut: Die Effektivität solcher Ausschüsse müsse überprüft und neu durchdacht werden, ehe sich die Bundestagsfraktionen erneut gegenseitig die Zeit stehlen und vor der Öffentlichkeit ein nichtsnützendes, zermürbendes Spektakulum liefern. Parlamentarische Untersuchungsausschüsse sind eben nicht als parteipolitische Dauerbrenner oder Bonner Sommerfestspiele geeignet.Soweit die „Rheinische Post".Meine Damen und Herren! Trotz dieser schlechten Erfahrungen, trotz der unbefriedigenden Ergebnisse bisheriger Untersuchungsausschüsse, trotz der kritischen Anmerkungen von Vertretern aller Fraktionen konnte die Opposition der Versuchung nicht widerstehen, zwei Monate nach Auflösung des Steiner-Ausschusses die Einsetzung eines zweiten Untersuchungsausschusses zu beantragen. Damit — ich sage das mit allem Nachdruck — wird weder der Sache noch dem Ansehen des Bundestages gedient. Ein Parlament wird unglaubwürdig, wenn es ein Instrument benutzt, von dessen Mangelhaftigkeit es selbst und die Öffentlichkeit überzeugt sind.Diese Folgen sind aber der Opposition offensichtlich gleichgültig. Ihr geht es nicht um eine sachgerechte Behandlung des Falles Guillaume, sondern ausschließlich um die Verfolgung parteipolitischer Ziele.
Hier wird für die Landtagswahl in Niedersachsen am kommenden Sonntag sozusagen in letzter Minute ein Spektakulum inszeniert, das die positiven Ergebnisse der gestern beschlossenen Steuerreform verwischen soll.
Der Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses schadet nicht nur dem Parlament, er ist auch der Sache wenig hilfreich. Da im Falle Guillaume der Verdacht einer strafbaren Handlung vorliegt — darüber sind wir uns alle in diesem Hause einig —, ist nach unserer Rechtsordnung die Bundesanwaltschaft mit den Ermittlungen befaßt. Sie erstrecken sich auf einen großen Teil der Fragen, die in dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion enthalten sind. Reichen die Beweise aus — nach den bisherigen Erklärungen von Generalbundesanwalt Buback kann man davon ausgehen —, wird Anklage erhoben; und ein unabhängiges Gericht wird die Vorgänge prüfen. Ich bin im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Vogel, überzeugt davon, daß die Arbeit des Untersuchungsausschusses den Ermittlungen der Bundesanwaltschaft nicht förderlich sein wird. Auch hierfür gibt es aus der Vergangenheit Beispiele.
— Nein, das hängt nicht von denen ab.
Darüber hinaus hat die Bundesregierung eine Sachverständigenkommission eingesetzt, der mit Professor Eschenburg, den Staatssekretären a. D. Birkholtz, Maassen und Mercker unabhängige Persönlichkeiten angehören,
die hinsichtlich ihrer fachlichen Eignung und ihrerpersönlichen Integrität über jeden Zweifel erhaben
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7110 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974
Metzgersind. — Aber ich stelle dann die Frage an Sie, Herr Kollege Carstens, warum denn die Ergebnisse der bisherigen Kommissionen nicht veröffentlicht und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind.
Das sind nämlich Kommissionen, die in einer Zeit eingesetzt wurden, als Sie noch der Bundesregierung angehörten.
Die Kommission hat den Auftrag, alle im Zusammenhang mit dem Fall Guillaume aufgetretenen Fragen des vorbeugenden Geheimschutzes zu prüfen, eine Wertung vorzunehmen sowie Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten.Bei ihrer Arbeit kann sich diese Kommission auf die bereits erwähnten Berichte stützen. Ich denke z. B. an die Berichte der Hirsch-Kommission und der Mercker-Kommission, die im Auftrage früherer Regierungen erstattet wurden und bisher der Öffentlichkeit nicht bekannt sind.
— Wir können uns ja darüber unterhalten. Wir werden im Untersuchungsausschuß die Möglichkeit haben, uns darüber zu unterhalten, ob und was von diesen Berichten zu veröffentlichen ist. Da wollen wir mal Ihre Haltung zu diesen Vorschlägen hören und kennenlernen.
Es ist auch unwahr, wenn der Kollege Vogel davon spricht, daß die Bundesregierung den Fall Guillaume systematisch verschleiert.Schließlich steht dem Parlament das Vertrauensmännergremium zur Verfügung, das zur Aufklärung solcher Vorgänge geschaffen wurde, bei denen die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik berührt werden und das sich in der Vergangenheit bei vergleichbaren Fällen bewährt hat. Während ein Untersuchungsausschuß — das ist in unserem Grundgesetz, Herr Kollege Vogel, ebenfalls festgelegt — grundsätzlich öffentlich tagt und nur in begründeten Ausnahmefällen Vertraulichkeit beschließt, ist es Aufgabe des Vertrauensmännergremiums, gerade solche Fragen aufzuklären, die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik berühren und die Gegenstand des Antrags der Opposition sind.
Daß dieses Vertrauensmännergremium zur Zeitnicht arbeiten kann, liegt nur daran, daß es derVorsitzende der CDU/CSU-Fraktion aus fadenscheinigen Gründen ablehnt, an den Sitzungen dieses Gremiums teilzunehmen.
Wie sehr es der Opposition um parteipolitische Interessen geht, ergibt sich auch aus folgendem: Die 17 Fragen, die der Bundesregierung in dieser Woche zu diesem Fragenkomplex vorgelegt wurden, befassen sich genau mit dem gleichen Thema, das auch Gegenstand des Untersuchungsverfahrens des Untersuchungsausschusses sein soll.
Ohne die Antworten auf diese Fragen überhaupt abzuwarten, wurde der Antrag auf Einsetzung des Untersuchungsausschusses am Dienstag dieser Woche angekündigt und gestern dem Parlament vorgelegt. Das Ziel ist klar: letztes Stimulans für den Wahlkampf in Niedersachsen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird der Einsetzung des Untersuchungsausschusses nicht widersprechen. Sie wird die Arbeit des Ausschusses in jeder geeigneten Weise fördern, um im Rahmen des Möglichen zur Aufklärung des Beweisthemas beizutragen. Da der Wortlaut des Beweisthemas erst gestern bekannt wurde, behält sich die SPD-Fraktion vor, nach eingehender Prüfung das Beweisthema in geeigneter Weise zu ergänzen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stücklen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Metzger, ich weise mit allem Nachdruck und mit aller Schärfe Ihre erneut vorgebrachten Verdächtigungen, die Sie sich anscheinend von Ihrem Herrn und Meister abgeguckt haben, bezüglich der Verleumdungskampagne zurück.
Ich weise auch hier nochmals zurück, daß irgendein Zusammenhang zwischen der beabsichtigten Veröffentlichung in „Capital" und irgendeinem Vertreter der CDU/CSU
— sei es in den Parteien, sei es in der Fraktion — hergestellt wird.
Herr Kollege Stücklen, gestatten Sie eine Zwischenfrage.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974 7111
Ich habe noch einen Satz!
Die in diesem Zusammenhang vorgebrachte KalterStaatsstreich-Theorie des Herrn Wehner
ist nur der Ausdruck seines schlechten Gewissens, das er auch in der Frage der Behandlung des Falles Guillaume hat.
Vizepräsident 'Frau Funcke: Herr Kollege, gestatten Sie nun die Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Conradi?
Selbstverständlich!
Herr Kollege Stücklen, können Sie hier verbindlich erklären, daß vor dem Vorabdruck in „Capital" kein Mitglied Ihrer Landesgruppe Kenntnis von der angeblichen CIA-Studie hatte, auf die sich „Capital" dann bezogen hat?
Herr Kollege, soweit —
— Moment, Moment! Soweit ich informiert bin,
kann ich diese verbindliche Erklärung abgeben.
Das, was Sie von der SPD versuchen, ist, vom tatsächlichen Zusammenhang mit dem größten Spionagefall dieser Bundesrepublik abzulenken. Das ist das Manöver, das hier durchgeführt wird!
Herr Kollege Metzger hat davon gesprochen, das Vertrauensmännergremium könne deshalb nicht mehr tagen, weil Sie, Herr Carstens, in vollem Einverständnis mit der Gesamtfraktion der CDU/CSU erklärt haben, daß wir, solange dieser ungeheuerliche Vorwurf des Kollegen Wehner besteht, nicht bereit sind,
an einer solchen Sitzung teilzunehmen, wenn Herr Wehner den Vorsitz hat. — Dieser Entschluß ist ja nicht älter als drei Tage. Herr Kollege Wehner, ich mache Ihnen auch gar keinen Vorwurf —
in diesem Vertrauensmännergremium mußte ohnedies nur das mühsame Handwerk getan werden —, daß Sie keine Sitzung mehr einberufen haben. Hier solche Unterstellungen zu bringen, wir hätten an den Sitzungen bisher nicht teilgenommen, das ist,
Herr Kollege Metzger, völlig unbegründet, entspricht nicht der Wahrheit und dient keinesfalls unserer gemeinsamen Aufgabe, diese Frage mit aller Gründlichkeit zu klären.
Nun zum Vertrauensmännergremium schlechthin. Für normale Informationen und routinemäßige Unterrichtungen ist dieses Vertrauensmännergremium durchaus brauchbar. Aber dieses Vertrauensmännergremium ist nicht ausreichend — das hat sich erwiesen, und ich sage Ihnen auch noch die Gründe dafür , wenn ein Spionagefall in seinem Kausalzusammenhang, der die gesamten Nachrichtendienste und die Verantwortlichkeit der Bundesregierung mit einschließt, behandelt werden soll. Hier reicht dieses Vertrauensmännergremium nicht aus.
Deshalb bin ich der Meinung, daß wir trotz der Mängel, die unsere Untersuchungsausschüsse haben, von denen wir wissen, daß sie durch die Mehrheit — auch durch die einseitige Handhabung der Mehrheit — nun nicht immer zu dem Ergebnis geführt haben, das wir uns alle gewünscht hätten,
auf diesen Untersuchungsausschuß nicht verzichten können.
Ich würde vorschlagen, daß wir möglichst bald zu einem Ausschuß kommen, der auch, Herr Innenminister, in der Hirsch-Kommission schon behandelt worden ist, wozu auch, glaube ich, im Mercker-Bericht etwas vorliegt. Ich meine, daß dieser Ausschuß die Rechte nach Art. 45 a Abs. 2 haben sollte. Dieser ständige Ausschuß sollte auch das Recht haben, sich zu einem Untersuchungsausschuß zu erklären, wenn ein bestimmter Teil von ihm dies wünscht.
Herr Kollege Stücklen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schäfer?
Ja, selbstverständlich!
Herr Stücklen, haben Sie sich einmal die Mühe gemacht, in dem Zwischenbericht der Enquete-Kommission über Fragen der Verfassungsreform nachzulesen? Dort ist man erst vor zwei Jahren von allen Seiten zu der Auffassung gekommen, dem Vorschlag aus der Hirsch-Kommission aus wohlerwogenen Gründen, die dort dargelegt sind, nicht zu folgen.
Dieser Bericht der Enquete-Kommission ist sicherlich außerordentlich wertvoll und von hervorragenden Verfassungsrechtlern verfaßt, aber gewiß nicht nach den politischen Gesichtspunkten erstellt worden,
nach denen dieses Parlament zu handeln und zu entscheiden hat. Deshalb möchten wir uns vorbehalten, trotz Enquete-Kommission diese Frage in dieser Richtung ernsthaft zu prüfen.
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7112 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974
StücklenMeine sehr verehrten Damen und Herren, der größte Mangel des heutigen Vertrauensmännergremiums liegt darin, daß dieses nicht die Möglichkeit und das Recht hat, die zu vernehmenden Personen in den Zeugenstand zu rufen und sie unter eidlicher Aussage zu verpflichten. Das scheint mir gerade nach dem, was wir in diesem Vertrauensmännergremium erlebt haben, von ganz besonderer Bedeutung zu sein.Herr Kollege Metzger, mit parteipolitischem Spektakulum hat das nichts zu tun, wenn Sie dies auch behaupten.
Aber ich weiß, daß man im Haus eines Erhängten nicht vom Strick reden soll, und da Sie gestern mit der Steuerreform ein parteipolitisches Spektakulum, gezielt auf den 9. Juni in Niedersachsen, vorexerziert haben,
glauben Sie, daß alle in der gleichen Hecke sitzen müssen, in der Sie sitzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt in der Tat Geheimes in diesem Vertrauensmännergremium, aber das allermeiste ist nicht geheim, und die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, auch informiert zu werden. Was in der ersten Sitzung des Vertrauensmännergremiums am 25. April versucht worden ist, das war doch das Herunterspielen der Bedeutung des Guillaume. Da wurde uns gesagt, er hätte den Terminkalender für die Partei und für die Gewerkschaften geführt
und den Bundeskanzler bei seinen Reisen begleitet, die er nach Hannover oder irgend wohin gemacht hat,
und die Tasche getragen usw., bis wir dahintergekommen sind und uns die Auskunft gegeben werden mußte, daß für diese untergeordnete Tätigkeit dieser Mann 4 500 DM im Monat bezogen hat.
Meine Damen und Herren, das mußten wir erst einmal mühsam aus den Nasen ziehen.Glauben Sie, daß Sie auf eine einfache, schlichte Frage, die nicht einmal von einem Vertreter der CDU/CSU, sondern vom Herrn Kollegen Wehner gestellt worden ist: „Wer hat denn den Guillaume da empfohlen?", eine Antwort bekommen hätten? Glauben Sie das?
Wir kamen aus dem Vertrauensmännergremiumrüber in den Bundestag; da kamen uns Journalistenentgegen und sagten, der Schorsch Leber und der Herr Ehrenberg hätten ihn empfohlen. Dann wurde uns bei der nächsten oder übernächsten Sitzung auch der Brief von Georg Leber vorgelesen, worin er ihn empfohlen hat. Ich mache ihm nicht den geringsten Vorwurf, denn der Georg Leber hat den Guillaume kennengelernt als Parteigenossen, als sehr fleißigen, vielleicht auch begabten Mann der Partei,
und man kann keinem Menschen einen Vorwurf machen, wenn er aus diesen einfachen Erkenntnissen heraus jemanden auch für höhere Aufgaben empfiehlt.
Also kein Vorwurf! Aber allein deswegen, daß versucht wurde, uns diese Tatsache nicht darzulegen, muß man sich schon wundern, für wie simpel, einfach und schlicht man geglaubt hat, über diesen schweren Spionagefall hinwegzukommen.Der Herr Präsident des Bundesverfassungsschutzamtes sitzt als Auskunftsperson da. Auf die Frage: Herr Nollau, wo haben Sie Ihre Akten? hat er gesagt, die habe er nicht dabei.
Das sind alles keine Geheimnisse, die ich hier erzähle.Ich darf jetzt einen Zwischensatz einfügen. Jedem von uns, jeder Organisation und Dienststelle kann es passieren, daß ein Spion eingeschleust wird. Entscheidend ist nur, ob man bei der Einstellung alles getan hat, um zu prüfen, ob damit ein Sicherheitsrisiko verbunden ist oder nicht. Wenn es sich um die Beschäftigung im Bundeskanzleramt, später sogar im Bundeskanzlerbüro handelt, dann kann man eben nicht leichtfertig handeln. Das hat überhaupt nichts damit zu tun, ob jemand in der DDR — in Sachsen oder in Thüringen — geboren ist, ob er zwei, drei, fünf oder acht Jahre später zu uns gekommen ist; sondern entscheidend ist nur, ob mit aller Gewissenhaftigkeit geprüft worden ist und ob das Sicherheitsrisiko auch ernsthaft mit in die Waagschale gelegt worden ist.Wir haben gefragt: Hat es ein Sicherheitsrisiko, hat es Erkenntnisse irgendwelcher Art bei der Einstellung des Herrn Guillaume gegeben? Man hat das verneint. Man hat uns die zwei Aktenvermerke aus dem Personalakt des Guillaume vorgelesen. Der Herr Schlichter hat den Personalakt dabeigehabt. Es ist geprüft worden auf geheim, streng geheim; Erkenntnisse bezüglich eines Sicherheitsrisikos habe es nicht gegeben.Wenige Tage später, erfahren wir aus der Presse — aus der Presse, meine Damen und Herren! —, daß der Bundesnachrichtendienst gewarnt, daß er darauf hingewiesen hat — Bundesamt für Verfassungsschutz, über Landesamt für Verfassungsschutz Berlin, über den „Unterausschuß Freiheitlicher Juristen" —, daß Guillaume aus dem Verlag „Volk und Wissen" kommt und daß hier Bedenken bestehen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974 7113
StücklenDie Bedenken sind auch geäußert worden. Man hat sich einfach darüber hinweggesetzt.Wenn es gutgegangen wäre, Herr Kollege Ehmke, wäre es in Ordnung gewesen. So ist es schiefgegangen, und deshalb bleibt zu untersuchen, ob hier mit ausreichender Gewissenhaftigkeit geprüft worden ist oder ob man die Sicherheitsprüfungen deshalb leichter genommen hat, weil es sich um einen guten, zuverlässigen Parteigenossen der SPD gehandelt hat. Das ist das, was geprüft werden muß.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Herrn Abgeordneten Ehmke?
Bitte schön.
Herr Kollege Stücklen, wir stimmen ja völlig darin überein, daß das alles sorgfältig geprüft werden soll. Aber wie sollen wir Ihren guten Willen jetzt glauben, wenn Sie hier wieder zwei Verdrehungen machen?
Das erste ist: Aus dem Vermerk des Verfassungsschutzamtes wissen Sie doch, daß sich aus dem, was man Ihnen vorgelesen hat, ergab
— das ist meine Frage; ich frage ja, ob das richtig ist, das so zu sagen, wie Herr Stücklen das gesagt hat —,
daß das Verfassungsschutzamt in seiner Stellungnahme ausdrücklich zu den Hinweisen von BND und dem „Bund Freiheitlicher Juristen" Stellung genommen hat. Wie können Sie dann noch behaupten, diesen Hinweisen wäre nicht nachgegangen worden?
— Herr Kollege Carstens, es wäre doch nett, wenn Sie sich jetzt einmal die Zurückhaltung auferlegen, die Sie sonst immer als gentlemanlike ansehen.
Und die zweite Frage, Herr Stücklen:
Selbst wenn das in der ersten Sitzung so gewesen wäre, dann wissen Sie doch — weil die Fraktionsvorsitzenden längst die gesamten Akten haben —, daß es schlicht unwahr ist, was hier noch einmal wiederholt worden ist: die Hinweise seien nicht beachtet worden. Lassen Sie doch bitte auch vor einer Landtagswahl das Lügen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe durchaus Verständnis, daß der Kollege Ehmke den Versuch unternimmt, sich von der Schuld freizusprechen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf die Widersprüche gehe ich im einzelnen gar nicht ein; wir werden sie im Untersuchungsausschuß zu klären haben. Ich kann nur sagen, daß auch die Informationen, die gegeben worden sind, eben unzulänglich waren. Ja, ich habe sogar den Verdacht, daß der frühere Bundeskanzler Brandt auch unzulänglich informiert worden war. Diesen Verdacht leite ich daraus ab, daß der damalige Bundeskanzler Brandt am 26. April 1974 hier im Bundestag erklärt hat:Der Agent— Guillaume —war von mir nicht mit Geheimakten befaßt, weil ,dies nicht zu seinen Aufgaben gehörte.Als der damalige Bundeskanzler, Brandt, zurückgetreten war, hat er erklärt:Was immer mir an 'Ratschlägen gegeben worden war,
ich hätte nicht zulassen dürfen, daß während meines Urlaubs in Norwegen im Sommer vergangenen Jahres auch geheime Papiere durch die Hände des Agenten gegangen sind.
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7114 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974
StücklenEntweder hat Herr Brandt diesem Parlament wissentlich die Unwahrheit gesagt
— ich möchte hier keinen schärferen Ausdruck bringen — oder er ist von seiner eigenen Umgebung unzureichend, unzulänglich oder falsch informiert worden.
Bei seinem Rücktritt mußte er zugeben, Herr Guillaume habe nun doch Geheimpapiere in die Hand bekommen. Was er damit gemacht hat, wird die Bundesanwaltschaft zu klären haben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht uns darum — darum sollten wir uns alle bemühen, auch im Interesse unserer Nachrichtendienste und unseres Verfassungsschutzamtes, das wir dringend brauchen, zu dem auch die Öffentlichkeit Vertrauen haben muß —, daß wir in dieser Spionageaffäre Guillaume eine volle, restlose Aufklärung erreichen, und zwar eine Aufklärung der Vorgeschichte — da sind Sie, Herr Ehmke, sehr stark mit dabei —, der Zusammenhänge — 'da sind eine ganze Reihe dabei — und einer ganzen Reihe von Hintergründen. Denn wie doch der Zufall so spielen mag: Am 29. Mai 1973 — das hat heute der Herr Innenminister hier bestätigt — hat der damalige Innenminister den damaligen Herrn Bundeskanzler darauf aufmerksam gemacht, daß Herr Guillaume ein Spionage-Mann, ein Agent sein könnte. Am 30. Mai waren Sie, Herr Wehner, in Ost-Berlin. Vielleicht können wir uns einmal ein bißchen darüber auseinandersetzen, welche Zusammenhänge es hinsichtlich dieser Dinge überhaupt gibt.
Herr Kollege Stücklen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine, daß wir — trotz der Unzulänglichkeit, die unsere Untersuchungsausschüsse haben — nur über einen Untersuchungsausschuß, über eine eidliche Vernehmung aller dafür in Frage kommenden Personen die Chance haben, die Schuldigen, die fahrlässig oder grob fahrlässig gehandelt haben, genau zu fixieren und den Spionagefall Guillaume so aufzuklären, daß die Öffentlichkeit weiß, daß wir einen Spionagefall im engsten Machtzentrum der Bundesrepublik Deutschland nicht als Bagatelle hinnehmen. Deshalb dieser Untersuchungsausschuß.
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Stücklen, ichglaube, der große Tag kommt nicht am Sonntag, er wird eher am Samstag kommen. Ich gebe dem 1. FCN eine gute Chance, der CDU in Niedersachsen allerdings weniger.
Deshalb kann ich nicht verstehen, warum man nach den Erkenntnissen, die wir mühsam bis qualvoll bei unserer gemeinsamen Arbeit im Untersuchungsausschuß gewonnen haben — das „gemeinsam" unterstreiche ich heute noch einmal genauso wie bei den Schlußbemerkungen zum Ergebnis des soeben erst, so kann man doch wohl sagen, abgeschlossenen Ausschusses betreffend die Aktivitäten des früheren Abgeordneten Steiner —,
jetzt diesen neuen Untersuchungsausschuß fordert. Ich hatte dazu bereits einiges gesagt, das allerdings verhältnismäßig fachjuristisch gehalten war, Herr Niegel. Deshalb will ich hinnehmen, daß Sie darauf noch einmal zurückkommen wollen.
Ich habe damals gesagt — ich weiß mich ganz sicher mit allen Kollegen einig, auch mit denen der Opposition, die in diesem Ausschuß den letzten Sommer über und anschließend sämtliche sitzungsfreien Wochen bemüht waren, alle Beweismittel auszuschöpfen, die irgend jemand von irgendwoher anbieten konnte —, daß wir zum Schluß sehr unglücklich waren, weil bei dem besten Willen aller Beteiligten das Ergebnis hinterher sehr dürftig war, vielleicht sein mußte. Wir haben dann über Verbesserungen des Verfahrens gesprochen; auch darin bestand Einigkeit. Die erforderlichen Maßnahmen konnten bis jetzt noch gar nicht abgeschlossen werden.Nun überrascht uns drei Tage vor der Niedersachsenwahl
— und zwei Tage vor dem Aufstiegsspiel — Ihre Mitteilung, daß Sie wieder einen Untersuchungsausschuß haben wollen, wobei der Gegenstand der Untersuchung hier von Herrn Stücklen insbesondere in den allerletzten Sätzen noch einmal sehr deutlich zum Ausdruck gebracht worden ist. Es soll festgestellt werden, daß da ein Spion war, es soll festgestellt werden, daß er wirklich spioniert hat und daß er Zugang zu sehr wichtigen Dokumenten hatte.
Dieses alles scheint mir so ungeheuer klar auf der Hand zu liegen, — —
— Herr Stücklen, die Schuldigen! Sie waren so liebenswürdig, den Kollegen von der SPD — Herrn Ehrenberg und Herrn Leber hatten Sie angesprochen — zu erklären, daß Sie wahrscheinlich dem gleichen Fehler hätten erliegen können. Das ist die Feststellung, die man hier nur treffen kann. Gewiß werden sich einige Umstände noch aufklären las-
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Kleinertsen. Wenn es aber jetzt nicht um den Sachverhalt als solchen geht, — —
— Bitte sehr, Herr Stücklen!
Herr Kollege Kleinert, ist Ihnen klar, daß ich die Befürwortungen der Herren Leber und Ehrenberg, die nur aus den Ergebnissen des Umgangs innerhalb der Partei in Hessen stammen konnten, als nicht belastend angesehen habe, keinesfalls aber das, was sich beim Vorgang der Einstellung, was sich hinsichtlich der Bewegungsfreiheit des Guillaume spätestens nach dem 29. Mai ereignet hat, und keinesfalls das, was bis zur Enttarnung des Spions Guillaume geschehen ist?
Herr Stücklen, ich hatte Sie so verstanden. Ich erlaube mir aber, erstens in Kenntnis Ihrer Äußerung und zweitens in Kenntnis Ihrer Person und Ihrer bekannten realistischen Einstellung zur Umwelt, daraus den weitergehenden Schluß zu ziehen, daß sich bei einer Fülle von anderen Beteiligten, die man jetzt vor diesem Untersuchungsausschuß noch anschauen wird, die Sache dann ganz ähnlich darstellen wird, so daß ich mich von daher frage: Wieso nur Herr Guillaume?
Ich habe hier eine Auflistung derjenigen Damen und Herren, die seit Bestehen der Bundesrepublik spioniert haben, die für die zuständigen Stellen — es ist bedauerlich, daß eine solche Zuständigkeit dort existiert; bei uns gibt es das ja sicher nicht — der DDR tätig waren. Das sind in der Regierungszeit Adenauer 17 Namen, in der Regierungszeit Erhard/Kiesinger 4 Namen,
und seit 1969 sind dann weitere 11 Namen bedauerlicherweise hinzugekommen, fast ausschließlich von Leuten, die natürlich längst vorher eingestellt waren. Warum also jetzt Herr Guillaume? Warum jetzt der Öffentlichkeit Einzelheiten vortragen, die für den eigentlichen Sachverhalt,
wie wir zum Schluß feststellen werden — ausnahmsweise wage ich einmal aus bitterer Erfahrung etwas Prophetie —,
nicht sehr viel beitragen werden; insbesondere werden sie nichts Gutes zum Ansehen unseres Staates beitragen.
Das ist ja das Bemerkenswerte an dem Vorgang.
Wer heute hier der Fragestunde zugehört hat — ich habe dabei durchaus verlegene bis betroffene
Gesichter bei allen Fraktionen des Hauses gesehen —,
der stellt eine bemerkenswerte Diskrepanz zwischen Ihrer hier so deutlich und stark und gefühlvoll artikulierten Sorge um den Bestand dieses Landes und das Ansehen seiner Demokratie einerseits und der Art andererseits fest, wie Fragen, insbesondere aber auch Zusatzfragen, vorhin in einer Form gestellt worden sind, die diesem Anspruch in keiner Weise gerecht werden konnten.
Die Baseler „Nationalzeitung" — wenn ich das mit Genehmigung der Frau Präsident zitieren darf — hat heute im Schluß eines bedenkenswerten Kommentars zu Ihrem Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gesagt: „Der Schaden, den der DDR-Agent anrichtete, wird sich vergrößern". Wir sehen es als unsere Aufgabe an — aus Erfahrungen der Vergangenheit glaube ich sagen zu können, daß auch die Opposition bzw. ihre Mitglieder im Ausschuß das als ihre Aufgabe ansehen werden —, dazu beizutragen, daß diese Vergrößerung des Schadens nicht eintritt.
Die Sicherheit, daß keine Vergrößerung des Schadens eintritt, ist bei dem von Ihnen gewählten Vorgehen nicht gegeben. Es wäre besser gewesen — jedenfalls für den hier gekennzeichneten Untersuchungsbereich —, zunächst das effizientere Gremium, nämlich die von der Bundesregierung unverzüglich eingesetzte Untersuchungskommission, arbeiten zu lassen, deren Ergebnis und das Ergebnis der Untersuchungen des Generalbundesanwalts abzuwarten und dann, wenn man schon in der glücklichen Lage ist, sozusagen ein Vorermittlungsergebnis zu haben, zu sagen: aus den und den Gründen genügt uns das nicht, jetzt verlangen wir einen Untersuchungsausschuß, um die offengebliebenen Punkte zu klären. Alle Kollegen des früheren Untersuchungsausschusses haben übereinstimmend das Fehlen von Vorermittlungen und Voruntersuchungen vor den eigentlichen öffentlichen Anhörungen des Ausschusses beklagt. Jetzt haben Sie die Möglichkeit, daß gleich zwei Gremien, nämlich höchst zuständigerweise in diesem Fall der Generalbundesanwalt und zweitens die soeben eingesetzte Untersuchungskommission, eine solche Voruntersuchung durchführen können. Danach könnte vielleicht ein Untersuchungsausschuß in viel konzentrierterer und fruchtbarerer Form nacharbeiten. Diese Chance lassen Sie ganz bereitwillig außer acht. Das ist ein Vorgang, den ich nach den Erfahrungen des letzten Jahres beim besten Willen nicht, oder wenn, dann nur unter Berücksichtigung höchst sachfremder Motivationen, verstehen kann.
Wer nach Norden fährt, wird im Norden von Köln bei den Aufschriften an einer großen Mauer einer dort befindlichen großen Fabrik an einen Schnack erinnert, der hier im Bundeshaus seit langem die Runde gemacht hat, über die Verkoppelung zweier allerdings verblüffend ähnlicher Namen; ich will
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Kleinert
sie jetzt hier aus Wettbewerbsgründen nicht nennen. Dabei wird dann plastisch deutlich — ich sage es Ihnen später, Herr Carstens —,
daß hier keiner ist, der den ersten Stein werfen könnte, sondern daß wir alle immer nur bedauern können, wenn wieder einmal festgestellt wird, daß es nicht möglich ist, sich bei den besonderen Verhältnissen gerade in unserem Lande gegen Spione und Spionage wirksam und vollkommen zu schützen, und daß wir alle zusammenhalten müssen, um den Schaden klein zu halten.
Wir stimmen der Einsetzung des Untersuchungsausschusses aus dem von Herrn Vogel sehr zutreffend genannten Grunde zu, weil wir nämlich sowohl das Grundgesetz als auch die Geschäftsordnung kennen, weil wir wissen, daß Sie die Einsetzung auch allein durchsetzen könnten und weil wir dabei unseren absoluten Willen deutlich zum Ausdruck bringen möchten,
hier wie bei früheren Gelegenheiten das Äußerste zur Aufklärung zu tun und Ihnen bei dem Versuch zu helfen, vielleicht doch noch etwas herauszufinden, was Ihnen vorher noch nicht zugetragen worden war, obwohl ich gerade im Hinblick auf die Effizienz Ihrer Nebenunterrichtungsquellen wenig Hoffnung habe, daß noch etwas zu dem hinzukommt, was Sie alles schon wissen.
Wir werden reichlich Gelegenheit haben, und wir werden diese Gelegenheit dankbar benutzen Ihr Beweisbeschluß ist so umfangreich und in vielen Punkten auch so wenig konkret gefaßt —, eine Reihe von Dingen, die wir sonst vielleicht anders untersucht hätten, bei dieser Gelegenheit zu untersuchen, insbesondere, warum zum Nachteil dieses Landes und seiner Bürger immer wieder Dienstgeheimnisse blitzschnell bei Stellen landen, die dafür überhaupt nicht vorgesehen und zuständig sind.
Die geographische Entfernung von der Lazarettstraße in München nach Pullach ist verhältnismäßig kurz. Wie sich diese Entfernung im übertragenen Sinne ausnimmt, werden wir bei dieser Gelegenheit auch zu untersuchen haben.
Wir danken Ihnen, daß Sie uns die Gelegenheit geben, dies in der gebührenden öffentlichen Form zu tun.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Stellung der sozialdemokratischen Fraktion zu dem Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ist hier von meinem Kollegen Metzger dargelegt worden. Mich veranlassen die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Stücklen zu einer kurzen Feststellung.
Ihre Biedermännischkeit übertrifft noch Ihre Christlichkeit. Das ist an diesem Tage offenbar geworden.
Und was Sie hier mit der Zusammenstellung einiger Daten beabsichtigt haben, das kennzeichnet genau Ihre Absichten mit all dem, was Sie angeblich untersucht wissen wollen, was Sie angeblich geklärt wissen wollen und worüber Sie angeblich bis jetzt keine Auskünfte haben. Im Unterschied zu Ihnen, Ehrenmann Stücklen, habe ich über das, was ich am 30. und 31. Mai getan habe,
öffentlich und auch im Bundestag sowie in den Ausschüssen, die das wissen wollten, berichtet. Ich habe noch nie nachgerochen, was Sie am Tag vorher oder am Tag dazwischen oder danach gemacht haben. Vielleicht muß man einen Untersuchungsausschuß einsetzen, um das herauszukriegen.
Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Schulte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein paar Äußerungen des Kollegen Stücklen veranlassen mich, noch das Wort zu nehmen. Beginnend mit der Fragestunde des heutigen Tages und sich sehr zielstrebig über den Beitrag von Herrn Stücklen fortsetzend sollte hier der Eindruck erweckt werden, als sei die Öffentlichkeit nicht unterrichtet. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben doch die sehr umfangreiche, deutliche, der Öffentlichkeit zugänglich gemachte Studie einfach ganz systematisch ignoriert. Man mußte bei allen Ihren Mitgliedern, die heute Fragen oder Zusatzfragen gestellt haben — wobei auch sehr interessant ist, wer von Ihnen keine Fragen gestellt hat —, den Eindruck gewinnen, daß sie diese Studie überhaupt nicht kannten.
Sonst hätten die Fragen nicht gestellt werden können, weil sie sich zu 90 % — Herr Professor Carstens, Sie werden das sicherlich nicht bestreiten —
von vornherein beantwortet haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gerster.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974 7117
Augenblick bitte! Es gibt noch eine zweite Frage, Herr Stücklen. Es ist auch eine Frage 'des Stils dieses Hauses. Sie haben doch hier unterschwellig die Behauptung aufgestellt, daß die Amtsführung von Herrn Wehner als Vorsitzen- dem des Gremiums nicht einwandfrei gewesen sei.
— Aber selbstverständlich, Herr Stücklen, das ist doch hier ganz deutlich geworden.
Können Sie so etwas tatsächlich aufrechterhalten, müssen Sie nicht wenigstens der Wahrheit die Ehre geben und sagen, daß er sich in dem Vertrauensmännergremium mit aller Kraft dafür eingesetzt hat, alle möglichen und alle denkbaren Aufklärungen zu bekommen?
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stücklen?
Herr Kollege Schulte, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich die Verhandlungsführung des Vorsitzenden des Vertrauensmännergremiums in diesem Quartal, des Herrn Kollegen Wehner, des Oberbiedermanns, keinesfalls jemals beanstandet habe? Ich bitte immer noch die Frage zur Kenntnis zu nehmen. Ich habe nur erklärt, 'daß er von dem Spionagefall Guillaume mit anderen Attacken gegen uns ablenken will. Mir steht das Recht zu, diese politische Beurteilung vorzunehmen.
Ja, Herr Stücklen, darüber sind wir uns alle in diesem Hause einig, was diese Guillaume-Geschichte zu diesem Zeitpunkt politisch bewirken soll. Das ist ein paarmal gesagt worden.
Sie wollen damit politische Tatbestände, die wir geschaffen haben, überlagern oder zu überlagern versuchen. Herr Stücklen, Idas wird Ihnen ohnehin nicht gelingen.
Herr Professor Carstens, Sie kennen ja wahrscheinlich — wie wir auch — das Presseecho und das allgemeine Echo auf diese Ihre Bemühungen. Sie werden sicherlich sehr schnell erleben, wie die Dinge beurteilt werden.
Mir kam es jedenfalls darauf an, noch einmal deutlich zu machen: Es ist hier nichts verschleiert worden. Sie sollten die Bereitschaft haben, diese Studie mit allen Dokumenten zu lesen. Herr Professor Carstens als Fraktionsvorsitzender und Herr Stücklen als Landesvorsitzender der Gruppe der CSU, Sie haben ja auch die vollständige Akte bekommen, um noch kontrollieren zu können, ob unter Umständen irgendwelche Widersprüche zu diesem Papier vorhanden sind. Sie haben selbst erklärt, daß solche offensichtlich hier nicht vorhanden sind.
Dann dürfen Sie hier gegenüber der Öffentlichkeit nicht den Eindruck erwecken, als sei von der Regierung hier und im Vertrauensmännergremium Geheimniskrämerei betrieben worden. Was Sie allerdings dann im Untersuchungsausschuß noch herausfinden wollen, das bleibt mir unerfindlich.
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 7/2193. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! —Enthaltungen? — Bei einer Gegenstimme und einigen Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Abgabe von Erklärungen der Bundesregierung.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat sich in ihrer gestrigen Sitzung mit dem Ergebnis meines Besuches beim französischen Staatspräsidenten Giscard d'Estaing sowie mit den beiden Sitzungen des Ministerrats am 4. Juni in Luxemburg befaßt.Die Bundesregierung nimmt die sich heute bietende Gelegenheit wahr, um das Parlament umgehend über diese für unsere Europapolitik wichtigen Ereignisse zu unterrichten.Ich möchte zunächst ein Resümee und eine Bewertung meiner Pariser Begegnung mit dem französischen Staatspräsidenten geben; der Außenminister wird sodann dasselbe hinsichtlich der Ergebnisse der beiden Ministerratssitzungen vorgestern in Luxemburg tun.Die besondere Bedeutung, die sowohl die deutsche als auch die französische Regierung ihrem gegenseitigen Verhältnis unverändert beimessen, kommt schon darin zum Ausdruck, daß unser Gespräch sowohl für den französischen Staatspräsidenten als auch für mich jeweils die erste Begegnung seit Amtsantritt mit dem Regierungschef eines anderen Landes gewesen ist. Die Begegnung war Ausdruck und Ausfluß des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages. Auch auf Grund unserer harmonischen Zusammenarbeit in unseren früheren Verantwortungsbereichen in Paris und Bonn
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7118 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974
Bundeskanzler Schmidtsind unsere Gespräche in einer sehr herzlichen Atmosphäre verlaufen.Ich freue mich, Ihnen sagen zu können, daß das Treffen mit Präsident Gircard d'Estaing eine sehr breite Übereinstimmung der Ansichten zu den europäischen Problemen ergeben hat. Insbesondere möchte ich die folgenden Punkte hervorheben:1. Der französische Staatspräsident und ich waren vollkommen einer Meinung darüber, daß es in erster Linie notwendig ist, den vollen Bestand der Gemeinschaft zu erhalten und den gegenwärtigen Prozeß der Schwächung der Gemeinschaft einzudämmen. Die Lösung der ökonomischen Schwierigkeiten, denen sich einzelne Länder gegenübersehen, darf nach gemeinsamer Auffassung der deutschen und der französischen Seite nicht zu Lasten von Buchstaben und Geist der Regeln der Europäischen Gemeinschaft gesucht werden.2. Auch nach Auffassung der französischen Regierung kommt der Rückkehr zur internen Stabilität der Volkswirtschaften absolute Priorität zu. Nur so können die Mitgliedsländer der Gemeinschaft das verlorene Gleichgewicht insgesamt wiederherstellen. Ein Rückgriff auf protektionistische Maßnahmen kann nicht zu einer dauerhaften Gesundung führen. Ein solcher Rückgriff wird daher auch weder von der französischen Regierung noch von uns geplant.3. Wir haben die Pflicht zur Solidarität zwischen den Ländern der Gemeinschaft bekräftigt; sie kann auch gegenseitige Hilfen rechtfertigen. Wir waren uns aber auch über die Voraussetzungen solcher Eventualmaßnahmen einig. Sie müssen nämlich der Achtung der Gemeinschaftsregeln untergeordnet sein, und sie hängen von den eigenen Anstrengungen des betroffenen Landes zur schnellen Besserung seiner schwierigen Situation ab.4. Nach dem Willen der deutschen und der französischen Regierung soll die Gemeinschaft ihre Eigenständigkeit und ihren Zusammenhalt deutlich zeigen. Dies soll einmal durch die Rückkehr zu einer befriedigenden Anwendung der Gemeinschaftsregeln in den innergemeinschaftlichen Beziehungen geschehen. Aber die Gemeinschaft muß ihren Zusammenhalt darüber hinaus auch durch gemeinsame Positionen zu den großen monetären, wirtschaftlichen und weltpolitischen Fragen bekräftigen.5. Beide Regierungen verfolgen als eines ihrer Grundziele den Bau Europas. Sie sehen darin ein Unterpfand des Friedens und des Wohlergehens der Welt insgesamt.6. Schließlich waren wir auch darin einig, daß die praktische Arbeit der europäischen Institutionen gerade angesichts der besonderen Herausforderung durch die gegenwärtig schwierige Lage effizienter werden muß. Dieser Verbesserung des Funktionierens und der Wirksamkeit der Gemeinschaftsprozesse müssen sich die Länder der Gemeinschaft annehmen. Ein gewisser Anfang hierfür ist auf der Tagung der Ministerräte am 4. Juni in Luxemburg gemacht worden.Im Anschluß an unser Gespräch sind sowohl von französischer als auch von deutscher Seite unsere EG-Partner auf dem normalen diplomatischen Weg über das Ergebnis unterrichtet worden, womit wir von vornherein Spekulationen über eine besondere deutsch-französische sogenannte „Achse" entgegenwirken wollten, wie sie unzutreffenderweise an einigen Stellen hier oder dort in Zeitungen aufgetaucht waren. Ich wiederhole: Es gibt für diesen freundschaftlichen Dialog zwischen Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland keine andere Basis als den Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit aus dem Jahre 1963.Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, das Kabinett kam bei seiner gestrigen Erörterung und Bewertung der Pariser Ergebnisse zu einem sehr positiven Eindruck. Es unterliegt für uns keinem Zweifel, daß die französische Regierung wie wir selbst alles daransetzen wird, den Bestand der Europäischen Gemeinschaft zu erhalten und zu sichern. Auf einer gesicherten Grundlage strebt sie weiteren Fortschritt an.Für uns alle ist im Augenblick besonders bedeutsam, daß die französische Regierung der internen Stabilitätspolitik eindeutige und klare Priorität gibt. Sie ist wie wir der Ansicht, daß handelspolitischer Protektionismus keinen Ausweg bieten kann aus einer schwierigen Zahlungsbilanzsituation. Ich möchte der Klarheit wegen hervorheben, daß sich diese Auffassung des französischen Staatspräsidenten über den richtigen wirtschaftspolitischen Kurs seines Landes nicht erst im Gespräch mit mir gebildet hat.Die deutsche und die französische Wirtschaftspolitik liegen also auf demselben, an dem Ziel der Geldwertstabilität orientierten Kurs. Ich nehme an, daß dies durch konkrete französische Maßnahmen in der allernächsten Zeit noch etwas deutlicher werden wird. Auf der Grundlage einer stabilitätsorientierten Politik fühlt sich im übrigen Frankreich ökonomisch durchaus stark genug, die Zeit bis zur Besserung seiner Zahlungsbilanz aus eigener Kraft zu überbrücken.Zusammenfassend und vielleicht in der Bewertung ein wenig schon das vorwegnehmend, was Herr Kollege Genscher sogleich noch durch seinen Bericht über Luxemburg bestätigen wird, möchte ich feststellen: Die Bundesregierung hat aus Verlauf und Inhalt der drei hier besprochenen oder gleich noch zu berichtenden europapolitisch bedeutsamen Zusammenkünfte der letzten Tage mit Befriedigung die Schlußfolgerung gezogen, daß die in den letzten Monaten sich zugespitzt habende Lage der Europäischen Gemeinschaft sich in den letzten sieben Tagen erheblich entspannt hat. Diesen positiven Impuls wollen wir erhalten.
Das Wort hat Herr Bundesminister Genscher.
Frau Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974 7119
Bundesminister GenscherTagung des Rates der Europäischen Gemeinschaften am 4. Juni 1974 in Luxemburg war gekennzeichnet durch eine aufgeschlossene Atmosphäre und den kooperativen Geist, mit dem sich alle Mitgliedstaaten bemühten, die Gemeinschaft aus der derzeitigen Stagnation herauszuführen.Dank dieses guten Willens der Beteiligten konnten in wichtigen Fragen Fortschritte erzielt werden, wenn auch unverändert Meinungsverschiedenheiten fortbestehen. Die britische Erklärung unterschied sich in ihren Akzenten von früheren Äußerungen. Es ist deutlich geworden, daß man auch in London ehrlich um eine gemeinschaftskonforme Lösung bemüht ist.Der britische Außenminister beschränkte sich auch diesmal auf eine mehr grundsätzliche Darlegung der britischen Forderungen, ohne in den verschiedenen Bereichen schon konkrete Lösungen vorzutragen. Wir haben — wie übrigens auch die anderen Delegationen — sachlich im einzelnen dazu noch nicht Stellung genommen und uns eine sorgfältige Prüfung vorbehalten. Die britische Delegation hatte bei dieser Ratstagung eine definitive Antwort ihrer Partner auch nicht erwartet.Es erscheint der Bundesregierung wichtig, daß Einvernehmen über folgende Punkte festgestellt werden konnte:1. Eine Änderung der Verträge wird von den Partnern Großbritanniens in der Gemeinschaft nicht akzeptiert und wird auch von der britischen Regierung nicht beabsichtigt.2. Alle Mitgliedstaaten, auch Großbritannien, denken an eine Lösung strikt im Rahmen der Gemeinschaft und in den üblichen Gemeinschaftsverfahren. Es geht also nicht um eigentliche Neuverhandlungen über den britischen Beitritt.3. Die britische Regierung hat versichert, daß auch sie das System der eigenen Einnahmen der Gemeinschaft in seinen Grundprinzipien nicht in Frage zu stellen wünscht.4. Auch Großbritannien will keinen Stillstand der Gemeinschaft und wird an den notwendigen Entscheidungen weiter aktiv und konstruktiv mitarbeiten.Die Diskussion konzentrierte sich im Rat auf die Probleme des weiteren Verfahrens. Einigkeit konnte darüber erzielt werden, daß die britischen Wünsche in drei Bereichen in normalen Gemeinschaftsverfahren in den ohnehin anhängigen Verfahren durch die jeweils zuständigen Organe und im jeweiligen Sachzusammenhang zu behandeln sind. Es handelt sich dabei um die gemeinsame Agrarpolitik, die Beziehungen der Gemeinschaft zu den Commonwealth-und Entwicklungsländern, d. h. also Fragen der Ausrichtung der Handels- und Entwicklungspolitik der Gemeinschaft, und schließlich um die Regional-und Industriepolitik.Ein schwieriges Problem bildete die Entscheidung über das weitere Verfahren zu dem in der britischen Erklärung dargelegten weiteren Bereich der Verteilung der Finanzlasten. Nach längerer Diskussion einigte sich der Rat dem Vorschlag der deutschenPräsidentschaft entsprechend auf einen Auftrag an die Kommission, dem schließlich auch Frankreich zustimmte, nämlich — ich zitiere wörtlich — „im Lichte der Debatte ein Inventar der wirtschaftlichen und finanziellen Lage der Gemeinschaft seit der Erweiterung aufzustellen". Es wurde dabei deutlich gemacht, daß es sich nur um eine Art Bestandsaufnahme handeln kann und daß die Kommission nicht beauftragt ist, Lösungen vorzuschlagen und der Rat damit sachlich nicht zu den britischen Forderungen Stellung nimmt. In der Diskussion bestätigte sich im übrigen, daß die Frage der britischen Wünsche hinsichtlich der Finanzlasten voraussichtlich den zentralen und schwierigen Teil der britischen Probleme bilden wird.Insgesamt kann festgehalten werden, daß durch das gewählte Verfahren der Inhalt und der Geist der Verträge, ihre politische Finalität und die getroffenen Optionen nicht berührt werden.Eingehend wurde ferner die gemeinsame Erklärung des Präsidenten des Rates und des Präsidenten der Kommission zur Lage der Gemeinschaft vom 1. April 1974 diskutiert. Oberstes Ziel des von meinem Amtsvorgänger gemeinsam mit dem Präsidenten der Kommission dem Rat vorgelegten Programms war es, die Desintegration der Gemeinschaft zu verhüten, ihren Bestand zu sichern und sie fortzuentwickeln. Diese Aufgabe ist heute dringender denn je.Ein Teil des materiellen Arbeitsprogramms konnte inzwischen verwirklicht werden. Andere Fragen werden im jeweiligen Zusammenhang im Rat weiter behandelt.In der Ratssitzung ging es vor allem um den institutionellen Teil der Erklärung der beiden Präsidenten, der Vorschläge zur Verbesserung der Entscheidungsverfahren enthält, wie sie von der Pariser Gipfelkonferenz ins Auge gefaßt worden waren.Drei der fünf Vorschläge der beiden Präsidenten hierzu, nämlich die politische Aussprache im engsten Kreis vor jedem Rat, Konzentration der Vorbereitung der Sitzung der ständigen Vertreter durch Besprechungen mit den Kommissionspräsidenten auf die wichtigsten politischen Fragen und flexiblere Weisungen, die mehr als bisher Einigung schon auf der Ebene der ständigen Vertreter ermöglichen sollen, wurden grundsätzlich von allen gebilligt. Die schwierigeren Fragen der Erleichterung von Entscheidungen durch Stimmenthaltung und Übertragung weiterer Befugnisse auf die Kommission sowie ein neuer belgischer Vorschlag zur Behandlung wichtiger Fragen in einem aus den Außenministern und den jeweilig zuständigen Fachministern zusammengesetzten Rat trafen auf eine positive Grundstimmung. Sie sollen von den ständigen Vertretern weiter geprüft werden, allerdings mit dem Ziel, auch hierüber möglichst im nächsten Rat, also am 25. dieses Monats, zu einer Einigung zu kommen.Zur Stärkung der Haushaltsbefugnisse des Europäischen Parlaments, die den Rat bekanntlich schon seit längerem beschäftigt hat, wurde nach Aufhebung des allgemeinen britischen Vorbehalts und der französischen und dänischen Reserven der Kompromißvorschlag der deutschen Präsidentschaft an-
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7120 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974
Bundesminister Genschergenommen, der Neuregelungen zum Haushaltsverfahren, die Errichtung eines Rechnungshofes und die Einführung eines Konzertierungsverfahrens bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Rat und Europäischem Parlament umfaßt.Ausdrücklich festgelegt wird danach das inzwischen von allen akzeptierte Recht des Europäischen Parlaments, den Haushalt als Ganzes abzulehnen. Der Gesamtvorschlag wird jetzt dem Europäischen Parlament zugeleitet und soll anschließend vom Rat verabschiedet werden. Die britische Delegation erklärte allerdings, daß die erforderlichen Verfahrensänderungen nicht ratifiziert würden, solange die Diskussion über ihre Forderungen insgesamt nicht abgeschlossen seien.Mit dieser Regelung ist nicht alles erreicht, was sich die Bundesrepublik Deutschland gewünscht hätte. Aber es wird ein erster wichtiger Schritt zur Stärkung der Stellung des Europäischen Parlaments getan, d. h. des demokratischen Elements in der Gemeinschaft, dem für uns vor allem in der Perspektive der weiteren Entwicklung besondere Bedeutung zukommt.Die Außenminister und die Landwirtschaftsminister haben sich zum Teil in gemeinsamer Sitzung am 4. Juni erneut mit den italienischen Maßnahmen zur Wiederherstellung des Gleichgewichts der Zahlungsbilanz befaßt. Im Vordergrund standen die Bemühungen, zunächst den Warenverkehr im auch für die Erzeuger bei uns besonders empfindlichen Landwirtschaftsbereich wenigstens schrittweise von den auf-) erlegten Behinderungen zu befreien. Das ist unter dem Vorsitz meines Kollegen Ertl im Agrarrat dank der Kompromißbereitschaft aller Mitgliedstaaten und der guten Zusammenarbeit mit der Kommission gelungen. Die Bedeutung dieser Einigung über die Ablösung der einfuhrbeschränkenden Maßnahmen Italiens im Agrarbereich durch gemeinschaftsfreundlichere Regelungen greift nach Ansicht der Bundesregierung weit über den Agrarsektor hinaus. Die Gefahr einer Eskalation nationaler Handelsmaßnahmen der Mitgliedstaaten konnte abgewendet werden. Damit ist desintegrierenden Wirkungen vorgebeugt worden, die den Bestand der Gemeinschaft gefährdet hätten. Zugleich ist die Aufgabe der Kommission erleichtert worden, nun auch für den gewerblichen Sektor auf der Grundlage der Verträge eine geeignete Lösung zu finden.Meine Damen und Herren, die Gespräche des Bundeskanzlers in Paris und die Ministerratssitzungen am 4. Juni in Luxemburg rechtfertigen die Feststellung: Es geht innen weiter, und es geht in Europa weiter. Die Bundesregierung wird alles tun, um diese Entwicklung mit allen Kräften zu fördern. Sie ist sich dabei der Tatsache bewußt, daß nur eine nüchterne Einschätzung der gegebenen Notwendigkeiten und Möglichkeiten und entschlossenes Handeln uns Schritt für Schritt voranbringen können.
Das Wort zur Aussprache hat der Abgeordnete Narjes.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler und der Bundesaußenminister haben über eine deutsch-französische Gipfelkonferenz und über zwei Ministerratssitzungen der Europäischen Gemeinschaften berichtet, denen in diesem Zeitpunkt eine ganz besondere Bedeutung zukommt. Wir gehen davon aus, daß der Herr Bundeskanzler und der Bundesaußenminister diese ersten Schritte ihrer Außenpolitik bewußt in die Richtung des freien Europas gelenkt haben, um der Westpolitik wieder den tatsächlichen Vorrang der Außenpolitik zu geben, der ihr in den beiden Kabinetten Brandt/Scheel verweigert war.
Beide Treffen standen im Banne der an Gefahren reichsten europäischen Krise seit 20 Jahren, weil es buchstäblich darum geht und darum ging, einen offenen Zerfallsprozeß der Europäischen Gemeinschaften zu verhindern und der Einigung Europas neue, reale und nicht wie bisher leider so oft nur verbale Impulse zu geben.Die Krise ist so ernst, weil es im Gegensatz zu früheren Krisen nicht um Schwierigkeiten beim weiteren Fortgang der Integration ging, sondern weil der schon als unzerstörbare Errungenschaft angesehene Binnenmarkt für gewerbliche Produkte in akute Gefahr geraten ist. Es droht die Wiedereinführung von Grenzen durch Importbeeinträchtigungen aller Art. Das süße Gift des Protektionismus verleitet zu nationalen Alleingängen mit ihren unheilvollen Schneeballeffekten auf das Verhalten aller anderen Handelspartner, wobei die allgemeine Freigabe der Wechselkurse die Gefahr von Kampfabwertungen eher erhöht als erschwert.Diese Belastung trifft Europa überdies zu einem Zeitpunkt, in dem die Welthandelsordnung und die Weltwährungsordnung ihrerseits seit Jahren notleidend sind. Diese akute Bedrohung ist eng verflochten mit der in allen Ländern Europas wütenden Inflation und den sich daraus ergebenden Zerreißproben für das staatliche und soziale Gefüge unserer Partnerstaaten.Wir halten indessen die Explosion der 01- und Rohstoffpreise des letzten Jahres nur für einen Anlaß, nicht aber für die Ursache der gegenwärtigen Entwicklung. Die Ursachen müssen vielmehr als eine parallele Erscheinung begriffen und in der mangelhaften konjunktur- und währungspolitischen Disziplin gesucht werden, die wir seit Jahren in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, auch bei uns, beobachten. Wir teilen deshalb im Prinzip die Auffassung der Bundesregierung, daß eine eventuelle Hilfe für die Partnerstaaten nur zusätzlichen Charakter haben kann, daß sie nur flankierend zu — notfalls harten — nationalen Gesundungsmaßnahmen Erfolg verspricht.Im übrigen würde ich mich freuen, wenn der Bundeskanzler Schmidt die in dieser richtigen Haltung liegende Erkenntnis — daß nämlich die Inflation in jedem einzelnen von ihr betroffenen Staat überwiegend national verursacht wird und auch dort bekämpft werden muß — auch auf Deutschland anwen-
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Dr. Narjesden und dem Wahlkämpfer Schmidt mitteilen könnte,
der jahrelang vergeblich versucht hat, den überwiegend hausgemachten Charakter der Inflation zu leugnen. Wir wären dann in unserer deutschen Diskussion ein gutes Stück weiter.Es ist also in der Tat höchste Zeit zum Handeln. Die Bundesregierung steht vor einem außen- oder europapolitischen Scherbenhaufen, weil die Europäische Gemeinschaft am Ende der Ara Brandt/ Pompidou in vieler Hinsicht schlechter dasteht als an deren Beginn.
Auch hier haben wir den für diese Ära typischen klaffenden Gegensatz zwischen großen Worten, Versprechungen und Ankündigungen einerseits, geringen Taten andererseits.
Auch dies gehört zur politischen Erbschaft, für die diese Regierung mitzuhaften hat.Nun zu den Punkten und Maßnahmen im einzelnen.Erstens. Wir unterstützen alles, was dazu beiträgt, aus dem zuweilen routinehaften Nebeneinander der deutsch-französischen Freundschaft wieder ein verantwortliches Miteinander zu machen. Wir erblicken unverändert in den Beziehungen zwischen Bonn und Paris die tragende Konstruktion der europäischen Einigung, deren Kennzeichen nicht irgendwelche Privilegien, sondern eine gemeinsame Verantwortung und der gemeinsame Wille sind, die größte historische Reform der europäischen politischen Geschichte, nämlich die Einigung Europas in einer unauflösbaren Gemeinschaft, zu verwirklichen. Wir sind überzeugt von dem ernsten Willen der in diesen Tagen gebildeten französischen Regierung zu einem neuen Anfang. Wir sehen in der Erklärung des neuernannten französischen Ministerpräsidenten Chirac, die Europapolitik sei keine Außenpolitik mehr, mehr als eine rhetorische Formel.
Zweitens. Ich wiederhole unsere Zustimmung zu einer eventuellen gemeinschaftlichen Politik des finanziellen Beistands. Dessen Grenze liegt in der Gefahr einer zusätzlichen inflationären Wirkung bei uns, die eine durch diesen Beistand ausgelöste zusätzliche Nachfrage nach deutschen Exportgütern bewirken könnte. Unsere Bereitschaft zu einem finanziellen Beistand für einzelne Partnerstaaten bedeutet aber nicht die Bereitschaft zu einem Nachlassen in unseren eigenen Stabilitätsanstrengungen.
Das eigentliche europäische Problem liegt in den Bedingungen oder in den Auflagen, die die Gemeinschaft den Empfängern eines eventuellen Beistandes machen muß. Das deutsche Interesse an der Gestaltung dieser Aufgabe sehen wir darin, daß unsere Bereitschaft zu finanzieller Solidarität vergolten wird mit einer Bereitschaft zu substantiellen Fortschritten in der politischen Einigung Europas.
Auf die Dauer wird die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft nicht krisenfest sein können, wenn ihr die politische Vollendung mit ständig wechselnden Vorwänden vorenthalten wird.Drittens. Die Berichte des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers enthalten jedoch eine empfindliche Lücke. Wenn es nämlich richtig ist, daß die zu befürchtende Unfähigkeit einiger Mitgliedstaaten, ihre gewaltig angestiegenen Ölrechnungen zu bezahlen, das auslösende Moment für den drohenden Verfall des europäischen Binnenmarktes ist, so wäre es doch logisch, auch in der gemeinschaftlichen Aktion an diesem Punkte anzusetzen und gemeinschaftlich darauf hinzuwirken, daß dieser zerstörerische Ölpreis auf dem Verhandlungswege wieder gesenkt und längerfristig stabilisiert wird.
Eine solche Maßnahme wäre das beste Mittel gegen die Gefahr des Protektionismus und übrigens auch seiner Stiefschwester, die Gefahr des Bilateralismus. Sie sollte auch im Interesse der ölproduzierenden Länder liegen, die ihrerseits kein Interesse an einer Zerstörung der liberalen Weltwirtschaft haben dürften. Gerade der zuständige Minister des größten ölproduzierenden Staates, der saudiarabische Minister Yamani, hat in den letzten Wochen mehrfach erkennen lassen, daß er eine Ölpreissenkung für möglich und für nötig hält. Ich vermisse deshalb schmerzlich ein europäisches Echo auf dieses Signal der Vernunft.Die untrennbaren Zusammenhänge von Energiepolitik und Weltwährungs- und Welthandelspolitik lassen mich an dieser Stelle auch Fragen an die Bundesregierung stellen. Wie steht es eigentlich mit der europäischen Energiepolitik, und wann kommt sie? Wann wird der Ministerrat über die jüngsten energiepolitischen Vorschläge der Kommission und über die noch nicht entschiedenen Eilvorschläge aus dem Monat Januar entscheiden? Was hat eigentlich die deutsche Energiepolitik in den letzten acht Monaten getan, und wo bleibt die in Aussicht gestellte Fortschreibung unseres eigenen energiepolitischen Programms?
Wie steht es mit der europäisch-amerikanischen Abstimmung? Eine Straffung der nationalen europäischen Prozeduren ist doch angesichts der Existenzgefahren, in die die gegenwärtigen Ölpreise die ganze Weltwirtschaft bringen, schon seit Monaten überfällig.Viertens. Die Gemeinschaft liegt auch deshalb in einer politischen Ohnmacht und hat unter der Last der Inflation, der Ölkrise und von schwächlichem Nationalismus einen solchen erschreckenden Mangel an Handlungsfähigkeit und Selbstvertrauen an den Tag gelegt, weil sie sich selbst nicht rernst genommen und die Mitgliedstaaten ihre Verpflichtungen nicht respektiert haben. Wie will sie aber die Anerkennung der Umwelt und das Vertrauen ihrer eigenen Bürger erwarten können, wenn sie sich im Krisenfalle nicht selbst respektiert? Um so not-
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Dr. Narjeswendiger für einen neuen Anfang ist, daß diese gegenwärtige, schwerste Krise der Gemeinschaft ausschließlich gemeinschaftlich und in den vertraglich dafür vorgesehenen Verfahrensweisen überzeugend geregelt wird.
Eine Gemeinschaft, deren jeweiliger Zustand abhängig ist von den Unwägbarkeiten der persönlichen Beziehungen einzelner Regierungschefs oder einzelner Regierungsmitglieder oder einiger Partnerstaaten untereinander, wird niemals das notwendige Maß an Krisenfestigkeit erreichen, ohne das ihr Bestand nicht gesichert werden kann.Die Stärkung der gemeinschaftlichen Institutionen — das knüpft an das an, was berichtet worden ist über das Schicksal des Papiers der beiden Präsidenten vom 1. April — bedeutet eine volle Wiedereinsetzung der Kommission in die ihr vertraglich und damit verfassungsmäßig zugewiesenen Funktionen. Zur Zeit ist sie ein Motor ohne Kraft, ein Wachhund, der nicht beißt, und ein Makler, dessen Rat nicht gefragt wird.
Die Kommission schwebt überdies in der Gefahr ihrer Rückbildung zu einem technokratischen, kollektiven Generalsekretariat auf dem Niveau der ständigen Vertreter.
Ich freue mich deshalb, Herr Bundesaußenminister, daß in Ihrem Bericht nicht die Formeln wiederholt wurden, die heute morgen schon in der Presse über die Art der Zusammenarbeit von Kommission und ständigen Vertretern im einzelnen zu lesen waren.Zur institutionellen Verbesserung gehört aber auch eine radikale Entschlackung des Ministerrates selbst von den schädlichen Ablagerungen einiger diplomatischer Unarten, die sich dort in den letzten Jahrzehnten angesammelt haben.
Das ist mehr als die jeweilige Kosmetik der Arbeitsweise, die jeder neue Ratspräsident in seiner Antrittsrede verkündet und dann im Laufe der Zeit nicht ausführen kann. Der Ministerrat kann nur funktionieren, wenn er sich ausschließlich als ein Organ der Gemeinschaft begreift, das so prozediert, wie es in den Verträgen vorgesehen ist. Ich warne deshalb davor, irgendwelche Zwischenlösungen, auch über Stimmenthaltungen, anders als ein Gentleman's Agreement zu betrachten und zu behandeln und nichts in dieser Hinsicht festzuschreiben, was eine Minderung der vertraglichen Prozedur bedeuten könnte.
— Ich bin gerne bereit, darauf zurückzukommen, Herr Kollege Moersch, wenn Sie einverstanden sind. Ich darf erinnern: In der zweiten Hälfte der 60er Jahre gab es einen französischen Staatspräsidenten de Gaulle, von dem ich als der Inkarnation der nationalistischen Restauration hier vor einigen Wochen gesprochen habe. Damals waren sich alleStaaten außer Frankreich darüber einig, daß man ihn aussitzen müsse und am Tage nach seinem Abgang mit der europäischen Integration wieder dort fortfahren müsse, wo man vor ihm aufgehört habe. Dieses Verfahren ist aber 1969 nicht mehr konsequent aufgenommen worden. Das war die Grundlage, von der ich gesprochen habe.
— Wir können das Thema bei anderer Gelegenheit vertiefen.Wiederherstellung der Gemeinschaft heißt schließlich auch Ernst machen mit den Befugnissen und der Stellung des Europäischen Parlaments und mit der demokratischen Verankerung und Kontrolle jeder öffentlichen europäischen Gewalt. In bezug auf die Befugnisse des Europäischen Parlaments hat der Bundesaußenminister auf eine in Luxemburg beschlossene Verfahrensänderung für den Gemeinschaftshaushalt hingewiesen, die bei wohlwollender Betrachtung, wenn ich die englischen Vorbehalte beiseite lasse, als ein Minischritt in die richtige Richtung bezeichnet werden könnte. Es wäre jedoch ein verhängnisvoller Irrtum, wenn die Mitgliedstaaten meinten, damit auf absehbare Zeit das Nötige zur Stärkung der Befugnisse des Europäischen Parlaments getan zu haben. Schnelle weitere Übertragungen von Befugnissen auf das Europäische Parlament sind unabdingbar.
Im übrigen führt kein Weg an ,den direkten nationalen Wahlen zum Europäischen Parlament vorbei, auch wenn diesmal noch nicht darüber gesprochen worden ist. Ohne den Rückgriff auf die konstitutive Kraft der europäischen Wählerschaft gibt es keine politische Einigung von Bestand, nicht einmal eine funktionierende Wirtschafts- und Währungsunion; denn alle Bemühungen um letztere sind bisher nicht zuletzt deshalb an der Weigerung gescheitert, sie mit den unentbehrlichen Institutionen auszustatten.Fünftens. Daß sich der europäische Agrarmarkt seit längerer Zeit in besonderen Schwierigkeiten befindet, ist offenkundig. Was auch immer im einzelnen an Änderungen erwogen werden mag: Die Einkommenssituation der deutschen Landwirtschaft darf dadurch nicht weiter gefährdet oder gar beeinträchtigt werden.
Sechstens. Der Herr Bundesaußenminister hat schließlich über den Stand der Ratsgespräche über den britischen Antrag auf Neuverhandlungen hinsichtlich der britischen Beziehung zur Gemeinschaft berichtet. Es ist erfreulich, daß die neuerliche Darstellung der britischen Wünsche eine gewisse Entspannung gebracht hat. Es kann aber auch nicht übersehen werden, daß die Rede Callaghans vom 2. April 1974 unverändert das Basisdokument der britischen Verhandlungswünsche bleiben soll und daß die britische Mitgliedschaft unverändert durch den ungewissen Ausgang eines Referendums bedingt ist. Für eine solche Politik der bedingten Mitgliedschaft gibt es keine vertragliche Grundlage. Wir
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Dr. Narjesmüssen deshalb die Bundesregierung auffordern, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, damit über den britischen Platz in der Gemeinschaft möglichst schnell Klarheit geschaffen wird. So wenig es nämlich eine bedingte Mitgliedschaft gibt, so wenig Sinn hätte, auch gerade für Großbritannien, eine bedingte Solidarität seiner Partner, auf die uneingeschränkt zurückzugreifen aber eher ein britisches Interesse sein könnte.An jedem neuen Anfang steht auch eine neue Chance. Unter den gegenwärtigen Umständen der Krise steckt in dieser Situation aber auch die Gefahr eines orientierungslosen und strategielosen Pragmatismus. Auf welche Orientierungen, auf welche Strategie kommt es uns dabei unverzichtbar an? Einmal auf die unverbrüchliche Geltung der europäischen Verträge und des in ihrer Anwendung gesetzten Rechts und der in ihnen festgelegten Verfassungsbestimmungen; sodann auf den Willen zu einer umfassenden politischen Einigung des freien und demokratischen Europas; weiter auf die diese Einigung tragende deutsch-französische Freundschaft, schließlich auf die Bereitschaft zu weltweiter Verantwortung und insbesondere auf enge Beziehungen zu den Vereinigten Staaten auf der Basis der Partnerschaft der Gleichen.Zur Sicherung des Friedens in Europa, der Selbstbehauptung der Europäer, ihres wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts gibt es keine Alternative zur Einigung. Wir haben inzwischen viele Jahre verloren, die Zeit arbeitet jetzt eher gegen Europa; um so notwendiger ist entschlossenes Handeln. Wir warnen vor der Illusion, in den drei Treffen, über die hier berichtet worden ist, mehr als eine Atempause zu sehen, die Europa die Chance erhält, einen neuen gemeinschaftlichen Anfang zu machen.
Für jeden europäischen Fortschritt werden Sie auf unsere Unterstützung rechnen können, auch wenn unvermeidbare Verhandlungskompromisse hinter den erhofften Ergebnissen zurückbleiben. Für Scheinlösungen, Flickwerk und Verschleppungsmanöver werden Sie in uns aber scharfe Kritiker und entschiedene Gegner finden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ronneburger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Narjes hat seine Ausführungen zu den Berichten des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers mit einem Lob begonnen. Er hat die beiden nämlich dafür gelobt, daß sie nunmehr offenbar zu der Priorität der Westpolitik zurückgekehrt seien, die sie solange vernachlässigt hätten und die man, Herr Kollege Narjes, insbesondere bei den beiden vorangegangenen Regierungen so schmerzlich vermißt habe.Hat sich eigentlich in der Opposition und auch bei Ihnen, Herr Kollege, immer noch nicht herumgesprochen, daß erstens diese von Ihnen apostrophierten q Regierungen die Westpolitik keineswegs vernachlässigt haben und daß zweitens die Ostpolitik, die Politik einer Entspannung, einer Bereinigung des Verhältnisses mit unseren östlichen Nachbarn, eine Voraussetzung dafür ist, daß wir überhaupt weiterhin eine erfolgreiche Westpolitik betreiben können? Insofern ist das, was Sie, Herr Kollege Narjes, hier zur Rückkehr zur Westpolitik, zur Priorität der Westpolitik gesagt haben, eine Darstellung der Situation, die den tatsächlichen Bedingungen und den tatsächlichen Möglichkeiten in keiner Weise gerecht wird.
Ich meine, wir alle — auch Sie, meine Damen und Herren in der Opposition — sollten inzwischen gelernt haben, daß Fortschritte in Europa nur durch Kompromisse erzielt werden können. Uns allen liegt an diesen Fortschritten. Insofern sind die Aufforderungen, die am Schluß Ihrer Ausführungen standen, wirklich Aufforderungen zu etwas, was uns, wie ich meine, in allen drei Fraktionen dieses Hauses vereint. Diese Fortschritte in Europa, von denen ich sprach, können nur — ich wiederhole es — durch Kompromisse erzielt werden, und diese Kompromisse haben schon immer viel Geduld und Schweiß erfordert.Wenn es trotzdem eine beachtliche Liste von Erfolgen aus den letzten Jahren gibt, so will ich in diesem Augenblick davon nur einen, aber wie ich meine, entscheidenden Erfolg herausstellen, und das ist die Erweiterung der Gemeinschaft zum 1. Januar 1973. Allein diese Tatsache, daß es gelungen ist, unter den Prämissen dieser Ost- und Westpolitik der sozialliberalen Koalition einen solchen Schritt zu erreichen, sollte bei einer Darstellung in dieser Weise, Herr Kollege Narjes, jedenfalls nicht verschwiegen werden.Ich meine aber, Sie haben recht, daß wir trotz dieses Erreichten und trotz der Erfolge sicherlich alle fühlen, daß die großen und unerledigten Grundfragen des europäischen Gemeinschaftswerkes heute so dringend wie vielleicht nie zuvor und wie nur in wenigen Phasen der Gemeinschaftsentwicklung zur Bewältigung anstehen. Ich verweise mit Ihnen auf die Frage der politischen Union als Endziel dieser Entwicklung, die Frage der europäischen Verfassung. Die Frage, in welcher Weise das Europäische Parlament an dieser Entwicklung beteiligt werden kann und welche Impulse vom Europäischen Parlament ausgehen könnten, ist sicherlich eine Frage, die wir in gleicher Weise beurteilen. Ich stimme auch darin mit Ihnen überein, daß eine Direktwahl des Europäischen Parlaments an irgendeiner Stelle dieser Entwicklung stehen muß, wenn dieses Parlament wirklich seine Aufgaben, seine Verantwortungen, seine Funktionen als demokratisches Parlament vollgültig wahrnehmen soll.Aber ich glaube, daß es notwendig ist, an dieser Stelle nicht nur von einer Atempause für Europa zu sprechen, sondern gerade, wenn man sich darüber im klaren ist, in welch schwieriger Situation Europa im Augenblick ist — ich brauche diese Darstellung
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7124 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974
Ronneburgerhier nicht im einzelnen zu wiederholen —, dann geht es einfach mit diesen Gesprächen in Paris und Luxemburg nicht etwa um eine Atempause, sondern es geht um eine Chance in einer ungewöhnlich schwierigen Situation.Herr Mischnick hat in einer Veröffentlichung dazu gesagt, daß nach seiner Meinung auf der europäischen Ebene eine Phase harten Mühens um die Sicherung des Erreichten und um den Fortgang des Einigungsprozesses begonnen habe. Hierfür haben wir in den letzten acht Tagen drei ganz entscheidende Momente erlebt. Ich bin dem Bundeskanzler dafür dankbar, daß es ihm in dem deutsch-französischen Gespräch in Paris gelungen ist, eine Art Initialzündung zur Überwindung der Stagnation in Europa zu erreichen. Dieses Zusammengehen mit Paris in den entscheidenden europäischen Fragen gibt nun tatsächlich Ansatz zur Hoffnung in dieser europäischen Krise. Aber meine besondere Dankbarkeit richtet sich auf eine andere Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers, in der er die Möglichkeit einer Unterstellung einer besonderen deutsch-französischen Achse ablehnt; denn diese Gemeinschaft ist nicht auf Führung durch eines, durch zwei oder auch durch mehrere der Partnerländer angelegt, sondern diese Gemeinschaft ist auf Gleichberechtigung, auf gleichberechtigtes Mitwirken aller Partner angelegt, ganz unabhängig von ihrer Größe und ihrer wirtschaftlichen Potenz. Deswegen darf diese Initialzündung von Paris tatsächlich nur der Weg zu einer Neufindung des gesamteuropäischen Bereichs zwischen allen Partnern sein.Es geht darum, daß wir wieder zur Beachtung der Grundregeln der Gemeinschaft kommen. Für diese Beachtung der Grundregeln sind die Tagungen der Ministerräte in Luxemburg sicherlich mindestens ebenso wichtig wie die Gespräche in Paris. Die Gesamtbedeutung ergibt sich aus dem Zusammenhang der drei Ereignisse.Ich meine — das scheint mir in der gegenwärtigen Situation außerordentlich wichtig zu sein —, daß wir jetzt zu einer ganz bestimmten Erkenntnis gezwungen sind, die sich vielleicht schon früher aufgedrängt hat. Die wirtschaftliche Gemeinschaft, die Gemeinschaft der einzelnen Wirtschaften der Partnerländer, ist als Vorreiter einer europäischen Union nicht ausreichend. Wir sehen das ganz akut am Beispiel des Agrarmarktes, der von seiner ursprünglichen Konzeption her mit einem unerfüllbaren Auftrag belastet war. Der Agrarmarkt, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft bedürfen auf dem Wege zur Wirtschafts- und Währungsunion auch der politischen Gemeinsamkeit. Hier, meine ich, liegt nun wieder eine 'besondere Bedeutung des Pariser Gesprächs: daß sich aus diesen Gesprächen ein Ansatz zu einer solchen politischen Gemeinsamkeit ergeben könnte und daß tatsächlich neue Schritte getan werden könnten.Daß es in Luxemburg dann gelungen ist, in ganz bestimmten Zusammenhängen auch wirtschaftliche Einigungen zu erzielen, daß es gelungen ist, die Stagnation, die z. B. von den italienischen Maßnahmen ausgeht, zumindest abzubauen, wenn auch noch nicht vollkommen zu beseitigen, das ist ein Ereignis,das nicht nur für unseren Agrarmarkt von entscheidender Bedeutung ist.Herr Narjes, Sie werden es mir abnehmen, daß ich gerade dem Agrarmarkt, dem Sie eine besondere Bedeutung zugemessen haben, in gleicher Weise auch meinerseits Bedeutung zuerkenne. Bei aller Anerkennung der Tatsache, daß es nicht möglich ist, vom Agrarmarkt her die Europäische Union zu schaffen, sehe ich hier doch einen der entscheidenden Punkte dieser Gemeinschaft, einen Punkt, der sicherlich dazu Veranlassung geben wird, daß wir uns auch in der Bundesrepublik überlegen müssen, daß man nicht Agrarpolitik kritisieren darf, wo nicht die Agrarpolitik schuldig ist, sondern das Fehlen der politischen und gesamtwirtschaftlichen Instrumente, die den Agrarmarkt zum Erfolg hätten führen können.Hier geht es aber zusätzlich um einige Erkenntnisse in Europa, die wir auch nicht übersehen sollten. Wir haben festgestellt, daß die Schritte zur politischen Union nur außerordentlich zögerlich vorangegangen sind. Wir haben aber zu registrieren, daß die augenblicklichen Schwierigkeiten — denken Sie an Italien, denken Sie an Dänemark aus dem Bereich kommen, auf dem die Europäische Gemeinschaft am weitesten nach vorn gegangen ist, nämlich auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Hier wird es darauf ankommen, das Ungleichgewicht innerhalb der Gemeinschaft zu beseitigen. Voraussetzung für Fortschritte wird die Beseitigung dieses Ungleichgewichtes sein. Das erfordert sicherlich gemeinsame Leistungen und nicht zuletzt auch — ich sage das mit aller Nüchternheit — Leistungen der Bundesrepublik 'Deutschland in Verein mit eigenen Anstrengungen derjenigen Partnerländer, die wirtschaftlich-strukturell hinter dem Gesamtdurchschnitt zurückgeblieben sind. Unverzichtbar ist für uns die Erkenntnis, daß wir, die Bundesrepublik Deutschland, Europa brauchen, daß aber auch Europa uns und unsere Anstrengung für den Fortschritt auf dem gemeinsamen Wege braucht.Ich halte die Ansätze, von denen die Bundesregierung heute berichtet hat, für hoffnungsvoll, insbesondere auch deswegen, weil die Erkenntnisse der Pariser Gespräche offenbar gemacht haben, daß entgegen unseren Befürchtungen von Frankreich keine protektionistischen Maßnahmen zu erwarten sind, wie sie etwa Italien in der letzten Zeit getroffen hat. Wenn das von Frankreich her nicht geschieht, dann haben wir tatsächlich die Hoffnung, daß die italienischen Importbeschränkungen ein Sündenfall auf dem Wege zu Europa gewesen sind, aber das bisher Erreichte dadurch nicht etwa in Frage gestellt wird.Diese Tatsache in Verbindung mit dem, was insgesamt in Luxemburg erreicht worden ist in der Zusammenarbeit mit dem neuen Partner England und bei den Annäherungen, die zwischen England und der alten Gemeinschaft stattgefunden haben, gibt mir in bezug auf Italien Anlaß zu der Hoffnung, daß die Stagnation überwunden werden kann, die uns alle, uns, denen Europa am Herzen liegt, in der letzten Zeit in eine nicht unerhebliche Sorge gebracht hat. Hier wird abgebaut, was an Hemmnis-
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Ronneburgersen besteht. Hier werden neue Schritte ermöglicht. Daß dies bei den ersten Gesprächen des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Bundesaußenministers und auch in den Gesprächen des Herrn Bundeslandwirtschaftsministers erreicht werden konnte, ist, meine ich, eine Tatsache, die wir mit hoher Anerkennung registrieren sollten.Aber, Herr Kollege Narjes, gestatten Sie mir noch einige wenige anschließende Bemerkungen. Sie haben Ansätze zu Gesprächen mit den arabischen Staaten vermißt. Ist Ihnen eigentlich in der Opposition entgangen, daß solche Gespräche auf der Tagesordnung des Ministerrates in der nächsten Woche stehen und daß auch die Abstimmung mit den USA einer der Tagesordnungspunkte des Ministerrates in der nächsten Zeit ist?Ich will hier auf das Verhältnis von Kommission und Rat, auf das Sie aus Ihrer persönlichen Erfahrung im einzelnen eingegangen sind, nicht noch einmal im einzelnen zurückkommen. Daß hier nicht alles in Ordnung ist, daß hier etwas geändert werden kann und daß insbesondere trotz der Möglichkeiten eines neuen Haushaltsrechts — ich nenne nur den Rechnungshof —, Dinge, die man mit Nachdruck begrüßen muß, eben immer wieder die Rede auf das Parlament kommt, darüber sind wir uns einig. Nur sollte man nicht Dinge beklagen, die nicht beklagenswert sind, weil entsprechende Schritte bereits eingeleitet sind.Genauso, Herr Kollege Narjes, ist das zu werten, was Sie zur Priorität der Westpolitik gesagt haben. Aus den Reihen der Oppositionsfraktion ist z. B. auch immer wieder der Vorwurf gekommen, diese Bundesregierung, die Koalition habe das Verhältnis der Bundesrepublik zu den USA sträflich vernachlässigt. Ihre eigenen Vertreter, meine Damen und Herren, die nach drüben fahren, müssen von den Gesprächspartnern in den USA hören — sie geben das nach ihrer Rückkehr auch erfreulicherweise zu —, daß das Verhältnis zu den USA noch nie so gut gewesen sei wie heute.
Herr Biedenkopf schloß zu meiner großen Überraschung im Fernsehen an diese Bemerkung — das Verhältnis war noch nie so gut wie heute — eine zweite an, nämlich die, trotzdem bleibe der Vorwurf an die Bundesregierung berechtigt, sie habe dieses Verhältnis sträflich vernachlässigt.
Die Logik einer solchen Aussage mag Herr Biedenkopf mit sich selbst abmachen.Ich warne nur davor, zu glauben, Sie könnten der Bundesregierung hier Einseitigkeit in ihrer Politik vorwerfen. Das Verhältnis in Europa gibt Anlaß zu gemeinsamen Bemühungen, die Ostpolitik gibt Anlaß zu weiterer nüchterner und sicher zäher Arbeit, das Verhältnis zu unserem größten Partner im Bündnis der NATO, zu den USA, ist tatsächlich von der Bundesrepublik her geklärt. In den Gesprächen von Paris sehe ich auch einen Ansatzpunkt dafür, daß das Verhältnis der Europäischen Gemeinschaft zu den USA noch besser werden kann, als es heute ist.Ich glaube; daß die Berichte, die wir heute gehört haben, uns keine Illusionen vorgaukeln sollten, sondern daß sie uns deutlich gemacht haben, daß zähe und nüchterne Arbeit Aussicht auf Erfolg hat. Daß wir diesen Erfolg auch in der Bundesrepublik, daß wir ihn in und für Europa brauchen, darüber sollten wir uns alle in diesem Hause einig sein.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Fellermaier.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man 'könnte Ihnen eigentlich, Herr Kollege Narjes, kritische Sachlichkeit als Oppositionssprecher bestätigen. Nur hallt das, was Sie hier im Hause sagen, draußen eben anders. Der Herausgeber des „Bayernkurier", Herr Strauß, ließ dieser Tage folgendes verkünden: „Auf dem Hintergrund eines trotz des französischen Wahlausgangs eher feige zu nennenden Westeuropas und einer zur Ohnmacht verurteilten Führungsmacht USA . . ." Sehr freundliche Worte! Sie sprechen immer noch davon, daß die Vereinigten Staaten die Hauptverbündeten dieses westlichen Europas sein müßten, immer waren und von ihnen gepflegt worden sind. Dann sagen Sie: „einer zur Ohnmacht verurteilten Führungsmacht". Ich hoffe nur, daß Ihre Kollegen von der CDU/CSU dies in diesen Tagen bei der NATO-Parlamentarier-Konferenz drüben auf amerikanischem Boden genauso wiederholen.
Dann heißt es weiter:. . . daß sich die Bonner Mißachtung eigener Interessen heute noch bedrückender als gestern auswirke. Wann— so fährt der „Bayernkurier" fortwerden wir erkennen, daß uns — grob ausgedrückt -- weder Feind noch Freund noch überhaupt jemand sonst in der Welt auch nur im geringsten respektieren wird, wenn wir nicht die Tapferkeit aufbringen, unsere eigenen Interessen notfalls auch unbequem zu verfechten?
Verehrter Herr Kollege Narjes, genau das ist die Unterscheidung zu früheren Bundesregierungen im europäischen Ministerrat, nämlich daß seit der Haager Gipfelkonferenz von der Bundesrepublik auch unter Freunden ein deutlicheres Wort gesprochen worden ist.
Herr Kollege Narjes, noch eine Bemerkung zu Ihnen: Was soll eigentlich — der Kollege Ronneburger ist schon darauf eingegangen — diese ständige Wiederholung, daß jetzt endlich die Westorientierung unserer Politik wieder beginne? Unsere erfolgreiche Ostpolitik war nur möglich, weil sie in das Vertrauen Westeuropas eingebettet war.
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7126 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974
FellermaierMeine Damen und Herren, lassen Sie mich nun der Bundesregierung danken.
— Ich meine die Ostpolitik, Herr Kollege Kiechle, die den Frieden in Europa sicherer gemacht hat.
Ich möchte der Bundesregierung für die in Luxemburg erzielten Ergebnisse namens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion danken. Besonderer Dank gilt dem zur Zeit amtierenden Präsidenten des Rates, Herrn Bundesaußenminister Genscher. Unter seiner Leitung ist es gelungen, zum ersten Mal seit langer Zeit im Rat wieder echte Entscheidungen zu treffen. Damit, Herr Bundesaußenminister, haben Sie Ihre europäische Bewährungsprobe in Luxemburg in hervorragender Weise bestanden.
Nachdem sich die Gemeinschaft seit Monaten in einer schwierigen Phase befunden hat und die wohl schwerwiegendste Krise seit ihrem Bestehen durchlebt hat, gab es in der Tat in diesen Luxemburger Tagen eine Reihe von wesentlichen Beschlüssen.Lassen Sie mich nur einen herausgreifen, der keine Schlagzeilen gemacht hat. Endlich ist es in Luxemburg gelungen, ,den toten Punkt hinsichtlich des Mandats für die Europäische Kommission in den Verhandlungen mit 45 Ländern Afrikas, der Karibik und im Pazifik zu überwinden und der gleichzeitig stattfindenden Afrikanischen Konferenz in Dakar ein Signal zu geben, weil sich die Minister in den umstrittenen Fragen der Behandlung überseeischer Agrarprodukte geeinigt haben. Ich meine, das ist ein entscheidender Durchbruch in den Beziehungen der Europäischen Gemeinschaft zur Dritten Welt.
Durch die Beschlüsse von Luxemburg ist die Desintegration, die lange Monate Europa und auch uns in diesem Hause bewegt hat, abgewendet worden.Was das Erfreuliche dieser Luxemburger Tagung ist, ist die Tatsache, daß alle Mitgliedstaaten — ich betone: alle Mitgliedstaaten, und meine damit auch Großbritannien — erklärt haben, daß das bereits Erreichte nicht in Frage gestellt wird. Es war die einstimmige Meinung, daß über das bisher Erreichte hinaus das europäische Einigungswerk zielstrebig fortgesetzt werden sollte. Der politische Wille zur Weiterentwicklung der Gemeinschaft ist bei dieser Ministerratstagung klar und unmißverständlich zum Ausdruck gekommen.Die Schwierigkeiten, die sich für die Weiterentwicklung der Gemeinschaft in den letzten Monaten gezeigt haben und die niemand in der europäischen Politik leugnen will, sind in erster Linie auf die unterschiedlichen Strukturen vor allem wirtschaftspolitischer, aber nicht zuletzt auch sozialpolitischer Art in den verschiedenen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zurückzuführen. Die letzten Monatehaben deutlich für alle Regierungen und alle Parlamente gezeigt, daß sich die Unterschiede zwischen den Strukturen in den Mitgliedstaaten nicht verkleinert, sondern teilweise noch vergrößert haben. Daraus kann man nur ableiten, daß man alles tun muß, um die Wirtschafts- und Währungsunion in den Bereich einer nicht mehr allzu fernen Realisierung zu rücken. Sie haben aber auch deutlich gemacht, daß Wirtschafts-, Konjunktur- und Währungspolitik, wenn überhaupt, auf die Dauer nur harmonisiert erfolgreich sein können.Die Kontinuität der Politik der Regierung Schmidt/ Genscher, angekündigt in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers, gilt insbesondere auch für die Europapolitik. Die bereits unter den ersten beiden Regierungen der sozialliberalen Koalition angestrebten Ziele werden weiter verfolgt. Luxemburg hat dies gezeigt.Luxemburg hat aber auch noch etwas anderes gezeigt: daß in Europa die Einigung nur dann fortschreiten kann, wenn eine grundsätzliche Übereinstimmung zwischen der deutschen und der französischen Regierung besteht. Wir danken dem Bundeskanzler, daß er die erste Auslandsreise nach Paris angetreten hat, um damit zu dokumentieren, welchen Stellenwert der deutsch-französische Vertrag für diese sozialliberale Koalition einnimmt.
Die Gespräche zwischen Bundeskanzler Schmidt und dem französischen Staatspräsidenten Giscard waren in dieser Hinsicht äußerst wertvoll für die Entwicklung, für die Erleichterung in der Gemeinschaftspolitik. Es wird keine Achse Bonn—Paris geben; niemand will das. Trotzdem sage ich hier für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion: Erfolgreiche Europapolitik setzt eben ein enges deutsch-französisches Verhältnis voraus. Der Dialog ist am Sonntag eröffnet worden. Ich bin überzeugt, daß er kontinuierlich und erfolgreich von diesem Bundeskanzler fortgesetzt wird.
Eine gemeinsame Politik in Europa setzt gemeinsame Information voraus. Noch am selben Tage, als die Gespräche in Paris beendet waren, sind alle Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft ausführlich über das Ergebnis des Treffens informiert worden.Daß sich in der politischen Haltung Frankreichs seit Pompidou einiges verändert hat, ist in diesen Tagen in der französischen Nationalversammlung deutlich geworden; denn der neue Ministerpräsident Chirac hat die Europapolitik in den Mittelpunkt seiner Regierungserklärung gestellt.Zu der Regierungserklärung des Herrn Bundesaußenministers darf ich noch einige Anmerkungen machen. Für uns als Parlamentarier — ich hoffe, hier auch sagen zu dürfen: für uns als Europa-Parlamentarier — sind die Ergebnisse hinsichtlich der Haushaltsbefugnisse des Europäischen Parlaments besonders begrüßenswert. Erfreulich ist vor allem, daß
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974 7127
Fellermaierhier der Kompromißvorschlag der deutschen Präsidentschaft angenommen wurde, der bereits seit einem halben Jahr auf dem Tisch des Rats gelegen hatte. Damit ist zwar, Herr Kollege Dr. Narjes, noch ein langer Weg hin bis zu den direkten Wahlen des Europäischen Parlaments, aber ein erster Schritt in Richtung Demokratisierung der Gemeinschaft und Aufstufung der Legislative in den gleichen Wertrang wie die Exekutive — Rat — ist damit eingeleitet und kann von niemandem mehr zurückgedreht werden. Man kann nur hoffen, daß die nationalen Parlamente die erforderlichen Vertragsänderungen durch Ratifizierung im Laufe dieses Jahres durchführen werden.Wir freuen uns aber auch besonders über die Ergebnisse, was die Verbesserung des Entscheidungsverfahrens im Rat angeht. Wir alle wissen, daß sich im Rat in den letzten Jahren eine Unmenge von Richtlinienvorschlägen und Verordnungen der Kornmission angesammelt haben, die seit Monaten unerledigt in den Schreibtischschubladen des Rates liegen. Auf der Grundlage der Erklärung des Präsidenten der Kommission Ortoli und des damaligen Ratspräsidenten Außenminister Scheel vom 1. April 1974 waren Vorschläge zur Verbesserung der Arbeitsweise des Rats unterbreitet worden, die jetzt zum Teil bereits in dieser Luxemburger Tagung angenommen worden sind.Wir begrüßen vor allem, daß der Ministerrat in Zukunft politische Aussprachen im engsten Kreis vor jeder Ratssitzung durchführen wird. Endlich wird es nicht mehr UNO-Vollversammlungen im Gebäude des Ministerrats in Brüssel geben.
— Aber natürlich, Herr Kollege Mertes! 250 Teilnehmer bei den Sitzungen des Ministerrats — da muß man sich doch wirklich fragen, ob das europäischer Arbeitsökonomie entspricht, zumal wenn sich die Herren Außenminister noch über Kontingente von Schnittblumen unterhalten müssen.
Es werden sich also künftig in kleinem Kreis die Außenminister mit den ständigen Vertretern und mit dem Präsidenten der Kommission über die wichtigsten politischen Fragen unterhalten und damit hoffentlich auch schneller als bisher einigen können.Auch die Treffen der ständigen Vertreter, die künftig den Ratssitzungen vorgelagert sein sollen und in Anwesenheit des Kommissionspräsidenten stattfinden, sind eine wesentliche Verbesserung des bürokratischen und schwerfälligen Apparats in der Entscheidung im Rat. Die ständigen Vertreter werden, wie wir aus dem Munde des Bundesaußenministers gehört haben, umfassendere Weisungen mit weiterem Verhandlungsspielraum erhalten, damit bereits auf ihrer Ebene Einigung in gewissen Fragen erzielt werden kann. Ich hoffe, Herr Außenminister, daß Sie sich künftig in der Außenministersitzung mit Ihrem Kollegen Ertl nur noch über die Qualität eines Weines, nicht aber mehr über dasRebsaatgut werden unterhalten müssen. Ich hoffe, daß die ständigen Vertreter diese Dinge fix und fertig auf den Tisch des Hauses legen.
-- Er soll Ihnen munden, wenn Sie Ihre Luxemburger Erfolge, wie ich überzeugt bin, fortsetzen werden.Ich habe aber eine Bitte an die Bundesregierung. Es geht jetzt auch darum — hier unterscheiden wir uns, Herr Kollege Dr. Narjes, in einer Detailbeurteilung —, daß in Zukunft durch Stimmenthaltung, durch die Bereitschaft zur Stimmenthaltung einzelner Mitgliedsländer in schwierigen Fragen Beschlüsse erleichert und überhaupt erst möglich werden. Dies wäre ein erster wesentlicher Schritt hin zum Abbau des Luxemburger Kompromisses von 1966, durch welchen das Einstimmigkeitsprinzip im Rat aus Gründen, die wir alle kennen und über die wir nicht streiten müssen, eingeführt wurde.Ich meine auch, daß sich unsere Regierung bemühen sollte — dies hat sie bisher schon versucht —, daß die Kommission größere Befugnisse übertragen erhält, damit sie ihre Rolle voll ausfüllen kann.Lassen Sie mich noch ein Wort sagen zu den britischen Wünschen nach sogenannten „Neuverhandlungen". Dabei setze ich das Wort „Neuverhandlungen" ganz bewußt in Anführungszeichen. Ich glaube, hier ist es notwendig, zur Kenntnis zu nehmen, was das britische Außenministerium nach der Luxemburger Ratstagung in einem offiziellen Pressekommunique in London veröffentlicht hat — ich darf mit der Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren —:In der Aussprache ist von allen Delegationen, insbesondere auch von britischer Seite, bekräftigt worden, daß eine Änderung der bestehenden Verträge nicht beabsichtigt ist, sondern Lösungen für die von britischer Seite aufgeworfenen Fragen im Rahmen der bestehenden Verträge gesucht werden sollen. Außerdem möchte ich— so der Sprecher —festhalten, daß alle Delegationen die 'britische Versicherung, daß sie keinen Stillstand der Arbeiten der Gemeinschaft will, begrüßt haben. Schließlich haben alle Delegationen mit Befriedigung von der britischen Erklärung Kenntnis genommen, daß ihre Wünsche hinsichtlich der Verteilung der Finanzlasten das System der eigenen Einnahmen nicht in Frage stellen sollen.Insofern, Herr Kollege Narjes, kann man die erste Erklärung des britischen Außenministers heute einfach nicht mehr in die Debatte einführen, weil hier eine andere Substanz in der grundsätzlichen Haltung der britischen Regierung gegeben ist, weil sie selbst nicht mehr von Neuverhandlungen spricht, sondern nur von Verhandlungen, vor allem in der Frage der Finanzlasten, und der Ministerrat übereingekommen ist, die Kommission zu beauftragen, eine Inventur
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7128 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 105. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Juni 1974
Fellermaierin der Europäischen Gemeinschaft hinsichtlich der finanziellen Belastungen vorzunehmen.Wir werden uns in wenigen Monaten in diesem Hause auch über die deutschen finanziellen Belastungen vom 1. Januar 1975 an sorgfältig zu unterhalten haben, wenn nämlich die Finanzhoheit durch Zölle und andere Abschöpfungen und einen Bruchteil der Mehrwertsteuer an der Kasse des nationalen Finanzministers vorbei unmittelbar in die Brüsseler Verantwortung geht. Um so bedeutungsvoller ist natürlich auch die Tatsache, daß der Ministerrat dem Europäischen Parlament nicht nur im Bereich des Haushalts mehr Rechte geben will, sondern daß er darüber hinaus in Luxemburg den Grundsatzbeschluß gefaßt hat, einen europäischen Rechnungshof, ausgestattet mit allen Kompetenzen, zu errichten, um im Finanzgebaren der Gemeinschaft etwas transparenter zu werden; manchmal möchte man fast sagen: etwas solider zu werden.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen, meine Damen und Herren. Wenn wir uns vergegenwärtigen, welche düsteren Prognosen noch vor einigen Wochen landauf, landab für die Zukunft der Gemeinschaft gestellt worden sind, dann können wir heute feststellen, daß diese Prognosen nicht eingetroffen sind, nicht Wirklichkeit geworden sind.
Ich meine, daß die Forderungen, die die Sprecher der sozialliberalen Koalition in der Europadebatte vor einigen Monaten erhoben haben, inzwischen in wesentlichen Teilen von dieser Bundesregierung bereits erfüllt worden sind. Ich glaube, Herr Bundesaußenminister, Ihre erste Ratstagung war ein gutes Omen für die weitere Integration in Europa.
Wird das Wort noch gewünscht? Das ist nicht der Fall. Dann sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe das Haus auf Dienstag, den 11. Juni, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.