Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Am 31. Mai 1974 verstarb in einem Neunkirchener Krankenhaus im Saarland unser Kollege Werner Ferrang im 51. Lebensjahr.Unmittelbar im Anschluß an den Kommunalwahlkampf im Saarland, also Anfang Mai dieses Jahres, legte er sich auf das Krankenbett und erholte sich nicht mehr.Werner Ferrang wurde am 28. Januar 1924 in Kirkel-Neuhäusel, Kreis Homburg, geboren. Nach dem Besuch der Volks- und Berufsschule erlernte er das Dreherhandwerk, von 1942 bis zum Kriegsende war er Soldat. Schon im Jahre 1948, als Dreher tätig, wurde er Mitglied des Christlichen Metallarbeiterverbandes, in dem er vom März 1953 bis 1966 die Stelle eines Sekretärs einnahm. Seit Mai 1966 war er Sekretär der IG Metall für die Bundesrepublik Deutschland.Werner Ferrang gehörte seit 1959 der Christlich Demokratischen Union an und war seit 1963 Vorsitzender der CDU-Sozialausschüsse im Kreise Ott-weiler und Mitglied ihres Landesvorstandes für das Saarland. Außerdem arbeitete er von 1964 bis 1973 als Kreistags-Mitglied der CDU im Kreise Ottweiler und als Mitglied der Vertreterversammlung der Arbeitskammer des Saarlandes.Werner Ferrang gehörte dem Deutschen Bundestag seit Beginn dieser Wahlperiode an. Er war ordentliches Mitglied im Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und stellvertretendes Mitglied im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit.Der Lebenslauf Werner Ferrangs legt den Weg eines engagierten Politikers offen, dessen Einsatz und Kraft der Verbesserung der sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen galten. Der Tod hat diesem aktiven politischen Leben ein zu frühes Ende gesetzt.Ich spreche der Familie unseres verstorbenen Kollegen Ferrang und der Fraktion der CDU/CSU die aufrichtige Anteilnahme des ganzen Hauses aus. Wir werden Werner Ferrang ein ehrendes Andenken bewahren.Meine Damen und Herren, für den verstorbenen Abgeordneten Ferrang tritt mit Wirkung vom 1. Juni 1974 die Abgeordnete Frau Pack in den Bundestag ein.Der Abgeordnete Hermsdorf hat am 30. Mai 1974 sein Mandat niedergelegt. Als sein Nachfolger tritt mit Wirkung vom 3. Juni 1974 der Abgeordnete Dr. Schwenck in den Bundestag ein.Ich begrüße die beiden Kollegen sehr herzlich und wünsche ihnen eine erfolgreiche Mitarbeit im Bundestag.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Liste aufgeführten Vorlagen ergänzt werden:1. Beratung des Einspruchs des Bundesrates zu dem Fünften Gesetz zur Reform des Strafrechts— Drucksache 7/2181 —2. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes
— Drucksache 7/2171 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß , Ausschuß für Wirtschaft, Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO3. Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und des Aufwertungsausgieichsgesetzes— Drucksache 7/2111 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß , Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO4. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung einer Zusatzversorgungskasse für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwlrtschaft — ZVALG —— Drucksache 7/1342 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/2112 — Berichterstatter: Abgeordneter Löfflerb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 7/2066 —Berichterstatter: Abgeordneter Wolf
— Das Haus ist einverstanden. Die Erweiterung der Tagesordnung ist damit beschlossen.
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6924 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Präsident Frau RengerEs liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:Betr.: Bericht der Bundesregierung über die Lage von Presse und Rundfunk in der Bundesrepublik Deutschland
— Drucksache 7/2104 —zuständig: Innenausschuß , Ausschuß für Wirtschaft,Ausschuß für Bildung und Wissenschaft, HaushaltsausschußBetr.: Bericht der Bundesregierung über frühreifende und qualitativ hochwertige Ergänzungsrebsorten zur Verbesserung der Weine in witterungsmäßig ungünstigen Jahrenhier: Gesetz über Wein, Dessertwein, Schaumwein, weinhaltige Getränke und Branntwein aus Wein
Bezug: Beschluß des Deutschen Bundestages vom 23. April 1969— Drucksache 7/2115 —zuständig: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
, Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Betr.: Bericht der Bundesregierung über die wirtschaftlicheund soziale Sicherung des StudiumsBezug: Beschluß des Deutschen Bundestages vom 9. Juni 1971 — Drucksache 7/2116 —zuständig: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft , Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung— Erhebt sich Widerspruch? — Das ist nicht der Fall; es ist so beschlossen.Der Bundesminister der Finanzen hat gemäß § 37 Abs. 4 der Bundeshaushaltsordnung die Zusammenstellung der über- und außerplanmäßigen Ausgaben im 4. Vierteljahr des Haushaltsjahres 1973 — Drucksache 7/2113 — übersandt, die dem Haushaltsausschuß überwiesen werden. — Das Haus ist auch damit einverstanden; es ist so beschlossen.Als Mitglieder des Verwaltungsrates der Lastenausgleichsbank haben die Fraktion der SPD den Abgeordneten Kater, die Fraktion der CDU/CSU den Abgeordneten Dr. Althammer zur Wiederwahl vorgeschlagen. Ist das Haus mit diesen Vorschlägen einverstanden? — Das ist der Fall; es erhebt sich kein Widerspruch. Damit sind der Abgeordnete Kater und der Abgeordnete Dr. Althammer gemäß § 7 Abs. 4 des Gesetzes über die Lastenausgleichsbank als Mitglieder des Verwaltungsrates der Lastenausgleichsbank wiedergewählt.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung wie folgt abgewickelt werden. Zunächst werden aufgerufen der Zusatzpunkt 1 in der Tagesordnung, Einspruch des Bundesrates, sowie die Tagesordnungspunkte 4 bis 7, Anträge des Vermittlungsausschusses, in der Reihenfolge: Punkte 4, 7, 5 und 6. Die Abstimmungen darüber sind für 11.30 Uhr vereinbart. Im Anschluß daran beginnt die Fragestunde. Nach der Fragestunde wird Punkt 2 der Tagesordnung in Verbindung mit dem Zusatzpunkt 2 aufgerufen. Im Anschluß daran werden Punkt 3 der Tagesordnung und die Zusatzpunkte 3 und 4 aufgerufen.Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesminister für Verkehr hat mit Schreiben vom 21. Mai 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rawe, Dr. Jobst, Reddemann, Schulte , Vehar, Dr. FreiherrSpies von Büllesheim und Genossen betr. Konsequenzen aus dem Schriftligen Bericht des 1. Untersuchungsausschusses des 6. Deutschen Bundestages — Drucksache 7/2062 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/2158 verteilt.Der Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 29. Mai 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Sprung, Höcherl, Leicht, Dr. Häfele, Dr. Köhler , Röhner, Schmidhuber, Dr. Zeitel, Wohlrabe und der Fraktion der CDU/CSU betr. Geld- und Kreditpolitik — Drucksache 7/2103 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/2177 verteilt.Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen hat mit Schreiben vom 22. Mai 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rollmann, Picard und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. akademischer Austausch mit dem Ausland — Drucksache 7/2051 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/2178 verteilt.Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat mit Schreiben vom 29. Mai 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Kiechle, Höcherl, Dr. Kunz , Dr. Ritz, Röhner, Eigen, Niegel, Dr. Althammer, Dr. Müller-Hermann, Biehle, Graf Stauffenberg, Bewerunge, Susset, Dr. Jenninger und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. italienische Importrestriktion auf dem Agrarsektor — Drucksache 7/2101 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/2179 verteilt.Der Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft hat mit Schreiben vom 31. Mai 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Engholm, Rappe , Vogelsang, Wüster, Dr. Meinecke (Hamburg), Biermann, Mahne, Stahl (Kempen), Frau Schuchardt, Schmidt (Kempten), Wurbs und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Situation der beruflichen Bildung -Drucksache 7/2030 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/2184 verteilt.Der Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft hat mit Schreiben vom 30. Mai 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Pfeifer, Dr. Gölter, Frau Benedix, Dr. Fuchs, Hauser , Dr. Hornhues, Frau Hürland, Hussing, Dr.Ing. Oldenstädt, Dr. Probst, Dr. Schäuble, Dr. Waigel und der Fraktion der CDU/CSU betr. Abstimmung von Ausbildungsordnungen für die Berufsbildung zwischen Bund und Ländern - Drucksache 7/2058 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/2185 verteilt.Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr hat mit Schreiben vom 30. Mai 1974 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sick, von Hassel, Eigen, Möller , Bremer, Dr. Narjes, Frau Tübler und Genossen betr. Sicherstellung der Finanzmittel für die betriebsnotwendige Unterhaltung von Bauwerken und Einrichtungen am Nord-Ostsee-Kanal — Drucksache 7/2100 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/2186 verteilt.Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 31. Mai 1974 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:Zweites Gesetz zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes
Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1974
Zu dem Haushaltsgesetz 1974 hat der Bundesrat ferner Entschließungen gefaßt, die als Anlage 2 diesem Protokoll beigefügt sind.Zum Fünften Gesetz zur Reform des Strafrechts hat der Bundesrat gemäß Artikel 77 Abs. 3 des Grundgesetzes Einspruch eingelegt. Sein Schreiben ist als Drucksache 7/2181 verteilt.Überweisung von EG-VorlagenDer Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:Verordnung des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Kernforschungsstelle, die in Belgien dienstlich verwendet werden— Drucksache 7/2077 —überwiesen an den Innenausschuß mit der Bitte um Vorlage desBerichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Anpassung der Berichtigungskoeffizienten, die auf die Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften anwendbar sind— Drucksache 7/2106 —überwiesen an den Innenausschuß mit der Bitte um Vorlage desBerichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über die Erhebung einer Ausfuhrabgabe bei gewissen gezuckerten Erzeugnissen auf der Grundlage von Getreide, Reis und von Milch im Falle von Versorgungsschwierigkeiten mit Zucker— Drucksache 7'2107 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 6925
Präsident Frau RengerVerordnung des Rates zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Veredelungsarbeiten an bestimmten Spinnstoffen im passiven Veredelungsverkehr der Gemeinschaft— Drucksache 7/2108 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Festsetzung der Schwellen-preise für Getreide für das Wirtschaftsjahr 1974/1975— Drucksache 7/2166 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Ergänzung der Verordnung (EWG) Nr. 1302/73 bezüglich der Übernahme bestimmter Transportkosten für zur Intervention angebotene Erzeugnisse im Rindfleischsektor— Drucksache 7/2167 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1695/73 des Rates zur Bestimmung, inwieweit die für Rindfleisch anzuwendenden Währungsausgleichsbeträge wegen der niedrigeren Bewertung einer Währung höher sein können als die Belastung bei der Einfuhr aus Drittländern— Drucksache 7/2168 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Änderung des Zeitraums für die Festsetzung des Pauschalwerts zur Berechnung des finanziellen Ausgleichs für Fischereierzeugnisse— Drucksache 7/2165 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung
Nr. 1411/71 hinsichtlich des Fettgehalts von Vollmilch
— Drucksache 7/2169 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über die zeitweilige Aussetzung von autonomen Zollsätzen des Gemeinsamen Zolltarifs für einige landwirtschaftliche Waren— Drucksache 7/2170 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVor Eintritt in die Tagensordnung erteile ich das Wort zu einer tatsächlichen Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung dem Herrn Abgeordneten Dr. Carstens.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion gebe ich die folgende Erklärung ab.Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Herbert Wehner, hat laut einer Pressemitteilung der SPD vom 27. Mai 1974 auf einer Großkundgebung der SPD in Hannover u. a. folgendes gesagt:SPD und FDP gemeinsam haben die feindselige Kampagne der Rechtsparteien zum Scheitern gebracht. Der heimtückische Versuch eines kalten Staatsstreiches wurde zurückgeschlagen.Die CDU/CSU-Fraktion weist diese Unterstellung als eine schwere Verleumdung auf das schärfste zurück.
Die Rede des Vorsitzenden der SPD-Fraktion stellt die gemeinsame Grundlage, auf der die demokratischen Parteien der Bundesrepublik Deutschland bisher zusammengearbeitet haben, in Frage. Sie ist damit ein Angriff auf die freiheitliche Grundordnung selbst.
Es ist nicht die erste Äußerung des SPD-Fraktionsvorsitzenden, die in diese Richtung geht.
Die Geschichte der Weimarer Republik hat gezeigt, daß die hemmungslose Verunglimpfung des politischen Gegners durch rechtsextreme und linksextreme Parteien
zum Untergang einer freiheitlich-rechtsstaatlichen Ordnung führen kann.
Die damaligen Parteien, die eindeutig auf dem Boden der Weimarer Verfassung standen, einschließlich der Sozialdemokratischen Partei, wurden durch Kommunisten und Nationalsozialisten systematisch diffamiert.
An diese Vorgänge werden wir erinnert, wenn wir heute aus dem Munde des SPD-Fraktionsvorsitzenden die soeben wiedergegebenen Äußerungen hören.
Es muß alle Deutschen, die den freiheitlichen Staat der Bundesrepublik Deutschland erhalten und verteidigen wollen, mit großer Sorge erfüllen, wenn der Vorsitzende der SPD-Fraktion seine Verleumdungen jetzt gegen die beiden Parteien der CDU und CSU richtet, die etwa die Hälfte aller in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Bürger repräsentieren und die ebenso wie die anderen demokratischen Parteien Garanten einer freiheitlichen Staatsordnung in diesem Lande sind.
In der politischen Auseinandersetzung, die das Wesen des freiheitlichen Rechtsstaates ausmacht, muß jede Partei dem politischen Gegner, der auf dem Boden dieses Staates steht, zubilligen, daß er eine demokratische Alternative bietet.
Gegen diesen Grundsatz verstößt der Vorsitzende der SPD-Fraktion systematisch.
Die CDU/CSU appelliert an ihn, seine Äußerungen vom 27. Mai 1974 zurückzunehmen.
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6926 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Das Wort zu einer weiteren Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Rede, auf die der Herr Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Bezug genommen hat, enthält deutliche Feststellungen darüber, gegen wen sich die Vorwürfe richten. Wenn von mir erwartet wird, daß ich etwas zurückzunehmen hätte, so muß ich Ihnen erklären, daß ich die Praxis nicht kenne, die z. B. darin besteht —
jeder, der hier am 21. Mai 1974 die Rede des Herrn Abgeordneten Strauß, Vorsitzender der CSU, gehört hat mit ihren Anspielungen auf das, was dann von mir als „kapitale Lüge", die geplatzt ist, verstanden werden mußte, und die auch noch von der CSU-Landesgruppe als unkorrigierter Text verbreitet worden ist,
muß feststellen, daß es sich darum handelte —, daß sich Herr Strauß schon am 26. Mai 1974 und per Vormeldung am 25. Mai 1974 distanzierte von dieser Verwandtschaft dessen, was er gesagt hatte, mit jener von mir als kapitale Lüge bezeichneten Kampagne besonderer Art. Das gehört wohl zur Praxis. Und am 27. Mai 1974 hat er in einem Interview in einer großen Tageszeitung faktisch seine Behauptung erneuert.
Ich sage Ihnen, sehr verehrter Herr Kollege Dr. Carstens: Kalter Staatsstreich steht zum Staatsstreich in entsprechendem Verhältnis wie kalter Krieg zum Krieg.
Meine Damen und Herren, die Erklärungen nach § 36 der Geschäftsordnung sind abgegeben.
Zu einer persönlichen Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung hat nunmehr der Herr Abgeordnete Wolfram das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, der Abgeordnete Rudolf Seiters, hat in der Bundestagssitzung am 2. April 1974 — nachweislich des Protokolls über diese Sitzung — in Zwischenrufen Behauptungen über mich geäußert, die nicht der Wahrheit entsprechen. Ich weise diese Unterstellungen zurück und bedauere außerordentlich, daß sich Herr Seiters nicht zu einer Zurücknahme seiner wahrheitswidrigen Bemerkungen entschließen konnte.
Meine Damen und Herren, Sie haben die persönlichen Erklärungen gehört.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 der heutigen Tagesordnung auf:
Beratung des Einspruchs des Bundesrates zu dem Fünften Gesetz zur Reform des Strafrechts
— Drucksache 7/2181 —
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Dürr.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit vielen Jahren ist kein Gegenstand der Gesetzgebung im Plenum des Deutschen Bundestages, in seinen Ausschüssen und Fraktionen so ausführlich und mit so viel Gewissenhaftigkeit beraten worden wie die Reform des § 218 des Strafgesetzbuches.
Herr Abgeordneter, eine Sekunde! Ich bitte die Damen und Herren um Ruhe für den Redner.
Dem Bundestag lagen vier Reformmodelle zur Beratung vor, die alle im Laufe der Ausschußberatungen verändert und verbessert worden sind. Sie wurden danach im Plenum in einem Verfahren zur Aussprache und zur Abstimmung gestellt, das jedem Abgeordneten die bestmögliche Chance bot, seine Auffassung und seine Stimme unbeeinflußt von Mehrheitsauffassungen seiner Partei und seiner Fraktion zur Geltung zu bringen.In der dritten Beratung blieb der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion mit 217 Ja-Stimmen gegen 267 Nein-Stimmen in der Minderheit. Der Entwurf der Koalitionsfraktionen SPD und FDP, die Fristenregelung, ist in den Bundestagsausschüssen insbesondere in dem Punkt verbessert worden, daß eine obligatorische Beratung der Schwangeren mit dem Ziel zu erfolgen hat, die Fortsetzung der Schwangerschaft und die Lage von Mutter und Kind zu erleichtern. Dieser Entwurf fand am 26. April mit 247 Ja-Stimmen bei 233 Nein-Stimmen und 9 Enthaltungen eine Mehrheit.Gegen diesen Bundestagsbeschluß hat die Bundesratsmehrheit, die dabei bestimmt nicht spezielle Belange der Bundesländer vertreten hat, Einspruch eingelegt mit dem Begehren, der Vermittlungsausschuß möge den Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion zur Annahme empfehlen, obwohl diesem Vor-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 6927
Dürrschlag im Bundestag 51 Stimmen zur relativen Mehrheit gefehlt haben.
Dazu wurde auch in der Öffentlichkeit gesagt, die Bundesratsmehrheit stehe einer anderen Formulierung der Indikationen, etwa nach dem Vorschlag des Ärztetages, nicht ablehnend gegenüber.In den beiden weitaus wichtigsten Punkten, in denen sich der Entwurf der CDU/CSU-Fraktion vom Antrag der Koalitionsfraktionen SPD und FDP und auch vom Gruppenantrag von SPD-Abgeordneten unterscheidet, war von Bundesratsmehrheit und Opposition weit und breit kein Kompromißvorschlag zu vernehmen.Ich möchte diese beiden Punkte noch einmal klar herausstellen. Die geltende Fassung des § 218 des Strafgesetzbuches mit seiner unbedingten Bedrohung des Schwangerschaftsabbruches mit Strafe konnte werdendes Leben nicht wirksam schützen. Sie hat alljährlich Hunderttausende von Frauen in seelische und körperliche Not geraten lassen. Sozialstaatliche Angebote zur Beratung und Hilfe wurden von den Schwangeren nicht angenommen, weil diese aus Furcht vor Aufnahme ihrer Personalien in eine Kartei und aus Angst vor Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten ihre Konfliktsituation höchstens mit ihren Angehörigen oder mit dem Vater des zu erwartenden Kindes erörterten. Diese Situation des Unberatenseins, die leicht in Panik umschlug, war der Anlaß für viele unsachgemäß durchgeführte Schwangerschaftsabbrüche, die bei Tausenden von Frauen Schaden an Leben und Gesundheit verursacht haben. Diese Situation des Unberatenseins war aber auch der Anlaß für viele Reisen ins Ausland, wo für Geld ein Schwangerschaftsabbruch zu haben war.Aus dieser Erkenntnis heraus sind wir der Überzeugung, daß ein tatsächlich wirksamer Schutz des werdenden Lebens nur erfolgen kann, wenn die Beratung ausgebaut und der Zugang zu ihr erleichtert wird.
Eine solche Hilfe wird aber nur angenommen, wenn die Schwangere weiß, daß sie sich ohne jedes Risiko beraten lassen kann. Das heißt mit anderen Worten: nur eine weitgehende Rücknahme des staatlichen Strafanspruchs macht für die Schwangeren den Weg zur Beratung frei.Wir sind dem Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland für eine Äußerung in einer Stellungnahme, die uns allerdings sehr spät zugegangen ist, sehr dankbar. Dort sagt Landesbischof Dr. Helmut Claß:Ich halte es auch für möglich, in der rechtlichen Regelung des Verfahrens, in der tatsächlichen Ausgestaltung des Beratungswesens und seiner Anwendung auf den Einzelfall zu einer Lösung zu kommen, die eine grundsätzliche Straffreiheit der beteiligten Frauen rechtfertigt.Beratung ohne Angst, das ist unser Grundanliegen.Das zweite läßt sich in dem Satz zusammenfassen: Beratung ohne Vertrauen zu den Beratenden bleibt wirkungslos. Deshalb halten wir es für unabdingbar, daß die Schwangere frei wählen kann, wo sie sich Rat holen will. Die im CDU/CSU-Entwurf vorgesehene, amtlich bestellte, für den Wohnbezirk der Schwangeren örtlich zuständige Gutachterstelle schafft kein Vertrauen. Sie wirkt auf die betroffenen Frauen eher abschreckend.In diesen beiden für uns entscheidenden Punkten wurde von der Opposition in diesem Hause und von der Bundesratsmehrheit auch nicht der kleinste Schritt zur Annäherung sichtbar. Der neuerliche Einspruch des Bundesrates schränkt, wie jedermann in Art. 77 Abs. 3 des Grundgesetzes nachlesen kann, die Möglichkeiten des Parlaments wesentlich ein. Der Bundestag kann heute nicht mehr zwischen vier Modellen wählen oder gar über Änderungsanträge dazu abstimmen; er kann über die Sache nicht einmal mehr diskutieren. Es sind nur noch Erklärungen zur Abstimmung zulässig. Die Alternative bei der Abstimmung ist klar und eindeutig: Wird der Einspruch des Bundesrates von der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages zurückgewiesen, dann wird die Fristenregelung mit verbesserter Beratung, die im Bundestag am 26. April eine relative Mehrheit gefunden hat, Gesetz. Wird der Einspruch nicht mit absoluter Mehrheit zurückgewiesen, dann ist die Reform des § 218 gescheitert. Es bliebe dann beim derzeitigen Rechtszustand, den alle relevanten gesellschaftlichen und politischen Kräfte in diesem Lande für untragbar, inhuman und dringend reformbedürftig halten.Fristenregelung oder überhaupt keine Reform: diese Frage bei der heutigen Abstimmung legt es auch denen, die die Fristenregelung nicht für den bestmöglichen Vorschlag halten, nahe, ihre Stimme so abzugeben, daß die Reform nicht scheitert. Wenn die Abstimmungsfrage heute nur noch lautet: Fristenregelung oder Scheitern der Reform, dann sollte sich die Opposition fragen, ob sie es vor der Bevölkerung verantworten kann, ihre Stimmen für das Scheitern ,der Reform abzugeben. Ich stelle diese Frage, um Sie von der CDU/CSU ein wenig nachdenklich zu machen.
Vertreter Ihrer Fraktion haben von der breiten Mehrheit gesprochen, mit der die Reform des § 218 verabschiedet werden soll. Sie sind dabei doch hoffentlich nicht von der Voraussetzung ausgegangen, diese breite Mehrheit könne selbstverständlich nur dadurch zustande kommen, daß die andere Seite und nicht die CDU/CSU nachgebe.Frau Kollegin Funcke hat am 26. April gesagt: „Niemand geht aus dieser Abstimmung ohne Schuld." Dieses Wort gilt auch für den heutigen Tag. Niemand sollte heute diesen Saal verlassen in dem Gefühl, Sieger oder Besiegter zu sein. Kein Befürworter der Fristenregelung darf sagen: Es ist erreicht. Dazu sind die noch vor uns liegenden Aufgaben viel zu groß. Und kein Gegner der Fristenregelung sollte sich auf den Standpunkt stellen: Der heutigen Mehrheit werden wir es schon zeigen
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Dürr— sei es bei dem noch im Gesetzgebungsverfahrenbefindlichen sozialen Ergänzungsgesetz, sei es durchentsprechende Beschlüsse in kommunalen Gremien.Ein nach ausführlichster, gründlicher Beratung ordnungsgemäß zustande gekommenes Gesetz verlangt von allen Beachtung im Interesse des Rechtsfriedens. Und weil keine Änderung des Strafrechts ein soziales Problem lösen kann, bleiben wir alle aufgerufen, in Bund, Ländern und Kommunen auf allen Sachgebieten das Möglichste zu tun, um die Bundesrepublik Deutschland kinderfreundlicher zu machen. Dazu kann auch jeder einzelne Bürger seinen Teil beitragen, indem er überall dort seine Stimme erhebt, wo er z. B. Reste von Diffamierung einer nichtehelichen Mutter bemerkt.Der Kampf um den § 218 ist beendet. Daß die Bundesrepublik Deutschland kinderfreundlicher werden soll, bleibt uns allen als gemeinsame Aufgabe.Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands stimmt für die Reform des § 218 und weist den Einspruch der Bundesratsmehrheit zurück.
Das Wort zu einer Erklärung hat der Herr Abgeordnete Dr. Carstens.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Abstimmung zu § 218 des Strafgesetzbuches ist für mich und meine Fraktion und für viele Menschen in diesem Lande eine große Enttäuschung. Sie hatten Erwartungen in den Vermittlungsausschuß gesetzt; sie hatten ein Ergebnis erwartet, dem eine breite Mehrheit dieses Hauses hätte zustimmen können.Herr Kollege Dürr, ich muß Ihnen widersprechen, wenn Sie sagen, von seiten der CDU/CSU sei im Vermittlungsausschuß keine Vermittlungsbereitschaft erkennbar geworden. Die Vertreter der CDU/ CSU im Vermittlungsausschuß hatten, wie Sie sicher wissen werden, die Einsetzung eines Unterausschusses beantragt, in dem die Vermittlung versucht und eine gemeinsame Basis gefunden werden sollte.
Sicher wäre ein einmütiges oder auf breiter Basis beruhendes Ergebnis nicht von allen Seiten und überall mit ganzem Herzen vertreten worden, aber doch in dem Bewußtsein, in dieser schwierigen Angelegenheit die größtmögliche Einigkeit herbeigeführt zu haben.Diese Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Wir müssen feststellen, daß diese Reform wie keine andere eine weitgehende Übereinstimmung erfordert hätte. Eine schmale Mehrheit wird aber jetzt dazu benutzt, die eine Hälfte unseres Volkes gegen die andere auszuspielen. Denn das muß hier festgehalten werden: Die Ansichten in dieser Frage teilen unser Volk in zwei Hälften. Welch eine Möglichkeit, die Emotionen der Öffentlichkeit im Parlament in die Bahnen einer wohlabgewogenen Lösung zu lenken, ist hier vertan worden!
Meine Damen und Herren, eine Verständigung wäre möglich gewesen. Und, Herr Kollege Dürr — auch darin muß ich Ihnen widersprechen —, eine Verständigung ist jetzt noch möglich. Auch jetzt kann die Mehrheit des Bundestages oder die Bundesregierung den Vermittlungsausschuß noch einmal anrufen;
Sie können die Sache nicht so darstellen, als wenn es jetzt nur noch um Ja oder Nein zu der Vorlage ginge. In Wahrheit besteht auch jetzt noch eine Vermittlungsmöglichkeit.
Die Koalition weiß sehr wohl, daß auf seiten der CDU/CSU eine Verständigungsbereitschaft und ein Einigungswille vorhanden war. Sie weiß auch, daß wir noch zwischen der zweiten und der dritten Lesung das Gespräch mit ihr gesucht haben. Bei dieser Gelegenheit sind wir mit dem Hinweis auf eine Einigungsmöglichkeit im Vermittlungsausschuß vertröstet worden. Daß dieser Hinweis nicht ernst gemeint sein konnte, wissen wir heute.Niemand kann sich hier damit herausreden, es habe keine Möglichkeiten für einen Kompromiß gegeben. Ich brauche nur an den Vorschlag der Ärzteschaft zu erinnern, auf den Mitglieder meiner Fraktion bereits in der zweiten und dritten Lesung hingewiesen haben. Gerade dieser Vorschlag hätte es verdient, auch bei der Koalition Beachtung zu finden.
Er hat die Zustimmung der überwältigenden Mehrheit der deutschen Ärzteschaft gehabt, und das ist immerhin ein Wort, über das der Bundestag nicht leichtfertig hinweggehen sollte.
Natürlich wären Einigungsversuche mühsam gewesen, natürlich hätten sie Kompromißbereitschaft vorausgesetzt. Aber wir alle — und da schließe ich die Koalition mit ein — könnten beruhigter auf den Abschluß dieses Gesetzesvorhabens sehen. Noch mögen einige von Ihnen, wenn Sie in der Abstimmung gleich die Mehrheit erhalten sollten, ein Gefühl des Triumphes haben; aber über kurz oder lang werden Sie wissen, mit welcher Hypothek Sie sich dabei belastet haben.
Unser besonderes Bedauern gilt denjenigen unter Ihnen, die unter Aufgabe ihrer ursprünglichen Position für die Fristenregelung gestimmt haben. Sie werden am meisten bedrückt sein, wenn sie sich die Folgen ihrer Abstimmung vergegenwärtigen. Die von ihnen hier gegebene wenig überzeugende Begründung für ihren Positionswechsel wird ihnen die Verantwortung nicht leichter machen.
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Dr. Carstens
Auch noch zu diesem Zeitpunkt wird in unserem Volk die Bereitschaft zu einer Reform auf der Grundlage einer breiten Übereinstimmung nachdrücklich gefordert. Das zeigen viele Briefe, die uns erreicht haben. Lassen Sie mich stellvertretend für viele die Stellungnahme von Landesbischof Claß — Herr Kollege Dürr hat sich ebenfalls auf ihn bezogen —, dem Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, nennen, der an alle Beteiligten appelliert hat, „bis zuletzt alle Möglichkeiten für eine Regelung auf einer breiteren Grundlage in Parlament und Öffentlichkeit auszuschöpfen".Zur Sache selbst soll hier nicht noch einmal das Für und Wider der verschiedenen Reformvorschläge aufgerollt werden. Die zweite und dritte Lesung haben einen breiten Überblick über die Argumente gegeben. Gestatten Sie mir aber eine kurze Bestandsaufnahme. Zumindest der Ausgangspunkt der Reform ist unstrittig: Eine Reform ist notwendig, weil das geltende Recht zwar das ungeborene Leben schützt, aber den schutzwürdigen Interessen der Frau nicht genügend Rechnung trägt. Unstrittig ist auch, daß eine Abtreibung nur der letzte Ausweg aus einer Notsituation sein soll.Hier allerdings beginnen schon die Unterschiede. Die Fraktion der CDU/CSU sieht im Mittelpunkt der Reform vorbeugende soziale, familienpolitische Maßnahmen. Als Konsequenz braucht die strafrechtliche Regelung nur auf die wirklichen Konfliktfälle zugeschnitten zu sein. In erster Linie wollen wir daher Zugang zu den vorbeugenden Maßnahmen schaffen. Unser Entschließungsantrag zu sozialen und familienpolitischen Maßnahmen sowie unser Entwurf über die Gewährung von Erziehungsgeld sollen gewährleisten, daß keine Frau aus sozialen Gründen einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung zu ziehen braucht.
Die Koalition verhält sich hier dagegen schon widersprüchlich. Auch sie betont immer wieder, daß ein Schwangerschaftsabbruch nur der letzte Ausweg sein darf. Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche soll angeblich gesenkt werden. Die sozialen Maßnahmen gipfeln aber in einem Gesetz, das den Krankenkassen undifferenziert die Kosten für alle Schwangerschaftsabbrüche aufbürdet.
Es ist selbstverständlich, daß bei medizinischen Indikationen die Kosten von den Krankenkassen zu übernehmen sind. Aber in Verbindung mit der Fristenlösung ist diese Kostenverteilung — das mögen Sie drehen und wenden, wie Sie wollen — eine Unterstützung für unverantwortliche Schwangerschaftsabbrüche.
Die Fristenlösung ist damit begründet worden, die Frau solle aus der Belastung mit der Androhung einer Kriminalstrafe herausgehalten werden, der Strafanspruch des Staates solle zurückgenommen werden, ohne daß ein moralisches Wert- oder Unwerturteil über den Schwangerschaftsabbruch gefällt werde. Aber mit der beabsichtigten Überbürdung der Kosten auf die Krankenkassen wird der Schwangerschaftsabbruch staatlich gefördert. Daß es unter diesen Umständen sehr schwierig sein wird, das Gefühl für die Unrechtmäßigkeit der Tötung des ungeborenen Lebens noch wachzuhalten, kann die Koalition ernsthaft nicht bezweifeln.
Diesen Weg können wir nicht mitgehen. Das Recht auf Leben ist unteilbar und für uns ein unverzichtbarer Grundsatz auch da, wo es um das ungeborene Leben geht.
Zur Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs kommen wir daher nur — das entspricht dem Wesen einer Indikationenregelung — aus dem Gesichtspunkt der Güterabwägung oder der Zumutbarkeit.Wenn der Kollege Maihofer in der dritten Lesung gesagt hat, die Würde des Menschen stehe noch vor dem Recht auf Leben, so kann ich nur sagen: Würde ebenso wie Selbstbestimmungsrecht sind nicht auf schrankenlose Selbstverwirklichung gerichtet; ihren hohen Rang erhalten sie durch den Respekt vor der Würde und dem Selbstbestimmrecht anderer, vor allen Dingen vor dem Lebensrecht anderer,
auch wenn der andere noch nicht geboren ist.
35 namhafte Rechtsprofessoren haben sich in einem offenen Brief an die Mitglieder des Vermittlungsausschusses gewandt. Aus diesem Brief möchte ich einen zum Nachdenken anregenden Satz wörtlich zitieren. Er lautet:Es gehört zu den elementaren Grundlagen unserer Rechtsordnung, daß das Lebensrecht nicht abhängig ist von der persönlichen Gewissensentscheidung eines anderen.Meine Damen und Herren, das ist ein Satz, der zum Nachdenken Anlaß geben sollte.Das Selbstbestimmungsrecht der Frau muß selbstverständlich respektiert werden, aber in der Diskussion um die Reform des § 218 ist auch viel Mißbrauch mit diesem Begriff getrieben worden. Man hat so getan, als ob die Möglichkeit und damit das Recht zur Selbstbestimmung im Abbruch der Schwangerschaft liege. Damit mußte die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts notwendigerweise auf Kosten des ungeborenen Kindes gehen.In einem Aufsatz zur Reform des § 218 in der Zeitschrift für Rechtspolitik sagt der Münchener Hochschullehrer Professor Spaemann folgendes:Gewachsen ist die Sensibilität für Ungerechtigkeiten in der Verteilung von Lebenschancen, von Lasten und Entschädigungen. Gewachsen ist die Bereitschaft, körperlich oder geistig Benachteiligten und gesellschaftlichen Randgruppen zusätzliche Hilfestellung zu geben. Gewachsen ist aber gleichzeitig die Neigung zur Brutalität gegenüber allem, was sich individuellen Ansprüchen in den Weg stellt. Und da dies oft individuelle Ansprüche anderer sind, hebt
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6930 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Dr. Carstens
sich das emanzipatorische Bewußtsein vielfach selbst wieder auf. Emanzipation gibt es nicht ohne Solidarität.
Auch Selbstbestimmungsrecht und Würde gibt es nicht ohne Solidarität. Jedem wird nur soviel Würde und Selbstbestimmungsrecht zugestanden, wie er selbst anderen einräumt.
An diesen Wertmaßstäben hat sich der Gesetzgeber zu orientieren. Mit der Fristenregelung wird er ihnen nicht gerecht.
Das Wort zu einer Erklärung hat der Abgeordnete von Schoeler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundestag steht heute vor der abschließenden Entscheidung über eine Reform, die nicht nur von den Mitgliedern von Bundestag und Bundesrat, sondern auch von vielen Bürgern mit einem inneren Engagement diskutiert worden ist wie kaum eine andere Frage. Zu dieser Entscheidung gebe ich im Namen der FDP-Fraktion folgende Erklärung ab:Wir Freien Demokraten haben uns bei der Reform des § 218 StGB als erste Partei klar und eindeutig für die Fristenregelung entschieden. Wir haben in den vergangenen Jahren darauf hingearbeitet, auch in diesem Hause eine Mehrheit für diese Entscheidung zu gewinnen. Wir haben das getan, weil nur so der menschlichen Not, die der § 218 über hundert Jahre lang geschaffen hat, ein Ende gemacht werden kann, weil nur so an die Stelle der Strafandrohung das treten kann, was notwendig ist, nämlich mitmenschlicher Rat und soziale Hilfe, und weil nur so Schluß damit gemacht werden kann, daß über die Frauen in ihrem ureigensten Bereich immer wieder wie seit Jahrzehnten und Jahrhunderten andere bestimmen.Der Bundestag hat unserem Vorschlag bei der dritten Lesung der Gesetzentwürfe zugestimmt. Neue Argumente sind in der Debatte im Bundesrat nicht aufgetaucht. Wir Freien Demokraten halten an unserer Auffassung fest.Die Diskussion über die Reform des § 218 ist in den letzten Wochen von einigen unter dem Gesichtspunkt der Suche nach einem Kompromiß geführt worden. Diese Suche nach einem Kompromiß mußte erfolglos sein. Ein Kompromiß zwischen Fristenregelung einerseits und den verschiedenen Indikationenmodellen andererseits ist nicht möglich. Alle Indikationenmodelle gehen davon aus, daß grundsätzlich an der Strafandrohung festgehalten werden muß, weil der Staat aus prinzipiellen Erwägungen auf den strafrechtlichen Schutz des werdenden Lebens nicht verzichten dürfe. Die Fristenregelung geht davon aus, daß die Strafandrohung des § 218 eben diese Aufgabe, werdendes Leben zu schützen, nicht erfüllt hat und daher zurückgezogen werden muß, um den Weg zur Beratung zu eröffnen. Zwischen diesen beiden Positionen ist ein Kompromiß nicht denkbar.Die Suche nach einem Kompromiß mußte aber auch deshalb erfolglos sein, weil die Auffassungen innerhalb der Gruppe der Befürworter der verschiedenen Indikationenmodelle außerordentlich kontrovers waren. Zwischen dem Modell, das Herr Kollege Heck eingebracht hatte, und der sogenannten erweiterten Indikationenregelung liegen Welten. Es gibt eben nicht d i e Indikationenregelung. Vielmehr hat jeder Mensch eine eigene Vorstellung darüber, in welchem Fall eine Abtreibung gerechtfertigt sein soll oder nicht, wenn er sich einmal darauf einläßt, solche Entscheidungen staatlicherseits zu beurteilen. Darum ist es ja den Bemühungen auch kirchlicher Stellen nicht gelungen, eine bestimmte Indikationenregelung zu konzipieren und Mehrheiten dafür zu finden.Die Debatte über diese Prinzipien ist im Bundestag mit großem Ernst und Respekt vor der Meinung des Andersdenkenden geführt worden. Gerade weil dies so war, gerade weil es sich um eine Frage grundsätzlicher Bedeutung handelt, kann niemand einen politischen Kompromiß der ethischen Halbheiten und der praktischen Undurchführbarkeit wollen. Über Gewissensentscheidungen der Mitglieder dieses Hauses läßt sich nicht vom Bundesrat vermitteln.
Deshalb wird heute die Entscheidung vielleicht mit einer knappen Mehrheit fallen. Aber wir sollten uns bewußt sein: Eine parlamentarische Demokratie wie die unsere beruht darauf, daß Mehrheiten nicht gewichtet und Entscheidungen des Parlaments unabhängig von der Größe der Mehrheit respektiert werden.Am Ende dieser Debatte müssen einige Bemerkungen zur Zukunft stehen. Der Gesetzentwurf stellt sicher, daß niemand gegen seinen Willen zur Mitwirkung an einem Schwangerschaftsabbruch gezwungen werden darf. So energisch wir Freien Demokraten uns für die Durchsetzung der Fristenregelung eingesetzt haben, so sorgsam werden wir darüber wachen, daß kein Arzt, keine Krankenschwester und kein Angehöriger sonstiger medizinischer Berufe gegen sein Gewissen zur Mitwirkung an solchen Eingriffen veranlaßt wird. Die Fristenregelung eröffnet den Weg zur Beratung. Die Wirksamkeit des Gesetzes wird damit entscheidend davon abhängen, ob das Netz der Beratungsstellen weiter ausgebaut wird. Der Bund hat die entsprechenden Mittel in seinem Haushalt bereits erhöht. Länder und Gemeinden sind aufgefordert, hier sofort tätig zu werden. Wir apppellieren auch an die freien Träger solcher Beratungsdienste, ihre Anstrengungen ebenfalls zu vergrößern. Die Bürger werden sicher sehr aufmerksam verfolgen, ob den zahlreichen Bekenntnissen zur besonderen Bedeutung der Beratung in der Diskussion um den § 218 nun Taten folgen.Die Reform im Sinne der Fristenregelung wird die Atmosphäre der Angst, Heimlichkeit und Heuchelei beseitigen. Staat und Gesellschaft werden mit
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von Schoelerdieser Entscheidung in die Pflicht genommen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Frauen eine sittlich motivierte Entscheidung für die Annahme ihres Kindes treffen. Jeder kann dazu beitragen. Wir Freien Demokraten sind uns dieser Verpflichtung bewußt. Wir werden den Einspruch des Bundesrates zurückweisen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Abstimmung zu diesem Punkt erfolgt um 11.30 Uhr.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters
— Drucksache 7/2153 —
Berichterstatter: Abgeordneter Kleinert
Das Wort hat der Herr Berichterstatter Kleinert.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Antrag des Vermittlungsausschusses bedeutet eine gesetzliche Klarstellung und Festschreibung der Definitionen zu dem Unterhaltsbegriff des § 1610 Abs. 2 BGB, die die Rechtsprechung im Laufe der Jahre schon in etwa dieser Form erarbeitet hat. Ich bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen.
Wird das Wort weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Die Abstimmung erfolgt um 11.30 Uhr.
Ich rufe Punkt 7 auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Zweiten Steueränderungsgesetz 1973
— Drucksache 7/2156 —
Berichterstatter: Abgeordneter Junghans
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Bitte, Herr Berichterstatter Junghans!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Sitzung des Bundesrates vom 10. Mai wurde beschlossen, den Vermittlungsausschuß anzurufen mit dem Begehren, das Zweite Steueränderungsgesetz 1973 in Art. 3 in zwei Punkten zu ändern.
In Punkt 1 handelt es sich um eine rein redaktionelle Änderung, in Punkt 2 handelt es sich darum, daß § 36 des Gewerbesteuergesetzes im Vermögenssteuerreformgesetz geändert worden ist, und zwar sollen die Änderungen dieses Gesetzes grundsätzlich erstmals für den Erhebungszeitraum 1974 gelten. Die erhöhten Freibeträge sollen erstmals für 1975 angewandt werden. Ferner wurde in § 36 des Gewerbesteuergesetzes bestimmt, daß für Staatsbanken und die Deutsche Genossenschaftskasse für 1974 bis 1976 eine ermäßigte Steuermeßzahl gelten soll. Nach Nr. 5 in Art. 3 des Zweiten Steueränderungsgesetzes würden diese beiden Sonderregelungen des Vermögenssteuerreformgesetzes zu § 36 des Gewerbesteuergesetzes beseitigt. Der Vermittlungsausschuß ist in seiner Sitzung am 21. Mai 1974 dem Begehren des Bundesrates gefolgt, daß es bei der Fassung des § 36 des Gewerbesteuergesetzes nach dem Vermögenssteuerreformgesetz verbleiben soll.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, namens des Vermittlungsausschusses, dem Antrag auf Drucksache 7/2156 zuzustimmen.
Danke schön, Herr Berichterstatter!
Das Wort zu einer Erklärung hat der Herr Abgeordnete Bremer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der sachliche Gehalt der beantragten Änderung ist hier dargestellt worden. Die CDU/CSU wird dieser Änderung zustimmen, denn hier ist in der Tat ein Versehen unterlaufen, das korrigiert werden muß.Aber einige Anmerkungen seien doch gestattet. Das finanzielle Volumen, um das es hier geht, beträgt 850 Millionen DM. Wenn die falsche Jahreszahl so stehengeblieben wäre, wären den Gemeinden im Jahre 1974 Einnahmen in dieser Größenordnung nicht zugeflossen. Allein schon auf diesem Hintergrund muß es etwas verwundern, wenn die Koalition an uns den Wunsch herangetragen hat, dieses Versehen im Wege der Berichtigung nach den Bestimmungen der Geschäftsordnung des Bundestages zu korrigieren. Dies hätte eine sehr, sehr extensive Auslegung der entsprechenden Bestimmungen erforderlich gemacht, die doch im Grunde genommen auf eine Korrektur von Versprechern und Verschreiben angelegt sind. Davon kann aber hier keine Rede sein. Überall dort, wo diese Tatbestände nicht gegeben sind, wo andererseits der Wortlaut des verabschiedeten Gesetzes keine Auslegungszweifel aufwirft, kann eine Korrektur nur im Wege des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens stattfinden. Die CDU/CSU wird sich auch in der Zukunft an diese Grundsätze halten.Es bleibt aber auch zu fragen, ob das hier unterlaufene Versehen eine Ausnahme oder ein Symptom darstellt. Hier müssen wir einfach die zeitlichen Begleitumstände sehen, unter denen sich seit geraumer Zeit die finanzpolitische Gesetzgebung hier im Bundestag abspielt. Das Zweite Steueränderungsgesetz ist Anfang des Jahres parallel zum Dritten Steuerreformgesetz beraten worden, das seinerseits unter ganz erheblichem Zeitdruck beraten worden ist; davon wird im weiteren Verlauf der Tagesordnung noch die Rede sein. Wir haben also bereits seit längerer Zeit im Finanzausschuß mit einer großen Terminenge zu kämpfen — Folgen mangelnder Zeitplanung, mangelnder Entschlußkraft, mangelnder Handlungsfähigkeit, Folgen aber auch, so
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6932 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Bremermöchte ich hinzufügen, der fehlenden Bereitschaft der Koalition, einer sorgfältigen Beratung im Finanzausschuß des Bundestages die nötige Zeit einzuräumen.
Es sei noch eines hinzugefügt. Dies, was hier über die Zeitenge für die Beratungen der finanzpolitischen Gesetzgebung im Bundestag zu sagen ist, gilt in gleicher Weise für die Ministerialbürokratie. Es ist deutlich erkennbar, daß sie ihrerseits seit längerem total überfordert ist in der Vorbereitung dieser Materie für die entsprechenden gesetzgeberischen Arbeiten hier im Bundestag.Ich möchte das ausdrücklich betonen, damit der Vorwurf bezüglich dieses Versehens nicht etwa der Ministerialbürokratie gemacht wird. Dieser Vorwurf darf ebensowenig den parlamentarischen Gremien gemacht werden. Dieser Vorwurf richtet sich vielmehr allein gegen die Regierung, die bisher leider Gottes nicht hat erkennen lassen, daß sie bereit ist, in Zukunft für die nötigen zeitlichen Voraussetzungen zu sorgen, um den Erfordernissen der Sorgfalt eines gesetzgeberischen Beratungsverfahrens Rechnung zu tragen.
Das Wort zu einer Erklärung hat der Abgeordnete Schinzel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion bedauert, daß die Opposition es für richtig gehalten hat, die Beratungen des Bundestages und des Bundesrates mit der Bereinigung einer technischen Panne zu belasten. Solche Pannen sind sozusagen fester Bestandteil der Parlamentsgeschichte und konnten — jedenfalls bisher — immer noch einvernehmlich auf dem Wege der Behandlung als redaktionelles Versehen beigelegt werden. Früher hatte es die CDU/CSU nicht nötig, solche redaktionellen Versehen als Aufhänger für aufgebauschte Erklärungen vor dem Bundestag zu benutzen und das Parlament in seiner Arbeit unnötig aufzuhalten.
Wenn die Opposition das redaktionelle Versehen als Beweis für den von ihr immer fälschlicherweise behaupteten Zeitdruck anführen will, unter dem die Steuerreform angeblich steht, so muß sie sich vorhalten lassen, daß die Eckwerte der Bundesregierung bereits seit dem Herbst 1971 bekannt sind. Wenn auch inzwischen einige Beträge geändert worden sind, so ist doch am Prinzip der Reform nichts verändert worden.
Daß die CDU/CSU den angeblichen Zeitdruck in den Vordergrund ihrer Argumentation stellt, kann seinen Grund eigentlich nur darin finden, daß sie vor ihren eigenen Mitgliedern ihr Defizit an eigenständigen Vorstellungen verdecken muß.
Es mag sein, meine Damen und Herren von der
Opposition, daß dies in Ihren Parteien gelingt. Hier
im Bundestag offenbart sich aber, daß die CDU/CSU
das Problem der Steuerreform jahrelang vor sich hergeschoben hat und heute ohne sachliche Alternative zur Steuerreformpolitik der Koalition dasteht. Wenn also jemand in diesem Raume unter Zeitdruck steht, dann sind es Sie, die Koalition sicherlich nicht.
Die SPD-Fraktion stimmt den im Vermittlungsausschuß erfolgten Korrekturen zu, weil sie das wiedergeben, was die Koalition von Anfang an gewollt hat.
Keine weiteren Erklärungen? — Ich rufe dann Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über Umweltstatistiken
— Drucksache 7/2154 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schäfer
Das Wort hat Herr Berichterstatter Dr. Schäfer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten. Damen und Herren! Ich darf für den Vermittlungsausschuß folgendes vortragen.
Das vom Bundestag in der 93. Sitzung beschlossene Gesetz über Umweltstatistiken wurde vom Vermittlungsausschuß behandelt, nachdem der Bundesrat in seiner 405. Sitzung am 10. Mai den Vermittlungsausschuß angerufen hatte. Das Anrufungsbegehren enthält acht Punkte. Sie beziehen sich nicht auf politische Schwerpunkte, sondern — wenn ich so sagen darf auf verwaltungsmäßige Angleichungen. Ich darf auf die Rückseite der Drucksache 7/2154 verweisen. Dort sind die drei Punkte aufgeführt, die der Vermittlungsausschuß aufgenommen hat. Ich darf für den Vermittlungsausschuß um Annahme bitten.
Danke schön, Herr Berichterstatter! Sie sind gleich noch einmal dran.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über Statistiken des Personenverkehrs und der Kraftfahrzeugfahrleistungen 1974
Drucksache 7/2155 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schäfer
Bitte, Herr Berichterstatter Dr. Schäfer!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundestag hat das Gesetz über Statistiken des Personenverkehrs und der Kraftfahrzeugfahrleistungen 1974 am 15. Februar 1974 beschlossen. Der Bundesrat hat am 8. März den Vermittlungsausschuß mit dem Begehren angerufen, das Gesetz aufzuheben. Die Begründung dafür war,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 6933
Dr. Schäfer
daß sich das Gesetz auf das Jahr 1974 beziehe und die Methoden, die das Gesetz vorsieht, erneut der Überprüfung bedürften. Der Vermittlungsausschuß hat sich das Begehren zu eigen gemacht und schlägt vor, den Gesetzesbeschluß vom 15. Februar 1974 aufzuheben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Die Abstimmungen finden um 11.30 Uhr statt.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung fahren wir jetzt mit Punkt 2 und Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung fort:2. a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinheitlichung des Familienlastenausgleichs— Drucksache 7/2032 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung- Drucksache 7/2190 —Berichterstatter: Abgeordneter Carstens
bb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksachen 7/2163, 7/2174 —Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Stommel
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Steuerreformgesetzes— Drucksache 7/1470 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/2189 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. von Bülowbb) Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksachen 7/2164, 7/2180 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Huber Abgeordneter von Bockelberg Abgeordneter Rapp Abgeordneter Dr. Wagner (Trier)
c) Zweite Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung von Inflationsschäden bei der Einkommen- und Lohnsteuer
— Drucksache 7/1543 — aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/2191 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. von Bülowbb) Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksachen 7/2164, 7/2180 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Huber Abgeordneter von Bockelberg Abgeordneter Rapp Abgeordneter Dr. Wagner (Trier)
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes
— Drucksache 7/2171 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft, Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOMeine Damen und Herren, ich darf Ihnen dazu noch einige Hinweise geben, weil die Behandlung des Tagesordnungspunktes 2 möglicherweise etwas kompliziert ist. Nach den Anträgen des Finanzausschusses auf Drucksache 7/2164 und des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit auf Drucksache 7/2163 soll der Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung des Familienlastenausgleichs als Artikel 2 in den Gesetzentwurf zur Reform der Einkommensteuer und der Sparförderung eingefügt werden. Die Abstimmung über diese Anträge wird nach der dritten Beratung der Tagesordnungspunkte 2 a) und 2 b) durchgeführt.Aus diesem Grunde wickeln wir die Beratung zum Tagesordnungspunkt 2 und zum Zusatzpunkt 2 wie folgt ab: Diese Tagesordnungspunkte werden gemeinsam aufgerufen und in einer verbundenen Aussprache debattiert. Nach Schluß der verbundenen Aussprache wird der Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung des Familienlastenausgleichs in zweiter und dritter Beratung aufgerufen. Die Schlußabstimmung wird zurückgestellt. Danach wird der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Einkommensteuer in zweiter und dritter Beratung aufgerufen. Die Schlußabstimmung wird ebenfalls zurückgestellt. Dann folgt die Abstimmung über die Anträge des Finanzausschusses und des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit über die Einfügung des Gesetzentwurfs zur Vereinheitlichung des Familienlastenausgleichs als Artikel 2 in den Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Einkommensteuer und der Sparförderung. Falls diesen Anträgen zugestimmt wird, wird im Anschluß daran die Schlußabstimmung zu Tagesordnungspunkt 2 b) aufgerufen. Hierbei werden notwendige Anpassungen, die sich aus der möglichen Einführung des Artikels 2 ergeben, berücksichtigt. Danach wird über den Tagesordnungspunkt 2 c) und über den Zusatzpunkt 2 abge-
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6934 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Präsident Frau Rengerstimmt. Die Herren Parlamentarischen Geschäftsführer werden uns dabei, hoffe ich, unterstützen.Wir treten jetzt in die Beratung der Tagesordnungspunkte 2 a) bis 2 c) und des Zusatzpunktes 2 ein. Das Wort als Berichterstatter hat die Frau Abgeordnete Huber.
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Der Finanzausschuß legt mit dem Bericht zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Dritten Steuerreformgesetzes das Beratungsergebnis des nach Auffassung der Mehrheit bedeutsamsten Teils der Steuerreform vor.Nachdem der Ausschuß innerhalb von 14 Monaten das inzwischen in Kraft getretene neue Grundsteuer-, Erbchaftsteuer- und Vermögensteuerrecht beraten und daneben noch Teile des ersten Steuerreformpakets, nämlich der Abgabenordnung, behandelt hat, kann er — zahlreiche kleinere Vorlagen nicht gerechnet — heute auf ein Mammutprogramm zurückblicken, wie es selten in einem solchen Zeitraum verabschiedet werden konnte.Die Beratungen des heute vorliegenden Pakets zur Reform der Einkommen-, einschließlich der Lohnsteuer der Sparförderung sowie des Familienlastenausgleichs, nahmen nach umfangreichen Vorbereitungen in den Arbeitsgruppen rund 100 Ausschußstunden in Anspruch und konnten nur dank einer Reihe von Sondersitzungen termingerecht bewältigt werden. Die Ausschußmehrheit verfolgte dabei das Ziel, das vorzeitige Inkrafttreten der Steuerreform zum 1. Januar 1975 sicherzustellen. Baldige Steuerentlastungen und die Reform des Kindergelds waren das Anliegen aller Fraktionen.Grundlage unserer Beratung im Finanzausschuß waren der Regierungsentwurf zum Dritten Steuerreformgesetz und der von der CDU/CSU eingebrachte Entwurf eines Inflationsentlastungsgesetzes. Der Ausschuß stellte zu Beginn der Beratungen fest, daß der ihm am 25. Januar dieses Jahres überwiesene, 423 Seiten umfassende Regierungsentwurf — Drucksache 7/1470 — in seiner ganzen Materialfülle bis zur Jahresmitte nicht bewältigt werden konnte. Um der Finanzverwaltung die für die technischen Vorbereitungen notwendige Zeit vor dem 1. Januar 1975 zu geben, brachten die Koalitionsfraktionen daher den Antrag ein, die in den Eckwerten der Bundesregierung niedergelegten Kernpunkte der Einkommensteuerreform, des Kinderlastenausgleichs und der Sparförderung vorrangig zu beraten, deren Verabschiedung dem Parlament hiermit heute vorgeschlagen wird.Die Reform läßt sich in sieben Hauptpunkten grob zusammenfassen.Erstens. Reform des Tarifs: Das heißt: Erhöhung des Grundfreibetrages auf 3 000 DM bei Verdoppelung der Proportionalzone und bei einem Steuersatz von 22 °/o sowie eine Änderung des Tarifverlaufs in der Progression bis hin zum neuen Spitzensteuersatz von 56 % bei Einkommen von 130 000 DM für Ledige, 260 000 DM für Verheiratete.Zweitens. Reform des Kinderlastenausgleichs: Sie soll durch Ersetzung der bisherigen Kinderfreibeträge und der Kinderzuschläge im öffentlichen Dienst durch ein einheitliches Kindergeldsystem mit 50 DM für das erste, 70 DM für das zweite, 120 DM für das dritte und alle folgenden Kinder verwirklicht werden.Drittens. Reform der Sonderausgabenregelung: Hier ist vor allem die Umstellung bei den Vorsorgeaufwendungen zu nennen. Bei kräftiger Anhebung der Höchstbeträge für die Aufwendung zur Lebensvorsorge und Gewährung einer vereinfachenden Vorsorgepauschale für Arbeitnehmer dürfen diese Sonderausgaben künftig nur noch mit 22 % von der Steuerschuld abgezogen werden. Neu gewährt werden daneben alternativ ein Pauschbetrag für Vorsorgeaufwendungen und ein allgemeiner weiterer Pauschbetrag für die unbeschränkt abzugsfähigen Sonderausgaben. Die Anrechnung der Vermögensteuer entfällt.Viertens. Steuerliche Verbesserungen für besondere Gruppen: Hierunter fallen insbesondere die Anhebung des Haushaltsfreibetrages für Alleinstehende mit Kindern auf 3 000 DM und eine lineare Erhöhung der Pauschbeträge für Körperbehinderte, die je nach Behinderungsgrad gewährt werden, ferner die Erhöhung des Versorgungsfreibetrages für Alterseinkünfte und die Einführung eines zusätzlichen Altersfreibetrages für Nichtrenteneinkünfte, außerdem auch die Berücksichtigung der Aufwendungen für Haushaltshilfen bei Bewohnern von Altenheimen und Altersheimen.Fünftens. Abschaffung oder Einschränkung von Steuervergünstigungen, die ungerechte Vorteile bieten oder zu Mißbrauch verleiten können: Hierzu gehören der Wegfall bestimmter Subventionen, die Einführung einer Verlustklausel bei erhöhten oder bei Sonderabschreibungen, die Beschränkung der steuerlich anerkannten Aufwendungen für Werbegeschenke — künftig nur noch Werbeträger — auf 50 DM statt bisher 100 DM pro Person und Jahr, eine schärfere Kontrolle der Bewirtungsspesen sowie der Wegfall der Berücksichtigung von Diätaufwendungen.Sechstens. Einführung bzw. Erhöhung besonderer Freibeträge: Hierunter fällt der neue Sparerfreibetrag für Kapitaleinkünfte von 300 DM für Ledige bzw. 600 DM für Verheiratete bei geringer Ermäßigung des jetzigen Werbungskostenpauschbetrags und ferner die Anhebung des Arbeitnehmerfreibetrages von 240 auf 600 DM bei Abzug von der Steuerschuld.Siebtens und letztens. Reform der Sparprämiengesetze durch Einführung einer Einkommensgrenze von 24 000 DM, für Verheiratete 48 000 DM, und die Festsetzung eines Höchstbetrages auf 800 DM bzw. 1600 DM für Verheiratete bei einer Prämie von 20 %, für Bausparer von 23 %, und Zuschlägen von 2 % je Kind.Ergebnis dieses Reformprogramms werden vom nächsten Jahr an Steuererleichterungen für Millionen von Steuerzahlern in den unteren und mittleren Einkommensgruppen sein, insbesondere für die Familien, denen nunmehr erstmalig oder in größerem
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 6935
Frau HuberUmfang Kindergeld zufließt. Die Ausschußmehrheit hat immer wieder betont, daß es sich hierbei nicht nur um Steuernachlässe handelt, sondern um eine Strukturreform, ergänzt durch den Abbau ungerechtfertigter Vorteile und Vereinfachungen, soweit dies unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit vertretbar ist.Die Beratungen im Finanzausschuß litten allerdings unter langen, sich immer wiederholenden und eigentlich ins Plenum gehörenden Diskussionen darüber, ob dies nun wirklich eine Reform sei, obwohl gleichzeitig immer wieder die Kürze der zur Verfügung stehenden Beratungszeit bemängelt wurde. Die Mehrheit des Ausschusses war und ist jedoch der Auffassung, daß nach den im Ausschußbericht erwähnten langen Vorbereitungen, die sich über mehrere Legislaturperioden erstreckten, nach den von allen Seiten erbrachten umfangreichen Gutachten und Stellungnahmen sowie nach einer Reihe von Anhörungen, in denen der Ausschuß während der Beratungszeit die Vertreter der Länder, der Verbände und der Wissenschaft zu Wort kommen ließ, ,die Voraussetzungen für eine sachgerechte Behandlung und termingerechte Verabschiedung der Materie durchaus gegeben waren.Bezüglich der Reform des Kinderlastenausgleichs gab der Finanzausschuß die Federführung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ab, als die Vertreter des Bundesrates bei ihrer einheitlichen Auffassung blieben, daß nur eine Auszahlung über die Arbeitsverwaltung, also losgelöst vom Finanzamt, eine rechtzeitige und vollständige Kindergeldzahlung zum 1. Januar 1975 sicherstellen könne.Nachdem der Finanzausschuß beim danach eingebrachten neuen Bundeskindergeldgesetz nur noch mitberatend tätig war, hat der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit den Finanzausschuß ersucht, das neue Bundeskindergeldgesetz zur Verdeutlichung des inneren Zusammenhangs als Art. 2 in das Steuerreformgesetz einzubauen. Hierüber war im Finanzausschuß aus Geschäftsordnungsgründen kein Einvernehmen zu erzielen. Deshalb liegt hier heute ein entsprechender Antrag zur zweiten Lesung vor.Die Anträge der Opposition fanden, abgesehen von Vorschlägen, die sich in den Rahmen der Eckwerte einpaßten, keine Mehrheit. Das Inflationsentlastungsgesetz mit der für 1974 rückwirkend geforderten Anhebung des Sparerfreibetrages, der für die zweite Hälfte des Jahres 1974 beantragten Erhöhung des Arbeitnehmer- und des Grundfreibetrages sowie einer gesetzlichen Verankerung eines Jahrestarifberichts mit nachfolgendem Maßnahmenkatalog wurde von der Ausschußmehrheit mit der Begründung verworfen, daß dieser Gesetzentwurf der Opposition im Falle seiner Annahme den nicht ausdehnbaren finanziellen Rahmen für die Einkommensteuerreform weitgehend ausgeschöpft und damit die von der Mehrheit geplante Strukturreform behindert, wenn nicht gar unmöglich gemacht hätte.Die CDU/CSU-Fraktion machte im übrigen im Finanzausschuß bei der Eckwertberatung zusätzliche Vorschläge — zumeist für eine weitere Erhöhung von Freibeträgen — in einer Kostenhöhe von noch einmal rund 10 Milliarden DM. Dem folgte die Mehrheit des Ausschusses aus finanziellen Gründen nicht.Der Ausschußbericht läßt erkennen, daß die Diskussion über diesen nach Auffassung der Koalition wichtigsten Teil der Steuerreform stark kontrovers war. Geschäftsordnungsdebatten und Auseinandersetzungen über Beratungstermine usw. beeinträchtigten des öfteren das Arbeitsklima.Die mitberatenden Ausschüsse für Wirtschaft und für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie zuletzt der Haushaltsausschuß haben sich mehrheitlich dem vorliegenden Konzept angeschlossen.Einige Wünsche des ebenfalls mitberatenden Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit sowie des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung fanden im Finanzausschuß keine Zustimmung, weil ihre Verwirklichung den finanziellen Rahmen gesprengt hätte und weil es sich hier zum Teil um Anliegen handelt, die nur sehr schlecht über das Steuerrecht bewältigt werden können.Auch im Finanzausschuß hat es an Vorstellungen über weitere wünschenswerte Steuererleichterungen an verschiedenen Stellen nicht gefehlt. Sie fanden jedoch aus den gleichen Gründen keine Mehrheit.Im Gegensatz zur Opposition, die in der Schlußabstimmung den Gesetzentwurf zur Reform der Einkommensteuer und des Sparprämienrechtes wegen der nach ihrer Meinung unsoliden Beratung und der Nichtberücksichtigung ihrer Anträge ablehnte, sieht die Ausschußmehrheit in dem heute vorgelegten Entwurf das Hauptstück einer großen Reform, die Steuererleichterungen zwischen 10 und 12 Milliarden DM umfaßt und dabei zugleich ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit bringt.Diejenigen Teile der Drucksache 7/1470, die jetzt zurückgestellt worden sind und die in der Hauptsache die Aufnahme ungeschriebener Rechtsgrundsätze, die Übernahme von Rechtsprechung oder Klärung von Streitfragen sowie die Übernahme verschiedener Vorschriften aus Durchführungsverordnungen und Richtlinien und schließlich außerdem materiell-rechtliche Änderungen geringeren Gewichts betreffen, werden im weiteren Verlauf der Legislaturperiode zügig beraten werden.Namens des Ausschusses bitten die Berichterstatter, den in der Drucksache 7/2163 vorgelegten Anträgen zuzustimmen.
Als Berichterstatter hat Herr Abgeordneter von Bockelberg das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe zu berichten über den Antrag des Finanzausschusses zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Dritten Steuerreformgesetzes und über den Antrag zu dem von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Beseitigung von Inflationsschäden bei der Einkommen- und Lohnsteuer.
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6936 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
von BockelbergBereits bei der Überschrift muß die Opposition gewisse Bedenken anmelden. Wenn wir von Steuerreform sprechen, so ist es wohl an der Zeit, einmal einiger großer Steuerreformwerke zu gedenken, in deren Fußstapfen wir uns heute noch bewegen. Ich darf als Steuerreform herausstellen das Einkommensteuergesetz vom 24. Juni 1891, das erstmalig dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit Rechnung tragen und den Rest der preußischen Klassensteuer beseitigen sollte. Deshalb knüpfte dieses Gesetz auch an die tatsächlichen Einkommensquellen mit einer progressiven Gestaltung des Tarifs — 0,6 bis 4 % — mit Steuererklärungsfrist an. Wenn man sich in das Jahr 1891 zurückversetzt fühlt und dieses unter dem Namen Miquelsche Steuerreform in Preußen einmalige Gesetzgebungswerk ansieht, dann wird man begreifen, was unter dem Wort Reform gemeint ist.
Es ist hinzuzufügen, daß mit dieser Steuerreform auch noch das Gewerbesteuergesetz, welches erstmalig die Besteuerung nach dem Gewerbekapital und Gewerbeertrag bringt, und das Ergänzungssteuergesetz — der Vorläufer des heutigen Vermögensteuergesetzes — verabschiedet wurden. Das war eine Steuerreform.Ich darf auf eine zweite Steuerreform hinweisen, die Erzbergerische Steuerreform, die durch das Gesetz vom 10. September 1919 die Reichsfinanzverwaltung schuf, auf deren Boden heute noch die Länderfinanzverwaltungen und die Bundesfinanzverwaltung existieren. Es wurde eine einheitliche Steuerrechtsordnung für das Deutsche Reich geschaffen, indem ein einheitliches Steuerrecht für das gesamte Deutsche Reich erlassen wurde.
Das war eine Steuerreform.In diesem Bundestag wurde eine Umsatzsteuerreform verabschiedet, indem von der Allphasenbruttoumsatzsteuer übergegangen wurde zum neuen System der Besteuerung des sogenannten Mehrwerts. Dieses waren Reformen.Wenn ich jetzt berichte, wie sich die Opposition zu dem Dritten Steuerreformgesetz, Teil Einkommensteuer, stellt, so gestatten Sie, daß die Opposition dies Gesetzwerk zerlegt in Entlastungsmaßnahmen, in Änderungsmaßnahmen und in Reformmaßnahmen. Die Reformmaßnahmen lassen sich auf einige wenige zusammendrängen, nämlich einmal auf die Strukturreform, d. h. Übergang bei dem Abzug der Vorsorgeaufwendungen von der Bemessungsgrundlage auf Absetzung von der Steuerschuld — dies ist eine Reformelement —, als Folgewirkung davon die Absetzung der Vorsorgepauschale der Arbeitnehmer, als weiteres den Abzug des Arbeitnehmerfreibetrages von der Steuerschuld. Hier hat die Opposition ernsthafte Bedenken deswegen angemeldet, weil erstmalig ein Einbruch nicht in die Ermittlung des Einkommens, sondern in die Ermittlung der Einkünfte durch einen solchen Abzug von der Steuerschuld eingeführt wurde. AlsReformelement, das von der Opposition außerordentlich begrüßt worden ist und auch heute begrüßt wird, ist die Umstellung ,des Kinderlastenausgleichs zu nennen, mit der ihrem eigenen Berliner Programm Genüge getan wird.Vorhin ist in dem Bericht von Frau Huber gesagt worden, die Opposition habe beanstandet, daß die Beratungen im Finanzausschuß unter Zeitnot stattgefunden hätten. Ich darf daran erinnern, daß die Bundesregierung für die Vorbereitung dieser Reform dreieinhalb Jahre Zeit hatte — wenn ich die ganzen Dinge, die sich vorher abgespielt haben, nicht rechne —: Am 1. April 1971 übernahm der Staatssekretär Haller die Steuerreformgruppe im Bundesfinanzministerium. Die Eckwerte der Bundesregierung — wie im Bericht erwähnt — sind vom 11. Juni 1971, 28. September 1971 und 12. September 1973. Die erste Lesung dieses Reformgesetzes im Bundestag war dann am 25. Januar 1974. Das sind also sogar dreidreiviertel Jahre. Der Finanzausschuß hatte für seine Beratungen seit diesem 25. Januar 1974 Zeit; das sind fünf Monate. In 22 Sitzungen hat er darüber beraten. Plenartage, die an sich für Ausschüsse nicht 'zur Verfügungstehen, sind normaliter zu Ausschußtagen gemacht worden. Sitzungsfreie Wochen sind für den Finanzausschuß ausgefallen. Dabei ist nichtgerechnet all die Zeit, die die Mitglieder des Finanzausschusses verwenden mußten, um in ihren Arbeitskreisen und in ihren Einzelberatungen in den Fraktionen und Arbeitsgruppen diese Dinge vorzubereiten. Ich glaube, hier wäre einmal ein Aufsatz von Flume über die Qualitäten des Finanzausschusses anzusprechen, der durch eine solche Arbeitszusammenballung glatt überfordert ist, und zwar sowohl was den Ausschuß als auch was das Sekretariat anlangt.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, Herr von Bockelberg spricht als Berichterstatter.
— Er spricht als Berichterstatter!
Ich spreche genauso als Berichterstatter wie Ihre Berichterstatterin, die es an einigen — —
Herr Abgeordneter, lassen Sie bitte den Herrn Berichterstatter fortfahren.
Ich möchte hoffen, daß diese Überforderung des Finanzausschusses und des Sekretariats im Dritten Steuerreformgesetz nicht zu ähnlichen Fehlern geführt hat, wie sie soeben von meinem Kollegen Bremer im Steueränderungsgesetz 1973 beanstandet worden sind.
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von BockelbergIch darf allerdings heute schon darauf hinweisen, daß die Berichterstatter den § 32 Abs. 4 ändern mußten. Dort war der Ausdruck „Kind eines Elternpaares" zu ändern in „Kind eines unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Elternpaares". Dies ist keineswegs eine nur redaktionelle Änderung. Man kann die Frage aufwerfen, ob es eine Änderung ist, die der Klarstellung dient. Ich möchte diese Geschichte hier nicht besonders kritisieren; aber ich möchte sie als Frage in den Raum stellen.Ich darf darauf hinweisen, daß auch die Druckerei praktisch nicht nachgekommen ist; denn in dem ersten Antrag auf Drucksache 7/2164 sind bereits auf dem Vorblatt verkehrte Drucksachennummern aufgeführt worden. Ich darf ferner darauf hinweisen, daß die Art. 5 und 6 keine erste Beratung im Plenum erlebt haben. Dennoch stehen sie in zweiter und dritter Beratung zur Abstimmung. Ich darf schließlich darauf hinweisen, daß die Abstimmung über den CDU/CSU-Entwurf in der Fassung des am 22. Mai 1974 im Ausschuß eingebrachten Änderungsantrages für unzulässig erklärt worden ist, da eine erste Beratung nur über einen nicht abgeänderten Entwurf stattfinden darf.Ob weitere Ungenauigkeiten und weitere Fehler vorgekommen sind, vermag der Berichterstatter hier noch nicht zu sagen.Jedenfalls kann ich sachlich feststellen, daß von der CDU/CSU-Fraktion im Finanzausschuß die unzureichende Zeit für die Befragung der Gutachter zum Verfassungsrecht beanstandet worden ist. Dort wurde für dieses Hearing eine Endzeit festgelegt, welche aus terminlichen Gründen nicht überschritten werden durfte.Meine Damen und Herren, Sie haben in diesem Hohen Hause gestern einen Bericht von 124 Seiten auf den Tisch gelegt bekommen. Ich stelle die Frage, ob Sie in der Lage sind, diesen Bericht bereits heute Ihrer Entscheidung zugrunde zu legen. Früher konnte der Bericht nicht kommen; dafür muß ich mich als Berichterstatter entschuldigen. Er wurde aber erst am 30. Mai fertiggestellt, nachdem die letzte Beratung im Finanzausschuß am 22. Mai stattgefunden hatte.Gleichzeitig ist über das Inflationsentlastungsgesetz zu berichten, immerhin ein Gesetz, welches diese Zeitnot überwinden sollte. Wir sollten darauf hinweisen — das tut der Berichterstatter —, daß dem hier zur Debatte stehenden Inflationsentlastungsgesetz ein solches vorausgegangen ist — Drucksache 7/1043 —, das vom Plenum des Deutschen Bundestages am 24. Oktober 1973 abgelehnt worden ist. Ich glaube, nicht fehlzugehen in der Annahme, daß dieser Gesetzentwurf und der Beschluß der CDU/CSU-Fraktion vom 31. Juli 1973 durchaus ein Anstoß gewesen sind, um die Vorverlegung des Termins für das Inkrafttreten des Dritten Steuerreformgesetzes auf den 1. Januar 1975 zu bewirken. Über das Ergebnis dieser Vorverlegung, die sogenannte Strukturreform, haben wir hier zu beraten; das hat uns auch unter diesen Zeitdruck gesetzt, weil man sich eben mit dieser Strukturreform in der zur Verfügung stehenden Zeit zu viel vorgenommen hatte.Die Mitberichterstatterin, Frau Huber, hat bereits den grundsätzlichen Unterschied erwähnt. Die CDU/ CSU will die Steuerzahler schon zum 1. Januar bzw. 1. Juli 1974 entlasten. Sie will damit praktisch bereits im Jahre 1974 ein Mehr für den Steuerzahler von 3 bis 4 °/o des Bruttolohnes erreichen. Das sind exakt die Zahlen, die der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung am 17. Mai 1974, als Ziel der Steuerreform hingestellt hat.Es ist von der Mitberichterstatterin schon erwähnt worden, daß dem Finanzausschuß abweichend von dem hier eingebrachten und in erster Lesung behandelten Gesetzentwurf ein sogenannter Umdruck 1 vorgelegt worden ist. Dieser Umdruck 1 enthält die von mir geschilderten Reformelemente, sehr viele Änderungen und Entlastungen und ist, damit er umfangreicher wirkt, durch die Übernahme von Bestimmungen der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung und der Lohnsteuerrichtlinien in den Gesetzestext angereichert. Wenn der Rest des Entwurfs, wie ihn die Mitberichterstatterin hier bekanntgegeben hat, zügig weiterberaten wird und am 1. Januar 1977 in Kraft tritt, hat dies zur Folge, daß sich Finanzverwaltung, Wirtschaft und steuerberatende Berufe innerhalb von zwei Jahren mit drei neuen Paragraphenfolgen auseinanderzusetzen haben.'Der Finanzausschuß hat ferner Änderungen und Ergänzungen auf ca. 70 weiteren Umdrucken beraten. Ein Umdruck sollte auch die Änderung des Familienlastenausgleichs sozusagen auf dem kleinen Dienstweg bringen. Es wurden vorhin in dem Bericht häufigere Debatten über Geschäftsordnungsdinge beanstandet. Hier haben wir einen ganz klaren Fall, in dem unter Umgehung dieses Hohen Hauses ohne erste Lesung auf kaltem Wege von einem nicht zuständigen Ausschuß eine Änderung gebracht werden sollte.
Herr Abgeordneter, ich glaube in der Tat, daß die Herbeiziehung der Umdrucke nicht so ganz in die Berichterstattung paßt. Wenn ich bitten dürfte, doch zu Ihrer Berichterstattung zurückzukommen!
Die CDU/CSU hat sich — das geht auch aus dem Bericht hervor — für eine genauere Beratung der Reform bei einer Vorabentscheidung eines Sofortentlastungsgesetzes ausgesprochen. Sie hat folgende Reformvorstellungen, die in dem Bericht enthalten sind, die ich hier aber der Klarheit halber noch einmal darstellen möchte, zum Ausdruck gebracht.Erstens hat sie aus zwei Gründen einen durchgehenden Progressionstarif gefordert. Zum einen entspricht ein durchgehender Progressionstarif der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit am besten, und zum anderen war sie der Meinung — und sie hat dies zum Ausdruck gebracht —, daß durch den Zonentarif — so möchte ich ihn einmal 'bezeichnen —
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von Bockelbergin Anbetracht des in den kommenden Jahren zu erwartenden Lohn- und Gehaltsanstiegs nur eine vorübergehende Entlastung erreicht wird. — Dieser Antrag wurde von der Mehrheit abgelehnt.Sie hat ferner einen jährlichen Tarifbericht gefordert. Dieser Antrag wurde als sogenannte Quasi-Indexierung von der Mehrheit abgelehnt. — Einer meiner Kollegen wird noch vorbringen, daß sämtliche europäischen Länder rund um uns herum in ihren Verfassungen bzw. in ihren Gesetzen Maßnahmen haben, die dem Gesetzgeber vorschreiben, bei inflationären Entwicklungen das Steuerrecht anzupassen, zu überwachen oder zu ändern.
— Die CDU/CSU hat lediglich einen Bericht gefordert!
Die CDU/CSU hat den Abzug der Vorsorgeaufwendungen von der Bemessungsgrundlage gefordert. Dieser Antrag wurde abgelehnt. Die CDU/CSU sagt, dies ist allerdings ein Reformelement, aber sie ist damit nicht einverstanden, weil dadurch einmal das System der Einkommenkommensteuer berührt und zum anderen für diese Ausgaben eine doppelte Progression eingeführt wird.Über den Arbeitnehmerfreibetrag habe ich anfangs bereits gesprochen. Wir hatten die Forderung, ihn unter Ermäßigung auf 480 DM von der Bemessungsgrundlage abzuziehen. Es bleibt dem Berichterstatter jetzt die Freude, festzustellen, daß sich die Mehrheit von dem etwas augenwischerischen Betrag von 600 DM getrennt und beim Abzug von der Steuerschuld den tatsächlichen Betrag von 132 DM genannt hat.Die Opposition hat sich gegen die weitere Beschränkung der Betriebsausgaben hinsichtlich der Werbeträger, hinsichtlich der Bewirtungskosten und des Verpflegungsmehraufwandes ausgesprochen. Wenn in den letzteren Punkten auch ein Kompromiß zustande gekommen ist, so hat sie beim ersteren ihre Ablehnung doch weiterhin aufrechterhalten.Eine echte Möglichkeit einer Reform wäre bei der Besteuerung der Alterseinkünfte bei einer Angelegenheit, auf die im Laufe der Debatte noch zu sprechen zu kommen ist — gegeben gewesen. Diese Alterseinkünfte werden äußerst unterschiedlich und auch nach diesem sogenannten Reformgesetz in keiner Weise zufriedenstellend besteuert.Ich darf zum Schluß, um einen gewissen Frieden wiederherzustellen, auch darauf hinweisen, daß auf Antrag der CDU/CSU einige von allen drei Fraktionen gemeinsam getragene Anträge verabschiedet worden sind. Dazu gehört einmal das Vorziehen der Bestimmungen über den Fortfall des Erfordernisses der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung als Voraussetzung von Steuervergünstigungen, Sonderabschreibungen und erhöhten Abschreibungen. Zweitens gehört dazu die Einführung einer Vorschrift zur Vermeidung von Doppelbelastungen mit Einkommensteuer und Erbschaftsteuer, eingefügt als neuer § 35, und dazu gehören drittens Bestimmungen über die Handhabung des Progressionsvorbehalts bei Doppelbesteuerungsabkommen.Meine Damen und Herren, zum Schluß darf ich
— ja, ich glaube schon, daß Sie sich darüber freuen —, wenn auch nur ein Teil dieses Gesetzentwurfes zur zweiten und dritten Beratung ansteht und wenn auch das „Einkommensteueränderungsgesetz 1974" in vielen grundsätzlichen Punkten im Finanzausschuß nicht die Zustimmung der CDU/CSU gefunden hat, dem Ausschußsekretariat und den an den Beratungen beteiligten Herren des Bundesministeriums der Finanzen für ihre fast aufopfernde Mitarbeit und Unterstützung auch der Opposition Dank und Anerkennung auch der Opposition aussprechen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter von Bockelberg. Wünschen weitere Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rapp.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Verabschiedung des uns nunmehr vorliegenden Gesetzentwurfes zur Reform der Einkommensteuer einschließlich des Kinderlastenausgleichs sowie der Sparprämiengesetze werden wir dem Ziel eines sozialeren und insgesamt moderneren Steuerrechts um den entscheidenden Schritt nähergekommen sein. Diese Feststellung treffe ich für die SPD-Fraktion mit der Gelassenheit und mit dem Selbstbewußtsein von Leuten, die auf dem Wege zu diesem Ziel durchaus auch Lernprozesse zu absolvieren und dabei die eine und andere Blessur hinzunehmen hatten — wenn ich nur etwa daran denke, daß wir beim neuen Kinderlastenausgleich bezüglich des Auszahlungsmodus nur die zweitbeste Lösung haben durchsetzen können. Oder wenn Sie es weniger kriegerisch, mehr biblisch wollen: Jetzt, da das Kind geboren ist, sind die Fährnisse und Beschwernisse der Schwangerschaft schon fast vergessen.Zu den Lernprozessen, die ich persönlich — aber das dürfte exemplarisch sein — zu bewältigen hatte, gehört die Einsicht, daß der Reformimpetus, das „Jahrhundertwerk" einer ein für allemal zu bewerkstelligenden umfassenden Steuerreform zu schaffen, sich als zu weit und zugleich als zu kurz gesprungen erwiesen hat, je nachdem, ob man auf das Steuerrecht selbst oder aber auf die durch das Steuerrecht mitzugestaltenden gesellschaftlichen Entwicklungen abhebt. Wenn die Opposition daraus ein billiges Gefühlchen der Genugtuung ziehen wollte — na, dann bitte; sie sollte sich dann aber auch vor Augen halten, was es bedeutete, daß meine Partei in den Jahren 1970 und 1971 Zehntausende von Mitgliedern umfassend über eine so schwierige Materie zu informieren und sie auf ein detailliertes und anspruchsvolles Reformkonzept hin zu engagieren vermochte, wohingegen die CDU/CSU es bis heute noch nicht einmal in ihren Expertenzirkeln zu einem in
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Rapp
sich schlüssigen Programm der Reform unseres Steuersystems gebracht hat.
Zu den uns allen abgeforderten Einsichten gehörte des weiteren, daß das Steuerrecht zwar durchaus wirksame Handhaben bietet, über den fiskalischen Zweck der Besteuerung hinaus gesellschaftspolitische, verteilungspolitische, sozialpolitische, konjunktur- und strukturpolitische Ziele zu verfolgen, daß es da aber Grenzen gibt, daß man die Steuerungsfunktion der Besteuerung nicht überfordern darf, wenn man sich nicht im Zielkonflikt zwischen den Postulaten der Gerechtigkeit und der Überschaubarkeit — um den Begriff der Einfachheit zu vermeidenverheddern will. Ein aus Gründen der Gerechtigkeit im Übermaß kompliziertes Steuerrecht würde am Ende insofern wieder Ungerechtigkeit bewirken, als die Gerechtigkeit dann nur noch wenigen Eingeweihten zugänglich wäre.Im vorliegenden Gesetzentwurf wird in jeder Beziehung eine gute Balance gehalten. Das Ziel einer gerechteren Verteilung der Steuerlasten wird durch zum Teil erhebliche Entlastungen der kleineren und mittleren Einkommen bei maßvoller Mehrbelastung der hohen Einkommen erreicht. Das dornenreiche Problem des Abbaus nicht mehr sinnvoller Steuersubventionen wird angegangen. Insbesondere im Lohnsteuerbereich wird der Papierkrieg eingedämmt.
Aber gewiß werden und müssen Wünsche offenbleiben. Manches für sich selbst sehr wohl berechtigte Anliegen ist nicht oder jetzt nicht finanzierbar; anderes, was man sich auch noch wünschen könnte, würde nicht administrierbar sein, und über noch anderes, etwa ein in sich schlüssiges Konzept der steuerlichen Behandlung der Bezüge im Alter einschließlich des Vorsorge- und des Versorgungselements, wird weiter nachzudenken sein.Und nochmals und vor allem: Angesichts des sich immer rascher vollziehenden gesellschaftlichen Wandels wird es wohl nie mehr Jahrhundertgesetze geben, insbesondere im Steuerrecht nicht, insbesondere zur Einkommensteuer nicht, die wie kein anderes Medium geeignet ist, flexibel neuen gesellschaftlichen Entwicklungen, sei es initiierend, sei es einfangend und korrigierend, Rechnung zu tragen. Anders ausgedrückt: Verbesserungen und Anpassungen des Steuerrechts werden um so mehr ein gesetzgeberischer Dauerauftrag sein, in je größerem Maße die Besteuerung auch gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Zielen zu dienen hat.Die Aspekte der Steuerharmonisierung im europäischen Raum kommen noch hinzu. Wir sind überzeugt, daß wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf in diesen schwierigen Prozeß der Steuerharmonisierung Wertvorstellungen mit einbringen können, die den Beifall breiter Schichten der Bevölkerung auch in anderen EG-Ländern finden könnten.Soviel, meine Damen und Herren, vorab zu den nötigen Relativierungen.Daß das uns vorliegende Gesetzeswerk auch und gerade vor diesem Hintergrund einen hohen Reformwert hat, ist überzeugend zum einen aus der Sache selbst heraus zu begründen, zum anderen aber auch mit dem Hinweis auf die Reaktionen der Opposition. Es wird im Verlauf dieser Debatte Gelegenheit sein, an Hand der Änderungsanträge der Opposition fast alle vorgesehenen Einzelmaßnahmen durchzudeklinieren, so daß ich mich jetzt darauf beschränken kann, zunächst einmal im Positivbeweis auf jene Reformelemente einzugehen, mit denen wir Pflöcke einschlagen, mit denen wir das System, das Steuersystem, verändern. Es wird dann des weiteren meine Aufgabe sein, aus den Taktiken und Praktiken der Opposition herzuleiten, wie sehr man auch dort allen Abwiegelungen zum Trotz begriffen hat, daß da Reform gemacht wird.Erstes dieser Reformelemente: Die Reform führt zu Haushaltsbelastungen von 10 bis 12 Milliarden DM, was den Saldo zwischen einer Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen um etwa 15 Milliarden DM und einer Mehrbelastung der hohen Einkommen darstellt. Dies ist etwas grundlegend anderes als die Vorhaben der Opposition und des Bundesrates,
welche die zur Steuerentlastung zur Verfügung stehende Finanzmasse ungezielt und sogar mit Progressionswirkung, d. h. teilweise mit höherem Entlastungseffekt für Bezieher hoher Einkommen, unter die Leute bringen wollen. Die von der Koalition getragene Reform wird die dem Steuerrecht innewohnende Lenkungspotenz durch alle Einzelmaßnahmen hindurch zielstrebig im Sinne einer sozial gerechteren Verteilung der Steuerlast zur Geltung bringen.Zweitens. Unter den Einzelmaßnahmen, die zu diesem Ergebnis führen, ist zunächst der Tarif zu erwähnen, der in allen seinen sieben Elementen — Grundfreibetrag 3 000/6 000, Eingangssteuersatz 22 %, Verlängerung, d. h. Verdoppelung der Proportional-zone, Eingangsteuersatz und Verlauf der Progressionszone, obere Proportionalgrenze und Spitzensteuersatz — neu geschnitten wird.Die Entlastungen allein aus dem Tarif, die sich auf fast fünf Milliarden DM summieren, kommen ohne Berücksichtigung der Ergänzungsabgabe Ledigen bis zu 40 000 DM und Verheirateten bis zu 80 000 DM Jahreseinkommen zugute. Etwa 60 % der Lohnsteuerzahler werden im Jahre 1975 wieder außerhalb der Progression besteuert sein.Wenn nun die Opposition gegen diesen Tarif rein platonisch und polemisch agitiert — sie weiß so genau wie wir, daß der von ihr gewünschte durchgehend progressive Tarif aus zwingenden Verwaltungsgründen frühestens in zwei bis drei Jahren zu haben sein wird —, so sollte sie doch fairerweise hinzufügen, daß die Koalitionsfraktionen für einen solchen Progressionstarif durchaus offen sind, sich allerdings nicht schon jetzt auf einen Zeitpunkt festlegen lassen möchten, von dem niemand weiß, wie dann die wirtschaftliche Lage beschaffen sein wird.Im übrigen ist das Argument der Opposition, der einstweilen beizubehaltende Proportionaltarif sei wegen des relativ hohen Eingangssteuersatzes leistungshemmend, durchaus zwiespältig. Im Progres-
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sionstarif, meine Damen und Herren, ist es doch so, daß die Leute definitionsgemäß und unentwegt in die progressive Besteuerung hineinwachsen, wohingegen im einstweilen beibehaltenen Proportionaltarif in dem gerade für uns Sozialdemokraten interessanten Einkommensbereich bis zu 16 000/32 000 DM die Inflationsfolgen gemindert werden und der Leistungsanreiz gewahrt bleibt.Die Opposition, so meine ich, wird an dieser Stelle und bei dieser ihrer Argumentation einmal zu fragen sein, ob nach ihrer Auffassung Leistungsmotivation und Leistungsvermögen nur bei den Höherverdienenden denkbar sind.
Viel Wesens wird die Opposition des weiteren vom sogenannten Tarifsprung machen. In der Tat: Wen würde es nicht verunsichern, wenn er die Dinge so dargestellt bekommt, als ob jemand, der als Verheirateter die Einkommensgrenze von 32 000 DM überspringt, nun plötzlich 30,8 % und damit um 8,8 Prozentpunkte mehr Steuern zu zahlen hätte als bisher? Nun, meine Damen und Herren, der Betreffende wird auf seinem Lohnzettel ablesen können, daß der berüchtigte Tarifsprung nur den jeweiligen Einkommensmehrbetrag und nicht etwa den ganzen Lohn erfaßt.
Vielleicht findet sich einmal jemand, der dies auch dem Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Finanzausschuß, Herrn Dr. Häfele, verständlich machen kann,
damit er davor bewahrt bleibt, in Zeitschriftenartikeln blamable Fehler zu machen.
Die Arbeitnehmer werden in ihrer Gesamtheit merken, daß die durchschnittliche Belastung der Löhne und Gehälter mit der Lohnsteuer, die im Jahre 1974 10,7 % beträgt, im Jahre 1975 auf 7,3 % zurückgeht.Lieber Herr von Bockelberg, weil eshier hineinpaßt, will ich auch dies sagen: Wenn die Preissteigerungsraten hierzulande niedriger sind als anderswo, dann hat das vielleicht auch etwas damit zu tun, daß es in unserem Land keine automatischen Anpassungsmechanismen gibt. Stichwort: Tarifbericht!Der dritte Bereich, in dem wir Pflöcke setzen, im Steuerrecht Strukturen verändern wollen, 'betrifft den Kinderlastenausgleich, auf den ich hier allerdings nur insoweit eingehen möchte, als sich dazu in den Beratungen Bemerkenswertes und Merkwürdiges, allerdings auch Exemplarisches zugetragen hat. Es handelt sich hier um die Ersetzung des dualen Systems durch ein einheitliches, nach der Kinderzahl in den Stufen 50-70-120 DM gestaffeltes Kindergeld unter Wegfall der Freibeträge, die bisher schichtenspezifisch bewirkten, daß das Kind des reichen Mannes dem Staat mehr wert war als das Kind des kleinen Mannes. Lange Zeit hat es uns da aus dem Lager der Opposition entgegengetönt, die Abschaffung der Kinderfreibeträge sei verfassungswidrig. Im übrigen gab es die übliche Beschimpfung, hier seien die Gleichmacher am Werk, wozu ich nur sagen kann, daß nach unserer Auffassung dem Staat in der Tat jedes Kind in Mark und Pfennig gleich viel wert sein soll, womit ein bißchen mehr Chancengleichheit — leider noch nicht einmal die volle — hergestellt werden kann.Als die Opposition noch im März dieses Jahres zu dieser Frage Verfassungsgutachten bestellte, dachten wir, sie werde weiterhin gegen das System des einheitlichen Kinderlastenausgleichs zu Felde ziehen. Merkwürdige Argumente gab es da in einigen dieser Gutachten, etwa das vom „sozialen Existenzminimum", das, von steuerlichem Zugriff freigelassen, nun einmal bei Besserverdienenden höher liege als bei den kleinen Leuten, bei denen sich das Ganze eben auf das „physische Existenzminimum" reduziere. Leuten, denen ansonsten zur Verteidigung von Privilegien der Begriff der Subsidiarität sehr leicht von den Lippen geht, schien dieser Begriff in der Diskussion völlig abhanden gekommen zu sein. Nichts war davon zu hören, daß nach dem Subsidiaritätsprinzip der Staat bei der Berücksichtigung der Kinderlasten sich auf den notwendigen Unterhalt beschränken kann, weil alles, was darüber hinausgeht, subsidiär zuvörderst von den Eltern nach deren Leistungsvermögen bereitzustellen ist. Nichts war von den Gegnern des einheitlichen Systems darüber zu hören, daß die bei steigenden Einkommen steigenden Kinderlasten tendenziell einen geringeren Teil des verfügbaren Einkommens ausmachen; nichts war 'darüber zu hören, daß die Schutz- und Förderungsbedürftigkeit der Familie mit steigendem Einkommen geringer wird. Schließlich liefen alle gegen die Kindergeldreform vorgebrachten Einwände darauf hinaus, die Kinderlasten im Bereich der einkommensteuerrechtlich allein relevanten Einkommensentstehung anzusiedeln, unter den Betriebsausgaben und Werbungskosten sozusagen. Um die Kinderkosten unter den Begriff der steuerlichen Leistungsfähigkeit zwingen zu können, nahm man einen Familienbegriff in Kauf, der sich dem einer Kommanditgesellschaft merkwürdig annähert, und dies alles mit dem Pathos von Rettern der Familie.Das neue System des Kinderlastenausgleichs bringt die Kosten des Unterhalts von Kindern in die Nähe der Einkommensverwendung. In diesem Bereich ist 'der Staat frei, unter sozialen Gesichtspunkten und zur Gewährung von Chancengleichheit so oder so zu fördern. Dies geschieht durch die vorgesehenen Zahlungen eines gestaffelten Kindergeldes in vorbildlicher Weise. Das Volumen des Kinderlastenausgleichs wird um weit über 4 Milliarden DM auf über 15 Milliarden DM ausgeweitet.Wir waren, meine Damen und Herren, wie gesagt bis in die letzten Beratungsrunden hinein darauf gefaßt, daß die CDU/CSU die Beibehaltung des dualen Systems des Kinderlastenausgleichs fordern würde. War es nun die durchschlagende Überzeugungskraft jener anderen Gutachten, die das Einheitssystem als verfassungskonform, ja sogar als
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von der Verfassung vielleicht gefordert auswiesen, was die Opposition zum Einlenken und zur Zustimmung zum einheitlichen Kinderlastenausgleich bewegte? Wir wissen es nicht, würden uns aber freuen, wenn dem so wäre. Freilich würde es dann naheliegen, daß die Opposition nach dieser Erfahrung mit dem Verfassungsknüppel ganz generell nicht mehr so leichtfertig umginge und sich jedenfalls eines ideologiefreien Begriffs der steuerlichen Leistungsfähigkeit bediente. Aber nein, genau das gleiche Geschütz, dessen man sich gegen den einheitlichen Kinderlastenausgleich nicht mehr bedienen zu können glaubte, wird wieder in Stellung gebracht und abgefeuert im vierten Reformbereich, dem ich mich noch kurz zuwenden möchte: dem der steuerlichen Berücksichtigung der Vorsorgeaufwendungen.Das bisher hierfür geltende Begünstigungssystem hatte wegen der Progression bewirkt, daß bei gleich hohen Aufwendungen die Steuerermäßigung mit wachsendem Einkommen zunahm. Es versteht sich, daß wir auch hier die Gleichbehandlung durchsetzen wollen, was durch die Systemänderung hin zum Abzug von der Steuerschuld in Höhe des Eingangssteuersatzes von 22 % geschehen wird. In welchem Maße dabei die Höchstbeträge angehoben und wie sie ausgestaltet werden, wird im Verlauf der Debatte noch zu erörtern sein. Bei den Arbeitnehmern sind nicht nur die Sozialversicherungsbeiträge wieder voll gedeckt, es bleibt ihnen vielmehr darüber hinaus noch Spielraum für weitere Vorsorgeaufwendungen. Die Vorsorgepauschale kann als ein Ausgleich dafür angesehen werden, daß Pflichtversicherungsbeiträge der Disponibilität entzogen sind. Aber auch der Selbständige, der seine Altersvorsorge über eine Versicherung deckt, ist in die Zahlungspflicht genommen — oder etwa nicht? Man kann hier die Dinge nicht je nach Opportunität mal so, mal so drehen. Im übrigen werden die Selbständigen in besonderem Maße Nutznießer der neuen Vorsorgeregelungen sein.Gegen die von mir skizzierte Systemänderung will die Opposition nun, wie gesagt, Sturm laufen. Sie möchte es mit Hilfe desselben ideologieüberfrachteten Begriffs der steuerlichen Leistungsfähigkeit tun, der sich ganz offensichtlich schon beim Kinderlastenausgleich als nicht tragfähig erwiesen hat. Daß die Opposition aus zwingenden fiskalischen Gründen den Höchstbetragsrahmen drastisch beschneiden muß, wenn sie beim Prinzip des Abzugs von der Bemessungsgrundlage bleiben möchte, sei nur am Rande erwähnt. Insbesondere die Selbständigen, aber auch die Arbeitnehmer und die Sozialversicherungspflichtigen sollten dies einmal genau durchrechnen. Sie werden in Mark und Pfennig merken, daß unsere Lösung die bessere ist.Wir, die Koalitionsfraktionen, weisen auch die Vorsorgeaufwendungen dem Bereich der Einkommensverwendung zu, in dem der Staat in einem weiten Gestaltungspielraum fördern kann. Die Menschen werden spüren, daß dies im vorliegenden Gesetz in vorbildlicher Weise geschieht.Fünftens wäre noch auf die Anhebung des Arbeitnehmerfreibetrags von 240 DM auf 600 DM hinzuweisen. Auch hier wollen wir das sozial gerechtere Steuerabzugsprinzip anwenden. Auch hiergegen wendet sich die Opposition. Die von ihr gewollte Beibehaltung des Abzugs von der Bemessungsgrundlage hätte freilich zur Folge, daß der Freibetrag aus zwingenden fiskalischen Gründen auf 480 DM begrenzt werden müßte.Wenn die Opposition hierzu auf die unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Berufsfreibeträge verweist, so halten wir dem entgegen, daß die Berufsfreibeträge ganz unterschiedlichen Zielsetzungen dienen, so daß in der Tat Ungleiches ungleich behandelt wird. Freibeträge für die Landwirtschaft haben Subventionscharakter, der Selbständigenfreibetrag ist pauschalierter Kostenersatz, der für die Arbeitnehmer dient zum Ausgleich dafür, daß die Gestaltungsmöglichkeiten bei der Lohnsteuer geringer sind als bei der veranlagten Einkommensteuer.Ich habe an ein paar Beispielen aus der Sache heraus deutlich gemacht, daß wir hier bei der Modernisierung des Steuerrechts Pflöcke einschlagen, die den Zuschnitt der Interessenareale verändern. Lassen Sie mich den Beweis, daß dies so ist, auch noch dadurch führen, daß ich mich kurz mit den Reaktionen der CDU/CSU befasse.Da fällt wohl jedem sofort ins Auge, daß es nicht unter einen Hut geht, wenn die Opposition einerseits behauptet, dieses Gesetz sei ohne Reformgehalt, und andererseits Himmel und Hölle in Bewegung setzt, um doch gerade die strukturändernden Elemente, die in diesem Gesetz enthalten sind, zu Fall zu bringen. Von diesen Elementen habe ich nur einige angesprochen.Den formalen Einwand, man habe Teile aus einem Gesamtentwurf herausgenommen, es liege nun kein rundes Ganzes mehr vor, nimmt die Opposition doch wohl selbst nicht ernst; hat sie doch selber immer betont, daß so etwas nur in Etappen zu machen sei. Die Menschen draußen verstehen unter der Reform der Lohn- und Einkommensteuer das, was sich in den Eckwertebeschlüssen der Bundesregierung niedergeschlagen hat, was uns jetzt vorliegt, was wir jetzt beschließen wollen. Die Reform der anderen Teile des Einkommensteuerrechts — die Einarbeitung von Rechtsprechung, Verordnungen und Richtlinien und ähnlichem — ist zwar auch wichtig, hat aber noch etwas Zeit. Das muß z. B. auch in die Zeitplanung des Finanzausschusses eingepaßt werden, der ja wohl zunächst an die Diätenbesteuerung herangehen muß und so wichtige Dinge wie die Reform der Körperschaftsteuer einzubeziehen hat. Nein, die Opposition hat bei ihren Verhinderungsstrategien die Strukturänderungen im Blick, die mit diesem Gesetz kommen werden und die zugleich verbal zu leugnen die Opposition gar nicht wird durchhalten können. Das Verhalten der Opposition war und ist Flucht vor der Notwendigkeit, einmal selber Farbe bekennen zu müssen;
es ist Flucht, allenfalls Vorwärtsverteidigung. Dieseeigentliche Bewegung ist hinter all den Wolken
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Rapp
aufgewirbelten Staubs deutlich sichtbar geblieben aufgewirbelten Staubs, wenn man sich ansieht, was in letzter Zeit zu diesem Thema alles geschrieben worden ist.Zwei der von uns an die CDU/CSU gerichteten Vorwürfe scheinen besonders gesessen zu haben: der des Mangels an Alternativen und der des Finanzchaotentums. Wir hörten im Ausschuß mit Staunen, daß sich in den Änderungsanträgen, welche die Opposition im Finanzausschuß eingebracht hat und die heute vielleicht wiederkommen werden, die Konturen einer eigenen Steuerreformkonzeption abzeichnen sollen. Dies hörten wir mit Staunen. Wessen Reform, ist da doch wohl zu fragen, die der CDU, die der CSU, die der Opposition oder nur die der oppositionellen Mitglieder im Finanzausschuß?
Was wäre da wo, wie innerparteilich verankert? Es mag doch wohl auch diese Unsicherheit gewesen sein, die die Opposition veranlaßte, bezüglich eines eventuellen stufenweisen Inkraftsetzens der in ihren eigenen Anträgen enthaltenen zusätzlich steuermindernden Maßnahmen mit uns, der Koalition, reden zu wollen.Dies, meine Damen und Herren, geht aber nun überhaupt nicht. Wir haben hier ein Gesetz zu machen. Wir haben feste Daten und Termine zu setzen. Es kann nicht Aufgabe des Deutschen Bundestages sein, der CDU/CSU durch das Festzurren von Absichtserklärungen — womöglich noch gegen den Willen eines großen Teils ihrer Mitglieder — zu einem Steuerreformprogramm zu verhelfen, zu dem sie auf andere, eigene Weise offensichtlich nicht kommen kann.
Dies ist doch wohl nicht Aufgabe des Deutschen Bundestages.Mit dem erwähnten Angebot der Opposition zur Behandlung ihrer Anträge sollte wohl auch dem Vorwurf des Finanzchaotentums begegnet werden, der hier im Hause mehrfach in folgenden „Merksätzen" erhoben wurde: Dem Staat die Einnahmen verweigern, zugleich an allen Ecken und Enden Mehrausgaben fordern, den Gesamthaushalt als zu hoch, als inflationär, die Einzelhaushalte als zu niedrig denunzieren, die im Falle von Steuersenkungen bei festgelegten Haushalten erforderliche Kreditfinanzierung mit wechselnden Argumenten verteufeln. Die in dem erwähnten Angebot der Opposition offenbar zum Ausdruck kommende Einsicht, daß man auf 12 Milliarden DM Steuerausfall nicht noch 8 Milliarden DM — denn das würden Ihre Anträge kosten — oben draufsetzen kann, begrüßen wir natürlich. Für mich selbst betone ich freimütig, daß ich in der finanzchaotischen Argumentationsweise der Vergangenheit — hoffentlich der Vergangenheit — immer auch ein Stück Aufkündigung der Gemeinsamkeit der Demokraten gesehen habe. Der Wettbewerb zwischen den Parteien hört auf, produktiv zu sein; er fängt an, ruinös zu werden, wenn die Opposition die Bürger glauben machen will, unter ihrer Herrschaft könnten die Gesetzmäßigkeiten der Mengenlehre aufgehoben werden.
Ähnlich beurteile ich übrigens auch die weithin unqualifizierte Agitation der Opposition in Sachen Preissteigerungen. Dazu hat Professor Kriele neulich im Rundfunk Bemerkenswertes gesagt.Nun aber zu den sogenannten Inflationsentlastungsgesetzen der Opposition. Geht man einmal den geradezu grotesken Entwicklungen dieser Sache nach, so muß sich einem der Gedanke aufzwingen, daß das alles gar nicht ernst gemeint sein kann, weil man ja weiß, daß man nicht beim Wort genommen wird. Wenn dem aber so ist, bleibt nur die Erklärung, daß auch mit diesen Entwürfen und gerade auf diese Weise die Strukturreform des Einkommensteuerrechts unterlaufen werden soll. Ein solcher Blockierungsversuch wiederum ist ein Gradmesser dafür, welche Bedeutung die Opposition dein heute zu verabschiedenden Reformgesetz tatsächlich beimißt.Wie war nun die Entwicklung dieser sogenannten Inflationsentlastungsgesetze? Nachdem im Jahre 1973 zwei Anläufe zu solchen Gesetzen konjunktur- und verteilungspolitisch im Sinne der Preisdämpfung motiviert worden waren, äußerte Herr Dr. Strauß — wohl unter dem Eindruck der Ablehnung dieser Gesetzentwürfe durch Sachverständige aus allen einschlägigen Gremien — am 9. März konjunkturpolitische Bedenken gegen eine zusätzliche Kaufkraftvermehrung via Steuererleichterungen. Am 10. März waren Steuererleichterungen eben aus diesem Grunde — so damals Herr Dr. Carstens — nicht mehr vertretbar. Irgendwann und irgendwo war dann sogar zu hören, man brauche die Steuererleichterungen zur Nachfragebelebung; ich muß allerdings gestehen, daß ich nicht mehr weiß, ob dies aus der Opposition kam. Aber zu hören war es.Zwei Monate später verlangt nun die Opposition zum 1. Juli dieses Jahres — wieder mit dem ursprünglichen Argument — vorgezogene Steuererleichterungen, obwohl sich die wirtschaftliche Entwicklung zwischenzeitlich — zwischen Strauß und Häfele — überhaupt nicht verändert hat. Diese Steuererleichterungen sollen nun durch schlichte Anhebung von Freibeträgen ohne jede Strukturänderung, d. h. mit Gießkannen-Effekt und teilweise mit progressiver Entlastung, geschehen.Nun liegt uns aber zu allem Überfluß noch eine von der Bundesratsmehrheit übernommene Gesetzesinitiative des Freistaats Bayern vor, die inhaltlich mit dem Oppositionsantrag voll konkurriert und die insbesondere die Verzerrungen durch das duale System des Kinderlastenausgleichs verschärfen würde, von dem die Opposition im Bundestag inzwischen doch offensichtlich abgerückt ist.
Herr Strauß aber hatte inzwischen seine Bedenken überdacht und, den Bayern-Antrag unterstützend, befunden, daß Steuerausfälle und Kaufkraft-
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Rapp
vermehrung nicht mehr inflationsfördernd, sondern inflationshemmend seien. Und, meine Damen und Herren, über ein solches Tohuwabohu wagt man uns heute abstimmen zu lassen.Wenn Herr Dr. Häfele nicht müde wird, das Tempo der Beratungen im Finanzausschuß als hektisch zu bezeichnen, dann frage ich, wie man wohl die Beratungen im Schoße der Oppositionsparteien zu qualifizieren hätte, die zu einem solchen Chaos der Meinungen und der Vorlagen geführt haben.
Die SPD-Fraktion wird alle diese sogenannten Inflationsentlastungsgesetze der verschiedenen Bauarten ablehnen und sich die Freiheit nehmen, weiterhin von Inflationsförderungsgesetzen zu sprechen. Die Gründe dafür in Stichworten:Erstens. Wir wollen strukturelle Änderungen des Einkommensteuerrechts. Steuerreform ist eines, Konjunkturpolitik ein anderes. Nach dem Willen der Opposition würde ein steuerliches Konjunkturgesetz das Steuerreformgesetz verdrängen. Dies kommt für uns nicht in Frage. Die Arbeitnehmer wissen, daß ihre Freude, ihre kurzfristige Freude über ein Gießkannen-Gesetz nur flüchtig wäre. Da dann die Finanzmasse für ein Reformgesetz aufgezehrt wäre, hätten sie später nachhaltig und langfristig das Nachsehen.Zweitens. In der gegenwärtigen Wirtschaftslage kommt es konjunkturpolitisch nicht so sehr auf eine Erhöhung der Nachfrage nach Konsumgütern mittels einer Steuersenkung an. Vielmehr besteht die Gefahr, daß ein solches Unterfangen — kaum, daß sich jetzt die Preissteigerungsrate stabilisiert hat — in den sich dann wieder verschärfenden Geldwertverlusten versacken würde.Drittens. Steuerausfälle zum jetzigen Zeitpunkt würden öffentliche Ausgaben im Bereich der Investitionstätigkeit von Bund, Ländern und Gemeinden, aber auch öffentliche Leistungen zur Anregung der Investitionstätigkeit der Wirtschaft für die Sicherung von Arbeitsplätzen gefährden. Die öffentliche Hand profitiert nicht von den Preissteigerungen, im Gegenteil, sie ist mit Hauptleidtragender.Viertens. Aus ordnungspolitischen Gründen — dies ist für uns das Entscheidende — geht es überhaupt nicht an, daß sich der Staat als dritter Mann bietend mit an den Tariftisch drängt. Wie oft würde er das eigentlich, hätte er einmal einen Präzedenzfall geschaffen, wiederholen können? Tarifverhandlungen gibt es ja Jahr für Jahr aufs neue. Will man da Jahr für Jahr mit dem Angebot eines Steuernachlasses mit von der Partie sein? Dies kann doch niemand ernstlich ins Auge fassen.
Fünftens. Einige der Bedenken stellen sich gewiß auch hinsichtlich unserer am 1. Januar 1975 in Kraft zu setzenden Steuerreform. Darauf kann man sich dann aber einstellen. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 17. Mai das dazu Nötige gesagt. Auch dies wird seinen Preis haben, aber es wird der Preis einer Strukturreform und nicht der Preis einer mit der Gießkanne durchgeführten Operation sein.
Ich schließe mit der Feststellung, daß die Koalition der Erfüllung des Auftrags der Regierungserklärung, ein sozial gerechteres, ein modernes Steuerrecht zu schaffen, mit diesem uns heute vorliegenden Gesetz ein entscheidendes Stück nähergekommen ist. Wir sind in aller Nüchternheit und Gelassenheit, wie ich eingangs sagte, stolz darauf.
Das Wort hat der Abgeordnete Höcherl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe sehr viel Verständnis für meinen Kollegen Rapp, der hier eine sehr schlechte Sache — als Pflichtverteidiger im Armenrecht war er hier — verteidigen mußte.
Wir hatten erst kürzlich das Vergnügen, eine längere Epistel — ich spreche von der Regierungserklärung — hier zu vernehmen, die der neue Herr Bundeskanzler vorgetragen hat. Er hat sie selbst unter die Devise gestellt: einmal Kontinuität — das waren nur einige kleine verbale Verneigungen vor der Vergangenheit, an der er sehr erheblich beteiligt war —, dann Konzentration, und unter diesem Deckwort Konzentration wurden einige sehr wichtige Vorhaben einfach als Ballast abgeworfen, die früher die heiligen Güter der Koalition waren.Der neue Bundeskanzler hat sich die große Gelegenheit entgehen lassen, auch diese Steuerreform etwas zurückzustellen, damit Gelegenheit ist, sie so gründlich zu beraten, wie es einer solchen Aufgabe geziemt.
Er hat in seiner Zeit als Finanzminister niemals eine besondere Liebe zu dieser Steuerreform empfunden, er hat sie ungefähr wie ein Schlüsselkind mit dem Mindestmaß an Zuneigung behandelt, und er war froh, daß er der unmittelbaren Verantwortung nicht mehr nachzukommen braucht.Diese Steuerreform ist das Prunkstück einer sozialdemokratisch-freidemokratischen Gesetzgebungskunst. Man muß sich im allgemeinen schon fragen, ob es in dieser Zeit der Inflation, in die Sie durch Schwächlichkeit und durch Mangel an Kraft, sich dagegenzustemmen, hineingeschliddert sind, eine Aufgabe sein kann, hier eine große Steuerreform anzugehen. Aber Sie wollten sich von der einmal gefaßten Idee nicht abbringen lassen, und nun haben wir es hier mit dem Arbeitsergebnis zu tun. Es gibt niemanden mehr — das hat die Wirtschafts- und Steuerpresse eindeutig bewiesen —, der diesen Namen dafür überhaupt noch verwenden möchte.Ich habe mir überlegt, unter welche Gattung der Literatur man dieses Ergebnis einordnen könnte. Wenn man an die Gefallenen denkt, die auf der Walstatt geblieben sind — zwei Minister, zwei
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HöcherlStaatssekretäre —, könnte man an ein Drama von Shakespeare denken, aber dazu reicht natürlich die Kraft und das Format der Akteure nicht aus. Eine Ballade wäre vielleicht das nächste, das sich anbietet, aber letzten Endes ist es zur Burleske geworden, die wir heute abzuhandeln haben.
Es kann keinen Zweifel darüber geben, daß wir heute nicht darüber abzustimmen brauchten und dann noch genug Zeit hätten, uns mit der Frage zu befassen, wenn Sie nicht, aufgescheucht durch unsere Vorlage des Inflationsentlastungsgesetzes, auf einmal auf den Gedanken gekommen wären, daß man das vorziehen müsse.
Dann kam die Niedersachsenwahl am 9. Juni. Wir wissen, was Sie wollen: Sie wollen das Pferd in Niedersachsen mit dieser Geschichte auf Trab bringen; das ist die einzige Absicht. Aber das Pferd in Niedersachsen wird wiehern, wenn das Ergebnis dort sichtbar wird.
Ich muß feststellen, daß es sehr bedauerlich ist -- die Unterlagen sind uns in die Hand gekommen —, daß Sie in Niedersachsen gerade auf diesem Gebiet einen verleumderischen und schamlosen Wahlkampf mit absolut falschen Behauptungen führen.
Herr Wehner, Niedersachsen, wo Sie Ihre Halluzinationen wegen des kalten Staatsstreiches hatten, scheint ein ganz besonderer Ort, eine besondere Region, zu sein.
— Kalter Kaffee? Ich hätte an Ihrer Stelle den Mut gefunden, mich zu entschuldigen. Das wäre eine Möglichkeit gewesen, auf einer vernünftigen Basis zu operieren. Aber diesen Mut haben Sie nicht gefunden.
Wir müssen uns daran erinnern, wie dieses Gesetzgebungswerk, eine „große" Steuerreform, einmal durch den verehrten Kollegen Möller als Jahrhundertwerk eingeführt wurde. Der Geist von Erzberger wurde beschworen. Natürlich hat man ihn eingepackt unter Ebert und Bauer, damit die Couleur und die Mischung stimmt; aber immerhin war es so. Es wurde auch sofort geplant, daß das Ganze in drei Abschnitten in Kraft gesetzt werden soll. Der erste Abschnitt war die Abgabenordnung, die übrigens ordnungsgemäß beraten wurde und die heute noch im Ausschuß ist. Sie wird so beraten, wie eine gründliche und schwierige Sache beraten werden muß.Das zweite war dann die Einkommensteuer, Lohnsteuer, Körperschaftsteuer und einheitswertbezogene Steuer, alles in einem Paket. Dann sollten noch Gewerbesteuer und einige andere Dinge kommen. Alles sollte frisch, fromm, fröhlich, frei am 1. Januar 1974 in Kraft treten. Es war ein unerhörter Akt von Weitsicht hinsichtlich der Durchsetzungsmöglichkeiten, sich so etwas vorzunehmen. Das hat sich ja Herr Möller nicht allein vorgenommen, sondern das Kabinett, die ganze Fraktion. Damals war der Fraktionsvorsitzende noch der heutige Bundeskanzler. Alle waren der Meinung, so etwas könnte in der Zeit verwirklicht werden.Nun, wir wissen, wie das dann später wirklich gelaufen ist. Ich muß meinen Respekt bezeugen vor einem Mann, nämlich vor Ihrem Kollegen Möller. Er hat tätige Reue geübt und ist am 13. Mai 1971 zurückgetreten, weil dieses Werk nicht zu verwirklichen war.Dann kam der Superminister Schiller. Er hat sich des etwas verlassenen Waisenkindes sehr ungern angenommen, konnte sich aber nicht zurückhalten und hat dann erklärt, das würde nicht nur das größte Reformwerk dieser Legislaturperiode sein, sondern weit darüber hinaus auch ein Werk, das in der Steuergeschichte der Bundesrepublik und auch des früheren Deutschen Reiches einmalig dastünde.Dann kamen die ersten Eckwerte. Eine ganz großartige Erfindung: Man macht keine Gesetzesvorlage, sondern man macht Eckwerte, d. h. Referentenentwürfe, die dann durch die Regierung eingesegnet werden und ein Wechselbalg zwischen Referentenentwurf und Gesetzentwurf sind. Das wurde uns, und zwar Anfang Juni 1971, und der erstaunten Öffentlichkeit präsentiert. Natürlich war das auch innerhalb der Koalition abgesprochen, die auf diesem Gebiet ja nahtlos funktioniert, wo immer harmonischste Übereinstimmung besteht. Das kann man ja verstehen. Die beiden kommen ja aus derselben weltanschaulichen Quelle, auch wenn sie sich verschiedene Namen geben. Deswegen möchte man meinen, eine solche Harmonie müßte sich schon darstellen lassen.Aber diese Eckwerte hatten es in sich. Es stellte sich heraus, daß sie am 12. September 1971 bereits wieder geändert werden mußten. Ich kann mir eigentlich bei einer anständigen Kabinettsarbeit gar nicht vorstellen, daß man nach so kurzer Zeit ein Revisionsverfahren durchführen muß. Der damalige Sprecher der Bundesregierung hat das damit begründet — sehr offenherzig und absolut korrekt —, daß sich Absurditäten und Widersinnigkeiten in den ersten Eckwerten befunden hätten.Aber wenn Sie vielleicht der Meinung wären, das wären schon die letzten Eckwerte gewesen: Wir wurden mit einer dritten, verschlechterten Auflage bedient, die dann letzten Endes — sehr, sehr kompliziert — am Anfang dieses Jahres als Gesetzentwurf eingebracht wurden, um dann den bekannten hektischen Ablauf auszulösen.Nun, bei der ganzen Vorstellung, die ja von verschiedenen Finanzmeistern der Koalition gebracht wurde, konnte es natürlich nicht ausbleiben, daß man einen bösen Blick auf die Vergangenheit zu warf. Das war genauso wie 1969, als diese Koalition gegründet und alles in rotes, magisches Licht von Illusionen getaucht wurde. Ich möchte sagen: Die Flitterwochen haben nicht allzulange gedauert, aber das war eben in dieser Zeit der Flitterwochen. Auch damals war es so: Alles, was hinter uns lag, war
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Höcherlnichts, obwohl jeder anständige Mensch weiß, daß einer immer auf den Schultern des anderen steht. Wer nicht die Kraft hat, das zuzugeben, wer alles andere verwirft, wer Geschichtsschelte treibt — das ist die Methode von Emporkömmlingen, aber nicht von ehrlichen Leuten.
Nun will ich aber einmal sagen, was in der Vergangenheit an Steuergesetzgebung alles geleistet worden ist, soweit Sie das alles vergessen haben sollten oder einfach aus Ihrem Gedächtnis löschen wollten, weil es immer wieder gegen Ihren Widerstand duchgesetzt werden mußte. Z. B. wurden im Jahre 1952 — das war eine der ersten Maßnahmen — nach der Korea-Krise wesentliche Senkungen der Steuersätze vorgenommen. Dann kam 1953 eine Steuerreform mit 15 % Tarifsenkung. Dann kam die Einführung der Kilometerpauschale; schon damals, obwohl die Motorisierung und all die damit zusammenhängenden Umstände bei weitem nicht den Grad erreicht hatten wie heute. Sie haben sie dann heruntergesetzt. Aber wir kämpfen heute um ihre Anpassung auf den notwendigen Satz. Dann wurde der Altersfreibetrag eingeführt, der Sonderfreibetrag für freie Berufe, der Kinderfreibetrag, Freibeträge für Schriftsteller und Journalisten, Senkung des Körperschaftsteuersatzes. Wir haben darüber hinaus Kinderfreibeträge erhöht. 1958 ein echtes Reformwerk: das Ehegattensplitting. 1960 kam ein erhöhter Freibetrag bei der Lohnsummensteuer im Gewerbesteuerbereich. 1961 in der Gewerbesteuer wesentliche Fortschritte und Verbesserungen, die Erhöhung des Altersfreibetrages und der Vermögensgrenze bei der Vermögensteuer, Steuerbegünstigung für Kapitalanlagen in Entwicklungsländern, ein Reformwerk von auch heute noch gültigem Ausmaß. 1962 kam das Berlinhilfegesetz. 1964 und 1965 Senkung des Einkommensteuertarifs, Einführung eines Arbeitnehmerfreibetrages, Einführung eines Freibetrages für öffentliche und private Versorgungsbezüge, Gewährung eines Kinderfreibetrages bis zum 27. Lebensjahr, bis zum normalen Abschluß einer Berufsausbildung, Erhöhung der Lohngrenzen usw.; Zweites Vermögensbildungsgesetz, Besteuerung der Landwirtschaft, Einführung der Mehrwertsteuer — eine europäische Steuerleistung! Meine verehrten Damen und Herren, all das war für Sie nichts. Sondern das, was Sie jetzt auf den Tisch legen, das, was Sie schreiben, das ist auf einmal Reform. Ich würde sagen: der politische und menschliche Anstand gebietet es, daß Sie diese ganze Entwicklung, die beim Punkte Null begonnen hat, den finanziellen Aufbau eines ganzen Staatswesens bis heute herein, mit diesen echten Reformen von damals, wenigstens durch ein bescheidenes Wort anerkennen, weil auch Sie nur auf diesen Boden treten konnten.
Nun einige Worte zu der Beratungssituation! Es war keine Beratung. Ich kann auf 21 Jahre parlamentarische Erfahrung zurückblicken. Ich darf einmal etwas in Ihr Gedächtnis zurückrufen. Als noch ein echter Liberaler, Herr Wellhausen, Vorsitzender des Finanzausschusses war, als Männer wie der heutige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Seuffert und wie Herr Dresbach, ein bedeutender Parlamentarier, im Finanzausschuß verhandelt haben, da waren die Dinge so, daß man Argumente ausgetauscht hat und Argumenten auch gefolgt ist. Das war ein echter geistiger Wettbewerb über alle Parteigrenzen hinweg.Bei uns war es so, daß wir praktisch nicht von einer Beratung, sondern von einer Befehlsausgabe ausgehen können.
Die Guillotine wurde angewandt.
— Ja, es tut mir leid.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Funcke?
Herr Kollege Höcherl, wollen Sie dem Hause einmal sagen, in welcher Sitzung die Beantwortung einer Frage der Opposition oder ein Wunsch nach weiterer Beratung abgelehnt worden ist?
Ja, das will ich Ihnen sagen. Nein, es wurde kein einziger sachlicher Antrag von uns, überhaupt kein Antrag angenommen. Nicht einmal die Professoren, die schriftliche Gutachten vorgelegt hatten, durften erscheinen.
Aber das Entscheidende, was ich sagen wollte, ist folgendes. In dem früheren Finanzausschuß war es so, daß im Interesse der Sache jeder, der einen Beitrag beisteuern konnte, der zur Verbesserung diente, nicht nur angehört, sondern auch in der Abstimmung akzeptiert wurde. Das ist alles vorbei. Wenn die tragende Mehrheit des Ausschusses in Schwierigkeiten war, z. B. in Terminschwierigkeiten, dann haben Sie herablassend gelegentlich einiges von uns angehört. Abgestimmt haben Sie immer nur mit Ihrer bequemen Mehrheit. Ich frage Sie: wieweit ist das von einem imperativen Mandat entfernt! Von der freien Gewissensentscheidung nach sachlichen Gründen war da überhaupt keine Spur zu sehen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Halfmeier, Herr Abgeordneter Höcherl?
Ja, bitte sehr.
Herr Kollege Höcherl, können Sie mir bestätigen, daß Sie heute morgen die Rede Ihres Fraktionskollegen Herr von Bockelberg nicht gehört haben, der ausdrücklich hier geschildert hat, welche Anträge der CDU/CSU in den Beratungen auch angenommen worden sind?
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6946 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Ich will Ihnen folgendes sagen, Herr Kollege. Der Herr von Bockelberg hat einen Bericht gegeben und keine Rede in dem Sinne gehalten.
Zweitens. Ganz kleine, nebensächliche, unbedeutende Gefälligkeitsdinge wurde gerade noch zugestanden,
um, ich möchte sagen, einigermaßen den Anschein von Konzessionsbereitschaft zu erwecken. Aber wirklich entscheidende Verbesserungsvorschläge von uns sind praktisch nicht einmal zur Kenntnis genommen worden, selbst wenn Sie innerlich von ihrem Wert überzeugt waren. Nehmen Sie die Frage des Tarifs. Hier haben Sie erklärt, Sie seien dafür offen. Nein, Sie hatten die Mehrheit. Sie hätten das mit uns zusammen besser entscheiden und beschließen können.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Offergeld?
Ja, Herr Offergeld, bitte sehr!
Herr Kollege Höcherl, ist es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß sich die Landesfinanzminister einstimmig für den Tarif ausgesprochen haben, den wir jetzt — zunächst bis zum Jahre 1977 — beschlossen haben?
Nein, das ist mir nicht entgangen. Sie wissen aber ganz genau, daß wir an einer gesetzlichen Festlegung sowie daran, daß ein anderer Tarif kommt, interessiert sind. Hier weigern Sie sich, und das ist der entscheidende Gesichtspunkt.Absolut unerträglich ist jedoch, daß wir gar nicht über die Vorlage beraten haben, die eingereicht worden war. Über diese Vorlage ist hier in erster Lesung beraten worden. Ich darf noch einmal an diesen Tag erinnern. Dabei gab es einen sehr, sehr peinlichen Zwischenfall, auf den ich aber nicht zurückkommen möchte. Der Entwurf hat äußerlich gesehen den Anschein einer ganz ordentlichen, sauber ausgearbeiteten Vorlage. Aber wenn das Hohe Haus der Meinung wäre, darüber sei beraten worden, würde es sich irren. Nein, hier wurden Formulierungshilfen nachgeschoben. Ganz zum Schluß wurde etwas beraten, was diesem Hause in erster Lesung und auch den mitberatenden Ausschüssen nicht vorgelegen hatte. Wir bekamen vielmehr Gelegenheitspapiere, die auf die bisherige Gesetzgebung aufgepfropft worden waren.Wenn Sie das als ordentliche Gesetzgebung und als Ausfluß von mehr Demokratie — unter diesem Motto steht ja diese Koalition — betrachten, muß ich Ihnen dazu folgendes sagen. Die Bestimmungen der Geschäftsordnung haben große Bedeutung für den Schutz der Opposition, genauso wie Gesetze ihre Bedeutung im öffentlichen Rechtsverkehr haben. Frau Kollegin Funcke, ich darf Ihnen in aller Offenheit sagen: Sie haben es nur unserer Nachsicht zu verdanken, daß wir nicht den Antrag gestellt haben, den Finanzausschuß noch einmal zusammenzurufen, um einige grundsätzliche Widersprüche zu klären. Ich nenne nur Art. 2 — abgesehen von anderen Dingen —, der anders beschlossen worden ist, als er jetzt dem Hause vorgelegt wird.Meine verehrten Damen und Herren, wenn ich ein Gesamturteil fällen soll, muß ich sagen, daß meiner Meinung nach von einer Reform überhaupt nicht die Rede sein kann. Es ist ein ganz kümmerliches, stotternd vorgelegtes Steueränderungsgesetz, das nicht, wie Sie es versprochen hatten, geschlossen in Kraft tritt, ein Gesetz, zu dessen Vorlage jeder Bundestag und jede Bundesregierung seit eh und je verpflichtet waren. Es enthält keine einzige zündende Reformidee, was die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, den Leistungsanreiz, die Erhaltung der Betriebssubstanz, die großzügige Abschreibung bei kulturellen, sozialen und Forschungsvorhaben, die Bereinigung der Bagatellsteuern usw. betrifft.Im übrigen haben Sie, indem Sie die Vergeßlichkeit der breiten Offentlichkeit genau einkalkuliert haben, in Ihrer Amtszeit zunächst einmal Steuererhöhungen in Höhe von 7 Milliarden DM beschlossen. Diese 7 Milliarden DM setzen sich aus der Tabaksteuer, der Branntweinsteuer, der Mineralölsteuer - sehr unpassend angesichts der Energieversorgungslage — und der Verlängerung der Heizölsteuer zusammen. Ich will gar nicht davon reden, was Sie aus stabilitätspolitischen Gründen an Steueranhebungen vollzogen haben. Hierfür haben Sie unsere Zustimmung, und zwar deswegen, weil wir gemeinsam — leider ohne eine notwendige kräftige Mithilfe Ihrerseits — an einer größeren Stabilität arbeiten. Das war die Voraussetzung. Dann hatten Sie plötzlich keine Masse mehr.Heute, meine Damen und Herren, stehen wir vor folgender Situation. Wir haben nicht, wie Sie sagen, eine Entlastung in Höhe von 10 bis 12 Milliarden DM, sondern Sie haben in Wirklichkeit eine Steuer — vielleicht die gröbste und die gefährlichste, die es überhaupt gibt — wirksam werden lassen, nämlich die Inflation. Von dieser Inflation holen Sie noch einmal Steuern, und wenn Sie heute 10 bis 12 Milliarden Erleichterung geben, ist das nur eine bescheidene Wiedergutmachung, aber nicht eine Steuerentlastung und schon ganz und gar keine Reform.
Wenn Ihnen mein Urteil nicht ausreicht, darf ich Sie an Herrn Fredersdorf, einen Mann aus Ihrem Lager, und an Herrn Hesselbach erinnern; beide haben sich bis heute in einer vernichtenden Kritik über diese Leistung ausgesprochen, und ich meine, das wären unbefangene und auch, wie gesagt, Kronzeugen für das Haus.Zum Schluß darf ich Ihnen sagen: Wir werden dieser Köpenickiade die Uniform ausziehen, und die Flickschusterei wird zum Vorschein kommen. Gott sei Dank haben Sie es nicht allein in der Hand,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 6947
Höcherldieses Werk so zu vollenden. Bei Philippi sehen wir uns wieder!
Meine Damen und Herren, wir unterbrechen nun auf Grund einer allseitigen Vereinbarung die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt und kehren zu den Tagesordnungspunkten zurück, die heute morgen als Vorlagen des Vermittlungsausschusses bereits behandelt wurden. Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß die Erklärungen zu diesen fünf Tagesordnungspunkten abgegeben worden sind und daß nur noch die Abstimmungen erfolgen.Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Einspruch des Bundesrates zu dem Fünften Gesetz zur Reform des Strafrechts; die Drucksache zu diesem Zusatzpunkt zur Tagesordnung liegt Ihnen unter der Nummer 7/2181 vor.Alle drei Fraktionen des Hauses haben namentliche Abstimmung beantragt. Zum Abstimmungsverfahren darf ich folgendes sagen. Es handelt sich um die Frage der Zurückweisung eines Einspruchs des Bundesrates. Wer diesen Einspruch zurückweisen will, muß mit der Ja-Karte stimmen. Zur Zurückweisung des Einspruchs ist die absolute Mehrheit der gesetzlichen Stimmen des Hauses notwendig; das sind 249 Stimmen.Ich darf die Schriftführer bitten, ihre Plätze einzunehmen. Ich eröffne die namentliche Abstimmung über die Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates.Ich schließe die namentliche Abstimmung.Wir fahren in der Zwischenzeit bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung mit der Behandlung der noch vorliegenden vier Anträge aus dem Vermittlungsausschuß fort. Namentliche Abstimmung ist dort nicht verlangt; wir können in wenigen Minuten damit fertig sein.Wir kommen dann zur Abstimmung über den Antrag des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Regelung des Volljährigkeitsalters.Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 7/2153 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Einige Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei wenigen Enthaltungen ist der Antrag des Vermittlungsausschusses angenommen.Es folgt die Abstimmung über den Antrag des Vermittlungsausschusses zu dem Zweiten Steueränderungsgesetz 1973.Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Ohne Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen.Wir haben nunmehr über den Antrag des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz über Umweltstatistiken abzustimmen.Wer dem Antrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist ohne Gegenstimmen bei einer Enthaltung angenommen.Schließlich ist noch über den Antrag des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz über Statistiken des Personenverkehrs und der Kraftfahrleistungen 1974 abzustimmen.Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag des Vermittlungsausschusses ist ohne Gegenstimmen bei zwei Enthaltungen angenommen.Damit sind die Beschlußfassungen über die Anträge des Vermittlungsausschusses abgeschlossen.Wir erwarten noch das Ergebnis der Auszählung der namentlichen Abstimmung über den Einspruch des Bundesrats.Zur Geschäftslage mache ich darauf aufmerksam, daß nach der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses und einer noch vorliegenden Wortmeldung zur Abgabe einer Erklärung sofort in die Fragestunde eingetreten wird.Meine Damen und Herren, ich gebe bekannt, daß überlegt wurde, ohne Mittagspause durchzutagen.
Meine Damen und Herren, darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen. Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates — Zusatzpunkt 1 der heutigen Tagesordnung — bekannt. Es haben 482 uneingeschränkt stimmberechtigte Abgeordnete ihre Stimme abgegeben. Davon haben mit Ja, für die Zurückweisung des Einspruchs, 260 gestimmt, mit Nein 218, enthalten haben sich 4. Die Berliner Stimmen verteilen sich wie folgt: abgegebene Stimmen 20, mit Ja, den Einspruch zurückweisend, 13, mit Nein 6 und eine Enthaltung.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 482 und 20 Berliner Abgeordnete;davonja: 260 und 13 Berliner Abgeordnete,nein: 218 und 6 Berliner Abgeordnete,enthalten: 4 und 1 Berliner Abgeordneter.JaSPDAdams Ahlers Dr. AhrensAmling Anbuhl Dr. ApelArendt Dr. Arndt (Hamburg) AugsteinBaackBäuerle Barche BahrDr. BardensBatzDr. BayerlBecker
Dr. BeermannBehrendt Berkhan Biermann BlankDr. Böhme
BörnerFrau von BothmerBrandtBrandt
BredlBrückBuchstaller Büchler
Büchner
Dr. von BülowBuschfort
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6948 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Vizepräsident von HasselDr. BußmannColletConradi Coppik Dr. CorterierFrau Däubler-GmelinDr. von DohnanyiDürrEckerlandDr. EhmkeDr. EhrenbergFrau Eilers
Dr. EmmerlichDr. EndersEngholm Dr. EpplerEstersEwenDr. Farthmann FellermaierFiebigDr. FischerFlämigFrau Dr. FockeFranke FrehseeFriedrich Gansel GeigerGerstl
GertzenDr. GeßnerGlombig Dr. Glotz GnädingerGrobeckerGrunenbergDr. HaackHaarHaase
Haase HaehserDr. HaenschkeHalfmeierHansen HauckDr. Hauff HenkeHerold Höhmann Hofmann Dr. Holtz HornFrau HuberHuonker ImmerJaschke Jaunich Dr. Jens Junghans Junker KaffkaKahn-AckermannKaterKernKoblitz Konrad KratzDr. Kreutzmann Krockert Kulawig LambinusLangeLattmannDr. Lauritzen LautenschlagerLendersFrau Dr. LepsiusLiedtke Löbbert Dr. LohmarLutzMahneMarquardt Marschall Matthöfer Frau MeermannDr. Meinecke Meinicke (Oberhausen) MöhringDr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller
Müller
Müller Müller (Schweinfurt)NagelNeumann Dr.-Ing. OettingOffergeld Frau Dr. OrthFreiherrOstman von der Leye PawelczykPeiterDr. Penner PenskyPolkehn PorznerRapp
Rappe
RavensReiserFrau RengerReuschenbachRichterFrau Dr. Riedel-Martiny RohdeRosenthal SanderSaxowskiDr. SchachtschabelSchäfer
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 6949
Wir sind damit am Ende dieses Tagesordnungspunktes angelangt.Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde— Drucksache 7/2173 —Der Ältestenrat hat Ihnen vorgeschlagen, daß wir in dieser Woche abweichend von den Richtlinien der Fragestunde zwei Fragestunden mit einer jeweiligen Dauer von 90 Minuten durchführen. Gemäß § 127 unserer Geschäftsordnung muß diese Abweichung von der Geschäftsordnung beschlossen werden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall; es ist so beschlossen.Dann können wir in die Fragestunde eintreten.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Frage 2 des Abgeordneten Dr. Schneider:Von welchem mittel- und langfristigen Wohnungsbaubedarf geht die Bundesregierung bei ihren Planungen aus, und welchen Anteil von Wohnungen im öffentlich geförderten und im steuerlich begünstigten Wohnungsbau strebt sie dabei an?Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Haack, bitte schön!
Meine Damen und Herren, diejenigen, die an der Fragestunde nicht mehr teilnehmen, darf ich bitten, den Plenarsaal doch zu verlassen, damit die Fragestunde vernünftig durchgeführt werden kann.
Bitte schön, zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär!*) Siehe Anlage 3
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6950 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Herr Kollege Dr. Schneider, um alle Haushalte entsprechend den wohnungspolitischen Zielsetzungen zu versorgen, ist auf längere Sicht auch bei nicht wachsender Bevölkerungszahl eine Wohnungsproduktion von im Durchschnitt jährlich etwa 500 000 Wohnungen erforderlich. Dabei ist vor allem zum Ausgleich für abgerissene Altbauwohnungen mit niedrigen Mieten, zur Beseitigung noch immer bestehender und immer wieder neu enstehender Härte- und Notfälle und für junge Ehepaare, die auf dem freien Markt keine angemessene Wohnung zu tragbaren Mieten finden, auf Dauer eine gewisse Quote an neu geförderten Sozialwohnungen erforderlich.
Die Zahl dieser Wohnungen kann keine feste Größe sein. Sie hängt z. B. ab von der Zahl der Sozialwohnungen, die frei werden, weil bisherige Mieter Wohnungseigentum erwerben, von der Zahl der abgerissenen Wohnungen, vom Umfang des frei finanzierten Wohnungsbaus und den sich am freien Wohnungsmarkt bildenden Mieten. Der jeweils aktuelle Bedarf an Sozialwohnungen ist stärker als bisher nach Umfang und Dringlichkeit Schwankungen unterworfen. Da gegenwärtig über die Nachfrageentwicklung und das künftige Produktionsvolumen des frei finanzierten Wohnungsbaus kaum zuverlässige Vorhersagen möglich sind, sind auch die Aussagen über den Sozialwohnungsbedarf mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau steht deshalb gerade in dieser Frage in ständiger Beratung mit den Vertretern der Länderressorts. Eine Umfrage bei allen Ländern hat jedoch nicht zu abschließenden Ergebnissen geführt, weil mehrere Länder ihrerseits ihre mittelfristigen Programmplanungen neu überprüfen. Bei der gegebenen Situation werden die Programmplanungen in der Zukunft Jahr für Jahr an Hand der aktuellen Entwicklung neu formuliert werden müssen.
Die unter dem Eindruck der geringeren Wohnungsproduktion der Jahre 1967/68 und auf Grund der Ergebnisse der Wohnungszählung vor einigen Jahren noch für notwendig gehaltene Zahl von 200 000 bis 250 000 Sozialwohnungen ist aber — auch nach Meinung der Bundesländer — in den kommenden Jahren nicht erforderlich. Vielmehr kann unter der Voraussetzung einer Gesamtproduktion von etwa 500 000 Wohnungen ein Förderungsvolumen im sozialen Wohnungsbau von zirka 120 000 bis 160 000 Wohnungen im ersten und zweiten Förderungsweg als ausreichend gelten.
Dabei wird berücksichtigt, daß auch durch die jetzt verstärkte Modernisierungsförderung in gewissem Umfang Haushalte mit niedrigem Einkommen auf Dauer angemessen versorgt werden können.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schneider.
Herr Staatssekretär, auf welche Weise will die Bundesregierung gewährleisten, daß die fertiggestellten Sozialwohnungen auch tatsächlich von dem dafür bestimmten Personenkreis bezogen werden können?
Das ist, Herr Kollege Dr. Schneider, wie Sie wissen, nicht unbedingt eine Aufgabe der Bundesregierung, sondern dafür haben die Stellen zu sorgen, die für die Vergabe von Sozialwohnungen zuständig sind. Wir haben durch einige Gesetzesänderungen in der letzten Zeit dafür gesorgt, daß der Einfluß der Gemeinden auch hier verstärkt wird, um eine vernünftige Belegung zu garantieren, um gerade diejenigen Bevölkerungskreise in Sozialwohnungen — auch in alte Sozialwohnungen — zu bringen, die auf Grund ihres niedrigen Einkommens besonders darauf angewiesen sind.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schneider.
Herr Staatssekretär, ich habe meine Frage im Hinblick auf die Tatsache gestellt, daß beispielsweise im Land Nordrhein-Westfalen im Augenblick etwa 15 000 Sozialwohnungen leerstehen, weil der anspruchsberechtigte Personenkreis wirtschaftlich offensichtlich nicht in der Lage ist, die Kostenmiete für diese Sozialwohnungen aufzubringen.
Das ist ein Sonderproblem, Herr Kollege Dr. Schneider, das Sie hier anführen. Auch darüber müssen wir sprechen, gerade bei der Neukonzeption im sozialen Wohnungsbau. Wir sind, wie Sie wissen, bei der Erarbeitung eines solchen neuen Konzepts. Die eben von mir genannte Zahl der in Zukunft neu zu fördernden Sozialwohnungen zeigt, daß die Bundesregierung der Auffassung ist, daß wir zu einer stärkeren Konzentrierung im sozialen Wohnungsbau kommen müssen und daß es in Zukunft zweckmäßiger sein wird, weniger Wohnungen zu fördern, dafür aber stärkere staatliche Förderungsmittel zur Verfügung zu stellen, damit die Mieten im sozialen Wohnungsbau erträglich werden. Dann werden die Probleme, die wir in letzter Zeit hatten, nicht mehr so auftreten wie bisher.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Nordlohne.
Herr Staatssekretär, sollten nicht im Hinblick auf die Entwicklung der Kostenmieten im sozialen Wohnungsbau im Einzelplan 25 erheblich höhere Mittel ausgewiesen werden, als es bislang der Fall ist, um das noch 1970 auch seitens der Bundesregierung als langfristiges Wohnungsbauprogramm verkündete Volumen von 250 000 Wohnungen wiederherzustellen?
Dazu möchte ich sagen, Herr Kollege Nord-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 6951
Parl. Staatssekretär Dr. Haacklohne — ich habe es vorhin in meiner Antwort an Herrn Dr. Schneider schon gesagt , daß die Zahlen und auch die Förderungsvolumina im Wohnungsbau, gerade im sozialen Wohnungsbau, immer wieder neu überprüft werden müssen. Die jetzige Situation des Jahres 1974 hat sich eben, was den Wohnungsbedarf anlangt, 1970 noch anders dargestellt. Man muß sehen, daß Volumen und Notwendigkeiten von Jahr zu Jahr zu überprüfen sind.
Was das Finanzvolumen anlangt, so stehen wir hier vor dem Problem, vor dem wir auch in anderen Bereichen der Politik stehen, daß wir immer irgendwo im Bundeshaushalt an eine finanzielle Decke stoßen. Trotzdem können Sie davon ausgehen, daß sich die Bundesregierung diesen Problemen stellt und ein System anstrebt, gerade für diejenigen Bevölkerungsgruppen, die auf den sozialen Wohnungsbau angewiesen sind, in Zukunft Wohnungen mit tragbaren Mieten zu schaffen.
Keine Zusatzfrage.
Dann sind die Fragen aus diesem Geschäftsbereich beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Haack.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Hauff zur Verfügung.
Wir kommen zunächst zur Frage 83 des Abgeordneten Engelsberger. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Dasselbe gilt für die Frage 84.
Die Fragen 85 und 86 des Abgeordneten Pfeffermann sollen auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hauff.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär de With zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 87 des Herrn Abgeordneten Spranger auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die DDR in zunehmendem Maße den in ihrem Machtbereich befindlichen Grund- und Hausbesitz vieler Bürger der Bundesrepublik Deutschland durch Aufbaugrundschulden und Zwangshypotheken in fast enteignungsgleicher Art belastet, und wird die Bundesregierung sicherstellen, daß eine Vollstreckung aus diesen dinglichen Belastungen im Wege der Rechts- und Amtshilfe nicht möglich sein wird?
Bitte schön!
Der Bundesregierung ist bekannt, daß viele private Wohngrundstücke in der DDR durch Aufbaugrundschulden und Zwangshypotheken nach der dortigen Verordnung zur Finanzierung von Baumaßnahmen und zur Erhaltung von privatem Wohnraum vom 28. April 1960 belastet sind. Die Zwangsvollstreckung aus diesen dinglichen Rechten an Grunds tücken, die in der DDR belegen sind und deren Eigentümer in der Bundesrepublik Deutschland leben, erfolgt in der DDR selbst Zuständiges Vollstreckungsgericht ist nach dem auch dort geltenden Zwangsversteigerungsgesetz das Kreisgericht, in dessen Bezirk das Grundstück belegen ist. Für eine Vollstreckung in der Bundesrepublik Deutschland mittels zu leistender Amts- und Rechtshilfe ist deshalb kein Raum. Es besteht daher auch kein Anlaß, durch besondere gesetzliche Bestimmungen sicherzustellen, daß eine Vollstreckung aus diesen dinglichen Belastungen im Wege der Rechts- und Amtshilfe in der Bundesrepublik Deutschland unzulässig ist.
Bitte, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die DDR in irgendeiner Weise in der Vergangenheit geäußert, daß sie beabsichtigt, zukünftig möglicherweise eine Vollstreckung aus diesen Belastungen in der Bundesrepublik gegenüber diesen Bürgern vorzunehmen, und was hat die Bundesregierung gegenüber solchen eventuellen Vorstellungen und Wünschen der DDR getan?
Mir ist nicht bekannt, welche Möglichkeiten es geben sollte, aus dinglichen Rechten an Grundstücken, die in der DDR belegen sind, hier zu vollstrecken. Demgemäß war nichts zu veranlassen und ist nichts zu veranlassen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann danach nach Ihrer Auffassung mit Sicherheit ausgeschlossen werden, daß zu irgendeinem Zeitpunkt in der Zukunft aus solchen Belastungen irgendwelche Vollstreckungsverfahren gegen Bürger in der Bundesrepublik laufen werden?
Was dingliche Belastungen angeht würde ich sagen: Ja.
Keine weitere Zusatzfrage. — Dann rufe ich die Frage 88 des Herrn Abgeordneten Gierenstein auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 92 des Herrn Abgeordneten Braun auf:Ist die Bundesregierung bereit, darauf hinzuwirken, daß die sogenannte Weihnachtsamnestie für Strafgefangene in diesem Jahr so rechtzeitig vor den Feiertagen wirksam wird, daß insbesondere eine Arbeitsplatzvermittlung noch möglich ist?Bitte schön!
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6952 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Die Bundesregierung hat schon früher wiederholt gegenüber den Ländern darauf hingewirkt, bei vorzeitigen Entlassungen aus der Strafhaft zu Weihnachten nach einheitlichen Grundsätzen zu verfahren. Dieses Ziel ist durch die Aufnahme einer entsprechenden Vorschrift in die Dienst- und Vollzugsordnung weitgehend erreicht worden. Der Bundesregierung ist bekannt, daß einige Länder in den letzten Jahren frühere Entlassungstermine vorgesehen haben. Die dadurch entstandene Uneinheitlichkeit ist nicht wünschenswert. Dieses Problems ist man sich in den Ländern durchaus bewußt. Die Gnadenhoheit liegt aber allein bei ihnen. Inwieweit sie davon Gebrauch machen wollen, muß den Ländern überlassen bleiben. Die Bundesregierung ist aber gern bereit, die Landesjustizverwaltungen erneut auf das Problem aufmerksam zu machen.
Keine Zusatzfrage. — Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Ich rufe nunmehr die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Haar zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 110 des Herrn Abgeordneten Schinzel auf:
Wie gedenkt die Bundesregierung die Anbindung des Schienennetzes der Bundesrepublik Deutschland an Westeuropa und vor allem an Großbritannien nach Inbetriebnahme des Ärmelkanaltunnels im Güter- und Personenverkehr zu gewährleisten?
Bitte schön!
Herr Kollege, die Strecke Köln—Aachen zählt zu den sogenannten Ausbaustrecken der Deutschen Bundesbahn, die im Zusammenhang mit den vorgesehenen vier Neubaustrecken leistungsfähiger zu machen und für höhere Geschwindigkeiten auszubauen sind. Es ist vorgesehen, daß die erforderlichen Maßnahmen ab 1976 anlaufen. Der Streckenausbau ist in der ersten Stufe des Bundesverkehrswegeplans, der dem Hohen Hause im September vorigen Jahres vorgelegt worden ist, enthalten.
Keine Zusatzfrage. — Dann rufe ich die Frage 111 des Herrn Abgeordneten Schinzel auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, den hierzu notwendigen Ausbau des Güterbahnhofs Aachen-West fristgerecht ausführen zu lassen?
Nach einem langfristig angelegten Umbauplan der Deutschen Bundesbahn soll der Rangierbahnhof Aachen-West vergrößert und modernisiert werden. Bereits im nächsten Jahr will ,die Deutsche Bundesbahn mit Vorarbeiten an der Einfahr- und Umspanngruppe des Rangierbahnhofs beginnen. Auch diese Maßnahme ist im Bundesverkehrswegeplan — 1. Stufe — ab 1975 enthalten.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 112 des Herrn Abgeordneten Lemmrich auf:
Ist das verkehrspolitische Programm „Der Mensch hat Vorfahrt" des früheren Bundesverkehrsministers Dr. Lauritzen auch für den neuen Bundesverkehrsminister verbindlich, und wenn nein, welche Teile akzeptiert er und welche nicht?
Herr Kollege Lemmrich, unter den Leitworten „Kontinuität und Konzentration" ist in der Regierungserklärung vom 17. Mai 1974 folgendes gesagt:
Die neue Regierung der Bundesrepublik setzt das sozialliberale Bündnis fort, das seinen politischen Willen in der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 zum Ausdruck gebracht hat.
Für die künftige Verkehrspolitik bedeutet das: der mit dem Kursbuch für die Verkehrspolitik vorgezeichnete Weg der verkehrspolitischen Entwicklung geht kontinuierlich weiter.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da die Maßnahmen, die in diesem Programm angekündigt sind, so ein bißchen in Verzug geraten zu sein scheinen, möchte ich fragen, ob der Bundesminister für Verkehr beabsichtigt, das Tempo zur Realisierung seiner angekündigten Maßnahmen zu forcieren.
Herr Kollege, die künftige Verkehrspolitik wird sich noch stärker als bisher am finanzpolitischen Rahmen orientieren, der für die vor uns liegenden Jahre vor allem von der Steuerreform, die 1975 in Kraft treten soll, entscheidend bestimmt wird. Das ändert nichts an den erkannten Prioritäten der Verkehrspolitik und auch den Schwerpunkten des Verkehrskonzepts.
Keine Zusatzfrage.Dann rufe ich die Frage 113 des Herrn Abgeordneten Hoffie auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 114 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Fragen 115 und 116 des Herrn Abgeordneten Peiter auf. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 6953
Vizepräsident Frau FunckeIch rufe nunmehr die Frage 117 des Herrn Abgeordneten Evers auf:Welche Gründe haben die Deutsche Bundespost veranlaßt, auf den Postkarten mit eingedruckter Briefmarke einen Teil der bisher für Mitteilungen zur Verfügung stehenden Fläche als Werbefläche — offenbar gegen Entgelt — Dritten zur Verfügung zu stellen und dadurch den Wert der 0,30 DM-Postkarte zur Nachrichtenübermittlung trotz Erhöhung der Gebühren weiter zu reduzieren?Bitte schön!
Herr Kollege, Bildpostkarten gibt es bereits seit 1925. An ihrer Gestaltung und der Einteilung des Platzes hat sichgrundsätzlich nichts geändert. Es kann also nicht davon die Rede sein, daß im Zusammenhang mit der Gebührenerhöhung der Schreibraum eingeengt und damit der Wert der Postkarten als Mittel zur Nachrichtenübermittlung reduziert werden würde.
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6954 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 6955
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6956 Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 6957
vorher „Lüttich-Kaserne" geheißen.
Ich bin dankbar für Ihren Hinweis, aber Sie sehen, wir zerbrechen uns den Kopf. Nur meine ich, Gemeinden und Städte sind frei, ihre Straßen zu benennen; Sie sollten die Bundeswehr auch in etwa freihalten, ihre Objekte zu benennen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Walkhoff.
Herr Staatssekretär, warum wurden die vom Kommandeur vorgeschlagenen
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6958 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
WalkhoffNamen „Scharnhorst-", „Hinrich-Wilhelm-Kopf-" und „Niedersachsen-Kaserne" vom Bundesverteidigungsministerium abgelehnt, das sich schließlich für den Namen „Wilhelmstein-Kaserne" entschied? Diese Frage ist sicherlich interessant vor dem Hintergrund des von Ihnen gerade verlesenen Katalogs, der für die Namensgebung für Kasernen verbindlich ist.
Ich kann Ihnen das nicht sagen. Ich müßte dem im Aktenstudium nachgehen. Ich weiß gar nicht mehr, wann diese Kaserne in „Wilhelmstein-Kaserne" umbenannt worden ist. In der Frage ging es um die Walter-Flex-Kaserne und um die Hindenburg-Kasernen. Ich habe nicht alle Kasernen und alle Objekte und alle Schiffe in meine Nachprüfungen einbezogen, so daß ich mich jetzt völlig überfragt fühle, Frau Präsidentin.
Ja, Sie haben das Recht, das abzulehnen. — Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Simpfendörfer.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, dafür einzutreten, daß bei diesem Bewertungskatalog, den Sie eben genannt haben, in Zukunft auch politische Tugend und nicht nur soldatische Tugend als Kategorie der Beurteilung berücksichtigt wird?
Herr Kollege Simpfendörfer, habe ich Sie richtig verstanden: „politische Tugend"?
— Wir werden darüber nachdenken. Aber vielleicht geben Sie mir vorher noch eine Hilfestellung und schreiben mir einmal einen Brief, in dem Sie einen Unterschied machen zwischen soldatischer Tugend, politischer Tugend, bürgerlicher Tugend und menschlicher Tugend.
Ich denke, wir sollten die Tugenden ganz allgemein nehmen, und insofern nehme ich Ihre Frage als einen Hinweis dankbar auf. Ich bin auch Ihrer Auffassung, daß wir uns gut überlegen müssen, ob Soldaten besondere Tugenden haben oder ob nicht diese Bürgertugend schlechthin im soldatischen und im politischen und im allgemeinmenschlichen Bereich anzusetzen ist.
Eine Frage, Herr Abgeordneter Kiechle.
Herr Staatssekretär, können wir nach den von Ihnen nun zu dem ganzen Komplex gemachten Ausführungen davon ausgehen, daß wir uns vorerst noch nicht damit zu befassen haben, ob wir eventuell bald eine Kaserne „Hansen-ReiserKaserne" nennen müssen?
Eine Hansen-Reiser-Kaserne: Erstens sind die Kollegen Hansen und Reiser noch am Leben,
zweitens gehe ich davon aus
— meine Herren, würden Sie bitte in Geduld zuhören —, daß sie noch lange am Leben bleiben, drittens gehe ich davon aus, daß sie noch lange diesem Hause angehören, und wenn sie später einmal historische Personen geworden sind, werden die Nachfolger von Leber zu bewerten haben, ob wir ein Schiff nach dem Kollegen Reiser und eine Kasernenanlage oder einen Flugplatz nach dem Kollegen Hansen benennen. Dieses ist aber alles in weiter Zukunft, und ich habe darüber heute nicht zu entscheiden.
Keine Zusatzfrage? — Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan.
Ich rufe nunmehr die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Dr. Wolters zur Verfügung.
Die Fragen 65 und 66 sind von der Fragestellerin zurückgezogen worden.
Die Frage 67 des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen wird auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 68 des Herrn Abgeordneten Dr. Ahrens auf:
Wieviel Prozent der Stellen im öffentlichen Gesundheitsdienst sind z. Z. unbesetzt, und ist die Ärzteschaft im öffentlichen Gesundheitsdienst überaltert?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, Herr Abgeordneter Dr. Ahrens! Nach dem Bericht über Fragen der Nachwuchsförderung für das öffentliche Gesundheitswesen der gemeinsamen Unterkommission der Gesundheits- und Finanzministerkonferenzen der Länder schwankt der haushaltsmäßige Fehlbestand an Ärzten im öffentlichen Gesundheitswesen in den einzelnen Bereichen zwischen 5,6 % bei den Landesoberbehörden und 32 % beim justizärztlichen Dienst. Der Fehlbestand bei den Gesundheitsämtern beträgt rund 16 %. Setzt man jedoch ein Stellensoll voraus, das eine ordnungsgemäße und effektive Erfüllung der notwendigen Aufgaben im öffentlichen Gesundheitsdienst sicherstellt, so ergibt sich ein durchschnittlicher Fehlbestand im öffentlichen Gesundheitsdienst der Länder von 27 %. Bei den Gesundheitsämtern wäre er mit 32 % anzusetzen. Der ärztliche Dienst im Gesundheitswesen der Länder ist stark überaltert. Ohne Änderung der Nachwuchslage dürfte in spätestens zehn bis zwölf Jahren nur noch die Hälfte der heute vorhandenen Ärzte zur Verfügung stehen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 6959
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich nach Ihren Ausführungen davon ausgehen, daß die Verhältnisse in Niedersachsen, wo von 156 Planstellen 15 unbesetzt sind und nur 33 Ärztinnen und Ärzte unter 50 Jahre alt sind, auch für die anderen Bundesländer symptomatisch sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dies trifft im Hinblick auf die soeben von mir genannten Schwankungsbreiten sicher zu.
Keine Zusatzfrage? — Dann rufe ich die Frage 69 des Herrn Abgeordneten Dr. Ahrens auf:
Welche Maßnahmen hält die Bundesregierung für geeignet, um die Ärztesituation im öffentlichen Gesundheitsdienst zu verbessern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, Herr Abgeordneter Dr. Ahrens! Die Bundesregierung hält die von den für das Gesundheitswesen zuständigen Ministern und Senatoren der Länder eingeleiteten Maßnahmen insbesondere einer bevorzugten Zulassung von Bewerbern für den öffentlichen Gesundheitsdienst zum Medizinstudium und die Neuordnung des Rechts des öffentlichen Gesundheitsdienstes für geeignet, um den öffentlichen Gesundheitsdienst für den Nachwuchs attraktiver zu gestalten.
Zu den Möglichkeiten im Rahmen der Vereinheitlichung des Besoldungsrechts hat die Bundesregierung gegenüber dem Bundestag auf die Fragen der Abgeordneten Frau Dr. Neumeister am 17. Januar 1974 Stellung genommen. In die Prüfung der erforderlichen Maßnahmen wird auch der Beschluß des Bundesrates vom 5. April 1974 einbezogen. Die erforderlichen Maßnahmen werden zur Zeit erneut zwischen den betroffenen Bundes- und Landesressorts geprüft.
Weiterhin ist die Bundesregierung bemüht, die personelle Situation im öffentlichen Gesundheitsdienst durch Förderung der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf direkt und durch Förderung des Aufbaus des Modellgesundheitsamtes in Marburg indirekt zu verbessern.
Keine Zusatzfrage?
Dann rufe ich die Frage 70 der Abgeordneten Frau Schleicher auf. — Die Frau Abgeordnete ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 71 des Herrn Abgeordneten Ey auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, aus dem Ergebnis des Berichts über die Auswirkungen des Zigarettenrauchens weitere Maßnahmen zu ergreifen, und wenn ja, welche und wann ist damit zu rechnen?
Bitte schön!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, Herr Abgeordneter Ey! Die in der Antwort auf die Kleine Anfrage über die Auswirkungen des Zigarettenrauchens vorgelegten Erkenntnisse waren der Bundesregierung bereits bekannt. Sie bestimmen Art und Ansatz des laufenden Programms, insbesondere der gesundheitlichen Aufklärung, und die im Zusammenhang mit der Reform des Lebensmittelrechts angestellten Überlegungen. Insofern sind neue Maßnahmen auf Grund des Ergebnisses dieses Berichts nicht zu erwarten. Allerdings wird die neuerliche Feststellung der Gesamtsituation dazu führen, daß überprüft wird, wie die Maßnahmen noch weiter verstärkt und spezifiziert werden können. Dabei stehen vier Ziele im Vordergrund: erstens, die Entscheidung Jugendlicher gegen das Rauchen weiter zu verstärken, zweitens, das Selbstbild des Nichtrauchers weiter aufzuwerten, drittens, das Rauchverhalten der Raucher zu beeinflussen, und zwar sowohl hinsichtlich des Konsums als auch der Art zu rauchen, und viertens, die Verfügbarkeit der Tabakerzeugnisse, insbesondere Zigaretten, so zu gestalten, daß die Bestimmungen des Jugendschutzes voll eingehalten werden können. Die Überprüfungen dazu sind eingeleitet.
Eine Zusatzfrage.
Ich frage die Bundesregierung: Ist auch daran gedacht, die Werbung für das Zigarettenrauchen zu beschränken oder zu beeinflussen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt zur Einschränkung der Werbung, bezogen auf Tabakerzeugnisse, speziell Zigaretten, eine freiwillige Vereinbarung, die zumindest zum Teil Gegenstand der entsprechenden Regelungen bei der Reform des Lebensmittelrechts werden wird.
Zweite Zusatzfrage.
Welche Aufklärungsaktionen plant die Bundesregierung, um die Bevölkerung breiter auf die Schäden aufmerksam zu machen, die durch das Rauchen entstehen können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung betreibt bereits seit mehreren Jahren, und zwar unter der Federführung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, in einer Reihe von Broschüren eine Aufklärung, die sehr deutlich auf die verschiedenen Gefahren des Rauchens hinweist. Die Erfolgskontrollen, die im Hinblick auf die Wirksamkeit dieser Broschüren gemacht worden sind, haben gezeigt, daß diese Broschüren ein erhebliches Echo finden. Es ist allerdings hinsichtlich dieser Aufklärungsaktionen hinzuzufügen, daß selbstverständlich ein Mißverhältnis zwischen den dafür verfügbaren Mitteln und auf den aufgewendeten Mitteln bleibt, die zum Rauchen animieren.
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6960 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Eine weitere Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Neumeister.
Herr Staatssekretär, würden Sie es für angebracht halten, daß Politiker, die ja normalerweise als Vorbilder gelten sollten, bei öffentlichen Sendungen, etwa im Fernsehen, ihren Zigarettenkonsum oder das Pfeifenrauchen einschränken, um Jugendliche nicht auch noch zu animieren, mit dem Rauchen anzufagen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete Neumeister, ich bin zwar der Meinung, daß man eine mögliche Vorbildwirkung bei solchen Gelegenheiten durchaus im Auge behalten muß, meine aber, daß die Abwägung einer derartigen denkbaren Gefahr gegenüber Überlegungen, die sich auf die ganz persönliche Lebensgestaltung beziehen, der persönlichen Entscheidung jedes einzelnen überlassen bleiben muß.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 72 des Herrn Abgeordneten Dr. Hornhues auf:
Trifft es zu, daß die Sätze, die den „Tagesmüttern" gezahlt werden sollen, z. T. erheblich über den Beträgen liegen, die Pflegemüttern für die dauernde Aufnahme der Kinder gezahlt werden, und wenn ja, was gedenkt die Bundesregierung zu tun?
Bitte schön!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter Dr. Hornhues, die Vergütungen für die Erziehungsleistungen von Tagesmüttern ist abhängig von der Zahl der betreuten nichteigenen Kinder. Die Tagesmutter erhält vom Anstellungsträger für die Aufnahme eines Kindes 320 DM, von 2 Kindern 525 DM und von drei Kindern 630 DM monatlich. Hinzu kommt eine Aufwandentschädigung in Höhe von 130 DM je Kind, die in der Regel von den Eltern zu bezahlen ist. Ein Vergleich mit den Pflegesätzen sowohl für Vollpflegestellen als auch Wochen- und Tagespflegestellen zeigt, daß die vorgesehene Vergütung von Tagesmüttern in der Regel über den monatlichen Pflegesätzen liegt. Die höhere Vergütung für Tagesmütter deckt Leistungen ab, die Pflegemütter üblicherweise nicht zu erbringen haben. Wie Sie aus früheren Antworten der Bundesregierung wissen, sind Tagesmütter verpflichtet, an vorbereitenden und praxisbegleitenden Ausbildungsveranstaltungen teilzunehmen und durch enge Kontakte mit den Eltern des Pflegekindes für dieses ein einheitliches Erziehungsmilieu zu schaffen. Ferner sind sie während der Dauer des Modellprojekts verpflichtet, an der wissenschaftlichen Begleitung und Auswertung mitzuwirken.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 73 des Herrn Abgeordneten Simpfendörfer auf:
In welcher Weise gedenkt die Bundesregierung, ihre in der Antwort auf die Kleine Anfrage zur Förderung von Angeboten für Freizeit und Erholung angekündigte Bereitschaft zu konkretisieren, Modelleinrichtungen, Aufklärungskampagnen und andere Formen öffentlicher Informationsarbeit zu fördern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter Simpfendörfer, dem Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit stehen im Haushaltsjahr 1974 für Maßnahmen der Information und Unterrichtung auf dem Gebiet Freizeit voraussichtlich Mittel in Höhe von 1 Million DM zur Verfügung. Es ist vorgesehen, ein Schwerpunktprogramm „Aufbau von Freizeitbewußtsein in der Bevölkerung" zu erarbeiten. Dazu wird eine Aufklärungsaktion mit den Zielsetzungen „Schaffung von kritischem Freizeitbewußtsein" und „Informationshilfen für Freizeitangebote" vorbereitet. Daneben sollen Freizeitaktionen zugunsten benachteiligter Gruppen, z. B. Behinderter, auf Bundesebene gefördert werden.
Parallel zu der vorgesehenen Informations- und Aufklärungsarbeit sollen die erheblichen noch bestehenden Forschungslücken geschlossen werden. Im Rahmen von Untersuchungen über den Bedarf an gemeinnützigen Freizeitangeboten und ihre Ausgestaltung kann es erforderlich sein, Modelle für neue Formen solcher Freizeitangebote zu schaffen und unter wissenschaftlicher Begleitung zu erproben. Der Charakter solcher Modelle im Freizeitbereich hängt weitgehend von der Konkretisierung der in Arbeit befindlichen freizeitpolitischen Konzeption und den zu erwartenden Forschungsergebnissen ab. Eine konkrete Beschreibung von Modellvorhaben ist deshalb zur Zeit nicht möglich.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wann ist die Konkretisierung voraussichtlich so weit fortgeschritten, daß an die Realisierung konkreter Modellprojekte — wie das in meiner zweiten Frage erwähnte Projekt eines überörtlichen Radwanderweges — herangegangen werden könnte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es hat sich beim Beginn der Arbeiten zu einer freizeitpolitischen Konzeption gezeigt, daß es praktisch keine verläßlichen Daten für diesen Bereich gibt, auf die man zurückgreifen kann, so daß man zunächst einmal ganz wesentlich darum bemüht sein muß, die Forschungslücken zu schließen, um eine vernünftige Ausgangsbasis zu haben. In der Zwischenzeit können nur Teilbereiche konzeptionell bearbeitet werden. Als notwendige Zeitspanne bis zum Vorliegen einer geschlossenen Konzeption muß man jedenfalls mehr als ein Jahr ansetzen. Das schließt nicht aus, daß man bestimmte gezielte Modelle in der Zwischenzeit schon ins Auge fassen kann, nämlich dort, wo man zu Daten gekommen ist.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 6961
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wer wäre gegebenenfalls als Träger eines solchen Projekts anzusehen? Wäre das ein Land oder eine andere Gebietskörperschaft, eine Gemeinde, ein Landkreis oder auch ein freier Träger?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Alle Maglichkeiten, die Sie aufgeführt haben — unter Beachtung der jeweiligen Zuständigkeiten —, kämen dafür in Frage.
Eine Zusatzfrage, bitte schön!
Herr Staatssekretär, werden Sie Verbindung zu den Bundesländern oder Kreisen oder Gemeinden aufnehmen, die auf diesem Gebiet bereits Erfahrungen gesammelt haben, und könnte denen Hilfe gegeben werden, wenn sie solche Projekte gemeinsam entwickeln, indem Sie Modellmaßnahmen bezuschussen oder auf andere Weise Förderung gewähren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Selbstverständlich wird bereits bei der Erarbeitung der Konzeption und erst recht natürlich bei der Konzipierung von Modellen der Kontakt zu den Ländern und über die Länder auch zu den Kommunen aufgenommen. Ich möchte betonen, daß darüber hinaus zu allen Kontakt aufgenommen wird, die in diesem Bereich über Erfahrungen verfügen, weil es unsinnig wäre, wenn man eine solche Konzeption erarbeitete, ohne sich verfügbare Erfahrungen nutzbar zu machen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich Frage 74 des Abgeordneten Simpfendörfer auf:
Fällt unter die Überlegungen der Bundesregierung auch die finanzielle Unterstützung von Maßnahmen, durch die bezweckt wird, das öffentliche Freizeitangebot dadurch zu erhöhen, daß vorhandene landwirtschaftliche Wege zu einem Netz von überörtlichen Radwanderwegen erschlossen werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter Simpfendörfer! Diese Frage beantworte ich im Benehmen mit dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wie folgt:
Agrarpolitik wird von der Bundesregierung als Gesellschaftspolitik für die im ländlichen Raum wohnenden, arbeitenden und erholungsuchenden Menschen verstanden. Die Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur tragen nicht nur den Belangen der Landwirtschaft Rechnung, sondern dienen darüber hinaus auch anderen — darunter insbesondere freizeitpolitischen — Zielen. Dies gilt ganz besonders für die Flurbereinigung.
Die Empfehlungen der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft für das technische Verfahren in der Flurbereinigung von 1972 enthalten unter Nr. 11.4 besondere Anweisungen für die Einbindung von Wirtschaftswegen in das Wanderwegenetz. Der Ausbau der örtlichen wie auch der überörtlichen Wander-und Radwanderwege soll demnach bei Trassierung und Ausbau der Wirtschaftswege 'berücksichtigt werden. Im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" 'beteiligt sich der Bund hieran mit 60 % der Kosten.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich dieser Antwort entnehmen, daß zusätzliche Mittel nicht zur Verfügung gestellt werden können, um das vorhandene Wegenetz, das noch nicht nach diesen Grundsätzen angelegt und ausgebaut wurde, zusammenzufügen, damit man zusammenhängende Radwanderwege bekommt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jedenfalls zur Zeit keine speziell für diesen so eng umrissenen Zweck ausgewiesenen Mittel.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schirmer.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß solche Wege doch einbezogen werden können, wenn es sich darum handelt, Modellmaßnahmen für die von Ihnen zuvor bezeichneten Freizeitprojekte zu entwickeln?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage wäre ganz eindeutig mit Ja zu beantworten, wenn Sie unter der Nutzbarmachung solcher Wege auch für Freizeitzwecke ein Modell verstehen. Ich würde das eigentlich eher abgesetzt von einem Modell als eine ganz gezielte, heute bereits durchführbare Maßnahme im Rahmen der Flurbereinigung bezeichnen. Es gibt sicher andere Maßnahmen, die heute schon im Rahmen einer Freizeitpolitik unabhängig von Modellen durchgeführt werden können.
Keine Zusatzfrage.Dann rufe ich die Frage 75 des Herrn Abgeordneten Anbuhl auf. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 76 des Herrn Abgeordneten Walkhoff auf:Hält die Bundesregierung ein Gesetz über den Beruf des zahnmedizinischen Assistenten für erforderlich, und strebt sie ein solches Gesetz an?Bitte schön!
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6962 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter Walkhoff! Die Bundesregierung hält die Schaffung eines zahnmedizinischen Hilfsberufs für erforderlich, der zur Entlastung der Zahnärzte Aufgaben in der Zahnarztpraxis und in der Zahngesundheitspflege der Gesundheitsämter übernehmen kann. Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit prüft derzeit gemeinsam mit den obersten Landesgesundheitsbehörden die Alternativen für Berufsbild und Ausbildung eines solchen Berufs. Dabei wird vorrangig auch die Möglichkeit eines Bundesgesetzes über den Beruf des zahnmedizinischen Assistenten erwogen.
Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, welche konkreten Ergebnisse hat die Arbeit des zuständigen Ausschusses, den Sie offenbar gerade angesprochen haben, bisher erbracht, der unter Federführung des Landes Hessen und unter Beteiligung des Bundes bereits im September 1973 gebildet wurde, und der, wie Sie auch sagten, ein Tätigkeitsbild und einen Ausbildungsgang für den Beruf des zahnmedizinischen Assistenten ermitteln soll? Kann man dazu heute schon etwas sagen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Man kann heute — deswegen waren die Formulierungen in meiner ursprünglichen Beantwortung auch bewußt etwas offen gehalten — wegen einer dort nicht abgeschlossenen Meinungsbildung keine abschließende Aussage darüber machen, ob tatsächlich ein von Grund auf eigenes Berufsbild die sinnvollste Lösung ist.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 77 des Abgeordneten Walkhoff auf:
Betrachtet die Bundesregierung das Ausbildungsangebot einzelner Zahnärztekammern für zahnmedizinische Assistentinnen als seriös gegenüber den Auszubildenden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter Walkhoff! Die Frage kann weder eindeutig mit Ja noch eindeutig mit Nein beantwortet werden. Auch das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat Zweifel, ob die Fortbildung zum zahnmedizinischen Fach-heifer, wie sie derzeit in einem Bundesland durchgeführt wird, den Anforderungen voll gerecht wird, die die Aufgaben eines zahnmedizinischen Hilfsberufs, der zu einer echten Entlastung der Zahnärzte dienen soll, stellen. Eine endgültige Stellungnahme sollte aber die Erfahrungen, die mit dieser erst kürzlich angelaufenen Ausbildung gemacht werden, berücksichtigen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß in extremen Fällen zahnärztliche Helferinnen in der Weise zu zahnmedizinischen Assistentinnen ausgebildet werden, daß sie am bisherigen Arbeitsplatz dieselbe Arbeit wie zuvor verrichten, allerdings ohne Gehalt, sondern gegen Zahlung einer entsprechenden Ausbildungsgebühr?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß es solche Fälle gibt. Dazu würden sich wahrscheinlich Parallelen in anderen Bereichen finden lassen. Ich könnte allerdings jetzt bei der Beantwortung nicht auf konkrete, mir bekannte Fälle zurückgreifen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, müßte sich die Bundesregierung nicht genötigt sehen, wenn derartige Mißstände tatsächlich auftreten, die Erarbeitung entsprechender notwendiger Gesetzentwürfe wirklich erheblich zu beschleunigen und voranzutreiben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Unter der Voraussetzung, daß solche Mißstände, wie Sie sie genannt haben, ganz erheblich über den Rahmen von Einzelfällen hinausgehen, ist dem im Grundsatz selbstverständlich zuzustimmen. Die Realisierung ist dann in erster Linie abhängig von der sehr zeitraubenden Abstimmung mit den Ländern und den jeweiligen Berufsverbänden. Sie ist letztlich aber auch, da es viele andere Probleme gerade im Bereich der Berufsausbildung, der Weiterbildung und der Fortbildung im Gesundheitswesen gibt, eine Frage der Arbeitskapazität des Ministeriums. Das muß ich in diesem Zusammenhang hinzufügen.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Dr. Neumeister.
Herr Staatssekretär, gehe ich recht in der Annahme, daß Ihnen bekannt ist, daß laut Fortbildungsverordnung für zahnmedizinische Helferinnen eine solche Fortbildung, die fünf Monate dauert, nur an einer von der zuständigen Zahnärztekammer anerkannten Schule möglich ist und gar nicht in der Praxis eines Zahnarztes durchgeführt werden kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist mir bekannt. Es gehört aber zu der schulischen Fortbildung, die Sie erwähnt haben, auch die Unterweisung in bestimmten praktischen Fertigkeiten, die sich dann in der Praxis abspielt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kiechle.
Herr Staatssekretär, würden Sie meine Meinung teilen, daß es seriöser wäre, dann, wenn die Bundesregierung um eine Auskunft gebeten wird und ihr keine solchen Fälle bekannt sind, die Frage klar mit Nein zu beantworten, statt zu sagen, sie halte es für möglich?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube, daß es berechtigt ist, auch dann, wenn Einzelfälle an die Bundesregierung nicht herangetragen worden sind — was ich im übrigen, wie ich auch formuliert habe, gar nicht schlüssig sagen kann; ich habe gesagt: mir sind sie nicht bekanntgeworden —, auf die Erfahrung zurückzugreifen, daß es nahezu in jedem Bereich Mißstände gibt. Deshalb habe ich bei der Frage, die mir gestellt worden ist, deutlich zwischen Einzelfällen und wesentlich über Einzelfälle hinausgehenden Mißständen unterschieden und gesagt, daß nur die letzteren Konsequenzen erforderten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gerster.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß Sie in diesem Punkt von Vermutungen sprechen, daß also die Bundesregierung bisher keine Anhaltspunkte dafür hat, daß die Helferinnen unseriös ausgebildet werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Erstens war in der Frage die Formulierung „unseriöse Ausbildung" nicht enthalten, zweitens habe ich gesagt, daß mir — ich kann es nur wiederholen, wenn Sie die Frage so stellen — zur Zeit keine konkreten Fälle eventueller Mißstände bekannt sind.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe dann die Frage 78 des Herrn Abgeordneten Dr. Dübber auf:
Von wem wird das Bundesgesundheitsamt z. Z. geleitet, nachdem dessen Präsident am 30. April 1974 pensioniert wurde und der Vizepräsident noch immer vom Dienst beurlaubt ist?
Bitte schön
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter Dr. Dübber! Die Vertretung des Präsidenten des Bundesgesundheitsamtes ist bis zum Amtsantritt des neuen Präsidenten dem Leiter des Instituts für Veterinärmedizin des Bundesgesundheitsamtes, Herrn Leitenden Direktor und Professor Dr. Großklaus, kommissarisch übertragen. Bei seiner Abwesenheit vertreten ihn die Institutsleiter jeweils für ihren Geschäftsbereich.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe dann die Frage 79 des Herrn Abgeordneten Horstmeier auf:
Hat die Bundesregierung Überlegungen angestellt, das Pflegegeld für Zivilgeschädigte nach dem Bundessozialhilfegesetz dem Pflegegeld für Kriegsbeschädigte nach dem Bundesversorgungsgesetz anzupassen?
Bitte schön!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter Horstmeier! Die Kriegsopferversorgung und die Sozialhilfe beruhen auf zwei grundsätzlich verschiedenen Leistungssystemen. Das Versorgungsrecht ist auf das im Interesse der Gemeinschaft erbrachte Sonderopfer abgestellt, in der final ausgerichteten Sozialhilfe auf eine aus eigenen Kräften nicht zu bewältigende Bedarfslage. ,Dementsprechend gelten auch unterschiedliche Leistungsprinzipien.
Trotz dieser unterschiedlichen Ausgangsposition, die grundsätzlich auch unterschiedliche Leistungen rechtfertigt, sind in der Vergangenheit Beziehungen zwischen beiden Bereichen mit dem Ziel der Anpassung gleichartiger Leistungen hergestellt worden. Dies ist unter anderem geschehen bezüglich der Blindenhilfe durch die 2. Bundessozialhilfegesetz-Novelle von 1969 und neuerdings durch die am 1. April in Kraft getretene 3. Bundessozialhilfegesetz-Novelle hinsichtlich des erhöhten Pflegegeldes für Schwerstbehinderte.
Es wird im Zuge der Weiterentwicklung der Sozialhilfe anzustreben sein, auch zu einer jährlichen Anpassung des normalen Pflegegeldes zu kommen. Hierzu liegt bereits ein Prüfungsauftrag des Bundestages vor. Im weiteren bleibt zu prüfen, ob auch hinsichtlich des normalen Pflegegeldes eine Anbindung an entsprechende Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz möglich und zweckmäßig ist.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben von dem finalen Prinzip gesprochen. Meinen Sie nicht auch, daß bei der Vergabe von öffentlichen Mitteln mehr das finale Prinzip zum Tragen kommen müßte und nicht das kausale Prinzip?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich sehe bei dieser Grundsatzfrage, in der ich mich nicht so generell, wie Sie sie gestellt haben, festlegen möchte, keinen unmittelbaren Zusammenhang zu der Berechtigung, einen anderen Leistungsgrundsatz bei den Versorgungsleistungen zugrunde zu legen, was ich versucht habe, hier zu begründen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gehen Sie mit mir einig, daß es eine besondere Härte bedeutet oder auch eine soziale Ungerechtigkeit ist, wenn das Pflegegeld für Zivilgeschädigte 180 DM beträgt und für Kriegsbeschädigte 480 DM?
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6964 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann in diesem Zusammenhang nur noch einmal darauf verweisen, daß im Zuge der Novellierungen, die ich angeführt habe, jedenfalls für den Bereich der Schwerstbehinderten eine Anpassung vorgenommen worden ist. Ich habe auch eine Tendenz angedeutet, entsprechend der man um eine weitere Verbesserung in dieser Richtung, nämlich zu einer größeren Ausgewogenheit zu kommen, bemüht sein muß.
Ich rufe die Frage 80 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Stimmt die Bundesregierung der Auffassung der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen zu, daß unter den Aussiedlern die Eltern „grundsätzlich während der ersten drei Jahre nach der Einreise in die Bundesrepublik zu Kostenbeiträgen für den notwendigen Internatsaufenthalt ihrer Kinder nicht herangezogen werden sollten", und ist sie bejahendenfalls bereit, die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften über die Gewährung von Beihilfen zur Eingliederung junger Zuwanderer umgehend zu ändern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter Dr. Hupka! Die Bundesregierung ist nicht dieser Auffassung. Im Rahmen des Zieles, möglichst vielen jungen Aussiedlern den für sie wichtigen Besuch der Förderschule zu ermöglichen, hat die Bundesregierung mit dem Garantiefonds bereits eine Regelung getroffen, die der Eingliederungssituation, insbesondere dem in den ersten Jahren nach der Zuwanderung in aller Regel erforderlichen Existenzaufbau der ausgesiedelten Familie, Rechnung trägt. Der Garantiefonds wird der jeweiligen Situation angepaßt. Von den Besuchern der Förderschulen erhalten 77,2 % eine elternunabhängige Förderung. Die übrigen 22,8 % werden zu einem durchschnittlichen Beteiligungsbetrag von lediglich 55 DM monatlich herangezogen — und dies nur dann, wenn die Einkommensverhältnisse der Eltern besonders gut sind. Diese Beteiligung ist zumutbar und gefährdet ,die Eingliederung nicht.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist aber der Bundesregierung bekannt, daß 11 % der Eltern zum Teil bis zu 600 DM monatlich zahlen müssen und daß von diesen 11 % der Eltern nach Informationen der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen im Durchschnitt ein Betrag von 112 DM verlangt wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann im Moment dazu nur generell sagen, daß ein Beteiligungsbetrag nur insoweit erhoben wird, wie dies nach den Einkommensverhältnissen der Eltern zumutbar ist. Damit wird ein generelles Prinzip aufrechterhalten, auf das wir auch in anderen Bereichen der Gesellschaftspolitik Wert legen und Wert legen müssen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen eben von dem generellen Prinzip. Aber hier handelt es sich ja um Ausnahmefälle. Gerade in den ersten drei Jahren besteht ein erhöhter Nachholbedarf bei allen diesen Eltern. Wäre es deswegen nicht sozial vertretbar, alle diese Eltern von einer Beteiligung an den Kosten der Förderschule freizustellen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Hupka, ich würde Ihnen, wenn Sie den Sonderfall so deutlich herausstellen, nur darin folgen, daß man ihn berücksichtigen sollte. Er kann aber keine ausreichende Rechtfertigung dafür sein, daß man, wie Sie eben angedeutet haben, generell von der Zugrundelegung einer bestimmten Einkommensgrenze abgeht.
Keine Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 81 des Herrn Abgeordneten Dr. Holtz auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, eine gesetzliche Regelung zu schaffen, die es untersagt, daß Arzneimittel auf ihre Wirksamkeit und Nebenwirkungen an Personen ohne deren Wissen und Zustimmung erprobt werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, Herr Abgeordneter Holtz! Die Bundesregierung wird den gesetzgebenden Körperschaften Vorschläge über Bedingungen unterbreiten, unter denen eine klinische Erprobung von Arzneimitteln am Menschen durchgeführt werden darf. Wesentliche Voraussetzung für die Anwendung wird hiernach sein, daß das neue Arzneimittel ausreichend pharmakologisch-toxikologisch geprüft ist und die schriftliche Einwilligung der Versuchsperson nach vorausgegangener Aufklärung über die Risiken vorliegt. Die Einwilligung kann jederzeit widerrufen werden.
Bei gesunden Versuchspersonen sind Aufklärung und Einwilligung zwingend, mit gesunden Minderjährigen oder einwilligungsunfähigen Personen darf eine klinische Erprobung nicht durchgeführt werden. Bei kranken Versuchspersonen kann die schriftliche Einwilligung durch eine mündliche Einwilligung ersetzt werden, die in Gegenwart eines Zeugen abzugeben ist.
Eine Behandlung nichteinwilligungsfähiger oder minderjähriger Kranker ohne Einwilligung der gesetzlichen Vertreter ist nur zulässig, wenn diese nicht eingeholt werden kann und durch die Behandlung das Leben des Kranken gerettet, seine Gesundheit wiederhergestellt oder sein Leiden erleichtert werden kann.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, haben Sie Unterlagen bzw. Statistiken darüber, ob und in welchem Maße Patienten als Versuchspersonen gebraucht worden sind?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 6965
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann Ihnen die Frage schon deswegen nicht beantworten, weil die Antwort eine präzisere Definition des Begriffs „Versuchsperson" voraussetzen würde.
Keine Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 82 der Frau Abgeordneten Schleicher auf:
Wie nimmt die Bundesregierung zu den aus Apothekerkreisen vorgetragenen Bedenken gegen die Einführung einer Gefährdungshaftung im Arzneimittelwesen Stellung, und wie ist die Verantwortlichkeit einerseits des Apothekers und andererseits des verschreibenden Arztes zu beurteilen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, Frau Abgeordnete Schleicher! Ihre Frage nimmt Bezug auf den Referentenentwurf zur Novellierung des Arzneimittelrechts. Der Entwurf befindet sich noch im Stadium der Beratung. Dabei haben oder hatten bereits alle Fachkreise Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Bundesregierung hat den Entwurf zur Neuordnung des Arzneimittelrechts noch nicht behandelt; sie ist deshalb auch nicht in der Lage, zu dem Fragenkomplex jetzt dezidiert Stellung zu nehmen.
Eine Zusatzfrage? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär Dr. Wolters.
Wir kommen nunmehr zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Haehser zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 93 des Herrn Abgeordneten Franke auf:
Ist die Bundesregierung bereit, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der vorsieht, daß die Anteile der Gemeinden an der Einkommensteuer stufenweise von 14 % auf 16 % bis 18 % erhöht werden, und wenn ja, wann kann der Bundestag mit der Vorlage eines solchen Regierungsentwurfs rechnen?
Herr Kollege Franke, Sie wissen, daß die Gemeinden durch die Gemeindefinanzreform beträchtliche Mehreinnahmen erhalten, die weit über dem Betrag liegen, von dem man bei den seinerzeitigen Gesetzesberatungen ausgegangen war. Nach Abzug der Gewerbesteuerumlage verbleiben den Gemeinden aus dem 14%igen Gemeindeanteil an der Einkommensteuer z. B. im Haushaltsjahr 1974 zur Verstärkung ihrer kommunalen Finanzmasse rund 5,3 Milliarden DM. Diese Entwicklung hat zur Folge, daß der gemeindliche Anteil am Gesamtsteueraufkommen — ohne Berücksichtigung der zusätzlich im Rahmen der kommunalen Finanzausgleichsgesetze überwiesenen Steuerbeträge der Länder — weiter steigt und im laufenden Jahr 12,4 % beträgt; vor der Reform flossen den Gemeinden 10,8 % zu. Einschließlich der Leistungen im kommunalen Finanzausgleich sind die Gemeinden an den gesamten Steuereinnahmen 1974 damit mit rund 20 % beteiligt.
Die Gemeindefinanzreform hat also zu einer stärkeren Beteiligung der Gemeinden am Gesamtsteueraufkommen geführt; dies war auch beabsichtigt. Die Frage nach einer Verbesserung der kommunalen Finanzlage kann im übrigen nicht getrennt von den Auswirkungen der Steuerreform auf die öffentlichen Haushalte gestellt werden. In diesem Zusammenhang ist eine Erhöhung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer nicht beabsichtigt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Kollege Haehser, ist Ihnen bekannt, daß verschiedene Gemeinden z. B. bei der Aufstellung von Stadtentwicklungsplänen oder ähnlichen Plänen hinsichtlich der Finanzierung solcher Pläne bis zum Jahre 1980 oder darüber hinaus von einer aus ihrer Situation heraus berechtigten Hoffnung auf Erhöhung ihres Anteils an der Einkommensteuer ausgegangen sind?
Herr Kollege Franke, ich habe davon gehört, daß einige Gemeinden solche Hoffnung, auch in Zahlen ausgedrückt, hegen. Diese Hoffnungen haben im Augenblick keine Gesetzesgrundlage.
Eine zweite Zusatzfrage.
Für die Beantwortung meiner zweiten konkreten Frage möchte ich vorweg sagen, daß ich mit einer schriftlichen Beantwortung einverstanden bin. Beispielsweise sieht der Stadtentwicklungsplan der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover zur Finanzierung seiner Aufgaben eine stufenweise Beteiligung an der Einkommensteuer vor. Muß ich demnach den Schluß ziehen, daß dieser Plan nicht realisiert werden kann?
Herr Kollege Franke, Sie haben sicher die glänzende Aufbauleistung der Stadt Hannover in Erinnerung. Sie zeigt, daß man bisher sehr realistisch vorgegangen ist. Sie hatten selbst gesagt, daß Sie in diesem konkreten Fall mit einer schriftlichen Beantwortung einverstanden seien. Ich lasse die Frage prüfen und komme auf Sie zu.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stark.
Herr Staatssekretär, in welcher Höhe werden die Gemeinden durch die Steuerreform einen Ausfall an zur Verfügung stehender Finanzmasse haben?
Herr Kollege, das Dritte Steuerreformgesetz wird die öffentlichen Haushalte mit
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6966 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Parl. Staatssekretär Haehseretwa 12 Milliarden DM belasten. Im Gegensatz zur ursprünglichen steuerrechtlichen Lösung des Familienlastenausgleichs würde die auf nachdrücklichen Wunsch der Länder vorgesehene Auszahlung des Kindergeldes über die Arbeitsverwaltung dazu führen, daß nunmehr der Bund den Hauptteil der Belastungen aus der Steuerreform zu tragen hätte. Dies entspricht nicht den Absichten, die mit der Steuerreform verbunden waren.Deshalb haben die Regierungschefs des Bundes und der Länder bei ihren Verhandlungen über die Neufestsetzung der Umsatzsteueranteile für die Jahre 1974 bis 1976 im November 1973 eine Revisionsklausel vereinbart, die besagt, wie die finanziellen Belastungsverschiebungen zwischen Bund und Ländern auf Grund der Steuerreform auszugleichen sind: Die Umsatzsteueranteile von Bund und Ländern sollen so festgesetzt werden, daß die Verteilung des Gesamtsteueraufkommens zwischen Bund und Ländern aufrechterhalten bleibt. Nun konkret: Dabei werden Bund und Länder — so heißt es in der zitierten Vereinbarung — die Frage der Finanzausstattung der Gemeinden als gemeinsames Anliegen behandeln.In der Revisionsklausel kommt damit zum Ausdruck, daß Bund und Länder sich gemeinsam der Verantwortung bewußt sind, die sie im Hinblick auf die Finanzausstattung der Gemeinden tragen. Sie wissen, daß wir die Steuerreform heute auf unserer Tagesordnung haben. Die Auswirkungen werden im einzelnen überprüft werden, und daraus werden die notwendigen Konsequenzen gezogen werden müssen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Zeitel.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort die allgemeine Verfahrensweise geschildert. Aber welches sind denn die quantitativen Auswirkungen insgesamt, und mit welchen Folgewirkungen rechnen Sie für die Steuerkraftunterschiede bei den Gemeinden?
Herr Kollege, ich hatte die Gelegenheit benutzt, auch an dieser Stelle in der Fragestunde auf die Notwendigkeit der Anwendung der Revisionsklausel hinzuweisen.
Ich nehme an, Sie verübeln mir das nicht. Ich hatte hinzugefügt, daß sich die Auswirkungen der Steuerreform ergeben werden, wenn sie verabschiedet ist. Dann wird es Aufgabe des Bundes und der Länder sein, die Auswirkungen auf die Gemeinden zu überprüfen.
— Begnügen Sie sich bitte heute mit dieser Antwort!
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 94 des Herrn Abgeordneten Holtz auf. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 95 des Herrn Abgeordneten Grobecker. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Haehser.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 96 des Herrn Abgeordneten Dr. Zeitel auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß noch kurz vor der Ausarbeitung des Entwurfs für ein Drittes Verstromungsgesetz sogenannte Minderpreisgeschäfte zwischen einigen deutschen Kraftwerkeunternehmen und dem deutschen Steinkohlenbergbau abgeschlossen worden sind?
Herr Kollege, mit der Ausarbeitung des Entwurfs für ein Drittes Verstromungsgesetz wurde im November 1973 begonnen. Aus den der Bundesregierung vom Steinkohlenbergbau gemachten Angaben geht hervor, daß unmittelbar vorher, d. h. in den Monaten Oktober und November keine neuen sogenannten Minderpreisgeschäfte abgeschlossen worden sind. Im übrigen ist im Entwurf des Dritten Verstromungsgesetzes dafür Vorsorge getroffen, daß nur solche Verträge begünstigt werden, die vor dem 30. September 1973 abgeschlossen worden sind.
Eine Zusatzfrage.
Meldungen, nach denen in erheblichem Umfange von besonderen Gesellschaften solche Minderpreisverträge abgeschlossen worden sind, halten Sie also für falsch, Herr Staatssekretär?
Hinsichtlich dieser kurzen Spanne, die Ihre Frage betrifft, ist das nicht zutreffend.
Keine weitere Zusatzfrage.Dann rufe ich die Frage 97 des Herrn Abgeordneten Dr. Zeitel auf:In welchem Umfang wurden solche Minderpreisgeschäfte in den vergangenen drei Jahren getätigt, hierbei insbesondere kurz vor der Ausarbeitung des Entwurfs für ein Drittes Verstromungsgesetz, und wer sind die Begünstigten?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 6967
Die im Zeitraum vom 1. Januar 1971 bis zum 30. September 1973 abgeschlossenen sogenannten Minderpreisverträge haben für das Jahr 1974 einen Lieferumfang von rund 2 Millionen Tonnen. Begünstigte sind die an diesen Verträgen beteiligten Energieversorgungsunternehmen. Der Bundesregierung ist es wegen des vertraulichen Charakters der ihr gemachten Angaben über privatwirtschaftliche Vereinbarungen nicht möglich, eine Aussage über die Begünstigten im einzelnen zu machen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, die erheblichen Wettbewerbsverzerrungen, die als Folge solcher Minderpreisverträge eintreten, zu überprüfen, namentlich auch die Rückwirkung auf andere Gesellschaften, die nicht in den Genuß solcher Minderpreisverträge gekommen sind?
Eine solche Überprüfung ist sicher möglich, ohne daß ich hier einem Ergebnis vorweggreifen kann. Die Verstromungsregelung, wie sie dem Bundestag vorliegt, sieht für die Zukunft vor, daß Wettbewerbsungleichheiten durch derartige Verträge ausgeglichen werden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 98 des Herrn Abgeordneten Dr. Dollinger soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 99 des Herrn Abgeordneten Höcherl auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 100 des Herrn Abgeordneten Schedl auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 102 und 103 des Herrn Abgeordneten Schäuble werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner.
Wir kommen nunmehr zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Glotz zur Verfügung.
Die Frage 122 des Herrn Abgeordneten Pfeifer soll auf dessen Bitte schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt..
Ich rufe die Frage 123 des Herrn Abgeordneten Schulte auf:
Ist die Bundesregierung bereit, dazu beizutragen, daß eine besondere Zulassungsquote für Studienbewerber für das Fach Medizin festgesetzt wird, die sich verpflichten, sich als Arzt in medizinisch unterversorgten Gebieten niederzulassen?
Bitte schön!
Frau Präsidentin! Herr Kollege Schulte! Ja, die Bundesregierung ist bereit, besondere Zulassungsquoten für Studienbewerber für das Fach Medizin festzusetzen, für Studienbewerber also, die sich verpflichten, sich als Arzt in medizinisch unterversorgten Gebieten niederzulassen.
Sie wissen, daß diese von Ihnen gestellte Frage schon mehrfach Gegenstand von mündlichen Anfragen gewesen ist. Sie ist zuletzt beantwortet worden in der Fragestunde vom 18. Januar 1974, und zwar auf eine Frage des Kollegen Schmude. Damals hat die Bundesregierung darauf hingewiesen, daß der Entwurf eines Hochschulrahmengesetzes der Bundesregierung einen Beitrag zur Lösung des von Ihnen angeschnittenen Problems leistet. Danach ist vorgesehen, daß eine begrenzte Zahl von Studienplätzen an solche Bewerber bevorzugt vergeben werden kann, die sich auf Grund entsprechender Rechtsvorschriften verpflichtet haben, ihren Beruf in Bereichen besonderen öffentlichen Bedarfs auszuüben.
In der Begründung zu diesem Entwurf weist die Bundesregierung darauf hin, daß hier nicht nur die Tätigkeit im öffentlichen Gesundheitswesen und im Sanitätsdienst der Bundeswehr, sondern möglicherweise auch die Tätigkeit als Arzt in ärztlich unterversorgten Gegenden in Betracht kommen kann Voraussetzung für eine bevorzugte Zulassung ist allerdings in jedem Fall eine Verpflichtung des Studienbewerbers auf Grund entsprechender Rechtsvorschriften.
Der Entwurf sieht ferner vor, daß der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung Vorschriften über die Festlegung der Bereiche besonderen öffentlichen Bedarfs erläßt.
Sie wissen, Herr Kollege Schulte, die Bundesregierung hat den Wunsch, daß das Hohe Haus mit diesem Gesetzentwurf noch vor der Sommerpause in zweiter und dritter Lesung fertig wird.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kiechle.
Herr Staatssekretär, werden auch Zahnärzte in diese Vergünstigung einbezogen?
Das ist durchaus denkbar, Herr Kollege Kiechle. Wir haben die Möglichkeit, das durch Rechtsverordnung zu tun, wenn
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6968 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Parl. Staatssekretär Dr. Glotzdas besonders sinnvoll wäre. Entsprechende Überlegungen könnten dann stattfinden, wenn gesetzliche Regelungen Platz gegriffen haben.
— Selbstverständlich!
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 124 des Herrn Abgeordneten Stahl auf:
Wann kann nach Ansicht der Bundesregierung die Abstimmung und das Anhörungsverfahren mit den Verbänden über den neuen Verordnungsentwurf über die berufliche und pädagogische Eignung für die Berufsausbildung in der gewerblichen Wirtschaft beendet sein?
Bitte schön!
Herr Kollege Stahl, der Entwurf einer Änderungsverordnung zur Ausbildereignungsverordnung vom 20. April 1972 bedarf nach dem Berufsbildungsgesetz der Anhörung im Bundesausschuß für Berufsbildung. Die Anhörung im Bundesausschuß hat am 3. Mai 1974 stattgefunden. Da dem Bundesausschuß, wie Sie wissen, Beauftragte der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, der Länder und der Bundesanstalt für Arbeit angehören, sind durch die Anhörung im Bundesausschuß für Berufsbildung alle an der Berufsausbildung Beteiligten gehört worden. Eines weiteren formellen Anhörungsverfahrens bedarf es daher nicht mehr.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß nach dieser Ausbildereignungsverordnung der Eindruck entsteht, daß die Großindustrie sich besonders stark durchgesetzt hat und den Kleinbetrieben verhältnismäßig wenig Rechnung getragen wurde?
Ich glaube nicht, Herr Kollege Stahl, daß das richtig ist. Wir versuchen ganz einfach jetzt, durch die Änderung dieser Ausbildereignungsverordnung der Probleme Herr zu werden. Daß Prüfungen in großer Zahl durchgeführt werden müßten, die einfach in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht durchgeführt werden konnten, ist bekannt. Gerade aus diesem Grund wollen wir, um Plätze zu erhalten und nicht eventuell Ausbilder zum Resignieren zu bringen, diese Ausbildereignungsverordnung ändern. Deswegen muß sie geändert werden. Ich glaube nicht, daß man das qualifizieren kann mit dem Bezug auf kleinere Betriebe und Großkonzerne.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, es ist aber doch Tatsache, daß gerade in ländlichen Bereichen bei kleinen Betrieben das Lehrstellenangebot sehr stark zurückgegangen ist auf Grund dieser Ausbildereignungsverordnung. Wäre es deshalb nicht zweckmäßig, hier nun sehr bald Klarheit zu schaffen?
Herr Kollege Stahl, daß es zweckmäßig ist, sehr bald Klarheit zu schaffen, darin stimme ich Ihnen vollkommen zu. Aus diesem Grunde wird die neue Ausbildereignungsverordnung am 1. September in Kraft treten, und aus diesem Grunde wird also voraussichtlich noch im Monat Juli die endgültige Entscheidung auch im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft dazu getroffen werden.
Zum ersten Teil ihrer Frage! Ich stimme Ihnen auch zu, daß vor allem in kleineren Betrieben durch diese Ausbildereignungsverordnung, wie sie damals gefaßt worden ist, manche Ausbilder verschreckt worden sind. Ich darf aber darauf hinweisen, daß damals auch eine große Anhörung stattgefunden hat und alle Kräfte, von allen Seiten, derdamaligen Fassung zugestimmt haben. Das, was auf uns zugekommen ist, war also nicht in dem Maße vorhersehbar. Deshalb sollen die korrekturbedürftigen Teile jetzt auch korrigiert werden.
Als letzte Frage die Frage 125 des Herrn Abgeordneten Stahl:
Hält die Bundesregierung es nicht für wünschenswert und notwendig, auf Grund der Schulabgänge im Juni-Juli-August, diese neu gefaßte Ausbildereignungsverordnung schon zu Beginn der Schulferien in Kraft treten zu lassen, damit eine größere Anzahl von Lehrstellen eventuell zur Verfügung stehen und um die teilweise bestehende Unsicherheit bei den Ausbildenden abzuschwächen?
Bitte schön!
Herr Kollege Stahl, wie ich Ihnen gerade eben schon auf eine Ihrer Rückfragen sagen durfte: die Bundesregierung teilt Ihre Auffassung, daß die teilweise bestehende Unsicherheit bei den Auszubildenden und bei den Ausbildern so schnell wie möglich abgeschafft werden muß. Daher strebt sie an, die Änderungsverordnung zur Ausbildereignungsverordnung so bald wie möglich, wie eben schon gesagt, voraussichtlich im Juli dieses Jahres im Bundesgesetzblatt zu verkünden. Damit und durch zusätzliche Informationen wird die neue Rechtslage den Ausbildungsbetrieben und den Ausbildern rechtzeitig bekannt. Die Bundesregierung erwartet, daß damit einer Reihe von Ausbildungsbetrieben und Ausbildern die Befürchtung genommen wird, ,die Ausbildungstätigkeit nicht fortsetzen zu können. Sie geht ferner davon aus, daß dadurch mehr Ausbildungsplätze — Lehrstellen — zur Verfügung bleiben.
Die Änderungsverordnung soll mit dem Beginn des Monats, in dem in den Ausbildungsbetrieben die neuen Auszubildenden ihre Berufsausbildung beginnen und in dem in den meisten Ländern das Schuljahr, auch das berufsbegleitende Schuljahr, beginnt, d. h. also mit dem 1. September 1974, in Kraft treten.
Zusatzfrage?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 6969
Herr Staatssekretär, aber in den letzten Monaten sind doch durch zahlreiche Pressenotizen, die vielleicht auch etwas irreführend waren, diese Probleme nicht klar angesprochen worden. Ich bitte Sie und Ihr Haus, in absehbarer Zeit das zu publizieren, was Sie hier eben dargestellt haben, damit gerade bei kleinen Betrieben in ländlichen Gebieten das Lehrstellenangebot auf Grund dieser neuen Verordnung erweitert wird.
Der neue Entwurf der Verordnung wurde, wie im Gesetz vorgesehen, dem Berufsausbildungsausschuß vorgelegt. Direkt danach, nachdem dieser Ausschuß, wenn auch nicht mit allen Stimmen, zugestimmt hatte, gab es in der Tat dann eine Pressemeldung über die damalige Fassung, die nach draußen ging und die möglicherweise Informationen nach draußen gebracht hat, die den einen oder anderen verwirrt haben. Insofern muß ich Ihnen zustimmen. Ich stimme Ihnen ebenfalls zu, daß es notwendig ist, nun so schnell wie möglich Klarheit zu schaffen. Der neue Bundesminister für Bildung und Wissenschaft wird dies umgehend tun.
Ja, bitte!
Herr Staatssekretär, heißt das, was Sie jetzt ausgeführt haben, daß im Laufe der nächsten Wochen den Verbänden und einzelnen Betrieben die neuen Fakten und Termine mitgeteilt werden, die Sie soeben dargestellt haben?
Herr Kollege Stahl, ich darf darauf hinweisen, daß ich Einzelheiten der neuen Verordnung, beispielsweise Fristen oder die Definition des Ausbilders, nicht bekanntgegeben habe und noch nicht bekanntgeben konnte. Ich darf noch einmal auf die Terminfestlegung, die ich vorhin genannt habe, nämlich daß dies vermutlich im Juli passieren wird, hinweisen. Wir werden uns jetzt bemühen, zügig und so schnell wie möglich endgültig Klarheit zu schaffen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Keine weiteren Zusatzfragen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Fragestunde. Es war vereinbart worden, daß die Sitzung um 13.30 Uhr mit der Beratung des Tagesordnungspunktes 2 fortgesetzt wird. Wir unterbrechen bis dahin.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich erteile das Wort der
Frau Kollegin Funcke. Die Fraktion der FDP hat eine Redezeit von 45 Minuten angemeldet.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Rede des Herrn Kollegen Höcherl heute vormittag hat nicht nur die Hörer in diesem Hause, sondern auch diejenigen draußen wohl etwas verwirrt zurückgelassen, verwirrt deswegen, weil man eigentlich erwartet hätte, daß der erste Sprecher der Opposition endlich einmal die vielen Widersprüche erklären würde, die die vielfältigen Meinungsäußerungen und Anträge aus den Reihen der CDU in die Welt gebracht haben: Widersprüche zwischen den Vorstellungen der Fraktion der CDU/CSU in ihrem Inflationsentlastungsgesetz einerseits und andererseits dem Entwurf der CDU/ CSU-Mehrheit im Bundesrat der dem Inflationsentlastungsgesetz in wesentlichen Punkten widerspricht; den Widerspruch etwa, daß man einerseits erklärt, diese Debatte heute, unmittelbar vor den Niedersachsen-Wahlen, sei eine ungeheure Wahlkampfveranstaltung der Koalition, und andererseits erklärt, das alles, was da beschlossen werde, sei ja nur ein Trümmerhaufen,
oder den Widerspruch, daß man einerseits nicht genug an Stabilitätsmaßnahmen fordern kann und auf der anderen Seite in diesem Augenblick Forderungen stellt, die einem Konsumstoß von über 5 Milliarden DM hervorrufen und damit zweifelsohne die vorhandenen Ansätze zu einer wachsenden Stabilität wieder zunichte machen würden. Oder den Widerspruch zwischen dem Vorwurf, daß diese Reform eigentlich keine sei, sondern nur ein bißchen Änderung, und der gleichzeitigen Klage, daß man darüber nicht drei Jahre lang im Ausschuß beraten habe. Meine Damen und Herren, dies alles gleichzeitig zu verkünden, muß dazu führen, daß selbst nicht sehr informierten Hörern auffällt, daß hier gleichzeitig Dinge verkündet werden, die draußen jeweils für sich allein sich ganz gefällig ausnehmen, die aber, zusammen nicht auf einen Nenner gebracht werden können.Es ist ja kein Zufall, Herr Kollege Höcherl, daß Sie so widersprüchlich argumentieren. Sie haben ja einmal einen Ausschuß geleitet, der eine zusammenhängende Steuerreform der Opposition schaffen sollte, doch dann nach näherer Ankündigung, daß nächste Woche alles vorgelegt werde, zum guten Schluß überhaupt nichts vorgelegt hat. Ich will nicht untersuchen, warum nicht. Eine gleiche Voranzeige gab es dann bezüglich einer Kommission des Herrn Vogel — ich meine nicht den Herrn Abgeordneten Vogel, sondern Ihres Steins-Sachverständigen, Herrn Vogel, außerhalb dieses Hauses. Diese Kommission hat zu genau dem gleichen Nullergebnis geführt. Seitens der Opposition liegt demnach kein zusammenhängender Reformvorschlag vor.Wir bezeichnen mit Recht die Steuerreform als eine Reform. Herr Kollege von Bockelberg hat heute schon einige Punkte aufgezeigt, die auch nach seiner Meinung eine echte Reform darstellen. Ich darf sie einmal zusammenhängend darstellen.
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6970 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Frau FunckeZunächst einmal ist es zweifelsohne eine Reform, wenn zehn Gesetze gleichzeitig mit einer Verschiebung der Belastungen und Entlastungen untereinander geändert werden. So etwas kann man nicht in einzelnen Teiländerungen machen. Das bedarf vielmehr einer Gesamtanstrengung, zu der zweifellos viel Vorarbeit gehört — ich sehe gerade Herrn Kollege Dr. Möller vor mir —, und das kann dann auch nur in einem Gesamtakt durchgeführt werden, weil der dazu erforderliche Ausgleich eben nur im Gesamtzusammenhang gefunden werden kann. Dieser notwendige Gesamtzusammenhang ist der Grund, weshalb die Opposition immer nur Vorschaltgesetze und Einzeländerungen fordert oder vorlegt, so z. B. das Inflationsentlastungsgesetz, weil man dann nicht gezwungen ist, gleichzeitig einen Gesamtausgleich vorzulegen. Ich komme nachher noch auf die Zahlen aus den Vorschlägen, die die Opposition hierzu vorgelegt hat und die sie draußen mit einigem Gewinn, wie sie hofft, verkauft, ohne zu sagen, daß alles zusammen 22 bis 24 Milliarden DM kostet. Einzelvorschläge braucht man draußen auf dem Marktplatz und in den Wirtschaftsgesprächen ja nicht zu addieren. Da erfährt der Bürger dann nur, was die Opposition gerade ihm freundlicherweise an Vergünstigungen verschaffen will.Der zweite Ansatz der Reform liegt zweifelsohne in den Umstellungen beim Familienlastenausgleich. Statt eines Dualismus zwischen einer Steuerentlastung mit unterschiedlicher Wirkung bei den einzelnen Steuerpflichtigen und einem gleichmäßigen Kindergeld ab zweitem oder drittem Kind soll es nunmehr eine gleichmäßige Zahlung nach der Ordnungszahl der Kinder geben. Das wurde heute schon vorgetragen. Dieses System stellt zwischen den verschiedenen Theorien zu der Frage, wie man eigentlich Familienlastenausgleich über das Kindergeld gestalten soll, eine gute mittlere Lösung dar. Diese Lösung ist nicht nur für alle tragbar, sondern bringt einen erheblichen Vorteil insbesondere für diejenigen, für die eine größere Kinderzahl angesichts ihrer nicht zu großen finanziellen Möglichkeiten eine besondere Belastung mit sich bringt. Hier ist eine echte Reform gegeben, und es ist erfreulich, daß die Opposition in der Sache voll zustimmt.Für den Empfänger des Kindergeldes ist es dabei weniger entscheidend, woher die Zahlung kommt. Ich darf mit aller Deutlichkeit sagen: Wir hätten aus mancherlei Gründen die Verwaltung über die Finanzämter vorgezogen. Die Länder haben uns aber übereinstimmend gesagt, daß sie dies in der verfügbaren Zeit nicht machen könnten, daß sie dazu auch eine höhere Zahl von zusätzlichen Bediensteten brauchen würden, als sie die Arbeitsverwaltung braucht. Wir haben uns daher zu dieser Konzession an den Bundesrat entschlossen, wären allerdings dankbar, wenn dies auch anerkannt und nicht gesagt würde, die Bundestagsmehrheit sei über die Interessen oder die Stellungnahme der anderen Bank einfach hinweggegangen. Wir haben vielmehr in kurzer Zeit die Umstellung vorgenommen; und die Übereinstimmung aller Fraktionen des Hauses zeigt ja, daß das Bemühen, insoweit auf die Schwierigkeiten des Bundesrates einzugehen, allgemein ist.Es ist ein Reformansatz, die Sonderausgaben in einem erheblich höheren Umfang zu berücksichtigen, aber gleichzeitig mit einem gleichmäßigen Prozentsatz. Wir haben dazu im Ausschuß vier Sachverständige gehört, von denen zwei der Meinung waren, das sei verfassungsrechtlich bedenklich, und zwei andere meinten, das sei verfassungskonform. Das scheint ja bei Wissenschaftlern häufiger der Fall zu sein. Wir haben jede Meinung sehr ernsthaft gewogen. Es scheint uns jedoch, daß es durchaus im Rahmen der Gestaltungsmöglichkeiten des Parlaments liegt, zu entscheiden, daß man die Ausgaben für die Daseinsvorsorge als wichtige, lebensnotwendige Ausgaben aus jenem Teil des Einkommens nimmt, der den Grundstock des Einkommens darstellt. Es ist ja entgegen manchen irrtümlichen Auffassungen draußen so, daß jeder Mensch, auch der, der in der Spitzensteuergruppe liegt, seine ersten 32 000 DM als Verheirateter mit 22 % versteuert. Erst was darüber hinausgeht, wird stufenweise höher versteuert. Deswegen ist bei niemandem — auch nicht in der obersten Stufe — der Spitzensteuersatz der Durchschnittssteuersatz. Dieser liegt vielmehr tiefer. Es ist also durchaus zumutbar, lebensnotwendige Ausgaben aus dem Grundstock das Einkommens zu nehmen, und das ist eben jener Teil des Einkommens, der von jedem Steuerpflichtigen mit 22 % versteuert wird. Aus diesem Einkommensteil müßte man dann wohl auch die wichtigsten Ausgaben für die Daseinsvorsorge nehmen. Insofern liegt hier also eine durchaus adäquate Behandlung vor.Wer nun — wenn er den wichtigsten Teilen dieser Reform sonst zustimmt — darüber hinaus den Abzug von der Bemessungsgrundlage, d. h. mit dem höchsten Progressionseffekt, wünscht, der muß sich halt sagen lassen, daß dadurch selbst bei Reduzierung der Höchstgrenzen ein Steuerausfall von weiteren 5 Milliarden DM auf den Staat zukäme. Und er müßte dann wohl auch schon sagen, wie er den Ausfall ausgleichen will. Die Opposition hat diesen Antrag aus dem Ausschuß heute nicht wieder vorgelegt. Vermutlich wird sie auch die anderen Ausschußanträge nicht vorlegen, weil sie selbst festgestellt hat, daß Anträge, die zusätzlich einen Steuerausfall von über 10 Milliarden DM und außerdem etwa 2 bis 3 Milliarden DM zusätzlicher Ausgaben bewirken, in der Bevölkerung wirklich nicht mehr als seriös angesehen werden.Die Steuerreform bringt auch Vereinfachungen für die überlastete Finanzverwaltung. Sicherlich nicht in dem Umfang, die sich mancher wünschen würde, wie denn überhaupt eine Steuerreform in einem gewachsenen System niemals so fundamental sein kann, wie wenn man auf der grünen Wiese etwa ein ganz neues, wissenschaftlich-theoretisches Steuersystem entwickeln könnte. Das könnte in manchen Punkten systematischer sein, in manchen Punkten zweifelsohne auch dem einzelnen gerechter erscheinen, wenngleich die Frage, was gerecht ist, ebenso schwer zu beantworten ist wie die biblische Frage nach der Wahrheit. Nur hier geht es nicht um eine traditionslose Neukonstruktion. Bei einem Steuerumfang von rund 24 bis 25 % des Brutto-Frau Funckesozialprodukts stellen Steuern einen ganz wesentlichen Faktor im Wirtschaftsbereich dar. Ich meine „Wirtschaftsbereich" im weitesten Sinne, d. h. auch von den Konsumenten her gesehen, auch unter dem Gesichtspunkt ihrer Marktposition beim Einkauf und im Hinblick auf die Preisgestaltung in der Wirtschaft. Mit einer wesentlichen Änderung der Belastungen könnten unerwünschte Strukturverschiebungen verbunden sein, weil unter neuen Belastungen bestimmte Wirtschaftszweige nicht mehr rentabel arbeiten könnten. Hier sind jedem Gesetzgeber bestimmte Grenzen gesetzt.Dennoch haben wir Vereinfachungen vorgesehen. Wie Sie ja alle wissen, ist insbesondere durch den Einbau der normalen Sonderausgaben in die Steuertabelle bei den Lohnsteuerpflichtigen der Gang zum Finanzamt zwecks Eintragung höherer Sonderausgaben nicht mehr erforderlich. Wir haben auch in manchen anderen Bereichen eine Vereinfachung erreicht, nicht zuletzt etwa bei der Tarifgestaltung, auf die ich noch zu sprechen komme.Hier gibt es also wenigstens für die nächsten Jahre eine gewisse Entlastung. Wir hoffen sehr, daß es bis zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt den Ländern gelingt, ihre elektronischen Verfahren so weit voranzutreiben, daß auf die Dauer ein vereinfachtes Veranlagungssystem für alle möglich ist. Dann läßt sich zweifelsohne einiges andere verbessern, auch im Sinne der Gerechtigkeit, was heute mangels ausreichender technischer Voraussetzungen noch nicht verwirklicht werden kann.Wir haben einen weiteren Reformansatz in der Vorlage der Körperschaftsteuer, die wir heute noch nicht beraten können, die aber noch in dieser Legislaturperiode zur Verabschiedung ansteht. Hier soll die Doppelbesteuerung der Aktienerträge durch ein Anrechnungsverfahren so geändert werden, daß die Belastung auf das Niveau des persönlichen Steuersatzes herabgeschleust wird, so daß der Kleinaktionär rentabilitätsmäßig besser dasteht als zur Zeit.Echte strukturelle Veränderungen sind zudem dadurch gegeben, daß mit der Anhebung der Einheitswerte — wir wollen nicht vergessen, daß die bereits verabschiedeten Gesetze zum Gesamtwerk der Reform gehören — gleichzeitig mehr als eine Verdreifachung der Freibeträge erfolgt ist, so daß ein sehr erheblicher Teil der Steuerpflichtigen aus der Vermögensteuer und auch aus der Erbschaftsteuer herausfällt. Das entlastet sowohl die Steuerpflichtigen persönlich als auch die Verwaltung. Hier ergibt sich gleichzeitig ein Beitrag, so meine ich, zur Verbesserung der Alterssicherung derjenigen, die im Alter nicht von Renten oder Pensionen, sondern vom Vermögen leben und deswegen eine Entlastung von der Vermögensteuer dringend brauchen.Daß der Tarif nicht unserer besondere Zustimmung findet, ist bekannt. Alle Fraktionen dieses Hauses haben sich bekanntlich dahin ausgesprochen, daß sie lieber einen durchgehenden Tarif haben möchten. Aber alle Fraktionen dieses Hauses haben sich auch vom Bundesrat sagen lassen müssen, daß ein solcher durchgehender Tarif zur Zeit noch zu erheblicher Mehrarbeit in den Finanzverwaltungen führt, so daß uns der Bundesrat einstimmig gebeten hat, vorläufig von einem durchgehenden Tarif abzusehen, der etwa bei 15, 16 anfinge und dann gleichmäßig hochzöge, um den Sprung beim Übergang von der proportionalen zur progressiven Zone zu vermeiden. Es ist also ein durchgehender Tarif zur Zeit noch nicht machbar, und so sind wir auch in diesem Falle — das mit Blick auf die Bundesratsbank — ebenfalls den Wünschen des Bundesrates gefolgt, wobei wir alle miteinander hoffen, daß in absehbarer Zeit durch fortschreitende Automation in der Finanzverwaltung ein durchgängiger Tarif möglich sein wird.Außerdem sind in dem Gesetz erhebliche Verbesserungen an Stellen erfolgt, die soziale Tatbestände erfassen, z. B. in den Freibeträgen für alte Menschen. So wird derjenige, der nicht als Rentner einen erheblichen Teil seiner Rentenbezüge völlig steuerfrei hat, als alleinstehender Beamter monatlich über 1000 DM steuerfrei haben, ein verheirateter über 1500 DM und jemand, der vom Vermögen, von Sparbeträgen oder ähnlichem lebt, bleibt als Verheirateter mit rd. 1100 DM im Monat steuerfrei, und versteuert erst die darüber hinausgehenden Beträge mit 22 °/o. Außerdem haben wir Verbesserungen bei Pflegefällen für Altersheimbewohner und bei Alleinstehenden mit Kindern vorgesehen, so daß von dieser Seite gerade der Wunsch, soziale Tatbestände zu berücksichtigen, erfüllt ist.Andererseits haben wir rückgängig gemacht, was zunächst einmal in der Regierungsvorlage stand: die Streichung der Abzugsfähigkeit bei den Bewirtungsspesen und Geschenken. Wir wissen sehr wohl, daß Mißstände vorgekommen sind, und haben uns darüber auch im Ausschuß von Sachverständigen aus der Betriebsprüfung einiges sagen lassen. Es wäre aber sicherlich zu weit gegriffen, wollte man Mißstände nun mit der völligen Streichung beantworten, und so sind wir übereingekommen, daß die Berücksichtigung als Betriebsausgaben erhalten bleibt, allerdings bei einem schärferen Nachweis der betrieblich veranlaßten Bewirtungsspesen. Wenn wir hier das Angebot von der Dehoga haben, für eine ehrlichere Handhabung des Nachweises zu sorgen, dann nehmen wir das ernst, müssen aber betonen, daß eine Wiedereinsetzung der Abzugsfähigkeit dies zur Voraussetzung hat. Denn es liegt uns um der Gerechtigkeit willen daran, daß die Bewirtungsspesen auf das Maß reduziert werden, in dem sie tatsächlich wirtschaftlich bedingt und wirtschaftlich zu rechtfertigen sind.Eine Forderung der Steuerreform war zweifelsohne die Gleichzeitigkeit, meine Herren und Damen. Darüber haben wir schon verschiedentlich in diesem Hause gesprochen. Natürlich wäre es gut, alle zehn Gesetze gleichzeitig in Kraft zu setzen, aber gerade die Klage der Opposition — auf die ich noch zu sprechen komme —, daß die Beratung manchmal nicht genügend Zeit gelassen habe — ich sage das im Konjunktiv —, verbietet die Vorstellung, daß alles dann gleichzeitig und zeitgerecht gemacht werden könnte. Das werden alle späteren Reformer auf diesem Gebiet beachten müssen. Wir haben aber sichergestellt, daß die angestrebte Gleichzeitigkeit
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6972 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Frau Funckein der Sache auch dann gewährleistet bleibt, wenn wir die Gesetze in Etappen in Kraft setzen. Denn es wird zu keinem Zeitpunkt ein Mehraufkommen in der Staatskasse erfolgen, von dem es immer zweifelhaft wäre, ob es wieder abgebaut wird. Das ist durch die Herabsetzung des Steuersatzes bei der Vermögensteuer für das Jahr des Übergangs erreicht worden und das wird bezüglich der Körperschaftsteuer dadurch sichergestellt, daß bis zur Reform der Körperschaftsteuer die Ergänzungsabgabe allein für die Körperschaftsteuer erhalten bleibt, um den erhöhten Spitzensteuersatz in der Einkommensteuer auszugleichen.Meine Herren und Damen von der Opposition, von Ihrer Seite haben wir, wie ich eingangs schon sagte, eine Fülle von widersprüchlichen Dingen gehört, aber keine Alternative zur Gesamtreform. Wir haben vorliegen — und Sie haben es in Ihrem Abänderungsantrag noch einmal vorgetragen — Ihr Inflationsentlastungsgesetz, das 10 Milliarden DM Erleichterungen für die Steuerpflichtigen im Einkommen- und Lohnsteuerbereich bringen soll. Aber diese 10 Milliarden DM Entlastung und damit Minderung der Staatseinnahmen enthalten noch nicht die Verbesserung des Kindergeldes — das müßte noch hinzugerechnet werden, und zwar mit fünf Milliarden DM; Sie stimmen dem zu —, sie enthalten noch nicht die Verbesserungen bei den verschiedenen Sondertatbeständen der außergewöhnlichen Belastungen, die wir eingeführt oder verbessert haben, und denen Sie zustimmen, und sie enthalten noch nicht Ihre zusätzlichen Anträge, die Sie im Finanzausschuß gestellt haben, etwa im Zusammenhang mit der Ausbildung oder die Förderung der Altenheimbewohner, und sie enthalten auch nicht den Wegfall der Ergänzungsabgabe, den Sie aber doch auch wollen.Wenn wir alle Ihre Anträge aus dem Ausschuß zusammenrechnen, ergibt das, wie ich schon erwähnte, 10 Milliarden DM mehr. 12 Milliarden DM kostet bereits die von der Koalition vorgesehene Steuerreform. Dazu kommt noch ein von Ihrer Seite beantragtes Mehr beim Kindergeld — mindestens ab dem vierten Kind —, und es kommt das hinzu, was Sie als „Erziehungsgeld" einführen wollen und was im Anfangsstadium 1,5 bis 1,7 Milliarden DM kostet.Das sind 24 Milliarden DM Ausfall oder Mehrausgaben. Damit stellt sich doch die Frage: Was soll das? Was wollen Sie mit diesen unrealistischen Forderungen eigentlich erreichen? Und wie läßt sich das mit weitergehenden Forderungen auf Mehrausgaben in anderen Bereichen, die Sie ebenfalls stellen, vereinbaren? In den Haushaltsberatungen haben wir nicht einen einzigen Streichungsantrag von Ihnen gehört. Wir haben aber sehr wohl gehört, daß Ihre Sprecher zu jedem Etat gesagt haben, daß nicht genug geschieht. Auch heute wurden in der Fragestunde wieder Fragen gestellt, die ebenfalls, würden sie realisiert, nicht unerhebliche Mehrausgaben für die öffentliche Hand mit sich brächten.Nun sagen Sie: Man muß eben Prioritäten setzen! — Das ist sehr schön. Nur müßte man dann irgendwann einmal von Ihnen erfahren, was denn hinter die Prioritäten gerückt werden soll, d. h. wo man eigentlich zurückstecken will, wenn man andere Dinge in den Vordergrund rückt.
— Sie sagen, das macht die Regierung. Das ist immer sehr schön; damit kann man draußen enorm viel Eindruck erwecken,
aber damit kann man keine Politik machen. Wenn Sie einmal dahin kämen, die Regierungsverantwortung mittragen zu müssen, würden Sie erleben, daß Sie dann wahrscheinlich wieder Herrn Strauß brauchten, der schon einmal mit Haushaltssicherungsgesetzen die überhöhten Geschenke und Versprechungen, die Sie hier freigiebig unter die Leute gestreut haben, wieder eingesammelt hat.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Kreile?
Gnädige Frau, nachdem Sie eben das Haushaltssicherungsgesetz geradezu für den Auswurf der Hölle gehalten haben, frage ich: Sind Sie ganz sicher, daß diese Bundesregierung, wenn sie so bleibt, wie sie jetzt ist, nicht im nächsten Jahr ein Haushaltssicherungsgesetz wird verabschieden müssen oder etwas ähnliches, was dann lediglich anders genannt wird? Sind Sie da wirklich so sicher?
Wenn wir Ihre Anträge annähmen, müßten wir das allerdings tun.
Und nun kommt noch etwas ganz Interessantes. Nach dem Dessert bekommen wir nun noch eine Suppe serviert.
Ich meine das Steueränderungsgesetz, das die Ländermehrheit der CDU/CSU uns nun als eine völlig andere Alternative auf den Tisch gelegt hat. Sie, meine Herren und Damen von der Opposition, müssen uns nun einmal den Widerspruch aufklären, wie die Steuerpflichtigen und wie wir es verstehen sollen, daß Sie auf der einen Seite dem Kindergeldgesetz zustimmen und damit der Abschaffung der Steuerfreibeträge Ihre eigenen Leute auf der Bundesratsbank aber höhere Steuerfreibeträge fordern. Sie müssen uns schon einmal erklären, was Sie eigentlich wollen: den Länderentwurf oder Ihr Inflationsentlastungsgesetz, das Sie heute noch einmal unterstrichen haben? Wollen Sie einen Grundfreibetrag von 3 000 DM? Die Kollegen von der Bundesratsbank verlangen demgegenüber einen Grundfreibetrag von 2 400 DM. Beides gleichzeitig geht ja wohl nicht. Darum sagte ich schon am Anfang: es ist einigermaßen verwirrend, was Sie vortragen. Wir hatten eigentlich gehofft, daß wir
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 6973
Frau Funckeheute morgen erfahren würden, wie denn diese verschiedenen Dinge bei Ihnen selbst, in Ihrer eigenen Partei oder Fraktion, auf einen Nenner gebracht werden können, oder ob es so geht, daß Sie sagen: Was geht uns der Bundesrat an, während der Bundesrat umgekehrt sagt: Was gehen uns die CDU- Beschlüsse an. Das kann natürlich sein. Nur meinen wir: Dies ist wenig hilfreich für die Selbstdarstellung und etwas verwirrend für die Bevölkerung draußen.Aber lassen Sie mich jetzt ein Wort sagen zu dem Hinweis, der gelegentlich von Ihrer Seite gekommen ist. Als Sie das Inflationsentlastungsgesetz als Vorschalt- oder Einzeländerung brachten, haben Sie gesagt: Das ist jetzt erst einmal notwendig. Eine Steuerreform kann man aber nur dann machen, wenn man eine große Verfügungssumme hat. Da habe ich mir immer überlegt, zu welchem Zeitpunkt Sie glauben, daß ein Staat soviel übrig hat, daß er auf etwa 20 Milliarden DM verzichten kann, um eine sehr schöne und sicherlich sehr attraktive Steuerreform zu machen. Ich fürchte, das war wahrscheinlich der Grund, warum die Steuerreform seit 1953 von jedem Finanzminister zwar angekündigt, aber von keinem bisher durchgeführt worden ist. Denn wenn man meint, man brauche dazu eine riesige überschüssige Finanzkraft des Bundes, der Länder und der Gemeinden, dann wird man vermutlich nie zu einer Reform kommen, und damit wäre die Reform in Ihrem Sinne auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben, es sei denn — und mir scheint beinahe, daß das in Ihren Reihen wohl im Hintergrund beabsichtigt ist —, Sie wollen auf den Tag warten, an dem wir die Umsatzsteuer erhöhen müssen, um sie auf eine gemeinsame europäische Basis zu heben. Wir haben dann für jeden Punkt rund 5 Milliarden DM mehr, und das war wohl die Vorstellung der Steuerreformkommission, die ein Loch von rund 20 Milliarden DM ungedeckt ließ. Dann kann man natürlich eine schöne Steuerreform machen, die jeden freut. Theoretisch!Nur, meine Damen und Herren, vergessen Sie bitte nicht, daß das Mehr, das aus der Umsatzsteuer hervorgehen würde, zumindest in einer Höhe von zwei oder mehr Punkten gebraucht werden wird, um — das ist ja wohl auch in Ihrem Sinne — die Gewerbesteuer auf ein international vertretbares Maß herunterzubringen. Denn sie muß natürlich auch harmonisiert werden. Dann sind schon zwei, drei Punkte verbraucht. Und dann brauchten Sie mindestens ein bis zwei Punkte, um die sozialen Folgen aus einer erheblichen Preissteigerung abzufangen und die dadurch erhöhten öffentlichen Ausgaben zu finanzieren. Ob dann für eine gewaltige Steuer-. reform, wie sie Ihnen offenbar vorschwebt, noch Mittel übrigbleiben, erscheint mir sehr fraglich. Deswegen ist diese Hoffnung — so meine ich — wohl zu hoch gesteckt.Aber nun lassen Sie mich jetzt sehr im Ernst etwas über die Vorwürfe sagen, die sowohl von dem Berichterstatter heute morgen als auch von Herrn Höcherl bezüglich der Beratung angeführt worden sind. Im Sommer — präzis: im Juni 1971; das ist jetzt drei Jahre her — hat die Bundesregierung die Eckwerte beschlossen.
Das sind Eckwerte, die keineswegs überholt sind, sondern die in ihrem Grundbestand jetzt genau das sind, was wir heute beraten. Die Gesetzentwürfe sind dann ausgearbeitet worden, und ab Herbst 1971 sind bereits die Referentenentwürfe herausgegeben worden, und zwar auch den Fraktionen dieses Hauses.
Frau Kollegin, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen?
Frau Funcke: : Ja.
Frau Kollegin, sind Sie sicher, daß die Referentenentwürfe auch der Opposition zugeleitet worden sind?
Ja. Denn diese Regierung hat, wenn ich das richtig sehe — das müßten die Herren dort drüben sagen können —, gleich zu Beginn des Jahres 1970/71 zugesagt, daß alle Referentenentwürfe zwar nicht jedem einzelnen Abgeordneten, aber doch den Fraktionen rechtzeitig in ein oder zwei Exemplaren zugeleitet werden. Sie können doch nicht sagen, Herr von Bockelberg, daß Sie bis zu dem Augenblick, in dem wir hier die erste Lesung durchgeführt haben, über die Eckwerte im unklaren geblieben sind.
Sie erlauben eine weitere Zwischenfrage?
Selbstverständlich, gnädige Frau, haben wir die Eckwerte gekannt. Aber ich hatte die Frage gestellt, ob die Bundesregierung der Opposition die Gesetzentwürfe zur Verfügung gestellt hat.
Ja, das wird sicherlich aus den Fraktionen heraus beantwortet werden können. Alle Fraktionen haben sie bekommen, so daß also ein Einblick möglich war.Wir haben dann im Februar 1973 mit der Beratung des Grundsteuergesetzes begonnen. Bis zum November 1973 folgte dann die Beratung und Verabschiedung der anderen einheitswertabhängigen Steuern, einschließlich der Beratung der Änderung bei der Gewerbesteuer. Seit Januar bis jetzt haben wir dann über die Reform des Kindergeldes und der Einkommensteuer in Form der Strukturreformvorlage beraten. Meine Herren und Damen, das sind fünf Monate, in denen wir 91 Stunden auf die Beratung verwandt haben.
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6974 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Frau FunckeWir haben ein 3tägiges Hearing durchgeführt, an dem 80 Sachverständige teilgenommen haben. Wir haben auf Antrag der Opposition außerdem vier Sonderanhörungen gehabt: einmal mit Vertretern der Ländern und der Arbeitsverwaltung zum Familienlastenausgleich
— darf ich das fortsetzen —; dann mit Sachverständigen aus dem Bereich der Banken und Versicherungen zu den Prämiengesetzen; mit Wissenschaftlern über die verfassungsrechtlichen Bedenken, hinsichtlich der Strukturänderung bei den Sonderausgaben und dem Kindergeld und schließlich mit Betriebsprüfern zu Fragen des Mißbrauchs bei Spesen und Geschenken.
Bitte, Herr Kollege, die Frau Kollegin gestattet Ihnen eine Zwischenfrage.
Frau Funcke: : Bitte schön!
Frau Vizepräsidentin, da Sie so zutreffend ausgerechnet haben, daß der Finanzausschuß für die Beratung der Steuerreform 91 Stunden aufgewandt hat, möchte ich Sie fragen: Sind Sie auch in der Lage, auszurechnen, wie viele Paragraphen diese Steuerreform umfaßt, wie viele Paragraphen auf mehreren Arten vom Umdrucken immer wieder geändert worden sind, Wieviel Gramm oder Kilogramm Papier in diesen 91 Stunden überhaupt gelesen werden mußten,
und sind Sie dann der Auffassung, daß für jeden einzelnen Paragraphen ausreichend Zeit zur Verfügung stand?
Herr Kollege, Sie haben das Instrument der Zwischenfrage erheblich strapaziert.
Und ich kann ihm trotzdem keine Antwort geben; denn ich habe weder gewogen noch gezählt.
Nur, meine Herren und Damen — da bringen Sie mich gerade auf das Stichwort — wir haben all das, was an Strukturänderungen vorgesehen war, in den alten Paragraphen gelesen, so daß uns eine Umstellung in der Paragraphenfolge in einer völlig neuen Struktur erspart geblieben ist. Von daher gesehen war die Arbeit erleichtert. Und schließlich sollte man ja nicht nur in den 91 Stunden Ausschußsitzung lesen, sondern — ähnlich wie Schulkinder — auch einmal zu Hause arbeiten.
In diesem Zusammenhang muß ich erwähnen, daß wir auf Ihren ausdrücklichen Wunsch hin, meine Herren und Damen von der Opposition, die gesamte Osterpause für Sondersitzungen nicht in Anspruch
genommen haben, so daß also auch hier eine Vorbereitung des einzelnen möglich war, wenn auch nicht in totaler Tagesarbeit von Karfreitag bis Ostern, so doch immerhin in drei Wochen Osterpause.
Ich glaube kaum, meine Herren und Damen, daß ein Gesetz in anderen Ausschüssen — in erster wie in zweiter Lesung — so intensiv diskutiert und durchgearbeitet wird. Daß wir dann in der dritten Lesung im Ausschuß hintereinander abgestimmt haben, entspricht der Übung dieses Hauses. Dies als Fallbeil-Demokratie zu bezeichnen, wie es gelegentlich geschieht, scheint mir, gemessen an der Übung in anderen Ausschüssen, etwas unangemessen zu sein.
Doch ich möchte hier, auch für die Öffentlichkeit draußen, mit einem positiven Wort enden. Dieser Ausschuß hat in der Tat ein besonderes Maß an Arbeit hinter sich gebracht, auch und gerade außerhalb der Sitzungszeit. Denn abgesehen von der freien Osterpause haben wir die übrigen freien Wochen, die an sich für die Arbeit im Wahlkreis vorgesehen sind, in Anspruch genommen.
Ich möchte allen Kollegen dieses Hauses ausdrücklich dafür danken, daß es in Absprache nach manchem Hin und Her doch immer wieder möglich war, einen gemeinsamen Weg zu finden, um einerseits dem Zeitdruck, der nicht allein von uns kam,
sondern der dadurch bedingt war, daß die Verwaltung hinreichend Zeit zur Einführung haben muß, und andererseits dem Wunsch nach so viel Sorgfalt wie nur irgend möglich Rechnung zu tragen.
Die Fraktion der FDP stimmt diesem Reformwerk zu. Wir sehen darin bei aller Unvollkommenheit, die alle Gesetzeswerke in einer bestehenden Struktur enthalten, einen Weg zu einer erheblichen Steuerentlastung bei den unteren und mittleren Einkommen, wie sie von allen Fraktionen dieses Hauses gewünscht wird, zu einer Strukturveränderung im Bereich des Familienlastenausgleichs, zu mehr Gerechtigkeit und auch zu mehr Einfachheit, und das heißt, zu einer Entlastung in der Finanzverwaltung.
Wir halten die Belastungen, die verbleiben, für tragbar und glauben, daß sie im Rahmen dessen. liegen, was von diesem Staat an Entlastungen überhaupt nur geleistet werden kann. Wir werden in den Beratungen mit den Ländern noch feststellen, wie schwierig es sein wird, daß Länder und Bund unter möglichster Schonung der Gemeinden, diesen ungeheuren Ausfall tragen können. Diesen Gesichtspunkt muß auch die Öffentlichkeit anerkennen.
Herr Präsident, darf ich jetzt außerhalb meiner Eigenschaft als Fraktionssprecher noch ein Wort als Ausschußvorsitzende anschließen? Ich bitte um Ihre Genehmigung.
Bitte, Frau Kollegin!Frau Funcke: : Als Ausschußvorsitzende möchte ich an dieser Stelle — ich glaube, das darf
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 6975
Frau Funckeich im Namen aller Kollegen tun — all denen sehr herzlich danken, die uns auf diesem mühsamen Weg begleitet haben. Das sind innerhalb der Finanzverwaltung zunächst einmal die Herren Dr. Koch und Dr. Uelner und alle ihre Mitarbeiter, die zu jedem Tag und zu jeder Stunde, ob früh, abends, an Weiberfastnacht oder wann immer, zur Verfügung gestanden haben.
Das gilt auch für die Herren Wagner und Handschuh und ihre Mitarbeiter aus der Bundestagsverwaltung.
Es war eine ungeheure Arbeit, die zu bewältigen war; die Fülle an Berechnungen, Formulierungshilfen und Informationen seitens des Ministeriums und andererseits die Protokolle, die uns immer möglichst genau, möglichst ausführlich und möglichst zeitgerecht zur Verfügung gestellt worden sind. Ich möchte aber an dieser Stelle auch dem Parlamentarischen Staatssekretär Porzner danken,
der uns so unermüdlich begleitet hat, so sehr, daß, als Sie, Herr Porzner, uns einmal für Stunden verlassen hatten, weil gerade ein Wechsel in der Führung Ihres Hauses vollzogen war, die Opposition sofort mit allen parlamentarischen Mitteln dafür gesorgt hat, daß Sie wiederkamen.
Für alle Hilfe darf ich an dieser Stelle herzlich danke sagen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Offergeld. — Entschuldigen Sie, mir war hier von den Fraktionsgeschäftsführern mitgeteilt worden, es sei eine Änderungsvereinbarung getroffen worden, daß nach Frau Kollegin Funcke Herr Kollege Offergeld und dann der Kollege Häfele sprechen sollte. Ist es so, daß die Fraktionen inzwischen umdisponiert haben? — Meine Herren, zieren Sie sich nicht, einer von Ihnen muß nach oben, die Debatte muß weitergehen!
Das Wort hat der Abgeordnete Häfele.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Offergeld, ich bedanke mich, daß Sie der Union hier den Vortritt gelassen haben.
Meine Damen und Herren, das drängendste Anliegen auf dem Felde der Steuerpolitik ist heute in Deutschland wie in anderen Ländern auch der Abbau der heimlichen, inflationsbedingten und progressionsbedingten Einkommen- und Lohnsteuererhöhungen. Inzwischen ist die wirtschaftliche Fehlentwicklung bei uns in der Bundesrepublik so weit gediehen, daß weitere Steuererhöhungen — offene oder heimliche — die Lage nur noch verschlimmern würden. Wir sind vor allem in einer Kosteninflation, und Steuern sind auch Kosten. Deswegen ist es dieAufgabe einer Regierung, eines Staates, wenigstens den Versuch zu machen, auszubrechen aus diesem Teufelskreis der Preis-Lohn-Steuer-Preis-Spirale. Der Staat kann bei den Steuern anfangen; hier hat er die unmittelbare Verantwortung.
Seit 31. Juli 1973, seit dem Sommer letzten Jahres, hat die Fraktion der CDU/CSU wiederholt den Abbau von heimlichen Lohnsteuererhöhungen beantragt. Spätestens Anfang dieses Jahres hat die Bundesregierung eine Chance zu mehr Stabilität verpaßt, indem sie auf unsere Anträge nicht eingegangen ist.
Es geht jetzt darum, im Jahre 1974, daß nicht ein weiteres Mal eine Chance für mehr Stabilität versäumt wird.
Ich darf in diesem Zusammenhang einiges klarstellen. Wenn heute morgen von Herrn Kollegen Rapp der Versuch gemacht wurde, Äußerungen des Kollegen Strauß oder unseres Fraktionsvorsitzenden, Herrn Carstens, vom März dieses Jahres so zu mißdeuten, daß sie nicht mehr an unserer Inflations-entlastungsinitiative festhalten wollten, so ist das eindeutig so zu verstehen gewesen, daß natürlich angesichts des Ergebnisses der Tarifrunden vom Januar /Februar dieses Jahres eine Rückwirkung beim besten Willen nicht in Betracht kommt. Nein, um die Vergangenheit geht es leider nicht mehr; die ist von Ihnen mit dem bekannten Ergebnis verpaßt worden. Jetzt geht es um die Zukunft.Deswegen stellen wir heute den Antrag, daß wenigstens ab 1. Juli dieses Jahres der Grundfreibetrag von 1 680 DM auf 3 000 DM und der Arbeitnehmerfreibetrag von 240 DM auf 480 DM angehoben wird. Ab 1. Januar 1974 — also ausnahmsweise rückwirkend — soll der Werbungskostenpauschbetrag für Sparer verdreifacht werden auf 450 DM für Ledige und 900 DM für Verheiratete; denn hier ist eine Rückwirkung technisch ohne weiteres möglich.Nun eine Bitte an die Damen und Herren der SPD. Verkünden Sie draußen doch bitte nicht weiterhin, daß dieser Antrag in erster Linie den sogenannten Höherverdienenden zugute kommt.
Wie ist die Wirklichkeit? Der Grundfreibetrag ist, nun einmal der einzige Freibetrag in unserem Steuerrecht, der sich für alle gleich und damit eben nicht in der Progression auswirkt, mit der Folge, daß gerade die unteren und mittleren Einkommens- und Lohnbezieher besonders entlastet werden.Beweis: Die Progression steigt an zwischen einem Jahreseinkommen von 8 000 bis 30 000 DM um 22 Punkte; zwischen einem Jahreseinkommen von 30 000 DM bis zur Spitze — 110 000 DM --- aber nur um 12 Punkte. Es ist also einwandfrei, daß gerade die unteren und mittleren Einkommen besonders entlastet werden.Ich kann das auch mit neuesten Zahlen beweisen. Wenn wir einen Vergleich machen zwischen der
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6976 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Dr. HäfeleEntlastungswirkung nach Ihren Anträgen, nach dem sogenannten Dritten Steuerreformgesetz, und der Entlastungswirkung unseres Inflationsentlastungsgesetzes plus Neuregelung des Kindergeldes, der wir ja zustimmen, ergibt sich folgendes. Sie entlasten einen Arbeitnehmer mit zwei Kindern und einem Bruttoarbeitslohn von 18 000 DM um 1 155 DM, wir um 1 258 DM, also um 103 DM mehr. — Bei einem Bruttoarbeitslohn von 24 000 DM entlasten Sie einen Arbeitnehmer mit zwei Kindern um 1 379 DM, wir um 1 522 DM. Wir entlasten um plus 143 DM. — Die dritte Gruppe: Arbeitnehmer mit zwei Kindern, Bruttoarbeitslohn 30 000 DM. Sie entlasten um 1 399 DM, wir um 1 400 DM; plus 1 DM. —
Schließlich die Gruppe mit 36 000 DM: Sie entlasten um 1 349 DM, wir um 1 109 DM; als minus 240 DM. Das ist die Gruppe der mittleren und dann höher Verdienenden, für die bei uns die Entlastung geringer ist. Das ist für uns hinnehmbar bei einer Sofortentlastung, aber natürlich nicht bei einer eigentlichen Steuerreform. Wir haben also die herzliche Bitte, daß Sie nicht draußen im Lande verkünden, wir würden die Höherverdienenden stärker entlasten. Es ist nachweisbar genau umgekehrt.
Meine Damen und Herren, es ist angesichts der Entwicklung nicht länger hinnehmbar, daß für zusätzliches — das ist das Entscheidende —, inflationäres Scheineinkommen Steuern gezahlt werden, und zwar nach unserem progressiven System anteilmäßig sogar mehr als vorher. Nun will die Koalition das auch. Da stimmen wir im Ziel überein. Sie sagen aber: Das machen wir im Rahmen der Steuerreform erst vom 1. Januar nächsten Jahres an. Meine Damen und Herren, die Fraktion der CDU/CSU ist der Meinung, daß das zu spät ist, um die wichtigen Tarifrunden im Herbst dieses Jahres noch entscheidend beeinflussen zu können, und das wollen Sie ja auch.
Die Bundesregierung hat hier inzwischen völlig die Argumentation übernommen, die vorzubringen wir im Laufe des letzten Jahres nicht müde wurden, und an uns hat man damals keinen guten Faden gelassen. Am 26. Mai dieses Jahres hat etwa der neue Finanzminister, Herr Apel, im Süddeutschen Rundfunk gesagt, das Ziel der Steuerreform sei vor allem auch, einen mildernden Einfluß auf die Tarifrunden auszuüben. Wörtlich sagte Herr Apel: „Deswegen hoffe ich, daß das mit einbezogen wird in die Tarifabschlüsse; denn sonst könnte die Steuerreform eine Operation sein, die sich nicht gelohnt hat." Meine Damen und Herren, genau das war unsere Argumentation. Sie machen es jetzt aber zu spät, um dieses Jahr 1974 noch günstig beeinflussen zu können.
Die Steuerlastquote — wir wissen zwar, daß die Steuerlastquote allein nicht immer aussagekräftig ist; man muß alle Belastungen miteinander vergleichen — ist in den letzten Jahren in der Bundesrepublik bedenklich gestiegen. 1970 hatten wir noch eine Steuerlastquote von 22,5 %. Zugegeben, durch Sondereinflüsse bedingt — Gemeindefinanzreform —, war sie besonders niedrig in diesem Jahr. 1973 ist sie schon angestiegen auf 24,5 %, und im Jahre 1974, in diesem Jahr, wird sie voraussichtlich die Rekordmarke von 25 % übersteigen. Der Hauptgrund hierfür ist das rasante Ansteigen der Lohnsteuerquote. Man muß heute grob gerechnet von folgender Rechnung ausgehen: Jedes Prozent Lohnzuwachs bedeutet eine Verdoppelung des Lohnsteuerzuwachses. Das Ifo-Institut hat kürzlich errechnet, daß der durchschnittliche deutsche Arbeitnehmer 1970 von jeder zusätzlich verdienten Mark — das ist das Interessante, Herr Rapp, um das es bei der ganzen Diskussion geht; das zusätzlich Verdiente interessiert die Leute: Was bleibt mir davon, wenn ich 100 oder 200 DM mehr kriege?; das ist das Entscheidende in der inflationären Entwicklung und auch vom Leistungsdenken her — das Ifo-Institut hat errechnet, daß der durchschnittliche deutsche Arbeitnehmer 1970 von jeder verdienten Mark 70 Pf auf die Hand bekam. Im Jahre 1973 waren es nur noch 57 Pf, die ihm auf der Hand blieben, und in diesem Jahr, 1974, werden es voraussichtlich nur noch 53 Pf sein.Meine Damen und Herren, uns kann einfach niemand klarmachen, daß das nicht ohne Einfluß auf den Leistungswillen draußen wäre.
Wir sind an einem Punkt angelangt, wo Abwehrreaktionen gegen diese steuerliche Entwicklung unvermeidbar sind, wie Professor Neumark kürzlich zu Recht festgestellt hat, Abwehrreaktionen in Form von Steuerhinterziehung, Abwehrreaktionen in Form von Nachlassen der Arbeitsintensität und Abwehrreaktionen in Form von Nachlassen der Sparneigung.Meine Damen und Herren, solange die Inflation in diesem Maße leider weitergeht, wie wir es in diesen Jahren erleben, ist das Problem bei den Steuern natürlich nicht mit einer Sofortentlastung auf Anhieb zu lösen. Das wissen wir auch. Aus diesem Grunde haben wir in unseren Antrag den zusätzlichen Antrag hineingebracht, daß alljährlich wenigstens ein Tarifbericht zu erstatten ist, um aus heimlichen Steuererhöhungen redlicherweise offene zu machen oder das Steuerrecht anzupassen.Nun, meine Damen und Herren, sind wir in diesem Ziel an sich einig, mit Ausnahme des Zeitpunktes. Ihre Gegenargumente gegen die Entlastung in diesem Jahr sind, grob gesagt, etwa folgende. Sie sagen: wir haben im Jahre 1974 kein Geld. 1975 aber wollen Sie die Steuerzahler um 10 bis 12 Milliarden DM entlasten. Da gilt das Argument, daß Sie kein Geld hätten, nicht. Da haben wir mit Sicherheit noch weniger Geld als im Jahre 1974.Wir dürfen dieses Problem nicht bloß einseitig fiskalisch, sondern müssen es auch gesamtwirtschaftlich sehen. Gerade die Fehlentwicklung am Beginn dieses Jahres zeigt, daß Sie, wenn Sie damals rechtzeitig einen Teilabbau der heimlichen Steuererhö-
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Dr. Häfelehungen vorgenommen hätten, womöglich die Chance nicht verpaßt hätten, die Gehaltserhöhungen im öffentlichen Bereich, was Ihr Bundeskanzler Brandt damals wollte, unter 10 % zu halten. Dann hätten Sie die gesamtwirtschaftliche Wirkung gesehen und hätten die öffentlichen Haushalte nicht mit Lohn- und Gehaltserhöhungen in diesem Außmaß belastet.
Das ist also eine verengte Betrachtungsweise.Nun hat die Bundesregierung in ihrer Regierungserklärung — zu Recht, wie wir meinen — das Wort „sparen" verwendet. Jedoch sagt Bundeskanzler Helmut Schmidt: Sparen, aber erst ab 1975, nicht schon 1974! Das erinnert an die Volksweisheit: „Morgen, morgen, nur nicht heute, sagen alle faulen Leute." Man könnte auch Churchill zitieren, der einmal gesagt haben soll: „Rede als Politiker immer vom Sparen, sage aber ja nie, wo."
Es ist übrigens ein verlockender Gedanke,
sich einmal vorzustellen, was für eine Regierungserklärung Churchill in dieser Situation abgegeben hätte. Er hätte mit Sicherheit vom Sparen nicht bloß gesprochen.
Es kommt noch hinzu, daß die Steuerschätzungen — der Monat April gibt hierfür schon die ersten Hinweise — voraussichtlich nicht bloß nicht zutreffend sind, sondern daß wir im Laufe des Jahres — zumindest bei der Lohnsteuer, nicht bei anderen Steuern — wieder eine ähnliche Entwicklung erleben werden wie in den letzten Jahren. Allein im April ist das Lohnsteueraufkommen gegenüber dem Vorjahr schon wieder um 13,5 % gestiegen, obwohl sich, wie Sie wissen, gerade in diesem Jahr der Lohnsteuerjahresausgleich besonders auf die ersten Monate konzentriert und obwohl sich, wie Sie wissen, die neuen Lohn- und Gehaltserhöhungen in den ersten Monaten noch gar nicht richtig ausgewirkt haben.Wir wollen — um die Frage, wie wir 1974 sparen wollen, klar zu beantworten — erreichen, daß nicht wieder das gleiche passiert wie am Ende des letzten Jahres, daß nämlich der Bundesfinanzminister im Dezember 4,5 Milliarden DM aus dem Zylinder zaubert und plötzlich noch ausgibt, weil er sie übrig hat. Wir wollen, daß diese 4,5 Milliarden DM wenigstens zur Hälfte — 2 Milliarden DM wird es beim Bund ausmachen — in der Hand der Bürger bleiben und damit vom Staat gespart werden.
Herr Abgeordneter Häfele, gestatten Sie zunächst eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ehrenberg?
Bitte sehr!
Herr Häfele, wenn Sie schon darauf hinweisen, daß in den ersten Monaten die Zuschläge noch nicht berücksichtigt seien, sollten Sie auch darauf hinweisen, daß gerade die Zahlen für April aus genau diesem Grunde für einen Vergleich nichts wert sind, weil sich die Nachzahlungen im öffentlichen Dienst und aus sonstigen Tarifverträgen in der Steuerstatistik niedergeschlagen haben.
Ja, Herr Ehrenberg, wir stimmen völlig überein.
— Moment! Deswegen die Zahl: plus 13,5 °/o! Aber diese Zahl wird in den nächsten Monaten bei der Lohnsteuer noch ansteigen.
Herr Abgeordneter Häfele, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Böhme?
Nur bitte ich dann um Anrechnung auf die Zeit.
Machen wir, Herr Kollege!
Damit aber kein falsches Zeitbewußtsein im Hause entsteht, weise ich ausdrücklich darauf hin, daß die große Uhr über der Zuschauertribüne steht.
Ich sage das mit besonderem Nachdruck. Wir sind hier nicht in Brüssel; es geht weiter.
Bitte!
Herr Häfele, stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, daß Ihre Zahl für April ein falsches Bild ergibt, wenn Sie erklären, daß das Lohnsteueraufkommen hier besonders hoch war, obwohl es Rückzahlungen gab,
weil bei der Rückzahlung nach der allgemeinen Rechnung nicht aus dem Topf des Lohnsteueraufkommens gerechnet,
sondern weil aus dem Gesamtbereich der Einkommensteuer zurückgezahlt wird?
Herr Böhme, hier unterscheiden wir uns. Wir sind der Meinung, daß die ersten drei Monate ein falsches Bild ergeben haben, weil erstens der Lohnsteuerjahresausgleich verstärkt stattgefunden hat und weil sich zweitens die neuen Gehaltserhöhungen beim Steueraufkommen noch nicht voll ausgewirkt haben. Das wird sich jetzt von
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6978 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Dr. HäfeleMonat zu Monat stärker steigern; das werden wir ja erleben. Schauen Sie, das sind Dinge, wo man nicht verschiedener Meinung zu sein braucht,
sondern das wird sich erweisen.Nun, meine Damen und Herren, Ihr zweites Argument gegen unser Inflationsentlastungsgesetz ist das folgende. Sie sagen, wir wollten damit Ihre Reform torpedieren. Wir können beim besten Willen nicht verstehen, daß es einer vernünftigen und soliden Reform irgendwie im Wege stehen soll, wenn drei Freibeträge in ähnlicher oder, wie beim Grundfreibetrag, sogar in gleicher Weise wie bei Ihnen angehoben werden.Wir sind der Meinung, daß bei uns im öffentlichen Bereich in den letzten Jahren kaum eine Eiterbeule so reif zum Schnitt geworden ist wie die heimlichen Steuererhöhungen, so daß mit ihrem Abbau hic et nunc gehandelt werden muß.
Von der Sofortentlastung muß das Thema „Steuerreform" unterschieden werden. Eine Reform muß eine dauerhafte, nicht bloß eine vorübergehende Entlastung bringen. Die Sofortentlastung wirkt, wie schon der Name sagt, schnell und kann unter Umständen nur kurzfristig wirken. Und eine Reform darf nach Meinung der CDU/CSU nicht leistungshemmend und auch nicht inflationsfördernd sein.Diese längerfristige Reform soll nach dem Willen von SPD und FDP am 1. Januar 1975 in Kraft treten. Daß dieser Zeitpunkt überhaupt vorgesehen wurde, ist dem Druck der Opposition zu verdanken.
Wenn die Fraktion der CDU/CSU am 31. Juli letzten Jahres nicht den Beschluß bezüglich der Sofortentlastung gefaßt hätte, hätten Sie am 1. Januar 1976 Ihre Steuerreform gemacht — mit der Folge, daß nicht einmal im nächsten Jahr ein Teilabbau der heimlichen Steuererhöhungen erfolgen würde.
Dieses Datum des 1. Januar 1975 ist falsch; das haben wir immer gesagt. Es kommt füreine Sofortentlastung zu spät, und als Reformzeitpunkt ist es unrealistisch. Eine Reform muß reifen, meine Damen und Herren, und jedermann, der wie wir alle die letzten Monate im Finanzausschuß — unvoreingenommen — miterlebt hat, muß leider zugestehen, daß der Ruf der Seriosität und der besonderen Solidität, der dem Finanzausschuß über Jahrzehnte immer eigen war, in den letzten Monaten angesichts dieser Hektik eine gewaltige Einbuße erfahren hat.
Nein, meine Damen. und Herren, eine Steuerreform setzt ein inflationsbereinigtes Steuerrecht voraus. Das ist die richtige Reihenfolge! Und zur eigentlichen Reform, zur längerfristigen Entlastung, hat die Fraktion der CDU/CSU im Finanzausschuß Anträge gestellt; sie sind heute morgen vom Berichterstatter noch einmal angeführt worden, und nachher werden Kollegen im einzelnen erneut auf diese Anträge zurückkommen.Alle diese Reformanträge im Sinne einer längerfristigen Entlastung haben Sie, meine Damen und Herren, im Finanzausschuß abgelehnt. Sie haben im Grunde eine Gemeinsamkeit bei der Steuerreform gar nicht gewollt; sonst hätten Sie diese Gemeinsamkeit vielleicht erzielen können. Dabei haben wir im Finanzausschuß eindeutig erklärt, daß wir nie behauptet haben, eine Reform sei in einem Jahr machbar; wir haben gesagt, daß sie nur in Stufen kommen könne und daß wir auch über die Höhe der Beträge mit uns reden lassen. Deswegen, Frau Funcke, ist es nicht zulässig, daß Sie hier all diese Zahlen addieren und sie womöglich für das Jahr 1975 in Anspruch nehmen wollen.Die elf Finanzminister der Bundesländer — alle elf! — haben einstimmig beschlossen, daß der durchgehende Progressionstarif — das ist der eigentliche Reformtarif — erst am 1. Januar 1977 in Kraft treten kann. Das wäre ein vernünftiges Reformdatum. So kann man reformieren, und wir haben die Hoffnung, daß Sie im weiteren Verfahren der Gesetzgebung doch noch die Brücke der Vernunft betreten, damit wirklich eine Reform zustande kommt, die diesen Namen verdient und auch unsere Zustimmung finden kann.
Zu einer echten Reform, die diesen Namen verdient, gehört aber auch eine durchgreifende Vereinfachung des Steuerrechts. Hier hat die Regierungskoalition zu wenig Reformkraft gehabt. Denken Sie allein an das Thema der Kraftfahrzeugsteuer. Es ist sanft entschlafen; die Bundesregierung bringt den Gesetzentwurf, der beim Bundesrat war, mit der Gegenstellungnahme erst gar nicht mehr in diesem Bundestag ein, obwohl jedermann weiß —und gerade die Steuerbeamten entsprechende Forderungen stellen —, daß die Einführung des Plakettenverfahrens 3 000 Finanzbeamte für andere wichtige Aufgaben freisetzen könnte.
Inzwischen sind wir schon so weit, daß die Funktionsunfähigkeit der Steuerverwaltung beängstigende Ausmaße annimmt. Im Jahre 1973 hatten wir Steuerrückstände von 6,1 Milliarden DM — eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 26 %! Ohne Stundung und Aussetzung waren allein 4,7 Milliarden rückständig, weil die Finanzämter, da sie teilweise funktionsunfähig sind, es nicht mehr schaffen können. Hier ist ein Feld für echte Reform. Da können Sie Milliarden holen, meine Damen und Herren,
ganz abgesehen davon, daß die meisten Betriebe gar nicht mehr im Wege der Betriebsprüfung geprüft werden können mit der Folge, daß Sie in diesen Zahlen gar nicht enthalten sind, so daß die Gleichmäßigkeit der Besteuerung in der Praxis draußen gar nicht mehr besteht. Die Fraktion der CDU/ CSU kann beim besten Willen nicht etwas als Reform bezeichnen, das den Anständigen oder Dum-
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Dr. Häf elemen bestraft und den Unanständigen und den Raffinierten honoriert. Das ist keine Reform.
Das Ziel unserer längerfristigen Anträge, wenn Sie so wollen, unserer Reformanträge geht auf eine dauerhafte Entlastung — im Gegensatz zu einer kurzfristigen — von kleineren und mittleren Einkommen. Diese will die Koalition zunächst auch. Wir sollten allerdings die Entlastung übereinstimmend in diesem Haus nicht als eine Steuersenkung bezeichnen. Denn es wird auch im Jahre 1975, wenn Ihre Vorstellungen zum Zuge kommen, so sein, daß rund 10 Milliarden DM mehr Steuern einkommen als im Jahre vorher. Auch im nächsten Jahre werden die Steuern teilweise heimlich erhöht, obwohl 10 bis 12 Milliarden DM nach Ihren Vorstellungen an Entlastung im Jahr gegeben werden. Es geht nur um einen Teilabbau von jahrelangen kalten Steuererhöhungen. Es ist sicher schwierig, im einzelnen auszurechnen: Was sind echte oder kalte Steuererhöhungen, was sind keine Steuererhöhungen, was entspricht der Zunahme der Leistungsfähigkeit? Wenn man aber die reale Lohn- und Gehaltssumme rechnete, käme man auf schreckliche Zahlen. Dann betrüge im Jahre 1973 die heimliche Steuererhöhung allein bei der Lohnsteuer 20 Milliarden DM und im Jahre 1974 32 Milliarden DM. Selbst wenn man Zweifel anmelden kann, ob man das überhaupt so feststellen kann, sind es auf jeden Fall wesentlich mehr als die 10 bis 12 Milliarden DM, die Sie jetzt als ein großes Werk hier vertreten wollen.Diese Entlastung, meine Damen und Herren, wollen Sie mit Systemwechseln beim Arbeitnehmerfreibetrag und bei den Vorsorgeaufwendungen, mit Tarifsprüngen und mit Systemwechsel beim Kindergeld verbinden. Diesem neuen Kindergeld stimmt die Fraktion der CDU/CSU zu. Bei der Gesamtbelastung muß man aber die Kumulierung berücksichtigen. Wir müssen auch daran denken, daß wir eine Grundsteuererhöhung beschlossen haben, daß die Erbschaftsteuer erhöht wurde, daß die Vermögensteuer nach Ihren Vorstellungen sogar gewaltig erhöht werden wird. Wenn Ihre Vorstellungen zum Tragen kommen, meine Damen und Herren, ist die Folge, daß die mittleren Einkommen auf Anhieb mindestens in ihren Zuwächsen stärker belastet werden, und das ist in inflationären Zeiten das Interessante, auch für den Leistungswillen. Z. B. werden Maschinenschlosser, Werkzeugmacher, Maurer verstärkt in die Progressionssprünge von 22 % auf 30,8 % kommen. In ein bis zwei Jahren wird die Mehrheit der Lohnsteuerzahler im Zuwachs schärfer von der Progression erfaßt werden, als das bisher der Fall war.
Im Gegensatz dazu ist die CDU/CSU für die längerfristige Reform und für eine dauerhafte Entlastung von kleineren und mittleren Einkommen und Löhnen. Wir sind gegen eine nur vorübergehende und zudem inflationsfördernde und leistungshemmende Steuerreform.Nun, meine Damen und Herren, muß ich leider eine Unwahrheit der SPD in aller Öffentlichkeit richtigstellen, die sie in Flugblättern im niedersächsischen Landtagswahlkampf verkündet hat. Ich habe das Flugblatt hier bei mir. Ich sehe einmal ganz von Ihrer Sprachregelung ab, daß es nach Ihrem Verständnis gar nicht anders auf dieser Welt sein kann, als daß die CDU die „Großverdiener weiterhin schonen" will und der „Normalverdiener" nach den Vorstellungen der CDU „nicht spürbar entlastet werden" soll.
— Ich habe Ihnen doch vorher die Zahlen vorgelesen. Reden Sie doch nicht die Unwahrheit! Das stimmt doch gar nicht.
In diesem Flugblatt der SPD — vom Landesausschuß der SPD offiziell herausgegeben — steht,
daß die SPD /FDP für die Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 56 °/o ist, und dann heißt es rechts: „Die CDU/CSU will den Spitzensteuersatz bei 53 % belassen". Das ist die Unwahrheit!
Wir haben einen durchgehenden Progressionssteuersatz von 17 bis auf 56 % beantragt, also im Spitzensteuersatz wie Sie.
Dann heißt es hier: Familien erhalten gleiches Kindergeld usw. beim ersten, zweiten, dritten Kind. Rechts: „Die CDU/CSU will alles beim alten belassen." Das ist die Unwahrheit!
Wir haben diesem Kindergeld in sämtlichen Ausschüssen zugestimmt und stimmen auch heute zu.Dann heißt es weiter bei der Vermögensteuer:Die Vermögensteuer kann nicht mehr von der Einkommensteuer abgesetzt werden.Und rechts — CDU —:Die CDU/CSU-Pläne sehen keine Änderung vor.Das ist die Unwahrheit. Wir haben von Anfang an erklärt und beantragt, daß die Vermögensteuer bei der Einkommensteuer künftig nicht mehr berücksichtigt werden darf.Das sind drei Unwahrheiten, die Sie da verkünden. Meine Damen und Herren, wenn die deutsche Demokratie überhaupt noch intakt wäre, müßte die größte Partei dieses Landes sich hier im Plenum desDr. HäfeleDeutschen Bundestages entschuldigen, damit die Wähler von Niedersachsen wenigstens hier die Wahrheit erfahren.
Das macht die gleiche Partei, meine Damen und Herren,
die im Wahlkampf 1969 einen „Lieferschein" herausgegeben hat:
Kilometerpauschale kann leider zur Zeit nicht geliefert werden wegen CDU. Als wir jetzt im Finanzausschuß die Wiederanhebung der Kilometerpauschale beantragten, haben Sie sie abgelehnt. Die gleiche SPD, die in der Regierungserklärung von Willy Brandt am 28. Oktober 1969 die Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages ab 1. Januar 1970 versprochen hat, die das vor der niedersächsischen Landtagswahl vor vier Jahren in der letzten Sitzung vor der letzten Wahl hier durchgesetzt hat — trotz unserer konjunkturellen Bedenken —, es aber dann in der Woche nach der Wahl wieder zurückgenommen und dieses Versprechen bis heute nicht erfüllt hat,
will jetzt den Wählern in Niedersachsen weismachen, was wir mit den Großverdienern täten.Am 16. Mai hat der frischgebackene Bundeskanzler, Helmut Schmidt, eine Rede vor der SPD-Bundestagsfraktion gehalten. Sie stand Gott sei Dank teilweise in der Presse. Da steht ein bemerkenswerter Satz; ich darf ihn wörtlich vorlesen. Helmut Schmidt sagt da wörtlich:Sozialdemokraten müssen aufpassen, daß ihnen nichts angehängt wird, was das Vertrauen in ihre innere Seriosität gefährden kann.Meine Damen und Herren, nicht wir haben Ihnendas angehängt, Sie haben es sich selber angehängt!
In der Regierungserklärung vom 17. Mai spricht Bundeskanzler Schmidt — wie wir meinen, zu Recht — vom erforderlichen „Leistungswillen" — wörtlich —, von der Unterstützung des „Selbstbehauptungswillens" der Selbständigen und der kleineren und mittleren Betriebe, von der Notwendigkeit von Erträgen für erwünschte Investitionen. Er erklärt in den letzten Wochen und Monaten verstärkt — wie auch andere Führer der SPD —: Die SPD muß „zurück zur Mitte!" Und was tun Sie in der Steuerpolitik? Warum tun Sie in der Steuerpolitik genau das Gegenteil dessen, was Sie in der neuesten Regierungserklärung versprochen haben?
Denken wir nur an den selbständigen Mittelstand! Es gibt 1,9 Millionen kleinere und mittlere Unternehmen in Deutschland ohne die Landwirtschaft. Sie beschäftigen 60 % aller Arbeitnehmer. Die Konkurse nehmen gewaltig zu, nicht zuletzt auch wegen derSteuerschraube, die jetzt noch verstärkt werden soll. Es gibt erfreulicherweise immer mehr Mittelschichten auch im Arbeitnehmerlager, die in den Industrieunternehmen bekanntlich die Motoren des Fortschritts sind. Das sind Facharbeiter. Warum haben vor ein paar Jahren die Facharbeiter nach der Sommerpause einen wilden Streik begonnen? — Weil sie sich nicht mehr länger gefallen lassen, daß vor lauter „Sockeln" und „Kappen" am Schluß für sie weniger an Zuwachs übrigbleibt als für die unterdurchschnittlich Verdienenden. Wir sind längst an dem Punkt angelangt, wo die Facharbeiter nicht mehr mitmachen.Ich habe kürzlich eine erfreuliche Feststellung des DGB gelesen; sie hat mich sehr gefreut. Als die Bundestagsfraktion der SPD bei dem 3. Besoldungserhöhungsgesetz beantragt hat, bei den Beamtenbezügen oben zu „kappen", hat der DGB eine Presseverlautbarung — ich nehme das hier aus der Zeitung — herausgegeben, daß er das, was die SPD beschlossen habe, ablehne; das verstoße gegen das „Leistungsprinzip und führe zu einer nicht mehr zu verantwortenden Nivellierung der Einkommensverhältnisse."
Meine Damen und Herren, genau das aber wollen Sie schließlich mit Ihrem Steuerrecht.Hinzu kommt, daß diesem Hohen Hause zugemutet wird, heute ein Steuergesetz zu verabschieden, von dem Einkommensgrenzen in anderen Leistungsgesetzen abhängig sind — Gesetz über die Mietbeihilfen z. B. und andere Leistungsgesetze —, ohne daß die Regierung sagt, welche Schlußfolgerungen sie aus dem heute zu verabschiedenden Gesetz für diese Leistungsgrenzen zieht. Das kann man wirklich nur noch als eine Zumutung bezeichnen. Die „Schröpfungsgrenzen" werden auf jeden Fall immer unerträglicher.Conrad Ahlers, der erfreulicherweise seit ein paar Monaten Mitglied des Finanzausschusses ist, sagt wörtlich ganz treffend auf die Frage: Warum dies alles? „Weil dieser Neidvirus grassiert" und weil der „soziale Neid zu einer zentralen Motivation sozialdemokratischer Politik" geworden ist.
Dann sagt er weiter:
Seitdem die Leistungsgesellschaft in Verruf geraten ist, steht im Mittelpunkt sozialdemokratischer Ideologie die Bestrafung beruflicher Leistung.Nein, meine Damen und Herren, da können Sie mit unserer Zustimmung nicht rechnen! Die CDU/CSU- Vorschläge wollen die inflationäre Entwicklung berücksichtigen und wollen nicht, daß „Inflationsmechanismen" eingebaut sind, die nach einem bis zwei Jahren die Mehrheit der Steuerzahler, ja, sogar der Lohnsteuerzahler noch stärker in die Progression treiben als bisher.Zum Kindergeld sagt die Fraktion der CDU/CSU ja, und zwar im Interesse der von der Inflation besonders betroffenen Familien mit Kindern, die gerade in den letzten Jahren die Hauptleidtragenden
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Dr. Häfelewaren, obwohl auch hierin - das sehen wir ganz klar — Ungereimtheiten und Probleme stecken. Ich darf nur daran erinnern, daß künftig bei jedem Lohn- oder Gehaltszuwachs Ehepaare mit Kindern steuerlich mit Ehepaaren ohne Kinder gleichbehandelt werden. Ob das auf die Dauer gutgehen wird, ist sehr die Frage. Hiervon werden die Kinderreichen am ehesten einen Nachteil haben. Es ist auch eine Ungereimtheit, wenn künftig etwa Unterhaltszahlungen an eine Tante oder eine Großmutter steuerlich berücksichtigt werden können, während das in bezug auf die Kinder künftig nicht mehr möglich ist.Deswegen fordert die CDU/CSU, daß die Höhe der Sätze auf jeden Fall alle zwei Jahre überprüft werden muß. Diesen Antrag werden wir hier stellen.
Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren. Die Steuerpolitik darf man nicht isoliert nur als Steuertechnik verstehen. Es geht hier inzwischen längst um viel mehr. Die CDU/CSU versteht die Steuerpolitik als ein Instrument der Finanzpolitik, ja, sogar als ein Instrument der Gesellschatfspolitik und will die Steuerpolitik bewußt als ein Instrument benutzen, um die öffentlichen Haushalte zum Sparen zu bringen und damit die Inflation zu bekämpfen. Es war und ist ein Irrweg und eine Hauptursache für die Inflation, in der wir stecken, daß sich die öffentlichen Hände in den Ausgaben in den letzten Jahren übernommen haben. Aus dieser Fehlentwicklung kommen wir nur heraus — seit Adam und Eva hat die Menschheit noch kein besseres Mittel erfunden —, wenn von den Einnahmen ein solcher Druck auf alle öffentlichen Hände — natürlich auf alle — ausgeübt wird, daß der Führung gar nichts anderes mehr übrigbleibt, als endlich die Prioritäten zu setzen, was bekanntlich heißt, die Posterioritäten auszusprechen, was natürlich auch heißt, den Bürgern redlicherweise zu sagen, daß man vom Staat nicht alles und jedes erwarten kann.Wir sind am Ende der großen Versprechungen und Verheißungen der SPD /FDP-Koalition angelangt. Weiterwursteln hilft nicht mehr. Eine grundlegende Umstimmung ist erforderlich. Sollte dieses Weiterwursteln wie in den letzten Jahren fortgesetzt werden, so würde das soziale Unrecht verstärkt, die Leistung gehemmt und die Inflation noch mehr ernährt werden. Schließlich kann der Staat seine eigentlichen Aufgaben immer weniger erfüllen als vorher, von den Gefahren für die Freiheit ganz abgesehen.Wenn Bundeskanzler Schmidt mit seiner Regierungserklärung eine Wende einleiten wollte und es täte, dann würde uns das um der Sache willen selbstverständlich freuen. Aber gerade Helmut Schmidt war immer der Mann für die Verbreiterung des sogenannten öffentlichen Korridors. Er war der Mann des SPD-Langzeitprogramms und der Mann der Steuererhöhungen. Helmut Schmidt war der Mann, der gesagt hat: Stabilität ist für mich „so ein Modewort". — Das Ergebnis ist, daß er und der Bund mit immer mehr Geld immer weniger für dieZukunft unseres Landes ausgeben konnten. Die Zukunftsinvestitionen sind anteilmäßig immer geringer geworden, weil die Personalkostenlawine immer größer geworden ist und die Investitionskosten durch die Inflation immer mehr gestiegen sind.
Sollte dieser Helmut Schmidt vom Saulus zum Paulus geworden sein? Es würde uns nur freuen. Insoweit würde er unsere Unterstützung haben.Oder denken wir an Herrn Hesselbach, den Chef der Bank für Gemeinwirtschaft. Er hat in diesen Tagen gesagt, es gebe keinen anderen Weg mehr; der „Steuerstaat" stoße an seine Grenzen; der „Leistungswille" leide unter dem Steuerdruck.In der Tat, meine Damen und Herren, das Defizit kann auch ein Führungsmittel im Staat sein, wenn man es richtig nutzt. Man kann dann allerdings nicht bloß vom Sparen reden und, wie es der Bundeskanzler bis jetzt getan hat, den Ländern und Gemeinden den Schwarzen Peter zuspielen. Nein, meine Damen und Herren, man muß von den Reformversprechungen Abschied nehmen. Man kann nicht Reformversprechungen zu Lasten von Ländern und Gemeinden machen und zugleich Sparappelle an dieselben Adressaten richten. Das ist nur eine Politik des Schwarzen Peters, das ist keine Wende.
Herr Kollege Häfele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ehrenberg?
Nein, ich bin jetzt gerade beim Schluß, tut mir leid. Ich muß diesen Gedanken im Zusammenhang ausführen; ich halte das für wichtig.
Das ist eine zu ernste Sache, zumal Sie das mindestens verbal ebenfalls wollen, und wir wollen ja sehen, ob Sie es schaffen.
Der Bürger der Bundesrepublik Deutschland — der Steuerbürger und der Abgabenbürger insgesamt — ist auf jeden Fall an der Grenze der Belastbarkeit angelangt. Dieser Staat müßte anders beschaffen sein, und diese Bundesregierung müßte andere Leistungen aufweisen, falls von den Bürgern noch mehr Abgaben verlangt werden sollten. Auch deshalb, meine Damen und Herren, nicht bloß aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit, tritt die CDU/CSU bei der eigentlichen Steuerreform für eine dauerhafte Entlastung und nicht nur für eine vorübergehende ein. Darum, meine Damen und Herren, sagen wir nein zu der leistungshemmenden und inflationsfördernden Steuerreform von SPD und FDP.
Das Wort hat nunmehr der Herr Abgeordnete Offergeld.
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6982 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem das, was uns Herr Höcherl heute morgen geboten hat,
mehr unter die Rubrik „Heiteres aus dem Parlament" einzuordnen war, Herr Stücklen, hat uns Herr Häfele nunmehr ein Wechselbad verabreicht. Zunächst hatte man den Eindruck, daß er sich hier sachlich mit der Steuerreform auseinandersetzen wollte,
zum Schluß war es nur noch bloße Polemik. Das war wie eine Gebetsmühle das, was wir schon seit Wochen und Monaten hören.
Mit diesem Gesetzentwurf, den wir heute hier mit Mehrheit verabschieden werden, wird — —
— Allerdings, Herr Stark, so billig wie Sie machen wir es nicht; da haben Sie völlig recht. Ich werde mich jedenfalls bemühen.
Wir gehen mit diesem Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden werden, den Weg weiter, den wir schon in der letzten Legislaturperiode begonnen haben mit der Vorbereitung der Steuerreform, mit der Verabschiedung des Außensteuergesetzes, den wir in dieser Legislaturperiode im vergangenen Jahr weitergeschritten sind mit der Verabschiedung des neuen Grundsteuergesetzes, mit der Verabschiedung der neuen Vermögensteuer, mit der Verabschiedung der neuen Erbschaftsteuer und schließlich auch mit der Verabschiedung der neuen Gewerbesteuer.
Da könnte man gleich ein paar Sätze zu dem sagen, was Herr Häfele hinsichtlich einer Mehrbelastung der kleinen und mittleren Einkommen behauptet hat. Die Gewerbesteuerreform, die zum 1. Januar 1975 in Kraft tritt, ist der Beweis dafür, daß wir gerade im kleinen und mittleren Bereich auch bei den Selbständigen stark entlasten wollen.
Diese gesamte Steuerreform — ich darf hier ausdrücklich namens meiner Fraktion Alex Möller danken, der sich wesentliche Verdienste bei der Vorbereitung erworben hat, auf die wir heute noch zurückgreifen können —
steht unter den Leitworten „mehr Gerechtigkeit" und „Vereinfachung des Steuerrechts".
Mehr Gerechtigkeit, meine Damen und Herren, bedeutet für uns in der Tendenz die Entlastung der unteren und mittleren Einkommen und eine maßvolle Mehrbelastung der höheren Einkommen. Diese Tendenz kann man in der Reform der Lohn- und Einkommensteuer, bei der wir die Eckwerte der
Bundesregierung realisieren, an zahlreichen Punkten nachweisen. Man kann sie z. B. an unserem neuen Tarif nachweisen. Dieser neue Tarif sieht ganz anders aus als dieses sogenannte — fälschlich so genannte — Inflationsentlastungsgesetz der CDU/CSU, das eine lineare Entlastung bis hinauf in die höchsten Einkommen bringen wird; das ist wohl kaum zu bestreiten, Herr Häfele. Wir haben einen neuen, höheren Grundfreibetrag, bei Verheirateten von 6 000 DM, wir haben daran anschließend eine Zone, in der jede zusätzliche Mark, die verdient wird, gleichmäßig mit 22 Pfennig besteuert wird, und wir haben darüber bei Einkommen, die bei Verheirateten 32 000 DM übersteigen, und nur für diese Teile des Einkommens, eine Progressionszone. Ich stelle dies noch einmal ganz bewußt so ausführlich dar, obwohl dies eine Selbstverständlichkeit sein müßte, weil über diesen neuen Tarif hanebüchener Unsinn gesagt und geschrieben wurde.
Herr Häfele, da muß ich Sie gleich noch einmal ansprechen. Das, was in einem Interview der „Zeit" in der letzten Woche wiedergegeben wurde, ist einfach hanebüchen. Es ist einfach hanebüchen, daß so etwas von einem Steuersprecher der Opposition gesagt wird.
Andeutungsweise haben Sie es hier sogar wiederholt. Es ist doch nicht so, daß jemand, der als Verheirateter über 32 000 DM im Jahr verdient, nun in einem Sprung mit 30 % besteuert wird. Das wissen Sie.
— So ist es doch von allen, die lesen können, gelesen worden. Sie haben es behauptet.
Wenn Sie es heute zurücknehmen, dann stellen Sie sich hierhin und sagen es ganz offen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sobald ich den Satz zu Ende gesprochen habe.
Es ist so — dies muß ganz klar sein —, daß nur die Einkommensteile über 32 000 DM mit 30 % besteuert werden. Genau dasselbe haben Sie mit dem Tarif, den Sie uns als Alternative vorgelegt haben, gefordert. — Bitte schön!
Herr Offergeld, sind Sie bereit, dieses Interview im Zusammenhang und vor allem meine Erklärung von vorhin nochmals genau nachzulesen, daß das Entscheidende ist, wie ein Lohnzuwachs im Sprung plötzlich erfaßt wird? Das ist das Entscheidende.
Ich bin sehr gern bereit, das zur Kenntnis zu nehmen. Ich darf es Ihnen noch einmal vorlesen; vielleicht haben Sie es nicht mehr
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Offergeldrichtig in Erinnerung. Es steht dort genau geschrieben:Nach den Vorschlägen der Regierung würde schon ein Lediger mit mehr als 16 000 Mark und ein Verheirateter mit mehr als 32 000 Mark im Jahr plötzlich in einen „Tarifsprung" hineingeraten: Statt bisher— jetzt kommt es —22 müßte er plötzlich 30 Prozent Steuern zahlen.
Wie das draußen ein Bürger versteht, ist doch ganz klar. Herr Häfele, man muß Sie hier nur fragen: Haben Sie solches aus Unwissenheit gesagt, oder haben Sie bewußt die Unwahrheit gesagt? Das ist die Frage, die sich hier für mich aufdrängt.
Sie wissen doch ganz genau, daß jemand mit einem Jahreseinkommen von 32 000 DM als Verheirateter einer Belastung von etwa 17, 18 % seines Gesamteinkommens hat. Er gerät nicht in einen „Tarifsprung" von 22 auf 30 %, wie Sie es dargestellt haben. Die von Ihnen genannten Zahlen beziehen sich lediglich auf den Zuwachs des Einkommens, auf jede zusätzlich verdiente Mark, nicht auf das Gesamteinkommen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kreile?
Bitte schön!
Herr Offergeld, sind Sie bereit, zuzugeben, daß bei einem Verdienst von 32 000 DM jede 100 DM, die jemand mehr verdient, dann dem Steuersatz von 32 % statt von 22 % unterliegt? Sind Sie bereit, zuzugeben, daß es politisch nur um diesen Punkt geht?
Nein, es ist hier mißverständlich dargestellt worden. Wahrscheinlich wollten Sie sagen: von 22 % auf 30,8 %; das ist die richtige Zahl, Herr Kreile.
Natürlich ist das richtig, was Sie gesagt haben, Herr Dr. Kreile. Jetzt ist es richtig; was Herr Häfele gesagt hat, war falsch, und gegen das habe ich mich gewendet.
Währen Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß bei Ihrem Alternativentwurf einer durchgehenden Progression der Mann mit 32 000 DM Jahreseinkommen in genau derselben Progressionsstufe liegt, daß der genauso von 1 000 DM, die er zusätzlich verdient, 300 DM Steuern zu zahlen hat? Da ist überhaupt kein Unterschied zwischen Ihrem und unserem Tarif. Wie kommen Sie überhaupt dazu, sich draußen hinzustellen und zu behaupten, wir bauten mit diesem Tarif eine unmäßige Progression ein? Nein, unser Tarif, der von allen Landesfinanzministern, auch von denen der CDU/CSU, gefordert wird, unterscheidet sich von dem der Opposition dadurch, daß die Opposition auch unterhalb eines Jahresverdienstes von 32 000 DM bei Verheirateten die Progression einbauen will. Wir wollen dagegen in diesem Bereich eine gleichmäßige Belastung von 22 % beibehalten. Das ist der ganze Unterschied.
Im übrigen: Zu unserem Tarif gehört eine Spitzenbelastung von 56 %. Darüber kann man in dem sogenannten Inflationsentlastungsgesetz der CDU/CSU auch nichts lesen. Wenn wir draußen im niedersächsischen Wahlkampf das, was wir wollen und heute hier diskutieren, mit dem vergleichen, was die Opposition will, diskutieren wir die Alternativen, die hier zur Wahl stehen. Dabei handelt es sich zum einen um unseren Gesetzentwurf und zum anderen um Ihr Inflationsentlastungsgesetz. Es ist genau richtig, daß wir die Großverdiener stärker zur Kasse bitten wollen, während Sie die Großverdiener stärker als die Kleinverdiener entlasten wollen. Auch dieses bleibt richtig, Herr Häfele.
Zu Ihrem Zahlenwirrwarr von vorhin will ich gleich noch ein paar Sätze anfügen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Bockelberg?
Herr Kollege Offergeld, halten Sie es für richtig, das Inflationsentlastungsgesetz als Soforthilfegesetz mit Ihrem Tarif zu vergleichen? Wäre es nicht besser, unseren Tarifvorschlag mit Ihrem Tarif zu vergleichen? Ich glaube, Sie vergleichen hier Äpfel mit Birnen.
Nein, ich vergleiche hier das, was wir heute und jetzt wollen, mit dem, was Sie heute und jetzt wollen. Das ist politisch eine realistische Sache. Was Sie den Leuten für das Jahr 1977 ins Schaufenster hängen, nimmt Ihnen doch im Ernst niemand ab. Da müssen Sie sich erst mal mit Ihren Landesfinanzministern über Ihren Tarif unterhalten. Und dann stellen Sie ihn doch bitte hier zur Abstimmung! Ich habe den Antrag über einen neuen Tarif, den Sie angeblich fordern, noch nicht auf meinem Tisch gefunden. Sie hängen den Leuten doch nur schöne Würste ins Schaufenster und wollen sie dann nachher nicht bedienen, wenn es darauf ankommt.Wir wollen mehr Gerechtigkeit durch einen neuen Tarif: Entlastung der unteren und mittleren Einkommen, eine maßvolle Mehrbelastung der höchsten Einkommen, neuer Spitzensteuersatz 56% bei Jahreseinkommen von über 130 000 DM bei Ledigen und von über 260 000 DM bei Verheirateten.Wir haben — das ist der zweite wichtige Punkt — einen neuen Familienlastenausgleich: Kindergeld für alle Kinder. Meine Damen und Herren, es möge sich doch hier kein Sprecher der Opposition hinstellen und so tun, als sei dies eine Selbstverständlichkeit. Vor allem Herr Häfele hat hierzu den allergeringsten Anlaß. Ich möchte ihn an seine Veröffentlichungen aus dem Jahre 1970, wenn ich es richtig sehe, erinnern, wo er noch die Verfassungsmäßig-
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Offergeldkeit dieses Familienlastenausgleichs in Frage gestellt hat. Ich darf ihn auch an eine Presseerklärung des bayerischen Finanzministers erinnern, die noch keine fünf Wochen alt ist, sie wurde nämlich erst nach der Regierungserklärung von Bundeskanzler Schmidt abgegeben. Das muß man hier einmal vorlesen, um es auch in Ihr Gedächtnis zurückzurufen: „Schwere Bedenken erhebt der bayerische Finanzminister auch gegen die vorgesehene Kindergeldregelung, weil bei der Einkommen- und Lohnsteuer Aufwendungen für Kinder nicht mehr berücksichtigt werden, was besonders Familien mit mehreren Kindern hart treffe." Von der Tatsache, daß dies sachlich falsch ist, will ich ganz absehen. Das Wesentliche ist, daß sich hier der bayerische Finanzminister noch mit Vehemenz gegen dieses Kindergeldgesetz wehrt: Wir werden ja hören, was andere Herren der Opposition noch dazu sagen und ob einige Manns genug sind, auch hier dagegen zu stimmen oder sich zu enthalten. Daß Herr Strauß gegen dieses neue Kindergeldsystem ist, pfeifen ja in Bonn die Spatzen von den Dächern.Mit diesem neuen Kindergeldsystem werden wir die bisherigen steuerlichen Kinderfreibeträge abschaffen. Ich nehme an, daß zu diesem Thema im Verlauf der Debatte ja noch mehr gesagt wird. Es geht uns darum, daß jedes Kind dem Staat das Gleiche wert ist. Wir haben allein durch den Kinderlastenausgleich wesentliche Entlastungen im unteren und mittleren Einkommensbereich. Ein Beispiel: Eine Familie mit einem Monatseinkommen von 1 600 DM brutto und einem Kind, die heute durch den Kinderfreibetrag eine Entlastung von 19 DM durch Steuerermäßigung hat, hat künftig eine Entlastung von 50 DM Kindergeld pro Monat; eine Familie mit einem Einkommen von 1 400 DM brutto und drei Kindern, die heute — Steuerfreibeträge und Kindergeld zusammengerechnet — eine Entlastung von 159 DM hat, hat künftig eine Entlastung von 240 DM. Das sind Zahlen, die sich ganz allein auf den Familienlastenausgleich beschränken und die anderen Erleichterungen z. B. des Tarifs nicht berücksichtigen.Meine Damen und Herren, wir haben mehr Gerechtigkeit durch das neue System der steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen. Wir haben die Grenzen erhöht, innerhalb deren die Vorsorgeaufwendungen berücksichtigt werden können. Die Grenzen werden praktisch verdreifacht. Eine Familie mit zwei Kindern, die bisher etwa 6 800 DM absetzen konnte, kann künftig über 20 000 DM bei der Steuer zur Berücksichtigung anmelden, was die Sozialversicherung, Lebensversicherung und andere Vorsorgeaufwendungen anbetrifft. Wir haben auch hier, meine Damen und Herren, Änderungen des Systems, über die hier schon einige Sätze gesagt wurden. Wir bleiben dabei: Es ist ein ganz entscheidender Punkt, daß die gleichmäßige Berücksichtigung gerechter als die progressive Berücksichtigung ist, die hinsichtlich der Sozialversicherungsabgaben beim Reichen zu einer Steuerermäßigung von über 50 % führt, beim Normaleinkommensbezieher zu einer von etwa 20 %.Wir haben einen neuen Arbeitnehmerfreibetrag. Wir haben ihn nicht nur verdoppelt, sondern wir haben ihn zweieinhalbmal so hoch gemacht, wie er bisher ist. Wir gehen von 240 auf 600 DM und wir wechseln auch hier das System: jeder Arbeitnehmer soll die gleiche Begünstigung haben.Wir haben bei den Halbfamilien einen neuen Freibetrag eingeführt. Eine Mutter mit Kind ohne Mann z. B. hat einen zusätzlichen Freibetrag von 3 000 DM, weil der Lebensunterhalt hier natürlich ähnlich viel kostet wie bei einer Familie. Dadurch allein ergeben sich z. B. bei einer Frau mit Kind monatlich 55 DM Steuerersparnisse.Wir haben einen Sparerfreibetrag — völlig neu — in unser Einkommensteuerrecht eingeführt. Dadurch bleiben bei einem Ehepaar 800 DM Zinsen lohn- und einkommensteuerfrei, bei vielen Arbeitnehmern sogar 1 600 DM. Die meisten Sparer in unserem Land werden also künftig — dies ist ja wohl auch notwendig — auf ihre Sparzinsen keine Einkommensteuer mehr zu bezahlen haben.Wir haben — um noch zwei weitere wichtige Punkte zu nennen; das ist keine erschöpfende Aufzählung — den Pensionsfreibetrag erhöht. Bei Beamten im Ruhestand werden künftig Einkünfte bis etwa 1 000 DM bei Ledigen, 1 400 DM bei Verheirateten völlig steuerfrei sein. Dies ist ein erster Schritt — ich betone: ein erster Schritt — hin zur Harmonisierung der Besteuerung der Altersbezüge. Eine völlige Harmonisierung ist hier im Bereich der Steuer nicht möglich, solange es im öffentlichen Dienst noch ein Zweiklassen-Dienstrecht gibt: Arbeitnehmer, die Sozialversicherung zu bezahlen haben, und solche, die sie nicht zu bezahlen haben. Solange dieses System fortbesteht, kann man die Besteuerung natürlich auch nicht harmonisieren.Schließlich haben wir einen neuen Altersfreibetrag eingeführt. Und ein ganz wichtiger Punkt ist — was ja auch bei der Opposition immer völlig untergeht und in keinem Inflationsentlastungsgesetzentwurf steht, obwohl es einfach zu machen wäre —: Die Vermögensteuer kann künftig nicht mehr zu mehr als 50 % durch eine Berücksichtigung als Sonderausgabe bei der Einkommensteuer rückgängig gemacht werden. Auch dies ist ein Punkt, der wesentlich dazu beiträgt, das soziale Gleichgewicht, die Verteilungsgerechtigkeit dieser Steuerreform herzustellen.Insgesamt, meine Damen und Herren, kommen wir, wenn ich alles zusammennehme, zu wesentlichen Entlastungen. Ein Beispiel: Eine Familie mit zwei Kindern — Bruttomonatseinkommen 1 800 DM —, die jetzt 169 DM Steuern bezahlt, hat künftig eine Entlastung von mehr als 100 DM monatlich. Eine Unverheiratete mit einem Kind, die bei 1 200 DM Bruttomonatseinkommen jetzt 114 DM Steuern zu zahlen hat, wird künftig um etwa 85 DM entlastet. Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.Wir haben uns auch bemüht, meine Damen und Herren, dem Gesichtspunkt der Vereinfachung so weit wie möglich Rechnung zu tragen. Dabei müssen wir uns von vornherein darüber klar sein, daß die Vereinfachung in unserem Steuersystem nur begrenzt möglich ist. Man kann sich natürlich ein ganz einfaches Steuersystem vorstellen — eine Art Kopf-
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Offergeldsteuer —, das so aussieht, daß jeder das gleiche bezahlt. Dies wäre ganz gewiß einfach, und eine Steuererklärung wäre kaum notwendig.Man kann sich auch das andere Extrem vorstellen, nämlich eine Steuer, die den Belastungen des Einzelfalls bis zum Extrem Rechnung trägt. Da wären dann die Finanzbehörden und auch die Bürger, die Steuern zu zahlen haben, beim Ausfüllen ihrer Erklärungen lange damit beschäftigt, den Einzelfall im Detail dar zulegen. Das wäre eine Überforderung der Finanzverwaltung und auch des Steuerrechts.Wir versuchen einen Mittelweg zu gehen, allerdings einen, der in der Tendenz sehr viel steuerliche Gerechtigkeit in unserem Land — im Vergleich zu anderen Rechten — möglich macht. Überlegen wir nur, wieviel Faktoren wir bei einem einfachen Lohnsteuerjahresausgleich, also bei der Festsetzung der Steuer eines Arbeitnehmers, berücksichtigen! Das reicht von der Entfernung zwischen Arbeitsstätte und Wohnort — also Kilometer-Pauschale — über die Sozialversicherung, die Arbeitskleidung, die Anzahl der Kinder bis hin zu den Gesichtspunkten, ob eine kranke Großmutter zu unterhalten ist oder Kinder auswärts untergebracht sind. Man kommt da ohne Schwierigkeiten auf einige Dutzend Faktoren, die wir allein bei einer einfachen Lohnsteuerfestsetzung berücksichtigen. Dies alles wollen wir ja. Wenn wir dies aber wollen, meine Damen und Herren, bedeutet das gleichzeitig eine gewisse Kompliziertheit des Steuerrechts; daran führt kein Weg vorbei. Darum sollte man sich über die Möglichkeiten der Vereinfachung des materiellen Steuerrechts auch gar keine Illusionen machen.Worauf es ankommt — das ist auch der Schwerpunkt der Vereinfachungsmaßnahmen im Dritten Steuerreformgesetz —, ist, die Finanzämter von den Massenverfahren zu entlasten — von den Massenverfahren, die viele Millionen Anträge, und zwar dann immer noch jahreszeitlich konzentriert, in die Finanzämter spülen. Da haben wir sehr Wesentliches erreicht. Wir haben durch die neue Vorsorgepauschale sichergestellt, daß an Stelle von 8,5 Millionen Lohnsteuerermäßigungsanträgen im kommenden Jahr nur 1 Million Fälle durch die Finanzämter bearbeitet werden müssen. Wir haben sichergestellt, daß durch verschiedene Maßnahmen, durch einen neuen Tarif, durch neue Lohnsteuerklassen, durch eine neue Veranlagungsgrenze, die wir schon verabschiedet haben, künftig 2 Millionen Arbeitnehmer weniger zur Steuer veranlaßt werden müssen als gegenwärtig. Das sind die großen Brocken, das sind Millionen Fälle, die von den Finanzämtern weniger zu bearbeiten sind, das sind aber auch Millionen Arbeitnehmer weniger, die mit Formularen und Gängen zum Finanzamt behelligt werden. Dies ist der wichtige Bereich der Steuervereinfachung im Bereich des Lohnsteuer- und Einkommensteuerrechts. Wir glauben, daß wir hier schon Wesentliches erreicht haben, und dies müßte in der Diskussion um die Kompliziertheit und die Schwierigkeiten, dies alles zum 1. Januar 1975 zu administrieren, auch berücksichtigt werden.Die Opposition hat unsere Beratungen nicht nur heute, sondern auch im Finanzausschuß und nebenbei immer mit großem Geschrei begleitet. Wir haben die Opposition immer wieder und natürlich vergeblich gefragt, was denn ihre Alternativen zu diesem Steuerreformkonzept seien. Wir haben heute die Alternative zur Abstimmung auf dem Tisch: das ist das sogenannte Inflationsentlastungsgesetz.Man muß daran erinnern, daß es bei der Opposition verschiedene Kommissionen gegeben hat. Da gab es eine Fraktionskommission, die die Steuerreform behandelt hat, da gab es eine Parteikommission, da gab es die Sozialausschüsse, die sich dann sogar dankenswerterweise geäußert haben, da gab es die Sachverständigen in Tegernsee. Das Ergebnis all dieser Kommissionen und Gremien war Null plus Null plus Null. Die Erklärungen und die Arbeiten haben sich gegenseitig aufgehoben. Wir haben bei der Steuerreform auf seiten der Opposition ein klassisches Beispiel für Null-Wachstum. Die Erklärung des Herrn Kollegen Höcherl aus dem Jahre 1972, die mir zufällig in die Hand fiel, gilt nach wie vor. Diese Erklärung beginnt: „Die heute verbreiteten Meldungen über angebliche Steuerpläne der CDU/CSU sind reine Spekulation." Ich muß sagen, der Sachstand ist seit Januar 1972 völlig unverändert.
Wir haben bis heute noch kein Konzept der Opposition.Sie hat nun mit mehr oder weniger Überzeugung im Finanzausschuß Anträge gestellt, die — so wurde es hier schon vorher addiert — über 11 Milliarden DM über das, was die Bundesregierung und die Koalition wollen, hinaus kosten. Hier im Plenum ist sie offenbar nicht mehr bereit, diese Anträge vorzuzeigen, weil sie wohl fürchtet, daß man diese Rechnung aufmachen wird.Die Beratungen im Finanzausschuß waren für mich der ständige Versuch der Opposition, vor der Notwendigkeit zu fliehen, ein eigenes Konzept vorzulegen. Was Herr Franz Josef Strauß noch in der ersten Lesung als eine sozialistische Steuerwalze, als Nivellierung, als Abtötung der Leistungsfähigkeit und des Leistungswillens in der Bevölkerung deklariert hat, ist nun teilweise sogar über die CDU/ CSU und auch über Herrn Strauß hinweggegangen; denn er muß sich jetzt wohl dazu bequemen, auch diesem Kindergeld zuzustimmen.Was bleibt, sind sogenannte Inflationsentlastungsgesetze in verschiedenen Varianten. Da bleibt es einem freigestellt zu wählen. Da gibt es ein Inflationsentlastungsgesetz vor Weihnachten, da gibt es ein neues nach Weihnachten, für jeden Festtag ein neues, da gibt es eins aus Bayern. Man muß nun fragen, was davon gelten soll. Soll nun das bayerische gelten, das darauf angelegt ist, das neue Kindergeldsystem kaputtzumachen? Dies ist offenkundig der bayerische Versuch, hier wieder einmal den Schwanz mit dem Hund wedeln zu lassen, Herr Kreile!
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kreile.
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6986 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Herr Kollege Offergeld, sind Sie sich darüber im klaren, daß die Folge unserer Anträge zu einem Inflationsentlastungsgesetz daher rührt, daß Sie bisher noch nicht ein einziges Inflationsentlastungsgesetz durchgeführt haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kreile, ich verstehe gleichwohl nicht, warum Sie uns ständig neue Varianten anbieten.
Ich verstehe vor allem nicht, was die CDU/CSU jetzt will, ob sie das will, was sie hier im Bundestag eingebracht hat, oder das, was sie uns via Bundesrat mit der Mehrheit der CDU/CSU-Länder heute auf den Tisch gelegt hat,
was in der Tendenz darauf hinausläuft, das Kindergeldsystem zu torpedieren, das wir vorschlagen. Herr Kreile, da brauchen wir doch kein Versteck zu spielen. Das werden Sie doch offen zugeben. Wir müssen Sie fragen: Was gilt? Welche Position nehmen Sie zu diesem bayerischen Gesetzentwurf ein?Nun noch einmal zu dieser Märchenstunde von Herrn Häfele, Märchenstunde insoweit, als er die Zahlen genannt hat, mit denen er nachweisen wollte, daß nun die Kleineren und Mittleren durch Ihr Inflationsentlastungsgesetz mehr profitieren. Natürlich profitieren sie mehr, Herr Häfele, wenn man es so macht wie Sie. Das ist aber ein Taschenspielertrick, und Sie werden doch nicht glauben, daß man die Öffentlichkeit nicht darauf hinweist. Sie haben nämlich a) zusammengezählt, was Sie mit Ihrem Inflationsentlastungsgesetz wollen, und b) dann noch dazugenommen, was wir an Kindergeld wollen.
Sie suchen sich also überall das Positive heraus: einmal 10 Milliarden DM für Ihr Inflationsentlastungsgesetz, dann noch einmal 5 Milliarden DM für das Kindergeld.
Das alles mischen Sie zusammen und wollen draußen dem erstaunten Publikum klarmachen, daß Sie für die kleinen Bürger mehr wollen. Natürlich; aber unter Einsatz von 5 Milliarden DM mehr.
Es gilt natürlich auch nicht das, was Sie sagten, Herr Häfele, daß die Großen bei Ihnen weniger begünstigt würden als bei uns. Wenn man alles zusammennimmt, unseren neuen Spitzensteuersatz, Nichtabzugsfähigkeit der Vermögensteuer, dann werden — das wissen Sie doch ganz genau — die Größeren bei uns stärker belastet.Das einzige, was bei Ihnen richtig war, ist die Behauptung, daß der Grundfreibetrag linear wirkt, also alle gleichmäßig entlastet. Alles andere, wasSie wollen — es stehen ja noch ein paar Punkte mehr in Ihrem Inflationsentlastungsgesetz — wirkt progressiv, begünstigt die Bezieher hoher Einkommen stärker als die Bezieher niedriger Einkommen. Darum bleibt nach wie vor richtig, was wir immer wieder sagen: Sie wollen mit Ihrem Inflationsentlastungsgesetz die Bezieher hoher Einkommen stärker begünstigen als die Bezieher niedriger Einkommen.
Darum kommen Sie mit noch so vielen schönen Zahlenspielereien nicht herum.
Wir haben also ein Entlastungsgesetz vor Weihnachten, ein neues nach Weihnachten; wir haben ein bayerisches. Das alles garniert mit Erklärungen von Herrn Carstens im März dieses Jahres,
daß alles nicht mehr sinnvoll sei. Und laut dpa erklärt dann noch vor wenigen Tagen der schleswig-holsteinische Finanzminister Lausen ebenfalls, das alles sei nicht mehr sinnvoll. Herr Wagner, es wäre dringend notwendig, daß Sie zuerst einmal Steuerreform in Ihrem eigenen Kreis diskutieren, bevor Sie sich hier in eine Diskussion mit der Regierungskoalition einlassen, die immerhin ihr Konzept hat.
Ein roter Faden zieht sich durch alles hindurch: die Absicht, der Versuch, diese Steuerreform zu verhindern. Das fängt an mit Strauß im Jahre 1967, der über ein Jahr benötigte, um die von uns geforderte Steuerreformkommission einzusetzen. Das geht dann weiter mit Ihren mühseligen und erfolglosen Versuchen, selber ein eigenes Konzept zu finden. Das geht weiter über Ihre sogenannten Inflationsentlastungsgesetze, die ja darauf abzielen, die Dispositionsmasse für die Steuerreform mit der Gießkanne zu verteilen. Das endet schließlich bei Ihrem Versuch, die Sondersitzungen des Finanzausschusses zu blockieren und uns durch stundenlanges Geschäftsordnungspalaver im Finanzausschuß die Zeit für die inhaltliche Beratung der Steuerreform zu nehmen.
Das ist ein roter Faden, der sich politisch ganz genau verfolgen läßt.Aber wir können Ihnen die Garantie darauf geben: Sie werden keinen Erfolg haben. Wir werden die Dispositionsmasse durch noch so lockende Angebote von Ihrer Seite nicht verschleudern. Wir werden die Steuerreform jetzt und heute in diesem Parlament verabschieden.Um Ihre Verlegenheit und Ihre Ratlosigkeit zu kaschieren, haben Sie jetzt das Märchen von der
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Offergeldüberhasteten Beratung im Finanzausschuß erfunden. Das Grundkonzept dieser Steuerreform liegt seit 1971 vor. Ich gebe zu, die Beratungen waren strapaziös. Wir haben ja auch — es gab keine Abstimmungsguillotine — verschiedene Dinge gemeinsam verbessert. Herr Kreile, Herr von Bockelberg, Sie werden mir das bestätigen müssen, weil Ihre persönlichen Anregungen berücksichtigt worden sind.Wir haben uns allerdings nicht durch ein endloses Palaver von unserem Reformkonzept abbringen lassen. Wenn Sie gemeint haben sollten, das sei durch lange Beratungen möglich, dann muß ich Ihnen sagen: noch ein Jahr hätte uns nicht dazu gebracht, von unserem Reformkonzept abzugehen, womöglich noch zugunsten des Gießkannengesetzes, wie Sie das wollen.
Wir haben eine ganze Reihe von Hearings durchgeführt. Die Opposition saß immer da wie der Suppenkasper: Sie wollten und wollten die Suppe nicht nehmen.
Wenn es Ihnen so erginge wie dem Suppenkaspar im Märchenbuch, Herr Häfele, dann müßten Sie im Plenum eigentlich nur noch ein Faden sein. Gott sei Dank gilt dies alles nur bildlich.
Wir haben, meine Damen und Herren, bei den Beratungen die Wünsche des Bundesrates sehr stark berücksichtigt. Dies war immer ein ganz wesentlicher Punkt für uns, weil wir wissen, daß die Länder die Steuern zu verwalten haben, daß die Länder mit den Schwierigkeiten, die sich bei jeder Neufassung des Steuerrechts ergeben, natürlich zurechtzukommen haben. Wir haben nicht zuletzt deswegen beim Kindergeld die Arbeitsamtslösung gewählt, und wir sind glücklich, daß wir die Zusicherung haben, daß das klappt, auch entgegen den Prognosen aller Oppositionssprecher. Sie hätten es wohl gern gesehen, wenn es anders gekommen wäre! Wir hoffen allerdings, das der Bundesrat es honoriert, daß wir auf ihn stark Rücksicht genommen haben. Die meisten seiner Anträge, die er uns in die Beratung des Finanzausschusses mitgegeben hat, haben wir berücksichtigt. Wir hoffen, daß er dies honoriert und daß er sich nicht als ein verlängerter Arm der Opposition in einer anderen Kammer versteht.
Wir haben auch die Hoffnung, meine Damen und Herren, daß die Revisonsklausel, die im vergangenen Jahr zwischen den Ministerpräsidenten der Länder und dem Bundeskanzler vereinbart wurde, voll zum Tragen kommt, diese Revisionsklausel, die besagt, daß die Folgen der Steuerreform für die Haushalte der einzelnen Gebietskörperschaften, also für Bund, Länder und Gemeinden, ausgewogen verteilt werden sollen. Die Folge des neuen Kindergeldsystems, nämlich Auszahlung über die Arbeitsämter und damit Bundesleistungsgesetz, ist ja, daß die finanziellen Konsequenzen der Steuerreform auf der Einnahmenseite in Höhe von etwa 11 bis 12 Milliarden DM nahezu ausschließlich den Bund treffen. Hier muß es zu einer vernünftigen Verteilung durch eine Neuaufteilung des Umsatzsteueraufkommens kommen. Wir hoffen, daß es bald zu einer fairen Regelung kommt, da die Gebietskörperschaften, wie hier im Bund so gut wie die Länder und die Gemeinden, im Herbst wissen müssen, wie man rechnen kann, was man auf der Einnahmenseite beim Haushalt einstellen kann.Meine Damen und Herren, ich habe mich bemüht, noch einmal ein paar Schwerpunkte dieser Steuerreform aufzuzeigen. Sie bringt für uns eine ganze Reihe wesentlicher Verbesserungen und Strukturveränderungen. Die Haltung der Opposition ist auch hier völlig verwirrend. Zum einen sagt sie: Es findet überhaupt keine Reform statt. Zum anderen wurde diese Reform, so sagt die Opposition, viel zu schnell beraten, und zum dritten tötet diese überhaupt nicht stattfindende Reform laut Herrn Häfele den Leistungswillen ab und führt zu völliger Nivellierung bei den Einkommen. Dies alles auf einen Nenner zu bringen ist sehr schwierig, muß ich sagen.Wir haben einige materielle Veränderungen und eine ganze Reihe von Strukturverbesserungen durchgesetzt. Wir haben auch eine ganz gewaltige Vereinfachung dadurch durchgesetzt, daß wir die Massenverfahren wesentlich reduziert haben. Wir werden dieser Steuerreform zustimmen. Wir glauben, daß sie einen wesentlichen Beitrag zu den inneren Reformen dieser Regierung bringt und mehr soziale Gerechtigkeit in diesem Lande verwirklicht.
Das Wort hat der Herr Finanzminister des Landes Rheinland-Pfalz, Staatsminister Gaddum.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! In seiner Regierungserklärung am 17. Mai hat der Bundeskanzler die Steuerreform als erstes innenpolitisches Thema genannt und im Zusammenhang damit die Länder in besonderer Weise angesprochen. Er hat die Länder an die Verantwotrung erinnert, die sie für diese Gesetzgebung haben. Rheinland-Pfalz steht zu dieser Verantwortung, und ich darf deshalb erwarten, daß so auch die Anmerkungen verstanden werden, die zu dem vom Finanzausschuß zusammengestellten und empfohlenen Gesetzentwurf aus der Sicht eines Bundeslandes hier zu machen sind.Meine Damen und Herren, die Steuern werden durch die Landesfinanzbehörden verwaltet, d. h. die Länder tragen in erster Linie die Verantwortung für den Vollzug der Steuergesetze, also auch für den Vollzug dessen, was heute hier beschlossen werden soll. In der politischen Diskussion haben die verwaltungsmäßigen, rein technischen Gesichtspunkte in der Gesetzgebung meist nachgeordneten Rang. Solche Gesichtspunkte stehen häufig den angestrebten Zielen im Wege und erschweren die Verwirklichung des politischen Anliegens. Wer möchte schon
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Staatsminister GaddumHindernisse aufgebaut sehen, wenn es um den raschen Erfolgt geht?Trotzdem, die Probleme, die sich aus dem Vollzug der Gesetze ergeben, dürfen und können bei der Beratung nicht beiseite geschoben werden. Vor allem aber sollten sie von denjenigen, die dazu berufen sind, solche Probleme offenzulegen, nicht einer politischen Zielsetzung wegen verschwiegen werden. Ein Gesetz wird nicht nur dadurch gerecht, daß ihm eine bestimmte Idee zugrunde liegt, die als solche diesem Anspruch genügt, sondern entscheidend ist die Anwendung in der Praxis. Und ein Gesetz wird nicht zur Reform, wenn dies in der Überschrift steht, sondern wenn Inhalt und Anwendung diesem Anspruch gerecht werden.
Der Bundesrat hat im ersten Durchgang in seiner Stellungnahme zum Entwurf eines Dritten Steuerreformgesetzes in voller Übereinstimmung aller Länder nachdrücklich darauf hingewiesen, daß die Finanzverwaltung nicht in der Lage ist, bis zum 1. Januar 1975 die für den Vollzug des gesamten von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzes erforderlichen personellen, technischen und auch organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen. Der Hinweis bezog sich vornehmlich auf die Neuregelung des Familienlastenausgleichs, die Vereinheitlichung des Sparprämienrechts, aber auch auf die Schwierigkeiten, die sich aus der Systemumstellung von dem bisherigen Abzug von der Bemessungsgrundlage auf einen Abzug von der Steuer ergeben. Im Verlauf der Beratungen im Finanzausschuß des Bundestages haben die Vertreter der Länder auf diese Schwierigkeiten erneut und wiederholt aufmerksam gemacht, die sowohl von den Finanzämtern, den kommunalen Behörden als auch von Arbeitgebern zu bewältigen sind, wenn der nunmehr zur Verabschiedung anstehende Entwurf zum 1. Januar 1975 in Kraft treten soll.Das Dritte Steuerreformgesetz ist auch nicht deshalb 'leichter vollziehbar geworden, weil der Finanzausschuß den Gesetzentwurf der Bundesregierung faktisch in ein Änderungsgesetz zum Einkommensteuergesetz umgestaltet hat.
Die Stellungnahme des Bundesrates trifft auch auf diese Gesetzesfassung zu. Es ist wohl anzumerken und auch anzuerkennen, daß mit der Umstellung der Kindergeldzahlung — sie ist hier verschiedentlich genannt worden — von der Finanzamtslösung auf die Arbeitsverwaltungslösung einem gewichtigen Anliegen des Bundesrates Rechnung getragen wurde und daß insofern sicherlich ein Streitpunkt ausgeräumt worden ist. Aber die Probleme des fristgemäßen Vollzuges — dies möchte ich hierzu doch anmerken — sind damit nicht ohne weiteres gelöst.
Wenn das so einfach wäre, dann verstehe ich nicht die anfänglich sehr starken Bedenken, die seitens der Bundesanstalt für Arbeit selbst gegen ein Inkrafttreten der Neuregelung zum 1. Januar 1975 erhoben worden sind.Um hier Mißverständnissen vorzubeugen: Ich möchte ganz eindeutig erklären, daß ich es sehr begrüßen würde, wenn es gelänge, eine reibungslose Auszahlung für alle Berechtigten ohne Ausnahme am 1. Januar 1975 sicherzustellen. Nur erscheint mir hier eine gewisse Skepsis angebracht. Es wäre ratsam gewesen, eine längere Einführungszeit vorzusehen. Dadurch könnten Schwierigkeiten, Unzuträglichkeiten und Reibungspunkte, die zu Unzufriedenheit und Verdrossenheit bei den betroffenen Bürgern führen können, von vornherein vermieden werden. Auch hier, meine Damen und Herren, gilt das Gebot der Gleichbehandlung; ein Gesetz muß für alle Betroffenen in gleicher Weise vollziehbar sein. Ich möchte dem Präsidenten der Bundesanstalt durchaus wünschen, Herr Offergeld, daß er recht behält und es schafft.Wer allerdings aus dem Meinungsumschwung bei Herrn Präsidenten Stingl und den Möglichkeiten der Arbeitsverwaltung für einen zeitgerechten Gesetzesvollzug ableiten will, die Steuerverwaltung müßte nunmehr ebensogut in der Lage sein, ihren steuerlichen Part zum 1. Januar 1975 reibungslos zu meistern, der verkennt ,die unterschiedlichen Verhältnisse in beiden Verwaltungen.Herr Staatssekretär Porzner hat in der abschließenden Sitzung des Finanzausschusses des Bundestages die Auffassung vertreten, auch in der Steuerverwaltung seien gewiß „Mobilisierungsreserven" vorhanden. Diese Reserven brauche man nur zu effektuieren, und dann könne die Steuerverwaltung mit den neuen Gesetzen ebenfalls gut fertig werden.Ich weiß nicht, ob Herrn Kollegen Porzner bewußt geworden ist, welchen Vorwurf er hier im Grunde genommen gegenüber unserer Steuerbeamtenschaft erhebt. Wenn er in diesem Zusammenhang von Mobilisierungsreserven spricht, heißt das doch nichts anderes, als daß die in der Steuerverwaltung Beschäftigten zur Zeit nicht voll ausgelastet werden.
Allein im Lande Rheinland-Pfalz verzeichnen wir zum 1. Januar 1974 bei den Finanzämtern einen Personalfehlbestand von 1 391 Stellen — das sind rund 21 % —, und in anderen Bundesländern sehen die Verhältnisse nicht besser aus.Auf der Tagung zur Lage der Steuerverwaltung der Länder im März dieses Jahres hier in Bonn hat der Herr Kollege Wertz für das ganze Bundesgebiet einen Fehlbestand an Bediensteten in dieser Größenordnung bestätigt, und ganz eindeutig erklärte er, von stillen Reserven könne keine Rede sein. Es ist also — und ich lege sehr großen Wert darauf, dies heute hier zu sagen — nicht eine Frage des guten Willens oder des Pflichtbewußtseins des einzelnen Beamten, ob das, was die Mehrheit des Bundestages unter der Überschrift „Steuerreform" Gesetz werden lassen will, auch zum vorgesehenen Zeitpunkt gesetzesgemäß verwirklicht werden kann.Auch wenn die Umstellung auf das neue Recht unter eben solchem Zeitdruck wie die Gesetzgebung durchgeführt werden soll, um das späte Einbringen der Gesetze durch die Bundesregierung gleichsam zu korrigieren oder aufzuholen, bringt dies jeden-
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Staatsminister Gaddumfalls für die Verwaltung und auch für die beteiligte Wirtschaft erhebliche Mehrbelastungen. Ich hielte es für wünschenswert, wenn die in jüngster Zeit von verschiedenen Seiten geäußerten Bedenken wegen der Personalentwicklung im öffentlichen Dienst an dieser Stelle bedacht würden, denn die Entscheidung fällt in der Gesetzgebung; der Vollzug ist dann zwingend. Eine so komplizierte Gesetzgebung unter diesem Zeitdruck im Gesetzgebungsverfahren durchzudrücken tut weder dem Gesetz gut noch tut ein überstürzter Umstellungsprozeß der Verwaltungsqualität gut; dieser provoziert vielmehr zusätzlichen Verwaltungsaufwand.Meine Damen und Herren, die Möglichkeiten für eine wirksamere Entlastung — auch dies ist vorhin angesprochen worden — nimmt die Bundesregierung leider nicht wahr. Sie hätten bestanden, wenn — dies hat Herr Abgeordneter Dr. Häfele hier bereits vorgetragen — beispielsweise die Kraftfahrzeugsteuerreform, die ursprünglich als wesentliches Teilstück der Steuerreform angekündigt und mit Vorschußlorbeeren versehen wurde, weiterverfolgt worden wäre. Aber die Bundesregierung selbst hat sie offensichtlich abgeschrieben; der eigene Entwurf ist dem Bundestag nicht mehr zugeleitet worden. Im steuerpolitischen Teil der Regierungserklärung wird sie als Aufgabe für diese Legislaturperiode auch nicht mehr erwähnt. Mit der Vernachlässigung dieser für die Verwaltung so wichtigen Reform wird die Chance vertan, etwa 3 000 Arbeitskräfte bei den Finanzämtern für andere Aufgaben freizusetzen.Ich sage dies hier mit aller Deutlichkeit, weil der Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung nicht von uns in die Debatte über diese Gesetzgebung eingeführt worden ist; sondern dies war immer auch ein Anspruch, mit dem die Regierung angetreten und an diese Reform herangegangen ist.Es wurde immer gesagt, daß die Finanzverwaltung mindestens ein Jahr braucht, um sich auf die Neuerungen und Änderungen der Steuerreform einzustellen. Dies gilt gleichermaßen auch für Steuerzahler und für die steuerberatenden Berufe. Auch an dieser Erkenntnis hat sich nicht dadurch etwas geändert, daß aus dem Dritten Steuerreformgesetz nun ein Gesetz zur Reform des Einkommensteuerrechts und der Sparförderung werden soll.Meine Damen und Herren, der Finanzminister eines Landes ist auch Dienstherr einiger tausend Bediensteter der Finanzverwaltung, und ihnen gegenüber obliegt uns auch eine Fürsorgepflicht. Ich bin durchaus für Leistung und für Leistungsanspannung, aber ich bin gegen eine Überforderung, und deshalb wende ich mich auch dagegen, daß ehrgeizige und, wie ich meine, weitgehend unrealistische politische Vorstellungen auf dem Rücken der Beamtenschaft ausgetragen werden sollen.
Denn sie hat es zu ertragen, wenn der Steuerpflichtige kein Verständnis dafür aufbringt, daß das Recht nicht fristgemäß oder entsprechend dem, was er unter „fristgemäß" versteht, angewandt werden kann. Dies wird nicht hier vorgetragen, sondern diese Klage landet bei den Beamten im Finanzamt.Ich meine, dies muß hierbei auch gesagt werden. Auch daran werden die Qualitäten der Reformen gemessen.Wir sind immer für die Einheit der Steuerreform eingetreten, haben aber stets auch betont, daß die einzelnen Gesetze durchaus auch zu unterschiedlichen Terminen in Kraft treten können, um auf diese Situation in der Verwaltung Rücksicht zu nehmen.Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung am 17. Mai selbst zugegeben, daß man aus den Erfahrungen gelernt habe. Weder die Ministerien, noch der Finanzausschuß seien trotz vieler Überstunden in der Lage gewesen, das im Jahre 1969 in Angriff genommene Gesetzgebungsprogramm der Steuerreform als Gesamtprogramm in den damals in Aussicht genommenen Terminen zu bewältigen. Nun ist dies eine späte Erkenntnis aus offensichtlich jüngster Zeit, denn noch im Januar dieses Jahres hat der heutige Bundeskanzler und seinerzeitige Finanzminister einen wesentlich ehrgeizigeren Zeitplan gehabt.Was hier aber für die Ministerien und für den Finanzausschuß des Bundestages gesagt wurde, gilt in gleichem Maße für den Bundesrat und natürlich auch für die Verwaltung draußen. Gerade darauf, was die Vollziehbarkeit anbelangt, hätte, wie ich meine, mehr Bedacht genommen werden müssen. Der Bundestag steht heute — der Bundesrat in wenigen Tagen — vor der Frage, ob es verantwortet werden kann, die Verwaltung draußen mit neuen und, wie aus )der Diskussion bereits deutlich geworden ist und wie ich gleich in einzelnen Punkten noch einmal unterstreichen werde, unausgereiften Gesetzen ohne ausreichende Vorbereitungszeit zu konfrontieren und damit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung ernsthaft zu gefährden.
Ich melde diese Bedenken mit allem Nachdruck an, weil ich durchschlagende längerfristige Erleichterungen und Vereinfachungen für die Verwaltung in dem vorliegenden Gesetz nicht sehe. Dieses sogenannte Reformgesetz trägt schon heute den Keim künftiger Änderungsnotwendigkeiten in sich. Dies darf doch wohl nicht selbstverständlicher Inhalt eines Reformgesetzes sein!In diesem Zusammenhang noch eine kritische Anmerkung zum Gesetzgebungsverfahren. Wir erleben es jetzt zum wiederholten Male, daß der Bundesrat massiv unter Zeitdruck gesetzt wird. Bereits beim Zweiten Steuerreformgesetz sollte der gesetzte Termin für den zweiten Durchgang dem Bundesrat praktisch die Möglichkeit nehmen, Einwendungen zu erheben und den Weg des Vermittlungsverfahrens zu beschreiten. Auch jetzt bleibt dem 'Bundesrat für seine Beratung wieder nicht die Zeit, die angesichts der Bedeutung und Kompliziertheit der Materie, wie ich meine, angemessen wäre, zumal wichtige Teile des Gesetzgebungspaketes — ich mache aus der Tatsache als solcher natürlich keinen Vorwurf, aber es muß bei der Zeitplanung berücksichtigt werden — in der Vorlage, zu der der Bundesrat im ersten Durchgang Stellung genommen hat, heute nicht mehr
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Staatsminister Gaddumenthalten sind bzw. neue enthalten sind, die seinerzeit nicht enthalten waren. Ich denke hierbei an die Änderungen, die nunmehr zum Bundeskindergeldgesetz vorgesehen sind, und dabei insbesondere auch an die Regelung für den öffentlichen Dienst mit den vorgesehenen Konsequenzen für die Länderhaushalte, und ich denke an die Änderung des Vermögensteuergesetzes, die Änderung des Ergänzungsabgabengesetzes sowie, wie wir aus der Regierungserklärung erfahren haben, die veränderten Daten — und dies ist ein wesentliches Faktum — zur Körperschaftsteuerreform und auch zu den Vermögensbildungsplänen. Ich darf daran erinnern, daß wir gerade im Vermittlungsverfahren zum Zweiten Steuerreformgesetz mit diesem Gesetzgebungsvorhaben der Bundesregierung ganz bestimmte Anliegen verbunden haben. Ich denke z. B. an die Arbeitnehmerstiftung. Ich glaube, daß wir es auch aus der Sicht des Bundesrates nicht ohne weiteres hinnehmen können, wenn wir uns im Vertrauen auf die Einhaltung der Terminplanung der Bundesregierung hier an ein Gesetzgebungsverfahren der Bundesregierung gebunden haben und nunmehr erfahren, daß die Bundesregierung selbst diese Termine nicht mehr einhält.Meine Damen und Herren, ich halte es auch für ein unmögliches Verfahren — lassen Sie mich das auch hier sagen —, daß heute vormittag, also praktisch bevor sich dieses Haus mit dieser Materie im einzelnen beschäftigt, zur Vorbereitung der Sitzung des Finanzausschusses des Bundesrates, der morgen tagt, der Referentenkreis der Länder praktisch zu einem Gesetz Stellung nehmen muß, das überhaupt noch nicht existiert.
Hier wird das Gesetzgebungsverfahren de facto pervertiert unter der Überschrift „Mehr Demokratie in Deutschland", Herr Offergeld.
Oder wird auch dieser Anspruch — um an Ulrich Lohmars Kritik an dem Regierungskurs des Bundeskanzlers anzuschließen — mit Willy Brandt geopfert?
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Weber?
Herr Minister, halten Sie diese Behauptung aufrecht mit Rücksicht darauf, daß insbesondere von Bundesratsseite in den letzten Tagen immer wieder gesagt worden ist, das, was heute im Parlament stattfinde, sei doch nur ein Schattenboxen; der Bundesrat entscheide letztlich über die Steuerreform?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mir ist nicht bekannt, welches Bundesratsmitglied dies gesagt haben soll. Ich kann Ihnen jedenfalls von mir aus hier ganz eindeutig erklären, daß ich Gesetzgebung als Zusammenwirken beider Gesetzgebungsorgane sehe. Allerdings gehört dazu, daß beide sich gegenseitig respektieren.
Man kann mir hierzu natürlich entgegenhalten — dies weiß ich auch —, daß alles, was hier geschieht, im Rahmen der Möglichkeiten geschieht, die die Geschäftsordnungen von Bundestag und Bundesrat zulassen. Ich möchte das, wie gesagt, hier nicht nachprüfen. Aber nach meinem Dafürhalten wäre es ein Akt von mehr Demokratie, wenn das Bundesorgan, das von Verfassungs wegen dazu berufen ist, an der Gesetzgebung mitzuwirken — selbstverständlich nicht, alleine zu wirken —, nicht durch den Termindruck in seinem Mitwirkungsrecht und seiner Mitwirkungspflicht praktisch beschnitten würde.Dies gilt um so mehr, als umgekehrt Bundesregierung und Bundestag für sich das Recht in Anspruch nehmen, darüber zu bestimmen, wann Initiativgesetze des Bundesrates oder der Opposition im Bundestag behandelt werden. Ich glaube, zum Demokratieverständnis gehört einfach auch, daß man dem anderen nur das abverlangt, was man selber zu geben bereit ist. Ich will es hier ganz deutlich sagen: Wenn Bundesregierung und Koalitionsmehrheit im Bundestag für sich in Anspruch nehmen, unter Ausschöpfung der Fristen Vorlagen der politischen Gegenseite dilatorisch zu behandeln, dann widerspricht es einfachen demokratischen Spielregeln, wegen eigener Vorlagen Termindruck auszuüben.
Hierzu gehört auch die Frage der Verbindung des Bundeskindergeldgesetzes mit dem Steuergesetz. Im Verlauf der parlamentarischen Beratung der Neuregelung des Familienlastenausgleichs ist doch klargeworden, daß inzwischen eine breite Übereinstimmung darüber besteht, wie diese Neuregelung aussehen soll. Man mag persönlich noch so viele Zweifel haben, ob die gefundene Lösung aus verfassungsrechtlicher und steuerrechtlicher Sicht die richtige ist und ob die vorgesehenen Beträge ausreichen, um die Belastungen durch die Unterhaltsleistung an die Kinder angemessen auszugleichen. Da aber nunmehr deutlich geworden ist, daß die vorgesehene Regelung des Familienlastenausgleichs von allen Fraktionen im Bundestag und vom Bundesrat getragen wird, sollten im Interesse der Bevölkerungskreise, die in den Genuß des Kindergeldes kommen sollen, keine neuen Hindernisse für die endgültige Verabschiedung aufgebaut werden. Die Länder — das gilt auch für mich persönlich — haben verschiedentlich ihre Kooperationsbereitschaft angeboten. Hier könnten die Koalitionsfraktionen unter Beweis stellen, daß sie ihrerseits zur Kooperation bereit sind. Deshalb die Bitte an die Bundesregierung und an die parlamentarische Mehrheit in diesem Hause, von einer Einfügung des Bundeskindergeldgesetzes in das Steuergesetz, wie sie der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und der Finanzausschuß empfohlen haben, abzusehen. Die getrennte Behandlung beider Gesetze würde die Umstellung des Familienlastenausgleichs von dem notwendigen Austragen der Auseinandersetzung um davon unabhängige, andere Streitpunkte der Steuerreform lösen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 6991
Staatsminister GaddumLassen Sie mich ganz offen sagen: Die Koppelung, wie sie jetzt hier vorgesehen ist, sieht sehr nach dem Versuch aus, den Bundesrat unter einen gewissen politischen Druck zu setzen, weil man glaubt, daß der Bundesrat wegen der unstreitigen Kindergeldlösung dann auch anderen Inhalten dieses Gesetzes zustimmen würde.Meine Damen und Herren, diese Politik des Unterdrucksetzens ist schon beim Zweiten Steuerreformgesetz nicht aufgegangen. Warum — ich meine, das kann man hier fragen — wird diese Politik jetzt wieder versucht? Glauben Sie wirklich, damit das Klima für die notwendigen Verhandlungen um die Steuerumverteilung im Zusammenhang mit diesem Gesetz jetzt günstig zu beeinflussen? Ich kann mir nicht denken, daß dies der Fall ist.Meine Damen und Herren, ich sprach und spreche von der Verantwortung der Länder für die Steuerreform. Diese Verantwortung umfaßt grundsätzlich auch die Finanzierbarkeit des Vorhabens. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung in diesem Zusammenhang ein solidarisches Verhalten aller Gebietskörperschaften gefordert, um die mit ,den vorgesehenen Entlastungen der Steuerzahler verbundenen Belastungen der öffentlichen Haushalte gemeinsam auffangen zu können. An der Bereitschaft zum solidarischen Verhalten soll es nicht fehlen.Im Rahmen des Finanzausgleichs hat sich der Bund — so der Bundeskanzler — voll in die Hände der Länder begeben; er sei so zum Bittsteller der Länder geworden und von ihnen deshalb abhängig; schließlich liege es an der CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat, ob der Bund im Bundeshaushalt Einschränkungen vornehmen muß, die er weder politisch noch sachlich noch wirtschaftlich rechtfertigen könne.Ich bin der Meinung, ,daß sich der Bundeskanzler die Frage der Finanzierbarkeit nicht hätte so leicht machen dürfen. Hier handelt es sich in der Tat um ein sehr ernstes Problem, das nur gemeinsam gelöst werden kann. Meine Damen und Herren, Sie dürfen davon ausgehen, daß das die Finanzminister aller Länder gleichfalls wissen. Es ist uns jedoch nicht damit gedient — ich sage das auf der Basis auch früherer Erfahrungen —, daß von vornherein versucht wird, den berühmten Schwarzen Peter weiterzugeben oder irgend jemandem in die Hand zu drücken. Die Länder werden bei diesen Verhandlungen darauf drängen müssen, daß auch der Bund politisch mitträgt und politische Aussagen darüber macht, bei welchen Ausgaben unter welchen Aufgabenblöcken die notwendigen Einschränkungen erfolgen müssen.Es muß daran erinnert werden, daß die große Steuerreform ursprünglich unter ganz anderen haushaltsmäßigen Vorzeichen geplant war. Die Aufkommensneutralität der Gesamtreform war die Devise, wobei eine Erhöhung der Umsatzsteuer von der sozialliberalen Koalition seinerzeit mit einkalkuliert war. Wenn später an der Aufkommensneutralität der Steuerreform nicht mehr festgehalten worden ist, dann sollte nicht die Verantwortung für eine vielleicht danach notwendig werdende Erhöhung derMehrwertsteuer dem Bundestag oder dem Bundesrat oder gar nur Teilen dieser Gremien schon jetzt zugeschoben werden.Die Bundesregierung ist da in einer glücklichen Lage. Sie erklärt einfach: Ich habe das nicht gewollt. Bundestag und Bundesrat haben aber so entschieden. Ich meine, festzuhalten ist in jedem Fall: Die Bundesregierung und mit ihr die sozialliberale Koalition haben das ursprüngliche Reformkonzept verlassen. Sie haben nunmehr versucht, Strukturreform und Steuerentlastung zu verbinden. Dies, meine Damen und Herren, kann eben nicht gelingen.Dieser Versuch einer Kombination von Inflationsfolgenentlastung und Steuerreform ist eine Quelle des Übels und eine Ursache dafür, daß ein Gesetz vorgelegt wird, welches von der Vorgabe einer möglichen Steuerentlastung von zirka 10 Milliarden DM bestimmt ist: Danach richteten sich alle für möglich gehaltenen Reformmaßnahmen.Damit wir uns hier nicht mißverstehen, sei folgendes gesagt. Eine Inflationsentlastung in dieser Höhe hatten Bundesrat wie auch 'die CDU/CSU-Fraktion dieses Hauses schon früher gefordert. Aber an eine Steuerreform müssen nach Ihren eigenen Ankündigungen andere Ansprüche gestellt werden. Wenn dies zur Zeit nicht finanzierbar ist, weil eine Verbrauchsteuererhöhung zum Ausgleich ausscheidet, dann sollte man nicht jetzt ein Gesetz mit der Überschrift „Reform" vorsehen, sondern ein Steueränderungsgesetz vorlegen, das den Inflationsausgleich bringt, und im zweiten Schritt dann eine tatsächliche Reform gesetzgeberisch vollziehen.Was ich hier sage, ist nun nicht eines bösen CDU-Politikers Idee, sondern der Vorschlag des Vorsitzenden des Bundes der Steuerbeamten, Herrn Fredersdorf. Dieser Vorschlag ist der Bundesregierung und wohl auch in diesem Hause bekannt. Er geht von den gleichen Überlegungen aus wie ich und kommt dann auch zu diesem Ergebnis.
— Herr Kollege Offergeld, ich habe gar nichts dagegen, daß Sie ihn auch zitieren. Es gibt eine Fülle interessanter Zitate bei Herrn Fredersdorf, nicht nur dieses. Aber die meisten davon werden Ihnen gar nicht so ganz lieb sein.
Aber, meine Damen und Herren, der entscheidende Punkt ist — und ich meine, dies sollte nicht untergehen —: Nur auf einem inflationsbereinigten Steuerrecht läßt sich eine Steuerreform als Strukturreform aufbauen; alles andere ist ein Mixtum compositum von Dingen, die nicht vernünftig zueinander passen.Den Vorlagen der CDU/CSU-Fraktion und des Bundesrates wird entgegengehalten — dies ist auch hier geschehen —, im Falle ihrer Verwirklichung würde die Steuerreform verhindert. Ich habe diesen Einwand nie so ganz verstanden. Sofortentlastung und Steuerreform sind zwei verschiedene Vorhaben mit unterschiedlicher Zielrichtung, und ich halte es6992 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974Staatsminister Gaddumdeshalb auch nicht für möglich und für nicht gerecht, diese beiden Vorhaben miteinander zu vergleichen und danach zu argumentieren. Die Ansatzpunkte sind unterschiedlich.
Bei dem ersten geht es um eine unaufschiebbare Maßnahme zur Milderung der ungerechtfertigten Überbesteuerung und zur Zurückführung der überproportional angestiegenen Steuerlast auf eine Steuerhöhe, die für reale Einkommen gedacht ist. Steuerreform kann dagegen nur als ein zukunftorientiertes, umfassendes Vorhaben zur Neuordnung des Steuerrechts verstanden werden, und ursprünglich ist man auch unter diesem Ansatz angetreten.
Was heute jedoch dem Parlament zur Beschlußfassung als Steuerreform angeboten wird, bleibt hinter diesem Anspruch erheblich zurück. Nur aus dem Zwang, Steuerentlastung über den 1. Januar 1975 hinaus dem Steuerzahler nicht vorenthalten zu können, sollen jetzt beide Vorhaben miteinander verquickt und mit dem Etikett „Steuerreform" versehen werden.Bei allen Bemühungen um sozial gerechtere Lösungen in Teilbereichen ergeben sich — das ist die ganz normale Konsequenz — neue Ungerechtigkeiten. Auf Dauer angelegte Vereinfachungen sind nicht zu erkennen, und die daraus folgenden Ungereimtheiten sind in der Debatte bereits deutlich geworden. Sie sind zudem auch aus Einwendungen des Bundesrates im ersten Durchgang hier bekannt, und ich möchte sie nicht wiederholen.Ich begrüße dankbar, daß der Finanzausschuß des Bundestages Anliegen des Bundesrates aufgenommen hat, aber es ist doch nicht so, daß dies in einer Weise geschehen sei, daß man heute davon sprechen könnte, daß diese Anliegen überwiegend aufgenommen worden sind.
Aufgenommen worden ist das Problem des Kindergeldes als das gewichtigste; dies wird anerkannt. Aber auf eine ganze Reihe anderer Fragen, auf die ich gleich noch zu sprechen komme, sind Sie nicht eingegangen. Ich mache Ihnen das nicht zum Vorwurf; das ist Ihr politisches Recht und Ihre politische Entscheidung. Nur soll man das nicht so darstellen, als bestünde hier ein allgemeiner großer Konsens. Dies ist nicht der Fall.Meine Damen und Herren, ich möchte hier als einen dieser Punkte wiederholen, daß ich insbesondere die Sonderausgabenregelung für äußerst bedenklich halte. Der Abzug eines festen Prozentsatzes der Versorgeaufwendungen unabhängig von der individuellen Steuerbelastung erkennt die Leistungsminderung durch notwendige Ausgaben für die Alterssicherung bei Teilen der Bevölkerung nicht mehr an. Diese Bürger sollen, soweit sie als Unverheiratete Einkommen über 16 000 DM haben — das ist weniger als das Durchschnittseinkommen in der Bundesrepublik —, ihre eigenen Aufwendungen für die Altersversorgung teilweise versteuern.
— Aber Sie wollen ja reformieren; Sie wollen doch alles besser machen!
Meine Damen und Herren, dies ist mit dem Prinzip der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit nicht vereinbar.Es empfiehlt sich, auch über die hohen Freibeträge bei den Sonderausgaben noch einmal nachzudenken, die bis zu 20 000 DM gehen. Das hört sich erfreulich an, nur: wieviel muß denn jemand verdienen, daß er 20 000 DM für die Altersversorgung aufbringen kann? Wenn man also sagt — Frau Kollegin Funcke hat dies vorhin getan , daß die Aufwendungen für die Altersversorgung sozusagen aus dem Kernbereich der Aufwendungen des einzelnen herausgenommen werden und es von daher gerechtfertigt sei, sie nur im Maße der Proportionalsteuer zu entlasten, dann kann ich mich nur fragen: Wovon sollen denn Menschen noch leben, die diese 20 000 DM aufgewandt haben, etwa zwei verdienende Ehepartner mit einem Einkommen in der Größenordnung von 40 000 bis 45 000 DM? Das ist ja kein Extremfall, sondern entspricht etwa dem Durchschnittseinkommen eines Ehepaares, dessen beide Teile verdienen. Man kann natürlich davon ausgehen, daß die 20 000 DM für die Altersversorgung aufwenden konnten; ich habe aber einigen Zweifel, ob diese Rechnung einigermaßen vernünftig ist.Ich bin mit Herrn Fredersdorf der Meinung, wenn er schreibt — ich darf ihn noch einmal zitieren, weil es so schön ist , am besten stehe in diesem Zusammenhang der Spitzenverdiener da — für den Sie ja gar nicht soviel tun wollen —, weil allein er in der Lage sei, die neuen Höchstbeträge auszuschöpfen und trotz des auf 22 % begrenzten Abzugs zu wesentlich günstigeren Steuerersparnismöglichkeiten als bisher zu kommen.Es müßte die sozialliberale Koalition doch bedenklich stimmen, wenn ein Sachverständiger aus ihren eigenen Reihen über die Neuregelung der Vorsorgeaufwendungen wie folgt urteilt — ich bitte um die Erlaubnis, hier zitieren zu dürfen —:Dies ist die Pervertierung sozialdemokratischer Politik: für den Kleinen keine Verbesserung, für den Großen der höchste Nutzen und für den Mittleren die Last.
Völlig unbefriedigend ist ferner, daß das Problem der Ungleichbehandlung der Selbständigen gegenüber den Unselbständigen bei den Vorsorgeaufwendungen nicht gelöst wird. Wo bleibt denn die Harmonisierung der Ausbildungsförderung, wo bleibt die Vereinheitlichung der Besteuerung der im Alter bezogenen Einkünfte? Diese Probleme sind doch
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Staatsminister Gaddumnicht gelöst! Ich gebe 'zu, daß hier 'Schwierigkeiten bestehen. Ich sehe auch Probleme hinsichtlich der Aufkommensfragen. Nur, meine Damen und Herren, dann soll man nicht mit dem Anspruch antreten, man mache ein Steuerreformgesetz; dann sollte man den Korb der Ansprüche etwas niedriger hängen, der Ansprüche, die man an sich selbst stellt und die man erfüllen kann.Herr Kollege Offergeld, Sie haben vorhin die Umstellung in diesem Bereich gerechtfertigt und haben als sozial besonders fortschrittlich z. B. die Einführung oder die Erhöhung bestimmter Freibeträge aufgeführt, z. B. des Arbeitnehmerfreibetrages, der der sozialen Gerechtigkeit wegen auch nur mit einem bestimmten Satz von der Steuer abgezogen werden soll. Sie erwähnten zwei Sätze danach die Einführung des Freibetrags für die alleinstehende Mutter mit Kind. Nur haben Sie dabei vergessen, zu ,sagen, daß dieser Betrag nach wie vor von der Bemessungsgrundlage abgezogen wird. Das heißt, Sie argumentieren in dem einen Fall, es sei sozial gerechter und unbedingt notwendig, es sei ein ganz großer Fortschritt, wenn die Entlastung aus dem Arbeitnehmerfreibetrag praktisch allen in gleicher Höhe zukomme; gleichzeitig loben Sie einen anderen Freibetrag, der die hochverdienende Mutter wesentlich besser stellt als die geringverdienende Mutter. Wo bleibt denn da die Konsequenz und die unbedingte Lückenlosigkeit Ihrer Argumentation?
Meine Damen und Herren, ich meine, es sollte schon bedenklich stimmen — lassen Sie mich das gerade aus meiner eigenen Situation heraus sagen; ich glaube, das ist hier einmal zulässig —, wenn diese oben dargestellte Erschwernis der Altersversorgung alle diejenigen ausspart, deren Pensionsanwartschaften steuerfrei gebildet werden. Dies bedeutet, daß die künftigen Bezieher höherer Beamtenpensionen und vergleichbarer Bezüge aus dieser Neuregelung den größten Nutzen haben. Ich darf als Abgeordneter eines Landtags hinzufügen, weil ich mich dabei gar nicht wohl fühle, daß auch die Parlamentarier zu den durch diese Neuregelung Privilegierten gehören. Können wir dies wollen, und wollen Sie dies als 'Ergebnis besonderen sozialen Fortschritts hier anpreisen?Wie soll man dem Steuerzahler verständlich machen, daß es für Unterhaltsleistungen an Angehörige eine unterschiedliche Entlastung gibt, und zwar je nach dem, ob es sich um ein Kind handelt, für das er Kindergeld bezieht, oder ob es sich um einen anderen Angehörigen handelt? Auch die unterschiedliche Behandlung der Gastarbeiterkinder gegenüber den kindergeldberechtigten Kindern wird sich als ernsthaftes sozialpolitisches Problem herausstellen.Als ausgesprochen unsozial muß ich die schon erwähnte Neuregelung zum Arbeitnehmerfreibetrag deshalb empfinden, weil im Gegensatz zum Freibetrag für freie Berufe und für Landwirte der Abzug nicht mehr von der 'Bemessungsgrundlage, sondern von der Steuerschuld erfolgen soll, obwohl bei den beiden anderen Freibeträgen eine entsprechendeÄnderung nicht vorgesehen ist. Dies erfolgt doch letztlich deshalb, weil man sich im Rahmen dieses 10-Milliarden-DM-Programms bewegen möchte. Dies bestimmt die Struktur, und dies bestimmt eben auch die negative Qualität des Programms. Ich meine, daß das Gesetz dadurch unsozial wird, weil es im 'bisherigen Durchgang nach dem Motto gestaltet worden ist: es muß in jedem Falle eine Reform her, um welchen Preis auch immer. Ich halte das für das Sachanliegen nicht für förderlich.Zur Tarifgestaltung! Die Finanzminister der Länder haben sich zwar für den im Gesetzentwurf enthaltenen Tarif mit der ausgedehnten Proportional-zone ausgesprochen, weil dieser Tarif kurzfristig Erleichterungen für die Verwaltung schafft. Wer aber eine zukunftsorientierte Steuerreform machen will, kann auf den durchgehenden Progressionstarif nicht verzichten. Insofern besteht Einmütigkeit. In der Stellungnahme der Finanzminister ist deshalb auch deutlich gemacht worden — und wenn man uns zitiert, bitte ich, uns vollständig zu zitieren —, daß der vorliegende Tarif nur als Tarif für eine Übergangszeit von höchstens zwei Jahren in Betracht kommen kann und daß als Reformtarif ein Tarif mit durchgehendem Progressionsverlauf spätestens zum 1. Januar 1977 eingeführt werden müßte. In Anbetracht der Vorläufigkeit des Tarifs — das heißt doch wohl: eines ganz wesentlichen Bestandteils des Gesetzes — wird doch wohl niemand von einer Reform sprechen können. Es wäre eine Reform, die den Ansatz zur nächsten Reform bereits in sich trägt.Im übrigen darf die Tariffrage nicht isoliert betrachtet werden, sondern sie kann nur im Zusammenhang auch mit der Bemessungsgrundlage gesehen werden. Es kommt darauf an, was im einzelnen zu der Bemessungsgrundlage gehört. Ich sehe daher einen sehr engen Zusammenhang zwischen der Frage der Behandlung der Vorsorgeaufwendungen und der Frage der Tarifgestaltung. Meine Zustimmung zu dem vorliegenden Tarif steht deshalb durchaus unter dem Vorbehalt, daß der Abzug der Vorsorgeaufwendungen aus der Bemessungsgrundlage erhalten bleibt. Hierzu hat sich der Bundesrat bisher in keiner Weise abweichend geäußert.Mir erscheint noch ein Hinweis auf die haushaltsmäßigen Konsequenzen wichtig. Eine Steuerentlastung wird uns allen — das unterstreiche ich — in den Haushalten schwerfallen. Das gilt für den Bund, das gilt auch für die Länder, und das gilt für die Gemeinden. Ich stehe dabei zu der seinerzeit vereinbarten Revisionsklausel, auch jetzt, wo sie höchstwahrscheinlich dem Bund zugute kommt. Bezüglich des Termins, wann verhandelt werden soll, weiß ich, daß Absprachen zwischen dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten bestehen. Ich nehme an, daß sich an dieser Termingestaltung nichts dadurch ändert, daß jetzt derjenige, der gibt, und derjenige, der nimmt, andere sind.Daß diese steuerlichen Mindereinnahmen insgesamt uns jetzt schmerzen — ich mache daraus gar kein Hehl —, hängt aber doch vor allen Dingen damit zusammen, daß wir uns alle an inflationsbe-
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6994 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Staatsminister Gaddumdingte Steuermehreinnahmen gewöhnt haben, undzwar außergewöhnliche Lohnsteuermehreinnahmen,
die nach den Intentionen des Gesetzgebers ursprünglich überhaupt nicht zur Finanzierung der Staatsausgaben bereitstehen sollten. Diese Zahl wird allein für 1974 auf etwa 30 Milliarden geschätzt, wenn ich von der damaligen Intention des Gesetzgebers ausgehe. Es ist falsch, wenn behauptet wird — so auch der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung —, die Belastung der Steuerzahler werde jährlich um 10 bis 12 Milliarden geringer sein. Dann meint doch jeder Leser — ich möchte jetzt hierbei dasselbe vollziehen, was Herr Offergeld vorhin versucht hat —, er brauche 1975 weniger zu zahlen, als er 1974 gezahlt hat.
Genau dies wird nicht der Fall sein. Das Gesamtsteueraufkommen der Bundesrepublik wird ohne Rechtsänderung von 253 Milliarden in 1974 auf 274 Milliarden in 1975 steigen. Die geplanten Entlastungen, um die es jetzt hier geht — wenn ich der Vorlage der Koalitionsparteien folge —, werden das Wachstum von 21 auf ca. 10 Milliarden mindern. Dies ist die Tatsache!Vorsitz: Vizepräsident Dr. Jaeger.)Das bedeutet also, daß nicht der zu zahlende Steuerbetrag niedriger sein wird, sondern daß der Zuwachs gemildert wird. Darum bin ich der Meinung, daß man, wenn man ehrlich argumentiert — und darum ist gebeten worden , davon reden sollte und nicht von einer Minderung der Belastung des Betroffenen gegenüber dem, was er zur Zeit zahlt; im Endergebnis der Gesamtsteuern wird das nicht der Fall sein.
Meine Damen und Herren, wenn die Länder für die Steuerreform Verantwortung mit übernehmen sollen, dann muß aber der Bundestag auch ein Gesetz verabschieden, daß diesen Namen verdient. Der vorliegende Gesetzentwurf wird dem, wie ich meine, nicht gerecht. Es wurde dem Steuerzahler eine umfassende Steuerreform versprochen, und ich habe bereits einige Probleme aus der Einkommensteuer bezeichnet, die unerledigt bleiben; auf der Strecke geblieben ist auch die Frage des Abbaus der Steuervergünstigungen.Ein enger Zusammenhang der Einkommensteuerreform besteht ferner zur Körperschaftsteuerreform, die im Moment praktisch nur als Merkposten weitergeschoben wird. Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung an diesem Vorhaben Körperschaftsteuer festhalten will, auch wenn sie die Verwirklichung nun wiederum um ein Jahr hinausgeschoben hat. Bereits anläßlich des ersten Durchgangs im Bundesrat habe ich betont, daß ein solches Junktim zwischen der Vermögensbildung und der Körperschaftsteuer nicht zwingend ist. Damals habe ich den Widerspruch des Vertreters der Bundesregierung zu diesem Punkt gefunden. Um so mehr empfinde ich Genugtuung, wenn die Bundesregierung dieser Einsicht jetzt folgt und dieses Junktim offensichtlich selbst aufhebt.Im Zusammenhang mit der Körperschaftsteuer-reform habe ich bereits die Frage der Arbeitnehmerstiftung angesprochen. Ich bin der Meinung, daß wir uns, wenn die Körperschaftsteuerreform jetzt hinausgeschoben werden wird, zu einem früheren Zeitpunkt mit der Frage der Arbeitnehmerstiftung — entgegen der ursprünglichen Konzeption — wieder werden beschäftigen müssen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich resümieren: Ich glaube, daß der Bereich dieser Gesetzgebung außerordentlich wichtig ist und daß er nicht als ein Experimentierfeld für parlamentarische Kraftakte benutzt werden sollte. Der Gesetzgeber ist hier zu größtmöglicher Sorgfalt verpflichtet. Von daher erscheint mir der vorliegende Einkommensteuergesetzentwurf noch nicht verabschiedungsreif.Es besteht Übereinstimmung, daß eine Steuerentlastung spätestens zum 1. Januar 1975 kommen muß, und sie soll dem Steuerzahler schnell und auf einfache Weise gewährt werden. Bundesrat und CDU/ CSU-Fraktion dieses Hauses haben dazu Vorschläge gemacht. Im Interesse des Steuerzahlers sollte eine Verständigung, wie ich meine, darüber möglich sein. Eine wirkliche Steuerreform danach wird durch diese Sofortentlastung nicht verhindert.
Das Wort hat als Vertreter des Bundesrats Herr Staatssekretär Hillermeier vom Bayerischen Staatsministerium der Finanzen.
— Ich bitte um Aufmerksamkeit für den Redner, der ja Gast in diesem Hause ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf des Bundesrates, der auf eine bayerische Initiative zurückzuführen ist, ist in dieser Diskussion des öftern apostrophiert worden. Ich darf deshalb einige Bemerkungen zur Verdeutlichung dieses Vorhabens machen.
— Im übrigen, Herr Offergeld, ist das inzwischen eine Initiative des Bundesrates geworden. Ich nehme dankbar zur Kenntnis, daß Sie bisher immer nur vom bayerischen Entwurf gesprochen haben und damit den Stellenwert Bayerns beachtlich gehoben haben.
Ich darf noch einmal drei klare Aufgaben und Ziele dieses Gesetzentwurfes umreißen. Ich möchte annehmen, daß darin in der Tat, Herr Offergeld, eine Konzeption zu erkennen ist; es ist nicht etwa etwas bruchstückweise aus den bisherigen Verhandlungen herausgenommen und zu einer eigenen Initiative gemacht worden. Diese drei Ziele sind:
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 6995
Staatssekretär Dr. HillermeierErstens. Den Steuerzahlern soll noch für 1974 —und nicht erst zu Beginn des nächsten Jahres — steuerliche Entlastung dafür gewährt werden, daß mit der inflationären Entwicklung in allen Einkommensbereichen eine immer schärfere Steuerprogression einhergeht.Zweitens. Mit dieser sofortigen Entlastung sollte die Zeit für eine fachgerechte und mit der gebotenen Gründlichkeit zu beratende Reform der Ertragsteuern gewonnen werden. Wir haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß hierzu nicht nur die Möglichkeit besteht, sondern daß sie auch noch genützt wird.Drittens. In seinem zweiten Teil sieht der Gesetzentwurf schließlich jeweils zum Oktober eines jeden Jahres und erstmals in diesem Jahr einen Jahrestarifbericht vor, in welchem die Bundesregierung den Einfluß der Preisentwicklung auf die Steuerlast darzulegen hat. Damit soll verhindert werden, daß nicht mehr der Gesetzgeber, sondern die Inflation die Höhe der Steuerlast bestimmt, wie es im Augenblick der Fall ist.Die Steuerlastquote wird in diesem Jahr — lassen Sie mich damit auch noch einmal die absoluten Zahlen, die vorhin Herr Minister Gaddum und vorher schon der Herr Abgeordnete Dr. Häfele genannt hat, unterstreichen; ich glaube, Ihnen damit eine weitere Grundlage für das Anliegen des Bundesrates darzulegen — mit etwa 25 % eine neue Rekordmarke erreichen. Verantwortlich dafür ist nicht nur die Serie offener Steuererhöhungen vergangener Jahre — auch darüber könnte man, wie ich glaube, noch einmal ein Wort reden —, sondern gerade der Umstand, daß die Steuerzahler mit ihren nominal erhöhten Einkommen, denen nur teilweise eine reale Kaufkraftverbesserung gegenübersteht, in eine immer stärkere Steuerprogression hineinwachsen.Allein bei der Lohnsteuer belief sich die progressionsbedingte Zunahme im Jahre 1973 auf 5,38 Milliarden DM, und sie wird in diesem Jahr mehr als 6,5 Milliarden DM ausmachen. Diese Entwicklung führt zu dem Ergebnis — sie muß dazu führen —, daß die für das nächste Jahr geplanten Steuersenkungen nur einen Bruchteil dessen zurückgeben — das ist soeben von Herrn Minister Gaddum an Hand von Zahlen noch einmal klar und deutlich beispielhaft dargestellt worden —, was den Steuerzahlern zuvor in Form inflationärer Steuererhöhungen genommen wurde.Im Bundesrat hat der Vertreter der Bundesregierung unserem Gesetz verschiedene Einwände entgegengehalten. So wurde erklärt, die bayerische Initiative erschwere die eigentliche Strukturreform der Einkommensteuer, indem sie die Finanzmasse vorab verteile, die zur eigentlichen Reform notwendig sei. Dieses Argument ist absolut unrichtig.Man muß die Frage stellen: weshalb sollte der Gesetzgeber z. B. später gehindert sein, auch die erhöhten Kinderfreibeträge zu streichen, wenn er dies für richtig hält? Gerade erhöhte Kinderfreibeträge reservieren doch eine größere Finanzmasse für die Reform des Kinderlastenausgleichs.Auch das weitere Argument, eine Erhöhung der Kinderfreibeträge begünstige die Bezieher größerer Einkommen, haben wir bereits zurückgewiesen und müssen dies noch einmal tun. Nach unserer Auffassung sollen die Steuern zwar jedem das Seine, aber nicht jedem das gleiche geben.Würde die Bundesregierung selbst ihr Argument ernst nehmen, wäre es schlechthin unverständlich, weshalb auch sie in ihrem Gesetzentwurf vorschlägt, verschiedene Freibeträge heraufzusetzen. Wenn wir weiter vorgeschlagen haben, den Grundfreibetrag zu erhöhen, so ist damit in der Tat eine lineare Steuersenkung für alle Steuerzahler verbunden. Ich brauche nicht hinzuzufügen, daß bekanntlich sämtliche Steuerzahler unter einer inflationär erhöhten Steuerlast zu leiden haben.Hier darf ich eine Bemerkung einfügen und damit den Vorwurf zurückweisen, daß mit der bayerischen Initiative — sprich: der Bundesratsinitiative — der Steuerreform irgendwie ein Hindernis in den Weg gelegt werden soll. Es wird doch immer wieder verkannt — auch soeben in den Diskussionsbeiträgen von der verehrten Frau Funcke und von Ihnen, Herr Offergeld —, daß es sich hier um eine Übergangslösung für das Jahr 1974 und um nichts anderes handelt.Ich darf vielleicht einmal die Überlegungen anstellen, ob es so schwer erkennbar ist, daß gewisse innere Zusammenhänge zwischen einem vermindert vorgeschlagenen Grundfreibetrag, nämlich nur in der Höhe von 2 400 DM, und einer Erhöhung des Kindergeldes bestehen. Ich glaube, der innere Zusammenhang ist doch ganz klar darin ersichtlich. Wir haben selbstverständlich auch die Deckungsfrage berücksichtigt. Wir glauben, in einer Übergangszeit, nämlich für das Jahr 1974, einen auf beschränkte Zeit geringeren Grundfreibetrag in Kauf nehmen zu können, um damit den Familien mit vielen Kindern die inflationsbedingten Mehrbelastungen jedenfalls einigermaßen erträglich zu machen.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Offergeld?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär Hillermeier, nachdem Herr Häfele uns die Rechnung In-. flationsentlastungsgesetz der CDU/CSU plus unser Kinderlastenausgleich aufgemacht hat, verstehe ich Sie dann richtig, daß Sie diesem Vorschlag nicht zustimmen, daß Sie statt Kinderlastenausgleich, wie wir ihn wollen, Ihre Kinderfreibeträge wollen, daß hier also eine Diskrepanz zwischen dem, was der Sprecher der Opposition, und dem, was Sie als Vertreter des Freistaates Bayern wollen, besteht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage hätten Sie, Herr Kollege Offergeld, in dieser Form eigentlich gar nicht stellen dürfen, wenn Sie meine Formulierung von der Übergangslösung 1974
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6996 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Staatssekretär Dr. Hillermeierrichtig aufgenommen hätten. Die Diskrepanz besteht deshalb nicht, weil die Lösung Kindergeld, die vorhin auch von den Kollegen der Opposition ab Januar 1975 für richtig gehalten wurde, ja noch nicht 1974 gelten kann. Nur dafür ist unsere Lösung gedacht.
Gestatten Sie, Herr Staatssekretär, eine weitere Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Funcke? Sie steht zur Rechten. Aber ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie das Recht haben, Zwischenfragen abzulehnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr.
Sehen Sie nicht, daß Sie dann, wenn Sie Ihre Lösung jetzt für ein halbes Jahr durchsetzen wollen, Berechtigungen schaffen, die von der dann folgenden Form des Kindergelds nicht aufgefangen werden können, so daß bei denen, die in einer hohen Steuerprogression durch höhere Freibeträge entlastet werden, das Kindergeld gar nicht zu ähnlichen Beträgen aufsteigen kann und damit Besitzstände wieder abgebaut werden müssen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Funcke, damit haben Sie eigentlich den Beweis geführt, wie bedenklich die von Ihnen vorgeschlagene Lösung ist, die zwar auch von uns mitgetragen wird, wo aber nach wie vor eine Reihe von Bedenken, und nicht nur verfassungsrechtlicher Art, bestehen. Ihre Frage ist der beste Beweis für die Bedenklichkeit dieser Lösung.
Im übrigen möchte ich mir erlauben, doch auch einmal zu bemerken, daß es doch wohl etwas abwegig ist, vom Bundesrat bzw. der CDU /CSU-Mehrheit im Bundesrat immer nur als einem verlängerten Arm der Opposition zu reden.
Das dürfte wohl in Zukunft
von Ihnen nicht mehr behauptet werden können; denn hier hat nun in der Tat der Bundesrat einmal — allerdings mit zeitlicher Begrenzung — eine andere Lösung gefunden. Sie rügen das. Ich möchte mich bei Frau Funcke bedanken, daß sie die Eigenständigkeit des Bundesrates bzw. der CDU/CSU in diesem Bundesrat deutlich unterstrichen und damit zum Ausdruck gebracht hat, daß wir nicht ein verlängerter Arm der Fraktion schlechthin sind.
Wir bedauern es außerordentlich, daß die Bundesregierung trotz, glaube ich, guter Gründe nicht bereit war und offensichtlich auch nicht bereit ist, dem Gesetz, das als Sofortprogramm geplant ist,
zuzustimmen. Leider hat es die Bundesregierung statt dessen vorgezogen, unsere Vorschläge abzulehnen und dafür in einer beispiellosen Hektik nur Bruchstücke ihres ursprünglichen Gesetzentwurfes durchzubringen, um nicht zu sagen: durchzupeitschen.
'Ich glaube auch, daß es heute und hier nicht die Zeit ist, seitens des Bundesrates alle Mängel des Gesetzentwurfes der Bundesregierung aufzuzeigen. Hierzu werden wir im Bundesrat noch hinreichend Gelegenheit haben. Ich möchte mich deshalb auf wenige Bemerkungen beschränken:
Erstens. Ich möchte noch einmal deutlich wiederholen: Das hier praktizierte Gesetzgebungsverfahren gibt zu größten Bedenken Anlaß. Es ist einfach eine schlechte Sache, dem Bundesrat als gleichgewichtigem Verfassungsorgan in diesem Bereich und in diesem Verfahren zunächst einen umfassenden Gesetzentwurf zur Stellungnahme vorzulegen, alsbald nach der Stellungnahme aber zu erklären, der Gesetzentwurf werde zunächst nicht weiter verfolgt, und dann nach der Art eines Bonbonfabrikanten einige Maßnahmen auf den Gesetzgebungsweg zu bringen, die politisch besonders attraktiv erscheinen. So war doch die Situation.
Zweitens. Die Vorschläge zum Familienlastenausgleich, zum Tarif- und zum Arbeitnehmerfreibetrag verschärfen die inflationäre Entwicklung der Steuerlast. Sie entsprechen außerdem nicht unseren Vorstellungen von einer leistungsgerechten Besteuerung und zielen letzten Endes dahin, Leistung zu bestrafen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sollten es sich allmählich abgewöhnen, ständig die Redewendung von der angeblichen Privilegierung der Reichen zu gebrauchen. Dies ist doch reichlich billig. In diesem Zusammenhang darf ich noch einmal betonen, daß wir eine Erhöhung des Kindergeldes begrüßen, da gerade die kinderreichen Familien durch die Inflation besonders hart getroffen werden.
Drittens. Ein ordnungsgemäßer Verwaltungsvollzug des Kinderlastenausgleichs zu Beginn des nächsten Jahres ist nicht gewährleistet, wenn ich insbesondere an die Bearbeitung und Auszahlung des Erstkindergeldes erinnere. Hier gibt es auch seitens der Arbeitsverwaltung einige Einwände.
Viertens. Der Gesetzentwurf wahrt nicht den notwendigen Zusammenhang mit der Körperschaftsteuerreform.
Meine Damen und Herren, man könnte diese Kritik in der Tat noch beliebig fortsetzen.
Recht seltsam liest sich auch die Stellungnahme der Bundesregierung zu dem vom Bundesrat vorgeschlagenen Jahrestarifbericht. Was soll eigentlich das Argument, so wie es formuliert ist, ein solcher Jahrestarifbericht, komme in seiner Auswirkung einer Indexklausel im Steuerrecht sehr nahe? Hierzu ist zu sagen, daß der Jahrestarifbericht gerade das Gegenteil einer Indexklausel ist, da die Einkommensteuer nicht automatisch an die Preisentwicklung angepaßt werden soll, sondern die Anpassung dem ausdrücklichen Entschluß des Gesetzgebers vorbehalten bleiben soll.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 6997
Staatssekretär Dr. Hillermeier
Völlig unerfindlich bleibt in der Stellungnahme der Bundesregierung auch, weshalb ein Rückgängigmachen inflationärer Steuererhöhungen die Inflationsmentalität verstärken sollte. In letzter Zeit ist doch nahezu einhellig anerkannt worden — auch der Herr Bundeskanzler hat dies in seiner Regierungserklärung eingeräumt —, daß inflationäre Steuererhöhungen gerade zu einer Verstärkung der Inflation beitragen.
Interessanterweise haben gerade zwei neuere offizielle Äußerungen der Bundesregierung selbst die Notwendigkeit eines Jahrestarifberichts unterstrichen. Ich verweise hierzu einmal auf die Bundestagsdrucksache 7/1822 vom 15. März 1974. Auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird dort auf Seite 4 ausgeführt, es sei nicht möglich, das voraussichtliche Steuermehraufkommen aus den Tarifabschlüssen im öffentlichen Dienst zu ermitteln, da hierzu die notwendigen statistischen Unterlagen fehlten. Und schon früher hat der damalige Staatssekretär Hermsdorf in der Fragestunde vom 22. Februar 1973 erklärt, die Bundesregierung sehe sich nicht in der Lage, den Anteil der Mehreinnahmen zu ermitteln, der auf den nur nominellen Einkommenszuwachs zurückzuführen ist.
Hier muß doch die Frage erlaubt sein, meine sehr verehrten Damen und Herren: Sind diese beiden Äußerungen der Bundesregierung eigentlich nicht das beste Plädoyer dafür, künftig einen Jahrestarifbericht vorzusehen und dazu die notwendigen statistischen Unterlagen zu beschaffen? Wollen wir es weiter hinnehmen, so muß man fragen, daß die Höhe der Steuerlast nicht auf dem Willen des Gesetzgebers beruht, sondern auf der Entwicklung der Löhne und Preise? Weshalb scheut man hier, so muß ich fragen, das Antlitz der Offentlichkeit? Wir sind der Ansicht, daß es in einer Demokratie an sich selbstverständlich sein sollte, dem Steuerzahler jährlich Rechenschaft darüber abzulegen, wie sich die Steuerlast entwickelt hat und welche Folgerungen die jeweilige Bundesregierung daraus zieht.
Es zeugt auch gewiß von keinem guten Demokratieverständnis, wenn man glaubt es nötig zu haben, „kalte" Steuererhöhungen vor dem Bürger zu verheimlichen. Wird hier nicht der Eindruck verstärkt, daß es der Staat mit der Inflationsbekämpfung gar nicht so ernst meint und er einer der Nutznießer der Inflation sein will?
Wir sind deshalb der Auffassung, daß gerade in diesem Bereich dem Steuerzahler klarer Wein eingeschenkt werden muß. Dem mündigen Staatsbürger sind wir das einfach schuldig, wenn nicht die Inflation auf kaltem Wege zu einem ständig höheren Anteil des Staates am Sozialprodukt führen soll.
Zusammenfassend, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich meinen, daß es dieser Entwurf wirklich verdient, noch einmal ernsthaft in Ihre Überlegungen einbezogen zu werden, um zu einem guten, brauchbaren und zukunftsträchtigen Gesamtergebnis zu kommen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz, das heute beraten wird, ist aus dem Gesamtbereich der Steuerreform das Kernstück. Für die große Masse der Bürger und Steuerzahler verkörpert es — nicht ganz zutreffend, aber verständlicherweise — d i e Steuerreform schlechthin, verständlich deshalb, weil dieses Gesetz die Einkommen- und Lohnsteuer reformiert, mit der fast alle Bürger, vor allen Dingen fast alle Arbeitnehmer, durch den Lohnsteuerabzug ständig konfrontiert sind. Die Reform schafft außerdem ein neues Kindergeldsystem, das erstmals alle Familien mit Kindern schon vom ersten Kind an einschließt. Schließlich schafft die Reform eine sozial gerechtere Sparförderung, die nur noch denjenigen zugute kommen soll, die einer staatlichen Hilfe beim Sparen bedürfen.Die Reform bringt einen neuen Steuertarif, der für kleinere und mittlere Einkommen die Einkommen- und die Lohnsteuer senkt und wieder rund 60 % aller Steuerpflichtigen vor den Auswirkungen der Progression bewahren wird. Dabei beruht die Steuersenkung in erster Linie auf der Erhöhung des Grundfreibetrages auf 3 000 DM für Ledige, 6 000 DM für Verheiratete. Die daran anschließende Proportionalzone mit ihrem einheitlichen Steuersatz für alle reicht künftig bis zu einem Jahreseinkommen von 16 000 DM bei Ledigen, von 32 000 DM bei Verheirateten.Diese starke Ausweitung der Proportionalzone hat nicht nur zur Folge, daß zunächst einmal nur noch zwei Fünftel aller Steuerpflichtigen überhaupt die Steuerprogression spüren werden, sondern sie befreit auch die Finanzverwaltung in beinahe 800 000 Fällen von der Notwendigkeit, Einkommensteuerveranlagungen durchzuführen, — eine beträchtliche Vereinfachung. Der Steuersatz in der Proportionalzone soll in Zukunft 22 % statt früher 19 % betragen. Ohne diese Anhebung hätte man die Proportionalzone nicht so weit ausdehnen können. Das müssen sich alle diejenigen sagen lassen, die diese 22 % angreifen. Bei einem niedrigeren Steuersatz wären auch die Einkommen, die unterhalb der Grenzen von 16 000 oder 32 000 DM liegen, unverhältnismäßig stark entlastet worden.Das Entscheidende ist, daß trotz der Anhebung des Proportionalsteuersatzes durch die starke Erhöhung der Grundfreibeträge die Steuern eben nicht nur für die unteren, sondern auch für die mittleren Einkommen gesenkt werden. Das gilt, obwohl die Steuerprogression oberhalb der Proportionalzone dann gleich schon mit einem Satz von 30,8 % beginnt. Dieser Satz mußte gewählt werden, um noch weitergehende Entlastungen in den hohen Einkommensbereichen und zusätzliche hohe Steuerausfälle dort zu vermeiden. Im übrigen läge auch bei dem von der Opposition vorgeschlagenen Progressions-tarif der Steuersatz im Ergebnis nachher zum Teil etwa auf der gleichen Höhe.Insgesamt wird hier etwas verwirklicht, was jedenfalls verbal, wie mir schien, auch das Ziel der6998 Deutscher Bundestag —.7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974Bundeskanzler SchmidtOpposition ist, so wie sie es gesagt hat. Denn die Bezieher sehr hoher Einkommen werden zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben und Ausgaben etwas stärker herangezogen. Wenn Sie das so, wie Sie es gesagt haben, meinen, ist das ja wohl in Ordnung.Durch das neue Kindergeldsystem wird endlich für die Familien mit Kindern — und zwar endlich für alle, nicht nur, wie bisher, für den öffentlichen Dienst — ein gerechtes System staatlicher Leistung geschaffen. Vor allen Dingen wird mit den Ungerechtigkeiten Schluß gemacht, die nach langem Zaudern nun, wie es scheint, auch die Opposition endlich erkannt und ausgesprochen hat. Bisher ist es doch so, daß diejenige Familie auf Grund der noch geltenden steuerlichen Freibeträge die höchste Steuerentlastung für ihre Kinder gewinnt, die auch das höchste Einkommen hat. Und auf der anderen Seite ist es so, daß bisher viele Familien nicht einmal halb so viel bekommen wie andere und daß es Familien gibt, die so wenig verdienen, daß gar keine Steuern gezahlt werden müssen, und die haben bisher für ihre Kinder überhaupt keinen Steuervorteil. Dies alles wird durch uns geändert und abgeschafft.
— Das alles wird geändert und abgeschafft; auch wer keine Steuern zahlt, kriegt in Zukunft Kindergeld!
Diese Staffel — 50 DM für das erste Kind, 70 DM für das zweite, 120 DM für das dritte, und auch für das vierte und das fünfte usw. jeweils 120 DM — gewährleistet endlich eine vom Einkommen der Eltern unabhängige gleichmäßige Förderung aller Kinder.
— Wie bitte? — Ja, lhr habt das inzwischen gemerkt, aber Ihr wißt noch nicht genau, meine Damen und Herren von der Opposition, wofür Ihr seid und wogegen Ihr seid. Der eine ist dagegen, der andere ist dafür; darauf komme ich gleich noch zu sprechen.
Mir liegt daran, ganz deutlich zu machen, daß schon beim ersten Kind bei den Spitzenverdienern die Begünstigung bisher 53 DM betragen hat, während sie beim Durchschnittsverdiener nach bisher geltendem Recht nur 19 DM betragen hat. In Zukunft werden es eben für alle, ob jemand viel oder wenig verdient, gleichmäßig 50 DM sein. Das ist eine der entscheidenden Veränderungen, die mit diesem neuen Kindergeldsystem geschaffen werden,
ein großer familienpolitischer Fortschritt, wie einige bei Ihnen, nehme ich an, auch zugeben wollen.Nun haben wir uns in der Frage der technischen Abwicklung dieses Kindergeldes unter Zurückstellung sehr schwerwiegender innerer Bedenken
der Stellungnahme des Bundesrates, der hier eben durch die Herren Gaddum und Hillermeier zu Wort gekommen ist, anbequemt, weil wir nicht wollten, daß die ganze Sache daran scheitert. Wir haben uns damit die Vorstellungen des Bundesrates und der Opposition in diesem Punkte, so unbequem und falsch wir sie auch finden, zu eigen gemacht
und haben uns für die Auszahlung durch die Arbeitsverwaltung entschieden. Inzwischen gibt es nun wieder Freunde Ihrer Partei, die das in den Zeitungen sehr scharf glossieren und kritisieren. Aber den Schuh brauchen wir uns nicht anzuziehen. Hierzu hat uns der Bundesrat gebracht, und der sollte das nun nachträglich nicht mehr kritisieren, und das sollte auch von der Opposition nicht mehr kritisiert werden.
Diese Art der Trennung der Auszahlung des Kindergeldes von der Besteuerung — denn das ist es rechtlich und auch technisch und tatsächlich: eine Trennung der Auszahlung des Kindergeldes von der Besteuerung — hat zwar den Vorteil, daß sie in jedem Einzelfall, für jede einzelne Familie auch deutlich erkennen läßt, wie die Leistungen des Staates insgesamt ansteigen, nämlich um viereinhalb auf beinahe 16 Milliarden DM, aber sie hat eben auch große Gefahren und bringt Gefährdungen mit sich, weil z. B. für den einzelnen Steuerzahler, wenn er isoliert auf seine Lohn- oder Gehaltsabrechnung schaut, bei der Besteuerung zunächst der Irrtum entstehen könnte, als seien die steuerlichen Belastungen für Familien mit Kindern und für solche ohne Kinder gleich. Der Eindruck könnte ja zunächst entstehen, und das ist einer der Nachteile; und es muß infolgedessen bei Belastungsvergleichen für Familien mit Kindern und Familien ohne Kinder natürlich gegenüber dem heute geltenden Recht das neue Kindergeld und das neue Kindergeldsystem in den Vergleich einbezogen werden.Ein anderer Schwerpunkt dieser Reform ist die hier schon besprochene Neuregelung 'des Abzugs der sogenannten Vorsorgeaufwendungen, insbesondere eben auch der Beiträge zur Sozialversicherung, zur privaten Lebens- und Krankenversicherung, Bausparbeiträge usw. Die Höchstbeträge, bis zu denen diese Aufwendungen berücksichtigt werden können, decken heute häufig nicht einmal mehr die Sozialversicherungsbeiträge. Deswegen werden diese Höchstbeträge stark angehoben, in vielen Fällen sogar durch dieses Gesetz rund verdreifacht. Z. B. erhöhen sich bei einer Familie mit zwei Kindern die Grenzen von bisher 6 800 DM jährlich auf 20 400 DM. Damit sind auf absehbare Zeit die Sozialversicherungsbeiträge wieder voll abgedeckt. Es bleibt sogar noch angemessener Spielraum für andere Aufwendungen zur Lebensvorsorge. Dabei wird mit der Anhebung der sogenannten Vorwegabzugsbeträge
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 6999
Bundeskanzler Schmidtauch die Situation der Selbständigen in unserer Gesellschaft, soweit das möglich ist, verbessert.Diese starke Erhöhung der Grenzen war nur möglich und war auch finanzwirtschaftlich, haushaltsmäßig nur vertretbar, weil gleichzeitig das System zur Berücksichtigung dieser Vorsorgeaufwendungen umgestaltet worden ist. Die Aufwendungen werden nicht mehr vom Einkommen abgesetzt, sondern künftig mit einem Anteil von 22 % der Aufwendungen von der Steuerschuld abgezogen, so daß jeder die gleiche prozentuale Begünstigung erhält.
Das ist eine sozial sehr viel gerechtere Lösung. Sie stellt nämlich den Spitzenverdiener nicht mehr besser als denjenigen, dessen Einkommen innerhalb der Proportionalzone liegt.
Dies ist zugleich der Grund, weshalb Sie dagegen sind, meine Damen und Herren von der Opposition. Das muß man einmal ganz deutlich sagen.
Ihren Widerspruch kleiden Sie dann in die scheinbar wissenschaftliche Formulierung, die neue Lösung sei systematisch falsch. Das muß man ja auf der Zunge zergehen lassen: Wenn gar kein Argument mehr herhält, wird das System ins Feld geführt. Das ist nicht nur auf Ihrer Seite so, auch anderswo, meine Damen und Herren.
— Ja, das sage ich doch gerade. Die Behauptung wird ja nicht dadurch besser, daß man sie wiederholt.Ich muß daran erinnern, daß Vorsorgeaufwendungen typische Lebenshaltungskosten sind, die bei der Einkommensteuer nicht grundsätzlich von Einkommen abgesetzt werden können. Wenn sich der Gesetzgeber entschließt, wie es hier geschieht, einen steuerlichen Anreiz zur eigenverantwortlichen Lebensvorsorge zu geben, so ist der Gesetzgeber völlig frei, die ihm richtig erscheinende, die ihm gerecht erscheinende Begünstigungsmethode zu wählen. Die Tatsache, meine Damen und Herren, von der CDU/CSU, daß es bisher jahrzehntelang anders gewesen ist, daß es bisher jahrzehntelang so gewesen ist, daß die Spitzenverdiener die höchsten Vorteile haben, diese Tatsache mag zwar System gehabt haben, aber dieses „System" soll eben hier beseitigt werden.
Im übrigen ist natürlich die Haltung der Opposition hier ganz inkonsequent. Auf der einen Seite halten Sie es für richtig, daß der Grundfreibetrag, mit dem die Aufwendungen für den gegenwärtigen Lebensunterhalt berücksichtigt werden, zu einem für alle gleichen Steuervorteil führt. Sie halten es ebenso für richtig, daß das Kindergeld, mit dem die Aufwendungen für den Lebensunterhalt der Kinder Berücksichtigung finden, für alle gleich gestaltet wird.Jedenfalls halten Sie das neuerdings für richtig. Andererseits lehnen Sie es aber ab, Vorsorgeaufwendungen, die doch der Sicherung des späteren Lebensunterhalts dienen, für alle gleich zu begünstigen. Hier ist ein die Motivation auf Ihrer Seite verratender Punkt der Systeminkonsequenz in Ihrer Argumentation, abgesehen davon, daß es auch eine entscheidende soziale Inkonsequenz wäre, wenn man das durchließe, was Sie in diesem Punkte vorschlagen.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte im Augenblick darauf verzichten.
— Wissen Sie, ich scheue ja keine parlamentarische Debatte und Auseinandersetzung. Ich habe auch gar nichts dagegen, wenn das, was Sie nun etwa einfließen lassen oder worauf Sie gerne eine Antwort provozieren möchten, von Ihnen in Form eines Zwischenrufs eingebracht würde. Ich bin für Zwischenrufe, denn an ihnen entzündet sich dann das rednerische Temperament. Ich bin durchaus dafür. In Wirklichkeit ist es so, daß Sie im Augenblick mit Ihren Zwischenrufen oder mit der Fragestellung vor denen, die uns zuhören, verwischen wollen, daß Sie in einem entscheidenden Punkte getroffen sind, in einem ganz entscheidenden Punkte!
So ist es doch mit all Ihren parlamentarischen Taktiken. Da machen Sie in Untersuchungsausschuß und in Guillaume, weil Sie verwischen möchten, daß Sie getroffen sind, wo es um soziale Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft geht.
— Ich weiß gar nicht, was Sie mit oder gegen Herrn Lohmar haben.
— Das war nicht Pathos, das war polemische Schärfe; die haben Sie auch verdient.
Abgesehen von dieser entscheidenden sozialen Inkonsequenz, von der ich spreche, liegt nun — —
— Wenn ich bitten darf, dann Hauptmann!
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7000 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Bundeskanzler SchmidtEin entscheidender weiterer Mangel, was die soziale Konsequenz auf Ihrer Seite angeht, ist, daß Ihre Gegenvorschläge entweder zu hohe Steuerausfälle zur Folge haben oder keine ausreichende Erhöhung der Höchstgrenzen bringen. So würde allein die Erhöhung auf die Beträge, die Sie — „freibleibend", wie es dann so schön bei Ihnen heißt — erwogen haben, zu weiteren Steuerausfällen von zwischen 4 und 5 1/2 Milliarden DM führen. Wir haben soeben hier von Herrn Hillermeier gehört, daß der Staat an der Inflation angeblich verdiene. Herr Hillermeier, gucken Sie sich einmal die Ausgabensteigerungen des Haushaltes des Freistaates Bayern an, damit wir deutlich erkennen, von wem Sie gesprochen haben!
Wie würden denn wohl die Höchstbeträge aussehen, wenn wir von den verschiedenen Gesetzentwürfen, die uns hier aus der Feder von CDU- und CSU-Politikern untergekommen sind, nur den zurückhaltendsten nähmen, den sozusagen finanzwirtschaftlich billigsten? Lassen wir die anderen mal beiseite; die unterscheiden sich ja. Ich will hier nicht darauf herumreiten. Selbst dann aber würde Ihr Begehren die öffentlichen Hände insgesamt, also die Kommunen, die Gemeinden und Städte, das Land Bayern und die übrigen zehn Länder und auch den Bund, zusätzlich 4 Milliarden DM kosten. Wo kommen die denn her?
Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder man holt sich diese 4 Milliarden DM woanders, oder aber man schränkt seine Ausgaben entsprechend ein, Herr Hillermeier.
Aber zu diesem letzteren Punkt haben wir gerade von der Regierung des Freistaates Bayern bisher keine so eindeutige Erklärung gehört. Es gab in der letzten Woche eine Besprechung mit den Ministerpräsidenten der Länder. Der bayerische Ministerpräsident ließ sich durch Herrn Heubl vertreten, aber dieser hielt sich zurück. Wir haben dabei sehr ausführlich über die finanzwirtschaftlichen Konsequenzen der Steuerreform gesprochen.
Ich komme darauf zurück.
Eine Familie mit zwei Kindern hätte nach Ihren Entwürfen etwa einen Spielraum bis zu 10 800 DM jährlich statt bis zu 20 400 DM, wie es unser Entwurf vorsieht. Wenn diese Familie den Spielraum voll ausnützen kann oder wird,
so hat sie nach Ihrem Vorschlag, wenn man den neuen Tarif zugrunde legt, bei einem Durchschnittseinkommen der Familie einen Steuervorteil von 2 376 DM. Bei einem Spitzeneinkommen aber führtIhr Vorschlag zu einem Vorteil von 6 048 DM. Das ist genau der Punkt, weswegen Ihre Vorschläge hier gemacht werden,
d. h. Sie begünstigen das Spitzeneinkommen zweieinhalbmal so stark wie das Einkommen eines Durchschnittsverdieners. Das ist genau der Punkt, weswegen Sie all Ihre Reden hier halten.
Im Vergleich dazu gewährt der hier vorliegende Gesetzentwurf der sozialliberalen Koalition den Steuervorteil für alle gleichmäßig mit 4 488 DM. Dabei sollte nicht übersehen werden, daß dieser weite Spielraum ohnehin nur von Familien mit hohen Einkommen ganz ausgenutzt werden darf. Das gilt selbst für unseren Spielraum, der sehr viel niedriger ist als derjenige, den Sie für die Spitzenverdiener vorsehen. Es ist überhaupt nicht notwendig, daß Sie für die Spitzenverdiener noch mehr Spielraum schaffen, es sei denn, daß Sie damit eine politische Absicht verfolgen; ich unterstelle, daß Sie das tun.
Nun muß ich ein paar Bemerkungen zu Herrn Kollegen Höcherl machen, den ich zwar nicht im Saal, aber am Radio verfolgt habe.
— Er war amüsant, Herr Kollege Stücklen. Ich höre Herrn Kollegen Höcherl immer gern zu,
nicht nur weil er ein amüsanter und eloquenter Debatter ist, sondern weil ihm manchmal
— ja, er ist sehr schlau — auch ein Fehler unterläuft. Ein Fehler liegt lange Jahre zurück. Es sind zwölf Jahre. Ich will daran nicht erinnern. Ich will nicht in alten Wunden rühren.
— Wir haben alle Fehler gemacht. Auch Herrn Kollegen Höcherl passiert es bisweilen, daß er der sozialliberalen Koalition oder der Bundesregierung Munition für die Argumente liefert. Das kommt vor.Wenn Sie, Herr Kollege Höcherl, darauf herumreiten, daß das Gesamtpaket der Steuerreform entgegen der vor Jahren einmal gefaßten und seinerzeit verkündeten Absicht nicht an einem einzigen Tag verabschiedet und in einem einzigen Gesetzgebungsakt vollzogen wird, so spricht das eigentlich gegen das Lob, das Ihnen als erfahrenem Parlamentarier zu Recht immer gezollt wird, auch von mir; denn nach dem, was vorhin aus anderem Munde über die Überlastung des Finanzausschusses beklagt wurde, würden wir, wenn wir Sie tatsächlich zwingen würden, alle fünf Gesetze an einem Tag zu verabschieden, von Ihnen erst recht hören, daß Sie voll-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 7001
Bundeskanzler Schmidtständig überfordert wären. Das letztere mag übrigens zutreffen: daß Sie überfordert sind.
Sie haben das klassische Altertum bemüht. Wenn ich es richtig verstanden habe, hat Herr Kollege Höcherl von Philippi geredet, wo man sich wiedersehen werde. Was den Terminkalender angeht, so will ich nicht auch unbedingt ins klassische Altertum zurückgreifen, sondern nur davon sprechen, daß selbst Rom nicht an einem Tage hat erbaut werden können. Aber es hat ja schon ein Philippi gegeben, Herr Kollege Höcherl. Auf Anregung des Herrn Landesministers Gaddum hat es doch ein Gespräch im Bundesfinanzministerium gegeben. Da waren die Regierungen der CDU- und CSU-regierten Länder anwesend und Regierungen der SPD /FDP-regierten Länder, und es waren die Fachleute für Steuerpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion anwesend und die Fachleute aus der freien demokratischen und aus der sozialdemokratischen Fraktion und — nicht zu vergessen — die Vorsitzende des Finanzausschusses im Deutschen Bundestag. Bei dieser Gelegenheit waren von Ihnen anwesend Herr Gaddum, Herr Hillermeier, Herr Höcherl und Herr Häfele. Frau Funcke hat Ihnen dann vorgerechnet, daß das, was in dem Entlastungsgesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion vorgetragen wird, sich in vielen Punkten von dem unterscheide, was der Freistaat Bayern in seinem Gesetzentwurf vortrage. Herr Hillermeier hat heute verspätet geantwortet, das könne sich ruhig unterscheiden; man sei ja nicht der verlängerte Arm von Herrn Höcherl oder von Herrn Häfele. Das verstehe ich gut. Aber es wurde dann weiter von Frau Funcke vorgetragen, daß es sich auch unterscheide von dem, was Herr Häfele öffentlich vor der Presse vorträgt, und schließlich auch von dem, worüber Herr Gaddum in Sitzungen der Länderfinanzminister einstimmige Beschlüsse mit den übrigen zehn Ländern gefaßt hat. Dies wurde sehr wirkungsvoll von Frau Funcke dargelegt. Das war Philippi.Ich kann mich gut an Ihre Antwort erinnern, Herr Höcherl. Sie mußten die vereinigten Streitkräfte der Opposition retten, und Sie haben dann gesagt: So dumm sind wir auch nicht, daß wir euch schon jetzt eine Antwort darauf geben, was denn von unseren vielen Vorschlägen nun wirklich gelten soll. Nicht wahr, so ist es doch gewesen?
Sie haben das charmant und wirkungsvoll gemacht, und deswegen kann man Ihnen auch gar nicht böse sein.
Aber nun wird es langsam Zeit, daß Sie sich entscheiden und uns wissen lassen, was denn nun eigentlich ernst gemeint ist.
Ich will zu den vielen Einzelheiten der Reform nicht im einzelnen Stellung nehmen. Wenn man die Auswirkungen aller dieser einzelnen Dinge zusammen in Rechnung stellt, so bringt diese Reform der Einkommen- und Lohnsteuer fühlbare Entlastungen, aber sie konzentriert und — ich muß beinahe sagen — sie beschränkt diese fühlbaren Entlastungen auf die mittleren Einkommen und auf die niedrigen Einkommen. Das ist wahr. Auf der anderen Seite bringt sie für die deutlich über dem Durchschnitt liegenden Einkommen tatsächlich höhere Belastungen mit sich. Auch das ist wahr, auch das ist gewollt.Weil nun hier zwei Ländervertreter geredet haben, muß ich auch noch einmal auf die Kehrseite der Medaille zurückkommen dürfen. Die Kehrseite der Steuerreformgesetzgebung oder — wie Sie es vorziehen würden zu sagen — der Steuerentlastungsgesetzgebung ist, daß die öffentlichen Hände insgesamt denselben Betrag — nach gegenwärtigem Stand des hier heute zu verabschiedenden Gesetzes knapp 12 Milliarden DM — 1975 und auch später nicht ausgeben können. Da sie ihn nicht einnehmen werden, können sie ihn auch nicht ausgeben. Ich habe mir erlaubt, das in der Regierungserklärung vorzuführen. Ich habe mir erlaubt, das in einer Besprechung mit den Ministerpräsidenten der Länder in der vorigen Woche vorzuführen. Ich wäre sehr dankbar, wenn zu dieser Kehrseite der Medaille in ähnlich detaillierter Form von seiten der Herren Ländervertreter — oder muß ich sagen: Bundesratsvertreter — dazu auch Stellung genommen würde. Denn das, was den Steuerzahlern oder den Eltern in Form von Steuerentlastung bzw. Kindergelderhöhung erleichtert wird, stellt in gleichem Umfang Deckungsprobleme für die öffentlichen Hände dar, nicht nur für den Bund, sondern auch für den Freistaat Bayern, für das Land Niedersachsen, für das Land Schleswig-Holstein und für alle Länder und auch für die 16 000 Gemeinden und Städte und die Kommunalverbände. Natürlich führen diese enormen Beträge — das ist immerhin nach heutiger Berechnung etwas mehr als 1 % des Bruttosozialprodukts, was die öffentlichen Hände 1975 nicht ausgeben können — auf allen drei Ebenen, bei den Städten und Kommunen wie bei den Ländern wie beim Bund, zu ganz starken Anstrengungen, in den nächsten Jahren den Staatsverbrauch einzuschränken. Ich sage: führt. Ich sollte sagen: Es muß dazu führen. So ganz versichert bin ich noch nicht von allen Seiten, daß das überall schon voll verstanden und aufgenommen worden ist.Die Herren Ministerpräsidenten, soweit sie anwesend waren, haben die Bundesregierung in diesem Gespräch nicht kritisiert, weil sie gesagt hat: Wir wollen keine Mehrwertsteuererhöhung. Das ist ja der Ausweg, den sich einige, wenn auch nur leise, vorstellen. Mit der einen Hand wollen sie geben, und mit der anderen Hand wollen sie wieder nehmen und den Mehrwertsteuersatz anheben.Wir haben für die Bundesregierung und für die sozialliberale Koalition erklärt: Wir wollen das nicht. Die Ministerpräsidenten haben uns deswegen nicht kritisiert. Ich nehme das als ein Zeichen dafür, daß dies inzwischen — wenn auch noch nicht ausgesprochenerweise — auch von den Landesregierungen, von den Mitgliedern des Bundesrats, innerlich gebilligt ist. Aber dann ist es eben auch notwendig, daß wir die Einschränkung der öffentlichen Finanzmasse, die durch die Steuerreform her-
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7002 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Bundeskanzler Schmidtvorgerufen wird, gleichmäßig auf alle drei Ebenen verteilen.Ich habe in dem Gespräch mit den Ministerpräsidenten, soweit sie anwesend waren, durchaus den Eindruck gewonnen, daß sie dieses Problem sehen und daß sie es auch aus gesamtstaatlicher Sicht, aus gesamtstaatlicher Verantwortung lösen wollen. Es gehört zu dieser Lösung, daß sie rechtzeitig ins Werk gesetzt wird.Die Tatsache, daß die Gesetzgebungsmehrheit dieses Hauses auf die Wünsche des Bundesrats eingegangen ist, das Kindergeld nicht von der Steuerschuld abzusetzen, sondern durch die Arbeitsämter bar zu zahlen, führt dazu — was den Vertretern des Bundesrats sicherlich von Anfang an sehr bewußt war , daß im ersten Akt die finanzwirtschaftlichen Ausfälle, die 12 Milliarden DM, von denen hier die Rede ist, fast zur Gänze für die Haushaltswirtschaft des Bundes anfallen, fast kein Pfennig im ersten Akt aber die Länder und die Gemeinden trifft. — Ich sehe, daß die beiden Herren auf der Bundesratsbank sich lächelnd darüber verständigen; das war offenbar auch die List ihrer Idee.
Wir haben das durchaus gesehen. Nur haben wir gemeint: da es leider Gottes so ist — ich beklage das —, daß Sie eine einzige Stimme Mehrheit im Bundesrat haben, müssen wir das als eine Tatsache des Lebens hinnehmen, ob es uns paßt oder nicht.
Wir haben uns Ihnen insoweit unterworfen.
Nur glauben Sie nicht, daß die öffentliche Meinung in unserem Lande es honorierte, wenn Sie es dahinbrächten, daß anschließend alle Leistungsgesetze, soweit der Bund als Leistender in Betracht käme, um 12 Milliarden DM eingeschränkt würden und Sie in Bayern weiterhin dieselbe Ausgabenwirtschaft wie 1974 betreiben können. Das würde Ihnen sicherlich nicht honoriert werden.
Ich darf mit Befriedigung sagen, daß mir die Ministerpräsidenten, die anwesend waren, aus ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung heraus den Eindruck vermittelt haben, als ob sie das Problem nicht nur sähen, sondern auch zu seiner rechtzeitigen Lösung zu ihrem Teil beitragen wollten.Wer aber nun — jetzt spreche ich wieder zur Bundestagsopposition — über diese 12 Milliarden DM hinausgehende Wünsche nach Steuererleichterungen befriedigen will oder solche Wünsche durch das, was er sagt, auslöst, muß sich innerlich fragen, wie er denn darüber hinaus den Ausgleich für die hier entstehenden Steuerausfälle schaffen will. Die Gesamtvorstellung der Opposition zur Steuerreform will ich Ihnen nicht öffentlich voraddieren; es ist eine phantastische Summe. Ich will sie Ihnen deshalb nicht voraddieren, weil ich davon ausgehe, daß Ihre verschiedenen Gesetzentwürfe nicht addiert werden sollen, sondern sich gegenseitig ersetzen sollen. Ich will da nichts Bösartiges unterstellen. Aber um was ich Sie bitten muß, ist, daß sich diejenigen bei Ihnen, die sich als Steuerpolitiker verstehen, mit denjenigen von Ihnen zusammensetzen, die Erfahrung haben in der öffentlichen Finanzwirtschaft, im Haushaltsausschuß. Sie tun sich möglicherweise selber keinen guten Dienst, wenn Sie sich die Vorstellung machen — die Sie selber irreführende Vorstellung vielleicht —, als ob man über diese 12 Milliarden DM hinaus noch zusätzlich die öffentlichen Hände auf den drei Ebenen Gemeinden, Länder und Bund 1975 einschnüren dürfe. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie das wirklich wollen,
insbesondere dann nicht, wenn Sie sich darüber klar sind, daß den Bund davon ungefähr zwei Fünftel träfen, Länder und Gemeinden ungefähr drei Fünftel von alledem, was hier gespart werden muß, und wenn Sie sich vorstellen, wie groß oder wie klein schon ohnehin und heute die finanzielle Bewegungsfreiheit, sagen wir, der Gemeinden beschaffen ist.
— Ich unterstelle das nicht Ihnen, Herr Häfele. Aber manches, was ich von Rednern gelesen habe, die im Bundesrat auftreten, hat mich sehr zweifeln lassen an dem finanzwirtschaftlichen Kalkül, das dahintersteht. Daß es steuerpolitisch jedem von uns erwünscht wäre, die Steuern noch mehr zu senken, am liebsten überhaupt keine Steuern mehr zu erheben, das ist ganz klar. Dann könnten wir den Finanzausschuß aufheben. Der wäre nicht mehr notwendig. Allerdings müßten wir auch den Haushaltsausschuß aufheben. Der könnte auch nichts mehr verteilen. Der wäre dann auch zu Ende.
Natürlich möchte man immer noch ein bißchen größere Steuererleichterungen haben; nur muß man auch finanzwirtschaftlich verantworten können, was man an Opfern den Gemeinden, den Ländern und auch dem Bundeshaushalt, und d. h. praktisch: dem Leistungsempfänger, zumuten will.Meine Damen und Herren, ich möchte am Schluß sagen: Die Auseinandersetzung um die Steuerreformgesetze, um dieses Kernstück der Steuerreform, macht sehr deutlich erkennbar, in welchen Punkten Sie und wir von der sozialliberalen Koalition verschiedene Begriffsinhalte mit dem Wort soziale Gerechtigkeit verbinden. Das kann man hier ablesen. Das kann man an vielen Beispielen an diesem Punkte deutlich machen. Ich sage nicht, daß Ihre Auffassung nicht legitimerweise und in grundgesetzlich einwandfreier Weise vertreten werden kann, ich sage nur: Sie entspricht nicht dem, was wir uns unter sozialer Gerechtigkeit vorstellen.Trotzdem wissen wir, daß wir — möglicherweise über den Punkt hinaus, den ich nun schon genannt habe — davon abhängig sind, daß im Bundesrat -weil die Berliner Stimmen leider dort nicht gezählt werden — eine Stimmenmehrheit von einer einzigen Stimme besteht. Wir hängen davon ab. Ich weiß
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Bundeskanzler Schmidtdas. Nur: Sie sollten dabei den Bogen nicht überspannen, meine Herren aus dem Bundesrat!
Sie werden uns nicht dahin bringen, unsere Verantwortung gegenüber dem Bürger und gegenüber dem Steuerzahler außer acht zu lassen, nur um Ihnen im Bundesrat wegen einer einzigen Stimme zu Willen zu sein. Das werden wir nicht tun!
Sie müssen also wissen, wieweit Sie den Bogen anspannen dürfen, damit Sie vor der öffentlichen Meinung unseres Landes mit dem Ergebnis, das herauskommt,
noch bestehen und damit noch zufrieden sein können.
— Ja, Herr Strauß, den „verschärften Arrest" habe ich mit einem halben Ohr, einem rechten Ohr, gehört.
— Ich habe ja nichts dagegen, wenn Sie in verschärften Arrest gehen.
Lassen Sie uns den Herrn Höcherl aber da, der macht es freundlicher und außerdem noch etwas fachgerechter als Sie, Herr Strauß!
Ich bitte also den Bundesrat zu verstehen, daß wir uns über die Verteilung der Stimmen in dem an der Gesetzgebung des Bundes mitwirkenden Organ Bundesrat durchaus im klaren sind, daß Sie sich aber bitte darüber im klaren sein müssen, wieweit das mit dieser einen Stimme Mehrheit, die Sie haben, trägt, und daß letztlich zum Nutzen der steuerzahlenden Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande etwas dabei herauskommen muß, was nicht so aussehen kann, daß sich die Bundestagsopposition — wie sie am liebsten möchte — in all ihren Punkten oder in der Mehrzahl ihrer Punkte zum Schluß durchgesetzt haben wird. Das kann, Herr Professor Carstens, natürlich nicht dabei herauskommen.Ich fand es sehr interessant, daß Herr Hillermeier sich sehr deutlich dagegen gewehrt hat — er hat ja für die Regierung des Freistaates Bayern geredet —, Ihr verlängerter Arm zu sein. Hoffentlich bleibt es dabei. Für uns bleibt es dabei, daß diese der sozialen Gerechtigkeit dienende Steuerreform am 1. Januar kommenden Jahres in Kraft treten wird.
Das Wort hat als Vertreter des Bundesrates Herr Staatsminister Gaddum von Rheinland-Pfalz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich mache es sehr kurz. Aber wenn hier die Verantwortung des Bundesrates angesprochen worden ist, meine ich, müssen Sie diese Stimme dann auch hier anhören.
Ich bin überzeugt, daß der Bundeskanzler auch darauf gewartet hat; sonst hätte er uns hier in der Form nicht anzusprechen brauchen.Zu einigen wenigen Punkten nur! Daß der Bundesrat wegen dieser einen Stimme angesprochen wird, verstehe ich eigentlich in diesem Hause überhaupt nicht. Denn es sind ja in diesem Hause auch schon andere Entscheidungen gefallen, wo es an einer Stimme gehangen hat,
und die sind ganz anders gewertet worden. Der Bundesrat ist als Verfassungsorgan sicherlich nicht — das ist gar nicht streitig — dazu berufen, wie es so schön heißt, zu konterkarieren oder aufzuheben oder verlängerter Arm der Opposition zu sein. Aber eines lassen Sie mich genausogut sagen: der Bundesrat fühlt sich in der Verantwortung — jedenfalls so, wie wir ihn verstehen —, durchaus, Herr Bundeskanzler, in derselben Verantwortung, Gesetze zu prüfen, wie Sie in diesem Hause.
Wir lehnen Gesetze nicht deshalb ab, weil wir jemandem damit einen Schaden zufügen oder jemandem eine Freude machen wollen, sondern wir nehmen für uns das Recht in Anspruch, diese Gesetze unter genau denselben Kriterien zu prüfen, wie Sie dies tun. Und wenn wir der Meinung sind, diese Gesetze sind falsch, haben wir dasselbe Recht, dies auch zu sagen und dann auch diese Gesetze abzulehnen. Dies ist das Recht dieser Verfassung.
Was den Inhalt angeht, möchte ich mich nicht im einzelnen jetzt noch einmal zu der Frage der Sonderausgaben und all dem äußern. Sie haben einige Punkte herausgelesen, die in diesem Hause vom Text her allen bekannt sind. Ich habe auch durchaus Verständnis dafür, daß Sie versuchen, gleichsam in einer Vorlesung noch einmal dem staunenden Volk zu verkünden, was da an Wohltaten geschieht. Sie wissen doch ganz genau, daß einige Unebenheiten darin sind, die auch hier genannt sind, und auf diese Fragen gehen Sie nicht ein. Das eine hat ja die Steuergesetzgebung für sich: es dauert einige Zeit, aber es dauert n u r einige Zeit, und dann werden die Bürger in diesem Lande merken, was für ein Gesetz sie bekommen haben.
Wir sollten bei der Untersuchung nicht so sehr in die Motivforschung gehen. Sie meinten feststellen zu können, welche finsteren Motive die CDU/CSU-regierten Länder hier und da geleitet hätten, etwa im Zusammenhang mit dem Familienlastenausgleich. Es dürfte Ihnen doch eigentlich bekannt sein, daß dieses Votum hinsichtlich des Familienlastenausgleichs ein Votum aller Länder war. Ich unterstelle
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Staatsminister Gaddumdoch, daß zumindest die sozialdemokratisch regierten Länder keine Politik betreiben, um Ihnen Schwierigkeiten zu machen. Das werden doch selbst Sie auch so annehmen. Wenn dies ein so gemeinsames Votum ist, dürfen Sie es von daher doch auch als ein Votum verstehen, das von der Sache her kommt und das ja nicht nur von dem Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung getragen war. Beispielsweise ist etwa der A- und S-Ausschuß, der Sozialpolitische Ausschuß des Bundesrats aus sozialpolitischen Gründen zu dem gleichen Ergebnis gekommen. Nehmen Sie das doch bitte einmal zur Kenntnis. Die Vorlage ist in diesem Punkt eben nicht so gut, wie Sie behaupten.
Lassen Sie mich in dem Zusammenhang ein Letztes hinzufügen! Sie sagen, daß Sie sich hier sozusagen zähneknirschend dem Bundesrat fügen. Dies alles hätten Sie gar nicht zu tun brauchen, wenn Sie die Gesetzgebungsmaterie früher hätten anlaufen lassen. Der entscheidende Punkt ist ja, daß Sie in einem ganz schnellen Galopp diese Gesetzgebung durchführen wollen, in der Gesetzgebung und in der Verwaltung. Das sind doch die Schwierigkeiten, die Sie sich selbst gemacht haben. Uns machen Sie jetzt hier Vorwürfe, weil wir daraus die Konsequenzen ziehen.
Was die Begünstigung der Spitzenverdiener angeht, so ist das ein Ballon, der immer hochgelassen wird; an den sind wir schon langsam gewöhnt. Man sollte einmal zur Kenntnis nehmen, daß die Frage der Sonderausgaben für die Spitzenverdiener in diesem Lande eine Quantité négligeable ist.
Für die Spitzenverdiener in diesem Lande stellt sich doch nicht die Frage, ob sie 2 000 DM oder 3 000 DM an Sonderausgaben sparen; die haben ganz andere Sorgen. Wenn man auf die Spitzenverdiener abstellt, trifft man gar nicht den entscheidenden Punkt, sondern Sie treffen mit dieser Regelung die mittleren Einkommensempfänger, und vielleicht wollen Sie das!
Lassen Sie mich ein Letztes zu der Revisionsklausel sagen. Ich habe hier vorhin schon erklärt — vielleicht haben Sie es nicht gehört —, daß ich und das Land Rheinland-Pfalz selbstverständlich zu dieser Revisionsklausel stehen, und zwar genauso, wie wir sie vereinbart haben, als wir alle noch der Meinung waren, daß der Zug genau in die entgegengesetzte Richtung fährt; denn es gab einmal eine Vorlage, nach der sich die Belastungswirkung unterschiedlich ergeben hätte.
Wir stehen zu dieser Klausel genauso wie bisher, allerdings stehen wir auch zu den Terminabreden, die in diesem Zusammenhang seinerzeit gemacht worden sind. Soviel ich weiß, ist zwischen den Ministerpräsidenten und dem Bundeskanzler hierüber bereits seinerzeit ein Agreement getroffen worden, und ich meine, das sollte weiter gelten.Lassen Sie mich folgendes auch aus der Sicht eines Finanzministers sagen. Ich habe immerhin schon einige Male mit der Bundesregierung Verhandlungen über eine Änderung des Umsatzsteueranteils geführt. Dies waren, soweit ich das erlebt habe, eigentlich immer Verhandlungen, die sich teilweise sogar bis in das schon laufende Haushaltsjahr hineingezogen haben. Wir haben durchaus Verständnis dafür, daß es jetzt besser laufen soll, und wir hoffen, daß das eine künftige Usance wird, daß wir — egal in welcher Richtung wir verhandeln — uns künftig immer über solche Dinge so schnell unterhalten und nicht nur, wenn es wie jetzt zugunsten des Bundes geschehen soll.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wagner .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat mit großer Erregung und mit großer Lautstärke gesprochen. Er hat es meines Erachtens versäumt, diese Steuerreform in den gesellschaftspolitischen und wirtschaftspolitischen Gesamtzusammenhang zu stellen, in den sie in dieser Zeit hineingehört. Er hat versäumt, davon zu sprechen, daß diese Steuerreform oder das, was von ihr übriggeblieben ist, in einer Zeit beschleunigter Inflation verwirktlicht werden soll, daß die Beseitigung von Inflationsschäden im Vordergrund stehen muß und daß das größte soziale Unrecht, das in dieser Zeit geschieht, von der Inflation her kommt.Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten will ich ein Zitat verlesen. Es lautet:Bei einer Inflation, das wissen wir, gibt es Gewinner und Verlierer. Die Gewinner sind jene, die an den Hebeln der politischen und wirtschaftlichen Macht sitzen, die Tatkräftigen, Schlauen und Frechen, die Raubvögel. Pechvögel aber sind die Durchschnittsuntertanen.So sagt Golo Mann in „Wallenstein" über eine Inflation, die in Böhmen und Mähren in den Jahren 1619 und 1620 stattgefunden hat. Das Zitat stimmt heute noch.
Ich meine, daß jemand, der in einer kritischen Phase und in verantwortlicher Position das Wort geprägt hat, daß Stabilität so ein Modewort sei, nicht viel Anspruch hat, hierherzutreten und als Anwalt der Kleinen, der Schwachen, eben der Pechvögel aufzutreten, wie der Herr Bundeskanzler dies soeben getan hat.
— Der Bundeskanzler, der nicht zuhört — das mag er tun, wie er will —, hat insbesondere die geplante Systemumstellung bei den Vorsorgeaufwendungen als ein Kernstück der sogenannten Einkommensteuerreform gerühmt, wie dies auch Herr Offergeld
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Dr. Wagner
schon getan hat und wie Herr Rapp es getan hat und wahrscheinlich weitere es noch tun werden.Nach unserer Überzeugung ist diese Umstellung ein Musterbeispiel dafür, daß nicht jede Änderung auch ein Fortschritt ist. Man kann auch nach rückwärts ändern, man kann auch zum Schlechten ändern. Dies geschieht hier. Wie so manche Reformtat der SPD und FDP, die wir schon erlebt haben, wird auch diese Umstellung von den Betroffenen — das ist die Masse der Steuerzahler — noch als sehr bitter empfunden werden.Das geltende Recht soll beseitigt werden, nach dem die Aufwendungen für die Vorsorge — Sozialversicherungsbeiträge, Lebensversicherung, Krankenversicherungen — vom steuerpflichtigen Einkommen abgezogen werden können. Offenbar ist es der SPD und der FDP ein Dorn im Auge, daß hier ein Teil des Einkommens von der Steuer verschont bleibt. Deshalb soll die Steuer jetzt ohne jede Berücksichtigung der Vorsorgeaufwendungen berechnet werden. Die so errechnete Steuer wird dann um 22 v. H. der Vorsorgeaufwendungen gekürzt. Das bedeutet: Wer mit einem Teil seines Einkommens über die Proportionalzone hinauswächst, also in der Spitze seines Einkommens 30 %, 40 % oder mehr Steuern bezahlt, kann seine Vorsorgeaufwendungen nur noch zu einem Teil steuerlich zur Geltung bringen. Oder anders: Er bezahlt seine Vorsorge aus versteuertem Einkommen. Genau dies Ergebnis ist von der SPD /FDP gewollt.Herr Offergeld, Sie haben dies kürzlich nochmals ganz klar in einem Zeitungsartikel gesagt, in dem Sie erwähnten, an die Stelle des Abzuges von Einkommen solle eine „Steuersubvention" von 22 °/o treten. Nach meiner Auffassung ist schon der Ausdruck Steuersubvention verräterisch. Dem geltenden Recht liegt die Vorstellung zugrunde, daß dem Steuerpflichtigen für seine Vorsorge ein Freiraum gelassen wird, in den der Staat nicht eingreift. Nach der geplanten Neuregelung der Regierung und der SPD /FDP soll der Staat zunächst einmal auch in diesem Freiraum zugreifen. Er soll Einkommen- und Lohnsteuer auch für diesen Teil des Einkommens kassieren, auch für den, der kraft gesetzlicher Verpflichtung an die Sozialversicherung abzuführen ist. Anschließend soll er als Wohltäter kommen und einen Teil dessen, was er vorher genommen hat, als Steuersubvention an den Bürger zurückverteilen.Ich kann hierin keine Verbesserung sehen. Zugrunde liegen muß wohl diesem neuen System unausgesprochen irgendwo der Gedanke, daß dem Staat im Grunde 100 % des Einkommens seiner Bürger zustünden und daß jeder Betrag, der den Bürgern nach Abzug der Steuer von ihrem Einkommen verbleibt, im Grunde genommen schon eine Subvention darstellt.
Wer sich an den Steuerparteitag der SPD und an die Reden erinnert, die manche Westentaschen-Savonarolas dort gehalten haben, und auch übrigens an die Rede des Herrn Bundeskanzlers vorhin, die sich würdig daran anschloß, der wundert sich nicht, daß uns von der SPD dieses Gebräu vorgesetzt wird. EinRest von Verwunderung -- nur ein Rest, Frau Funcke — bleibt allerdings, daß die FDP dies mitmacht. Aber dazu nachher mehr.Es ist doch durch und durch falsch, daß, wie der Herr Bundeskanzler vorhin gesagt hat, Aufwendungen für die Lebensvorsorge nun einmal Lebenshaltungskosten seien, die im Prinzip steuerlich gar nicht zu berücksichtigen seien. Dies kann jedenfalls nicht richtig sein für die Aufwendungen, welche die Bürger kraft gesetzlicher Verpflichtung zu erbringen haben, d. h. für die Sozialversicherungen. Es ist Zynismus, wenn den Bürgern gesagt wird, einerseits müßten sie diese Beiträge an die Sozialversicherung abführen, weil man es dem einzelnen nicht überlassen wolle und auch nicht überlassen könne, ob er für sein Alter und die Krankheit vorsorgen wolle; andererseits seien diese Aufwendungen aber ihre Privatangelegenheit, auf die steuerlich keine Rücksicht genommen werden müsse.Insofern ist auch eine Wendung, die sich in der Begründung der Regierungsvorlage findet, unrichtig. Hier wird erwähnt, daß Vorsorgeaufwendungen erwünscht seien und deswegen eine gewisse steuerliche Berücksichtigung verdienten. Der ganz überwiegende Teil der Vorsorgeaufwendungen, der steuerlich berücksichtigt wird, ist aber nicht nur erwünscht, sondern wird kraft gesetzlicher Verpflichtung gezahlt. Hier ist also die Regierungsvorlage, an die sich auch Bundeskanzler Schmidt angeschlossen hat, unrichtig.Was ist von der Behauptung zu halten, es gehe hier um die Bezieher hoher und höchster Einkommen? Der Vorschlag der SPD /FDP trifft alle Steuerzahler mit Einkommen oberhalb der Proportional-zone schmerzlich, d. h. oberhalb von 16 000 DM für Ledige und 32 000 DM für Verheiratete. Schon oberhalb dieser Grenzen beginnt die progressive Besteuerung mit einem Sprung auf 30,8 v. H. Nach dem, was Bundeskanzler Schmidt soeben gesagt hat, werden sich 1975 schon 40 v. H. der Steuerpflichtigen in der progressiven Besteuerung befinden.
— Seit der inflationären Entwicklung der letzten Jahre! Diese Steuerreform schafft also keineswegs die progressive Besteuerung für alle ab. Im Gegenteil, sie beläßt sie für 40 v. H., und in den allernächsten Jahren wird wieder die Mehrheit aller Steuerzahler progressiv besteuert werden. Es geht nicht um eine dünne Schicht von Großverdienern. Denen sind — das hat Herr Minister Gaddum mit Recht gesagt — die Sonderausgaben und die Vorsorgeaufwendungen ziemlich egal. Es geht um die breiten Mittelschichten und in naher Zukunft auch schon um die Mehrheit aller Steuerzahler. Ihnen wird zugemutet, Steuern auch für die Einkommensteile zu zahlen, die sie überhaupt nicht sehen, die ihnen nicht zufließen, die von vornherein einbehalten werden. Es ist fraglich, ob dieses System mit der Verfassung vereinbar ist. Diese Frage will ich jetzt nicht vertiefen. Politisch machen wir jedenfalls diesen Systemwechsel nicht mit. Den sollen die verantworten, die ihn erfunden haben. Ich prophezeie ihnen, daß sie nicht viel Freude daran haben werden.
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Dr. Wagner
Warum ist die Feststellung richtig, daß vor allen Dingen die Mittelschichten betroffen werden? Dies ergibt sich aus folgender einfacher Überlegung: Die Bundesregierung hat die Höchstbeträge kräftig ausgedehnt, wie Herr Bundeskanzler Schmidt gerühmt hat, bis auf 20 400 DM. Frage: Wer kann Vorsorgeaufwendungen von 20 000 DM im Jahr produzieren? Wer kann sie erbringen? Jemand, der 30 000 DM verdient, sicher nicht, Herr Bundeskanzler. Jemand, der 40 000 DM verdient, auch nicht, und jemand, der 50 000 DM verdient, auch noch nicht. Wenn Sie andere Vorstellungen haben, wird es Zeit, daß Sie sich mit den Lebensverhältnissen derjenigen, die sich in diesen Einkommensgruppen befinden, besser vertraut machen.
Diese 20 000 DM sind ein Angebot an ausgesprochene Großverdiener. Sie haben die Möglichkeit, sich den Ausgleich über mehr Vorsorgeaufwendungen zu schaffen, die Mittelschichten nicht.
Diese werden durch das neue Abzugssystem geschädigt ohne jede Möglichkeit, sich durch höhere Aufwendungen einen Ausgleich zu schaffen.Die Wirkung des neuen Systems auf die Einkommensschichten läßt sich also wie folgt kennzeichnen: Das neue System stellt die Bezieher von Einkommen bis 32 000 DM nicht besser und nicht schlechter als das bisherige. Es läßt die Bezieher hoher Einkommen halbwegs ungeschoren, aber es trifft mit volmer Härte die Mittelschichten. Weil dies so ist und im Ernst nicht bestritten werden kann, haben wir auch die seltsamsten Begründungen für diese Systemumstellung gehört. Besonders bei der FDP gibt es anscheinend ein erhebliches Maß von Unsicherheit, und in der Tat muß man sich fragen, wo die Politiker der FDP gewesen sind, als diese Beschlüsse im Kabinett gefaßt worden sind, Herr Friderichs und Herr Genscher oder Graf Lambsdorff in der Fraktion. Wie ist es gekommen, daß dies so durchgehen konnte?Frau Funcke gibt Erklärungen dafür. Sie trägt mit der ihr eigenen besonderen Verdrehungskunst und dem ihr eigenen sonderbaren Umgang mit Tatsachen immer wieder vor, auch heute, daß die Vorsorgeaufwendungen etwa so Wichtiges, Unentbehrliches seien, daß man sie aus dem unteren Teil des Einkommens, gewissermaßen schon aus dem Existenzminimum, bestreiten müsse, daß man sie in jedem Falle erbringen müsse, nicht etwa aus dem oberen Teil, und daß deswegen auch der Abzug nur mit dem Steuersatz zu erfolgen habe, der für den unteren Teil des Einkommens gelte.Erste Frage an Frau Funcke: Was ist denn dann mit denen, die bis zu 20 000 DM Vorsorgeaufwendungen bringen? Das ist doch Ihr vielgerühmter neuer Höchstbetrag! Sind das auch Leute, die aus den 32 000 DM im unteren Bereich 20 000 DM Vorsorgeaufwendungen erbringen? Rechnen Sie mal vor, wie jemand das machen soll!
Und dann kommt man zu dem märchenhaften Ergebnis, daß die wichtigsten Ausgaben weniger begünstigt werden als die weniger wichtigen, also als die Luxusausgaben. Mein Rat an Frau Funcke: Erklären Sie dies in Ihrer Fraktion gut und mehrfach, damit es verstanden wird, insbesondere, schlage ich vor, Ihrem Fraktionsvorsitzenden, Herrn Mischnick, für künftige steuerpolitische Erklärungen; er kann es brauchen. Er wird vielleicht der einzige sein, der es Ihnen voll glaubt und der es dann auch gläubig vertritt,
so wie sie ja, Herr Mischnick, in den Debatten über die Steuerentlastungsgesetze der Opposition bis zum Schluß die Auffassung vertreten haben, die Erhöhung des Grundfreibetrages wirke mit Progressionseffekt. Ich habe nach der Gestik, die ich vorhin bei Ihnen wahrgenommen habe, den Eindruck, Sie glauben das jetzt noch.
Deswegen diese Bemerkung. Vielleicht wäre auch der Rat angebracht, daß Herr Mischnick damit aufhören sollte, sich als Steuerpolitiker oder Steuersprecher zu betätigen. Es ist wohl so, daß er in die Steuerpolitik so gut hineinpaßt wie etwa Herr Maihofer an die Spitze des Bundesgrenzschutzes.
Aber das ist ein Problem der SPD /FDP.
Ein sehr wichtiger Gedanke, den ich zum Abschluß vortragen möchte, ist folgender. Das System der SPD /FDP enthält einen eingebauten Inflationsmechanismus. Da nämlich die Vorsorgeaufwendungen das steuerpflichtige Einkommen nicht mehr verringern, wachsen die Steuerzahler um so schneller in die Progression und in die höheren Progressionsstufen hinein. Die schon jetzt sehr bedrohliche Erscheinung der heimlichen Steuererhöhungen wird dadurch verschärft. Wer künftig die Grenze von 16 000 bzw. 32 000 DM brutto im Jahr überschreitet, kann von diesem Einkommen kaum noch etwas abziehen, weil außer den Vorsorgeaufwendungen auch die Kinderfreibeträge und z. B. auch der Arbeitnehmerfreibetrag als abzugsfähige Ausgaben verschwinden sollen.
Bei Beibehaltung des Abzugs vom steuerpflichtigen Einkommen und Höchstbeträgen in der von der CDU/CSU vorgesehenen Größenordnung würde dagegen die Progression erst bei Einkommen um 40 000 DM im Jahr, bei möglichem Vorwegabzug noch etwas darüber, eintreten. Folglich würde der Steuerpflichtige bis zu diesem Einkommen mit 22 %, dem Proportionalsteuersatz, besteuert, während er nach dem SPD/ FDP-Vorschlag bei 40 000 DM bereits eine Spitzenbelastung von 34,6 0/o erreicht. Das gilt
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Dr. Wagner
für die Spitze, Herr Offergeld, damit Sie mir nicht ähnlich wie Herrn Häfele nachsagen, ich hätte etwas anderes gesagt.Wie sich dies auf den Leistungswillen, aber auch auf die Lohnforderungen und Tarifverhandlungen auswirken wird, sollte inzwischen jeder begriffen haben. Jeder sollte auch zur Kenntnis nehmen, daß von dieser Problematik — ich sagte es bereits — breite Bevölkerungsschichten betroffen sind. Spätestens 1977 wird der Durchschnittsverdienst eines Facharbeiters in der Industrie die Progressionsgrenze überschreiten, und zwar beim Verheirateten; beim Ledigen ist es heute schon der Fall. Eine Reform, die solche Grundtatbestände nicht berücksichtigt, verdient diesen Namen nicht.Die Systemänderung bei den Vorsorgeaufwendungen muß auf diesem Hintergrund und im Zusammenhang mit der massiven Steuerprogression des neuen Tarifs gesehen werden. Sie ist eine eindeutige Verschlechterung, als Reform nur verkleidet. Die CDU/ CSU lehnt sie ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vohrer.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Der Kollege Wagner meinte von der Unsicherheit der FDP reden zu müssen. Er hat dabei nur übersehen, daß die eigentliche Unsicherheit bei der Opposition liegt, die in der Debatte zwischenzeitlich gemerkt hat, daß die stechenden Argumente auf der Seite der sozialliberalen Koalition liegen, nämlich die Argumente, wonach sowohl der Tarif wie auch das Kindergeld und die Sonderausgaben so wirken, daß Sie immer weniger Leuten glaubhaft machen können, was mittlere und kleine Einkommen sind. Wir können die Grenzen eindeutig nachweisen, wo entlastet und wo stärker belastet wird. Und das, was Sie mittlere Einkommen nennen, die stärker belastet werden und die Sie immer wieder zitieren, liegen eben bei Verheirateten erst in der Größenordnung von 162 000 DM und mehr.
Sie müssen sich die Einkommenspyramide eben einmal genau ansehen; denn dann merken auch Sie, wie groß diese Zahl noch ist, die Sie beglücken und die Sie draußen damit aufhetzen wollen, daß sie von unserer gesetzlichen Regelung belastet würden.Im übrigen gibt es eine Unsicherheit bei der Opposition in bezug auf die Modelle, die Sie hier wirklich vertreten. Es war für uns natürlich ein gewisser Genuß, daß hier die einzelnen Länder jeweils verschiedene Modelle vorwiesen, und Sie hier im Hause haben insofern ein gewisses Durcheinander, als Sie einerseits teilweise noch das Inflationsentlastungsgesetz vertreten und dies andererseits schon mit den Vorschlägen vermischen, die Sie im Verlaufe der Beratungen im Finanzausschuß gemacht haben.Darüber hinaus habe ich mich über den Beitrag von Herrn Minister Gaddum sehr gefreut. Denn wir haben gerade seinen Beitrag mit Spannung erwartet, da Herr Gaddum Minister eines Landes ist, das während der ganzen Beratungen im Finanzausschuß immer wieder für Überraschungen gesorgt hat. Das Land Rheinland-Pfalz war dabei, als einstimmig für die Tarifgestaltung in dem Sinne einer verlängerten Proportionalzone im Bundesrat abgestimmt wurde. Das Land Rheinland-Pfalz war dann der Wortführer derer, die den Tarif in dem Sinne ändern wollten und einen durchgehend, progressiven Tarif forderten. Das Land Rheinland-Pfalz war danach wiederum bei der einstimmigen Abstimmung am 20. März 1974 dabei, als es darum ging, die verlängerte Proportionalzone in der Form, wie wir sie dann in Zusammenarbeit mit dem Bundesrat auch akzeptiert haben, wieder vorzulegen. Und jetzt, hier im Plenum, kommt wiederum Herr Gaddum und macht wiederum einen neuen Vorschlag, indem er sagt: verlängerte Proportionalzone ja, wenn Abzugsfähigkeit von der Bemessungsgrundlage.Insofern kam natürlich die ganze Verwirrung zutage, und Sie können sicher sein, daß auch draußen im Lande deutlich wird, in welcher Position sich die CDU/CSU hier in bezug auf die Diskussion der Steuerreform befindet.Charakteristisch ist auch das Argument von Herrn Gaddum, daß es sich hier um eine ganz harmlose, banale Steueränderung handelt, daß aber gleichzeitig die Verwaltung weder beim Bund noch in den Ländern und in den Gemeinden in der Lage wäre, mit einem solchen umfassenden Gesetzeswerk fertig zu werden. Entweder ist es eine harmlose Steueränderung, dann ist es für die Verwaltung kein Problem; oder es ist eine Steuerreform, dann wird in der Tat von der Verwaltung einiges an Leistungsfähigkeit verlangt. Wir sind uns der Tatsache bewußt, nachdem es sich um eine Steuerreform handelt, daß die Verwaltungen von uns auf allen Ebenen mit Mehrarbeit belastet werden, aber wir sind auf Grund der entsprechenden Rückfragen optimistisch. Wir sind davon überzeugt, daß die Verwaltung das Gesetz in der Form, in der wir es jetzt vorlegen, bewältigen kann.Dann kam von Herrn Gaddum noch das sehr interessante Argument, mit dem er hier auf den Nebenkriegsschauplatz der Kraftfahrzeugsteuerreform auswich — die er vordringlich forderte —, und dies, nachdem er sich langatmig darüber beklagt hatte, daß die Beratung im Finanzausschuß zu hastig vor sich gehen mußte. Das alles sind Widersprüche, auf die wir hier nur hinweisen können. Wir können aber Herrn Gaddum sagen, daß wir, wenn die Steuerreform beraten ist, uns der Kraftfahrzeugsteuer annehmen werden.Den originellsten Beitrag hat zweifellos Herr Höcherl geleistet, der natürlich anfänglich sofort auf die übliche Diskussion „echte Steuerreform oder sogenannte Steuerreform?" einging. Interessant war, was er als echte Steuerreformen empfunden hat. Die Einführung des Splitting 1958 war für ihn eine echte Steuerreform; das galt für ihn auch für die Umsatzsteuer. Das alles waren für Herrn Höcherl Reformen, und lediglich das, was hier als Reform des Einkommensteuergesetzes, als Reform von Erbschaft-
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Dr. Vohrerund Vermögensteuer vorgelegt wurde, sind für ihn kümmerliche Steueränderungsgesetze. Genau das ist der Punkt, wo wir dann natürlich auch ihn darum bitten müssen, daß er dann, wenn er von der Regierung verlangt, die Leistungen der Vorgänger mehr zu würdigen, auch hier einmal deutlich macht, daß beim Einkommensteuergesetz wirklich der bewußte Wille zur Reform, zur Änderung eines Systems, offensichtlich ist. Wenn Sie aber das System nicht ändern wollen, wenn Sie andere politische Zielgruppen mit Ihren Vorstellungen ansprechen wollen, kann man das überhaupt nicht als richtig oder falsch qualifizieren, dann kann nur jede der politischen Gruppierungen hier deutlich machen, wie das Gesetz wirkt und welche Einkommensgruppen dadurch begünstigt oder belastet werden. Sie können sicher sein, daß wir mit sehr viel Fleiß unsere Argumente draußen vertreten werden.
Sie haben kritisiert, daß im Rahmen der Steuerreform keine Bereinigung erfolge, keine Bereinigung bei den Steuergesetzen und bei den Subventionen; Herr Gaddum hat das kritisiert. Ich darf nur daran erinnern, daß Herr von Alten, der im Moment nicht im Saal ist, ein vehementer Kämpfer für die Erhaltung der kleinsten Subventionen, nämlich der Subvention der Vollblutzucht, war. Gerade aus Ihren Anträgen wurde immer wieder deutlich, daß Sie überhaupt nicht bereit sind, auch bloß kleinste Abstriche bei Subventionen zu machen. Sie hätten in dem ganzen Zeitraum, der Ihnen seit der Einsetzung der Steuerreformkommission 1967/68 zur Verfügung stand, genügend Zeit gehabt, Anträge zu stellen um Steuern zu streichen. Solche Anträge kamen weder im Finanzausschuß noch in der Zeit, als Sie noch die Regierung stellten von Ihrer Seite.Herr Häfele, Sie haben die Lohn-Preis-Spirale um eine neue Variante bereichert. Sie haben die Steuerkosten auch noch in die Spirale eingebaut und daraus den Schluß gezogen, daß die Erhöhung des Grundfreibetrags und des Arbeitnehmerfreibetrags jetzt ab 1. Juli eingeführt werden soll. Das alles sind Forderungen, die draußen ankommen; denn die Leute ächzen unter dem Druck der Steuerlast. Es ist völlig legal, daß Sie als Opposition solche Anträge stellen. Bloß wenn Sie gleichzeitig sagen, Sie würden damit einen Beitrag zur Inflationsbekämpfung liefern, dann müssen wir dem natürlich ganz entschieden widersprechen.
— Herr Wagner, wenn Sie mir deutlich machen, daß gleichzeitig mit den 5 Milliarden DM Mindereinnahmen, die Sie dann 1974 haben, irgendwo Haushaltskürzungen eintreten, würde ich sagen: Das ist ein ganz vernünftiger Vorschlag. Wenn aber die Haushalte bei den Gemeinden, bei den Ländern und beim Bund beschlossen sind und dann die 5 Milliarden DM zur Deckung fehlen und man keinen Vorschlag zur Deckung macht, und das alles vor dem Hintergrund einer Nettokreditaufnahme von 7,6 MilliardenDM allein beim Bund, so führt dies dazu, daß die Nachfrage erheblich steigt, womit Sie statt eines dämpfenden einen stimulierenden Beitrag zur Inflation leisten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Bockelberg?
Bitte schön!
Herr Dr. Vohrer, ist Ihnen bekannt, daß die CDU/CSU im Haushaltsausschuß Streichungsanträge in Höhe von 2 Milliarden DM gestellt hat und daß das exakt der Bundesanteil aus dem Inflationsentlastungsgesetz gewesen wäre?
Von den 2 Milliarden DM Streichungen, die im Haushaltsausschuß beantragt worden sind, wurde hier von diesem Podium aus — und ich habe die Haushaltsdebatte aufmerksam verfolgt — von der Opposition nichts vertreten. Im übrigen wäre es natürlich sehr nett, wenn Sie die Titel angäben, wo Sie 2 Milliarden DM streichen wollen.
Herr Häfele, Sie haben hier das Ifo-Institut zitiert. Sie haben darauf aufmerksam gemacht, daß von einer Mark Mehrverdienst zuvor noch 70 Pfennig verblieben, während es jetzt nur noch 53 Pfennig sind. Herr Häfele, wenn Sie Ihr Inflationsentlastungsgesetz jetzt durchsetzten, wäre der Tarifverlauf noch genau der gleiche. Er wäre nur um knapp 1 400 DM angehoben, aber die Progression wäre noch genau die gleiche.Nicht daß Sie den Eindruck haben, wir hätten Ihren Antrag nicht verstanden: Wir sind uns völlig bewußt, daß Sie mit Ihrem Antrag jedem Steuerzahler das Geschenk von 20,90 DM bzw. bei Verheirateten von 41,80 DM machen.
— das ist die Wirkung Ihres Antrags —, egal wie hoch das Einkommen ist. Das ist das Geschenk der CDU.Es geht uns aber genau darum, strukturelle Änderungen zu schaffen, nicht unabhängig vom Einkommen ein Geschenk mit der Gießkanne zu verteilen, sondern ganz bewußt durch die Tarifgestaltung die unteren und mittleren Einkommen zu entlasten und darüberliegende Einkommen bewußt zu belasten. Insofern können Sie auch nicht, wie Sie in Interviews und Zeitungserklärungen immer wieder sagen, mit unserer Zustimmung rechnen, wenn Sie die strukturellen Änderungen im Bundesrat kappen wollen. Wir werden auf den strukturellen Änderungen bestehen und mit aller Intensität darauf hin-Deutscher Bundestag — 3, Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 7009Dr. Vohrerwirken, daß die Argumente in immer breiteren Gruppen der Bevölkerung verstanden werden. Sie haben lange Zeit davon profitiert, daß die Steuerpolitik den Leuten als ein böhmisches Dorf erschien.
Herr Höcherl hat kritisiert, daß wir die Eckwerte verändert hätten — er hat von ersten, zweiten und dritten Eckwerten geredet —, und das alles vor dem Hintergrund Ihrer gleichzeitig erhobenen Forderung, die Eckwerte oder überhaupt die ganzen Steuertarife an die wirtschaftliche Entwicklung anzupassen. Wenn wir während der Zeit von 1971 bis 1974 hier Änderungen vorgenommen haben — durchweg Änderungen zugunsten der Steuerzahler —, dann sollten Sie das nicht kritisieren, sondern anerkennen, daß wir diese Eckwerte auch in Ihrem Sinne entlastend verändert haben.Eines erfreut mich: daß im Prinzip viele Gemeinsamkeiten im Tarif vorhanden sind. Sie wollten mit uns — Sie sechs Monate früher, wir ab 1. Januar 1975 — den Grundfreibetrag auf 3 000 DM erhöhen. Sie wollen wie wir einen Spitzensteuersatz von 56 %. Sie wollen sicherlich auch nicht — wenn Sie das wollten, wäre es ganz gut, wenn jemand von Ihnen das erklärte — die entlastende Wirkung der Steuerreform weit über die Grenze hinausschieben, die wir für den Verheirateten bei 160 000 DM festgesetzt haben. Wenn Sie das doch wollten, müßten Sie es auch hier sagen und das vielleicht auch einmal in Ihrer Fraktion mit den Sozialausschüssen abstimmen; denn dort werden Sie sowieso noch eine sehr lebhafte Diskussion bekommen.
Nun zu dem durchgehend progressiven Satz: Es ist mühsam, hier noch einmal den Eindruck entstehen zu lassen, wir wehrten uns gegen den durchgehend progressiven Satz. Wir würden ihn jederzeit, lieber heute als morgen, einführen, wenn die Verwaltung durch eine entsprechende Anwendung der Computertechnik in der Lage wäre, den progressiven Satz zu bewältigen. — Herr Kreile, wo ich Sie schon aufstehen sehe, kann ich gleich noch etwas dazu sagen: Wenn Sie wollen, daß der Gesetzgeber schon heute in das Gesetz hineinschreibt, was er in zwei Jahren will, dann kann ich Sie beruhigen: Wenn das verwaltungstechnisch möglich ist, werden wir auch darauf hinwirken, daß der durchgehend progressive Satz kommt.
— Gerne.Jetzt kommt die Frage der Verwaltungsvereinfachung in bezug auf die Proportionalzone. Auch hier ist nachweisbar, daß wir die Finanzverwaltung, zumindest für eine gewisse Zeit, von dem Formularkrieg von 2 Millionen Veranlagungsfällen verschonen. Und, wie gesagt: Wenn wir den anderen Tarif einführen können, wird auch hier das Argument fallen, wir hätten die Verwaltungsvereinfachung nicht so weit getrieben, wie sie theoretisch zu treiben wäre. Ich spreche hier die Anregung von Fredersdorf an, der das vereinfachte Veranlagungsverfahren möchte und dies als das Ideal darstellt. Das können wir aber aus rein verwaltungstechnischem Grunde im Moment nicht durchführen.Meine Damen und Herren, zu den Sonderausgaben und Vorsorgeaufwendungen wurde so viel gesagt, daß es nicht nötig ist, weiter vertieft darauf einzugehen. Es ist lediglich so, Herr Wagner — zu Ihrer Information —: Wir entschieden uns zu der vorliegenden Regelung nicht zufällig und auch nicht, weil wir uns irgendwie nicht im klaren wären, wen wir damit belasten oder entlasten, sondern wir machen es ganz bewußt als politische Handlung, um denjenigen, die in der von uns begünstigten Weise das Geld ausgeben, nämlich zu Vorsorgeaufwendungen, für Bausparverträge usw. einen Anreiz dazu zu geben.Im übrigen sollten Sie nicht vergessen, daß auch Sie, die Sie so viel gegen Investitionslenkung haben, natürlich einen Beitrag zur Konsumlenkung leisten, indem Sie Konsumarten, die Ihnen weniger sympathisch sind, mit Verbrauchsteuern belasten. Sogar die Bayern ihr Bier. Das ist ganz leicht verständlich, weil das Bier eine ergiebige Steuerquelle ist.Deshalb sollten Sie hier nicht darüber polemisieren. Wir entlasten die Einkommensverwendung in Bereichen, wo wir es politisch für richtig halten. Wir entlasten nicht nach dem Motto „wer mehr hat, dem wird gegeben", sondern wir entlasten mit gleichen Anteilen, mit gleichen Beträgen.Ich weiß nicht, ob Herr Kollege Hillermeier noch da ist. Beim seinem Kindergeldvorschlag gibt es nämlich eine sehr groteske Wirkung, und zwar an der Stelle, wo die Bayern zu dem jetzigen ungerechten System noch ihren zusätzlichen Beitrag leisten. Wir haben im Moment die Wirkung, daß der steuerliche Vorteil eines Spitzenverdieners für das dritte Kind bei monatlich 200 DM liegt. Nach dem Antrag von Bayern würde der steuerliche Vorteil auf 250 DM anwachsen. Dagegen hat der Normalverdiener beim jetzigen Steuerrecht einen monatlichen steuerlichen Vorteil von 73 DM, während er zukünftig nach dem bayerischen Modell einen Vorteil von 90 DM hätte.Der bayerische Bergbauer aber, der keine Steuer zahlt, weil nämlich sein Einkommen zu niedrig liegt, bekommt einen steuerlichen Vorteil von null und wird durch die Initiative der Bayern im Bundesrat auch weiterhin einen steuerlichen Vorteil von null bekommen. Trotzdem wählen die Leute da oben auf den Bergen noch immer die CSU. Aber vielleicht wird es uns durch intensives Besteigen der Berge auch möglich, unsere Kunde auf den Almen zu verbreiten.Wenn wir von den Bayern reden, ist ja der Sprung zum Verfassungsgericht nicht weit. Die Diskussion, die Sie mit den Gutachten zur Frage der Verfassungswidrigkeit unseres Familienlastenausgleichs angekurbelt haben, sollte auch unter dem Aspekt gesehen werden, daß die Niedrigverdiener — gerade in extremen Fällen —, die bisher bei drei Kindern einen Vorteil von lediglich 85 DM monatlich hatten,
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Dr. Vohrernach unserem Modell zukünftig 240 DM bekommen würden. Sie können sich vorstellen, was gerade für die Einkommen, die gar nicht der Besteuerung unterliegen, weil sie zu niedrig sind, das Kindergeld nach unserer Regelung für einen Vorteil bringt. Das sollten Sie einmal den Kollegen im Bundesrat, die hier Ihr ab und zu von einigen Vertretern gezeigtes progressives Image ankratzen, doch in Ruhe erklären. Dann würden Sie es zukünftig vielleicht unterlassen, uns vorzuwerfen, daß unser Kindergeld verfassungswidrig sei, weil nämlich der Verdiener mit 5 Kindern und 5 500 DM monatlichem Bruttoeinkommen zukünftig 5 DM weniger pro Kind haben wird. Hingegen werden alle Einkommen, die darunter liegen, wesentlich entlastet, und gerade auf diesen Bereich kommt es an. Wenn man Art. 6 des Grundgesetzes ernst nimmt, dann muß man sich wundern, daß hier von Ihrer Seite nicht mehr politische Sensibilität gezeigt wird.Ich möchte zum Schluß noch zwei Punkte anschneiden: Einerseits geht es mir darum, daß im Bundesrat klargemacht wird, daß die jetzige Kindergeldregelung, wie sie uns vom Bundesrat aufgezwungen wurde, nicht unbedingt ,als billiger anzusehen ist; denn wir werden mit sehr viel Nachdruck darauf achten, daß die Sache nicht über die Revisionsklausel für die Länder und Gemeinden um Milliarden billiger wird, sondern daß die Belastungsgerechtigkeit bei der Aufteilung auf die einzelnen Ebenen gewahrt bleibt.Wir werden auch darauf achten, daß der Entlastungseffekt für den einzelnen draußen, für den jetzt der Entlastungsvorgang in zwei Teile aufgesplittert wird, nämlich in eine Zahlung seitens der Arbeitsverwaltung und in den tarifbedingten Entlastungseffekt auf dem Lohnzettel, als Gesamtwirkung gesehen wird. Der erste Blick auf den Lohnzettel bringt nämlich für den einen oder anderen eine gewisse Enttäuschung, denn man hat in der Gesamtwirkung mehr erwartet. Wir werden dazu beitragen, daß hier die Gesamtwirkung gesehen wird.Lassen Sie mich zum Schluß kommen und Ihnen sagen, daß wir mit der Steuerreform, wie sie jetzt vorliegt, ganz klar erkennen, daß eine dauerhafte Erleichterung im öffentlichen Sektor, wie Sie das hier immer vortäuschen, nicht der Fall sein wird. Auch Sie würden bei den gesellschaftlichen Aufgaben, die nur durch die öffentliche Hand erfüllt werden können, nicht mit verringerter Steuerlast erfüllen können. Sie würden neue Steuerquellen finden, und Sie sind natürlich hier immer mit dem europäischen Argument schnell zur Hand: Mehrwertsteuer erhöhen, um damit den öffentlichen Korridor genauso breit zu halten, wie er jetzt ist.Wir als Freie Demokraten bekennen uns zu dem synchronen Wachsen von privaten und öffentlichen Investitionen bei ganz konsequenter Berücksichtigung des Umweltschutzgedankens. Wir werden alles tun, daß die Aufbringung der Mittel des Staates, nämlich der Steuern, so gerecht wie möglich erfolgt, und mit dem jetzigen Steuerreformgesetz, mit der Einkommensteuerreform, wie wir sie hier präsentieren, haben wir einen Schritt in dieser Richtung getan. Wir würden uns freuen, wenn Sie aufgrund der Debatte dem einen oder anderen unserer Argumente zustimmen könnten, damit der Streit anschließend im Vermittlungsausschuß nicht allzu verbissen wird.
Das Wort hat Frau Bundesminister Dr. Focke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!Bei der Entstehung der Einkommen stehen zwei Prinzipien in Widerspruch, die beide ihre Berechtigung haben. Einerseits ist es ein Gebot der Gerechtigkeit, daß die Leistung im Wirtschaftsprozeß der Gegenleistung entspricht. Andererseits erfordern die persönlichen Verhältnisse und 'berechtigten Bedürfnisse der einzelnen unabhängig von ihrer Leistung in gewissem Umfang eine Umverteilung.Das ist, meine Damen und Herren, kein Zitat aus dem Kommunistischen Manifest, sondern aus der Denkschrift des Rates der EKD über die soziale Sicherung im Industriezeitalter. Hier haben Sie, was Familienlastenausgleich nötig macht und rechtfertigt; aber auch den Grund, warum die Bundesregierung auf diesem Feld eine Reform anstrebt: Das Leistungsprinzip unserer Wirtschaft, das keine Rücksicht auf den Familienstand nimmt und auf die Kosten, die durch Kinder entstehen, muß von Staats wegen ergänzt werden durch ein Umverteilungssystem zugunsten der Familien, zugunsten der Kinder.Die Grundprinzipien dieses Familienlastenausgleichs sind:1. Rechtsanspruch auf Kindergeld für jedes Kind;2. ,gleiches Kindergeld unabhängig vom Leistungseinkommen; höher Verdienende haben eine höhere Unterhaltspflicht für ihre Kinder, aber sie muß aus dem eigenen Einkommen, nicht aus Mitteln einer Umverteilung gezahlt werden;3. gestaffeltes Kindergeld nach der Kinderzahl; je mehr Kinder, desto höher ist die wirtschaftliche Belastung für die Eltern, desto größer ist auch ihr Entlastungsanspruch;4. Kindergeld als Beitrag zur wirtschaftlichen Entlastung der Eltern; das Kindergeld kann und soll nicht die vollen Erziehungskosten decken;5. Kindergeld ist daher eine Grundentlastung. Je nach den sozialen Verhältnissen müssen gezielte Entlastungen z. B. für den Unterkunftsaufwand durch Wohngeld, für den Ausbildungsaufwand durch Ausbildungsförderung, für einkommensschwache Familien auch durch die Sozialhilfe hinzukommen.Ich darf das im Hinblick auf den vorliegenden Entwurf etwas konkreter erläutern.Zum 1. Januar 1975 sollen die Kinderfreibeträge des Einkommensteuerrechts, der besoldungsrechtliche Kinderzuschlag und das bisherige Kindergeld
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Bundesminister Frau Dr. Fockeersetzt werden durch das neue Kindergeld von monatlich 50 DM für das erste Kind, 70 DM für das zweite Kind und 120 DM für das dritte und jedes weitere Kind.Diese Vereinheitlichung und einkommensunabhängige Gestaltung des Familienlastenausgleichs wird mit Recht als das Kernstück der Steuerreform bezeichnet. Es macht Schluß mit dem familien- und sozialpolitisch unbefriedigenden Zustand, der — darüber haben wir uns heute schon mehrfach unterhalten — Spitzenverdienern eine wesentlich größere steuerliche Entlastung für ihre Kinder brachte als den Beziehern kleiner Einkommen. Es macht Schluß mit der Ungerechtigkeit, daß Eltern für das erste Kind Kindergeld nur dann erhalten, wenn sie im öffentlichen Dienst beschäftigt sind, während alle anderen erst vom zweiten Kind an — und bei zwei Kindern nur bis zu einer bestimmten Einkommensgrenze — Kindergeld erhalten.Das von uns vorgeschlagene Kindergeldsystem widerspricht nach Überzeugung der Bundesregierung in keiner Weise dem Grundgesetz, sondern es entspricht im Gegenteil dem sozialstaatlichen Auftrag. Mit dem Reformkonzept, das bereits in dem von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Dritten Steuerreformgesetzes enthalten war, wird ein erheblicher Beitrag zur Herstellung von mehr Chancengleichheit für alle Kinder geleistet, ein Beitrag, der besonders zwei Gruppen zugute kommt: Den unvollständigen Familien, insbesondere auch alleinstehenden Müttern mit Kindern, und den jungen Familien. Beide Gruppen verfügen im allgemeinen nur über ein verhältnismäßig bescheidenes Einkommen und haben daher am bisher geltenden Familienlastenausgleich nur einen bescheidenen Anteil. Auch sie werden vom 1. Januar an mit dem neuen Kindergeld eine Leistung des Familienlastenausgleichs erhalten, die einen beträchtlichen Teil des Kinderunterhalts abdeckt und damit eine fühlbare Entlastung bedeutet.So wird z. B. für die alleinstehende Mutter mit einem Kind und einem monatlichen Bruttolohn von 1 000 DM der Familienlastenausgleich von zur Zeit 19 DM auf 50 DM monatlich steigen. Um ein anderes konkretes Beispiel herauszugreifen: Für den Vater mit drei Kindern und einem Bruttolohn von 2 000 DM wird der Familienlastenausgleich von zur Zeit 170,70 DM auf 240 DM monatlich steigen. Dazu treten dann noch die allgemeinen Steuerentlastungen, die für die Bezieher solcher und höherer Einkommen mit der Steuerreform im engeren Sinne verbunden sind. Für alleinstehende Elternteile mit Kindern ist hiervon besonders die Anhebung des Haushaltsfreibetrags auf 3 000 DM zu erwähnen. Sie führt zu einer erheblichen Steuerermäßigung.In der Regierungserklärung vom 17. Mai 1974 ist zur Gesamtheit der Entlastungen, die durch die Reform des Familienlastenausgleichs und durch die Steuerreform bewirkt werden, ausgesagt, daß sie für einen typischen Arbeitnehmerhaushalt mit zwei Kindern das Nettoeinkommen um rund 4 % verbessern.Der hohe Kindergeldsatz von 120 DM für die dritten und weiteren Kinder hilft besonders den kinderreichen Familien und widerlegt die Behauptung, das Reformkonzept begünstige einseitig die kleinen Familien. Das wird z. B. auch durch eine Aufstellung sehr deutlich, die am 18. Mai in der „Süddeutschen Zeitung" veröffentlicht worden ist. Dort ist dargestellt, zu welchem Prozentsatz der gesamte Kinderunterhalt bei Familien verschiedener Größe durch das neue Kindergeld gedeckt wird. Der Unterhalt pro Kind wird dabei mit monatlich 200 DM angenommen. Während in Familien mit einem Kind 25 °/o dieses Kinderunterhalts durch das neue Kindergeld gedeckt werden, ist dies in Familien mit drei Kindern schon zu 40 % und in Familien mit fünf Kindern sogar zu 48 % der Fall.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie um etwas mehr Aufmerksamkeit für die Frau Bundesminister bitten und darum, daß Sie Ihre Privatgespräche nach außerhalb des Saales verlegen!
Die Zahlung des neuen Kindergeldes für die ersten und zweiten Kinder verbraucht einen erheblichen Teil der zur Verfügung stehenden Mittel, nämlich jährlich etwa 10 Milliarden von den insgesamt 15 Milliarden DM. Das erklärt, warum es nicht möglich ist, den Kindergeldsatz für die vierten und weiteren Kinder höher als auch mit 120 DM zu bemessen. Das mag man bedauern, aber ich meine, die Zahlung eines Kindergeldes für die ersten und zweiten Kinder sollte vor einer noch stärkeren Begünstigung der dritten und weiteren Kinder Vorrang haben. Gerade Familien mit nicht mehr als zwei Kindern sind es, die zur Zeit eine am wenigsten angemessene Entlastung erhalten. Für sie müssen wir deshalb zunächst etwas tun. Ich hatte den Eindruck, daß das auch die Meinung der CDU/ CSU ist. Daß die von der CDU/CSU beantragte Erhöhung für die vierten und weiteren Kinder auf 150 DM mit einem Jahresmehraufwand von 500 Millionen DM ohne weiteres zu finanzieren wäre, hat auch die CDU/CSU nicht näher belegen können.Das vorliegende Reformkonzept sieht ein Jahresfinanzvolumen — ich wiederhole — von 15 Milliarden DM vor, eine Steigerung um gut 4 Milliarden DM, also um rund 40 %. Das ist ein mächtiger Zuwachs. Eine darüber hinausgehende Erhöhung ist finanzwirtschaftlich einfach nicht tragbar. Was wir den dritten oder den vierten und weiteren Kindern an höherem Kindergeld geben, das müßten wir den ersten und zweiten streichen.Meine Damen und Herren von der Opposition, es ist eine selbstverständliche Folge des vorliegenden Reformkonzepts, daß die Verbesserungen gegenüber dem jetzigen Stand um so geringer sind, je höher das Einkommen der Eltern ist. In höheren Einkommensbereichen kann es auch zu geringen Einbußen kommen. Zu Einbußen wird es z. B. für Eltern mit drei oder mehr Kindern bei einem monatlichen Bruttogehalt von etwa 5 000 DM kommen und für die übrigen Eltern bei einem monatlichen Bruttogehalt von mehr als 8 000 DM. Die Einbußen sind gering:
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Bundesminister Frau Dr. Fockez. B. bedeutet das für einen Vater mit fünf Kindern und einem Bruttogehalt von 6 000 DM im Monat eine Einbuße von monatlich 23 DM. Ich glaube, daß Eltern, die ein Einkommen in dieser Größenordnung haben, eine solche Einbuße verkraften können. Ich meine, das ist wirklich zumutbar.In diesem Gesamtzusammenhang müssen wir nun natürlich auch noch berücksichtigen, daß zu dem staatlichen Familienlastenausgleich im Regelfall, nämlich für mehr als 90 % aller Familien, noch ein Kirchensteuerfamilienlastenausgleich hinzukommt, die 8 bis 10 % des Kindergeldes ausmacht. Dies soll im Einvernehmen mit den Ländern sichergestellt werden. Man muß dies berücksichtigen, um das ganze Ausmaß der Verbesserungen zu erkennen. Das wirkt sich gerade für Familien mit mehreren Kindern, besonders bei mittlerem und höherem Einkommen, sehr vorteilhaft aus. Bei einer Fünf-KinderFamilie sind es immerhin noch einmal fast 50 DM im Monat.Mir liegt daran, an dieser Stelle ein Wort des Dankes auch gegenüber den Kirchen auszusprechen, die nicht nur auf die Kirchensteuermehreinnahmen verzichten wollen, sondern auch bereit sind, Steuermindereinnahmen in beträchtlicher Höhe in Kauf zu nehmen, wenn in Zukunft bei der Berechnung der Kirchensteuer das volle Kindergeld von der Einkommen- bzw. Lohnsteuer abgezogen wird.Die Reform des Familienlastenausgleichs hat auch zur Folge, daß von den Familien, die zur Zeit zur Deckung ihres Unterhaltsbedarfs auch Sozialhilfe erhalten, viele nicht mehr so stark auf Sozialhilfe angewiesen sind oder sogar ganz unabhängig von ihr werden. Das ist zweifellos ein Fortschritt.Nun scheint die CDU/CSU nach der Begründung, die sie im federführenden Ausschuß für den Antrag auf Erhöhung des Kindergeldes für Familien mit vier und mehr Kindern gegeben hat, der Ansicht zu sein, der Familienlastenausgleich müsse so bemessen sein, daß er zusammen mit dem Erwerbseinkommen des Vaters ausreiche, eine Familie mit vier Kindern zu ernähren. Ganz klar ist mir dabei nicht, warum ausgerechnet die Vier-Kinder-Familie und nicht die Drei- oder die Sechs-Kinder-Familie zum Maßstab genommen wurde. Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß heute und aller Voraussicht nach auch im Jahre 1975 Familienväter so viel verdienen werden, daß es zusammen mit dem Kindergeld und dem Wohngeld ausreichen wird, eine Familie mit vier oder mehr Kindern zu ernähren.Meine Damen und Herren von der Opposition, unsere kinderreichen Familien sind nur zu einem ganz kleinen Teil Sozialhilfeempfänger, was die Sozialhilfestatistik eindeutig bestätigt, wobei übrigens — das muß an dieser Stelle dann natürlich auch wieder für die, die sich nicht selbst helfen können, sehr nachdrücklich gesagt werden — die Inanspruchnahme der Sozialhilfe nichts Diskriminierendes an sich hat.Die Auswirkungen der Reform des Familienlastenausgleichs auf andere soziale Leistungsbereiche müssen in einem Einführungsgesetz geregelt werden. Hieraus möchte ich wegen der besonderen Bedeutung nur einen Punkt erwähnen: Die Verbesserung des Familienlastenausgleichs wird im Regelfall nicht zu einer Minderung des Wohngelds führen. Denn durch das Einführungsgesetz zum Dritten Steuerreformgesetz sollen die Kinderfreibeträge, die nach dem Wohngeldgesetz für im Haushalt lebende Kinder angesetzt sind und den derzeitigen Kindergeldsätzen entsprechen, auf die Höhe der neuen Kindergeldsätze gebracht werden.Im Bereich des Bundesausbildungsförderungsgesetzes wird sich die Verbesserung des Familienlastenausgleichs erst in zwei Jahren bemerkbar machen, denn dort sind nicht die aktuellen Einkommensverhältnisse der Eltern maßgebend, sondern die zwei Jahre zurückliegenden. Bis dahin werden diese beiden Leistungsbereiche durch eine Verzahnung von Familienlastenausgleich und Ausbildungsförderung besser als bisher aufeinander abgestimmt sein.Meine Damen und Herren, ich bin sicher, daß mit der Verabschiedung der Reform des Familienlastenausgleichs eine gerechtere Zukunft für diesen wichtigen, wenn auch keineswegs ausschließlichen Bereich der Familienpolitik beginnt.Ich danke dem Deutschen Bundestag — vor allem dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und dem Finanzausschuß — für die zügige Verabschiedung dieses Reformwerks. Da der Plan zur Vereinheitlichung des Familienlastenausgleichs in seinen Grundzügen bereits 1971 von der damaligen Bundesregierung vorgelegt worden ist, haben in der Zwischenzeit genug Gelegenheiten bestanden, das Pro und das Kontra eingehend abzuwägen und zu diskutieren.
Wir geben den Familien und den Arbeitsämtern eine ausgewogene Regelung an die Hand. Wir beseitigen Ungleichheiten. Wir helfen besonders jungen Familien. Wir geben den Kindern eine bessere Chance. Wir sollten diese Reform gemeinsam zum Erfolg führen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Stommel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/ CSU hat im Rahmen ihrer Möglichkeiten dazu beigetragen, das jetzt zur Verabschiedung anstehende Gesetz zur Vereinheitlichung des Familienlastenausgleichs in den zuständigen Ausschüssen zügig zu beraten und zu verabschieden. Wir bejahen die Einführung eines einheitlichen Familienlastenausgleichs u. a. deshalb, weil die nach wie vor insgesamt sehr beschränkten Mittel für den allgemeinen Familienlastenausgleich im Rahmen eines einheitlichen Leistungssystems am gerechtesten auf die Familien mit Kindern aufgeteilt werden können.Die Staffelung der Leistungen nach der Zahl der Kinder — 50 DM für das erste, 70 DM für das zweite und 120 DM für das dritte Kind — trägt jedoch den
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Frau StommelBedürfnissen der größeren Familien keineswegs in ausreichendem Umfang Rechnung. Hier befinde ich mich im Gegensatz zu Frau Minister Focke. Immerhin ist es den Interventionen der CDU/CSU und der Familienverbände zu verdanken, daß der ursprünglich gemachte Vorschlag, ein einheitliches Kindergeld von 60 DM einzuführen, von der Bundesregierung zweimal modifiziert wurde: zunächst durch die Staffelung 50, 70, 90, dann aber durch die jetzt zur Verabschiedung anstehenden Sätze. Ich glaube, dies haben die Interventionen, die erfolgt sind, bewirkt.Selbst die Koalitionsparteien mußten in der Begründung zu dem von Ihnen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung des Familienlastenausgleichs einräumen, daß sogar Rechtsverschlechterungen für kinderreiche Familien mit verhältnismäßig hohem Einkommen eintreten können. Diese Aussage beinhaltet aber nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich müssen wir feststellen, daß die große Masse der kinderreichen Familien mit durchschnittlichem oder nur leicht über dem Durchschnitt liegendem Einkommen durch die Neuordnung des Familienlastenausgleichs völlig unzureichende Leistungsverbesserungen erhält. Die nominellen Leistungsverbesserungen entsprechen bei weitem nicht dem Kaufkraftverlust — und von dem ist heute überhaupt noch nicht gesprochen worden —, der bei den bisherigen Kindergeldleistungen und Steuervergünstigungen seit 1969 eingetreten ist. Es kann nicht geleugnet werden, daß das finanzielle Mehrvolumen von über 4 Milliarden DM, das den Familien durch die Neuordnung des Familienlastenausgleichs insgesamt zusätzlich zur Verfügung gestellt werden soll, den kinderreichen Familien kaum zugute kommt.Die Änderungsanträge meiner Fraktion im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, den Kindergeldsatz vom vierten Kind an auf 150 DM zu erhöhen, sind von der Regierungsmehrheit leider abgelehnt worden. Bei einem vertretbaren finanziellen Mehrvolumen von 500 Millionen DM jährlich hätte aber der Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion, die Kindergeldsätze stärker nach der Zahl der Kinder zu staffeln, eine insgesamt ausgewogene Regelung des Familienlastenausgleichs zur Folge gehabt. Auch die große Masse der kinderreichen Familien hätte hier eine Verbesserung gefunden. Besitzstandseinbußen wären dann nur noch bei Beziehern sehr hoher Einkommen eingetreten, und das hätte verkraftet werden können. Es kann nicht geleugnet werden, daß Alleinernährer von Familien mit vier und mehr Kindern — wir machen uns hier zum Sprecher dieser Mehrkinderfamilien — selbst bei überdurchschnittlich hohem Erwerbseinkommen auch nach Inkrafttreten der Steuerreform und der Neuordnung des Familienlastenausgleichs häufig über weniger Einkommen verfügen werden als vergleichbare Sozialhilfeempfänger. Ich habe bereits im Ausschuß Zahlen genannt. Man war hier von seiten der Koalition sehr skeptisch; aber die Zahlen sind belegbar.Für viele Betroffene wird dadurch das Bemühen um beruflichen Aufstieg auf Dauer fragwürdig werden. Überdies ist es bedenklich, wenn zunehmend die Sozialhilfeträger die Funktion des Familienlastenausgleichs übernehmen müssen. Lassen Sie mich hierzu ein Beispiel sagen. In diesem Hause ist bei der Debatte zur Reform des § 218 viel von Briefen gesprochen worden, die den Kolleginnen und Kollegen von Befürwortern der Fristenregelung zugegangen sind. Ich frage Sie: Sind Ihnen auch Briefe kinderreicher Familien zugesandt worden, die die harte Realität ihrer Situation schildern? Mit Genehmigung des Präsidenten zitiere ich einige Sätze aus einem der vielen Briefe, die mir diesbezüglich zugegangen sind. Hier schreibt eine Mutter:Ich habe neun Kinder. Mein Mann hat ein Nettogehalt von 1 000 DM, und dazu haben wir 355 DM Kindergeld. Das reicht bei den heutigen Preisen ganz und gar nicht.— Ich zitiere immer noch den Brief der Mutter. —Ich habe in der Zeitung gelesen, die Regierung könnte das Kindergeld nicht mehr erhöhen, weil sie die Preisstabilität wiederherstellen wollte. Es ist doch der größte Wahnsinn, bei den Ärmsten der Armen anzufangen.
Gestatten Sie, Frau Abgeordnete, eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vohrer?
Frau Kollegin, haben Sie denn auch einmal für Ihr Beispiel durchgerechnet, wie groß die Steuererleichterung wird, wenn Sie die steuerliche Lösung Ihrer CSU-Kollegen aus Bayern durchführen?
Herr Kollege, bei 1 000 DM Nettoeinkommen. Das ist netto. Hierzu kommt Kindergeld. Ich lese den Brief dieser Frau vor. Sie schreibt noch einiges dazu — es kommt noch! —; er ist sehr interessant:Vielleicht sind die Abgeordneten der Meinung, daß den Kinderreichen schon mit Reklame in Fernsehen, Rundfunk und in den Zeitungen geholfen wird. Die Kinderreichen mit kleinem Einkommen können noch nicht einmal daran denken, Zuschüsse für Urlaubsfahrten und Kindergärten auszunutzen. Sie haben nicht einmal das Geld, daß sie sich für den Urlaub einigermaßen kleiden können, und nicht das Geld, daß sie ihre Kinder einigermaßen gut gekleidet in den Kindergarten schicken können.Soweit einige Passagen aus diesem Brief, der aus Niedersachsen stammt, wo Bundeskanzler Schmidt im Wahlkampf verkündet, wie gut es uns allen geht.Wo bleibt hier, frage ich, die soziale Gerechtigkeit, von der der Kanzler soeben in beredten Worten gesprochen hat?
— Nein, ich glaube, nicht sehr zu Recht, sondern dieser Brief ist etwas peinlich für Sie. Das kann ich verstehen.
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7014 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Biermann?
Bitte schön!
Frau Kollegin, sind Sie der Meinung, daß es sozial Schwache und Kinderreiche erst seit 1969 gibt?
Herr Kollege, ich frage Sie, seit welchem Jahr die Preissteigerungen in einem solchen Maße stattgefunden haben: vor 1964 oder nach 1964?
Es ist für uns unerläßlich, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß die Leistungshöhe des Familienlastenausgleichs 1964 und 1965 — und das paßt zu Ihrer Frage —, gemessen an der allgemeinen Einkommenslage, wesentlich höher war, als sie 1975 nach der Neuordnung des Familienlastenausgleichs sein wird. Ein Beweis für die erfolgreiche Familienpolitik der CDU/CSU.
Steuerentlastungen und Kindergeld für ein fünftes Kind lagen 1965 für einen Steuerpflichtigen, dessen Einkommen noch in der unteren Proportional-zone besteuert wurde, bei etwa 100 DM monatlich. Die Ausgleichsleistungen insgesamt deckten damit etwa 80 bis 90 v. H. des sozial-kulturellen Normbedarfs einschließlich der Wohnungskosten des fünften Kindes. 1975 dagegen, nach Durchführung der Steuerreform, werden für dieses fünfte Kind bei einem Kindergeld von 120 DM nur etwa 50 v. H. des durchschnittlichen Normbedarfs abgedeckt werden, der einschließlich Wohnungskosten 1975 vermutlich bei etwa 240 DM monatlich anzusetzen ist.
Wie negativ heute besonders kinderreiche Familien durch inflationäre Entwicklung und Einfrieren der Ausgleichsleistungen für Kinder seit 1969 betroffen sind, wird aus der Entwicklung der Regelbedarfssätze in der Sozialhilfe deutlich. Wenn wir heute etwa unterstellen können, daß ein durchschnittlich verdienender Ernährer einer Familie mit fünf Kindern mit einem Spitzeneinkommen bereits in der Progressionszone besteuert wird — das ist heute verschiedentlich schon angeklungen —, so ergibt sich für ihn für das vierte Kind zur Zeit eine Entlastung durch Kindergeld und Steuerersparnis von etwa 110 DM. Die durch die Neuordnung des Familienlastenausgleichs zu erwartende Mehrleistung von lediglich 10 DM für das fünfte Kind deckt damit noch nicht einmal bei Beziehern mittlerer Einkommen 15 v. H. der Mehrkosten auf der Basis des Mindestbedarfs ab, die seit 1969 entstanden sind, dem Zeitpunkt, an dem die SPD /FDP-Koalition die politische Verantwortung übernommen hat. Hier offenbart sich das familienpolitische Versagen der Regierungskoalition, die seit 1969 die Jahr für Jahr von der CDU/CSU eingebrachten Anträge immer wieder abgelehnt hat, die Leistungen nach dem Bundeskindergeldgesetz schwergewichtig für kinderreiche Familien zu verbessern.
Wäre die Regierungskoalition in den letzten Jahren den wiederholt von der CDU/CSU eingebrachten Vorschlägen gefolgt, die Kindergeldleistungen an die wirtschaftliche Entwicklung anzupassen, so wäre es heute leichter, im Rahmen der Neuordnung des Familienlastenausgleichs den Familien mit Kindern insgesamt einen einigermaßen ausreichenden Leistungsrahmen zu sichern.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Biermann?
Bitte, Herr Biermann!
Frau Kollegin, ich will Ihre Vorlesung ungern unterbrechen. Sind Sie der Meinung, daß dieses Gesetz eine wesentliche Verbesserung oder — wie ich annehmen muß — eine wesentliche Verschlechterung ist?
Ich habe selbst bei meinen 10 DM von einer Verbesserung gesprochen. Damit ist aber nicht das gemeint, was Sie sich darunter vorstellen. Sie können doch nicht sagen, es gibt 120 DM für das dritte Kind, ohne zu erwähnen, daß die Kinderfreibeträge ausfallen. Das ist von Frau Minister Focke eben auch in dieser Art vorgetragen worden.
Wenn Sie zu Anfang gut zugehört 'haben, haben Sie sicherlich auch gehört, was ich in meiner — wie Sie sagen — Vorlesung gesagt habe.Ich glaube, hier gibt es noch einiges zu sagen. Wir mußten uns auch in den zuständigen Fachausschüssen bei unseren Änderungsanträgen gegenüber der Regierungsvorlage darauf beschränken, eine Verbesserung der Kindergeldsätze vom vierten Kind an um 30 DM vorzuschlagen. Aus finanzpolitischen und stabilitätspolitischen Gründen mußten wir uns in den Ausschüssen auf einen bescheidenen Antrag beschränken. Wenn wir diesen Antrag im Plenum nicht wiederholen, so deshalb, weil wir mit Vorrang sicherstellen wollen, daß das neue Kindergeldgesetz mit einer Anpassungsklausel versehen wird, wie dies heute in allen Sozialleistungsgesetzen von größerer Bedeutung der Fall ist. Wenn der Herr Präsident es gestattet, möchte ich zu dem vorliegenden Antrag nachher noch eine kurze Begründung geben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die kinderreichen Familien — ich beziehe mich hier insbesondere auf die kinderreichen Familien — müssen wir als Opposition um Verständnis dafür bitten, daß wir hier im Plenum darauf verzichtet haben, die Erhöhung des Kindergeldsatzes vom vierten Kind an erneut zu beantragen. Wir werden uns dieser Frage in den nächsten Jahren annehmen. Zunächst halten wir es bei dem leider bestehenden engen finanziellen Spielraum für Leistungsverbesserungen für vorrangig, unseren Gesetzentwurf über die Einführung eines Erziehungsgeldes durchzuset-
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Frau Stommelzen. Auch wenn das von uns geforderte Erziehungsgeld, das wir in späteren Stufen auf Kinder bis zu drei Jahren ausdehnen wollen, einen ausreichenden Aufbau des allgemeinen Familienlastenausgleichs nicht überflüssig macht, so glauben wir doch, daß es im Interesse des Erziehungsgeldes vertretbar ist, den von uns gewünschten weiteren Ausbau des allgemeinen Familienlastenausgleichs einige Jahre zurückzustellen.Unsere Gesamtkonzeption hinsichtlich der Familienförderung ist allerdings darauf abgestellt, daß auch das ungeborene Leben grundsätzlich strafrechtlich geschützt wird. Unsere bisherige Konzeption konnte sich im wesentlichen darauf beschränken, Familien mit Kindern materiell so auszustatten, daß die Annahme eines Kindes durch die Eltern unter materiell zumutbaren Bedingungen möglich ist. Die Einführung der Fristenlösung bei der Reform des § 218 wird hier allerdings völlig neue Tatbestände schaffen. Die Tatsache, daß die Geburtenzahlen der deutschen Bevölkerung nach einem Rückgang von mehr als einem Drittel seit 1961 schon jetzt nur noch 65 v. H. der zur langfristigen Bestandserhaltung notwendigen Zahl erreichen, sollte bei weiter anhaltendem absinkendem Trend der Geburtenzahlen zu denken geben. Das Gebot der Stunde sollte für uns alle sein, die potentielle Bereitschaft zum Kind zu wekken und zu fördern, auch über eine entsprechende Förderung der Familie, nicht dagegen einen Freibrief dafür zu erteilen, sich vom ungeborenen Leben loszusagen. Der Weg, den die Regierungskoalition in den letzten Wochen gegangen ist, läuft darauf hinaus, daß der Wohlstand der heute Lebenden zu Lasten der kommenden Generation zu erhöhen und den einzelnen und die Gesamtgesellschaft von der Verantwortung für spätere Jahre loszusprechen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Fiebig?
Bitte schön, Herr Kollege!
Frau Kollegin Stommel, wären Sie bereit, mir als sechsfachem Familienvater zu bestätigen, daß Kinder nicht nur eine Last sind, sondern auch Freude machen? Vielleicht könnten Sie in Ihrer Rede auch darüber etwas sagen.
Ich glaube, Sie haben den Falschen gefragt. Ich bin diejenige gewesen, die bei der Debatte über den § 218 gesagt hat: Wir wollen doch einmal den Eindruck verwischen, daß es nur ungewollte Kinder gibt, denn Kinder machen auch Freude. Hier geht es aber doch darum, daß das Kind aus finanziellen Gründen — darüber ist bei der Debatte über den § 218 wiederholt gesprochen worden — nicht gewollt wird. Das ist doch die Logik dabei.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Frau von Bothmer?
Nein, ich möchte jetzt zu Ende kommen.
Wir werden nicht umhinkönnen, in der Sozialpolitik völlig neue Prioritäten zu setzen und das Schwergewicht sozialpolitischer Bemühungen auf die Förderung der Famile mit Kindern zu legen. Hierzu werden wir alsbald im Bundestag eine Generalaussprache führen müssen.
Die Eile, ich will nicht sagen, die hektische Eile, mit der wir in den letzten Wochen die Steuerreform und die Neuordnung des Familienlastenausgleichs beraten mußten, hat leider keinen Raum für die Erörterung grundsätzlicher Fragen gelassen, obwohl dies bei einem Thema wie der Neuordnung des Familienlastenausgleichs durchaus angemessen gewesen wäre.
Herr Präsident, gestatten Sie mir eine kurze Begründung des Antrags?
Bitte schön! Das wäre dann die Begründung des Antrags auf Drucksache 7/2187, wenn ich es richtig sehe.
Ja. — Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir beschränken uns darauf, hier im Plenum in zweiter Lesung nur noch zu beantragen, daß bei Veränderung der allgemeinen Einkommensverhältnisse und der Lebenshaltungskosten die Kinderentlastung jeweils in zweijährigem Abstand zum 1. Januar durch Gesetz anzupassen ist und daß die Bundesregierung den gesetzgebenden Körperschaften alle zwei Jahre bis zum 31. Oktober einen entsprechenden Bericht vorzulegen hat, und zwar erstmals zum 1. Oktober 1976. In den Bundestagsausschüssen für Arbeit und Sozialordnung und im federführenden Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit hatten wir darüber hinaus, wie soeben schon gesagt wurde, beantragt, das Kindergeld für das vierte und jedes weitere Kind zu erhöhen. Wenn wir jetzt im Plenum nur noch die Aufnahme einer Anpassungsklausel in das Gesetz beantragen, so aus der Hoffnung heraus, daß wir Ihnen mit diesem Teilausgleich für die Aufwendungen der Familie eine Möglichkeit geben, diesem Antrag zuzustimmen. Diese Entlastungsquote will die Fraktion der CDU/CSU auf Dauer gesichert wissen. Dies hat zur Folge, daß wenigstens in zweijährigem Abstand eine Überprüfung der Kindergeldleistung und gegebenenfalls eine Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung unerläßlich sind.
Wir haben uns auf eine Selbstbindung des Gesetzgebers beschränkt, bei einer Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse nach freiem Ermessen die Leistungen an die wirtschaftliche Entwicklung anzupassen, und darauf verzichtet, feste Kriterien für die Anpassung gesetzlich zu fixieren. Auf eine Selbstbindung können wir aber nicht verzichten, nachdem die derzeitige Regierungskoalition seit 1969 immer wieder die Verbesserung des Kindergeldgesetzes abgelehnt hat, wenn man von der geringfügigen Anhebung des Drittkindergeldes im Jahre 1970 absieht.
Frau Stommel
Unser Vorschlag führt für die Haushaltsjahre 1974 und 1975 nicht zu einer Mehrbelastung. Wenn wir aber eine Anpassung im Jahre 1977 bei einer Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse für erforderlich halten, so sollte das angesichts dieser dann entstandenen Situation auch für Sie tragbar sein. Es ist ja nicht das erstemal, daß wir eine Anpassungsklausel vorsehen. Im Ausbildungsförderungsgesetz haben wir eine solche Klausel, der auch Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, bei der Verabschiedung dieses Gesetzes zugestimmt haben und die gerade in diesem Augenblick realisierbar wird.
Ich bitte Sie, aus den genannten Gründen dem vorliegenden Änderungsantrag meiner Fraktion zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, wir haben den Antrag auf Drucksache 7/2187 in die Beratung einbezogen. Nur zu diesem Antrag gebe ich jetzt dem Herrn Abgeordneten Fiebig das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition verlangt eine Unterrichtung über die soziale Lage der kinderreichen Familien durch die Bundesregierung. Offensichtlich hat die Opposition wenig Zutrauen zur Kraft ihrer eigenen Erkenntnis. Die Opposition verlangt also Nachhilfeunterricht bei der Bundesregierung in der Form, daß sie von der Bundesregierung über die Lage der Familien unterrichtet wird.
Wir Koalitionsabgeordnete haben diesen Nachhilfeunterricht nicht nötig,
wir haben sehr viele Familienväter und -mütter in unseren Reihen, und wir wissen, wie es im Lande aussieht. Deshalb der Familienlastenausgleich.
So können wir auch beurteilen, wann und gegebenenfalls wie die heute zu beschließende Regelung in der Zukunft geändert werden kann und geändert werden muß.
Daß die Koalition vielfältige Familienpolitik macht, wird durch diesen geplanten Familienlastenausgleich deutlich. Dies werden wir auch in Zukunft unter Beweis stellen. Wir lehnen daher den Antrag der Opposition ab.
Interessant ist in diesem Zusammenhang dann, wenn man auf das Datum schaut, wohl noch, daß dieser Bericht am 31. Oktober 1976 gegeben werden soll. Damit geht die Opposition von der Annahme aus, daß die sozialliberale Koalition dann noch regieren wird.
Deshalb dieser Antrag;
andernfalls könnten Sie es ja selber machen. Aber Sie haben wohl kein Zutrauen in die eigene politische Zukunft.
Zu diesem Antrag hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich erinnere mich der Debatte, die wir über die Regierungserklärung gehabt haben. Der Herr Kollege von Bismarck fragte mich, ob wir nicht den Eindruck hätten, wir bauten einen Pappkameraden auf, wenn wir den Eindruck erweckten, als spielten Sie, die CDU/CSU-Fraktion, mit Indexlösungen.
Meine Damen und Herren, wir werden diesen Antrag auch heute ablehnen, wie wir dies ja schon im Wirtschaftsausschuß und in den anderen Ausschüssen getan haben, weil ihm natürlich Indexdenken zugrunde liegt. Wir haben doch damals über die Frage diskutiert, wer aus Ihrer Fraktion im Wirtschaftsausschuß diesem Antrag nicht zugestimmt hat und wer sich gerade noch dazu hat aufraffen können, sich zu enthalten.
Dies gilt natürlich nicht nur für den Antrag auf Drucksache 7/2187, sondern auch für den — allerdings, Herr Präsident, noch nicht eingebrachten —Antrag zur Frage des Einkommensteuergesetzes; dort wird ja sogar ausdrücklich auf die Entwicklung des Indexes der Lebenshaltungskosten Bezug genommen, und deutlicher kann es doch gar nicht gehen.
Man muß eben immer wieder, meine Damen und Herren, die Ordnungspolitik in Ihr Bewußtsein zurückrufen — sie ist zum Teil schon aus ihm entschwunden — und Ihnen sagen, daß jedwede Indexlösung — und dies ist Indexdenken und ist Indexlösung — die Inflation nicht bekämpft, sondern sie anheizt, daß sie sie nicht bremst, sondern ein Schwungrad darstellt und daß ,sie die Inflationsmentalität ankurbelt. Wer immer solchen Lösungen zustimmt, meine Damen und Herren — und ich weiß ja, daß es erfreulicherweise in Ihrer Fraktion den einen oder den anderen gibt, der solchen Vorstellungen seine Zustimmung verweigert —, der sollte jedenfalls nicht anderen vorwerfen, sie seien in der Frage der Inflationsbekämpfung nicht hart und entschieden genug.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kreile?
Aber gerne!
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 7017
Herr Kollege Graf Lambsdorff, glauben Sie, wenn Sie so gegen diese Art von Indexregelungen sind, wie Sie das eben sagen, denn dann wirklich, daß auch jede Feststellung, die das Statistische Bundesamt laufend bringt, zu einer Indexmentalität beiträgt? Das müßten Sie doch dann.
Herr Kreile, es ist selbstverständlich ein erheblicher Unterschied, ob das Statistische Bundesamt im Rahmen der Erfüllung seiner Aufgaben die statistischen Ermittlungen und Zahlen vorlegt oder ob Sie anfangen, in Gesetze Anknüpfungspunkte aufzunehmen, die doch — und das ist schließlich bei der Begründung dieses Antrages deutlich geworden — einen Zwang und einen Druck ausüben 'sollen, auf der Basis dieser Indexentwicklungen zu gesetzgeberischen Maßnahmen zu kommen.
Wenn Sie das nicht gewollt hätten, hätten Sie einen solchen Vorschlag nicht gemacht. Dies allein steckt dahinter!
Meine Damen und Herren, wir werden diese beiden Änderungsanträge, den einen, der bereits eingebracht ist, und den anderen, der noch begründet werden wird, ablehnen.
Herr Präsident, lassen Sie mich bitte noch ein paar Worte zu dem sagen, worauf mich Herr Kollege Wagner vorhin angesprochen hat. Ich will das ganz kurz machen, um meine persönliche Position klarzumachen. Zunächst einmal habe ich mich schon lange, und zwar seit 1971 — Sie wissen, daß die Debatten schon sehr lange laufen —, mit der Frage auseinandergesetzt, wovon man die Sonderausgaben eigentlich abzugsfähig machen soll. Ich habe ursprünglich der Auffassung zugeneigt, die Sie hier vorgetragen haben. Meine Antwort mußte aber natürlich auch unter dem Gesichtspunkt gefunden werden, was eigentlich finanzwirtschaftlich noch möglich und vertretbar ist, und zwar neben dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit. Finanzwirtschaftlich möglich und vertretbar ist eben zur Zeit und wahrscheinlich auch auf absehbare Zeit nur der Abzug von der Steuerschuld und nicht der Abzug von der Bemessungsgrundlage. Außerdem hat das den Vorzug der größeren sozialen Gerechtigkeit für sich. Außerdem, Herr Kollege Wagner, ist die Regelung, die jetzt hier vorgesehen ist, vollständig in Ordnung und ausreichend und gibt auch Anreize und Möglichkeiten für das, was Sie angeblich erhalten wollen, nämlich die private Vorsorge. Wenn Sie aber Ihre Methode durchsetzen, werden wir zu abzugsfähigen Beträgen in Größenordnungen kommen, die allenfalls noch abzuziehen erlauben, was in der Angestelltenversicherung in ein oder zwei Jahren an Beiträgen nötig ist. Denn so weit, wie es ein Interessenverband dieser Tage tut, dem ich allerdings etwas Mangel an Verantwortung unterstellen muß, der gerne den Abzug von der Bemessungsgrundlage und die Höchstbeträge des Regierungsentwurfs haben möchte, werden Sie vermutlich auch nicht gehen wollen.
Ich darf abschließend hierzu sagen, daß ich der vorgesehenen Regelung aus eigener Überzeugung, auch aus meiner beruflichen Erfahrung — zustimme.
Ich möchte in einem Punkt meine Meinung in aller Deutlichkeit klarstellen, Herr Wagner. Sie haben es für richtig befunden, der Frau Kollegin Funcke „die ihr eigenen Verdrehungskünste" nachzusagen.
Nun muß ich gestehen, Herr Kollege Wagner, nicht nur angesichts der Verdienste, die Frau Funcke gerade um diese Fragen hat: ich würde so etwas einer Kollegin dieses Hauses, auch wenn ich der Meinung wäre, daß Kritik zu üben sei, nicht vorwerfen. Ich halte das für eine wenig manierliche Entgleisung.
Wenn Sie die Frage stellen, ob Herr Maihofer an die Spitze des Bundesgrenzschutzes passe, so sollten Sie sich vielleicht zunächst einmal seinen Tagesbefehl an den Bundesgrenzschutz durchlesen. Es muß ja nicht immer jemand sein, der so aussieht wie Herr Dregger, den Sie an die Spitze des Bundesgrenzschutzes stellen könnten.
Letztlich, Herr Kollege Wagner: wenn Sie anderen die Kompetenz abstreiten, über bestimmte Dinge zu sprechen, so frage ich mich, woher Sie die Kompetenz nehmen, sich als Beamter mit dem Problem der Vorsorgeaufwendungen so dringlich auseinanderzusetzen.
Wir fahren in der allgemeinen Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Hauck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da der Kindergeldbereich im Verlauf der Gesamtdebatte schon verschiedentlich angesprochen wurde, will ich nur sehr kurz zu dem Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung des Familienlastenausgleichs Stellung nehmen.Meine Damen und Herren von der Opposition, erinnern Sie sich noch, wie Sie in den letzten vier Jahren oft sehr spitz und spöttisch immer wieder gefragt haben, wann es denn endlich soweit sei, daß die Reform des Familienlastenausgleichs in den Bundestag komme? Nun, heute ist es soweit. Was die Opposition nicht für möglich hielt, weil sie es zwischen 1959 und 1969, damals in der Regierungsverantwortung stehend, selbst nicht geschafft hat, wird nach viereinhalb Jahren sozialliberaler Koalition Gesetz: die Vereinheitlichung des Fami-
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7018 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Haucklienlastenausgleichs im Zusammenhang mit der Einkommensteuerreform.Wir Sozialdemokraten haben bereits 1959 in unserem Godesberger Grundsatzprogramm den Familienlastenausgleich in einem gerechten Steuersystem gefordert. Diese Grundsatzforderung wurde auf verschiedenen Parteitagen wiederholt. Ihre Verwirklichung wurde 1969 in der Regierungserklärung angekündigt. Nur durch die Verkürzung der sechsten Wahlperiode ist eine Verzögerung in der Inkraftsetzung eingetreten. Zugegeben, die Vereinheitlichung des bisher zweiteiligen Systems, einerseits indirekte Leistungen durch Steuerfreibeträge, andererseits direkte Leistungen durch Kindergeldzahlungen, war nicht einfach. Große Probleme waren zu überwinden, und in den letzten Wochen haben sich gelegentlich die Situationen völlig verändert. Leider — das wurde heute schon gesagt — konnte die im Dritten Steuerreformgesetz vorgesehene Kinderentlastung, welche die Abwicklung der Kindergeldleistungen über die Finanzämter vorsah, nicht verwirklicht werden, weil alle Länderfinanzminister erklärten, daß dieses Verfahren durch die Finanzverwaltungen zum 1. Januar 1975 nicht durchgeführt werden könne. So mußte kurzfristig ein neuer Weg beschritten werden. Die Koalitionsfraktionen brachten im April dieses Jahres einen Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung des Familienlastenausgleichs ein, der praktisch eine Fortentwicklung, eine Novellierung des Bundeskindergeldgesetzes darstellt.Kernstück ist aber die Zahlung des Kindergeldes vom ersten Kind an und die Übernahme der in der, Steuerreform vorgesehenen Beträge von 50, 70 und 120 DM. Festgelegt wurde auch, daß die Kindergeldzahlung durch die Arbeitsverwaltung erfolgt.Für meine Fraktion erkläre ich, daß uns diese Regelung, die zu einem anderen Auszahlungsverfahren führt, als es in der Steuerreform ursprünglich vorgesehen war, von den Bundesländern aufgezwungen wurde. Festzustellen ist aber, daß dadurch keineswegs der unmittelbare Zusammenhang mit der Steuerreform verloren geht. Kindergeldleistungen vom ersten Kind an und Einkommensteuerreform gehören zusammen. Deshalb haben der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und der federführende Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens einstimmig, also mit allen CDU/CSU-Stimmen, beschlossen, den Art. 1 des Kindergeldgesetzes als Art. 2 in das Steuerreformgesetz aufzunehmen.Diese Tatsache hat die Frau Berichterstatterin Stommel leider übersehen. Sie hat nur das Ergebnis einer Fünf-Minuten-Sitzung am Tage vor Himmelfahrt für berichtenswert gehalten, als die CDU/CSU- Mitglieder des Ausschusses, übergeordneten Oppositionsgesichtpunkten folgend, gegen die Einbeziehung in das Steuerreformgesetz stimmten.Es ist wirklich schade, daß es durch die geschäftsordnungsmäßigen Schwierigkeiten nicht zu dem vom federführenden Ausschuß geforderten gemeinsamen Bericht des Finanzausschusses und des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit gekommen ist. Da hätte man dann lesen können, wie eng der Zusammenhang zwischen Steuerreform und Kindergeld ist, und da hätte man lesen können, wie sich der Ausschuß einmütig bemüht hat, die Anregungen, die zum Teil von der Bundesanstalt für Arbeit kamen, gesetzgeberisch umzusetzen, um das Auszahlungsverfahren zu erleichtern. Außerdem hätte man feststellen können, daß der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens zweimal persönlich an Sitzungen teilnahm und daß spürbar wurde, wie er sich engagiert dafür einsetzte, daß seine Verwaltung diese neue, zusätzliche Aufgabe kurzfristig übernehmen kann, damit es nicht zu unzumutbaren Verzögerungen bei der Auszahlung kommt.
— Während des Gesetzgebungsverfahrens im Finanzausschuß und im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, wo ich ausdrücklich darum gebeten hatte, daß unsere Mitglieder teilnehmen; Sie waren ja so wie auch ich dabei und viele andere ebenfalls.Dies alles steht also nicht im Bericht. Aber auch das Ergebnis der mitberatenden Ausschüsse müßte im Bericht berücksichtigt werden. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Herr Präsident Stingl in diesem Bericht nur dann die Chance einer Erwähnung gehabt hätte, wenn er, was den Verwaltungsablauf betrifft, Negatives berichtet hätte. Deshalb möchte ich diese Gelegenheit benutzen, der Bundesanstalt für Arbeit und ihrem Präsidenten dafür zu danken, daß sie so kurzfristig bereit waren, diese neue große Aufgabe zu übernehmen.
Wir sind davon überzeugt, daß die Durchführung ordnungsgemäß und termingerecht erfolgen wird.Wie schon erwähnt, ist es zu einem gemeinsamen Bericht nicht gekommen. Man muß daher den Bericht des Finanzausschusses heranziehen, um die besonderen Bedenken und Einwände zu erkennen, die sich auf das Grundprinzip der Vereinheitlichung beziehen und dabei auch verfassungsrechtliche Fragen aufwerfen. Es geht dabei um die Kernfrage, ob die Ersetzung der Kinderfreibeträge durch ein einheitliches Kindergeld eine Verletzung des in Art. 3 GG verwurzelten Grundsatzes der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit darstellt und damit gleichzeitig auch gegen Art. 6 GG verstößt. In einigen Presseberichten wurde in diesem Zusammenhang von einer ungerechtfertigten Nivellierung der Kindergeldleistungen gesprochen. Viel schlimmere Anspielungen und Unterstellungen möchte ich in diesem Zusammenhang nicht erwähnen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
1. Alle Umverteilungsmaßnahmen zugunstenvon Familien mit Kindern sollen letztlich dieEntwicklung der Kinder fördern. Das Nebenein-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 7019
Hauckanderbestehen von nicht aufeinander abgestimmten Steuervergünstigungen und Transferzahlungen sowie Sonderregelungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen beeinträchtigt die mit den Umverteilungsmaßnahmen zwischen Familien mit unterschiedlichen Kinderzahlen verfolgten Ziele.Deshalb muß eine Vereinheitlichung des Familienlastenausgleichs erfolgen. Es wird dann festgestellt, daß folgende Ziele unterschieden werden müssen:Die Sicherung eines sozialkulturellen Mindestbedarfs für alle Kinder, um die auf die ökonomischen Lebensbedingungen zurückgehenden Ungleichheiten der Entwicklungschancen der Kinder abzubauen. Die Anpassung der Markteinkommen der Eltern an den unterschiedlichen Bedarf von Familien mit verschiedener Kinderzahl, um die Last des Aufziehens der Kinder gleichmäßiger auf die Haushalte zu verteilen und die Aufgabenerfüllung der Familien zu erleichtern.Die Übernahme des Aufziehens der Kinder soll finanziell anerkannt werden, da die Familie hiermit eine Aufgabe erfüllt, die sonst von der Gesellschaft übernommen werden müßte.Meine sehr verehrten Damen und Herren, dem Grundprinzip dieser Aussagen stimmen fast alle Beteiligten einschließlich der Kirchen, der Verbände und der Parteien zu. Nur gibt es unterschiedliche Meinungen über die Höhe der Leistungen. Lassen Sie es mich ganz offen sagen: Auch wir könnten uns bessere Eckwerte als 50 DM, 70 DM und 120 DM vorstellen. Sie zu fordern ist noch einfacher; denn da braucht man gar nicht zu fragen, wie die Mittel aufgebracht werden sollen. Aber alles muß bezahlt werden.
Die jetzt vorliegenden Eckwerte sind zur Zeit das Maximum dessen, was wir auch unter Berücksichtigung der Entlastungen durch die Steuerreform insgesamt, die ja auch das Familieneinkommen verbessert, im Bundeshaushalt leisten können.Vom 1. Januar 1975 an werden rund 15 Milliarden DM für Kindergeldzahlungen aufgewendet. Das sind über 4 Milliarden DM mehr, als bisher auf diesem Gebiet geleistet wurde. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist eine enorme Leistungsverbesserung für unsere Familien, die wir draußen nicht herunterspielen oder verniedlichen lassen,
auch nicht durch dubiose Rechenbeispiele. Frau Kollegin Stommel, der Brief, den Sie vorgelesen haben, hat doch folgende Konsequenz: Der Vater mit neun Kindern, der 1 000 DM Einkommen hat, erhält zur Zeit 495 DM an Kindergeldleistungen und hat eine Steuerermäßigung von 110 DM. Er wird vom 1. Januar 1975 an 960 DM Kindergeld haben. Das sind 355 DM mehr, als er bisher hat. Das muß man doch auch berücksichtigen.
— Hätten Sie den bayerischen Tarif genommen, hätte er ein paar hundert Mark weniger bekommen.
- Na ja, Übergangslösung! Ich habe das Beispielvon Ihnen übernommen und gezeigt, wie damit Ihre eigenen Argumente aus der Welt geschaffen werden.
Wir stehen heute vor der Verabschiedung eines für die wirtschaftliche Sicherung der Familie wichtigen Gesetzes. Der Weg war nicht einfach. In der Folge sind aus dieser Gesetzgebung noch viele Konsequenzen zu ziehen. In der Entschließung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit sind einige Probleme genannt. Ich verweise auf die vertragliche Neuregelung für die im Ausland lebenden Kinder ausländischer Arbeitnehmer . ohne Verschlechterung des bestehenden Zustandes. Dann die Besitzstandswahrung für die in die Gesamtregelung einbezogenen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes durch besoldungs- und tarifrechtliche Vorschriften. Dabei muß man auch die ausländischen Arbeitnehmer mit ihren Kindern besonders berücksichtigen. Außerdem muß geprüft werden, welche Auswirkungen sich aus der Vereinheitlichung des Familienlastenausgleichs für andere Sozialleistungsgesetze ergeben.Lassen Sie mich bitte abschließend noch einmal nachdrücklich feststellen, daß dieses Gesetz die wirtschaftliche Situation der Familie verbessert. Damit beginnt nun aber erst die Verpflichtung des Gesetzgebers, insgesamt eine kinder- und familienfreundliche Politik zu gestalten. Familienpolitik ist umfassende Gesellschaftspolitik, denn Hilfen für die Familien werden in fast allen Teilbereichen der Politik gewährt. Wir müssen in unserem Land Bedingungen schaffen, unter denen Familien ihre gesellschaftlichen Aufgaben optimal erfüllen können. Welche vielfältigen Maßnahmen hierfür noch notwendig sind, hat in den letzten Monaten die ausgiebige Diskussion über die sozialbegleitenden Maßnahmen zur Reform des § 218 gezeigt. Diese notwendigen Maßnahmen gehen von der Sicherung der wirtschaftlichen Grundlagen, über die wir heute beschließen, über familienergänzende Einrichtungen — z. B. Kindergärten —, Maßnahmen zur Förderung der Erziehungsfähigkeit — z. B. Elternberatung, Elternschule und Erziehungsberatung — bis zu Bildungs-, Gesundheits-, Wohnungs- und Rechtsproblemen. Auf diesem Felde wird in dieser Legislaturperiode noch manche wichtige Entscheidung fallen. Wir werden die hierfür notwendigen Gesetze rechtzeitig verabschieden, so wie es heute mit der Reform des Familienlastenausgleichs geschieht. Die Familien in unserem Lande können sich auch in Zukunft auf uns verlassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Heck.
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7020 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Bundeskanzler Helmut Schmidt versteht natürlich vom Familienlastenausgleich mehr, als er heute hat erkennen lassen. Er weiß auch mehr über die Entwicklung des Familienlastenausgleichs. Er hat ja in der offenherzigen Weise, die ihm manchmal eigen ist, selbst gesagt, er wolle hier heute scharf polemisieren.Der Bundeskanzler Schmidt weiß auch, daß diese Reform des Familienlastenausgleichs, wie sie die Koalition dem Parlament vorgelegt hat, in ihren Grundzügen dem entspricht, was schon zur Zeit der Großen Koalition konzipiert worden ist. Das Für und Wider ist damals nicht ausdiskutiert worden. Wir waren uns im Kabinett jedoch darüber schnell einig, daß eine solche Reform des Familienlastenausgleichs nur im Zusammenhang mit der Steuerreform durchgeführt werden könne. Für diese Reform spricht in erster Linie eines: Sie beseitigt eine grobe Ungereimtheit; sie beseitigt die Unterschiedlichkeit der familienpolitischen Leistungen des Staates je nach dem, ob Lohn und Gehalt vom Staat oder aus dem Bereich der Wirtschaft bezogen werden.Aber, meine Damen und Herren, wir dürfen dabei nicht übersehen, daß das auch seinen Preis gekostet hat. Um diese Erweiterung des Familienlastenausgleichs finanzieren zu können, mußte ein wichtiger Bestandteil des bisherigen doppelten Systems der Zuwendungen für die Familien gestrichen werden: die Steuerfreibeträge. Meine Damen und Herren, man hat zwar versucht, aus dieser Not eine Tugend zu machen. Man machte daraus eine Forderung prinzipieller Gerechtigkeit, und gerade das ist sie nicht. Wer zur ungleichen Besteuerung je nach Einkommen ja sagt, der muß auch ja sagen zur entsprechenden Auswirkung von Steuerfreibeträgen. Daran hält übrigens die Bundesregierung bei ihrer Steuerreform in anderen Fällen auch selbst fest. Die Bundesregierung und auch die Regierungskoalition weiß, daß z. B. Unterhaltsleistungen für sonstige bedürftige Angehörige weiterhin je nach Einkommen mit verschiedener steuerlicher Auswirkung abgesetzt werden können. Wir nehmen — das sage ich mit Nachdruck --- für diese Reform des Familienlastenausgleichs die Beseitigung der Steuerfreibeträge hin, weil diese Reform zur Zeit anders kaum zu finanzieren gewesen wäre. Im Grunde aber muß man diese derzeit notwendige Maßnahme bedauern, vor allem auch deswegen, weil damit das einzige bislang dynamisch wirkende Element aus unserem System des Familienlastenausgleichs beseitigt wird.Das zweite, das wir anzumerken haben, ist, daß die vorliegende Reform das System übernommen hat, die Kinderzuschläge nach der Zahl der Kinder zu staffeln. Doch dabei hat die Koalition eine bemerkenswerte Veränderung vorgenommen. Die Koalition ist offensichtlich der richtigen Auffassung, daß zwei Kinder in einer Familie mehr Ausgaben erfordern als ein Kind, daß drei Kinder mehr Ausgaben erfordern als zwei Kinder; deswegen die Staffelung der Kinderzuschläge von 50 DM für das erste Kind über 70 DM für das zweite Kind bis hin zu 120 DM für das dritte und jedes weitere Kind.Aber, meine Damen rind Herren, hier drängt sich die Frage auf, warum die Koalition die Staffelung der Kinderzuschläge der bisherigen Regelung entsprechend nicht so gestaltet hat, daß für das vierte und das fünfte Kind ebenfalls jeweils erhöhte Beiträge gewährt werden; denn daß in beiden Fällen, bei vier und fünf Kindern, die Auslagen höher sind als bei Familien mit drei Kindern, versteht sich von selbst.Frau Minister Focke, Sie haben dieses Thema angesprochen. Sie haben darauf hingewiesen, daß nicht mehr Geld vorhanden gewesen sei. Aber es hätte natürlich schon die Möglichkeit bestanden, die Zuwendung für das dritte Kind etwas knapper zu halten und den dadurch freiwerdenden Betrag für das vierte und das fünfte Kind zu verwenden.
In der Familienpolitik der Koalition unter der Regierung Brandt hat schon einmal eine Korrektur, eine Verbesserung des Familienlastenausgleichs beim dritten Kind haltgemacht. Ich möchte deswegen eine Frage stellen, insbesondere nachdem ein Mitglied der letzten Regierung Brandt in einer Diskussion einmal erklärt hat, im Grunde sei nur die Zweikinderfamilie gesellschaftspolitisch konform. Meine Frage, die ich zu stellen habe, lautet: Hat eigentlich dieses Haltmachen bei der Erhöhung der Beträge beim dritten Kind etwas mit jener gesellschaftspolitischen Ideologie zu tun, nach der Familien mit mehr als drei Kindern nicht zu diesen gesellschaftspolitischen Vorstellungen passen?
— Ich kann Ihnen den Herrn nennen, wenn Sie es wissen wollen.Wir haben uns lange überlegt, ob wir nicht einen entsprechenden Änderungsantrag stellen sollen. Wir haben von der Einbringung eines entsprechenden Änderungsantrags abgesehen, weil letztlich nach Wegfall der Steuerfreibeträge 50 DM monatlich für das erste Kind, 70 DM monatlich für das zweite Kind und 120 DM monatlich für das dritte Kind wahrhaftig nicht zuviel sind. Wir haben darauf verzichtet, für das vierte und fünfte Kind zusätzlich höhere Beträge zu fordern, weil wir wissen, daß jede Ausweitung des Haushalts derzeit im Gegensatz zu dem stünde, was um der Stabilität des Geldes und der Preise willen notwendig ist. Von der inflationären Entwicklung der letzten fünf Jahre sind die Familien und vor allem die Familien mit mehreren Kindern besonders betroffen und in ihren Lebensverhältnissen eingeschränkt worden. Der Nachholbedarf ist groß; er ist sehr groß. Aber wenn die Inflation so weitertreiben würde, müßte er noch größer werden. Wir haben jetzt und nur jetzt darauf verzichtet; das heißt, daß wir in diesem Punkt ebenfalls so bald wie möglich eine Korrektur dieser Reform fordern werden.Meine Damen und Herren, so ohnehin besehen erweckt diese Reform den Eindruck, als ob damit die Leistungen des Staates für die Familien kräftig erhöht werden würden. Auch Frau Minister Focke hat einer solchen Überzeugung Ausdruck gegeben. Nun,
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Dr. Heckbei Licht betrachtet und verglichen mit den familienpolitischen Leistungen vor zehn Jahren, ergibt sich ein anderes, ein sehr ernüchterndes Bild. In diesen zehn Jahren, meine Damen und Herren, haben die Löhne und Gehälter um über 100%, die Staatseinnahmen um rund 135 % zugenommen. An diese allgemeine Entwicklung der Lebensverhältnisse in unserem Land sind die Leistungen des Staates für die Familie längst nicht angeglichen worden; die direkten Leistungen über die Kinderzuschläge nahezu überhaupt nicht und über die Steuerfreibeträge, die jetzt wegfallen werden, beileibe nicht ausreichend. Das Bild ändert sich auch nicht wesentlich, wenn man die zusätzlichen Leistungen für die Ausbildung berücksichtigt. In diesen zehn Jahren hat außerdem die Deutsche Mark weit mehr als 40 % ihrer Kaufkraft eingebüßt.Man muß sich schon darauf beschränken, diese Reform des Familienlastenausgleichs lediglich mit gestern zu vergleichen, um für das Auge und für die Propaganda den Eindruck zu erwecken, daß diese Reform im Vergleich zu früher die materielle Lage der Familien allgemein verbessere. Der Vergleich mit der Situation vor zehn Jahren ergibt, daß auch mit dieser Reform die materielle Ausstattung der Familie der allgemeinen Entwicklung längst nicht angeglichen und der Kaufkraftverlust längst nicht ausgeglichen wird.Meine Damen und Herren, ich sage das nicht, um damit die Arbeit der Regierung herabzusetzen. Die Reform des Familienlastenausgleichs, über die heute zu entscheiden ist, schafft ein erstes einheitliches Fundament für die familienpolitischen Leistungen. Hier liegt das Verdienst, das Anerkennung verdient. Das darf aber nicht den Eindruck oder gar die Meinung erzeugen, als sei damit für geraume Zeit alles Notwendige für die Familie getan. Ich wiederhole: Sobald es die konjunkturpolitische Lage erlaubt, muß die materielle Lage der Familie weiter verbessert werden. Dabei müssen zwei Maßnahmen besonderes Gewicht und Vorrang haben:Erstens. Wir müssen in den Familienlastenausgleich wieder ein dynamisches Element einbauen;
sonst steht zu befürchten, daß er in den nächsten zehn Jahren erneut in den Schatten gerät und ganz unversehends wieder weiter abgebaut wird.Zweitens. Wir müssen die Familien mit vier und mehr Kindern kräftiger unterstützen.Meine Damen und Herren, hier in diesem Hause haben alle Fraktionen bei der Debatte um den § 218 übereinstimmend beteuert, daß vor allem die sozialen Verhältnisse so gestaltet werden müßten, daß schwangere Frauen nicht dazu gedrängt würden, dem ungeborenen menschlichen Leben das Recht auf sein Leben zu verweigern.
Herr Abgeordneter Dr. Heck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Biermann?
Bitte schön!
Herr Kollege Heck, Sie sprachen eben von der Dynamik, die in diese Gesetzgebung eingebaut werden müsse. Würden Sie dem Hause einmal deutlich sagen, welche Dynamik Sie als Familienminister zu Ihrer Zeit entwickelt haben?
Ich weiß nicht, ob Sie damals hier schon im Hause waren,
aber wenn Sie im Hause gewesen sind, dann müßten Sie wissen, daß die Familienleistungen in der Zeit, in der ich Minister gewesen bin, um ein Vielfaches verbessert worden sind. Aber das haben Sie wohl nicht mehr ganz in Erinnerung.
Ach, Herr Wehner, diese Bemerkung hätten Sie sich schenken können.
— Ich sprach soeben davon, daß sich alle — ich wiederhole es, damit der Zusammenhang nicht verlorengeht —, als hier über den § 218 diskutiert worden ist, einig waren, daß die sozialen Verhältnisse so gestaltet werden müßten, daß schwangere Frauen nicht dazu gedrängt würden, dem ungeborenen menschlichen Leben das Recht auf sein Leben zu verweigern. Aber, meine Damen und Herren, das, was die Koalition unter diesem Gesichtspunkt hier vorgelegt hat, läßt sich damit schwer vereinbaren. Deswegen ist hier die Korrektur mit Vorrang erforderlich. Darüber sollte es nach allem, was hier gesprochen wurde, keine Meinungsverschiedenheit geben.Noch ein letztes Wort zur Familienpolitik überhaupt. Jeder von uns kommt aus einer Familie, jeder von uns lebt in einer Familie, jeder von uns weiß, was seine Familie für seinen eigenen Lebensweg und für den Lebensweg seiner Kinder bedeutet hat. Und doch hat nach aller Erfahrung die Familie bei uns weder in der Gesellschaft noch im Bereich der Politik einen durchschlagenden Anwalt, wenn es im Interessenkonflikt um das gleiche Geld geht.Bei uns ist in letzter Zeit viel von der Lebensqualität die Rede gewesen — ein schillerndes Wort, mit dem man alles mögliche sympathisch unter die Leute bringen kann; ich rede lieber von der Qualität der Lebensverhältnisse. Wo aber davon die Rede ist, sollten wir mit Vorrang an die Qualität der Lebensverhältnisse unserer Familien denken. Die Lebensverhältnisse unserer Familien fortlaufend zu verbessern — das ist kein Index-Denken —, muß unsere ständige Aufgabe sein und bleiben — ich sagte: unsere Aufgabe, die Aufgabe des Deutschen Bundestages, aller drei Fraktionen —, gerade weil sich in unserem Lande die mächtigen Gruppen der Gesellschaft nicht sonderlich für die Interessen der Familien einsetzen, vor allem dann und dort nicht, wo andere Interessen mit im Spiele sind, und das ist meistens der Fall.
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7022 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Dr. HeckMeine Damen und Herren, gerade der demokratische Staat, der freiheitliche soziale Rechtsstaat ist auf ein hohes Niveau freiheitlicher und sozialer Moral und auf die rechtliche Gesinnung seiner Bürger angewiesen; er ist ohne sie nicht möglich. Was aber in den Familien an freiheitlicher und sozialer Moral, an rechtlicher Gesinnung nicht heranwächst, kann in Schule und Gesellschaft in der Regel nur wenig ersatzweise entwickelt, geformt und gebildet werden. Die Grundwerte der Demokratie müssen in der Familie erfahren werden und wachsen, wenn sie in Gesellschaft und Staat entwicklungs- und belastungsfähig vorhanden sein sollen.Diese Reform — ich wiederhole es — schafft lediglich das einheitliche Fundament; darüber hinaus bleibt vieles noch zu tun.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? — Das ist nicht der Fall.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Huber.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich stimme Herrn Kollegen Heck vollkommen zu, wenn er sagt, daß die neue Kindergeldregelung in einem unlösbaren Zusammenhang mit der Steuerreform zu sehen ist. Die Kindergeldregelung ist aus der Steuerreform entstanden; sie ist Bestandteil des hier eingebrachten Dritten Steuerreformpakets, und sie ist als soziale Strukturreform überhaupt nur zu erkennen, wenn man sie im Zusammenhang mit der Steuerreform sieht. Aber da knüpfe ich gleich an und sage Ihnen, daß wir mit Ihrer zweiten Aussage, daß Sie den Wegfall der Kinderfreibeträge bedauern, aus diesem Grunde nicht einverstanden sind. Dies ist ja gerade der Punkt, um den es uns geht.
Hier gibt es eine neue Qualität von Kinderlastenausgleich: gleiches Kindergeld für alle Kinder, je nach Familiengröße, und Abschaffung der Besserstellung jener, die in einer höheren Progression sind. Ich wollte hier auf die Einwände, die dagegen geltend gemacht worden sind, gar nicht mehr eingehen, weil die Opposition daraus keinen besonderen Antrag mehr gemacht hat. Ich meine die Einwände der Vertreter sowohl der Verbände als auch der Wissenschaft, die gesagt haben, man müsse die die steuerliche Leistungsfähigkeit mindernden Kinderkosten bei höherem Einkommen auch höher berücksichtigen, solange keine volle Kostendeckung gegeben sei. Nachdem ich aber hier gehört habe, was der Vertreter des Landes Bayern Frau Funcke vorhin auf ihren Beitrag geantwortet hat, erscheint es mir dringend notwendig, noch ein paar Takte dazu zu sagen; wie wir hierzu stehen.
Der Bundeskanzler hat bereits darauf hingewiesen, daß es Millionen von Beziehern kleiner Einkommen gibt, die gar keine Freibeträge geltend machen können, weil sie so wenig verdienen, daß sie keine Steuern zahlen. Ich habe gestern einmal nachgeschaut, bei welchem Einkommen eigentlich bei einem Familienvater mit zwei Kindern Steuerpflicht entsteht. Ich möchte Ihnen den Fall nicht vorenthalten.
Es ist der Mann, der im Jahr 10 000 DM verdient, das sind im Monat 833,33 DM brutto. Davon muß er seine vierköpfige Familie ernähren. Ich finde, daß man dabei bei den heutigen Mieten und Lebenshaltungskosten den Groschen ganz schön umdrehen muß. Dieser Mann wird noch zur Steuer herangezogen, und er leistet auch dann noch einen Beitrag zu den allgemeinen Lasten, wenn man die 25 DM Kindergeld gegenrechnet, die er heute für das zweite Kind erhält. Sehen Sie, wenn wir von solch einem Familienvater Steuern nehmen, ist eigentlich die Frage nicht erlaubt, ob bei einem Millionär der Unterschiedsbetrag zwischen seiner jetzigen Ermäßigung durch die Freibeträge und dem, was er künftig an Kindergeld hat, gerechtfertigt ist. Das will ich Ihnen in aller Deutlichkeit sagen.
Sie denken, ich hebe jetzt nur auf den Millionär ab; das ist vielleicht ein Fall, der selten vorkommt, und darum ist jedermann vielleicht leicht einverstanden. Ich hebe jedoch nicht nur den Millionär ab. Wenn Sie hier gesagt haben, wir bringen besonders die mittleren Einkommen in eine schlechte Position, dann muß ich Ihnen sagen, daß Sie die Tabellen in der Drucksache 7/1470 auf Seite 234 sehr schlecht gelesen haben; denn dort wird von den Familien ausgegangen, z. B. von der berühmten typischen Arbeitnehmerfamilie mit zwei Kindern. Da wird nachgewiesen, daß die Steuerentlastung durch das Kindergeld im Zusammenhang mit dem neuen Tarif und der Sonderausgabenregelung sehr viel weiter geht, als das mittlere Einkommen reicht. Deshalb können Sie hier nicht so argumentieren.
Ich will Ihnen einmal ein paar Zahlen nennen. Da sind in dieser Kategorie, die in der Bundesrepublik die weitverbreitetste Familienkategorie ist, folgende Entlastungen vorgesehen: bei Familien mit zwei Kindern zwischen 2 133 DM und 686 DM bei Familien mit vier Kindern zwischen 2 580 DM und 507 DM; 507 DM sind das natürlich bei den Höherverdienenden.
Es wird allerdings nicht verkannt — das will ich hier einräumen —, daß bei Besserstellung der allermeisten Familien in diesem Lande für jene Familien eine relativ günstigere Position eintritt, die bisher überhaupt noch kein Kindergeld hatten. Dazu möchte ich bemerken: das sind in der Regel die jungen, noch wachsenden Familien mit dem noch relativ kleinen Einkommen. Die sind bis jetzt auch benachteiligt gewesen, und die sollen jetzt nicht mehr benachteiligt sein.
Es soll aber auch die grundsätzliche Frage nicht gescheut werden, ob im Zusammenhang mit dem Kindergeld eine etwas geringere Entlastung hoher Einkommen vertretbar ist oder nicht. Wie Sie wissen, haben wir zwei Anhörungen gehabt: im Februar mit den Verbänden und am 16. Mai mit sachkundigen Verfassungsrechtlern. Von beiden haben wir sehr kontroverse Ausführungen über diese Frage gehört, und es hat auch unter den Verfassungsrechtlern Leute gegeben, die gesagt haben, daß sozialstaatliche Gesichtspunkte dem Gesetzgeber im Rah-
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Frau Huber
men unserer Verfassung durchaus die Möglichkeit geben, im Interesse einer größeren Chancengleichheit für alle Kinder eine gleichmäßige Entlastung aller Familien mit gleicher Kinderzahl festzulegen. Meine Fraktion dankt der Bundesregierung, daß sie nicht nur diese Möglichkeit gesehen, sondern dies als politische Verpflichtung aufgefaßt und auch realisiert hat.
Im übrigen hat auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme zu dem Entwurf auf Drucksache 7/1470 diese Regelung begrüßt, und erst im nachhinein hat der Freistaat Bayern den Antrag eingebracht, die jetzigen Freibeträge wiederum so zu erhöhen, daß dadurch die Vorteile für die Höherverdienenden in der Tat wieder größer werden. Gott sei Dank hat die CDU/CSU im Finanzausschuß und auch hier diesen Antrag nicht aufgegriffen. Es geht hier, wie gesagt, um die Besserstellung der Familien, aber insgesamt auch um die Besserstellung der Bezieher kleinerer Einkommen, und zwar auf einer realistischen Basis.
Herr Dr. Häfele, Sie haben uns in Ihrem Beitrag unsolide Beratungsweise vorgeworfen. Ich werfe Ihnen jetzt unsolide Beispiele vor. Sie sagen, wie stark Sie die Bezieher kleiner Einkommen entlasten wollen. Dabei wollen Sie unsere Kindergeldlösung auf Ihr Inflationsentlastungsgesetz aufpfropfen. Dann müssen Sie auch sagen, daß das 15 Milliarden DM kostet und woher Sie die nehmen wollen.
— Der Regelung; aber Sie haben vorhin in Ihrem Beitrag betont, wieviel schöner Ihre Entlastungen wären. Wo wollen Sie eigentlich die Deckung dafür hernehmen? Darüber haben Sie kein Wort gesagt.
Im übrigen kann ich nur feststellen: Man hat vom Bundesrat her sehr leicht über die Finanzierung der ganzen Sache argumentiert. Ich habe heute abend aus dem Hause Nordrhein-Westfalen eine authentische Berechnung bekommen. Aus ihr geht hervor, daß die Anträge im Bundesrat, betreffend diese laufende Legislaturperiode, ein Finanzvolumen von 44 Milliarden DM ausmachen. Da kann man leicht solche Anträge stellen und hier auch noch darüber reden, wie das kleinere Volumen wohl zu finanzieren ist.
Ich habe mich auch nur gewundert gewundert
ist ein milder Ausdruck —, als ich in dem Bericht von Frau Stommel gelesen habe, der im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit unterbreitete Vorschlag der CDU/CSU koste ja nur eine halbe Milliarde, also 500 Millionen DM; irgendwo würde man die doch noch herkriegen müssen. Ja, wenn wir so operieren, glaube ich, kommen wir nicht zu einem vernünftigen, realistischen Programm. Mögen Sie nun sagen, das ist keine Reform: Lieber will ich eine Reform für 12 Milliarden DM, und die ist machbar, als so eine Rederei und ein Finanzprogramm, das niemand realisieren kann.
Welche Bedeutung wir gerade der Entlastung der Familien zumessen, geht daraus hervor, daß von der Finanzmasse, die diese Steuerreform kostet, die Hälfte den Familien zugute kommt in Form des Kinderlastenausgleichs und der zusätzlichen Verbesserungen für die sogenannte Halbfamilie, nämlich die Alleinstehenden mit Kindern, die jetzt auch einen besseren Freibetrag erhalten.
Die Hälfte des Volumens für die Familien' ich
meine, das ist eine ganze Menge.
Wenn nunmehr die Kindergeldreform federführend im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit beraten worden ist, so hindert uns das nicht, den Gesamtzusammenhang mit der Steuerreform als nach wie vor in gleicher Weise gegeben anzusehen, wie das beim Beginn der Beratungen war. Wir haben kein Verständnis dafür, daß der Bundesrat hier durch einen Vertreter geltend macht, man fühle sich in dieser Frage unter Druck gesetzt. Wenn wir tiefer darüber nachdenken, kommen wir zu einem ganz anderen Ergebnis, um das ganz klar zu sagen.
Das Kindergeld ist trotz der Auszahlung über die Verwaltung der Arbeitsämter ein Kernstück der Steuerreform. Das möchten wir hier heute abend deutlich machen.
Meine Damen und Herren, wir haben eine verbundene Debatte. Ich habe bisher lediglich die Wortmeldungen aufgerufen, die zu dem ersten Teil, nämlich der Vereinheitlichung des Familienlastenausgleichs, abgegeben worden sind. Ich möchte in der verbundenen Debatte jetzt gerne übergehen zu dem nächsten Punkt und ich frage daher, ob zum ersten Teil noch das Wort gewünscht wird. — Dann können wir — unter Aufrechterhaltung der verbundenen Debatte — zum zweiten Teil übergehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Zeitel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat es bedauerlicherweise für nötig gefunden, Frontstellungen aufzuzeichnen — oder zu versuchen aufzuzeichnen —, die den Sachverhalten der Steuerreformdebatte nicht gerecht werden. Ich will das nicht in allen Teilen noch einmal vortragen. Herr Kollege Wagner hat das für den Teil der Vorsorgeaufwendungen bereits getan. Die Streitfragen sind komplizierter und schwieriger. Man kann nicht einfach sagen, daß gesetzliche Sozialversicherungsbeiträge Kosten der persönlichen Lebenshaltung sind. Das ist eine der halben Wahrheiten, die wir in der Debatte um die Steuerreform nicht vortragen sollten.
Das Schlimme an dieser Reform ist der Tatbestand, daß mehr Gerechtigkeit an einer Stelle mit weniger Gerechtigkeit an einer anderen verbunden ist, daß Verwaltungsvereinfachung an der einen Stelle mit mehr Verwaltung an einer anderen verbunden ist. Nur dann, wenn wir etwas genauer bei den einzel-
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7024 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Dr. Zeitelnen Streitfragen zusehen, werden wir den wirklichen sachlichen Meinungsverschiedenheiten gerecht. Es hat auch keinen Sinn, so zu tun, als wenn die einen nur für die Reichen und Mittleren und die anderen nur für die Kleinen einträten. Auch das ist ein Verbreiten von Halbwahrheiten, das den Beratungen im Ausschuß nicht gerecht wird.
Hören Sie doch bitte auf, den Eindruck zu erwecken, als wenn es in den Ausschußberatungen hinsichtlich des Familienlastenausgleichs irgendwelche wesentlichen Differenzen gegeben hat. Und was mich angeht, bin ich schon viel länger auf dieser Linie als andere, die das heute bei ihnen vertreten. So sollte man keine sachliche Debatte führen.
Ich will hier nicht weiter Fragen erörtern, die bereits diskutiert worden sind. Ich möchte nur versuchen, wie ich das für sachlich angemessen halte, die Differenzen an einem zentralen Punkt dieser Reform deutlich zu machen. Das ist die Frage der Tarifgestaltung. Die Tarifgestaltung einer Abgabe entscheidet ja immer in ganz besonderer Weise über Niveau und Struktur der Verteilung der Lasten. Sie ist daher auch besonders geeignet, ein Maßstab für die Qualität dessen zu sein, was geändert werden soll oder was sogar „Reform" genannt wird. Wenn man diese Reform unter diesem Gesichtspunkt würdigt, dann ist sie eben im ganzen keine fortschrittliche Lösung, sondern sie wirft uns in der Steuergesetzgebung der Bundesrepublik auf den Zustand Mitte der sechziger Jahre zurück. Dies ist die Wahrheit.Nach der Regierungsvorlage soll die sogenannte Proportionalzone beibehalten werden. Wir haben sie erstmals 1958 in die Einkommensbesteuerung eingeführt. Sie hat zur Folge, daß in der Eingangszone der Besteuerung der Grenzsteuersatz für die Pflichtigen gleichbleibt.Die Hauptgründe für die Einführung einer solchen Proportionalzone waren verwaltungstechnischer Art, insbesondere im Hinblick auf ein vereinfachtes Lohnsteuerverfahren; ich brauche das hier im technischen Detail nicht darzulegen. Dieser prinzipielle Vereinfachungseffekt ist weitgehend verlorengegangen, weil immer mehr Steuerpflichtige, nicht zuletzt infolge des inflationären Einkommensprozesses, aus der Proportionalzone herausgewachsen sind. Deshalb wird durch die Verdoppelung der Beträge von 8 000 DM auf 16 000 DM und von 16 000 DM auf 32 000 DM nichts anderes getan als ein alter Zustand unter veränderten Einkommensbedingungen wiederhergestellt.Unabhängig davon — was zu konzedieren ist —, daß das zu einer Verwaltungsvereinfachung vorübergehender Art führt, sind gegen eine solche Tarifkonstruktion grundlegende Bedenken geltend zu machen.Das Verfahren nötigt nämlich im Falle von Anpassungen der Belastungen an die Einkommensentwicklung zur grundsätzlichen Neugestaltung des gesamten Tarifs, ist also unter verwaltungspolitischen Gesichtspunkten bedenklich. Das ist um so nachteiliger zu werten, je schneller die Einkommensentwicklung vorangeht. Deshalb geht der ganze Verwaltungsvorteil, der im Augenblick besteht, sehr schnell wieder verloren.Die Konstruktion führt — das ist die Kehrseite der Verwaltungsvereinfachung — zu einem relativ hohen Eingangssteuersatz. Es ist wiederum eine der Halbwahrheiten, zu sagen: Dadurch werden die Bezieher niedrigster Einkommen entlastet. Die Proportionalzone zwingt vielmehr dazu, den Eingangssteuersatz höher zu setzen, als es andernfalls möglich wäre. Dies ist eher als ein Element der Ungerechtigkeit denn der Gerechtigkeit zu bezeichnen.Um dennoch die beabsichtigte Steuerentlastung im Bereich der niedrigen Einkommen zu gewährleisten, sieht der neue Tarif bei Überschreiten der Proportionalzone einen bislang in unserer Steuergesetzgebung nicht gekannten Sprung in der Grenzsteuerbelastung vor — um auch das deutlich zu machen, weil es dauernd durcheinandergeworfen wird —, nämlich den Sprung von 22 Prozent auf 30,8 Prozent, der immer dann relevant wird, wenn jemand mit zusätzlichen Einkommensbeträgen über diese Grenze hinauskommt. Das ist für die Betroffenen ein ganz ungewöhnlicher Sprung von fast 30 Prozent. Von diesem Belastungssprung werden weite Schichten der Facharbeiter, der freiberuflich Tätigen und der selbständigen Gewerbetreibenden getroffen. Nicht die Reichen sind in erster Linie das Problem unseres Streites, sondern der weite Kreis der mittelständischen Gewerbetreibenden, der freiberuflich Tätigen und der Facharbeiter, der durch diese Regelung unnötigerweise ungerecht behandelt wird.
Dies sollten wir deutlich machen und nicht immer den Popanz in der einen Ecke aufbauen.Die vorgesehene Tarifgestaltung — das muß auch deutlich werden — führt überdies zur Entlastung gegenüber dem geltenden Recht; sie gleicht indessen nicht einmal die rein nominell bedingten Aufkommenssteigerungen als Folge des Inflationsprozesses aus. Die von der Regierung angegebenen Ausfallzahlen geben insofern auch bedauerlicherweise ein höchst unvollkommenes Bild der tatsächlichen Entlastungswirkung.Ich will Sie hier nicht lange damit aufhalten, was für Antworten ein Abgeordneter des Bundestages, der bemüht ist, den Ausfallberechnungen einmal nachzugehen, von dieser Regierung bekommt. Dieses würde ich als eine Verhöhnung des Auskunftsrechts bezeichnen.Ich habe nach wie vor erhebliche Zweifel, ob die in der Öffentlichkeit genannten Zahlen überhaupt stimmen. Tatsache ist jedenfalls, daß der Entlastungseffekt nach überschlägigen Berechnungen nicht einmal die Hälfte der inflationsbedingten Mehrsteuereinnahmen ausmacht.
Dies ist die Realität.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5 Juni 1974 7025Dr. ZeitelIch habe bereits angedeutet, daß die Entlastungswirkungen im ganzen nur zutreffend gewürdigt werden können, wenn auch die zahlreichen Abzugsmöglichkeiten und Steuerfreibeträge berücksichtigt werden. Hierauf wird in der Debatte noch einzugehen sein. Im ganzen ergeben sich hierdurch nicht nur Entlastungen bei unteren Einkommensbeziehern, sondern ebenso neue Verzerrungen, weil die Ausnutzungsmöglichkeit der Höchst- und Freibeträge sehr unterschiedlich ist. Der Herr Kollege Wagner hat schon eindrucksvoll darauf hingewiesen, wer denn eigentlich 20 000 DM Höchstbeträge ausnutzen kann. Wir werden ja noch in der öffentlichen Diskussion, die in Steuerfragen mit absoluter Sicherheit folgt, darüber zu diskutieren haben, daß wir in der Altersbesteuerung, in einem sozialpolitisch besonders wichtigen Bereich, zu Verhältnissen zurückkommen, die nicht anders bezeichnet werden können als ein Dreiklassensteuersystem mit neuen Ungerechtigkeiten innerhalb von Bevölkerungsgruppen mit völlig unvertretbaren Relationen in der Besteuerung der Arbeitnehmer gegenüber denjenigen, die nur Bezüge aus Pensionen erhalten. Das alles wird noch in der Offentlichkeit diskutiert werden. Wir werden später noch Gelegenheit haben, die Einzelheiten und die Vielzahl an Ungereimtheiten vorzutragen.Aus all diesen Gründen war im Ausschuß — das scheint mir wichtig zu sein — bei allen Parteien eine Präferenz für einen durchgehend progressiv gestalteten Tarif erkennbar, wie er von den Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion beantragt worden ist. Auch die Länder haben übereinstimmend einen solchen durchgehenden Tarif zum 1. Januar 1977 gefordert. Der durchgehend progressive Tarif ist der Tarif der Zukunft, und der Tarif, der hier in diesem Gesetz steht, ist eine veraltete Regelung. So sehen die Realitäten aus.
Es dient daher kaum der Verwaltungsvereinfachung — lassen Sie mich das deutlich machen —, wenn man jetzt einen neuen Tarif einführt und sich im Grunde darüber im klaren ist, daß bereits in zwei Jahren wiederum ein völlig neu konstruierter Tarif zur Anwendung gelangen soll.
Damit kommt unsere überbelastete Finanzverwaltung nur in neue Schwierigkeiten hinein, und von einer Verwaltungsvereinfachung ist überhaupt nicht die Rede.Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Zeit- und Taktikhuberei führen zu keinen guten steuerpolitischen Lösungen, sondern zu neuen Ungereimtheiten, die die Regierungsvorlage in großer Zahl kennzeichnen.
Das Wort hat Herr Eilers .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Laufe der heutigen Debatte sind von Vertretern derKoalitionsfraktionen so häufig illusionäre Angriffe auf die Haltung der CDU/CSU-Fraktion gestartet und ist auch so häufig über die Verhandlungen im Finanzausschuß berichtet worden, daß ich durchaus Verständnis dafür hatte, daß Herr Bundesfinanzminister Apel z. B. während der Ausführungen der Frau Funcke von der FDP-Fraktion ein Nickerchen zu machen schien. Wie gesagt, ich hätte durchaus Verständnis dafür — um so mehr, als nachher Herr Bundeskanzler Schmidt ja den Part des Bundesfinanzministers in der großen Debatte einnahm.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Herr Kollege Offergeld heute vormittag meinte, er habe hier offenbar einer Märchenstunde beigewohnt, dann kann ich nur sagen, daß offenbar bei dieser Koalition und bei dieser Bundesregierung auch der Begriff der Vermögensbildung in eine solche Märchenstunde hineingehört, jener Vermögensbildung, über die die Vorstellungen, wie es zu ihr kommen könnte, in der Bevölkerung natürlich durchaus unterschiedlich sind. Sehr häufig stimmen diese Vorstellungen mit den tatsächlichen Möglichkeiten durchaus nicht überein. Da ging es der verflossenen Bundesregierung Brandt/ Scheel nicht anders als vielen Bürgern unseres Landes. Was aber bei privaten Personen noch verständlich sein kann, kann einer Bundesregierung nicht kritiklos abgenommen werden.Der neue Bundeskanzler Helmut Schmidt hat dies offenbar durchaus erkannt und hat die 1972 vor der damaligen Bundestagswahl wohltönend und lautstark verkündeten Versprechungen abrupt zurückgenommen. Mit anderen Worten, er hat das Problem einer besonderen Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand in die Legislaturperiode des nächsten Bundestages verschoben, d. h. mindestens bis dahin; denn wer weiß, meine sehr verehrten Damen und Herren, wann wir dieses Projekt der Bundesregierung hier wiedersehen.Warum sage ich das? Die Tatsache, daß die wesentlich größere und effektivere Maßnahme der Vermögensbildung durch Sparen bei den Bürgern unseres Staates bereits durchgeführt ist, wird von dieser Bundesregierung nicht nur nicht gewürdigt, sondern noch bestraft. Sie will nämlich auch nach den neuen Vorschriften dieses Steueränderungsgesetzes, das sie fälschlich „Steuerreformgesetz" nennt, die Zinsen aus diesen Spareinlagen weiterhin kräftig besteuern. Dies ist um so verwunderlicher, als durch die trabende Inflation sowie durch die inflationsbedingte Entwicklung des Kapitalmarkts und der Zinsen den Millionen von Sparern und Wertpapierbesitzern erhebliche Substanzverluste entstanden sind und jeden Tag weiter entstehen.Meine Damen und Herren, die normale Vorstellungskraft eines Menschen reicht für die Beurteilung dieser Verluste nicht mehr aus. Deshalb halte ich es für unbedingt notwendig, einen unverfänglichen Zeugen, nämlich die Deutsche Bundesbank in ihrem Jahresbericht für 1973, zu zitieren; ich darf dies mit Genehmigung des Herrn Präsidenten tun.Danach betrugen Ende 1973 die Geldwerte von Privaten und Unternehmern — ohne Einzahlungen bei Bausparkassen und Lebensversicherungen —
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Eilers
rund 650 Milliarden DM. Davon waren 280 Milliarden DM Spareinlagen. Außerdem befanden sich festverzinsliche Wertpapiere im Werte von mehr als 240 Milliarden DM im Umlauf. Auf rund 125 Milliarden belief sich das Aktienvermögen der Gesellschaften, deren Aktien an den Börsen gehandelt werden. Es ergaben ,sich, nur auf die Spareinlagen und die festverzinslichen Wertpapiere bezogen, 1973 folgende außerordentlich umfangreichen Verluste: 19 Milliarden bei 7 %iger Preissteigerung — und das ist ja im Vergleich zu den tatsächlichen Verhältnissen noch gering — bei den Spareinlagen, 15 Milliarden bei 7 %iger Preissteigerung bei den festverzinslichen Wertpapieren.Meine Damen und Herren, es wird allen einleuchten, daß die Verluste durch Kursverfall nur geschätzt werden können. Berücksichtigt man den Anstieg der Rendite im Jahresdurchschnitt von 1972 auf 1973 von 8,2 auf 9,5 %, so kann man von einem Verlust in Höhe von 32 Milliarden allein im Jahre 1973 ausgehen.Die Verluste bei Spareinlagen und festverzinslichen Wertpapieren betrugen also in einem Jahre — ich wiederhole, meine Damen und Herren, in einem einzigen Jahre — 66 Milliarden DM. Damit aber nicht genug. Hinzurechnen muß man die Verluste beim Aktienvermögen, nämlich 32 Milliarden DM Kursverluste, und 9 Milliarden DM Verluste infolge von Preissteigerungen. Zusammen sind es also, meine Damen und Herren, kaum vorstellbar, Verluste in Höhe von 107 Milliarden DM nur bei Spareinlagen, festverzinslichen Wertpapieren und Aktien.Um dem Einwand zu begegnen, daß dies eine Bruttorechnung sei, möchte ich auch die Nettorechnung aufmachen. Werden also die Zinseinnahmen gegen die Verluste aufgerechnet — Sie haben ja wahrscheinlich erwartet, daß das nötig ist —, ergibt sich immer noch folgendes Bild: Ein Minus von 4 Milliarden DM bei den Spareinlagen, ein Minus von 32 Milliarden DM bei den festverzinslichen Werten und ein Nettoverlust von 37 Milliarden DM beim Aktienvermögen. Insgesamt, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist das ein Vermögensverlust von 73 Milliarden DM, also mehr als die Hälfte der Summe des Bundeshaushalts für das Jahr 1974.
Und dann sagt Bundeskanzler Helmut Schmidt in seiner Regierungserklärung: Unser Staat ist in Ordnung.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ehrenberg?
Ja, bitte sehr.
Herr Kollege Eilers, wenn Sie schon wider Erwarten eine Nettorechnung aufmachen, müßten Sie dann nicht auch fairerweise erstens die Gewinne bei allen Besitzern von Immobilien aufführen und zweitens in einer Nettorechnung zum Ausdruck bringen, daß das, was Sie als Kursverluste bezeichnen, mit der Substanzsteigerung der Aktiengesellschaften in keinem Zusammenhang steht?
Lieber Herr Kollege Dr. Ehrenberg, Sie haben offenbar übersehen, daß ich im wesentlichen die Deutsche Bundesbank zitiert habe. Es wäre daher sehr gut, wenn Sie diese Frage und diese Anregung an Ihren Genossen Herrn Dr. Klasen richteten, den Präsidenten der Deutschen Bundesbank. Der wird Ihnen dann in seinem nächsten Monatsbericht höchstwahrscheinlich die entsprechende Antwort geben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Helmut Schmidt davon sprach, unser Staat sei in Ordnung, kann ich nur sagen: mit Verlaub, das ist eine eigenartige Vorstellung von Ordnung. Eine solche Ordnung werden z. B. die Bürger unseres Landes nicht verstehen, die diese Verluste in einem einzigen Jahr haben hinnehmen müssen.
Die Deutsche Bundesbank hat dazu weiter im Januar dieses Jahres sehr aufschlußreiche Ausführungen gemacht, die, wie ich glaube, einer größeren Offentlichkeit nicht vorenthalten werden dürfen. Herr Kollege Ehrenberg, ich darf das zitieren und, bitte, passen Sie sehr auf, was zu Ihrer Überraschung die Bundesbank hier zum Ausdruck bringt:
Von der Gesamtzahl der für inländische Privatpersonen geführten Wertpapierdepots von 5,4 Millionen entfielen 700 000 oder 13 % auf wirtschaftlich Selbständige und 3 Millionen oder gut die Hälfte auf wirtschaftlich Unselbständige.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Ja, bitte sehr, Herr Kollege Graf Lambsdorff.
Herr Kollege Eilers, könnten Sie freundlicherweise einmal ausführen, wie Sie mit den Mitteln der Steuerreform, die wir heute beraten, diese von Ihnen beklagte Entwicklung eigentlich ändern wollen. Ist vielleicht meine Vermutung richtig, daß am Ende Ihrer Ausführungen stehen könnte, daß Sie den Freibetrag für Zinsen von 800 auf 900 DM erhöhen und damit den einzelnen Steuerpflichtigen in den Genuß von 90 Pfennig bis 2 DM pro Monat versetzen möchten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Graf Lambsdorff, ich weiß, daß Sie Ihre Neugierde sehr häufig nicht zügeln können.
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Eilers
Was ich soeben zum Ausdruck gebracht habe, war, wie Sie bei Ihrem kritischen Verstand sicherlich erkannt haben — und Sie versuchten ja sicherlich, durch Ihre Frage davon abzulenken —, daß das, was hier an Folgen dieser inflatorischen Entwicklung in unserem Lande entsteht, Auswirkung der Finanz-und Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung ist.
Meine Damen und Herren, ich darf mit dem Bericht der Deutschen Bundesbank fortfahren,
damit auch Herr Dr. Lambsdorff diese weiteren sehr wesentlichen Auslassungen der Deutschen Bundesbank in Gänze mithören kann:3 Millionen oder gut die Hälfte dieser 5,4 Millionen Depots gehörten also wirtschaftlich Unselbständigen, der Rest in Höhe von 1,7 Millionen bzw. einem knappen Drittel gehörte sonstigen Privatpersonen.Und nun werden Sie staunen, wer diese „sonstigen Privatpersonen" sind: Das sind Hausfrauen, Kinder, Schüler und Studenten. Insgesamt sind also von 5,4 Millionen Depots 4,7 Millionen in Händen von wirtschaftlich unselbständigen und privaten Personen. Meine Damen und Herren, ich nehme an, daß diese Mitteilung für die meisten von Ihnen höchstwahrscheinlich eine Überraschung ist.Aber die größere steht Ihnen eigentlich noch bevor. Die Deutsche Bundesbank hat nämlich weiter zum Ausdruck gebracht:Reichlich die Hälfte, nämlich 56 %, der insgesamt 5,4 Millionen Depots inländischer Privatpersonen waren Kleindepots mit einem Gesamtkurswert von jeweils weniger als 5 000 DM. Fast ein Drittel aller Depots, nämlich 32 %, wies einen Bestand von zwischen 5 000 und 25 000 DM auf. Ein Zehntel der Depots hatte einen Bestand von 25 000 bis unter 100 000 DM, während Depots von 100 000 DM und mehr nur knapp 3 % der Gesamtzahl ausmachten.
Diese größenmäßige Schichtung der Depots wird also bestimmt von den wirtschaftlich unselbständigen Personen und den sonstigen Privatpersonen, also den Hausfrauen und Kindern usw.Damit dürfte die weithin verbreitete Legende: „wer ein Wertpapierdepot besitzt, ist ein reicher Mann" wohl endgültig blauer Dunst geworden sein. Für den aber, der das immer noch nicht glauben sollte, mag der folgende Auszug aus dem Monatsbericht der Deutschen Bundesbank für den Monat Mai 1974 den letzten Beweis liefern.
— Lassen Sie mich das bitte eben zu Ende führen; ich stehe Ihnen dann gerne zu einer Frage zur Verfügung.Die Bundesbank erklärt weiter:So positiv die Ergebnisse der verschiedenen Sparförderungsmaßnahmen zu beurteilen sind, so sehr ist zu bedauern, daß die erzielten Erfolge durch die fortschreitende Geldentwertung wieder zunichte gemacht werden. Geht man davon aus, daß sich das gesamte Forderungsvermögen der privaten Sparer unter Einschluß der Aktienportefeuilles zu Tageskursen Ende 1973 auf fast 700 Milliarden DM belief, so würde rein rechnerisch die Geldentwertung bei einem Anstieg der Preise für die Lebenshaltung um rund 7 %
einen Substanzverlust in der Größenordnung von mehr als 40 Milliarden DM verursacht haben.— Herr Offergeld, was hatten Sie die große Freude, hier zu bemerken?
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biermann?
Aber selbstverständlich. Ich hatte das ja zugesagt.
Herr Kollege Eilers, Sie haben soeben von dem großen Vermögen der sozial Schwachen wie Schüler, Studenten, Hausfrauen und dergleichen gesprochen: Muß ich Ihren Worten entnehmen, daß die Politik dieser Bundesregierung es immerhin so weit gebracht hat, daß dieses Vermögen dort überhaupt vorhanden sein kann?
Sie haben offenbar übersehen, daß das, was diese Inhaber der Wertpapierdepots ansammeln konnten, in einem wesentlichen Umfang durch die verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung zunichte gemacht wurde.
Meine Damen und Herren, wenn hier von der SPD-Fraktion gesagt wird, daß sie das alles wisse, kann man sich eigentlich nur darüber wundern, daß Sie bisher noch nicht bereit waren, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten.
Aus all diesen Gründen, die Ihnen vorzutragen ich die Ehre hatte, ist die CDU/CSU-Fraktion mit mir der Ansicht, daß im Rahmen des jetzt beratenen Steueränderungsgesetzes diesen Sparern wenigstens eine steuerliche Entlastung gewährt werden muß.
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Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Graf Lambsdorff?
Bitte sehr. Aber die Zeit müßte natürlich angerechnet werden.
Herr Kollege Eilers, kommen wir jetzt doch zu dem Mordsantrag der 800 auf 900 DM?
Herr Graf Lambsdorff, Sie werden staunen, daß Ihre hellseherische Begabung doch nicht ausreicht.
— Herr Lambsdorff, vielleicht sind Sie so liebenswürdig, mich jetzt zum Schluß kommen zu lassen. Ich bin gern bereit, mich mit Ihnen darüber noch privat zu unterhalten.
Deshalb darf ich im Namen der CDU/CSU-Fraktion beantragen, mit Wirkung vom 1. Januar 1974 für Zinserträge und sonstige Einnahmen aus Geldeinlagen den Werbungskostenpauschbetrag zu erhöhen, und zwar auf das Dreifache des bisherigen Betrages, also auf 450 DM für Ledige und 900 DM für Verheiratete.
Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, wenn Sie bereit sind, den Sparern über das hinaus, was im Gesetz schon vorhanden ist, eine Hilfe zuteil werden zu lassen, dann stimmen Sie diesem Antrag zu!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kreile.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Als wir diese Strukturreform, das Einkommensteueränderungsgesetz oder das eben doch nicht zustande gekommene 3. Steuerreformgesetz im Finanzausschuß zu beraten begannen, wurde uns von seiten der SPD erklärt: Wir setzen unsere Eckwerte durch.Wir haben heute über einige Eckwerte und über die Durchsetzung geredet. Über einen der Eckwerte, der angekündigt war, wurde aber kein Wort verloren, offenbar deswegen, weil er überhaupt nicht durchgesetzt worden ist; weil er es auch gar nicht wert war, daß er überhaupt zum Eckwert gemacht worden ist. Ich rede von dem Eckwert: Verbot der Abzugsfähigkeit bestimmter Betriebsausgaben wie Bewirtungskosten für Geschäftspartner und der Abzugsfähigkeit der Betriebsausgaben für sogenannte Werbegeschenke.
— Nein, ich werde den Antrag nicht einbringen. Aber ich werde Ihnen einmal erklären, wie das im Finanzausschuß gelaufen ist. Da Sie, obwohl stellvertretendes Mitglied, dort nicht anwesend waren, nehme ich an, daß Sie dafür ein Interesse haben. Deswegen werden Sie mir hier sicherlich aufmerksam zuhören.
Dieses Thema war von Anfang an außerordentlich emotionalisiert. Die SPD-Steuerreformkommission hat im November 1971 den bemerkenswerten Beschluß unter Ziffer 1.9 gefaßt, daß diese Kosten künftig alle nicht mehr als Betriebsausgaben abgezogen werden dürfen. 1971 war die SPD noch in einer Aufbruchstimmung. Das ist ihr ein bißchen vergangen, offenbar ist daher auch dieser Eckwert etwas weggegangen.Nachdem die SPD in ihrer Steuerreformkommission diesen Beschluß gefaßt hatte, hat ihn die Bundesregierung im Koalitionsausschuß dann pflichtschuldigst als Eckwert übernommen. Damit ist er nicht nur von der SPD, sondern auch von der FDP eingesegnet worden. So kam das Verbot der Abzugsfähigkeit solcher Ausgaben in das Dritte Steuerreformgesetz. Dort war dann insbesondere in der Begründung überhaupt nur noch von Mißbräuchen die Rede. Jeder, der sich seinerzeit ab und zu einmal ein bißchen Gedanken darüber gemacht hatte, ob man einen Mißbrauch überhaupt nur dadurch beseitigen kann, daß man auch den Brauch schlechthin beseitigt, wurde dann sofort in die Strafecke der Unternehmerfreundlichkeit gestellt. Herr Eppler, der Oberschiedsrichter für Moral, insbesondere Steuermoral, zeigte jedem dieser schändlichen Unternehmerknechte, die überhaupt nur darüber nachzudenken gewagt haben, die gelbe Karte oder — wie seinerzeit die SPD bei den Einzelhändlern — den sogenannten Gelben Punkt.Aber, meine Damen und Herren, trotz eines geradezu terroristischen Argumentierens von Ihrer Seite von Anfang an ist es nun doch gelungen, zu erreichen, daß in dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf die Bewirtungsspesen nach wie vor als Betriebsausgaben abzugsfähig bleiben, und auch bei der Behandlung der Betriebsausgaben für Werbegeschenke ist Ihr Vorschlag auf völlige Streichung der Abzugsfähigkeit nicht durchgekommen, wenn auch eine Verschlechterung eingetreten ist. Wieso ist dies gelungen? Es muß doch die SPD-Abgeordneten, welche die Beratungen im Finanzausschuß nicht so intensiv haben verfolgen können, ungeheute erstaunt haben, als heute die Vorlage auf dem Tisch lag. Ich frage mich, wie Sie — Herr Rapp hat meines Wissens heute vormittag das Wort ausgesprochen — den zehntausenden steuerlich emotionalisierten Mitgliedern Ihrer Partei erklären können, warum Sie in dieser Frage so eklatant umgefallen sind. Als ich dies gelesen habe, habe ich mich gefragt, ob auf einmal der Neidvirus bei Ihnen nicht mehr grassiert, von dem ein wirtschaftspolitischer Journalist der SPD sprach. Sollten Sie erkannt haben — ich darf diesen SPD-Wirtschaftsjournalisten noch einmal zitieren —, daß Sie „mit der eklatanten Wirtschaftsfeindlichkeit der meisten führen-
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Dr. Kreileden Sozialdemokraten" nicht weiterkommen? Wenn das der Grund wäre, wäre das sehr schön, und es wäre sogar ermutigend.Ich befürchte aber, daß die Gründe hierfür etwas anders liegen. In jeder Bewirtung von Geschäftspartnern haben Sie am Anfang nur einen argen Mißbrauch gesehen. In jedem Journalisten, der einen Gesprächspartner zu einem Essen einladen muß, um seine Gespräche führen zu können, in jedem Geschäftspartner, der ausländische Geschäftsfreunde zu einem Essen einladen muß, haben Sie gleich einen potentiellen Steuerdelinquenten gesehen und ihn als solchen verdächtigt. Wir konnten da reden, was wir wollten, es fruchtete alles nichts. Alle Hinweise, daß die von Ihnen als so offensichtlich bezeichneten Mißbräuche doch erkennbar sein müßten, wenn sie wirklich so offensichtlich seien, und daß sie mehr oder weniger von der Finanzverwaltung abgestellt werden könnten, fruchteten nichts. Auch als im Finanzausschuß ein Großbetriebsprüfer erklärte, daß hier bereits eine weitgehende Eindämmung und Zurückdämmung vorgenommen worden sei, sind Sie ohne weiteres darüber hinweggegangen. Sie haben nie ganz unseren Gedankengang aufgenommen, daß man einfach klarstellen muß, daß ein solcher Mißbrauch kein Kavaliersdelikt ist, sondern eine eklatante Steuerhinterziehung, die auch als solche geahndet werden muß.Nachdenklicher wurden Sie erst, als sich der Vorsitzende der Steuergewerkschaft, Herr Fredersdorf, bei dem Hearing im Finanzausschuß gegen die hochgepeitschten Emotionen wandte und etwas sagte, was ich gern dem ganzen Hause bekanntgeben möchte, damit es nicht nur in camera caritatis des Finanzausschusses gesagt worden ist. Herr Fredersdorf hat gesagt:Wenn man die Gefahr des Mißbrauchs zum Prinzip erhebt, dann müssen Sie in der steuerlichen Nichtberückichtigung sehr viel weitergehen. Dann müssen Sie das Tanken steuerlich nicht mehr abzugsfähig sein lassen, weil dem Mißbrauch nicht beizukommen ist, wenn wir nicht an jeder Tankstelle einen Steuerbeamten etablieren, der jeweils die Nummer des betreffenden Fahrzeuges und wann für welchen Zweck tatsächlich getankt wurde, aufschreibt.Dann stellte Herr Fredersdorf weiterhin klar, daß es keineswegs nur die hier verdammten Unternehmer sind, die Steuergesetze mißbrauchen könnten, sondern daß auch die Lohnsteuerpflichtigen hierzu — natürlich genauso verwerflich — in der Lage sind. Er brachte das ganz treffende und von Ihnen sicherlich, Herr Ehrenberg, wenn ich Sie mir so anschaue, mit Stirnrunzeln gewürdigte Beispiel, daß mehrere Lohnsteuerpflichtige in einem Auto fahren, aber jeder für sein Auto den vollen Werbungskostenpauschalbetrag abzieht.Meine Frage ist: Haben Sie je deswegen die Kilometerpauschale beseitigen wollen, weil hiermit ein Mißbrauch möglich ist? Genauso ist es mit den Kosten der vorher von mir genannten Art auch. Man kann generell den Mißbrauchgesichtspunkt nicht soweit treiben, wie Sie dies am Anfang getan haben.
— Nein, ich bin immer noch dabei, Ihnen zu sagen, warum Sie in dieser Frage auf einmal eine ganz andere Haltung eingenommen haben.Jetzt wird es ein bißchen unangenehmer: das erste Argument, das Sie nachdenklich gemacht hat, stammt ebenfalls — ich darf es als Zitat bringen — von Herrn Fredersdorf, der zu Protokoll des Finanzausschusses folgende treffende Formulierungen brachte:Wir meinen, — sagte er —daß es eine ganz schlechte Sache ist, wenn von Staats wegen Empfänge zu 100 % aus Steuermitteln möglich sind, wenn von Gewerkschafts wegen und von Berufsverbands wegen, weil steuerfrei, Empfänge unbeschränkt möglich sind.Haben Sie sich eigentlich einmal die Entwicklung der Bewirtungskosten in den Haushalten des Bundeskanzleramts und der Ministerien angesehen?
Haben Sie einmal festgestellt, in welch außerordentlicher Weise seit 1969 — Herr Ehrenberg, Sie lachen im Moment so fröhlich, als wenn Sie den Sekt schon getrunken hätten, der dort ausgewiesen ist — dort eine Ausweitung vorgenommen worden ist?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ehrenberg?
Bitte schön, Herr Ehrenberg.
Verehrter Herr Kollege, Sie haben mich jetzt inzwischen so oft angesprochen — und von Ihrer Bank da drüben kam vorhin der Zuruf „Neidkomplex" —, daß ich Sie hier fragen muß, ob diese Ansätze Ihr besonderes Mißfallen auf Grund des Neidkomplexes finden, daß Sie jetzt in der Opposition sitzen?
Also, sehr verehrter Herr Ehrenberg, ich nehme an, als Sie im Bundeskanzleramt waren, da werden Sie nicht nur Abgeordnete Ihrer Partei, sondern auch Abgeordnete dieses Hohen Hauses ohne Ansehen und ohne Diskriminierung der einzelnen Parteien eingeladen haben,
so daß also insoweit ein Neidkomplex ganz sicher nicht vorliegen kann.Warum ich aber das Ganze bringe, ist: wenn der Staat es für erforderlich hält, Repräsentationsaufwendungen zu machen zur Erfüllung seiner staat-
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Dr. Kreilelichen Aufgaben, dann muß dieser Staat auch erkennen, daß ein Unternehmer und ein Freiberufler ebenfalls ganz bestimmte Repräsentationsaufwendungen haben kann in Erfüllung seines Berufs. Wenn wir nun fordern — darauf möchte ich eigentlich hinaus —, daß bei solchen Ausgaben das betriebliche Erfordernis genau nachgewiesen werden muß, und wenn insbesondere die Angemessenheit durch die Betriebsprüfung festgestellt werden muß, dann sollten sich manche der hier angesprochenen Minister auch fragen, ob es nicht erforderlich ist, daß sie manche dieser Bewirtungen einer etwas schärferen Prüfung unterziehen. Insbesondere sollte die Angemessenheit durch eine nachträgliche Kontrolle durch das Parlament oder gar durch eine nachträgliche Kontrolle durch die Rechnungshöfe festgestellt werden.Das zweite Argument aber, das noch wesentlich mehr zog, damit Sie diesen Eckwert aufgegeben haben, war das Exportgeschäft. Solange wir im Finanzausschuß von westlichen Exporten sprachen, nämlich von dem Erfordernis, wenn jemand aus New York kommt, daß man ihn möglicherweise bewirten muß, so lange hatte unser Argument überhaupt keine Aussicht, von Ihnen ernst genommen zu werden. Erst als das Argument gekommen ist, daß das Ostgeschäft hier eine ganz wesentliche Rolle spielt, erst da fingen Sie an umzudenken.Ich darf Ihnen aus dem Protokoll des Hearings im Finanzausschuß die betreffende Stelle, die Sie zum Umdenken und zum Einlenken gebracht hat, vorlesen. Hier steht:Nun lassen Sie mich noch einige Fälle — hat der betreffende Herr erklärt —anführen, die hier ganz besonders kennzeichnend sind. Ausgeschlossen soll sein nach der Vorstellung der Bundesregierung— die jetzt nicht mehr Ihre Vorstellung ist —die Bewirtung von ausländischen Geschäftsfreunden, d. h. von Ausländern, die hierherkommen, um Verträge mit uns abzuschließen. Es dürfte Ihnen bekannt sein, daß z. B. gerade bei Ostblockgeschäften die Ostblockdelegationen, die hierherkommen, es zur Voraussetzung machen, daß sie hier von den Vertragspartnern bzw. zukünftigen Vertragspartnern untergebracht und in vollem Umfang bewirtet werden.
Dies war der Gesichtspunkt, bei dem Sie so nachdenklich geworden sind, daß Sie erklärt haben: dann allerdings kann auf die Geltendmachung dieser Betriebsausgaben nicht mehr verzichtet werden.Aber Sie hatten nun doch einen entsprechenden Parteitagsbeschluß! Und damit man das nicht so merkt, daß Sie in dieser Frage umgefallen sind, haben Sie eine gesetzliche Anpassungskosmetik betrieben und gesagt: Künftig muß nicht nur — was bisher ja schon der Fall ist — die Betriebsnotwendigkeit und die Angemessenheit nachgewiesen werden, sondern künftig muß auch die Unterschrift, nicht die des Kellners, wie bisher, sondern — welch wesentliche Neuerung! — die Unterschrift des Wirtes, die Unterschrift des Gaststätteninhabers unter dem Bewirtungszettel stehen.
Inhaltlich ist also alles beim alten geblieben. Formell aber ist der Ideologie Ihres Parteibeschlusses Genüge getan.Einen ähnlichen ideologischen Seiltanz gab es auch bei der Frage, ob und inwieweit die Ausgaben für die sogenannten Werbegeschenke noch als Betriebsausgaben abgesetzt werden können. Das sind Geschenke wie Bleistifte, in denen der Eindruck der Firma steht; das sind die Brieftaschen, in denen der Eindruck der Firma steht, damit sich der Betreffende immer, wenn er in seine Brieftasche hineinschaut, an diesen Geschäftspartner erinnert und dazu angeregt wird, mit ihm wieder zusammenzuarbeiten. Für diese gab es bisher eine Grenze von 100 DM pro Geschenk, Jahr und Begünstigten. In dem SPD-Parteitagsbeschluß vom November 1971 wurde gesagt: Es gibt überhaupt keinen Betriebsausgabenabzug für solche Geschenke mehr. Bei dem Eckwertbeschluß, wo man schon näher an der Gesetzesformulierung war, gab es dann die Wertgrenze von 10 DM.
— Ich möchte gern den Gedanken zu Ende führen.Was finden Sie nun auf Ihrem Pult als das vom Finanzausschuß und damit von der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion verabschiedete Gesetz? Auf einmal ist die Wertgrenze von 10 DM wieder auf 50 DM erhöht worden. Ganz offensichtlich haben also einige Mitglieder der SPD und FDP gemerkt, daß man bei dieser grassierenden Inflation die Grenze, die man 1971 auf 10 DM festgesetzt hat, dann 1975 auf 50 DM erhöhen muß.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kirst? — Bitte!
Herr Kollege Kreile, gehe ich richtig in der Annahme, daß Ihre Fraktion den von Ihnen hier geschilderten Ergebnissen der Beratungen des Finanzausschusses zustimmt, also keine Änderungsanträge stellt?
Würden Sie mir dann nicht auch in der unbescheidenen Auffassung folgen, daß angesichts der fortgeschrittenen Zeit Ihre Ausführungen jetzt nicht unbedingt so erforderlich sind?
Herr Kirst, ich nehme Ihren Einwurf als ein Kompliment dafür, daß es Ihnen trotz der späten Stunde recht unangenehm ist, daß ich dies hier vortrage.
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Dr. KreileIch darf dazu auch noch sagen: Wir haben den Antrag gestellt. Wir sagen es noch einmal: Die Wertgrenze von 100 DM, die bisher geltendes Recht war, ist doch durch die Inflation sowieso illusorisch geworden. Diese — und das haben wir beantragt — hätte erhöht werden müssen. Es hätte denjenigen, die hier immer davon sprechen, daß sie Arbeitsplätze erhalten wollen, wohl angestanden, für einen ganz großen Bereich, wo Hunderttausende von Arbeitnehmern beschäftigt sind, eine Wertgrenze zu finden, die deren Arbeitsplätze sichert.
Aber der Grund für Ihre Ablehnung war also wirklich ein rein ideologischer, nämlich Ihre Abneigung gegen jede Art der Werbung, sozusagen die Verteufelung jeder Art der Werbung. Ich habe gerade dieser Tage gesehen, daß es nun nicht mit diesem Verbot des Abzugs der Betriebsausgaben für Werbegeschenke sein Bewenden haben soll. Was also wollen Sie weiter in Verfolgung dieses von Ihnen ganz grundsätzlich vollzogenen Gedankens?Hier wollen Sie für den mittelständischen Bereich — denn das ist die Werbemöglichkeit für den mittelständischen Bereich — die Werbungskosten abschaffen. Dann wollen Sie noch die Werbung im Fernsehen abschaffen. Wenn ich in der parteiamtlichen Zeitschrift „Vorwärts", die nach meiner Meinung immer mehr auf einen Vulgärmarxismus zurückschaut, in den letzten Tagen gelesen habe,
daß Sie die Werbung aus dem Fernsehen verbannen wollen und die dem Fernsehen entgehenden Einkünfte durch eine zusätzliche Fernsehsteuer, die der Fernsehzuschauer bezahlen soll, beschaffen wollen, dann frage ich mich: Wie soll das eigentlich mit Ihrer ideologisierten Steuer- und sonstigen Politik weitergehen?
Die „Frankfurter Rundschau", die sowieso eine Zeitung ist, die Ihnen das intellektuelle Material liefert, hat gemerkt, daß es mit einer Fernsehsteuer als einer Ergänzungssteuer zur Einkommensteuer offenbar der Steuern zuviel ist; deswegen sagt sie, man solle die Gebühren erhöhen, nämlich um 10 DM, so daß der Fernsehteilnehmer, weil er keine Werbung im Fernsehen mehr sehen darf, künftig statt 12 DM 22 DM zahlen muß.Dies ist sozusagen der Grundgedanke Ihrer Lebensqualität. Und ich muß sagen, es läuft bei der SPD und ihrer derzeitigen Steuerpolitik immer auf eines hinaus: auf eine nicht zu verkennende Wirtschaftsfeindlichkeit. Die Steuergesetze haben gerade im Bereich der Werbung das Ziel der Bevormundung des Bürgers; dies wollen wir nicht.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Weber .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht, wie Sie von der Opposition meinen, der Neidvirus, der uns in der Frage der Bewirtungskosten eine steuerlich vernünftige Lösung suchen läßt, und es ist auch nicht die Sorge, wie Sie meinen, um die Entideologisierung, sondern es geht uns ganz einfach darum, daß ein öffentliches Ärgernis, das nicht nur Sozialdemokraten berührt, beseitigt oder wenigstens auf ein vernünftiges Maß eingeschränkt wird.
Das hat, meine Damen und Herren, überhaupt nichts mit dem Ost- und dem Westgeschäft zu tun, und diese stehen auch in keinem Zusammenhang mit der Steuerreform. Wir wollen mit dieser Neufassung erreichen, daß Mißbräuche beseitigt oder eingeschränkt werden und daß es für die Gruppe, die es kann, nicht mehr möglich ist, den privaten mit dem geschäftlichen Konsum zu verbinden.Nun, meine Damen und Herren, es ist richtig, daß wir in der Frage der Bewirtungsspesen ein Stückchen von den Vorstellungen, die sich in den Eckwerten niedergeschlagen haben, abgegangen sind, zwar nicht, weil wir glauben, daß es schön ist, dem Kreis der Bevorzugten, die umsonst in ersten Hotels wohnen, in teuren Prominentenlokalen essen und manchmal auch Dinge tun, die für das Volk draußen unerreichbar erscheinen, die Privilegien zu belassen, sondern weil es uns darum ging, mit der Regelung, wie sie jetzt gefunden worden ist, eine für die Praxis brauchbare Regelung zu finden. Wir wollten damit erreichen, daß Großbetriebe, die die Bewirtung ohne weiteres in ihren Vorstandskasinos und in Gästehäusern durchführen können, nicht bessergestellt werden als Klein- oder Mittelbetriebe, Handwerker oder selbständige Handelsvertreter. Wir wollten also diese Gruppe vor Schaden bewahren. Wir wollten nicht eine Ungerechtigkeit der anderen Ungerechtigkeit hinzufügen. Deswegen haben wir diese Regelung, wie sie jetzt niedergelegt ist, gefunden.Verbesserte Kontrollen verhindern die Fortschreibung von Mißbrauchsmöglichkeiten. Wir, die Koalition, treten diesen Erscheinungen entgegen und glauben, daß wir ein wirksames Mittel gefunden haben.Nun meint Herr Kollege Kreile, in der zweiten Gruppe, in der der Geschenke, hätte die Koalition einen Rückzieher gemacht; das ist gar nicht so. Wer diese Bestimmungen durchliest, wird feststellen, daß wir in dem Punkt sogar noch ein Stück weiter sind, daß wir nämlich Geschenke steuerlich überhaupt nicht mehr gewinnmindernd abziehen lassen. Wir haben also gleichzeitig eine strukturelle Änderung vorgenommen. Nur noch Gegenstände, auf denen der Name oder die Firmenbezeichnung des Gebers oder ein sonstiger Werbehinweis dauerhaft und von außen leicht erkennbar angebracht ist, können steuerlich abzugsfähig sein. Wer also — das ist unsere Meinung — schenken will, soll dies tun; aber dann auch mit dem edlen Mut des Schenkers, nämlich aus dem eigenen Portemonnaie.
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7032 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Dr. Weber
Anders verhält es sich mit der Werbung. Werbeartikel sind keine Geschenke, sondern Bestandteil unseres Wirtschaftslebens. Die Werbung mit solchen Gegenständen ist gleichberechtigt neben anderen Werbemedien, und es ist nicht die Aufgabe der Steuerpolitik, bestimmte Investitionen auf dem Gebiet der Werbung gegenüber anderen Werbemöglichkeiten zu diskriminieren. Damit erledigt sich auch schon der Exkurs von Herrn Kreile in die Bereiche der Medienwerbung. Der wegen der Dauerwerbewirkung angebrachte Werbehinweis nimmt gleichzeitig dem Werbeartikel seinen selbständig nutzbaren Wert. Wir haben damit, wie wir glauben, einer großen Zahl von Klein- und Mittelbetrieben, die entweder diese Artikel herstellen oder auf sie als Mittel der Verkaufsförderung angewiesen sind, weil sie nicht auf eine teurere Werbung übersteigen können, die Angst und die Sorge um ihren Bestand genommen. Wir glauben, daß auch mit der Begrenzung auf 50 DM weiteren Mißbräuchen vorgebeugt ist. Der Betrag reicht aus, um dem Zweck der Werbung zu genügen, nämlich um durch Werbung ein Verkaufsgespräch zu beginnen oder durch die Werbung das Produkt vorzustellen.Lassen Sie mich noch auf einen Einwand eingehen, den Herr Professor Zeitel gebracht hat und der auch in dem Vortrag des Landesministers Gaddum angeklungen ist. Da wird ständig gesagt, mit dieser Reform komme überhaupt keine Verwaltungsvereinfachung zustande und man solle vielmehr dem Bundesrat folgen. Wir sind dem Bundesrat in vielen Dingen gefolgt. Der Bundesrat war ständig in jeder Sitzung des Finanzausschusses durch seine Sprecher vertreten und hat auch die Möglichkeit der Mitsprache genutzt. Wir haben auch Anregungen, die von ihm kamen, aufgegriffen, wie z. B. den Familienlastenausgleich. Wir haben mit dieser Steuerreform auch gleichzeitig eine Verwaltungsvereinfachung erreicht, und zwar allein durch die Einschränkung des Lohnsteuerermäßigungsverfahrens. Ohne die Reform gäbe es im Jahre 1975 ca 8,5 Millionen Ermäßigungsanträge. Nach Inkrafttreten der Reform werden diese Ermäßigungsanträge auf 1 Million zusammenschrumpfen. Durch die Reform und durch die Ausdehnung der Proportionalzone des Einkommensteuertarifes entfallen zahlreiche Einkommensteuererklärungen. Wir schätzen, daß in etwa 2 Millionen Fällen keine Verpflichtung zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung mehr besteht. Die Einführung eines Sparerfreibetrages von 300 DM bzw. 600 DM bedeutet — das ist etwas ganz anderes, Herr Eilers, als das, was Sie wollten; denn Sie treffen mit Ihren Beispielen nur eine verschwindend kleine Gruppe — für die Masse der Steuerpflichtigen Befreiung der Einkünfte aus Kapitalvermögen und damit wiederum eine Erleichterung für die Verwaltung, und letztlich fällt auch gleichzeitig mit dem Wegfall der Ergänzungsabgabe eine Vereinfachung in ca. 3 Millionen Fällen an. Wir glauben, daß auch mit dieser Regelung der Verwaltungsvereinfachung und damit der besseren Durchführung des Gesetzes und der Steuererleichterung ein nützlicher Weg begangen worden ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Köhler .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte vorübergehend schon geglaubt, daß der Koalition gar nichts mehr einfällt. Inzwischen hat sich ja wieder ein Redner dazwischengeschaltet. Aber ich muß feststellen: Gutes war es nicht, was ihm eingefallen ist.Ich selbst möchte mich ein wenig mit dem Problem des Tarifsberichts beschäftigen. Sie und ich hätten es unseren Kollegen eigentlich ersparen und die Abstimmungen hätten vielleicht ein paar Minuten früher stattfinden können, hätte nicht der Sprecher der SPD/ FDP-Koalition, Herr Böhme, in der 91. Sitzung den Fehler gemacht, die Ablehnung eines Bleichlautenden Antrags im zweiten Steueränderungsgesetz damit zu begründen, daß im Finanzausschuß zur Beratung dieser Frage nicht genügend Zeit vorhanden gewesen sei. Er hat in diesem Zusammenhang Stil, Art und Weise der Verhandlung der CDU/CSU-Fraktion im Finanzausschuß kritisiert, weil wir diesen Antrag sozusagen erst in der Abstimmungsphase überraschenderweise eingebracht hätten.Nun, ich bin sehr neugierig, Herr Kollege Böhme, was Ihnen einfallen wird, wenn ich Ihnen sage, daß Sie seit März von diesem Antrag wußten, den wir im Finanzausschuß bei der Beratung des Dritten Steuerreformgesetzes wieder eingebracht haben. Ich habe von einer intensiven Beratung dieses Punktes, den Sie übrigens als eine „politisch schwerwiegende Frage" bezeichnet haben — deshalb wünschten Sie eine ausführliche Beratung —, nichts gemerkt.Das liegt an dem, was hier schon mehrfach kritisiert worden ist und was mich dazu bringt, ausnahmsweise und höchstpersönlich zu bedauern, daß die Beratungen des Finanzausschusses nicht öffentlich waren. Die Bürger dieses Landes hätten dann wohl einen eigenen Eindruck von der Schludrigkeit des Gesetzgebungsvorgangs zur Kenntnis nehmen können. Meine Damen und Herren der Koalition, ich mache Sie darauf aufmerksam — zu Ihnen gehören ja eine Menge großer Sprachschöpfer und Sprachanalytiker —: Dieses von mir mit Bedacht gewählte Wort ist keine Erfindung von mir. Ich habe es von einem Ihrer Kollegen übernommen.Für mich stellt sich diese eine Begründung, die hier vorgetragen worden ist, als ein richtiger Rohrkrepierer für Sie dar. Wir haben feststellen müssen, daß Sie jede Diskussion über diese von Ihnen so qualifizierte politisch schwerwiegende Frage mit dem Hinweise beendet haben, daß Sie gegen jede Indexierung seien. Sie haben das dann anschließend in einer Abstimmung auch sehr schnell endgültig bekräftigt. Wir hätten es uns sparen können, darüber zu sprechen, wenn das nicht so gelaufen wäre.Aber damit bin ich dann auch bei dem zweiten Punkt Ihrer Begründung und dem neuen Reizwort Indexierung, das ja auch seit einiger Zeit durch das Hohe Haus geistert; ich sage „geistert", weil bisher
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 7033
Dr. Köhler
ganz sicher noch nicht Gelegenheit war, hierüber wirklich ausführlich mit Sachkunde und dem Gegenstand angemessen zu diskutieren. Ich habe, um niemandem Unrecht zu tun, noch einmal die Protokolle der Debatten über die Regierungserklärung und über den Haushalt überlesen und fand bestätigt, daß sich Regierung und Koalition bisher ausschließlich polemisch mit den wirtschaftspolitischen Denkanstößen auseinandergesetzt haben, die neben die gegenwärtige, unzulängliche Stabilitätspolitik — also neben auch nach unserer Meinung die Hauptsache, nämlich die Politik zur Bekämpfung der Inflation — auch und begleitend eine Politik zur Bekämpfung der Inflationsfolgen stellen möchten.Ich hoffe zwar, daß uns trotz aller Meinungsverschiedenheiten im Hause noch die Überzeugung verbindet, daß eine erfolgreiche Stabilitätspolitik immer noch besser ist als jede Bemühung, Inflationsentlastungsgesetze wegen zu hoher Inflationsraten konzipieren zu müssen.Was uns aber unterscheidet, ist zweierlei: erstens das Zutrauen in die Fähigkeit dieser Regierung, erfolgreiche Stabilitätspolitik zu betreiben,
und zweitens — das ist etwas Neues, was ich hier zu konstatieren habe — die mangelnde Bereitschaft, darüber nachzudenken, welche Instrumentarien, welche Reformen geeignet sind, die Inflation zu Bedingungen zu überleben, die den sozialen Status unseres freiheitlichen Rechtsstaates erhalten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie begründet unser geringes Zutrauen ist, haben die Debatte über die Regierungserklärung und über den Haushalt erwiesen. Das hat aber auch noch ein anderes, neuerdings vorgebrachtes Argument gezeigt, nämlich wiederum statistische Stabilitätserfolge zu programmieren. Ichmeine die mit großer Verve vertretene Ansicht, nun werde über die zweifellos hohen Rohstoffpreise eine neue Inflationswelle importiert. Ich kann einen solchen Satz nicht verstehen, es sei denn, es werden gleichzeitig die Gewichte zurechtgerückt. Die Gewichte sind so, daß der Anteil an den Importen 19 !Prozent und, bezogen auf das Waren produzierende Gewerbe, sieben Prozent ausmacht; ich habe mir die Zahlen vom März dieses Jahres einmal heraussuchen lassen.
— Wir können uns darüber sehr ausführlich unterhalten. Sie liegen heute — wenn ich Ihnen das zu Ihrer Information weitergeben kann, im Ausland bis zu 70 Prozent über den deutschen Preisen.Wenn es dann aber — ich sage das wiederum und auch an Ihre Adresse so 'deutlich und unmißverständlich — zu weiteren Preissteigerungen kommt, aus welchen Gründen auch immer, importiert, wie Sie es gerne haben oder wahrhaben möchten — ich unterstelle Ihnen nicht, daß Sie das haben möchten —, oder wegen des Fahrens im Geleitzug — es gibt Leute, die auch so etwas sagen — oder, was für mich am wahrscheinlichsten ist, selbst verschuldet, wenn es also, aus welchen Gründen auch immer, zu weiteren Preissteigerungsraten kommt, was ist dann Ihre Antwort?Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist Mode geworden, die Opposition bei jeder Gelegenheit, bei schlechter und bei guter Gelegenheit, zu Alternativen aufzufordern. Ich möchte heute einmal den Spieß umdrehen und mich vor allen Dingen an den etwas ermüdeten Finanzminister mit den folgenden Fragen wenden: Welche Alternativen hat denn die Regierung zur Bekämpfung von Inflationsfolgen bei weiter steigenden Lebenshaltungskosten?
Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung zum Schutz der Sparer vor Inflationsfolgen? Wir haben vorhin von unserem Kollegen Eilers gehört, welche Ausmaße die Verluste inzwischen erreicht haben. Was gedenkt sie zu tun, wenn die Bürger nicht mehr im Sparen, sondern im Schuldenmachen ihren privaten Ausweg aus der Inflation suchen? Das hatten wir auch schon einmal, meine sehr verehrten Damen und Herren. Und wie soll die Investitionskraft der deutschen Wirtschaft erhalten werden, die sich erhöhten Wiederbeschaffungskosten — anders als in der vereinfachten Form, in der es sonst mein verehrter Kollege Graf Lambsdorff gesagt hat; ich sehe ihn leider nicht hier im Raum — aus zwei Gründen gegenübersieht: wegen des technischen Fortschritts, aber auch wegen der Preissteigerungsraten, vor allen Dingen für sehr langfristig installierte Anlagen? Was hat sie, Herr Bundesfinanzminister, mit den Tarifen und den Freibeträgen vor, wenn die Inflation dafür gesorgt hat, daß der Anteil der Bürger, die nach Ihrer Meinung künftig bei erhöhtem Grundfreibetrag nur 22 Prozent Steuern zahlen, weiter geschrumpft ist? Wir haben vorhin die Prognosen darüber gehört. Was gedenkt sie zu tun, wenn die Entlastungswirkung des neuen Tarifs vollends aufgehört hat? Meine Herren, das sind eine ganze Reihe von Fragen, die bisher vollkommen unbefriedigende Antworten — wenn überhaupt welche — gefunden haben. Ich könnte den Fragenkatalog beliebig erweitern. Es ist auf gar keinen Fall ausreichend, diese oder andere gestellte Fragen lediglich mit einem Ja oder Nein zur Indexierung zu 'erledigen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, 20 Jahre lang hatten wir Preissteigerungsraten von 2 %. Deshalb gab es in der deutschen und in der internationalen Wissenschaft niemanden, der Anlaß hatte, darüber nachzudenken, was geschehen müsse, wenn die Inflation weiter fortschreite. Sehen Sie sich einmal im Ausland um; dort haben wir solche Verhältnisse. Was tun diese Länder, wenn sie schließlich bei Inflationsraten von 15 bis 20 % angelangt sind? Wie verlaufen dann die Diskussionen über diese Frage?Ich warne davor, es in einer sehr, sehr heiklen, ungemein schwierigen Situation unserer Stabilitätspolitik aufzugeben, darüber nachzudenken, was wir, außer um die Stabilität wiederherzustellen, tun müssen, um den sozialen Status, den wir in diesem Lande mit herbeigeführt haben, zu erhalten. Es ist eine neue Erfahrung für mich, daß Sie offenbar,
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7034 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Dr. Köhler
wenn ich die Beiträge zu diesem Thema noch einmal überdenke, ein etwas gestörtes Verhältnis zum Nachdenken bekommen haben. Aktionismus ersetzt Nachdenken nicht.
Nun kann sich natürlich niemand in diesem Lande wünschen, daß es jemals zu solchen entsetzlichen Preissteigerungsraten, wie ich sie vorhin unter Hinweis auf ausländische Beispiele erwähnt habe, kommt. Deswegen — ich wiederhole hier das, was von dieser Stelle aus für unsere Fraktion schon einmal deutlich gesagt worden ist —, und zwar nur deswegen, ist meine Fraktion gegen eine generelle Indexierung. Aber wir verschließen uns im Gegensatz zu Ihnen nicht solchen wirtschaftspolitischen Denkanstößen, die, von der Wissenschaft ausgehend, in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Ich wiederhole: Wer wie wir von Anbeginn für den sozialen Fortschritt in diesem Lande gekämpft hat, muß in der vor uns liegenden Zeit vielmehr dankbar für alle diejenigen Versuche sein — den Irrtum solcher Versuche eingeschlossen —, die diesen sozialen Besitzstand ebenso wie den freiheitlichen Rechtsstaat und die soziale Marktwirtschaft über die gegenwärtige Inflationsphase hinweg zu retten vermögen.Damit bin ich wieder bei dem Änderungsantrag, der ja nachher auch Gegenstand der Entscheidung sein wird. Er sieht keine automatische Anpassung der Tarife vor, wie jedermann hoffentlich deutlich erkannt hat. Ich will im einzelnen nicht auf das zurückgreifen, was ich schon in der 91. Sitzung gesagt habe. Ich will mich abschließend nur auf zwei Bemerkungen konzentrieren. Die eine ist, daß eine solche Anpassung, wie sie in dem Tarifbericht von der Bundesregierung nach einem ausführlichen Bericht über die Tatsachen als Vorschlag erwartet wird, als einzige überzeugende Möglichkeit sicherstellt, daß die Struktur der Besteuerung, die Sie hier mit so viel Pathos verteidigen, nicht ohne entsprechenden Gesetzgebungsakt ständig heimlich geändert wird. Das ist der eine Grund.Und der andere Grund: Es handelte sich für mich außerdem um eine inflationshemmende Anpassung mit zwei wichtigen Vorteilen, erstens weil eine Ausweitung der öffentlichen Ausgaben künftig nur dann möglich wäre, wenn der Gesetzgeber ausdrücklich Steuererhöhungen beschlösse, und zweitens weil dann die Gewerkschaften keinen Grund mehr hätten, die schleichenden Steuererhöhungen mit ihren Lohnforderungen zu kompensieren. Ich habe mich sehr darüber gefreut, daß der Bundeskanzler und auch der Finanzminister überall verkünden, daß das, wenn das, was hier beabsichtigt ist, Gesetz wird, einer Lohnerhöhung von etwa 4 % netto gleichkommt. Er bestätigt die Gültigkeit des Arguments, das ich hier vorzutragen hatte.Ich möchte, daß der Tarifbericht so, wie wir ihn vorschlagen, einen heilsamen Zwang zum rechtzeitigen Nachdenken ausübt und die Regierung zu dem veranlaßt, von dem, wie ich dankbar vernommen habe, selbst die Steuerpolitiker der Koalition heute schon sprechen, nämlich zu der regelmäßigenAnpassung des Tarifs und der Freibeträge an die inflationäre Entwicklung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Böhme .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer im Glashaus sitzt, sehr verehrter Herr Dr. Köhler, soll nicht mit Steinen werfen. Damals, als die Form von mir im Namen der SPD-Fraktion kritisiert worden ist, ging es darum, festzustellen, daß Sie den Antrag einige Tage vor der Abstimmung und vor der Debatte zum Zweiten Steueränderungsgesetz gestellt haben. Dies war, glaube ich, ein Verfahren, das damals von uns mit Recht gerügt worden ist.
Inzwischen ist ja auch in der Öffentlichkeit —
über die Sache mehrfach und ausgiebig diskutiert worden, und die Frage eines Tarifberichts, einer Indexierung im Steuerrecht hat durch das kürzlich vorgelegte Gutachten von neun Professoren, darunter auch Professor Dr. Erhard, wonach aus Stabilitätsgründen für Anleihen Wertsicherungsklauseln allgemein eingeführt werden sollen, neue Aktualität erlangt. In diesem Zusammenhang wird — vom Standpunkt der Indexierer aus betrachtet konsequent und zu Recht — auch die jährliche Anpassung des Einkommensteuertarifs an den Lebenshaltungskostenindex vorgeschlagen.
In der Fachpresse hat dieser Gesamtvorschlag der neun Professoren eine deutliche Absage erfahren, und auch die CDU/CSU selbst hat das Gesamtpaket der Vorschläge inzwischen abgelehnt. Um so erstaunlicher ist es, daß die Opposition heute einen Teil des Professoren-Konzepts aufgreift und damit sich selbst doch wieder zum Vorreiter einer Indexierung macht.
Die Koalition und die Bundesregierung haben unterdes mehrfach zum Ausdruck gebracht, daß die Indexierung kein geeignetes stabilitätspolitisches Instrument darstellt. Folgende Gründe sind hierfür ausschlaggebend. Erstens. Eine jährliche Anpassung des Tarifs und der persönlichen Freibeträge durch Parlamentsbeschluß ist im Ergebnis die Einführung einer Indexierung im Steuerrecht. Es macht keinen Unterschied, ob der Einkommensteuertarif und die Freibeträge automatisch dem Lebenshaltungskosten-index angepaßt werden oder ob das Parlament durch Gesetz verpflichtet wird, diese Anpassung durch jährlichen Beschluß gesondert auszusprechen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wagner?
Bitte sehr!
Herr Kollege Böhme, wie beurteilen Sie die Tatsache, daß im Ausbildungsförderungsgesetz mit Zustimmung der SPD die Pflicht einer Überprüfung alle zwei Jahre und
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Dr. Wagner
der daraus folgenden Anpassung — jedenfalls ihrer Möglichkeit — stipuliert wurde, und wie erklären Sie Ihre offenbar bestehende Annahme, dies sei im Gegensatz zu unserem jetzigen Antrag nicht der Anfang einer Indexierung?
Es ist völlig richtig, daß dort im Bundesausbildungsförderungsgesetz diese Anpassung vorgenommen werden soll. Ich sehe aber einen Unterschied, ob das in einem einzelnen Leistungsgesetz normiert ist oder ob hier in einem Steuergesetz für Millionen von Fällen,
für Massenfälle diese Anpassung einheitlich und gleichzeitig vorgenommen wird.
Da sehe ich einen großen Unterschied,
und ich glaube, das ist auch der Punkt, über den wir hier reden.
Sie gestatten eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wagner?
Ja, bitte!
Herr Kollege Böhme, darf ich Ihrer Antwort dann wenigstens entnehmen, daß Sie zwar gegen den Tarifbericht bei der Einkommensteuer Einwendungen haben, nicht aber gegen die Überprüfungspflicht im Kindergeldgesetz, weil es sich dort auch um ein einzelnes Leistungsgesetz handelt?
Ich sagte vorhin — und das möchte ich wiederholen —: Es ist ein unerhörter Schritt in Richtung auf eine Indexierung, und auf die Gefahr, daß sich diese Art und Weise der jährlichen Anpassung wie ein Ölfleck auf dem Wasser auf die ganze Wirtschaft ausbreitet, richtet sich unsere Sorge und unser Hauptargument. Das können Sie nicht ausräumen, indem Sie einzelne, auch Massenfälle, aber doch einzelne mit einem solchen Gesetz vergleichen, wie es das Einkommensteuergesetz mit seinen Auswirkungen auf Millionen von Lohnsteuerzahlern zum gleichen Zeitpunkt und mit einheitlichen Regeln darstellen würde.
Wenn dies geschähe, so wäre dies nicht nur ein Schritt in Richtung auf die Indexierung im Steuerrecht, sondern dies ist bereits die Indexierung im Steuerrecht. Völlig zu Recht haben daher die neun Professoren in ihr Konzept der Indexierung den Vorschlag einer Tarifkorrektur durch Parlamentsbeschluß aufgenommen, d. h. sie haben den Wertsicherungsklauseln bei Anleihen, die automatisch die Anpassung vornehmen, und der steuerlichen Tarifanpassung, die durch Parlamentsbeschluß gesondert auszusprechen ist, denselben Stellenwert beigemessen. Dies ist auch richtig; alles andere verharmlost den Sachverhalt.
Unser Hauptargument gegen die Indexklauseln im Steuerrecht ist — ich sagte es eben — in der Befürchtung zu suchen, daß die Indexierung sich nicht auf das Steuerrecht beschränken wird, sondern auch andere gesellschaftliche Bereiche, insbesondere alle Dauerschuldverhältnisse, erfassen würde. Nach allen Erfahrungen vergleichbarer Länder, in denen indexgebundene Steueranpassungen praktiziert worden sind, z. B. in der Schweiz oder in Dänemark, sind keine nachweisbaren Erfolge in der Stabilitätspolitik erzielt worden. Im Gegenteil, jede Indexbindung im Steuerrecht verfestigt die Inflationserwartung, da die Indexierung vorweggenommen wurde und in die Erwartungen der Steuerzahler einging. Da die Inflationserwartungen heute als eigenständige und wesentliche Ursache der Inflation bzw. ihrer Beschleunigung angesehen werden, sollte die Steuerpolitik diese Erwartungen nicht verstärken, sondern ihnen nach Möglichkeit entgegenwirken.
Das vorgeschlagene Verfahren der Abgabe eines Tarifberichts mit anschließender Tarif- und Freibetragsanpassung durch Parlamentsbeschluß brächte überdies jede Regierung in den Wirbel aktueller Lohn- und Gehaltsverhandlungen. Die Vorstellung, meine Damen und Herren, ist gelungen, daß die Prominenten der CDU Seite an Seite mit Prominenten der großen Unternehmensverbände jedes Jahr mit Forderungen und Vorschlägen auftrumpfen, der Staat solle einen Teil der durch die Preissteigerungen verursachten Minderung der Kaufkraft der Löhne und Gehälter aus seiner Tasche ausgleichen, derselbe Staat, von dem Investitionsspritzen und öffentliche Aufträge zur Erhaltung gefährdeter und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze verlangt werden.
Schließlich: wer im Steuerrecht indexiert und darauf seine Steuergerechtigkeit beschränkt, geht davon aus, daß der verteilungspolitische Status quo gerecht ist, weil dieser Status quo der Verteilung durch die Indexierung zunächst festgeschrieben wird. Gleichzeitig werden die Steuermittel für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben gekürzt, weil die steuerliche Anpassung an die Geldentwicklung auf der Einnahmeseite Steuerausfälle schafft, während die Staatsausgaben weiter ansteigen. Der öffentliche Korridor wird somit kleiner, und damit sinkt das staatliche Leistungsangebot.
Es kann sein, daß Herr Häfele dies meinte, als er kürzlich ausführte, daß die „Steuerpolitik zum Schlüssel der Inflationsbekämpfung" gemacht werden müsse. Gut, dies ist ein Konzept, das man dann allerdings benennen und dessen Konsequenzen aufzeigen, nämlich weniger Schulen, Kindergärten, Straßen, Wohnungsbau usw.
Aber staatliche Einnahmekürzungen verlangen und gleichzeitig im Bundestag und in der Offentlichkeit Gesetze propagieren, deren Kosten in die Milliarden gehen, ist unseriös.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
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7036 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Ich bin gleich fertig, ich bin beim letzten Satz.
Eine stabilitätspolitische Linie in diesem Zickzackkurs der Opposition zu erkennen ist nicht möglich. Deshalb ist auch der vorliegende Antrag auf Einführung einer Indexierung im Steuerrecht nicht ganz ernst zu nehmen. Man vertraut wohl darauf, daß die Koalition den Antrag ohnehin ablehnen wird. In dieser Hoffnung soll die Opposition nicht getäuscht werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Vogt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir scheinen noch drei Bemerkungen zu dieser Debatte erforderlich zu sein.
Der Herr Bundeskanzler hat heute ungewöhnlich oft von sozialer Gerechtigkeit gesprochen. Es soll vorkommen, daß derjenige, der viel von sozialer Gerechtigkeit spricht, etwas zu verbergen hat. Der Bundeskanzler hat zu verbergen, daß wir hohe inflationsbedingte Steuereinnahmen haben, daß das eine soziale Ungerechtigkeit ist und daß diese Bundesregierung bisher nichts getan hat, diese soziale Ungerechtigkeit in diesem Lande zu beseitigen.
Die heimlichen Steuererhöhungen — Sie können darüber nicht hinwegdiskutieren — sind ein aktuelles Problem. Die Kollegen meiner Fraktion haben Ihnen heute schon die Zahlen vorgehalten. Ich will Sie nur noch einmal darauf hinweisen, daß das Aufkommen aus der Lohnsteuer von 49,8 Milliarden DM im Jahre 1972 auf 74 Milliarden DM in diesem Jahr wachsen wird und daß der inflationsbedingte Anteil am Lohnsteueraufkommen in diesem Jahr 32 Milliarden DM betragen wird. Ich sage deshalb noch einmal, daß der steuerliche Inflationsausgleich, den unsere Fraktion fordert, ein Gebot sozialer Gerechtigkeit ist.
Das Zweite: Daß der Inflationsausgleich notwendig ist, um mehr Stabilität herzustellen, hat inzwischen zumindest der Finanzminister der neuen Regierung gelernt. Daß der Kollege Böhme das noch nicht zur Kenntnis genommen hat, ist sein persönliches Pech. Es geht eben kein Weg daran vorbei, daß, um mehr Stabilität zu erringen, die Einkommenspolitik ebenfalls einen Beitrag zu leisten hat.
Und da muß ich auf ein Argument zurückkommen, das der Kollege Rapp heute geäußert hat und das in diesen Debatten schon wiederholt eine Rolle gespielt hat. Kollege Rapp hat gesagt, der Inflationsausgleich, wie er von uns vorgeschlagen wird, dürfe und könne nicht in die Tarifvertragsverhandlungen eingebracht werden, denn der Staat dürfe nicht als dritter Mann am Tisch der Tarifvertragsparteien sitzen. — Sie nicken, Herr Kollege Rapp; ich habe also Ihr Argument richtig wiedergegeben. Nun darf ich Sie doch mal auf folgendes hinweisen. Der Staat sitzt immer, zumindest mittelbar, am Tisch der Tarifvertragsparteien. Ich verweise Sie auf § 3 des Stabilitätsgesetzes; aus Zeitgründen erspare ich es mir, Ihnen diesen Paragraphen vorzulesen. Der Staat sitzt aber auch unmittelbar am Tisch der Tarifvertragsparteien; denn wenn ich mich recht erinnere, hat ja nicht irgend jemand mit Herrn Kluncker die Tarifverträge im öffentlichen Dienst ausgehandelt, sondern das war der damalige Innenminister Genscher, der doch wohl als Vertreter des Staates angesehen werden muß.
— Natürlich auch die Länder und Gemeinden. Aber der Staat hat eben unmittelbar als Tarifvertragspartner am Tisch gesessen. Gerade weil der öffentliche Dienst eine Vorreiterfunktion in der Lohnauseinandersetzung hat, hätte der Inflationsausgleich schon früher in die Einkommenspolitik mit eingebracht werden müssen, zum Wohle der Entwicklung in diesem Jahr und nicht erst zum Wohle der Entwicklung im nächsten Jahr.
Der dritte Punkt: In ihrer Konzeption hat die Bundesregierung vorgeschlagen, daß der Arbeitnehmerfreibetrag künftig mit 22 % von der Steuerschuld abgezogen wird. Der Kollege Rapp hat das damit begründet, daß die einzelnen Freibeträge für Landwirte und Selbständige aus unterschiedlichen Motiven, mit unterschiedlichen Argumenten eingeführt worden sind. Das stimmt. Dennoch, Herr Kollege Rapp, es sind eben Freibeträge für gesellschaftliche Gruppen. Da ist es nicht einzusehen und da ist es eben ein Systembruch, wenn ein Betrag auf der einen Seite als Freibetrag von der Bemessungsgrundlage abgezogen und auf der anderen Seite mit der Steuerschuld verrechnet wird.
Das sieht auch der DGB nicht ein. Ich darf Sie an die Stellungnahme des DGB vom 8. Februar dieses Jahres erinnern. Er hat dort gefordert, daß der Arbeitnehmerfreibetrag wie in der Vergangenheit auch künftig von der steuerlichen Bemessungsgrundlage abgezogen wird.
Meine Damen und Herren, das ist eine weitere der vielen Ungereimtheiten Ihres sogenannten Reformgesetzes.
An dieser Reform ist etwas wirklich eine Reform, und die unterstützen wir vorbehaltlos, nämlich die Neuordnung des Familienlastenausgleichs. Alles andere, was Sie als Reform hier vorlegen, wird nicht sehr viel Bestand haben; deshalb lehnen wir es ab.
Das Wort hat der Abgeordnete Vohrer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Köhler und jetzt Herr Vogt haben die Sprache noch einmal auf die Indexierung, also auf die Probleme der Anpassung an die Inflation gebracht. Herr Köhler, entweder führen Sie die Diskussion über die Frage „Indexierung oder nicht" und
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 7037
Dr. Vohrerdie Bedeutung des wissenschaftlichen Aussagewertes von Indizes hier platonisch als eine wissenschaftliche Diskussion, oder Sie sprechen zur Indexierung hier im Rahmen der zweiten und dritten Lesung der Steuerreform. Im letzteren Fall sieht es ganz anders aus, wenn Sie nämlich die Indexierung wünschen und den Antrag nicht als etwas ansehen, was einen gewissen Selbstzweck hat.Einer Ihrer prominenten Marktwirtschaftler, Professor Erhard, hat ja in der Zwischenzeit seine Sympathie zur Indexierung entdeckt. Wenn Sie das hier als eine Möglichkeit, gegen die Inflation anzukämpfen, politisch vertreten, dann sollten Sie das sagen. Wenn Sie es aber nur wissenschaftlich diskutieren wollen, dann sollten Sie den Antrag stellen, daß Ihnen das Statistische Bundesamt besseres Zahlenmaterial vorlegt, damit Sie die Erkenntnisse, die Sie daraus ziehen und die Sie eventuell politisch verwerten wollen, geliefert bekommen. Da gehe ich übrigens mit Ihnen einig; denn auch mir liegt sehr viel daran, daß man die ganze Messung des Wohlstandes nicht nur am Bruttosozialprodukt vornimmt, sondern daß man mehr soziale Indikatoren einführt, die es uns ermöglichen, hier politisch relevantere Daten zu bekommen, und zwar im Sinne von mehr Lebensqualität.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Franke ?
Bitte schön.
Herr Kollege Vohrer, ohne mich generell für die Indexierung aussprechen zu wollen — in diesem Einzelpunkt: ja —, frage ich Sie: Ist Ihnen bekannt, daß den ersten theoretischen Beitrag in diesem Hause der leider viel zu früh verstorbene Kollege Dr. Klaus-Dieter Arndt aus Berlin hier eingeführt hat?
Wenn Klaus-Dieter Arndt das hier eingeführt hat, dann hat er es sicher vor dem Hintergrund einer wissenschaftlichen Diskussion gebracht. Wenn Sie das hier aber in der zweiten und dritten Lesung zur Einkommensteuerreform bringen, dann wollen Sie es politisch verstanden wissen. Ich hoffe wenigstens, daß Sie es politisch verstanden wissen wollen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie hier zu der späten Stunde noch wissenschaftlich diskutieren wollen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke ?
Bitte schön.
Ich will nicht wissenschaftlich diskutieren, aber — —
Herr Kollege, Sie sollen nicht sagen, was Sie diskutieren wollen, sondern Sie sollen fragen!
Herr Präsident, ich bin dabei. Darf ich Sie daran erinnern, daß der Kollege Dr. Arndt — —
Darf ich Sie fragen, ob Sie sich erinnern, daß Herr Kollege Dr. Arndt hier nicht einen wissenschaftlichen Beitrag geliefert, sondern sich schon sehr fest in dieser Frage geäußert und dafür auch ganz konkrete Beispiele genannt hat?
Herr Franke, wir können die Inflation auch über die Möglichkeit der Indexierung bekämpfen. Das würde aber bedeuten, daß alle gesellschaftlich relevanten Gruppen auf dieses Konzept einschwenken würden. Aber es ist nicht sicher, ob alle Gruppen auf dem Weg der Indexierung mitmarschieren. Wenn wir aber hier die Steuerreform diskutieren und an die Möglichkeit denken, über die Steuerreform hier im Lande die Inflation zu verkleinern, dann sollten wir uns deshalb überlegen, welcher Weg für uns der politisch sicherste ist.
— Herr Köhler, ich — —
Herr Kollege, es liegt in Ihrer Hand, ob die Herren weiterhin Fragen stellen dürfen.
Ich schätze Herrn Köhler zu sehr, als daß ich seinen Wunsch ablehnen würde.
Ich bedanke mich sehr, Herr Kollege. Darf ich fragen, ob Sie deutlich genug den Antrag, den wir gestellt haben, verstanden haben, der lediglich darauf hinausläuft, daß die Bundesregierung genötigt werden soll, einen Tarifbericht zusammen mit Maßnahmen mitzuteilen, die sie in diesem Zusammenhang für zweckmäßig hält? Ist das eine Indexierung? Ja oder nein?
Herr Köhler, ich habe eingangs meiner Ausführungen gesagt: entweder wollen Sie das wissenschaftlich diskutieren, oder Sie fordern den Bericht als Grundlage für politische Handlungen.
Wenn Sie es als Grundlage für politische Handlungen fordern, dann müssen Sie das deutlicher sagen. Wenn Sie es nur als wissenschaftliches Informationsmaterial haben wollen, dann sollten Sie den von mir vorgeschlagenen Weg über das Statistische Bundesamt wählen.
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7038 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Dr. Vohrer— Seien Sie mir nicht böse, wenn ich keine weiteren Zwischenfragen zulasse.Ich wollte darauf hinaus, daß ich hier ganz deutlich mache — das ist die Anknüpfung an den heutigen Vormittag —, daß es mit der Indexierung und der Inflation ähnlich ist wie mit dem § 218: daß es nicht ein bißchen Schwangerschaft gibt und ein bißchen Bekämpfung von Inflation.
Wenn wir hier in diesem Hause Inflation bekämpfen wollen, dann sollten wir uns dazu bekennen, daß wir das mit politischen Handlungen, mit politischen Instrumenten tun. Herr Wagner, wenn Sie indexieren wollen, dann müssen Sie sich bewußt sein, daß Sie nicht in einem einzigen Sektor indexieren können, nämlich nur bei der Steuer, sondern dann müssen Sie gleichzeitig bei den Löhnen, bei den Preisen, Zinsen, Mieten, usw., dann müssen Sie querbeet überall, wo Kosten entstehen, den Index durchhalten, und das würde unsere Marktwirtschaft wirklich grundlegend verändern.Mit der Indexierung verbunden — das als wichtige Schlußfolgerung — ist doch die Scheu vor politisch bewußten Handlungen, vor politisch bewußter antizyklischer Konjunkturpolitik. Wenn Sie nicht den Mut haben, in der Hochkonjunktur durch Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen durch die verschiedenen öffentlichen Hände einen Beitrag zur Stabilisierung zu leisten, dann sollten Sie das offen bekennen und den etwas bequemeren Weg der Indexierung versuchen. Wir verstehen unsere Aufgabe immer noch so, daß wir politisch den Mut und die Standfestigkeit haben, die Inflation auf dem Weg politisch bewußter Handlungen zu bekämpfen.Deshalb lehnen wir die von Ihnen eingeschlagene Richtung ab, und wir weisen noch einmal darauf hin, daß in dem Einkommensteuersystem, wie es jetzt da ist, ein Stabilisator eingebaut ist, den Sie immer wieder als heimliche Steuererhöhung kritisieren. Je höher nämlich die Löhne klettern, desto stärker wird über die Progression die Kaufkraft gedämpft.
— Herr Vogt, ich weiß, daß das Ihnen, was die Kaufkraft anbetrifft, manchmal unbequem ist,
und Sie haben völlig recht: entscheidend ist, daß der Staat dann bei der antizyklischen Konjunkturpolitik auch den Mut haben müßte, mehr stillzulegen. Wenn Sie uns bei der Stillegung solcher Beträge durch Ihr Verhalten im Haushaltsausschuß unterstützen, dann haben Sie einen wichtigen Beitrag zur Stabilität in diesem Lande geleistet.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Köster.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle hätten es viel leichter in der Beurteilung dessen, was bei einer Neuregelung des Familienlastenausgleichs geschieht oder geschehen soll, wenn wir uns auf einige wenige für den Familienlastenausgleich wichtige Prinzipien einigen könnten: Es sollte die Entlastung für ein Kind sich an der Höhe der Normkosten für das einzelne Kind orientieren, aber nur als Beitrag zu den Normkosten, es sollte also keine Kostenerstattung sein. Weiter müssen Leistungen für Kinder bei deutlich verschlechterten wirtschaftlichen Bedingungen den tatsächlichen Unterhaltskosten von Kindern angepaßt sein. Eltern müssen sich für lange Zeit, für 18 und mehr Jahre, finanziell festlegen, wenn sie sich für ein Kind oder mehrere Kinder entschieden haben.Die Neuregelung des Familienlastenausgleichs findet unsere Zustimmung. Trotzdem ist es eine unvollständige, nicht befriedigende Regelung des Familienlastenausgleichs, die den Namen „Reform" nicht uneingeschränkt verdient. Diese Neuordnung läßt zuviel Fragen unbeantwortet und löst zuviel Probleme unzureichend.Die Höhe der Kindergeldsätze rechtfertigt nur für das erste Kind und zweite Kind das Prädikat „Reform". 50 DM für das erste Kind sind eine Verbesserung gegenüber dem heutigen System beim neuen Tarif und gleichem Freibetrag in Höhe von 28 DM monatlich oder weniger. 70 DM für das zweite Kind sind eine Verbesserung von 40 DM oder weniger.Für Kinder mit zwei oder mehr Geschwistern sieht es anders aus. 120 DM für das dritte Kind sind nach neuem Tarif als Vergleich und bei einem Einkommen von 1 530 DM monatlich nur eine Verbesserung von monatlich 2 DM. Beim vierten Kind bedeuten 120 DM eine Verbesserung von 27 DM monatlich. Beim fünften Kind sind es gar nur 17 DM monatlich oder weniger. Damit erreicht diese Reform für eine kinderreiche Familie im Jahre 1975 nicht einmal die Realkaufkraft der Leistungen des Systems des Familienlastenausgleichs aus dem Jahre 1965, wenn man zum Vergleich eine Familie mit vier Kindern heranzieht, deren Einkommen 1965 nur 12 000 DM betragen haben und 1975 24 000 DM sein mögen. Von einer Beteiligung der Kinder in kinderreichen Familien an der Steigerung der 'Realeinkommen ist bei dieser Neuregelung des Familienlastenausgleichs nicht einmal die Rede.Der Antrag der CDU/CSU, vom vierten Kind an das Kindergeld zu erhöhen — dieser Vorschlag wurde im Ausschuß gemacht —, war nur als ein Ausgleich gedacht, nicht, wie fälschlicherweise unterstellt wird, als eine Prämie für Kinderreichtum. Hätten wir eine ausreichende Finanzmasse zur Verfügung, sähen wir es als ideal an, wenn ein gleichmäßiger Beitrag in Höhe von 50 % oder 60 % der Normkosten für ein Kind unabhängig von der Ordnungszahl vom ersten Kind an gegeben werden könnte; denn die Kosten für ein Kind nehmen im Normalfall mit steigender Ordnungszahl eher ab als zu.Familienpolitik hat sich um die Lebens- und Entwicklungschancen von Kindern zu kümmern, ganz
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 7039
Kösterunabhängig davon, wieviel Geschwister vorhanden sind. Jede staatliche Intervention, die Kinderreichturn bestraft oder belohnt, ist bedenklich. Allerdings darf das in voller Verantwortung zu einem Kind gesprochene Ja nicht in seinen finanziellen Konsequenzen zu einer sozialen Deklassierung im Verhältnis zu anderen Eltern mit vergleichbarem Einkommen führen.
Es ist daher aus vielen Gründen richtig, daß die Unterhaltskosten nie ganz vom Staat übernommen werden, die Anwendung der Richtlinien des Bundessozialhilfegesetzes ausgenommen. Wenn man die bisherigen Freibeträge zur Grundlage des Vergleichs heranzieht, sind nur für hohe Einkommen, die mit einem Spitzensteuersatz von über 50 % zu versteuern sind, Benachteiligungen — wenn auch nur geringe — beim Übergang von Freibeträgen zum Kindergeld in Kauf zu nehmen. Hat die Familie drei Kinder, beginnt die Verschlechterung schon bei weniger als 40 % Spitzensteuersatz; hat die Familie vier oder fünf Kinder, gar 'bei einem Steuersatz von 38 %.Wenn man dabei nur die Steuerlast im Auge hat, mag das noch hingehen. Aber gerade diese Familien werden durch die für ihre Einkommenshöhe auslaufenden Vergünstigungen anderer Gesetze, etwa des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, besonders hart getroffen, so daß viele Familien durch die gesetzlichen Unterhalts- und Ausbildungsverpflichtungen gegenüber ihren Kindern deklassiert sind.
Schon für durchschnittliche Einkommen von Facharbeiten müssen durch den Fortfall vieler sozialer Vergünstigungen Unterhaltsverpflichtete Spitzenabgabesätze von 60 %, ja 70 % oder mehr hinnehmen.Wir alle stimmen darin überein, daß es auf absehbare Zeit nicht möglich ist, dem ersten und zweiten Kind das gleiche Kindergeld zukommen zu lassen wie dem dritten Kind und den weiteren Kindern. Obwohl das erste Kind die meisten Kosten verursacht, müssen wir bei den gegebenen Finanzierungsmöglichkeiten des Staates den Eltern für ihr erstes Kind den größten Kostenbeitrag zumuten. Ähnliches gilt für das zweite Kind. Haben Eltern nun drei oder mehr Kinder, wird ihnen die Sonderbelastung, die sie bei ihrem ersten und zweiten Kind schon einmal getragen haben, für jedes der folgenden Kinder gleich noch einmal auferlegt. Jedes dritte oder weitere Kind wird nach der heutigen Regelung schließlich einmal zweites und dann erstes Kind. Sind das erstgeborene Kind einer Familie und ein drittes oder weiteres Kind altersmäßig weit auseinander, so ist das durchschnittliche Kindergeld für das dritte oder weitere Kind wesentlich niedriger als die 120 DM monatlich. Wäre Familien mit drei und mehr Kindern nicht wirksam geholfen, wenn ein Kind, das als drittes Kind einmal das Kindergeld für ein drittes Kind erhalten hat, das auch während seines ganzen Lebens behielte?
Einen Augenblick! Meine Damen und Herren, ich bitte Sie freundlichst, Platz zu nehmen. Es kann sich nur noch um wenige Minuten handeln, bis wir zur Abstimmung kommen.
Es ist unbillig, Eltern, die ein drittes oder weiteres Kind unterhalten, unter Umständen für lange Jahre denen gleichzustellen, die nur für ein Kind zu sorgen haben. Weitere Überlegungen sind bei der Beratung dieses Gesetzes unberücksichtigt geblieben.Einer Familie, die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG bezieht, kann man durch ein noch so hohes Kindergeld nicht helfen. Eine Erhöhung des Kindergeldes kommt nicht dem Empfänger der Sozialhilfe zugute, sondern der Kommunalkasse des örtlichen Trägers der Sozialhilfe. Wenn das Kindergeld nicht in Abstimmung mit dem Bundessozialhilfegesetz wenigstens in einer Stufe nach dem Alter gestaffelt wird, wachsen viele kinderreiche Familien mit durchschnittlichem Einkommen in die Sozialhilfe hinein. Kreise mit niedrigem Durchschnittseinkommen und überdurchschnittlich hoher Geburtenrate der Bevölkerung zahlen bereits heute mit funktionierender Sozialberatung mehr Sozialhilfe aus als anderenorts ganze Regierungsbezirke. Die Orientierung des Kindergeldes an den Normkosten für den Unterhalt eines Kindes hat also auch eine zeitliche Komponente.Auch eine Verknüpfung mit dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erscheint notwendig. Kindergeld und Ausbildungsförderung nach dem BAFÖG werden für den Lebensunterhalt gezahlt. Wenn der Bedarf nach dem BAFÖG realistisch, d. h. kostendeckend wäre, wäre meines Erachtens nichts gegen die Anrechnung des Kindergeldes auf den Bedarf einzuwenden.Auch an dieser Stelle sei noch einmal erwähnt, daß es Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes widerspricht, wenn nach dem Einkommensteuergesetz etwa die Ausgaben zur Förderung wissenschaftlicher oder staatspolitischer Zwecke und der Entwicklungshilfe bis zu 10 % der Summe der Einkünfte von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden können, Ausgaben für die Ausbildung eines ersten und einzigen Kindes an einer Hochschule am Wohnort der Eltern, die bis zur Höhe von 360 DM eingeklagt werden können, aber vom Staat nach der nun kommenden Reform mit 50 DM im Monat abgegolten werden; und das nicht bei Großverdienern, sondern bei Durchschnittseinkommen. Wenn jemand 1200 DM netto hat und das einzige Kind an einer Hochschule am Ort studiert, nimmt ihm der Staat von jedem Hundertmarkschein, den er brutto mehr verdient, etwa 40 DM an Steuern und Sozialabgaben. Von den verbleibenden 60 DM werden ihm weitere 33 DM auf die Leistungen nach dem BAFÖG angerechnet. Es verbleiben ihm 27 DM von der Lohnhöhe. Man könnte als Unterhaltsverpflichteter für eine Familie mit studierenden Kindern schon das Bundesverfassungsgericht beschäftigen.Ein weiter Weg für eine gerechtere Ausgestaltung des Kindergeldgesetzes ist noch zurückzulegen. Die Zusage von Herrn Hauck, daß in Zukunft auf die704nMetadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
KösterSPD-Fraktion Verlaß sei, stimmt uns nach langen Erfahrungen nur gedämpft optimistisch.Zu Beginn dieser Entwicklung stimmen wir jedenfalls diesem Kindergeldgesetz zu. Im Namen der CDU/CSU-Fraktion beantrage ich namentliche Abstimmung über dieses Gesetz.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Glocke des Präsidenten hat, wenn ich das recht sehe, zuletzt weder das Ohr des Redners noch das des Hauses erreicht. — Es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir können somit in die Abstimmungen eintreten, und zwar zunächst in die der zweiten Beratung.Ich rufe Art. 1 des Gesetzentwurfs unter Punkt 2 a der Tagesordnung auf. Hier ist von der Fraktion der CDU/CSU eine namentliche Abstimmung zu den Nummern 1 bis 9 des Entwurfs in der Fassung der Drucksache 7/2163 beantragt worden.Ich eröffne die namentliche Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit dem Einsammeln der Stimmkarten zu beginnen. — Meine Damen und Herren, ich bin aus dem Hause noch einmal gefragt worden, ob es sich um die Abstimmung über den Änderungsantrag der CDU/CSU oder um die Abstimmung über die Ausschußvorlage handelt. Ich wiederhole: es geht um die Nummern 1 bis 9 der Ausschußvorlage; über diese wird jetzt abgestimmt.Meine Damen und Herren, nach übereinstimmender Auffassung der Damen und Herren Schriftführer ist eine Mehrheit für den Antrag, über den wir soeben namentlich abgestimmt haben, gesichert, so daß ich in der Verhandlung fortfahren werde. Ich nehme an, daß dagegen keine Bedenken bestehen.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/2187 auf, in Art. 1 als Nr. 9 a hinter § 10 einen § 10 a einzufügen. Ich frage, ob dazu das Wort gewünscht wird. — Das Wort wird nicht begehrt.Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Ich rufe auf Art. 1 Nr. 10 bis Nr. 18, Art. 2, Art. 3, Einleitung und Überschrift. Wer diesen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Das ist einstimmig so beschlossen.Ich schlage vor, daß wir in die dritte Beratung erst eintreten, wenn das endgültige Abstimmungsergebnis vorliegt.Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir nunmehr zunächst zur Abstimmung in der zweiten Beratung über den Entwurf eines Dritten Steuerreformgesetzes — Punkt 2 b der Tagesordnung — kommen. Ich kehre dann wieder zuPunkt 2 a zurück. Das ist ein im Hinblick auf den Zeitablauf vertretbares Verfahren.Ich rufe auf Art. 1, 3, 4, 5, 6, 7 8, Einleitung und Überschrift. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Das ist so beschlossen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.Ich warte jetzt auf das Ergebnis der namentlichen Abstimmung.Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Insgesamt sind 430 Stimmen abgegeben worden, dazu 18 Stimmen von Berliner Abgeordneten. Mit Ja haben 426 stimmberechtigte Mitglieder des Hauses gestimmt, zwei Abgeordnete haben mit Nein gestimmt, zwei haben sich enthalten. Sämtliche 18 Berliner Abgeordnete haben mit Ja gestimmt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 430 und 18 Berliner Abgeordnete; davonja: 426 und 18 Berliner Abgeordnete, nein: 2 Abgeordnete,enthalten: 2 Abgeordnete.JaSPDAdams Ahlers Dr. AhrensAmling Anbuhl Dr. ApelArendt Dr. Arndt (Hamburg) AugsteinBaack Bäuerle Barche BahrDr. BardensBecker Dr. Beermann BehrendtBerkhan BiermannBlankDr. Böhme BörnerFrau von Bothmer Brandt BredlBrück BuchstallerBüchler
Büchner
Dr. von Bülow BuschfortDr. BußmannCollet Conradi CoppikFrau Däubler-Gmelin Dr. von Dohnanyi DürrEckerlandDr. EhmkeDr. EhrenbergFrau Eilers
Dr. Enders Engholm Dr. Eppler EstersEwenDr. FarthmannFellermaier FiebigDr. Fischer Frau Dr. FockeFranke
Frehsee Friedrich GanselGeigerGerstl
Gertzen Glombig Dr. Glotz Gnädinger Grobecker GrunenbergDr. Haack HaarHaase
Haase HaehserHalfmeier Hansen HauckDr. Hauff HenkeHeroldHöhmann Hofmann Dr. Holtz HornFrau HuberHuonker ImmerJahn
Jaschke
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 7041
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenJaunich Dr. Jens Junghans Junker KaffkaKahn-AckermannKaterKernKoblitz Konrad KratzDr. KreutzmannKrockert Kulawig Lambinus LangeLattmannDr. Lauritzen LautenschlagerLempLenders Liedtke Löbbert LutzMahne MarquardtMarschallMatthöferDr. Meinecke Meinicke (Oberhausen) MetzgerMöhringDr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller
Müller
Müller
Müller
Dr. Müller-EmmertNagelDr.-Ing. OettingOffergeldFrau Dr. OrthFreiherrOstman von der Leye PawelczykPeiterDr. PennerPensky Polkehn Porzner Rapp
Rappe
Ravens Reiser Frau RengerReuschenbachFrau Dr. Riedel-Martiny RohdeRosenthalSander SaxowskiDr. SchachtschabelSchäfer
Dr. Schäfer SchefflerScheuSchinzel SchirmerSchlaga SchluckebierDr. Schmidt Schmidt (Hamburg) Schmidt (München) Schmidt (Niederselters) Schmidt (Wattenscheid) Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeDr. Schöfberger SchonhofenSchreiberSchulte
SchwabeDr. SchweitzerDr. SchwenckeDr. Schwenk SeefeldSeibert SimonSimpfendörferDr. SlottaDr. SperlingSpilleckeStaak Stahl (Kempen)Dr. StienenSuckSundFrau Dr. TimmTönjes UrbaniakVahlbergVitVogelsangWalkhoffWaltematheWaltherDr. Weber WehnerWende WendtDr. WernitzWestphalDr. WichertWiefel Wienand Wilhelm WischnewskiDr. de With Wittmann WolfWolfram Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch ZeitlerBerliner AbgeordneteBühlingDr. DübberEgertFrau Grützmann HeyenLöffler Mattick Frau Schlei SchwedlerSieglerschmidt WurcheCDU/CSUDr. Abelein Dr. AignerAlberDr. Althammer Dr. Artzinger BaierDr. BarzelDr. Becher Dr. Becker (Mönchengladbach) Frau BenedixBenzBergerBewerungeBiechele Biehle Dr. Blümvon BockelbergBöhm
Braun Bremer Bremm Burger Carstens
Dr. Carstens
Dr. CzajaDamm Dreyer EigenEilers ErnestiEyDr. EyrichFreiherr von FircksFranke
Dr. FranzDr. FrerichsDr. FrühDr. FuchsGeisenhoferGerlach GierensteinDr. GölterDr. GötzDr. GruhlHaase
Dr. HäfeleHärzschelDr. HammansHandlos von HasselHauser Hauser (Krefeld)Dr. Hauser
Dr. HeckHöcherl HöslDr. HornhuesHorstmeierHussing Dr. JaegerDr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJosten Katzer Dr. KempflerKiechleDr. Klein
Dr. Klein
Dr. KliesingDr. Köhler
Dr. Köhler KösterKrampeDr. KraskeDr. KreileKroll-SchlüterFreiherrvon Kühlmann-Stumm Dr. Kunz LampersbachLeicht LemmrichDr. Lenz LenzerLinkLöher Dr. LudaLücker Dr. MarxMemmelDr. MendeDr. Mertes MickDr. MikatDr. MiltnerMilzMöller
Müller
Dr. Müller-HermannMursch
Dr. NarjesFrau Dr. NeumeisterNiegel NordlohneDr.-Ing. OldenstädtOrgaß Frau PackPfeffermannPfeifer Picard Pieroth PohlmannDr. ProbstRainer RaweReddemannFrau Dr. Riede Dr. Riedl (München)Dr. RitgenDr. Ritz Röhner RollmannRommerskirchenRoser Russe Sauer
Sauter
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Dr. SchäubleSchedlFrau Schleicher SchmidhuberSchmitt
Schmitz
Dr. SchneiderFrau Schroeder Dr. Schröder (Düsseldorf) Schröder (Wilhelminenhof) Schulte (Schwäbisch Gmünd) Dr. Schulze-VorbergDr. SchwörerSeiters SickSolkeDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerSprangerSpringorumDr. SprungDr. Stark
Dr. Starke
Dr. StavenhagenFrau StommelStrauß StücklenSusset Thürk Dr. TodenhöferFrau TüblerDr. UnlandVeharFrau VerhülsdonkVogel
Vogt VolmerDr. WaffenschmidtDr. h. c. Wagner Dr. Wagner (Trier)Dr. WaigelFrau Dr. WalzDr. WarnkeWawrzikWeber
Dr. Freiherr von Weizsäcker Frau Dr. Wex
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7042 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenWissebachDr. Wittmann Dr. WörnerFrau Dr. WolfBaron von WrangelDr. Wulff Dr. Zeitel ZeyerZieglerDr. ZimmermannZinkZoglmannBerliner AbgeordneteAmrehnFrau Berger Kunz (Berlin)Müller
Frau PieserStraßmeirFDPDr. AchenbachDr. BögerErtlFrau FunckeGallusGeldnerGrünerHoffieJung Kirst KleinertKrallLogemannFrau LüdemannDr. Dr. h. c. Maihofer Mertes MischnickMöllemann MoerschOlleschOpitzRonneburger Schmidt von Schoeler SpitzmüllerDr. VohrerWurbsZywietzBerliner Abgeordnete HoppeNein FDPGraaffDr. Graf LambsdorffEnthaltungen CDU/CSUFrau Hürland Schröder
Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache 7/2163 in zweiter Beratung fast einmütig angenommen worden.Wir treten nunmehr in diedritte Beratungein. Das Wort wird nicht begehrt. Ich stelle die Schlußabstimmung zurück, bis wir über den Ausschußantrag nachher abgestimmt haben.Nunmehr rufe ich den Entwurf auf Drucksache 7/2164 zurdritten Beratungauf. Auch hier stelle ich entsprechend der Bekanntgabe bezüglich des Abstimmungsmodus von heute vormittag die Schlußabstimmung zurück.Wortmeldungen liegen insgesamt in der dritten Beratung von der Schlußabstimmung nicht vor.Wir kommen zur Abstimmung über Ziffer 1 des Antrages des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit auf der Drucksache 7/2163 und über Ziffer 1 des Antrages des Finanzausschusses auf Drucksache 7/2164. In beiden Fällen wird beantragt, Art. 1 des Gesetzentwurfs zur Vereinheitlichung des Familienlastenausgleichs als Art. 2 in den Gesetzentwurf zur Reform der Einkommensteuer, des Familienlastenausgleichs und der Sparförderung einzufügen. Außerdem beantragt der Finanzausschuß, die sich daraus ergebenden notwendigen Anpassungen vorzunehmen. Ich frage, ob dazu 'das Wort begehrt wird? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Franke .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Koalition versucht hier mit einem Trick, von ihrem im Grunde genommen schwachen Steuerreformpaket abzulenken.
Darum greift sie hier zu ,der sogenannten Technik des Artikel-Gesetzes. Für den uneingeweihten Bürger draußen ist das schwer verständlich. Wir haben Ihnen soeben hier demonstriert, daß wir selbstverständlich für die Verbesserung der Kindergeldsituation sind, aber Ihren schwachen Leistungen in dem Steuerreformpaket selbstverständlich nicht unsere Zustimmung geben können.
Sie gehen leichtfertig mit dem Wort „Reform" um, meine Damen und Herren. Ich erinnere mich noch sehr gut, daß in der Regierungserklärung von 1969 und in der Regierungserklärung von 1972 z. B. die Frage der breiten Vermögensbildung, der Beteiligung breiter Schichten am Produktivkapital als d i e Reform neben der Steuerreform bezeichnet worden ist. In der Regierungserklärung des jetzt neuen Kanzlers steht von der breiten Vermögensbildung und der Beteiligung breiter Schichten am Produktivkapital nicht, daß das in dieser Legislaturperiode stattfindet, sondern: erst 1978. Auch das bezeichnen Sie als eine Reform. Genau das Gegenteil von dem, was Sie 1969 und 1972 hier gewollt haben, bezeichnen Sie heute ebenfalls als eine Reform.
Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang ein paar Sätze zitieren, die ein sehr sachverständiger Mann zur Frage der Steuerreform gesagt hat, nämlich der Herr Fredersdorf, der ja Mitglied Ihrer Partei ist. Der hat in der „Frankfurter Rundschau" — man beachte den Platz! — unter der Überschrift „Etikettenschwindel" zur Frage der Steuerreform gesagt, daß das im Grunde genommen ein ganz großer Schwindel sei. Sie versuchen jetzt mit der Einführung des Art. 2 — des ehemaligen Art. 1 — in dieses Steuerreformpaket die CDU/CSU in eine Ecke zu drücken. Das gelingt Ihnen nicht, meine Damen und Herren.
Hier ist bekannt, auch beim Bürger draußen, daß unser Inflationsentlastungsgesetz und unsere Zustimmung zum Familienlastenausgleich das seriöse Vorhaben zur Verbesserung der sozialen Lage unserer Bürger draußen sind.
Herr Kollege Fredersdorf — ich darf hier ganz kurz zitieren;
ich sage „Kollege Fredersdorf", es ist ein Gewerkschaftskollege — —
Meine Damen und Herren, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Platz nähmen, damit die Verhandlungen weiter abgewickelt werden können.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 7043
Es bleibt Ihnen auch im Stehen nicht erspart, mich noch einmal anzuhören, meine Damen und Herern von der linken Seite. — Da sagt der Herr Kollege Fredersdorf, mein Gewerkschaftskollege Fredersdorf, Mitglied der SPD — aber sehr sachverständig! —,
meine Damen und Herren:
Bei diesem Entlastungseffekt geht es nur darum, die durch die inflationäre Entwicklung überproportional gewachsene Steuerbelastung teilweise rückgängig zu machen. Der ursprüngliche Zweck der Steuerreform aber war, eine Belastungsverschiebung in Höhe von vier bis fünf Milliarden DM zugunsten der sozial Schwachen zu erreichen. Dies kann nicht erreicht werden; es wird lediglich die weiter überproportional zunehmende Belastung auch der Verdiener abgebremst, .. .
Ich habe dem, was der Herr Fredersdorf, Mitglied der SPD und Vorsitzender des Steuerbeamtenbundes, hier zu sagen gehabt hat, nichts hinzuzufügen. Wir werden in der Schlußabstimmung nein zu Ihrer Steuerreform sagen, nachdem wir ja zum Familienlastenausgleichsgesetz gesagt haben, und wir lassen uns auch durch Ihren Trick nicht irritieren.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Huber.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es geht hier nicht um die polemische Frage, was eine Reform ist und was nicht.
Es geht um den Sachzusammenhang zwischen der Steuerreform und der neuen Kindergeldregelung.
Verehrter Herr Kollege von der Opposition, Sie hätten gerade Herrn Fredersdorf nicht zitieren dürfen, denn er war es, der in unserer Anhörung gesagt hat, der Kinderlastenausgleich solle über die Finanzverwaltung abgewickelt werden. Und dies bedeutet ja sicherlich die Einheit von Steuerreform und Kinderlastenausgleich.
— Herr Kollege Wagner, der Sachzusammenhang kann in drei Sätzen erläutert werden. Der Kinderlastenausgleich ist mit der Steuerreform-Drucksache vorgelegt worden. Er hat einen inneren Finanzierungszusammenhang mit der Steuerreform, und er ist nur zusammen mit dieser als Strukturreform erkennbar.
Wenn wir, was der Herr Bundeskanzler heute sehr ausführlich dargelegt hat, aus technischen Gründen dem Bundesrat darin zugestimmt haben, daß die Abwicklung über die Arbeitsverwaltung die Auszahlung zum 1. Januar 1975 am besten sicherstellt, so bedeutet dies überhaupt nicht, daß hier eine Loslösung des Kinderlastenausgleichs von der Steuerreform stattfindet.
— Ja, der Trick ist ein ganz anderer, und den kennen wir auch!
Aber wir möchten hier betonen, daß dies für uns ein Kernstück dieser Steuerreform ist. Und ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit als der federführende Ausschuß diesen Antrag hier — und zwar zunächst, denken Sie einmal, einstimmig — gestellt hat.
— Zunächst einstimmig! Das haben Sie erst im nachhinein korrigiert. Warum, das müssen Sie mit sich selbst ausmachen.
Wir sind der Auffassung, daß die ursprüngliche Einheit der Drucksache jetzt dadurch hergestellt wird, daß dies hier als Art. 2 eingefügt wird. Davon lassen wir uns nicht abbringen. Wir glauben, daß dies keine materielle Änderung ist, denn der Kinderlastenausgleich wird ja so verwirklicht, wie ihn der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit beschlossen hat. Wenn Sie dagegen sind, kann dies keine materielle Begründung haben. Wir sind jedenfalls für die Einfügung als Art. 2.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Meine Damen und Herren, wer den Anträgen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Die Gegenprobe! —
Stimmenthaltungen? — Die Anträge sind angenommen.
Nach der Annahme der Ausschußanträge ist der Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung des Familienlastenausgleichs nunmehr als Art. 2 mit der Überschrift „Bundeskindergeldgesetz" in das Einkommensteuerreformgesetz übernommen. Aus diesem Grunde entfällt die Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf zum Familienlastenausgleich auf Drucksache 7/2163.Bevor wir zur Schlußabstimmung über das Gesetz zur Reform der Einkommensteuer, des Familien-
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7044 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausenlastenausgleichs und der Sparförderung kommen,gebe ich dem Herrn Abgeordneten Strauß das Wort.
— Meine Damen und Herren, wiir sind bereits in der dritten Lesung. Vor der Schlußabstimmung muß die letzte Aussprache stattfinden. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Soweit ich von der Gewerkschaft der Parlamentarischen Geschäftsführer rich' tig informiert bin, soll es sich darum handeln, daß im Zusammenhang mit der dritten Lesung noch zwei Redner vorgesehen sind, für die Fraktion der CDU/CSU, für die Opposition, ich und anschließend der Herr Bundesminister der Finanzen. Das ist jedenfalls mein vorläufiger Wissensstand.
Herr Kollege Strauß, Ihr Wissen ist absolut auf dem letzten Stand.
Ich freue mich, der präsidentiell-oberhirtlichen Zustimmung nunmehr amtlich versichert zu sein.
Was wir heute hier erleben, ist die etwas — —
Was wir heute hier erleben, ist die — —
— Ich weiß, daß die lange Dauer der Sitzung bei Ihnen vielleicht zu gewissen Beeinträchtigungen geführt hat; bei mir dürfen Sie das aber nicht voraussetzen.
Was wir heute hier erleben, ist nichts anders als die traurige Endstation des Unternehmens Jahrhundertwerk. Wer die Aufgabe der, wie es einmal hieß, großen Steuerreform ernst nimmt, und wer sie als das säkulare Reformwerk bezeichnet hat, kann auch in Ihren Reihen, nämlich in den Reihen der Regierungsparteien, nicht über das beglückt sein, was hier zum Schluß herausgekommen ist.
Ich entnehme folgendes Zitat der „Wirtschaftswoche", einem Wirtschaftsorgan, das ja nicht gerade im Dienste der Oppositionsparteien steht. Dort heißt es: Was hier herausgekommen ist aus dem Jahrhundertwerk, ist ein schwindsüchtiger Wechselbalg geworden.Die Entstehungsgeschichte dieser Fehlentwicklung hat heute morgen Kollege Höcherl anschaulich geschildert. Ich brauche dem nichts hinzuzufügen.
Man sollte aber im Zusammenhang mit dem, was (I heute verabschiedet wird, nicht von der großen Steuerreform reden, weil das nichts anderes wäre als eine Etikettenmogelei. Das hat doch mit großer Steuerreform nichts mehr zu tun!
Die Bundesregierung und die Koalition haben die gestellte politische Aufgabe nicht erfüllt. Das Einkommensteuergesetz in der heute geltenden Fassung ist in seiner Grundstruktur im Jahre 1934 umfassend neu gestaltet worden. Es wäre an der Zeit gewesen, dieses Gesetz — wie viele andere Steuergesetze — von Grund auf zu überprüfen und neu zu kodifizieren.
Darum habe ich als Finanzminister der Großen Koalition im Jahre 1968 eine Steuerreformkommission mit dem Auftrag eingesetzt, ein Gutachten zur Vorbereitung einer umfassenden Steuerreform auszuarbeiten, „die sowohl die direkten wie die indirekten Steuern wie die Prämiengesetze umfaßt". Dieser Auftrag ist von der Steuerreformkommission, wenn auch mit einer gewissen zeitlichen Verspätung, erfüllt worden. Was aber aus diesem Auftrag in dem pannenreichen Unternehmen der verschiedenen Regierungen seit dem Jahre 1969 herausgekommen ist, hat mit dem Begriff Steuerreform im echten Sinn des Wortes nichts mehr gemeinsam.
Ich möchte es mir angesichts der fortgeschrittenen Zeit versagen, von den wechselnden Figuren — —
— Ich meine, Sie können am späten Abend alles werden, nur nicht unbedingt läppisch.
Ich möchte es mir angesichts der fortgeschrittenen Zeit versagen, von den verschiedenen Figuren, die als Minister, als Parlamentarische Staatssekretäre, beamtete Staatssekretäre, Sonderstaatssekretäre an diesem Unternehmen gearbeitet haben und bei denen ja Berge gekreißt haben, damit kaum ein Mäuslein an Reform herausgekommen ist, im einzelnen zu sprechen. Aber was ursprünglich Steuerreform sein sollte, das ist bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt worden und ist bis zur Zusammenhanglosigkeit in einzelne Kleinpakete zerlegt worden.Heute sagte der Herr Bundeskanzler, die ihrer Fürsorgepflicht für das Parlament — wenn ich ihn richtig interpretieren darf — so bewußte Bundesregierung wollte den armen Finanzausschuß nicht überlasten und habe deshalb von ihm nicht verlangt, dieses ganze Werk an einem Tage zu verabschieden.
Wer hat denn jemals davon gesprochen, daß das ganze Werk an einem Tage verabschiedet werden sollte? Es sollte aber ein in sich zusammengehöriges Werk bleiben, dessen einzelne Bestandteile aufein-
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Straußander abgestimmt werden. Das ist aufgegeben worden.
Damit ist der eigentliche Sinn der Steuerreform verfehlt worden. Leider ist in der ganzen Debatte kein Wort gesagt worden über den Zusammenhang zwischen den direkten Steuern und den indirekten Steuern und ihre Bedeutung einmal für den Begriff der Steuergerechtigkeit, dann auch hinsichtlich ihrer volkswirtschaftlichen Auswirkung und nicht zuletzt im Hinblick auf ein Thema, das ja hoffentlich auch in Paris vor einigen Tagen besprochen worden ist, nämlich inwieweit diese Steuerreform als ein Bestandteil oder als ein Meilenstein auf dem Wege zu einer europäischen Steuerharmonisierung ausgelegt werden kann.
Alle drei Dinge sind doch aufgegeben worden.Im übrigen stehen wir ja wenige Tage vor einer Landtagswahl, einer, wie alle Beteiligten glauben, sehr bedeutenden Landtagswahl. Aber gerade das ruft doch etwas beklemmende Erinnerungen hervor; denn daß wir uns in dieser Woche zu einer Sondersitzung zusammenfinden, die ursprünglich nicht vorgesehen war,
hängt doch damit zusammen, daß man in etwas abgeänderter Form etwas Ähnliches wiederholt, wie es sich vor vier Jahren abgespielt hat.
Sie wissen doch noch, daß man damals mit derselben — und ich sage hier einmal das harte Wort — Demagogie, mit der man heute versucht, uns in Gegensatz zum Familienlastenausgleich zu bringen,
die Steuersenkungen der Regierungserklärung 1969 und unser Nein dazu — ebenfalls in demagogischer Weise — für die damaligen drei Landtagswahlen hat mobilisieren wollen und zu mobilisieren verstanden hat. Darum sagen wir es auch heute.
Wir waren im Herbst 1969 gegen die damaligen Zusagen der Regierung Brandt auf baldige Steuersenkungen zum 1. Januar 1970. Heute sprechen Sie nicht mehr von der Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages; der Wegfall der Ergänzungsabgabe, der damals in Aussicht gestellt wurde, ist fallengelassen worden. Und nun erkläret mir, Graf Oerindur, diesen Zwiespalt der Natur: Was damals die Regierung Brandt/Scheel, auch mit Ihnen, Herr Ehmke, als Minister, versprochen hat, das wird doch heute als Begünstigung kapitalistischer Profitsucht ausgelegt, nämlich der Wegfall der Ergänzungsabgabe.
Das haben Sie doch damals in Ihre Regierungserklärung aufgenommen. Die Verdoppelung des Arbeitnehmerfreibetrages war das Freibier für die Arbeiter und der Wegfall der Ergänzungsabgabe dasLikörchen in Ehrchen, das die FDP serviert bekam, damit es in der Regierungserklärung dann zu einem ausgewogenen Paket kam. Aber wo blieb denn die Steuersenkung des Jahres 1969?Wir waren dagegen. Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht.
Ich habe damals von dieser Stelle aus dagegen gesprochen. Ich habe in allen Wahlkämpfen, was wahrlich keine populäre Aufgabe war, dagegen gesprochen. Aber, was haben wir damals erlebt? Zehn Tage vor den drei Landtagswahlen hat der Finanzausschuß mit einer Stimme Mehrheit gegen die Stimmen der CDU/CSU die Steuersenkungen verabschiedet und damals der Öffentlichkeit gegenüber erklärt, man werde sofort nach den drei Landtagswahlen mit Wirkung vom 1. Juli 1970 diese Steuersenkungen in die Wirklichkeit umsetzen. Damals sagte man auch: Die böse CDU/CSU, die gönnt dem Volk die Steuersenkungen nicht. Unsere damaligen konjunkturpolitischen Bedenken hat man in den Wind geschlagen, hat sie im Gegenteil noch als typische obstruktive Gesinnung der CDU/CSU ausgelegt. Wenige Tage, nachdem die drei Landtagswahlen vorbei waren, hat die damalige Regierung — federführend waren damals Finanzminister Möller und Wirtschaftsminister Schiller — an das Parlament das Ansinnen gerichtet, dieselbe Steuersenkungsvorlage fallenzulassen — sie war nie mehr aufgetaucht, bis sie heute wieder in einem anderen Zusammenhang erscheint — mit der Begründung, daß eine Steuersenkung zu dem Zeitpunkt aus konjunkturpolitischen Gründen einfach unerträglich sei. Zehn Tage vor der Wahl hat man Steuersenkungen versprochen, hat sie im Finanzausschuß durchgepeitscht, um sie wenige Tage nach der Wahl wie eine heiße Kartoffel fallenzulassen.
Eine Wiederauflage dieser Methode haben wir doch heute — mutatis mutandis — ebenfalls erlebt. Niemand soll sagen — damit höre ich mit der Vergangenheit auf —, daß in der Zeit zwischen dem 4. und dem 18. Juni grundlegend neue konjunkturpolitische Erkenntnisse aufgetreten seien.Aber was ich hier zum Ausdruck bringen muß, und zwar nicht weil ich es hier pathetisch von mir geben will, sondern weil es einen im Innersten berührt, ist, daß mit der Steuergesetzgebung leichtfertig umgegangen wird, weil sie rein in den Dienst parteipolitischer Zielsetzungen gestellt wird.
Der ganze Sachzusammenhang ist aufgegeben worden. Das einzige gute Gesetz, das bereits bei Übernahme der Regierung durch den damaligen Bundeskanzler Brandt verabschiedungsreif im Finanzministerium vorlag, das in der Zeit meines verehrten Vorgängers Dahlgrün vorbereitet worden war, in meiner Zeit gründlich überlegt und ausgearbeitet und mit den Ländern abgestimmt wurde, war das Gesetz über die Reform der Abgabenordnung. Das Gesetz ist dann von der Regierung Brandt unter dem damaligen Finanzminister — man weiß aus dem Gedächtnis nicht mehr, wer von den vielen
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Straußes überhaupt war — in das Parlament eingeführt worden. Es ist bis heute nicht verabschiedet worden. Mit diesem Gesetz hätte man den Finanzausschuß wirklich nicht überlastet. Statt dessen hat man in hektischer Steueränderungstaktik — heute hü, morgen hott, einmal links, einmal rechts, einmal hin, einmal her, einmal 'rauf, einmal 'runter, einmal 'rein in die Kartoffeln, einmal 'raus aus den Kartoffeln — Steuerpolitik hier in diesem Land gemacht.
Denn gerade das Gesetz über die Reform der Abgabenordnung wäre ein wesentliches Stück Rechtssicherheit für den Steuerbürger geworden. Gerade eine Regierung, die mehr Demokratie, mehr Mündigkeit für den Bürger, mehr Mitwirkungsrecht verspricht,
hätte die Aufgabe gehabt, das wesentlichste Gesetz, ein Grundgesetz der Finanzverfassung, nämlich die Abgabenordnung, mit Vorrang auszustatten, statt in jährlich wechselnden Steueränderungsgesetzen jeweiligen parteipolitischen Zielen und ihrer propagandistischen Ausnutzung den Vorrang zu geben.
Ich bedaure, daß der Sachzusammenhang aufgegeben worden ist. Da ist isoliert das Grundsteuerrecht geändert worden. Dann kamen das Vermögensteuer- und das Erbschaftsteuerrecht dran. Das ist auch ein pannenreiches Unternehmen, bei dem wir dann mühsam im Zuge der Gesetzgebung gewisse Verbesserungen anbringen konnten. Man hat davon im weiteren Gang wieder die Reform des Einkommensteuerrechts, des Körperschaftsteuerrechts, des Prämienrechts, des Familienlastenausgleichs und der Sparförderung abgetrennt. Auch diese Gesetze sind dann wieder zerlegt worden. An sich gehörte zur Reform des Einkommensteuerrechts auch die Reform des Körperschaftsteuerrechts. Wer die Reform des Einkommensteuerrechts betreibt, aber die Reform des Körperschaftsteuerrechts in den Hintergrund treten läßt, tut es auch deshalb, weil er ein schlechtes Gewissen hat, da man die Pläne über Vermögensbildung nicht von der allgemeinen steuerlichen Belastung abtrennen kann.Es ist einfach unerträglich, wenn der damalige Bundesfinanzminister und heutige Bundeskanzler mit der ihm eigenen Überheblichkeit damals sagte, es sei unerhört, zu behaupten, daß die Einführung der Vermögensbildung eine steuerliche Mehrbelastung bedeute; das sei doch nur eine Ausgabe von Beteiligungspapieren. Ja, er würde doch in jedem betriebswirtschaftlichen Seminar am Ende des ersten Semesters durchfallen, wenn er solche Behauptungen aufstellen würde.
Das Geld muß doch zuerst verdient sein, und dann muß es versteuert sein, bevor man es in Form von Beteiligungspapieren ausgeben kann!Mehrbelastung durch Grundsteuer, Mehrbelastung durch Vermögensteuer, auch im Hinblick auf die kommenden Pläne hinsichtlich der Anpassung der Einheitswerte plus jetziger Spitzensteuersatz plus die ergebenden Mehrbelastungen, die infolge der nicht mehr gegebenen Abzugsfähigkeit von der Bemessensgrundlage entstehen, und die zukünftigen Pläne zur Vermögensbildung, — das alles bildet doch ein in sich zusammengehöriges Ganzes! Wer das aufgibt, der soll endlich den Mut haben, nicht mehr das Wort „Steuerreform" in den Mund zu nehmen. Er lügt damit die Offentlichkeit an.
Wenn man Steuergesetze nach ihren grundsätzlichen Kriterien beurteilt, dann sind es vier Kriterien.
— Sie können froh sein, daß wir heute nur noch eine begrenzte Redemöglichkeit haben, sonst würde ich Ihnen noch einiges zu dem sagen, was hier geboten worden ist. — Wenn man die Steuergesetze grundsätzlich beurteilt, dann geht es doch einmal um die Frage der sozialen Gerechtigkeit, dann um die Frage, daß ein Steuerrecht der Leistungsfähigkeit entsprechen muß, dann darum, daß es einen hohen wirtschaftlichen Nutzeffekt haben soll, und daß es möglichst geringe Erhebungskosten verursachen soll.
— Die habe ich schon gehabt, als Sie wahrscheinlich noch gar nicht auf der Welt waren.
Denn wenn Sie nicht wissen, was die grundlegenden Kriterien eines modernen Steuerrechts sind, dann sollten Sie den Wähler davon befreien, Sie ins Parlament zu schicken, weil Sie dann fehl am Platze sind.
Dann liegt auch hier wiederum offensichtlich eine personelle Fehlentscheidung der SPD vor.Wenn man das vorliegende Steueränderungsrecht — mehr ist es ja nicht — unter diesem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit qualifiziert, stellt man fest, daß es sich hier nicht um ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit, sondern um ein Mehr an Erfüllung sozialistischer Gleichmachungsvorstellungen handelt.
Wir wissen ganz genau, wo der Kreis der Entlastung ist, aber die 12 Milliarden DM, die Sie hier ausgeben, erreichen bei weitem nicht den höchsten Nutzeffekt, den man mit 12 Milliarden DM erreichen kann. Darum waren wir für eine andere Behandlung der Materie.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 7047
StraußWas das zweite Kriterium angeht, daß das Steuerrecht der Leistungsfähigkeit entsprechen soll, so ist dieser Grundsatz hier gröblich verletzt worden. Was hier als Steuerrecht bei anhaltender Inflation eingeführt werden soll, ist ein gestaffelter Bußgeldkatalog für höhere Leistungen. Was hier eingeführt wird, ist eine mit höherer Leistung entsprechend höher gestaffelte Buße. Das hat mit Leistungsgerechtigkeit überhaupt nichts zu tun
und hat auch nichts zu tun mit größtem wirtschaftlichen Nutzeffekt, wie es auch heute wieder vom Bundeskanzler behauptet worden ist.Wenn ich dann noch rede von den geringsten Erhebungskosten, dann soll man lieber den Mantel der Nächstenliebe über dieses Unternehmen breiten, denn noch nie sind die Finanzämter mit soviel Kleinigkeiten in so sinnlosen Prozeduren so lange Zeit zum Schaden des Staates, aber auch der Steuerzahler beschäftigt und belästigt worden, wie es hier mit dem fast regelmäßig kurzfristig wechselndem Steuerrecht dieser Regierungen seit 1969 der Fall gewesen ist. Hier ist Herr Fredersdorf, den Sie jetzt gegen uns mobilisiert haben, hoffentlich auch umgekehrt ein brauchbarer oder ein unverdächtiger Zeuge.Heute hat der Bundeskanzler einige Erklärungen abgegeben, die nicht ohne Widerspruch bleiben können.
— Wenn Sie meinen, daß das gut ist, was falsch ist, weil es Ihrer demagogischen Wahlpropaganda in Niedersachsen mit den verlogenen steuerpolitischen Behauptungen dient,
dann ist das genau das, was wir hier meinen: daß man ein so großes und bedeutendes Werk wie die Reform des Einkommensteuerrechtes nicht in den Dienst kurzfristiger wahlpolitischer Zielsetzungen stellen darf.
Das ist doch das Unerhörte an diesem Vorgang.Wir hätten es uns doch — nehmen Sie das bitte ernst — im Jahre 1969 auch leichter machen können.
Wir hätten es uns damals in den Jahren 1969/70 auch leichter machen können. Es war doch nicht unsere Aufgabe, der Bundesregierung, die Steuersenkungen versprochen hatte,
damals durch unser Nein zu Steuersenkungen etwa das Handwerk zu erleichtern! Als Opposition hätten wir damals unsere Aufgabe anders verstehen können.
Aber ich bin niemals — Gott sei Dank hat niemand von meiner Fraktion, als ich Finanzminister war, jemals etwas anderes verlangt — von dieser Leichtfertigkeit, von dieser Oberflächlichkeit, von dieser Hektik, von dieser rein taktisch orientierten Kurzsichtigkeit erfüllt gewesen, mit der hier Steuerpolitik getrieben wird.
Der Bundeskanzler hat bei seinen Ausführungen ganz simpel zwischen dem proportional mit 22 % Besteuerten und den Spitzenverdienern unterschieden, für die angeblich die CDU/CSU eintritt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß, daß die Bitte umsonst ist — ich äußere sie auch nicht deshalb, weil wir uns unserer Haut nicht zu wehren wüßten —: Es sollte jetzt endlich einmal dieses klassenkämpferisch aufgeladene Neidmotiv aus der Steuerdiskussion verschwinden! Es ist dies, was ich mehrmals von dieser Stelle aus gesagt habe, eine große Schuld der Regierungen seit 1969, mit solchen Behauptungen nicht mehr inneren Frieden, sondern mehr gesellschaftliches Reizklima geschaffen zu haben.
Im Sinne der demagogischen Definition ist jeder Steuerzahler mit einem Einkommen über 16 000 DM bzw. 32 000 DM Spitzenverdiener. Damit gehören dann zu einem großen Teil die Facharbeiter, die Aufsteiger, die berufstätigen Ehepaare, alle diejenigen, die durch Leistung, Strebsamkeit und Fleiß höheres Einkommen erwerben — das sind immerhin 40 % der Steuerzahler; dieser Prozentsatz unterliegt nach den Angaben des Herrn Bundeskanzlers künftig der Steuerprogression — zu den „Spitzenverdienern" .Der Bundeskanzler sprach von sozialer Gerechtigkeit durch den Übergang zu einem 22 %-Abzug bei den Vorsorgeaufwendungen. In Wirklichkeit wird hier jedoch ein Zweiklassensteuerrecht geschaffen: eine Aufteilung in die Klasse derjenigen, die alle ihre Vorsorgeaufwendungen mit 22 % abziehen können, weil sie in die Proportionalzone fallen und mit 22 % besteuert werden, und in die Klasse der anderen — 40 % der Steuerzahler —, die ihre Vorsorgeaufwendungen auch die zwangsweise erhobenen Sozialversicherungsbeiträge, je nach individueller Steuerbelastung mehr oder weniger hoch versteuern müssen, weil sie mit ihrem Einkommen in der Steuerprogression liegen. Für diese 40 % ist die Sonderausgabenneuregelung eine effektive Steuererhöhung.Nach den eigenen Angaben der Regierung erbringt die Neuregelung des Sonderausgabenabzugs erhebliche Steuermehreinnahmen, und zwar 1975 bereits 0,75 Milliarden DM, 1976 1,3 Milliarden DM und 1977 1,8 Milliarden DM. Das hat doch mit Steuerreform und steuerlicher Gerechtigkeit nichts zu tun! Steuerliche Gerechtigkeit muß für alle gelten, für untere, mittlere und in gewissem Umfang auch für größere Einkommensbezieher.
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7048 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Strauß— Gerechtigkeit muß für alle in unserem Lande gelten, weil Gerechtigkeit keine Kastenangelegenheit sein kann!
Er ist heute schon bemüht worden, und ich kann es ihm leider nicht ersparen, noch einmal bemüht zu werden — —
— Herr Ehrenberg, es hat aus gewissen Gründen keinen Sinn. Sie wissen, warum.
— Dann erinnern Sie sich an das, was Sie hier von dieser Stelle aus einmal wahrheitswidrig gesagt haben und nicht zurückgenommen haben, trotz meines Briefes an Bundeskanzler Brandt, der sich dann für Sie bei mir entschuldigt hat.
Daran zu zweifeln, daß ich vor Ihnen nicht zurückweiche, dazu wird Sie hoffentlich nicht einmal Ihre Arroganz verleiten.Gerechtigkeit muß hier in diesem Lande für alle gelten. Auf steuerlichem Gebiet gibt es nur objektive Kriterien und nicht diese effektgestauten emotionalen Äußerungen.
— Sie bringen mich damit nicht aus der Ruhe; Sie beweisen damit nur, wes Geistes Kind Sie sind.
Es ist Ihr Fraktionskollege Conrad Ahlers, der in dem bekannten und berühmten Artikel in der „Wirtschaftswoche" geschrieben hat, daß der Neid die Hauptmotivation sozialdemokratischer Steuergesetzgebung ist.
Er hat ferner geschrieben, daß bei Ihnen die Begründung eines jeden finanziellen Vorhabens, das würde ja von Unternehmern bezahlt, die Maxime und Leitlinie und gleichzeitig das Feigenblatt einer jeden Äußerung sei. Das dient bestimmt nicht dem gesellschaftlichen Fortschritt, den Sie anzustreben behaupten und den wir gemeinsam anstreben sollten, aber dann nicht auf der Basis der ständigen Verteufelung soziologischer Minderheiten in unserem Lande.
In dieser Einnahmensteigerung zeigt sich übrigens, daß die neue Abzugsregelung durch die wirtschaftliche Entwicklung selbst überrollt wird. Der Bundeskanzler preist die Anhebung der Vorsorge-Höchstbeträge an. Der Verheiratete mit zwei Kindern z. B. kann heute höchstens 6 800 DM von der Bemessungsgrundlage abziehen, künftig 20 400 DM mit 22 % von der Steuer. Dabei vergißt er aber, daß bisher dieüber Fünfzigjährigen, die heute bereits die doppelten Höchstbeträge in Anspruch nehmen können, im Beispielfall bis zu 11 600 DM abziehen können. Aber der Großteil der angeblich von Ihnen Begünstigten ist ja überhaupt nicht in der Lage, diese Beträge als Altersvorsorge zu sparen und damit die 22 % in Anspruch zu nehmen.
In der Gedrängtheit der Zeit sage ich Ihnen auch, warum er dazu nicht in der Lage ist und was der Hauptunterschied ist. Warum waren wir im Jahre 1969 und in den folgenden Jahren gegen Steuersenkungen? Weil Steuersenkungen eine Vermehrung der Kaufkraft bedeuten und damals die Hauptquelle der Inflation die Kaufkraftsteigerung war, weil zuviel Geld hinter zu wenig Ware war. Das Stadium haben wir dank sozialliberaler Politik natürlich überwunden. Heute ist die Hauptquelle der Inflation kostenbedingt. Heute gibt es das Problem der Dämpfung der Kaufkraftsteigerung der breiten Massen nicht mehr. Dafür haben Sie mit Ihrer Inflationspolitik nachhaltig gesorgt. Heute gilt es, den Kostenfaktor in den Griff zu bekommen,
nicht mehr etwa die Nachfragesteigerung.Sie reden von einem Entlastungsvorgang, von 12 Milliarden DM, von gerechterer Kindergeldregelung. Was ist denn seit dem Jahre 1969 passiert? Allein in einem Jahre 40 Milliarden DM Wertverlust für die Sparer aller Arten, für die Kontensparer, für die Wertpapiersparer. Sie meinten heute, Herr Ehrenberg, daß Sie in höhnischem Ton wegen der Aktiensparer eine Frage stellen könnten. Reden wir doch einmal von den Zehntausenden im Lande, die nicht der Meinung des Herrn Schmidt sind, daß alles gut und in Ordnung sei, die jahrelang nach dem zweiten Weltkrieg zur Aufbesserung ihrer Rente 10 000 DM, 20 000 DM, 30 000 DM gespart und im Vertrauen auf eine solide Politik in Pfandbriefen angelegt haben, Kurs 100, 6 % Verzinsung. Wenn sie die Pfandbriefe im Nennbetrag von 30 000 DM verkaufen wollen, die sie in gutem Geld hingelegt haben, bekommen Sie heute 18 000 DM in wesentlich schlechterem Geld mit 40 % Kaufkraftverlust zurück, haben 6 % Zins, und die Inflationsrate übersteigt den Zins. Den Zins haben sie bisher größtenteils sogar noch versteuern müssen.
— Da brauche ich mir gar nichts ausrechnen zu lassen. Da genügen mir die Hunderte von Zuschriften, die wir von ehrlichen alten Sparern bekommen, die sich heute vom Staat, d. h. von Ihrer Politik betrogen fühlen.
Angetreten sind Sie damals mit Steuersenkungen. Wir waren aus dem bekannten Grunde dagegen. Was ist in der Zwischenzeit erfolgt? Von 20 Milliarden DM anfangend bis 40 Milliarden DM jährlicher Wertverlust. Die Inflationskomponente der Lohnsteuer beträgt im Jahre 1974 rund 30 Milliarden DM.
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StraußIm Jahre 1975 war der Ertrag der Lohnsteuer noch rund 16 Milliarden DM, im Jahre 1974 ist er 74 Milliarden DM. Die Lohnsteuer hat sich fast verviereinhalbfacht, die Umsatzsteuer nur verdoppelt. Das Plus bei der Einkommensteuer beträgt 60 %, bei der Körperschaftsteuer 50 %. Das waren die „sagenhaften Gewinne" der Kapitalgesellschaften. Die Hauptgemolkenen sind die Arbeitnehmer! Bei denen gibt es eine echte Inflationskomponente in der Lohnsteuer. Die beträgt in diesem Jahre allein 30 Milliarden DM.Wie steht es mit Steuererhöhung in der Zwischenzeit? Warum haben Sie denn den Verbund einer Steuerreform, die direkte und indirekte Steuern umfaßt, verloren? Weil Sie die indirekten Steuern so erhöht haben, daß die Verfügungsmasse darüber verlorengegangen ist. Heute versprechen Sie 12 Milliarden DM jährlicher Entlastung. In drei Jahren ist diese jährliche Entlastung bei anhaltender Inflation wieder auf Null gesunken. Aber die jährliche Mehrbelastung allein durch die Erhöhung der Verbrauchssteuer von 7 Milliarden DM bleibt und steigt noch.Dazu kommt die Erhöhung der Gebühren bei Bahn und Post mit 10 Milliarden DM. Ja, Herr Ehmke, traurig! Aber gut für Sie, daß Sie jetzt draußen sind.
Was heißt denn hier, die Unternehmer seien schuld an den Preissteigerungen?! Die Post ist das einzige Unternehmen der Bundesrepublik, das in viereinhalb Jahren seine Preise um 67 % erhöht hat.
Das ist doch die Wirklichkeit: 40 Milliarden DM Substanzverlust im Jahr, 30 Milliarden DM Inflationskomponente des Lohnsteuerertrages, 10 Milliarden DM Erhöhung durch Gebühren und Tarife bei Bahn und bei Post und 7 Milliarden DM Steuererhöhungen; das zählen Sie einmal zusammen. Dem halten Sie 12 Milliarden DM Entlastungen im ersten Jahr, 8 Milliarden DM im zweiten Jahr, 4 Milliarden DM im dritten Jahr und 0 Milliarden DM im vierten Jahr gegenüber, und dann geht es wieder umgekehrt in eine jährliche Inflationsprogression hinein; das ist Ihre Steuerreform. Aus den Gründen — und nur aus diesem Grunde — sagt die Fraktion der CDU/CSU nein zu diesem Werke.
Aber eines darf ich Ihnen am Schluß auch noch sagen. Wenn man unsere Vorschläge, statt überheblich über sie hinwegzugehen, ernst genommen hätte, dann wäre ein teilweiser Inflationsausgleich am 1. Januar 1974 entstanden, dann wäre der Druck an der Lohnfront vermindert worden, dann wäre der Kostenfaktor leichter zu bewältigen gewesen. Sie haben sie damals zweimal abgelehnt — im Oktober und im Januar — und tun dies jetzt auch wiederum für den 1. Juli 1974, weil Sie etwas, was nur ein kleines Inflationsausgleichsgesetz ist, als Steuerreformgesetz ausgeben wollen und das Inkrafttreten bis zum 1. Januar 1975 verschieben.Wer weiß, welche Erleuchtungen bis dahin kommen, die es unter Umständen dann nicht mehr erlauben, auch diese Pläne noch aufrechtzuerhalten.Bei der Gelegenheit würde ich vom Herrn Bundeskanzler heute gern auch etwas erfahren haben, was in Bonn die Spatzen von den Dächern pfeifen: ob wirklich die Absicht besteht, eine Exportsteuer einzuführen.
Denn es wäre doch für die Zukunft großer Industrieunternehmungen, die sich heute, auch mit übermitbestimmter Struktur, in Schwierigkeiten befinden, ein höchst interessanter Ausblick, zu wissen, wie die Auswirkungen einer solchen Steuer dann auf bestimmte bedrohte Branchen heute sind. Darum wollten wir eine Steuerdiskussion, die auf voller Breite alle Probleme erfaßt, die aber keine Etikettenmogelei vollzieht, wie es hier geschieht, die zusammengehörige Probleme nicht aufteilt, sonder sie als ein Paket, wenn auch in zeitlicher Staffelung behandelt. Das ist, in Kürze gesagt, unsere Ansicht und darum Nein zu diesem Machwerk.
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Strauß hat im Zusammenhang mit dieser Debatte auch auf die Niedersachsen-Wahl abgehoben und hier eine Reihe von Formulierungen verwandt, meine Damen und Herren, die ich zurückweisen muß.Er hat in dem ausgedruckten Manuskript davon gesprochen, es gehe hier um einen Wahlbetrug. Er hat dann diesen Ausdruck „Wahlbetrug" hier nicht verwandt, hat aber behauptet, wir zögen, was die Steuerreformdebatte angehe, mit verlogenen wahlpolitischen Behauptungen durch die Lande.
Meine Damen und Herren, die Bürger dieses Landes werden spätestens in einer Stunde, nach Abschluß der dritten Beratung wissen, woran sie sind, weil sie nämlich dann wissen, was dieses Haus beschlossen hat. Wo die Konturen Ihrer Steuerreform liegen, wissen wir allerdings bis heute nicht.
Dieses müssen wir sehr deutlich machen. Und deshalb, meine Damen und Herren, weil wir das nicht wissen, fällt es mir auch sehr schwer, mit dem Herrn Kollegen Strauß jetzt zu debattieren.
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7050 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Bundesminister Dr. ApelDenn die Aneinanderreihung, die Kaskaden von — man muß es wohl sagen — Verbalinjurien, auf jeden Fall Ausdrücken, die im vorparlamentarischen Raum eher angebracht sind als in diesem Raum,
machen eine Auseinandersetzung nur sehr schwer möglich.
Dennoch, meine Damen und Herren, lassen wir uns die Steuerreform, die jetzt zur Abstimmung steht, von Ihnen, wie der Herr Bundeskanzler gesagt hat, nicht zerreden.
Im übrigen, Herr Kollege Strauß, ist es doch auch ein uralter Hut, den Sie sich schon mehrfach aufgesetzt haben — auch der Kollege Höcherl heute morgen —, wenn Sie das Aufgliedern der Steuerreform, die Tatsache, daß wir Steuerreform von der Sache her und auch von der Arbeitsbelastung dieses Parlaments her schrittweise machen, kritisieren.
— Ich bitte Sie, Sie können doch nicht zweierlei haben. Auf der einen Seite sagen Sie, Sie seien unter Zeitdruck gewesen, der Finanzausschuß hätte es kaum geschafft, und gleichzeitig wollen Sie alles zusammen haben. Ich bitte um Logik, Sie sollten sich für eines entscheiden.
Wir lassen uns also überhaupt nicht davon abbringen, daß dies der nächste sehr wesentliche Schritt ist, nachdem vorher eine ganze Reihe von Schritten erfolgt sind: Außensteuerrecht, Anhebung der Einheitswerte, Grundsteuerreform, Vermögensteuer, Erbschaft- und Schenkungsteuer und Gewerbesteuer. Dazu tun wir jetzt diesen Schritt, und weitere Schritte werden folgen.Wir lassen uns auch nicht von Ihnen einreden — das können Sie auch nicht den Bürgern einreden —, dieses sei ein Steuerentlastungsgesetz. Es ist auch ein Steuerentlastungsgesetz, es ist aber vor allem — das ist das Entscheidende — ein Reformgesetz. Für uns liegt die Motivierung nicht nur bei der Entlastung der mittleren und unteren Einkommensschichten, sondern bei den Strukturelementen dieser Steuerreform,
und hiergegen richtet sich natürlich Ihre Kritik. Wir sind stolz darauf, daß in der Einkommensteuer wie beim Prämienrecht, insbesondere beim Prämiensparen, jetzt die soziale Komponente deutlich wird. Herr Strauß, wenn Sie das als Etikettenschwindel bezeichnen, müssen Sie sich draußen im Lande fragen lassen, ob es Etikettenschwindel ist, wenn ein Arbeitnehmer unter 50 Jahren mit zwei Kindern — die Frau arbeitet nicht mit — mit 18 000 DM Jahresbruttolohn statt bisher 1 762 DM Steuern nur noch 112 DM zahlen muß,
oder mit 36 000 DM Jahreseinkommen statt 5 514 DM nur noch 4 165 DM Jahressteuer, unter Einrechnung der Kinderbeträge, zahlen muß. Dann müssen Sie sich draußen von den Wählern fragen lassen, ob dieses Etikettenschwindel ist! Für uns ist das kein Etikettenschwindel, für uns wird hier sichtbar, daß eine neue Gesetzgebung neue Strukturelemente unter Anreicherung sozialer Überlegungen in die Steuergesetzgebung einbezieht.
Ich finde es schlimm, wenn heute in dieser Debatte fortlaufend von den Neidkomplexen geredet worden ist oder, wie Herr Strauß sagte, von der sozialistischen Nivellierung.
Ist eigentlich das Ernstnehmen des Auftrages des Grundgesetzes nach Verwirklichung der sozialen Demokratie mit Neidkomplexen abzutun, oder machen Sie es sich da nicht etwas zu leicht?
— Ach, nun hören Sie doch endlich mit Herrn Conrad Ahlers auf. Jede Fraktion hat ihr Problem, Sie auch!
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz?
Ja, bitte sehr!
Herr Bundesminister der Finanzen, können Sie mir den Artikel des Grundgesetzes nennen, in dem etwas von der Verwirklichung der sozialen Demokratie steht?
Herr Lenz, Sie werden mir wohl nicht bestreiten können, daß das Grundgesetz eine unübersehbare soziale Komponente hat, die Sie in all den Artikeln des Grundgesetzes immer wieder finden.
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Herr Bundesminister der Finanzen, können Sie mir den Artikel nennen, in dem das steht, was Sie hier soeben behauptet haben, oder versuchen Sie hier, das Grundgesetz für Ihre Partei in Anspruch zu nehmen?
Überhaupt nicht, Herr Lenz. Ich frage Sie nur zurück: sind Sie dagegen, daß wir das Grundgesetz als einen sozialen Auftrag empfinden? Ja oder nein? Ich frage
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 7051
Bundesminister Dr. ApelSie so zurück. Ich muß daraus schließen, daß Sie, wenn Sie solche Fragen stellen, diesen sozialen Auftrag des Grundgesetzes in Frage stellen wollen.
Hier ist sehr eingehend über die Vorsorgeaufwendungen gesprochen worden, und diese Vorsorgeaufwendungen und die Regelung, die wir hier treffen wollen, sind besonders ein Dorn in Ihrem Auge, und die sind insbesondere mit den Bezeichnungen „sozialistische Nivellierung" und „Neidkomplexe" belegt worden. Sie müssen sich dann natürlich auch mit Ihren eigenen Fraktionsmitgliedern auseinandersetzen. Mir liegt eine Beschlußfassung der Sozialausschüsse vor, in denen die Sozialausschüsse ausdrücklich das fordern, was jetzt durch uns Gesetz wird, nämlich daß die Aufwendungen für die Lebensvorsorge zu einem bestimmten Prozentsatz von der Steuerschuld abgezogen werden. Herr Katzer, das ist Ihre Forderung, die wir hier verwirklichen. Sorgen Sie bitte dafür, daß diese Forderung in Ihrer Fraktion nicht in dieser schlimmen Weise diffamiert wird.
Im übrigen sehen wir dieser ganzen Polemik mit großer Gelassenheit entgegen: Diejenigen, die die Steuerreform im Finanzausschuß in den letzten Jahren gemacht haben, wissen, daß die gleichen Argumente von Ihnen verwandt worden sind gegen die Kindergeldreform, gegen den Familienlastenausgleich, dem Sie heute zustimmen, weil Sie einsehen müssen, daß wir die besseren Argumente haben.
Ich muß auch darauf aufmerksam machen, daß es falsch ist, wenn Sie sagen, dieses Steuerreformgesetz würde die Steuergesetzgebung, die Steuererhebung komplizieren. Meine Kollegen haben darauf aufmerksam gemacht, daß das eben nicht der Fall ist und daß u. a. auch aus diesem Grunde die Beibehaltung der Proportionalzone von den Länderfinanzministern einstimmig gewollt worden ist, daß wir einfach zur Zeit nicht die technischen Möglichkeiten haben, um einen durchgehenden Progressionssatz zu schaffen. Herr Kollege Strauß, ich hatte wiederum das Gefühl, daß Sie noch nicht begriffen hatten oder erneut versuchten, zu insinuieren, als würde der Sprung von 22 auf 30,8 % nicht die Marginalsteuerbelastung sein, sondern das Ganze umfassen wollen. Wir sollten doch endlich aufhören, uns mit derartigen Verdächtigungen gegenseitig das Leben unnötig schwerzumachen.Dieses Steuerrecht ist auch eine echte Vergünstigung. Wir haben allerdings davon abgesehen, eine Gießkanne zu konstruieren. Insofern hilft sie in der Tat den Schichten, für die wir Steuerreform machen.Die CDU/CSU ist uns auch in dieser Debatte eine Aussage darüber schuldig geblieben, wo nun eigentlich ihre Steuerreformvorstellungen sind, wo die Konturen ihres Konzeptes sind. Insofern konnten Sie eigentlich nur eins tun — und ich habe dafür volles Verständnis —: mit einer Flut von merkwürdigen Begriffen — schwindsüchtiger Wechselbalg, Fehlgeburt, Flickwerk, zusammengehauenes Gesetz, Pseudoreform, dürftiges Geschenk, ideologisch aufgezäumtes Machwerk, tödlicher Schlag, Küche sozialistischer Nivellierung usw. —, Herr Strauß, das zu kaschieren, was Ihnen fehlt, nämlich eine eigene Steuerreformkonzeption.
— Natürlich, wenn Sie einen ganzen Tag in dieser Art und Weise mit uns debattieren, muß man doch verlangen können, daß man am Ende weiß, wohin Sie wollen. Und auch die Wähler haben Anspruch darauf, daß man das weiß.
Es genügt doch nicht, wenn Sie auf diese Art und Weise pauschal mit Begriffen um sich werfen. Wir wollen dann wissen, wohin es geht, welches Ihre Marschlinie ist.
— Ja, auf diese von Ihnen gewünschte Wahrheit kommen wir sofort zurück.Dabei bin ich bei Punkt 1 der Dinge, die ich noch gerne ansprechen möchte. Ich habe heute erneut hören müssen — das hatten wir ja bereits bei der Haushaltsdebatte hören müssen —, daß die Anhebung der Steuerlastquote ein böses Zeichen für Gleichmacherei und den Weg in den Sozialismus sei. Ist Ihnen eigentlich nicht bewußt, daß allein auf Grund der Tatsache, daß wir die Kindergeldregelung über die Arbeitsämter machen, 15 Milliarden DM anders bewegt werden, als sonst bewegt werden würden, wenn wir das im Rahmen der Steuerverwaltung gemacht hätten? Können Sie sich eigentlich nicht ausrechnen, daß allein dadurch die Steuerlastquote um 1,5 % steigt?
Und können Sie sich nicht vorstellen, daß damit Ihr Argument in sich zusammenfällt, daß der Begriff Steuerlastquote überhaupt nichts aussagt, sondern nur die Frage zu stellen ist: Wofür wird Geld ausgegeben? Also, bitte konkret werden.
Oder das nächste Argument, das insbesondere Herr Gaddum eingeführt hat und das ich hier immer wieder gehört habe: Im Jahre 1975 werden 12 Milliarden DM weniger an Steuern eingehen. Aber — so Herr Gaddum — die Steuereinnahmen werden 1975 sehr viel höher sein, und damit wird deutlich, daß ihr dennoch einen großen Teil für euch behaltet. Aber natürlich behalten wir einen Teil. Wie sollen wir denn auch 1975 die Staatsausgaben finanzieren? Wir müssen doch auch im nächsten Jahr unseren
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7052 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Bundesminister Dr. Apelsozialen Verpflichtungen nachkommen. Oder wollen Sie im nächsten Jahr die Zahlung der Kriegsopferrenten einstellen? Oder wollen Sie nicht auch im Jahre 1975 mit uns darüber debattieren, ob wir im Bereich der sozialen Sicherheit weitere Schritte einleiten müssen? Ich kann diese ganze Argumentation überhaupt nicht begreifen.Herr Kollege Strauß, die Rechnung, die Sie hier aufgemacht haben — in dem ausgedruckten Text ist sie etwas genauer —, ist vorn und hinten falsch.
— Vorn und hinten falsch!
Sie sagen: 90 Milliarden DM Verluste stünden dem gegenüber, was wir an Steuerreformleistungen erbrächten.
— Hier steht: 90 Milliarden; ist auch egal! Herr Strauß, dann muß ich Sie wirklich zurückfragen: Haben Sie denn nicht den Mai-Bericht der Bundesbank gelesen? Können wir uns nicht endlich einmal darauf verständigen, daß die Bruttorechnung der Substanzverluste der Sparer falsch ist, daß man dem gleichsetzen muß die Zinseinnahmen
und die Sparprämien und vieles andere mehr und daß man nur, wenn man dies versucht, zu einer vernünftigen Rechnung kommt?
— Ich verkenne ja gar nicht, daß es hier eine Problematik gibt.
Hier steht ein weiterer Satz, Herr Kollege Strauß. Hier steht, daß durch die Steuerreform in den Jahren seit 1970 30 Milliarden DM heimliche Steuererhöhungen eingetreten sind. Herr Strauß, sehen Sie denn nicht, daß Sie sich hier auf die Jahre von 1970 bis 1975 beziehen und daß sie das nicht auf ein Jahr buchen können?Überhaupt nicht begriffen habe ich Ihr Argument bei Bahn und Post. Wie können Sie eigentlich in eine derartige Rechnung Bahn und Post mit einbringen? Wissen sie denn nicht, daß der Personalkostenanteil bei Bahn und Post zwischen 60 und 70 Prozent liegt?
— Aber ich bitte Sie, Herr Kollege Carstens, wollenSie denn Bahn und Post ausschließen? Wollen Siedenn die Beamten von Bahn und Post von den Gehaltserhöhungen ausschließen?
— Hier steht eines fest, Herr Kollege Carstens, daß wir im Jahre 1975 auf 12 Milliarden DM Steuereinnahmen verzichten
und daß dies für unser Land, für Bund, Länder und Gemeinden, bei der Aufstellung der Haushalte für das Jahr 1975 ein großes Problem sein wird. Man kann die Steuerreform mit den Strukturelementen, auf die ich hingewiesen habe, nicht so klassifizieren und so abtun, wie das Herr Strauß hier versucht hat.Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu den Vorsorgeaufwendungen machen, über die ich bereits gesprochen habe und bei denen wir uns in Übereinstimmung befinden mit dem, was die Sozialausschüsse der CDU/CSU gefordert haben. Hier müssen wir auch etwas genauer hinsehen, wenn wir genau sein wollen. Es ist doch wohl so — das kann nicht bestritten werden, Herr Häfele —, daß Lebensversicherungen und Bausparverträge — die fallen auch in diesen Bereich — im Endeffekt den Charakter von Vermögensbildung haben,
— auch Vermögensbildung sind. Lebensversicherungen und Bausparverträge sind für eine ganze Reihe von Bürgern von einer gewissen Einkommensgruppe an Vermögensbildung
und im übrigen vererbbare Vermögensbildung. Wenn dies so ist, dann ist es doch gut, wenn diese Bürger dies in Zukunft nur mit 22 Prozent absetzen können. Man könnte sich ebensosehr auf den Standpunkt stellen, daß man darüber streiten kann, ob das nicht doch, wie der Herr Bundeskanzler gesagt hat, Teile der Kosten der Lebenshaltung sind. Darüber kann man sich sehr streiten. Im übrigen haben Sie uns bisher nicht gesagt, wie Sie das Problem lösen wollen.
Wenn Sie die Anpassung der Höchst- und Freibeträge in diesem Bereich so vornehmen wollen, daß in Zukunft in der Tat alles untergebracht werden kann
— na gut; darauf komme ich gleich zurück —, dann hätten wir Steuerausfälle, die Sie auch nicht verantworten könnten. Wenn Sie aber nicht alles unterbringen wollen, Herr Häfele
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 7053
Bundesminister Dr. Apel— ich bitte Sie —, dann sind wir doch in der gleichen Situation, daß wiederum nur ein Teil untergebracht und ein Teil ohne Steuervergünstigung abgewikkelt werden kann.
— Sind wir uns in dieser Frage einig? — Gut!
— Aber wenn das so ist, Herr Häfele, dann müssen Sie uns jetzt sagen, wie weit Sie gehen wollen, damit wir Ihnen sagen können, ob das zu bezahlen ist.
Mehr als 12 Milliarden DM sind hier nicht drin.Lassen Sie mich ein weiteres Argument aufgreifen, das der Herr Kollege Strauß hier Leingebracht hat: Gefährdung des Investitionswillens, der Investitionskraft der Wirtschaft. Herr Strauß hat dabei insbesondere auch auf die ertragsunabhängigen Steuern, die Vermögensteuer, die Erbschaftsteuer, die Gewerbesteuer, abgehoben. Hier muß ich ganz kühl darauf hinweisen, daß das mit Ihrer Zustimmung Gesetz geworden ist, indem wir dies nach einem Vermittlungsverfahren einstimmig verabschiedet haben. Herr Kollege Strauß, Sie werden doch nicht ernsthaft behaupten wollen, daß die Anhebung des Spitzensteuersatzes von 54,5 auf 56 Punkte das Problem sei, das auf die Wirtschaft zukomme. Meine Erfahrungen sagen mir, daß in unserem Lande nicht deshalb investiert wird, weil man Steuern sparen kann, sondern deswegen, weil man in diesem Lande Erträge erwarten kann, weil in diesem Lande das soziale Klima in Ordnung ist.
Hier gibt es eine ganz interessante Zahlenreihe. Die Direkinvestitionen aus dem Ausland betrugen im Jahre 1971 netto 4 Milliarden DM, 1972 3,7 Milliarden DM und im Jahre 1973 6,1 Milliarden DM. Im letzten Jahr gab es also eine sprunghafte Steigerung der Nettoinvestitionen aus dem Ausland, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Pläne zur Mitbestimmung, zur Steuerreform und zur Vermögensbildung bekannt waren. Warum wohl dieses sprunghafte Ansteigen?
Weil hier im Gegensatz zu vielen anderen Ländern dank der Reformpolitik der sozialliberalen Koalition ein sozial befriedetes Klima herrscht.
Insofern ist Steuerpolitik auch Gesellschaftspolitik, und sie erhöht auch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft gegenüber der Wettbewerbsfähigkeit anderer Volkswirtschaften. Ich bitte, auchdiesen Aspekt einmal in Ihre Überlegungen mit einzubeziehen.Letzte Bemerkung. Meine Damen und Herren, wir haben in der Haushaltsdebatte von Ihnen gehört, daß die Nettokreditaufnahme für das Haushaltsjahr 1974 Ihrer Meinung nach hoch ist. Sie haben sogar gesagt, sie sei zu hoch. Der Haushaltsvollzug 1974 ist in vollem Gange. Insofern sehen wir uns überhaupt nicht in der Lage, Mitte dieses Jahres Ihre Anträge, die im übrigen den Kleinen wenig unid den Reichen viel geben wollen, anzunehmen.
Wir sind der Meinung, daß das, was wir jetzt vorlegen, natürlich die Tarifabschlüsse 1975 beeinflussen muß, allerdings dadurch,
daß wir mit dem, lieber Herr Katzer, was wir vorlegen, die richtigen Zeichen setzen und Steuerersparnisse denen geben, die auf Tarifabschlüsse bei ihrem Einkommen angewiesen sind,
und nicht denen Steuervorteile gewähren, bei denen das anders ist.Wir können nicht umhin, davon auszugehen, daß Sie mit dem Antrag, der hier noch zur Abstimmung steht, die Manövriermasse, die wir für die Finanzreform haben, für eine Maßnahme aufzehren wollen, die nicht sozial gerecht ist. Deswegen werden wir alles, was von Ihnen kommt, ablehnen. Wir werden diesen Schritt zur Steuerreform tun. Unsere Bürger wissen, daß wir damit einen Schritt auf dem Wege zu mehr sozialer Gerechtigkeit getan haben. Dieses wird im Bereich der Steuerreform nicht der letzte Schritt sein.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache in der dritten Beratung. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Gegenprobe! — Danke. Bitte, nehmen Sie doch Platz; ich muß nach den Stimmenthaltungen fragen. Stimmenthaltungen?— Keine Stimmenthaltungen. Meine Damen und Herren, damit ist das Gesetz in der Schlußabstimmung angenommen.
Wir kommen noch zu den Abstimmungen über die Entschließungsanträge. Wir stimmen zunächst über die Ziffer II in Drucksache 7/2163 ab. Wer der Ziffer II —
— Ich lasse über die Ziffern geschlossen abstimmen.
— Herr Kollege, Sie wollen eine persönliche Erklärung abgeben; die kommt am Schluß.
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7054 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenJetzt müssen wir erst mal über die Entschließungsanträge abstimmen. Ich gehe davon aus, daß wir über die Entschließungsanträge geschlossen abstimmen können.
— Ich habe gerade gesagt, es geht um die Drucksache 7/2163, Ziffer II. Das ist der Entschließungsantrag des Ausschusses:Die Bundesregierung wird ersucht,1. durch unverzügliche Verhandlungen mit den Vertragsstaaten sicherzustellen, daß für im Ausland lebende Kinder von ausländischen Arbeitnehmern ohne Verschlechterung des bestehenden Zustandes Kindergeld in einer Höhe gewährt wird, die den Kindergeldleistungen des jeweiligen Wohnlandes entspricht;dann kommen noch drei weitere Nummern. Ich schlage geschlossene Abstimmung vor. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Damit kommen wir zu den Abstimmungen gemäß Drucksache 7/2164. Hierzu darf ich zunächst feststellen, daß der Ausschußantrag Ziffer 3 nachher durch die Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 2 c erledigt wird. Ist das allen klar? Dem Antrag Ziffer 4 dagegen, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären, wird allgemein zugestimmt? Kann ich davon augehen? — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.Wir haben dann noch über die Entschließungsanträge auf den Drucksachen 7/2192 und 7/2195 abzustimmen. Ich darf darauf hinweisen, daß die Neufassung der Drucksache 7/2192 inzwischen dekkungsgleich mit dem Antrag Drucksache 7/2195 ist— das ist der Antrag der Koalitionsfraktionen; mit ihm stimmt der Antrag der CDU/CSU überein —, nur ist die Neufassung noch nicht verteilt. Ich glaube aber, es besteht kein Bedenken, daß wir über beide Anträge gemeinsam abstimmen. — Keine Bedenken. Wer den Anträgen auf den Drucksachen 7/2195 und 7/2192 zustimmt — ich lasse über beidegeschlossen abstimmen —, gebe das Zeichen. — Ichdanke Ihnen. Gegenprobe! Stimmenthaltungen?— Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe nunmehr den Entschließungsantrag Drucksache 7/2194 auf. Hier wird ebenfalls Abstimmung vorgeschlagen. Ich kann über beide Absätze geschlossen abstimmen lassen. Wer dem Antrag Drucksache 7/2194 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.Damit sind die Entschließungsanträge, soweit ich das übersehen kann, erledigt.Ich kann nun den Tagesordnungspunkt 2 c, Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU, aufrufen — —
- Entschuldigen Sie, Herr Kollege Zeitel, jetzt kommen Sie mit der persönlichen Erklärung. DasWort hat der Herr Abgeordnete Professor Zeitel zu einer persönlichen Erklärung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zugleich im Namen meines Kollegen Dr. Köhler möchte ich zur Abstimmung in der dritten Lesung des Dritten Steuerreformgesetzes folgende persönliche Erklärung abgeben.
Wir sind beide, der eine aus der Praxis, der andere aus der Wissenschaft, in dieser Legislaturperiode zum ersten Male im Bundestag. Wir haben beide unsere politische Arbeit u. a. als Mitglieder des Finanzausschusses mit einer sehr hohen Meinung von der Sorgfalt, der Sachkunde und dem Verantwortungsbewußtsein des Gesetzgebers aufgenommen. Die Art und Weise der Beratungen des Dritten Steuerreformgesetzes haben uns in dieser hohen Meinung irre werden lassen.
Sie entsprachen jedenfalls nicht der Sorgfalt, wie wir sie in unseren ganz verschiedenen Berufen als selbstverständlich voraussetzen.
In verschiedenen Phasen der Beratungen im Finanzausschuß waren nach unserem Eindruck nicht einmal mehr die höchst sachkundigen Mitglieder der Ministerialbürokratie imstande, den jeweiligen Beratungssachverhalt und seine politischen Alternativen für die Mitglieder des Ausschusses darzustellen, denen es sowohl auf die politischen Entscheidungsinhalte als auch auf die Klarheit, die Einfachheit, die Übersichtlichkeit für den steuerzahlenden Bürger und die Einfachheit der Finanzverwaltung ankommt.
Von einer seriösen Gesetzgebungsarbeit kann deshalb beim Dritten Steuerreformgesetz unseres Erachtens nicht mehr gesprochen werden. Wir können unsere Kritik und unser Unbehagen sowie unser Bedauern darüber, daß diese Beratungen des Finanzausschusses nicht öffentlich waren, nur mit dieser persönlichen Erklärung zur Abstimmung artikulieren. Das Votum, das wir in der Abstimmung abgeben werden, wird in Harmonie mit unserer eigenen Fraktion ein Nein sein, ein Nein nicht nur zur Sache, sondern auch zum Verfahren.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zu dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/2188, der sich auf den von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Beseitigung von Inflationsschäden bei der Einkommen- und Lohnsteuer bezieht.Wird dazu das Wort begehrt? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Zeitel.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 7055
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde es kurz machen.
Der Herr Finanzminister hat es als vordringliches Anliegen bezeichnet, daß den Bürgern unseres Landes eine Entlastung zuteil wird. Da stimmen wir mit ihm überein. Die einzige Differenz, die wir mit Ihnen haben, ist die, daß diese Entlastung überfällig ist, und darum stellen wir diesen Änderungsantrag.
Wir stimmen auch mit Ihnen überein, Herr Minister, daß man Signale setzen muß, um den sozialen Frieden in unserem Lande zu erhalten, um den Gewerkschaften andere Lohnabschlüsse zu ermöglichen. Wenn Sie dies wollen, dann stimmen Sie diesem Antrag auf Entlastung zu, ehe es zu spät ist. Wir haben das bereits vor einem halben Jahr geltend gemacht, und wir wiederholen es. Die nächsten Lohnrunden stehen im Oktober an.
Dies ist das Anliegen, um das es uns geht. Es geht uns nicht zuletzt auch darum — und das muß Ihnen willkommen sein —, den Kapitalmarkt wieder in einen besseren Zustand zu versetzen, damit er für die Kreditaufnahme ergiebiger wird, als das zur Stunde der Fall ist. Diesem Anliegen wird auch die Erhöhung des Sparerfreibetrages gerecht. Damit würde gegenüber den Sparern wenigstens eine Geste gemacht und nicht nur immer geredet und nachgedacht.
Stimmen Sie deshalb unserem Antrag zu!
Meine Damen und Herren, hierzu ist von der Fraktion der CDU/CSU namentliche Abstimmung beantragt worden. Das Wort wird nicht mehr begehrt. Wir treten in die Abstimmung ein. Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer, sich an die Stimmkästen zu begeben und die Abstimmungskarten entgegenzunehmen. —
Ich schließe die Abstimmung.
Meine Damen und Herren, wir müssen noch mehrere Abstimmungen vornehmen. Ich habe die Absicht, die Behandlung dieses Punktes bis zum Vorliegen des Ergebnisses der Abstimmung zu unterbrechen und mit der Beratung der anderen Tagesordnungspunkte fortzufahren.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich dabei unterstützten und Platz nähmen. —
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Beratung dieses Punktes bis zur endgültigen Auszählung und schlage vor, daß wir die noch ausstehenden Tagesordnungspunkte abwickeln.
Wir kehren zunächst zu dem Zusatzpunkt 2, dem Gesetzentwurf zur Änderung des Einkommensteuergesetzes , Drucksache 7/2171, zurück.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage an den Finanzausschuß — federführend —, an den Ausschuß für Wirtschaft und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Bundesanstalt für Flugsicherung
— Drucksache 7/2095 —
Das Wort wird zur Begründung und in der Aussprache nicht begehrt.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage an den Ausschuß für Verkehr — federführend —, an den Innenausschuß und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung und gemäß § 96 Geschäftsordnung zu überweisen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und des Aufwertungsausgleichsgesetzes
— Drucksache 7/2111 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Zur Begründung hat das Wort der Abgeordnete Schröder .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Fürchten Sie nicht, daß ich Ihre Aufmerksamkeit noch sehr lange in Anspruch nehmen werde.
Es müssen aber ein paar Worte zu unserem Antrag gesagt werden.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie doch freundlichst, noch einen Augenblick Platz zu nehmen, bis wir hier zu Ende gekommen sind.
Bei der Einführung der Mehrwertsteuer zum 1. Januar 1968 war es das erklärte Ziel des Gesetzgebers, daß die Landwirtschaft wie in den Jahren vorher nicht mit Umsatzsteuer belastet werden sollte. Aus diesem Grunde wurden der Mehrwertsteuersatz und gleichzeitig auch die Vorsteuerpauschale auf 5 % festgesetzt. Seit der Einführung der Mehrwertsteuer im Jahre 1968 sind jedoch die Kosten für landwirtschaftliche Betriebsmittel und Dienstleistungen erheblich gestiegen. Dadurch haben sich auch die von der Landwirtschaft aufzubringenden Vorsteuerbeträge erhöht. Die Bundesregierung selbst erkennt in den letzten Agrarberichten an, daß die Vorsteuerbelastung der landwirtschaftlichen Betriebe gestiegen ist. Die von ihr anerkannten Zahlen liegen jedoch weit unter den Werten, die in zahlreichen Buchführungsbetrieben in der Praxis ermittelt worden sind. Ich darf Ihnen ein Beispiel nennen: Die
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7056 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Schröder
Mehrwertsteuerausgaben von rund 1000 schleswigholsteinischen Betrieben lagen in den letzten Jahren stets über 6 % der bereinigten Betriebseinnahmen. Diese Tendenz ist weiterhin steigend. Die Preis-Kosten-Verhältnisse haben sich, wie Sie alle feststellen konnten, in den letzten Monaten dramatisch zuungunsten der Landwirtschaft verändert. Ich darf Ihnen das mit einigen Zahlen belegen. Der Preisindex für landwirtschaftliche Produkte betrug im April 1974, gemessen an der Basis 1962/63 = 100, 123,5, der Preisindex für landwirtschaftliche Betriebsmittel, gemessen an der gleichen Basis, 155,9.
Das bedeutet, daß die Preis-Kosten-Schere weit geöffnet ist, und zwar in einem Umfang, wie wir es überhaupt noch nicht erlebt haben.
Das ist die Ursache dafür, daß in der Landwirtschaft große Sorgen und Unruhen sind. Es ist aber auch die Ursache dafür, daß wir damit rechnen müssen, daß die Vorsteuerbelastungen im gleichen Umfang weiter steigen werden. Ich glaube deshalb, meine Damen und Herren, daß es ein Gebot der Stunde ist, wenn wir so schnell wie möglich die Vorsteuerpauschale von 5 auf 6 % erhöhen.
Ich darf in diesem Zusammenhang die Fraktionen daran erinnern, daß wir im Jahre 1972 einen einstimmigen Beschluß des Ernährungsausschusses hatten, der diese Erhöhung vorsah. Lediglich die vorzeitige Auflösung des Bundestages hat verhindert, daß dieser Beschluß verwirklicht wurde. Um so dringlicher, glaube ich, ist es, daß wir nun Ernst machen und die Vorsteuerpauschale in der Forstwirtschaft auf mindestens 3,5 % und für die Landwirtschaft auf mindestens 6 % angehoben wird. Ich appelliere auch an die Fraktionen der Regierungskoalition, unseren Antrag zu unterstützen.
Das Wort hat der Abgeordnete Halfmeier.
Ich darf noch einmal an Sie appellieren, doch freundlichst Platz zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf für die SPD-Fraktion sagen, daß wir selbstverständlich dem Überweisungsvorschlag zustimmen werden. Wir haben auch Verständnis dafür, daß unsere Land- und Forstwirte im Jahr zwischen 350 Millionen und 400 Millionen DM Steuern sparen möchten. Die Frage allerdings, ob das mit der Vorsteuerpauschale nun wirklich als Pauschale so, wie es hier vorgeschlagen wird, jetzt notwendig ist, kann man überhaupt erst, wie ich meine, im Ausschuß nach sehr sorgfältiger Prüfung entscheiden. Aber ich darf Ihnen auch versichern: wir werden wohlwollend und sorgfältig prüfen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gallus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf für die Fraktion der Freien Demokraten hier feststellen, daß wir der Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und an den Finanzausschuß zustimmen und daß Sie in dieser Frage nach erfolgter Prüfung bei uns offene Türen einrennen.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage an den Finanzausschuß — federführend —, an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und an den Haushaltsausschuß — mitberatend und gemäß § 96 der Geschäftsordnung — zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung einer Zusatzversorgungskasse für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft — ZVALG —— Drucksache 7/1342 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/2112 — Berichterstatter: Abgeordneter Löfflerb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 7/2066 —Berichterstatter: Abgeordneter Wolf
Die Herren Berichterstatter wünschen nicht das Wort. Ich danke den Herren Berichterstattern im Namen des Hauses.Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht begehrt.Wir treten in die Beratungen ein. Ich rufe in der zweiten Beratung auf §§ 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 18, 19, 20, 21, Einleitung und Überschrift. — Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke! Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist in der zweiten Beratung einstimmig gebilligt.Wir treten in diedritte Beratungein.Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Ich bitte Platz zu nehmen, weil ich nach der Gegenprobe
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974 7057
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausenfragen muß. Meine Damen und Herren, ich frage, ob Gegenstimmen abgegeben werden. — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.Wir müssen noch über den Antrag des Ausschusses unter Ziffer 2 abstimmen. Wer dem Antrag des Ausschusses, die Bundesregierung zu ersuchen, bis zum 30. Juni 1977 einen Bericht über die Erfahrungen bei der Durchführung des Gesetzes vorzulegen, zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Meine Damen und Herren, wir kehren nunmehr zum Punkt 2 c — Inflationsentlastungsgesetz — zurück. Inzwischen liegt das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag Drucksache 7/2188 vor. Insgesamt haben sich 427 Damen und Herren an der Abstimmung beteiligt und 18 Kollegen aus Berlin. Es haben mit Ja 184 Kolleginnen und Kollegen und mit Nein 243 gestimmt. Von den Berliner Kolleginnen und Kollegen haben 6 mit Ja und 12 mit Nein abgestimmt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 427 und 18 Berliner Abgeordnete; davonja: 184 und 6 Berliner Abgeordnete, nein: 242 und 12 Berliner Abgeordnete, ungültig: 1 Stimme.JaCDU/CSUDr. AbeleinDr. AignerAlberDr. AlthammerDr. ArtzingerBaierDr. BarzelDr. Becher Dr. Becker
Frau Benedix
BenzBerger BewerungeBiechele Biehle Dr. Blümvon BockelbergBöhm BraunBremer Bremm Burger Carstens
Dr. Carstens Dr. CzajaDamm Dreyer EigenEilers ErnestiEyDr. EyrichFreiherr von Fircks Franke Dr. FranzDr. Frerichs Dr. FrühDr. FuchsGeisenhofer Gerlach GierensteinDr. GölterDr. GötzDr. GruhlHaase Dr. HäfeleHärzschelDr. Hammans Handlosvon HasselHauser Hauser (Krefeld)Dr. Hauser
Dr. HeckHöslDr. Hornhues HorstmeierFrau Hürland HussingDr. JaegerDr. Jahn
Dr. Jenninger Dr. JobstJostenKatzerDr. Kempfler KiechleDr. h. c. KiesingerDr. Klein
Dr. Klein
Dr. Köhler
Dr. Köhler KösterKrampeDr. KraskeDr. KreileKroll-SchlüterFreiherrvon Kühlmann-StummDr. Kunz LampersbachLeicht LemmrichDr. Lenz
LinkLöherDr. LudaLücker Dr. MarxMemmelDr. Mertes MickDr. MikatDr. MiltnerMilzMöller
Müller
Dr. Müller-Hermann Mursch Dr. NarjesFrau Dr. Neumeister NiegelNordlohneDr.-Ing. OldenstädtOrgaß PfeffermannPfeifer Picard Pieroth PohlmannDr. PrasslerDr. ProbstRainer Rawe ReddemannFrau Dr. Riede Dr. Riedl (München)Dr. RitgenDr. Ritz Röhner RollmannRommerskirchenRoser Russe Sauer
Sauter
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein Dr. SchäubleSchedlFrau Schleicher SchmidhuberSchmitt
Schmitz
Dr. SchneiderFrau Schroeder Dr. Schröder (Düsseldorf) Schröder (Lüneburg) Schröder (Wilhelminenhof) Schulte (Schwäbisch Gmünd Dr. Schulze-VorbergDr. SchwörerSeiters SickSolkeDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerSprangerSpringorumDr. SprungDr. Stark
Dr. Starke
Dr. StavenhagenFrau StommelStrauß StücklenSussetDr. TodenhöferFrau Tübler Dr. Unland VeharFrau VerhülsdonkVogel
VogtVolmerDr. WaffenschmidtDr. h. c. Wagner Dr. Wagner (Trier)Dr. Waigel Frau Dr. WalzDr. Warnke WawrzikWeber
Dr. Freiherr von Weizsäcker Frau Dr. WexWissebachDr. Wittmann
Dr. Wörner Frau Dr. WolfBaron von WrangelDr. Wulff Dr. Zeitel ZeyerZieglerDr. ZimmermannZinkZoglmannBerliner AbgeordneteAmrehnFrau Berger Kunz (Berlin)Müller
Frau PieserStraßmeirNeinSPDAdamsAhlersDr. Ahrens AmlingAnbuhlDr. ApelArendt
Dr. Arndt AugsteinBaackBäuerleBarcheBahrDr. BardensBecker
Dr. Beermann BehrendtBerkhanBiermannBlankDr. Böhme
BörnerFrau von BothmerBredlBrückBuchstaller Büchler Büchner (Speyer)Dr. von BülowBuschfortDr. Bußmann ColletConradiCoppikFrau Däubler-GmelinDürrEckerland Dr. Ehmke
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7058 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 104. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Juni 1974
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenDr. EhrenbergFrau Eilers Dr. EndersEngholm Dr. EpplerEstersEwenDr. Farthmann FellermaierFiebigDr. FischerFrau Dr. Focke Franke FrehseeFriedrich Gansel GeigerGerstl Gertzen GlombigDr. Glotz GnädingerGrobecker GrunenbergDr. HaackHaarHaase
Haase HaehserHalfmeierHansen HauckDr. Hauff HenkeHerold Höhmann Hofmann Dr. Holtz HornFrau HuberHuonker ImmerJahn Jaschke JaunichDr. Jens Junghans Junker Kaffka KaterKernKoblitz Konrad KratzDr. Kreutzmann Krockert Kulawig LambinusLangeLattmannDr. Lauritzen LautenschlagerLempLenders Liedtke Löbbert LutzMahne MarquardtMarschallMatthöferFrau MeermannDr. Meinecke Meinicke (Oberhausen) MetzgerMöhringDr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller
Müller
Müller
Müller
Dr. Müller-EmmertNagelDr.-Ing. OettingOffergeld Frau Dr. OrthFreiherrOstman von der Leye PawelczykPeiterDr. Penner PenskyPolkehn PorznerRapp
Rappe RavensReiserFrau RengerReuschenbachFrau Dr. Riedel-Martiny RohdeRosenthal SanderSaxowskiDr. Schachtschabel Schäfer
Dr. Schäfer SchefflerScheuSchinzel Schirmer SchlagaSchluckebierDr. Schmidt Schmidt (Hamburg) Schmidt (München) Schmidt (Niederselters) Schmidt (Wattenscheid) Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeDr. Schöfberger Schonhofen Schreiber Schulte
SchwabeDr. SchweitzerDr. SchwenckeDr. Schwenk SeefeldSeibertSimonSimpfendörferDr. Slotta Dr. SperlingSpilleckeStaak
Stahl
Dr. Stienen SuckSundFrau Dr. TimmTönjesUrbaniakVahlbergDr. Vogel VogelsangWalkhoff WaltematheWaltherDr. Weber WehnerWende WendtWestphal Dr. WichertWienand Wilhelm WischnewskiDr. de With Wittmann WolfWolfram WredeWürtzWüster Wuttke Wuwer Zander ZebischBerliner AbgeordneteBühlingDr. DübberEgertFrau Grützmann HeyenLöfflerMattick Frau Schlei SchwedlerSieglerschmidt WurcheFDPDr. AchenbachBaumDr. BögerChrist ErtlFrau FunckeGallus Geldner Graaff Grüner HölscherHoffie JungKirstKleinertKrallDr. Graf Lambsdorff LogemannFrau LüdemannDr. Dr. h. c. Maihofer Mertes MischnickMöllemannMoerschOllesch OpitzRonneburgerSchmidt von SchoelerFrau Schuchardt SpitzmüllerDr. VohrerWurbs ZywietzBerliner Abgeordnete HoppeMeine Damen und Herren, damit ist der Antrag auf Drucksache 7/2188, den der Professor Zeitel hier begründet hat, abgelehnt.Meine Damen und Herren, wir kommen damit zur Abstimmung in der zweiten Beratung. Ich rufe auf die Art. 1, 2, 3 und 4 sowie Einleitung und Überschrift. — Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Danke.Meine Damen und Herren, das Gesetz ist in der zweiten Beratung abgelehnt. Gemäß § 84 der Geschäftsordnung entfällt eine weitere Beratung des Gesetzentwurfs.Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß wir damit am Ende unserer heutigen Beratungen stehen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 6. Juni 1974, 13.00 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.