Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung ergänzt werden um die Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU betr. Energiepolitik — Drucksache 7/1401 —. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Der Antrag wird als Punkt 2 g aufgerufen werden.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Überweisung von EG-Vorlagen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Richtlinie des Rates zur Ergänzung der Richtlinie Nr. 72/281/ EWG betreffend statistische Erhebungen über die Schweineerzeugung infolge der Erweiterung der Gemeinschaft
— Drucksache 7/1299 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines Gemeinschaftszollkontingents für Kolophonium, einschließlich „Brasis résineux", der Tarifstelle 38.08 A des Gemeinsamen Zolltarifs
— Drucksache 7/1300 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. ../73 betreffend den in der Landwirtschaft anzuwendenden Umrechnungskurs für die italienische Lira
— Drucksache 7/1301 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte uni Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Memorandum der Kommission über die Anpassung der gemeinsamen Agrarpolitik
— Drucksache 7/1302 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten , Ausschuß für Wirtschaft, Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates über Beihilfen für den Schiffbau
Mitteilung der Kommission an den Rat betreffend die Modalitäten einer Aktion auf dem Gebiet des Schiffbaus
-- Drucksache 7/1315 —
überwiesen an den Ausschuß für Verkehr ,
Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Entschließung des Rates zur Verwirklichung der zweiten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion in der Gemeinschaft
Richtlinie des Rates betreffend Stabilität, Wachstum und Vollbeschäftigung in der Gemeinschaft
Entscheidung des Rates über die Verwirklichung eines hohen Grades an Konvergenz der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 907/73 des Rates vom 3. April 1973 zur Errichtung eines Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit
Entscheidung über die Einsetzung eines Ausschusses für Wirtschaftspolitik
— Drucksache 7/1322 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft , Finanzausschuß, Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Festsetzung des gemeinschaftlichen Produktionspreises für Thunfische, die für die Konservenindustrie bestimmt sind, für das Fischwirtschaftsjahr 1974
— Drucksache 7/1323 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Festsetzung der Orientierungspreise für die in Anhang II der Verordnung (EWG) Nr. 2142/70 aufgeführten Fischereierzeugnisse für das Fischwirtschaftsjahr 1974
— Drucksache 7/1324 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung
Nr. 1411/71 hinsichtlich des Fettgehalts von Vollmilch
— Drucksache 7/1325 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 166/71 zur Festlegung gemeinsamer Vermarktungsnormen für Garnelen der Gattung Grangon
— Drucksache 7/1326 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates
zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Grège, weder gedreht noch gezwirnt, der Tarifnummer 50.02 des Gemeinsamen Zolltarifs
zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Garne, ganz aus Seide, nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf, der Tarifnummer ex 50.04 des Gemeinsamen Zolltarifs
zur Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Garne, ganz aus Schappeseide, nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf, der Tarifnummer ex 50.05 des Gemeinsamen Zolltarifs
— Drucksache 7/1327 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
4252 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Vizepräsident Frau Funcke
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung eines einmaligen Heizölkostenzuschusses
— Drucksache 7/1395 —
Überweisungsvorschlag der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszulagengesetzes
— Drucksache 7/1364 —
Überweisungsvorschlag der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP:
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
c) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Maßnahmen zum Ausgleich der aufgrund der Ölkrise gestiegenen Heizkosten für die sozial schwächeren Teile der Bevölkerung
— Drucksache 7/1346 —
Überweisungsvorschlag der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Haushaltsausschuß
d) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Konzertierte Aktion
— Drucksache 7/1347 —
Überweisungsvorschlag der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP:
Ausschuß für Wirtschaft Finanzausschuß
e) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Heizölkostenbeihilfen für Landwirtschaft und Gewerbe
— Drucksache 7/1348
Überweisungsvorschlag der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß Beratung des Antrag der Fraktion der CDU/ CSU betr. Arbeitsplatzsicherungsprogramm
— Drucksache 7/1359 —
Überweisungsvorschlag der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP:
Ausschuß für Wirtschaft
Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Haushaltsausschuß
f) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Energiepolitik
— Drucksache 7/1401 —
Überweisungsvorschlag der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP:
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen
Zur Begründung des Gesetzentwurfs unter Punkt 2 a hat das Wort Herr Abgeordneter Nölling.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor zwei Monaten schien die Energiewelt noch in Ordnung zu sein. Man übertreibt aber nicht, wenn man heute feststellt, daß das, was sich seither abgespielt hat, an den Wilden Westen erinnert. Rücksichtslos haben die großen, meist multinationalen Konzerne eine politisch bedingte Erdöl- und Energiekrise ausgenutzt, um den Verbraucher wirtschaftlich auszubeuten und um ihm das Fell über die Ohren zu ziehen.
Es gibt, meine Damen und Herren, kaum ein vergleichbares Beispiel für ein Hochschnellen und ein Hochtreiben von Preisen innerhalb kürzester Zeit und einen damit verbundenen drastischen Eingriff in die Einkommensverwendung von Millionen von Verbrauchern unabhängig von ihrer Einkommenslage. Nach Unterlagen aus dem Wirtschaftsministerium stiegen zwar die Einstandspreise für Rohöl je nach Abgabeland um 60 bis 100%, aber wir wissen, daß sie nur Prozente der Verkaufspreise überhaupt ausmachen. Die Abgabepreise der Mineralölgesellschaften an den Konsumenten waren dagegen am 3. Dezember 1973 verglichen mit August 1973 wie folgt gestiegen: in Rotterdam Diesel und leichtes Heizöl von 14 Pfennig auf 46 bis 52 Pfennig je Liter, d. h. um 230 bis 270 %; schweres Heizöl von 70 DM auf 130 DM je Tonne, d. h. um 86 %. Im Inland hat sich der Preis für schweres Heizöl in dieser Zeit fast verdoppelt; der Preis für leichtes Heizöl ist bis zum 20. November 1973 — neuere Vergleichszahlen liegen mir nicht vor — bei deutschen Gesellschaften um etwa 130 %, bei europäischen Gesellschaften um etwa 150 %, bei internationalen Gesellschaften um etwa 100 %, bei Importeuren um etwa 290% gestiegen.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4253
Dr. Nölling
Es ist offenkundig, meine Damen und Herren, daß die Mineralölwirtschaft die Förderrestriktionen in den arabischen Staaten unmittelbar zur Ausdehnung ihrer Gewinne benutzt hat.
Mit Kostensteigerungen hat diese Preispolitik wenig zu tun. Obwohl die Tanker vom Persischen Golf nach Europa vier bis fünf Wochen Fahrzeit benötigen, kürzten die Ölgesellschaften schon wenige Tage nach den ersten Boykotterklärungen die Belieferungsquoten an den Heizölhandel. Zu dieser künstlichen Angebotsverknappung kam eine Nachfrageausweitung, die in der Furcht und Nervosität der Konsumenten begründet war. Auf diese Weise entstand ein Klima, das den Mineralölunternehmern und -händlern einen beachtlichen Spielraum für Preiserhöhungsstrategien eröffnete, den sie auch voll ausgeschöpft haben.
Für den deutschen Verbraucher bedeutet dies, geht man einmal von einem normalen Arbeitnehmerhaushalt mit zwei Kindern aus, daß er mindestens eine Verdoppelung der Heizungskosten für die gegenwärtige Heizperiode zu erwarten hat, und zwar im Ausmaß von etwa 300 bis 350 DM. Solche Steigerungen treffen alle Haushalte, vor allem aber diejenigen besonders hart, deren verfügbares Einkommen unter dem Durchschnittseinkommen liegt.
In den letzten Wochen ist nun viel darüber diskutiert worden, in welcher Weise die Regierung das Kunststück fertigbringen könne, sowohl die Versorgung zu gewährleisten als auch das ungezügelte, dem Gemeinwohl schadende Treiben der Mineralölkonzerne zu unterbinden. Beim Hineinleuchten in den wirtschaftspolitischen Instrumentenkasten stellte sich aber schnell heraus, daß unser demokratisch verfaßter Staat nicht so schnell reagieren konnte wie die im Gleichschritt mit dem Ziel der Profitmaximierung operierenden Mineralölkonzerne und -händler.
Man kann meines Erachtens kaum darüber streiten, ob der Appell des Bundeswirtschaftsministers vom 4. Dezember, er erwarte nunmehr „besondere preispolitische Disziplin", nicht schon sechs Wochen früher angebracht gewesen wäre. Aber ich habe keine Illusionen darüber, daß er auch dann ständig überhört worden wäre.
Angesichts der Preis- und Gewinnspannenexplosion mutet es geradezu grotesk an, durch das Offenlegen von Preis- und Kostenstrukturen erst einmal feststellen zu müssen, ob diese Unternehmen ihre marktbeherrschende Stellung auf dem Markt mißbräuchlich ausgenutzt haben. Das haben sie getan, meine Damen und Herren.
Wenn solche Formulierungen im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen überhaupt einen Sinn haben und zu beweisen sind, dann in diesem Fall.
Die wirtschaftspolitische Ohnmacht unseres Staates war jetzt nicht zu vermeiden.
Kurzfristig haben wir jedoch unsere sozialpolitische Handlungsfreiheit behalten. Wir müssen sie nutzen, und zwar im Interesse der Bevölkerungsteile, für die wir uns besonders verantwortlich fühlen. Die sozialliberale Koalition war sich im klaren darüber, daß sie den einkommensschwachen Teilen unserer Bevölkerung gegenüber eine besondere Verpflichtung einlösen müsse.
Am 22. November beschloß das Kabinett, nach Lösungen zu suchen. Am 5. Dezember wurde eine Maßnahme beschlossen, die die Grundlage für den gestern eingebrachten Koalitionsgesetzentwurf bildet. Mit diesem Gesetz wollen wir zirka drei Millionen Haushalten schnell, wirkungsvoll und so unbürokratisch wie möglich helfen, daß sie den größten Teil der Mehrkosten durch die Heizölpreissteigerungen nicht selbst zu tragen brauchen. Diese Maßnahme wird etwa eine halbe Milliarde DM kosten.
Anspruchsberechtigt sind alleinstehende Personen und Haushaltsvorstände, die für einen Zeitraum zwischen dem 15. Oktober 1973 und dem 14. April 1974 Wohngeld entweder bezogen haben oder beziehen werden, außerdem solche, die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG oder den Bestimmungen des Bundesversorgungsgesetzes über die Kriegsopferfürsorge erhalten oder mit ihrem Einkommen unter dem Zweieinhalbfachen des Regelsatzes der Sozialhilfe bleiben, wobei sich für weitere zum Haushalt gehörende und unterhaltsberechtigte Personen dieser Betrag jeweils um 160 DM erhöht. Natürlich werden nur solche Personen auf Grund dieses Gesetzes anspruchsberechtigt sein können, deren Wohnraum mit Heizöl geheizt wird. Nach diesen Einkommensgrenzen wird zur Zeit ein Alleinstehender einen Anspruch haben, wenn er netto weniger als 550 DM monatlich verdient. Eine vierköpfige Familie wird den Anspruch dann haben, wenn der Haushaltungsvorstand weniger als 1030 DM, eine fünfköpfige Familie, wenn er weniger als 1190 DM monatlich netto an Einkommen zur Verfügung hat.
Diese Anspruchsberechtigten erhalten ab Januar 1974 eine einmalige Ausgleichszahlung, die je nach Familiengröße zwischen 100 und 300 DM beträgt. Bund und Länder werden gemeinsam die etwa eine halbe Milliarde DM aufbringen. Der Bund wird sich daran mit zwei Dritteln beteiligen.
Wie könnte es anders sein, als daß auch die Opposition an der Heizölkrise „verdienen" möchte.
Sie reagierte mit ihrem Antrag auf Drucksache 7/1346 zwar erst an dem Tag, als das Kabinett einen Beschluß faßte, nämlich am 5. Dezember 1973, behauptet aber mit echt christ-demokratischer Bescheidenheit die Regierung dazu angetrieben zu haben.
4254 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Dr. Nölling
Die Opposition ist aber nicht nur bescheiden, sondern verdreht auch die Wahrheit, wenn sie behauptet, daß die Regierung dem Anliegen der Opposition „teilweise Rechnung" getragen habe, während doch jeder, der lesen kann und seine fünf Sinne beisammen hat, leicht feststellen kann, daß die Regierungskoalition von sich aus weit über den Antrag der Opposition hinausgegangen ist.
Beim CDU/CSU-Antrag wären Millionen von Haushalten leer ausgegangen. Ich bin gespannt, ob der Kollege, der den Oppositionsantrag begründet, diese Tatsachenverdrehung öffentlich wiederholen wird.
Herr Kollege Nölling, wir sind bei der Begründung eines Antrags, noch nicht in der Debatte.
Meine Damen und Herren, die sozialpolitische Korrektur marktwirtschaftlicher Fehlentwicklungen von diesem Ausmaß wird ein einmaliger Akt bleiben müssen. Es ist unvorstellbar, daß sich dieser Korrekturvorgang, der außerordentlich hohe öffentliche Finanzmittel und eine erhebliche Arbeitsbelastung der Kommunalverwaltungen mit sich bringen wird, in derselben Weise wiederholen könnte. So sehr wir es unterstützen und begrüßen, daß Millionen von Bürgern schnell geholfen wird, wissen wir doch auch, daß sich viele fragen, ob die Regierung nicht kurz- und mittelfristig mehr Handlungsspielraum hat und ihn auch nutzen sollte, um sowohl bei der Preisbildung des Erdöls und der Erdölprodukte als auch bei der Besteuerung der hohen Gewinne anzusetzen.
Für mich ist klar: Wird ein möglicherweise zunehmender Mangel an 01 weiterhin bei freiem Spiel der Kräfte über den Preis reguliert,
so werden die sozialen Ungerechtigkeiten größer und mit Ausgleichszahlungen nicht mehr zu korrigieren sein.
Das gilt auch für andere Preisentwicklungen. Eine Rationierung wird dann unvermeidlich werden und sozial und auch wirtschaftlich gerechter sein.
Die Regierung muß sich auf diese Notwendigkeit jedenfalls einstellen. Wir erwarten, daß die Regierung dabei Erkenntnisse aus der Preispolitik der Konzerne nutzt — von denen wir natürlich hoffen, daß sie sie überhaupt bekommt —, daß die Kartellbehörden deren Praktiken ausleuchten und öffentlich bekanntgeben und daß die Finanzämter schnell
und gründlich prüfen, ob interne Verrechnungsmanipulationen, die in der Vergangenheit bekannt wurden, nun verstärkt angewandt werden, um die enormen Gewinne ins steuergünstige Ausland zu verlagern. Wir erwarten, daß Weisungen erteilt werden, um Betriebsprüfungen zu beschleunigen, und daß das Steuerfluchtgesetz voll angewendet wird.
Mit dem Gesetz über die Gewährung eines einmaligen Heizölkostenzuschusses können wir die Energiekrise nicht lösen, wohl aber einkommensschwachen Bevölkerungsteilen erst einmal über die Runden helfen. Als Sozialpolitiker wird man an Kaiser Wilhelms Zeiten erinnert,
als von dem Tropfen sozialen Öls gesprochen wurde, um kapitalistische Mißstände erträglich zu machen. Die Wirtschafts- und Energiepolitiker sind nun an der Reihe — das wird die Debatte heute ja sicherlich ergeben —, den Ölpreis selbst wieder sozialer zu gestalten und die wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen dort zu beseitigen, wo sie entstehen.
Dabei besteht kein Anlaß, die Marktwirtschaft selbst zu exekutieren,
wie Herr Dietz gestern befürchtete. Aber wir werden Herrn Dietz beim Worte nehmen, der gestern auch sagte — ich zitiere ihn —:
Für die Unternehmer ist die Ölkrise nicht nur eine ökonomische Bewährungsprobe, sondern auch eine Herausforderung zu politischer Solidarität und gesellschaftlicher Mitverantwortung.
Meine Damen und Herren, wie ich gehört habe, sollen die übrigen Anträge im Rahmen der Debatte begründet werden. Ich eröffne damit die Debatte. Das Wort hat Frau Bundesminister Dr. Focke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als die neue Situation auf dem Energiesektor deutlich werden ließ, daß die steigenden Heizölpreise zu einer großen Belastung für viele unserer Mitbürger würden, hat die Bundesregierung sofort reagiert und Überlegungen angestellt, wie dem einkommensschwächsten Teil unserer Bevölkerung schnell und gerecht geholfen werden kann.
Unabhängig von der Frage, wie wir auf mittlere und längere Sicht der Probleme im Energiebereich Herr werden können, war klar: Es müssen unverzüglich Maßnahmen ergriffen werden, die all denen einen Ausgleich schaffen, für die die gestiegenen Kosten für leichtes Heizöl sonst eine untragbare Last werden. Aus diesem Grund dankt die Bundesregierung den Fraktionen der SPD und FDP, daß sie es in Abstimmung mit der Bundesregierung ermöglicht haben, durch Einbringung des Ihnen heute
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4255
Bundesminister Frau Dr. Focke
vorliegenden Entwurfs eines Gesetzes für die Gewährung eines einmaligen Heizkostenzuschusses so schnell Abhilfe leisten zu können.
In plötzlich auftretenden Notsituationen ist schnelle Hilfe doppelte Hilfe. Deswegen kam es darauf an, einen Weg zu finden, der einfach, unkompliziert und so unbürokratisch wie möglich ist. Wir sind sicher, daß eine solche rasche Lösung mit diesem Gesetzentwurf gefunden ist.
Natürlich weiß die Bundesregierung, daß wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung der Mangelsituation auf dem Energiemarkt durch diesen Gesetzentwurf keineswegs unnötig gemacht werden. Wir haben in den vergangenen Wochen dargelegt, mit welchen energie- und wettbewerbspolitischen Maßnahmen wir die Schwierigkeiten bewältigen wollen. Wir werden diese Überlegungen weitertreiben und die Öffentlichkeit hierüber weiter offen informieren. Aber ich möchte betonen, daß der mit diesem Gesetzentwurf gefundene Weg eines Heizölkostenzuschusses auch ganz bewußt so gestaltet worden ist, daß er keine zusätzliche Nachfrage auf dem Heizölsektor provoziert und damit kein zusätzlicher Anreiz für den Anstieg der Heizölpreise ausgeübt wird.
Dieser Gesetzentwurf kann auch kein Ersatz für systematische Sozialpolitik sein. Es bleibt das Ziel der Bundesregierung, durch Weiterentwicklung des Systems der sozialen Sicherung und durch eine soziale Boden- und Wohnungspolitik jeden Bürger in den Stand zu setzen, aus seinem Einkommen oder aus allgemeinen Sozialleistungen die Grundbedürfnisse zu befriedigen, zu denen auch das angemessene Wohnen gehört.
Außergewöhnliche Verhältnisse erfordern jedoch außergewöhnliche Hilfsmaßnahmen. Diejenigen, die mit einem so geringen Einkommen leben müssen, daß es nicht ausreicht, um mit solchen ungewöhnlichen Preissprüngen fertig zu werden, wie die angedrohten Lieferkürzungen sie mit sich gebracht haben, dürfen nicht unter dieser Entwicklung leiden. Helfen kann man den besonders stark Betroffenen aber nur, wenn unnötiger Bürokratismus und langwierige Verwaltungsverfahren vermieden werden. Hilfe wird auch nur durch solche Regelung geschaffen, die keine weiteren Preissteigerungen stimuliert. Beides berücksichtigt der vorliegende Gesetzentwurf.
Weil der Entwurf der Koalition eine rasche Barzahlung für denjenigen vorsieht, der in dieser Heizungsperiode mit 01 heizen muß und unter den festgelegten Einkommensgrenzen liegt, bedeutet er einen wirksamen Ausgleich für die gestiegenen Kosten. Weil der Entwurf der Koalition drei Personengruppen einbezieht — die Wohngeldberechtigten, Personen mit einem Einkommen unter dem zweieinhalbfachen Satz des Sozialhilferegelsatzes und schließlich Empfänger von Hilfen zum Lebensunterhalt, auch wenn sie wegen ihrer Familiengröße über dem Satz für geringe Einkommen liegen, auch wenn sie kein Wohngeld beziehen —, umfaßt er wirklich alle, denen nicht zugemutet werden kann, die gestiegenen Heizölpreise zu bezahlen.
Weil der Entwurf der Koalition einen pauschalen Ausgleich vorsieht und die Beihilfe und ihre Verwendung nicht im einzelnen kontrolliert, vermeidet er, daß ohne jede Rücksicht auf den Preis gekauft wird. Möglichst preiswerte Angebote zu nutzen, bleibt im Interesse jedes einzelnen.
Weil sich der Entwurf der Koalition mit der Abgrenzung der hilfeberechtigten Personen an die Wohngeld-, Sozial- und Kriegsopferfürsorgegesetzgebung anlehnt, vermeidet er zusätzliche Bürokratie und zusätzlichen Verwaltungsaufwand. Der Wohngeldberechtigte muß nur nachweisen, daß er Wohngeld bezogen hat. Der Empfänger von Hilfen zum Lebensunterhalt muß seinen Leistungsbescheid vom Sozialamt oder von der Fürsorgestelle für Kriegsopfer vorlegen. Der Berechtigte mit geringem Einkommen kann auf einfachste Weise durch Vorlage von Einkommensbescheinigungen des Arbeitgebers, Rentenbescheiden oder ähnlichen Dokumenten sein Einkommen nachweisen. Für die Hilfeberechtigten ist selbstverständlich nur das Nettoeinkommen entscheidend.
Meine Damen und Herren, was bedeutet ein solches Gesetz nun für die Bürger, denen es helfen soll? Ich möchte an zwei Beispielen illustrieren, was es praktisch bietet. Nehmen wir eine Familie mit zwei Kindern; der Mann ist berufstätig; die Familie bewohnt eine mit leichtem Heizöl 'beheizte Wohnung; dabei ist gleichgültig, ob dies durch eine eigene oder durch Fernheizung geschieht. Die Familie kommt in den Genuß der Leistung nach diesem Gesetz dann, wenn das Familieneinkommen nach Abzug von Steuern, Soziallasten und anderen nach dem Bundessozialhilfegesetz absetzbaren Aufwendungen 1 030 DM nicht übersteigt. Dieser Familie würde dann ein Zuschuß von 250 DM gewährt werden.
Ein zweites Beispiel. Ein älteres Ehepaar wird noch einen Anspruch auf den Zuschuß haben, wenn das monatliche Familiennettoeinkommen 710 DM nicht übersteigt; ihm würde dann ein Zuschuß von 150 DM zustehen. Ist dieses Ehepaar jedoch wohngeldberechtigt, steht ihm — das ist wichtig —, wie allen Wohngeldempfängern, der Zuschuß zu, ohne daß erst noch eine Einkommensberechnung erfolgen muß.
Nach den überschlägigen Schätzungen der Bundesregierung werden etwa 3 Millionen Haushalte die Beihilfe erhalten können; das wird einen Aufwand von etwa 420 bis 510 Millionen DM erfordern.
Die Bundesregierung appelliert an die Länder, mit dafür zu sorgen, daß diese dringliche soziale Maßnahme schnell verwirklicht wird, und sie appelliert an die Bereitschaft der Länder, bei der Aufbringung der Mittel hierfür ihren Beitrag nicht zu versagen. Dies sollte den Ländern schon deshalb nicht allzu schwerfallen, weil die Sozialhilfe, auf die ohne diese Regelung ein großer Teil der betroffenen Bürger angewiesen wäre, nun von solchen zusätzlichen Ansprüchen entlastet wird. Ein LänderAnteil von einem Drittel der erforderlichen Mittel ist deshalb durchaus gerechtfertigt und angemessen.
Für diejenigen, die Leistungen nach diesem Gesetz beanspruchen können, ist es wichtig, zu wissen,
4256 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Bundesminister Frau Dr. Focke
an welche Stelle sie sich wenden müssen, um nähere Auskünfte zu erhalten. Nun war es der Bundesregierung aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich, diese Stelle zu bestimmen; die Regelung wird von den Ländern zu treffen sein. Trotzdem möchte ich den interessierten Bürgern heute schon folgenden Rat dazu geben. Denjenigen, die heute schon Wohngeld beziehen, empfehle ich, sich zunächst an die Wohngeldstelle zu wenden, und diejenigen unserer Mitbürger, die bisher schon Sozialhilfeempfänger durch Hilfe zum Lebensunterhalt sind oder die meinen, daß sie auf Grund ihres zu niedrigen Einkommens auch Anspruchsberechtigte sein müßten, sollten sich zuerst an das für sie zuständige Sozialamt wenden.
Die Bundesregierung und — dessen bin ich sicher — auch die Länder werden dafür sorgen, daß die Öffentlichkeit sobald wie möglich Genaueres hierüber erfahren wird. Presse, Rundfunk und Fernsehen darf ich darum bitten, daß sie durch eine möglichst genaue Berichterstattung in den nächsten Wochen den betroffenen Personen alle Informationen, die für sie wichtig sind, weiterleiten.
Die Bundesregierung bittet den Bundestag, diesem Gesetzentwurf ,der Koalitionsfraktionen zuzustimmen. Sie wird in enger Zusammenarbeit mit Ländern und Gemeinden alles tun, damit dieses Gesetz als dringende, gezielte Hilfe unverzüglich in Kraft tritt und damit niemand — trotz Ölkrise — Angst vor einem kalten Winter zu haben braucht.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Carstens.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich begrüße es sehr, Frau Präsidentin, daß Sie die Debatte zu all den Punkten, die heute morgen im Zusammenhang mit den gestiegenen Heizölpreisen und mit der wirtschaftlichen Lage im allgemeinen zu erörtern sein werden, gleichzeitig eröffnet haben. Meine Fraktion wird zu jeder der einzelnen Vorlagen gesondert Stellung nehmen. Ich möchte gleich vorab sagen, daß wir selbstverständlich den Plan unterstützen, den betroffenen, sozial schwächeren Bevölkerungsgruppen einen Heizkostenzuschuß zu gewähren. Aber die Art und Weise, wie der Kollege Nölling diesen Antrag hier eingebracht und begründet hat,
gibt doch vielleicht Veranlassung, den Rahmen, den er gezogen hat, etwas weiter zu ziehen.
Er hat die Mineralölgesellschaften attackiert. Nun gut, aber ich denke, es ist doch wohl aus Gründen der Objektivität geboten, zu untersuchen, welche Rolle die Bundesregierung in diesem Zusammenhang eigentlich spielt.
Um das zu tun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen Blick auf die konjunkturelle Lage werfen, die wir im Augenblick vor uns sehen. Einige Beispiele mögen das, was ich sagen möchte, erläutern. Im Bereich der Textil- und der Bekleidungsindustrie stehen einhunderttausend Arbeitnehmer in Kurzarbeit, gibt es 20 000 Arbeitslose. Das ist eine Arbeitslosenquote in diesem Sektor von 3 bis 4 0/0. Morgen findet, wie wir wissen, eine Protestkundgebung der Gewerkschaft auf dem Bonner Marktplatz statt. Ähnlich schwierig ist die Lage bei der Schuh-, bei der Lederindustrie und in der Bauwirtschaft. Und in der Automobilindustrie haben wir starke Rückgänge der Bestellungen, bis zu 50 % gegenüber dem Vergleichsmonat des Vorjahres, zu verzeichnen. Die Entwicklung der Kurzarbeit im ganzen zeigt stark steigende Tendenz. Die Zahl der Kurzarbeiter hat sich von August bis September 1973 verdreifacht,
dann von September bis Oktober 1973 noch einmal verdoppelt,
und im November 1973 ist sie gegenüber Oktober 1973 noch einmal um mehr als 50 % gestiegen. Die Zahl der Arbeitslosen betrug im November 1973 330 000. Das waren 40% mehr als im Vergleichsmonat des Vorjahres.
Dies alles, meine Damen und Herren, ist völlig unabhängig von der Ölsituation eingetreten als eine Folge der Wirtschafts- und Konjunkturpolitik dieser Regierung.
Ich darf dazu auf eine Fernseherklärung verweisen, die der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit am 26. November dieses Jahres abgegeben hat. Er sagte damals wörtlich -- ich zitiere —:
Das, was wir bis jetzt an Kurzarbeitsmeldungen bei der Automobilindustrie haben, sind noch nicht die Auswirkungen der Ölsituation, sondern das waren schon Auswirkungen der Bremsmaßnahmen der Bundesregierung in einem Teilbereich.
Und ich füge hinzu: Es waren die Folgen einer falschen Wirtschafts- und Konjunkturpolitik.
Gegenüber der seit Jahren steigenden Gefahr einer zunehmenden progressiven Inflation hat die Regierung viel zu spät Gegenmaßnahmen ergriffen, praktisch erst im Mai dieses Jahres.
— Es tut mir leid, wenn es Ihnen unangenehm ist, daß man bestimmte Wahrheiten immer wiederholt. Aber ich denke, es ist ganz nützlich, dies zu tun, und Sie werden merken, daß die Wiederholungen wenn nicht bei Ihnen, so doch bei anderen allmählich einen gewissen Eindruck machen;
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4257
Dr. Carstens
denn bis dahin hat die Regierung in der Tat die Inflationsgefahr systematisch bagatellisiert. Ich erinnere an das bekannte Wort, daß 5% Inflation besser seien als 5 % Arbeitslosigkeit. Die Regierung hat eben in dieser Zeit nichts Wirksames unternommen. Noch im Februar dieses Jahres, vor zehn Monaten, legte sie ein Stabilitätsprogramm vor, das der Sachverständigenrat als völlig unzulänglich bezeichnete. Die Hauptlast trug während dieser ganzen Zeit die Bundesbank, die scharf, ja drastisch gegensteuerte und das Zinsniveau auf die uns bekannte Höhe trieb.
Auch das Mai-Programm, das die Regierung dann schließlich vorlegte, war unausgewogen und mußte zu strukturellen Verzerrungen führen. Wir haben damals darauf hingewiesen; heute sind diese strukturellen Verzerrungen eingetreten.
Dies sind alles Folgen der falschen Konjunkturpolitik dieser Bundesregierung und nicht Folgen der Ölkrise.
Die CDU/CSU wendet sich gegen den unzulässigen Versuch der Regierung, die Ölkrise als ein Alibi für ihre eigenen schweren Versäumnisse zu verwenden.
Ebenso unverständig wie bei der Bekämpfung der Inflation verhielt sich die Bundesregierung auch gegenüber den Anträgen der CDU/CSU, die auf eine gezielte Hilfe an die hauptsächlich betroffenen Sektoren und Regionen hinauslief. Als wir im Frühherbst solche Anregungen gaben, ignorierte die Regierung sie, und das Arbeitsplatzsicherungsprogramm, das wir Ende vorigen Monats in diesem Hohen Hause vorlegten, wurde von den Sprechern der Regierungsfraktionen mit Hohn und Spott übergossen. Jetzt ist die Regierung soweit, große Teile dieses Programms sich zu eigen zu machen und zu übernehmen.
Aber die Regierung lehnt es weiter ab, unsere Vorschläge über die steuerliche Entlastung der Bezieher mittlerer und kleiner Einkommen, die von der durch die Inflation begründeten Lohnsteuerprogression betroffen werden, auch nur ernsthaft zu diskutieren.
Natürlich verstärkt die jetzt einsetzende Ölkrise die negativen Tendenzen des Wirtschaftsablaufs, obwohl sie nicht ihre Hauptursache ist. Aber auch in dieser Lage begeht die Regierung weiterhin schwere Fehler.
— Jawohl, die Opposition macht Vorschläge, und
die werden wir Ihnen gleich im einzelnen darlegen.
Die Regierung treibt vor allem das muß doch
einmal wirklich mit aller Deutlichkeit ausgesprochen
werden — eine ganz unzulängliche Informationspolitik. Im Oktober erweckten der Bundeswirtschaftsminister und sein Staatssekretär den Eindruck, daß für diesen Winter überhaupt nicht zu befürchten oder zu besorgen sei. Der Herr Staatssekretär Rohwedder erklärte speziell, was das schwere Heizöl anlange, daß keine Versorgungsschwierigkeiten zu befürchten seien. Vor wenigen Tagen teilte die Mineralölindustrie mit, daß mit einer Minderproduktion von 400 000 bis 600 000 t schweren Heizöls im Dezember zu rechnen sei; das sind ungefähr 20 °/o des Verbrauchs.
Der Bundeskanzler beschwor in einer Ansprache die düsteren Jahre 1945 bis 1948 und sagte, uns ständen ähnliche Anstrengungen wie damals bevor, während der Bundeswirtschaftsminister sich damals und heute bemüht, die Lage als entspannt und nur halb so schlimm hinzustellen. Der Bundesfinanzminister demgegenüber erwägt Pläne der Ausdehnung des Fahrverbots auf den Sommer des nächsten Jahres und seine Erstreckung auch auf die Sonnabende.
Immer noch ist die Regierung nicht bereit, auf unsere Vorschläge zur Entlastung der kleineren und mittleren Einkommen durch eine steuerliche Erleichterung einzugehen, obwohl diese Vorschläge heute so notwendig sind, wie sie vor vier oder fünf Monaten waren;
denn niemand glaubt doch — und die Regierung selbst glaubt es nicht —, daß die Inflationsgefahr etwa gebannt sei. Die Regierung bemüht sich durch beschwörende Appelle an die Tarifpartner, eine übermäßige Steigerung des Lohnniveaus zu verhindern, anstatt den Tarifpartnern konkrete Vorschläge auf den Tisch zu legen, wie wir sie hier gemacht haben, die sehr wohl die Wirkung haben können, wenn sie richtig behandelt werden, die Steigerungen des Lohnniveaus in maßvolleren Grenzen zu halten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn ihr das tut, entlasten wir die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen um, sagen wir einmal, zwei Punkte bei der Einkommen- und bei der Lohnsteuer?
In dieser Lage erwägt die Bundesregierung nun schließlich noch die Gewährung hoher Kredite an osteuropäische Staaten zu außerordentlich günstigen Bedingungen. Herr Kollege Nölling, wenn Sie schon die Mineralölgesellschaften so kritisch vor Ihre
4258 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Dr. Carstens
Flinte genommen haben, möchte ich Sie doch bitten, Ihren Blick einmal einen Moment etwas weiter im Umkreis schweifen zu lassen und sich folgenden Zusammenhang zu vergegenwärtigen. Wir stehen vor der Drohung mit einem arabischen Ölboykott. Das wird wohl niemand bestreiten wollen. Aber welches ist der politische Hintergrund dieser Ölboykottdrohungen? Es ist doch offenbar die Tatsache, daß die arabischen Staaten durch die osteuropäischen Staaten einschließlich der Sowjetunion politisch abgesichert werden. Und nun machen Sie mir bitte einmal klar, worin der Sinn einer Politik bestehen soll, die just in diesem Augenblick den osteuropäischen Staaten einschließlich der Sowjetunion hohe zinsverbilligte Kredite einräumen will.
— Das hat mit Kaltem Krieg überhaupt nichts zu tun, Herr Kollege Wehner,
sondern das ist ein Funke politischer Vernunft, die ich Ihnen gelegentlich auch wünschen würde.
Die CDU/CSU-Fraktion fordert die Bundesregierung auf, endlich eine seriöse Informationspolitik zu betreiben und keine Prognosen zu stellen, die sich jeweils kurz danach als falsch erweisen. Wenn die Regierung selbst im Dunkeln tappt, ist es besser, nichts zu sagen, als etwas Falsches zu sagen.
Vor allem fordern wir die Regierung auf, sich endlich zu einer einheitlichen Meinung durchzuringen und die deutsche Bevölkerung nicht einer Behandlung nach dem Muster des Römisch-Irischen Dampfbades auszusetzen, wo abwechselnd eiskalte und warme Duschen auf uns herabrieseln, indem uns einmal klargemacht wird, daß die Lage so ernst sei, wie sie seit 1945 noch nicht gewesen sei, und wir im nächsten Augenblick hören, es sei alles nicht so schlimm, die Lage sei entspannt.
Die CDU/CSU-Fraktion fordert die Bundesregierung auf, endlich die von unserer Fraktion eingebrachten Anträge ernsthaft zu prüfen, anstatt sie mit unsachlichen Argumenten abzutun. Unsere Fraktion hat während der letzten drei Jahre eine Politik empfohlen, ,die sich jetzt eindeutig als die richtigere erweist.
Wir legen heute erneut ein umfangreiches Programm zur Sicherung der Arbeitsplätze, zur Wiedergewinnung der Stabilität und zur Bekämpfung der Ölkrise vor. Wir erwarten von der Regierung, daß sie die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen ergreift.
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Namens der Fraktion der FDP habe ich zu erklären, daß wir den Gesetzentwurf, der von den Koalitionsfraktionen eingebracht worden ist, begrüßen und daß wir es für notwendig und richtig halten — wie wir es schon in der vorigen Debatte erklärt haben
daß den wirtschaftlich Schwachen die Last, die aus der Entwicklung auf dem Heizölsektor eingetreten ist, abgenommen wird.
Persönlich füge ich allerdings hinzu, daß die Überschrift dieses Gesetzes in meinen Augen nicht ganz zutreffend ist. „Sozial schwach" sind für mich Besitzer von oberbayerischen Seenufern oder nordrhein-westfälischen Wäldern, die dem Publikum den Zutritt nicht erlauben. Hier handelt es sich, wie mir scheint, um wirtschaftlich Schwache.
Wir gehen davon aus, daß gerade das System der sozialen Marktwirtschaft in der Lage sein muß, so eine Erleichterung und so eine Hilfe zu leisten. Denn wir wissen, daß die Regulierung einer solchen Situation über den Preis, die im Grunde genommen richtig ist, unbillige und unvertretbare Härten für bestimmte Bevölkerungsschichten mit sich bringt. Und diese unvertretbaren Härten müssen wir ausgleichen.
Wir haben nur die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten, die beide unerfreulich sind, nämlich die Regulierung über den Preis oder die Regulierung über ein Bezugscheinsystem. Dazu haben wir uns in der vorigen Debatte geäußert. Die jüngsten Be- richte aus Holland, wo bereits vor Verteilung, aber nach dem Druck von Bezugscheinen der Schwarzmarkt mit diesen blüht, sprechen gegen eine solche Maßnahme. Sie kann uns nicht helfen. Sie trifft gerade den wirtschaftlich Schwachen, wie ich es hier schon einmal dargelegt habe, in noch stärkerem Maße, als es die Regulierung über den Preis alleine tut.
Damit kommen beide negativen Wirkungen zusammen.
Wir begrüßen in diesem Zusammenhang ausdrücklich die gestrige Erklärung des Bundeskartellamtes und der Kartellreferenten der Länder, daß mit aller Eindeutigkeit und mit aller Härte, die das Gesetz vorschreibt und möglich macht, gegen diejenigen vorgegangen wird, die eine solche Situation in unbilliger und unrechtmäßiger Weise ausnutzen.
Wir glauben auch feststellen zu sollen, daß ein System der Einführung von Höchstpreisen nach wie vor im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht weiterhelfen wird. Das belgische Beispiel, in dem die seinerzeit festgesetzten Höchstpreise wieder erhöht werden mußten, und die Tatsache, daß man zwar in Aachen Heizöl kaufen konnte, aber in Eupen eben keines, sind ein Beweis dafür, daß ein Umlenken von 01-strömen erfolgt wäre. Aber darüber, so scheint mir, sind wir in diesem Hause alle einig.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4259
Dr. Graf Lambsdorff
— Darüber sind wir einig, meine Damen und Herren. Die Bundesregierung, die von dieser Koalition getragen wird, hat in dieser Richtung agiert und eine richtige Politik betrieben. Die marktwirtschaftliche Handhabung, die bisher erfolgt ist, findet unsere Unterstützung.
Die Bundesregierung hat gegenüber dieser akuten Situation Entschlossenheit und das notwendige Maß an Flexibilität gezeigt. Wir sprechen ihr dafür unsere Anerkennung und unsere Unterstützung aus.
Wir sind uns auch darüber einig, daß es natürlich Situationen geben kann Herr Kollege Wehner, wir haben Ihre Ausführungen im Fernsehen in der vorigen Woche sehr aufmerksam und mit Zustimmung verfolgt —, in denen die Mittel des Marktes nicht mehr ausreichen, dann nämlich, wenn der gezielte Boykott in einer Weise durchgeführt wird, daß von der anderen Seite marktwirtschaftliche Mittel nicht mehr eingesetzt werden. Dann müßten wir uns
— sehr zu unserem Leidwesen — auf andere Möglichkeiten besinnen. Insofern, Herr Kollege Wehner, findet es unsere Zustimmung, wenn Sie ausgeführt haben, daß die bisher eingesetzten Möglichkeiten und Mittel Unterstützung verdienen und daß sie weitergehende, möglicherweise notwendige, wie Sie gesagt haben, nicht verbaut haben.
Der einzige Unterschied liegt darin, daß Sie gesagt haben, es werde wahrscheinlich so kommen, daß weitergehende Mittel notwendig würden. Hier sind wir optimistischer. Aber wir begeben uns damit, wie jedermann zugeben wird, auf das Gebiet der Wahrsagung und der Spekulation; denn niemand weiß genau, wie die Dinge weitergehen werden.
— Ich bin im Augenblick dabei, Herr Müller-Hermann, mich mit der anstehenden Frage auseinanderzusetzen, bzw. ich stimme dem zu, was Herr Wehner gesagt hat.
— Herr Müller-Hermann, darüber wird doch wohl kein Zweifel bestehen, daß der Kollege Wehner für seine Fraktion spricht. Ich habe bisher jedenfalls nicht bemerkt, daß sie ihm diese Legitimation bestreitet. Sie werden das, glaube ich, auch nicht schaffen.
Meine Damen und Herren, die Frage ist, ob ein solcher Optimismus, wie er unseren Überlegungen zugrunde liegt, gerechtfertigt ist. Die akute Situation, die durch eine Kürzung um etwa 15 % gekennzeichnet ist, läßt vermuten, und zwar mit einiger Sicherheit, daß wir im Monat Januar keine weiteren Einsparungsmaßnahmen werden ergreifen müssen. Das ergibt sich sowohl aus den Berichten der Mineralölwirtschaft aus der Tatbestandsaufnahme durch das
Bundeswirtschaftsministerium als auch aus einer neuen, vertraulichen Umfrage eines der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft. Es gibt einige Engpässe; aber es sieht so aus — lassen Sie es mich kurz so formulieren —, als wenn wir es schafften.
In zwei Schlüsselindustrien gibt es sicherlich besondere Probleme: erstens in der Chemie, wo das schwere Heizöl nicht nur als Energieträger verwandt, sondern auch als Ausgangspunkt für die Produktion, als Rohstoff, benötigt wird. Die Bundesregierung beobachtet die Situation auf diesem Sektor besonders sorgfältig, weil von daher naturgemäß sich fortsetzende Schwierigkeiten entstehen könnten. Ich weiß, daß ,das Bundeswirtschaftsministerium alle notwendigen Anstrengungen unternimmt, um es hier nicht zu Versorgungsausfällen kommen zu lassen.
Was die Automobilindustrie, die zweite große Schlüsselindustrie, insbesondere von der Zahl der Beschäftigten her gesehen, betrifft, ist der Absatz —insofern haben Sie, Herr Professor Carstens, recht — zur Zeit schwach. Das ist aber nicht eine Folge der von Ihnen kritisierten Konjunktur- und Wirtschaftspolitik, sondern das ist nach jüngsten Berichten — erst gestern abend habe ich eine Reihe von Gesprächen darüber geführt — eine Folge der energiepolitischen Maßnahmen.
Das ist auch kein Wunder. Denn wer soll heute ein Auto bestellen, wenn er befürchten muß, daß eventuell Bezugsscheine ausgegeben werden, oder wenn er mit Sicherheit damit rechnen muß, daß er vorläufig sonntags nicht fahren darf? Dann wartet man eben vier, sechs oder acht Wochen. Die entscheidende Frage ist, ob man nur vier, sechs oder acht Wochen wartet oder ob das ein dauerhafter Zustand ist, der dann natürlich zu einer bedrohlichen Lage führen würde. Anders gefragt: Wie reagiert der Verbraucher auf die Dauer gesehen?
Ich habe hier schon einmal ausgeführt, daß die Energiekrise für uns alle ein Stück Konsumverzicht mit sich bringen wird. Wir werden das, so betrüblich dies ist, nicht ändern können. Wir werden zur Kenntnis nehmen müssen, daß wir bisher in diesem Bereich auf trügerischem Boden gelebt haben. Niemandem kann ein Vorwurf daraus gemacht werden. Aber so ist es nun einmal. Wenn ich mir überlege, ob der Konsumverzicht, der notwendig wird, zu Lasten des Automobils in der Bundesrepublik Deutschland gehen wird, komme ich zu der Erkenntnis, daß die Erfahrungen der vergangenen 20 Jahre eher Anlaß geben, das Gegenteil zu vermuten. Auf diesem Gebiet hat der Konsumverzicht in diesem Lande im Grunde nie angefangen, und das wird, glaube ich, auch diesmal nicht geschehen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Bitte sehr!
4260 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Herr Kollege Graf Lambsdorff, wenn das richtig ist, was Sie gerade gesagt haben, wie erklären Sie sich dann den Rückgang der Bestelleingänge in der Automobilindustrie im September und Oktober? Da waren es 30 % weniger als vor einem Jahr.
Herr Kollege Franke, in Zeiten konjunktureller Gegensteuerung ist natürlich ein Teil der Bestellrückgänge, und zwar im wesentlichen über den Zins — —
-- Moment! Das ist der normale Ablauf, den wir auch in anderen konjunkturellen Phasen beobachtet haben. Aber die Bestellrückgänge, die jetzt zu verzeichnen sind und die auch zu der von Ihnen erwähnten Kurzarbeit geführt haben, sind auf die akute Auslösung in der gegenwärtigen Situation zurückzuführen.
Im übrigen, meine Damen und Herren, erlaube ich mir die Zwischenfrage, wo eigentlich alle diejenigen geblieben sind, die den Individualverkehr unbedingt zum Erliegen bringen wollten. Wo sind die Antiauto-Fetischisten heute?
— Meine Damen und Herren, solche hat es auch in Ihren Reihen gegeben, und zwar in großer Zahl.
Die Frage bleibt für uns, was wir in der Energiepolitik langfristig und mittelfristig zu tun haben. Wir hoffen und wir gehen davon aus — ich persönlich bin überzeugt davon, aber ich weiß, daß dies nicht bewiesen werden kann —, daß, wenn sich die gegenwärtige Aufregung gelegt hat, wenn die Situation im Nahen Osten einmal nicht mehr so brisant ist, auch das kaufmännische Interesse der Lieferländer wieder wach werden wird und die nüchterne kaufmännische Überlegung Platz greift, daß man Mengen und Preise so zu halten hat, daß die Kundenbeziehungen langfristig aufrechterhalten werden können.
Im Zusammenhang damit haben Sie, Herr Professor Carstens, wieder den Vorwurf erhoben, die Informationspolitik der Regierung sei unzulänglich. Wir haben darüber schon beim vorigen Mal debattiert. Wenn ich mir das Fernschreiben, das gestern gekommen ist, ansehe, wonach die Bundesrepublik, Frankreich und Österreich nach Erklärungen der Herren Gaddafi und Boumedienne weiterhin das Erdöl erhalten sollen, das §ie benötigen, so frage ich mich, wie dies mit der Meldung in Zusammenhang zu bringen ist, die gestern vormittag durch das Radio kam, daß es im Januar eine Kürzung um weitere 5 % gibt. Meine Damen und Herren, auf dieser Basis ist natürlich eine Informationspolitik, wie Sie sie verlangen, Herr Professor Carstens, beim besten Willen nicht zu betreiben. Man kann nicht mehr Information auf den Tisch legen, als man selber besitzt. In dieser Frage herrscht doch weltweit -- nicht nur bei uns — völlige Unklarheit.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Bismarck?
Bitte sehr!
Herr Kollege Graf Lambsdorff, ist Ihnen wirklich entgangen, daß der Bundesfinanzminister mehrfach in schwärzesten Farben gemalt hat, obwohl doch auch er wissen mußte, was wir alle wissen, daß die Kürzungen sich in sehr viel bescheidenerem Maße gehalten haben, als wir befürchtet haben?
Herr von Bismarck, die Frage ist ja immer, was wir heute wissen und was wir vor zwei oder drei Tagen gewußt haben. Man kann es in diesen eng begrenzten Zeitraum fassen. Wir wußten vor zwei bis drei Tagen über die Kürzungen und die effektiven Vorräte in der Bundesrepublik Deutschland sehr viel weniger als gestern abend. In dem gestrigen Gespräch mit der Mineralölwirtschaft haben wir die neuesten Zahlen auf den Tisch bekommen. Diese Zahlen sehen anders aus, als wir es noch in der vorigen Woche angenommen haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann?
Bitte sehr!
Herr Kollege Graf Lambsdorff, fällt es Ihnen nicht auf, daß die unterschiedlichen Aussagen aus dem Koalitionslager merkwürdigerweise immer auch jeweils zwischen den Parteien unterschiedlich sind?
Herr Kollege Reddemann, dies ist mir nicht aufgefallen. Die Frage, in welchem Umfang Kürzungen vorgenommen wurden, ist keine Frage, die sich nach Parteiprogramm beantworten läßt — dieser Versuch ist auch nicht unternommen worden —, sondern es ist eine Frage, die sich nur auf Grund von Sachinformationen beantworten läßt. Dies müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
Meine Damen und Herren, ich will mich mit dem Gebiet der Informationspolitik nicht länger auseinandersetzen, weil wir das beim letztenmal, wie ich glaube, ausführlich genug getan haben.
Ich möchte aber einige Worte zu der Frage sagen, Herr Professor Carstens, ob Stabilitätspolitik eigentlich zu Recht betrieben worden ist, ob sie weiter fortgesetzt werden soll und was wir in dieser Situation auf dem Gebiet der Konjunkturpolitik zu tun haben. Herrr Professor Carstens, Sie haben zunächst erwähnt, daß in der Textilindustrie, in der Bekleidungsindustrie, in der Schuh- und Lederindu-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4261
Dr. Graf Lambsdorff
strie, in der Bauindustrie und in einigen anderen Bereichen Schwierigkeiten, auch was die Beschäftigung angeht, aufgetreten sind. Herr Franke, dies ist uns längst bekannt. Sie werden sich daran erinnern, daß ich hier vor etwa acht oder zehn Wochen gesagt habe, daß gerade in der Bekleidungsindustrie strukturelle Schäden zu verzeichnen sind, daß dort eine strukturelle Situation besteht, die durch die konjunkturellen Maßnahmen besonders deutlich ans Tageslicht gekommen ist. Ich hätte Bedenken, diese Situation jetzt einfach wieder durch antikonjunkturelle Maßnahmen unter den Tisch zu wischen, denn in der nächsten Krise träten wieder dieselben strukturellen Schäden auf. Dies ist eine unangenehme Erkenntnis. Es ist ,eine Erkenntnis, die nicht zu Lasten der in diesem Bereich Beschäftigten ausgebadet werden darf. Sie können sie aber nicht einfach vom Tisch diskutieren. Sie können auch nicht einfach darüber hinweggehen, indem Sie etwa zinsverbilligte Kredite zur Verfügung stellen. Dadurch wird nämlich die Wettbewerbssituation in der Bekleidungsindustrie keineswegs so gut, daß die Produkte dieses Industriezweiges wieder mit dem, was aus ,dem Ausland zu uns kommt, wettbewerbsfähig würden. Die Auslandsimporte haben wegen der Kostenstruktur in der Bundesrepublik Deutschland zu dieser schwierigen Situation geführt.
Meine Damen und Herren, seien Sie aber versichert: Die sozialliberale Koalition, die Regierung Brandt/Scheel widmet ihre Aufmerksamkeit in allererster Linie den Beschäftigungsproblemen in der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben die geeigneten Maßnahmen getroffen und beschlossen und werden sie jetzt durchführen, Maßnahmen, die einer Entwicklung entgegenwirken, welche auch nur in irgendeiner Weise bedrohlich werden sollte. Diese Regierung steht dazu, wie es heute jede demokratisch gewählte Regierung tun muß, meine Damen und Herren. Sie steht dazu — das ist ihre Pflicht , und sie trägt die Verantwortung für die Vollbeschäftigung in dem Sinne, wie wir sie hier oft genug definiert haben, vom Bundeskanzler über den Bundesfinanzminister bis zu den Sprechern meiner Fraktion. Wir werden diese Politik durchführen und garantieren.
Herr Professor Carstens hat behauptet, wir hätten die Inflation bagatellisiert und eine falsche Politik mit strukturell falschen Folgen gemacht. Herr Carstens, ich darf Sie daran erinnern, daß uns gerade das zweite Stabilitätsprogramm vom Mai das entscheidende positive Ergebnis gebracht hat. Dadurch ist das verhindert worden, was gemeinhin unter dem Stichwort „Gewinnexplosion" erörtert worden ist. Ich meine die Gewinnexplosion, die uns das zweite Sondergutachten der Sachverständigen vorhergesagt hat und die wir mit der Stabilitätsabgabe, ,die Sie lebhaft kritisiert haben und die auf die oberen Einkommenstufen beschränkt war, abgefangen haben. Die Zuwachsraten der Bruttoverdienste bei Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit und bei Einkommen aus Unternehmertätigkeit liegen heute etwa auf gleicher Höhe. Die Gewinnexplosion hätten wir sozialpolitisch, tarifpolitisch und damit auch stabilitätspolitisch in diesem Herbst nicht verkraften können. Insofern hat dieses Programm keine strukturellen Fehler gebracht, sondern einen ganz entscheidenden strukturell positiven Effekt erzielt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Bismarck?
Herr Kollege Graf Lambsdorff, wollen Sie dem Plenum wirklich die Nachricht verkaufen, daß durch das Stabilitätsprogramm die Gewinnexplosion verhindert worden sei? Sind Sie nicht selber viel besser im Bilde, daß das völlig andere Gründe hat, Gründe nämlich, die in den Kostensteigerungen und völlig ausgebliebenen Gewinnmöglichkeiten liegen? Wissen Sie nicht, daß Abschreibungen die Gewinne nicht erhöhen?
Herr von Bismarck, zunächst habe ich überhaupt nicht die Absicht, etwas zu verkaufen. Als Verkäufer betätige ich mich hier nicht.
Zur Beantwortung Ihrer Frage möchte ich sagen, daß die Stabilitätsabgabe mit den durch sie eingeschränkten Gewinnmöglichkeiten bei den oberen Einkommen und den Einkommen der Körperschaften eindeutig dazu beigetragen hat, daß die Gewinn- explosion vermieden worden ist. Das können Sie im übrigen auch im Gemeinschaftsgutachten nachlesen; es ist dort bestätigt worden.
Meine Damen und Herren, nun zu der Frage, ob diese Stabilitätspolitik fortzusetzen ist oder nicht. Ich muß sagen, aus den Anträgen, Herr Professor Carstens, die Sie vorgelegt haben, kann ich nur ersehen, daß darin eine Reihe von Maßnahmen enthalten sind, die einem solchen Ziel deutlich widersprechen. Woher sollen wir eigentlich die Mittel für die Erhöhung der Investitionszulage und der ERP-Mittel nehmen? Sie wissen, daß das ein geschlossener Fonds ist. Wir könnten nur auf den Markt gehen und Anleihen aufnehmen, um das Volumen zu vergrößern.
— Ja. Es gibt also keine Möglichkeit. Dies ist stabilitätswidrig.
Hier muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden: Eine Regierung muß den Mut haben, auch unpopuläre Dinge zu vertreten, z. B. daß die Erhöhung des Weihnachtsfreibetrages in der gegenwärtigen Situation stabilitätswidrig wäre. Eine solche Erhöhung wäre das Musterbeispiel einer verfehlten Politik, die unter dem Deckmantel der sozialen Haltung in Wirklichkeit inflationsfördernd, d. h. unsozial, wirken müßte. Wenn nämlich angesichts der Energiekrise mit einem geringeren Angebot an Gütern der Geldumlauf und die Konsumkaufkraft erhöht würden, würde man über eine höhere Nachfrage, der kein Angebot gegenübersteht, einen weiteren Preisauftrieb erreichen.
4262 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Dr. Graf Lambsdorff
Es kann kein Zweifel sein, meine Damen und Herren, daß in der gegenwärtigen Situation die Ölkürzung bedeutet, wie es ein amerikanischer Wirtschaftsbericht ganz kurz und knapp formuliert hat, daß uns weniger Wachstum und mehr Inflation beschert wird. Das kann nicht ausbleiben. Wir haben keine Möglichkeit und keine Veranlassung, Herr Professor Carstens, jetzt etwas zu tun, was dem unter stabilitätspolitischen Gesichtspunkten entgegenwirken könnte. Außerdem müssen Sie sich bitte sagen lassen, daß Sie mit Ihrer Auffassung im Gegensatz sowohl zum Gemeinschaftsgutachten wie zum Sachverständigengutachten wie auch eindeutig zur Bundesbank stehen, die an ihrer Geld-, Kredit-und Stabilitätspolitik festhalten will und wird und dies nach meiner Überzeugung auch mit Recht tut.
— Dann können Sie solche Anträge nicht vorlegen. Denn wenn Sie auf der einen Seite die Geld- und Kreditpolitik für richtig und die Begrenzung des Geldumlaufs für vertretbar halten, dann können Sie nicht auf der anderen Seite Milliardenbeträge freisetzen, die in den Geldkreislauf hineingehen.
Das heißt, daß Sie das derzeitig knappe 01 auch noch ins Feuer schütten.
Meine Damen und Herren, es muß klar gesehen werden, daß wir verpflichtet sind, diese Politik
) weiter zu betreiben, und daß die Bundesregierung die richtigen Maßnahmen getroffen hat. Ich persönlich stehe nicht an, es auch für richtig zu halten, daß z. B. die Bundesbank offensichtlich erste Anstalten macht, bei der Anwendung des Bardepotgesetzes etwas flexibler und großzügiger zu werden, daß in den Rediskont- und Lombardkontingent etwas Luft gelassen wird, weil es nicht notwendig ist, weiteren Druck auf den Geldumlauf zu tun, wohl aber richtig ist, so viel Luft zu geben und so viel Raum zu schaffen, wie durch den Abfluß von Devisengegenwerten entzogen worden ist.
Die Bundesregierung hat recht, wenn sie die Investitionssteuer aufheben läßt und die degressiven Abschreibungen wieder einführt. Ich bitte darum, daß das so bald wie möglich geschieht, weil der ,Ankündigungseffekt natürlich einen Anstoß für den Nichteingang von Bestellungen bei den Automobilfabriken darstellt, Herr Professor Carstens. Die Tatache, daß man ankündigt, am 19. November wird die Investitionssteuer aufgehoben, führt zu einem sofortigen Stopp von Bestellungen bei den Automobilfabriken, insbesondere für Lastkraftwagen. Dies ist kein Wunder. Wenn ich sie übermorgen um 11 % billiger kaufen kann, warte ich selbstverständlich mit meiner Bestellung. Deswegen wäre es richtig, wenn die Bundesregierung darüber bald entschiede.
Das gleiche gilt für den § 7 b. Wir haben auch das hier schon vor einiger Zeit in Zusammenhang mit der Unterstützung des sozialen Wohnungsbaus und den dafür vorgesehenen Maßnahmen besprochen.
Zu den Anträgen im einzelnen, meine Damen und Herren und Herr Professor Carstens, will ich mich hier nicht äußern. Darüber soll nachher, wenn sie im einzelnen von Ihnen begründet werden, sicherlich noch debattiert werden. Ihnen ist inzwischen bekannt, daß die Konzertierte Aktion stattfindet, und Ihnen ist auch bekannt, daß natürlich erst danach Orientierungsdaten veröffentlicht werden können.
— Nach der Konzertierten Aktion, frühestens aber, meine Damen und Herren, nach der Erstattung des Sondergutachtens der Sachverständigen unter Einbeziehung der energiepolitischen Maßnahmen, Vorher ist das wohl kaum möglich.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann?
Aber sehr gerne.
Herr Kollege Graf Lambsdorff, wie stellen Sie sich eigentlich einen möglichen Erfolg der Konzertierten Aktion vor, wenn die Orientierungsdaten vom 22. November 1973 weiterhin Maßstab der Regierungspolitik sein sollen?
Herr Müller-Hermann, ich habe das ja eben korrigiert. Sie haben völlig recht. Wenn das Sondergutachten vorliegt, können Orientierungsdaten gegeben werden. Das Sondergutachten wird am 18. und 19. Dezember erstattet werden. Dann wird hoffentlich, Herr Müller-Hermann, ein Sondergutachten vorgelegt werden können — vielleicht überfordern wir die Sachverständigen auch —, das die Daten unter Einschluß der Energiekrise enthält und das Orientierungsdaten möglich macht. Ich weiß das nicht; ich befürchte, Sie wissen es auch nicht, aber ich will Ihnen das nicht unterstellen. Sie wissen so viel, Herr Müller-Hermann.
Meine Damen und Herren, in dieser Frage — auf einem hohen Inflationssockel Stabilitätspolitik weiter zu betreiben — müssen wir nach unserer Überzeugung festbleiben. Diese Politik darf nicht aufgegeben werden, und wir sind die letzten, Herr Kollege Carstens, die die Inflation bagatellisieren wollen. Ich bestreite Ihnen nicht, Herr Professor Carstens, daß diese Stabilitätspolitik spät, wenn nicht zu spät, begonnen worden ist. Dies hat aber einen guten Teil seiner Gründe natürlich auch in der Entwicklung des Herbstes 1972. Hier kritisieren uns auch die Sachverständigen, die im übrigen aber dieser Bundesregierung das Zeugnis ausstellen, daß sie die härteste, erfolgreichste und konsequenteste Stabilitätspolitik betrieben habe, die je eine Bundesregierung auf die Beine gestellt hat.
Immer wieder hören wir von Ihnen, Herr Carstens, daß wir die kleinen Einkommen steuerlich ent-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4263
Dr. Graf Lambsdorff
lasten sollen. Dies ist natürlich nicht Stabilitätspolitik!
Herr Professor Carstens, es ist uns nun einmal in der Konzertierten Aktion, auf die Sie mit Ihrem Antrag so besonderen Wert legen, von den Gewerkschaften gesagt worden, dies könne keinen Einfluß auf die Tarifverhandlungen haben.
— Meine Damen und Herren, wir können das natürlich glauben oder nicht glauben, aber eine Bundesregierung kann doch nicht eine solche ganz klare Mitteilung ihres Gesprächspartners in der Konzertierten Aktion beiseite tun und sagen, ich glaube es nicht, ich hoffe doch, daß es besser geht, mit dem Ergebnis, daß wir hinterher zweimal einen Konsumstoß in die Volkswirtschaft hineinpumpen. Wir werden dies nicht tun.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Bismarck?
Aber gerne.
Herr Kollege Lambsdorff, wie vereinbaren Sie es mit dieser Aussage, daß die IG Metall eine Druckschrift herausgegeben hat, in der sie genau auf die 8 Milliarden DM hinweist, die nach ihrer Meinung dabei den Arbeitnehmern in der Tasche geblieben wären, und die Vorenthaltung als einen schweren Fehler kennzeichnet?
Herr von Bismarck, dies ist völlig verständlich. Daß das erbeten und gewünscht wird und daß 8 Milliarden gern behalten würden, ist klar. Aber in dieser Druckschrift steht kein Wort davon, daß man mit diesen acht Milliarden, die man in der Tasche behielte, dann von den Forderungen herunterginge, die jetzt auf dem Tisch liegen, und einzig und allein darum geht es.
Das kann man angesichts der Situation, die die Gewerkschaftsvorstände im Laufe dieses Sommers hinter sich gebracht haben, auch nicht erwarten. Ich halte es für ganz unzumutbar, ihnen eine solche Erklärung abzuverlangen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch kurz auf zwei Punkte eingehen.
Zunächst einmal bin ich der Auffassung, daß diese Energiekrise, die der Bundeskanzler mit Recht als eine Herausforderung und auch eine Chance für uns alle bezeichnet hat, auch eine Herausforderung und eine Chance für die Marktwirtschaft ist und hier insbesondere auch für die Unternehmer. Es muß von ihnen erwartet werden, daß sie sich mit Einfallsreichtum und Geschick dieser Situation gewachsen zeigen und nicht fortgesetzt nach dem Staate rufen.
Ich habe kein Verständnis dafür, wenn heute Bankvorstände eine Aufhebung der Stabilitätspolitik verlangen; denn die sollten am besten wissen, daß das einen neuen Schub in die Inflation geben würde. Ich begreife diese Einstellung nicht.
Ein Zweites. Herr Professor Carstens, Sie haben für mein Empfinden und das Empfinden meiner Freunde eine außergewöhnlich kühne Volte mit der Verbindung von der russischen Hilfe für die Araber zu den Ostkrediten geschlagen; wirklich sehr kühn.
Herr Professor Carstens, wenn wir unsere Beziehungen zu unseren östlichen Nachbarn von deren Auftreten in jedem Teil der Welt abhängig machen und danach ausrichten wollten, würde das bedeuten, daß wir gar keine Ostpolitik mehr betreiben könnten.
Ich weiß nicht, ob Sie das wollen; vielleicht. Aber dann würden wir uns den letzten Bewegungsspielraum einengen. Ich habe von dieser Stelle — unid damals unter Zustimmung Ihrer Freunde ausdrücklich gesagt, daß wir in der gegenwärtigen Situation z. B. für die Diversifizierung unserer Energiequellen sorgen und dabei selbstverständlich auch in Richtung Osten diversifizieren müßten. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig. Ich begrüße es sogar, daß wir hier eine Verflechtung internationaler wirtschaftlicher Abhängigkeiten schaffen, weil wirtschaftliche Abhängigkeiten dieser Art ein Stück — ein kleines Stück, ich will es zugeben; aber dies alles sind nur kleine Stücke — weiterer Friedenssicherung bedeuten können.
Meine Damen und Herren, ,die Opposition — lassen Sie mich das zum Schluß sagen — gefällt sich darin, der Bundesregierung unter dem Stichwort Krise vorzuhalten, daß hier alles drunter und drüber ginge:
die Energiekrise, die Koalitionskrise, die Führungskrise, die SPD-Krise, die Beschäftigungskrise.
Dies alles, meine Damen und Herren, erinnert an den Wahlkampf des Jahres 1972. Ich habe den Eindruck,
daß die Opposition zu viel von dem 49 %igen Allensbacher genossen hat. Der stimmt Sie offensichtlich high. Aber ich sage Ihnen: Vorsicht, dies war ein etwas fuseliger Verschnitt; beim Erwachen gibt es Kopfschmerzen und einen Kater, wie gehabt.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ehrenberg.
4264 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich hätte sehr gern in dieser Runde noch dem als nächsten angekündigten Sprecher, Herrn Müller-Hermann, den Vortritt gelassen, um die Vielzahl der Runden abzukürzen. Aber dieser mein Vorschlag fand keine Gegenliebe, so daß ich mich hier doch wohl auf die vorliegenden Anträge und auf den Beitrag des Oppositionsvorsitzenden beschränken muß und nicht die von Herrn Müller-Hermann zu erwartende Begründung der Oppositionsanträge schon mit einbeziehen kann, was ich bedauere.
Herr Professor Carstens, Sie haben einleitend gesagt, die von Ihnen vorgeschlagene Politik habe sich als richtig erwiesen, und weil das richtig gewesen sei, legten Sie auch jetzt ein umfassendes Programm vor; wenn wir dem folgten, ginge es diesem Lande Ihrer Ansicht nach besser. Ich frage mich vergeblich, wenn ich in meiner Erinnerung herumkrame, wann, wo und wie Sie denn Vorschläge zur Stabilitätspolitik gemacht haben.
die irgend etwas besser gemacht hätten. Denn die Vorwürfe, die Sie heute erhoben haben, stehen in einem merkwürdigen Widerspruch dazu, daß Sie zwei Jahre lang — das geht zurück bis in die letzte Legislaturperiode — alle Stabilitätsmaßnahmen der Bundesregierung stets als zu gering, zu klein, zu schwach und zu wenig bezeichnet haben. Jetzt ist es Ihnen innerhalb weniger Monate zuviel geworden!
Diesen Widerspruch können Sie nur selber aufklären; ein anderer wird das nicht können.
Der Widerspruch klärt sich genauso wenig, meine Damen und Herren von der Opposition, wenn man dieses umfangreiche Bündel verschiedenartiger Anträge insgesamt sechs an der Zahl, die sich zum Teil überschneiden — und die darin enthaltene Vielzahl von einzelnen Forderungen durchsieht; es bleibt von diesen Vorschlägen nur ganz wenig übrig, bei dem sich die Regierungsfraktionen und die Bundesregierung nicht in der Rolle des Swinegels — in jenem berühmten Wettlauf zwischen Has und Swinegel in Buxtehude — fühlen müßten; denn zu der Mehrzahl Ihrer Vorschläge kann man auf gut norddeutsch nur sagen: „Ick bün all dor." Was da gefordert wird, wird von der Bundesregierung seit Wochen praktiziert.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Breidbach?
Gerne.
Herr Kollege Ehrenberg, nachdem Sie gerade darauf hingewiesen haben, daß
die Opposition in der Vergangenheit keine Alternativen gehabt habe, zuwenig getan habe, mit der Vielzahl von Anträgen, die sie nun eingebracht hat, nach Ihrer Meinung jetzt aber zuviel tut, wäre es äußerst interessant zu wissen — ich bitte Sie, das dem Hause zu sagen --, was denn die Opposition tun könnte, um der Regierungskoalition zu gefallen.
Herr Breidbach, die Opposition hat nicht die Aufgabe, der Regierung zu gefallen. Nur täte sie sich selber einen Gefallen, wenn sie eine Vielzahl von Forderungen stellte, bevor die Regierung gehandelt hat,
und nicht einen Forderungskatalog vorlegt, der zum größten Teil entweder schon erfüllt oder zumindest in der Arbeit ist.
Das halte ich allerdings für eine schwache Oppositionsleistung. Das muß ich hier ganz offen sagen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Gern.
Herr Kollege Ehrenberg, 'hätten Sie die Freundlichkeit, dem Kollegen Breidbach zu bestätigen, daß seine Bemühungen, uns zu gefallen, sicherlich immer erfolglos bleiben müßten?
Das gilt für Plenum und Ausschuß gleichermaßen.
Aber damit Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, nicht glauben, ich täte das nur so pauschal, habe ich mir die Mühe gemacht, jenen Forderungskatalog, wie er vor allen Dingen in dem heute erst vorgelegten Antrag enthalten ist, der Reihe nach durchzugehen. Da wird u. a. gefordert die Umstellung der Feuerung von schwerem Heizöl auf andere Brennstoffe 'bei Kraftwerken, Stahlwerken und sonstigen Großverbrauchern, dann die volle Auslastung jener Raffinerien, die technisch in der Lage sind, zusätzliche Mengen Leichtprodukte aus schwerem Heizöl zu gewinnen, oder auch die Übernahme eines größeren Anteils der Stromversorgung als bisher von Kohlekraftwerken.
Sie wollen doch nicht im Ernst behaupten, daß das neue Erkenntnisse sind. Seit vier Wochen ist die Regierung dabei, das zu tun. Ein großer Teil dieser Umschichtungen ist bereits erfolgt.
Aber wenn man genauer hinsieht, erkennt man allerdings doch einen bedeutsamen Unterschied zu den Maßnahmen der Regierung und auch zu den
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4265
Dr. Ehrenberg
Absichten der SPD-Bundestagsfraktion. In Ihrem ganzen Katalog der energiepolitischen Umstellung stellen Sie vorweg die Forderung, 'daß durch geeignete Anreize diese Möglichkeiten geschaffen werden sollen. Hier sind wir allerdings anderer Meinung: Diese gesamtwirtschaftlich so notwendigen, im Gesamtinteresse 'unabdingbaren Umstellungen müssen nicht erst durch massive öffentliche Anreize möglich gemacht werden, sondern die auch Wirtschaftsunternehmen obliegende Verantwortung 'bedingt es, daß diese Umstellungen so schnell wie möglich durchgeführt werden und daß wir nicht erst ein umfangreiches Anreizeangebot vorlegen müssen. Die Bundesregierung verhandelt 'bereits mit den Wirtschaftszweigen, für die diese Umstellung notwendig ist. Ich glaube, hier ist ein guter Platz, sehr deutlich auszusprechen, daß dort, wo mangels Einsicht der betroffenen Unternehmen diese Verhandlungen noch zu keinem Erfolg geführt haben, die Bundesregierung sehr schnell von den Möglichkeiten, die dieses Parlament ihr mit dem Energiesicherungsgesetz eingeräumt hat, Gebrauch machen sollte, um notfalls im Wege der Rechtsverordnung gesamtwirtschaftlich verantwortliches Handeln zu erzwingen. Es kann nicht der Einsicht einzelner Unternehmer und auch nicht erst massiven öffentlichen Anreizen überlassen bleiben, ob hier die notwendigen Substitutionen von Erdöl durch andere Brennstoffe vorgenommen werden. Dafür haben wir die Möglichkeiten im Energiesicherungsgesetz geschaffen.
Eine Nebenmerkung in diesem Zusammenhang: Wer das, was dort notwendig ist — auch solche Stimmen gibt es im Hintergrund — , für Dirigismus hält, sei gebeten, einmal darüber nachzudenken, wieviel Dirigismus beispielsweise in dem Sonntagsfahrverbot für wie viele Bürger steckt. In diesen Fragen der Maßnahmen zur Sicherung der Energieversorgung kann Dirigismus nie eine Frage des Prinzips sein, sondern muß ganz allein eine Frage der Zweckmäßigkeit sein.
Allein von der Zweckmäßigkeit her wird auch Ihr Antrag zur Änderung des Investitionszulagengesetzes zu entscheiden sein. Vor dem Hintergrund der Energieverknappung sind unter der Vielzahl notwendiger Maßnahmen arbeitsplatzsichernde und die Energieversorgung verbreiternde Investitionen von absolutem Vorrang. Auch bei schon bald erfolgter Inanspruchnahme der während der Hochkonjunktur bei der Bundesbank stillgelegten Mittel bedarf es hierzu erheblicher Haushaltsanstrengungen. Diese notwendigen Haushaltsdispositionen sollten jetzt nicht durch einen ad hoc vorgelegten Gesetzentwurf über erhebliche Haushaltsmittel präjudiziert werden. Das bedarf einer sorgfältigen und in das konjunkturpolitische Gesamtkonzept einzupassenden Überlegung.
Herr Professor Carstens, daß Sie noch einmal die Argumentation Ihres berühmt-berüchtigten Inflationsgesetzes vom 4. Oktober hervorgeholt haben, daß Sie ausgerechnet im Zeichen neuer, von außen her kommender Preisbewegungen glauben, mit massiven Kaufkraftentlastungen Stabilitätspolitik betreiben zu können, kann doch wohl niemand ernst nehmen.
— Ich habe sehr wohl kapiert, was hinter Ihrem Antrag, daß dieser Deutsche Bundestag die Regierung ersuchen solle, die Konzertierte Aktion einzuberufen, und hinter Ihrem Vorschlag, daß die Regierung den dort versammelten Tarifvertragsparteien gewissermaßen ein Weihnachtsgeld auf den Tisch legen soll, steckt. Ich habe sehr wohl kapiert, was das für die Tarifautonomie in diesem Lande bedeuten würde, wenn wir so töricht wären, Ihrem Vorschlag zu folgen.
Das kann und wird nicht in Frage kommen.
Sicher — dies ist aus der Rolle der Opposition heraus sogar verständlich — ist gerade kurz vor Weihnachten die Forderung nach einer Verdreifachung des Weihnachtsfreibetrages recht populär. Nur, ebenso sicher ist es, daß sich mit kurzfristiger Publizitätseffekthascherei eine gesamtwirtschaftlich verantwortliche Konjunkturpolitik nicht machen läßt.
Jetzt ist es unsere vorrangige Aufgabe, mit gezielten Investitionsprogrammen zu einem reibungslosen Übergang von der gegenwärtigen Konjunkturphase zu einer energiesparenden Produktionsstruktur zu kommen. Diese Aufgabe kann durch kurzfristige Steuermindereinnahmen nur erschwert, aber nicht erleichtert werden. Deshalb werden wir diesen Antrag in den zuständigen Ausschüssen und auch hier im Plenum ablehnen.
In dem Bündel Ihrer sechs Anträge enthält ein einziger nicht überholte — jedenfalls nicht voll überholte —, brauchbare Vorschläge; das ist das Arbeitsplatzsicherungsprogramm, das ja bereits in der Energiedebatte vom 29. November hier vorgelegt wurde; auch dort ist ein großer Teil schon in Arbeit, ein Teil überschneidet sich mit den anderen Anträgen. Aber die sachliche Basis — jedenfalls weitgehend sachliche Basis — dieses Antrags wird sicher zu einer Bereicherung der notwendigen Ausschußberatungen beitragen.
Für das konjunkturpolitische Gesamtkonzept allerdings — gerade, wenn man die Konjunkturlage so sieht, wie Herr Professor Carstens sie hier vorgetragen hat —, meine Damen und Herren, reichen Ihre Vorschläge nicht aus; auch da sind Regierungsfraktionen und Bundesregierung mit Überlegungen schon ein ganzes Stück weiter; mein Kollege Lambsdorff hat einen großen Teil davon hier schon genannt.
Ich würde der Deutlichkeit halber hier gerne noch hinzufügen, daß die gegenwärtige Konjunkturphase zwar keine radikale Umkehrung der bisherigen Politik erfordert, wohl aber eine sehr deutliche Neuakzentuierung in Richtung auf Sicherung der Arbeitsplätze, eine sehr deutliche Neuakzentuierung hinsichtlich des Vorrangs energiesparender, energie-
4266 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Dr. Ehrenberg
sichernder Investitionen. Um diese Entwicklung kurzfristig in Gang bringen zu können, sind sehr schnell die Aussetzung der Investitionssteuer und die Wiedereinführung der degressiven Abschreibungsmöglichkeiten, die Wiedereinführung des § 7 b des Einkommensteuergesetzes, die vor allen Dingen in den wirtschaftsschwachen Regionen ihre positive Wirkung auf den Baumarkt nicht verfehlen wird, der volle Haushaltsansatz für die Mittel der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur sowie der Agrarstruktur und des Küstenschutzes und die Erarbeitung von tiefgestuften und breitgefächerten Investitionsprogrammen zur Arbeitsplatz- und Energiesicherung zu beschließen.
Notwendig ist dazu auch — gewissermaßen als Parallelprogramm — eine Überprüfung der Geld- und Kreditpolitik in Richtung auf eine behutsame, vorsichtig dosierte, aber doch deutliche Lockerung des Restriktionskurses. Unter den sehr schwierigen Produktionsbedingungen möglicher Energieengpässe bedürfen in Zukunft auch die Kostenelemente eines hohen Zinsniveaus einer besonderen Beachtung.
Meine Damen und Herren, die nächsten Monate werden schwierig werden.
Die Überwindung der vielfältigen Schwierigkeiten wird aber durch Übertreibungen, wie sie die Opposition und auch eine Reihe von Verbandsgeschäftsführern in den letzten Wochen nur allzu gerne gepflegt haben, nicht leichter.
Das gilt für die Konjunkturpolitik genauso wie für die Energieversorgung. Ob zur Sicherstellung der Energieversorgung bzw. der gesamtwirtschaftlich sinnvollsten Verteilung weitergehende Maßnahmen als bisher notwendig werden, darf nicht im voraus zerredet werden, sondern muß von dem tatsächlich erreichten Stand der Energieversorgung abhängig gemacht werden. Die Maßnahmen dürfen allerdings auch nicht von Dogmatismen der verschiedensten Art abhängig gemacht werden, sondern allein von der Zweckmäßigkeit und dem für alle verbindlichen Auftrag, soziale Härten zu minimieren.
Zu minimieren sind allerdings auch — darauf hat mein Kollege Nölling eingangs schon hingewiesen — die vorhandenen Möglichkeiten, durch keine Kostenveränderungen begründete Marktlagengewinne höchsten Ausmaßes zu kassieren. Hier hat die Bundesregierung begonnen — sie wird von uns sehr gebeten, das noch schärfer zu tun —, alle Möglichkeiten des Kartellrechts voll auszuschöpfen und unverantwortliche Gewinne in Zukunft zu verhindern bzw. entsprechende Maßnahmen — auch Strafmaßnahmen — einzuleiten, um hier zu verhindern, daß diese marktwirtschaftliche, aber sozialgebundene Wirtschaftsordnung in der Bundesrepublik immer noch hinter deren Sozialbindung herhinkt, daß diese durch solch unverantwortliche Handlungsweise weiterhin diskreditiert und damit in ihrem Bestand zur Diskussion gestellt wird. Wer es mit dieser marktwirtschaftlichen Ordnung gut meint — und das tut die
sozialdemokratische Bundestagsfrakti on —, der muß sie vor solchen Angriffen schützen.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller-Hermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Angesichts der Schwierigkeiten, in denen sich unsere Volkswirtschaft befindet und die mit Sicherheit noch auf sie zukommen, täte eine besonnene und kraftvolle politische Führung dringend not. Diese besonnene und kraftvolle politische Führung ist nicht vorhanden. Die Opposition stellt heute so etwas wie einen ruhenden Pol in einer aufgeregten Diskussion dar.
Innerhalb der Koalition klafft offenbar ein ganz tiefer Riß. Wer das noch nicht gespürt hat, der mußte es heute bei den Ausführungen des Kollegen Nölling merken, die ja im Grunde nicht an die Öffentlichkeit und an dieses Hohe Haus gerichtet r waren, sondern an den Bundeswirtschaftsminister und den Koalitionspartner.
Dieser tiefe Riß zeigt sich sowohl in der Darstellung der Lage als auch bei der Frage, wie man mit den Schwierigkeiten fertig werden will.
Wer dramatisiert denn nun eigentlich? Der Herr Bundeswirtschaftsminister Friderichs hat, glaube ich, hier durchaus gute Absichten gehabt, mit einer nüchternen Darstellung der Lage keine falschen Erwartungen und falschen Besorgnisse in der Öffentlichkeit aufkommen zu lassen. Aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, es gibt in einer Regierung nun einmal keine teilbare oder geteilte Verantwortung; wenn wir die Informationspolitik der Regierung kritisieren, müssen Sie sich eben auch mit angesprochen fühlen.
Frau Präsidentin, ich werde mir erlauben, einen Auszug von Zitaten aus dem Lager der Regierung und der Koalition aus den letzten drei und vier Wochen zur Energiekrise und zur konjunkturpolitischen Lage zu Protokoll zu geben, der der Öffentlichkeit dann nachweisen wird, welche Widersprüche wir hinnehmen mußten.
Herr Kollege Nölling hat — offenbar auch entsprechend den parteiinternen Diskussionen innerhalb der SPD — heute wieder — allerdings unter dem Etikett „Marktwirtschaft" — im Grunde ständig neue Staatseingriffe
zur Bewältigung einer Krise verlangt, von der wir gar nicht wissen, ob sie vorhanden ist. Ich würde von Herrn Bundeswirtschaftsminister Friderichs gern einmal eine Auskunft haben, inwieweit denn nun wirklich ein Engpaß in der Energieversorgung besteht. Im Augenblick, glaube ich, haben wir keinen, jedenfalls nicht bei Benzin und Dieselkraftstoff.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4267
Dr. Müller-Hermann
Allerdings haben wir eine gewiß besorqniserregende Tendenz beim schweren Heizöl. Im Augenblick wird aber eben auf seiten der SPD versucht, die konjunkturpolitischen Schwierigkeiten, die die Folge der bisherigen Konjunkturpolitik der Bundesregierung sind, mit der angeblich vorhandenen oder auf uns zukommenden Ölkrise zu begründen.
Es gibt offenbar in Ihren Reihen, sehr verehrter Herr Kollege Nölling, sehr starke Kräfte, die die Schwierigkeiten gern als Aufhänger benutzen, um gegen die Marktwirtschaft zu agieren und Dirigismus zu predigen.
Von dem früheren Bundeswirtschaftsminister Schiller stammt ein kluges Wort: „Fünfzig Prozent der Wirtschaftspolitik ist Psychologie." Meine Damen und Herren, das spüren wir eben auch heute. Man kann eine Krisensituation auch herbeireden.
Dabei ist die Bundesregierung, und dabei ist im Augenblick die SPD.
Es ist eine Verunsicherung der Verbraucher eingetreten, die doch nicht von ungefähr kommt, sondern die Folge der unterschiedlichen, widersprüchlichen und auch falschen Darstellungen aus dem Regierungslager ist.
Wenn wir beispielsweise durch eine EMNID-Befragung erfahren, daß ,der Autofahrer, der in normalen Zeiten mit 201 im Tank durch die Gegend fuhr, heute mit 401 fährt — ja, worauf ist das zurückzuführen? Oder wenn derzeit alle Heizöltanks voll sind, obwohl das nicht ,dem normalen Zustand entspricht — worauf ist denn das zurückzuführen? Wenn wir, meine Damen und Herren, heute hören, daß wieder mehr gespart wird, obwohl das Sparen in Deutschland im Grunde bestraft wird, — auch das ist ,die Folge einer veränderten psychologischen Situation: die Bürger fühlen sich verunsichert und beginnen, sich wieder ein Polster anzulegen. Das gleiche gilt für die veränderten Kaufgewohnheiten, die der Einzelhandel schon zu spüren bekommt; für Heizkosten und für Kraftstoff wird mehr aufgewendet, es wird mehr gespart, und daher gehen auch die Umsätze im Einzelhandel offenbar weiter zurück.
Das gleiche läßt sich auch für das Automobilgeschäft sagen, wo natürlich, wie einer ,der Kollegen — ich glaube, es war Graf Lambsdorff — gesagt hat, mehrere Faktoren zusammenkommen, nicht zuletzt diese Anti-Autohysterie, meine Damen und Herren, deren Folgewirkungen Sie heute spüren. Sie müssen sich jetzt bemühen, der Automobilwirtschaft wieder Ihre Aufmerksamkeit zu schenken, weil Sie selbst einsehen, daß eine Branche, von der jeder sechste
his siebente Barger im Lande lebt, nicht ohne Wirkungen auf die ganze Volkswirtschaft einfach abgewürgt werden darf. Es ist eigentlich sehr belustigend, wenn man hört, daß Bundesfinanzminister Schmidt bei etwaigen Einbußen in der Vollbeschäftigung der Chemie und Automobilindustrie empfiehlt, die Leute bei der Post und bei der Bahn oder über öffentliche Investitionen wieder in Beschäftigung zu bringen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Geiger?
Bitte schön!
Herr Kollege Müller-Hermann, würden Sie die eben vorgetragene Erkenntnis, daß man eine Sache herbeireden kann, auch auf das seit zwei Jahren konsequente Gerede über eine Inflation anwenden?
Herr Kollege Geiger, wenn Sie noch nicht gemerkt haben, daß wir tatsächlich in einer Inflation sind, die jetzt noch einen zusätzlichen Schub erhält, dann ist Ihnen nicht zu helfen. Hier haben wir die Tatsachen genannt, die Sie bemänteln wollen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Bitte sehr!
Herr Kollege Müller-Hermann, darf ich darauf aufmerksam machen, daß nach meiner Kenntnis jedenfalls die Automobilindustrie in keiner Weise Hilfestellung von der Regierung oder von wem auch immer erwartet, sondern ein vitales Interesse daran hat, daß ihre derzeitige Situation in keiner Weise dramatisiert wird und daß die Zuversicht, daß sich diese Dinge in absehbarer Zeit wieder geregelt haben werden, aufrechterhalten bleibt.
Sehr verehrter Kollege Graf Lambsdorff, wir befinden uns hier in völliger Übereinstimmung. Aber ich weise darauf hin — Sie haben das selbst gesagt —, daß hier bei der nachlassenden Nachfrage nach Neufahrzeugen verschiedene Faktoren zusammentreffen, nicht nur das Sonntagsfahrverbot und die Begrenzung von Geschwindigkeiten, sondern auch die generelle Unsicherheit infolge der Verteufelungsaktion, die aus dem Lager der Koalition und aus dem Lager der Regierung nach Kräften unterstützt worden ist.
Das sind die Folgewirkungen, die wir jetzt ausbaden müssen. — Bitte!
4268 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Herr Kollege Müller-Hermann, darf ich, um mich ganz verständlich zu machen und um nicht mißverstanden zu bleiben — denn es sieht mir so aus, als sei ich mißverstanden worden —, noch einmal sehr deutlich sagen und klarmachen, daß ich diese Ereignisse für vorübergehend halte und mit der Automobilindustrie, deren Schlüsselindustriecharakter für unsere Beschäftigungslage allgemein bekannt ist, der Ansicht bin, daß die Schwierigkeiten überwunden werden können, daß zu irgendwelcher Dramatisierung und ernsthafter nachhaltiger Besorgnis kein Anlaß besteht.
Graf Lambsdorff, Ihr Wort in Gottes Ohr.
Ich hoffe, daß Sie recht haben. Aber die nüchternen Überlegungen der Automobilindustrie — das kann ich aus Gesprächen vortragen — gehen dahin, daß wir im Jahre 1974 gegenüber 1973 mit einem um etwa 25 °/o verringerten Umsatz in der Bundesrepublik zu rechnen haben. Das sind die Daten, die sich jetzt auf Grund der Situationsanalyse der letzten Monate und der inzwischen für die nächste Zeit eingegangenen Bestellungen abzeichnen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Bitte sehr!
Herr Kollege Müller-Hermann, erlauben Sie, daß ich noch einmal nachfrage — das erscheint mir sehr wichtig —, ob Sie diese 25 % auf den innerdeutschen Kraftfahrzeughandel oder auf die Produktion beziehen, die aber doch einen ganz anständigen Exportanteil hat. Ich glaube, daß das erstere der Fall ist. Wir sollten ganz deutlich sagen, daß nicht etwa ein 25%iger Produktionsrückgang zu erwarten ist. Das ist ja ein wesentlicher Unterschied.
Herr Kollege Graf Lambsdorff, Sie bringen mich da auf ein Thema, auf das ich ohnehin zu sprechen gekommen wäre. Was ich hier über den 25 %igen Rückgang gesagt habe, den man erwartet, bezieht sich auf den Binnenmarkt. Die Exportsituation ist für die deutsche Automobilindustrie derzeit noch nicht ungünstig; ich will mich jetzt sehr vorsichtig ausdrücken. Ich meine aber, auch hier müssen wir mit gewissen zusätzlichen Risiken rechnen. Wenn es nämlich weltweit zu einer Konjunkturabschwächung kommt, werden wir nicht damit rechnen können, daß wir im Jahre 1973 eine weitgehende Auslastung der deutschen Kapazitäten durch Aufträge für den Export haben werden. Kommt es zu einem generellen weltweiten Konjunkturabschwung, wird eben auch unsere Exportmöglichkeit erschwert werden. Das wird Rückwirkungen auf die Beschäftigungslage im Inland haben.
Gerade deshalb, Herr Kollege Graf Lambsdorff, meine ich immer wieder darauf hinweisen zu müssen, welche zusätzlichen Erschwernisse für die deutsche Wirtschaft hinzukommen, wenn wir auf der Kostenseite über Gebühr zusätzliche Belastungen auf die deutsche Wirtschaft zukommen lassen. Das ist mit ein Grund, weswegen wir immer wieder darauf hinweisen, daß wir in dieser Situation in einem verstärkten Zielkonflikt zwischen Stabilität und Vollbeschäftigung stehen und daß die Regierung ihre Führungskraft im Hinblick auf die Tarifpartner unter Beweis stellen muß. Wenn ein übergebührlicher Zuwachs bei den Lohnkosten das kaum mehr vorhandene Wachstum der Wirtschaft zusätzlich strapaziert, laufen wir Gefahr, unsere Position im Export weitgehend zu verschlechtern und durch die mangelnde Kapazitätsauslastung der deutschen industriellen Anlagen zu noch stärkeren Einbußen bei der Vollbeschäftigung zu kommen. Darum unser Appell an die Bundesregierung, so früh wie möglich und so schnell wie möglich die Konzertierte Aktion zusammenzurufen, damit die Risiken verdeutlicht werden und die Vernunft wieder Einzug hält.
In diesem Zusammenhang muß ich noch einmal unterstreichen, was Kollege Carstens hier schon zu Anfang der Debatte erklärt hat. Unser Steuerentlastungsprogramm ist den Tarifpartnern bisher noch nicht als Angebot der Regierung auf den Tisch gelegt worden. Wenn Sie das in den zurückliegenden Wochen getan hätten, wäre uns manches an zusätzlichen Risiken erspart geblieben. Denn ich bin ganz sicher, daß die Einsicht in die zusätzlichen wirtschaftlichen Risiken für die Vollbeschäftigung bei den Gewerkschaften ebenso vorhanden ist wie auf seiten der Arbeitgeber, also in breiten Kreisen der Volkswirtschaft.
Hier ist eine Chance vertan worden, was Sie im Lager der Koalition noch einmal bitter bereuen werden.
Ich möchte noch einmal auf die zurückliegende Stabilitätspolitik zurückkommen, obwohl ich meine, man soll in der derzeitigen Situation nicht zuviel über die Vergangenheit sprechen. Unser Vorwurf bleibt im Raum, daß die Bundesregierung die Inflation in ihren volkswirtschaftlichen Konsequenzen bagatellisiert und unterbewertet hat.
Ich erinnere nicht nur an das berühmte, sondern auch berüchtigte Wort von Helmut Schmidt von den 5% Preisauftrieb statt 5 % Arbeitslosigkeit; ich darf auch an das Wort des Kanzlers erinnern, bei 4 % werde es ernst — das war im Sommer 1970 —, und ich darf an die berühmte Rechnung unter dem Strich erinnern, die heute nicht mehr aufgeht.
Der Mangel des Stabilitätsprogramms der Regierung lag im letzten Frühjahr und im Sommer darin, daß man ganz bewußt unter Vernachlässigung der Beiträge der öffentlichen Hände der Bundesbank die Bremspolitik zugeschoben und über die Investitionssteuer praktisch zusätzlich zu Lasten des Wachstums operiert hat. Insofern muß sich die Koalition den
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4269
Dr. Müller-Hermann
1 Vorwurf gefallen lassen, daß es eine gewollte Aktion gewesen ist, wenn es im Jahre 1974 zu einem Wachstum Null oder unter Null kommt.
Ich will das böse Wort von 1966 nicht wiederholen;
aber es wird diese Regierung im Umkehrschluß treffen: Sie haben die Minderung des Wachstums bis auf Null durch Ihre Politik provoziert.
In dieser Situation, wo wir kein Wachstum haben werden, wo sich von seiten der Rohstoffpreise und der Kosten der Inflationsimpuls weiter verstärken wird und wo die Arbeitsplätze in Gefahr geraten werden — ich weise auf die Aussagen von Herrn Stingl hin --, müssen die Bemühungen um die Stabilität trotzdem fortgesetzt werden. Um das aber zu können, empfehlen wir in unserem Arbeitsplatzsicherungsprogramm gezielte Hilfen für die Regionen, für die Sektoren, in denen die Bremsspuren ganz besonders deutlich werden. Mit anderen Worten, unser Arbeitsplatzsicherungsprogramm ist darauf abgestellt, die Bemühungen um die Wiederherstellung der Stabilität auch unter widrigen Umständen durchstehen zu können.
Ich will meine Redezeit nicht überziehen und nur noch einmal darauf hinweisen, für wie dringend wir es halten, daß in dieser Situation die Bundesregierung gegenüber den Tarifpartnern und auch gegenüber den anderen öffentlichen Händen eine Führungsaufgabe übernimmt. Wenn wir in der heutigen Zeitung lesen, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund das Zusammentreten der Konzertierten Aktion als nicht zweckmäßig ansieht, weil keine neuen Orientierungsdaten vorliegen, so habe ich ein gewisses Verständnis dafür. Aber es ist wirklich eine Schande, würde ich sagen, daß die Bundesregierung noch am 22. November der Öffentlichkeit und auch den Tarifpartnern Orientierungsdaten präsentiert hat, von denen sie zu diesem Zeitpunkt wissen mußte, daß sie völlig unrealistisch sind, daß sie an den Tatsachen vorbeigehen. Hier hat die Bundesregierung jetzt wirklich dringend einen Nachholbedarf zu befriedigen, denn von dem Ausgang der Konzertierten Aktion wird die Chance abhängen, weiteres Unheil über die Schwierigkeiten hinaus, die wir schon sehen, abzuwehren. Aber darum muß eben unverzüglich und kraftvoll mit den nötigen Argumenten gehandelt werden, und dazu fordern wir die Regierung auf.
Herr Kollege Müller-Hermann, Sie haben vorhin etwas zu Protokoll geben wollen. Ich nehme an, Sie wissen, daß das nicht geht, daß nur das, was hier in diesem Haus gesagt wird, mitgeschrieben wird. Aber Ihr Hinweis auf Ihre Arbeit steht auf jeden Fall im Protokoll.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Friderichs.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Ich will nur wenige Ausführungen zu der Anmerkung des Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Professor Carstens, bezüglich der Informationspolitik machen. Ich habe mich bemüht, dem berechtigten Bedürfnis der Fraktionen dieses Hauses und der Öffentlichkeit zu entsprechen. Ich möchte hier nur noch einmal darauf hinweisen, daß ich jede Woche mittwochs dieselbe schriftliche Information, die ich dem Bundeskabinett und meinen Kollegen in den Bundesländern zugänglich mache, am selben Mittwoch den Vorsitzenden der in diesem Hohen Hause vertretenen Fraktionen zuleite, so auch heute, und daß jedesmal in dem beigefügten Begleitbrief die Bereitschaft angeboten wird, mit den Fraktionen oder Teilen der Fraktionen auch über dieses Informationsmaterial zu sprechen. Ich habe nicht die Absicht, daran etwas zu ändern. Ich glaube, daß man sich wohl nicht beklagen kann, wenn man am selben Tag dieselbe schriftliche Information wie auch das Bundeskabinett bekommt.
Zweitens. Sie haben, Herr Professor Carstens, weiterhin gesagt, die Beurteilung bei der Situation des schweren Heizöls zeige doch — jedenfalls war das inhaltlich herauszuhören —, mit welch unrichtigen Beurteilungen wir an die Dinge herangingen. Mein Staatssekretär Dr. Rohwedder und ich hätten gesagt „Da gibt es keine Probleme", und nun seien die Probleme da. Das ist völlig richtig, was Sie sagen. Nur hätten Sie dann auch die Ihnen bekannten Gründe dafür sagen sollen; denn die gehen aus den Ihnen zur Verfügung gestellten Unterlagen, wenn ich das richtig sehe, hervor.
Es trifft zu, daß wir noch vor einigen Wochen — noch während der kriegerischen Handlungen im Nahen Osten — die Frage erörtert haben, in welchem Umfange wir schweres Heizöl durch Kohle substituieren sollten. Und es ist richtig, daß uns in dem damaligen Gespräch die Mineralölwirtschaft — und zwar unterschiedslos, ob internationale, europäische oder deutsche — gebeten hat, davon noch Abstand zu nehmen, da die Läger mit schwerem Heizöl übervoll seien und bei ihren Raffinerien ein bestimmter Anteil schweren Heizöls beim Prozeß ganz einfach anfalle.
Es trifft ebenso zu, daß sich diese Lage während der letzten Wochen drastisch verändert hat, und zwar aus einem ganz einfachen Grunde, nämlich deswegen, weil die Rohölqualitäten — insbesondere aus einem der bedeutendsten Förderländer —, die in die Bundesrepublik einfließen, sich in den letzten Wochen verändert haben. Offensichtlich sind die Mengen aus anderen Förderquellen zu uns gekommen. Die neuen Rohöle enthalten mehr sogenannte mittlere und leichte Anteile und weniger schwere. Daraus ergibt sich eine stark verminderte Produktion an schwerem Heizöl, allerdings bei gleichzeitig vermehrter Produktion — anteilig, meine ich — der mittelschweren und leichten Fraktion, was wir an sich begrüßen; denn der größere Engpaß bestand zunächst bei den Mitteldestillaten und nicht bei der
4270 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Bundesminister Dr. Friderichs
schweren Ware. Ich begrüße das weiterhin deswegen, weil die Substitutionsmöglichkeiten bei der schweren Ware einfacher zu realisieren sind als bei leichter und mittlerer Ware. Ich sage das nur deshalb, weil ich es nicht für gut halte, wenn der Oppositionsführer in Kenntnis dieser Tatsachen einfach so tut, als ob dies an Fehlleistungen der Regierung oder ihrer Informationspolitik liege.
— Das ist richtig: besser gar nichts sagen als etwas Falsches.
So ist es, Herr Professor Carstens. Dies war mein Rat an Sie; denn das, was Sie gesagt haben, stimmt nicht.
— Entschuldigen Sie bitte! Ich werde auch weiterhin, Herr Professor Carstens — ich bin dazu verpflichtet —, der jeweiligen Wochensituation entsprechend meine Vorlagen machen. Wenn sich die Situation ändert, werden wir sie eben entsprechend darstellen. Darauf werde ich gleich noch eingehen.
— Danke schön!
denn das? — Weitere Zurufe von der SPD.)
-- Das war ein Zwischenruf des Abgeordneten Reddemann. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.
Auf die Ratschläge des Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Hermann in Sachen Konzertierte Aktion möchte ich wie folgt antworten. Ich hatte ursprünglich die Absicht — wissen Sie, man sollte die Dinge so darstellen, wie sie sind; das ist das allereinfachste —, die Konzertierte Aktion zum 6. Dezember einzuberufen. Darüber waren auch Kontakte mit den Beteiligten gepflogen worden. Es sinçl dann Einwände gekommen, daß es nicht sinnvoll sei, die Konzertierte Aktion am 6. Dezember auf der Basis des Sachverständigengutachtens und der dazu abgegebenen Stellungnahme der Bundesregierung stattfinden zu lassen, weil die Sachverständigen die Mineralölsituation in diesem Gutachten nicht berücksichtigt hatten und dies auch nicht konnten, Teilnehmer an der Konzertierten Aktion aber der Meinung waren, daß es richtiger wäre, diese unter Einbeziehung der genannten Dinge abzuhalten. Dieser Meinung habe ich mich angeschlossen. Ich habe mit den Sachverständigen sofort Kontakt aufgenommen, nachdem der Bundeskanzler sie gebeten hatte, ein Sondergutachten anzufertigen, und sie gefragt, wann das in etwa vorliegen werde. Nachdem uns als frühester Termin — ich unterstreiche „frühester" — der 18. Dezember in Aussicht gestellt worden war — schneller geht es einfach nicht —, habe ich mir erlaubt, die Konzertierte Aktion zum 10. Januar einzuladen, da man den Teilnehmern die Möglichkeit einräumen muß, dieses Sondergutachten wenigstens zu lesen und in ihren Kreisen zu erörtern. Dies ist der Tatbestand.
Ich halte es nicht für richtig, Herr Müller-Hermann, wenn Sie hier sagen, die Regierung hätte unter Berücksichtigung der Mineralölsituation längst neue Orientierungsdaten vorlegen müssen, zumal wenn man dies nur mit einem Maß an Unsicherheit tun kann, das ich 'bei Orientierungsdaten nicht für vertretbar halte. Ich habe unsere Modellrechnungen, als ich das letzte Mal hier sprach, vorgelegt. Ich hoffe, daß wir bis zum 18. u. a. mit Hilfe der Sachverständigen und der Forschungsinstitute die entsprechenden Input-output-Analysen und damit ein hinreichendes Maß an Verläßlichkeit haben werden.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, bitte!
Herr Minister, wäre es nicht unter Hinweis auf das auch von Ihnen gebrauchte Wort „besser schweigen" richtiger gewesen, am 22. November statt falscher keine Orientierungsdaten herauszugeben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe am 22. November — dafür war ich, und dazu stehe ich auch heute — eine Stellungnahme der Bundesregierung zum Sachverständigengutachten abgegeben. Es war eine Stellungnahme zum Sachverständigengutachten ohne Berücksichtigung der Mineralölsituation; tendenziell, nicht quantifiziert, hat sie diese jedoch mitberücksichtigt. Darauf hatte die Öffentlichkeit nach meiner Meinung Anspruch. Hätten wir dies nicht getan, stünden Sie jetzt hier und fragten: Warum habt ihr keine Stellungnahme abgegeben? Wir haben sie abgegeben, und nun stehen Sie hier und fragen: Warum habt ihr eine abgegeben?
Wir sollten in dieser Situation einen sehr kühlen Kopf behalten, weil es — hier stimme ich Ihnen sogar zu — richtig ist, daß man die konjunkturpolitischen Dinge und die Mineralölkonsequenzen zwar gemeinsam sehen, aber nach Ursache und Wirkung zunächst auseinanderdividieren muß. Darüber gibt es überhaupt keine Meinungsverschiedenheit. Dazu versuche ich beizutragen. Ich will gar nicht darüber rechten, daß wir ohne Mineralölpolitik beim Übergang vom Boom zur Normallage in die schwierigste Phase geraten. Darüber waren wir uns aber im Mai bei der Verabschiedung des Stabilitätsprogramms einig.
Nur eines verstehe ich nicht. Wir müssen doch wissen, daß die Maßnahmen der Globalsteuerung
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4271
Bundesminister Dr. Friderichs
— das wußte ich auch im Mai, Sie hoffentlich auch in ihrer Auswirkung auf die Branchen selbstverständlich nicht gleichmäßig sein werden, auch wenn sie in ihrem Ansatz gleich sind. Dies ist ganz einfach deswegen so, weil stark wachstumsorientierte Branchen und sehr an der dünnen Decke des Eises operierende Branchen unterschiedlich schnell von einer Konjunkturabflachung — sei sie nun gewollt oder nicht gewollt betroffen werden.
Ich möchte mich hier heute aber nicht im einzelnen zur Konjunkturpolitik äußern, weil das Bundeskabinett darüber am kommenden Mittwoch berät und entscheidet. Ich hielte es für einen schlechten Stil, hier Einzelheiten der Überlegungen vorzutragen. Ich möchte zu der Debatte vielmehr dadurch beitragen, daß ich mich bemühe, ein paar Informationen über den Energiebereich zu geben.
Herr Professor Carstens, lassen Sie mich im Blick auf Ihr Informationsbedürfnis vorab noch etwas sagen, was mit den Preisen zu tun hat. Es gibt auf dem Weltmarkt Mengen in großer Zahl. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht bei uns im Hause oder aber auch bei den Mineralölgesellschaften Angebote eingehen. Auch darüber wird ja draußen diskutiert. Ich will Ihnen nur einmal ein solches Angebot, das mir heute morgen auf den Tisch kam, schildern: Von einem bestimmten Land werden 62 000 t Rohöl zum Preise von 16,75 Dollar pro Barrel angeboten. Das bedeutet: 350 DM pro Tonne frei deutsche Raffinerie. Dieselbe Gesellschaft kauft die Ware im Augenblick jedoch für bis zu 200 DM pro Tonne frei deutsche Raffinerie. Die Gesellschaften und auch wir — wenn wir als Ratgeber gefragt werden — stehen jedesmal vor der Frage: Soll man? Soll man nicht? Ich will das Beispiel weiter durchspielen. Bei unveränderter Preissituation ab Raffinerie — und die Gesellschaft, die ich hier meine, hat die Absicht, ihre Preise ab Raffinerie, wenn irgend möglich, zu halten — träte bei 62 000 t Rohöl ein Verlust von 10 Millionen DM ein, oder aber die Gesellschaft müßte sich — dies ist ja das Gefährliche an der Situation — in ihrer Preispolitik anders verhalten, woran wir natürlich kein Interesse haben.
Gestern — ich will Ihnen ein zweites Beispiel nennen— sind in einem Förderland die Angebote für eine Menge von rund 24 Millionen t Rohöl geöffnet worden. In diesem Land kaufen die Gesellschaften aus der Bundesrepublik zur Zeit 01 zu einem Preis zwischen 5 und 6 Dollar pro Barrel. Das höchste Angebot einer nichtdeutschen Gesellschaft lag gestern jedoch auf über 17 Dollar pro Barrel. Wieder steht man vor der Frage: Soll man? Soll man nicht? Wir haben im Augenblick einen schwierigen Weg zu beschreiten, nämlich den, auf der einen Seite so viel Rohöl und Mineralölprodukte wie möglich in unser Land zu bringen, auf der anderen Seite aber durch das Verhalten unserer Gesellschaften oder unser eigenes Verhalten zum Preisauftrieb nicht selbst einen Beitrag zu leisten oder — was ich für noch viel schlimmer halte — einen Vorwand dafür zu liefern.
— Ich gebe es nachher zu Protokoll. Das kann ausgerechnet werden.
Lassen Sie mich noch etwas zur Versorgungssituation sagen. Die Versorgungssituation in der Bundesrepublik stellt sich wie folgt dar. Die Kürzung der Rohöl- und Rohölprodukteinfuhren in den Monaten Dezember und Januar — ich nehme beide Monate zusammen - wird sich auf durchschnittlich 13 bis 14 % gegenüber dem Planansatz belaufen. Ich betone: gegenüber dem Planansatz, der seinerseits etwa 7 % über dem Ist-Ergebnis der Referenzperiode des Vorjahres liegt. Dabei wird die Kürzung der Produkteinfuhren wesentlich höher sein als die Kürzung der Rohöleinfuhren. Die Gesellschaften planen daher eine Reduzierung der Auslieferung von Produkten im Dezember zwischen 11 und 17 % je nach Produkt und im Januar zwischen 12 und 18 °/o.
Ich bin gern bereit, Ihnen auch Auskunft über die Einfuhrentwicklung im Dezember allein — also ohne Januar zu geben. Die Ölzufuhrentwicklung —
Rohöl plus Produkte beläuft sich im Dezember 1973 auf minus 6,2 %. Die projektierte Verminderung beläuft sich im Januar auf 20,5 %. Daraus ergibt sich zusammengenommen ein Minus von 26,7% oder, auf die beiden Monate umgelegt, von je 13,4%. Die Bundesregierung hatte in der letzten Diskussion hier ein Minus von zirka 15%, bei Fertigprodukten etwas mehr prognostiziert.
Nun zu den Ölauslieferungen. Gemeint sind Auslieferungen ab Raffinerien an den deutschen Verbraucherhandel etc. Die Entwicklung betrug bei Benzin im Dezember minus 11,1 %, bei den Mitteldestillaten Dieselkraftstoff und leichtes Heizöl minus 13,3 %, bei schwerem Heizöl minus 17,2 %. Ich verweise auf meine Eingangsbemerkung.
Im Januar beträgt die Entwicklung bei Benzin minus 12,1 %, bei Mitteldestillaten minus 16,4%, bei schwerem Heizöl minus 17,9%.
Das bedeutet, daß die Zufuhren in die Bundesrepublik im Dezember höher waren, als von uns ursprünglich angenommen wurde. Wenn man beide Monate zusammennimmt, liegt man etwa in der von uns projektierten Größenordnung. Ich glaube, eine Umlegung auf die Monate Dezember und Januar ist richtig, um ein vernünftiges Ablaufschema zu erreichen.
Ich möchte heute schon sagen, daß die private Bevorratung an leichtem Heizöl sehr hoch ist. Dies hat sicher Vorteile für den Januar. Es birgt aber das Risiko in sich, daß etwa im Februar gleichmäßig wieder eine zusätzliche Nachfrage entsteht, die dann zu den Ereignissen führen kann, die wir im Dezember hatten, nämlich zu stark steigenden Verbraucherpreisen.
Auch die Zahlen über Bevorratung einschließlich Pflichtvorräte lege ich offen auf den Tisch. Benzin: am 15. November für 59 Tage, am 1. Dezember ebenfalls für 59 Tage. Es gab also keine Verminderung der Vorräte. Leichtes Heizöl: am 15. November für 74 Tage, am 1. Dezember für 77 Tage. Hier haben wir eine leichte Erhöhung der Vorräte. Schweres Heizöl: am 15. November für 75 Tage, am 1. Dezember für
4272 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Bundesminister Dr. Friderichs
72 Tage. Das bedeutet eine geringe Abnahme der
Vorräte. Ich verweise auf meine Eingangbemerkung.
Was das Benzin betrifft, so haben die bisher eingeleiteten Sparmaßnahmen — Sonntagsfahrverbot, Geschwindigkeitsbegrenzung und Sparappelle — nach übereinstimmender Meinung von Mineralölwirtschaft und Wirtschaftsministerium dazu geführt, daß die verminderte Auslieferung, die ich eben dargestellt habe — etwa 11,1% weniger —, gut ausgeglichen werden konnte. Mengenmäßige Beschränkungen sind bei der Auslieferung von Benzin also praktisch nicht mehr gegeben. Das heißt aber auch, daß bei der Verminderung der Auslieferung um 12,1 % im Januar auch im nächsten Monat Sparmaßnahmen erforderlich sind. Die Frage, welche Sparmaßnahmen zur Anwendung kommen, wird das Bundeskabinett ebenfalls am 19. Dezember entscheiden, so daß sich die Bevölkerung rechtzeitig auf die jeweilige Form der Maßnahmen einrichten kann. Es ist nicht geplant, in der Zeit zwischen dem 19. Dezember und dem 6. Januar einschließlich Einschränkungen zu verfügen, so daß der Weihnachtsverkehr ungehindert laufen kann.
Die Bundesregierung bemüht sich, auch die für Januar zu treffenden Maßnahmen zur Verminderung der Nachfrage angemessen zu dosieren, d. h. weder überzudosieren noch unterzudosieren.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kiep?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte, Herr Kiep!
Herr Bundesminister, könnten Sie uns Aufklärung darüber geben, wie Ihr Herr Vorgänger auf das Memorandum der Vereinigten Staaten aus dem Jahre 1972, das der OECD vorgelegen hat, reagiert hat, in dem die amerikanische Regierung die EG-Partner darauf hingewiesen hat, daß eine Preisentwicklung und eine Versorgungsknappheit im Jahre 1973 oder 1974 zu erwarten sei, und in dem im einzelnen sowohl die Knappheit als auch die Preisentwicklung vorgezeichnet waren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dazu bin ich aus dem Stegreif, Herr Abgeordneter, nicht in der Lage.
— Ich habe Ihren Zuruf akustisch nicht verstanden, Herr Abgeordneter. — Ich bin aber gern bereit, Ihnen das mitzuteilen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Breidbach?
Herr Minister, halten Sie die drastischen Energieeinsparungsmaßnahmen, angefangen von der Ferienverlängerung für die Schulkinder bis hin zur Herunterstellung von Heizungen um 2 Grad und den Sonntagsfahrverboten,
in Anbetracht der gerade von Ihnen angegebenen
Tatsachenzahlen überhaupt noch für gerechtfertigt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich halte sie für erforderlich und für angemessen, denn die bisherige Überprüfung des Minderverbrauchs zeigt, daß wir in etwa einen Gleichklang zwischen Minderbelieferung und Minderverbrauch gefunden haben; ich habe Ihnen die Zahlen genannt. Die Zahlen der Bevorratung zeigen, daß dies in etwa richtig ist. Bei Benzin ist die Bevorratungsmenge gleich geblieben, bei leichtem Heizöl ist sie leicht gestiegen, bei schwerem Heizöl leicht gefallen, so daß wir im Schnitt mit derselben Bevorratung aus dem Dezember herausgehen, mit der wir hereingegangen sind. Dies war das Ziel, denn ich hatte immer gesagt, ich hielte es nicht für vertretbar, im Augenblick bereits in nennenswertem Umfang an die Vorräte heranzugehen. Ich halte die jetzigen Maßnahmen für der Situation angemessen. Dies deckt sich übrigens mit der Meinung der Mineralölwirtschaft und der übrigen Wirtschaftskreise, mit denen wir in diesen Tagen recht viel gesprochen haben.
Dieselkraftstoff: Keine wesentliche Veränderung. Die Nachfrage wird befriedigt.
Flüssiggas: Hier handelt es sich um einen echten Problembereich, weil die Flüssiggasproduktion in nicht unerheblichem Maße zurückgegangen ist. Das hängt wiederum mit bestimmten technischen Prozessen zusammen. Leider sind bestimmte Wirtschaftszweige von Flüssiggas überdurchschnittlich abhängig, beispielsweise die Glasindustrie. Dort kann man nicht einfach den Verbrauch um 20 % vermindern, sondern entweder läuft der Schmelzofen, oder er läuft nicht.
Wir haben uns daher zusammen mit der Clearing-Stelle bemüht, hier so zu steuern, daß Produktionsausfälle, wo irgend vermeidbar, nicht eintreten.
Schweres Heizöl: Hier haben die Vermittlungsstellen mehr zu tun als ursprünglich angenommen. Ich möchte hierzu sagen, daß hier außerordentlich geringe Verbraucherbestände vorhanden sind, weil sich die Industrie aus Kostengründen immer sehr knapp bevorratet hat und bei den Gesellschaftern eine relativ geringe Flexibilität in der Ausnutzung ihrer Raffineriekapazität gegeben ist. Das ist ein alter Streitpunkt. Die Raffinerien in Deutschland erzeugen 29 % schweres Heizöl. Die Raffinerien in den Mitgliedstaaten der EG erzeugen etwa 14% schweres Heizöl, in Amerika unter 10 %. Das heißt, daß wir uns mittel- und langfristig in der Auslegung der Raffinerien etwas einfallen lassen müssen, nämlich eine Verminderung der Produktion des schweren Heizöls. Das ist aber nicht kurzfristig möglich und hängt von dem jeweiligen Rohöl ab, das sie im Weltmarkt einkaufen können.
Bei schwerem Heizöl gibt es ein Sonderproblem regionaler Art. Der Schwerpunkt der Engpässe liegt
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4273
Bundesminister Dr. Friderichs
hier in Nordrhein-Westfalen, insbesondere im Bereich um Köln. Das hängt damit zusammen, daß die Raffinerie UK Wesseling an der Rotterdam-Pipeline mit den Ihnen bekannten Problemen hängt.
Im Rahmen der angestrebten Kooperationslösung müssen nach neuesten Berechnungen rund 490 000 Tonnen schweres Heizöl unverzüglich substituiert werden. Die Voraussetzungen hierfür sind wohl weitgehend geschaffen.
Es gibt noch einen Bereich, der uns Sorge macht und zum Problembereich zählt. Das ist die Verbindungsstelle Bunkeröl, d. h. das Bebunkern der Schiffe. Hier liegt das Problem aber weniger in der Bundesrepublik Deutschland als insbesondere in einigen anderen Staaten, in denen unsere Schiffe entweder nicht ausreichend bebunkert werden oder nur dann bebunkert werden, wenn sie den Hafen zum Zwecke der Ent- oder Beladung anlaufen. Es gibt aber gerade in Südamerika Fälle, in denen Häfen, die zum Be- und Entladen angelaufen werden, nicht in der Lage sind, zu bebunkern, und, wenn dann der Nachbarhafen eines anderen Staates angelaufen wird, das deutsche Schiff dort nicht be-bunkert wird. Daraufhin haben wir zusammen mit dem Bundesminister für Verkehr die entsprechenden diplomatischen Schritte in die Wege geleitet, weil u. a. der Transport deutscher Automobile ins Ausland und der Transport aus einem Tochterunternehmen eines deutschen Automobilwerks in Südamerika von der ausreichenden Bebunkerung der Schiffe in einem nicht unbeachtlichen Ausmaß abhängt.
Der nächste Bereich ist das Problem des sogenannten Leichtbenzins, nämlich die Versorgung der chemischen Industrie. Die Gespräche zwischen Mineralölwirtschaft, Chemie, zuständiger Gewerkschaft und Bundeswirtschaftsministerium sind in dieser Woche fortgeführt worden. Es liegt mittlerweile eine Zusage der Mineralölwirtschaft an die Chemie vor, im ersten Halbjahr mindestens 5 Millionen t Leichtbenzin an die Chemie zu liefern. Die Forderung der Chemie lag bei 6 Millionen t, die Ist-Auslieferung 1973 lag im Schnitt des Jahres bei 11,3 Millionen t. Das heißt, die Zusage für das erste Halbjahr liegt unter den Wünschen der Chemie und etwa auf der Höhe der Auslieferung des ersten Halbjahres 1973. Selbstverständlich sind wir bemüht, hier die Wünsche voll zu befriedigen. Das hängt aber weitgehend von der Produktion von Naphta auch in Holland ab; denn wir haben in einem beachtlichen Umfang aus Holland Leichtbenzin für die deutsche chemische Industrie bezogen. Die Kürzungen der einzelnen Gesellschaften schwanken zwischen 12,5 und 20%. Über das zweite Halbjahr 1974 soll im Februar/März des kommenden Jahres eine Vereinbarung getroffen werden, so daß die chemische Industrie einen totalen mittelfristigen Überblick für ihre Produktion hat. — Ich erwähne dies so ausführlich, meine Damen und Herren, weil von der Versorgung der chemischen Industrie und ihrer Lieferung von Grundprodukten an die kunststoffverarbeitende Industrie bei uns der Maschinenbau, die Automobilindustrie und die Elektroindustrie weitgehend abhängen. Hier handelt es sich also um ein Problem mittelbarer Auswirkungen,
dem wir aber, wie ich glaube, sehr nahe auf den Fersen sind.
Pflichtvorräte; auch hier eine Information. Die Pflichtvorräte der Mineralölgesellschaften müßten ab 1. Januar 1974 erhöht werden, und zwar einfach deswegen, weil sie sich dann auf die Referenzperiode 1973 beziehen, und die Zahlen von 1973 sind höher als die von 1972. Einer Entscheidung der Bundesregierung möchte ich nicht endgültig vorgreifen. Ich neige dazu, angesichts der schwierigen Versorgungssituation vorerst zu gestatten, die Referenzperiode 1972 beizubehalten, weil ich es für kaum verantwortbar hielte, ausgerechnet im Januar eine Aufstockung der Pflichtvorräte zu Lasten der unmittelbaren Versorgung durchzuführen. Bis jetzt sind Pflichtvorräte nicht angegriffen worden. Ich kann es nicht ausschließen, daß bei der einen oder anderen Gesellschaft vorübergehend auf Pflichtvorräte zurückgegriffen werden muß, wenn das Problem des Betriebs der Rotterdam-Pipeline nicht lösbar ist. Ich halte es nicht für vertretbar, beispielsweise im Rhein-Main-Gebiet die Pflichtvorräte unangetastet zu lassen, aber gleichzeitig die Versorgung der Farbwerke Höchst durch die Caltex-Raffinerie nicht zu ermöglichen und damit 29 000 Arbeitsplätze zu gefährden, obwohl nebenan die Vorräte verfügbar sind. Hier werden wir mit Austauschmengen sehr flexibel handeln müssen.
Zum Preisproblem: Von den 16 Raffineriegesellschaften haben seit Montag dieser Woche 14 ihre Meldungen abgegeben. Ihre Meldungen entsprechen dem Formblatt über Bestände, Abgänge, Einstandspreise, Verarbeitungskosten, Abgabepreise etc. Die Angaben der Handelsgesellschaften des MWV stehen aus und kommen in Kürze. Die Gesellschaften haben sich bereit erklärt, diese Meldebögen nicht nur dem Bundeswirtschaftsminister, sondern auch dem Bundeskartellamt zuzuleiten.
Ich möchte hier aber genauso offen sagen, daß die Aussagen in den Meldebögen zum Teil erheblich voneinander abweichen, so daß sich vermuten läßt, daß bei den Unternehmungen zum Teil unterschiedliche Bewertungen und Abgrenzungen angewendet worden sind. Tendenziell werden ein starkes Ansteigen der Rohöleinstandskosten gegenüber Oktober, sehr unterschiedliche Verarbeitungskosten der einzelnen Raffinerien deutlich. Hier muß noch aufgeklärt werden. Wir sind uns nicht klar, woran diese breite Streuung liegt bzw. worauf das unterschiedliche, im Verhältnis zur Eigenproduktion weit höhere Preisniveau für Produktimporte zurückzuführen ist. Um die Ausweitung auf eine sicherere Basis zu stellen, haben sich vier unterschiedlich strukturierte Gesellschaften bereit erklärt, am Freitag dieser Woche, also übermorgen, mit dem Bundeskartellamt und meinen dafür zuständigen Mitarbeitern ein Aufklärungsgespräch zu führen, so daß wir in der kommenden Woche am 19. im Kabinett auch in der Lage sind, zur Preisentwicklung, zur Preisgestaltung und damit auch zur Frage der Ausnutzung der Situation deutliche, auf konkreten Unterlagen aufbauende Angaben zu machen.
Das Informationssystem wird ausgedehnt auf die Mitgliedsunternehmen des Außenhandelsverbandes
4274 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Bundesminister Dr. Friderichs
für Mineralöl, AfM. Die in den mittelständischen Verbänden des Mineralölhandels organisierten Unternehmen haben in einem Gespräch vorgestern gewünscht, in dieses Informationssystem einbezogen zu werden. Ich habe das akzeptiert, so daß wir nunmehr über alle Bereiche das Informationsmaterial bekommen. Offenbar ist die Preispolitik nicht ganz einheitlich.
Ich darf ausdrücklich das begrüßen, was der Abgeordnete Ehrenberg soeben gesagt hat. Ich bin nämlich der Auffassung, daß es ganz schlecht wäre, wenn es nicht gelänge, eine hinreichende Transparenz in die Preispolitik zu bekommen, weil damit Verdächtigungen — berechtigter oder unberechtigter Art , aber auch möglichen unberechtigten Rechtfertigungen alle Möglichkeiten offenständen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ey?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön!
Herr Minister, sind die Mineralölversorgungsmaßnahmen ausreichend auch für den Fall eines extrem kalten Winters, und in welchem Umfange sind sie darauf abgestellt?
Dr. Friderichs, Bundesminister für Wirtschaft Wir sind der Meinung, daß es angesichts der derzeitigen sehr guten Bevorratung — hier geht es ja in erster Linie um Beheizung, nämlich uni leichtes Heizöl -- zusammen mit einem dann notwendigen anderen Ablaufschema, nämlich einer stärkeren Absenkung der Vorräte bei Ende der Heizperiode, möglich sein müßte, das zu gewährleisten. Das setzt ntürlich voraus, daß sich die Zuflüsse in etwa in der Größenordnung halten, wie sie derzeit überschaubar sind.
Nach dieser Information über Maßnahmen auf dem Energiesektor möchte ich zu dem Antrag der Opposition nur wenige Sätze sagen. Der Entschließungsantrag der Opposition deckt sich in allen wesentlichen Punkten mit den entsprechenden Ausführungen im Energieprogramm vom 5. September dieses Jahres. Ich habe daher nur zu sagen: Ich begrüße es, wenn eine so weitgehende Übereinstimmung zwischen den Auffassungen der Regierung, wie sie in diesem Programm dargelegt sind, und dem Antrag der Opposition, der im wesentlichen einen Extrakt aus diesem Programm darstellt, besteht, weil ich der Meinung bin, in einer schwierigen Lage kann es nur gut sein, wenn wir die Situation und die daraus zu folgernden Maßnahmen weitgehend übereinstimmend beurteilen. Daher möchte ich zu den Einzelheiten gar nicht Stellung nehmen; sie sind im Programm enthalten. Ich habe mich zu diesem Programm selbstverständlich bekannt; denn ich habe es vorgelegt und in diesem Hohen Haus eingebracht.
Ich möchte nur eine Bemerkung dazu machen und mich bewußt einer Detaildiskussion jetzt enthalten. Ich neige dazu, daß wir uns in einer akuten Mangelsituation, deren Ursachen auf der einen Seite in einem sogenannten ökonomischen Monopol, nämlich der Förderländer, andererseits aber auch im politischen Bereich liegen, vor einem hüten sollten: ein mittel- oder langfristiges Programm in der Öffentlichkeit zu diskutieren und festzuschreiben. Ich bin der Auffassung, daß es richtig ist, in einer akuten Situation konkrete Maßnahmen zur Behebung dieser Situation durchzuführen. Selbstverständlich gehört es auch während dieser Zeit zur Pflicht einer Regierung, ihre mittel- und langfristigen Maßnahmen zu überprüfen und eventuell neu auszurichten. Aber was ich für ganz gefährlich hielte, wäre, mitten in einer solchen emotional aufgeladenen Situation ein Programm zu diskutieren und aus dieser Situation womöglich mittel- und langfristige Schlüsse zu ziehen, die nach Behebung der Krisensituation der neuen Lage nicht mehr entsprächen. Für unsere Volkswirtschaft stünde bei einem solchen Vorgehen zuviel auf dem Spiel.
Was meine ich damit? Ich hielte es für ausgesprochen riskant, jetzt ein langfristiges Programm festzuschreiben, beispielsweise mit hohen Investitionen zugunsten teurerer, aber sichererer Energieträger. Denn womöglich müßten wir dann nach sechs Monaten feststellen, daß diese Investitionen den Privatunternehmern nicht zugemutet werden können — dann werden wir zur Kasse gebeten - oder aber daß wir selber -- durch staatliche Garantien, Steuerbegünstigungen oder was auch immer - zu volkswirtschaftlichen Fehlinvestitionen beigetragen haben.
Ich bin der Meinung, daß wir uns nachhaltig auf eine veränderte Situation bei Energie und Rohstoffen einzustellen haben und daß wir daher nachhaltig ein verändertes Verhältnis der industriellen Verbraucherländer zu den Förderländern und anderen Rohstofförderländern finden müssen, mit ganz veränderten Kombinationen, Kooperationen und ähnlichem mehr. Ich bin deshalb der Meinung, daß das, was im Energieprogramm stand, nämlich, dies müsse mit einem Höchstmaß an Diversifizierung erfolgen — nicht nur von Produkt zu Produkt, sondern auch von Land zu Land --, durch die Krise dieser Wochen eindeutig bestätigt wurde. Je mehr wir in der Menge von einigen oder wenigen politisch gleich strukturierten Länder abhängen, desto höher wird das Risiko, und angesichts der Struktur unserer Volkswirtschaft wächst dieses Risiko ja nicht linear, sondern progressiv.
Daher werden wir uns über diese Dinge unterhalten. Wir sind dabei, das eigene Programm in Erkenntnis dieser Perspektiven fortzuschreiben. Aber ich darf sehr um Verständnis bitten, daß ich mich in einer Lage, in der fast alles unter der augenblicklichen Mangelsituation gesehen und beurteilt wird, sehr davor hüten muß, das Jahr 1980 zu programmieren, womöglich falsch zu programmieren. Wir sollten das staatliche ebenso wie das private Investitionsrisiko so minimal wie möglich halten, denn jede Fehlinvestition staatlicherseits und privaterseits führt eben zu Verlusten in der gesamten Volkswirtschaft.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4275
Bundesminister Friderichs
Erlauben Sie mir zum Schluß noch eine Bemerkung in bezug auf einen Teil der Ausführungen von Herrn Professor Carstens. Auch Energiekooperations- und -lieferverträge mit Staaten des Ostblocks werden, Herr Professor Carstens, in diesem Lichte geprüft und gewertet. Ich bin allerdings der Meinung, daß wir auch jede reelle Chance, in dieser Weise zu diversifizieren — durch Gas, durch andere Energien —, nutzen müssen.
Ich möchte auf die Diskussion, die Sie mit „Ostkrediten" umschrieben haben, jetzt nicht eingehen, weil ich in einer Viertelstunde zu Verhandlungen nach Warschau fliege, die gewiß nicht leicht sein werden. Ich möchte Ihnen, Herr Professor Carstens, eine Information aber nicht vorenthalten, nämlich die Information, die mir gestern der sowjetische stellvertretende Außenhandelsminister hat zuteil werden lassen, der von Paris nach Bonn kam — nicht, um um mit mir zu verhandeln, sondern um mit einer deutschen Firmengruppe über ein großes Projekt zu verhandeln, das ein beachtliches Auftragsvolumen in die Bundesrepublik im Sinne der Arbeitsplatzsicherung, um die Sie sich ja bemühen, brächte. Ich möchte Ihnen also nicht vorenthalten, daß mir mein sowjetischer Gesprächspartner gestern mitgeteilt hat, daß nach den Amerikanern, die über die Eximbank Kredite für derartige Projekte in einer Größenordnung von 6,25 % zu geben pflegen, ihm gestern der französische Finanzminister einen Staatskredit in Höhe von 1,5 Milliarden Franc zu denselben Bedingungen angeboten hat.
Der Bundeswirtschaftsminister hat dies gestern nicht getan, Herr Professor Carstens; dies zu Ihrer Information. Aber ich will nicht verhehlen: Wenn alle rings um uns herum, also auch diejenigen, mit denen wir durch einen Freundschaftsvertrag verbunden sind und in ständigen Verhandlungen leben, dies tun, verbessert sich nicht gerade die Wettbewerbsposition derjenigen Firmen — nicht der Bundesregierung —, die gestern und heute mit der sowjetischen Seite in schwierigen, umfangreichen Verhandlungen standen bzw. stehen.
— Herr Stücklen, ich habe mich nicht zu der Frage geäußert, was gerechtfertigt sei. Ich habe gesagt: ich habe gestern ein derartiges Angebot nicht unterbreitet, sondern weiter sehr klar meine bisherige Haltung vertreten. Dennoch muß man wissen, in welcher Welt man lebt;
dennoch habe ich nicht die Absicht -- deshalb sage ich es heute —, mir eines Tages von der Opposition Vorwürfe machen zu lassen, diesen großen Auftrag zur Beschäftigung einer großen Anzahl von Arbeitnehmern in ,der Bundesrepublik selbst versiebt zu haben. Dies wollte ich hier wenigstens gesagt haben.
— Herr Abgeordneter Wehner, dessen bin ich gewiß. Gleichwohl sollte man auf Grund entsprechender Informationen auch darlegen, wie sich die Situation insgesamt darstellt. Ich fühlte mich verpflichtet, dies zu sagen. Ich bitte das Hohe Haus gleichzeitig um Verständnis dafür, daß ich die Debatte nunmehr wegen der angesetzten Reise verlassen muß.
Das Wort hat der Abgeordnete Burger.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zum Gesetzentwurf von SPD und FDP über die Gewährung eines einmaligen Heizölkostenzuschusses und zum Antrag der Fraktion der CDU/CSU betreffend Maßnahmen zum Ausgleich der auf Grund der Ölkrise gestiegenen Heizkosten sprechen.
Der Herr Kollege Nölling, meine Damen und Herren, hat es sich vorhin etwas zu leicht gemacht, wenn er für alle Schwierigkeiten die Ölkrise verantwortlich machte. Mit seinem ihm eigenen, etwas brutalen Charme versuchte Kollege Nölling, die vor allem in den ersten Wochen der Ölkrise widersprüchlichen Informationen der Bundesregierung zu vernebeln. Meine Damen und Herren, auch diese unterschiedlichen Äußerungen waren ein Grund für Angstkäufe und damit auch für Preissteigerungen.
Seit Wochen diskutieren wir nun über die Notwendigkeit von sozialen Hilfen. Professor Carstens hat diese 'bereits am 27. November gefordert, aber erst wenige Stunden vor der Behandlung im Parlament lag der Opposition der Koalitionsentwurf eines Gesetzes über die Gewährung eines einmaligen Heizölkostenzuschusses zur Vorberatung vor. Die Bundesregierung war sich viel zu lange im unklaren darüber, auf welche Weise schnell geholfen werden konnte.
Bereits in der Debatte zur Energiekrise vor zwei Wochen hatte die Opposition deutlich gemacht., daß die Zuschüsse für Bedürftige nicht, wie der Bundeskanzler damals forderte, auf den Rücken der Gemeinden abgewälzt werden können. Obwohl der Herr Bundeswirtschaftsminister daniels Koordinierungsgespräche unter den Fachministerien ankündigte, fiel die Entscheidung erst in letzter Stunde. Leider zeigt der Gesetzentwurf einige Spuren der Eile der Beratung, und ich will hoffen, daß trotz der hastigen Behandlung noch vorhandene Mängel beseitigt werden können.
Im Gesetzentwurf nicht berücksichtigt, meine Damen und Herren, sind Personen, die in Altenheimen, Altenpflegeheimen, Heimen für Behinderte und anderen vergleichbaren Einrichtungen leben. Gerade aber dieser Personenkreis ist seit Jahren Opfer der inflationären Entwicklung. In den letzten Jahren sind die Altenheimpflegesätze sprunghaft angestiegen, so daß sich die Schere zwischen Renteneinkommen und Heimkosten immer weiter öffnete. Die Einnahmen dieser Mitbürger hielten mit den steigenden Pflegesätzen nicht mehr Schritt. Die
4276 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Burger
Pflegesätze in Altenheimen kletterten schon auf 40 bis 50 DM pro Tag. Deshalb wird für die älteren Menschen das Älterwerden nachgerade zum Alpdruck. Heute reicht bereits das Ruhegehalt eines Studienrats nicht mehr aus, um die Pflegekosten für ein Ehepaar aufzubringen. Es sind also keineswegs nur die Kleinrentner, deren Los den Gesetzgeber und den Praktiker in den letzten Jahren beschäftigt.
Die CDU/CSU hatte auf Grund dieser uns bekannten Tatsachen erst letzte Woche im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit beantragt, bestimmte Anteile der Einkommen der Heimbewohner dem Zugriff des Sozialhilfeträgers zu entziehen. Wir waren der Meinung, daß die rücksichtslose Einkommensnivellierung im Altersheim nicht unserer Auffassung und dem Gebot der Menschenwürde entspricht. Leider sind diese Bemühungen von der Koalitionsmehrheit abgelehnt worden. Nun ist dieser Personenkreis — und das bedauern wir — erneut vergessen worden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird deshalb im Ausschuß beantragen, daß auch Personen, die in Altenheimen, Altenpflegeheimen, Heimen für Behinderte und anderen vergleichbaren Einrichtungen leben, berücksichtigt werden.
Durch Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrats — so werden wir vorschlagen — muß sichergestellt werden, daß Zuschüsse für den genannten Personenkreis direkt an das Heim zu zahlen sind mit der Maßgabe, daß die erhöhten Heizölkosten nicht zu einer entsprechenden Erhöhung der Tages- oder Pflegesätze führen. Mit dieser einfachen und unkomplizierten Regelung kann erreicht werden, daß die Mehraufwendungen der Heime für teureres Heizöl nicht auf die Tagessätze durchschlagen.
Herr Abgeordneter, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Professor Dr. Schellenberg? — Bitte!
Herr Kollege Burger, ist Ihnen bekannt, daß der Entwurf der Koalitionsfraktionen in § 2 Abs. 3 eine solche Rechtsverordnung für diesen Personenkreis vorsieht?
Ich habe im Gegensatz zu Ihrer Information gesprächsweise gehört, daß geplant ist, die Möglichkeit der Regelung durch Rechtsverordnung überhaupt auszuschließen. Im übrigen, Herr Kollege Schellenberg, sind die Personen, die in Altenheimen wohnen, ausdrücklich nicht genannt. Für diese Personen ist also eine Regelung auf Grund der Vorlage der Bundesregierung nicht möglich. Lieber Herr Kollege Schellenberg, wir können ja im Ausschuß diese Unklarheiten ausbügeln. Wir sind jedenfalls der Meinung, daß dieser Personenkreis nicht übersehen werden darf. Er ist im Rahmen unserer sozialrechtlichen Bestimmungen benachteiligt, u. a. auch deshalb, weil z. B. die gestiegenen Wohnkasten ebenfalls voll in die Tagessätze durchschlagen, die Bewohner von Altenheimen aber nicht die Möglichkeit haben, einen Antrag auf Wohngeld zu stellen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Meermann? — Bitte, Frau Kollegin Meermann!
Herr Kollege Burger, Ihnen ist doch bekannt, daß ein großer Teil der Bewohner von Altenwohnheimen sehr wohl in der Lage ist, den Antrag auf Wohngeld zu stellen; sie würden also unter die erste Gruppe fallen oder sofern sie einkommensschwach sind, die Möglichkeit haben, in der dritten Gruppe berücksichtigt zu werden. Ich gebe allerdings gern zu, daß die Wohngeldregelung nicht alle Fälle einschließt.
Frau Kollegin, wir wollen uns hier nicht einem Expertenstreit hingeben; wir können das alles im Ausschuß klären. Ich bin aber nach wie vor der Meinung, daß Bewohner von Altenheimen keinen Wohngeldanspruch geltend machen können.
Dies liegt nicht in den Möglichkeiten des Gesetzes, und darüber wollen wir im Ausschuß sprechen. Wir wollen in diesem Gesetzentwurf genau festgelegt wissen, daß dieser Personenkreis nicht zu kurz kommt.
Meine Damen und Herren, ein Letztes: Die Berechnungen unserer Fachleute haben auch ergeben, daß die vorgeschlagenen pauschalen Zuschüsse nicht den wirklichen Mehrausgaben entsprechen. Sie sind nach unserer Auffassung zu niedrig. Auch darüber wollen wir im Ausschuß noch einmal sprechen.
Grundsätzlich begrüßen wir die Tendenz der Vorlage der Koalition, den Schwachen gezielt zu helfen. Auch der Antrag der CDU/CSU-Fraktion sieht dies vor. Wir haben allerdings noch die kritische Frage zu stellen: Wie soll dies finanziert werden? Aus welchem Ressort kommen die Mittel?
Das müßte klargestellt werden; denn wir fürchten, daß unter Umständen beim Einzelplan 15 Kürzungen notwendig wären,
und das wäre dann doch ein Lastenausgleich auf dem Rücken der sozial Schwachen.
— Herr Fraktionsvorsitzender Wehner, Sie sagen mir, ich solle mich vorher erkundigen. Sie hätten sich vor 14 Tagen auch bei der Bundesregierung erkundigen sollen, als Sie gefragt haben: Was soll der Verbraucher tun?
Wir wollen die Sache klargestellt wissen. Ich bin
von Mitgliedern des Haushaltsausschusses darauf
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4277
Burger
aufmerksam gemacht worden, daß das nicht so klar ist, wie Sie es soeben darstellten.
— Herr Abgeordneter Wehner, ich bin sehr glücklich, wenn Sie für Ihre Fraktion verbindlich erklären, daß diese Aufwendungen aus Steuermehreinnahmen getragen und nicht aus irgendeinem Sozialetat abgezwackt werden. Da werden Sie unseren vollen Beifall finden. Wir wollen das im Ausschuß sichergestellt haben.
Meine Damen und Herren, wir sind der Auffassung, daß alle sozial Schwachen berücksichtigt werden müssen und daß die Zuschüsse einen echten Ausgleich für die gestiegenen Heizölkosten darstellen müssen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Nordlohne.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich namens der CDU/CSU-Fraktion in aller gebotenen Kürze zu dem unter Punkt 2 a) der Tagesordnung zu beratenden Gesetzentwurf über die Gewährung eines einmaligen Heizölkostenzuschusses äußern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was macht der Endverbraucher, z. B. ich als Mieter, dem durch den Schlitz gesteckt wird, daß ich vom 1. Dezember 1973 an 30 °/o mehr für Heizung zu bezahlen habe? Wie kann man dem Endverbraucher helfen?
Ganz abgesehen davon, daß die vorgegebene Heizungskostenanhebung von 30 % einen unrealistischen Prozentsatz darstellt, sah sich Herr Friderichs zunächst nicht in der Lage, Herrn Wehner diese Frage zu beantworten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Bitte schön.
Wenn Sie schon darauf Ihre Argumentation aufbauen, darf ich Sie fragen, was Sie mit dem Wort „vorgegeben" meinen. Oder wollen Sie, daß ich Ihnen meinen Schein schicke?
Herr Kollege Wehner, es geht um die — —
— Es geht um die Frage, inwieweit hier eine Steigerung von 30 % oder mehr anstand.
— Herr Kollege Wehner!
Herr Abgeordneter Wehner, ich rüge Ihre Berner-kung.
Nordlohne CDU/CSU) : Ich möchte fortfahren. Herr Wehner, da Sie mit der Antwort des Herrn Wirtschaftsministers völlig unzufrieden waren, stellten Sie anschließend dem Sprecher der Opposition, Herrn Müller-Hermann, dieselbe Frage. Das geschah entweder weil Sie selbst nicht wußten — und das muß man daraus folgern —, wie dieses Problem zu lösen sei, oder weil Ihnen die eigene Regierung eine absolut unabgeklärte Aussage zu diesem Problem gemacht hatte.
Herr Minister Friderichs, der später noch einmal das Wort nahm, erklärte auf die durch diese Zwischenfragen entstandene Kontroverse wörtlich, daß Mitarbeiter der Ministerien für Arbeit und Sozialordnung, der Finanzen, für Jugend, Familie und Gesundheit, für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie des Bundeskanzleramtes am 28. November zusammengesessen hätten, um die angeschnittene Frage der Entlastung der Bezieher kleinerer Einkommen von den Belastungen durch die gestiegenen Mineralölpreise einer Regelung zuzuführen. Er erklärte weiter, daß er sich nicht in der Lage sehe, dieses Beamtenpapier — so wörtlich — in diesem Hohen Hause im einzelnen darzulegen, da es von den zuständigen Ressortministern noch nicht eingesegnet worden sei.
Meine Damen und Herren, warum rufe ich diese Diskussion am heutigen Tage in unsere Erinnerung zurück? Nur zu dem Zweck, an diesen Fakten deutlich zu machen, daß die Regierung mit ihrem gesamten Verwaltungsapparat fast genau 14 Tage benötigt hat, um ihre Absicht in zehn Paragraphen eines Gesetzestextes zu kleiden und ihn durch die Ressortminister abzeichnen zu lassen.
Der Opposition — und der Kollege Burger hat es bereits heute morgen gesagt — ist die endgültige Fassung des Gesetzentwurfs am gestrigen späten Nachmittag zugegangen. Bereits wenige Stunden später soll sie unter Punkt 2 a) im Plenum des Deut-
4278 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Nordlohne
schen Bundestages in erster Lesung dazu Stellung nehmen.
Meine Damen und Herren, dieses Verfahren ist eine unverantwortliche Haltung seitens der Regierung und der Koalitionsfraktionen gegenüber der Opposition in diesem Hause.
Da sich derartige Vorgänge in letzter Zeit wiederholt ergeben haben, möchte ich an dieser Stelle die Bundesregierung auffordern, künftig der Opposition die notwendigen Unterlagen früher zur Verfügung zu stellen.
Zum Gesetzentwurf selbst will ich folgendes ausführen.
1. Die CDU/CSU-Fraktion stellt fest, daß die Bundesregierung dem Entschließungsantrag der Opposition vom 29. November 1973, erste Maßnahmen zur Milderung sozialer Härten durchzuführen, die als Folge der Heizölverteuerung aufgetreten sind, teilweise Rechnung trägt.
2. Der Zielsetzung, mit öffentlichen Finanzmitteln einen Ausgleich von Härten für einkommensschwache Schichten vorzunehmen, wird der uns vorliegende Entwurf nicht gerecht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Nölling?
Bitte sehr.
Herr Nordlohne, erzählen Sie doch bitte einmal, worauf sich die Behauptung gründet, daß der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen Ihrem Antrag vom 5. Dezember nur teilweise gerecht wird.
Herr Kollege Nölling, ich komme darauf im Zusammenhang mit meinen weiteren Ausführungen zurück.
Nein, nicht im Schlußwort, Herr Kollege Wehner.
3. Der vorgelegte Gesetzentwurf ist nach unserer Auffassung mit verschiedenen Mängeln behaftet, die in den Ausschußberatungen abzustellen sind. Lassen Sie mich nur ein Beispiel dafür nennen. Den Zuschuß sollen nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 alleinstehende Personen und Haushaltsvorstände erhalten, deren monatliches Einkommen des Zweieinhalbfache des Regelsatzes nicht übersteigt. Die Frage, ob vorhandenes Vermögen berücksichtigt werden soll, ist beispielsweise im Entwurf nicht geklärt.
4. Nach dem Wortlaut der Begründung des Gesetzentwurfes liegen die Preissteigerungen zwischen
September 1973 und November 1973 erheblich über der 100-%-Grenze. Diese Auffassung wird in der Tat von uns geteilt. Nach den von mir am gestrigen Abend bei verschiedenen Heizöllieferanten eingeholten Auskünften betrug der Heizölpreis bei den Markenhändlern der Mineralölgesellschaften vor dem 15. Oktober 1973 rund 16 Pfennig. Der augenblickliche Verkaufspreis an der Untergrenze beläuft sich bei diesen Markenhändlern auf 28 bis 30 Pfennig je Liter. Im Unterschied dazu kostet ein Liter Heizöl bei den freien Händlern nach wie vor zirka 40 bis 50 Pfennig. Hier kann eher von einer Verdreifachung des Preises als von einer Verdoppelung gesprochen werden.
5. In der Begründung des Gesetzentwurfes geht die Bundesregierung davon aus, daß ein Vierpersonenhaushalt 1971 rund 2 000 und 1972 rund 2 500 Liter leichtes Heizöl für die normale Wohnungsbeheizung benötigte. Diese Zahlen sind eindeutig falsch. Nach den übereinstimmenden Sachaussagen der von mir befragten Heizöllieferanten benötigt ein durchschnittlicher Haushalt pro Heizperiode 4 500 bis 5 500 Liter Heizöl, also rund das Doppelte der angegebenen Menge. Damit treffen die in der Begründung angegebenen Heizkostenaufwendungen von 320 DM und 350 DM nicht zu. Sie belaufen sich auf zirka 600 bis 700 DM. Es trifft ferner nicht zu, daß bei den Rentnern und Sozialhilfeempfängern von einem Zweipersonenhaushalt in der vergangenen Heizperiode, wie dort ausgeführt, nur 230 bis 250 DM für die Beheizung der Wohnung mit leichtem Heizöl ausgegeben wurden. Allein der Umstand, daß die örtlichen Sozialämter nach den Richtlinien und Erlassen der jeweiligen Länder bei den Empfängern von laufender Sozialhilfe und den Personenkreisen, die mit ihrem Einkommen nicht über 10 °/o des Regelsatzes hinauskommen, an Alleinstehende und Zweipersonenhaushalte eine Winterfeuerungsbeihilfe zu den entstehenden Heizkosten in Höhe von 300 DM, an Haushalte mit drei bis fünf Personen in Höhe von 360 DM und an Haushalte mit sechs und mehr Personen in Höhe von 420 DM zahlen, läßt diese Angaben als völlig unglaubwürdig und keineswegs den Tatsachen entsprechend erscheinen.
6. Es ist bekannt, daß vielen Mietern — und das war das Problem, das Herr Kollege Wehner damals in seiner Frage ansprechen wollte —, unseres Landes in den vergangenen Tagen und auch in den nächsten Wochen Bescheide über die Erhöhung der Heizungskosten zugegangen sind, bzw. sie werden an sie abgesandt werden. Vielfach sind in der Vergangenheit für eine durchschnittliche Wohnung rund 40 DM als Heizungskostenpauschale zu entrichten gewesen, und zwar das ganze Jahr hindurch. Demnächst werden nicht nur monatlich 80 DM, sondern darüber hinaus Beträge für diese Heizungskostenpauschalen verlangt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in Erwiderung auf die Aussage von Frau Focke vom heutigen Morgen einen praktischen Fall aufzeigen. Ich habe durchgerechnet, daß ein alleinstehender Rentner, dessen monatliches Renteneinkommen z. B. 550 DM beträgt, bei einer monatlichen Mietzahlung
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4279
Nordlohne
von 181 DM nach den neuen Wohngeldbestimmungen ah 1. Januar 1974 Anspruch auf 74 DM Wohngeld hat. Ein Anspruch auf laufende Hilfe besteht nicht. Er hat daher unter Abzug seiner selbst zu tragenden Miete seinen Lebensunterhalt mit insgesamt 443 DM zu bestreiten. Davon zahlte er bislang als Mieter einen monatlichen Heizkostenbeitrag von rund 40 DM, und zwar das ganze Jahr hindurch. Nunmehr hat er — so wird es in vielen Fällen sein -- den doppelten Betrag zu entrichten. Das heißt, für ihn belaufen sich die Gesamtheizungskosten auf jährlich rund 960 DM.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?
Ja, bitte schön!
Herr Kollege, sind Sie nicht der Meinung, daß Sie diese Ausführungen zweckmäßigerweise im Ausschuß machen und uns hier nicht länger aufhalten sollten?
Wir wollen um 12 Uhr mit der Sachberatung beginnen. Das wäre doch viel zweckmäßiger.
Herr Kollege, ich hielte es für angebracht, bei der Beratung dieses Gesetzentwurfes ganz konkrete Aussagen der Opposition zu diesem Gesetzentwurf zu machen.
Wir werden selbstverständlich auch im Ausschuß darauf zurückkommen.
Nach dem in dieser Vorlage zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers soll ein monatlicher Zuschuß von 100 DM für den Alleinstehenden und von 50 DM für die Familienmitglieder gezahlt werden. In der —
— Ich würde gern weiter fortfahren.
Das ist vorgesehen, daß sie einen Höchstbetrag von 300 DM erhalten.
Wird sich bei den eben angesprochenen Heizkostenverteuerungen der Rentner als Alleinstehender mit 100 DM zufriegengeben können? Es ist einfach unbefriedigend für die sozial Schwachen in unserem Lande, wenn die von der breiten Bevölkerungsschicht nicht verschuldete Heizölkostenverteuerung diesen Personen zusätzlich zu allen Preissteigerungen des täglichen Lebens zu 75% auferlegt wird.
Lassen Sie mich auch im Hinblick auf das, was der Kollege Burger gesagt hat, folgendes sagen. Wir hatten in der Fraktion gestern einstimmig beschlossen, die Beträge von 100 DM für den Alleinstehenden auf 200 DM — einen solchen Antrag werden wir vorlegen —,
für das Familienmitglied von 50 auf 75 DM zu erhöhen und als Höchstbetrag statt 300 DM 500 DM zu gewähren.
-- Herr Kollege Wehner, ich komme auf den Dekkungsvorschlag schon noch zu sprechen. — Wir schlagen vor, die erforderlichen Bundesmittel im Einzelplan 60 des Bundeshaushaltsplanes 1974 auszuweisen und eine Deckung aus den dem Staat über den Anstieg der Heizölpreise zufließenden Mehrwertsteuerbeträge vorzunehmen, wie wir es bereits in der Energiedebatte vor etwa zwei Wochen in diesem Hause vorschlugen.
Erlauben Sie mir bitte, auf diese Zahlen zu sprechen zu kommen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ehrenberg?
Ja, wenn mir die Zeit zugerechnet wird.
Ja, bitte!
Herr Abgeordneter, wäre es nicht besser, Sie würden zur Deckung die Verdreifachung des Weihnachtsfreibetrages, die Sie auch vorgeschlagen haben, mit heranziehen?
Herr Kollege Ehrenberg, da dieses eine polemische Frage war,
— ganz im Gegenteil —, bin ich nicht bereit, darauf zu antworten. Ich möchte Ihnen folgendes sagen: In der vergangenen Woche und auch in den vorherigen Tagen ist in der Öffentlichkeit ein Betrag von 160 Millionen DM genannt worden.
Zu unserer Überraschung wurde dann am gestrigen
Abend — ich finde das einfach unerträglich — eine
4280 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Nordlohne
Summe von 420 und 510 Millionen als Grundlage für diese Vorlage der Fraktionen angegeben.
Herr Abgeordneter, ich nehme an, Sie gestatten auch die Frage der Frau Kollegin Meermann.
Herr Kollege, da Sie die Zeitungen ja sicher sehr aufmerksam verfolgt haben, haben Sie gewiß bemerkt, daß die erhöhte Summe darauf zurückzuführen ist, daß mittlerweile der Kreis der Berechtigten erweitert worden ist, nämlich von den Empfängern des zweifachen Regelsatzes auf Empfänger des zweieinhalbfachen Regelsatzes. Das macht eine ganze Menge aus. Da Sie so schön rechnen, würde ich Sie bitten, das auch mit zu berücksichtigen.
Frau Kollegin, ich habe selbstverständlich gesehen, daß in dem Rohentwurf vom 8. Dezember zunächst einmal der zweifache Regelsatz genannt war. Aber da waren weder der Kreis der Bezieher, noch die Höhe der Gesamtkosten genannt. Hier ist heute morgen ausgeführt worden, daß es etwa drei Millionen Bezieher sein sollen.
Ich möchte meine Ausführungen mit folgender Feststellung beenden.
Allzuoft ist der Opposition, meine Damen und Herren, von Ihrer Seite in diesem Haus in den letzten Wochen und Monaten völlig zu Unrecht vorgehalten worden, sie habe kein Alternative. Wir haben Ihnen heute eine detailliert begründete Alternative zu Ihrem Gesetzentwurf über die Gewährung von Heizölkostenzuschüssen an die sozial Schwachen in unserem Land für die weiteren Beratungen genannt. Wir haben Ihnen ferner gesagt, in welcher Form die Deckung im Haushaltsplan 1974 vorgenommen werden könnte. Es bleibt Ihnen überlassen, bei der weiteren Beratung dieses Gesetzentwurfs, in der letzten Woche des ablaufenden Jahres 1973 entweder wie bisher die Opposition nach ihrer Alternative zu fragen, bei Nennung und Vorlage dieser Alternative uns die Frage zu stellen, woher wir das Geld nehmen wollen, oder unseren Vorstellungen zu folgen und das zu vollziehen, was alle Parteien in den vergangenen Wochen übereinstimmend immer wieder in der Öffentlichkeit erklärt haben, nämlich: die durch die Energiesituation und die Heizölkostensteigerung ohne eigenes Verschulden am härtesten Betroffenen in dieser Situation nicht alleinzulassen, sondern ihnen unbürokratisch und tatkräftig zu helfen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eigen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Außer den einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen, deren berechtigte Anliegen hier soeben beraten wurden, gibt es
Bereiche, vor allen Dingen in der Landwirtschaft und in der mittelständischen Wirtschaft
— ja, die gibt es wirklich; sie interessieren Sie vielleicht nur nicht —,
die durch die Energiepreissteigerung in große Not geraten sind oder geraten können. Die CDU/CSU-Fraktion bringt aus diesem Grunde einen Antrag — Durcksache 7/1348 — ein, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, zeitlich begrenzte Heizölkostenbeihilfen für solche Bereiche in der Landwirtschaft und im Gewerbe vorzusehen, die durch die Energiepreissteigerung in ihrer Existenz gefährdet sind. Eine uferlose Subvention — darauf weise ich nachdrücklich hin — ist von uns nicht gewollt
und wird dadurch verhindert, daß eine unverschuldete Existenzgefährdung ausdrücklich nachgewiesen werden muß.
Dieser Antrag wird aus der tiefen Sorge gestellt, daß die Bundesregierung die Dinge wie bisher ohne eine umfassende Konzeption, ja offensichtlich ohne ausreichende Kenntnis der Sorgen im Lande, treiben läßt. Die Geschehnisse um die Hilfe für die Gartenbaubetriebe unter Glas sind leider ein deutlicher Beweis hierfür.
Am 4. Oktober 1973 gaben Staatssekretär Grüner und am 24. Oktober 1973 Bundesminister Friderichs in Antworten auf meine Anfragen zu, daß sie kein umfassendes, auch einzelne Wirtschaftsbereiche betreffendes energiepolitisches Programm hätten. Am 29. November 1973 erklärte Bundesminister Ertl auf meine Anfrage — ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten —:
Die in den Niederlanden geplante neue Maßnahme wird zur Vorbereitung einer entsprechenden Kommissionsentscheidung in der Arbeitsgruppe „Wettbewerbsbedingungen in der Landwirtschaft" auf ihre Vereinbarkeit mit den Wettbewerbsregeln der EG geprüft.
Diese Erklärung wurde abgegeben, nachdem ich am 28. November 1973 im Namen der CDU/CSU-Fraktion einen Entschließungsantrag über Hilfsmaßnahmen für den Gartenbau im Ernährungsausschuß ausführlich und in der Sache unwidersprochen begründet hatte. Leider wurde dieser Antrag im Ausschuß bei Stimmengleichheit abgelehnt. Immer noch wollte also Herr Minister Ertl nicht erkennen, daß die ent-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4281
Eigen
scheidende Wettbewerbsverzerrung im Verhältnis Erdgaskosten in Holland zu den gestiegenen Heizölkosten in der Bundesrepublik Deutschland liegt, und zwar 3,11 DM je qm zu ca. 19 DM je qm bei 0,40 DM je Liter leichtes Heizöl; und das, meine Damen und Herren bei ca. 70 % Einfuhranteil der entsprechenden Gartenbauprodukte aus Holland.
Am 4. Dezember 1973 beschloß dann das Kabinett, 15 Millionen DM aus dem Haushalt Landwirtschaft 1974 bereitzustellen; dabei ist dieser schon gegenüber 1973 um 2,6 °/o gekürzt. Bis heute berät die Bundesregierung noch darüber, auf welche Weise sie die Mittel an die betroffenen Betriebe zahlen will. Ich empfehle u. a. Heizölkostenbeihilfen zur Sicherstellung eines Preisniveaus zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen, die an dem staatlich gesteuerten Heizkostenniveau des niederländischen Gartenbaues ausgerichtet sind.
Die Bundesregierung sollte sich rechtzeitig Gedanken machen, wie z. B. den Dienstleistungsbetrieben, den Gastwirten in den Naherholungsgebieten, die durch das Sonntagsfahrverbot besonders hart getroffen sind, geholfen werden kann. Ich betone noch einmal, daß nur diejenigen, die ohne eigenes Verschulden von dieser Verteuerung betroffen werden, für diese Hilfe in Frage kommen.
Das Ernährungsgewerbe — unter anderem Molkereien, Zuckerfabriken, Konservenfabriken, Grünfuttertrocknungsanlagen — steht als Produzent von Ernährungsgütern in einer ganz besonderen Wettbewerbssituation gegenüber den Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft, die sich — das sei hier am Rande vermerkt — ja auch nicht gerade als stark und solidarisch erwiesen hat. Hier kommt es, genauso wie bei der Diesel- und Heizölkostensteigerung in der Landwirtschaft, darauf an: Entwickeln sich die Energiekosten in den Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft in der gleichen Weise oder nicht? Wird die zusätzliche Kostensteigerung bei den Agrarpreisverhandlungen in Brüssel berücksichtigt? Ist überhaupt die Belieferung mit Diesel-und Heizöl für Ernährungsgewerbe und Landwirtschaft sichergestellt?
Es hängt vor allem von den Handlungen der Bundesregierung ab, in welchem Umfang der vorliegende Antrag zum Tragen kommt. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Warnke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! iDe Sorge um den Arbeitsplatz ist für eine wachsende Zahl von Menschen in der Bundesrepublik Deutschland in den Vordergrund getreten, in Ostbayern ebenso wie in Schleswig-Holstein, in Teilen von Rheinland-Pfalz ebenso wie in Bereichen von Nordrhein-Westfalen bis hinein ins Revier. Eine Saat geht jetzt auf, die von zwei Regierungen Brandt gesät worden ist. Nicht die Energiekrise ist der Grund für Kurzarbeit und für Entlassungen, die wir jetzt festzustellen haben, sondern Ihre verfehlte Wirtschaftspolitik.
Sie haben eine Politik des Wechselbades betrieben, meine Damen und Herren von der Koalition. Was die ganze Welt als Wirtschaftswunder bezeichnete, waren für Sie 20 Jahre Mißwirtschaft. Sie redeten der Bevölkerung ein, Sie würden jetzt erst richtig anfangen. Traumraten von 10 bis 15 °/o Einkommenssteigerung Jahr für Jahr, ein halbes Jahrzehnt hindurch; die Überbeschäftigungsgarantie des Herrn Bundeskanzlers; Steuersenkungsversprechen, für die Sie, Herr Nölling, damals auch eingetreten sind, obwohl Steuererhöhungen notwendig gewesen wären — das war die heiße Phase des Anheizens. Dann kam die kalte Dusche: Stabilitätspolitik mit dem Holzhammer, die nun Gerechte und Ungerechte traf, am schwersten
die ländlichen Räume und Randgebiete, mit denen Sie, Herr Nölling, es nicht besonders haben.
Das Wort von Jochen Steffen, daß die SPD sich nicht um die ländlichen Räume kümmert, weil die Masse der Bevölkerung in den Städten wohnt, ist die Maxime Ihrer Struktur- und auch Ihrer Stabilitätsbemühungen gewesen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gansel?
Bitte sehr!
Herr Abgeordneter, hätten Sie, wenn Sie Jochen Steffen in diesem Zusammenhang fälschlicherweise zitieren, wenigstens die Güte, die Belegstelle — selbst wenn es die „Deutsche Monatszeitschrift" wäre — anzugeben, damit eine Gegendarstellung möglich wäre?
Herr Gansel, dazu kann ich nur sagen: Besonders flott sind Sie nicht, denn es ist jetzt das vierte Mal, daß wir im Laufe eines halben Jahres hier im Plenum das Wort von Jochen Steffen zitieren,
und es ist das erste Mal, daß Sie das Bedürfnis nach einer Gegendarstellung verspüren. Ich sage es Ihnen aber gern: Jochen Steffen hat diese Erklärung am 8. Februar im Süddeutschen Rundfunk abgegeben.
4282 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Dr. Warnke
Ich zitiere Ihnen diese Erklärung gern noch ausführlicher.Jochen Steffen hat gesagt:
Die SPD sieht die Probleme des ländlichen Raumes, kümmert sich aber nicht darum, weil die Masse der Wähler in den Städten wohnt.
\\Nenn Ihnen das besser gefällt, dann zitieren Sie es in dieser Form.
Damals, als Sie versuchten, aus der von Ihnen verschuldeten Überhitzung in etwas stetigere Bahnen zu kommen, haben Sie es mit der charakteristischen Rücksichtslosigkeit getan, indem Sie den schwächsten Bereichen Sonderopfer auferlegt haben. Es war ein fünffaches Sonderopfer. Es war die Kürzung der Mittel für die Arbeitsplatzförderung. Es war die Kürzung der Infrastrukturmittel. Es war die Kürzung der Mittel zur Verbesserung der Agrarstruktur. Es war die praktisch ganzjährige Sperre der Kredite für die Gemeinden und den Mittelstand aus dem sogenannten ERP-Vermögen. Es war die Kürzung der Straßenbaumittel, ohne einen Ausgleich im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs zu gewähren.
Über jede einzelne dieser Maßnahmen hätte man diskutieren können. Das Bündel als Ganzes war eine Rücksichtslosigkeit und ging an den Lebensnerv der Betroffenen, ohne daß die Inflationsrate deshalb auch nur um ein Zehntel Prozent zurückgedreht worden wäre.
-- Noch vor einem Monat, Herr Kirst, Anfang November, wollte der Herr Bundeswirtschaftsminister die Mittel für die Infrastruktur der Fördergebiete für 1974 sogar um volle 30% kürzen. Seine eigenen Parteigenossen, die Länderwirtschaftsminister, haben ihm die Gefolgschaft versagt. Er hat sich eine Schlappe eingehandelt. So viel Rücksichtslosigkeit ging sogar FDP und SPD über die Hutschnur.
Die CDU/CSU-Fraktion hat nunmehr ein Arbeitsplatzsicherungsprogramm vorgelegt. Es soll an die Stelle des Holzhammers — und es ist fünf Minuten vor zwölf —
einen Stabilitätskurs mit Feinsteuerung setzen. Aber, meine Damen und . Herren, Sie haben diese Minuten schlecht genutzt. Denn Sie haben schon 14 Tage Zeit gehabt, seitdem wir das Programm veröffentlicht haben. In den 14 Tagen sind die Meldungen über die Entlassungen, die Kurzarbeit, die unmittelbar bevorstehenden Stillegungen in der Bauindustrie vom Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit bestätigt worden. Aber Sie waren handlungsunfähig, weil Sie mit Ihrem Koalitionspartner zerstritten waren, der das Programm als „Inflationsförderung" bezeichnet hat, während Herr Ehrenberg meinte, es enthalte viele wertvolle Punkte.
Diese Sorge mit der FDP kennen wir, Herr Ehrenberg. Wir können sie Ihnen nachfühlen. Die
hat bei uns ein Jahr nach der Bildung der Regierung auch immer durchgedreht und ein Jahr nach den Bundestagswahlen die Profilneurose bekommen. Nur ist es schade, daß das heute auf dem Rücken derjenigen ausgetragen wird, die um ihre Arbeitsplätze bangen müssen, die von der Bundesregierung schnelles Handeln erwarten, aber mit allgemeinen Formeln abgespeist werden.
Wir schlagen erstens Aufhebung der Kürzungen bei Arbeitsplatzförderung und Infrastrukturförderung vor. Nach dem, was ich gehört habe, beabsichtigt der Herr Bundesfinanzminister, die zehnprozentige Kürzung, die er in diesem Jahr unter dem verschönernden Wort „Streckung" eingeführt hat, jetzt in der Versenkung verschwinden und im Haushalt untergehen zu lassen. Jedenfalls hat das Kabinett in der vergangenen Woche, als es seine Absicht zurücknehmen mußte, im nächsten Jahr ein Drittel dieser Mittel zu streichen, nicht davon geredet, daß die in diesem Jahr verhängte zehnprozentige Streckung rückgängig gemacht werden soll.
Wir fordern zweitens Wiederherstellung der Arbeitsplatzförderung durch die Investitionszulage in Höhe von 10 °/o in den wirtschaftsschwachen Gebieten. Zu diesem Zweck haben wir den Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf eingebracht.
Drittens fordern wir die unverzügliche Erhöhung der zinsgünstigen Kredite für die Gemeinden und den Mittelstand in den wirtschaftsschwachen Gebieten. Ich sage deshalb „unverzüglich", weil es dieses Jahr volle elf Monate gedauert hat, bis der Mittelstand an das Geld kam, und das zu einer Zeit, wo Sie ihn durch die Hochzinspolitik in eine Existenzkrise getrieben haben und Sätze von 15 % an Betriebsmittelzinsen vielen mittelständischen Betrieben das Leben bereits schwergemacht haben. Sagen Sie uns, wann Sie diese Mittel für 1974 im ERP-Haushaltsplan bereitstellen wollen; er ist bereits heute überfällig.
Wir fordern viertens gezielte Maßnahmen zur Belebung des Wohnungsbaus. Dabei denken wir besonders an den sozialen Wohnungsbau, der heute, meine Damen und Herren, auch durch die von Ihnen immer wieder in die Diskussion gebrachte Wiederinkraftsetzung des § 7 b des Einkommensteuergesetzes bei den derzeitigen Kapitalmarktzinsen nichtbelebt werden könnte.
Wir fordern fünftens sofortige Durchführung von Konjunkturprogrammen für die wirtschaftsschwachen Gebiete, abgestimmt zwischen Bund und Ländern. In Ostbayern wird mit 50 % Arbeitslosen in der Bauwirtschaft gerechnet, davon 85 % deutsche Arbeiter. Dort und in anderen Gebieten in vergleichbarer Lage wartet man Tag für Tag auf grünes Licht aus Bonn hier und heute, denn bei den langen Wegen der Ministerialbürokratie wird ein grünes Licht, das wir heute geben, gerade rechtzeitig kommen, um zu Beginn der Bausaison in den von der Wirtschaftsabschwächung betroffenen Gebieten wirksam werden zu können.
Wir fordern sechstens die Planung weiterer Investitionsprogramme, die mit einem Griff aus der
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4283
Dr. Warnke
Schublade gezogen werden können, wenn weitere Beschäftigungseinbrüche und diesmal auch außerhalb der wirtschaftsschwachen Gebiete drohen.
Für die Gemeinden in den wirtschaftsschwachen Gebieten fordern wir siebentens einen angemessenen Spielraum durch Anhebung des Schuldendeckels.
Achtens, meine Damen und Herren, fordert die CDU/CSU-Fraktion die Verringerung der Niedrigpreiseinfuhren aus den Ostblockstaaten, insbesondere in den Branchen Textil und Bekleidung, Leder und Schuhe.
Schließlich fordern wir neuntens: Keine weitere Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen an Staatsfirmen aus dem Ostblock, die mit der Preiskonkurrenz für die deutschen Firmen die Arbeitsplätze Tausender von Arbeitnehmern in der Bauwirtschaft gefährden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Unland?
Herr Kollege Warnke, sind Ihnen Pressemitteilungen von gestern bekannt, daß offensichtlich im deutsch-rumänischen Handel im nächsten Jahr die bisher kontingentierten Bereiche erneut um — wenn ich es richtig gelesen habe —12 % aufgestockt werden, und sehen Sie darin nicht einen gewissen Widerspruch zu den jüngsten Erklärungen der Bundesregierung?
Ich sehe darin einen krassen Widerspruch, aber mehr noch eine Brüskierung derjenigen, die zu einem großen Teil Wähler dieser Bundesregierung sind und die heute wegen dieser Politik ihren Arbeitsplatz verlieren oder kurzarbeiten müssen.
Während wir hier, meine Damen und Herren, über die Sicherheit der Arbeitsplätze beraten, befindet sich der Herr Bundeswirtschaftsminister auf dem Weg nach Warschau, hält sich der Herr Bundeskanzler in Prag auf und verhandelt dort heute über Wirtschaftsfragen. Ich kann ihm das, Herr Kollege Wehner, was Sie ihm innerparteilich ins Stammbuch geschrieben haben, nur von hier aus auch nach Prag zurufen: Kanzler, werde hart!
Die Taten der Regierung Brandt auf dem Gebiet der Osteinfuhren stehen im Widerspruch zu den schönen Worten Brandts über die Sicherheit der Arbeitsplätze.
— Herr Ehrenberg, ich finde es nicht witzig, daß Industrien, die seit Jahr und Tag um ihre Existenz im Strukturwandel kämpfen und sich behaupten mußten, wie z. B. Textil, Bekleidung, Leder und
Schuhe, durch die Beschlüsse dieser Bundesregierung im Sommer dieses Jahres zusätzliche Einfuhren in Höhe von 300 Millionen DM auferlegt bekommen haben, mit denen diese Bundesregierung bewußt und gewollt Arbeitsplätze vernichtet hat.
Darum, Herr Ehrenberg, marschiert die Gewerkschaft Textil und Bekleidung morgen auf Bonn. Das ist die Forderung, die sie an diese Bundesregierung zu stellen hat, und ich kann Ihnen nur sagen, die CDU/ CSU-Fraktion steht in dieser Forderung hinter der Gewerkschaft Textil und Bekleidung. Sie fordert: Sicherheit der Arbeitsplätze muß wieder vor der Osthandelspolitik stehen.
Dieses Arbeitsplatzsicherungsprogramm, meine Damen und Herren, stellt keine Abkehr vom Stabilitätskurs dar, sondern ergänzt ihn durch die Feinsteuerung, die nun auf Grund der Entwicklung in den betroffenen Gebieten und Wirtschaftszweigen notwendig geworden ist. Wir hören, daß Sie in der nächsten Woche über Maßnahmen beraten wollen, die noch darüber hinausgehen. Welche Instrumente Sie sich auch immer einfallen lassen mögen, ob Sie diesen Forderungen — denen Sie Punkt für Punkt nachkommen werden, das sage ich Ihnen heute schon voraus — sich anschließen oder ob Sie zusätzliche Maßnahmen ergreifen, über eins müssen Sie sich klar sein: Wirtschaft braucht Vertrauen, Arbeitsplatzsicherheit setzt Vertrauen in die Politik einer Regierung voraus. Dieses Vertrauen haben Sie vernichtet durch eine Politik des Wechselbades, die sich nicht genugtun konnte zunächst im Wachstumsfetischismus und dann in der Verteufelung des Wachstums unter dem Stichwort „Qualität des Lebens",
die sich nicht genugtun konnte zunächst in der Verherrlichung der autogerechten Stadt durch Leute wie Bundesminister Vogel und dann in der Verteufelung des Autos durch eben diesen Bundesminister Vogel. Ich habe hier sein Interview — es ist noch gar nicht lange her, daß er es gegeben hat, im März dieses Jahres —, wo er sagt, man müsse den Preis des Autos in Zukunft erhöhen, indem man 200, 300 DM bei der Zulassung drauflege, damit er kostengerechter werde. Ich glaube, Herr Vogel wird es sich überlegen, welches Vertrauensklima er mit diesen Äußerungen geschaffen hat. Wenn dann durch Forderungen wie von Ihnen, Herr Kollege Wehner, daß der Staat das Heft in die Hand nehmen müsse, wenn durch Forderungen nach Überführung in Gemeineigentum, wie von Herrn Kollegen Gansel gesagt — —
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Wenn durch solche Forderungen das Vertrauen derjenigen, die die Sicherheit der Arbeitsplätze garantieren müssen, unter- I graben wird — und es ist langfristig untergraben
4284 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Dr. Warnke
worden —, wenn durch die Verunglimpfung eines Unternehmertums, das hier seine Pflicht und Schuldigkeit getan hat, die Leistungsanreize beseitigt werden, dann werden Sie lange warten und sich noch viele Maßnhmen einfallen lassen können, bis die Pferde wieder saufen. Wir wollen Ihnen mit unserem Arbeitsplatzsicherungsprogramm einen Anstoß und eine Denkhilfe geben, damit Sie handeln und damit Sie wieder Tritt fassen, bevor es zu spät ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haase .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Warnke, es ist 6 Minuten nach 12. Sie reden doch sonst immer nur in der Manier, daß es 5 Minuten vor 12 sei. Ich wollte ,das hier nur bemerken, auch im Hinblick auf die Zeit, ,die hier verredet wird, anstatt daß gehandelt wird.
— Natürlich, anstatt daß gehandelt wird! Die Ursache dafür sind doch Sie mit Ihren Anträgen!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Nordlohne?
Nein, ich gestatte jetzt keine Zwischenfrage, weil ich mich verpflichtet habe,
in drei Sätzen fertig zu werden, damit wir endlich mit der Arbeit beginnen können.
Wir wollen dann mal sehen, ob alle diejenigen, die jetzt hier sind, heute nachmittag in den Ausschüssen sitzen werden, um dann auch Punkt für Punkt durchzustehen, was hier in großsprecherischer Manier wie von Anstreichern deklamiert wird.
Natürlich ist das bei Ihnen so. Ich verstehe Ihre Situation. Sie versuchen, hier mit Ihren Anträgen eine Art Handlungsnachweis dafür zu führen, daß von Ihrer Seite etwas geschieht,
während die Regierung und die Koalitionsfraktionen in der Zwischenzeit in den Bereichen, in denen Sie jetzt nachträglich Ihre Anträge bringen, längst gehandelt haben.
— Es geht um eine ganze Menge. Das wissen wir alle.
Aber, Herr Kollege, eben darum sollten wir uns bemühen, ,daß das in den Ausschüssen eine Erledigung findet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Abschaffung des Autos, sondern dann kommt da natürlich, wie wir alle wissen und wie Sie doch hoffentlich nicht bestreiten werden, heraus: die Gefährdung der Umwelt durch Autoabgase. Das ist etwas ganz anderes.
Zum zweiten, zur Textilindustrie: Wir sind uns sehr wohl der schwierigen Situation bewußt. Aber das ist jetzt doch keine Folge der Situation, wie Sie sie versuchen darzustellen,
sondern das sind Strukturkrisen, die ihre Ursachen auch darin ,finden,. daß ,deutsche Unternehmer mit ihren Fabriken nicht in Deutschland neue Arbeitsplätze geschaffen haben, sondern in Hongkong und sonstwo,
und sich nun gegenseitig Konkurrenz machen in der Weise, daß Unternehmen aus diesen Ländern, die ja ein sehr niedriges Lohnniveau haben, wie Sie alle wissen, in ,die Bundesrepublik einführen. Damit wird der eigenen Industrie Konkurrenz gemacht.
Herr Abgeordneter Haase, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich habe schon gesagt: im Hinblick auf ,die Zeit nicht.
Meine Damen und Herren, der Herr Kollege gestattet keine Zwischenfrage.
Wir können das dann ja im Ausschuß gerne besprechen, Herr Warnke. Ich hoffe, Sie werden da sein.
Nun lassen Sie mich zum Schluß noch eines sagen. Wir sollten nicht versuchen zu dramatisieren. Ihre Ankündigungseffekte wirken weit verheerender auf das, was Sie — das will ich Ihnen unterstellen —nämlich auch wollen: Die Stabilisierung der Verhältnisse. Mit den Anträgen, die Sie gestellt haben und die durch die Beschlüsse der Bundesregierung, durch Vereinbarungen des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten ja zum Teil überholt sind, machen
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4285
Haase
Sie etwas, was auf die Beurteilung draußen im Lande verheerend wirken kann.
Sie setzen Daten, von denen Sie wissen, daß sie nicht sinnvoll zu setzen sind, sondern daß sie nur aufgeputzt werden, um den Nachweis dafür zu liefern, daß Sie handeln wollten, daran aber von den bösen Koalitionsfraktionen gehindert wurden.
In der Sache sind wir in vielen Bereichen überhaupt nicht auseinander. Nur, es wird der Anschein erweckt, als ob Sie mit Ihren Anträgen die Probleme der Situation lösen würden. Lassen Sie mich sagen: So wie das eben ausschaut, sind das keine kreißenden Berge, sondern kleine Mäuslein. Sie sollten sie nicht noch aufputzen; denn Mäuslein werden dadurch nicht lustiger, daß man ihnen Käppchen aufsetzt.
Herr Kollege Warnke, die von Ihnen verlesenen Anträge — Teilanträge, wie immer man sagen will — werden uns im Ausschuß in sachlicher Weise,
hoffe ich, in einigen Punkten sicher auch dazu führen, daß wir sagen: Das ist unsere gemeinsame Linie. Es gibt aber eine Reihe von Anträgen die hat Ihnen Herr Kollege Ehrenberg vorhin schon aufgezählt —, von denen Sie genau wissen, daß sie nicht sinnvoll sind. Das Gesetz, auf das Sie sich bezogen haben, nämlich das Investitionszulagengesetz, liegt im gegenwärtigen Zeitpunkt — darauf muß man ja wohl abstellen -- in der Priorität sicher nicht ganz vorne.
In der gegenwärtigen Situation müssen wir dafür sorgen, daß es keine Stagnationen gibt. Denn Sie wissen: Wenn es die gibt, brauchen wir auch nicht die 2,5 %; die werden an der Situation insgesamt nichts ändern. Wir brauchen dann erst einmal die Dinge, von denen die Regierung gesagt hat, daß sie sie machen werde. Deshalb lassen Sie uns heute um 13 Uhr im Ausschuß beraten, welche Prioritäten wir setzen wollen, damit wir, hoffe ich, zu dem gemeinsamen Ziel kommen, diese Krise so schnell wie möglich zu überwinden. Aber nicht sechs Minuten nach zwölf mit großen Erörterungen im Plenum, sondern mit handfester Arbeit im Ausschuß!
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Franke .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der letzte Redner der SPD hat eigentlich provoziert, daß ich hier noch einmal auf die Bühne trete, um folgendes zu zitieren. Herr Kollege Haase, ist Ihnen nicht die Dringlichkeitsfrage der Kollegin Dr. Renate Lepsius aus der SPD-Fraktion bekannt,
die heute nachmittag die Frage stellen wird — ich darf sie auch in dieses Protokoll einführen —:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in dieser Woche erneut 10 000 Beschäftigte in der Textil-und Bekleidungsindustrie zur Kurzarbeit angemeldet werden, so daß jetzt die 100 000-Marke überschritten wird, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um der schnell um sich greifenden Unterbeschäftigung in der Textil-und Bekleidungsindustrie entgegenzutreten?
Haargenau dies ist das Thema, welches meine Kollegen heute morgen dauernd in die Debatte mit eingeführt haben. Sie haben eben davon gesprochen, der Berg habe gekreißt und ein Mäuslein geboren. 100 000 Kurzarbeiter sind kein Mäuslein, mein verehrter Herr Kollege!
Diese Frage brennt uns auf den Nägeln, und Sie wollen nicht, daß das in der Öffentlichkeit diskutiert wird, sondern in der nichtöffentlichen Ausschußsitzung, also unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Diesen Gefallen werden wir Ihnen nicht tun. Wir werden Sie zwingen, in aller Öffentlichkeit die Fehlleistungen dieser Regierung bekanntzugeben. Dem dient auch die Anfrage der SPD-Kollegin.
Wenn Herr Wehner das strenge Regiment, das er hier führt — ich bewundere ihn deswegen oft —, auch in der Fraktion geführt hat, dann kann diese Anfrage nicht ohne Genehmigung von Herrn Wehner durchgelassen worden sein. Demnach haben Sie sich völlig neben die Beschlüsse Ihrer eigenen Fraktion gestellt.
Ich unterstütze die Kritik, die in dieser Frage enthalten ist. Wir werden darauf noch weiter zurückkommen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich schlage vor, die Vorlagen wie folgt zu überweisen.
Punkt 2 a) : Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend --, Ausschuß für Wirtschaft, Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO;
Punkt 2 b) : Finanzausschuß — federführend —, Ausschuß für Wirtschaft, Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen und Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO;
Punkt 2 c) : Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend —, Ausschuß für Wirtschaft, Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie Haushaltsausschuß;
Punkt 2 d) : Ausschuß für Wirtschaft — federführend — und Finanzausschuß;
Punkt 2 e) : Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend —, Ausschuß für Wirtschaft und Haushaltsausschuß;
4286 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Punkt 2 f) : Ausschuß für Wirtschaft — federführend —, Finanzausschuß, Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie Haushaltsausschuß;
Zusatzpunkt 2 g) : Ausschuß für Wirtschaft — federführend — sowie Ausschuß für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen.
Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wir fahren in der Abwicklung der Tagesordnung fort. Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Abzahlungsgesetzes
— Drucksache 7/598 —
Bericht und Antrag des Rechtsausschusses
— Drucksache 7/1398 — Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Stark Abgeordnete Frau Däubler-Gmelin
.
Wird von seiten der Berichterstatter eine Ergänzung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich danke den Berichterstattern.
Ich rufe in zweiter Beratung Art. 1, 2, 3 und 4 sowie Einleitung und Überschrift auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stark.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion darf ich folgende Erklärung zur Verabschiedung der Novelle zum Abzahlungsgesetz abgeben.
Meine Fraktion begrüßt es, daß es endlich nach jahrelangem Ringen gelungen ist, das Widerrufsrecht in das Abzahlungsgesetz einzufügen. Wie Sie alle wissen, beschäftigt sich das Haus seit vielen Jahren mit dieser Frage. Wir begrüßen insbesondere, daß die von uns bereits seit der 5. Legislaturperiode vorgeschlagene „große Lösung" in das Gesetz Eingang gefunden hat. Wenn meine sehr verehrte Kollegin Däubler-Gmelin in der ersten Aussprache zu diesem Gesetz erklärt hat, daß die Fraktion der SPD nicht daran beteiligt war, daß erst heute dieses Widerrufsrecht eingeführt werden kann, so möchte ich, ohne auf die ganze Geschichte des Gesetzes einzugehen, doch erwähnen, daß die frühere Einführung dieses Widerrufsrechts vor allem daran gescheitert ist, daß sich die Fraktion der SPD nicht darüber einigen konnte, ob sie nun die „große"
oder „kleine Lösung" beim Abzahlungsgeschäft will, und wir daher erst heute zur Verabschiedung dieses Gesetzes kommen. Ich bin erforderlichenfalls bereit, die entsprechenden Protokolle der einzelnen Gremien vorzulegen. Im Jahre 1965 — wenn ich das erwähnen darf — hat die SPD-Fraktion bei dem damaligen Entwurf gegen die „kleine Lösung" Bedenken verfassungsrechtlicher Art gehabt. Im Jahre 1971 hat die SPD-Fraktion die „große Lösung" im Wirtschaftsausschuß mit 6 gegen 7 Stimmen abgelehnt. Das nur noch zur Geschichte des Gesetzentwurfs. Ich glaube, wir sollten jetzt nicht weiter in die Historie zurückgreifen, sondern allgemein begrüßen, daß es endlich gelungen ist, hier im Interesse des Verbrauchers eine vernünftige, ausgewogene Lösung ides Widerrufsrechts zu finden.
Die „große Lösung" ist unserer Auffassung nach die verbraucherfreundlichste und die sozialste Lösung, weil sie jedem Abzahlungskäufer ganz gleich, ob er an der Haustür, im Einzelhandelsgeschäft oder im Großkaufhaus kauft — eine Überlegungsfrist gibt, nochmals darüber nachzudenken, ob er an dem Kaufabschluß festhalten will, nachdem er in Ruhe die finanziellen Auswirkungen seines getätigten Kaufes übersehen kann. Nach der „großen Lösung" hat also jeder Abzahlungskäufer in Zukunft die Möglichkeit, innerhalb einer Woche von dem abgeschlossenen Kauf zurückzutreten, bzw. wird der abgeschlossene Kauf erst wirksam, wenn der Abzahlungskäufer nicht widerruft.
Wir begrüßen die „große Lösung" bei der Einführung des Widerrufsrechts aber auch deshalb, weil sie unter wettbewerbs- und ordnungspolitischen Gesichtspunkten die ausgewogenste Lösung ist. Schließlich sind bei der „großen Lösung" die immer wieder geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Benachteiligung eines Vertriebszweiges unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 des Grundgesetzes — Gleichbehandlung — meines Erachtens nicht mehr aufrechtzuerhalten.
Umstritten war bei der nun gefundenen Lösung des Widerrufsrechts, ob bei den Versandhandelsunternehmen das Widerrufsrecht durch das sogenannte Rückgaberecht ersetzt werden kann. Wir waren im Rechtsausschuß mit Mehrheit der Auffassung, daß das Rückgaberecht verbraucherfreundlicher ist als lediglich das Widerrufsrecht. Hier ist folgender Sachverhalt festzustellen: Nach Einführung des Widerrufsrechts wird in Zukunft sehr wahrscheinlich von allen Verkäufern nur noch nach Ablauf der Widerrufsfrist ausgeliefert werden. Beim Rückgaberecht wird der Käufer die Ware selten sofort bekommen, sondern meistens erst nach einer bestimmten Zeit — die Versandhandelsunternehmer brauchen eine bestimmte Zeit, bis sie die Ware in Marsch setzen —; er hat also praktisch zwei Überlegungsfristen: er kann überlegen, bis die Ware bei ihm ankommt, und er kann dann, wenn er die Ware wirklich sieht und wenn er sie geprüft hat, nochmals überlegen und dann die Ware, soweit sie zurückversendungsfähig — postpaketversandfähig — ist, zurücksenden oder andernfalls ihre Rücknahme verlangen. Das geschieht auf Kosten und Gefahr des Verkäufers.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4287
Dr. Stark
Wer behauptet, hier sei ein Wirtschaftszweig oder Vertriebszweig bevorzugt, hat meines Erachtens nicht richtig verstanden, worum es uns gegangen ist: Wir wollten auf eine bereits eingespielte Vertriebsart der Versandhandelsunternehmer Rücksicht nehmen und wollten dem Verbraucher in diesem Falle sogar ein Mehr als lediglich das Widerrufsrecht geben. Wir waren der Meinung, daß es, wenn der Verbraucher die Ware noch besichtigen und prüfen kann, ein Mehr ist, als wenn er, ohne daß er die Ware je empfangen hat, nur widerrufen kann, zumal er meistens nach Katalog bestellt hat.
Wir begrüßen es darüber hinaus, daß der Versuch gemacht wurde, den sogenannten finanzierten Abzahlungskauf in das neue Abzahlungsgesetz einzubeziehen. Bisher bestand über die Kreditgewährung durch Dritte vielfach die Möglichkeit, das Abzahlungsgesetz zu umgehen. Ob die hier gefundene Lösung bezüglich des finanzierten Abzahlungskaufs schon der Weisheit letzter Schluß ist, ob alle Fälle erfaßt sind, die wir treffen wollen, muß die Erfahrung mit diesem Gesetz erst noch zeigen.
Im Interesse des Verbrauchers begrüßen wir es ganz besonders, daß er über sein Widerrufsrecht und über sein Rückgaberecht ausdrücklich und in den bei dem Kauf zu fertigenden Urkunden an hervorgehobener Stelle belehrt werden muß. Durch eigene Unterschrift des Käufers muß die Belehrung über sein Widerrufsrecht bzw. sein Rückgaberecht gesichert sein.
Wir begrüßen es ferner, daß in das Gesetz die sogenannten wiederkehrenden Leistungen, also etwa der Bezug von Zeitschriften, einbezogen ist. Auch hier hat der Verbraucher die Möglichkeit, sich nochmals zu überlegen, ob er sich an das Geschäft halten will. Er kann während einer Überlegungsfrist von einer Woche seine Entscheidung in Ruhe treffen.
Mit der bevorstehenden Verabschiedung der Novelle zum Abzahlungsgesetz wird unseres Erachtens ein wesentlicher Schritt auf dem Wege zu einem besseren Verbraucherschutz getan.
Ausdrücklich möchte ich darauf hinweisen, daß neben dem Widerrufsrecht natürlich die sonstigen Anfechtungsmöglichkeiten nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch oder im Zusammenhang mit einem Betrug nach wie vor gegeben sind. Der Verbraucher muß das wissen. Er sollte nicht meinen, daß dann, wenn er betrogen, wenn er getäuscht worden, die Widerrufsfrist aber abgelaufen ist, keine Anfechtungsmöglichkeit mehr besteht. Ich halte es deshalb für erforderlich, von dieser Stelle ausdrücklich darauf hinzuweisen.
Unter Berücksichtigung des gleich noch zur Verabschiedung anstehenden Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bestimmungen über die Gerichtsstandsvereinbarung glaube ich, daß wir mit der Änderung des Abzahlungsgesetzes und anderen Vorhaben, die noch auf uns zukommen werden, einen Verbraucherschutz erreicht haben, der unter den gegebenen Bedingungen meines Erachtens optimal sein wird. Allerdings ist das Abzahlungsgesetz jetzt in kürzester Zeit zweimal geändert worden. Wir wollen abwarten, ob mit den jetzt vorgeschriebenen Regelungen der optimale Verbraucherschutz tatsächlich so erreicht wird, wie wir uns das vorstellen. Wir haben deshalb im Rechtsausschuß die Bundesregierung übereinstimmend aufgefordert, uns nach Ablauf von zwei Jahren einen Bericht über die Erfahrungen mit diesem Abzahlungsgesetz zu geben und vor allem die Bestimmungen über den finanzierten Abzahlungskauf nochmals zu überdenken und zu überarbeiten.
Ich darf für die Fraktion der CDU/CSU ankündigen, daß wir dem Gesetzentwurf zustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Däubler-Gmelin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie wissen alle, daß mit dem Gesetzentwurf, der Ihnen heute zur Abstimmung vorliegt, ein Vorhaben zum Schutz und zum Nutzen des Verbrauchers verwirklicht wird, dessen Grundlagen in der Tat bis ins letzte Jahrhundert zurückreichen. Und auch die Bemühungen um die uns heute vorliegende Änderung des Abzahlungsgesetzes dauern bereits länger als ein Jahrzehnt.
Lieber Herr Dr. Stark, da wir uns im Ausschuß über diese Sache häufig genug unterhalten haben, brauche ich jetzt nicht noch einmal aufzuzeigen, von wem was im einzelnen kommt. Sie wissen sehr genau, daß gerade meine Fraktion mehr getan hat, als nur zu reden, und daß wir in einem Streit über Urheberrechte gar nicht schlecht abschneiden würden. Im übrigen werden Sie ja sicherlich nicht die heutige Linie Ihres Fraktionsvorsizenden verfolgen wollen, die, daß man durch ständiges Wiederholen nicht immer ganz richtiger Behauptungen die Öffentlichkeit schon von seinem Standpunkt überzeugen werde. Deswegen kann ich es mir ersparen, im einzelnen zu Ihren diesbezüglichen Äußerungen etwas zu sagen.
-- Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen möchten, Herr Dr. Stark, können Sie das tun. Sonst würde ich an sich lieber in der Erklärung meiner Fraktion fortfahren.
Sie alle, die den langen und zum Teil etwas umständlichen Weg dieses vernünftigen Reformgesetzes zum Verbraucherschutz miterlebten, haben auch alle Schwierigkeiten vor Augen, die sich in diesem Zusammenhang ergeben haben. Die erste — darauf möchte ich nochmals hinweisen — lag darin, ob man denn überhaupt ein Widerrufsrecht wolle, und zwar ein Widerrufsrecht, das es einem Teil, nämlich dem Verbraucher, ermöglichen sollte, von einer bereits eingegangenen Kaufverpflichtung wieder Abstand zu nehmen, oder ob man das alte, eherne und schöne Prinzip des Pacta sunt servanda auf diesem Gebiet bis zum bitteren Ende durchhalten sollte. Denn wir alle wissen, daß vornehmlich im Bereich der Abzahlungsgeschäfte gerade dieses Prin-
4288 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Frau Däubler-Gmelin
zip dazu führt, daß häufig den Ärmsten die Hunde beißen.
Wenn ich dieses sage, denke ich natürlich an die Haustürgeschäfte, den beliebten Tummelplatz für redegewandte und clevere Vertreter, die häufig mit mehr als unlauteren Mitteln arbeiten, aber aus Gründen der Beweisnot nicht dingfest gemacht werden können. Dann ist regelmäßig der Verbraucher der Dumme, der wirtschaftlich schwächer ist und sich häufig mit unserer komplizierten wirtschaftlichen und rechtlichen Situation nicht zurechtfindet.
Ich denke natürlich im Zusammenhang mit der Frage, ob der Grundsatz des Pacta sunt servanda auf sämtlichen Gebieten durchgehalten werden soll, an die Kaffeefahrten, auf denen Heimbügelmaschinen alten Leuten aufgeschwätzt werden, die dann darauf sitzenbleiben und dann zum Teil unverschämten Drohungen und Mahnungen von seiten der Verkäufer ausgesetzt sind.
Meine Damen und Herren, ich denke natürlich auch an alle diejenigen Fälle, in denen einem Verbraucher — wo auch immer — Waren aufgeschwätzt werden zum Nutzen des Verkäufers, aber nicht des Käufers. In diesem Zusammenhang gibt es ganz besonders betrübliche Randerscheinungen, nämlich solche — wie würden Sie die bezeichnen? —, in denen einem Verbraucher ein Kaufvertrag förmlich aufgedrängt wird, er dann die Waren erhält, die er nicht brauchen und auch nicht bezahlen kann, was er eigentlich auch wußte. Dann folgt in der Regel ein Betrugsverfahren. Denn der Käufer hätte ja wissen müssen, daß er nicht zahlen kann, und der Verkäufer, der ihm diese Waren durch seine Überredungskunst aufdrängt, hat ja den Schutz des Rechts für sich.
Das sind die Erscheinungen, die wir alle mit unserem Entschluß, das Widerrufsrecht nun endlich zu wollen, wie ich hoffe, endgültig in den Orkus geschickt haben. Das sind die Fälle, in denen wir es in Zukunft nicht mehr nötig haben werden, durch Interventionen von Abgeordneten, durch Interventionen von Bürgermeistern, durch Tricks von Rechtsanwälten die Auswirkungen von Beweisnot wenigstens etwas zu mildern; das sind die Fälle, für die wir tatsächlich zeigen konnten, daß uns Verbraucherschutz interessiert.
Der zweite Streitpunkt, meine Damen und Herren, betraf folgendes: Wenn wir einen Widerruf wollen, für welche Arten von Verträgen, von Ratenzahlungsgeschäften sollte denn dieses Widerrufsrecht möglich sein? Nur für solche, die an der Haustür, in Bussen oder auf der Straße, also im nichtstationären Einzelhandel durch fliegende Vertreter oder Vertreterkolonnen abgeschlossen wurden? Diesen Vorschlag machte das Land Hessen, als es in sehr verdienstvoller Weise die letzte Runde des Kampfes um die Reform des Abzahlungsgesetzes einläutete.
Kontrapunkt zu dieser kleinen Lösung war — wie kann es anders sein? — die große Lösung, die alle Abzahlungsgeschäfte umfassen sollte, gleichgültig an welchem Ort sie abgeschlossen würden. Wir
haben uns für diese Lösung entschieden, weil alle Fraktionen — wie ich meine, glücklicherweise — der Auffassung sind, daß der Verführungseffekt moderner Verkaufspsychologie, die durch Werbung in den Medien, in Fernsehen, Zeitung und Rundfunk, unterstützt wird, heute mit der Überredungskunst eines cleveren Vertreters gleichgesetzt werden muß. Und dies auch dann, wenn wir sehr wohl sehen, daß bestimmte Tricks und Überredungsmodalitäten im stationären Einzelhandel gar nicht so leicht auftreten können.
Neben der Streitfrage, ob große oder kleine Lösung, stand natürlich auch in Frage, ob weitere Verträge in unsere Regelung einbezogen werden könnten. Nicht nur die Frage des Ortes des Vertragsabschlusses war somit interessant, sondern auch folgendes: Wir haben es mit Überredungskünstlern und Übervorteilten nicht nur dort zu tun, wo einmal ein Gegenstand auf Raten verkauft wird, also Auto, Heimtextilien oder Teppiche, sondern wir haben diese Schwierigkeiten ebenso dort, wo jemandem ein Zeitungsabonnement angedreht wird, wo ein Verbraucher eine Lexikonlieferung vertraglich vereinbart oder auch — und das insbesondere in letzter Zeit — wenn er Fernlehrkurse ankauft, die mit umfassender Betreuung und Korrektur von zu Hause anzufertigenden Aufgaben verbunden sein sollen. Alle diese Verträge sind entweder Sonderformen des Kaufvertrages oder entsprechende Mischverträge, deren Gestaltung bereits im BGB nur unvollständig geregelt und die bisher im Abzahlungsgesetz überhaupt nicht aufgetaucht sind.
Wir haben uns wiederum erfreulicherweise, wie ich meine, dafür entschieden, für alle diese Verträge ein Widerrufsrecht vorzusehen. Das heißt im Klartext: alle Ratenzahlungskäufer, auch solche, die gemischte Verträge abschließen, können innerhalb einer Woche vom Vertrag zurücktreten, ohne dafür Gründe angeben zu müssen. Ich kann nur noch einmal ganz deutlich hervorheben, meine Damen und Herren, damit sind wir in der Tat ein ganz großes Stück weiter auf dem Wege zu mehr und besserem Verbraucherschutz.
Wenn wir berücksichtigen — Herr Dr. Stark hat dankenswerterweise darauf hingewiesen —, daß wir auch die Bestimmungen über den finanzierten Abzahlungskauf in unsere Regelung hineingenommen haben, dann verstärkt sich dieser günstige Eindruck vollkommen zu Recht, denn damit verschließen wir ein weiteres Schlupfloch, und zwar zugunsten der Verbraucher. Ratengeschäfte, bei denen ,der Verbraucher die Ratenzahlungen nicht an den Verkäufer selbst entrichtet, sondern im Rahmen eines gesonderten Kreditvertrages an eine Bank zahlt, die ihrerseits dem Verkäufer die gesamte Summe auszahlt, wurden durch das Abzahlungsgesetz, wenn überhaupt, so doch nur sehr unvollkommen erfaßt. Die Rechtsprechung, die hier dankenswerterweise vernünftige und verbraucherfreundliche Wege eingeschlagen hat, schien in der letzten Zeit erkennen zu lassen, daß sie wohl eine Äußerung des Gesetzgebers braucht, der sie auf ihrem ursprünglichen Wege bestärkt. Genau auf diesen Weg wollten wir mit dieser Regelung hinweisen, die wir jetzt vor-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4289
Frau Däubler-Gmelin
liegen haben. Wir wollten damit ganz deutlich machen, daß wir den verbraucherfreundlichen Weg der Rechtsprechung für richtig halten und daß wir ihn unterstützen.
Im Gegensatz zu dem, was Herr Dr. Stark sagte, halte ich die uns jetzt vorliegende Formulierung sicherlich nicht für der Weisheit letzten Schluß. Sie wird nicht allen Detailanforderungen gerecht werden können. Wenn wir aber berücksichtigen, daß wir bald besondere, ausformulierte und präzise Regelungen über die Einschaltung von Kreditinstituten bei der Abwicklung von Ratengeschäften haben werden, können wir uns mit dieser Formulierung zunächst durchaus zufriedengeben, weil wir dann heute nur unseren grundsätzlichen Willen zum Ausdruck bringen, aber nicht mehr.
-- Herr Dr. Stark, stellen Sie doch eine Zwischenfrage, wenn Sie etwas von mir wissen wollen.
Ich möchte gern noch auf drei. Punkte hinweisen. Wir haben einerseits eine ganze Reihe von Rückabwicklungsproblemen gesondert geregelt, was sich zugunsten des Verbrauchers auswirkt. Das ist eine sehr wichtige Sache.
Es sind jedoch noch zwei weitere Dinge zu erwähnen, von denen nur das eine sehr positiv zu bewerten ist. Dazu soviel: Gerade wenn man sich damit befaßt, Regelungen, Gesetze zu schaffen, die den Verbraucher schützen sollen, muß man zugleich dafür sorgen, daß die Information über das Recht tatsächlich an den Betroffenen gelangt. In unserem Fall würde ein Widerrufsrecht gar nichts nützen, wenn wir nicht verankert und abgesichert hätten, daß zugleich )die Belehrung des Betroffenen erfolgen muß. Wir haben deshalb eine Regelung aufgenommen, die nicht nur verschreibt, schriftlich den Käufer über alle seine Rechte zu belehren, sondern wir haben an diese Pflicht zusätzlich noch bestimmte verschärfende Maßregeln geknüpft: Wird nicht belehrt, beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen; wird nicht belehrt und die Ware wird dennoch ausgeliefert, verschärft sich das Risiko des Verkäufers. Wir glauben, daß wir mit diesem Ansporn zu mehr Information und Belehrung ebenfalls einen guten Schritt getan haben.
Der letzte Punkt — der, den ich als nicht positiv empfinden kann — betrifft die Frage, die Herr Dr. Stark als das alternative Rückgaberecht als Sonderregelungen für Versandhandelsunternehmen — aufgeführt hat. Mich hat Herr Scheu, der Berichterstatter des Wirtschaftsausschusses, in Sachen Abzahlungsgesetz ausdrücklich gebeten, Ihnen mitzuteilen, daß der Wirtschaftsausschuß diese Formulierung und diese Regelung gestrichen haben wollte; das ,sei vom Wirtschaftsausschuß einstimmig beschlossen worden. Sie wissen auch — das hat Herr Dr. Stark gesagt —, daß der Rechtsausschuß sich mit Mehrheit dafür ausgesprochen hat, die Regelung in das Gesetz aufzunehmen. Nun, dieses Sonderrückgaberecht schafft, wie schon sein Name andeutet, Sonderregelungen für den Versandhandel. Man
mag dies beklagen oder auch begrüßen. Ich selber nehme eine etwas ambivalente Haltung zu der vorliegenden Formulierung ein. Denn wir wollten zwar, daß die großen Versandhandelsunternehmen, die in der Tat als gesonderte Branche angesehen werden können und die heute schon ein Rückgaberecht anbieten, ein gesetzliches Rückgaberecht weiter anbieten können, aber ich sehe natürlich auch die großen Schwierigkeiten: Der Begriff des Versandhandels ist bisher weder präzise noch eindeutig definiert. Wir werden darauf warten müssen, daß uns die Rechtsprechung einen einengenden Begriff beschert. Denn wir wollen natürlich nicht — keiner von uns will das —, daß jeder kleine fliegende Händler, dem gerade wir seine Mißbrauchsmöglichkeiten versauern wollten, mit Hilfe des alternativen Rückgaberechtes sein Unwesen weitertreibt. Deswegen wird es darum gehen, hier eine vernünftige Eingrenzung durch die Rechtsprechung zu bekommen.
Insgesamt kann die SPD-Fraktion jedoch erklären, daß sie über die Vorlage sehr erfreut ist. Wir alle stimmen dem Gesetz zu, das wir insgesamt für sehr gelungen halten und für das wir — das wird wohl jeder in diesem Hause bestätigen — ein bißchen mehr getan haben, als nur zu reden. Wenn wir bestimmte Vorschläge nicht vorgelegt hätten und nicht mit einem derartigen Druck vorgegangen wären, wären wir nicht da, wo wir heute sind. Und daß wir diese Regelung heute beschließen können, freut uns. Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zu der Technik und der Anlage des Gesetzes haben die Erklärungen meiner Vorredner schon das meiste dargelegt. Ich habe für die Fraktion der Freien Demokraten zu erklären, daß wir nach all den Arbeiten und Auseinandersetzungen, die in den letzten vier Jahren über dieses Thema stattgefunden haben, das Gesetz aus Überzeugung mit tragen.
Nachdem dieses feststeht, möchte ich einige Bemerkungen etwas skeptischerer Art machen. Immerhin haben wir bei der Diskussion nichts von dem gehört, was wir in diesem Hause sonst sehr oft hören, nämlich daß wir unser besonderes Wohlwollen einer Figur schenken, die der „mündige Bürger" genannt wird. Es ist ein erklärtes Ziel aller Fraktionen des Hauses, aller Parteien, daß wir dahin kommen, daß unsere Bürger sich möglichst mündig, d. h. möglichst selbstverantwortlich im Privat- und auch im Geschäftsleben betätigen können. Anscheinend sind wir auf diesem Weg noch nicht so weit wie wünschenswert vorangekommen. Sonst wäre dieses Gesetz zum Schutze des idealtypischen mündigen Bürgers nicht erforderlich. Das muß man einfach sehen.
Ich sehe auf der anderen Seite aber auch, daß wir
an der Realität nicht vorbeigehen können. Diese
4290 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Dr. Kleinert
Realität wird auch von den auf der Vertriebsseite handelnden Kräften gesehen, und zwar auch mit einer gewissen Portion, nennen sie es Ironie oder Zynismus. Das kann man zum Beispiel daran erkennen, daß im Büro des Chefs einer solchen Vertriebsfirma ein schön handgemaltes Schild an der Wand hängt, das jeder Besucher dort zur Kenntnis nehmen kann. Auf diesem Schild steht: „Es ist ganz gleich, wieviel man für eine Sache bezahlen muß, wenn es nur nicht sofort und auf einmal sein muß." Das ist natürlich der Antrieb, der dahintersteht. Genau das ist es, wovor einige Leute durch dieses Gesetz geschützt werden müssen.
Bedeutend lieber wäre es uns Freien Demokraten und wahrscheinlich auch den Damen und Herren in den anderen Fraktionen, wenn wir raschere Fortschritte bei der Aufklärung unserer Bürger erzielen könnten, und zwar auch derjenigen, die in mehrerer Hinsicht etwas zu kurz gekommen sind, wenn wir also auf dem Gebiet der Gesetzgebung etwas weniger umfassend Vorsorge treffen müßten. Ich stelle mir das allerdings nicht so vor, wie es in den hessischen Rahmenrichtlinien für den Schulunterricht vorgesehen ist, nach denen auch Wirtschaftsunterricht gegeben werden soll. Ich hatte neulich durch einen seltenen Zufall Gelegenheit, Herrn von Auer, der u. a. für diesen Bereich zuständig ist, im Fernsehen zu beobachten, als er erklärte: Es wäre doch sehr sinnvoll, wenn die Kinder in der Schule lernten, den Wirtschaftsteil einer Tageszeitung zu lesen, damit sie wissen, wie in einem benachbarten Werk der Großindustrie enorme Gewinne gemacht werden, und sich darauf einrichten können. Diese Art von sogenanntem Unterricht über Wirtschaftsfragen wird hoffentlich nicht zu ausschweifend praktiziert, sondern alsbald durch einen wirklich sachbezogenen und objektiven Unterricht ersetzt werden. Nach meinen Beobachtungen müßte man aber zunächst einmal bei der Lehrerbildung anfangen und dürfte nicht Lehrer einsetzen, die davon genausowenig verstehen wie die Schüler und deshalb notwendigerweise ihre Zuflucht zur Ideologie nehmen müssen.
Das sind, meine ich, Erwägungen, die keineswegs vom Thema wegführen, sondern die durchaus zum Thema gehören. Tun wir alles, um unseren Bürgern dabei zu helfen, sich in jedem Fall selbstverantwortlich zu verhalten, und machen wir es möglich, daß wir in nicht allzu ferner Zukunft auf die „Krücken" derartiger Schutzgesetze, von denen wir eines heute verabschieden, werden verzichten können.
Auf keinen Fall aber sollten wir uns auf den Weg begeben — ich sage das, um nicht mißverstanden zu werden —, der in letzter Zeit in verschiedenen Eingaben und Veröffentlichungen vorgeschlagen worden ist, nämlich Verbraucherakademien einzurichten. Es wäre wirklich das letzte, mit zusätzlichen Institutionen Dinge ändern zu wollen, für die Institutionen in reichlicher Zahl vorhanden sind, statt gesunden Menschenverstand und praktische Vernunft zu entwickeln. Mit speziellen Akademien würde man nur künftigen Inhabern von Planstellen, aber nicht der Aufklärung unserer Bürger dienen können.
Was die Sache selbst angeht, möchte ich mich auf einige wenige Punkte der vorgesehenen Regelung beschränken. Wir haben es als ein wichtiges Ziel angesehen, nicht nur den Verbraucher zu schützen, sondern auch die Wettbewerbsgleichheit aller beteiligten Vertriebswege möglichst weitgehend aufrechtzuerhalten, dieses Gesetz also im Hinblick auf den Wettbewerb u. a. zwischen den Großunternehmen des Versandhandels und den Kaufhäusern, aber auch zwischen einer Vielzahl kleinerer Wettbewerber am Markt, die nicht so bekannt sind, neutral zu gestalten. Das ist unserer Auffassung nach zum einen durch die nunmehr allseits akzeptierte „große Lösung", zum anderen aber auch durch die Ersetzung des Widerrufsrechts durch ein Rückgaberecht in dem Bereich geschehen, in dem die Ware dem Kunden ins Haus geschickt und anvertraut wird, wo er sie ohne jede Fremdbeeinflussung besehen und bewerten kann und es ihm freisteht, sie wieder zurückzusenden. Diese Besonderheit in dem Bereich, in dem jemandem Waren ins Haus geschickt werden und ihm traditionell ein Rückgaberecht gewährt wird, mußte in der jetzt getroffenen Regelung berücksichtigt werden. Ich glaube, daß hier keine Verzerrung eingetreten ist, sondern daß nur durch diese Regelung eine sonst drohende Verzerrung zum Nachteil der Versender und zum Vorteil der stationären Unternehmen verhindert werden kann. Ich bin auch der Meinung, daß die Abgrenzung des Begriffs „Versandhandel" der Rechtsprechung nicht allzugroße Schwierigkeiten bereitet. Wenn Ware versandt wird, in der Wohnung des Käufers zum Besicht zur Verfügung steht, ohne daß dabei irgendwelche Möglichkeiten gegeben sind, den Käufer zu beeinflussen, der Käufer also ein uneingeschränktes Rückgaberecht hat, so ist dies meines Erachtens als Kriterium zur Abgrenzung durchaus ausreichend.
Zu den anderen Fragen ist bereits Stellung genommen worden. Gestatten Sie mir noch ein Wort in dem Zusammenhang, den ich einleitend bereits angeschnitten hatte. Wir haben von der Wirksamkeit dieses Gesetzes jetzt nur die im Handelsregister eingetragenen Vollkaufleute und gewisse Firmen und Institutionen, die eigene Rechtspersönlichkeit haben, ausgenommen. Ich weiß nicht, ob man diese Regelung lange Zeit aufrechterhalten sollte, denn sie bedeutet doch, daß wir der Masse der in diesem Lande tätigen Handwerker und vielen Kaufleuten mit einem keineswegs kleinen Umsatz vom Gesetzgeber aus hiermit die Mitteilung zugehen lassen, sie seien nicht in der Lage, sich im Geschäftsleben frei und verantwortlich zu bewegen. Ich weiß wohl um die Schwierigkeiten, eine bessere Abgrenzung zu finden. Die jetzt gefundene Regelung kann, so meine ich, nur ein erster Versuch sein. Ich glaube, daß man weiterhin darüber nachdenken sollte, wie man den Bereich des Geschäftslebens deutlich gegenüber dem Bereich der privaten Geschäfte abgrenzen kann, die wir nun einmal, so wie die Dinge heute liegen, zu schützen gezwungen sind. Wie gesagt, es gibt durchaus Bedenken gegen die jetzt gefundene Regelung. Ich habe mich ja schon bemüht, darzulegen, daß
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4291
Dr. Kleinert
auf dem Wege über den wirklich mündigen Bürger
eine weit bessere Lösung gefunden werden könnte.
Wir werden dem Gesetzentwurf zustimmen.
Zu einer Erklärung zur Abstimmung nach § 59 unserer Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Unland das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da vorn federführenden Rechtsausschuß wesentliche einstimmige Beschlüsse des Wirtschaftsausschusses nicht berücksichtigt worden sind, sehe ich mich genötigt, folgende Erklärung abzugeben. Ich habe ernste verfassungsrechtliche Bedenken gegen die vom Rechtsausschuß gefundene Formulierung des § 1 b Abs. 5 des Abzahlungsgesetzes. Ich sehe darin eine sachlich nicht gerechtfertigte Diskriminierung des stationären Einzelhandels gegenüber dem Versandhandel, der im übrigen in diesem Gesetzestext nicht einmal definiert worden ist. Ich bedaure daher, mich in der Abstimmung über dieses wichtige Gesetz der Stimme enthalten zu müssen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wer dem Gesetzentwurf in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung bei zwei Stimmenthaltungen angenommen.
Wir haben noch über die Anträge des Ausschusses unter den Ziffern 2 und 3 abzustimmen. Ich glaube, ich kann in gemeinsamer Abstimmung darüber bescheiden lassen. Wer den Ziffern 2 und 3 des Ausschußantrags zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Vor der Mittagspause rufe ich noch Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Hypothekenbankgesetzes und des Schiffsbankgesetzes
— Drucksache 7/114 —
Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksachen 7/1382, 7/1390 —Berichterstatter:
Abgeordneter Rapp (Erste Beratung 15. Sitzung)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rapp als Berichterstatter.
Herr Präsident, kann ich davon ausgehen, daß auch Punkt 9 der Tagesordnung mit aufgerufen ist?
Nein, das können Sie nicht ohne weiteres, Herr Kollege, denn ich habe zunächst nur Punkt 8 der Tagesordnung aufgerufen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nur deshalb um das Wort zur Berichterstattung gebeten, um in drei Punkten noch etwas zur Verdeutlichung des Schriftlichen Berichts auf Drucksache 7/1390 zu sagen, auf den ich im übrigen auch aus Gründen der Sprödigkeit der Materie verweisen möchte.
Meine erste Anmerkung bezieht sich auf Art. 1 des vorliegenden Gesetzentwurfes, wonach in § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Hypothekenbankgesetzes die Höchstgrenze für die Vergabe von Kommunaldarlehen in andere EG-Staaten auf 10 vom Hundert der Gesamtdarlehen begrenzt wird. Dieser Vomhundertsatz, meine Damen und Herren, darf keineswegs als eine Maßeinheit für die Wertschätzung der Liberalisierung des Kapitalverkehrs in Europa mißdeutet werden. Aus einer solchen Sicht hätte man überhaupt keinerlei Begrenzung einführen dürfen. Vielmehr handelt es sich darum, daß der Einstieg in ein neues Geschäft mit noch unbekannten Risiken ermöglicht wird. Der im Gesetz fixierte Prozentsatz ist somit unter Bonitätsgesichtspunkten zu sehen. Es handelt sich nicht um einen politischen Prozentsatz. Im übrigen kann dieser Prozentsatz auf dem Verordnungsweg erhöht werden, wobei die Bundesregierung auf die Gewährleistung und die Gewährung von Gegenseitigkeit achten sollte.
Zweitens möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf den in Drucksache 7/1382, Seite 3, im Antragstext enthaltenen Entschließungsantrag lenken. Wir haben es hier mit dem dornigen Problem der niedrigverzinslichen Pfandbriefe und Kommunalschuldverschreibungen mit langen und überlangen Laufzeiten zu tun, mit Emissionen aus Niedrigzinsperioden, also solchen, die die betreffenden Wertpapiersparer nicht ohne Hinnahme sehr erheblicher Verluste veräußern könnten. Die Bundesregierung hatte die Absicht, diesem Problem durch den Erlaß von Rechtsverordnungen zu Leibe zu rücken, wonach die Emittenten unter Wahrung der gebotenen Vorsicht zu vorfristigen Tilgungen veranlaßt werden könnten. Von einer solchen Ermächtigung ist nunmehr in den Ausschußberatungen im Hinblick darauf Abstand genommen worden, daß die Verbände der Realkreditinstitute zugesagt haben, freiwillig jährlich mindestens für 200 Millionen DM derartige Papiere vorfristig zu tilgen. In dem Entschließungsantrag wird zum Ausdruck gebracht, daß auf die Ermächtigung der Bundesregierung zum Erlaß von Rechtsverordnungen nur im Vertrauen darauf verzichtet wird, daß die Realkreditinstitute ihre Zusage voll erfüllen. Die Bundesregierung wird in der Entschließung aufgefordert, dem Bundestag darüber in drei Jahren zu berichten.
An dieser Stelle ist es wohl angezeigt, nicht zu realisierenden Erwartungen an diese Regelung zu begegnen. Das Volumen der niedrigverzinslichen Langläufer, wie das im Fachjargon heißt, beträgt über 50 Milliarden DM. Die Möglichkeit, jährlich
4292 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Rapp
vorfristig zu tilgen, ist demgegenüber sehr beschränkt.
Um derartigen Fehlentwicklungen vorzubeugen, stellen die vorliegenden Gesetzentwürfe ein höheres Maß an Laufzeitkongruenz zwischen dem Schuldverschreibungsgeschäft einerseits und dem Darlehensgeschäft andererseits sicher. Dies ist ein entscheidendes Stück Sparerschutz, das hier in die Gesetze kommt. Auch hat der Markt inzwischen ja kürzere Laufzeiten erzwungen.
Drittens, meine Damen und Herren, ist es angezeigt, Sie auf die Berichtigung des Ausschußantrags auf Seite 10 der Drucksache 7/1390 hinzuweisen. Die in Art. 2 des Gesetzentwurfs Drucksache 7/1383 — Punkt 9 der Tagesordnung — enthaltene Berlin-Klausel ist unvollständig. Sie muß um den folgenden Satz ergänzt werden:
Rechtsverordnungen, die auf Grund dieses Gesetzes erlassen werden, gelten im Land Berlin nach § 14 des Dritten Überleitungsgesetzes.
Dies sind meine drei mündlichen Ergänzungen zum Schriftlichen Bericht, auf den ich im übrigen verweise.
Namens des Ausschusses bitte ich, dem Gesetzentwurf zuzustimmen, und zwar, was die Berlin-Klausel anlangt, unter Berücksichtigung dessen, was ich vorgetragen habe. Im übrigen bitte ich, auch dem Entschließungsantrag zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten in die zweite Beratung ein. — Das Wort wird nichtbegehrt. Ich rufe Art. 1, Art. 2 —Art. 3 entfällt , Art. 4, Art. 5, Art. 6 sowie Einleitung und Überschrift auf. -- Wer dem unter Berücksichtigung der vom Herrn Berichterstatter gegebenen Ergänzung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! -Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. — Das Wort wird nicht 'begehrt. — Wer dem Gesetzentwurf in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ichdanke Ihnen. Gegenprobe! -- Stimmenthaltungen? — Keine Gegenstimme, keine Enthaltung. Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Wer Nr. 2 und 3 des Ausschußantrages zustimmt --- ich nehme an, daß ich auch hier gemeinsam abstimmen lassen kann --, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke Ihnen. Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die
Pfandbriefe und verwandten Schuldverschreibungen öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten
Drucksache 7/112 —
Bericht und Antrag des Finanzausschusses
— Drucksachen 7/1383, 7/1390 -Berichterstatter:
Abgeordneter Rapp (Erste Beratung 15, Sitzung)
Ich darf dem Herrn Berichterstatter sehr herzlich für seinen Bericht danken. Das Wort wird vom Herrn Berichterstatter nicht begehrt.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe Art. 1, Art. 2 — mit der vom Berichterstatter unter Tagesordnungspunkt 8 vorgetragenen Ergänzung—, Art. 3, Einleitung und Überschrift auf. — Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um 'das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe die
dritte Beratung
auf. — Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? -- Es ist einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir haben noch über den Ausschußantrag auf Seite 2 abzustimmen. Ich nehme Zustimmung an. — Ich höre keinen Widerspruch.
Damit, meine Damen und Herren, sind die Punkte 8 und 9 der Tagesordnung noch heute vormittag erledigt worden. Ich danke Ihnen und unterbreche in einigen Augenblicken die Sitzung des Deutschen Bundestages bis 14 Uhr.
Wir beginnen nach der Unterbrechung mit der Fragestunde und fahren dann mit Punkt 5 der Tagesordnung fort. Ich 'hoffe, daß ich anschließend Punkt 3 aufrufen kann, wenn die Beratungen im Haushaltsausschuß abgeschlossen sind.
Ich unterbreche die Sitzung.
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir treten in die Fragestunde
— Drucksachen 7, 1380, 7/1393, 7/1394 —
ein.
Der Ältestenrat hat vorgeschlagen, daß wir auch in dieser Woche abweichend von den Richtlinien über die Fragestunde zwei Fragestunden mit einer jeweiligen Dauer von 90 Minuten durchführen. — Ich
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4293
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit kann ich als erste die Dringliche Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf der Drucksache 7/1393 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch aufrufen:
Ist es zutreffend, daß die Bundesregierung beabsichtigt, eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung für Kraftfahrzeuge einzuführen, die auch nach der Überwindung der Energiekrise gelten soll, und an welche Geschwindigkeitsgrenzen auf Bundesstraßen und Autobahnen ist dabei gedacht, und ist sich die Bundesregierung bewußt, daß sie für den Fall solcher Absichten unverzüglich die Öffentlichkeit unterrichten müßte, damit sich sowohl Käufer als auch Hersteller von Kraftfahrzeugen in ihren Entscheidungen darauf einstellen können?
Zur Beantwortung der Frage steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Haar zur Verfügung.
Herr Staatsekretär!
Herr Präsident! Herr Kollege! Während der sechsmonatigen Geltungsdauer der aus Anlaß der Energiekrise eingeführten Geschwindigkeitsbeschränkungen wird die Unfallentwicklung sorgfältig beobachtet, um die Auswirkungen einer solchen generellen Tempobeschränkungen möglichst klar und konkret beurteilen zu können. Die Bundesanstalt für Straßenwesen wurde mit der Durchführung dieser Untersuchungen beauftragt.
Es bestehen keine Pläne, die aus Anlaß der Energieeinsparung eingeführte generelle Geschwindigkeitsbegrenzung aus anderen als aus diesen Gründen über den vorgesehenen Zeitraum hinaus zu verlängern. Deshalb kann auch nichts über generelle Änderungen der Geschwindigkeitsgrenzen gesagt werden. Falls es derartige Überlegungen geben würde, wäre das Interesse der Öffentlichkeit auf rechtzeitige Information voll anzuerkennen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, ich darf Ihrer Antwort entnehmen, daß — jedenfalls unabhängig von den anhängigen Untersuchungen — keine Dauergeschwindigkeitsbeschränkungen beabsichtigt sind. Können Sie mir dann etwas darüber sagen, wann diese anhängigen Untersuchungen abgeschlossen sein werden?
Herr Kollege, über die zeitliche Dauer läßt sich im Augenblick eine verbindliche Auskunft deshalb nicht geben, da wir, wie Sie wissen, bei der Untersuchung über die Auswirkungen von „Tempo 100" als einem langfristigen Versuch kurzfristige Erfahrungen nicht gelten lassen, die dann auch umstritten sind, sondern eine solche Untersuchung muß schon eine wissenschaftliche Basis haben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ist es zutreffend, Herr Staatssekretär, daß diese Untersuchungen, von denen wir
beide jetzt sprechen, im Juni abgeschlossen sein sollen?
Ich verstehe Ihre Frage jetzt nicht. Sie meinen — wenn ich zurückfragen darf, Herr Präsident — die Untersuchung im Zusammenhang mit Tempo 100?
So ist es.
Das ist ein langfristiger Versuch, und die Ergebnisse liegen nicht bis zum Juni vor. Dieser Versuch dauert über einen längeren Zeitraum an, aber Zwischenberichte werden selbstverständlich auch in unserem Hause ausgewertet und dem Hause mitgeteilt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Weber.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung, wenn sie diese Untersuchungen anstellt, dann im Rahmen dieser Untersuchungen nicht nur die Unfallursachen und die Unfallhäufigkeit, sondern gleichzeitig die Auswirkung der Geschwindigkeitsbeschränkungen auf das Verhalten der Käufer und damit auf die Beschäftigungslage in der Automobilindustrie, prüfen?
Ich bin sicher, Herr Kollege, daß derartige Untersuchungen, soweit sie zu Konsequenzen führen würden, auch zu solchen Überlegungen zwischen den Ressorts führen würden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jobst.
Herr Staatssekretär, sind jetzt schon erste Auswirkungen dieser Geschwindigkeitsbeschränkung auf die Unfallhäufigkeit erkennbar?
In der Tendenz ja, Herr Kollege.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Evers.
Herr Staatssekretär, kann man Ihre Ausführungen so interpretieren, daß die Bundesregierung nach ihrem gegenwärtigen Erkenntnis- und Willensstand entschlossen ist, nach Aufhebung des Energiemangels die gegenwärtigen Regelungen bezüglich der Geschwindigkeit wieder in Kraft treten zu lassen?
Herr Kollege, soweit das jetzt überschaubar ist, kann heute von einer Regierung, die verantwortlich handeln will, nicht verbindlich ge-
4294 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Parl. Staatssekretär Haar
sagt werden, zu welchen Ergebnissen sie nach Abschluß dieser Phase von sechs Monaten kommt. Gegenwärtig bestehen keine derartigen Pläne.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nunmehr zu den Fragen aus der Drucksache 7/1380 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft, die nach den Richtlinien für die Fragestunde vor der Dringlichkeitsfrage aus der Drucksache 7/1394 aufgerufen werden müssen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung zu ergreifen, um mit den Mitteln der Konjunkturpolitik die im Bereich der Textil- und Bekleidungsindustrie entstandene Situation aufzufangen und kurzfristig zu bessern?
Herr Staatssekretär, bitte!
Frau Kollegin, die Bundesregierung hat auf die in der Textil- und Bekleidungsindustrie entstandene Situation im handelspolitischen Bereich bereits reagiert. Sie hat beschlossen, die im Rahmen des zweiten Stabilitätsprogramms vorgenommenen Kontingentsaufstockungen gegenüber den asiatischen Ländern nicht über den 31. Dezember 1973 hinaus zu verlängern und damit die bisher bestehenden Einfuhrmöglichkeiten zu reduzieren und gleichzeitig die Möglichkeiten der Einfuhr aus den Staatshandelsländern gegenüber dem Stand von 1973 nicht zu erhöhen. Außerdem wird zur Zeit geprüft, welche Entlastungsmaßnahmen bei Fortsetzung der generellen Stabilitätspolitik vorgenommen werden können, um insbesondere den in der Textil- und Bekleidungsindustrie aufgetretenen Finanzierungsschwierigkeiten entgegenwirken zu können. Hierüber wird sehr rasch entschieden werden.
Ich darf hinzufügen, daß ich die Absicht habe, bei der Dringlichkeitsanfrage von Frau Dr. Lepsius noch etwas detaillierter auf dieses Thema einzugehen, um mich nicht zu wiederholen, Herr Präsident.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden: Im asiatischen Bereich haben Sie eine Reduzierung der Einfuhrquoten vor, während im anderen Bereich die Einfrierung der gegenwärtigen Einfuhrquoten vorgesehen ist?
Das ist richtig, bezogen auf den Stand von 1973.
Dann rufe ich die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Junghans auf:
In welchem Maße sind die in der Textil- und Bekleidungsindustrie mit öffentlichen Mitteln geschaffenen Arbeitsplätze zur
Verbesserung der Beschäftigungslage in industrieschwachen Regionen, z. B. im Emsland, in Bayern und im Zonenrandgebiet, gefährdet bzw. bereits wieder verlorengegangen?
Bitte.
Es ist richtig, Herr Kollege Junghans, daß die Arbeitsplätze einzelner Wirtschaftsbereiche wie der Bauindustrie und der Textilwirtschaft in der gegenwärtigen konjunkturellen Situation gefährdet erscheinen. Allerdings liegen der Bundesregierung bislang keine Informationen der Länder vor, daß mit öffentlichen Mitteln geschaffene Arbeitsplätze der Bekleidungsindustrie in den wirtschaftsschwachen Gebieten bereits verlorengegangen sind. Eine solche Zuteilung der tatsächlich entstandenen Arbeitslosen auf einzelne durch Förderungsmaßnahmen geschaffene Arbeitsplätze ist nicht möglich.
Um einer solchen Entwicklung aber entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung, wie ich schon sagte, bereits am 22. Novemeber 1973 eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, von denen ich auf folgende hinweisen möchte: Zur Realisierung des sozialen Wohnungsbauprogramms werden für 50 000 bereits fertiggeplante Wohnungen vorübergehend Finanzierungserleichterungen gewährt. Für den Textil- und Bekleidungssektor werden die mit dem zweiten Stabilitätsprogramm eingeführten Kontingentsaufstokkungen gegenüber den asiatischen Ländern nicht über den 31. Dezember 1973 hinaus verlängert und die Kontingente gegenüber den Staatshandelsländern nicht erhöht.
Außerdem möchte ich darauf hinweisen, daß die Bundesregierung am 5. Dezember beschlossen hat, die für das Jahr 1974 vorgesehene Streckung der Haushaltsmittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" nicht durchzuführen. Die Mittel stehen daher in voller Höhe zur Förderung arbeitsplatzschaffender und arbeitsplatzerhaltender Investitionen zur Verfügung.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl,
Herr Staatssekretär, hielten Sie es nach den vorliegenden Erkenntnissen und Konjunkturdaten nicht für erforderlich, für den Bereich der Textilindustrie z. B. für die Lagerhaltung Kreditverbilligungen zu geben, um Arbeitsplätze stärker zu sichern, und in diesem Zusammenhang gleichzeitig daran zu denken, den Gemeinden und Städten durch Finanzhilfen die Ansiedlung von Industriebetrieben für ausscheidende Arbeitnehmer aus der Textilindustrie zu erleichtern?
Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung über die Frage von Finanzierungshilfen beraten wird und daß eine Entscheidung darüber noch nicht getroffen ist. Ich habe ebenfalls darauf hingewiesen, daß infolge des Wegfalls der beabsichtigten Streckung vermehrt Mittel im Rahmen der regionalen Strukturpolitik
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4295
Parl. Staatssekretär Grüner
für 1974 zur Verfügung stehen werden, mit denen das von Ihnen angestrebte Ziel, das auch unser Ziel ist, gefördert werden kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Warnke.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie Ihre Behauptung, daß Mittel für das Jahr 1974 vermehrt zur Verfügung stünden, wenn nach den mir vorliegenden Unterlagen die Zahl der für die Gemeinschaftsaufgabe eingesetzten Beträge exakt die gleiche ist wie 1973?
Herr Kollege, diese Aussage erklärt sich vor dem Hintergrund, daß die Bundesregierung im Rahmen ihres Stabilitätsprogrammes ursprünglich beabsichtigt hatte, die Mittel für 1974 zu strecken, also ein ähnliches Verfahren zu wählen mit einem entsprechend höheren Betrag als für 1973.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Dr. Lepsius.
Herr Staatssekretär, darf ich fragen, ob daran gedacht ist, in dem Bereich, den die Bundesregierung noch berät, auch Liquiditätshilfen zu gewähren und auch im Rahmen der Investitionen zu neuen Überlegungen zu kommen, und wie wird die Bundesregierung gegebenenfalls bis ins einzelne deutlich machen, was die einzelnen Unternehmen in der gegenwärtigen Situation unternehmen können?
Frau Kollegin, ich habe schon auf die bevorstehende Beschlußfassung des Bundeskabinetts, das alle die von Ihnen angeschnittenen Fragen beraten wird, hingewiesen. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich jetzt nicht in der Lage bin, die Entscheidungen, die am 19. Dezember 1973 durch das Bundeskabinett fallen werden, vorwegzunehmen.
Wir werden selbstverständlich dafür sorgen, daß diese Entscheidungen dann auch einer breiten Öffentlichkeit bekanntwerden. Ich bin sicher, daß angesichts der intensiven Kontakte, die wir gerade mit der Textil- und Bekleidungsindustrie und der Gewerkschaft haben, die Information über diese Beschlüsse sofort zu allen Unternehmen und zu allen Gewerkschaften gelangen werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Rappe.
Sieht die Bundesregierung die Möglichkeit, Herr Staatssekretär, die schwierige Lage in der Textilindustrie auch dadurch zu verbessern, daß im Rahmen ihrer allgemeinen Konjunktur- und Beschäftigungspolitik eine größere Ausgewogenheit eines Arbeitsplatzangebotes er-
reicht wird, und sieht die Bundesregierung die Möglichkeit, regionale und sektorale Maßnahmen sofort in die Tat umzusetzen, weil ja für die Textilindustrie und die Beschäftigten beide Merkmale, regionale und sektorale, zu beachten sind?
Meine Damen und Herren, ich darf einmal allgemein zu den Zusatzfragen etwas sagen. Wenn Sie erwarten, daß die Herren der Regierung auf Zusatzfragen auch klare Antworten geben, dann müssen diese Fragen, wie das den Richtlinien der Fragestunde entspricht, knapp und klar sein.
Herr Kollege, ich habe Verständnis, daß jeder, da er nur eine Zusatzfrage hat, natürlich nach Möglichkeit versucht, zwei oder drei Zusatzfragen in einer unterzubringen. Ich werde das jetzt im Interesse der Antworten durch die Herren der Regierung, von denen Sie ja erwarten, daß sie präzise Antworten auf die Fragen geben, nicht mehr zulassen.
Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Strukturpolitik" werden die von Ihnen angesprochenen Ziele verwirklicht und in Gemeinschaft mit den Ländern, wie die bisherigen Ergebnisse dieser Strukturpolitik zeigen, auch tatsächlich erreicht.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Unland.
Herr Staatssekretär, trifft eine gestern zu lesende VWD-Meldung zu, nach der der Leiter der deutschen Delegation bei den deutsch-rumänischen Handelsvertragsverhandlungen bekanntgegeben hat, daß die Kontingente auf dem gewerblichen Sektor für 1974 um 12 % aufgestockt werden sollen?
Herr Kollege, ich lasse die Zusatzfrage nicht zu. Sie steht nicht in dem geforderten Zusammenhang mit der eingereichten Frage.
Ich rufe die Frage 62 der Frau Abgeordneten Schlei auf:
Sieht die Bundesregierung die Gefahr im Bereich der Textil-und Bekleidungsindustrie, daß mit massiver Frauenarbeitslosigkeit in Industrie- und Heimarbeit einhergehend eine an sich notwendige Rationalisierung teils noch veralteter Strukturen durchgesetzt wird, deren strukturelle Ursachen auf das engste mit der arbeitsteiligen Frauenerwerbsarbeit verbunden sind, und was gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls konjunktur- und strukturpolitisch da- gegen zu unternehmen?
Bitte!
Die Bundesregierung ist sich der Tatsache bewußt, daß sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt in der Textil- und Bekleidungsindustrie im November 1973 weiter verschlechtert hat. Das gilt vor allem für das Ausmaß der Kurzarbeit.
4296 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Parl. Staatssekretär Grüner
Angesichts des hohen Frauenanteils in der Textil-und vor allem in der Bekleidungsindustrie sind die weiblichen Beschäftigten von dieser Entwicklung besonders betroffen.
Hauptursachen für die Schwierigkeiten sind Sonderentwicklungen wie die auffallende Verbraucherzurückhaltung und die stark gestiegenen Rohstoffkosten sowie Finanzierungsprobleme. Die weitere Entwicklung wird entscheidend vom Verhalten des Verbrauchers bestimmt werden.
Die Lage am Arbeitsmarkt zeigt, daß die Unternehmen bei Auftragsrückgang zunächst zur Kurzarbeit übergehen und damit die Entlassung von Beschäftigen vermeiden. Soweit es sich hier um Probleme aus längerfristigen Anpassungsprozessen handelt, wird dem mit den Maßnahmen des Arbeitsförderungsgesetzes, z. B. durch Fortbildung, Weiterbildung und Umschulung, entgegenwirkt. Regional bedingte besondere Probleme werden durch die regionale Strukturpolitik berücksichtigt. So ist ausdrücklich die Förderung von Frauenarbeitsplätzen nicht nur in Schwerpunktorten, sondern auch außerhalb von Schwerpunktorten möglich. Diese Regelung ist seit Beginn der Gemeinschaftsaufgabe in den Rahmenplänen enthalten. Es wird damit gezielt dem Umstand Rechnung getragen, daß Frauen stärker als Männer an den Haushalt gebunden und weniger als sie in der Lage sind, die gerade in den Förderungsgebieten oft langen Wege zur Arbeitsstätte zu bewältigen.
Insgesamt ist es auf diese Weise gelungen, allein im Zeitraum vom 1. Januar 1972 bis 30. Juni 1973 nicht nur 128 000 Arbeitsplätze für Männer, sondern weitere 54 000 Arbeitsplätze allein in den strukturschwachen Gebieten für Frauen zu schaffen.
Die nicht zu bestreitende besondere Krisenanfälligkeit von Frauenarbeitsplätzen hat eine Fülle von Gründen, die von der Motivation der Frauen bei der Wahl des Arbeitsplatzes bis zur Frage der beruflichen Qualifikation reichen. Sie sind im einzelnen im Bericht der Bundesregierung über die Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der Frau vom August 1972 dargelegt. Dort werden auch die Maßnahmen zur beruflichen Fort- und Weiterbildung geschildert, mit denen die berufliche Situation der Frau mittel- und langfristig verbessert werden soll.
Im übrigen hat die Bundesregierung auf die entstandenen Schwierigkeiten im konjunkturpolitischen Bereich bereits durch den hier schon mehrfach zitierten Beschluß reagiert.
Frau Kollegin, haben Sie eine Zusatzfrage? —Bitte!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß der Begriff „Motivation der Frau" manchmal in einer Weise gehandhabt wird, die nicht zumutbar erscheint? Sind Sie nicht mit mir der Ansicht — —
Frau Kollegin, zunächst die erste Zusatzfrage; Sie
haben dann eine weitere. Das können wir nicht alles verbinden. Ich habe das früher auch so versucht, aber ich bitte um Verständnis, daß das nicht geht.
Man lebt gern Vorbildern nach!
Frau Kollegin, ich bin durchaus der Auffassung, daß der Begriff „Motivation der Frau" in vielfältiger und häufig sicher auch unzutreffender Weise benutzt wird. Wenn wir uns hier darüber unterhalten wollten, müßten wir uns über eine konkrete Motivation und deren Ursachen verständigen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir gemeinsam bereit zu überlegen, wie wir Frauen durch bessere Angebote über das von Ihnen skizzierte Instrumentarium hinaus motivieren können, ihre soziale Position zu verbessern, und haben Sie konkrete Vorstellungen für eine mittelfristige Verbesserung der Situation der sozial sehr betroffenen Frauen?
Grüner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft. Ich bin der Meinung, daß das eine ganz dringliche Aufgabe ist, Frau Kollegin. Allerdings habe ich über die Maßnahmen hinaus, die ich eben hier angeschnitten habe, aus dem Stand heraus keine weitergehenden Vorstellungen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Dr. Lepsius.
Herr Staatssekretär, welches sind eigentlich die Gründe dafür, daß die strukturellen Wandlungsprozesse beispielsweise im Kohlenbergbau und in der Landwirtschaft mit erheblichen öffentlichen Steuergeldern subventioniert, arbeitsmarktpolitisch also in verantwortlicher Weise gemildert werden, und gleiches offensichtlich nicht für den durch die Konjunkturpolitik besonders betroffenen Wandlungsprozeß im Textil- und Bekleidungssektor gilt?
Frau Kollegin, ich kann die Zusatzfrage, weil der notwendige Zusammenhang mit der entscheidenden Hauptfrage nicht besteht, leider nicht zulassen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, da offenbar Frauenarbeitsplätze im ländlichen Raum besonders krisenanfällig sind, frage ich Sie: Wie wird in Zukunft verhindert, daß neue Arbeitsplätze, die gefördert werden, nicht so krisenanfällig sind?
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4297
Grüner, Parl. Staatssekretär 'beim Bundesminister für Wirtschaft: Das ist das Ziel der regionalen Strukturpolitik. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, daß sich mehr als 90 % der dadurch neugeschaffenen Arbeitsplätze als krisenfest erwiesen haben. Ich weise darauf hin, daß Kurzarbeit ja noch nichts Endgültiges darüber aussagt, ob diese Arbeitsplätze wirklich verloren sind. Das ist eine Frage, die erst dann zu beurteilen ist, wenn tatsächlich Arbeitslosigkeit eintritt, was wir nicht hoffen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller .
Herr Staatssekretär, welchen Stellenwert in unserer Volkswirtschaft hat die Textil- und Bekleidungsindustrie nach Auffassung der Bundesregierung?
Wir sind daran interessiert, daß die Textil- und Bekleidungsindustrie in der Bundesrepublik ihre herausragende Stellung behält als die größte Konsumgüterindustrie in der Bundesrepublik, die in den vergangenen Jahren eine außerordentlich erfreuliche Entwicklung zu verzeichnen hatte und etwa im letzten Jahr den größten Produktivitätszuwachs in der Bundesrepublik erreicht hat, der weit über dem Durchschnitt der übrigen Industrie lag.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, nun ist allgemein bekannt, daß gerade in der Textilindustrie sehr viele Frauen tätig sind. Ich frage Sie nochmals: Wann, glauben Sie, können die Hilfsmaßnahmen, die Sie hier angekündigt haben, präzise festgelegt werden? Ab wann: In 14 Tagen, vier Wochen, drei Monaten? Denn es wäre doch dringend erforderlich, daß sich die Regierung nun endlich dazu bereit erklärt, konkrete Vorstellungen darzulegen.
Herr Kollege: Nur Fragen, nicht Kommentare. — Bitte!
Ich habe die konkreten Vorschläge der Regierung, soweit sie schon gefaßt sind, hier dargelegt. Ich mache darauf aufmerksam, daß alle Hilfsmaßnahmen in diesem Bereich vergeblich sein werden, wenn sich nicht die Absatzlage und damit insbesondere das Verbraucherverhalten, das in diesem Bereich eine Schlüsselfunktion einnimmt, ändern. Aber alle Erfahrung zeigt — viele Krisen in der Textilindustrie in der Vergangenheit haben das immer wieder deutlich gemacht -, daß aus einem solchen Tal auch wieder der Aufschwung folgt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Unland.
Herr Staatssekretär, stehen Sie noch hinter Ihren in einer früheren Fragestunde gemachten Ausführungen, daß auf einen Arbeitslosen im Textilbereich immer noch 2,5 offene Stellen kämen, und können Sie es den betroffenen Menschen nachempfinden, daß sie eine derartige Antwort als baren Zynismus empfinden?
Herr Kollege Unland, ich bitte um Nachsicht, aber auch diese Frage steht nur sehr bedingt im Zusammenhang mit der hier eingereichten Frage; sie hängt entscheidend mit der anderen Frage zusammen. Aber wenn der Herr Staatssekretär sie beantworten will, dann gebe ich ihm dazu die Möglichkeit.
Herr Kollege Dr. Unland, es ist ganz selbstverständlich, daß sich die Entwicklung von Arbeitslosenzahlen und vor allem von Kurzarbeit tatsächlich geändert hat. Und wenn ich vor vier Wochen hier konkrete Zahlen genannte habe, dann müßte ich heute hier tatsächlich andere Zahlen nennen, nämlich die neuesten Zahlen, die die Bundesanstalt für Arbeit auf den Tisch gelegt hat. Eine solche Aussage ist also immer nur für den augenblicklichen Zeitraum zutreffend. Wir sind darauf angewiesen, die Hoffnung insbesondere darauf zu setzen, daß das Verbraucherverhalten zu einer Belebung in den betroffenen Wirtschaftszweigen führen wird.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Collet.
Herr Staatssekretär, da Sie im Zusammenhang mit allen gestellten Fragen — auch der letzten — davon gesprochen haben, daß das Kabinett am 19. Dezember beraten wird — das heißt hier: Textil und Bekleidung —, möchte ich Sie fragen: Kann ich davon ausgehen, daß da die Schuhindustrie mit eingeschlossen ist?
Herr Kollege, ich bitte um Nachsicht;
ich war bisher der Meinung, daß zwischen Textilien und Leder noch ein gewisser gradueller Unterschied besteht. Ich bitte, also um Verständnis, daß ich diese Zusatzfrage, obwohl Schuhe für Damen ein wichtiger Bestandteil der Schönheit sind, hier nicht zulassen kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordnete Warnke.
Herr Staatssekretär, unter Bezugnahme auf Ihre Ausführungen zum seinerzeitigen Zeitpunkt: Glauben Sie, daß es für eine verheiratete Näherin in Aschaffenburg ein besonderer Trost ist, wenn sie erfährt, daß in Hamburg 2,5 offene Hilfsarbeiterstellen oder sonstige Arbeitsstellen vorhanden sind — wenn es nicht 2,5 sind,
4298 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Dr. Warnke
dann heute vielleicht eben 3 oder 2; Sie können die Zahlen einsetzen, wie Sie wollen --, und glauben Sie, daß das tatsächlich eine Hilfe für die Betroffenen ist, mit solchen Zahlen zu jonglieren?
Herr Kollege, ich bin nicht der Meinung, daß das für die Betroffenen ein Trost ist. Die Bundesregierung ist sich der außerordentlich schwierigen Lage derer, die von dieser Entwicklung betroffen sind, durchaus bewußt; darauf zielen ja auch die Maßnahmen ab, von denen ich schon gesprochen habe.
Worum es bei diesem Vergleich ging, war ja die Absicht, deutlich zu machen, daß wir uns zum damaligen Zeitpunkt, zumindest was die gesamte konjunkturelle Lage anging, in einer Lage befunden haben, in der eine Lockerung der Stabilitätspolitik nicht möglich war. Ich möchte darauf hinweisen, daß die sozialen Auswirkungen etwa einer weiteren Geldentwertung, einer zunehmenden Geldentwertung für alle Betroffenen sehr viel einschneidender sind als die Folgen einer solchen strukturellen Krise, die für den einzelnen in dem betroffenen Bereich sicher sehr einschneidend sind. Dafür haben wir aber auch unsere sozialen Absicherungsmaßnahmen, die zwar den einzelnen sicher nicht darüber hinwegtrösten, daß er kurzarbeiten muß oder daß er gar arbeitslos ist, die aber verhindern, daß er in Not gerät.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Geiger.
Herr Staatssekretär, um den Zusammenhang mit dem Hauptthema der Frage der Kollegin Lepsius wiederherzustellen, frage ich Sie: Könnte es nicht auch Maßnahmen für die Textilindustrie und für die Schuhindustrie geben ähnlich wie bei der Strukturwandlung im Bergbau?
Herr Kollege, ich muß Sie bitten, diese Frage nachher im Zusammenhang mit der Frage der Frau Kollegin Lepsius zu stellen. Im Augenblick steht die Frage der Kollegin Schlei zur Beantwortung an.
Zu einer weiteren Frage Herr Kollege Niegel.
Herr Staatssekretär, können Sie heute schon sagen, welche Zusicherungen der Herr Bundeskanzler morgen bei dem Empfang wegen des Protestmarsches auf Bonn den beiden Gewerkschaftsführern machen wird?
Herr Kollege Niegel, ich muß auch Sie auf die Chance verweisen, daß jetzt die Frage der Frau Kollegin Lepsius aufgerufen wird, die den eigentlichen Kernpunkt Ihrer Frage bildet.
Jetzt kommt die Frage der Abgeordneten Frau Dr. Lepsius:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in dieser Woche erneut 10 000 Beschäftigte in der Textil- und Bekleidungsindustrie zur Kurzarbeit angemeldet werden, so daß jetzt die 100 000-Marke überschritten wird, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um der schnell um sich greifenden Unterbeschäftigung in der Textil- und Bekleidungsindustrie entgegenzutreten?
Herr Staatssekretär!
Der Bundesregierung ist diese Tatsache natürlich bekannt, Frau Kollegin Dr. Lepsius. Schon am 5. Dezember 1973 hat sie deshalb beschlossen, bei den Gemeinschaftsaufgaben regionale Wirtschaftsstruktur und Agrarstruktur die Sperren aufzuheben, um Beschäftigungsschwierigkeiten in den strukturschwachen Gebieten, in denen die Textilbetriebe größtenteils angesiedelt sind, entgegenzuwirken. Vorher schon hatte die Bundesregierung die Importkontingente für Textilien gegenüber den asiatischen Ländern für 1974 um die Aufstockung des Jahres 1973 gekürzt. Gegenüber den Staatshandelsländern wurden die Einfuhrmöglichkeiten für das Jahr 1974 auf die im Jahre 1973 vorgesehenen Kontingente beschränkt.
Über weitergehende Maßnahmen, die der Textil-und Bekleidungswirtschaft gezielt helfen sollen, wird die Bundesregierung in ihrer Kabinettsitzung am 19. Dezember entscheiden. Es ist daran gedacht, über die Kreditanstalt für Wiederaufbau zinsverbilligte Kredite an die Textil- und Bekleidungswirtschaft zu geben. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau hat sich bereit erklärt, bereits aus ihrem Programm für 1973 umfangreiche Kreditmittel für diesen Zweck zur Verfügung zu stellen. Im Rahmen des Jahresprogramms der KW für 1974 kann dieses sektorale Schwerpunktprogramm aufgestockt werden. Es ist weiter daran gedacht, im Rahmen des Vollzuges des ERP-Programms für 1974 die Kreditanstalt anzuweisen, die besondere Lage bestimmter Sektoren, wozu die Textil- und Bekleidungswirtschaft gehören würde, bei ihren Kreditzusagen zu berücksichtigen.
Auch bezüglich der insbesondere von den Gewerkschaften geforderten Steuerstundungen ist darauf hinzuweisen, daß nach § 127 der Abgabenordnung bereits nach geltendem Recht Steuerzahlungen gestundet werden können, wenn ihre Einziehung mit erheblichen Härten für den Steuerpflichtigen verbunden wäre.
Ich möchte abschließend darauf hinweisen, daß sich die derzeitigen Schwierigkeiten der Textil- und Bekleidungswirtschaft vor allem im Anstieg der Kurzarbeit manifestieren. Zugleich kommt darin aber auch zum Ausdruck, daß sich die Firmen bemühen, die ungünstiger gewordene Auftragslage durch Kurzarbeit anstelle von Entlassungen zu überbrücken. Hierauf hat auch die Bundesanstalt für Arbeit in ihrem letzten Lagebericht zutreffend hingewiesen. Ich meine, es sollte auch in der Öffentlichkeit deutlicher gesehen werden, daß es sich bei aller Härte, die Kurzarbeit mit sich bringt, nicht um den Verlust von Arbeitsplätzen in diesem Bereich handelt. Die entstehenden Verdienstausfälle werden bei einem durchschnittlichen Arbeitnehmerhaushalt netto zu zirka 80 °/o durch das Kurzarbeitergeld ausgeglichen.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4299
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu den Zusatzfragen. Frau Abgeordnete Dr. Lepsius, Sie haben ja für das Haus dankenswerterweise die Frage so gestellt, daß eigentlich niemand bei Zusatzfragen die Richtlinien verfehlen kann. Bitte!
Herr Staatssekretär, nach allem, was Sie soeben gesagt haben, darf ich Sie fragen, was Sie der kleinen Industrienäherin erklären, wenn sie sich an Sie um Hilfe wendet und sagt: Ich bin jetzt Kurzarbeiterin, verdiene nicht mehr so viel und werde in vier Wochen arbeitslos sein; ich kann auch keinen anderen Arbeitsplatz finden, weil ich nicht den Ort wechseln kann, da ich an meine Familie gebunden bin. Was würden Sie ihr mit ganz schlichten, verständlichen Worten sagen, was sie tun soll?
Ich würde ihr auf eine solche Frage antworten, daß diese Schwierigkeit eine vorübergehende ist — allerdings für ,die davon betroffene Frau mit großer Härte verbunden, daß sie aber darauf vertrauen kann, daß diese Schwierigkeit im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung behoben werden wird. Ich würde allerdings den Zusatz machen, daß heute niemand sagen kann, wann diese Schwierigkeit überwunden sein wird, in welchem zeitlichen Ablauf das etwa möglich ist. Ich würde allerdings auch hinzufügen, daß uns die bisherige Entwicklung unserer Wirtschaft — im Blick auf die zurückliegenden Jahre — zu einem solchen Optimismus berechtigt; denn es ist ja nicht die erste Schwierigkeit, die wir in der Textil- und Bekleidungsindustrie zu überstehen haben.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Herr Staatssekretär, im Hinblick auf die Demonstration von 9000 Kurzarbeiterinnen morgen auf dem Marktplatz in Bonn möchte ich Sie fragen, was jene Frauen, die heute Kurzarbeit machen und morgen, d. h. in vier Wochen, möglicherweise arbeitslos sind, in dem von Ihnen geschilderten Vertrauen auf eine unbekannte Zukunft erhoffen können.
Frau Kollegin, ich habe schon versucht, die Antwort zu geben; ich weiß, daß das für den jeweils Betroffenen in seiner aktuellen schwierigen Situation keinen Trost darstellt. Ich habe in meiner Antwort auf ,die Fülle der Möglichkeiten bis hin zu den Umschulungsmaßnahmen hingewiesen, nämlich die Möglichkeit, in anderen Berufen eine Tätigkeit zu finden, wobei ich hinzufüge, daß in vielen Fällen Frauen, insbesondere Hausfrauen, von dieser Möglichkeit aus familiären Gründen nicht in dem Umfang Gebrauch machen können, wie das an sich wünschenswert wäre.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Urbaniak.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, wenn ich davon ausgehe, daß Sie die von der IG Metall vorgeschlagene Steuerstundung, insbesondere die Stundung ,der Mehrwertsteuerzahlung, in die Kabinettsentscheidung mit einfließen lassen wollen?
Grüner, Parl. Staatssekretär 'beim Bundesminister für Wirtschaft: Sie 'haben mich insofern richtig verstanden, als ich auf die 'bestehenden Möglichkeiten zur Steuerstundung im Rahmen der Abgabenordnung ausdrücklich aufmerksam gemacht habe.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Evers.
Herr Staatssekretär Grüner, warum ist die Bundesregierung nicht bereit, die autonomen Kontingentaufstockungen im Textilbereich vom Frühjahr dieses Jahres gegenüber Staatshandelsländern genauso auslaufen zu lassen wie gegenüber Fernostländern?
Der Unterschied hat seinen Grund darin, daß wir uns den Staatshandelsländern gegenüber in handelsvertraglichen Vereinbarungen zu einer ständigen Ausweitung des Warenverkehrs verpflichtet haben. Darüber hinaus sind wir der Meinung, daß etwa eine solche Rücknahme 'der Kontingente nichts an der gegenwärtigen Lage der Textil- und der Bekleidungsindustrie ändern könnte, weil diese Lage insbesondere durch das Verbraucherverhalten heraufbeschworen wird. Mit einer Rücknahme solcher Kontingente, die jedenfalls zu einem Teil diese Einfuhren, insbesondere im Bereich der Lohnveredelung aus den Staatshandelsländern, bewirken, würden wir gleichzeitig auch unsere Industrie hier treffen. Auch angesichts der Größenordnung dieser Einfuhren wäre eine solche Maßnahme nicht zu rechtfertigen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Collet.
Herr Staatssekretär, Sie haben angeführt, daß das Kabinett sich am 19. Dezember mit der Problematik der Textil-, Bekleidungs- und Schuhindustrie befassen wird. Wird dann deutlich werden, wer wo einen Antrag stellen kann, um das zu verwirklichen, was der Bundeskanzler in der vergangenen Woche hier mit der Liquiditätshilfe und der Bundesfinanzminister mit Liquiditäts- und Anpassungshilfe gemeint haben?
Herr Kollege, das wird sicher sehr deutlich werden.
4300 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Geiger.
Herr Staatssekretär, wären Sie so liebenswürdig, hier darzulegen, wo nach dem Beschluß des Bundeskabinetts vermutlich die Anlaufstelle für die auch von Ihnen in Aussicht gestellte Hilfe sein wird? Sind die Länderminister mit zuständig, oder ist nur der Bund, also das Bundeswirtschaftsministerium zuständig?
Im Rahmen einer Kreditierung durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau — darauf zielt Ihre Frage — sind die Banken in Verbindung mit der KW zuständig.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Unland.
Herr Staatssekretär, wie ist denn angesichts Ihrer eben gemachten Ausführungen, daß die textilen Importkontingente aus Staatshandelsländern 1974 unverändert bleiben sollen, die gestrige VWD-Meldung zu verstehen, daß der Leiter der deutschen Delegation bei den deutschrumänischen Handelsvertragsverhandlungen bekanntgegeben hat, die Kontingente im gewerblichen Bereich für 1974 sollten um 12 % aufgestockt werden?
Mir ist diese Meldung nicht bekannt. Ich halte sie für den Textilbereich nicht für richtig. Es kann sich lediglich um Aufstockungen handeln, die nicht den Textil- und Bekleidungsbereich, der hier zur Diskussion steht, betreffen. Das ist die einzige Erklärung, die ich hierfür aus dem Handgelenk geben kann.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Eilers.
Herr Staatssekretär, ist den betroffenen Unternehmen der Textil-und Bekleidungsindustrie bekannt, daß es zur Finanzierung der Lagerhaltung und Bevorratung Liquiditätshilfen gibt?
Diese Liquiditätshilfen gibt es im Augenblick jedenfalls nur über den Bankenapparat. Die Frage, in welcher Form die KW im Rahmen ihrer Kreditierung auf Grund eines Kabinettsbeschlusses, der noch bevorsteht, eine solche Hilfe geben wird, wird erst am 19. Dezember im Kabinett entschieden werden. Ich möchte und kann dieser Beratung und Entscheidung hier nicht vorgreifen. •
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Niegel.
Herr Staatssekretär, in Ihrer I Antwort an die genannte Frau sagen Sie, es werde sich nur um vorübergehende Kurzarbeit handeln. Ich möchte Sie fragen: Besteht nicht angesichts der Ausweitung des Osthandels langfristig gerade in der Textilwirtschaft die Gefahr des Verlustes der Arbeitsplätze?
Ich bin nicht der Meinung, daß langfristig diese Gefahr besteht. Allerdings wird der Strukturwandel in der Textilindustrie, der bei uns seit vielen Jahren im Gange ist, weitergehen und natürlich auch ganz entscheidend von der Konkurrenzlage der Textilindustrie etwa in den Staatshandelsländern, in den asiatischen Ländern, aber auch in der EWG — wir bekommen die Haupteinfuhren aus den EWG-Staaten —, bestimmt sein. Aus der EWG kommen die entscheidenden Einfuhren, die für unsere Industrie von Belang sind.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Biermann.
Herr Staatssekretär, Sie haben auf eine andere Frage deutlich gemacht, daß sich die rückläufigen Beschäftigungszahlen schon im November klar abzeichneten. Sind Sie nicht der Meinung, daß in Anbetracht der aktuellen Situation, in der wir stecken, die Hilfe, die Sie heute seitens des Wirtschaftsministeriums ankündigen, praktisch schon zu spät kommt?
Herr Kollege, ich bin nicht dieser Meinung. Eine Hilfe kommt nie zu spät.
Über den richtigen Zeitpunkt wird man sich lange unterhalten können. Man wird sich, wenn man ehrlich ist, Herr Kollege, auch darüber unterhalten müssen, ob in einer Wirtschaftslage, in der insbesondere das Verbraucherverhalten, nämlich eine Zurückhaltung der Verbraucher im Einkauf, eine Rolle spielt, überhaupt Hilfen, die der Staat zur Verfügung stellt, die erhoffte und erwünschte Wirkung haben können.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Fuchs.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie die von Ihnen vorhin angedeutete Möglichkeit, in einer anderen Branche durch eine Umschulung einen Arbeitsplatz zu gewinnen, für die strukturschwachen Gebiete, die ohnehin eine weit über dem Durchschnitt liegende Arbeitslosenziffer aufweisen?
Diese Möglichkeiten sind in der Vergangenheit vielfältig genützt worden. Ich habe schon auf die enorme Zahl zusätzlicher Arbeits-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4301
Parl. Staatssekretär Grüner
plätze hingewiesen, die durch die regionale Strukturpolitik geschaffen worden sind. Daß das nicht in jedem Einzelfall klappen wird, ist uns selbstverständlich bekannt. Es ist aber unsere feste Absicht, diese regionale Strukturpolitik gemeinsam mit den Ländern fortzusetzen, um die Vollbeschäftigung auch in den strukturschwachen Gebieten zu erhalten.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wehner.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wäre es nicht ratsam, daß die Bundesregierung in einer geeigneten einsehbaren, übersichtlichen Weise der Lage und der Entwicklung im Bereich Textil und Bekleidung entsprechend etwas zur allgemeinen Aufklärung täte? Entschuldigen Sie, wenn ich in einem Satz sage, warum ich diese Frage so stelle
— das dürfte man wohl — weil ich von jener Seite den Eindruck habe, als wollte sie ein Junktim zwischen Osthandel, Ostpolitik, und Textilmisere herstellen. Ich bin Textilarbeiter gewesen; mich interessiert das.
Herr Kollege Wehner, ich werde diese — —
— Herr Kollege Wehner, ich werde diese in Frageform gestellte Anregung sehr gerne aufgreifen. Ich bin wirklich der Meinung, daß es notwendig ist, diesen Gesamtüberblick zu geben.
Ich möchte den versteckten Tadel, der in dieser Frage vielleicht und in dieser Anregung vielleicht auch liegt, daß wir hier nicht genügend getan haben, gern entgegennehmen. Ich möchte allerdings hinzufügen, daß es natürlich für die Regierung leichter wäre, wenn die Fülle der in diesem Bereich schon gegebenen Antworten auch von den Kollegen in diesem Hause gelegentlich zur Kenntnis genommen würden.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Schlei.
Herr Staatssekretär, ist zu erwarten, daß die Bundesregierung den Landesfinanzverwaltungen dringend empfehlen wird, Steuerstundungsanträge von Firmen der Textil- und Bekleidungsindustrie bevorzugt und unbürokratisch zu bearbeiten, und ist vielleicht in besonders schwierigen Fällen bei Klein- und Mittelbetrieben sogar vorgesehen, Steuererlaß zu gewähren?
Frau Kollegin, ich kann hier nicht in den Bereich des Bundesministers der Finanzen eingreifen. Ich möchte nur den Zusatz machen, daß damit natürlich massive finanzielle Unterstützungen für Unternehmer gefordert werden und daß für uns die entscheidende Frage ist: Können mit solchen Maßnahmen Arbeitsplätze erhalten werden? Das muß für uns an erster Stelle stehen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Immer!
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie fragen, inwieweit sichergestellt ist, daß trotz aller dringend notwendiger Hilfen die erforderlichen Strukturwandlungen nicht verhindert werden, ohne die es in ganz bestimmten Bereichen zu permanenten Krisen kommt.
Grüner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft, Herr Kollege, ich habe schon darauf aufmerksam gemacht, daß auch die notwendigen Hilfen im Grundsatz nichts an diesem Strukturanpassungsprozeß ändern werden. Wir gehen davon aus, daß, nachdem unsere Textil- und Bekleidungsindustrie den Anpassungprozeß in den letzten 20 Jahren, wenn ich das einmal so sagen darf, bravourös bestanden hat — indem sie aus einer lohnintensiven Industrie zu einer kapitalintensiven Industrie geworden ist —, auch dieser Strukturanpassungsprozeß, der sich im Augenblick in einzelnen Bereichen der Textil- und Bekleidungsindustrie vollzieht, von dieser Industrie und von den Arbeitnehmern in dieser Industrie gemeistert werden wird.
Die letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schonhofen.
Herr Staatssekretär, hat vor allem Ihr Haus einen so präzisen Einblick in die Ursachen der Schwierigkeiten und der Zusammenbrüche der hier in Rede stehenden Betriebe, daß Sie sagen können, wo — soweit es die Ursachen angeht — ein unmittelbarer sachlicher Zusammenhang mit den Billigimporten besteht und wo andererseits ein solcher sachlicher Zusammenhang nicht zu sehen ist, weil — —
Herr Kollege, damit ist aber die Zusatzfrage, glaube ich, schon genügend präzisiert. Ich bitte um Verständnis!
Herr Kollege, ein solcher sachlicher Zusammenhang besteht für einzelne Betriebe innerhalb der Textil- und Bekleidungsindustrie, auch für einige Bereiche, nicht aber für die Masse der
4302 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Parl. Staatssekretär Grüner
Textil- und Bekleidungsindustrie. Ich müßte das detaillierter ausführen, was hier im Rahmen der Fragestunde nicht möglich ist.
Meine Damen und Herren, damit sind die aktuellen Fragen und die damit in Zusammenhang stehenden schon vorher eingebrachten Fragen beantwortet. Herr Staatssekretär Grüner, ich danke Ihnen,
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Die erste Frage ist von Herrn Abgeordneten Lagershausen eingebracht. Der Herr Abgeordnete ist im Saal. Die Frage lautet:
Hält die Bundesregierung die Einbeziehung von Personalwohnheimen und Schwesterschulen in die Forderung nach dem Gesetz der wirtschaftlichen Förderung der Krankenhäuser für erforderlich, und ist sie bereit, angesichts der Kostensteigerungen bei den Krankenhausträgern eine entsprechende Verordnung nach § 4 Abs. 4 KHG zu erlassen?
Zur Beantwortung der Frage steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Westphal zur Verfügung. Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Lagershausen, nach § 4 Abs. 3 Nr. 8 des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze vom 29. Juni 1972 ist eine Förderung von Ausbildungsstätten und Personalwohnheimen aus Mitteln des Krankenhausfinanzierungsgesetzes nicht zulässig. Maßgebend hierfür war die Überlegung, daß Personalwohnheime Teil des Wohnungsbaues sind und aus den hierfür vorgesehenen Mitteln gefördert werden müßten.
Der Bundestag hat einen entsprechenden Entschließungsantrag bei der Verabschiedung des Gesetzes angenommen. In Ausführung dieses Beschlusses sind dem Bundeshaushalt zusätzliche Mittel für den Bau von Schwesternwohnheimen bereitgestellt worden. Nach Auffassung des Deutschen Bundestags und des Bundesrats kann die Förderung von Ausbildungsstätten im Krankenhausbereich nicht anders behandelt werden als die der anderen Ausbildungsstätten und sollte daher aus Mitteln der Etats der Kultusminister der Länder vollzogen werden.
Um in einer Übergangszeit Härten zu vermeiden, ist in § 30 Abs. 2 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes vorgesehen, daß für Ausbildungsstätten, die den Krankenhäusern angegliedert sind, bis zum 31. Dezember 1978 die bisherige Finanzierung über die Pflegesätze weiter gesichert bleibt. Diese Frist soll den Ländern den nötigen Spielraum einräumen, um die entsprechenden Vorbereitungen zu treffen und die finanziellen Grundlagen für den Vollzug dieser Maßnahmen zu schaffen.
Es besteht zur Zeit kein Anlaß, von diesen grundsätzlichen Entscheidungen, die gerade dieses Haus getroffen hat, abzugehen und eine Verordnung nach § 4 Abs. 4 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes vorzulegen, zumal eine abschließende Beurteilung der Wirkungen des Gesetzes in diesem Teilbereich nach einjähriger Laufzeit noch nicht erfolgen kann.
Keine Zusatzfragen. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Damit ist die Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Es sind zwei Fragen von dem Herrn Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein eingebracht worden. Herr Staatssekretär Zander steht für die Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die erste Frage — Frage 2 — auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den vom ersten Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Muschallik, gemachten Vorschlag, die für die Zulassung von ausländischen Studienbewerbern der Medizin vorgesehene Quote von 8 v. H. um 3 v. H. auf 5 v. H. zu kürzen?
Herr Kollege, der Rahmen für die Ausländerquote ist heute durch Landesrecht im Staatsvertrag der Länder auf „bis zu 8 v. H." festgelegt. Die einheitliche Durchführungsverordnung der Länder konkretisiert in § 6 die Rahmenregelung des Staatsvertrages auf 8 v. H. Ein Antrag des Landes Bayern im Verwaltungsausschuß der Zentralstelle für die Verteilung von Studienplätzen, den Anteil auf 5 % zu reduzieren, ist mit den Stimmen der anderen Länder abgelehnt worden.
Die Bundesregierung hat im Entwurf eines Hochschulrahmengesetzes die gleiche Rahmenregelung vorgesehen wie der Staatsvertrag. Die Festlegung für die einzelnen Fächer soll durch Landesrecht erfolgen. Die Bundesregierung sieht gegenwärtig keine Veranlassung, allgemein oder in der Fachrichtung Medizin für eine Reduktion der Ausländerquote auf 5% einzutreten.
In anderen Ländern finden wir ebenso hohe oder höhere Ausländerquoten. Nach einer Statistik der OECD waren es 1970 beispielsweise in 'Osterreich 16,1 v. H., in Frankreich 5,7 v. H., in Großbritannien 7,9 v. H. und in der Schweiz 22,5 v. H. Bund und Länder haben durch den Ausbau der medizinischen Fakultäten die Zahl der Studienplätze so erhöht, daß heute jährlich etwa 7 000 Studienanfänger der allgemeinen Medizin aufgenommen werden können. Durch die vorgeschlagene Reduktion der Ausländerquote würden nur etwa 200 Studienplätze zusätzlich für deutsche Studienbewerber verfügbar. Damit könnte nur etwa 1 % der wartenden deutschen Studienbewerber zusätzlich einen Studienplatz erhalten, während fast 40% weniger Ausländer aufgenommen werden könnten. Durch eine Reduktion der Ausländerquote würde also eine nennenswerte Entspannung der Situation nicht eintreten, dagegen die Möglichkeit, Ausländer aufzunehmen, sehr empfindlich reduziert.
Ich rufe die nächste Frage — Frage 3 — des Herrn Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein auf:
Ist die Bundesregierung in diesem Zusammenhang der Auffassung, daß die durch eine solche Kürzung gewonnenen Studienplätze vorrangig den Bewerbern zur Verfügung gestellt werden
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4303
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
sollten, die sich verpflichten, nach Abschluß ihrer Ausbildung sich in Stadtrandgebieten und ländlichen Gemeinden als Arzt für Allgemeinmedizin niederzulassen?
Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, die Bundesregierung hat im Entwurf des Hochschulrahmengesetzes eine Quote von bis zu 5 v. H. der Bewerber vorgesehen, die sich verpflichten, ihren Beruf in Bereichen besonderen öffentlichen Bedarfs auszuüben. Die Bundesregierung wird durch Rechtsverordnung diese Bereiche festlegen. Die Vorarbeiten, insbesondere zur Frage der Einbeziehung von Landärzten in diese Regelung, sind noch nicht abgeschlossen.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege? — Bitte!
Herr Staatssekretär, im Hinblick auf die Tatsache, daß viele ausländische Studenten der Medizin und Zahnmedizin — hier wieder aus Entwicklungsländern — nach Beendigung ihres Studiums in der Bundesrepublik Deutschland bleiben, darf ich Sie fragen, ob es nicht sinnvoller wäre, diese Studienplätze deutschen Bewerbern vorzubehalten, die bereit sind, in der ärztlichen Versorgung z. B. in Stadtrandgebieten und ländlichen Bereichen tätig zu werden?
Herr Kollege, einerseits haben wir im Entwurf des Hochschulrahmengesetzes, auf den ich hingewiesen habe, eine solche Regelung für einen besonderen Bedarf vorgesehen. Andererseits besteht der Eindruck in der Öffentlichkeit, daß die Zahl der ausländischen Mediziner, die in der Bundesrepublik tätig sind, zu hoch sei. Dabei handelt es sich aber meistens um Ausländer, die sich noch in der Ausbildung befinden und in Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen tätig sind.
Bitte!
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung die genaue Zahl der Ärzte bekannt, die nach Beendigung ihrer Facharztausbildung in der Bundesrepublik geblieben sind?
Nein. Ich habe mich heute bemüht, diese Zahl zu ermitteln, weil ich meinte, daß sie im Zusammenhang mit Ihrer Frage interessant sein könnte. Diese Zahl war nicht festzustellen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, machen die von Prinz zu Sayn-Wittgenstein aufgegriffenen Anregungen aus dem Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung nicht deutlich, daß das bisherige System der Versorgung von Stadtrandgebieten und ländlichen Gebieten nicht ausreicht und es deswegen an der Zeit wäre, öffentlichen Einrichtungen die Möglichkeit zur ambulanten Behandlung zu eröffnen?
Diese Frage steht nicht in dem erforderlichen Zusammenhang mit der von Prinz zu Sayn-Wittgenstein gestellten Frage. Ich lasse diese Frage nicht zu.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, da ich hier vor einiger Zeit eine ähnliche Frage betreffend die immer noch steigende Zahl von ausländischen Medizinern, die in der Bundesrepublik bleiben, dadurch ihrer Heimat als Mediziner verlorengehen und hier Studienplätze wegnehmen, an den Herrn Bundesarbeitsminister gerichtet habe, sehe ich mich zu der Frage veranlaßt, ob Sie bereit sind, in der Bundesregierung die notwendige Abstimmung, vor allem mit dem Bundesarbeitsminister, herzustellen.
Aber selbstverständlich.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär! Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf. Die Fragen 4 und 5 werden auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Walkhoff, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Beabsichtigt die Bundesregierung, die Pläne der Deutschen Bundesbahn zur Aufhebung von Stückgutbahnhöfen auch im Hinblick auf die veränderte Situation durch die Erdölkrise weiterhin zu unterstützen, oder teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Erdölverknappung zwangsläufig zu Maßnahmen führen muß, die eine Verlagerung von der Straße auf die Schiene zum Inhalt haben und damit weitere Einschränkungsmaßnahmen der Deutschen Bundesbahn ausschließen?
Herr Kollege, im Zuge der Maßnahmen zur Einsparung von Energie wird selbstverständlich angestrebt, Transporte von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Hierbei wird es sich ,um solche Güter handeln, die für die Eisenbahn besonders geeignet sind, also um große Sendungen auf lange Entfernungen. Die Pläne der Deutschen Bundesbahn zur Konzentration des Stückgutdienstes werden hier-
4304 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Parl. Staatssekretär Haar
von nicht berührt, da die mit dieser Maßnahme vorgesehene Bündelung der Stückgut-Verkehrsströme auf weite Entfernungen eine wesentliche Entlastung der Straße gewährleistet und der Verkehr in der Fläche bei günstigerer Auslastung mit nicht wesentlich erhöhter Zahl an. Fahrten durchzuführen ist. Die Durchführung der hier angesprochenen Konzentrationsmaßnahmen ist im übrigen nicht vor Sommer 1975 zu erwarten.
Bitte, Herr Kollege, eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie auch in der gegenwärtigen und möglicherweise länger anhaltenden Situation keinen Anlaß sehen, von den Dispositionen abzurücken, die den Stückgutverkehr einschränken sollen?
Herr Kollege, diese Dispositionen des Vorstands der Deutschen Bundesbahn erstrecken sich, wie bereits ausgeführt, über einen Zeitraum von zwei Jahren. Wir sehen keinen Anlaß, an dem zeitlichen Ablauf dieser beabsichtigten Maßnahmen etwas zu ändern.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 7 des Herrn Abgeordneten Dr. Evers auf:
Hält die Bundesregierung an ihren Plänen fest, auch in den wenig erschlossenen Mittelgebirgslagen, beispielsweise im Hochschwarzwald, Stückgüterbahnhöfe anläßlich der veränderten Situation auf dem Energiemarkt aufzugeben?
Herr Kollege, nach meiner Antwort auf Ihre vorhergehende Frage bin ich der Ansicht, daß bei der Deutschen Bundesbahn keine Veranlassung besteht, die geplante Stückgutverkehr-Neuordnung im Hochschwarzwald aufzugeben. Ich weise außerdem darauf hin, daß die Zentrale Transportleitung Mainz der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn voraussichtlich zum 1. März 1974 ein Gesamtprogramm, einen sogenannten Netzplan vorlegen wird, in dem die durchzuführenden Schritte aufgezeichnet werden. Damit erfolgt allerdings noch keine Festlegung der Zuordnung der Einzugsbereiche und der Auswahl der Konzentrationspunkte. Sobald die Überlegungen über eine Umgestaltung in den einzelnen Bereichen abgeschlossen sind, werden die näheren Einzelheiten mit den jeweils beteiligten Behörden, Verbänden und Firmen erörtert. Je nach Fortschritt der gegenwärtigen planerischen Überlegungen werden diese Gespräche im Laufe der Jahre 1974 und 1975 zu führen sein.
Eine Zusatzfrage.
Sehen Sie mit mir eine unzureichende Koordination innerhalb der Bundesregierung darin, daß das eine Ressort Beschränkungen in Gebieten durchführt, die gleichzeitig von anderen Ressorts auf Grund ihrer Wirtschafts- und Strukturschwäche gefördert werden?
Ich sehe einen solchen Zusammenhang nicht, Herr Kollege.
Eine weitere Zusatzfrage.
Sind Sie bereit zu prüfen, ob die Beschränkungen im Stückgutverkehr nicht dadurch ausgesetzt werden können, daß hier — ähnlich wie bei anderen Maßnahmen der Bundesbahn — eine Sozialverpflichtung gesehen wird, die nicht in die Betriebsrechnung einzugehen hätte, sondern aus anderen Mitteln abzudecken wäre?
Herr Kollege, es ist Aufgabe der Bundesbahn, ihr Angebot auch im Bereich des Stückgutverkehrs so weit wie möglich zu verbessern. Dieses Ziel wird auch mit dieser unserer Absicht verfolgt. Im übrigen ist bekannt, daß keine Veränderungen ohne vorherige Vereinbarung von Sozialplänen erfolgen.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Dr. Jobst auf:
Ist die Vorschrift noch gerechtfertigt, wonach an spikesbereiften Autos am Fahrzeugheck eine 100-Plakette angebracht sein muß, obwohl nach der neuen Geschwindigkeitsregelung niemand schneller als 80 bzw. 100 Stundenkilometer fahren darf?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Jobst, die Vorschrift des § 4 der Spikesverordnung, wonach mit Spikereifen ausgerüstete Fahrzeuge das Schild mit der Aufschrift „100" führen müssen, ist sachlich gerechtfertigt. Zwar ist auf Grund des Energiesicherungsgesetzes für die nächsten sechs Monate eine allgemeine Höchstgeschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km in der Stunde auf Autobahnen sowie auf 80 km in der Stunde auf den übrigen Straßen angeordnet. Das Spikeschild hat jedoch nicht nur eine geschwindigkeitsbezogene Bedeutung. Es soll nicht nur anzeigen, daß das betreffende Fahrzeug nur 100 km in der Stunde fahren darf, sondern das Schild soll darüber hinaus dokumentieren, daß dieses Fahrzeug Spikereifen führt und deshalb ein andersgeartetes Fahr- und Bremsverhalten hat. Den übrigen Verkehrsteilnehmern soll dadurch die Möglichkeit gegeben werden, ihr eigenes Fahrverhalten hierauf einzustellen.
Die Art der Kennzeichnung von Spikefahrzeugen durch das Schild „100" ist auch international abgesprochen. Bei den seinerzeitigen Verhandlungen mit den Nachbarländern konnte sich die deutsche Auffassung leider nicht durchsetzen, die mit Spikes aus-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4305
Parl. Staatssekretär Haar
gerüsteten Fahrzeuge mit einem Schild zu versehen, welches ein Spikessymbol enthält. Hätten wir heute ein solches Symbolschild, wäre die Diskussion über den Sinn des Schildes überhaupt nicht aufgekommen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß die Gründe, die Sie jetzt für die Anbringung des Schildes beim Führen von Spikesreifen nochmals angeführt haben, nun überholt sind, nachdem eine allgemeine Höchstgeschwindigkeit von 100 km in der Stunde besteht?
Herr Kollege, ich glaube nicht, daß die Kraftfahrer, die betroffen sind und Spikesreifen führen, Verständnis dafür hätten, wenn jetzt vorübergehend auf eine solche Kennzeichnung verzichtet würde, um sie später wiedereinzuführen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß es unbillig und ein Witz ist, wenn heute Kraftfahrer bestraft werden, die dieses Schild nicht mitführen, obwohl sie nicht mehr als 100 km in der Stunde fahren dürfen?
Herr Kollege, der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß in der Zwischenzeit eine solche Bestrafung erfolgt wäre.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Immer auf:
Inwieweit ist die Bundesregierung bereit, in Ausführung der Erklärung des Bundeskanzlers, Gütertransporte von der Straße auf die Schiene zu verlagern, auch die Planung der Flächenbedienung nochmals gründlich zu überprüfen?
Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, die Bundesregierung hält es nicht für erforderlich, aus Gründen der Mineralölversorgung die angekündigte Konzentration im Stückgutverkehr noch einmal zu überprüfen. Zur Begründung ist auf folgendes hinzuweisen.
1. Die Deutsche Bundesbahn kann die angekündigte Konzentration der Stückgutabfertigungsbahnhöfe erst im Sommer 1975 verwirklichen. Ich möchte fest annehmen, daß die akuten Versorgungsprobleme dann überwunden sein werden.
2. Der Treibstoffverbrauch des gesamten gewerblichen Güternahverkehrs belief sich 1972 auf rund 1,5 Millionen t. Das sind etwa 1,3 % des Gesamtverbrauchs an Mineralölprodukten. Auf die Stückgutflächenbedienung entfällt nur ein Bruchteil dieser Menge. Eine Erweiterung der Flächenbedienung würde also nicht wesentlich ins Gewicht fallen. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß die Konzentration auch zu einer besseren Auslastung der Straßenzustelldienste führen kann, in diesen Fällen also keinen Treibstoffmehrbedarf auslöst.
Die von Ihnen angesprochene Erklärung des Herrn Bundeskanzlers bezieht sich auf die Beförderung eisenbahnspezifischer Güter über lange Strecken. Das Sammeln und Verteilen kleiner Stückgutpartien in der Fläche gehört nicht hierzu.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie, ausgehend davon, daß dennoch für längere Zeit eine Verknappung eintritt und dies höhere Preise für Mineralöl zur Folge hat, ausschließen, daß diese Verlagerung des Stückgutverkehrs dennoch zu Kostensteigerungen gerade bei denjenigen Betrieben führt, die wir erhalten wollen?
Herr Kollege, ich darf ganz allgemein feststellen, daß die Bundesbahn gerade im Stückgutverkehr in den letzten zwei Jahrzehnten praktisch die Geschäfte der größeren Risiken übernommen hat und daß es hier zu einer Umstrukturierung kommt, die sich letztlich auch auf den Bereich der Betriebsrechnung der Deutschen Bundesbahn auswirken soll. Das ist nicht auszuschließen.
Vizepräsident Dr. 'Schmitt-Vockenhausen: Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege.
Darf ich Sie noch einmal fragen, ob Sie auch ausschließen wollen, daß im Zuge dieser Verlagerung der Stückgutverkehr dennoch ganz auf die Straße abwandert? Und welche Maßnahmen haben Sie getroffen, damit das nicht stattfinden kann?
Der Bundesbahnvorstand hat wiederholt in vollem Einvernehmen mit dem Herrn Bundesverkehrsminister darauf hingewiesen, daß es sich in der weiteren Entwicklung um ein verbessertes Angebot handelt und nicht um die Absicht, den Stückgutverkehr für die Bundesbahn aufzugeben.
Ich rufe die Frage 10 des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl auf:
Welche bundeseinheitlichen Regelungen hält die Bundesregierung für notwendig, um die gemeinwirtschaftlichen Lasten auch der kommunalen Träger des öffentlichen Personennahverkehrs im Bereich des Ausbildungs- und Berufsverkehrs auszugleichen, und ab welchem Zeitpunkt ist gegebenenfalls aus solchen Regelungen mit Betriebskostenzuschüssen für den Münchner Verbundverkehr zu rechnen?
Herr Kollege Dr. Riedl, die Bundesregierung hat am 12. September 1973 beschlossen, den Ausgleich gemeinwirtschaftlicher Lasten im öffentlichen Personennahverkehr bundeseinheitlich zu regeln. Danach sollen den Nahverkehrsunternehmen die Mindereinnahmen aus dem Verkauf von Zeitkarten, insbesondere des Ausbildungs- und Be-
4306 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Parl. Staatssekretär Haar
rufsverkehrs, ausgeglichen werden. Das Bundeskabinett befaßt sich heute mit den entsprechenden Änderungsgesetzentwürfen zum Personenbeförderungsgesetz und zum Allgemeinen Eisenbahngesetz. Die Gesetze sollen am 1. Januar 1975 in Kraft treten. Nach dem Inkrafttreten dieser Änderungsgesetze kann auch mit Ausgleichsleistungen an die im Münchner Verkehrsverbund zusammengeschlossenen Verkehrsträger gerechnet werden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welche Auswirkungen werden diese in Aussicht gestellten Zuschüsse auf die derzeit in der Diskussion befindlichen Tariferhöhungen haben?
Herr Kollege, auch diese zusätzlichen Leistungen, soweit sie ab 1. Januar 1975 gesetzlich vorgesehen sind, werden nicht ausreichen, um im Münchner Tarifverbund Überlegungen entbehrlich zu machen, die zu einer Erhöhung des Selbstkostenanteils führen können.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, unter Vorwegnahme der Ergebnisse der Beratungen im Bundeskabinett jetzt schon Zahlen zu nennen hinsichtlich der Höhe des zu erwartenden Betriebskostenzuschusses und hinsichtlich der zu erwartenden Tarifanhebung?
Herr Kollege, auf München bezogen bin ich im Augenblick nicht in der Lage, im Detail eine Antwort zu geben.
Ich rufe die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Böhm auf:
Welche Stellungnahme bezieht die Bundesregierung zu der bei einem Besuch der Stadt Homberg-Efze im Kreis Fritzlar-Homberg vom hessischen Minister für Wirtschaft und Technik geführten Klage über mangelnde Zusammenarbeit mit dem Bundesverkehrsminister und der von Minister Karry getroffenen Feststellung, er habe kaum die Möglichkeit, mit Dr. Lauritzen die aktuellen Verkehrsprobleme zu erörtern?
Herr Staatssekretär!
Eine derartige Äußerung des hessischen Ministers für Wirtschaft und Technik ist der Bundesregierung nicht bekannt. Ein Grund für eine solche Klage ist auch nicht gegeben, da die aktuellen Verkehrsprobleme Hessens zwischen den zuständigen Stellen des Landes und des Bundes immer eingehend erörtert werden. Die Bundesregierung ist allerdings der Auffassung, daß abgesehen von grundsätzlichen Fragen der Verkehrspolitik spezielle aktuelle Verkehrsprobleme nicht unbedingt Gegenstand von sogenannten Spitzengesprächen sein müssen. Darüber
hinaus hat am 10. Dezember 1973 ein Gespräch in Marburg zwischen Herrn Minister Dr. Lauritzen und Vertretern der hessischen Straßenbauverwaltung sowie Vertretern der Kommunalverwaltungen stattgefunden. Gegenstand dieser Besprechung waren u. a. Verkehrsprobleme Nordhessens.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, von mir zur Kenntnis zu nehmen, daß die „Hessische Allgemeine" am 28. November 1973 folgendes berichtet hat — ich zitiere —:
Karry klagte in diesem Zusammenhang über mangelnde Zusammenarbeit mit dem Bundesverkehrsminister. Er habe kaum die Möglichkeit, mit Dr. Lauritzen die aktuellen Verkehrsprobleme zu erörtern.
Herr Kollege, ich habe diese Pressemitteilung zur Kenntnis genommen. Ich werde den Herrn Minister über diese Veröffentlichung gerne unterrichten.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich Sie bitten, Herr Staatssekretär, mir das Ergebnis Ihrer Untersuchung in diesem Fall dann schriftlich mitzuteilen.
Ich rufe die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Lagershausen auf. Der Herr Abgeordnete war soeben bei der Beantwortung einer anderen Frage noch im Saal. Ich sehe ihn jetzt nicht. Die Frage muß daher schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Damit sind die Fragen aus diesem Geschäftsbereich beantwortet.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Hauff zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 13 des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz auf:
Treffen Meldungen zu, daß dem Bundesminister für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen von nicht kompetenter Seite des Ministeriums umfangreiche Vorschläge zur Umstrukturierung und zu personellen Umbesetzungen gemacht wurden, die eine einseitige Bevorzugung von Anhängern der SPD bedeuten würden, und welche Konsequenzen hat der Bundesminister aus diesem Vorgang gezogen bzw. gedenkt er zu ziehen?
Herr Staatssekretär!
Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär 'beim Bundesminister für Forschung und Technologie und für das
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4307
Parl. Staatssekretär Dr. Hauff
Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Meldungen treffen nicht zu. Minister Ehmke hat im August 1973 Mitarbeiter des Bundesministeriums für Forschung und Technologie aufgefordert, zu einem Vorschlag für die Reorganisation des Ministeriums Stellung zu nehmen. Es wurden in erfreulich großer Zahl Änderungs- und Ergänzungsvorschläge gemacht. Ich bin nicht der Meinung, daß Mitarbeiter des Bundesministeriums für Forschung und Technologie im Sinne Ihrer Fragestellung nicht kompetent für Stellungnahmen zu Fragen der Organisation des Ministeriums sind. Im übrigen darf ich hinzufügen, daß alle diese Vorschläge ausschließlich organisationsbezogen waren.
Keine Zusatzfragen.
Der Herr Abgeordnete Dr. Riedl hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Frage 14 gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 15 des Herrn Abgeordneten Freiherr Spies von Büllesheim auf:
Ist es zutreffend, daß die Deutsche Bundespost in einem Bereich, in dem sie mil der allgemeinen Kreditwirtschaft im Wettbewerb steht, dein Bereich des Zahlungsverkehrs, im Jahr 1972 480 Millionen DM Verlust erwirtschaftet hat u. a. auch deshalb, weil sie im Vergleich zur sonstigen Kreditwirtschaft niedrigere Gebühren erhebt?
Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, mit Ihrer ersten Frage sprechen Sie den Postscheckdienst, den Zahlkartendienst und den Zahlungsanweisungsdienst an.
Der Überweisungsdienst, also der bargeldlose Zahlungsverkehr, wies 1972 eine Kostenüberdekkung von 41 Millionen DM auf. Im Zahlkartendienst und im Zahlungsanweisungsdienst entstanden Unterdeckungen von 332,6 Millionen DM bzw. 189,1 Millionen DM.
Die Gebühren für Zahlkarten entsprechen im allgemeinen den Zahlscheingebühren des Kreditgewerbes. Die Zustellung von Geldbeträgen in die Wohnung des Empfängers ist Aufgabe des Zahlungsanweisungsdienstes. Hier steht die Deutsche Bundespost nicht im Wettbewerb mit dem Kreditgewerbe. Vielmehr nimmt das Kreditgewerbe diesen Dienst selber in Anspruch.
Keine Zusatzfrage? —
Dann rufe ich die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Freiherr Spies von Büllesheim auf:
Hält die Bundesregierung es für vertretbar, daß die Deutsche Bundespost sehr erhebliche Gebührenerhöhungen in Bereichen beabsichtigt, in denen sie über ein Monopol verfügt, gleichzeitig aber in den Dienstzweigen, in denen sie mit Wirtschaftsunternehmen konkurrieren muß, auf die Erhebung üblicher Gebühren verzichtet, und auf welche Größenordnung kann dieser Verzicht für das Jahr 1973 beziffert werden?
Herr Staatssekretär.
Es trifft nicht zu, daß die Deutsche Bundespost nur in Bereichen mit Alleinbetriebsrechten ihre Gebühren zu erhöhen beabsichtigt, während sie in Dienstzweigen, in denen sie mit Wirtchaftsunternehmen konkurrieren muß, auf die Erhebung der üblichen Gebühren verzichtet. Ein Beispiel dafür ist der Postpaketdienst, bei dem die Deutsche Bundespost trotz schärfsten Konkurrenzdruckes Gebührenmaßnahmen beabsichtigt.
Die Deutsche Bundespost strebt an, die Kostenunterdeckung im Zahlkarten- und im Zahlungsanweisungsdienst durch Gebührenangleichungen und weitere Rationalisierungsmaßnahmen abzubauen. Auch für den Überweisungsdienst werden Gebührenmaßnahmen erwogen. Von einem Gebührenverzicht kann daher nicht die Rede sein.
Keine Zusatzfrage. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Forchung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen beantwortet. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Bundesinnenminister Genscher zur Verfügung.
Die erste Frage ist die Frage 17 des Herrn Abgeordneten Dr. Probst:
Wie hoch ist der Anteil der im öffentlichen Dienst tätigen Hochschulabsolventen an der Gesamtzahl der erwerbstätigen Hochschulabsolventen in der Bundesrepublik Deutschland?
Herr Abgeordneter, der Anteil der im öffentlichen Dienst beschäftigten Hochschulabsolventen an der Gesamtzahl der erwerbstätigen Hochchulabsolventen in der Bundesrepublik Deutschland beträgt nach den vorhandenen statistischen Unterlagen rund 45,6%. Fachhochschulabsolventen sind darin nicht einbegriffen. Sie sind als solche in den statistischen Merkmalen bisher noch nicht erfaßt.
Herr Kollege, haben Sie Zusatzfragen? — Dann rufe ich die Frage 18 des Herrn Abgeordneten Probst auf:
Ist die Bundesregierung der Meinung, die öffentlichen Dienstherren in der Bundesrepublik Deutschland könnten mittelfristig alle diejenigen Hochschulabsolventen anstellen, die nach Abschluß ihres Studiums im privaten Bereich keine angemessene Berufsmöglichkeit gefunden haben?
Nein, Herr Abgeordneter.
Dann darf ich eine Zusatzfrage stellen, nämlich: Wie beurteilt die Bundesregierung die Ausführungen des Leiters des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit, die Frage der künftigen Beschäftigung von Akademikern sei ganz überwiegend eine Frage der öffentlichen Aufgaben- und Stellenplanung?
4308 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Herr Abgeordneter, ich erlaube mir eine Beurteilung solcher Ausführungen nur dann, wenn ich sie nicht nur aus dem Zusammenhang gerissen, sondern in ihrer Gesamtheit kenne. Ich bin gern bereit, Ihnen meine Meinung dazu schriftlich mitzuteilen.
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte!
Herr Minister, ich will Ihnen diese Frage gern noch einmal im Zusammenhang vortragen. Der Institutsleiter schreibt in der „Zeit" vom 2. November:
Die Frage der künftigen Beschäftigung von Akademikern ist demnach ganz überwiegend eine Frage der öffentlichen Aufgaben- und Stellenplanung. Dies ist der eigentliche Boden aller Tatsachen. Die Bundesrepublik ist reich genug, ihre Bildungspolitik weniger von prognostizierten Tendenzen als vielmehr von selbst gesteckten gesellschaftlichen Zielen abhängig zu machen. So steht es in den Kernsätzen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Ich kann ganz allgemein dazu bemerken, daß es wie schon bisher nicht Aufgabe des öffentlichen Dienstes ist, alle diejenigen aufzunehmen, die in anderen Berufsbereichen keine angemessene Beschäftigung finden.
Die Einstellung in den öffentlichen Dienst richtet sich nach Eignung und Bedarf und hat eine Bewerberauslese zur Voraussetzung. Es ist auch nicht beabsichtigt, die Zahl höherwertiger Funktionen im öffentlichen Dienst, die für Hochschulabsolventen in Betracht kommen, beliebig zu vermehren.
Ich rufe die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Spranger ab :
Sind Meldungen zutreffend, denen zufolge 40 % der etwa 450 Personen, die von Chile in die Bundesrepublik Deutschland übersiedeln möchten, Kommunisten, weitere 20% Mitglieder der noch linksradikaleren Sozialisten sind, und warum gelten die Bedürfnisse der inneren Sicherheit, wie sie für das Verbot der Einreise des Marxisten Ernest Mandel maßgebend waren, nicht für diese Linksradikalen?
Herr Abgeordneter, bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus Chile läßt sich die Bundesregierung in erster Linie von humanitären Gesichtspunkten leiten. Das gilt für alle politisch Verfolgten, soweit für sie die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland die einzige Möglichkeit ist, sich dieser Verfolgung zu entziehen. Eine genaue Übersicht, wieviel Prozent der Zufluchtsuchenden welchen chilenischen Parteien oder ehemaligen chilenischen Parteien angehören, wird in Kürze gegeben werden können.
Ein Vergleich mit dem Einreiseverbot für den belgischen Staatsbürger Mandel verbietet sich schon deshalb, weil dieser alle Vorzüge einer demokratischen Ordnung in Belgien genießt und von politischer Verfolgung nicht bedroht ist. Im übrigen wird Mandel die Einreise nicht verweigert, weil er Marxist ist.
Ich darf bei dieser Gelegenheit bemerken, daß gestern das Verwaltungsgericht Saarlouis die Zurückweisungsanordnung der Bundesregierung bestätigt hat.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, können Sie ausschließen, daß eine Reihe von Leuten eingereist sind oder einreisen werden, die weiterhin, unter Umständen auch mit Gewalt, linksradikale Zielsetzungen verfolgen?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung läßt sich von den Grundsätzen der Genfer Konvention leiten, wonach diejenigen aufgenommen werden sollen, die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung ausreisen wollen. Dabei sind Ausnahmen in der Genfer Konvention gemacht, nämlich für solche Personen, bei denen die Annahme berechtigt ist, daß sie ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen haben oder daß sie ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Aufnahmelandes begangen haben, bevor sie als Flüchtlinge aufgenommen worden sind, oder daß sie sich Handlungen zuschulden kommen ließen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, ist der Bundesregierung bekannt, warum diese Linksradikalen in die Bundesrepublik Deutschland und nicht in jene Staaten einreisen wollen, die ihrer Ideologie wesentlich näherstehen?
Herr Abgeordneter, ich glaube, wir sollten, wenn es um politische Verfolgung geht, zunächst einmal von der Frage ausgehen, ob sich der Betreffende dieser Verfolgung — unabhängig davon, welche politischen Ziele und Meinungen er hat — nur in der von ihm nachgesuchten Weise entziehen kann. Das kann in den von mir genannten Fällen offensichtlich nur durch die Ausreise in die Bundesrepublik geschehen.
Ich will darüber hinaus nicht verschweigen, daß man sicher erwarten kann, daß diejenigen, die als Endziel den Kommunismus haben, von hier aus die Weiterreise in solche Länder suchen werden, wo ihre Vorstellungen schon weitgehend verwirklicht sind.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4309
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lambinus.
Herr Minister, teilen Sie meine Meinung, daß es sich bei den chilenischen Kommunisten und sogenannten linksradikalen Sozialisten in erster Linie um Menschen handelt, deren Leben in akuter Gefahr ist, und daß für diese Menschen nicht nur Art. 16 Abs. 2 Satz 2 unseres Grundgesetzes, sondern auch und insbesondere das Gebot der christlichen Nächstenliebe gilt?
Herr Abgeordneter, ich hatte schon zum Ausdruck gebracht, daß sich die Bundesregierung in dieser Frage von humanitären Erwägungen leiten läßt und daß es für sie auf die Frage ankommt, ob sich der Betreffende nur auf diese Weise der politischen Verfolgung entziehen kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Minister, werden die praktizierenden Terroristen, die zur Zeit an der Spitze des chilenischen Staates stehen und garantiert Gesetzes- und Verfassungsbruch betrieben haben und jegliches Gebot der Humanität verletzen, im Falle einer Einreise zumindest den gleichen Überprüfungen unterworfen werden wie die von ihnen Verfolgten?
Herr Abgeordneter, die Einreiseprüfungsgrundsätze der Bundesregierung sind in allen Fällen gleich.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten von Alten-Nordheim.
Herr Bundesminister, ist die Bundesregierung bereit, diesen Flüchtlingen die Aufenthaltsgenehmigung wieder zuentziehen, wenn sie sich als Berufsrevoluzzer und als Agitatoren erweisen?
Herr Abgeordneter, wenn es sich um eine Aufenthaltsgenehmigung handelt, ist das rechtlich möglich. Wenn die Betreffenden um Asyl nachsuchen und es bekommen, ist das nach unserem Asylrecht, das verfassungsrechtlich garantiert ist, nur unter ganz besonderen Bedingungen möglich. Auch hier wird sich die Bundesregierung ausschließlich an der Verfassung orientieren.
Ich rufe die Frage 20 der Abgeordneten Frau Eilers auf:
Hält es die Bundesregierung far gerechtfertigt, daß eine Kürzung des Kinderzuschlags auf die Hälfte gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 4 des Bundesbesoldungsgesetzes auch dann vorgenommen wird, wenn eine Beamtin zwar angibt, daß der Vater ihres nichtehelichen Kindes im öffentlichen Dienst beschäftigt ist, ihn aber nicht benennt und auch nicht zivilrechtlich für den Kindesunterhalt in Anspruch nimmt und somit die andere Hälfte des Kinderzuschlags nicht zur Auszahlung gelangen kann, und erwägt die Bundesregierung eine Neuordnung der Kinderzuschläge in der Weise, daß der Mutter, die ihr Kind allein unterhält, auch der volle Kinderzuschlag zugute kommt?
Frau Kollegin, ich teile Ihre Auffassung, daß das geltende Recht in Fällen der von Ihnen angesprochenen Art nicht immer befriedigend ist. Je nach Lage des Einzelfalles kann sich hier ein Interessenkonflikt mit der durch Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes geschützten Intimsphäre ,der öffentlich Bediensteten ergeben, wie ihn beispielsweise das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 3. September 1970 bei der Geltendmachung eines Beihilfeanspruchs einer Beamtin zu den Kosten der Geburt ihres nichtehelichen Kindes anerkannt hatte.
Diese Schwierigkeiten werden nicht mehr bestehen, Frau Kollegin, wenn die in § 43 Abs. 2 Nr. 5 vorgesehene Regelung des dem Bundeskabinett zugeleiteten und heute verabschiedeten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Kraft tritt, wonach eine Beamtin auf Antrag den vollen Kinderzuschlag erhält, wenn ihr die Sorge für das Kind allein zusteht. Da die Sorge für ein nichteheliches Kind allein der Mutter zusteht, müßte ihr mit dem Inkrafttreten der genannten Vorschrift auf Antrag der volle Kinderzuschlag gewährt werden.
Sollte der Fall, der Ihrer Anfrage zugrunde liegt, eine Beamtin des Bundes betreffen, darf ich bitten, mir Einzelheiten mitzuteilen, damit schon vor Inkrafttreten des Gesetzes entsprechend verfahren werden kann.
Herr Minister, sind Sie mit mir der Meinung, daß dieser Mutter nicht erst auf Antrag das volle Kindergeld zugestanden werden sollte, sondern daß sie einen selbstverständlichen Rechtsanspruch auch ohne Antragstellung darauf haben sollte?
Frau Kollegin, diesen Rechtsanspruch hat die Mutter natürlich, aber dem Gestaltungsrecht sollte nicht vorgegriffen werden. Es gibt sehr wohl Fälle, in denen die Mutter daran nicht interessiert ist, sondern in denen sie daran interessiert ist, daß etwa direkt dorthin gezahlt wird, wo sich das Kind aufhält. Ich glaube, 'daß mit der Gewährung des Antragsrechts, d. h. eines Bestimmungsrechts der Mutter, das von der Zustimmung keiner anderen Person abhängt, genau dem Rechnung getragen wird, was im Interesse der Mutter und des Kindes zugleich liegt.
Die Fragen 21 und 22 des Abgeordneten Rollmann werden schriftlich beantwortet, da der Fragesteller nicht im Saal ist. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
'Die Fragen 23 und 24 des Abgeordneten Wende werden ebenfalls schriftlich beantwortet, da der Fragesteller nicht im Saal ist. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
4310 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Ich rufe dann die Frage 25 des Herrn Abgeordneten Schreiber auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die Initiativen der Gemeinden und Kreise zu unterstützen, die sich bereit erklärt haben, politische Flüchtlinge aus Chile aufzunehmen, und wenn ja, welcher Art wird diese Unterstützung sein?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung begrüßt 'die zahlreichen Initiativen der Gemeinden und Kreise, Personen aus Chile aufzunehmen. Sie sieht in dieser Bereitschaft zugleich die Anerkennung ihrer eigenen Bemühungen, dem betroffenen Personenkreis die Ausreise aus Chile und die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen und zu erleichtern.
Bereits in meiner Antwort auf eine Frage des Herrn Abgeordneten 'Marschall vom 29. November 1973 hatte ich darauf hingewiesen, daß für eine wirksame Hilfe in erster Linie die Länder zuständig sind.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Ich habe hierzu am 29. November 1973 ausgeführt, daß über den Umfang von Hilfsmaßnahmen, abgesehen von der grundsätzlichen Zuständigkeit der Länder, erst entschieden werden kann, wenn die Vorfragen über die besonderen Hilfsmaßnahmen, also z. B. berufliche Zuordnung oder Kinderzahl, beantwortet werden können. Inzwischen haben einige Länder bereits Vorkehrungen für die Erstaufnahmen in Durchgangsheimen getroffen.
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 26 des Herrn Abgeordneten Dr. Schweitzer auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß bei aller Würdigung der Notwendigkeit, aktiv engagierte Links- oder Rechtsradikale vom öffentlichen Dienst in der Bundesrepublik Deutschland fernzuhalten, eine Bewerbung zur Übernahme in diesen Dienst nicht allein schon auf Grund einer vorübergehenden Mitgliedschaft im „Spartakus" an einer wissenschaftlichen Hochschule abgelehnt werden sollte?
Herr Minister!
Nach Auffassung der Bundesregierung ist bei der Entscheidung über Bewerbungen stets auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen.
Generalisierende Regelungen lassen sich wegen der unterschiedlichen Gestaltung der einzelnen Fälle nicht aufstellen. Aus diesem Grunde kann auch die von Ihnen abstrakt gestellte Frage nicht pauschal für alle Fälle gleich beantwortet werden. Ausgangspunkt für die Entscheidung kann stets nur die Frage sein, ob im konkreten Fall zum Zeitpunkt der Bewerbung eindeutige Tatsachen — Tatsachen, Herr Abgeordneter! — die Annahme rechtfertigen, daß der Bewerber nicht die erforderliche Gewähr für Verfassungstreue bietet.
Zusatzfrage.
Herr Minister, darf ich Sie im Hinblick auf Ihre Zuständigkeit für einheitliche beamtenrechtliche Regelungen im Bundesgebiet fragen, wie weit die vereinbarte neue Abstimmung des Bundes und der Länder über diesen ganzen Fragenkomplex der Beschäftigung Radikaler im öffentlichen Dienst gediehen ist.
Ich vermute, daß sich schon die nächste Innenministerkonferenz damit befassen wird, wie das von den Ministerpräsidenten gewünscht wird.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, wären Sie bereit, sich im Interesse dieser anzustrebenden Bundeseinheitlichkeit bei der Einstellung Radikaler im öffentlichen Dienst gegenüber dem Bundesland Rheinland-Pfalz in einem bestimmten, meines Erachtens geradezu skandalös gehandhabten Fall zu verwenden, in dessen Zusammenhang dem Ihnen unterstellten Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Unterlagen vorliegen? Ihnen gegenüber würde ich selbstverständlich gern vertrauliche Angaben darüber machen.
Herr Abgeordneter, wenn Sie mir Ihre Unterlagen zuleiten, bin ich gern bereit, mit dem Innenminister des Landes Rheinland-Pfalz zu sprechen.
Ich rufe die Frage 27 des Herrn Abgeordneten Büchner auf:
Welche Sportbaumaßnahmen hat die Bundesregierung mit den im Haushaltsplan 1973 ausgewiesenen 32,5 Millionen DM gefördert?
Bitte, Herr Minister!
Für den Sportstättenbau hat die Bundesregierung aus dem Einzelplan 06 bisher Mittel in Höhe von 29 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Hiervon sind für Bundesleistungszentren zirka 7,3 Millionen DM, für Landesleistungszentren zirka 7,5 Millionen DM sowie für Sondermaßnahmen — wie das Haus des Sports in Frankfurt, in Oberstdorf und das Deutsche Turnfest in Stuttgart — zirka 3,4 Millionen DM aufgewendet worden.
Für die Errichtung von Sportstätten, die ausschließlich dem Breitensport dienen, sind aus dem Einzelplan 06 bisher zirka 10,8 Millionen DM zur Verfügung gestellt worden. Hiervon entfallen auf Maßnahmen nach dem Goldenen Plan zirka 1,8 Millionen DM, der Zonenrandförderung — einschließlich Berlin — 9 Millionen DM.
Keine Zusatzfragen? —
Ich rufe die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Büchner auf:
In welcher Höhe standen der Bundesregierung 1973 Förderungsmittel für den Sportstättenbau im Zonenrandgebiet zur Verfügung, und welche Maßnahmen wurden damit gefördert?
Herr Minister!
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4311
Wie schon bei der Beantwortung der Frage 27 dargestellt, stehen aus dem Einzelplan 06 für den Sportstättenbau im Zonenrandgebiet, einschließlich Berlin, 9 Millionen DM zur Verfügung. Der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen hat dem Bundesinnenminister darüber hinaus 15,796 Millionen DM zusätzlich für den Sportstättenbau im Zonenrandgebiet zugewiesen. Es konnte damit zugunsten des Sportstättenbaus im Zonenrandgebiet über insgesamt 24,796 Millionen DM an Bundesmitteln verfügt werden. Diese Mittel sind vorwiegend für Baumaßnahmen des Schul- und Vereinssports, namentlich für multifunktionale und integrierte Anlagen, verwendet worden.
Ich bin gern bereit, Ihnen die Gesamtübersicht der geförderten Objekte, die jeweils am Ende eines Rechnungsjahres erstellt wird, zugänglich zu machen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 29 des Herrn Abgeordneten Dr. Wernitz auf:
Wie weit sind die Vorarbeiten und Koordinierungsbemühungen gediehen, um einen optimalen Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zum Europäischen Denkmalschutzjahr 1975 zu gewährleisten?
Herr Minister!
Die Bundesregierung hat von Anfang an die Initiative des Europarats unterstützt, das Jahr 1975 unter dem Leitspruch „Eine Zukunft für unsere Vergangenheit" zum Europäischen Denkmalschutzjahr zu erklären und eine entsprechende Vorbereitungskampagne durchzuführen.
Der Herr Bundespräsident hat sich bereit erklärt, die Schirmherrschaft über das Denkmalschutzjahr zu übernehmen. Die konstituierende Sitzung des Nationalkomitees fand am 7. Dezember 1973 im Bonner Rathaus statt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, woran liegt es, daß andere Staaten in Europa in der Vorbereitung des Denkmalschutzjahres 1975 bereits etwas weiter sind als wir in der Bundesrepublik?
Herr Abgeordneter, das mag damit zusammenhängen, daß es notwendig war, hier eine Einigung zwischen Bund und Ländern herbeizuführen, weil der Denkmalschutz in der Bundesrepublik Deutschland bekanntlich in die Zuständigkeit der Länder fällt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, kann man also jetzt davon ausgehen, daß die Weichen dahin gehend gestellt sind, daß wir 1975 auf diesem Gebiet insgesamt ein Niveau erreichen werden, das dem Vergleich mit den anderen Staaten in Europa standhält?
Ja, Herr Abgeordneter.
Ich rufe die Frage 30 des Herrn Abgeordneten Dr. Wernitz auf:
Angesichts der Tatsache, daß die Zollverwaltung einschließlich der Zollfahndungsämter und des Zollkriminalinstituts einen wesentlichen Beitrag im Rahmen der Sicherheitsaufgaben leistet, frage ich die Bundesregierung, ob und gegebenenfalls welche Möglichkeiten bestehen, die Zollverwaltung in das Sicherheitsprogramm aufzunehmen?
Ich stimme Ihnen zu, daß die Zollverwaltung im Rahmen der Sicherheitsaufgaben des Bundes einen wesentlichen Beitrag leistet. Das gilt nicht nur, soweit sie unter der in § 62 Abs. 3 BGS-Gesetz vorgesehenen Fachaufsicht des Bundesministers des Innern für den BGS oder nach § 68 BGS-Gesetz im Wege des Personalverbundes grenzpolizeiliche Aufgaben wahrnimmt, sondern auch bei der Bekämpfung des internationalen Rauschgifthandels sowie des Schmuggels von Waffen und Sprengstoffen.
Es mag deshalb naheliegend erscheinen, die Zollverwaltung im Sicherheitsprogramm zu erwähnen. Bei diesem Programm handelt es sich allerdings um eine Konzeption der Ständigen Konferenz der Innenminister der Länder, die schwerpunktmäßig lediglich diejenigen Probleme der inneren Sicherheit anspricht, die aus der Sicht der Länder, und hier allein der Innenressorts, vordringlich gelöst werden müssen.
Dieser Grundtendenz entsprechend wurde trotz Beteiligung des Bundes an der Erarbeitung des Programms im vergangenen Jahr und seiner Fortschreibung in diesem Jahr z. B. der für den Bund sicherlich bedeutsame Bereich der grenzpolizeilichen Aufgaben nicht aufgenommen. Auch bedeutsame Sachgebiete, die die Zuständigkeit anderer Ressorts berühren, z. B. Bahnpolizei oder Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, wurden ausgeklammert, obwohl dort eine Zusammenarbeit mit den Polizeien der Länder ebenso notwendig ist wie bei der Zollverwaltung.
Angesichts dieser Konzeption erscheint das Sicherheitsprogramm — systematisch — der richtige Ort, die Zusammenarbeit der Polizeidienststellen mit den Zolldienststellen zu regeln, zumal die derzeitige Zusammenarbeit mit der Zollverwaltung, wie ich zumindest für den BGS und das Bundeskriminalamt sagen kann, keine Mängel aufweist.
Der Text des fortgeschriebenen Sicherheitsprogramms wurde übrigens in der Sitzung der Innenministerkonferenz am 28. September 1973 bereits beraten. Das fortgeschriebene Programm soll verabschiedet werden, sobald ein von der Gewerkschaft ÖTV und dem Bund Deutscher Kriminalbeam-
4312 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Bundesminister Genscher
ter gewünschtes Gespräch mit dem Vorsitzenden der Innenministerkonferenz und seinen Stellvertretern stattgefunden hat. Weder die Innenminister noch die Gewerkschaften haben bisher die Frage der Einbeziehung der Zollverwaltung in das Sicherheitsprogramm angesprochen. Sollte eine Aufnahme der Zollverwaltung in das Sicherheitsprogramm nicht möglich sein, so bedeutet das nicht, daß etwa anstehende Probleme in der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden nicht auch außerhalb des Programms einer sinnvollen Lösung zugeführt werden könnten.
Zusatzfrage.
Herr Minister, darf ich aus Ihrer Antwort zumindest im Kern entnehmen, daß Sie mit mir der Auffassung sind, daß ein umfassendes, kompaktes Sicherheitsprogramm auch unter Einschluß der einschlägigen Teile der Zollverwaltung — im Prinzip, wohlgemerkt — erforderlich ist?
Auch das kann ich bejahen, Herr Abgeordneter.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Straßmeir auf:
Hat die Bundesregierung inzwischen durch Beschluß über die Errichtung des Bundesamts für Umweltschutz in Berlin entschieden, und wie ist der Stand des Verfahrens in bezug auf den Zeitpunkt, den Standort sowie die räumliche und personelle Ausstattung des Amts?
Herr Minister!
Wie bekannt, beabsichtigt die Bundesregierung entsprechend der von mir mit Zustimmung des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Außenministers abgegebenen Erklärung Berlin als Standort des Umweltbundesamtes zu bestimmen. Ein Beschluß der Bundesregierung ist insoweit noch nicht ergangen. Nach dem Haushaltsplan für das Jahr 1973 sind in Einzelplan 06 bei Kap. 06 28 für das Umweltbundesamt insgesamt 155 Stellen ausgebracht. Der Haushaltsentwurf 1974 sieht weitere 117 Stellen vor. Die Bundesregierung ist bemüht, für das Personal des Umweltbundesamtes die erforderlichen Räume bereitzustellen. Die Bundesregierung weiß sich mit drei Westmächten darin einig, daß Berlin als Standort des Umweltbundesamtes mit dem Viermächteabkommen vom 3. September 1971 vereinbar ist, da sich die Tätigkeit des Amtes im Rahmen dieses Abkommens halten wird.
Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, treffen Pressemeldungen zu, wonach die Sowjetunion unter Bezugnahme auf das Viermächteabkommen bei den Westalliierten eine Begrenzung der administrativen Befugnisse des Amtes in der Form
gefordert hat, daß sich die Tätigkeit ausschließlich auf wissenschaftliche und Forschungsaufgaben beschränken soll?
Ich kann Ihnen diese Frage im Augenblick nicht beantworten, Herr Abgeordneter. Ich will das aber gern nachholen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, wann ist mit der Umwandlung der neu eingerichteten Bundesstelle für Umweltangelegenheiten in Berlin in ein Umweltbundesamt zu rechnen?
Sobald die gesetzgebenden Körperschaften über das Errichtungsgesetz entschieden haben.
Herr Abgeordneter Wagner hat um schriftliche Beantwortung seiner Fragen 32 und 33 gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 87 des Herrn Abgeordneten Dr. Abelein auf:
Welche von den verschiedenen Ansichten, die Mitglieder der Bundesregierung über das Verhältnis von Grundgesetz und Transitabkommen bzw. von Grundgesetz und den übrigen im Zusammenhang mit dem Vier-Mächte-Abkommen über Berlin getroffenen Vereinbarungen geäußert haben, ist für die Bundesregierung die maßgebliche?
— Ich habe die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Abelein aufgerufen.
Herr Abgeordneter, für die Bundesregierung stand von Anfang an außer Zweifel, daß die Konkretisierung der Pflichten, die sich aus der Mißbrauchsregelung des Viermächteabkommens ergeben, im Transitabkommen nur in voller Übereinstimmung mit dem Grundgesetz erfolgen sollte und erfolgen konnte. Dem ist in Art. 16 Abs. 6 und Art. 17 des Transitabkommens Rechnung getragen worden. Das, was die Bundesregierung vertraglich zugesichert hat und was sie zur Erfüllung der übernommenen vertraglichen Verpflichtungen im Interesse eines reibungslosen Transitverkehrs an Maßnahmen in der Bundesrepublik Deutschland trifft, steht unter dem Vorbehalt der Möglichkeiten der „allgemein üblichen Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland bezüglich der öffentlichen Ordnung". Dazu gehört auch die verfassungsrechtliche Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland.
Herr Kollege Franke hat im übrigen in der Sitzung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen am 5. Dezember 1973 dazu schon Stellung genommen.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4313
Herr Abgeordneter Abelein, Sie haben jetzt noch zwei Zusatzfragen. Dadurch würde allerdings die Beantwortung Ihrer weiteren Frage gefährdet. Ich sage Ihnen das wegen des Ablaufs der Fragestunde.
Wird die andere Frage dann morgen beantwortet?
Sie müßte dann morgen beantwortet werden.
Ich würde den Vorschlag machen, daß ich jetzt noch Zusatzfragen stellen kann, daß aber dann morgen die andere Frage entweder von Herrn Minister Genscher oder von einem Stellvertreter beantwortet wird.
Gut. Dann stellen Sie also zunächst zwei Zusatzfragen.
Welche Schlußfolgerungen zieht die Bundesregierung aus diesen Ausführungen im Hinblick auf Maßnahmen gegen Flüchtlinge und Fluchthelfer, die eventuell gegen Bestimmungen des Transitabkommens verstoßen?
Herr Abgeordneter, es kann sich nur um Schlußfolgerungen im Rahmen der geltenden Gesetze handeln. Fluchthilfe ist in der Bundesrepublik Deutschland nicht strafbar.
Hat sich zu diesen Rechtsauffassungen, die Sie heute, wenn ich das recht verstehe, als maßgebliche Ansicht der Bundesregierung vorgetragen haben, in der Zwischenzeit auch das Mitglied der Bundesregierung Bundesminister Bahr bekehrt?
Herr Abgeordneter, ich trage hier nicht eine, wie Sie einschränkend sagen, maßgebliche Ansicht der Bundesregierung vor, sondern d i e Ansicht der Bundesregierung, die von dem Bundesminister Bahr selbstverständlich geteilt wird.
Ich rufe die Frage 88 des Herrn Abgeordneten Dr. Abelein auf:
Hat die Bundesregierung ihre Vertragspartner darauf aufmerksam gemacht, daß das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit des Grundvertrags für sie verbindlich ist?
Die Bundesregierung handelt bei allen Maßnahmen im Rahmen des Grundgesetzes, Daß dies auch beim Abschluß des Grundlagenvertrages mit der DDR geschehen ist, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 31. Juli 1973 über die Verfassungsmäßigkeit des Grundlagenvertrages festgestellt. Die Verbindlichkeit dieses Urteils ergibt sich
aus § 31 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht, wonach die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden binden.
Die zuständigen Organe der Sowjetunion und der DDR kennen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, und sie kennen diesen von mir vorgetragenen Rechtsstandpunkt der Bundesregierung. Der DDR ist im übrigen bei den Vertragsverhandlungen seitens unserer Delegation eindeutig klargemacht worden, über welche Fragen verhandelt werden konnte und daß verfassungsrechtliche Fragen nicht zum Verhandlungsgegenstand gemacht werden können.
Ergänzend darf ich zu Ihrer Frage auf die Antwort hinweisen, die der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen, Herr Kollege Moersch, in der Fragestunde dieses Hohen Hauses am 19. Oktober 1973 auf die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes gegeben hat.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Bundesminister, ergibt sich aus diesen Ausführungen, daß die Bundesregierung mit dem Bundesverfassungsgericht der Meinung ist, daß die Bundesregierung verpflichtet ist, in den zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen, insbesondere auch gegenüber den Vertragspartnern, dem Vertrag die Auslegung zu geben, die nach dem Grundgesetz erforderlich ist und die das Bundesverfassungsgericht verbindlich festgestellt hat, oder sind Sie der Meinung, daß der Inhalt des Urteils des Bundesverfassungsgerichts nur von rein interner Bedeutung ist?
Herr Abgeordneter, ich muß Ihnen noch einmal sagen, daß nicht nur für diesen Teil des Urteils, sondern generell das gilt, was in den von mir zitierten gesetzlichen Bestimmungen, insonderheit in § 31 Abs. i des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht gesagt ist, nämlich daß Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden binden. Im übrigen hat das Bundesverfassungsgericht selber in dem Urteil auch noch etwas zur Bindungswirkung gesagt, was, übergeleitet durch diese Bestimmungen, selbstverständlich Verbindlichkeit für die Bundesregierung hat.
Eine letzte Zusatzfrage.
Steht die Bundesregierung auch zu dem Satz des Bundesverfassungsgerichts, der besagt, daß die Grenzen zwischen den beiden deutschen Staaten als staatsrechtliche Grenze zu qualifizieren sind, deren Besonderheit darin besteht, daß sie auf dem Fundament des noch existierenden Staates Deutschland als Ganzes beruhen?
4314 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Herr Abgeordneter, die Tatsache, daß das Gesetz vorschreibt, daß die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes auch für die Bundesregierung bindend sind, läßt eine Unterscheidung zwischen Teilen, an die sich die Bundesregierung gebunden fühlt, und solche, an die sie sich nicht gebunden fühlt, gar nicht zu.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich rufe nunmehr Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozeßordnung
— Drucksache 7/268
Bericht und Antrag des Rechtsausschusses
-- Drucksache 7/1384
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schöfberger
Abgeordneter Dr. Hauser
Ich frage die Herren Berichterstatter, ob das Wort zur ergänzenden Berichtersattung noch gewünscht wird. — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich danke den Herren Berichterstattern.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe auf Art. 1, 1 a, 2, 3, 4, Einleitung und Überschrift -Wird das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetz in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Keine Gegenstimmen, keine Stimmenthaltungen; es ist so beschlossen.
Wir treten ein in die
dritte Beratung
Das Wort hat der Herr Abgeordneter Dr. Schöfberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Fraktion der SPD gestatte ich mir, folgende Erklärung zu diesem Tagesordnungspunkt abzugeben.
Der Entwurf enthält sicher keine revolutionäre Änderung der Zivilprozeßordnung, aber mit ihm soll ein lange kritisiertes Übel des deutschen Zivilprozeßrechts beseitigt werden. Die nach geltender ZPO vielfach möglichen Gerichtsstandsvereinbarungen sollen auf wenige eng umschriebene Fälle begrenzt werden. Die damit bisher verbundenen Mißbräuche und Mißstände sollen abgestellt werden.
Die SPD-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf zustimmen, weil er über eine rechtstechnische Neuregelung hinaus zwei gesellschaftspolitische Anliegen fördert: Er dient einmal dem Verbraucherschutz, und zum zweiten macht er den Zivilproß in den Augen vieler betroffener Bürger wenigstens in den einschlägigen Fällen — und davon gibt es Zehntausende pro Jahr — verständlicher und gerechter. Mit kurzen Worten ist dies das Ziel des Gesetzentwurfes: Der am Rechtsverkehr teilnehmende Bürger soll nicht mehr an einem x-beliebigen ihm aufgezwungenen Gerichtsstand verklagt werden können, sondern nur noch an dem Gerichtsstand seines Wohn- und gewöhnlichen Aufenthaltsortes, wo er sich gegebenenfalls vor allem vor den Amtsgerichten ohne weiteres auch ohne Anwalt selbst verteidigen kann.
In den Jugendjahren der ZPO spielte dieses Problem nahezu keine Rolle, weil der Durchschnittsbürger nur selten überörtliche Rechtsgeschäfte tätigte. Man konnte es damals der Privatautonomie überlassen, sich einen Gerichtsstand auszuwählen. Bereits in den 30er Jahren begannen Reformbestrebungen, die heute Gott sei Dank abgeschlossen werden können. Mit der zunehmenden Industrialisierung, mit dem modernen Waren-, Güter- und Leistungsaustausch und den notwendigen überörtlichen Geschäftsbeziehungen nimmt die Masse der Bevölkerung am überörtlichen rechtsgeschäftlichen Verkehr teil. Man denke nur an die Vielfalt der Versandhandelsgeschäfte. Es soll also der grobe Mißbrauch abgestellt werden, der bisher mit den Gerichtsstandsvereinbarungen getrieben wurde.
Nicht nur wirtschaftlich schwache und geschäftlich unerfahrene Bürger, sondern Millionen von Verbrauchern haben sich alltäglich beim Abschluß von Verträgen Erfüllungsorts- und Gerichtsstandsklauseln unterworfen. Bei den typischen Massengeschäften des täglichen Lebens standen diese Klauseln in aller Regel im sogenannten Kleingedruckten in den allgemeinen Geschäftsbedingungen, spätestens auf Lieferscheinen oder Rechnungen. Der rechtsunkundige Bürger nimmt sie in den allermeisten Fällen gar nicht zur Kenntnis, weil er beim Abschluß eines Rechtsgeschäfts nicht unbedingt an einen späteren Rechtsstreit denkt. Selbst Bürger, die solche Klauseln entdeckten und sich zur Wehr setzen wollten, mußten sich oftmals dem Diktat eines wirtschaftlich Stärkeren bei der Gestaltung der vertraglichen Beziehungen beugen, wenn sie nicht auf entscheidende Geschäftsmöglichkeiten verzichten wollten.
Die Überraschung für den ahnungslosen oder den genötigten Verbraucher kommt immer dann, wenn ihm eine Klage oder ein Zahlungsbefehl ins Haus flattert, den sein Geschäftspartner unter Hinweis auf solche Vereinbarungen bei einem Amtsgericht womöglich am anderen Ende der Bundesrepublik anhängig gemacht hat. Welcher Bürger will dann und kann dann die hohen Reisekosten für eine Fahrt zum entfernten Gericht auf sich nehmen? Die Kosten sind oftmals höher als die Klagesumme selbst. Welcher Bürger will dann und kann dann schon mit zwei Anwälten auftreten, einem am Heimatort und einem Korrespondenzanwalt am fernen Gerichtsort?
Meist haben die Bürger den Rechtsstandpunkt dem Gericht schriftlich mitgeteilt und haben dann
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4315
Dr. Schöfberger
die Welt oder zumindest die deutsche Justiz nicht. mehr verstanden, wenn sie mangels Vertretung vor dem Gericht ein Versäumnisurteil bekommen haben. Die geltende Zivilprozeßordnung sah dies vor, auch wenn die Sache materiell-rechtlich gar nicht so aussichtslos gewesen wäre. Mehr als 80 O/0 aller bei Amtsgerichten anhängigen Distanzprozesse haben mit Versäumnisurteilen geendet. Bei den Abzahlungsgeschäften, wo es schon das Verbot der Gerichtsstandsvereinbarung gibt, waren es nur etwa 40 %.
Daraus ergibt sich für uns folgende Erkenntnis: Durch das grundsätzliche Verbot von Gerichtsstandsvereinbarungen Vollkaufleute und juristische Personen können das nach wie vor — kann die Zahl der Versäumnisurteile wesentlich gesenkt und die Verteidigungschance der Verbraucher vor Gericht ganz wesentlich erhöht werden. Die SPD-Fraktion hat sich aus dieser Einsicht heraus das Anliegen des Bundesratsentwurfs zu eigen gemacht. Allerdings darf man bei dieser Gelegenheit bemerken, daß der Entwurf des Bundesrates in seiner ursprünglichen Fassung ziemlich unausgegoren war und im Rechtsausschuß erst dann wesentlich verbessert und mit der Systematik der ZPO abgestimmt werden mußte.
Schließlich hat auch die Bundesregierung ihre ursprüngliche Absicht, die Materie alsbald in einem größeren Zusammenhang, nämlich im Zusammenhang mit einer umfassenderen Zivilprozeßreform zu regeln, aufgegeben und im Interesse des Verbraucherschutzes einer vorweggenommenen Regelung zugestimmt.
Wie kaum anders zu erwarten, haben der Deutsche Industrie- und Handelstag und der Bundesverband der Deutschen Industrie grundlegende Einwände gegen die verbraucherfreundliche Novelle erhoben mit 'der Bemerkung, man könne dem Handel und der Industrie das Bestellen von Korrespondenzanwälten nicht zumuten. Gerade dies war es aber, was man Hunderttausenden von Verbrauchern bisher zugemutet hat. Die von diesen Verbänden Vertretenen hatten also von der geltenden Regelung einen Vorteil, in Zukunft sollen die Verbraucher einen Vorteil haben.
Die Einwände des Deutschen Industrie- und Handelstages und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie haben die Mitglieder meiner Fraktion im Ausschuß nicht davon abhalten können, einer Novelle zuzustimmen, die den Rechtsschutz wirtschaftlich schwächerer Verbraucher über die Privatautonomie der bisher Begünstigten stellt. Die Rechtsvorteile aus den Gerichtsständen sollen künftig der Masse der Verbraucher zugute kommen. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hauser .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen meiner
Fraktion dart ich folgende Erklärung abgeben. Was hier in abschließender Lesung verabschiedet werden soll, zielt darauf ab, eine geltende Regelung zugunsten betroffener weiter Bevölkerungskreise zu verbessern, wirklich eine Reform durchzuführen, die dringend notwendig ist.
Wer kennt denn nicht die Fälle, wo tagtäglich Bestellungen, Kaufvertragsformulare unterzeichnet werden, in denen auf sogenannte Allgemeine Geschäftsbedingungen Bezug genommen wird, wo dann auch am Schluß zusätzlich zu lesen bleibt: „Ausschließlicher Gerichtsstand oder Erfüllungsort ist beiderseits für sämtliche gegenwärtigen und künftigen Ansprüche aus der Geschäftsverbindung der Sitz des Verkäufers und das für ihn zuständige Gericht." Welcher Käufer überschaut schon bei Vertragsschluß die Tragweite all der vielen Sonderbestimmungen in den ihm aufgedrängten Geschäftsbedingungen, und in wie vielen Fällen werden auch — ist der Kaufentschluß einmal geweckt — ungeprüft jene Erklärungen unterschrieben, die einen in diesem Zeitpunkt für unwahrscheinlich gehaltenen Prozeß betreffen. Selbst wenn der Käufer erkennen sollte, daß bei der Gerichtsstandsvereinbarung ein gerichtliches Verfahren weit entfernt von seinem Wohnsitz durchgeführt werden muß, fehlt ihm der Überblick über sämtliche sich hieraus ergebenden Konsequenzen.
So ist das Gleichgewicht der Vertragsteile, wie es der Gesetzgeber im Auge hat, nicht mehr vorhanden. So läuft der Käufer bei solchen unbedacht hingenommenen vertraglichen Sonderabmachungen Gefahr, für etwas bezahlen zu müssen, was sein Geld keineswegs wert ist, wenn er von einem weit entfernt wohnenden Hersteller oder Versender Ware bezieht, mit der er aus berechtigten Gründen nicht zufrieden ist.
Zwei Gründe sind es, die in ihrem Zusammenwirken das Gericht zwingen können — wie Richter selbst es sehen —, „vorsätzlich falsche Urteile" zu fällen: einmal die unbeschränkte Zulässigkeit von Gerichtsstandvereinbarungen, die ehedem vom Gesetzgeber nur als Ausnahme gedacht war, vom geschäftlich Gewandten und damit auch wirtschaftlich Stärkeren aber zu seinen Gunsten ausgenutzt wird, und zweitens die Zivilprozeßordnung, mit der — wie es in der Literatur einmal hieß — harten Waffe des Versäumnisurteils.
Was im Zeichen der Massengeschäfte, wo sich der Handel längst nicht mehr rund um den Marktplatz abspielt, heute zu offensichtlichen Mißständen geführt hat — daß die Betroffenen letztlich ohne wirksamen Rechtsschutz bleiben —, war bereits vor mehr als 40 Jahren Anlaß, an Gesetzesänderungen heranzugehen; enthielt doch der Entwurf einer Zivilprozeßordnung des Reichsjustizministeriums aus dem Jahre 1931, der nur nicht mehr Gesetz wurde, schon ganz erhebliche Einschränkungen von Gerichtsstandvereinbarungen mit der gleichen Zielrichtung wie heute, nämlich geschäftsungewandte Personen vor solch unberechtigten Vereinbarungen zu schützen, über deren Auswirkungen sie nicht im klaren waren. Schon damals sollten Minderkaufleute in diesen Schutz mit einbezogen werden. Schon da-
4316 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Dr. Hauser
mals plädierte etwa der Prozeßrechtler Maurach für eine Änderung der Vorschriften im Versäumnisverfahren, daß die Fiktion des Zugestehens nach § 331 auf Fragen des materiellen Rechts beschränkt bleiben müsse. Auch diese Anregung ist in unsere No-volle eingebaut. Bei der Frage des Gerichtsstandes kann der Kläger nämlich künftig in einer mündlichen Verhandlung nicht mehr deren Vereinbarung mit dem nicht erschienenen Beklagten behaupten, es sei denn, der Beklagte wäre Vollkaufmann.
Mit dieser Gesetzesvorlage sind also frühere Verbesserungsvorschläge wieder aufgegriffen worden, nachdem die gesetzliche Norm des allgemeinen Gerichtsstandes durch vertragliche Serien- und Typenregelungen mit einem besonders vereinbarten Gerichtsstand einfach überwuchert worden ist. 25 °/o aller Versäumnisurteile, wie ernsthafte Diskutanten behaupten, bringen ob solcher Mißstände keine sachgerechte Entscheidung mehr.
Diese ungute Entwicklung, die immer mehr zu Lasten des Verbrauchers gehen muß, hat die bayerische Staatsregierung mit stets größerer Besorgnis verfolgt, um schließlich die Initiative zu ergreifen, hier Einhalt zu gebieten. Ohne Deklamation und ohne große Ankündigungen, daß der Schutz des Verbrauchers ein besonderer Schwerpunkt rechtspolitischer Arbeit werde, hat sie bereits in der letzten Legislaturperiode die Konstituierung einer Sachverständigenkommission auf Bundesebene angeregt, die nunmehr an Vorschlägen zur Reform des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen arbeitet und hoffentlich recht bald zu positiven Ergebnissen findet.
Damit aber nicht genug: Die bayerische Staatsregierung — dafür ist ihr und dem hier anwesenden Justizminister aus Bayern ein ganz besonderer Dank zu sagen —,
hat gleichzeitig auch durch die Vorlage von drei Gesetzentwürfen über den Bundesrat mit dem Verbraucherschutz Ernst gemacht. Zwei dieser Initiativen sind inzwischen Gesetz geworden: die Änderung des § 313 des Bürgerlichen Gesetzbuches und die Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes, womit die Rechtsstellung des Wohnungseigentümers entscheidend verbessert wurde. Die dritte Vorlage ist diese Novelle, der Sie, Herr Bundesjustizminister, unverständlicherweise noch bis vor kurzem Widerstand entgegengesetzt haben. Daß hier endlich auch im Justizministerium bessere Erkenntnis Einzug gehalten hat, läßt doch hoffen, daß auch in anderen drängenden Fragen rechtspolitischer Art, wie etwa der Änderung der Streitwertgrenzen, wie sie vom Land Baden-Württemberg eingebracht wurde,
eine sachgerechtere und vernünftige Beurteilung Platz greift, wie sie ja in Fachkreisen ohne Ausnahme zur Behebung eines tatsächlichen Notstandes längst gefordert wird.
Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz wird ein Vertrag nicht allein sein individuelles Gepräge nach der prozeßrechtlichen Seite hin zurückerhalten, wie dies der Gesetzgeber einst gewollt hat. Von die-
ser gesetzlichen Regelung wird darüber hinaus unweigerlich auch eine Warn- und Aufklärungsfunk-lion ausgehen, es mit allzu einseitigen sonstigen Geschäftsbedingungen nicht zu überziehen, wie dies mit Haftungsbegrenzungen, Haftungsfreizeichnungen, Vertragsstrafenklauseln, Vereinbarungen über Eigentumsvorbehalt zu vollen Lasten der Käufer leider zu oft in Kauf- und Lieferverträgen geschehen ist. Bei mangelnder Selbstdisziplin der Unternehmen könnte sonst der staatliche Kontrolleur über solche Vertragsbedingungen heraufbeschworen werden, wie er auf dem letztjährigen rechtspolitischen Kongreß der SPD in Braunschweig, von der ASJ Südbayerns erneut und jüngst auch von der Arbeitskammer in Bremen ja schon gefordert wurde. Dadurch würde aber nur ein neuer staatlicher Dirigismus inthronisiert, und letztlich würde womöglich der Preiskommissar unseligen Angedenkens zu neuem Leben erweckt.
Die Verabschiedung dieses Gesetzes möge daher ein gutes Beispiel dafür werden, daß die berufenen Kräfte in unserem Volke, die es mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ernst meinen, immer auf der Wacht sind, sichtbare Schwierigkeiten baldigst in Ordnung zu bringen, wo immer dies erforderlich ist.
Die CDU/CSU-Fraktion wird dem Entwurf zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion stimmt dem vorliegenden Entwurf zu. Meine beiden Vorredner haben die Einzelheiten bereits dargelegt. Ich kann mich deshalb auf einige grundsätzliche Bemerkungen beschränken.
Der Haupteinwand gegen den vorliegenden Entwurf war der, daß hier in einer möglicherweise unzulässigen Weise in die Vertragsfreiheit eingegriffen werde. Ich glaube, wenn man die Dinge nüchtern abwägt, wird man diese Bedenken nicht teilen können. Wir stehen doch vor der Situation, daß bei einer Vielzahl von Verträgen jene zitierte Vertragsfreiheit eine bloße Fiktion darstellt. Rechtlich und im Geschäftsleben versierte Partner nehmen eine Gerichtsstandsvereinbarung in ihre Geschäftsbedingungen auf. Der andere, im Zweifel wirtschaftlich schwächere, jedenfalls aber geschäftsungewandte Vertragspartner akzeptiert dies, und zwar häufig nicht nur in Unkenntnis der Tatsache, daß es später zu einem Rechtsstreit kommen könnte, sondern auch in Unkenntnis der Tatsache, daß ein Rechtsstreit gegen ihn vor einem anderen Gericht als dem Gericht an seinem Wohnsitz geführt werden könnte.
Ich glaube, daß man umgekehrt überall dort — und dem hat der Entwurf Rechnung getragen — der Vertragsfreiheit Raum geben soll, wo sich Partner gegenüberstehen, die über das Wesen des Gerichtsstandes orientiert sind und bei denen sich häufig ein nicht unbeträchtlicher Teil der Vertragsverhandlun-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4317
Engelhard
gen gerade auf diese Frage bezieht. Insoweit ist es richtig, daß man um der klaren Abgrenzung willen — notwendigerweise etwas schematisiert — Vollkaufleute und andere in diese Regelung nicht mit einbezogen hat.
Der einzelne Geschäftsungewandte ist auch dann zur Disposition im Sinne der Vertragsfreiheit in der Lage und kann über die Frage des Gerichtsstands auch künftig Vereinbarungen treffen, wenn die Streitigkeit bereits entstanden ist und er über die Tragweite seiner Willenserklärung informiert ist. Das gilt auch im Mahnverfahren, wo es bei ihm liegt, ob er durch seinen Widerspruch oder Einspruch die Sache an sein Wohnsitzgericht bringen will; er kann aber auch ausdrücklich wünschen, daß vor dem angerufenen Gericht verhandelt wird.
Das Ärgerliche — das muß ganz klar gesehen werden — über die materiellen Folgen der bisherigen Regelung hinaus war doch einfach, daß hier in einem formalistischen Automatismus Entscheidungen in der Sache selbst getroffen worden sind. Allen Belehrungen zum Trotz ist aber dem einzelnen Bürger nicht klarzumachen, daß das Prinzip des rechtlichen Gehörs hier nicht wie gegenüber anderen Behörden durch eine eingehende schriftliche Darlegung ausgeschöpft werden kann, die dem angegangenen, meist weit entfernten Gericht gegeben wird, sondern daß es hier der persönlichen Anwesenheit oder der Vertretung durch einen Prozeßbevollmächtigten bedarf. Wenn alle diese schriftlichen Darlegungen Makulatur sind, wird das Rechtsempfinden des einzelnen Bürgers gestört, und es fehlt genau jene Volksnähe, die man von dem gesamten Rechtswesen in unserem Staat ganz einfach erwarten muß.
Ich frage mich manchmal — das ist eine Anmerkund hierzu —, ob wir dieser notwendigen Volksnähe bei allen Bemühungen, den Verbraucher, den geschäftsungewandten Partner im Geschäftsverkehr stärker zu schützen, auch immer hinreichend Rechnung tragen, oder ob wir nicht stellenweise in den Fehler verfallen, so perfekte Regelungen bringen zu wollen, daß der einzelne betroffene Bürger sie wiederum gar nicht in sich aufnehmen kann und eines Experten bedarf, der ihn berät und darüber aufklärt, was bereits alles zu seinem Schutz im einzelnen unternommen worden ist.
Wir .sollten das ganz kritisch sehen. Daß aber hier mit dem vorliegenden Entwurf etwas Machbares getan wurde, das dem von uns allen vertretenen Anliegen auch in der Praxis dienen wird, darüber freuen wir uns, und wir sagen ja dazu.
Für den Freistaat Bayern hat das Wort Herr Minister Dr. Held.
Dr. Held, Minister des Landes Bayern: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Gestatten Sie mir einige kurze Bemerkungen zur Bedeutung des vorliegenden Gesetzentwurfs.
Die Regelung unserer Zivilprozeßordnung über die Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen stammt aus dem vorigen Jahrhundert. Überörtliche Geschäfte waren damals selten. Entsprechend gering war die praktische Bedeutung von Gerichtsstandsvereinbarungen. Heute treten weite Teile der Bevölkerung beim Erwerb von Konsumgütern und bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen mit Geschäftspartnern in Verbindung, die ihre zentrale Niederlassung weit entfernt vorn Wohnsitz des Kunden haben. Regelmäßig erhalten die Verträge dann Klauseln über Erfüllungsort oder Gerichtsstand, durch die der allgemeine Gerichtsstand der ZPO, der Gerichtsstand am Wohnsitz des Schuldners, abbedungen wird. Bei den Massengeschäften des täglichen Lebens hat der Bürger praktisch meist keine Möglichkeit, sich einer solchen Klausel zu widersetzen. Viele unserer Bürger verstehen auch nicht, was eine so geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung im Streitfall dann bedeutet. Immer wieder hören wir von unseren Richtern, wie einzelne Bürger am Recht verzweifeln, wenn sie vor einem weit entfernten Gericht verklagt werden und hören müssen, daß es nicht genügt, die Einwendungen gegen die Klage schriftlich vorzubringen. Gerade für den geschäftlich weniger gewandten Bürger, der sich nicht entschließen kann, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, ist es wichtig, daß er den ihm zustehenden Rechtsschutz an seinem Wohnsitzgericht erhält.
Nicht zuletzt um das Vertrauen dieser unserer Mitbürger in den Rechtsstaat zu erhalten, hat der Bundesrat auf Initiative der Bayerischen Staatsregierung schon in der vergangenen Legislaturperiode vorgeschlagen, daß die Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen einschneidend beschränkt wird. Die Einzelheiten haben Ihnen die Herren Berichterstatter ausreichend hier vorgetragen.
Ich freue mich, daß die Bundesregierung ihren anfänglichen Widerstand aufgegeben hat und jetzt bei den Beratungen im Rechtsausschuß tatkräftig mitgewirkt hat, um den Entwurf in einigen Randfragen noch zu überarbeiten. Ich freue mich, daß im Rechtsausschuß auch in diesen Randfragen Übereinstimmung erzielt werden konnte. Ich freue mich natürlich ganz besonders, daß unser und des Bundesrats grundsätzliches Anliegen inzwischen von allen politischen Kräften akzeptiert wird.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Entwurf ist eine besonders wichtige Sofortmaßnahme auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes. Auf Vorschlag der Bayerischen Staatsregierung hat der Bundesrat schon mehrere solcher Sofortmaßnahmen vorgeschlagen. Ich erinnere an die bayerischen Initiativen zu § 313 BGB und zum WEG. Ich erinnere aber auch an die hessischen Initiativen zum Abzahlungsgesetz und zu § 138 BGB. Diesen Bestrebungen gemeinsam ist das Ziel, den Bürger bei seinem wirtschaftlichen Handeln rechtlich besser zu schützen.
Gerade in seiner Eigenschaft als Verbraucher hat es der einzelne im wirtschaftlichen Leben heutzutage vielfach mit Vertragspartnern zu tun, die ihm wirtschaftlich und in ihrer Kenntnis der Rechtsordnung überlegen sind. Besonders deutlich wird dies an dem
4318 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Landesminister Dr. Held
Umstand, daß der Bürger beim ganz überwiegenden Teil der Geschäfte des täglichen Lebens nicht zu frei ausgehandelten Vertragsbedingungen kontrahieren kann. Er steht vor der Alternative, sich allgemeinen Geschäftsbedingungen bzw. Formularverträgen zu unterwerfen oder auf einen Vertragsschluß ganz zu verzichten.
Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen bedarf dringend einer gesetzlichen Regelung. Ich begrüße es sehr, daß der Herr Bundesminister der Justiz auf unsere Initiative eine Kommission eingesetzt hat, die hierfür Vorschläge vorlegen wird.
Für den Bereich der Gerichtsstandsvereinbarungen kann aber nicht auf den Bericht der Kommission gewartet werden. Wie die Entwicklung der Rechtsprechung zeigt, brennt dieses Problem auch der Praxis auf den Nägeln. Die Kommission hat, wie wir hören, ebenfalls vorgeschlagen, den vorliegenden Entwurf vorzuziehen.
Es ist besonders dringlich, mit dem Recht der Gerichtsstandsvereinbarung auf das Ungleichgewicht, das sich zwischen dem Verbraucher und seinem Vertragspartner ergeben hat, zu reagieren. Wir müssen die soziale Komponente des Privatrechts zum Schutz des einzelnen Bürgers, nicht minder aber zur Erhaltung der freiheitlichen Wirtschaftsordnung selbst verstärken. Deshalb bin ich sehr dankbar, daß diese Novelle heute mit dieser großen Einmütigkeit — wie ich hoffe — hier im Bundestag verabschiedet werden kann.
,) Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Miltner.
— Da sieht man wieder die Unvollkommenheit dieses Instruments hier, das bereits die Redner für den nächsten Punkt vormerkt, ohne zu sagen, daß sie für den nächsten Punkt und nicht für diesen Punkt angemeldet sind. Meine Damen und Herren, ich kann es leider nicht abschaffen; ich täte es liebend gern.
Wir kommen damit zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Wir haben noch über den Ausschußantrag unter Nr. 2 abzustimmen, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Bundespersonalvertretungsgesetzes
— Drucksache 7/176 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/1425
Berichterstatter: Abgeordneter Walther
c) Bericht und Antrag des Innenausschusses
— Drucksachen 7/1339, 7/1373 —
Berichterstatter: Abgeordneter Volmer Abgeordneter Becker
Abgeordneter Groß
Das Wort hat der Abgeordnete Volmer als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Berichterstatter darf ich zum schriftlich vorliegenden Bericht und zum Antrag des Innenausschusses auf Drucksache 7/1339 eine redaktionelle Änderung zu Protokoll geben, die sich daraus ergibt, daß im § 67 Abs. 1 ein Satz 2 eingeschoben wurde. Anstatt auf Satz 2 muß richtig auf Satz 3 verwiesen werden.
Bei § 108 auf Seite 59 gibt es ebenfalls eine redaktionelle Änderung. Ich gebe den Vorgang hiermit zu Protokoll *).
Ich danke den Berichterstattern, den Abgeordneten Volmer, Becker und Groß, für ihren Schriftlichen Bericht.
Soll zuerst eine allgemeine Aussprache stattfinden, oder wollen Sie erst die Einzelberatung?
— Sie wollen zuerst die Anträge? — Dann rufe ich in zweiter Beratung die §§ 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 8 a, 9, 10, 11 und 12 auf. Bis dahin liegen keine Änderungsanträge vor. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Ich rufe § 13 und den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Drucksache 7/1403 Ziffer 1 auf. Das Wort wünscht der Abgeordnete Dr. Miltner.
— Das muß ich den Antragstellern überlassen. Ihre Anregung in das Ohr der Antragsteller!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde die Anträge in cumulo hier behandeln.
Ich sehe, die Anregung des Abgeordneten Dr. Schäfer ist schon aufgegriffen.
*) Siehe Anlage 2
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4319
Das zur Entscheidung anstehende Bundespersonalvertretungsgesetz wird zwar die Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion erhalten, doch muß ebenso auch deutlich gemacht werden, daß trotz manch notwendiger Fortschreibungen des geltenden Rechts diesem neuen Personalvertretungsgesetz ein wirklich neuer Gedanke und echter Fortschritt fehlen. Die Opposition belegt diese Feststellung insbesondere durch ihre 19 Anträge, die sie hier und heute stellt.
Der erste Antragskomplex umfaßt die Anträge unter den Ziffern 1, 5, 7, 8 und 10 der Antragsvorlage Drucksache 7/1403 zu den §§ 13, 33, 38, 39 und 65. Hier geht es um die Vertretung der ausländischen Beschäftigten. Wir gehen bei diesen Anträgen davon aus, daß das passive Wahlrecht zum Personalrat nur derjenige Beschäftigte hat, der auch das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag besitzt.
Ausländer im öffentlichen Dienst sollen eine eigene Vertretung erhalten, so wie wir das in § 65 ausgestaltet haben. Wir beantragen damit die Wiederherstellung des Grundgedankens des ursprünglichen Entwurfs, gehen aber in der Ausgestaltung erheblich darüber hinaus. Den ausländischen Beschäftigten wird ein Initiativrecht, Einspruchs-, Beratungs- und Teilnahmerecht an Sitzungen des Personalrats gewährt.
Wir haben uns sehr intensiv mit der Frage befaßt, ob den ausländischen Arbeitnehmern das passive Wahlrecht gegeben werden soll. Wenn wir der Überzeugung sein könnten, daß die Interessen der ausländischen Beschäftigten im öffentlichen Dienst mit dem passiven Wahlrecht besser gewahrt werden könnten, dann wären wir diesen Weg mitgegangen. Jeder Einsichtige muß aber zugeben, daß sich der ausländische Arbeitnehmer in fast allen öffentlichen Dienststellen, wenn es dort überhaupt Ausländer gibt, in einer hoffnungslosen Minderheit befindet. Wir müssen uns daher fragen, wie der ausländische Beschäftigte überhaupt eine reale Chance bekommt, in den Personalrat gewählt zu werden.
Wird es deutsche Mitarbeiter geben, die für ihre eigenen Interessen einen Ausländer zu ihrem Interessenvertreter machen wollen? Oder wieviel Ausländer werden von der Sprache her, von der Kenntnis unseres Staats- und Verwaltungsaufbaus her, von der Funktion der Verwaltung her die Fähigkeit besitzen oder wem traut man die Fähigkeit zu, die Interessen auch der deutschen Mitarbeiter mit zu vertreten? Selbst bei gutem Willen der Gruppen und Gewerkschaften, wenn diese eine Liste aufstellen, wird das Wahlergebnis mit großer Wahrscheinlichkeit so ausfallen, daß dann die ausländischen Beschäftigten keine eigene Vertretung haben werden. Aus diesem Grunde halten wir die Schaffung einer eigenen Vertretung der ausländischen Mitarbeiter für wirkungsvoller, praktischer und auch erfolgreicher. Wir betrachten das passive Wahlrecht für ausländische Mitarbeiter in unserer heutigen Lage als eine schematische, unrealistische und damit unrichtige Regelung, die dem eigentlichen Anliegen in keiner Weise gerecht wird. Wir bedauern, daß hier trotz vorhandener Unterschiede der Gleichheitssatz in seiner falschen Bedeutung Anwendung finden soll.
Wo die tatsächlichen Verhältnisse so gelegen sind wie im Falle der ausländischen Mitarbeiter, darf man eigentlich nicht so tun, als ob es sie nicht gäbe oder ob man sie überspielen könnte. Die Koalition, so meinen wir, handelt hier an der Wirklichkeit vorbei. Es ist auch schade, daß die FDP hier eher einer Lösung mit ideologischen Scheuklappen den Vorzug gibt.
Man muß nämlich bei der Macht der faktischen Verhältnisse in diesem Falle schon den Eindruck gewinnen, daß eine mangelnde Vertretung ausländischer Arbeitnehmer bewußt in Kauf genommen wird. Hier gilt wie überall der Satz, daß Reformen nur um ihrer selbst und der Sache willen durchgeführt werden dürfen, nicht um außer der Sache liegender Verhältnisse willen, sondern damit der einzelne vor Schaden bewahrt wird, nicht um eine sogenannte emanzipierte Gesellschaft zu erreichen, sondern um das Wohl des einzelnen zu sichern. Ich glaube, die Praxis des Personalvertretungsrechts wird in der Zukunft zeigen, daß unser Vorschlag für eine eigene Vertretung der Ausländer richtig ist.
Beim zweiten Antragskomplex geht es um die anteilige Berücksichtigung der im Personalrat vertretenen Gewerkschaften bzw. der Listen, und zwar im Personalvorstand und bei den Freistellungen. Unsere Anträge sind aus den Ziffern 4 und 9 auf Drucksache 7/1403 zu ersehen und betreffen die §§ 32 und 45. Wir wollen damit sicherstellen, daß die Miglieder des Personalrats aus verschiedenen miteinander konkurrierenden Wahlvorschlagslisten auch im Personalvorstand entsprechend ihrem zahlenmäßigen Anteil vertreten sind. Dieselbe Regelung soll auch bei den Freistellungen Platz greifen. Die Tätigkeit des Personalrats im Rahmen der Freistellung ist ja auch eine wesentliche Aufgabe innerhalb der Personalverfassung. Daher reicht es unter Berücksichtigung des im Gesetzentwurf durchziehenden Gruppenprinzips nicht aus, wenn die Gruppen bei der Freistellung nur angemessen, wie es im Gesetzentwurf heißt, zu berücksichtigen sind.
Wie die Praxis der vergangenen 18 Jahre gezeigt hat, gibt es immer wieder neue Streitfälle über die Auslegung des Wortes „angemessen". Das Bundesverwaltungsgericht und die unteren Gerichte haben sich in zahllosen Entscheidungen hiermit auseinandersetzen müssen. Es sollte daher unsere Aufgabe als Gesetzgeber sein, erkannte Mißstände abzustellen und nach Formulierungen zu suchen, die eine klare Abgrenzung ermöglichen. Die genannten Anträge dienen also dem notwendigen und gerechten Schutz von Minderheiten bei der Personalvertretung.
In diesen Zusammenhang gehört auch die Gleichbehandlung der im Personalrat vertretenen Gewerkschaften hinsichtlich der Teilnahme an Personalratssitzungen und hinsichtlich des Rechts zum Einreichen von Wahlvorschlägen. Diese Rechte wollen wir mit unseren Anträgen unter den Ziffern 6 und 2 zu den §§ 35 und 18 Abs. 4 erreichen.
4320 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Dr. Miltner
Der dritte Antragskomplex enthält unser Mitbestimmungskonzept. Es handelt sich um die Anträge 11 bis 16 und 18 und um die §§ 69 bis 75 a und 97. Wir sind der Auffassung, daß wir mit unserem Mitbestimmungskonzept einen echten und abgewogenen Reformschritt unternehmen. Ein echter Fortschritt wäre nämlich die Verankerung und Ausdehnung des Initiativrechts des Personalrats, und zwar auf alle Beteiligungsangelegenheiten. Wer so oft das Wort „Mitbestimmung" in den Mund nimmt, hätte auch die wesentliche Komponente, die zur Mitbestimmung gehört, nämlich das Initiativrecht, nicht unter den Tisch fallen lassen sollen.
Wir bedauern daher, wenn die Regierungskoalition unserem Antrag weder im Innenausschuß gefolgt ist, noch heute unserem Antrag im Plenum folgen sollte. Wir wollen klarstellen, daß eben ein wesentliches Merkmal von Mitbestimmung damit fehlte.
Es war und ist aber auch unser Ziel, die Unterscheidung zwischen Mitbestimmung und Mitwirkungsangelegenheiten aufzuheben. Schon die für einen normalen Sterblichen kaum zu verstehende Begriffsunterscheidung hätte eigentlich den Gesetzgeber veranlassen müssen, nur von einem einheitlichen Begriff, nämlich von der Mitbestimmung allein, auszugehen.
Unser Vorschlag geht deshalb dahin, alle verfassungsrechtlich zulässigen Mitwirkungsangelegenheiten in den Katalog der Mitbestimmung einzubeziehen. Leider fand dieser Vorschlag auch im Innenausschuß nicht die Zustimmung der Regierungskoalition. Es wäre aber ein echter Fortschritt, hätten wir im Personalvertretungsrecht nur noch die Mitbestimmungsangelegenheiten verankert.
Mit diesem Vorschlag verbanden wir ursprünglich das Ziel, auch in den seltenen Fällen der Nichteinigung zwischen der Personalvertretung und der Behördenspitze — und zwar in allen Instanzen — den Spruch der Einigungsstelle einheitlich für alle, also Beamte, Angestellte und Arbeiter, als Empfehlung an den parlamentarisch verantwortlichen Minister auszugestalten. Dies sollte der Einheitlichkeit und einer klaren politischen Verantwortlichkeit dienen.
Gleichzeitig hatten wir damit auch die Neuordnung des öffentlichen Dienstrechts im Auge, die doch wohl nur schrittweise in einer Angleichung der Rechtsverhältnisse aller Gruppen im öffentlichen Dienst erfolgen kann. Beim Bundespersonalvertretungsgesetz wäre jetzt eine Gelegenheit gegeben, die Absicht der schrittweisen Annäherung von Beamten- und Arbeitnehmerrecht im öffentlichen Dienst zu verwirklichen. Auch hier muß ich mit Bedauern feststellen, daß die Koalition nun schon zum zweiten Mal eine Gelegenheit ausläßt, diesem Ziel der Annäherung zur Verwirklichung des Gutachtens über die Neuordnung des öffentlichen Dienstrechts näherzukommen. Wir haben unseren ursprünglichen Vorschlag, einheitlich von einer Empfehlung der Einigungsstelle an die parlamentarisch-verantwortliche Stelle auszugehen, nunmehr modifiziert in der
Erwartung, daß damit auch die Koalition unserem Vorschlag der Zusammenfassung aller Mitbestimmungsangelegenheiten folgen würde. Der Vorschlag der CDU/CSU bedeutet daher, daß es im Personalvertretungsrecht des Bundes nur noch Mitbestimmungsangelegenheiten geben soll und daß die Entscheidungskompetenz im Bereich der Arbeitnehmerseite bei der Einigungsstelle verbleibt, im übrigen die Einigungsstelle eine Empfehlung gibt und dann die letzte Entscheidung beim parlamentarisch-verantwortlichen Minister liegt.
Auf einen speziellen Antrag, meine Damen und Herren, möchte ich bei diesem Komplex noch zu sprechen kommen. Der Personalrat soll auch bei Personalentscheidungen für Beamte von A 16 an aufwärts bis zu den „politischen 'Beamten" im Sinne von § 36 des Bundesbeamtengesetzes zuständig sein. Ich glaube, das Bedürfnis nach zusätzlicher Gewähr für eine objektive und gerechte Personalentscheidung hat sich gerade auch bei diesen Stellen gezeigt.
Im übrigen wird hier die Praxis legalisiert, die bereits in mehreren Ressorts ausdrücklich im Vorgriff auf die gesetzliche Neuregelung eingeführt worden ist. Ich muß daher die Kollegen der Regierungskoalition fragen, ob sie diese Praxis nunmehr mit dieser Entscheidung wieder aufheben wollen.
In diesem entscheidenden Punkt der Mitbestimmung, meine Damen und Herren, hat die CDU/CSU eine echte, fortschrittliche Lösung der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst gefunden, und sie bietet sie diesem Hohen Hause ,an.
Der vierte Antragskomplex, meine Damen und Herren, betrifft die gerichtlichen Entscheidungen im Konfliktsfall bei unserer Ständigen Vertretung bei der DDR. Mit unserem Antrag unter Ziffer 17, dem vorgeschlagenen Zusatz 'bei § 83 c, möchten wir 'das nahegelegene Verwaltungsgericht Berlin für zuständig erklären, damit den in der Ständigen Vertretung 'beschäftigten Mitarbeitern die Prozeßführung nicht vor dem Verwaltungsgericht Köln zugemutet wird.
Der letzte Antragskomplex befaßt sich mit dem Ausbau der Beteiligung von gewerkschaftlichen Spitzenorganisationen. Unter Ziffer 19 unserer Antragsvorlage ist ein neuer § 108 a vorgesehen. Wir sind der Auffassung, daß das Bundespersonalvertretungsgesetz von der Materie her und im jetzigen Zeitpunkt die Gelegenheit gibt und schafft, einen weiteren praktischen Schritt zur sachgerechten Reform des öffentlichen Dienstes zu verwirklichen. Die Beteiligung der gewerkschaftlichen Spitzenorganisationen bei der Vorbereitung von Gesetzentwürfen soll also erweitert und institutionell gefestigt werden. Zu diesem Zweck müssen das ,Beamtenrechtsrahmengesetz, das Richtergesetz und das Soldatengesetz geändert werden, damit dieses Beteiligungsrecht nicht nur für Bundesbeamte gilt, sondern auch für bundesrechtliche Regelungen, die Landes-beamte betreffen, dann für Richter und auch für Soldaten. Das Beteiligungsrecht der gewerkschaft-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4321
Dr. Miltner
lichen Spitzenorganisationen wäre mit unserem Vorschlag somit institutionell verankert.
Abschließend, meine Damen und. Herren, sei zu den Anträgen der CDU/CSU-Fraktion bemerkt: Das geltende Personalvertretungsgesetz war 1955, als es unter einer CDU/CSU-Regierung erlassen wurde, ein wichtiger und mutiger Schritt. Nach 18 Jahren praktischer Erfahrung kann sich ein ähnlich weitreichender Schritt nicht bloß in technischer Fortschreibung 'des geltenden Rechts erschöpfen. Eine echte Fortentwicklung, die auch vor wirklich neuen Einzellösungen nicht zurückschreckt, wäre notwendig. Unsere Anträge bieten, aufbauend auf den Erfahrungen mit dem geltenden Recht und ebenso auf den Überlegungen eines verantwortungsbewußten, loyalen und leistungsfähigen öffentlichen Dienstes, diese neuen Lösungen. Darum, meine Damen und Herren, stellt die CDU/CSU-Fraktion diese Anträge und bittet um Ihre Zustimmung.
Das Wort hat der Abgeordnete Liedtke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung: Wenn die Opposition pro Antrag wenigstens einen Abgeordneten hier im Saale hätte, fiele es uns leichter, die Ernsthaftigkeit ihres Wollens zu würdigen.
-- Herr Carstens, schauen Sie nicht so entsetzt!
Zweite Vorbemerkung: Da alle Anträge bis auf zwei bereits im Innenausschuß gestellt wurden und von ,der Koalition als systemwidrig und nicht in dieses Gesetz passend abgelehnt werden mußten, folgen wir nur der Logik, wenn wir sie auch heute ablehnen.
Dritte Vorbemerkung: Die Koalitionspartner sprechen jeweils nicht für ihre Fraktion, sondern für die Koalition. Das entspricht dem Stil dieser Koalition.
Nun meinen Part zur Sache.
Punkt 1: Die §§ 13, 33, 38, 65, neues Kapitel 5 befassen sich einheitlich mit der Frage: Geben wir den Gastarbeitern das passive Wahlrecht, oder geben wir es ihnen nicht? Im Gegensatz zur Opposition sind wir für die uneingeschränkte Gewährung und damit die uneingeschränkte Gleichstellung der Gastarbeiter hier in der Bundesrepublik Deutschland.
Im Gegensatz zum alten Gesetz wollen wir für die Zukunft nicht, daß sie in dieser Gesellschaft bei uns als Passagiere der Touristenklasse zweitrangig mitfahren. Jede spezifische Sonderausstattung unter
Vorenthaltung des passiven Wahlrechts, wie die Opposition sie vorschlägt, stempelt diese Leute mit dem Etikett der Besonderheit; sie macht sie ungleich. Wir lehnen das ab. — Ja bitte!
Herr Kollege Liedtke, ist Ihnen klar, daß dann viele Gastarbeiter, weil sie zu wenige sind, in vielen Personalräten nicht vertreten sind — im Gegensatz zu unserer Lösung?
Ist Ihnen klar, daß Sie den Gastarbeiter, wenn Sie ihn dem deutschen Arbeiter gleichstellen wollen, nicht unterhalb der Wählbarkeit mit Sonderrechten, die in Wirklichkeit Sondereinschränkungen sind, ausstatten können?
Können Sie mir einen Beweggrund dafür nennen, daß Sie im Betriebsverfassungsgesetz den Gastarbeitern die Gleichheit gewähren, sie ihnen aber im Personalvertretungsgesetz, also im öffentlichen Dienst, vorenthalten wollen? Ich sehe keinen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Groß?
Bitte sehr.
Herr Kollege Liedtke, würden Sie so freundlich sein, den Kollegen Franke darauf aufmerksam zu machen, daß in einigen Ländern, die von der CDU regiert werden, die gleichen Regelungen, wie wir sie hier vorschlagen, in den Personalvertretungsgesetzen bereits verankert sind?
Schönen Dank für den Hinweis.
— Ich sagte ja: Schönen Dank für den Hinweis, da ich nicht sicher bin, ob Sie angesichts der Unterschiedlichkeit in Ihren Ländern wissen, was dort jeweils geschieht.
— In Nordrhein-Westfalen — da kommen wir beide her — wissen Sie es vielleicht.
Ich komme zum nächsten Punkt: § 27. Hierzu beantragt die Opposition, daß einem Personalratsmitglied durch das Verwaltungsgericht das passive Wahlrecht für eine Zeit bis zu drei Jahern aberkannt werden kann. Wir halten das nicht nur für eine unzumutbare Einschränkung des passiven Wahlrechts, wir würden es auch für urkomisch halten, wenn der Bürger X zwar die Wählbarkeit für den Deutschen Bundestag besäße, nicht aber für den Personalrat in seinem Wahlkreis. Wir lehnen jede Differenzierung und Einschränkung des passiven Wahlrechts ab. Wir meinen auch, es sei eine Einschränkung des aktiven Wahlrechts, wenn das Gericht gewisse Personen ausschließen kann. Sie setzen auf die Klugheit der Gerichte; wir setzen hier
4322 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Liedtke
auf das gesunde Urteil der Bediensteten, schon die richtigen Leute für die Personalräte zu benennen.
- Wir setzen auch auf die Frauen, nicht nur auf die Männer!
Nicht bei uns, vielleicht bei Ihnen!
Ich komme zum nächsten Paragraphen, zu § 83 c und zum Änderungsantrag Ziffer 17 a und b. Wir sind uns einig, daß es hier um den Grundsatz geht: Ist die Vertretung in der DDR eine Auslandsvertretung oder nicht? Wir sind uns im Grundsatz einig: Sie ist keine Auslandsvertretung, keine Vertretung wie in irgendeinem Lande der Welt. Soweit besteht Einvernehmen. Der Kanzler nennt das die besonderen Verhältnisse, die sich auch in den besonderen Verträgen zwischen uns und der DDR ausdrücken, welche — zwar jenseits Ihrer persönlichen Zustimmung, aber, wie wir meinen, mit Erfolg -- praktiziert werden und deswegen für Sie vielleicht nicht in allen Fällen so einsichtig sein mögen.
Nun versuchen Sie gar, über das Personalvertretungsgesetz mit kleinen Nadelstichen ein bißchen Außenpolitik in diesem Bereich zu betreiben. Konkret wollen Sie also das Verwaltungsgericht Köln gegen das Verwaltungsgericht West-Berlin in der Hoffnung austauschen, man könne dadurch mit so einem kleinen Piekser wieder einen kleinen willkommenen Sturm im Wasserglas erreichen. Ich bewundere Ihren Einfallsreichtum, aber Sie müßten lernen, daß Sticheleien ihrerseits bei uns in der Fortführung der Entspannungspolitik keinen Juckreiz auslösen können.
Zum Änderungsantrag Ziffer 17 b zu § 83 c, zur Stellung der Ortskräfte: Hier wissen Sie wie wir, daß wir von vier Ministerien Beurteilungen eingeholt haben, die vierfach unterschiedlich waren. Die Sicherheitsbelange wurden in sehr unterschiedlicher Weise gewertet, und so haben wir beantragt, daß uns die Bundesregierung bis zum 1. Januar 1978 einen Erfahrungsbericht über den gesamten Bereich der Vertretung außerhalb der Bundesrepublik geben soll.
Letztlich zu § 97, zu einem der beiden Anträge unter Ziffer 18: Sie halten es für sinnvoll, bei Streitigkeiten in den Ländern über den Rahmen des Personalvertretungsgesetzes eine Einigungsstelle tätig werden zu lassen. Wir würden das befürworten, halten es jedoch für unnötig. Im Schriftlichen Bericht ist erkennbar, daß dieses Gesetz keine Landesregelungen einengt. Wir haben dazu auch die Erklärung der Bundesregierung im Bundestag. Letztlich glaube ich, meine Damen und Herren, das Gesetz ist so gut, daß wir die Länder freundlich einladen können, sich in diesem Rahmen genußvoll auszudehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Groß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Koalitionsfraktionen möchte ich zu zu den Anträgen Ziffer 2 a), Ziffer 4, Ziffer 9, Ziffer 14 a) und Ziffer 19 der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 7/1403 Stellung nehmen.
Zunächst zum Antrag 2 a bezüglich § 18: Wir meinen, daß dieser Gesetzentwurf keine sonderliche Bereicherung erführe, wenn man hier statt der Verhältniswahl das Höchstzahlverfahren nach dem berühmten Herrn d'Hondt einführte. Speziell für meine Fraktion kann ich sagen, daß wir für diesen Herrn noch nie sonderliche Sympathien empfunden haben.
— Wir leben nicht von dem Herrn d'Hondt; von dem
leben wir sogar schlecht, Herr Franke. Das wissen
Sie ganz genau. Wir leben vom Verhältniswahlrecht.
— Herr Lenz, wir überleben dank der Qualität unserer Politik, und ich glaube, das dürfte in der derzeitigen Situation gar nicht schlecht sein. Meine Damen und Herren, wir lehnen diese Änderung zu § 18 ab.
Zu § 32 — das ist Ziffer 4 des Änderungsantrags
— glauben wir, daß eine entscheidende Veränderung dieser Bestimmung durch die von der Opposition beantragte Änderung nicht eintritt. Ich meine, daß deshalb diesem Antrag nicht gefolgt werden sollte.
- Ich weiß nicht, welcher der Kollegen im Augenblick in diesem Zusammenhang das Wort Demokratie brachte. Ich glaube, darüber wäre sicher bei anderer Gelegenheit des längeren und breiteren etwas zu sagen.
Nun zu § 45, der Ziffer 9 des Antrags. Dieser Antrag könnte ganze sympathisch klingen, wenn er, so meine ich, ganz genau die Realitäten berücksichtigte. Da aber die Vorschlagslisten von Gruppen und Organisationen durcheinandergehen, glauben wir sagen zu müssen, daß dieser Vorschlag realistisch nicht durchgeführt werden kann, daß infolgedessen den Beschäftigten hier Steine statt Brot gegeben werden.
Zu § 74 b, der Ziffer 14 des Antrags. Herr Miltner, entschuldigen Sie, daß ich Ihnen hier eine gewisse Inkonsequenz vorhalte: Dieser Antrag widerspricht ganz entscheidend dem, worauf Sie immer wieder mit Recht hingewiesen haben, daß nämlich die Organisationsgewalt der Regierung nicht eingeschränkt werden dürfe. Ich glaube, es braucht uns hier in diesem Saal niemand klarzumachen, daß diese Organisationsgewalt durch eine Regelung, wie Sie sie vorschlagen, ganz entscheidend berührt wird. Wir meinen, daß ein Staat, der Wert darauf legt, nicht nur parlamentarische Wahlen zu haben, sondern
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4323
Groß
auch eine parlamentarische Regierung zu haben, dieses Thema in dem Sinne behandeln sollte, wie wir es hier vorschlagen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Berger?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ist Ihnen denn nicht bekannt, Herr Kollege Groß, daß in allen Ministerien 'bis auf zwei im Vorgriff auf diese erwartete Regelung bereits Mitwirkungsrechte oberhalb von A 16 praktiziert werden?
Herr Berger, es ist natürlich nicht auszuschließen, daß Ministerien, die glauben, vielleicht sehr viel weitersehen zu können, als es das Parlament durch Beschlüsse festlegt, im Vorwege Regelungen getroffen haben. Ich meine nur, Herr Berger, daß sich die Ministerien an das zu halten haben— das wäre nur eine Variante zu dem, was ich eben in einem anderen Zusammenhang gesagt habe —, was dieses Haus beschließt, und an nichts anderes. Ich möchte auch nichts anderes sehen. Ich glaube, daß ist die übereinstimmende Meinung dieses Hauses.
Wo kämen wir hin, wenn 'die Ministerien glaubten, im Vorgriff etwas anders regeln zu sollen!
Meine Damen und Herren, ich komme dann zu
Ziffer 19 des Änderungsantrages, die nach § 108 einen § 108 a eingesetzt haben möchte. Nun glaube ich, daß es nützlich wäre, in diesem Hause sehr bald über die Reform des öffentlichen Dienstrechts und alles, was damit zusammenhängt, nämlich auch die Reform der öffentlichen Verwaltung, einmal eine intensive Debatte zu führen. Wir meinen aber, daß es nicht gut ist, ohne diese Zusammenhänge sozusagen beiläufig einen nicht unwesentlichen Punkt dieser Reform des öffentlichen Dienstrechts hier versteckt in einer Schlußbestimmung unterzubringen. Wir sind, Herr Kollege Miltner, meine Damen und Herren von der Opposition, in der Sache gar nicht weit auseinander. Wir meinen übereinstimmend, daß es notwendig ist, die Spitzenorganisationen stärker zu beteiligen. Aber alle Zusammenhänge, in die das zu stellen ist, müssen doch erst einmal auf dem Tisch liegen. Ich weiß nicht, ob die Opposition mit einem solchen Antrag sehr viel erreichen wird, wenn alle anderen Fragen, die damit zusammenhängen, ungeklärt bleiben. Deswegen nehmen wir Ihre Absicht gern zur Kenntnis, hier auch mit uns zusammen etwas zu verändern, aber glauben, daß in diesem Zeitpunkt bei dieser Gelegenheit nicht der rechte Ort dafür sei.
Eine Schlußbemerkung! Herr Kollege Miltner hat die Vorstellungen, 'die dieses Gesetz mit sich 'bringt, kritisiert. Er hat sie als nicht zulänglich bezeichnet, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, hat aber nichtsdestoweniger auch bei Ablehnung der Anträge der Opposition die Zustimmung der Opposition in Aussicht gestellt. Ich darf aus dieser Bemerkung, wenn ich sie richtig verstanden habe, nur den Schluß ziehen, daß dieses Gesetz trotz der Worte des Kollegen Miltner so unzulänglich nicht ist, auch wenn die Anträge der Opposition abgelehnt werden sollten, und um diese Ablehnung möchte ich hier — für diese Anträge, zu denen ich gesprochen habe — bitten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Farthmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zu den Einzelanträgen von Herrn Miltner komme, muß ich zu einer Bemerkung von ihm Stellung nehmen. Er hat hier den Eindruck zu erwecken versucht, als ob das Bundespersonalvertretungsgesetz von 1955 ein entscheidender Schritt nach vorn gewesen sei und als ob das neue Gesetz nur eine Art Fortschreibung des alten sei. In diesem Zusammenhang muß jedoch noch einmal eindeutig festgestellt und in Erinnerung gerufen werden, daß das Personalvertretungsgesetz von 1955 seinerzeit gegenüber dem alten Kontrollratsgesetz Nr. 22 genauso ein Rückschritt war, wie das alte Betriebsverfassungsgesetz von 1952 ein Rückschritt gegenüber dem gleichen Kontrollratsgesetz war. Den entscheidenden Durchbruch zu mehr Mitbestimmung und zu mehr Mitgestaltung hat im Bereich der privaten Wirtschaft erst das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 gebracht, das ja so weit ging — das wissen wir auch noch —, daß von Ihrer Seite nur 22 Kollegen mitstimmen konnten. Das gleiche bringt jetzt für den Bereich des öffentlichen Dienstes das Bundespersonalvertretungsgesetz in der Form, in der es Ihnen vorliegt.
Dazu sind nun einige Anträge gestellt worden; ein Teil ist schon behandelt worden, den Rest möchte ich behandeln. Der erste Antrag, den ich zu behandeln habe, betrifft eine Änderung des § 18 Abs. 4. Dabei geht es darum, daß künftig nach den Vorstellungen der CDU/CSU Gewerkschaften auch dann einen Wahlvorschlag sollen machen dürfen, wenn sie nicht ein Zehntel der Beschäftigten oder nicht wenigstens 100 Unterschriften zusammenbringen. Ich möchte mich gegen diesen Antrag aussprechen. Der eine Grund dafür ist, daß wir uns darum bemüht haben, soviel wie möglich mit dem Betriebsverfassungsgesetz zu synchronisieren, und in der Koalitionsvorlage ist die Regelung des Betriebsverfassungsgesetzes wörtlich übernommen worden. Ich halte die Lösung des Regierungsentwurfs aber auch in der Sache für richtig. — Bitte schön!
Bitte, Herr Berger!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie sprechen von der Koalitionsvorlage. Ist Ihnen denn nicht bekannt, daß die Formulierung, die jetzt von der CDU/CSU beantragt wird, wörtlich dem damaligen Genscher-Entwurf und damit auch dem Entwurf der SPD-FDP-Koalition entspricht?
4324 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Sie sollten sich darauf einstellen, daß wir jetzt den Entwurf in seiner letzten Fassung behandeln und nicht irgendwelche früheren Stadien, die in der Beratung verändert worden sind.
Nicht nur aus Gründen der Synchronisation mit dem Betriebsverfassungsgesetz, sondern auch in der Sache möchte ich mich gegen das Vorhaben der CDU/CSU aussprechen. Denn wir sind der Meinung, daß es primär Sache der Beschäftigten in der Dienststelle ist, Vorschläge für Wahlkandidaten zu machen. Wir haben früher von Ihnen in diesem Punkte auch immer andere Töne gehört, meine Damen und Herren von der Opposition. Da wurde immer die Gefahr der Steuerung von außen beschworen. Offensichtlich geht es Ihnen in diesem Fall nicht um eine Verstärkung des Einflusses der Gewerkschaften, sondern um deren Zersplitterung.
Wir sind der Meinung: Wenn eine Gewerkschaft nicht 10 °/o der Belegschaftsmitglieder oder — in einer größeren Verwaltung — wenigstens 100 Beschäftigte für eine Unterschrift zusammenbringt, hat sie auch nicht das eigenständige Recht, Wahlvorschläge zu machen.
Ich bin deswegen der Auffassung, daß dieser Antrag abzulehnen ist.
— Es geht um das Personalvertretungsgesetz, Herr Vogel. Was soll denn das? Sie wissen doch genau, daß es hier zu den Parteien keine Parallelen gibt und geben kann.
— Wir wollen doch die Beratungen nicht unnötig mit
derartigen nichtsnutzigen Zwischenrufen aufhalten.
Herr Abgeordneter, ich bitte, sich bei der Qualifikation der Zwischenrufe von Kollegen etwas zurückzuhalten.
Ich bitte um Entschuldigung, Herr Präsident.
Meine Damen und Herren, der nächste Antrag, zu dem ich sprechen wollte, betrifft § 35. In § 35 geht es um das Recht der Teilnahme von Gewerkschaftsvertretern an den Sitzungen des Personalrats. Hier wünscht die Opposition, daß dann, wenn der Personalrat beschließt, einen Gewerkschaftsvertreter
teilnehmen zu lassen, automatisch sämtliche anderen vertretenen Gewerkschaften in die Personalratssitzung einmarschieren müssen. Auch hier verweise ich zunächst auf den Gesichtspunkt der Synchronisation mit dem Betriebsverfassungsgesetz. Auch dort haben wir die Regelung, daß jeweils ein Viertel oder jeweils die Mehrheit einer Gruppe beschließen kann, daß eine bestimmte Gewerkschaft mit beratender Stimme hinzugezogen werden soll. Wir glauben, daß sich diese Regelung auch für das Personalvertretungsgesetz eignet. Die Automatik, die von der CDU/ CSU gewünscht wird, würde wegen ihrer Starrheit nur zur Behinderung der Beratungen im Personalrat führen; denn es können durchaus auch einmal Gesichtspunkte behandelt werden, die sich unter Umständen gerade gegen eine der dann automatisch hinzugezogenen Organisationen richten. Im übrigen sage ich an dieser Stelle ausdrücklich: in der Praxis sollte man in diesem Punkt großzügig verfahren; Gewerkschaften sollten nicht aus formalen Gründen von der beratenden Teilnahme an Personalratssitzungen ausgeschlossen werden, wenn sie im Rahmen der notwendigen Kooperation relevant sind.
Meine Damen und Herren, der dritte Antragskomplex, wie ich ihn jetzt bezeichnen muß, beschäftigt sich mit dem, was Herr Miltner mit großer Liebe dargestellt hat, nämlich mit dem Antrag der Opposition, die Mitwirkungsrechte in Mitbestimmungsrechte umzuwandeln. Zunächst muß ich darauf hinweisen, daß der Entwurf des Personalvertretungsrechts im jetzigen Stadium drei verschiedene Beteiligungsformen vorsieht, nämlich die echte Mitbestimmung mit der Konsequenz der verbindlichen Entscheidung der Einigungsstelle, zweitens die sogenannte modifizierte Mitbestimmung, bei der die Einigungsstelle nur ein Empfehlungsrecht hat und keine verbindlichen Entscheidungen treffen kann, und drittens die Mitwirkung, bei der es gar keine Einigungsstelle gibt. Die CDU/CSU möchte jetzt das, was in diesem Dreiklang „Mitwirkung" genannt wird, auf die zweite Stufe der modifizierten Mitbestimmung heben. Diese ist aber gar keine Mitbestimmung im eigentlichen Sinne des Wortes. Der einzige sachliche Unterschied zwischen der sogenannten modifizierten Mitbestimmung und der Mitwirkung besteht darin, daß eine Einigungsstelle eingeschaltet wird, die eine Empfehlung geben kann, an die der Dienststellenleiter aber nicht gebunden ist. Dadurch tritt zunächst einmal nichts weiter als eine Verzögerung ein. Das kann in dem einen oder anderen Punkt durchaus im Interesse einer besseren Behandlung der Angelegenheit liegen. Deswegen gibt es auch Punkte in dem Entwurf, die wir der sogenannten modifizierten Mitbestimmung unterworfen haben.
Eine grundsätzliche Überlegung ist jedoch in diesem Zusammenhang notwendig. Im öffentlichen Dienst darf es nie dahin kommen, daß die Selbstbestimmung des Bürgers durch die Mitbestimmung der Beschäftigten außer Kraft gesetzt wird. Das bedeutet, daß die Durchsetzung des politischen Willens der demokratisch legitimierten Institutionen durch Mitbestimmung nicht behindert werden darf. Darüber sind wir uns hoffentlich auch mit denjenigen
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4325
Dr. Farthmann
einig, die zur Zeit, Gott sei Dank, nicht an den Regierungshebeln sitzen.
— Das kann ich verstehen, Herr Kollege Müller.
Wenn man das anerkennt, meine Damen und Herren von der Opposition, wird auch die Entscheidung ,des Bundesverfassungsgerichts verständlich, das in diesem Zusammenhang gesagt hat — dieser Rechtsgedanke ist auch in § 97 des Entwurfs niedergelegt —, daß die Organisationsgewalt der politischen Exekutive nicht entzogen werden darf. Unter Berücksichtigung dessen haben wir, so glaube ich, mit unserem dreifach abgestuften Beteiligungsrecht eine ausgewogene Lösung für den öffentlichen Dienst gefunden. In dieser Lösung sind beide Gesichtspunkte berücksichtigt: eine optimale Mitwirkungs- und Mitgestaltungsmöglichkeit ,der Beschäftigten im öffentlichen Dienst und eine leistungsfähige Verwaltung im Interesse der Bürger. Von der Beachtung dieses zweiten Gesichtspunktes lassen wir uns und lasse ich mich auch durch Gründe der politischen Optik nicht abbringen.
Meine Damen und Herren, die vorstehenden Ausführungen betreffen die Ziffern 11, 13, 15 und 16 des Änderungsantrages der Opposition auf Drucksache 7/1403 Ich betrachte die Anträge unter diesen Ziffern hiermit als erledigt.
und bitte Sie, alle diese Anträge abzulehnen.
Der vierte Komplex, den ich noch kurz ansprechen möchte, betrifft § 69 a. Dort geht es um das Initiativrecht des Personalrats. Ich erinnere auch in diesem Zusammenhang an die Beratungen zum Betriebsverfassungsgesetz. Damals wollte die CDU/CSU im Bereich 'der privaten Wirtschaft einen Unterschied zwischen Mitbestimmung mit Initiativrecht und Mitbestimmung ohne Initiativrecht machen. Damals haben wir uns zu der These bekannt: Wo es Mitbestimmung gibt, muß es auch Initiativrechte geben. Damals haben Sie das abgelehnt. Seltsamerweise wollen Sie heute, da es um den öffentlichen Dienst geht, diesen Unterschied beseitigen. Anders ausgedrückt: Sie wollen dem öffentlichen Dienstgeber etwas zumuten, was Sie dem privaten Arbeitgeber offenbar nicht zumuten zu können gemeint haben. Ich verweise deshalb noch einmal auf den von mir schon oben angesprochenen Gesichtspunkt, daß die Organisationsgewalt der politischen Exekutive nicht entzogen werden darf. Aus 'diesem Grunde sehen wir uns nicht imstande, in den vier Punkten, die alle personelle Maßnahmen betreffen, das Initiativrecht anzuerkennen. Ich bitte deshalb, den Antrag der Opposition hierzu aus ,dem gleichen Grunde wie vorhin abzulehnen.
Meine letzte Bemerkung betrifft § 74b. Es geht hier um ,den berühmten Versagungskatalog bei personalpolitischen Maßnahmen. Ich muß offen sagen,
daß ich zunächst Schwierigkeiten gehabt habe, die etwas unklare Formulierung des Oppositionsantrages zu verstehen. Es ging jedenfalls bisher nie darum, festzulegen, wann der Personalrat widersprechen sollte. Wann er widersprechen sollte, muß er selber wissen. Es liegt allein in seiner Autonomie, darüber zu entscheiden, wann er widersprechen möchte und wann er nicht widersprechen möchte. Das Problem, um ,das es geht und um das es auch immer gegangen ist, ist, ob es eine Grenze gibt, von der an die Zustimmungsverweigerung nicht mehr wirksam sein darf. Ich weiß nicht, ob der Oppositionsantrag dieses Ergebnis erreichen will. Wenn damit tatsächlich bezweckt sein sollte, dem Personalrat auch in den hier anstehenden Fragen ein uneingeschränktes Recht zu geben, seine Zustimmung zu versagen, dann bekenne ich mich unter den oben genannten Gesichtspunkten eindeutig dazu, eine solche Regelung abzulehnen. Ich bekenne mich dazu aus den Gründen der Erhaltung der Effektivität der Verwaltung und der Gewährleistung der Organisationsgewalt für die politische Exekutive.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie deshalb, auch diesen Antrag der Opposition abzulehnen.
Wird des weiteren das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über Ziffer 1 des Änderungsantrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/1403. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen dann über § 13 in der Ausschußfassung ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe.
— Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe die §§ 14, 15, 16 und 17 auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe § 18 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 7/1403 unter Ziffer 2 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Der Antrag ist begründet.
— Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zu § 18 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe §§ 19 bis 26 auf. Soweit liegen keine Änderungsanträge vor. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
4326 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Vizepräsident Dr. Jaeger
Wir kommen zu § 27. Dazu liegt der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Drucksache 7/1403 Ziffer 3 vor. Der Antrag ist begründet. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer diesem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; abgelehnt.
Ich rufe § 27 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe §§ 28 bis 31 auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe § 32 und dazu den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Drucksache 7/1403 Ziffer 4 auf. Der Antrag ist begründet. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über § 32 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe § 33 und vom gleichen Änderungsantrag die Ziffer 5 auf, die ebenfalls begründet ist. — Das
Wort wird ebenfalls nicht gewünscht. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. -- Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse jetzt über § 33 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe § 34 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe § 35 und von dem schon mehrfach erwähnten Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU die Ziffer 6 auf. Der Antrag ist begründet. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse über § 35 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe §§ 36 und 37 auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe § 38 und von dem erwähnten Änderungsantrag die Ziffer 7 auf. Der Antrag ist begründet. -- Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Änderungsantrag Ziffer 7 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegen-
probe. Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse über § 38 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Wir kommen zu § 39 mit dem Änderungsantrag Ziffer 8. Die Begründung des Antrags ist erfolgt. — Eine Aussprache wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag Ziffer 8 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse über § 39 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe §§ 40 bis 44 auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Wir kommen zu § 45 und dem Änderungsantrag Ziffer 9. Der Antrag ist begründet. — Aussprache wird nicht gewünscht. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Ziffer 9 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist wieder die Mehrheit; abgelehnt.
Ich lasse über § 45 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe §§ 46 bis 64 auf. - Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. -- Ich bitte um die Gegenprobe. Es ist so beschlossen.
Wir kommen zu dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Ziffer 10 auf Einfügung eines fünften Kapitels nach § 64. Der Antrag ist begründet. --- Aussprache wird nicht mehr gewünscht. Wer dem Änderungsantrag Ziffer 10 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um 'das Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. -- Abgelehnt.
§ 65 entfällt.
Ich rufe nunmehr §§ 66 bis 68 auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe § 69 und von dem Änderungsantrag die Ziffer 11 auf. Auch dieser Antrag ist begründet. — Das Wort wird wieder nicht gewünscht. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Ziffer 11 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zu § 69 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. -- Es ist so beschlossen.
Ich komme zu § 69 a und dem Änderungsantrag Ziffer 12. Das ist wieder der gleiche Sachverhalt;
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4327
Vizepräsident Dr. Jaeger
ich kann abstimmen lassen. Wer dem Änderungsantrag Ziffer 12 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Abgelehnt.
Ich lasse über § 69 a in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich komme zu § 70. Kein Änderungsantrag. Wer dem Paragraphen zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. Es ist so beschlossen.
Ich komme zu § 71 und dem Änderungsantrag Ziffer 13. Der gleiche Sachverhalt. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion .der CDU/CSU Ziffer 13 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich komme zu § 71 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, Iden bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich komme nunmehr zu §§ 72, 73, 74 und 74 a. Keine Änderungsanträge. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich komme zu § 74 b und dem Änderungsantrag Ziffer 14. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich lasse über Ziffer 14 abstimmen. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich lasse über § 74 b in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich komme zu § 75 und idem Änderungsantrag Ziffer 15. Wieder keine Wortmeldung. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit abgelehnt.
Wer § 75 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich komme zu § 75 a und dem Änderungsantrag Ziffer 16. Gleicher Sachverhalt. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe bitte! — Mit Mehrheit abgelehnt.
Wer § 75 a in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe §§ 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 83 a, 83 b auf. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich komme zu § 83 c und dem Änderungsantrag Ziffer 17. Der Antrag ist begründet. Eine Aussprache wird nicht gewünscht. Wer dem Änderungsantrag Ziffer 17 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit abgelehnt.
Wer § 83 c in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Mit Mehrheit beschlossen.
Ich komme nunmehr zu den §§ 84 und 85. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich komme nunmehr zu dem Änderungsantrag Drucksache 7/1410 der Abgeordnete Müller , Katzer, Dr. Blüm, Vogt, Russe, Orgaß und Genossen.
Zur Begründung hat .das Wort der Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lange genug haben die Koalitionsparteien gebraucht, um einen völlig unzureichenden Entwurf eines Bundespersonalvertretungsgesetzes der Bundesregierung aus der 6. Legislaturperiode,
der bekanntlich auf die heftigste Kritik der Gewerkschaften und der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes gestoßen war, zu beraten. Das werden Sie wohl nicht bestreiten können.
Sie haben in der 6. Legislaturperiode, meine Damen und Herren, diese Schwierigkeiten nicht ausräumen können, so daß Sie selbst als Koalitionsfraktionen den ursprünglichen Regierungsentwurf eines Bundespersonalvertretungsgesetzes dann als Ihren eigenen Entwurf unmittelbar nach der Bundestagswahl 1972 wieder einbrachten. Wer aber geglaubt hätte, damit wären die Schwierigkeiten für ein fortschrittliches Personalvertretungsgesetz überwunden gewesen, der wurde eines anderen belehrt.
Immerhin ist anzuerkennen, daß es nicht zuletzt den intensiven Bemühungen der Organisationen der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes gelungen ist, ein einigermaßen annehmbares Konzept für die Beratungen des heutigen Tages in der zweiten und dritten Lesung zu erreichen. Wir haben sehr frühzeitig in Leitsätzen die Grundvoraussetzungen dargelegt, an denen ein solches fortschrittliches Personalvertretungsgesetz gemessen wird.
In den Beratungen des Innenausschusses, vor allem aber im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung als mitberatendem Ausschuß haben wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Grundnorm aufgestellt, daß die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes hinsichtlich der Mitwirkung und der Mitbestimmung nicht schlechter gestellt sein dürfen als die Arbeitnehmer, die unter den Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes fallen.
Wir haben verlangt, den Entwurf des Bundespersonalvertretungsgesetzes mit seiner Auswirkung auf die Personalvertretungsgesetze der Länder im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes überall dort zu ändern, wo nicht zwingende Gründe des öffentlichen Dienstes einer absoluten Angleichung im Wege stehen. Herr Kollege Farthmann, ich glaube nicht, daß hinsichtlich des Initiativrechts solche zwingenden Gründe vorhanden sind.
4328 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Müller
Einer der Punkte, die wir in dem Entwurf der Koalitionsparteien als völlig unbefriedigend angesehen haben und auch jetzt noch ansehen, ist die Regelung der Personalvertretung für die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten, sowohl für die bundesunmittelbaren Anstalten als auch für diejenigen Rundfunk- und Fernsehanstalten, die den Ländergesetzen zugeordnet sind. Diese zweifellos vorhandene Lücke wollen wir mit dem vorliegenden Änderungsantrag schließen.
Die Absätze 1 bis 5 in dem vorgeschlagenen § 85 a sind mehr formeller Art. Sie sollen sicherstellen, daß Bedienstete im Sinne des Personalvertretungsgesetzes die Arbeitnehmer der Rundfunkanstalten einschließlich der arbeitnehmerähnlichen Personen und der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten sind.
Hier, meine Damen und Herren, weise ich besonders auf die Bezeichnung „arbeitnehmerähnliche Personen" hin. Ich will in diesem Zusammenhang nur andeuten, daß die meisten freien Mitarbeiter bei den Rundfunk- und Fernsehanstalten bei der Absicherung ihrer Beschäftigungsmöglichkeiten und in ihrem sozialen Status außerordentlich benachteiligt sind. Wir wollen mit diesem Antrag sicherstellen, daß die freien Mitarbeiter in den vollen Schutz des Personalvertretungsgesetzes einbezogen werden.
Die weiteren Absätze in dem von uns beantragten § 85 a dienen der rechtlichen Klarstellung über die Dienststelle, den Leiter der Dienststelle und Fragen der Wählbarkeit zum Personalrat.
Eine größere Bedeutung kommt dem von uns beantragten § 85 b zu. Der Wortlaut dieses Paragraphen ist im wesentlichen dem Personalvertretungsgesetz für das Saarland entnommen, einem Personalvertretungsgesetz, dem das Attribut „fortschrittlich" bestimmt zugeordnet werden kann. Wir wollen mit der Einfügung dieses § 85 b erreichen, daß der Personalrat in der dort festgelegten Form an den Sitzungen des jeweiligen Rundfunkrates mit beratender Stimme teilnehmen kann. Ihm soll Gelegenheit gegeben werden, in den Ausschüssen des Rundfunkrates und des Verwaltungsrates die Auffassung der Personalvertretung darzulegen, wenn personelle oder soziale Angelegenheiten der Rundfunkanstalten behandelt werden.
Besondere Schwierigkeiten haben sich in den vergangenen Jahren für diejenigen Mitarbeiter der Rundfunk- und Fernsehanstalten ergeben, die im Prgrammbereich tätig sind. Einige Rundfunk- und Fernehanstalten haben einen schwachen Versuch gemacht, diese Frage durch Redakteurausschüsse zu lösen, ohne jedoch für solche Redakteurausschüsse bessere Arbeitsregelungen oder den Schutz der Mitarbeiter im Programmbereich festzulegen. Zum Teil arbeiten diese Redakteurausschüsse an den Personalräten vorbei, zum Teil gibt es eine lose Zusammenarbeit.
Wir wollen nun mit dem vorliegenden Antrag erreichen, daß der Personalrat, gegebenenfalls durch Abschluß einer Dienstvereinbarung, bei der Festlegung besonderer Arbeitsregeln für die Mitarbeiter im Programmbereich mitzuwirken hat. Der
Personalrat soll auch für die Angelegenheiten der Mitarbeiter im Programmbereich einen Ausschuß bilden, in dem außer einigen Mitgliedern des Personalrats sowohl festangestellte als auch freie Programm-Mitarbeiter tätig sein sollen. Die Aufgabe eines solchen Ausschusses soll es ein, die Zweifelsfragen oder Meinungsverschiedenheiten, die sich aus der Tätigkeit der Programm-Mitarbeiter ergeben können, mit dem Intendanten zu klären.
Wir sind allerdings der Meinung, daß bei einer Nichteinigung nicht der Intendant, sondern der Verwaltungsrat oder der Fernsehrat endgültig entscheiden soll. Ich habe mir sagen lassen, daß die Intendanten der deutschen Rundfunk- und Fernsehanstalten die letzten „regierenden Fürsten" in Deutschland seien. Also müssen auch hier klare Verhältnisse geschaffen werden, daß die gewählten Verwaltungs- und Fernsehräte bei Differenzen mit den Mitarbeitern aus dem Programmbereich letztlich entscheiden.
In einem dritten Punkt beantragen wir, daß die Personalvertretungen für die Landesrundfunk- und -fernsehanstalten nach den Grundsätzen der §§ 85 a und b in gleicher Form zu regeln sind. Es ist unser Bestreben, mit diesem Antrag zu erreichen, daß alle Mitarbeiter der Rundfunk- und Fernsehanstalten, gleichgültig ob sie in Bundes- oder Landesanstalten tätig sind, in gleicher Weise in den vollen Geltungsbereich und damit den vollen Schutz des Personalvertretungsgesetzes einbezogen werden.
Ich bitte Sie um die Zustimmung zu diesem Antrag, den ich in den Ausschußberatungen des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung bereits angekündigt habe, weil der Bundestag mit dem Personalvertretungsgesetz auch einen wichtigen Beitrag für die Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Rundfunk-und Fernsehanstalten leisten kann, der bisher in dem jetzt vorliegenden Antrag des Ausschusses nicht enthalten ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Glotz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf die polemischen Eingangsbemerkungen des Herrn Kollegen Müller nicht eingehen, weil dieser Antrag in der Tat sehr ernster Diskussionen wert ist. Herr Kollege Müller (Remscheid), wir haben Verständnis dafür — lassen Sie mich das einfach sagen —, daß die Sozialausschüsse in Mitbestimmungsfragen was immer es betrifft: die Unternehmensebene oder auch das Personalvertretungsrecht — ein gewisses Nachholbedürfnis haben. Nur müssen Sie das in Ihrer eigenen Fraktion und Partei abklären.
Zu dem Antrag lassen Sie mich sagen: Der Antrag bringt ein Anliegen auf den Tisch, das ganz ohne Zweifel wichtig ist. Wir sind der Meinung, daß das
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4329
Dr. Glotz
Anliegen in der Tat einer Lösung bedarf. Wir sind der Meinung, daß die Lösungen, die heute dazu gegeben sind, noch nicht ausreichend sind.
Wir können, Herr Kollege Katzer, aus folgenden Gründen nicht zustimmen. Wir haben, wie Sie wissen, den Regierungsentwurf in den Beratungen, gerade was die Mitbestimmung der Mitarbeiter in Rundfunkanstalten betrifft, geändert. Wir haben jetzt die volle Anwendung des Personalvertretungsgesetzes für alle Mitarbeiter der Rundfunkanstalten mit einer Ausnahme, die wir zusätzlich in § 69 verankert haben. Diese Ausnahme betrifft diejenigen, die ganz besonders an der Programmgestaltung mitwirken. Wir haben das dann noch im Ausschußbericht definiert: Das sind nur diejenigen, die außertarifliche Verträge haben. Für alle anderen zieht das Personalvertretungsgesetz also voll durch.
Die Einzelheiten der Klarstellungen, was die oberste Dienstbehörde usw. ist, sind selbstverständlich. Sie wären nicht schädlich. Aber auch diejenigen unter uns, die gemeint haben, daß solche Bestimmungen eingefügt werden sollten, mußten sich von dem Argument überzeugen lassen, Herr Kollege Müller, daß man bei dem Gesamtgesetzeswerk so weit wie möglich verhindern sollte, zuviel Sonderbestimmungen einzufügen.
Dies war das Hauptmotiv, daß diese zusätzlichen unstrittigen Einzelheiten — Moment, das betrifft jetzt nur § 85 a — nicht extra geregelt werden.
Nun komme ich zu dem ganz besonderen und wichtigeren Abschnitt: § 85 b. Hier muß ich einfach verweisen auf die Gesamtdiskussion, die wir zur Zeit in der Medienpolitik führen und die wir in diesem Hause am Beispiel des Presserechtsrahmengesetzes noch sehr viel ausführlicher werden führen müssen. Ich verweise beispielsweise auf das letzte für dieses ganze Thema sehr einschlägige Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum niedersächsischen Vorschaltgesetz, in dem klargemacht wird, welchen Unterschied es gibt zwischen der Personalvertretung auf der einen Seite und — jetzt für den Hochschulbereich der akademischen Selbstverwaltung auf der anderen Seite, und in dem diese Formen der Mitbestimmung auseinandergehalten werden. An diese Grundsätze wird man sich wohl auch bei Rundfunkanstalten halten müssen. Derselbe Art. 5 des Grundgesetzes, der ja in einem anderen Absatz für Hochschulen gilt, legt dieses Grundrecht beispielsweise auch für Rundfunkanstalten fest.
Das heißt also, wir gehen davon aus — ich glaube, wir müssen davon ausgehen —, daß diese besonderen Mitbestimmungsrechte, so, wie wir uns das vorstellen, über das hinausgehen müssen, was etwa für Zeitungen im Betriebsverfassungsgesetz oder aber hier im Personalvertretungsrecht geregelt wird, weil Rundfunkanstalten unter einem besonderen Schutz des Art. 5 stehen. Wir glauben, daß diese Fragen —
das betrifft nun alles das, Herr Kollege Müller , was in Ihrem Gruppenantrag zu § 85 b geregelt ist — in den Rundfunkgesetzen der Länder geregelt werden müssen oder aber — für die beiden Rundfunkanstalten des Bundesrechts — in dem Gesetz über Deutschlandfunk und Deutsche Welle.
Wenn Sie uns unterstützen, meine Damen und Herren von der CDU, und zwar nicht nur eine Gruppe von Ihnen, Herr Kollege Carstens, sondern Ihre ganze Fraktion, hier im Bundestag dieses Gesetz für Deutschlandfunk und Deutsche Welle in fortschrittlicher Weise zu novellieren und zu verändern, dann möchte ich Ihnen für diese Unterstützung schon jetzt herzlich danken.
— Nein, wir können deshalb nicht zustimmen, weil wir meinen, daß diese Regelungen aus rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen heraus ins Rundfunkgesetz gehören und nicht ins Personalvertretungsgesetz.
Lassen Sie mich zum Schluß noch zwei zusätzliche Bemerkungen machen. Erstens. Herr Kollege Müller , Sie fordern, daß in den Personalräten und auch im Rundfunkrat beispielsweise Vertreter der Redakteure mit beratender Stimme tätig sein sollten. Das ist ein vernünftiges Anliegen. Ich meine aber: Es geht nicht weit genug; sie sollten nicht nur mit beratender, sondern mit beschließender Stimme beteiligt sein.
Jetzt, Herr Kollege Katzer, wird es interessant. Genau dieses haben wir in Bremen im Rundfunkgesetz gegen den Willen der CDU gemacht. Dieses habe ich im bayerischen Landtag beantragt. Was glauben Sie, wer es abgelehnt hat? — Die CSU-Mehrheit in Bayern! Dies ist meiner Meinung nach doppelzüngig, meine Damen und Herren von der CDU/CSU; so darf man es nicht machen.
Zweite Bemerkung. Der Kollege Müller hat ganz berechtigt gesagt — ich will nicht sagen, daß es hundertprozentig berechtigt ist, aber man kann ganz ernsthaft darüber diskutieren —, daß die Herren Intendanten vielleicht die letzten „regierenden Fürsten" in unserer Republik seien.
— Gut. Wenn dies aber so ist, dann mache ich Ihnen einen Vorschlag: Wir machen mal die Probe aufs Exempel und legen unsererseits — denn wir haben manchmal auch den Verdacht, daß das nicht alles so ist, wie es sein sollte — in den einzelnen Ländern Vorschläge zur kollegialen Intendantenverfassung vor, durch die wirklich die Stellung des „regierenden Fürsten" beispielsweise durch Kollegien demokratisiert wird, wie das auch in Universitäten und vielen Gremien schon der Fall ist, wo nicht einer entscheidet, sondern Vorstandsgremien befinden. Ich gehe eine Wette mit Ihnen, meine Damen und Herren,
4330 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Dr. Glotz
darüber ein, was uns Sozialdemokraten passieren wird: Wir werden da, wo Sie die Mehrheit haben, diese Anträge bringen, und Sie werden sie ablehnen. Dies ist dann wieder das, was der Herr Kollege Wehner gerade ein „Naturgesetz" genannt hat und was ich hier sehr viel sanfter nur für einen Fall als doppelzüngig angeführt habe.
Aus allen diesen Gründen müssen wir leider beide Anträge, Herr Kollege Müller , ablehnen.
Wird des weiteren das Wort gewünscht? -- Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich über den Änderungsantrag der Abgeordneten Müller und Genossen auf Drucksache 7/1410, Ziffer I, die §§ 85 a und 85 b einzufügen, abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe nunmehr die §§ 86 bis 96 auf. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. Es ist so beschlossen.
Ich komme nunmehr zu § 97 und dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU, den wir früher behandelt haben, auf Drucksache 7/1403, Ziffer 18 Buchstabe B: Für den Fall der Nichtannahme der vorstehenden Vorschläge zu Nr. 11 bis Nr. 16. Ist der Antrag begründet? --
Das ist der Fall; das Wort wird nicht gewünscht. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe § 97 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich sehe, daß da noch § 88 — Zweiter Teil — des Antrags der Abg. Müller und Genossen zu behandeln gewesen ist. Wird dazu noch das Wort gewünscht? —
Oder wird das auf Grund des ersten zurückgezogen?
— Dann brauchen wir die Sache gar nicht mehr zu behandeln.
Ich rufe die §§ 98 bis 108 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich komme zu § 108 a und dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/1403 unter Ziffer 19. Der Antrag ist begründet; das Wort wird nicht gewünscht. Wer diesem Änderungsantrag, einen § 108 a einzufügen, zuzustimmen wünscht, den
bitte ich uni das Handzeichen. -Ich bitte um die
Gegenprobe. — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe nunmehr die §§ 109, 110, 111, Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Wir treten damit in die
dritte Beratung
ein. Ich eröffne die allgemeine Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Becker .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir in der dritten Lesung des von den Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 7/176 eingebrachten Entwurfs eines Bundespersonalvertretungsgesetzes für die SPD die politischen Schwerpunkte dieser Reform — wir halten dieses Gesetz für eine wichtige Reform — noch einmal herauszustellen.
Genau heute vor fünf Jahren, am 12. Dezember 1968, brachte die SPD-Fraktion des Deutschen Bundestages fünf Gesetzentwürfe ein; vielleicht erinnern sich einige Kollegen noch an diese Gesetzentwürfe. Sie betrafen die großen sozialpolitischen und gesellschaftspolitischen Vorhaben, ,die damit realisiert werden sollten, wie die Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes, die Fortführung der Mitbestimmung im Montan-Bereich, die Beschränkung der Aufsichtsratsbezüge in den Großunternehmen, dieses Bundespersonalvertretungsgesetz und letztlich die Mitbestimmung in den Großunternehmen. Wenn Sie diese Reformvorhaben einmal über diese fünf Jahre hin verfolgen, dann wissen Sie, daß wir hier heute mit diesem Bundespersonalvertretungsgesetz eine dritte, sehr wesentliche Reform verabschieden.
In ,der Lesung des Deutschen Bundestages am 8. Juni 1955 hatte die SPD-Fraktion den damals von der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Bundespersonalvertretungsgesetzes abgelehnt, weil er völlig unzureichend war; die SPD-Fraktion wollte im Jahre 1968 diesen Gesetzentwurf reformieren. Die abschließende Behandlung in den Jahren 1968/69 ist damals durch ,die CDU/CSU-Fraktion verhindert worden. Seit Ende 1969 hat die sozialliberale Koalition die Vorbereitungen für die Reform des Personalvertretungsgesetzes vorangetrieben.
Die Bundesregierung legte 1972 einen Gesetzentwurf vor, um eine möglichst breite Diskussion zu ermöglichen. Eine öffentliche und eine nichtöffentliche Anhörung gaben den Gewerkschaften, Dienststellenleitern, Personalräten und Vertretern der Gerichte nach unserem Selbstverständnis von mehr Demokratie Gelegenheit, ihre Meinung schriftlich und mündlich darzutun. Heute kann man, nachdem die Koalitionsfraktionen diesen Gesetzentwurf wieder unverändert eingebracht hatten, als Ergebnis und als Erfolg der Arbeit in dieser Koalition feststellen, daß das Gesetz mit mehr als 200 Änderungsanträgen weiterentwickelt und erheblich verbessert
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4331
Becker
worden ist, z. B. beim Zugangsrecht der Gewerkschaften und 'bei der Ausweitung der Mitbestimmung.
Ich hätte es eigentlich gern gesehen, wenn wir im Innenausschuß des Deutschen Bundestages gerade das Zugangsrecht und die Beteiligungsrechte der Gewerkschaften einhelliger in dieses Gesetz hätten einfügen können, als dies gegen einen Teil ,der Oppositionsstimmen leider der Fall sein mußte.
Das Betriebsverfassungsgesetz wurde dank der vorbildlichen Mitarbeit und Unterstützung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung in vielen Punkten übernommen oder aber nahezu erreicht, in manchen Regelungen auch weiterentwickelt. Im übrigen war 'das Betriebsverfassungsgesetz eine Richtschnur für die Formulierungen der Einzelparagraphen des Personalvertretungsgesetzes. Die reformierten Personalvertretungsgesetze sozialdemokratisch regierter Länder haben die Beratungen wesentlich beeinflußt. Die Vorschläge der Gewerkschaften, insbesondere des 'Deutschen Gewerkschaftsbundes, waren eine wertvolle Hilfe für die fortschrittliche Gestaltung der Mitbestimmungs- und sonstigen Beteiligungsrechte der Personalräte sowie ihrer persönlichen Rechte als Beschäftigte. Die Anträge der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in Duisburg sind zu einem großen Teil in ■dieses Gesetz eingebaut und übernommen worden.
Die Anregungen vieler Personalräte und örtlicher und betrieblicher Gewerkschaftsorganisationen wurden ebenso wie die Wünsche einer Reihe von Kollegen des Bundestages und die Anträge der Opposition sowie Überlegungen des Bundesrates in die Beratungen einbezogen.
Die Koalitionsfraktionen unterstreichen noch einmal nachdrücklich, daß sie im Zuge der Beratung über die Weiterentwicklung des öffentlichen Dienstrechts das Gruppenprinzip, die tarifvertragliche Frage und die Frage der Gerichtsbarkeitszuordnung ebenso wie Anhörungen nach § 94 BBG erörtern und natürlich auch entscheiden werden. Soviel zu den Grundsätzen.
Nun zu einigen Schwerpunkten der vorliegenden Reform. Die Festlegung des Zugangsrechts der Gewerkschaften zu den Dienststellen sowie ihre Beteiligung an Personalratssitzungen und -versammlungen wurden gesetzlich abgesichert und wesentlich erleichtert. Die Mitbestimmungs- und sonstigen Beteiligungsrechte der Personalräte wurden in ein neues System gebracht, genau geordnet und stark ausgebaut, das Initiativrecht wegen seiner Bedeutung im Personalvertretungsrecht in einem besonderen Paragraphen festgelegt. Die Verbesserung der Arbeits- und Bildungsmöglichkeiten für die einzelnen Personalvertreter sichert für die Zukunft eine noch effektivere Arbeit.
Wie im Betriebsverfassungsgesetz ist der Kündigungsschutz ausgedehnt worden. Die Mitarbeit der Jugendvertretung wurde in einem eigenen Paragraphen zusammengefaßt und erheblich erweitert. Die Betreuung 'der Schwerbeschädigten im Zusammenhang mit der Mitarbeit des Vertrauensmannes der Schwerbeschädigten kann wesentlich besser vollzogen werden. Die Persönlichkeitsrechte wurden ausgebaut. Und schließlich sind 'die Gastarbeiter durch das passive Wahlrecht voll integriert.
Für Sonderdienststellen wie Bundesnachrichtendienst und Bundesamt für Verfassungsschutz wurde der Grundsatz verwirklicht, möglichst alle Bestimmungen des Personalvertretungsgesetzes auch hier zur Anwendung zu bringen. Die Personalvertretungen im Bereich des Bundesgrenzschutzes tragen dem Grundgedanken Rechnung, den Bundesgrenzschutz als eine leistungsfähige und stets einsatzbereite Polizei fortzuentwickeln. Für die Dienststellen des Bundes im Ausland ist eine Kompromißlösung gefunden worden. Sie sollte möglichst bald einer Überprüfung und Weiterentwicklung unterzogen werden.
Das vorliegende Personalvertretungsgesetz beeinträchtigt — das ist hier schon gesagt worden — nicht die fortschrittlich gestalteten Personalvertretungsgesetze in den Bundesländern. Im Gegenteil: In einigen Bereichen, vor allen Dingen bei CDU/ CSU-regierten Ländern, kann das vorliegende Gesetz als Richtschnur für den Ausbau des Personalvertretungsrechts angesehen werden.
Hier ist abschließend insbesondere noch auf die folgenden Bestimmungen hinzuweisen, die die Arbeitsmöglichkeiten der Personalräte bereits ab 1. April 1974 verbessern sollen — dies ist unsere erklärte Absicht , während wir allgemeine Wahlen mit allen Folgewirkungen aus diesem Gesetz erstmals für ,die Zeit von März bis Mai 1976 vorgesehen haben.
Ich möchte am Schluß zusammenfassend sagen: Durch dieses Gesetz sind die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes über ihre Personalräte im Prinzip mit ebenso vielen Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechten ausgestattet wie die Arbeitnehmer in der Wirtschaft durch das Betriebsverfassungsgesetz. Das Gesetz muß sich in den nächsten Jahren bewähren. Dienststellen, Gewerkschaften, Gastarbeitern, Jugendlichen und Vertrauensmännern der Schwerbeschädigten 'kommt damit eine wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe zu. Die Bundesregierung soll nach einhelliger Auffassung des Ausschusses über die Erfahrungen nach diesem Gesetz zum 1. Januar 1978 berichten. Wir meinen nämlich nicht das, was der damalige Innenminister Dr. Schröder am 8. Juni 1955 in ,diesem Hause ausführte, daß das seinerzeitige Gesetz den Schlußstein in der Mitbestimmung in unserem Vaterlande darstelle. Wir haben uns alle davon überzeugen können, daß es eine ganz andere Entwicklung gegeben hat, und wir sind der Meinung, daß man solche Gesetze nicht so statisch betrachten sollte, sondern daß sie dynamisch fortentwickelt werden müssen. Das wollen wir auch beim Personalvertretungsgesetz.
Lassen Sie mich jetzt noch Dank sagen der Bundesregierung und ihren Beamten — besonders gilt das für das federführenden Innenministerium —, dem Büro des Innenausschusses Ides Bundestages sowie schließlich 'all denjenigen Beschäftigten in
4332 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Becker
diesem Hause, die die uns vorliegenden Unterlagen
in aller Eile noch rechtzeitig gedruckt und vorgelegt haben.
Möge sich unsere gemeinsame Arbeit bewähren!
Die Fraktion der SPD stimmt dem Gesetzentwurf in der Überzeugung, eine bedeutsame Reform geschaffen zu haben, zu.
Meine Damen und Herren, die drei Fraktionen des Hauses haben mich gebeten, an dieser Stelle die Beratung des Personalvertretungsgesetzes zu unterbrechen, um einen in einer inzwischen wohl verteilten Drucksache enthaltenen Antrag auf die Tagesordnung zu setzen. Ist das Haus mit der Unterbrechung einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Dann schlage ich Ihnen vor, den Antrag des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung betr. Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Wienand Drucksache 7/1428 — auf die Tagesordnung zu setzen und sofort zu behandeln. — Widerspruch erhebt sich nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe dann diesen Zusatzpunkt der Tagesordnung auf:
Antrag des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung — Immunitätsangelegenheiten — betr. Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Wienand
— Drucksache 7/1428 —
Ist der Antrag allgemein verteilt?
Ich höre, daß auf eine Berichterstattung verzichtet wird. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich komme zur Abstimmung. Wer Idem Antrag auf Drucksache 7/1428 zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Stimmenthaltungen? — Keine Stimmenthaltungen. Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der dritten Beratung des Personalvertretungsgesetzes fort. Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Volmer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, genauso wie vorhin der Herr Kollege Liedtke zwei Vorbemerkungen zu machen. Die erste Vorbemerkung an Herrn Kollegen Liedtke, den ich im Augenblick nicht sehe. Er hätte vorhin für die Koalition glaubhafter gesprochen, wenn er sich zu der Zeit
einmal die Präsenz bei seinem Mini-Partner FDP angesehen hätte.
Eine zweite Vorbemerkung: Herr Kollege Becker, ich glaube, es ist Ihnen entgangen, daß die fortschrittlichen Gesetze in Rheinland-Pfalz, in Schleswig-Holstein, im Saarland und in Bayern Gesetze in CDU/CSU-regierten Ländern sind.
— Ich weiß nicht, Herr Wehner, ob Sie diese Gesetze kennen.
Ich würde sie Ihrem Studium einmal empfehlen. Dann hätte Ihre Fraktion sicherlich eine bessere Vorlage gemacht als diese!
Mit der Drucksache 7/176 brachten die Koalitionsfraktionen einen Entwurf eines Personalvertretungsgesetzes ein, der dem Regierungsentwurf aus der 6. Legislaturperiode glich wie ein Ei dem anderen. Nur, meine Damen und Herren, scheinen beide Eier nicht mehr ganz frisch gewesen zu sein; denn die Koalitionsfraktionen rühmen sich,
durch 200 Änderungsanträge, Herr Professor Schäfer, zur Verbesserung Ihres eigenen Entwurfs beigetragen zu haben.
Diese Änderungsanträge waren damit, Herr Wehner, gleichzeitig eine nicht zu übersehende Kritik an dem Regierungsentwurf aus der 6. Wahlperiode. Was die 200 Anträge betrifft, Herr Kollege Wehner: es sind sämtliche Kommaveränderungen mitgezählt. Außerdem gibt es 100 Anträge aus dem Ministerium.
— Das tut gar nicht weh, höchstens Ihnen. Wir haben uns nicht die Mühe gemacht, diese Dinge nachzuzählen.
Die ganze Angelegenheit wird aber noch interessanter, wenn man bedenkt, daß nicht nur die Koalitionsfraktionen Änderungsanträge zum eigenen Entwurf eingebracht haben, sondern auch die Bundesministerien in der Ausschußdrucksache 7/15 mit rund 100 Änderungsanträgen, die zum größten Teil mit den Anträgen der Koalition identisch sind, vertreten waren. Das heißt, daß auch die Bundesministerien den Koalitionsentwurf und damit den eigenen Entwurf aus der 6. Wahlperiode für einen völlig unzureichenden Vorschlag gehalten haben. Wenn das aber so ist, ist doch die Frage zu stellen, warum die Regierung bei 100 Änderungsanträgen der Ministerien nicht selbst einen gegenüber dem Entwurf aus der 6. Legislaturperiode verbesserten neuen Entwurf,
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4333
Volmer
der die Vorschläge der Ministerien enthalten hätte, eingebracht hat.
— Diese Eier von vorgestern, Herr Wehner, waren die gemeinsamen Eier der Regierung und der Koalition,
und sie waren faul, weil Sie selbst sie verbessern mußten.
Es stellt sich weiter die Frage, ob man nicht die Absicht hatte, dadurch, daß man einen völlig unzureichenden Gesetzentwurf einbrachte, den Bundesrat bei der Vorbereitung des Entwurfs auszuschalten, der zwar zum alten Entwurf eine Stellungnahme abgegeben hat, aber nicht zum jetzigen, der so erheblich verändert war. Meine Damen und Herren, dieses Verfahren ist genauso unzureichend, wie es der Gesetzentwurf war.
— Wir sind Ihre Zwischenrufe ja gewöhnt, Herr
Wehner. Sie bringen mich damit nicht aus der Ruhe.
Auf diese Tatsache habe ich bereits bei Beginn der Beratung im Innenausschuß hingewiesen, und ich möchte es darum auch heute hier nicht verschweigen.
Herr Abgeordneter Volmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordenten Dr. Schäfer?
Bitte schön!
Herr Volmer, halten Sie es nicht für fair gegenüber dem Bundesrat, daß die Koalitionsfraktionen wörtlich den Entwurf eingebracht haben, zu dem der Bundesrat bereits Stellung genommen hatte? Sind Sie nicht der Auffassung, daß es möglicherweise doch mehr Schwierigkeiten gegeben hätte, wenn wir mit einem Initiativentwurf am Bundesrat hätten vorbeigehen müssen, wenn wir die Entwicklung, die wir dann vollzogen haben, dort schon deutlich gemacht hätten?
Herr Kollege Schäfer, ich hätte es für fair gehalten, wenn Sie nicht selbst im Ausschuß Ihren eigenen Entwurf lediglich als eine Diskussionsgrundlage bezeichnet hätten, die Sie von Anfang an erheblich zu verändern bereit gewesen sind.
Meine Damen und Herren, ein Gesetz, das rahmenrechtliche Bindungen für die Länder enthält, sollte, so meine ich, auch erst im Bundesrat beraten
werden und dann mit der Stellungnahme versehen zu uns kommen. Die Meinung der CDU/CSU-Fraktion zu dem vorliegenden Entwurf war von Anfang an klar und wurde unmißverständlich in einer Erklärung vor Beginn der Ausschußberatung zum Ausdruck gebracht, aber auch in der ersten Beratung im Innenausschuß vorgetragen:
1. Der vorliegende Entwurf ist völlig unzureichend. Insofern bestand offensichtlich Übereinstimmung.
2. Das Personalvertretungsgesetz muß, soweit es die Eigenart des öffentlichen Dienstes zuläßt, weitgehend dem Betriebsverfassungsgesetz angepaßt werden.
3. Die Mitwirkungsrechte müssen unter Berücksichtigung der Letztverantwortung gewählter Parlamente in Mitbestimmungsrechte übertragen werden.
4. Das Gruppenwahlrecht muß so lange aufrechterhalten bleiben, bis es zu einem einheitlichen Dienstrecht kommt.
5. Im Wahlverfahren muß der Minderheitenschutz für die Gruppen und die unterschiedlichen Listen gewährleistet werden.
6. Das Recht der Jugendvertretung und des Schwerbeschädigtenobmanns muß verbessert werden.
7. Die Ausländer müssen eine eigene Ausländervertretung erhalten.
8. Bei Streitverfahren muß das Verwaltungsgericht zuständig bleiben, weil es sich um öffentliches Recht handelt.
9. Die Anzahl der freizustellenden Personalratsmitglieder soll der Freistellung nach dem Betriebsverfassungsgesetz angepaßt werden.
10. Das Recht der gewerkschaftlichen Spitzenorganisationen bei dem Verfahren zur Regelung beamtenrechtlicher Fragen muß ausgebaut und verstärkt werden.
Diesen Katalog von Forderungen, meine Damen und Herren, haben wir vor Eintritt in die Beratungen
im Innenausschuß vorgetragen und bei den Beratungen entsprechende Anträge konkret gestellt.
Bei einigen dieser Fragen bestand zwischen den Fraktionen Übereinstimmung, die meisten Anträge wurden jedoch von den Koalitionsfraktionen niedergestimmt.
Wir haben diese Anträge in der zweiten Lesung erneut gestellt, und sie sind ebenfalls — ich übernehme einmal eine Wortprägung, die einer Ihrer Kollegen heute morgen vornahm —
erneut niedergebügelt worden.
4334 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Volmer
Gestatten Sie mir, daß ich zu einigen Fragen einige Bemerkungen mache. Bei der Diskussion über das passive Wahlrecht der ausländischen Beschäftigten kam es zu einer lebhaften Kontroverse. Die Koalitonsfraktionen waren lediglich bereit, in § 13 Abs. 1 die Formulierung zu streichen, daß nur der wählbar ist, der das Wahlrecht für den Deutschen Bundestag besitzt. Eine ähnliche Regelung findet sich in einigen Ländergesetzen. Die CDU/CSU-Fraktion vertritt jedoch die Meinung, daß durch die Wählbarkeit alleine noch kein Ausländer in den Personalrat kommt. Es gibt zwar Dienststellen bei der Deutschen Bundespost und Bundesbahn, wo die große Anzahl der Ausländer Personalratsmandate durchsetzen kann, wenn sie auf der gemeinsamen Liste untergebracht werden oder wenn es zur eigenen Liste kommt. Bei Dienststellen, meine Damen und Herren von der Koalition, mit einer geringen Zahl von Ausländern besteht nach Ihrer Regelung kaum die Möglichkeit der eigenen Vertretung. Dieser Ihrer minimalen Lösung hat die CDU/CSU-Fraktion eine Optimallösung durch eine eigene Ausländervertretung entgegengesetzt. Hier hätte die Möglichkeit bestanden, nicht nur den ausländischen Mitarbeitern generell, sondern auch bei einer größeren Zahl unterschiedlicher Nationen diesem Zustand Rechnung zu tragen und den betreffenden Ausländern die Gelegenheit zu geben, ihre eigenen Interessen zu vertreten.
Es ist zwar sehr tröstlich für uns, wenn Vertreter der Koalitionsfraktionen im Ausschuß diesen Vorschlag für eine echte Alternative gehalten haben; aber schöne Worte allein sind noch keine Lösung.
Eine Zustimmung zu dieser Alternative — Herr Professor Schäfer — wäre für die Ausländer viel wirkungsvoller gewesen.
— Herr Professor Schäfer, Sie nehmen es mir nicht übel, daß ich unsere Meinung und nicht Ihre hier vertrete.
Im parlamentarischen Leben ist es allgemein üblich, daß die Zuteilung etwa von Ausschußsitzen oder von ähnlichen Einrichtungen im Verhältniswahlrecht nach dem Höchstzahlverfahren von d'Hondt erfolgt. Die CDU/CSU-Fraktion hat bei den entsprechenden Paragraphen des Gesetzentwurfs die gleiche Regelung für Personalräte und -vorstände vorgeschlagen. Dadurch sollte das Verfahren eindeutiger geregelt und ein Minderheitenschutz statuiert werden. Leider wurde der Antrag von den Koalitionsfraktionen abgelehnt. Man kann, meine Damen und Herren, aber nicht immer von „mehr Demokratie" reden, wenn man nicht bereit ist, sie auch zu praktizieren.
Demokratie ist nur dort, wo auch die kleineren Gruppen zu ihrem Recht kommen, und nicht da, wo die Mehrheiten ohne Rücksichten entscheiden.
In den meisten Bereichen des Gesetzes hat man den Gewerkschaften — und das sicher auch zu Recht — besondere Erleichterungen beim Tätigwerden nach diesem Gesetz eingeräumt. Ihr eigener Entwurf sah vor, daß die in der Dienststelle vertretenen Gewerkschaften für die Aufstellung ihrer Wahlvorschläge keine Unterschriften benötigten. Diese vorgesehene Regelung entspricht nach unserer Auffassung auch der Bedeutung der Gewerkschaften, so wie wir sie sehen. Es muß daher — so meine ich — als direkt reaktionär bezeichnet werden, daß die Koalitionsfraktionen mit Mehrheit die Streichung dieser Formulierung verlangt haben und damit die im Betrieb vertretenen Gewerkschaften ebenfalls zur Unterschriftensammlung zwingen. Hier muß man doch die berechtigte Frage nach dem Grund stellen. Wenn, meine Damen und Herren, in einer pluralen Gesellschaft nur die zahlenmäßig starken Organisationen ein bevorzugtes Recht zum Leben haben, dann kan man weder von einer besseren Lebensqualität noch von mehr Demokratie reden.
In unserem Bündel wohlbegründeter Anträge, mit denen wir nach 18jähriger Erfahrung mit dem geltenden Personalvertretungsgesetz echte und abgewogene Reformschritte aufnehmen wollten, die aber der starren Haltung der Koalitionsfraktionen zum Opfer fielen, ging es der CDU/CSU-Fraktion u. a. und in erster Linie auch um die Verstärkung und Vereinheitlichung der praktischen Mitverantwortung der Personalräte durch Ausdehnung ihres Initiativrechtes auf alle Beteiligungsangelegenheiten, durch Überführung des schwächeren Mitwirkungsverfahrens
in das volle Mitbestimmungsverfahren, um eine gezielte Neuformulierung der Versagungsgründe zur Objektivierung der Personalpolitik und um die Einbeziehung der Besoldungsgruppen A 16 und höher mit Ausnahme der sogenannten politischen Beamten nach § 36 des Bundesbeamtengesetzes.
Daß Sie von der SPD Ihren Bundeskanzler immer wieder zurückpfeifen, ist uns bekannt. Heute pfeifen Sie aber auch mehrere Bundesminister zurück, die bisher durch Rundschreiben und Erlasse — ich habe sie hier -- bereits angeordnet haben, in ihren Häusern die Mitbestimmung und Mitbeteiligung der Personalräte bis einschließlich B 3 zu vollziehen. Ihre starre Haltung heute bedeutet doch, daß Ihre Minister ihre Rundschreiben und Anordnungen zugunsten einer verschlechterten Lösung zurücknehmen müssen.
Nach unserem ursprünglichen Vorschlag sollte zugleich für die sehr seltenen Fälle der Nichteinigung in allen Instanzen der Spruch der neutralen Einigungsstelle, der bisher teils als Entscheidung, teils als Empfehlung ergeht, einheitlich dann als Empfehlung ausgesprochen werden, wenn die Entschei-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4335
Volmer
dung bei dem parlamentarisch verantwortlichen Minister liegt. Hiermit sollten eine einheitliche Lösung und eine klare politische Verantwortlichkeit gefunden werden. Wir haben bereits bei der Beratung im Ausschuß vorgeschlagen, es in diesem Punkt bei der bisherigen Regelung zu belassen und damit der Koalition entgegenzukommen, um das Paket der übrigen Verbesserungen durchzubringen. Es ist uns dadurch gelungen, die SPD/FDP-Koalition zu einem Durchdenken ihrer eigenen Änderungsvorschläge zu ihrem eigenen Gesetzentwurf zu bewegen, damit zu einer Annäherung an unsere fortschrittliche Lösung zu bringen und sie auch zur Übernahme einiger Mitwirkungsfälle in das Mitbestimmungsverfahren zu bewegen.
Im Gesetzentwurf wird den deutschen Ortskräften bei Dienststellen des Bundes im Ausland weder das aktive noch das passive Wahlrecht gewährt. Damit stellt man die deutschen Kräfte im Ausland schlechter als die ausländischen Beschäftigten in der Bundesrepublik. Den Bemühungen der Opposition, diese Benachteiligung zu beseitigen, kam ein Fernschreiben der Gewerkschaft ÖTV entgegen. Die CDU/CSU-Fraktion hat den im Fernschreiben aufgeführten Vorschlag aufgegriffen und der Sache nach beantragt, den deutschen Ortskräften das volle aktive und passive Wahlrecht zu gewähren
und für diesen Bereich die Beteiligungsrechte der Gewerkschaften nach den §§ 35 und 51 auszuschließen.
— Das war der Vorschlag der ÖTV, Herr Kollege Schäfer. Sie haben das gleiche Schreiben bekommen wie wir.
Diese Ausschließung sollte das Hauptargument gegen die Gewährung des Wahlrechts beseitigen. Es sollte verhindert werden, daß ausländische Gewerkschaften Einfluß auf deutsche Dienststellen nehmen können. Auch dieser Antrag wurde von der Koalition abgelehnt. Damit haben deutsche Kräfte bei Dienststellen des Bundes im Ausland mindere Rechte als ausländische Dienstkräfte bei deutschen Dienststellen im Inland.
Es war das Bemühen der CDU/CSU-Fraktion, die Beteiligung der gewerkschaftlichen Spitzenorganisationen zu verbessern und durch die Aufnahme einer Schlußvorschrift im Personalvertretungsgesetz unsere Vorstellungen von einem wirklichen Reformgesetz zu erfüllen und damit den Anfang einer Neuordnung des öffentlichen Dienstrechtes zu machen. Unsere Anträge wurden von der Mehrheit des Hauses im Innenausschuß und heute jedoch abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Dem Gesetzentwurf, der uns nun zur Verabschiedung vorliegt, werden wir zwar zustimmen
— doch, wir haben heute unseren ,sozialen Tag, Herr
Wehner
weil er eine Verbesserung des bisherigen Rechts darstellt. Was jedoch und jetzt hören Sie bitte zu — nach Ablehnung unserer Anträge übrigbleibt, ist nur ein Torso fortschrittlichen Denkens und praktizierte Demokratie. Daran ändern auch ihre angeblich 200 Einzeländerungen des Entwurfs nichts, bei denen buchstäblich jede Kommaänderung und die mehr als 100 Änderungsvorschläge der Bundesministerien mitgezählt wurden. Meine Damen und Herren, dieses Gesetz verdient den Namen „Reformgesetz" nicht.
Die Regierungskoalition hat, wie so häufig, Herr Wehner, heute wieder einmal eine große Chance vertan.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Groß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den elegischen Betrachtungen des Kollegen Volmer, die rückwärts gewandt waren, sich also auf die Vergangenheit konzentrierten — manche werden sagen: wen sollte es wundern? —, sollte man, so meine ich, dieses Gesetz auch einmal im Hinblick auf seine Auswirkungen in der Zukunft unter die Lupe nehmen.
Meine Damen und Herren, zunächst meine ich hier feststellen zu sollen, daß dieses Gesetz ein neuer Beweis dafür ist, daß die sozialliberale Koalition nicht nur schnell arbeiten kann.
Aus Zeitgründen, Herr Kollege Miltner, wurde ja auch dieses Verfahren, das der Kollege Volmer eben kritisiert hat, angewandt: Wir haben den alten Regierungsentwurf übernommen.
Hierzu gleich eine Bemerkung, Herr Volmer. Wir sind der Meinung, daß Anhörungen, auf gut deutsch Hearings genannt, keine Scheinveranstaltungen zur Erbauung des Publikums und zur Erbauung der Drucker, die hinterher alles drucken müssen, sind. Wir meinen vielmehr, daß wir die Argumente, die wir in den Hearings hören, ernst nehmen sollten und daß Vorlagen, die auf den Tisch gelegt worden sind, dementsprechend verbessert werden sollten.
Wenn die CDU/CSU solche Hearings als Scheinveranstaltungen ansieht, so möge sie das bitte vor dem nächsten entsprechenden Antrag sagen.
Meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf stellt natürlich einen Kompromiß dar. Am Anfang hat es auch zwischen den Koalitionspartnern Meinungsverschiedenheiten gegeben. Warum auch eigentlich nicht? Es könnte vielleicht auch in anderen Bereichen so gehandhabt werden, daß diese
4336 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Groß
Meinungsverschiedenheiten nicht auf dem Markte ausgetragen werden. Ich meine, daß solche Dinge, die ja manchmal unter dem Aspekt von Profilproblemen gesehen werden, vielleicht so gehandhabt werden könnten, wie wir es hier praktiziert haben. Wir konnten diese Behandlungsweise um so leichter wählen, als wir von Anfang an von dem Willen getragen waren, dieses Vorhaben auch zu einem Erfolg zu bringen. Wir waren sicher, daß eventuell bestehende Meinungsverschiedenheiten auch ausgestanden werden könnten.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Berger hat sich vorhin zum lebhaften Verfechter des um den Kollegen Müller zu zitieren — unzureichenden Antrags der Koalitionsfraktionen in der ursprünglichen Fassung gemacht, indem er sich hier hinstellte und sagte, er müsse diesen ursprünglichen Antrag, nachdem ihn die Koalition verändert habe, aufrechterhalten.
Die Äußerungen sowohl des Herrn Kollegen Berger als auch von Herrn Müller und Herrn Volmer veranlassen mich zu einer Bemerkung. Herr Kollege Müller (Remscheid) hat hier erklärt — jedenfalls habe ich das so in Erinnerung —, daß es sich um einen völlig unzureichenden Entwurf gehandelt habe. Ich bitte um Widerspruch, Herr Müller, wenn das falsch zitiert ist. Herr Volmer hat ähnliches gesagt. Er hat hier allerdings nicht näher erläutert, warum er den Entwurf für unzulänglich hält. Da Sie uns dies nicht gesagt haben, Herr Müller, darf ich vielleicht Sie bitten, Herrn Kollegen Berger, der diesen ursprünglichen Entwurf in vielen Punkten vertritt, das zu erläutern. Ich meine, daß es eigentlich keine Art ist, über die wir uns ernsthaft unterhalten sollten, wenn man sich einerseits hinstellt und sagt, dieser Entwurf sei absolut unzureichend, und ihn andererseits vertritt, und zwar — entschuldigen Sie, daß ich das einmal so deutlich sage — je nach Couleur.
Meine Damen und Herren, wenn die CDU/CSU glaubt uns bei allen möglichen feierlichen und un-feierlichen Gelegenheiten freundliche Worte sagen zu müssen, wie nett wir als Freie Demokraten seien, und man müsse mit uns möglichst schnell eine Koalition eingehen,
dann möchte ich hier sagen das wird ja in den
Ländern von Herrn Dregger bis zu Ihrem Kollegen Hasselmann ständig gesagt —: Sie müssen einmal ganz deutlich zur Kenntnis nehmen, daß dieses Spiel, jedem bei verschiedenen Gelegenheiten etwas Verschiedenes zu erzählen, eben keine Grundlage für eine Zusammenarbeit ist.
Das müssen Sie einfach einmal sehen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Berger?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ist Ihnen denn nicht klar, Herr Groß, daß es unter den vielen Bestimmungen auch im Genscher-Entwurf einige gibt, die ganz vernünftig sind, und andere, die verbesserungsbedürftig waren?
Herr Kollege Berger, wenn Sie das so sagen, hört sich das ganz anders an als das, was kurz danach Ihr Kollege Müller gesagt hat, der ganz pauschal darüber gesprochen hat. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre sehr pauschalen Abqualifikationen von Entwürfen der Regierung, des Kabinetts hier durch eine etwas differenziertere Betrachtung ersetzten. Sie sollten nicht durch solche pauschalen Bemerkungen versuchen, die Dinge hier ein wenig zu verunklären.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller ?
Würden Sie mir vielleicht einmal folgenden Unterschied sagen? Ich habe „unzulänglich" gesagt, während die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes von einem rückschrittlichen Entwurf dieses Ministers gesprochen haben. Was war dann fairer ausgedrückt? Meine Bezeichnung oder die der Gewerkschaften?
Herr Kollege Müller, die Frage Rückschritt oder Fortschritt könnte zu längeren Betrachtungen veranlassen.
Ich will sie gern anstellen, Herr Müller, da Sie mich so herausfordern. In der Tat wird von manchen in diesem Land auch der Gesetzentwurf, wie er jetzt vorliegt, als rückschrittlich bezeichnet. Ich gehe aber davon aus, daß es in diesem Land noch keinen großen Guru gibt, der autoritativ sozusagen feststellt, was in diesem Land fortschrittlich zu sein babe. Da es diesen Guru nicht gibt — ich weiß, einige möchten das gern für sich in Anspruch nehmen; aber das berührt mich nicht sonderlich , gehe ich unverändert davon aus, daß das Prädikat „fortschrittlich" oder „rückschrittlich" je nach der spezifischen Ausgangslage einer Fraktion vergeben wird. Ich glaube, dabei sollten wir es auch belassen.
Herr Abgeordneter Groß, gestatten Sie nun eine Zwischenfrage des Abgeordneten Becker?
Ja, gerne.
Herr Kollege Groß, zu den Einlassungen der CDU/CSU: Teilen Sie auch heute noch meine Verwunderung, daß die CDU/CSU in den Ausschußberatungen unentwegt den früher von der Regierung vorgelegten Entwurf verteidigt hat?
Herr Becker, es ist mit anderen Worten genau das, was ich eben gesagt habe über die
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4337
Groß
— sagen wir einmal — Doppeldeutigkeit, um es vorsichtig zu nennen — manche würden das anders nennen --, wie sie in der CDU/CSU-Fraktion bis heute üblich ist.
— Eben, Herr Pensky.
Aber, meine Damen und Herren, zu diesem Gesetz. Es gibt den Gewerkschaften ein Mehr an Rechten. Diese Rechte bedingen auch ein Mehr an Pflichten. Ich glaube, daß über diesen Punkt Klarheit herrschen sollte, und daß dieses Mehr an Pflichten auch bedeutet, daß die Gewerkschaften sich über den Sinn, den diese öffentliche Verwaltung hat, nämlich das zu tun, was Verfassung und Gesetz von ihr verlangen, im klaren sind. Ich bin sicher, daß die Gewerkschaften auch sehen, daß es eine Pflicht ist, von ihren zusätzlichen Rechten und Möglichkeiten einen angemessenen Gebrauch zu machen. Dazu gehört natürlich auch, daß sie im Verkehr untereinander, d. h. zwischen den Organisationen, sich so verhalten, wie es § 2 des Gesetzes besagt, nämlich in einem partnerschaftlichen Verhältnis. Der Bürger — um den es wohl letzten Endes in diesem Gesetz geht — hat mit Sicherheit kein Verständnis dafür, wenn sich innerhalb der öffentlichen Verwaltung ein lustiger Krieg der Organisationen abspielt und bei diesem Krieg die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung auf der Strecke bleiben.
Meine Damen und Herren, dieses Gesetz erhält das sogenannte Gruppenprinzip aufrecht. Ich weiß sehr wohl, daß das sicher nicht nach dem Geschmack aller ist. Aber wir sollten uns darüber klar sein, daß die Frage der Gruppen — Arbeiter, Angestellten und Beamten — im öffentlichen Dienst 'bei der anstehenden Reform des öffentlichen Dienstrechts erörtert werden muß und daß man sie nicht sozusagen beiläufig bei Gelegenheit des Personalvertretungsgesetzes als eines Organisationsgesetzes lösen kann.
Es ist hier schon vom Minderheitenschutz gesprochen worden, und ich habe mit Vergnügen die goldenen Wort aus dem Munde von Herrn Volmer über die neuen Auffassungen der CDU/CSU über Minderheiten im allgemeinen und im speziellen gehört. Ich wäre dankbar, Herr Volmer, wenn Sie das Ihren Kollegen, beispielsweise auch im Bayerischen Landtag, einmal vermitteln würden. Ich meine, es geht hier um ein grundsätzliches Problem. Man kann sich nicht aussuchen, wie man Minderheiten mal da, mal dort behandelt. Ich glaube, es gibt auch in diesem Hause aus der Vergangenheit einige Punkte, die ich jetzt nicht erörtern will, aber die man vielleicht in diesem Zusammenhang noch in Erinnerung hat.
Dieser Minderheitenschutz ist für uns Freie Demokraten außerordentlich wichtig, nicht weil wir der Meinung wären, daß sich im öffentlichen Dienst eine Unzahl von Gruppen und Organisationen befehden sollten, sondern weil wir meinen, daß es unterschiedliche Interessen in dieser öffentlichen Verwaltung gibt, die die Möglichkeit haben müssen, sich in Organisationen zusammenzufinden, wobei der Arbeitsfriede, der in der öffentlichen Verwaltung be-
sonders wichtig ist, entscheidend davon abhängt, daß vorhandene Minderheiten nicht, um es drastisch auszudrücken, untergebuttert werden.
Ich möchte nicht versäumen, in diesem Zusammenhang auch darauf hinzuweisen, daß dieses Personalvertretungsgesetz auch die Rechte des einzelnen Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung sehr wohl im Auge hat. Dies ist ein Punkt, der, wie Sie verstehen können, uns besonders am Herzen liegt.
Meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist in der Öffentlichkeit sehr stark unter dem Gesichtspunkt diskutiert worden, daß es darum gehe, das Personalvertretungsgesetz an das Betriebsverfassungsgesetz anzugleichen. Damit sind natürlich auch einige Akzente in diese Diskussion hineingekommen, die vielleicht der Sache nicht gerecht werden, weil hier Unvergleichbares miteinander verglichen wird. Ich darf in diesem Zusammenhang mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einmal zitieren, was der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, Wolfgang Zeidler, in einem im übrigen sehr lesenswerten Aufsatz im „Deutschen Verwaltungsblatt" geschrieben hat. Dort sagt er:
Dies
— was ich eben nannte, also die Forderung nach Angleichung —
wird von den Gewerkschaften und Berufsverbänden ebenso wie von den Adressaten solcher Forderungen in den Parlamenten und Regierungen mit unreflektierter Schlichtheit des Arguments dahin begründet, daß man den Angehörigen des öffentlichen Dienstes die sonst im Arbeitsleben erreichten Fortschritte nicht vorenthalten könne.
Dies will auch niemand. Aber, meine Damen und Herren, wir müssen ganz deutlich sehen, daß es hier darum geht, die qualitativen Unterschiede zwischen der öffentlichen Verwaltung und der freien Wirtschaft zu berücksichtigen. Wir müssen sehen, daß es im Betriebsverfassungsgesetz darum ging, die Verfassung, die innere Ordnung des Unternehmens zu regeln und zusätzlich die Mitbestimmungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers festzuschreiben, während es hier im öffentlichen Dienst doch in erster Linie darum geht, diese Beteiligungsrechte festzuschreiben. Das, was wir „Betriebsverfassung des öffentlichen Dienstes" nennen könnten, ist doch wohl im Grundgesetz und in einer Vielzahl von Gesetzen festgehalten. Das entzieht sich der Regelung durch dieses Personalvertretungsgesetz.
Dies ist Anlaß, auch auf das noch einmal einzugehen, was in der öffentlichen Diskussion und beiläufig auch hier unter dem Thema Demokratisierung abgehandelt worden ist. Meine Damen und Herren, dieser Begriff ist außerordentlich schillernd. Es gibt Leute, die der Meinung sind, unter Demokratisierung in der öffentlichen Verwaltung sei letzten Endes zu verstehen, daß diese öffentliche Verwaltung ein sich selbst regulierender Staat im Staate sei. Dies kann jedenfalls unsere Meinung, die Meinung der Freien Demokraten nicht sein, und das wird auch nicht die Meinung — so hoffe ich j eden-
4338 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Groß
falls — anderer Teile des Hauses sein. Es muß hier in aller Deutlichkeit gesagt werden, daß wir eisern an den durch dieses Grundgesetz festgelegten Zuständigkeiten des Parlaments festhalten müssen. Um wiederum Zeidler zu zitieren: „Man kann sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, die Parlamente seien in eine Art euphorischen Rausch der Selbstentmachtung verfallen, der sich fast als Form eines spezifisch politischen Masochismus bezeichnen läßt." Hierauf wäre hinzuweisen. Ich meine, daß das Thema Demokratisierung sicher bei einer anderen Gelegenheit anzusprechen ist. Hier aber müssen wir auf die Entscheidungsrechte des Parlaments und der von ihm gebildeten Regierung abstellen. Wir müssen deutlich sehen, daß es doch sicher für uns alle unerträglich wäre, wenn wir hier eines Tages einen Minister auf eine Frage antworten ließen: Dafür kann ich keine Verantwortung übernehmen, darüber hat der Personalrat entschieden.
Meine Damen und Herren, dieses Gesetz — auch das sollte man sehen — kann die Verwaltungsabläufe erleichtern, indem es manche betriebsinternen Schwierigkeiten verkürzt. Dieses Gesetz kann den Verwaltungsablauf hemmen, wenn es extensiv ausgelegt wird.
Dieses Gesetz wird Geld kosten. Auch das muß der Bürger wissen. Die Kosten, die in dem Bericht des Haushaltsausschusses angegeben werden, verdoppeln sich, wenn Sie die Kosten aus dem Bereich der Bahn und der Post hinzunehmen. Demokratie ist teuer. Andere Staatsformen sind weitaus teurer. Diese hohen Kosten wird der Bürger hinnehmen, wenn auf der anderen Seite die Verwaltung besser funktioniert. Er wird uns eines Tages schelten, wenn daraus die Konsequenz erwachsen sollte, daß diese Verwaltung für den Bürger weniger erbringt.
Dieses Gesetz bringt Rechte, mehr Rechte, und bringt mehr Pflichten, auch wenn von diesen Pflichten in dem Gesetz nicht gesprochen wird.
Wenn es ein Ziel der Durchsetzung des Mitbestimmungsgedankens auch in der öffentlichen Verwaltung sein soll, daß der Beschäftigte von dem Gefühl, leise treten zu müssen, befreit wird, dann wäre es aber ein schlechter Tausch, wenn wir die Leisetreterei des Beschäftigten eintauschten gegen die Leisetreterei des Vorgesetzten. Es muß bleiben, daß der Vorgesetzte uneingeschränkt Mißstände auch Mißstände nennen kann.
Dieses Gesetz ist ein Angebot an alle Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung. Dieses Angebot kann sehr verschieden genutzt werden. Wird es im Sinne der Antragsteller genutzt — ich denke, auch des ganzen Hauses —, in dem Sinne nämlich, daß es darum geht, partnerschaftliches Verhältnis zu üben, wird dieses Gesetz eine Weiterentwicklung darstellen. Wird es aber mißbraucht, dann wird eines Tages der Bürger von uns verlangen, daß wir das, was hier gewährt wird, zurücknehmen. Es hängt nunmehr von den Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung ab — ihr Wirklichkeitssinn ist bisher sehr erfreulich gewesen —, dieses Gesetz
zu nutzen im Sinne des Bürgers und damit wohl auch dieses Hauses.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern, Herr Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt, daß die seit langem überfällige Reform des Personalvertretungsrechts vor dem Abschluß steht. Es war ein langer und oft mühevoller Weg von den ersten Vorbereitungen in der vergangenen Legislaturperiode bis heute. Als die erste Regierung Brandt/Scheel in ihrer ersten Regierungserklärung mitteilte, sie wolle eine Reform des Personalvertretungsgesetzes vorlegen, beendete sie eine 15jährige Periode der Reformabstinenz im öffentlichen Dienst.
So kam es auch, daß sie auf keinerlei Vorbereitungsarbeiten zurückgreifen konnte, sondern das Thema vom Grunde aus neu erarbeiten mußte.
Angesichts — nicht des Reform-, sondern — des Antragseifers, den wir heute aus den Kreisen der Opposition erlebt haben, muß man natürlich fragen, warum nicht schon vor 1969 alle diese Anträge, die Sie jetzt offensichtlich für notwendig halten, verwirklicht worden sind.
- Wie Sie das so sagen, Herr Kollege! Verführen Sie mich nicht dazu, zu diesen Anträgen etwas zu sagen. Wenn ich z. B. einen Änderungsantrag lese, auf dem oben als Antragsteller stehen die Abgeordneten Müller , Katzer, Dr. Blüm, Vogt, Russe, Orgaß und Genossen, dann kommt mir der Verdacht, daß hier einige Kollegen nach dem Ausgang des Hamburger Parteitags auf anderer Bühne endlich ein Erfolgserlebnis suchen.
— Nun haben Sie, verehrter Herr Kollege Katzer, das ja teilweise sogar erreicht: Sie haben nämlich zum erstenmal Ihre ganze Fraktion zwar nicht zur Unterstützung Ihrer Anträge, aber wenigstens zur Zustimmung im Parlament gebracht. Das konnten Ihre Kollegen auch, weil sie wußten, daß der Antrag eh nicht angenommen wird.
— Herr Kollege, das konnte ja gar nicht wehtun, weil Sie heute mit großer Hochachtung von mir gesprochen haben. Sie haben permanent einen ganz normalen Regierungsentwurf als Genscher-Entwurf
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4339
Bundesminister Genscher
bezeichnet, so als hätte ich die Mehrheit in der Bundesregierung.
Sie haben sich auseinandergesetzt mit einem Regierungsentwurf. Was Sie beklagen, sehen wir als Vorzug an. Wenn wir sagen: mehr Demokratie, so heißt das auch: Wenn wir einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, hinhören, was die Betroffenen sagen, daraus lernen und eigene Vorstellungen verbessern. Das ist der Inhalt dieses neuen Entwurfs,
der ja so gut ist, meine verehrten Damen und Herren, daß Sie heute uns sogar dazu verhelfen werden, sagen zu können: Diese unsere Vorstellungen haben die Zustimmung des ganzen Deutschen Bundestages gefunden. Was wollen Sie eigentlich mehr?
Wir geben Ihnen die Möglichkeit, hier eine wichtige innere Reform mit zu verabschieden. Diese Reform ist so gut, daß Sie zustimmen. Das ist wichtig, denn wir wollen, daß eine solche wichtige Reform auf einer breiten parlamentarischen Grundlage zur Verabschiedung kommt.
Diese Reform bringt einen wesentlichen Ausbau der Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte. Diese Reform bringt, was Ihnen nicht gefällt, eine wesentliche Verbesserung der Rechtsstellung der ausländischen Verwaltungsangehörigen das sage ich be-
sonders als Bundesminister des Innern durch die Einräumung auch des passiven Wahlrechts zu den Personalvertretungen.
Meine Damen und Herren, angesichts der noch nicht gelösten Fragen der Reform des öffentlichen Dienstes hält der Reformentwurf mit Recht am sogenannten Gruppenprinzip fest, das sich nach dem geltenden Recht bewährt hat. Solange es im öffentlichen Dienst Beschäftigte mit verschiedenem Status und daher zum Teil unterschiedlichen Interessen gibt, soll vermieden werden, daß kleinere Gruppen von einer größeren Gruppe majorisiert werden. Es gehört zum Wesen der Demokratie, die Interessen von Minderheiten in den Entscheidungsprozeß einzubeziehen.
Die Rahmenvorschriften lassen den Landesgesetzgebern den notwendigen Spielraum zur Berücksichtigung von organisatorischen und anderen Besonderheiten der einzelnen Länder. Wo solche Besonderheiten nicht gegeben sind, sollte es aber im Interesse der Einheitlichkeit des öffentlichen Dienstes einheitliche Regelungen in Bund, Ländern und Gemeinden geben. Die Angehörigen des öffentlichen Dienstes werden kein Verständnis für sachlich nicht begründete Unterschiede aufbringen.
Soweit wie möglich wird das neue Personalvertretungsrecht dem Betriebsverfassungsrecht angepaßt werden, aber die Unterschiede zwischen Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst sind nicht übersehen worden. Wir haben auch eine Reihe zusätzlicher Rechte eingeräumt. Das gesamte Verwaltungshandeln unterliegt der Kontrolle der Volksvertretung. Ihr müssen — darauf ist schon mit Recht hingewiesen worden — im demokratischen Rechtsstaat die Spitzen der Exekutive verantwortlich seien.
Die Verwaltungsangehörigen erhalten durch das neue Gesetz bessere Möglichkeiten, durch ihre gewählten Repräsentanten auf Entscheidungen, die sie unmittelbar betreffen, einzuwirken. Niemand soll durch eine dienstrechtliche Entscheidung mit ihren oft weitreichenden persönlichen Folgen vor vollendete Tatsachen gestellt werden können. Die frühzeitige Einschaltung der Personalvertretung wird einen gerechten Ausgleich der unterschiedlichen Interessen der Verwaltung und des einzelnen Beschäftigten, aber auch der Beschäftigten untereinander sichern. Die Angehörigen des öffentlichen Dienstes sollen sich nicht als Objekt einer anonymen Verwaltungsmaschinerie fühlen, sondern durch ihre Vertretungen den innerdienstlichen Bereich mitgestalten.
Die erweiterte Mitbestimmung im innerdienstlichen Bereich der öffentlichen Verwaltung ist eines der von der Bundesregierung bei ihrem Amtsantritt aufgestellten Reformziele. Sie wird sich zum Wohle der Verwaltungsangehörigen ebenso wie zum Besten der Allgemeinheit auswirken, wenn sie von allen Beteiligten verantwortungsbewußt gehandhabt wird. Alle, die erweiterte Mitbestimmungsrechte erhalten, übernehmen damit zugleich Mitverantwortung.
Das Gesetz ermöglicht, daß alle Beteiligten vertrauensvoll zum Wohle der Beschäftigten und zur Erfüllung der der Dienststelle obliegenden Aufgaben zusammenarbeiten. Es liegt jetzt an uns allen, vor allem aber an denjenigen, die in den Verwaltungen tätig sind und dort Verantwortung tragen, daß wir dieses Gesetz im Interesse der im öffentlichen Dienst Tätigen mit Leben erfüllen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor: Ich schließe die Aussprache in dritter Lesung.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz in dritter Lesung zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. Enthaltungen. — Bei zwei Enthaltungen ist das Gesetz angenommen.
Wir müssen noch über die Entschließung des Ausschusses abstimmen; Sie finden sie auf Seite 3. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 unserer Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch
Drucksache 7/550 —
4340 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Vizepräsident von Hassel
Bericht und Antrag des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform
— Drucksachen 7/1232, 7/1261 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Eyrich
Abgeordneter Dr. Penner
Ich darf zunächst den Berichterstattern danken. Ich frage die Berichterstatter, ob sie eine mündliche Ergänzung vorzutragen wünschen. — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die zweite Beratung. Wird das Wort zur allgemeinen Aussprache erbeten?
— Ich darf vielleicht, Herr Kollege, auf folgendes hinweisen. Es liegen ein paar Änderungsanträge vor, zu denen ich bei den Bestimmungen, auf die sie sich beziehen, das Wort erteilen möchte. Sind Sie damit einverstanden, oder wollen wir es in die generelle Aussprache mit einbeziehen?
Also, ich darf Sie bitten, mit mir in die Abstimmung einzutreten. Nehmen Sie bitte die Drucksache 7/1232 zur Hand. Zunächst einmal lasse ich über den Antrag des Ausschusses, die in den Ziffern 1 bis 7 auf Seite 3 bezeichneten Punkte zurückzustellen, abstimmen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Dann darf ich nunmehr die Art. 1 bis 38, zu denen Änderungsanträge nicht vorliegen, zur Abstimmung aufrufen. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen, keine Gegenstimmen; es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Art. 39 auf. Dazu bitte ich Sie, den Antrag Drucksache 7/1399 zur Hand zu nehmen.
Das Wort zur Begründung dieses Änderungsantrags hat der Herr Abgeordnete Dr. Penner.
-- Ich habe keine Bedenken. Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Antragsteller darf ich die Änderungsanträge wie folgt begründen.
Erstens. Mit der Drucksache 7/1399 wird eine technische Änderung beantragt, die dadurch erforderlich wird, daß der Bundestag soeben den Entwurf eines Bundespersonalvertretungsgesetzes — Drucksache 7/1339 — verabschiedet hat und daß dieses Gesetz vor dem Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch in Kraft treten wird. Das Einführungsgesetz muß also auf das künftige Bundespersonalvertretungsgesetz und nicht auf dessen Vorgänger abstellen.
Zweitens. Entsprechendes gilt für die Ziffern 1 und 2 des Antrags auf Drucksache 7/1400. Das Gesetz über eine Statistik des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs ist erst neulich verabschiedet worden und steht zur Verkündung an; es muß also ebenfalls im Einführungsgesetz berücksichtigt werden, was bisher nicht möglich war.
Drittens. Mit dem Antrag unter Ziffer 3 auf der Drucksache 7/1400 wird das Ziel verfolgt, zwei Vorschriften des Entwurfs statt am 1. Januar 1975 aus Gründen der Zweckmäßigkeit bereits am Tage nach der Verkündung in Kraft zusetzen.
Wir bitten um Zustimmung.
Das Wort wird zu den Änderungsanträgen nicht weiter gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 7/1399. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltung? — Der Änderungsantrag ist einstimmig beschlossen.
Damit ist Art. 39 gestrichen, und die Art. 264 und 297 sind geändert.
Ich rufe nun die Art. 39 a, 39 b und 40 bis einschließlich 250 auf. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Art. 250 a auf. Dazu liegen die Anträge unter den Ziffern 1 und 2 der Drucksache 7/1400 vor, die Herr Dr. Penner soeben begründet hat. Wer diesen Anträgen auf Drucksache 7/1400 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Es ist einstimmig so beschlossen. Damit ist ein neuer Art. 250 a eingefügt worden; der bisherige Art. 250 a wird Art. 250 b.
Wir stimmen nunmehr ab über Art. 250 b sowie über Art. 251 bis 298, davon Art. 264 und Art. 297 in der durch den Antrag Drucksache 7/1399 geänderten Fassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltung? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Zu Art. 299 liegt der Änderungsantrag auf Drucksache 7/1400 Ziffer 3 vor. Wer ist dafür? — Der Antrag ist angenommen.
Wir stimmen über Art. 299 in der geänderten Fassung sowie über Einleitung und Überschrift ab. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Damit sind wir am Ende der Einzelabstimmung in zweiter Beratung.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die Aussprache. Es liegt eine Reihe von Wortmeldungen vor. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lenz. — Der Abgeordnete ist nicht anwesend. An seiner Stelle der Abgeordnete Dr. Eyrich.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4341
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen heute am Ende der Beratung eines Gesetzes, das in der weiten Öffentlichkeit unbekannt ist und der weiten Öffentlichkeit nach aller Voraussicht auch fürderhin verschlossen bleiben wird.
Das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch hat dem Bundestag bereits in der 6. Legislaturperiode vorgelegen und konnte damals nicht mehr zu Ende beraten werden.
Anläßlich ,der Beratung des Gesetzes über das Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts hat unser Kollege Erhard zwei Gesichtspunkte im Hinblick auf 'dieses Einführungsgesetz dem Hohen Hause vorgetragen. Er hat erstens die Bereitschaft der Opposition erklärt, alles zu tun, was das Inkrafttreten des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes fördert. Dazu gehört die Verabschiedung dieses Einführungsgesetzes. Er hat zweitens Bedenkens vorgetragen, was die Qualität dieses Einführungsgesetzes betrifft angesichts des sehr starken Zeitdrucks, unter dem die Beratung des Einführungsgesetzes stand und steht. Lassen Sie mich zu diesen beiden Punkten etwas sagen.
Erstens. Die Zusage, an diesem Gesetz mitzuarbeiten, es zu fördern, es dort zu verändern, wo es notwendig erscheinnt, um es zu einem baldigen Abschluß zu bringen, hat die Opposition eingehalten. Sie hat diese Zusage auch angesichts des Umstandes eingehalten, daß nicht nur solche Änderungen vorgeschlagen waren, die dem Inkrafttreten des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes dienlich waren, sondern auch solche, die über den Rahmen eines Einführungsgesetzes zum Teil nicht unerheblich hinausgegangen sind.
Diejenigen Vorschriften, die eine längere Beratungszeit erfordert hätten und die über den soeben genannten Rahmen des Einführungsgesetzes hinausgingen, sind zurückgestellt worden. Zu nennen sind dabei insbesondere die Vorschriften über die Konkursstraftaten bei denen übrigens gewährleistet sein muß, daß sie im Zusammenhang mit den Überlegungen zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität einer intensiven Beratung unterzogen werden. Die Bedeutung dieses Zweiges der Strafrechtspflege wird immer mehr sichtbar.
Dagegen hat die CDU/CSU trotz mehrerer Bedenken auch manchen Vorschriften zugestimmt, deren Neufassung nicht unbedingt Gegenstand dieses Gesetzes hätte sein müssen. Ich muß allerdings darauf hinweisen, daß es sich im wesentlichen um solche Vorschriften handelte, gegen deren Neufassung auch der Bundesrat keine Bedenken vorbrachte, wiewohl sie von mancherlei Kritik der Wissenschaft begleitet waren. Wir haben diese Kritik der Wissenschaft ernstgenommen und sie dort, wo immer es möglich erschien, verwertet. Wenn wir trotzdem ungeachtet dieser Kritik manchen Bestimmungen zugestimmt haben, so deswegen, weil die Veränderungen dieser Vorschriften nicht tiefgreifender Natur, sondern im wesentlichen das Ergebnis einer
langen und unbestrittenen Rechtsprechung unserer obersten Gerichte gewesen sind.
Im Anschluß an diese Feststellung muß ich ein Wort zu der Regelung sagen, die in Zukunft dem Staatsanwalt die Möglichkeit gibt, bestimmte Verfahren gegen Auflagen und Weisungen einzustellen. Es ist hier besonders harte Kritik geübt worden. Es handelt sich aber nicht um eine unzulässige Ausdehnung staatsanwaltschaftlicher Befugnisse, sondern darum, in Fällen, die bisher im wesentlichen Übertretungen beinhalten, der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit zu geben, der Sache eine ihrer Bedeutung angemessene Behandlung zuteil werden zu lassen. Hinzu kommt, daß der Staatsanwalt in jedem Falle der Zustimmung des Beschuldigten bedarf. Daß es dabei Unzulänglichkeiten geben kann, ist bekannt; es ist unmöglich, sie alle zu verhindern. Daß aber sehr viele Bagatellverfahren — und allein um solche Verfahren handelt es sich — schnell und ohne die Belastung einer Hauptverhandlung abgeschlossen werden können, rechtfertigt meines Erachtens die Zustimmung zu einer solchen Regelung.
Andere Bedenken allerdings wiegen schwerer, schwerer deshalb, weil sie ein Stück des Selbstverständnisses des Parlaments tangieren. Es ist einfach unmöglich — und ich muß mich hier an den Herrn Justizminister wenden —, daß bei ein und demselben Gegenstand, nämlich in diesem Falle beim Strafverfahrensrecht, zwei Gesetzentwürfe an zwei verschiedene Ausschüsse gegeben werden. Das ist ein Zeichen mangelnder Koordination,
um nicht zu sagen: mangelnder Übersicht.
Der Bundeskanzler hat am 2. Mai 1973 diesem Parlament einen Gesetzentwurf zur Reform des Strafverfahrensrechts vorgelegt; dieser Entwurf fällt in die Zuständigkeit des Rechtsausschusses. Am 10. Mai 1973 haben derselbe Bundeskanzler und das Bundeskabinett diesem Parlament das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch mit der Zuständigkeit des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform — zugeleitet. Beide Entwürfe betreffen jeweils mehr als 100 Änderungen der Strafprozeßordnung, die sich zum Teil auch noch überschneiden. Das kann auch nicht mit dem Hinweis auf Zeitdruck entschuldigt werden. Und es sollte auch nicht der Verdacht aufkommen dürfen, daß die Bundesregierung eine notwendige Beschleunigung dazu nutzen wollte, mehr Änderungen als erforderlich in diesem Gesetzentwurf unterzubringen und dann verabschieden zu lassen. Dieses Verfahren — nicht der Inhalt der geänderten Bestimmungen — wird einige meiner Kollegen veranlassen, dem Gesetz ihre Zustimmung nicht zu geben.
Lassen Sie mich aber abschließend sagen, daß die CDU/CSU-Fraktion in ihrer Mehrheit diesem Gesetz aus folgenden Gründen zustimmen wird. Erstens. Dieses Gesetz dient dazu, das Zweite Strafrechtsreformgesetz endlich in Kraft zu setzen, ein Gesetz, das im Jahre 1969 unter Führung der CDU/ CSU verabschiedet worden ist. Es beinhaltet so wichtige Bestimmungen wie etwa die Abschaffung der kurzzeitigen Freiheitsstrafe und die Einrichtung
4342 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Dr. Eyrich
der sozialtherapeutischen Anstalten. Es enthält auch eine gerechtere Handhabung der Geldstrafe, die jeden ohne Ansehen seines Einkommens in gleichem Maße belasten soll. Durch die Einführung des Grundsatzes, daß sich die Höhe der Geldstrafe am Einkommen des Täters orientieren muß, wird verhindert, daß Bezieher niedrigerer Einkommen schwerer getroffen werden als andere.
Zweitens. Wir stimmen diesem Gesetz auch deshalb zu, weil allen Bundesländern die Möglichkeit gegeben werden muß, sich auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens, nämlich auf den 1. Januar 1975, einzustellen. Und wir stimmen ihm schließlich zu, weil wir mit diesem Gesetz einen Beitrag zur Rechtssicherheit in unserem Lande leisten wollen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Penner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heutige Tag besiegelt einen wichtigen Schritt auf dem Wege der Strafrechtserneuerung. Mit der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs wird der Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches in der geltenden Fassung durch neues Recht abgelöst. Auf der Grundlage des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes der 5. Legislaturperiode werden über 300 Strafgesetze angepaßt.
Gewiß hat es auch in der Vergangenheit an tiefgreifenden Ergänzungen, Änderungen und Aufhebungen im deutschen Strafrecht nicht gefehlt. Dunkle Punkte deutscher Strafrechtsgeschichte sind in frischer Erinnerung: die Aufhebung des Analogieverbots, die Einführung des „gesunden Volksempfindens" als Grundlage strafrechtlicher Beurteilung, die Volksschädlingsverordnung, das Heimtücke- und das Blutschutzgesetz sind bleibende Mahnmale aus der Zeit nationalsozialistischer Gewaltherrschaft. Andererseits sind das sehr fortschrittliche Jugendgerichtsgesetz aus dem Jahre 1923 und die Einführung des Instituts der Strafaussetzung zur Bewährung Fixpunkte aufgeklärten Strafrechtsverständnisses.
In der nunmehr über hundertjährigen Geschichte des deutschen Strafrechts hat es eine Reform in diesem Umfange nicht gegeben. Die Versuche zur Veränderung haben eine lange Tradition. Seit 1902 wird an der Reform des Strafrechts gearbeitet. Ungeachtet der nicht ermutigenden Ergebnisse bis zum Ende der Weimarer Zeit wurden auch nach dem zweiten Weltkrieg die Bemühungen um eine Strafrechtsreform aus einem Guß fortgesetzt, dies nun auch schon fast 20 Jahre lang. Die Arbeitsergebnisse teilen allerdings ein gemeinsames Schickal: sie wurden bisher nie geltendes Recht.
So gesehen ist der vorliegende Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch in Verbindung mit dem Zweiten Strafrechtsreformgesetz nicht nur dem Umfang nach von historischer Bedeutung. Selbstverständlich baut diese Erneuerung auf den praktischen Erfahrungen und den theoretischen Erkenntnissen einer langen Strafrechtsgeschichte auf. Die Aufmerksamkeit und die kritische Begleitung der Strafrechtstheorie bis in die jüngste Zeit hinein verdienen alle Anerkennung. Aber auch Tausende deutscher Strafrechtspraktiker, Richter und Staatsanwälte sind als Wegbereiter und Mitgestalter des neuen Rechts anzusehen. Dem vorliegenden Entwurf liegen die Planungen des Justizministeriums, die Anregungen des Bundesrates, die flankierenden Maßnahmen des Sekretariats des Sonderausschusses, die langen Beratungen im Plenum des Ausschusses, die eingehenden Untersuchungen in der eigens dafür eingesetzten Arbeitsgruppe und ungezählte Einzelüberlegungen zugrunde, ohne daß sie alle protokollarisch nachweisbar wären.
Die Diskussionswürdigkeit und die Dialektik einzelner Entscheidungen dieser Vorlage mag eingeräumt sein. Bemühungen um noch bessere, noch perfektere Lösungen hätten aber die Gefahr des Scheiterns der Reform insgesamt sehr leicht nach sich ziehen können. Selbst hartnäckige Zweifler werden einräumen müssen, daß die nunmehr zu treffende Entscheidung auf sehr soliden Voraussetzungen beruht. Bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts am 1. Januar 1975 haben die Länder Zeit, ihre Gesetzgebung, soweit dies erforderlich ist, dem neuen Recht anzupassen. Folgende Neuerungen, sämtlich auf der Grundlage des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes, sind besonders hervorzuheben:
Erstens. Übertretungen als die schwächste Form strafrechtlichen Fehlverhaltens soll es künftig nicht mehr geben. Die schon in den 60er Jahren begonnene Entkriminalisierung im Verkehrsstrafrecht wird damit auch im übrigen Strafrecht vollzogen. Diese Strafvorschriften sollen überwiegend als Ordnungswidrigkeiten ausgewiesen werden. Sie verlangen Beachtung, als strafbares Unrecht erscheinen sie jedoch nicht. Dies entspricht dem differenzierenden Selbstverständnis unserer Rechtsstaatlichkeit. Das Strafrecht muß, will es wirksam sein, auf schwerwiegende Verstöße gegen die Rechtsordnung beschränkt sein. Die vorgesehene Eingrenzung des Strafrechts kann daher auch dazu beitragen, die Strafverfolgungsbehörden von weniger Wesentlichem zu entlasten und damit bei der Bekämpfung der Schwerkriminalität zu unterstützen.
Die Entwendung geringwertiger Sachen, Übertretungen nach geltendem Recht, soll davon abweichend auch in Zukunft wie der eigentliche Diebstahl strafbar sein. Der Ausschuß hielt es für angezeigt, im Hinblick auf die hohen Schadensquoten in Selbstbedienungsläden auf Strafrechtsschutz nicht zu verzichten.
Eine Erweiterung dieses Schutzes ist damit nicht beabsichtigt. Diese Möglichkeiten der Strafprozeßordnung und beabsichtigte Ergänzungen der Richtlinien für das Strafverfahren sollten wichtige Hinweise sein, die Strafverfolgung wie bisher auf die geeigneten Fälle zu konzentrieren. Das Spannungsfeld zwischen den verführerischen Möglichkeiten eigener Art der Selbstbedienung und der Notwendigkeit strafrechtlichen Schutzes ist in diesem Zusammenhang besonders gegeneinander abzuwägen.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4343
Dr. Penner
Zweitens. Die Geldstrafe wird noch mehr als bisher die kurzfristige Freiheitsstrafe ablösen. Freiheitsstrafen unter einem Monat soll es nicht mehr geben. Die durchweg unguten Erfahrungen bei der Vollstreckung kurzfristiger Freiheitsstrafen hierzulande und die ermutigenden Ergebnisse anderer Länder bei der Verhängung von Geldstrafen anstelle dieser kurzen Freiheitsstrafen sind für diese Empfehlung maßgebend. Der untere Bereich des Strafrahmens erscheint deshalb besser abgedeckt als bisher.
Freilich, die Entscheidung für Geldstrafe anstelle kurzfristiger Freiheitsstrafe wird für die Praxis nicht in allen Fällen gänzlich problemfrei sein. So ist es durchaus denkbar, daß namentlich bei Verletzung der Unterhaltspflicht eine kurzfristige Freiheitsstrafe die einzig mögliche Strafe ist, will man diesen Straftatbestand selbst nicht in Frage stellen.
Das vorgeschlagene Tagessatzsystem bei Geldstrafen stellt sicher, daß jeder Betroffene entsprechend seinen wirtschaftlichen Verhältnissen zur Kasse gefordert wird. Diese Regelung ist wichtig. Sie trägt dem Gleichheitsgrundsatz für die Wirkung der Strafe Rechnung. Das Mindestmaß für eine Geldstrafe soll 10 DM sein, ihr Höchstmaß 3,6 Millionen DM. Dieser weite Rahmen bietet der Strafjustiz ausreichend Gelegenheit für ausbalancierte Strafzumessung auch in diesem Bereich.
Drittens. Mit der sozialtherapeutischen Anstalt und der Führungsaufsicht soll der Teufelskreis des reinen Vergeltungsstrafrechts durchbrochen werden. In der Tat kann dem Staat nicht daran gelegen sein, sich auf bloße Strafen zu verlegen, wenn dies eine Wurzel zu weiterem kriminellen Handeln ist. Der Staat, die Gemeinschaft der Bürger, kann sich nicht darauf beschränken, der Kriminalität ausschließlich mit den Möglichkeiten der Strafe zu begegnen. Wir alle werden lernen müssen, daß Wiederholung strafbarer Handlungen darüber hinaus durch ein differenziertes Instrumentarium kriminalpolitischer, sozialpolitischer und gesellschaftspolitischer Maßnahmen, wenn schon nicht gänzlich verhindert, so doch erheblich erschwert werden kann.
Beide Institute, sozialtherapeutische Anstalt und Führungsaufsicht, erscheinen als geeignete Markierungen auf dem Wege zu wirksamerer Verbrechensbekämpfung.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist die Strafrechtsreform nicht zu Ende. Im materiellen Strafrecht gilt dies besonders für die Wirtschaftskriminalität. Es ist zu begrüßen, daß die Bundesregierung hierzu noch in dieser Legislaturperiode einen umfassenden Gesetzentwurf vorlegen will. Daß sich die Bemühungen der Bundesregierung nicht auf das rein Strafrechtliche beschränken, sondern auch die Vorfelder dieser Kriminalität Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit sind, läßt auf die Schaffung geeigneter Instrumente hoffen.
Gerade der Bereich der Wirtschaftskriminalität macht sinnfällig, daß das Strafrecht künftig nicht mehr ausschließlich oder hauptsächlich als nationale
Aufgabe gesehen werden kann. Die zunehmende Internationalisierung vieler Lebensvorgänge zwingt uns einfach dazu, sollen nicht Reservate für Wirtschaftsstraftäter großen Stils entstehen oder erhalten bleiben. Die Strafandrohungen der einzelnen Straftatbestände werden eingehend untersucht werden müssen. Allein der Vergleich zwischen den Tatbeständen der Körperverletzung und des Diebstahls läßt ein Spannungsverhältnis zu Lasten des Rechtsguts Gesundheit erkennen, das beseitigt werden sollte.
Eine Aufgabe von besonderem Rang wird es sein, unser Strafrecht ständig mit der Sonde des Anspruchs und der Verfassungswirklichkeit der Grundrechte zu messen. Dabei wird es nicht genügen, daß Leben, Gesundheit, Freiheit oder auch Eigentum, wie schon früher, so auch jetzt strafrechtlich geschützt sind. Die möglichen Gefährdungen dieser Rechtsgüter mit Verfassungsrang durch ungezügelte Industrialisierung und Technologie sollten in diesem Zusammenhang sorgfältig beobachtet werden. Das Strafrecht in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat kann dazu beitragen, Grenzen mitzubestimmen, die im Interesse des einzelnen nicht überschritten werden dürfen. Vom Umweltschutz einmal abgesehen, dessen zentrale Bedeutung inzwischen allgemein erkannt worden ist, gilt dies vorrangig auch für den Bereich des Datenschutzes.
Reform des Strafrechts kann nicht allein auf das materielle Recht beschränkt sein. Strafverfahrensrecht und Strafvollzugsrecht gehören dazu. Die Bundesregierung hat dies mit der Vorlage der Entwürfe zu einem Strafverfahrensreformgesetz und einem Strafvollzugsgesetz berücksichtigt. Die SPD-Bundestagsfraktion hält diese Konzeption der Bundesregierung für richtig. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein wichtiges Teilstück der Erneuerung des Strafrechts.
Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt der Vorlage zu.
Das Wort hat der Abgeordnete von Schoeler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Mit der Verabschiedung des Ihnen vorliegenden Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch gibt der Bundestag heute grünes Licht für das Inkrafttreten des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes. Das Zweite .Strafrechtsreformgesetz, im Jahre 1969 von allen Fraktionen in diesem Hause gemeinsam beschlossen, konnte Ibis heute nicht in Kraft treten, weil die notwendige Anpassung nicht nur des Strafgesetzbuches, sondern zahlreicher anderer Gesetze sowie vieler Vorschriften des Nebenstrafrechtes bis jetzt nicht erfolgt ist.
Heute nun werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß am 1. Januar 1975 ein großer Schritt auf dem Wege insbesondere zu einer modernen Ausgestaltung des Sanktionsystems unseres Strafrechts zurückgelegt werden kann. Damit werden der Strafrechtspraxis einige wirksame Instrumente der Krimi-
4344 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
von Schoeler
nalpolitik mit dem Ziel einer Verhütung künftiger Straftaten vor allem durch Resozialisierung des Straftäters zur Verfügung gestellt.
An erster Stelle möchte ich hier die Einschränkung der kurzen Freiheitsstrafen durch Anhebung des Mindestmaßes von einem Tag auf einen Monat erwähnen. Damit wird der Erkenntnis Rechnung getragen, daß die Verbüßung kurzer Freiheitsstrafen spezialpräventiv mehr Schaden als Nutzen anrichtet, daß ein an der Resozialisierung des Täters orientierter Behandlungsvollzug während der Verbüßung einer kurzen Freiheitsstrafe nicht möglich ist und daß die Belastung des Vollzuges durch viele Kurzstrafer eine sinnvolle Arbeit im Strafvollzug erschwert. Hier ist zu erwähnen, daß sich die Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafen zugunsten der Geldstrafen auf Grund des Ersten Strafrechtsreformgesetzes entgegen da und dort öffentlich geäußerten Befürchtungen positiv ausgewirkt hat, wie die Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende Anfrage der Fraktionen ,der SPD und FDP vom 26. Juni dieses Jahres ergeben hat.
Wir Freien Demokraten treten dafür ein, auf diesem Wege weiterzugehen, und bitten an dieser Stelle den Bundesjustizminister, auf Grund der vor- 1 liegenden Rechtstatsachen noch einmal eingehend zu überprüfen, ob eine weitere Anhebung des Mindestmaßes der kurzen Freiheitsstrafen vorgenommen werden kann. Die Beratung des Strafvollzugsgesetzes wird uns im Strafrechtssonderausschuß noch einmal zu Überlegungen in diesem Sinne Anlaß sein.
Dem Ziel der Zurückdrängung der Freiheitsstrafe zugunsten der Geldstrafe dient auch die gerechtere und soziale Ausgestaltung der Geldstrafe durch Einführung des Tagessatzsystems, das sich an skandinavischen Vorbildern orientiert. Ebenfalls auf Grund des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes wird das neue Institut der Verwarnung mit Strafvorbehalt eingeführt. Damit wird den Gerichten in Zukunft eine Möglichkeit gegeben sein, im unteren Bereich der Kriminalität dem zu einer Geldstrafe Verurteilten bei einer günstigen Prognose für seine zukünftige Entwicklung im Bewährungsfalle den Makel einer Vorstrafe zu ersparen.
Meine Damen und Herren, große Sorge bereitet uns Freien Demokraten die praktische Verwirklichung eines weiteren Kernstücks des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes, nämlich die Einrichtung der sozialtherapeutischen Anstalten durch die Bundesländer. In diesen Anstalten sollen nach dem Willen des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes Täter, die z. B. auf Grund einer schweren Persönlichkeitsstörung einer besonderen Behandlung bedürfen, untergebracht werden. Nach dem im Jahre 1969 von den Sprechern aller Fraktionen in diesem Hause bekundeten Willen sollten die sozialtherapeutischen Anstalten darüber hinaus Modellcharakter für den gesamten Strafvollzug haben. Obwohl den Bundesländern seit mehreren Jahren bewußt ist, daß die Einrichtung dieser Anstalten auf sie zukommt, wird bisher erst in sozialtherapeutischen Anstalten in Düren, Hohenasperg, Hamburg-Bergedorf, Gandersheim, Ludwigshafen und Erlangen gearbeitet. Die
genannten Anstalten haben insgesamt nur 174
Plätze. Das ist, wie ich meine, eine traurige Bilanz.
Die — um nicht schärfere Worte zu gebrauchen -Zurückhaltung der Bundesländer bei der Einrichtung sozialtherapeutischer Anstalten hat uns gezwungen, im Juli dieses Jahres in diesem Hause das Inkrafttreten der entsprechenden Vorschriften des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes auf den 1. Januar 1978 zu verschieben. Die Bundesländer fordern ein weiteres Hinausschieben dieses Termins. Es stellt dem Reformwillen der Länder ein schlechtes Zeugnis aus, wenn eine von allen Fraktionen dieses Hauses als so wesentlich angesehene Reform des Strafrechts und des Strafvollzuges immer wieder hinausgeschoben wird.
In den Diskussionen wird die Absicht der Länder deutlich, die entsprechenden Vorschriften zugunsten einer vollzugsrechtlichen Lösung zu streichen, bevor sie überhaupt in Kraft treten konnten. Eine solche Lösung hätte neben allen materiellen Nachteilen, über die wir uns im Strafrechtssonderausschuß ausführlich unterhalten haben, sicher auch den Nachteil, daß der Zwang zur Einrichtung solcher Anstalten für die Länder erheblich vermindert, wenn nicht gar beseitigt würde. Wir Freien Demokraten werden uns diesen Bestrebungen widersetzen und am Inkrafttreten der Vorschriften über die sozialtherapeutischen Anstalten am 1. Januar 1978 festhalten.
Mit dem Ihnen vorliegenden Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch werden, der grundsätzlichen Entscheidung des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes folgend, die Übertretungen des Hauptstrafrechts und die Übertretungstatbestände des Nebenstrafrechts in Ordnungswidrigkeiten umgewandelt, sofern sie nicht ersatzlos entfallen konnten. Hierbei sind in einigen Fällen einige Probleme aufgetaucht. So wird z. B. die jetzt im Rahmen der Bagatellkriminalität gefundene Lösung ständiger Überprüfung bedürfen. Insgesamt aber wird mit der Beseitigung der Übertretungen ein wesentlicher Beitrag dazu geleistet, daß sich das Strafrecht, am Grundgesetz orientiert, auf schwerwiegende Verstöße gegen die Rechtsordnung beschränkt.
Mit dem vorliegenden Einführungsgesetz werden wegen der notwendigen Anpassungen an das Zweite Strafrechtsreformgesetz in einigen Bereichen auch Änderungen des materiellen Rechts vorgenommen. Im Strafrechtssonderausschuß und in der von ihm eingesetzten Arbeitsgruppe haben wir die Frage, ob solche Änderungen im Rahmen eines Einführungsgesetzes vertretbar erscheinen, nicht leichtgenommen und in jedem Fall eingehend geprüft. Einige im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Neuregelungen haben wir zurückgestellt, so z. B. die Neugestaltung der Konkursstraftatbestände, die Frage der Lockerung des Steuergeheimnisses im Strafverfahren zwecks Bemessung der Geldstrafe und die Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4345
von Schoeler
In anderen Bereichen schlagen wir Ihnen Neuregelungen vor. Dabei war für uns zum einen die Überlegung maßgebend, daß es nicht vertretbar wäre, veraltete Strafvorschriften unverändert zu belassen und lediglich technisch anzupassen, obwohl uns allen bewußt war, daß in dieser Legislaturperiode auf Grund des vor uns liegenden Gesetzgebungsprogramms notwendige Reformen nicht mehr vorgenommen werden können. Zum anderen waren wir uns alle der Verpflichtung bewußt, das Inkrafttreten des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes nicht länger hinauszuzögern.
Lassen Sie mich die Bedeutung dieser Entscheidung mit einem persönlichen Beispiel erläutern. Ein Jahr, nachdem ich 1968 mit dem Jurastudium begonnen hatte, beschloß der Bundestag das Zweite Strafrechtsreformgesetz. Die Hoffnungen aller Strafrechtstheoretiker und aller Strafrechtspraktiker auf eine moderne Gestaltung unseres Strafrechts waren damals groß. Die entsprechenden Vorschriften sind bis heute nicht in Kraft getreten. So gesehen, leisten wir heute mit der Verabschiedung des Einführungsgesetzes einen erheblichen Beitrag dazu, daß die Glaubwürdigkeit des Gesetzgebers nicht ernstlich gefährdet wird. Für uns Freie Demokraten, die wir seit vielen Jahren an einer fortschrittlichen Entwicklung des Strafrechts gearbeitet haben — wir werden auch weiter daran arbeiten —, war dieser Gesichtspunkt von besonderer Bedeutung.
Mit dem heutigen Tag ist die Strafrechtsreform nicht zu Ende. Auch die Reform des Besonderen Teils des Strafrechts ist mit der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfes keineswegs abgeschlossen. Einige der angepaßten oder geänderten Vorschriften werden der Überprüfung bedürfen. Neuregelungen werden im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts und der Umweltschutzdelikte notwendig sein. Ergänzt wird die Strafrechtsreform noch in dieser Legislaturperiode durch das Strafvollzugsgesetz und die Reform des Strafverfahrens. Der Bundesjustizminister kann auf diesem Wege unserer drängenden Unterstützung gewiß sein.
Im Namen der FDP-Fraktion bitte ich Sie, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lenz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte zunächst um Entschuldigung, wenn ich vorhin aufgerufen worden sein sollte und nicht im Saale war. Ich war im Vermittlungsausschuß und konnte das nicht voraussehen.
Zur Sache möchte ich zwei Bemerkungen machen. Die erste Bemerkung betrifft das Verfahren.
Herr Bundesminister der Justiz, der Bundeskanzler hat uns am 2. Mai 1973 den sogenannten Strafverfahrensrefomgesetzentwurf geschickt, der, wenn ich es richtig sehe, 123 Änderungen der Strafprozeßordnung beinhaltete. Eine Woche später, am 10. Mai, hat uns der Bundeskanzler einen weiteren Gesetz-
entwurf geschickt, den Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch, den wir heute beraten. Er bringt weitere 133 Änderungen der Strafprozeßordnung. Nach einer überschlägigen Zählung waren in drei Dutzend Fällen dieselben Vorschriften von Änderung betroffen. Der eine Gesetzentwurf wurde am 24. Mai dem Sonderausschuß und der andere am 18. Mai dem Rechtsausschuß überwiesen.
Wir haben die Tatsache zu verzeichnen, Herr Bundesminister der Justiz, daß der Rechtsausschuß einen Gegenstand zur Beratung überwiesen bekommen hat — er ist ihm bisher nicht etwa weggenommen worden , der heute hier verabschiedet werden soll, der entscheidende Punkt des Strafverfahrensrechts regelt, z. B. die Befugnisse der Staatsanwaltschaft zur Einstellung von Verfahren. Ich glaube, daß sich in der deutschen Gesetzgebungsgeschichte ein Vorgang dieser Art nicht wiederfindet:
daß das gleiche Gesetz auf zwei Gleisen gleichzeitig und unkoordiniert geändert wird.
Wir haben das neulich, Herr Bundesminister der Justiz, im Rechtsausschuß festgestellt und gefragt, ob das denn nun das richtige Verfahren sei. Da haben all diejenigen, die sich als zur Regierungsseite gehörig fühlten, ein bißchen betroffen unter den Tisch geschaut, weil man dieses Verfahren eben offenbar nicht vertreten kann.
Ich glaube, Herr Bundesminister der Justiz, dies ist keine reine Formmäkelei. Rechtsstaatlichkeit ist vor allen Dingen geordnetes Verfahren. Aber das, was hier vorliegt, ist unordentliches Verfahren.
Nun muß ich hier aber auch eine zweite Berner-kung machen, Herr Bundesminister der Justiz. In der Beratung ist schon angesprochen worden, daß dieser Entwurf über den Rahmen eines Einführungsgesetzes hinausgeht. Warum war das notwendig? Warum war das gut? Sollte hier einfach unter dem Titel „Einführungsgesetz" die normale Zuständigkeit der parlamentarischen Ausschüsse umgangen werden, um vielleicht das eine oder andere schneller, anders oder besser durchzuziehen? Ich glaube, Herr Bundesminister der Justiz, auch diesen Punkt sollte man sich noch einmal deutlich überlegen. Ein Einführungsgesetz hat im Recht eine ganz bestimmte Funktion. Aber was hier vorliegt, geht entschieden darüber hinaus.
Ich maße mir nicht an, hier jetzt zu sagen, ob die einzelnen Regelungen gut oder schlecht sind. Dazu ist das Werk zu umfangreich. Die Möglichkeiten zum Studium waren für diejenigen, die nicht die Ausschußberatungen mitgemacht haben; zu gering. Ich möchte nur sagen, daß mir das ganze Verfahren in dieser Art kein Vertrauen einflößt, bei dem ich diesem Gesetzentwurf etwa meine Zustimmung geben könnte. Ich persönlich werde den Entwurf ablehnen.
Noch eine dritte Bemerkung. Sie werden natürlich fragen, Herr Bundesminister der Justiz — und Sie haben ein Recht, zu erfahren, was ich dazu sage —, wie man es hätte machen sollen. Ich will Ihnen dar-
4346 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Dr. Lenz
auf eine ganz klare und eindeutige Antwort geben. Wir haben hier im Mai dieses Jahres über die Frage des Inkrafttretens gesprochen. Da ging es um die Frage, ob der 1. Januar 1975 oder der 1. Januar 1976 gewählt werden sollte. Damals hat die Koalition mit ihrer Mehrheit den 1. Januar 1975 durchgesetzt und mit Hilfe dieses Datums den Termindruck erzeugt, der wahrscheinlich als Rechtfertigung für dieses Verfahren, das ich hier kritisiert habe, herangezogen wird. Man hätte nichts anderes zu tun brauchen, Herr Bundesminister der Justiz, als unseren Termin zu akzeptieren und dann einen einzigen Gesetzentwurf zur Änderung der Strafprozeßordnung vorzulegen. Ein solches Gesetz hätte ordnungsgemäß und rechtzeitig zu diesem Datum fertiggestellt werden können. Das hier angewandte Verfahren ist unter keinem Gesichtspunkt zu rechtfertigen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz, Herr Jahn.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsisident! Meine Damen und Herren! Ich will nur kurz auf die Bemerkungen von Herrn Kollegen Dr. Lenz eingehen. Sie wissen genau, daß es für dieses Verfahren, die Änderungen der Strafprozeßordnung mit Hilfe von zwei Gesetzen anzugehen, sachliche Notwendigkeiten gab.
Sie können das bestreiten, aber Sie können die Tatsachen damit nicht aus der Welt reden.
Das Inkrafttreten des Strafgesetzbuches in seiner neuen Fassung, insbesondere des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes, war ohnehin, da es eine schwierige Arbeit ist, schon allzu lange hinausgeschoben worden. Es war der übereinstimmende Wille der Fraktionen der Koalition, dem ich in vollem Umfange zustimme, dieses Gesetz nicht nur so schnell wie möglich auf den Weg zu bringen, sondern auch so bald wie möglich in Kraft treten zu lassen. Ungeachtet dessen gehörte in diesen Zusammenhang aber wegen der im Einführungsgesetz enthaltenen materiellen Bestimmungen notwendigerweise das Eingehen auf eine Reihe strafprozessualer Vorschriften. Daß darüber hinaus in diesem Zusammenhang dann auch andere Änderungen des Strafprozeßrechtes erforderlich waren, ergab sich einfach daraus, daß wir doch verpflichtet waren, alles, was sinnvollerweise in diesem Zusammenhang mit dem Inkraftsetzen des Zweiten Strafrechtsreformgesetzes, der damit verbundenen umfangreichen Rechtsbereinigung und möglichen, weil im Grunde unstrittigen Reformen verbunden werden konnte, auch in dieses Einführungsgesetz aufzunehmen. An dieser Notwendigkeit hat es bisher auch keinen Zweifel gegeben. Ich meine deshalb, daß die Beanstandung des Verfahrens, die von Ihrer Seite hier geltend gemacht worden sind, in der Sache selber niemandem etwas nützen, daß sie insbesondere aber gegenüber den Überlegungen, die auch Ihnen bekannt sind und die zur notwendigen Behandlung des
Einführungsgesetzes in dieser Form geführt haben, keine gerechte Kritik an den Vorarbeiten darstellen. Ich muß sie deshalb zurückweisen.
Meine Damen und Herren, die Geschichte der Reform unseres über 100 Jahre alten Strafgesetzbuches reicht weit zurück. Etwa 70 Jahre dauerte das Ringen um die Erneuerung des Strafgesetzbuches an. Der entscheidende Wendepunkt ist im Jahre 1969 eingetreten, als das Erste und Zweite Strafrechtsreformgesetz verabschiedet wurden. Diese beiden Gesetze sind von meinem Amtsvorgänger Professor Ehmke bei der Schlußberatung in diesem Hause mit Recht als der entscheidende Durchbruch zu einer modernen Konzeption des Strafrechts bezeichnet worden.
Das zweite Gesetz zur Reform des Strafgesetzbuchs mit seinem neuen Strafen- und Maßregelsystem ist jedoch noch nicht in Kraft getreten. Es konnte auch noch nicht in Kraft gesetzt werden. Dafür ist eine Fülle von einführenden Bestimmungen notwendig, die jetzt der vorliegende Entwurf des Einführungsgesetzes bringt. Damit vollendet sich die Geschichte zur Erneuerung des Strafgesetzbuches als eines großen Gesamtwerks.
Die freilich weiterhin notwendigen Reformarbeiten können sich künftig auf Teilbereiche des Strafgesetzbuches beschränken. Die Reform der Strafvorschriften über den Schwangerschaftsabbruch, die Strafvorschriften zur besseren Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, die Strafvorschriften zum Umweltschutz und andere Teilbereiche sind noch unerledigte oder auch neuartige Fragen, mit denen wir uns jetzt auseinandersetzen müssen.
Der heutige Tag, an dem die Geschichte der Strafrechtsreform als Gesamtwerk zu einem guten Ende geführt wird, gibt Grund zu Freude und Dankbarkeit. Mein Dank und meine Anerkennung gelten in erster Linie dem Sonderausschuß für die Strafrechtsreform und im besonderen Maße der Arbeitsgruppe dieses Ausschusses, den Herren Abgeordneten Dr. Eyrich, Dr. Penner und von Schoeler. Nur auf Grund der eingehenden, schwierigen und zeitraubenden Arbeit, die von den genannten Mitgliedern des Ausschusses neben ihrer sonstigen parlamentarischen Arbeit, zum Teil in den Ferien und in Klausurtagungen, stellvertretend für alle Fraktionen dieses Hauses geleistet worden ist, konnte diese Vorlage, die sicher zu den umfangreichsten Gesetzgebungswerken dieses Jahrhunderts gehört, in der parlamentarischen Beratung bewältigt werden. Es ist der Sache zugute gekommen, daß sich diese Arbeitsgruppe in so hervorragender Weise zu einer gemeinsamen Beratung dieser umfangreichen Gesetzesvorlage zusammengefunden hat. Diese Zusammenarbeit war erfolgreich. Dabei danke ich in ganz besonderem Maße Ihnen, Herr Dr. Eyrich, als dem Vorsitzenden dieser Arbeitsgruppe.
Das Verdienst der Herren Kollegen Dr. Penner und von Schoeler wird dadurch nicht geschmälert. Sehr herzlich danke ich aber auch dem Vorsitzenden des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, Herrn Dr. Müller-Emmert, der mit hervorragender Sach-
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4347
Bundesminister Jahn
kunde und Umsicht die Ausschußberatungen zum Abschluß geführt hat.
Unter dem farblosen Namen „Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch", den der vorliegende Entwurf hat, sind neben der notwendigen technischen Anpassung des gesamten Bundesrechts an die neue Konzeption des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches aus Gründen der notwendigen oder zumindest gebotenen Rechtsbereinigung auch ein Bündel von Einzelreformen zusammengefaßt. Die Reform der Bestechungsdelikte löst die seit langem fragwürdige Verordnung gegen Bestechung und Geheimnisverrat nichtbeamteter Personen aus dem Jahre 1943 ab. Die Reform der Strafvorschriften über die Verletzung von Privatgeheimnissen durch Amtsträger und amtsnahe Personen löst die bisherigen Einzelregelungen in Hunderten von Gesetzen außerhalb des Strafgesetzbuches ab. Die Reform der Strafvorschriften über Geld- und Wertzeichenfälschung löst ältere verstreute Vorschriften über die Wertzeichenfälschung in einzelnen Gesetzen außerhalb des Strafgesetzbuches ab. Dies sind nur wenige Beispiele, die zeigen, daß zugleich auch der Besondere Teil des Strafgesetzbuches mit der notwendigen Anpassung in weiten Teilen ein neues Gesicht erhält, um längst überfällige Reformanliegen in die Tat umzusetzen.
Die Aufnahme dieser Einzelreformen in das Einführungsgesetz hat zum Teil nicht erst heute, Herr Kollege Lenz, Kritik hervorgerufen. Damit würden, so hieß es, versteckt oder überhastet Rechtserneuerungen vorgenommen. Davon kann keine Rede sein. Jede dieser Änderungen ist im Bundesrat und im federführenden Ausschuß dieses Hauses offen und so eingehend, wie dies sachlich geboten erschien, abgehandelt worden. Schon die zahlreichen Änderungen, die der federführende Ausschuß hierzu vorgeschlagen hat, zeigen anschaulich, wie gründlich die parlamentarischen Beratungen trotz der Fülle des Stoffes und trotz der gewiß knapp bemessenen Zeit durchgeführt worden sind.
Ich begrüße es sehr, daß der Ausschuß auf Grund dieser Beratungen im wesentlichen der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Lösung zugestimmt hat. Sie bringt gegenüber dem geltenden Recht ganz erhebliche Verbesserungen. Sie macht den Weg dafür frei, die künftigen gesetzgeberischen Reformarbeiten auf einzelne, wichtige Schwerpunkte zu konzentrieren.
Daß der Ausschuß andererseits eine Reihe von Einzelproblemen, die noch eingehender geprüft werden müssen, z. B. die Neuregelung des § 4 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und das Konkursstrafrecht, aus dem Entwurf ausgeklammert und zur weiteren Beratung anhängig gelassen hat, ist ebenfalls zu begrüßen. Dieses Verfahren hat zwei Vorteile, erstens den, daß das Inkrafttreten der Strafrechtsreform als Gesamtwerk zu dem gesetzlich fixierten Zeitpunkt, dem 1. Januar 1975, nicht gefährdet wird, und zweitens den, daß rechtspolitisch so bedeutsame Änderungen wie z. B. die von der Bundesregierung im Interesse eines wirksameren Verbraucherschutzes vorgeschlagene Erweiterung der Strafvorschrift über die irreführende
Werbung nicht einfach unter den Tisch fallen, sondern weiterhin Beratungsgegenstand bleiben.
Der Ausschuß hat damit rechtspolitisch Schwerpunkte gesetzt. Er hat Reformanliegen, die im wesentlichen rechtspolitisch nicht umstritten und die auch eingehend vorberaten sind, in den Grundzügen, jedoch auch mit zahlreichen Verbesserungsvorschlägen zu Einzelfragen zugestimmt. Auf diese Weise erhält das Strafgesetzbuch eine in wesentlichen Teilen aufeinander abgestimmte und neueren Erkenntnissen sowie Gegegebenheiten besser gerecht werdende Fassung.
Zugleich bleibt bei dem hier eingeschlagenen Weg noch genügend Zeit dafür frei, im Ausschuß besonders dringliche Einzelreformanliegen näher zu beraten, nachdem die Voraussetzungen für das Inkrafttreten des neuen Strafgesetzbuches als großen Gesamtwerks mit dem vorliegenden Entwurf geschaffen worden sind.
Es ist zu begrüßen, daß die Gesetzesvorlage von allen Fraktionen getragen wird. Dort, wo wir uns in der parlamentarischen Arbeit zu einer gemeinsamen Auffassung finden können, sollten wir diese Gelegenheit auch nutzen. Dies gilt besonders für Reformen des Strafrechts, deren Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit dadurch erheblich gestärkt werden, daß sie im Parlament eine möglichst breite Mehrheit finden. Deshalb bitte ich Sie namens der Bundesregierung, der Vorlage zuzustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache in dritter Lesung.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz in der Schlußabstimmung zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist bei zwei Gegenstimmen und zwei Enthaltungen angenommen.
Ich darf Sie bitten, noch einen Moment zu verweilen. Wir erledigen noch einige Punkte, um die Tagesordnung für morgen auf die großen Gesetzesvorhaben zu konzentrieren, die wir noch zu beraten haben.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluß vom 28. Februar 1972 der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zur Aufhebung der gemäß Artikel 69 des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl erlassenen Rechtsakte
— Drucksache 7/1142 —
Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 7/1374 —
Berichterstatter: Abgeordneter Wolfram
Ich danke dem Berichterstatter.
4348 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973
Vizepräsident von Hassel
Ich eröffne die Aussprache und rufe die Art. 1, 2 und 3 auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetzentwurf in der Schlußabstimmung zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Protokoll vom 30. November 1972 zur Änderung des in Paris am 22. November 1928 unterzeichneten Abkommens über Internationale Ausstellungen
— Drucksache 7/1143 —
Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 7/1365 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Freiwald
Ich danke dem Berichterstatter.
Ich eröffne die Aussprache und rufe die Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. — Wer dem Gesetzentwurf in der Schlußabstimmung zustimmt, den, bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung
— Drucksache 7/111
Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 7/1385 —
Berichterstatter: Abgordneter Scheu
Wir treten ein in die zweite Beratung. Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht.
Ich mache darauf aufmerksam, daß der Ausschuß auf Drucksache 7/1385 für Art. 1 Nr. 4 und Nr. 6 andere Fassungen vorschlägt.
Wir kommen zur Abstimmung in der zweiten Beratung. Ich rufe auf Art. 1 — mit den genannten Änderungen —, 2 und 3. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. -- Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Wir treten ein in die
dritte Beratung.
Ich eröffne die Aussprache. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wer dem Gesetz in dritter Beratung zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! —Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung einer Zusatzversorgungskasse für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft — ZVALG
— Drucksache 7/1342 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht begehrt.
Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats ersehen Sie aus der Tagesordnung. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — So beschlossen.
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 12 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 7/1363 —
b) Beratung der Sammelübersicht 13 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 7/1378 —
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wer den Anträgen des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Beratung der Ubersicht 5 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
— Drucksache 7/1318 —
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — So beschlossen.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung über den erweiterten Verkehrswegeplan für das Zonenrandgebiet
hier: Bericht des Bundesministers für Verkehr 1972 über den Fortgang der Verkehrserschließung des Zonenrandgebietes
— Drucksachen 7/64, 7/1289 — Berichterstatter:
Abgeordneter Hösl Abgeordneter Zebisch
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 70. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Dezember 1973 4349
Vizepräsident von Hassel
Ich danke den Berichterstattern. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich stelle fest, daß der Bundestag den Bericht zur Kenntnis genommen hat.
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Bundesrechnungshofes betr. Entlastung der Bundesregierung wegen der Bundeshaushaltsrechnung für das Haushaltsjahr 1971
— Drucksache 7/1242 —
Es wird vorgeschlagen, die Vorlage dem Haushaltsausschuß zu überweisen. — Das Haus ist damit einverstanden.
Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Verlängerung bestimmter die Gewährung von Zuschüssen aus dem Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft, Abteilung Ausrichtung, betreffender Fristen für die Jahre 1972, 1973 und 1974
— Drucksachen 7/1073, 7/1336 —
Berichterstatter: Abgeordneter Saxowski
Das Wort wird nicht gewünscht. Ich stelle fest, daß das Haus den Vorschlag der EG-Kommission zur Kenntnis genommen hat.
Ich rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der EG-Kommission für eine
Richtlinie des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Filmwirtschaft
Richtlinie über die Verwirklichung des freien Dienstleistungsverkehrs für die selbständigen Tätigkeiten des Filmverleihs
— Drucksachen VI/2569, 7/1387 — Berichterstatter: Abgeordneter Schmidhuber
Ich danke dem Berichterstatter. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — So beschlossen.
Zum Schluß erteile ich . zur Abgabe einer Erklärung nach § 36 unserer Geschäftsordnung dem Abg. Gansel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gemäß § 36 der Geschäftsordnung möchte ich folgende Erklärung abgeben. Der Abgeordnete Dr. Warnke hat in der Debatte heute morgen den schleswig-holsteinischen SPD-Landesvorsitzenden Jochen Steffen als Zeugen für seine Behauptung zitiert, die SPD kümmere sich nicht um ländliche Gebiete.
Auf meine Zwischenfrage nach der Belegstelle dieses Zitats hat er ein Interview des Süddeutschen Rundfunks vom 8. Februar dieses Jahres angegeben. Telefonische Nachfragen beim Süddeutschen Rundfunk ergaben, daß für diesen Tag kein Interview mit Jochen Steffen festgestellt werden konnte. Es existiert allerdings eine Presseerklärung des CDU-Abgeordneten Ritz vom 14. März dieses Jahres, in der auf ein Interview Jochen Steffens vom 4. März 1973 im Süddeutschen Rundfunk Bezug genommen wird, das der Abgeordnete Dr. Warnke gemeint haben könnte. Auch am 4. März hat der Süddeutsche Rundfunk jedoch mit Steffen ein Interview nicht aufgenommen. Es wurde vielmehr ein Interview mit Herrn Reddemann von der CDU gesendet.
Auch telefonische Anfragen beim Süddeutschen Rundfunk ergaben, daß ein Interview mit Steffen in der fraglichen Zeit nicht stattgefunden hat.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende unserer heutigen Arbeit angelangt. Ich berufe die 71. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 13. Dezember 1973, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.