Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um die in der Ihnen vorliegenden Liste aufgeführten Vorlagen ergänzt werden:1. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Wohngeldgesetzes— Drucksache 7/1131 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/1210 — Berichterstatter: Abgeordneter Baierb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
— Drucksache 7/1209 -Berichterstatter:Abgeordneter Nordlohne Abgeordnete Frau Meermann
2. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die laufende Anpassung der Altersgelder in der Altershilfe für Landwirte
— Drucksache 7/934 a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/1212 Berichterstatter: Abgeordneter Schmitz
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 7/1211 —Berichterstatter: Abgeordneter Sund
3 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Müller , Katzer, Dr. Blüm, Russe, Link, Wawrzik, Dr. Klein (Stolberg), Sauer (Salzgitter), Zink, Rollmann und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kündigungsschutzgesetzes— Drucksache 7/1163 —Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnungb) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutze in Ausbildung befindlicher Mitglieder von Betriebsverfassungsorganen— Drucksache 7/1170 —Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und SozialordnungDas Haus ist damit einverstanden; die Erweiterung der Tagesordnung ist beschlossen.Weiterhin liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:Betr.: Bericht der Bundesregierung über die Integration in den Europäischen Gemeinschaften
Bezug: Beschlüsse des Deutschen Bundestages vom 22. Februar 1967 und 28. April 1967— Drucksache 7/1108 zuständig: Auswärtiger Ausschuß HaushaltsausschußBetr.: Zwischenbericht der Sachverständigenkommission zur Erarbeitung der Enquete über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik DeutschlandBezug: Beschluß des Deutschen Bundestages vom 23. Juni 1971— Drucksache 7/1124 —zuständig: Ausschuß für Jugend, Familie und GesundheitErhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 und 3 auf, deren Beratung nach einer interfraktionellen Vereinbarung verbunden werden soll:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 1. Juli 1968 über die Nichtverbreitung von Kernwaffen— Drucksache 7/994 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Forschung und Technologie und für das Post-und FernmeldewesenHaushaltsausschuß gemäß § 96 GOErste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu ,dem Übereinkommen vom 5. April 1973 zwischen dem Königreich Belgien, dem Königreich Dänemark, der Bundesrepublik Deutschland, Irland, der Italienischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Königreich der Niederlande, der Europäischen Atomgemeinschaft und der Internationalen Atomenergie-Organisation in Ausführung von Artikel III Absätze i und 4 des Vertrages vom
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3708 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Präsident Frau Renger1. Juli 1968 über die Nichverbreitung vonKernwaffen
— Drucksache 7/995 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Forschung und Technologie und für das Post-und FernmeldewesenHaushaltsausschuß gemäß § 96 GODas Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ihnen liegen zwei völkerrechtliche Verträge vor, der Vertrag vom 1. Juli 1968 über die Nichtverbreitung von Kernwaffen und das Verifikationsabkommen zwischen Euratom und der Internationalen Atomenergie-Organisation vom 5. April dieses Jahres.Über den Nichtverbreitungsvertrag hat es Ende der 60er Jahre eindringliche und engagierte Diskussionen gegeben, auch in diesem Hause. Bei allen Meinungsverschiedenheiten waren wir uns damals über die Parteigrenzen hinweg darin einig, daß wir das Ziel des Vertrages bejahen, nämlich: die Anzahl der Kernwaffenmächte so klein wie möglich zu halten. Dadurch wird weltweit die Basis der Sicherheit erweitert. Ich hoffe, der Eindruck, den ich damals von unserer Übereinstimmung hatte, bestand zu Recht.Die Bundesrepublik Deutschland hat schon im Jahre 1954 auf die Herstellung von atomaren wie auch von chemischen und bakteriologischen Waffen verzichtet. Wir wünschen für uns keine nationale Verfügungsgewalt über Kernwaffen. Das war die Haltung aller aufeinanderfolgenden Bundesregierungen. Das hat vor zwei Monaten auch Herr Kollege Strauß in einem Schreiben an die Mitglieder seiner Fraktion festgestellt. Gleichzeitig warnt er darin aber vor dem Nichtverbreitungsvertrag.Unsere Einstellung zu Atomwaffen und zur Verbreitung von Atomwaffen ist klar. Jetzt, in dieser Debatte, geht es nicht um die Grundsatzeinstellung, sondern eigentlich nur um die Methode. Das Instrument, das die Weiterverbreitung verhüten soll, konnten wir nicht allein entwerfen. Es mußte für über hundert Staaten annehmbar sein. Inzwischen haben außer uns 97 Staaten den Vertrag unterzeichnet. Sieben Staaten sind ihm später beigetreten. Für 80 Staaten ist er schon in Kraft. Der ursprüngliche Entwurf hatte Mängel. Wer will das leugnen? Auch heute wird niemand das Vertragswerk für vollkommen halten. Gemeinsam mit den Regierungen anderer Nichtkernwaffenstaaten hat die Bundesregierung jedoch in zähen Verhandlungen so viele Verbesserungen durchgesetzt, wie man vernünftigerweise erwarten konnte.Lassen Sie mich an dieser Stelle an die Bemühungen Ides leider früh verstorbenen Botschafters Dr. Schnippenkötter erinnern.
Seiner Verhandlungsführung als Abrüstungsbeauftragter der Bundesregierung haben wir die Durchsetzung vieler dieser Verbesserungen zu verdanken.
In den fünf Jahren, ,die es den Nichtverbreitungsvertrag nun schon gibt, ist er zu einem Baustein in dem Gebäude gegenseitiger Beziehungen geworden, das die Staaten in Ost und West auf der Grundlage des Gewaltverzichts errichten. Wir können diesen Baustein nicht einfach herauslösen. Dies widerspräche im übrigen auch den Grundlinien unserer eigenen Politik. Auf den Gewaltverzicht haben wir unsere Ostverträge gegründet. Sie werden in Westeuropa und in den Vereinigten Staaten als ein entscheidender Impuls zur Verbesserung des internationalen Klimas und zur Festigung der Sicherheit empfunden. Niemand würde es verstehen, wenn wir unseren eigenen Konzeptionen und Bemühungen zuwiderhandelten. Wir würden unglaubwürdig werden, und dies ist eine der größten Sünden in der Politik. Staaten in anderen Teilen der Erde, auch sogenannte Schwellenmächte, mögen da in einer anderen Lage sein, eben nicht in unserer geographischen Lage, eben nicht mit unseren besonderen Problemen behaftet.Die Weltgeschichte ist nicht am 12. November 1969 stehengeblieben, an dem wir zuletzt über den Nichtverbreitungsvertrag hier debattiert haben. Wenn wir heute zurückblicken, sehen wir, was im Zeitablauf auf den Nichtverbreitungsvertrag folgte. Da kam das amerikanisch-sowjetische Abkommen vom September 1971 zur Verminderung der Gefahr unbeabsichtigter Kernwaffenkriege, da kamen die beiden Verträge vom Mai 1972 über die Begrenzung von Systemen zur Abwehr ballistischer Raketen und die Begrenzung von strategischen Offensivwaffen, die Grundsatzerklärung über die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen, ebenfalls vom Mai des vorigen Jahres, und schließlich kam das Abkommen vom Juni 1973 zur Verhütung eines Atomkrieges. Diese Vereinbarungen haben mit dem Nichtverbreitungsvertrag eines gemeinsam: Die Vereinigten Staaten zogen darin schrittweise Folgerungen aus der Tatsache, daß sie gewisse Verantwortungen und Interessen mit der Sowjetunion teilen, ob sie es wollen oder nicht, als zwangsläufige Folge der Fähigkeit beider, einander mit thermonuklearen Waffen zu vernichten.Unsere Sicherheit das möchte ich hier noch ein-mal erneut ausdrücklich klarstellen — wird durch diese Kontakte der beiden Weltmächte nicht beeinträchtigt, auch nicht durch das Abkommen zur Verhinderung von Atomkriegen. Die Bundesregierung hat von der amerikanischen Regierung bestätigt erhalten, daß die Strategie der Abschreckung und flexiblen Reaktion einschließlich der Vorneverteidigung gültig und damit auch künftig Maßstab für Umfang und Art der Verteidigungsanstrengungen des Bündnisses bleibt.Der Nichtverbreitungsvertrag ist nicht nur Bestandteil des amerikanisch-sowjetischen Dialogs, der sich fortschreitend verdichtet hat; auch die weiter
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3709
Bundesminister Scheelgespannten Kontakte, die wir und unsere Verbündeten mit den Staaten Mittel- und Osteuropas angeknüpft haben und fortentwickeln wollen, stehen mit dem Vertrag in Verbindung. Mit unseren Bündnispartnern erhoffen wir uns praktischen Nutzen von der Genfer Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, von den Wiener Gesprächen über eine beiderseitige, ausgewogene Truppenverminderung in Mitteleuropa. Auch diese Verflechtung mit unseren Freunden im Westen müssen wir sehen, wenn wir uns zu dem Nichtverbreitungsvertrag eine Meinung bilden. Eine Ablehnung des Vertrages würde diese Bemühungen zurückwerfen.Was hat sich seit dem November 1969 noch verändert? Zweierlei! In dem Moskauer Vertrag vom 12. August 1970 haben nicht nur wir einen Gewaltverzicht erklärt; auch die Sowjetunion hat die Verpflichtung übernommen, sich uns gegenüber gemäß Art. 2 der Charta der Vereinten Nationen der Drohung mit Gewalt und der Anwendung von Gewalt zu enthalten. Ferner ist die Bundesrepublik Deutschland jetzt gleichberechtigtes Vollmitglied der Vereinten Nationen.Ich weiß nicht, welche Argumente im Mittelpunkt unserer Debatte stehen werden. Wir wollen uns allen Argumenten sorgfältig widmen. Diese Debatte darf keinen Zweifel daran erzeugen, daß es die feste Absicht der Mitglieder dieses Hauses ist, sich nicht nach Atomwaffen zu drängen.
Gelänge es uns nicht, dies klarzustellen, so würden wir der Politik unseres Landes einen nachhaltigen Schaden zufügen.Meine Damen und Herren, in öffentlichen Äußerungen und in Anfragen an die Bundesregierung sind einige 'Fragen aufgeworfen worden. Auf zwei wichtige Einwände will ich schon jetzt eingehen.Zum einen ist die Befürchtung geäußert worden, Außenstehende könnten, auf den Nichtverbreitungsvertrag gestützt den Anspruch erheben, in Fragen der nuklearen Sicherheitsstruktur des atlantischen Bündnisses und Westeuropas mitzubestimmen. Diese Befürchtung trifft nicht zu. Ein Vertragspartner könnte allenfalls behaupten, daß wir vertragswidrig Kernenergie von der friedlichen Nutzung abzweigen und zur Herstellung von Kernwaffen verwenden. Dies würde noch nicht genügen. Erst wenn der Gouverneursrat der Internationalen Atomenergie-Organisation auf Grund eines Berichts des Generaldirektors feststellt, die Organisation sei nicht in der Lage, sich zu vergewissern, daß kein Kernmaterial für Kernwaffen abgezweigt worden ist, könnte ein Nachprüfungsverfahren nach den Art. 19 und 20 des Verifikationsabkommens eingeleitet werden. Ein solcher Vorwurf wäre schwerwiegend. Man wird ihn nicht leichtfertig erheben. Es wird auch nicht dazu kommen, denn wir werden uns strikt an den Vertrag halten.Diesen Fall meinen die Kritiker aber gar nicht. Sie denken nicht an juristische Schritte; sie denken an politische Verdächtigungen wie jene, denen die Bundesrepublik Deutschland in der Vergangenheitausgesetzt war. Damals gab es noch keinen Nichtverbreitungsvertrag. Dafür gab es aber damals noch eine Atmosphäre des Mißtrauens, ,das die Ost-West-Beziehungen ganz allgemein umgab. In eine Atmosphäre entspannter Zusammenarbeit zwischen Ost und West würden böswillige Unterstellungen nicht hineinpassen.Ich will mich aber nicht nur auf atmosphärische Unterschiede berufen. Es gibt handfestere Argumente gegen das Mitspracherecht von Außenstehenden: Ich meine die amerikanischen Interpretationen. Sie nennen ein breites Spektrum von Formen der Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen, die alle durch den Vertrag nicht untersagt werden, weil der Vertrag sie nämlich gar nicht behandelt. Niemand sollte in die Vertragsbestimmungen hineinlegen, was nicht in ihnen steht.
Es wäre gut, wenn sich alle in diesem Hause vertretenen Parteien darin einig wären und ihre Einigkeit nach außen hin deutlich machten.Die erste amerikanische Interpretation lautet: „Der Vertrag befaßt sich nur mit ,dem, was untersagt, nicht mit dem, was erlaubt ist." Daraus folgt: Solange wir uns außerhalb des Bereiches dessen bewegen, was der Vertrag — so wie er nach den maßgebenden Interpretationen zu verstehen ist — ausdrücklich verbietet, kann uns niemand den Vorwurf machen, wir strebten die nationale Verfügungsgewalt über nukleare Waffen an.Da ich schon von Interpretationen spreche: Wie Sie wissen, hat die Bundesregierung am 28. November 1969 den Regierungen aller Staaten, mit denen wir damals diplomatische Beziehungen unterhielten, eine Note und eine Erklärung übermittelt. Darin sind die Voraussetzungen aufgeführt, unter denen wir ,den Nichtverbreitungsvertrag unterzeichnet haben. Die Bundesregierung beabsichtigt, diese Erklärungen auch im Zusammenhang mit der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde abzugeben, soweit sie noch von Bedeutung sind.Ein weiterer Einwand ist zu hören: Wenn für uns der Nichtverbreitungsvertrag gelte, werde dies die Einigung Europas erschweren. Dahinter steckt erstens die Befürchtung, daß die Bundesrepublik Deutschland nach Ratifikation des Vertrages nicht voll integrationsfähig sei, da sie dann einen besonderen, nicht-nuklearen Status habe. Auch dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Unser Status als Nichtkernwaffenstaat wurde schon 1954 formuliert, als wir auf die Herstellung von Atomwaffen verzichtet haben. Zusätzlich wird uns der Nichtverbreitungsvertrag nur den Erwerb solcher Waffen untersagen.Hinzu kommt aber noch dies: Die europäische Union soll nach unseren derzeitigen Vorstellungen neun Staaten umfassen. Davon sind sieben Nichtkernwaffenstaaten. Zwei, nämlich Dänemark und Irland, haben den Nichtverbreitungsvertrag schon ratifiziert. Die Benelux-Staaten haben gleich uns die Ratifikation bereits eingeleitet. Wenn die Bundesrepublik Deutschland den Vertrag nicht ratifiziert, ändert dies nichts daran, daß einige Nichtkernwaffenstaaten der Europäischen Gemeinschaft ohnehin
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3710 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Bundesminister ScheelParteien des Nichtverbreitungsvertrages sind. Ratifizieren wir nicht, dann können gerade wir diejenigen sein, die verhindern, daß alle Nichtkernwaffenstaaten der Gemeinschaft den gleichen Status haben.Zweitens. Die europäische Option auf dem Gebiet der Verteidigung bleibt offen. Aber sie steht — hier könnte ich wieder Herrn Kollegen Strauß zitieren — derzeit nicht zur Debatte. Sicherheitsfragen gehören in das atlantische Bündnis, in die NATO.Ich wiederhole, was ich bei anderen Gelegenheiten in diesem Hause gesagt habe: „Die Diskussion über gemeinsame Sicherheitspolitik hat erst dann einen Sinn, wenn die politischen Voraussetzungen dazu geschaffen sind, d. h. wenn es einen zentralen politischen Willen in Europa gibt." Trotzdem und mit Recht haben sich die Bündnispartner frühzeitig Gedanken darüber gemacht. Ich zitiere, was die Bundesregierung zu dieser Frage schon in der Denkschrift zum Nichtverbreitungsvertrag dargelegt hat:Der Wortlaut der Artikel I und II wirft die Frage auf, ob die dort stipulierten Verbote eine europäische Einigung deswegen erschweren könnten, weil sie einem europäischen Bundesstaat untersagen würden, Kernwaffen eines seiner Gliedstaaten zu erwerben oder solche Waffen selbst herzustellen.Verhandlungen zu diesem Fragenkomplex führten zur sechsten der amerikanischen Interpretationen. Sie erklärt, daß ein föderierter europäischer Staat, unter dessen Gliedstaaten sich auch ein Kernwaffenstaat befinden würde, unter den aufgeführten Voraussetzungen den Nuklearstatus im Wege der Rechtsnachfolge erhalten könne.Ich glaube, meine Damen und Herren, damit ist auch diese Frage völlig geklärt.Ende der sechziger Jahre hörte man darüber hinaus auch noch andere Einwände. Damals machten wir uns alle Gedanken, der Nichtverbreitungsvertrag könne uns bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie behindern, er könne unserer Industrie schaden. Das Stichwort war: Kontrollen der Internationalen Atomenergie-Organisation. Ich sage nicht, daß solche Besorgnisse damals grundlos gewesen seien. Ich meine aber, sie sind heute grundlos. In der Zwischenzeit — es sind immerhin vier Jahre — haben wir gemeinsam mit anderen Staaten, deren Interessenlage der unseren entspricht, sorgfältig verhandelt. Wir haben Vorsorge getroffen, daß uns die Sicherungsmaßnahmen bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie nicht behindern und unsere Kernindustrie auch nicht über das Unvermeidbare hinaus belasten.In diesem Zusammenhang muß auch einmal darauf hingewiesen werden, daß unsere Kernanlagen bereits seit Bestehen des Euratom-Vertrags, also seit dem 1. Januar 1958, den Kontrollen Euratoms unterliegen.
Niemand hat beanstandet, daß wir damit eine unzumutbare Belastung oder eine Diskriminierung unserer Kernindustrie gegenüber derjenigen andererStaaten außerhalb der damaligen Sechsergemeinschaft auf uns genommen hätten.Im Zusammenhang mit dem Nichtverbreitungsvertrag haben auch die Vereinigten Staaten und Großbritannien die Zusicherung gegeben, ihre friedlich genutzten Kernanlagen Sicherungsmaßnahmen zu unterstellen. Hier ist also eine Gleichbehandlung mit den wichtigsten Kernenergieproduzenten gegeben. Über die Verwirklichung der Zusagen wird mit der Internationalen Atomenergie-Organisation bereits verhandelt, oder es wird, wie wir erfahren haben, demnächst darüber verhandelt werden.Das Verifikationsabkommen, das Ihnen heute ebenfalls vorliegt, wird die Kontrollen nicht verdoppeln, wie man hätte befürchten können. Die Sicherungsmaßnahmen Euratoms werden in vollem Umfang aufrechterhalten. Die Internationale Atom-Organisation erhält über Euratom Materialangaben. Es bleibt bei den Inspektionen durch Euratom. Die Internationale Atomenergie-Organisation hat lediglich das Recht, zu einem Teil dieser Inspektionen einige Inspektoren zu entsenden, in der Regel nicht um eigene Inspektionshandlungen vorzunehmen, sondern nur um die Tätigkeit der Euratom-Beamten zu beobachten. Das ist mit dem Wort „Verifikation" nämlich gemeint. Eigene, unabhängige Inspektionshandlungen der Internationalen Atomenergie-Organisation werden auf seltene, genau definierte Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Die Sicherungsmaßnahmen erstrecken sich nur auf Kernmaterial und sonstiges spaltbares Material und nicht auf nukleare Anlagen als solche. Sie werden nach dem Prinzip der Kontrolle des Flusses von Kernmaterial an bestimmten strategischen Punkten durchgeführt, ein Prinzip, für das wir uns immer in der Vergangenheit eingesetzt haben. Sie sparen kommerziell schutzbedürftige Anlageteile aus. Die Frage der Kontrollkosten ist in einer Weise geregelt worden, die den Nichtkernwaffenstaaten keine unbilligen Lasten aufbürdet.Auch Euratom ist nun neben der Internationalen Atomenergie-Organisation Garant der Kontrollverpflichtungen des Nichtverbreitungsvertrages in den Nichtkernwaffenstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Das stärkt seine Stellung nach außen natürlich beträchtlich. Gleichzeitig wächst damit seine Autorität im Innern der Gemeinschaft, und diese integrationsfördernde Wirkung, die sozusagen am Rande hier mit abfällt, können wir, glaube ich, nur begrüßen.Schon heute zeigt sich: Die konstruktive Haltung der Bundesregierung bei der Unterzeichnung von Nichtverbreitungsvertrag und Verifikationsabkommen ist der deutschen Kernindustrie zugute gekommen. Die Kernindustrie hat es jetzt leichter, ihre Versorgung mit Kernbrennstoffen zu sichern und auf dem Weltmarkt für Kernmaterialien und für Kernausrüstungen Fuß zu fassen. Früher waren wir und Euratom auch bei der friedlichen Entwicklung der Kernenergie Angriffen ausgesetzt. Das hat vollkommen aufgehört. Die Kernenergie wird auch uns gegenüber immer mehr als ein Wirtschaftszweig wie jeder andere behandelt.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3711
Bundesminister ScheelIn diesen Tagen haben z. B., wie Sie wissen, deutsche Elektrizitätsversorgungsunternehmen in Moskau Verträge über die Urananreicherung von Kernbrennstoffen für deutsche Reaktoren unterzeichnet. Darin hat sich die Sowjetunion bereit erklärt, uns auch schon vor Einführung der Internationalen Atomenergie-Organisations-Sicherungsmaßnahmen und vor dem Inkrafttreten des Nichtverbreitungsvertrages und des Verifikationsabkommens Brennstoffe zu liefern, sofern das Material Euratom-Sicherungsmaßnahmen unterliegt. Früher wäre eine solche sowjetische Haltung kaum denkbar gewesen.Wenn die beiden Verträge in Kraft sind, wird dies die deutsche Industrie erst recht in den Stand setzen, frei von polemischen Verdächtigungen den Platz auf dem sich entwickelnden Weltmarkt für nukleare Materialien und Ausrüstungen einzunehmen, der ihrem hohen Leistungspotential gerecht wird.Zusammenfassend, meine Damen und Herren, möchte ich sagen: Unserer Überzeugung entspricht es, auf Atomwaffen zu verzichten. Diesen Verzicht vertraglich zu bestätigen gebietet uns die Vernunft.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Birrenbach.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte über die Ratifikation des Atomsperrvertrages und des Verifikationsabkommens zwischen der IAO und sieben Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft stellt das Hohe Haus vor eine Entscheidung von großer Tragweite. Der Nichtverbreitungsvertrag gilt seit März 1970 für 25 Jahre und kann mit einfacher Mehrheit der Vertragsstaaten auf unbeschränkte Zeit verlängert werden.Nach Abwurf der ersten Atombombe über Hiroshima bemühten sich auf der Grundlage des Baruch-Plans von 1946 die Vereinigten Staaten um eine international kontrollierte Verwendung spaltbaren Materials für friedliche Zwecke mit dem Ziel, die Verwendung von Kernenergie für militärische Zwecke weltweit zu unterbinden. Dieser Versuch ist gescheitert.
Nachdem vier weitere Staaten Atombomben entwickelt oder mit dem Aufbau einer Atommacht begonnen hatten, richteten sich die Bestrebungen insbesondere in den Vereinten Nationen seit 1961 auf einen Teststopp und die Unterbindung der Weiterverbreitung atomarer Waffen.Im Vordergrund der amerikanischen Nichtverbreitungspolitik stand die Sicherstellung eines universalen Weiterverbreitungsverbots.
In diesem Rahmen sollte allerdings eine Gefährdung der atlantischen Nuklearpolitik in den sechziger Jahren, die ein „nuclear sharing” unter amerikanischer Kontrolle erlaubte, vermieden werden. Die Sowjetunion dagegen ging klar und vordringlich davon aus, in erster Linie die Bundesrepublik von jeder Art Zugang zu atomaren Waffen auszuschließen, auf welche Art auch immer.
Auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges im Spätherbst des Jahres 1966 einigten sich die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion untereinander auf den endgültigen Text der entscheidenden Art. I und II des Vertrages, dessen Basis, wie wir alle wissen, ein grundlegender Dissens war. Auf diese Frage werde ich in einem späteren Zusammenhang noch zu sprechen kommen.In der Bewertung des Vertrages sind die beiden Seiten dieses Hauses wohl nicht ganz einig. Der Atomsperrvertrag ist im Jahre 1968 von Großbritannien und im Jahre 1970 von den beiden Supermächten, den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, ratifiziert worden, während Frankreich und China ihn weder unterzeichnet noch ratifiziert haben. Wichtiger als die Zahl der Staaten, Herr Bundesaußenminister, ist ihr Gewicht. Das ist, glaube ich, entscheidend — und außerdem die geographische Position, in der sie sich befinden,
von der Gesamtlage ganz zu schweigen.
Wie die Entstehungsgeschichte zeigt, handelt es sich bei diesem Vertrag — um einen historischen Begriff zu verwenden — um einen „ungleichen Vertrag" — Sie wissen, woran ich denke —, um einen Vertrag, der die Welt in nukleare und nichtnukleare Mächte aufteilt, und zwar nach Kriterien, meine Damen und Herren, deren Berechtigung für eine unbeschränkte Zeitdauer des Vertrages höchst zweifelhaft ist.Die Bundesregierung — um das ganz klar und deutlich zu machen — hat im Zusammenhang mit dem Brüsseler Vertrag schon 1954, und zwar freiwillig, auf die Herstellung nuklearer Waffen verzichtet, und niemand denkt daran, diesen Verzicht zurückzunehmen; Herr Bundesaußenminister, das möchte ich ganz eindeutig an Ihre Adresse sagen.
Allerdings hat die Bundesrepublik im Jahre 1954 auf die Herstellung nuklearer Waffen gegenüber ihren Bündnisgenossen, d. h. bündnisintern, verzichtet. Dieser Vertrag legt der Bundesrepublik aber eine Verpflichtung gegenüber der ganzen Welt auf, also z. B. auch gegenüber der Sowjetunion, die erst durch ihre Politik nach dem zweiten Weltkrieg die Veranlassung zur Schaffung des Brüsseler Vertrages und der NATO-Allianz gegeben hatte.
Niemand, meine Damen und Herren, in diesem Hause ist der Meinung, daß die Voraussetzungen für die Notwendigkeit für die Bundesrepublik, einem solchen Bündnis anzugehören, irgendwie überholt wären. Sosehr die Bemühungen um Entspannung
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3712 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Dr. Dr. h. c. Birrenbachbegrüßt werden können, sosehr sind sich doch wohl alle Parteien, insbesondere nach den Erfahrungen der letzten Zeit, darüber klar, daß Entspannung ohne Sicherheit nicht nur nicht möglich, sondern höchst gefährlich ist.
Die Grundlage unserer Sicherheit ist aber das Atlantische Bündnis, und dieses wieder auf der Grundlage engster Verbindung mit den Vereinigten Staaten. Insoweit stimmen wir mit Ihnen überein, Herr Bundesaußenminister. Inwieweit der Nichtverbreitungsvertrag ein wichtiges Element der Entspannung geworden ist, was viele von ihm erwartet hatten, kann heute wohl noch nicht abschließend beantwortet werden. Es ist sicherlich auch ein Element der Spannung, wenn der europäische Kontinent, ungeeint, wie er leider ist, einer nuklearen Supermacht gegenübersteht, der Europa selbst aus eigener Kraft, jedenfalls bisher, keine ausreichende Verteidigungskraft entgegensetzen kann.Die Tasache, daß sich die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten in einer so wichtig erscheinenden Frage, wenn auch nicht voll, geeinigt haben, hat sicherlich das Verhältnis der beiden Staaten zueinander erleichtert. Welches aber auf die Dauer die Konsequenzen hieraus für das Bündnis sind, ist nach den Erfahrungen der letzten zwei Jahre sicherlich noch nicht voll zu übersehen. Wie groß die akute Gefahr ist, daß neue zusätzliche Entscheidungszentren entstehen oder entstehen würden, gäbe es den Vertrag nicht, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls möchte ich an dieser Stelle nochmals mit aller Klarheit unterstreichen, daß die CDU/CSU-Fraktion eindeutig der Meinung ist, daß die Bundesrepublik nicht die Absicht hat und haben soll, eine nationale Nuklearmacht zu werden.
Meine Damen und Herren, nach der Präambel des Vertrages sollte der Atomsperrvertrag der Ausgangspunkt für eine weltweite Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle werden. Die Abrüstungsverhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion haben bisher nur dazu geführt, daß sich die beiden Supermächte auf die Begrenzung bei nuklearen Abwehrwaffen geeinigt haben und ferner darauf — ein höchst interessanter zweiter Umstand —, nukleare Abwehrwaffen nicht an andere Staaten, nicht einmal an andere Nuklearwaffenstaaten, zu liefern.Darüber hinaus haben sich die beiden Supermächte im nuklearen Bereich in der ersten SALT-Runde vorläufig nur darauf einigen können, nukleare Offensivwaffen zu begrenzen, aber mit der Maßgabe, daß die Vereinigten Staaten der Sowjetunion die Parität in nuklearen Waffen konzedieren mußten, nachdem diese schon einen quantitativen Vorsprung in interkontinentalen nuklearen Waffen erreicht hatte. Wie lange der qualitative amerikanische Vorsprung noch aufrechterhalten werden kann, ist nach den letzten Versuchen der Sowjetunion in Kamtschatka sicherlich schwer zu übersehen. Die Vereinigten Staaten werden es in der zweiten SALT-Runde um so schwerer haben, im Sinne des JacksonAmendement mit der Sowjetunion zu einer echten Parität zu kommen.Was nun die konventionelle Abrüstung anbelangt, so geht es in den MBFR-Verhandlungen angesichts des eindeutigen Ungleichgewichts in konventionellen Waffen und Streitkräften auf dem europäischen Kontinent um einen ausgewogenen Charakter der Reduzierung von Streitkräften, der, wie Sie alle wissen, alles andere als gesichert ist. In den zehn Jahren nach den ersten Bestrebungen um 'die Nichtverbreitung nuklearer Waffen ist — das wollen wir einmal ganz real sehen — der Abstand in der Rüstungspotenz der beiden Supermächte und allen anderen in einer dramatischen Weise gewachsen. Die technologische Tendenz führt dazu, daß die Öffnung dieser Schere in Zukunft noch ernstere Proportionen annehmen wird.Im Verhältnis der Bundesrepublik zur Sowjetunion, der gegenüber die Bundesrepublik neben allen anderen Vertragspartnern auf unbeschränkte Zeit auf die Herstellung und den Erwerb nuklearer Waffen verzichtet hat, steht der Leistung der Bundesrepublik keine Leistung der Sowjetunion gegenüber. Daß dies ein ausgewogener Vertrag ist, kann wohl niemand behaupten, sicherlich auch nicht die Bundesregierung.
Das gilt in diesem Fall sogar für den friedlichen Bereich der Kontrolle, dem sich die Sowjetunion nicht unterwirft.In der Denkschrift der Bundesregierung zum Atomsperrvertrag heißt es, daß der Vertrag das Problem der Sicherheit der Nichtkernwaffenstaaten nicht regelt. Nun ja, der jüngst ausgebrochene Krieg im Nahen Osten zeigt, wie sehr militärische Auseinandersetzungen von heute auf morgen, und zwar auch vom Rande unseres Kontinents her, möglich sind, ohne daß wir zu deren Kontrolle in der Lage wären.
Der Verweis der Bundesregierung auf die Resolution 255 vom 19. Juni 1968 des Weltsicherheitsrats zur Frage der Sicherstellung der Nichtkernwaffenstaaten gegen nukleare Erpressung, Drohung oder einen nuklearen Angriff ist sicherlich auch nach Ihrer Meinung nicht voll überzeugend, da das Veto eines einzelnen ständigen Mitgliedes des Sicherheitsrates wirksame Kollektivmaßnahmen verhindern kann. Für uns ist und bleibt das Atlantische Bündnis die entscheidende Garantie; dieses Atlantische Bündnis hat aber mit dem Atomvertrag gar nichts zu tun. Das Bündnis ist auch nicht etwa die Gegenleistung für unsere Unterschrift unter den Atomvertrag. Darauf möchte ich klar hinweisen. Immerhin ist es bemerkenswert, daß die Resolution des Sicherheitsrats auf den Art. 51 der Charta hinweist, der auch in der Präambel des Atomsperrvertrages im Abs. 13 Erwähnung gefunden hat. Soweit zur Vorgeschichte die, wie ich glaube, für die Beurteilung des Vertrages von Bedeutung ist.Lassen Sie mich zunächst zu dem Bereich der friedlichen Verwendung nuklearer Energie im Zusam-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3713
Dr. Dr. h. c. Birrenbachmenhang mit den beiden uns zur Ratifikation vorliegenden Abkommen sprechen. Ich möchte hierbei besonders das Verdienst der Vereinigten Staaten unterstreichen, die von vornherein bestrebt gewesen sind, die Vorteile der friedlichen Verwendung nuklearer Energie allen Staaten zukommen zu lassen. Das war die Idee des Baruch-Plans aus dem Jahre 1946, das war der Grundgedanke des Atoms-forPeace-Vorschlags Präsident Eisenhowers im Jahre 1953, und dieser Vorstellung entsprach auch die Einführung des Art. III in dieses Vertragswerk, der die Erzeugung, Verwendung und Erforschung der Kernenergie für friedliche Zwecke unter bestimmten international gleichen Kontrollen ermöglicht.Das vorliegende Verifikationsabkommen hat viele Sorgen — darüber besteht überhaupt kein Zweifel; insoweit stimme ich mit dem Außenminister überein —, welche die deutsche Industrie bei Abschluß des Atomsperrvertrags gehabt hat, weitgehend beseitigt. Die Bundesrepublik wird nicht einer Doppelkontrolle unterworfen, sondern die Euratom-Kontrolle wird lediglich durch die IAEO überprüft. Das dabei verwandte Verfahren entspricht im wesentlichen den deutschen Vorstellungen, die damals geltend gemacht worden sind, insofern als die Überprüfung durch Verwendung von Instrumenten und anderen technischen Verfahren an bestimmten strategischen Punkten erfolgt, Werkspionage praktisch ausschließt, die Möglichkeit der Ablehnung von Inspektoren vorsieht, eine weitgehend freie Forschung sicherstellt.Um die Gestaltung des Art. III des NV-Vertrages und die Verhandlungsposition der europäischen Partnerstaaten für das Verifikationsabkommen haben sich damals in der Regierung Kiesinger einerseits der damalige Forschungsminister Stoltenberg, ganz besonders aber Botschafter Schnippenkoetter — ich freue mich, daß der Bundesaußenminister auch darauf zu sprechen gekommen ist — besonders bemüht. Es ging aber bei diesen Bemühungen im wesentlichen um den Art. III; denn bei der Formulierung der Art. I und II, der weniger positiven Artikel dieses Vertrages, waren wir leider unbeteiligt. Außerdem begrüßen wir die Unterstützung, die die deutsche Wissenschaft und die deutsche Wirtschaft gegeben haben. Ich möchte dabei nur zwei Namen zitieren: Professor Häfele damals in Karlsruhe auf der einen Seite und Professor Dr. Winnacker als Vorsitzender des Atomforums.Eine Reihe von Punkten sind aber, Herr Bundesaußenminister, noch nicht voll geklärt. Angesichts der Verflechtung der deutschen Wirtschaft in den Weltmarkt müssen wir entscheidend daran interessiert sein, daß unsere Wettbewerbsfähigkeit durch zusätzliche Kontrollkosten nicht beeinträchtigt wird.Der amerikanische Präsident hat am 2. Dezember 1967 zugesagt, daß die Vereinigten Staaten ihre gesamten nuklearen Aktivitäten, ausschließlich derer, die unmittelbar mit der nationalen Sicherheit zusammenhängen, der Kontrolle und Inspektion der Internationalen Atomenergiebehörde unterstellen würden. Die Vereinigten Staaten haben aber dieses Angebot inzwischen auf die Kontrolle sensibler Anlagen — Anreicherungs- und Wiederaufbereitungsanlagen und ähnliche — eingeschränkt, während sie bei Kernkraftwerken nur Stichprobeninspektionen gestatten wollen, über deren Charakter zur Zeit verhandelt wird. Es ist aber zu erwarten, daß die Vereinigten Staaten ihrer Selbstverpflichtung in einer befriedigenden Weise nachkommen werden.Während sich Großbritannien der Kontrolle der Euratom unterworfen hat und jetzt mit der IAEO in Verhandlungen tritt, zieht es Frankreich vor, sich der Unterwerfung unter beide Kontrollen zu entziehen. Japan, einer der entscheidenden Konkurrenten der Bundesrepublik auf dem Weltmarkt, ist nach allem, was wir wissen, offenbar bereit, nach Aufbau eines eigenen Kontrollsystems dieses durch die IAEO verifizieren zu lassen. Immerhin sollte die Bundesregierung alles tun, um sicherzustellen, daß durch unterschiedliche Kontrollmaßnahmen keine Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil der deutschen Industrie eintreten.
Eine Harmonisierung der Kontroll- und Verifikationsmaßnahmen müßte also weltweit sichergestellt sein.Was nun die Kostenfrage bei den Sicherheitsmaßnahmen anlangt, die ursprünglich die deutsche Industrie sehr beunruhigt hatte, so sind hier erhebliche Fortschritte erzielt worden. Jedoch ist noch unklar gewesen, wie weit z. B. kontrollbedingte Investitionen von der Industrie oder von der öffentlichen Hand getragen werden. Da für das Ausmaß der Kontroll- und Verifikationsmaßnahmen abschließende Erfahrungen heute noch nicht vorliegen, sollte die Bundesregierung dafür Sorge tragen, daß insbesondere in einer Übergangszeit einseitige Belastungen zum Nachteil der deutschen Industrie vermieden werden.
Was die Lieferung spaltbaren Materials anlangt, so ist die Bundesrepublik, solange sie nicht über eigene Anreicherungsanlagen verfügt — und die bestehenden gehen über das Stadium von Versuchsanlagen noch nicht hinaus —, über die Versorgungsagentur der Euratom auf amerikanische Lieferungen angewiesen, die trotz des Verbots in Art. III des NV-Vertrags bisher ungeschmälert auf der Grundlage einer „rule of reason" in Erwartung der Ratifizierung des Verifikationsabkommens erfolgt sind.Die CDU/CSU-Fraktion ist an einer Weiterführung dieser Lieferungen und an dem Ausbau von Anreicherungsanlagen zur Versorgung unserer Industrie mit spaltbarem Material allein schon deswegen ungewöhnlich interessiert, weil die Kernenergie nach allen Berechnungen bei dem ständig steigenden Energiebedarf unserer Wirtschaft zunehmend an Bedeutung gewinnt und für die Deckung des Energiebedarfs in den 80er Jahren praktisch unentbehrlich ist.
Die außerordentliche Abhängigkeit der Bundesrepublik von der Zufuhr von Öl aus anderen Ländern— insbesondere aus dem Nahen Osten — ist in den
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Dr. Dr. h. c. Birrenbachletzten Tagen in ihrer ganzen Bedrohlichkeit offenbar geworden. Daß sich ein Industriestaat unserer Größenordnung eine Abhängigkeit in dieser Dimension auf die Dauer nicht leisten kann, ist evident. Insoweit, glaube ich, besteht auch Einigkeit mit der Bundesregierung. Jedenfalls ist die Sicherstellung eines wesentlichen Teils des deutschen Energiebedarfs aus heimischer und insbesondere aus nuklearer Energie ein entscheidendes Anliegen der Bundesrepublik Deutschland und damit selbstverständlich auch der CDU/CSU-Fraktion.Der zweite Bereich, mit dem wir uns heute auseinanderzusetzen haben, ist der Sicherheitsaspekt, der durch die Art. I und II des NV-Vertrages aufgeworfen ist. Über die für diese Fragen einschlägigen Art. I und II des NV-Vertrages hat es ein jahrelanges Ringen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion gegeben, das schließlich, wie schon erwähnt, im Herbst 1966 zu einer Einigung zwischen den beiden Supermächten geführt hat, die in Wahrheit auf einem Dissens über die Interpretation der einschlägigen Bestimmungen beruhte und beruht.Im Mittelpunkt des Dissenses steht der Schlüsselbegriff dieser beiden Artikel, nämlich das Verbot der Weitergabe oder Annahme indirekter Verfügungsgewalt über nukleare Waffen, das von der Sowjetunion anders als von den Vereinigten Staaten ausgelegt wird.Die Sowjetunion hat bis zum Jahre 1968 immer wieder betont, das Hauptziel ihrer Bemühungen sei, die Bundesrepublik von jedwedem unmittelbaren oder mittelbaren Zugang zu Nuklearwaffen auszuschließen, und zwar im weitesten Sinne des Wortes, jede Art von Zusammenwirken nuklearer und nichtnuklearer Staaten zu verhindern, während die Vereinigten Staaten darauf bedacht waren, die Möglichkeit eines „nuclear sharing" mit ihren Verbündeten aufrechtzuerhalten, solange nicht neue nukleare Entscheidungszentren zusätzlicher Art geschaffen würden.Die Vereinigten Staaten haben nun angesichts dieses Dissenses — zunächst bündnisintern am 20. April 1967 ihr Verständnis dieses Begriffes den Verbündeten in der NATO offiziell als ihre Position mitgeteilt und darüber hinaus der Sowjetunion am 28. April 1967 ein Dokument überreicht, in dem die nach dem Vertrag zulässigen Nuklearstrukturelemente des Bündnisses — wie der Begriff Kernwaffen, die Zulässigkeit der Weitergabe von nuklearen Trägern und Trägersystemen, die Zulässigkeit alliierter Konsultationen und Planungen und der Dislozierung von Nuklearwaffen auf alliiertem Hoheitsgebiet etc. — definiert worden sind. Gleichzeitig ist der Sowjetunion mitgeteilt worden, daß ernste Konsequenzen für ,den Abschluß des Vertrages eintreten würden, falls die Sowjetunion den in diesem Dokument enthaltenen Interpretationen widersprechen würde.Diese amerikanischen Interpretationen sind in der Ratifikationsdebatte im amerikanischen Senat eingehend behandelt worden. Im Zusammenhang mit dem Ratifikationsverfahren sind diese Interpretationen von den Vereinigten Staaten wiederholt worden. Die Sowjetunion hat nach Erhalt des vorgenannten Dokuments diesem nicht widersprochen, ihm aber auch nicht zugestimmt. Immerhin ist sicher, daß diese amerikanischen Interpretationen für ihre Verbündeten die volle Deckung der Vereinigten Staaten haben, die Sowjetunion diesen Interpretationen, jedenfalls gegenüber den Vereinigten Staaten, nicht widersprechen kann. Ob sie nun in Zukunft wieder Einwendungen machen wird, Herr Bundesaußenminister, wissen Sie ebensowenig wie wir.
Das hängt wahrscheinlich von der Situation ab. Jedenfalls würden wir es sehr begrüßen, wenn Sie im Rahmen des Ratifikationsverfahrens in dieser Richtung ein geeignetes Dokument überreichen würden, von dem Sie soeben gesprochen haben.Der dritte und letzte Komplex, meine Damen und Herren, auf den es der CDU/CSU-Fraktion in erster Linie und ganz entscheidend ankommt, ist der der europäischen Option, d. h. der Offenhaltung der Möglichkeit, zu einer europäischen Union im Sinne der Beschlüsse der Gipfelkonferenz vom Oktober 1972 in Paris zu kommen, an deren Endpunkt die Errichtung einer europäischen Regierung stehen müßte. Das ist der ganze Sinn der Europa-Politik, die, wie ich glaube, von allen Parteien dieses Hauses in gleicher Weise getragen wird. Dieser Prozeß darf auch nicht durch den NV-Vertrag behindert werden. Ein europäischer Bundesstaat würde nicht zu einer Weitergabe nuklearer Waffen durch europäische nukleare Waffenstaaten an Nichtkernwaffenstaaten führen. Hier läge der Fall einer Staatensukzession vor, die durch den Vertrag überhaupt nicht berührt wird. Rechtsnachfolge ist keine Weitergabe nuklearer Waffen.Die amerikanische Regierung hat in einer weiteren sechsten Interpretation, die ebenso behandelt worden ist wie die übrigen, die ich soeben im Zusammenhang mit der Sicherheitsstruktur der NATO genannt habe, die Offenhaltung einer solchen Rechtsnachfolge nochmals unterstrichen. Die Entstehung eines europäischen Bundesstaates aber -da stimme ich mit Ihnen überein, Herr Bundesaußenminister — liegt trotz der Zielsetzung durch die europäische Gipfelkonferenz im Jahre 1972 heute noch in weiter Ferne.
Deshalb müssen wir uns die Frage stellen, ob etwa Zwischenstufen einer westeuropäischen Einigung durch den Nichtverbreitungsvertrag gefährdet werden könnten. Die Schaffung eines französischbritischen Nuklearwaffenpools z. B. stünde nicht im Widerspruch zum Vertrage. Das gleiche gilt für finanzielle Beiträge zu diesem Pool durch die übrigen Mitgliedstaaten. Auch Konsulationen und Planungen im Sinne der jetzt bestehenden nuklearen Planungsgruppe und die Weitergabe von Trägersystemen wären, wenn die letzte Einsatzentscheidung in der Hand eines der europäischen Nuklearwaffenstaaten bliebe, nach dem Vertrage wie nach den amerikanischen Interpretationen erlaubt. Aber, meine Damen und Herren, das dürfen wir nicht
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Dr. Dr. h. c. Birrenbachübersehen: Die rasante technologische Entwicklung im offensiven wie auch im defensiven Waffenbereich, deren Ausmaß heute niemand übersehen kann, sowie Veränderungen im militärischen Gleichgewicht auf dem europäischen Kontinent — es hat sich das schon verändert — könnten früher oder später die europäischen Staaten vor die Notwendigkeit stellen, Entscheidungen zu treffen, die dieser Tatsache gerecht werden.Die Entwicklung der EURO-Group unter Einschluß Frankreichs z. B. zu einer Neuauflage der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft als einer zweiten Säule im Atlantischen Bündnis ist eine der denkbaren zukünftigen Varianten auf dem Verteidigungssektor.Die Weiterentwicklung der politischen Zusammenarbeit der europäischen Staaten könnte, ja müßte schließlich zu einer Koordination, ja zu einer gemeinsamen Außenpolitik der Neun führen. Ihre Notwendigkeit ist in den letzten Monaten aus verschiedenen Anlässen uns allen drastisch vor Augen geführt worden.
Aber, meine Damen und Herren, die Außenpolitik vollzieht sich trotz aller bisherigen gegenteiligen Bemühungen nicht in völliger Abstraktion vom militärischen Bereich. Die Entwicklung einer Wirtschafts- und Währungsunion, so schwierig sie ist, bleibt unabdingbares Element der Sicherstellung einer stabilen europäischen Wirtschaftsstruktur. Dies alles sind Vorelemente einer europäischen politischen Union. Sie hängen alle nahezu unlösbarmiteinander zusammen, obwohl das manche nicht gern wissen möchten.Diese politische, militärische, wirtschaftliche und technologische Entwicklung wird auch in einer Reihe unserer europäischen Partnerstaaten zunehmend als zwingend erkannt, wenn auch zwischen Erkennen und Realisieren ein Unterschied besteht. Neue gravierende Realitäten, denen sich Europa in Zukunft ausgesetzt sehen kann, können und werden diesen Prozeß beschleunigen und zu heute noch nicht vorstellbaren Kooperationsformen führen, zumal der Nichtverbreitungsvertrag für praktisch unbeschränkte Zeit gelten soll. So könnte auf die Dauer stufenweise, Herr Bundesaußenminister, ein zentraler Wille zur Entstehung gelangen.Es lassen sich selbst fundamentale Änderungen der Lage vorstellen, die nach Art. X des Vertrages den Rücktritt der Bundesrepublik vom NV-Vertrag rechtfertigen. Das ergibt sich aus ,dem Vertrag selbst. Die Inanspruchnahme eines solchen Rechts erscheint uns aber nur in einem äußersten Fall — und dann wohl nur zusammen mit anderen europäischen Partnern — denkbar. Daß wir uns an den Nuklearwaffenverzicht der Bundesrepublik von 1954 eindeutig gebunden fühlen, sei hier noch einmal besonders betont.Der europäische Einigungsprozeß kann und darf nicht durch sowjetische Einsprüche — selbst wenn sie von ,der Bundesregierung heute nicht erwartet werden sollten — unter Hinweis etwa auf den Nichtverbreitungsvertrag gehemmt werden. Dem-entsprechend hat schon die Bundesregierung in ihrer Note anläßlich der Unterzeichnung des Nichtverbreitungsvertrages förmlich erklärt:Die Bundesrepublik geht davon aus, daß der Vertrag den Zusammenschluß der europäischen Staaten nicht behindert.Die Bundesregierung weiß sicherlich, was sie darunter versteht. An dieser Voraussetzung einer deutschen Vertragszugehörigkeit halten auch wir fest. Die von der Bundesregierung gebrauchte Formulierung erscheint uns aber präzisionsfähig und -bedürftig. Alle in den Bereichen Wirtschaft, Sicherheit und europäische Option gestellten Fragen müssen Gegenstand eingehender Erörterungen in den zuständigen Ausschüssen sein.Zusammenfassend stelle ich im Namen der Fraktion der CDU/CSU, für die zu sprechen ich die Ehre habe, fest, daß diese davon ausgeht, daß erstens die Versorgung der Bundesrepublik Deutschland mit Kernbrennstoffen sichergestellt bleiben muß, und zwar unter den besonderen Perspektiven, die ich im einzelnen vorhin aufgeführt habe, daß sich zweitens andere mit der Bundesrepublik Deutschland konkurrierende Staaten hinsichtlich ihrer Kernenergieanlagen, die für friedliche Zwecke bestimmt sind, gleichfalls der Kontrolle der IAEO unterwerfen. Drittens schlägt die CDU/CSU vor, daß durch eine interpretative Erklärung der Bundesrepublik Deutschland anläßlich ihres Beitritts zum NV-Vertrag sichergestellt wird, daß dieser gemeinsame Schritte, die nach Auffassung auch unserer Partner in der Europäischen Gemeinschaft im Interesse der Europäischen Verteidigung notwendig sind, nicht behindert.
— Lieber Herr Wehner, ich habe mich bemüht, so sachlich wie möglich zu sprechen und personelle Dinge völlig außer acht zu lassen. Lassen Sie mich bitte auch diese Sekunde noch mich auf Essentielles beschränken und nicht unessentielle Dinge berühren.
In diesem Zusammenhang — und damit komme ich zum Schluß — wird die CDU/CSU in den zuständigen Ausschüssen konkrete Vorschläge vorlegen, wie nach ihrer Meinung das Ziel der Wahrung einer europäischen Option erreicht werden kann, ohne daß dadurch der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Nichtverbreitungsvertrag verhindert wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mattick.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit diesem Vertrag vollzieht der Bundestag einen entscheidenden weiteren Schritt in Richtung der Friedenspolitik, die die Große Koalition einmal konzipiert hat und die die Regie-
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Mattickrung Brandt/Scheel mehr und mehr in die Tat umgesetzt hat.Es ist eine eigenartige Situation, in der wir uns zur Zeit politisch befinden.
Seit langem war uns der Krieg nicht so nahe wie in diesen Wochen. Daher meine ich, daß die Ratifizierung des NV-Vertrages gerade in dieser Phase ein wichtiger Beitrag der deutschen Friedenspolitik sein muß; denn dieser Vertrag dient nur einem einzigen wichtigen Zweck: alles Mögliche zu tun, um eine Ausbreitung nuklearer Waffen zu verhindern.Ich möchte in diesem Zusammenhang mit Genehmigung der Frau Präsidentin aus der Denkschrift zitieren, in der gesagt wird:Das Hauptmotiv, das dem Vertrag zugrunde liegt, läßt sich wie folgt umreißen:Je mehr Staaten Kernwaffen besitzen, desto unvorhersehbarer sind die Folgen für die internationale Sicherheit. Jeder zusätzliche Staat, der über Kernwaffen verfügt, ist — so verantwortungsbewußt seine Regierung auch sein mag — ein weiteres Zentrum unabhängiger Entscheidungen über die Verwendung solcher Waffen. Die internationalen Beziehungen werden dadurch schwieriger und gefahrvoller; die Intensität der gegenseitigen Bedrohung nimmt zu.Jede Ausbreitung des Atomwaffenbesitzes verlagertdie Verantwortung bis in die Peripherie an der1 Schwelle der Verantwortungslosen. Zweck dieses Vertrages ist es, den Besitz atomarer Waffen auf die geringstmögliche Zahl von Mächten einzuschränken.
Die Geschichte hat uns gelehrt, welche Gefahren ständig über uns schweben. Das Ziel der deutschen Bundesregierung war, ist und bleibt es, ihren möglichst großen Beitrag zu leisten, den Frieden zu sichern und sicherer zu machen und dafür Beispiel zu geben und Verantwortung zu tragen, die über den Rahmen unserer nationalen Verantwortung hinausgeht.
Die Geschichte dieses Vertrages geht letztlich bis in die Zeit der letzten Phase des zweiten Weltkrieges zurück. Die Große Koalition nahm in ihre Koalitionsabsprache die Verpflichtung auf, die Unterzeichnung des Vertrages nicht hinauszuschieben. — Ja, Herr Mertes, so steht das drin. In der damaligen Debatte im Deutschen Bundestag gab es nur noch die Frage, ob der vorgelegte Entwurf ohne Veränderung annehmbar war, nicht aber, ob man die Unterschrift unter den Vertrag verweigern könnte.Die Auseinandersetzung, meine Damen und Herren, die dann in der Bundesrepublik erfolgte, hatte zwei Richtungen: die berechtigte Überprüfung des Vertrags auf seine Auswirkungen auf die friedliche Nutzung der Kernenergie, auf Beschränkungseinflüsse in der deutschen Friedensindustrie, auf die Möglichkeiten der Veränderung des Vertrags oder jedenfalls der Auslegung, so wie auch damals schon auf die Frage, ob die Bundesrepublik diesen Vertrag überhaupt unterschreiben solle. Allerdings war der Kreis der Gegner zu dieser Zeit nicht groß. Der Kreis derer, die den Vertrag als „Super-Versailles" oder als neue Fassung des Morgenthau-Plans bezeichneten, stellte immerhin eine kleine Gruppe auch in diesem Hause dar. Botschafter Schnippenkötter ging mit einem Paket von 52 Punkten in die Verhandlungen, von denen sehr viele geklärt wurden bzw. bei denen Sorgen ausgeräumt werden konnten. Die Debatte war mit vielem belastet, was mit diesem Vertrag überhaupt nichts zu tun hatte. Unter anderem wurden die Feindstaatenklauseln der UNO-Charta diskutiert, und in der Bundesrepublik entstanden Fronten zwischen Ja und Nein zur Bonner Außenpolitik. Beinahe am Rande spielte sich dann in dieser Zeit die Abwicklung der Voraussetzungen für den Beitritt zum NV-Vertrag ab.In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, möchte ich an die sieben Punkte erinnern, die Herr Stücklen damals im Auftrag der Opposition vorgetragen hat. Dabei ging es erstens um eine gemeinsame Haltung der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften in den Einzelfragen der Rechtsstellung der Gemeinschaften und der vollen Anerkennung des Euratom-Kontrollsystems, der Vermeidung von Doppelkontrollen und der Beschränkung der IAEO auf eine Verifikation der Ergebnisse. Dieser Punkt, meine Damen und Herren, Herr Birrenbach, ist erfüllt. Die Forderung, die Unterstützung weiterer Länder für diese Punkte zu gewinnen, ist erfüllt. Die volle Gleichstellung der deutschen friedlichen Forschung und Industrie durch geeignete Interpretationen und angemessene Kostenregelungen zu sichern: dies ist erfolgt. Die Entscheidung der Bundesregierung über die Unterzeichnung des Nichtverbreitungsvertrags nicht vor einer Ratifikation dieses Vertrages durch die Sowjetunion zu fällen, da erst dann sichergestellt werden kann, daß diese den amerikanischen Interpretationen nicht widersprochen hat: auch dies ist eingetroffen. Geeignete Schritte zu ergreifen, um auszuschließen, daß in den entscheidenden Punkten des Vertrages ein Dissens in der Interpretation zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion entsteht: Ich glaube, die gegenwärtige Phase zeigt, wie weit die Zusammenarbeit auf diesem Sektor gekommen ist Herr Kiesinger hat das damals einmal als eine gewisse „Komplizenschaft" bezeichnet. Die Sowjetunion aufzufordern, in eindeutiger Form ohne Einschränkung die Anwendung des Art. 2 der Charta der Vereinten Nationen im Gesamtbereich der Beziehungen der Bundesrepublik zur Sowjetunion anzuerkennen: Dies ist geschehen, da inzwischen die Feindstaatenklausel durch den deutsch-sowjetischen Vertrag vom Tisch gebracht wurde. Allerdings muß ich Sie hier daran erinnern, meine Damen und Herren, daß das einmal Ihre Forderung war, Sie dann aber nicht bereit waren, dem deutsch-sowjetischen Vertrag zuzustimmen.
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MattickHier liegt der Widerspruch Ihrer Politik, der sichauf allen Ebenen der deutschen Außenpolitik zeigt.
Die letzte Forderung war die nach der europäischen Option, auf die ich gerne noch einmal zu sprechen komme.Zunächst einmal möchte ich sagen, daß eine noch nicht bestehende Staatsposition nicht gebunden werden kann. Wir reden von einem Europa, das es noch nicht gibt, und wir wissen, daß, wenn es dieses Europa gibt, eine völlig neue Situation entsteht. Die europäische Option ist eine Frage der Zukunft. Wir sollten die mögliche Staatenbildung Europas nicht noch weiter komplizieren, als sie es schon ist, indem wir sie mit der Atomwaffenfrage belasten. Weder Frankreich noch England sind an einer solchen Kooperation interessiert. Ich glaube, es gibt in Europa unter denen, mit denen wir uns zusammenfinden wollen, mehr Mächte, die sich eher davor hüten werden, uns in der Frage der europäischen Vereinigung schneller näherzukommen, wenn sie wissen, daß wir mit dieser Frage die Option auf eine europäische Atomwaffe verbinden wollen. In diesem Europa gibt es — wenn wir einmal die Mächte ausnehmen, die schon Atomwaffen haben — schließlich nicht viele Mächte, die nach Atomwaffen streben. Wir sollten meiner Ansicht nach in der Beurteilung und Behandlung der europäischen Fragen sehr vorsichtig sein.Die kritischen Stunden zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten sowie Europa und den Vereinigten Staaten scheinen mir überhaupt nicht dafür geeignet zu sein, eine Debatte mit dem Tenor zu führen, als ob es in absehbarer Zeit denkbar wäre, daß eine europäische Atommacht amerikanische Sicherheitspositionen ersetzen kann.
Ich möchte in diesem Zusammenhang gern eine Bemerkung an die Adresse von Herrn Seidl, dem Fraktionsführer der CSU in Bayern, machen. Seine Bemerkungen über die eventuelle Notwendigkeit einer nationalen Atomstreitmacht sind meiner Ansicht nach gefährliche Äußerungen für die deutsche Position. Ich bitte die CDU/CSU dringend, hier deutlicher zu sagen, daß sie zu dieser Position keine Beziehungen hat und daß dieses Bestreben von Herrn Seidl nichts mit der CDU-Politik zu tun hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgegeordneten Dr. Kliesing?
Ja, bitte!
Herr Kollege Mattick, ist Ihnen denn völlig entgangen, daß der Kollege Birrenbach in seiner Rede für die Fraktion eine diesbezügliche klare und eindeutige Erklärung ab-
gegeben hat, die dieses Problem, aus unserer Sicht gesehen, obsolet erscheinen läßt?
Herr Kliesing, ich bedanke mich für den Hinweis. Ich muß zwei Bemerkungen dazu machen. Erstens. Während der Rede des Kollegen Birrenbach war es in der Tat so laut, daß ich an meinem Platz nicht alles verstehen konnte.
Zweitens möchte ich noch folgendes betonen, Herr Kliesing. Die Auseinandersetzung zwischen Ihnen und der bayerischen CSU ist damit ja wahrscheinlich noch nicht ausgetragen.
In diesem Zusammenhang möchte ich eine weitere Bemerkung machen. Ich empfehle Ihnen, im Zusammenhang mit der europäischen Option einmal die Rede nachzulesen, die Ihr Kollege Dräger in Ankara gehalten hat. Ich möchte auch hier noch einmal davor warnen, in der Debatte über diesen Nichtverbreitungsvertrag dauernd davon zu reden, daß die Vereinigten Staaten uns, langfristig gesehen, keine Sicherheit mehr garantieren. So ist es in der Auseinandersetzung in Ankara aber gesagt worden. Deshalb weise ich darauf hin.
Ich glaube, es ist notwendig, daß Sie hier ganz deutlich machen: Unser Bündnis mit den Vereinigten Staaten besteht. Es gibt bei uns keinen Zweifel daran, daß die atomare Sicherheit in Europa allein durch die USA gewährleistet bleibt und damit auch der atomare Schutz durch die Amerikaner gesichert ist. Niemand sollte davon ausgehen, daß dann, wenn wir zu einem europäischen Zusammenschluß kommen, die Sicherheit in Europa auf Grund der atomaren Bewaffnung der Engländer und Franzosen gewährleistet ist. Im übrigen ist überhaupt noch nicht erkennbar, in welcher Generation der europäische Zusammenschluß möglich sein wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Mattick, an welcher Stelle habe ich erklärt, die Vereinigten Staaten seien nicht mehr bereit oder fähig, unsere Sicherheit zu gewährleisten, und an welcher Stelle habe ich gesagt, daß ein französisch-englischer Nuklearwaffenpool in der Lage wäre, den Schutz der Vereinigten Staaten zu ersetzen?
Herr Birrenbach, das war vorhin keine Antwort auf Ihre Bemerkungen. Wir diskutieren hier ja im Allgemeinen. Ich muß Sie dann mit dem bekanntmachen, was Herr Dregger gesagt hat. Er sagte unter anderem — ich bitte zitieren zu dürfen —:Ich glaube, die Europäer werden ihrer Verantwortung nicht schon dann gerecht, wenn sie alles Unangenehme — und dazu gehört die nukleare Abschreckung — von vornherein und für alle Zukunft den Amerikanern überlassen wollen. Wenn man sich nach den Gründen für eine solche Haltung fragt, dann spielen häufig
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MattickGesichtspunkte der Moral eine Rolle, die entweder ausdrücklich erwähnt werden oder durchscheinen.Er hat dann gesagt:Aber ich meine, ein gleichgewichtiges, eigenständiges und damit für die USA wertvolles Europa hat eher die Aussicht, sich auf längere Sicht die Freundschaft der Vereinigten Staaten von Amerika zu erhalten, als ein Europa, das auf Teilgebieten zumindestens unmündig ist.Das ist eine ganz klare Option für eine beschleunigte atomare Macht Europas.
— Das ist meine Interpretation.
— Ja, er ist ja da. Deswegen müssen Sie mir gestatten, daß ich darauf hinweise. Meine Freunde und ich jedenfalls haben es so verstanden, daß Herr Dregger in diesem Zusammenhang auf eine sehr beschleunigte europäische gemeinsame Atommacht ausgeht. Das ging aus diesen Bemerkungen ganz deutlich hervor.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Damm?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte!
Herr Kollege Mattick, würden Sie es nicht für korrekt halten, wenn Sie die Vorgänge in Ankara zitieren, darauf hinzuweisen, daß Herr Kollege Dregger in der Plenarsitzung der Nordatlantischen Versammlung in Ankara auf Vorschläge, die der Nordatlantischen Versammlung vorgelegt worden waren in Form eines Berichtes der Neun, an dem ein Deutscher direkt mitgearbeitet hat, im übrigen aber lauter — sehr prominente — Angehörige von Bündnispartnern, geantwortet hat und in dem Bericht gefordert wird, daß die Europäer zu einer engeren verteidigungspolitischen Kooperation einschließlich der nuklearen Waffen kommen sollten?
Das ist richtig. Mit dieser Vorlage werden wir uns hoffentlich auch noch beschäftigen müssen.
Ich nehme den deutschen Standpunkt ein, und ich hoffe, wir werden gemeinsam die Position entwickeln, daß unser Streben nach einer europäischen Atommacht keinesfalls die Frage des Zusammenschlusses Westeuropas in dieser Phase belasten darf, sondern daß wir darüber einmal reden können, wenn es ein einheitliches Europa gibt, wie wir es uns vorstellen.Ich gehe von folgendem aus — ich bitte Sie darum, das mit zu prüfen —: Wenn wir heute die Frage deratomaren Ausrüstung Europas im Falle eines Zusammenschlusses Europas, so wie es hier geschehen ist, wie es auch der Bericht sagt — das sagen Sie ganz richtig , in den Mittelpunkt unserer Europapolitik und unserer Sicherheitspolitik stellen, bin ich der Meinung, leidet darunter die Chance der europäischen Entwicklung und leidet darunter auch unsere Sicherheit, weil wir damit nämlich den Amerikanern im Grunde genommen immer mehr klarmachen: wir sind eiligst darauf aus, uns aus der Sicherheitsgarantie der Amerikaner auf dem atomaren Sektor zu entlassen.
Darin sehe ich hinsichtlich der europäischen Fragen und außerdem auch für unsere Sicherheit in der nahen Zukunft eine entscheidende Gefahr. Daher bitte ich, die Frage, wie sie Herr Dregger dort angeschnitten hat, wenn es möglich ist, auch von Ihrem Standpunkt aus zu überprüfen; denn ich glaube, wir sollten, wenn wir den Sperrvertrag verabschieden, den Versuch machen, in diesen Fragen eine gemeinsame Haltung zustande zu bringen.Ich möchte mich nicht auseinandersetzen mit all den Fragen, die Herr Birrenbach behandelt hat. Herr Außenminister Scheel hat schon vieles zu diesen Punkten gesagt. Ich kann nur noch einmal feststellen, daß die Forderungen der CDU/CSU aus dem Jahre 1969 beantwortet und erfüllt sind.
Außerdem, Herr Birrenbach, ist das ja keine Bindung auf Ewigkeit. Kein Vertrag ist eine Bindung auf Ewigkeit. Aber Sie lassen ja außer acht, daß erstens nach Art. 8 des Vertrages Veränderungsanträge und Veränderungen möglich sind und daß es zweitens nach Art. 10 auch jedem gestattet ist, den Vertrag begründet zu verlassen, ihn aufzukündigen, sich nach einem Vierteljahr selbständig zu machen. Das ist also keine Bindung, die wir nicht, wenn sich einmal eine veränderte Lage ergeben sollte, lösen können.Ich glaube auch, all die Fragen, die damals anstanden und die wir sehr breit diskutiert haben — die Sowjetunion erhalte eine besondere Kontrolle über unsere Industrie und was es da alles gab —, sind ausgestanden, widerlegt oder in Ordnung gebracht. Dennoch glaube ich, daß Ihr heutiges Wenn und Aber, Herr Birrenbach — wir werden ja im Ausschuß Gelegenheit haben, dies in Einzelheiten zu diskutieren —, nach meinem Gefühl immer noch die Frage offenläßt: Bleibt nicht doch noch eine Lücke für eine Entwicklung, in der sich die Situation für die Bundesrepublik zugunsten einer Eigenständigkeit auch auf dem Gebiet der atomaren Bewaffnung lösen muß?
Meine Damen und Herren, wenn heute bestätigt wird, daß die Forderungen, die die CDU bezüglich „Bestandteil einer gefährlichen Entwicklung" aufgestellt hat, im Grunde genommen ausgestanden und erfüllt sind und wenn wir uns darüber einig sind,
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Mattickdaß die Bundesrepublik Deutschland diesen Beitrag zur friedlichen Entwicklung leisten muß, und wir gemeinsam die Auffassung verteidigen, die hier in der Denkschrift niedergelegt ist, daß jede Erweiterung des Atomwaffenbesitzes auf neue Mächte neue, zusätzliche Gefahren für den Frieden bringt,
dann, so meine ich, gibt es eine Möglichkeit, diese Politik gemeinsam zu entwickeln.Die Verantwortung für den Frieden in Europa und in der Welt liegt auf den Großmächten, die sich die Macht geschaffen haben, die Welt zu vernichten, aber auch die Macht besitzen, den Frieden zu sichern. Unsere Aufgabe kann es nicht sein, diese Machtgruppe, von welcher Seite auch immer, zu verstärken. Unser Friedensbeitrag geht von der moralischen Position aus, die der Herr Bundeskanzler Brandt in seiner Regierungserklärung aufgestellt hat.Lassen Sie mich mit einem Appell an die Mächtigen dieser Welt schließen: Sie haben die Macht, den Frieden zu sichern; sie haben die Pflicht, den Frieden in der Welt zu erhalten.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Bangemann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist sicher zweckmäßig, wenn) wir uns in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs darauf beschränken, einige grundsätzliche Fragen anzusprechen, weil ja die Beratungen in den Ausschüssen auch in den von der Opposition hier angesprochenen einzelnen Punkten noch mehr Klärungen bringen, als es im Moment der Fall sein mag. Ich möchte mich deswegen auf diese beiden schon angesprochenen grundsätzlichen Aspekte ebenfalls beschränken, nämlich einmal auf den sicherheitspolitischen und zum anderen auf den im engeren Sinne europapolitischen Aspekt.Was den ersten Aspekt angeht, so wurde die Frage gestellt, ob der Nichtverbreitungsvertrag der UdSSR in Fragen der nuklearen Sicherheitsstruktur des atlantischen Bündnisses und Westeuropas ein Mitbestimmungsrecht gibt. Wäre diese Frage auf eine reine Frage nach 'den Rechtsgrundlagen einzuschränken, dann könnte man sie relativ einfach beantworten; denn das rechtliche Instrumentarium, das der Nichtverbreitungsvertrag für den Fall einer Vertragsverletzung zur Verfügung stellt, ist in diesem Sinne ja nicht so gefährlich, daß man davon reden könnte, es sei ein unmittelbares Mitwirkungsrecht. Das würden sicherlich auch diejenigen einräumen müssen, die in diesem Punkt gegenüber dem Vertrag außerordentlich starke Bedenken haben.Der Herr Außenminister hat schon darauf hingewiesen, daß die Sowjetunion im Falle einer behaupteten Vertragsverletzung ein zwar politisch wirksames, aber doch begrenztes Verfahren, nämlich das Verfahren nach Art. 19 und 20 des Verifikationsabkommens, in Gang setzen könnte, was zu einem Bericht an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen führen würde. Das ist sicherlich ein politisches Faktum, das man nicht übersehen kann und das in einer politischen Auseinandersetzung selbstverständlich Gewicht hat. Aber im Lichte dieser rechtlichen Regelung von einem Recht der Sowjetunion zur Mitwirkung an der Struktur des Verteidigungsbündnisses im Westen zu sprechen scheint mir — um einmal einen Ausdruck zu gebrauchen, der in jüngster Vergangenheit in einem anderen Zusammenhang verwendet worden ist — doch etwas überzogen zu sein.Wichtiger wäre sicherlich die Frage, welche politischen Einflußmöglichkeiten die Sowjetunion bekäme, wenn die Bundesrepublik Deutschland den Vertrag ratifiziert. Herr Strauß hat in diesem Zusammenhang von drohenden Mahnungen und der Möglichkeit einer massiven Einschüchterung durch die Sowjetunion gesprochen. Als Begründung wird in diesem Zusammenhang insbesondere immer angeführt, daß das Hauptinteresse der Sowjetunion darin liege, daß die Bundesrepublik diesem Vertrag beitritt und nicht etwa andere Staaten. Das scheint nun eine Motivation für eine solche Möglichkeit zu geben, ist aber nach meiner Meinung außerordentlich vordergründig. Es kann doch gar keinem Zweifel unterliegen, daß die Sowjetunion ein Hauptinteresse an dem Beitritt der Bundesrepublik haben muß, und zwar auch dann, wenn man ihr nicht unterstellt, daß sie bereit, in der Lage und willens ist, der Bundesrepublik durch Einschüchterungen politischen Spielraum zu nehmen, denn letzten Endes sind wir mit Sicherheit ein sogenannter Schwellenstaat, der technologisch in der Lage wäre, atomare Sprengköpfe in kürzester Zeit herzustellen, und zweitens darf man im Verhältnis der Bundesrepublik zur Sowjetunion natürlich die geschichtliche Erfahrung nicht außer acht lassen, die ,die Sowjetunion zu bestimmten politischen Einstellungen zwangsläufig führen muß. Hierüber sich zu wundern scheint mir etwas naiv zu sein.Man kann die Frage aber auch umdrehen und kann fragen: Welches Hauptinteresse sollte denn die Bundesrepublik haben, diesem Nichtverbreitungsvertrag beizutreten? Dann wird nach meiner Meinung ein Schuh daraus. Denn gerade in der zurückliegenden Zeit und auch gegenwärtig ist doch so deutlich geworden, daß man kaum mehr wagt, darauf hinzuweisen, daß in dieser Weltsituation, in der wir uns befinden, weder der Friede lokalisierbar ist noch es in Zukunft ohne Schwierigkeiten möglich sein wird, einen Krieg zu lokalisieren. Eine weitere Verbreitung von atomaren Mächten, eine weitere Möglichkeit, Entscheidungszentren nicht nur bei den jetzigen Atomwaffenstaaten zu haben, würde zweifellos ganz unmittelbar die Sicherheit der Bundesrepublik gefährden. Das ist mit ein Hauptinteresse der Bundesrepublik an diesem Vertrag.Hier wird übrigens auch 'deutlich, daß der Nichtverbreitungsvertrag nicht isoliert betrachtet werden kann. Zunächst einmal ist es nicht richtig, daß es sich hier um einen einseitigen oder, wie Herr Birrenbach gesagt hat, nicht ausgewogenen Vertrag handelt. Wenn wir dieses behaupten, würden wir
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Dr. Bangemanndie Verpflichtung der Atomwaffenstaaten, die sie selbst in Artikel 6 eingegangen sind, willkürlich, mutwillig mit unserer eigenen Darstellung relativieren, ein Vorgang, der unsere eigenen Interessen in außergewöhnlicher Weise schädigen würde. Es kann doch gar keinem Zweifel unterliegen, daß wir selber ein hohes Interesse daran haben müssen, die Atomwaffenstaaten an die von ihnen eingegangene Verpflichtung, allgemeiner Abrüstungsbemühungen weiterhin ehrlich und uneingeschränkt aufrechtzuerhalten, zu erinnern, anstatt zu sagen, dieses steht auf dem Papier, dieses ist ein bloßes Wort, der Vertrag ist unausgewogen.
Das ist, meine Damen und Herren, die Methode, die inzwischen sogar die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" der Opposition zum Vorwurf macht, daß man Interpretationen, die andere vornehmen, übernimmt, durch eine ausgesprochene Diskussion darüber dies zum Schaden der Bundesrepublik tut und sich dann wundert, wenn in der politischen Entwicklung genau das eintritt, was man vorhergesagt hat, anstatt sich auf seinen eigenen Standpunkt zu beschränken und das auszuführen, was im Interesse der Bundesrepublik liegt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Bangemann, zur Frage der Abrüstung: Ist Ihnen bekannt, daß die Nichtkernwaffenstaaten in Genf immer wieder versucht haben, die Kernwaffenmächte dazu zu bringen, in diesen Vertrag eine Verpflichtung aufzunehmen, wonach sie automar abrüsten werden, und ist Ihnen bekannt, daß sehr viele Nichtkernwaffenstaaten die Verpflichtung, nur Abrüstungsverhandlungen einzugehen, nicht als eine genügende Gegenleistung der Kernwaffenmächte ansehen?
Herr Mertes, diese Frage ist im Grunde genommen natürlich nur sophistisch, denn politisch gesehen sind Verhandlungen —
— Meine Damen und Herren, das ist doch nun genau die Methode, von der ich vorhin gesprochen habe. Wenn Sie damit unterstellen, Herr Mertes, daß etwa die Atomwaffenstaaaten in der Lage wären, sozusagen mutwillig in Verhandlungen zu gehen mit der bewußten Absicht, daß aus diesen Verhandlungen nichts herauskommt, dann tun Sie genau das, was ich Ihnen vorhin vorgeworfen habe. Das ist ja gerade das, was wir verhindern wollen.
Wir müssen ein Minimum an Vertrauen unseren Vertragspartnern gegenüber aufbringen, wenn wir selber Vertrauen von diesen erwarten.
Das ist doch die Frage, die sich hier stellt, und das ist eine politische Frage. Im übrigen, Herr Mertes, ist es ja nicht so, daß das bloß auf dem Papier steht und daß diese Verhandlungen zu keinen Ergebnissen geführt haben; der Außenminister hat darauf hingewiesen. Wir haben doch Ergebnisse. Wir haben das Atomtestabkommen.
Wir haben SALT I. Wir haben eine politische Entwicklung, die zu einem Abkommen zwischen der Sowjetunion und den USA zur Verhinderung eines Atomkrieges geführt hat. Wir haben die Verhandlungen über MBFR. Das ist doch nicht alles nichts. Sie können doch, gerade wenn Sie Realpolitik be- treiben wollen, nicht einfach sagen: Dies alles ist entweder gar nichts, oder wir mißtrauen dem so sehr, daß wir überhaupt nichts zu tun beabsichtigen.Das ist auch keine positionelle Frage. In diesem Zusammenhang muß man ganz deutlich machen, daß gerade mit dem Nichtverbreitungsvertrag eine Außenpolitik der Bundesrepublik angesprochen worden ist, die sich etwa von der des 19. Jahrhunderts fundamental unterscheidet. Es geht hier nicht darum, daß man, wie Herr Birrenbach gesagt hat, einen Unterschied zwischen Atomwaffenstaaten und Nicht-Atomwaffenstaaten zur Motivation einer Ablehnung oder einer Billigung des Vertrages macht
aus positionellen Gründen, aus Gründen, die etwa darauf hinauslaufen, daß man sagt: Wir wollen kein Staat zweiter oder dritter Klasse sein.
Herr Mertes und Herr Birrenbach, wenn Sie das nicht tun, —
— Ich höre sehr genau zu.
Ich mache sogar noch mehr. Ich lese das, was Herr Strauß dazu sagt, und Herr Strauß hat in diesem Zusammenhang in einem Interview mit „Publik", als die Zeitschrift noch bestand, davon gesprochen, daß hier eine positionelle Frage der Bundesrepublik Deutschland angesprochen ist und daß die Bundesrepublik Deutschland sich als einen Staat zweiter Klasse politisch nicht selber wollen kann. Das ist die Position von Herrn Strauß gewesen, Herr Mertes. Deswegen ist es vielleicht ganz zweckmäßig, wenn Sie sich in Ihrer Fraktion einmal darüber einigen, was nun Ihre Position in dieser Frage ist.
Nun zu der Frage — und diese Frage ist vielleicht für die Sicherheit noch bedeutsamer —: Ist die amerikanische nukleare Schutzgarantie für Europa weiter gewährleistet?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3721
Dr. BangemannZunächst einmal muß man sicher einräumen, daß sich die Position der UdSSR im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika von der jeder anderen Macht, die an den Entspannungsbemühungen beteiligt ist, insofern unterscheidet, als beide Staaten zusätzlich zu ihren Bündnisverpflichtungen ein bilaterales Verhältnis zu klären haben. Dann muß man aber auch sagen — und dies sage ich auch vor dem Hintergrund einer Debatte, die kürzlich begonnen hat und die uns sehr wahrscheinlich in den nächsten Tagen noch beschäftigen wird , daß das nordatlantische Bündnis auf einer Partnerschaft beruht.Dies bedeutet einmal, daß sich alle Partner in diesem Bündnis, und zwar auch diejenigen, die ein größeres militärisches Gewicht in diesem Bündnis haben, an das halten, was zu ihren Verpflichtungen nach diesem Bündnis gehört. Darauf können wir in keiner Weise verzichten.Zweitens gehört dazu aber auch, daß wir als Partner dieser Verteidigungsgemeinschaft nicht mutwillig darangehen, unsere eigene Position dadurch zu schwächen, daß wir ständig ein Mißtrauen gegenüber dem größeren Partner in dieser nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft nähren. Dies wäre für die Bundesrepublik verhängnisvoll.
— Herr Mertes, Sie scheinen die Briefe Ihrer Fraktionsfreunde wirklich nicht zu lesen; denn sonst würden Sie nicht dauernd die Frage stellen, wer das tut. Ich kann Ihnen die Briefe sogar zur Verfügung stellen, falls Sie sie nicht haben sollten. Ich darf Ihnen wirklich empfehlen: Lesen Sie doch einmal die Briefe von Herrn Seidl und Herrn Strauß, wenn Sie es noch nicht getan haben! Da werden Sie feststellen können, wer einen Zweifel in die Bündnistreue der Vereinigten Staaten setzt,
wer bezweifelt, daß die Vereinigten Staaten ihren Verpflichtungen aus diesem Abkommen nachkommen werden.
Drittens müssen wir auch berücksichtigen, daß die NATO kein statisches Bündnis sein kann. Sie wird ihre Funktion als Verteidigungsgemeinschaft in einer sich wandelnden Welt immer nur dann erfüllen können, wenn sie selber dynamisch bleibt, wenn sie zu einer Neuorientierung in der Lage ist. Diese Neuorientierung kann allerdings keine Neutralisierung bedeuten. Das ist sicher richtig. Ich möchte wirklich einmal wissen, was die Opposition zu einem Brief eines Jungsozialisten gesagt hätte, der folgende Passage enthielte — ich zitiere mit Genehmigung wörtlich —:Die USA sind offenbar nicht mehr bereit, bei einem mit konventionellen Waffen gegen Westeuropa geführten Angriff ihre strategischen Kernwaffen, insbesondere ihre Interkontinentalraketen und die Raketen ihrer Unterseebootegegen Ziele auf dem Staatsgebiet der Sowjetunion einzusetzen.Wenn dieser Satz in einem Brief eines Jungsozialisten oder eines Jungdemokraten — um die Gewichte gleich zu verteilen — gestanden hätte, hätte sich hier sicher ein Sturm der Entrüstung erhoben. Man hätte von neutralistischen Tendenzen gesprochen, man hätte davon gesprochen, daß Zweifel in die Bündnistreue der USA gesät worden seien, ein Vorgang, der die Interessen der Bundesrepublik zutiefst schädige. Das haben wir von Ihnen nicht gehört, und zwar mit Recht nicht, denn das ist ein Zitat aus einem Brief des Herrn Seidl an seinen Landesvorsitzenden, den Herrn Strauß. Es ist also nicht der Brief eines Jungsozialisten oder Jungdemokraten.
Wenn wir in dem Brief von Herrn Strauß lesen, Herr Mertes — das sind nun Zitate, und ich bin bereit, sie zu belegen; Sie nicken mit dem Kopf, Sie nehmen mir das sowieso schon ab —,
daß der Nichtverbreitungsvertrag uns von den Amerikanern in einer Schwächephase des Präsidenten Johnson serviert worden sei und daß die Kurzsichtigkeit der Verbündeten nicht dazu führen dürfe, daß wir einen Vertrag akzeptierten, der im Ergebnis gegen westliche Interessen gerichtet sei, dann weiß ich nicht, wie man die Position der Vereinigten Staaten noch stärker angreifen kann, als es mit einer solchen Formulierung geschieht. Dieses, meine Damen und Herren von der Opposition, ist das mutwillige Untergraben eines Bündnisses, auf dem nicht nur die Entspannungspolitik, sondern unsere gesamte Sicherheit beruht.
— Herr Mertes, ich gebe Ihnen zu, wenn Sie mir vorwerfen, daß ich es mir leichtmache:
Es ist natürlich leicht, wenn man zitieren kann und wenn die von mir zitierten Politiker in so schöner naiver Offenheit ihre Motivationen darlegen. Dann allerdings ist es leicht. Das können Sie aber nicht mir zum Vorwurf machen,
sondern diesen Vorwurf müssen Sie an die Adresse der Briefschreiber richten.
Lassen Sie mich noch auf die Frage eingehen, welche Bedeutung der Nichtverbreitungsvertrag für die europäische Einigung hat. Zunächst einmal halte ich es für eine Verengung der Perspektive, wenn man diese Frage nur unter dem Gesichtspunkt der sogenannten europäische Option behandelt, d. h. unter dem Gesichtspunkt einer atomaren europäischen Option, weil zuvor die Frage entschieden
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3722 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Dr. Bangemannwerden muß, ob der Vertrag nicht selbst integrationsfördernde Elemente enthält. Ich meine, daß das der Fall ist. Auch der Herr Außenminister hat darauf hingewiesen. Die politische Einigung wird nicht nur nicht behindert, sondern durch die verstärkte Einschaltung von Euratom, durch die Anerkennung, wenn Sie so wollen, Euratoms, übrigens auch durch die Verhandlungen der Sowjetunion mit der Europäischen Gemeinschaft über die Lieferung von aufbereitetem Material, haben wir eine direkte integrationsfördernde Wirkung des Nichtverbreitungsvertrages vor uns.Was die europäische Option im einzelnen angeht, so kann man auch hier in doppelter Weise argumentieren. Man kann die rechtliche Situation und man kann die politische Situation betrachten. Hinsichtlich der rechtlichen Seite hat Herr Birrenbach selbst darauf hingewiesen, daß eine Staatensukzession selbstverständlich nicht in dem Sinne einen Verbreitungstatbestand darstellen kann,
wie das nach Wortlaut und Geist des Vertrages etwa angenommen werden muß, übrigens auch nach den Interpretationen der Sowjetunion, die in der Interpretation, die in diesem Zusammenhang immer angeführt wird, nicht von einer Staatensukzession gesprochen hat, sondern von der Frage, ob die Verbreitung von Vertragsmaterial an multilaterale Staatengemeinschaften ebenfalls unter den Vertrag fällt. Das ist die sowjetische Interpretation gewesen, und das ist unbestritten. Auch die Amerikaner sind, glaube ich, wie jeder, der den Vertrag aufmerksam liest, der Meinung und müssen der Meinung sein, daß selbstverständlich auch die Verbreitung an eine Konföderation, an ein multilaterales Bündnis unter den Vertrag fallen muß. Das haben die Amerikaner in ihrer fünften Interpretation auch deutlich zum Ausdruck gebracht. Es geht also nicht um die rechtliche Frage, sondern um die Frage, inwieweit eine europäische Option ausgeschlossen ist, wenn die Staatensukzession zur Debatte steht. Und in dieser Frage sind wir uns einig.Die politische Diskussion über die europäische Option ist nun allerdings von größerem Gewicht. Wir müssen sie führen, wiewohl ich der Meinung bin, daß die Diskussion über eine europäische Atomstreitmacht nicht nur unzeitgemäß, sondern außergewöhnlich theoretisch und darüber hinaus im augenblicklichen Zeitpunkt auch schädlich ist. Sie ist unzeitgemäß, weil es eine Diskussion ohne jeden sachlichen Hintergrund sein muß, solange die beiden Mitgliedstaaten, die jetzt über Atomwaffen verfügen, nicht einmal bereit sind, sich theoretisch damit zu beschäftigen, eine solche Zusammenlegung ihrer eigenen nationalen Potentiale vorzunehmen. Es erscheint mir daher sehr müßig, darüber im Sinne eines europäischen Potentials zu sprechen. Die Diskussion ist aber auch schädlich, weil natürlich, wenn die Bundesrepublik diese Diskussion führt, sofort der Verdacht naheliegt, daß wir diese Diskussion nicht wegen Europas, sondern unsertwegen führen. Wir nähren also einen Verdacht, den wir auf jeden Fall verhindern und beseitigen sollten, wenn diepolitisch guten Auswirkungen des Vertrages erhalten werden sollen.Die Diskussion ist aber besonders schädlich, wenn man — hier darf ich noch einmal mit Genehmigung der Frau Präsidentin und der Opposition aus dem Brief von Herrn Seid] zitieren — —
— Herr Barzel, Sie haben doch etwas zu genehmigen — ich komme nachher noch darauf —, weil Sie ja bis jetzt immer noch die Mehrheit im Bundesrat haben. Da wir übereinstimmend der Meinung sind, daß das Verifikationsabkommen zustimmungsbedürftig ist, haben Sie dort einen Punkt, an dem Sie Ihren guten Willen durchaus zeigen können.
Wenn man in diesem Brief liest, daß die Staaten Westeuropas in ihrer Verblendung und völligen Verkennung der langfristigen Ziele der sowjetischen Politik innerhalb einer angemessenen Frist entweder zur Errichtung einer nuklearen europäischen Streitmacht unter Einschluß der Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland kommen müßten oder aber jede Bundesregierung gezwungen sein werde, ihrerseits die Ausrüstung der Bundeswehr mit Kernwaffen in Erwägung zu ziehen, hört man sehr gern, wenn Sie betonen, daß Sie gegen eine atomare Bewaffnung auch der Bundesrepublik sind. Aber dann müssen Sie diese Meinungsverschiedenheiten aufklären, dann müsen Sie dies ausschließen, dann müssen Sie diese Meinungen, die von einem Fraktionsvorsitzenden im Bayerischen Landtag vorgebracht werden, klären. Dann werden wir uns die Entscheidung des Bundesrates vor dem Hintergrund einer solchen Äußerung sehr genau ansehen.
— Herr Mertes, ich habe gesagt, daß ich Herrn Birrenbach gehört habe. Aber wie oft soll ich Ihnen noch sagen, daß ich nicht nur Herrn Birrenbach gehört habe, sondern daß ich selbstverständlich auch mit großer Aufmerksamkeit — Herr Birrenbach wird mir das nicht übelnehmen — Äußerungen anderer Politiker Ihrer Unionsparteien lese, die ich nicht für ganz unmaßgeblich halte?
— Herr Mertes, wenn ich mich daran erinnere, wie oft Sie hier im Bundestag Äußerungen der Jungsozialisten angeführt haben, um die SPD-Fraktion damit im Bundestag zu diskreditieren, wird es mir doch erlaubt sein, nicht die Äußerung irgendeines Mitglieds der CSU, sondern des Fraktionsvorsitzenden im Bayerischen Landtag zu zitieren, um damit einen gewissen Zweifel an Ihrer Haltung zu begründen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3723
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Birrenbach?
Herr Kollege, ich bin seit Beginn der 60er Jahre mit der Frage der Nichtverbreitung beschäftigt. Ich habe in der Fraktion noch nie — —
Bitte stellen Sie eine Frage, Herr Abgeordneter!
Nehmen Sie zur Kenntnis, Herr Kollege, daß ich noch nie von irgendeinem Mitglied der Bundestagsfraktion, welches Bundestages auch immer, eine Erklärung gehört habe, die darauf hinausliefe, daß die Bundesrepublik eine nationale Nuklearposition anstreben sollte?
Herr Kollege, ich nehme das zur Kenntnis. Ich kann darin aber keinen Widerspruch zu dem erkennen, was ich gesagt habe, weil Herr Seidel ja nicht Mitglied dieser Bundestagsfraktion ist, von der Sie gesprochen haben.
Warum ist diese Diskussion, die so unzeitig ist, auch besonders schädlich? Sie ist es, weil in dieser Frage ebenfalls wieder deutlich wird, daß hier falsche zeitliche Prioritäten gesetzt werden. Wenn ich mich jetzt richtig erinnere, Herr Birrenbach, haben Sie selbst davon gesprochen, daß zunächst einmal die politische Einigung Europas auch vor dem Hintergrund einer denkbaren europäischen Atommacht betrieben werden müsse und daß jede Unterzeichnung eines Vertrages, die dies behindern könnte, in der Tat abzulehnen sei, wenn man die politische Priorität des politischen Einigungsprozesses Europas betrachtet.
Genau an dem Punkt gilt das, was in einem anderen Zusammenhang ebenfalls gegen die verfehlte Prioritätssetzung Ihres Fraktionsvorsitzenden schon einmal gesagt worden ist. Die Identität Europas, um die wir alle ringen, kann nicht in einer atomaren Identität bestehen, sondern sie muß darin bestehen, daß die demokratischen Rechte der Bevölkerung Europas zunächst einmal geregelt werden, bevor diese Fragen entschieden werden können.
Das ist nun in der Tat auch eine Frage der Europapolitik. Hier kann ich — und ich muß es vielleicht an dieser Stelle auch als Mitglied des Europäischen Parlaments — darauf verweisen, daß wir die Entwicklung, was die Rechte des Europäischen Parlaments angeht, auch in diesem Zusammenhang nicht so beurteilen, daß wir uns mit diesem Zustand zufriedengeben könnten. Wir werden, meine Damen und Herren, in Zukunft nicht nur in den Fragen der Wirtschaftsgemeinschaft, also in spezifisch wirtschafts- und steuerpolitischen oder anderen Harmonisierungsfragen, eine stärkere demokratische Kontrolle brauchen, weil sie notwendig ist, um innerhalb Europas auch ein europäisches Bewußtsein zu provozieren und zu initiieren, sondern wir werden
diese demokratische Kontrolle selbstverständlich auch brauchen, weil wir uns Gedanken über eine Verteidigung Europas machen müssen. Und ich bin gar nicht glücklich darüber, daß diese Frage immer nur so gesehen wird, als Ob das Europäische Parlament diese Rechte aus seinem Selbstverständnis heraus erstrebt. Das ist gar nicht so, sondern das Europäische Parlament verlangt diese Rechte aus den gleichen Gründen, aus denen in allen Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft die Demokratie als Staatsform akzeptiert wird: weil diese Staatsform Machtmißbrauch verhindert, weil sie eine öffentliche Diskussion nicht nur ermöglicht, sondern geradezu fordert und weil diese öffentliche Diskussion allein zu einem Europa-Bewußtsein führen kann.
Deswegen ist es erfreulich, daß die Forderung Frankreichs nach mehr Gipfelkonferenzen gerade im Zusammenhang mit den jüngsten Ereignissen erhoben wird. Aber ich meine, wir sollten in diesem Bereich etwas mehr institutionelle Phantasie haben. Wir sollten uns nicht darauf beschränken, das Heil von Gipfelkonferenzen zu erwarten,
sondern wir sollten darangehen, dieses Europa, dessen Institutionen, demokratisch gesehen, rudimentär sind, zu vervollkommnen, bevor wir in eine solche Diskussion über eine europäische Verteidigungspolitik eintreten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Bitte sehr!
Herr Kollege, darf ich Sie fragen, ob das, was Sie jetzt betonen, ausschlösse, daß wir z. B. bei uns selbst anfingen und uns einmal zu Gemüte führten, was unsere heutige Tagesordnung und die zusätzliche Tagesordnung an europäischen Fragen lediglich zur Kenntnis zu nehmen empfehlen, ohne daß wir auch nur darüber berieten. Das ist heute schon ein ganzes Bündel Drucksachen. Wir geben hier — oder bin ich da im Irrtum? — parlamentarische Kontrolle auf, wir ,sind zu faul, sie durchzuführen, und ein Europäisches Parlament, das das Recht hätte, sie durchzuführen, gibt es nicht. Und statt dessen sollen Gipfelkonferenzen stattfinden! Irre ich mich da ganz?
Herr Wehner, das schließt das nicht nur aus, sondern unterstreicht sogar ,das, was ich gesagt habe. Und ich bin in der Tat der Meinung — ich habe das ja im Auswärtigen Ausschuß einmal vorgetragen, und ich darf das hier gerade auch als Mitglied einer der Regierungsfrak-
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3724 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Dr. Bangemanntionen ganz betont sagen —, daß es ein unerträglicher Zustand isst, daß die 'demokratische Kontrolle in 'der Tat in den nationalen Parlamenten in Europa ersatzlos verschwindet, weil die nationalen Parlamente nicht genügend Zeit aufbringen können und nicht genügend Möglichkeiten haben, die Entscheidungen des Ministerrates zu kontrollieren, und daß das Europäische Parlament diese Möglichkeiten bis jetzt auch nicht hat.Dieses demokratische Defizit, meine Damen und Herren, wird dazu führen, daß der Europagedanke eines drittklassigen Todes stirbt, wenn wir das nicht schnellstens ändern.
Und da sollten wir auch als nationales Parlament einiges tun. Ich hoffe, daß ,der Auswärtige Ausschuß meine Anregung aufgreift, daß man, was 'den Ministerrat angeht, einmal unseren Standpunkt vor den Entscheidungen 'dieses Gremiums hört und daß man, nachdem der Ministerrat entschieden hat, auch die Gründe dafür hört, warum die Entscheidung so gefallen ist, damit wir nicht immer in die unbefriedigende Situation kommen, daß uns jemand sagt: Die Entscheidung ist so gefallen, weil irgendein Mitgliedsland das so gewollt hat. Und wir nehmen das dann wie ein Fatum, wie ein Wettergeschehen hin, ohne uns die Frage zu stellen, ob wir nicht auf diese Weise den europäischen Gedanken tiefer desavouieren,
als alle Bürokraten es können, die sich mit einer Mayonnaiseordnung befassen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Ich glaube, wenn wir all das in Betracht ziehen, was die Opposition 'hier vorgetragen hat und was der Herr Bundesminister des Auswärtigen vorgetragen hat, und wenn wir uns auch bemühen, in 'den Diskussionen in den Ausschüssen die jetzt noch offenbleibenden Einzelheiten zu klären, dann wenden wir, so hoffe ich jedenfalls, zu einer 'befriedigenden Einigung kommen. Als völlig unbefriedigend würde ich es in der Tat ansehen, wenn trotz der Gratulationen, die man dem Verifikationsabkommen gegenüber ausgesprochen hat, der Bundesrat an diesem Punkt, exakt an diesem Punkt, das ganze Gesetz zum Scheitern brächte. Niemand würde es verstehen, wenn man ein formelles Recht zum Anlaß nähme, um damit einen Vertrag zu Fall zu bringen, der mit dem Verifikationsabkommen zweifellos zusammenhängt, aber eine darüber hinausgehende politische Bedeutung hat.Jeder Gesetzentwurf, meine Damen und Herren, hat so ein nettes Deckblatt. Bei keinem der Gesetze, zu denen ich bisher für die Fraktion der Freien Demokraten zu sprechen die Ehre hatte, ist meiner Meinung nach die Bemerkung unter C. Alternativen gerechtfertigter als bei diesem, nämlich die Berner-kung: keine.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage unter Punkt 2 der Tagesordnung an den Auswärtigen Ausschuß — federführend —, an den Ausschuß für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen, an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung, an den Ausschuß für Wirtschaft und an den Verteidigungsausschuß zu überweisen.Weiter schlägt Ihnen der Ältestenrat vor, die Vorlage unter Punkt 3 der Tagesordnung an den Auswärtigen Ausschuß — federführend —, an den Ausschuß für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen, an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung, an den Ausschuß für Wirtschaft und an den Verteidigungsausschuß zu überweisen.Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Entsprechend der vorgesehenen Abwicklung der Tagesordnung rufe ich nunmehr Punkt 5 auf:a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen
— Drucksache 7/855 Bericht und Antrag des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
— Drucksache 7/1181 —Berichterstatter:Abgeordneter Batz Abgeordneter Orgaß
b) Zweite Beratung des von den Abgeordneten Mick, Dr. Schneider, Nordlohne, Orgaß, Dr. Jahn und der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes— Drucksache 7/1083 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
— Drucksache 7/1181 —Berichterstatter:Abgeordneter Batz Abgeordneter Orgaß
Ich frage zunächst, meine Damen und Herren, wer von den Herren Berichterstattern das Wort wünscht. — Bitte schön, Herr Kollege Batz!
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3725
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, als Berichterstatter zur Drucksache 7/1181 einige ergänzende Bemerkungen zu machen.
Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau hatte die Aufgabe, im Rahmen des Wohnungsbindungsgesetzes 1965, das sich nach dessen Auffassung in der Praxis durchaus bewährt hat, Lösungen zu finden, die hauptsächlich im Hinblick auf die Einkommensgrenzen gemäß § 25 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes zeitgerechter anzuwenden sind.
Beratungsgegenstand für den Ausschuß waren die Drucksache 7/855 ,des Bundesrates, der von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachte Gesetzentwurf auf Drucksache 7/1083 und der Initiativantrag der Fraktionen der SPD und der FDP vom 3. Oktober 1973. Eine vom Ausschuß eingesetzte Kommission legte auftragsgemäß den Vorschlag vor, die Änderung der Einkommensgrenze des § 25 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes mit einer Novellierung des Wohnungsbindungsgesetzes zu verbinden. Der Vorschlag der Kommission wurde vom Ausschuß einstimmig gebilligt. Dadurch konnte der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 7/1083 für erledigt erklärt werden.
Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, in der gebotenen Kürze unter Hinweis auf den Schriftlichen Bericht des Kollegen Orgaß und mir auf einige wesentliche Änderungen aufmerksam machen zu dürfen.
Auf Antrag der Fraktionen der SPD und der FDP erweiterte der Ausschuß die den einkommenschwachen Wohnungsuchenden nach § 4 Abs. 2 vorbehaltenen Wohnungen auf die relativ mietbilligen Förderungsjahrgänge 1964 und 1965. Den Vorschlag des Bundesrates, mit einer vorzeitigen Rückzahlung der öffentlichen Mittel die bisher auf zehn Jahre befristeten Bindungen nach den §§ 15 und 16 für eigengenutzte Wohnungen sofort fallenzulassen, lehnte der Ausschuß gegen die Stimmen der CDU/CSU ab. Nach wie vor soll also dementsprechend eine vorzeitige Entlassung aus der Bindung nur aus berechtigten Gründen, d. h. z. B. Wohnungswechsel aus berufs- oder krankheitsbedingten Gründen oder Tod des Berechtigten, zugelassen sein.
Der Einwand, daß mit dieser Regelung ein verhältnismäßig hoher Verwaltungsaufwand verbunden sei, konnte die Mehrheit des Ausschusses nicht überzeugen. Der Ausschuß vertritt einstimmig die Auffassung, daß neben der Erhöhung der Einkommensgrenzen nach § 25 des Wohnungsbaugesetzes und einer stärkeren Begünstigung jüngerer Ehepaare die bisher auf den Haushaltungsvorstand abgestellte Einkomensgrenze künftig auf das Gesamteinkommen des Familienhaushalts umgestellt werden muß.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nur auf zwei Beispiele hinweisen, die die bisher ungleiche Behandlung gleichgroßer Familien aufzeigen sollen. Bei einem Vierpersonenhaushalt galten bisher folgende Einkommensgrenzen: 24 529 DM, wenn nur der Haushaltungsvorstand arbeitet, 45 529 DM, wenn alle Haushaltsmitglieder arbeiten und der Haushaltungsvorstand Freibeträge für drei Familienangehörige ausnutzen kann, 57 616 DM dagegen, wenn alle Haushaltsmitglieder arbeiten und innerhalb der Einkommensgrenze für Alleinsehende bleiben. Ähnlich ist es auch beim Zweipersonenhaushalt. Dort sind es 17 779 DM, wenn der Haushaltungsvorstand allein arbeitet, 26 779 DM, wenn beide arbeiten, die Ehefrau aber unter 9000 DM Einkommen bleibt und der Haushaltungsvorstand daher für sie einen Freibetrag in Anspruch nehmen kann. 28 808 DM dagegen, wenn beide arbeiten und innerhalb der Einkommensgrenze für Alleinstehende bleiben.
Alle Mitglieder des Ausschusses legten großen Wert auf die Novellierung der einschlägigen Bestimmungen zugunsten junger Familien. Neben der Erhöhung der Einkommensgrenze um weitere 4200 DM sollen künftig Ehepartner, die nicht mitverdienen können, denen gleichgestellt werden, die einer Beschäftigung nachgehen. Diese Änderung kommt besonders jungen Ehepaaren zugute, bei denen die Frau oft nicht mitverdient, weil Kinder zu erziehen sind.
Schließlich ist der Ausschuß der Auffassung, eine Präzisierung der Härteklausel nach § 25 Abs. 1 Satz 5 empfehlen zu sollen. Danach soll in großstädtischen Gebieten ein Satz bis zu 10 %, in den übrigen ein Satz bis zu 5 °/o über der Einkommensgrenze gelten.
Lassen Sie mich abschließend feststellen, daß der Ausschuß übereinstimmend der Meinung ist, eine gute und zeitgerechte Lösung gefunden zu haben. Ich bitte daher alle Fraktionen um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe Art. 1, 1 a, i b, 2 sowie Einleitung und Überschrift auf. — Wer dem Gesetzentwurf in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? Es ist einstimmig so beschlossen.Meine Damen und Herren, bevor wir in die dritte Beratung eintreten, erlaube ich mir den Hinweis, daß wir nach einer langen Pause heute die Schlußabstimmung mit Hilfe der Abstimmungsanlage vornehmen. Ich würde mich freuen, wenn an der erstmaligen Benutzung der Abstimmungsanlage möglichst viele Kolleginnen und Kollegen des Hauses teilnähmen. Wir haben rechtzeitig zur Abstimmung läuten lassen.Wir kommen jetzt zurdritten Beratung.Ich frage, ob das Wort in der dritten Beratung gewünscht wird. — Das Ist offensichtlich nicht der Fall. Ich schließe die Beratung.
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3726 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenWir kommen zur Schlußabstimmung. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen.
- Meine Damen und Herren, ich werde versuchen, noch einmal alles zu sagen.Der Ältestenrat hat von seinem Vorschlagsrecht auf Grund des Beschlusses zu § 54 unserer Geschäftsordnung Gebrauch gemacht. Ich darf Sie auf die entsprechende amtliche Mitteilung vom 18. Oktober hinweisen, die Ihnen ja allen zugegangen ist.
Danach werden wir vorerst die Schlußabstimmungen mit der Abstimmungsanlage durchführen. Ich bitte Sie, die an Ihren Pulten bereits eingestellten Identitätsnummern zu überprüfen. An sich sind die Nummern eingestellt. Ich bitte Sie freundlichst, zu überprüfen, ob die Identitätsnummer auch entsprechend eingestellt ist.
Soweit Sie nicht an Ihrem Platz abstimmen und einen anderen Platz benutzen, bitte ich Sie, die Identitätsnummer dann entsprechend einzustellen und Ihrem Ausweis zu entnehmen. Ich darf also annehmen, daß alle Damen und Herren des Hauses ihre Identitätsnummer eingestellt haben. — Das ist offensichtlich der Fall. Bei der Abstimmung müssen Sie nun eine der Tasten „Ja", „Nein" oder „Enthaltung" betätigen und außerdem den Knopf an der Außenseite des Pultes so lange drücken, bis ich die Abstimmung geschlossen habe, so daß jeder sieht, ob Sie auch tatsächlich aktiv mitarbeiten.Ich bitte also nun abzustimmen. Bitte, drücken Sie auch den Knopf an der Außenseite Ihres Pultes. Dann muß die rote Lampe — —
— Ist noch nicht?
— Entschuldigen Sie! Auch ich mußte auch noch die Taste drücken!
Meine Damen und Herren, jetzt muß es aber überall funktionieren.
Meine Damen und Herren, ich habe die große Freude, Ihnen mitzuteilen, daß das Haus einstimmig in der dritten Beratung das Gesetz gebilligt hat.
Die Abfrage ist hier entscheidend.
Sie hat erneut bestätigt, daß das Haus einstimmig beschlossen hat.
— Herr Abgeordneter Wehner!
Herr Präsident, ich beglückwünsche Sie zu dein Erfolg! Aber darf ich Sie fragen, ob das wirklich gültig ist. Ich habe z. B. nicht gedrückt!
Herr Abgeordneter Wehner, ich kann nicht feststellen, wer überhaupt nicht die Tasten betätigt. Ich kann nur feststellen, wer „Ja", „Nein" oder „Enthaltung" drückt. Danach zeigt die Anlage: 100 % Ja-Stimmen; keine Enthaltungen. Mehr kann ich hier nicht feststellen.
Herr Präsident, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich mit „Nein" gestimmt habe, so daß also das Ergebnis nicht stimmen kann.
Herr Abgeordneter Dr. Jenninger, dann haben Sie möglicherweise nicht lange genug den Knopf betätigt.
Durch die Anlage kann ich hier nur das feststellen, was die Anlage aussagt.
Meine Damen und Herren, nachdem der Herr Abgeordnete Dr. Jenninger hier erklärt hat, er habe in dieser Sache mit „Nein" gestimmt, werde ich vorsorglich in der dritten Beratung in der bisherigen Art abstimmen lassen.Meine Damen und Herren, wer dem Gesetz in der dritten Beratung zustimmt, bitte ich, sich zu erheben.— Ich danke Ihnen. — Gegenprobe! — Eine Gegenstimme. Stimmenthaltungen? — Keine. Dann ist das Gesetz in der dritten Beratung so angenommen.Meine Damen und Herren, Sie sehen: Fast ist die Sicherheit des Computers auch erreicht.Damit komme ich zu den Abstimmungen über die Ausschußanträge in den Ziffern II, III und IV. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. —Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist so einstimmig beschlossen.Meine Damen und Herren, damit ist der gleichzeitig aufgerufene Entwurf der CDU/CSU auch erledigt und behandelt.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3727
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenIch rufe nunmehr Punkt 5 c auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Wohngeldgesetzes— Drucksache 7/1131 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der GeschäftsordnungDrucksache 7/1210 — Berichterstatter: Abgeordneter Baierb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
— Drucksache 7/1209 —Berichterstatter: Abgeordneter Nordlohne Abgeordnete Frau Meermann
Ich frage zunächst: Wer von den Berichterstattern wünscht das Wort?
Ich danke Ihnen.Wir treten in die zweite Beratung ein, und ich frage, ob das Wort gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall.Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf der Drucksache 7/1213 vor. Wer wünscht zur Begründung das Wort? Herr Abgeordneter Niegel!Niegel : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem vorliegenden Antrag handelt es sich um folgenden Tatbestand: Es gibt beim Wohngeld drei Qualifikationen, nämlich Gemeinden unter 100 000 Einwohner, Gemeinden von 100 000 bis unter 500 000 Einwohner und Gemeinden über 500 000 Einwohner. Für die jeweiligen Gruppen sind entsprechende Höchstbeträge festgelegt worden. Die Folge davon ist, daß in Gemeinden unter 100 000 Einwohner weniger Wohngeld gezahlt werden kann als in Gemeinden zwischen 100 000 und 500 000 Einwohnern oder gar in Gemeinden über 500 000 Einwohner. Das hat zur Folge, daß die Bürger in selbständigen Gemeinden in der Nähe einer Großstadt, die weniger als 100 000 Einwohner haben — das sind in der Regel Gemeinden mit 10 000 bis 20 000 Einwohner —, weniger Wohngeld erhalten als in der Großstadt. Das gilt sowohl für Mieter als auch für Eigenheimbesitzer.Hier fragt man sich mit Recht: Ist die Miete in den Stadtumlandgemeinden geringer als in der Großstadt? Das ist in der Regel nicht der Fall. Die Entballung der Großstädte geht in der Weise vor sich, daß an den Stadträndern mehr gebaut wird und ein stärkerer Zuzug zu verzeichnen ist. Es bedeutet, daß ein Mieter, der 3 km von der Großstadt entfernt wohnt, weniger Wohngeld erhält als einer, der in der Großstadt wohnt. Darin liegt eine große soziale Ungerechtigkeit. Die Differenz kann bei Familien mit zwei Kindern 40 bis 50 DM monatlich betragen.Das ist der Grund dafür, daß wir diesen Antrag im Raumordnungsausschuß gestellt haben und auch heute wieder im Plenum stellen.Wir wollen, weil wir die Abgrenzungsschwierigkeiten keineswegs übersehen, den Landesregierungen die Ermächtigung geben, zusammen mit den örtlichen Stellen die vergleichbaren Einzugs- bzw. Verflechtungsbereiche festzulegen. Meines Erachtens ist eine solche Abgrenzung dann leichter möglich.Nun könnte man einwenden, das sei haushaltsmäßig nicht zu verkraften. Ich gebe aber folgendes zu bedenken. Wenn wir schon bereit sind, das Wohngeldgesetz jetzt so zu verbessern, daß ein gewisser Inflationsausgleich erzielt wird, müßte in dem Betrag, der gestern im Ausschuß genannt wurde, noch so viel Luft sein, daß wir diese soziale Ungerechtigkeit für die Mieter in den Stadtumlandgemeinden beseitigen können.Ich bitte Sie deshalb, meine Damen und Herren, diesen Antrag anzunehmen; denn es handelt sich hierbei um eine echte soziale Tat, um einen echten Ausgleich im Hinblick auf eine größere soziale Gerechtigkeit.
Frau Abgeordnete Meermann!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit diesem Antrag ist Herr Niegel gestern im Ausschuß wie Ziethen aus dem Busch erschienen. Nicht einmal seine eigene Fraktion hatte ein paar Stunden vorher eine Ahnung davon, daß er einen Antrag mit so weitreichenden Konsequenzen stellen würde.
Herr Niegel, Ihr Anliegen ist sicherlich überlegenswert. Dafür haben wir uns ja auch gestern im Ausschuß ausgesprochen. Die Bundestagsfraktionen der SPD und FDP werden aber auf gar keinen Fall einem Antrag zustimmen, dessen Konsequenzen heute in diesem Hause noch niemand übersehen kann. Wir müssen dazu wirklich noch einige sehr eingehende Untersuchungen anstellen. Z. B. sind die finanziellen Auswirkungen einer solchen Gesetzesänderung überhaupt nicht übersehbar. Denn die Zahl der Wohngeldempfänger, die begünstigt werden könnten, läßt sich im Augenblick gar nicht feststellen. Hierzu sind eingehende statistische Ermittlungen — u. a. über die Pendlerströme in den Ballungsgebieten und über die Zahl der Wohngeldempfänger unter den Pendlern — notwendig. Außerdem ist die Abgrenzung nur nach Rücksprache mit den beteiligten Ländern möglich, denn es handelt sich ja hier auch um ein Problem, das in vielen Fällen über die Grenzen eines Bundeslandes hinwegreicht. Denken Sie z. B. nur an Hamburg, das sein Umland in Schleswig-Holstein hat, an Bremen, das sein Umland in Niedersachsen hat. Ähnlich verhält es sich in manchen Regionen des Rhein-Main-Gebietes. Eine Realisierung des Antrages, so wie Sie ihn jetzt
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3728 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Frau Meermanngestellt haben, würde auch praktisch auf ein neues Ortsklassenverzeichnis hinauslaufen.Wir meinen also, daß eine etwaige Gleichstellung der Höchstbeträge von Randgemeinden mit denen der benachbarten Großstädte sehr sorgfältig geprüft und auch auf Grund statistischer Ermittlungen vorbereitet werden muß. Wir alle — auch Sie — wollen doch ganz sicher nicht, daß dadurch das gesamte Mietenniveau im Umland neue Verzerrungen und neue Erhöhungen erfährt. Darum sage ich noch einmal: Wir werden dies alles sehr sorgfältig prüfen und wir werden bei der Novellierung des Zweiten Wohngeldgesetzes, die wir ja in absehbarer Zeit in Angriff nehmen müssen, ganz sicher zu einer für die Bewohner des Umlandes der Großstädte vernünftigen Lösung kommen.
Meine Damen und Herren, wird zu dem Änderungsantrag noch das Wort begehrt? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 7/1213, der eben von Herrn Abgeordneten Niegel begründet worden ist, zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe nunmehr die Art. 1, 2 und 3 auf. Wer den aufgerufenen Artikeln zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Art. 4 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf Drucksache 7/1214 vor. Wer wünscht den Änderungsantrag zu begründen? Herr Abgeordneter Mick!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir waren uns während der Ausschußberatungen klar darüber, daß wir mit dieser Novelle kein epochemachendes Gesetz verabschieden. Ein solches Gesetz muß erst noch folgen. Wir sind aber der Meinung, daß wir diejenigen Unebenheiten, die wir ohne weiteres noch beseitigen könnten, auch beseitigen sollten. Wir sehen es als eine Unebenheit dieses Gesetzes an, wenn Genehmigungen, die mehr als drei Monate in das Jahr 1974 hineinragen — also schon im Wirkungsbereich dieses Gesetzes liegen —, der Segnungen dieses Gesetzes ab 1. Januar 1974 nicht teilhaftig werden sollen. Wir empfinden es als nicht richtig, daß man hier einen Personenkreis ausschließt, obwohl ihm, wenn er am 1. Januar 1974 einen Antrag stellen würde, die Segnungen dieses Gesetzes zuteil würden.
Es ist auch kein Argument, daß hierfür keine Mittel zur Verfügung stünden oder mehr Mittel gebraucht würden. Die notwendigen Mittel stehen bereit, denn die Ansätze berücksichtigen den Geldbedarf für diesen Zweck für ein Jahr bei voller Genehmigung aller Anträge. Im Gegenteil: auch wenn dieser Antrag angenommen wird, wird der haushaltsmäßig angesetzte Betrag nicht voll in Anspruch genommen werden, weil Genehmigungen, die unter drei Monaten in das neue Jahr hineinragen, auch nach unserem Antrag nicht berücksichtigt werden.
Wir können auch nicht das Argument gelten lassen, daß damit eine große Verwaltungsarbeit verbunden ist. Im Gegenteil: in der Regel wir es sich bei den Anträgen, auf die wir abzielen, um solche handeln, die jetzt schon vorliegen. Es ist also durchaus möglich, daß sich die amtlichen Stellen jetzt schon ,darauf einstellen, die Anträge mit dieser Maßgabe zu bewilligen, auch wenn sie zum 1. September oder wann zum Zuge kommen.
Ich bitte, um dieser gerechten Kosmetik willen unseren Antrag anzunehmen.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Meermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der Fraktionen der SPD und FDP erkläre ich, daß wir diesem Antrag nicht zustimmen können. Der Antrag der Opposition lehnt sich an eine Regelung an, die wir schon einmal gehabt haben. Wir haben sie nämlich durch das erste Änderungsgesetz vom Juli 1971 in das Zweite Wohngeldgesetz eingeführt. Nach den Erfahrungen der Bewilligungspraxis hat sich die damalige Vorschrift absolut nicht bewährt.
Herr Kollege Mick, wir haben uns natürlich, als wir von Ihrem Antrag Kenntnis erhalten hatten, bei den Bewilligungsstellen noch einmal eingehend informiert. Wir haben uns insbesondere mit dem Leiter der Wohngeldbehörde Ihrer Heimatstadt Köln in Verbindung gesetzt. Sie kennen die Verhältnisse dieser Stadt ja genau, und dieser Mann kennt die Verhältnisse in seiner Behörde auch genau. Er hat uns ausdrücklich davor gewarnt, noch einmal eine Regelung zu beschließen, die einen plötzlichen Anfall von Anträgen aus einer Zeit von sechs, sieben, acht Monaten zur Folge hat. Das führe zu einem Bewilligungsstau, mit dem die Wohngeldstellen einfach nicht fertig werden. Die Folge ist eine verzögerte Bearbeitung nicht nur dieser Fälle, sondern auch eine Beunruhigung der neu hinzukommenden Antragsteller, die dann oft zwei, drei und vier Monate auf ihr Wohngeld warten müssen.
Wir sehen uns also nach allem, was uns auf Grund der praktischen Erfahrung mitgeteilt worden ist, nicht imstande, der von Ihnen vorgeschlagenen Regelung zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht begehrt.Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, bitte ich um das Zeichen. Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.Meine Damen und Herren, ich rufe auf Art. 4, Einleitung und Überschrift. Wer zuzustimmen
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3729
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausenwünscht, bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist so beschlossen.Wir treten ein in diedritte BeratungDas Wort hat der Herr Abgeordnete Nordlohne.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion gebe ich zu den nunmehr dem Hohen Hause in dritter Beratung vorliegenden Gesetzentwürfen — sowohl dem ,der Bundesregierung als dem der Fraktionen der SPD und der FDP — zur Änderung des Zweiten Wohngeldgesetzes folgende Erklärung ab.Erstens. Die Beratungen beider Gesetzentwürfe in der gestrigen Sitzung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau haben deutlich gemacht, daß bei der jetzigen Änderung des Zweiten Wohngeldgesetzes von einer Gesetzesnovellierung oder gar von einem Reformgesetz nicht ,die Rede sein kann. Beide Gesetzentwürfe stellen auch nicht die Konsequenz aus der Miet- und Lastenentwicklung seit Inkrafttreten des Zweiten Wohngeldgesetzes am 1. Januar 1971 dar, wie behauptet wird.Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der als Schwergewicht die Anhebung der Höchstbeträge für Mieten und Belastungen gemäß § 8 des Wohngeldgesetzes vorsieht, ist nicht nur völlig unzureichend, sondern diesem Hause auch erst zu einem Zeitpunkt vorgelegt worden, nach dem sich die Beratungen sowohl im Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau als auch im Haushaltsausschuß nur in einer gewissen Hektik vollziehen konnten.Die Verbesserung 'der Höchstbeträge selbst unter Hinzunahme einer Rubrik für nach dem 31. Dezember 1971 bezugsfertig gewordenen Wohnraum und einer nunmehr vorgenommenen Differenzierung bei einer Gemeindegröße von 500 000 und mehr Einwohnern — was übrigens bereits in der vorigen Wahlperiode anläßlich der Beratung des Zweiten Wohngeldgesetzes von unserem Kollegen Geisenhofer nachdrücklich gefordert worden ist — ist völlig unzureichend.Unsererseits wird eingeräumt, daß die Mietobergrenzen bei Altbauwohnungen, die vor dem 20. Juni 1948 bezugsfertig wurden, relativ stark angehoben wurden. Für Wohnraum, der zwischen 1948 und 1965 bezugsfertig wurde, erfährt die Obergrenze in sämtlichen Gemeinden und Städten bei einem Alleinstehenden lediglich eine Erhöhung um 10 DM, bei einem Haushalt mit vier Personen eine Anhebung um 25 DM. Selbst für Wahnraum, der ab 1971 bezugsfertig wurde, sind die Mietobergrenzen nur um 50 bzw. 75 DM erhöht worden.Meine Damen und Herren, daß dies völlig unzureichend ist, geht nicht zuletzt aus einem Schreiben der Stadt Dortmund hervor, das an alle Mitglieder des Deutschen Bundestages, ,die aus dem Dortmunder Bereich kommen, gerichtet worden ist, aber auch an Mitglieder des Landtags in Nordrhein-Westfalen. Darin 'ist gesagt worden, daß bei derzeitigen Kostenmieten von 6 DM diese Mietobergrenzenanhebung nicht ausreicht.In Dortmund ergibt sich im Augenblick folgende Situation, derentwegen man dort in besonders großer Sorge ist. In Dortmund-Hörde bewirkte die Zinssatzanhebung von 6,9 auf 9,5% für 488 Wohneinheiten zum 1. Januar 1972 nach einem fünfjährigen Zinsstopp letztlich eine Mietanhebung um 1,05 DM je Quadratmeter Wohnfläche. Das hat zur Folge, daß durch die jetzt vorgesehene Gesetzesänderung bezüglich der Höchstgrenzenanpassung nicht einmal die Hälfte ,der in Dortmund zu erwartenden Mietanhebungen abgedeckt ist.Meine Damen und Herren, ich komme zum zweiten Punkt. Durch den mittelbaren Weg einer Hereinnahme der Einkommensgrenzenverbesserung in das Gesetz durch den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und der FDP wird dieses Änderungsgesetz bewirken, daß nur derjenige Personenkreis wieder wohngeldberechtigt wird, der nach dem zwischenzeitlichen Ergebnis, ,den nominellen Einkommenssteigerungen und der bisherigen Nichtänderung der Höchstbeträge für Mieten und Belastungen aus dem Wohngeldbezug herausgefallen war. Insofern wird die jetzige Gesetzesänderung der Zielsetzung des Wohngeldrechts nicht gerecht, nämlich angemessenes und familiengerechtes Wohnen wirtschaftlich zu sichern. Der überwiegende Teil der Wohngeldbezieher erhält zwar bei einer Gegenüberstellung des bisherigen Wohngeldrechts mit den neuen Wohngeldbestimmungen einen verbesserten Wohngeldbetrag. In Wirklichkeit ist jedoch, wie ich bereits in der ersten Lesung zu diesen Gesetzentwürfen in diesem Hause ausführte und erläuterte, unter Beachtung der Einkommenssteigerung und der Mieten- und Lastenentwicklung seit dem 1. Januar 1971 eine reale Wohngeldverbesserung nicht erfolgt, ganz im Gegenteil. Mancher Wohngeldbezieher hat nach der jetzigen Gesetzesänderung nicht nur die seit dem 1. Januar 1971 eingetretene Miet- und Lastenerhöhung voll zu tragen, sondern muß aus seiner eigenen Tasche noch zusetzen.Daß es sich um eine unbefriedigende Gesetzesänderung handelt, kommt insbesondere, meine Damen und Herren. dadurch zum Ausdruck, daß der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf Antrag der CDU/CSU übereinstimmend die Notwendigkeit der auch vom Bundesart vorgeschlagenen Anhebung der Einkommensgrenze mit einer gleichzeitigen Novellierung des Tabellenwerkes anerkannt hat. Die Regierung wird durch die Annahme der von der CDU/CSU beantragten Entschließung aufgefordert, zum frühestmöglichen Zeitpunkt einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den die Einkommensgrenzen in § 19 des Wohngeldgesetzes angemessen erhöht werden und das Tabellenwerk in den Anlagen 1 bis 8 des Zweiten Wohngeldgesetzes den veränderten Einkommensverhältnissen und der Mieten- sowie Lastenentwicklung angepaßt wird. Wir gehen, meine Damen und Herren, bei dieser Entschließung ausdrücklich davon aus, daß unter frühestmöglichem Zeitpunkt nicht ein Zeitpunkt zu
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3730 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Nordlohneverstehen ist, der nach Vorlage des Fünften Wohngeldberichtes, also nach 1975 liegt.Ich sage ein Drittes. Die CDU/CSU bedauert, daß dieses Hohe Haus den von uns in der zweiten Beratung vorgelegten Änderungsanträgen nicht zugestimmt hat, nämlich dem Antrag auf Ermächtigung der Landesregierungen, durch Rechtsverordnung Umlandgemeinden, die im Einzugsbereich von Städten mit einer Einwohnerzahl von mehr als 100 000 liegen, einzubeziehen. Frau Kollegin Meermann hat sich vorhin dagegen ausgesprochen. Ich bedauere weiterhin, daß auch eine Neubewilligung von Wohngeld ab 1. Januar 1974 abgelehnt worden ist und damit nach neuem Recht in den Fällen, in denen der Bewilligungszeitraum über den 31. März 1974 hinausgeht. Durch die Ablehnung dieser beiden Anträge wird die Wohngeldänderung noch schlechter, als sie ohnehin schon ist.Ich darf ein Viertes feststellen. Wenn am Ende dieser Wohngeldgesetzberatung eine Bilanz zu ziehen ist, dann bleibt aus der Sicht der Opposition dieses Hauses folgendes zu sagen: Im Hinblick auf die gesellschafts- und wohnungspolitische Bedeutung, die dem Wohngeld insbesondere in einer Zeit zukommt, in der wir tagtäglich erhebliche Miet- und Lastensteigerungen und damit neben der ohnehin schon außerordentlich bedrückenden Lebenshaltungskostensteigerung bei den Rentnern, den kinderreichen Familien und den sogenannten breiten Bevölkerungsschichten in unserem Lande zu verzeichnen haben, hat die Bundesregierung bezüglich einer möglichen und auch von der Sache her angemessenen und erforderlichen Verbesserung der Situation vieler Mieter, Wohnungs- und Eigenheimbesitzer in unserem Lande versagt.Lassen Sie mich ein Letztes sagen: Wenn die CDU/CSU-Fraktion der vorliegenden Gesetzesänderung zugestimmt, dann nur aus dem Grund, weil wir in dieser Situation den Wohngeldempfängern das wenige Mehr an Leistung nicht vorenthalten wollen.
. Das Wort hat Frau Abgeordnete Meermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst meiner Freude darüber Ausdruck geben, daß die Opposition einem Gesetz, das nach den Worten ihres Sprechers so außerordentlich mies ist, letzten Endes doch zustimmt. Herzlichen Dark dafür!
Wir von den Bundestagsfraktionen der SPD und der FDP sind da in einer sehr viel glücklicheren Situation. Wir stimmen dem Änderungsgesetz zum Zweiten Wohngeldgesetz in der in der zweiten Lesung beschlossenen Fassung zu, weil es ein gutes Gesetz ist.
Danach werden im Laufe des kommenden Jahres rund 1,3 Millionen Familien und Ein-Personen-Haushalte mehr Wohngeld erhalten und schätzungsweise 100 000 bis 150 000 werden neu hinzukommen. Bund und Länder werden ihre Leistungen von rund 1,2 Milliarden DM auf 1,5 Milliarden DM jährlich steigern, also um 25 °/o. Dies, meine sehr verehrten Kollegen, sind beachtliche Zahlen, die von sehr hohem Verantwortungsbewußtsein der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien für die wirtschaftliche Sicherung der Bürger in ihrer Wohnung sprechen, und das in einer Zeit, in der wir auf vielen Gebieten harte stabilitätspolitische Maßnahmen durchhalten müssen, die manchmal wehtun.
Die Bundesregierung und die Koalitionsparteien hatten sich zum Ziel gesetzt, die Leistungen des Wohngeldgesetzes an die seit 1971 eingetretenen Mieten- und Einkommensentwicklung anzugleichen. Dieses Ziel ist mit dem vorliegenden Gesetz erreicht. Ihnen, Herr Kollege Nordlohne, möchte ich sagen, daß es sich weder heute, noch bei künftigen Novellierungen um schematische Angleichungen handeln kann. Wessen Kaufkraft wächst, dem kann auch zugemutet werden, einen höheren Anteil seiner Miete selbst zu zahlen. Allen aber, die es aus eigener Kraft entweder überhaupt nicht oder nur mit allzu großen Opfern schaffen, angemessen zu wohnen, muß die Hilfe der Gemeinschaft zuteil werden.Lassen Sie mich zu den wichtigsten Verbesserungen des Gesetzes einige Anmerkungen machen.Erstens. Die neuen Mietobergrenzen berücksichtigen die Mietentwicklung der letzten drei Jahre. Von Ausnahmen abgesehen, umfassen sie wieder die Mieten der Sozialwohnungen. Die Erhöhung der Mietobergrenzen für den älteren Wohnungsbestand bietet Anreiz zur Modernisierung.Zweitens. Die Städte mit über 500 000 Einwohnern werden wie die Millionenstädte behandelt.Drittens. Die Bruttoeinkommensgrenzen werden durchschnittlich um 13 bis 14 °/o erhöht. Für einen alleinstehenden Rentner läuft das Wohngeld künftig bei einem Einkommen von monatlich 1143 DM aus, für ein Ehepaar mit einem Kind bei monatlich 1761 DM brutto, für ein Ehepaar mit zwei Kindern bei monatlich 2072 DM brutto. Lassen Sie mich im Vergleich dazu einige Einkommenszahlen nennen. Im Juli 1973 betrug das durchschnittliche Altersruhegeld bei Vollendung des 63. Lebensjahres in der Arbeiterrentenversicherung 747,40 DM, in der Angestelltenversicherung 997,70 DM. Das durchschnittliche Bruttoeinkommen der Industriearbeiter betrug im April dieses Jahres 1512 DM. Damit liegen diese beiden wichtigen Bevölkerungsgruppen weitestgehend innerhalb der neuen Einkommensgrenzen. Sie sind auf die Hilfe des Wohngelds auch in besonderem Maße angewiesen. Schon bisher waren etwa 70 % der Empfänger von Mietzuschüssen Rentner und Pensionäre, und etwa 60 % der Empfänger von Lastenzuschüssen, also der Zuschüsse für das eigene Heim oder die Eigentumswohnung, waren Arbeiter.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3731
Frau MeermannViertens. Die Rentner erhalten eine zusätzliche Hilfe durch die Art der Einkommensberechnung. Der allgemeine Freibetrag, mit dem unter anderem Steuern und Versicherungen abgedeckt werden sollen, wird von 20 auf 30 % erhöht. Da den Rentnern hierfür normalerweise keine Aufwendungen entstehen, kommt ihnen die Erhöhung des allgemeinen Freibetrages in aller Regel ohne Einschränkung voll zugute.Fünftens. Die Einkommensermittlung ist auch zugunsten von Familien, die Unterhaltsleistungen erbringen müssen oder mit einem schwerbehinderten Familienmitglied ohne eigenes Einkommen zusammenwohnen, verbessert. Ich möchte auch nicht versäumen, hier der Opposition zu sagen, daß wir froh über ihre Anregung gerade zum letzten Punkt waren, die eine gewisse soziale Abrundung gebracht hat und die wir gerne aufgegriffen haben.Wir haben nicht alle Ihre Anträge annehmen können. Es ist ja der Vorzug der Opposition, daß sie immer ein bißchen weitergehen kann als die Regierungsparteien, die in der strengen Zucht ihrer Kollegen vom Haushaltsausschuß stehen.
Aber auch bei einer üppig gefüllten Bundeskasse müßte das Parlament jede Wohngeldleistung sorgfältigst dosieren, um nicht Mietentwicklungen zu bekommen, die wir alle miteinander nicht wünschen können.
Im übrigen haben die Beratungen im Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau wieder einmal bestätigt: Das Wohngeldgesetz hat sich voll bewährt. Wir brauchen es in absehbarer Zeit in keinem wirklich wichtigen Punkte zu verändern.
— Ich spreche vom Zweiten Wohngeldgesetz, HerrKollege, ich spreche nicht von dem Ersten Wohngeldgesetz, das unter Ihren Ministern entstanden ist.
Ich spreche von dem Wohngeldgesetz, das unter unserer Verantwortung geschaffen worden ist.Wir werden 'das Gesetz aber in Ruhe durchsehen und entsprechend novellieren, weil durch zwischenzeitlich erfolgte Verbesserungen das Gefüge nicht mehr überall nahtlos miteinander. Wir werden z. B. gründlich prüfen, ob die Einkommensermittlung nicht noch vereinfacht werden kann. Vor allem sollte die Berechnung der Einkommen, die zum Bezug einer Sozialwohnung berechtigen, und die Berechnung der Einkommen, die zum Erhalt von Wohngeld berechtigen, nach gleichen Prinzipien erfolgen.Wenn wir jetzt die Erweiterung ,der Einkommensgrenzen durch die Erhöhung 'des Freibetrages vorgenommen haben, so vor allem deshalb, weildies ahne große Umstellung ,des Tabellenwerks möglich war und wir auf diese Weise schnell Hilfe leisten konnten.Die ältere Generation soll nach unserer Vorstellung auch in Zukunft in der Wohngeldgesetzgebung einen bevorzugten Platz haben. Wir werden aber überlegen müssen, ob wir nicht einigen anderen Gruppen, z. B. den alleinstehenden berufstätigen Müttern, noch besser helfen können. Eine einheitliche Regelung für die Bewohner von Altenpflegeheimen haben wir ebenfalls ins Auge gefaßt. — Aus diesen Gründen stimmen die Fraktionen ,der SPD und FDP auch der an die Bundesregierung gerichteten Entschließung zu.Insgesamt: 'das Gesetz zur Änderung Ides Zweiten Wohngeldgesetzes ist ein weiterer Schritt im Rahmen einer sozialverpflichteten Wohnungspolitik.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen in der dritten Beratung nicht vor.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Die Schlußabstimmung wird mit der Abstimmungsanlage durchgeführt. Ich bitte die bereits eingestellten Identitätsnummern noch einmal zu überprüfen. Sollten Sie nicht an Ihrem Pult abstimmen, darf ich darauf hinweisen, daß Sie die Identitätsnummer dort einstellen müssen, wo Sie sitzen.Meine Damen und Herren, ich bitte jetzt abzustimmen. Bitte drücken Sie den Knopf auf der Außenseite Ihres Pultes; er muß dann aufleuchten. Die Abstimmung ist geschlossen.
— Ich will die Abstimmung gern noch einmal wiederholen. Jetzt beginnen wir mit der Abstimmung noch einmal. — Das Gesetz ist mit sehr großer Mehrheit angenommen worden.
Ich hoffe, daß uns damit der Durchbruch gelungen ist.
Wir kommen zur Abstimmung über die Punkte 2, 3 und 4 des Ausschußantrags. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. —Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist so beschlossen. Damit ist der Zusatzpunkt 1 erledigt.Ich darf Ihnen noch sagen, daß ich natürlich nicht übersehen kann, ob alle Kollegen ihre Anlage schon eingestellt haben, weil dies Gerät, wie Sie wissen, nicht die Zahl registriert. Deshalb kann ich nicht sehen, ob alle Damen und Herren den Knopf eingedrückt haben.Ich rufe Punkt 6 auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 15. Juni 1970 zur Verlängerung der Langfristigen Vereinbarung vom 9. Februar 1962 über
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3732 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausenden internationalen Handel mit Baumwolltextilien— Drucksache 7/647 Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 7/1071 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr.' Jens
Ich frage zunächst, ob der Herr Berichterstatter das Wort wünscht. — Das ist nicht der Fall. Ich danke Ihnen.Wir treten in die Aussprache ein. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache.Ich rufe die Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung und in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, entsprechend abzustimmen. Wir stimmen auch hier mit Hilfe des Computers ab, damit wir im Umgang mit der Anlage ein Stück weiterkommen. Ich bitte Sie erneut, die Nummern einzustellen und zu überprüfen. — Das Gesetz ist mit sehr großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe Punkt 7 der heutigen Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Kakao-Übereinkommen von 1972— Drucksache 7/645 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/1207 —Berichterstatter: Abgeordneter Löfflerb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 3/1154 Berichterstatterin:Abgeordnete Frau Dr. Riedel-Martiny
Ich frage, ob die Frau Kollegin oder der Herr Kollege das Wort als Berichterstatter wünschen. — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich frage, ob das Wort in der Aussprache begehrt wird. — Das ist ebenfalls nicht der Fall.Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung und in der Schlußabstimmung, die wir bei solchen Verträgen verbinden, zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Der Tagesordnungpunkt 8 soll auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung, weil der Herr Minister noch nicht eingetroffen ist, erst später aufgerufen werden.Ich rufe Punkt 9 auf:Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Häftlingshilfegesetzes
— Drucksache 7/1094 —Das Wort wird nicht begehrt. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage an den Innenausschuß und gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe auf Punkt 10 ,der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
— Drucksache 7/1064 —Meine Damen und Herren! Wird das Wort zur ersten Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes gewünscht?
— Meine Damen und Herren, ich schlage vor, wir stellen den schon aufgerufenen Punkt im Hinblick darauf zurück, daß die Kollegen offensichtlich leider nicht disponiert hatten, daß ,der Punkt jetzt aufgerufen wird.Ich rufe auf den Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über ,die laufende Anpassung der Altersgelder in der Altershilfe für Landwirte
— Drucksache 7/934 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/1212 —Berichterstatter: Abgeordneter Schmitz
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 7/1211 —Berichterstatter: Abgeordneter Sund
Ich frage, ob jemand zur Berichterstattung das Wort wünscht. — Bitte, Herr Kollege!
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Der Bericht des federführenden Aus' schusses für Arbeit und Sozialordnung liegt Ihnen auf Drucksache 7/1211 vor. Erlauben Sie mir einige kurze mündliche Ergänzungen.Der Ausschuß hat die ihm vom mitberatenden Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten übermittelten Änderungen übernommen und den Gesetzentwurf am 7. November 1973 abschlie-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3733
SundBend beraten. Der Gesetzentwurf im ganzen ist einstimmig — bei unterschiedlichen Stimmenverhältnissen bei den einzelnen Paragraphen — angenommen worden.Der Ausschuß sieht den Gesetzentwurf als eine wesentliche Fortentwicklung des Bereichs der Altershilfe für Landwirte an. Als Schwerpunkte des Entwurfs sind folgende Änderungen hervorzuheben: Die Einführung der jährlichen Anpassung der Leistungen an die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse, also die Dynamisierung, sodann die Staffelung des Altersgeldes nach Beitragsjahren und eine auf diese Veränderungen abgestimmte Regelung der Finanzierung. Hinzu kommen Bestimmungen über die Angleichung ,der Landabgaberente an die Richtlinien der EWG sowie eine Erleichterung bei Inanspruchnahme des Zuschusses zur Nachentrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen. Die vom Ausschuß beschlossenen und zur Annahme empfohlenen Mehrleistungen laufen für 1974 auf einen Betrag von 159 Millionen DM hinaus.Über die von allen Fraktionen begrüßte Zielsetzung des Entwurfs hinaus haben die Ausschußmitglieder der CDU/CSU-Fraktion einige weitergehende Anträge gestellt, ,die im wesentlichen folgendes zum Ziel hatten: Einbeziehung jüngerer Witwen in den Kreis der Leistungsberechtigten, Erhöhung des Altersgeldes zum 1. Januar 1974 in einem deutlich stärkeren Umfang, um damit einen höheren Ausgangsbetrag für die in den folgenden Jahren durchzuführenden Anpassungen zu erreichen; präzis ging es um ein Altersgeld für Verheiratete von 300 DM. Dann ein Antrag, der die Versicherungsberechtigung für alle mitarbeitenden Familienangehörigen eröffnen sollte.Während der Ausschuß in diesem letzten Punkt übereinstimmend der Auffassung war, daß das Problem der Alterssicherung der mitarbeitenden Familienangehörigen noch einer eingehenden Prüfung bedürfe, wurden die anderen hier erwähnten Anträge der CDU/CSU mit den Stimmen der Koalitionsparteien mit dem Hinweis auf die damit verbundenen Mehrausgaben abgelehnt. Diese Mehrausgaben belaufen sich nach den Darstellungen der Regierung für die Einbeziehung der jüngeren Witwen in den Kreis der Leistungsberechtigten auf 73 Millionen DM Bundeszuschuß, für den Bereich der Erhöhung des Altersgeldes zum 1. Januar 1974 — unter Zugrundelegung der genannten Zahlen -- auf 156 Millionen DM.Ich fühle mich als Berichterstatter verpflichtet, meine Damen und meine Herren, Ihnen noch von dem Zahlenwerk Kenntnis zu geben, das Sie auf der Ausschußdrucksache 7/92 finden, die die Beratungen und die Entscheidung im Ausschuß entscheidend geprägt hat. Dabei war davon auszugehen, daß der Anteil der Bundesmittel an den Gesamtaufwendungen der landwirtschaftlichen Alterskassen im Jahre 1962 37,2 %, 1963 57,9 % betrug, 1968 auf 73 %, 1970 auf 70,7 %, 1971 auf 72,7%, 1972 auf 74,3 % und 1973 auf 77,7 % angewachsen ist. Der absolute Betrag des Bundeszuschusses betrug im Jahre 1962 68,3 Millionen DM, im Jahre 1970 639 Millionen DM und im Jahre 1973 1 Milliarde 70 Millionen DM.Diese Ergänzung zum schriftlich vorliegenden Bericht wollte ich hier noch anbringen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort zum Bericht wird nicht begehrt.
Wir treten in die Zweite Beratung ein, und ich rufe Art, 1 auf.
Ich schlage vor, meine Damen und Herren, daß ich dem Herrn Abgeordneten Horstmeier zu den Anträgen das Wort gebe und daß ich alle Änderungsanträge, wenn Sie einverstanden sind, gleichzeitig aufrufe. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
— Das sind die Änderungsanträge auf Drucksache
7/1215, 7/1216, 7/1217, 7/1218, 7/1219.
Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hat im Fachausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und im federführenden Ausschuß, dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, einige Anträge gestellt, die mehr eine strukturelle Verbesserung bedeutet hätten und die einige Härtefälle hätten regeln können. Alle diese Anträge sind von der Koalition abgelehnt worden, obwohl sie das muß ich auch hinzufügen zum Teil sehr wenig Finanzmasse erfordert hätten. Dies ist uns unverständlich. Wir meinen, es müßte gerade im Fachausschuß bekannt sein, daß es in diesem Gesetz noch einige Unebenheiten gibt, daß die Lage der Leistungsempfänger sehr differenziert ist und daß es noch sehr viele Härten zu regeln gegeben hätte. Alle diese Anträge sind aber — ich wiederhole es — abgelehnt worden. Ich darf in diesem Zusammenhang nur daran erinnern—, daß ein großer Personenkreis, z. B. die mithelfenden Familienangehörigen, die keinen Arbeitsvertrag haben, von der Altersversorgung überhaupt nicht erfaßt ist.Meine Fraktion hat sich heute auf nur drei Problemkreise beschränkt. Den Antrag 7/1218 werden wir zurückziehen — das muß ich gleich sagen —, wenn die anderen Anträge abgelehnt werden.Nun zu den Anträgen 7/1219, 7/1216 und 7/1217. Nachdem jetzt Altershilfe jährlich angepaßt wird, reicht nach unserer Meinung die Anpassungsbasis von 264 DM im Monat für Verheiratete eben nicht aus. Sie ist längst von der Kostenentwicklung überholt. Am 1. Oktober 1972 haben wir bei den Leistungen der Alterskasse die letzte Anhebung gehabt, und zum 1. Januar 1974 soll die nächste Anhebung um 10% erfolgen. Diese 10 %ige Anhebung würde sich dann auf 15 Monate beziehen. Ich glaube, ich kann mit Fug und Recht sagen, daß die Steigerungssätze der Renten im gleichen Zeitraum bei weitem höher sind.
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3734 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
HorstmeierHinzu kommt — und das ist ein wesentlicher Gesichtspunkt —, daß ein großer Nachholbedarf entstanden ist — die vorletzte Anpassung war nämlich erst 1969 —, der hier auch bedacht werden muß. Deshalb tritt die CDU/CSU für eine Anpassungsbasis von 300 DM im Monat für Verheiratete ein.
Meine Damen und Herren, es wird sehr viel von der Witwenversorgung gesprochen. Wir sind der Meinung, daß die Altersgrenze für das Witwenaltersgeld — sie liegt zur Zeit bei 60 Jahren auf das 45. Lebensjahr herabgesetzt werden müßte. Damit wollen wir eine Annäherung an andere Versorgungsbereiche erreichen, und zwar zunächst eine Gleichstellung mit der Unfallversorgung. Wir sehen einfach nicht ein, daß eine Witwe, die ihren Mann durch Unfall verloren hat, eine Unterstützung erhält, daß dagegen eine Witwe, deren Mann einem Herzinfarkt erlegen ist, sich ohne Unterstützung durchschlagen muß.Meine Damen und Herren, die soziale Sicherung der Frau ist in diesem Hause zu einem anzustrebendem Ziele erklärt worden. Hier handelt es sich um einen Personenkreis, der nicht gerade auf Rosen gebettet ist. Ich möchte Sie aufrufen, meine Damen und Herren von der Koalition: Hier haben Sie eine Möglichkeit, für die soziale Sicherung der Frau etwas zu tun.
Der Antrag 7/1219 befaßt sich mit der Finanzierungsgrundlage. Die Finanzierungsgrundlage ist durch die Novelle zum Altershilfsgesetz geändert worden. Der Bund beteiligt sich demnach nur noch an den reinen Altersgeldaufwendungen. Es ist aber eine Erfahrungstatsache, daß gerade die Leistungsteile, die den Auswirkungen der Inflation ausgesetzt sind, nämlich Rehabilitation und Verwaltung, stärker steigen als die Aufwendungen für Altersgeld. Das bedeutet, daß eben die Beitragsleistungen stärker steigen müßten als die Aufwendungen des Bundes. Eine immer kleinere Zahl von Beitragszahlern müßte eine immer größere Last auf sich nehmen. Ich glaube, das geht nicht. Die Leistungsseite und die Beitragsseite müssen weiterhin so ausgeglichen bleiben wie bisher. Wir fordern deshalb, daß der Bundesanteil prozentual an den Gesamtaufwendungen ausgerichtet wird und nicht nur an den Aufwendungen für das Altersgeld.Da es sich hier um ein soziales Problem auf dem Lande handelt und da wir gewillt sind, diese Altershilfe in eine Altersversorgung einmünden zu lassen, was nur dann möglich ist, wenn wir eine bessere Grundlage bekommen, möchte ich Sie jetzt bitten, diesen Anträgen zuzustimmen.
Damit sind die Anträge begründet. — Das Wort hat Herr Abgeordneter Nölling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Könnte man von dieser Opposition auch nur ein Quentchen Vernunft erwarten,
dann hätte sie diese Anträge heute nicht stellen dürfen.
Ich darf Ihnen sagen, daß wir hier zum wiederholten Male eine — heute allerdings wieder zu großer Form auflaufende — verrückt spielende Opposition erleben,
eine finanzpolitisch verrückt spielende Opposition.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Bitte!
Herr Kollege, woraus begründen Sie Ihre Annahme, daß sie spiele?
Ja, Herr Kollege Wehner, das ist allerdings eine berechtigte Frage, worauf sich diese Annahme gründet. — Die Opposition will doch wohl nach wie vor ernstgenommen werden. Das kann ich aber bei diesen Anträgen nicht. Deshalb nehme ich an, daß die Opposition dieses Parlament hier mit einem Spielplatz verwechselt und es nicht für eine wirkliche politische Arena hält, in der es um die tatsächliche soziale Verbesserung in unserem Lande geht.
Das ist natürlich nur ein Ergebnis der führungslos dahintreibenden Opposition, in der jeder Lobbyist machen kann, was er will,
in der jeder Lobbyist freie Bahn bekommt, damit er die Staatsfinanzen nach Möglichkeit ruinieren kann, um dann anschließend dieser Regierung die Schuld in die Schuhe schieben zu können.
Herr Abgeordneter Nölling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Niegel? — Bitte!
Herr Kollege, sind Sie nicht auch der Meinung, daß Sie hier etwas über das Ziel hinausgeschossen sind und daß Sie die Opposition mit „Verrücktspielerei” sehr diffamiert haben?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3735
Ob ich sie diffamiert habe
oder nicht,
ob ich über das Ziel hinausgeschossen bin oder nicht, das überlasse ich den Menschen, die noch ein bißchen Vernunft und Verantwortungsgefühl für diesen Staat insgesamt haben.
Ich bleibe bei dieser Beurteilung, meine Damen und Herren. Glauben Sie bitte nicht, Herr Kollege Niegel, daß ich mich hier hinstelle und dies nicht auch begründen werde! Ich werde dies selbstverständlich auch begründen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Ja, selbstverständlich, Herr Kollege Franke.
Herr Kollege Nölling, betrachten Sie die Erhöhung des Altersgeldes für Landwirte um 24 DM als ein Verrücktspielen, wenn wir einer Randgruppe unserer Gesellschaft außerdem helfen wollen?
Ich werde Ihnen einmal sagen, wie ich das begründe, Herr Kollege Franke! Wir haben uns gestern im Ausschuß ausführlich darüber unterhalten.
Da habe ich Ihnen den Vorwurf gemacht, auch als Obmann, daß Sie Ihre Leute frei laufen lassen. Das interessiert uns aber nicht in erster Linie. Aber mit den Konsequenzen dieser Politik der Opposition müssen wir uns hier auseinandersetzen. Sie haben in den beiden Ausschüssen Anträge gestellt, bei denen Sie über die finanziellen Konsequenzen zum Teil überhaupt nichts sagen konnten, beispielsweise nichts über die Kosten der Witwenversorgung. Der Antrag ist hier soeben begründet worden. Sie haben gesagt: was das kosten wird, wissen wir nicht, aber was die Regierung ausrechnet, werden wir bestreiten. Das war etwa die Tendenz.
— Na gut, wenn es unwahr sein sollte, Herr Kollege Franke
— nein, es ist nicht unwahr —, dann akzeptieren Sie bitte nachher die Zahlen! Dann komme ich auf meinen Vorwurf zurück, den ich mit diesen Zahlen begründe. Im übrigen haben Sie keine Deckungsvorschläge gemacht, woher denn das Geld im nächsten Jahr aus dem Bundeshaushalt kommen soll, obwohl Sie in der Debatte über den Haushalt selbstverständlich beklagt haben, daß der wieder einmal nicht konjunkturgerecht sei. Das kennen wir auch seit vier Jahren.
Das Volumen der Regierungsvorlage wird ab 1979 um rund 160 Millionen DM erhöht. Die Bundesmittel steigen im nächsten Jahr in diesem Versorgungswerk auf über 1,2 Milliarden DM. Es ist der am höchsten von der Allgemeinheit subventionierte — wenn ich das so sagen darf — „Versicherungszweig", den wir überhaupt kennen.
Jetzt komme ich zu meinem Hauptvorwurf. Dei Antrag 1215 der Opposition, Verbesserung der Witwenversorgung, kostet für das Jahr 1974 zusätzlich 97 Millionen DM;
davon entfallen auf den Bund 73 Millionen DM.
Der Antrag 1216, höhere Anpassung als die von uns vorgesehenen 10 %, kostet im nächsten Jahr 184 Millionen DM mehr.
Auf den Bund entfallen davon 156 Millionen DM.
Das macht insgesamt einen Betrag von 230 Millionen DM mehr, als wir ohnehin zusätzlich für das nächste Jahr drauflegen wollen. Das sind, wenn man es in Prozenten ausrechnet, Mehranforderungen von annähernd 150% über das hinaus, was diese Regierung zusätzlich im Jahre 1974 tun will und in diesem Gesetzentwurf auch im Ausschuß beschlossen worden ist. Dann kommt der Kollege Horstmeier hierhin, in „guter" Tradition — ich habe ja Ihren Fraktionsvorsitzenden noch gehört, als er zur Kriegsopferversorgung sprach —, und sagte, diese Regierung, diese Koalition tue „ein bißchen mehr" für die Kriegsopferversorgung. Sie haben sich gut in diese Terminologie eingearbeitet. Und dann kommen Sie her und sagen, es handle sich um eine geringe Finanzmasse für ein paar Probleme, die die Sozialdemokraten und die Freien Demokraten bisher nicht erkannt hätten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Horstmeier?
Darf ich das erst zu Ende bringen, Herr Präsident. — Dazu kann ich nur sagen: mein Vorwurf ist berechtigt. Eine Opposition, die solche finanzpolitischen Anträge, nachdem sie in den Ausschüssen beraten und abgelehnt worden sind, hier ins Plenum bringt, handelt verantwortungslos und spielt verrückt.
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3736 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Herr Abgeordneter Dr. Ritz hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu den sachlichen Inhalten unserer Anträge und zu dem Gesetz wird der Kollege Susset in dritter Lesung sprechen. Ich halte es allerdings für dringend notwendig, zu den unverschämten Angriffen des Kollegen Nölling ein Wort zu sagen.
Ich verwahre mich gegen den Begriff „verrücktspielen" in bezug auf die Opposition. Ich bin der Auffassung, daß ein solcher Ausdruck denjenigen richtet, der ihn gebraucht.
Wenn Herr Kollege Nölling von „Lobbyisten" spricht, kann ich ihm nur empfehlen, einmal in den Bayerischen Wald oder in ein anderes von der Natur benachteiligtes Gebiet zu fahren und den dortigen Altenteilern zu sagen, daß die CDU/CSU aus Lobbyismus Anträge gestellt habe, die eine gewisse Verbesserung ihrer Altersrente zum Inhalt hätten.
Meine Damen und Herren, hier war von einem „hochsubventionierten Bereich" die Rede. Muß man in diesem Zusammenhang nicht feststellen, daß durch die Unfähigkeit dieser Regierung, den FlugLotsenstreik zu beenden, 1 Milliarde DM der Volkswirtschaft verlorengegangen sind,
während man glaubt, über soziale Randgruppen überhaupt nicht sprechen zu müssen?
Ein weiterer Punkt. Herr Nölling sprach von „Kopf- und Führungslosigkeit" der Opposition in dieser Frage. Ich frage mich, Herr Kollege Nölling, ob Sie damit von der Aussage Ihres Fraktionsvorsitzenden ablenken wollten, daß dieser Regierung ein Kopf fehle;
oder was haben Sie mit dieser Aussage gemeint? (Beifall bei der CDU/CSU.)
Meine Damen und Herren, ich glaube, dies ist nicht der Stil, in dem wir einen, wie ich meine, sehr wichtigen Bereich unserer Sozialpolitik behandeln sollten.
Schon vor Jahren waren sich alle Fraktionen dieses Hauses darin einig, daß wir eine wesentliche Verbesserung vornehmen sollten. Die Fraktion der CDU/CSU hat anerkannt, daß der Regierungsentwurf auch wegen der angestrebten Dynamisierung ab 1. Januar 1975 eine Verbesserung bringt. Niemand aber von uns ist widerlegt worden, der gesagt hat, daß allein durch. die Gesamtentwicklung der Lebenshaltungskosten in den letzten Jahren eine Situation
eingetreten ist, die es notwendig macht, gerade dieser sozialen Gruppe eine Verbesserung zuzugestehen. Das sind die gesellschaftspolitischen Intentionen unseres Antrags. Ich bin sicher, daß meine Fraktion in der Lage sein wird, im Laufe der Haushaltsberatungen auch das Problem der Deckung zu lösen.
Nur, meine Damen und Herren, lassen Sie mich eines sagen. In den Ausschußberatungen ging es gar nicht um die Bereitschaft, sich die Anliegen anzuhören, darüber zu diskutieren, sie wirklich zu vertiefen oder vielleicht Kompromisse vorzuschlagen, sondern hier wurde nach dem Motto verfahren: Anträge der Opposition kosten Geld; wir lehnen ab. Es hat einfach die sachliche Diskussion über diese Fragen gefehlt.
Dies ist es, was ich zutiefst bedaure, soweit ich es aus der Sicht der Beratung beurteilen kann.
Herr Abgeordneter Dr. Ritz, gestatten Sie zunächst eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glombig?
Bitte schön!
Herr Kollege, ist Ihnen eigentlich aufgefallen, daß wir uns in der zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs befinden und der Haushaltsausschuß diesen Gesetzentwurf bereits beraten hat? Bei diesen Beratungen haben Sie doch Deckungsvorschläge nicht gemacht. Zumindest frage ich Sie: Sind solche Vorschläge gemacht worden, und wenn nicht, wann wollen Sie sie eigentlich machen?
Herr Kollege Glombig, Sie haben recht, wir sind in der zweiten und dritten Lesung. Ich habe mir das Recht genommen ich
glaube, daß Sie es mir zugestehen , zu den, wie ich meine, unerhörten Anwürfen des Kollegen Nölling Stellung zu nehmen.
Zweitens. Der Haushaltsausschuß hat meines Wissens gemäß der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Regierung und der Koalitionsfraktionen entsprechend dem Beschluß des sozialpolitischen Ausschusses Stellung nehmen müssen und damit nur zu prüfen gehabt, ob eine Deckung für diesen Beschluß vorhanden ist. Dies hat er bejaht. Das kann uns aber als Opposition nicht daran hindern, in der zweiten und dritten Lesung Anträge zu stellen. Wo kämen wir sonst hin?
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schellenberg?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3737
Ja, bitte, Herr Kollege!
Herr Kollege, können Sie bestätigen, daß die Altersgelder 1969 175 DM betragen haben und jetzt auf 264 DM erhöht, also um 50 % gesteigert werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schellenberg, ich bestätige dies durchaus. Allerdings muß ich dann auch hinzufügen, daß es nicht nur die CDU/ CSU, sondern auch der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung waren, die gesagt haben: Wir müssen die Altershilfe für die Landwirte in eine soziale Vollversorgung für die Landwirtschaft umwandeln. Ich meine, im Zuge dieser Bemühungen hätten wir hier eine größere Anstrengung gemeinsam unternehmen sollen und müssen. Aus diesem Grunde stehen wir zu unseren Anträgen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Nordlohne?
Bitte schön, Herr Kollege!
Herr Kollege Ritz, können Sie mir bestätigen, daß der SPD-Kollege Lemp im südoldenburgischen Bereich noch vor ein paar Monaten das derzeitige Altersruhegeld für Landwirte als ein besseres Tabakgeld bezeichnet hat?
Ich kann das in dieser Form nicht bestätigen, aber ich gehe davon aus, daß dies so ist, wenn Sie es hier sagen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann? — Bitte!
Herr Kollege Ritz, würden Sie den Herrn Kollegen Schellenberg bitte darauf aufmerksam machen, daß ein Großteil der Erhöhung, die er hier eben genannt hat, durch die Inflationspolitik dieser Bundesregierung längst aufgezehrt wurde.
Herr Kollege Reddemann, das ist ja die eigentliche Intention und auch die Begründung dieses unseres Antrags gewesen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammenfassend folgendes sagen. Wir verwahren uns gegen die ungeheuerlichen Vorwürfe des Kollegen Nölling. Wir sind der Überzeugung, daß diese unsere Anträge aus sachlichen und gesamtwirtschaftlichen Erwägungen heraus durchaus begründet sind. Sie wären es wert gewesen, gründlicher behandelt zu werden. Wir bedauern zutiefst,
daß die Regierungskoalition in dieser Weise mit unseren Anträgen hier im Hause verfährt.
Weitere Wortmeldungen zu den Anträgen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 7/1215. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe den Antrag 7/1216 auf. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Danke! Stimmenthaltungen? — Mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.
Damit ist auch der Antrag auf Drucksache 7/1218 erledigt.
Ich rufe nunmehr den Antrag auf Drucksache 7/1217 auf. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe den Antrag auf Drucksache 7/1219 auf. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr die Art. 1, 1 a, 2, 2 a, 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetzentwurf in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke! Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Bratung
ein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schonhofen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der SPD-Fraktion habe ich folgende Erklärung zur dritten Lesung dieser siebenten Novelle zum Gesetz über die Altershilfe für Landwirte abzugeben.Erstens. Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt diesen zur Verabschiedung anstehenden Entwurf der Bundesregierung als einen weiteren wichtigen Beitrag zur sozialen Sicherung der bäuerlichen Bevölkerung. Sie betrachtet die hier getroffenen Entscheidungen als eine eindeutige Konsequenz aus den Absichtserklärungen und politischen Zielvorstellungen, wie sie in verschiedenen Erklärungen der Koalition und der Bundesregierung in den letzten Monaten zum Ausdruck kamen. Diese Novelle setzt die von der sozialliberalen Koalition entwickelte agrarsoziale Komponente als einen
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3738 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Schonhofenwichtigen Teil einer modernen Agrarpolitik geradlinig fort, entwickelt sie weiter und rundet sie ab. Daraus ergeben sich für diesen Wirtschaftsbereich soziale und gesellschaftspolitische Aspekte, die den Bedürfnissen der Menschen und damit den sachlichen Notwendigkeiten Rechnung tragen.Zweitens. Diese Notwendigkeiten resultieren aus den Folgen des Strukturwandels. Sie drücken sich vor allem in einer besonderen Risikoempfindlichkeit aus, und zwar wegen der Abwanderung der Arbeitskräfte, der Konzentration der Flächen und der damit verbundenen Kapitalintensität der landwirtschaftlichen Betriebe. Zugleich hat diese Entwicklung, in der sich die Landwirtschaft seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten befindet, die unternehmerische Entscheidungsfreiheit und den ökonomischen Wirkungsbereich für viele Landwirte wesentlich eingeengt. Das verlangt politische Maßnahmen, die für die betroffenen Menschen soziale Sicherheit bedeuten und den Strukturwandel mit sozialem Flankenschutz umgeben. Erst die sozialliberale Koalition hat in den vier Jahren ihres Wirkens problemgerechte und angemessene Antworten gefunden, die dank der politischen Stoßkraft, die die Reformvorstellungen dieser Bundesregierung entwickeln, Zug für Zug verwirklicht werden.Drittens. Der vorliegende Gesetzentwurf wird diesen Erfordernissen gerecht. Er baut die soziale Sicherung der bäuerlichen Familie weiter aus und löst damit Aufgaben in einer Weise, die in diesem Hause lange Zeit sehr umstritten war. Daß wir uns bei der Beratung des Gesetzes wieder einmal einer Fülle von ausgabewirksamen Zusatzanträgen der Opposition gegenübersehen, sei nur am Rande vermerkt; es gehört zu unserem täglichen Brot, uns mit solchen Anträgen befassen zu müssen, deren finanzielle Wirkung auf den Bundeshaushalt heruntergespielt wird und die optisch bewirken sollen, die Welt so schön erscheinen zu lassen, wie man sie gerne darstellen möchte. Andererseits haben wir uns harte Vorwürfe anhören müssen, hier in diesem Haus und auch an anderer Stelle, die Haushaltspolitik des Bundes sei nicht konjunkturgerecht, sei zu ausgabefreudig und fördere das, was die Opposition eine „hausgemachte Inflation" nennt.
Meine Damen und Herren! Es muß gewarnt werden vor dem Eindruck oder der Annahme, bei der Altershilfe, ihrer bisherigen Entwicklung und strukturellen Grundanlage, handle es sich bereits um eine Einrichtung, der man ohne weiteres die Bestimmungen der gesetzlichen Rentenversicherung aufstülpen könnte. Diesen Eindruck versucht die Opposition zu erwecken. Gleichzeitig weiß sie sehr gut, zumindest müßte sie es wissen, daß bis dahin noch ein weiter Weg ist.Viertens. Wir begrüßen die Erhöhung der Leistungen der Altershilfe vom Januar nächsten Jahres an, ebenso vor allem die Dynamisierung des Altersgeldes, die auch die Altenteiler der Landwirtschaft an der wirtschaftlichen Entwicklung teilnehmen läßt. Ferner begrüßen wir die Staffelung der Leistungen der Altershilfe bei mehr als 15 Mitgliedsjahren und die Einführung eines weiteren Ersatztatbestandes für die Hofabgabe als Voraussetzung für das Beziehen des Altersgeldes. Wir wehren uns allerdings gegen die Forderung der Opposition, bei diesem Ersatztatbestand die Ermächtigung auf die Veräußerung oder die Verpachtung zu beschränken. Angeblich führt die im Entwurf vorgesehene Regelung zu unbilligen Härten. Das aber ist nicht der Fall. Inzwischen ist in den Ausschußberatungen klargestellt, daß diese Härten nicht auftreten können, da bereits nach geltendem Recht die Hofabgabe an den noch geschäftsunfähigen oder noch beschränkt geschäftsfähigen Sohn oder Enkel möglich ist. Es bedurfte also keiner sogenannten Verbesserung des Regierungsentwurfs in diesem Punkte. Bezeichnenderweise taucht dieses Argument in den Diskussionen der letzten Tage und Stunden auch nicht mehr auf, so daß die Vermutung an Gewicht gewinnt, es gehe in Wahrheit nur darum, das Kriterium der Hofabgabe als Voraussetzung für den Bezug des Altersgeldes zu unterlaufen und in der Praxis abzubauen.Darüber hinaus erklärt die sozialdemokratische Fraktion ihre Zustimmung dazu, daß nunmehr auch die Inhaber nicht entwicklungsfähiger Betriebe ohne Größenbegrenzung die Landabgaberente beziehen können, wenn sie ihren Betrieb strukturverbessernd abgeben.Fünftens. Alles in allem stellt die sozialdemokratische Fraktion befriedigt fest, daß dieses Gesetz als Ergebnis eines umfassenden agrarsozialen Programms dieser Bundesregierung den politischen Notwendigkeiten abgewogen entspricht, die finanziellen Möglichkeiten des Bundes, aber auch jene der bäuerlichen Betriebe nicht überschätzt und den Bedürfnissen der Landwirte gerecht wird.Die SPD-Fraktion wird diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Susset.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Nervosität, mit. der der Herr Kollege Nölling auf die Anträge unseres Kollegen Horstmeier reagiert hat, ist doch sicher für alle, die das hier in diesem Hause —ich möchte sagen — miterleben mußten, ein Beweis dafür, daß hier doch die Probleme in einer falschen Richtung interpretiert werden, besonders wenn davon die Rede ist, man könne kein Quentchen Vernunft feststellen, wenn von Lobbyismus die Rede ist, wo wir von einer monatlichen Rente von 264 DM sprechen. Ich glaube, das muß man irgendwie in einen Zusammenhang bringen.Ich bin der Meinung, daß, wenn hier von der mangelnden Verantwortung der Opposition für diesen Staat geredet wird, wir doch an die Regierungserklärung erinnern müssen. Die Landwirte gehören zu diesem Staat, und sie haben sowohl 1969 wie 1972 in der Regierungserklärung von Herrn Bundeskanzler zu hören bekommen, daß er als Bundeskanzler es nicht zuläßt, daß diese Sozialgruppe in der Zukunft schlechter behandelt wird als andere.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3739
SussetEs ist immer wieder die Rede 'davon gewesen,hier seien unseriöse Anträge gestellt worden, die nicht zu finanzieren seien. Man hat von seiten der Koalition den Zwischenruf „Deckung!" und andere gehört.
Nun, wir haben in der Fraktion mit den Mitgliedern des Haushaltsausschusses — und ich glaube, daß die Mitglieder des Haushaltsausschusses der CDU/CSU-Fraktion eine verantwortungsbewußte Haushaltspolitik machen — diese Fragen abgeklärt.
— Ich komme, Herr Kollege Nölling, noch auf einen Ausspruch von Ihnen, in dem Sie 'sagten, für keine Gruppe der Bevölkerung werde zur sozialen Absicherung ein so hoher Staatszuschuß gewährt. Ich möchte einmal an den Bergbau erinnern. Dort haben wir es — genau wie in der Landwirtschaft — mit einem Strukturproblem zu tun, und es ist einfach unmöglich, daß eine Gruppe derartige Strukturnotwendigkeiten aus eigener Kraft überwindet.Im Jahre 1972 wurde für den Rentner in der Knappschaftsversicherung immerhin ein Bundeszuschuß pro Versicherten von DM 12 188 gewährt. Für die landwirtschaftliche Altershilfe ,ist im Jahre 1972 pro Versicherten ein Bundeszuschuß von 1 133 DM gegeben worden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glombig?
Ja, bitte.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß der Leistung der Altershilfe für Landwirte von 264 DM eine Beitragsleistung der betreffenden von 36 DM gegenübersteht, und sind Sie nicht der Meinung, daß dies in gar keinem Verhältnis zur Beitragsleistung der Arbeitnehmer — einschließlich der Bergleute — steht?
Nun, Herr Kollege Glombig, die Beitragsleistung ist hier selbstverständlich geringer. Aber wir fragen doch jetzt hier nach den Bundeszuschüssen. Um die geht es!
Wir als CDU/CSU-Fraktion haben sowohl in der Regierung wie in der Opposition
dem Strukturwandel im Bergbau entsprechenden finanziellen Flankenschutz gegeben. Das erwarten wir auch in der Zukunft für die Landwirtschaft und nicht, daß man hier von unseriösen Anträgen spricht, wenn man die vorgesehene Rentenhöhe
sieht angesichts der steigenden Kosten. Ich denke beispielsweise an die Postgebühren; diese Leute können ja angesichts dieser Erhöhungen nicht einmal telefonieren und Briefe schreiben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Nölling? — Bitte!
Herr Kollege, wollen Sie etwa behaupten, daß der Altersgeldsatz für Verheiratete in Höhe von 60 DM, der ab 1. Oktober 1957 eingeführt wurde, damals auch nur annähernd das gedeckt haben könnte, was Sie jetzt fordern?
Herr Kollege Nölling, im Jahre 1957 hat man mit der sozialen Alterssicherung begonnen. Im Jahre 1957 hatten 60 DM auf jeden Fall eine andere Kaufkraft, als dies im Jahre 1973 der Fall ist, und im Jahre 1957 hatten wir eine andere Ertragslage in der Landwirtschaft. Das müssen wir doch einmal ganz klar sehen.
Meine Damen und Herren, die Ankündigung der Regierung, hier eine angemessene Altersversicherung für die Zukunft vorzusehen, begrüßen wir.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ja, noch eine Zwischenfrage.
Darf ich nur eine Frage stellen, weil Sie die Höhe der Bundeszuschüsse angesprochen hatten: Ist Ihnen bekannt, Herr Kollege, daß es von 1962 bis 1973 kein Jahr gegeben hat, in dem der Anteil der Bundeszuschüsse an den Gesamtaufwendungen so hoch war wie 1973, nämlich 77,7 0/o?
Wir hatten in früheren Jahren nicht die hohe Inflationsrate, wie wir sie im Moment haben.
Ich habe doch soeben versucht, Ihnen zu beweisen, wie es rechtmäßigerweise — und das begrüßen wir — in der Knappschaftsversicherung auf Grund des dortigen Strukturwandels ist; dann müssen wir einfach die Bundeszuschüsse auch mit denen für die Landwirtschaft vergleichen können.Zwischen Wort und Tat, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Ankündigung und dem, was wir hier nun als Gesetz vorliegen haben, besteht eine große Diskrepanz. Es ist eine ganz normale Fortentwicklung, kann aber sicher nicht den anspruchsvollen Ausdruck „Reform" verdienen. Es wird einfach von einer zu niedrigen Ausgangsbasis
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3740 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Sussetausgegangen, wenn man von Jahr zu Jahr hier ähnlich wie in der Rentenversicherung dynamisieren und fortentwickeln will. Die Landwirtschaft hat angesichts des Strukturwandels nicht die Möglichkeit, aus Beiträgen die notwendige Steigerungsrate zu finanzieren, weil wir die Agrarpolitik, die uns diese Regierung in den vergangenen Jahren beschert hat, auf den Höfen spüren.
— Bitte?
— Das ist eine Agrarpolitik, die sicherlich nicht dem gerecht wird, was der Herr Bundeskanzler in seinen Regierungerklärungen zur Agrarpolitik versprochen hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Anträge wurden im Ernährungsausschuß samt und sonders abgelehnt. Da ist doch die Frage zu stellen: Hat es dann überhaupt noch einen Sinn, diese Anträge in den Ausschüssen zu beraten, wenn man von vornherein weiß, daß die Regierungsvorlagen so, wie sie in die Ausschüsse eingebracht werden, auch verabschiedet werden?
Ich glaube, das hat nichts mit mehr Demokratie zu tun, meine sehr verehrten Damen und Herren.
— Ich glaube, Sie haben vorhin in Ihrer Erklärung wenig „Vernunft" bewiesen, Herr Nölling. Sie brauchen also sicherlich auf Grund dieser Ausführungen der Opposition nichts über Vernunft beizubringen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schellenberg? — Bitte!
Herr Kollege, würden Sie dem Hause bestätigen, daß gestern der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und der Haushaltsausschuß noch über die Regierungsvorlage hinaus 35 Millionen DM als zusätzlichen Bundeszuschuß in das Gesetz hineingebracht haben?
Nun, ich werde das sicherlich nicht bestreiten.
Wir haben ja schließlich Anträge gestellt — der Kollege Horstmeier hat gerade noch einen Teil dieser Anträge begründet —, die eine strukturelle Verbesserung der derzeitigen sozialen Sicherung ermöglicht hätten.
Herr Abgeordneter Susset, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Niegel?
Herr Kollege Susset, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Bundesregierung der Altershilfe für die Landwirtschaft so wenig Bedeutung beimißt, daß die beiden zuständigen Minister, nämlich der Herr Bundesarbeitsminister Arendt und auch der Herr Bundesernährungsminister Ertl, durch Abwesenheit glänzen?
Wir könnten vielleicht auf die Anwesenheit der Minister verzichten, wenn die Koalitionsfraktionen in den Ausschüssen unseren Anträgen mehr Rechnung trügen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Saxowski?
Herr Kollege Susset, wir wollen bei allen Ausführungen, wenn sie auch noch so polemisch sind wie jetzt, bei der Wahrheit bleiben.
Haben Sie in den Fachausschüssen auch nur den Versuch gemacht, Deckungsvorschläge zu unterbreiten, ja oder nein? Stimmt es nicht weiter, daß wir 40 Millionen DM für die Krankenkasse auch zusätzlich aus diesem Haushalt lockergemacht haben? Trifft das zu, ja oder nein?
Herr Kollege Saxowski, ich habe gerade auch hier wieder erklärt, daß wir mit den Vertretern des Haushaltsausschusses in der Fraktion einig gingen. Es ist nun einmal auf Grund der Geschäftsordnung dieses Hauses so, daß in erster Linie die Kollegen des Haushaltsausschusses über diese Frage entscheiden.
— Das müssen Sie mir dann überlassen, Herr Kollege Wehner!
Die Anpassungsbasis ist uns angesichts der gestiegenen Lebenshaltungskosten einfach zu gering. Des weiteren haben wir nochmals kritisch zu bemerken, daß hier die Fragen in bezug auf die Witwen nicht geregelt werden konnten, obwohl hier tatsächlich ein sozialer Notstand vorzufinden ist.
Wir haben nun in der zweiten Lesung vorhin diesem Gesetzentwurf unsere Zustimmung gegeben,
weil wir wissen, daß dieser Gesetzentwurf eilbedürftig ist, weil er ab 1. Januar nächsten Jahres praktiziert werden muß. Wir werden jedoch auch in der Zukunft weiter dafür kämpfen, daß aus der derzeitigen unbefriedigenden Ausgangslage ein Gesetz wird, das eine soziale Sicherung der in der Land-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3741
Sussetwirtschaft Tätigen ermöglicht. Wir stimmen diesem Gesetzentwurf unter diesen Vorbehalten zu.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es muß einiges Erstaunen hervorrufen, daß ein Gesetz, das nun zweifellos ganz wesentliche Verbesserungen für die agrarsozialen Leistungen des Bundes bringt, hier in einer Atmosphäre der Hektik und der gegenseitigen Vorwürfe behandelt wird. Ich wäre dankbar dafür gewesen, wenn wir auch von seiten der Opposition etwas nüchterner gewürdigt hätten, was hier an zusätzlichen Leistungen in Zukunft aufgebracht wird.
Ich wäre auch dankbar dafür gewesen, Herr Kollege Susset, wenn Sie ein solches Gesetz nicht als eine normale Fortentwicklung agarsozialer Leistungen bezeichnet hätten.
Hier kann von normaler Fortentwicklung nicht die Rede sein, gerade wenn man diese Bezeichnung für das Gesetz von seiten der Opposition hört und einmal überlegt, wie sich die agrarsozialen Leistungen von 1957 bis 1969 entwickelt haben. Ich war der Meinung, wir hätten bei der ersten Lesung sehr deutlich einmal darauf hingewiesen, auch mit einzelnen Zahlen, was denn eigentlich in diesem Gesetz steckt. Die Debatte des heutigen Tages zwingt einfach dazu, das noch einmal im einzelnen darzulegen, damit gewisse Untertöne aus dieser Debatte herauskommen, die in ihr so nicht enthalten bleiben dürfen.
Es heißt in diesem Gesetzentwurf — und das ist doch die entscheidende Änderung, meine Damen und Herren von der Opposition —, daß in Zukunft das Altersgeld, durch Gesetz festgelegt, in dem Umfang angepaßt wird, wie das auch in anderen Sozialleistungsbereichen geschehen ist. Wir müssen jetzt einmal Zahlen nennen, um die globalen Abwertungen dieses Gesetzes auszuräumen. Bei 15 Beitragsjahren — die Erhöhung bei mehr Beitragsjahren noch gar nicht berücksichtigt — beläuft sich das Altersgeld nach dem Gesetzentwurf im Jahre 1973 auf 240 DM und steigt z. B. bis zum Jahre 1977 auf 354,30 DM.
— Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie hier von einer Steigerungsrate sprechen, die nur der Inflationsrate angepaßt sei, erinnere ich Sie noch einmal an Ihre 60 DM aus dem Jahre 1957.
Ist das ein entscheidender Unterschied oder nicht?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Glombig?
Bitte sehr!
Herr Kollege Ronneburger, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß dieses Gesetz so schlecht nicht sein kann, wenn die CDU/ CSU-Fraktion ihm bereits in zweiter Lesung zugestimmt hat und ihm auch in der dritten Lesung zustimmen wird? Sollte das nicht eigentlich bedeuten, daß dieses Gesetz auch für die Landwirte ein wirklicher sozialer Fortschritt ist?
Herr Kollege Glombig, ich stehe hier nicht, um die Äußerungen der Opposition zu interpretieren, sondern um sie an bestimmten Punkten. zurückzuweisen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz?
Bitte sehr!
Herr Kollege Ronneburger, würden Sie bestätigen, daß die CDU/CSU-Fraktion wiederholt deutlich gemacht hat, daß sie sehr wohl einige Fortschritte in diesem Gesetz anerkennt, aber eben der Auffassung ist, daß sie nicht weit genug gehen?
Herr Kollege Ritz, ich bestätige Ihnen gerne, daß Sie gesagt haben, dieses Gesetz enthalte einige Verbesserungen. Herr Kollege Susset — ich wiederhole das Zitat noch einmal — hat gesagt, wir hätten es hier mit einer normalen Fortentwicklung zu tun. Eben an diesem Punkt unterscheiden wir uns grundsätzlich in der Auffassung, indem wir eben nicht von normaler Fortentwicklung sprechen und indem wir nicht der Meinung sind, daß hier einige Verbesserungen enthalten sind, sondern davon überzeugt sind, ,daß dieses Gesetz eine neue Epoche agrarsozialer Leistungen einleitet, und zwar einfach mit dem Grundsatz der Dynamisierung und mit dem Grundsatz, daß zusätzliche Beitragsjahre mit jeweils 3 % jährlich zu Buche schlagen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Maucher?
Bitte sehr!
Herr Kollege Ronneburger, Sie sprachen von der nicht normalen Fortentwicklung.
Nein, Herr Susset sprach davon.
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3742 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Ja. — Sie haben die Zahl aus dem Jahre 1957 genannt. Würden Sie mir, wenn Sie diese Zahl mit der heutigen vergleichen, bestätigen, daß sich in der Entwicklung der Landwirtschaft von 1957 bis heute das Bild völlig verändert hat und die jetzige Situation aus diesem Grunde völlig andere Maßnahmen erfordert, als es damals der Fall war?
Würden Sie mir bestätigen, daß im Grunde genommen das damalige Altersgeld im Sinne der Subsidiarität gewährt wurde, während es heute ganz andere Funktionen hat?
Verehrter Herr Kollege, Ihre Äußerung trifft insofern einen für Sie schlechten Diskussionspartner, weil ich Ihnen mit Überzeugung sagen muß ich habe im Jahre 1957 einen landwirtschaftlichen Betrieb bewirtschaftet und tue das mit gewissen Einschränkungen auf Grund meiner Tätigkeit auch heute noch —, die Ertragsleistungen meines Betriebes — ich kenne ein ganze Reihe anderer Betriebe — haben im Jahre 1957 nicht höher gelegen als die Leistungen, die man heute bei vernünftiger Bewirtschaftung aus einem landwirtschaftlichen Betrieb herauszubringen vermag.
Der entscheidende Unterschied ist einfach der, daß Sie mit der Altersgeldleistung, die in diesem Gesetz steckt, heute mehr bewirken und mehr für sich selbst herauswirtschaften können, als das mit den 60 DM des Jahres 1957 möglich war.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Maucher?
Bitte sehr!
Herr Ronneburger, würden Sie mir bestätigen, daß im Jahre 1957 eine Reihe landwirtschaftlicher Betriebe vorhanden waren, bei denen die Übergebenden von den Übernehmenden eine Alterssicherung, die Übernahme der Lebenshaltungskosten, Wohnung usw. aus dem Hof erhielten, während das heute in vielen Fällen nicht mehr der Fall ist?
Verehrter Herr Kollege, wir sind ja gerade der Meinung, daß diese Ablösung der Leistungen des übernehmenden an den ausscheidenden Landwirt durch eine dynamisierte Altershilfe getragen und ersetzt werden soll, um damit an die landwirtschaftlichen Betriebe eine direkte Einkommenshilfe zu leisten.
Insofern stimmen wir da sicherlich überein. Die Frage ist, ob das hier vorliegende Gesetz dieser Tendenz Rechnung trägt.
Ich muß dazu heute folgendes noch einmal sagen. Selbstverständlich kann man wünschen, die Ausgangsposition seien 300 DM, und selbstverständlich kann man wünschen, die Versorgung der Witwen sei besser, als es hier vorgesehen wird. Aber hier ist von Herrn Kollegen Dr. Ritz gesagt worden, in den Beratungen des Haushaltsausschusses werde sich möglicherweise noch eine Deckung für die hier von der Opposition geforderten Mehrleistungen finden lassen. Ich muß fragen: was heißt denn das? Heute und hier sollen wir über dieses Gesetz entscheiden, und uns wird dazu gesagt: Möglicherweise finden wir dafür in zukünftigen Beratungen eine Deckung. Das kann doch nicht Grundlage unserer Entscheidung in diesem Hause sein.
Ich will Ihnen als einer, der aus dem agrarpolitischen Bereich kommt, darüber hinaus auch noch folgendes sagen. Es geht ja nicht nur um eine Deckung für die Bundesmittel, es geht auch darum, daß selbstverständlich die Beiträge steigen müssen, wenn wir in diesem Gesetz höhere Leistungen vorsehen. Dazu sage ich Ihnen mit aller Nüchternheit: es gibt eine ganze Reihe von Alterskassen in ,der Bundesrepublik, die eine solche Beitragserhöhung ablehnen würden. Das bedeutet, daß nicht nur die Deckung für die Leistungen des Bundes fehlt, sondern daß den Anträgen der Opposition auch insofern die Deckungsgrundlage fehlt, als noch gar nicht sichergestellt ist, daß die Betroffenen zu einer höheren Beitragsleitsung bereit sein werden. Auf dieser Basis zu beschließen, diese Anträge der Opposition werden angenommen, das können Sie auch nicht von denjenigen verlangen, die für Verbesserungen der agrarsozialen Leistungen mit aller Entschiedenheit eingetreten sind und auch in Zukunft eintreten werden.
Wir werden uns mit Sicherheit in Zukunft darum bemühen müssen, daß dieses gesamte Gesetzeswerk weiter entwickelt wird. Ich will hier die zusätzlichen Leistungen der CDU/CSU-Anträge nicht noch einmal zahlenmäßig darstellen; das ist hier bereits geschehen. Aber ich will Ihnen folgendes einmal darlegen, damit die Frage dieser 300-DM-Ausgangsposition ein wenig relativiert wird. Nach dem vorliegenden Gesetz ergibt sich folgendes. Ab 1. Januar 1975 macht die Grundstufe für Verheiratete 293,60 DM aus, d. h. in gut einem Jahr wird etwa der Betrag erreicht sein, den Sie heute als Ausgangsposition wollen. Aber verfolgen wir es doch einmal weiter! Zum 1. Januar 1975 werden das bei 16 Beitragsjahren 302,50 DM, bei 17 Beitragsjahren bereits 311,30 DM sein. Das heißt, die Entwicklung geht nach diesem Gesetz automatisch über die Sätze hinaus, die von Ihnen hier als Ausgangsposition gefordert werden, ohne daß sichergestellt ist, daß Bund oder Betroffene zur Aufbringung dieser Leistungen in der Lage und willens sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Herr Kollege Ronneburger, ist Ihnen nicht klar, daß die Dynamisierung, die auch wir begrüßen, auf einem niedrigeren Niveau beginnt und damit auch künftig die Zuwachsraten niedriger sein werden?
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Selbstverständlich sind wir uns darüber einig, daß wir eine niedrigere Ausgangsposition haben; aber ich meine, es wäre von mir dargelegt worden, daß für diese von Ihnen geforderte höhere Ausgangsposition aus zwei Gründen keine Deckung besteht. Sie vergessen immer, daß Sie nicht nur über Bundesmittel, sondern auch über Beitragsleistungen der Betroffenen verfügen. Wenn Sie hier heute auftreten und sagen könnten, hier ist jedenfalls die Zustimmung aller Betroffenen zur Aufbringung höherer Beiträge für eine höhere Ausgangsposition, für Witwenversorgung usw., könnte man sich zumindest auf die Frage beschränken, wieweit im Bundesetat Deckung für Ihre Anträge vorhanden ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?
Herr Kollege Ronneburger! Beitragserhöhungen setzen nicht immer die Zustimmung der Betroffenen voraus — ist Ihnen das bekannt —, wenn Sie Leistungserhöhungen daraus haben wollen. Das ist auch in der Sozialversicherung so.
Nur derjenige, verehrter Herr Kollege, der sich hier zum Anwalt der Landwirtschaft und zum Anwalt derer macht, denen diese von Ihnen geforderten höheren Leistungen zugute kommen sollen, muß natürlich auch mit den Betroffenen gesprochen haben, ob sie denn eigentlich höhere Beiträge und höhere Leistungen wollen. Und daß das der Fall gewesen ist, ist schlechthin nicht zu bestreiten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Bewerunge?
Herr Kollege Ronneburger, könnten Sie mir eine Alterskasse nennen, die sich präzise dagegen ausgesprochen hat, höhere Beiträge zu fordern, um zu höheren Leistungen zu kommen?
Herr Kollege Bewerunge! Ich habe mit der Alterskasse in Schleswig-Holstein Gespräche geführt. Mir ist von dieser Alterskasse ausdrücklich bestätigt worden, daß zwar in Schleswig-Holstein die Bereitschaft bestehe, daß aber eine ganze Reihe weiterer Alterskassen — so die Auskunft, die ich dort erhalten habe — zu einer solchen Erhöhung der Beiträge nicht bereit sei. Ich berufe mich auf diese Aussage.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage. — Bitte, Herr Kollege Susset.
Bitte sehr, Herr Kollege! Könnte das bei der Zeit berücksichtigt werden?
Ja, das ist selbstverständlich.
Herr Kollege Ronneburger! Können Sie bestätigen, daß man heute draußen immer wieder darauf angesprochen wird, doch endlich gesetzliche Regelungen zu schaffen, die den jungen Menschen für das Alter die sozialen Absicherungen gibt, die heute notwendig sind, und daß die meisten sagen: Wir sind sehr gerne bereit, hierfür höhere Beiträge zu zahlen anstelle von Lebensversicherungsbeiträgen usw.? Wenn die Ertragslage so gut ist, wie Sie es aus Ihrem eigenen Betrieb wissen, dann dürfte es doch eigentlich keine Schwierigkeit sein, mit höheren Beiträgen auch eine solide Finanzierungsbasis zu gewinnen.
Herr Kollege, wir müssen doch wohl feststellen, daß diese Alterskassen, von denen hier die Rede ist, ausreichende und sehr weitreichende Selbstverwaltungsorgane haben. Wenn ich die Äußerungen solcher Alterskassen zitiere, dann beziehe ich mich allerdings auf diese Selbstverwaltung. Ich muß daraus wohl die Sicherheit schöpfen dürfen, daß die Äußerungen der Alterskassen aus den Beschlüssen der Selbstverwaltungsorgane hervorgehen. Ich kenne auch eine ganze Reihe von Äußerungen aus dem Kreise meiner Kollegen, die mit den vorliegenden Bestimmungen dieses Gesetzes allerdings insofern sehr zufrieden sind, als sie anerkennen, daß eine grundlegende Änderung dieser Dinge vorgenommen wird.Abschließend möchte ich gern noch auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen, das ist der Anteil des Bundes an den Leistungen der Alterskassen. Wir sind uns sicher darüber einig, daß diese Leistungen des Bundes festgelegt sind auf einen Anteil an den reinen Altersgeldleistungen, daß Rehabilitationen und Verwaltungskosten hierbei ausgenommen sind.
Es wird immer unterstellt, das gebe gewaltige Diskrepanzen. — Aber Sie werden nicht bestreiten, daß es so im Gesetzentwurf steht
und daß es dann so ist, wenn wir dieses Gesetz heute beschließen. Es spricht einiges dafür, daß das der Fall sein wird, nachdem die Opposition in der zweiten Lesung bereits zugestimmt hat.Ich sage Ihnen in aller Nüchternheit: Der Anteil des Bundes an den reinen Altersgeldleistungen beträgt — entschuldigen Sie, ich habe die Zahlen im Moment nicht vor mir — gut 80 °/o. Wenn ich die Rehabilitationskosten mit einrechne und wenn ich mit einrechne, daß diese überproportional steigen, dann habe ich festzustellen, daß wir im Jahre 1977 — bei einem Anstieg der Rehabilitationskosten von 15 % gerechnet — einen Anteil des Bundes an den Gesamtleistungen von immer noch 76,8% haben. Ich glaube, das sollten wir von der Landwirtschaft
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Ronneburgerher auch für eine gute Sache halten. Ich gebe Ihnen zu bedenken — da sollten Sie mir eigentlich zustimmen —, daß 15% Anstieg wahrscheinlich ein sehr hoher Betrag ist. Wenn ich das etwa herunterrechne auf niedrigere Beträge, bin ich mit dem Anteil des Bundes an den Gesamtleistungen der Alterskassen immer noch bei etwa 80 %. Weiter bitte ich die Opposition zu bedenken, daß eine Ausdehnung einer solchen festen Bindung der Leistungen des Bundes auch an die Rehabilitations- und die Verwaltungskosten bedeuten würde, daß sich der Bund auf eine prozentuale Beteiligung an Beträgen festlegt, die der Entscheidung der Alterskassen selbst unterliegen und vom Bund nicht beeinflußt werden können. Eine solche Bindung halten wir allerdings bei aller positiven Einstellung zu den Alterskassen und zu der Frage agrarsozialer Leistungen für bedenklich.Ich fasse zusammen. Dieser Gesetzentwurf bedeutet eine entscheidende Verbesserung der Leistungen der Agrarsozialpolitik. Ich mache Ihnen das noch einmal an einigen wenigen Zahlen klar. Wir haben heute für das Jahr 1974 im Etat des Bundes Leistungen für die Altershilfe und die Landabgaberente in Höhe von 1 158 Millionen DM vorgesehen. Nach der langfristigen Finanzplanung steigen diese Beträge von Jahr zu Jahr bis zum Jahre 1975 auf 1 375 Millionen DM, 1 460 Millionen DM im Jahre 1976 und schließlich 1 590 Millionen DM im Jahre 1977. Damit belaufen sich — ich sage das sehr betont in Richtung auf die Opposition — die gesamten Bundeszuschüsse für die agrarsozialen Leistungen auf 2 600 Millionen DM im Jahre 1976.Dies einmal zur Kenntnis genommen im Zusammenhang mit den strukturellen Verbesserungen der Agrarsozialpolitik, die in diesem Gesetzentwurf enthalten sind, sollte eigentlich Veranlassung dafür sein, sich zwar gemeinsam weiter um die Entwicklung dieses Bereiches zu bemühen, aber im Augenblick keine Forderungen zu stellen, die weder im Etat des Bundes gedeckt sind noch bei denen sichergestellt wäre, daß die Betroffenen bereit wären, den auf sie entfallenden Anteil an diesen höheren Leistungen aufzubringen.Ich meine, allen Mitgliedern dieses Hauses sollte die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf ohne Schwierigkeiten möglich sein.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Rohde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf für den Herrn Bundesarbeitsminister, der heute eine seit langem übernommene Verpflichtung im Ausland wahrnimmt, einige Anmerkungen zur Debatte über den Gesetzentwurf zur Dynamisierung des Altersgeldes machen und zunächst unserer Freude darüber Ausdruck geben, daß der von der Regierung eingebrachte Entwurf nunmehr zur abschließenden Beratung vorliegt. Da-bei möchte ich vor allem den Kolleginnen und Kollegen aus den beteiligten Ausschüssen aufrichtig für die zügige Beratung danken. Denn nunmehr kann sich die Praxis auf das am 1. Januar 1974 in Kraft tretende Gesetz einrichten. Die Altersgeldbezieher können damit rechnen, daß sie alsbald die Altersgelderhöhungen erhalten.Die Bundesregierung hatte im vergangenen Jahr die Dynamisierung dieser Leistungen zugesagt. Sie hat, das zeigen dieser Gesetzentwurf und die Beratung, ihr Versprechen gehalten. Die Dynamisierung hat ihr soziales Gewicht. Wer weiß, was die Dynamisierung von Sozialleistungen insgesamt für die Sicherung der Lebensverhältnisse von Menschen bedeutet, wird nicht geneigt sein — so wie der Kollege Susset das heute gemacht hat —, das mit einer Handbewegung abzutun. Wenn es etwas so Selbstverständliches gewesen ist, die Dynamisierung der Altersgelder zu vollziehen, wie Herr Kollege Susset das dargestellt hat, dann muß er sich auch die Frage gefallen lassen, warum diese Selbstverständlichkeit von einer früheren Bundesregierung, in der die CDU/ CSU den Arbeitsminister gestellt hat, nicht vollzogen worden ist.
Die ehemaligen Landwirte sollen also zukünftig an dem allgemeinen wirtschaftlichen Fortschritt teilnehmen. Diese Zielsetzung findet in dem vorliegenden Gesetz Ausdruck. Zunächst werden die Altersgelder mit Wirkung vom 1. Januar 1974 von jetzt 240 DM monatlich für Verheiratete auf 264 DM und für Unverheiratete von 160 DM monatlich auf 176 DM erhöht. Von diesem erhöhten Betrag ausgehend sollen die Altersgelder dann vom 1. Januar 1975 an alljährlich durch Gesetz entsprechend der Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage angepaßt werden. Die Landwirte können — das will ich heute anmerken daher schon heute davon ausgehen, daß ihre Altersgelder nach der Erhöhung im Jahre 1974 für 1975 um mehr als 11 v. H. erhöht werden. Die Landabgaberente wird ebenfalls an der Erhöhung und Dynamisierung des Altersgeldes teilnehmen.Ich möchte noch auf einen anderen Tatbestand aufmerksam machen, der, wie mir scheint, in der heutigen Debatte zu kurz gekommen ist: Eine weitere grundsätzliche Neuerung wird mit der vorgesehenen Staffelung der Altersgelder nach der Dauer der Beitragszahlung eingeführt. Erstmalig gegen Ende dieses Jahres wird es Beitragszahler geben, die mehr als 15 volle Jahre Beiträge entrichtet haben. Nun entspricht es nach unserer Auffassung sozialer Gerechtigkeit, daß über die gesetzliche Wartezeit hinausgehende Beitragszeiten berücksichtigt werden. Das bedeutet, daß für jedes über 15 Jahre hinausgehende volle Beitragsjahr künftig das Altersgeld um 3 v. H. erhöht werden soll, so daß nach insgesamt 30 Beitragsjahren eine Steigerung des Altersgeldes um fast die Hälfte eintritt.Wir werden im Zusammenhang mit den Erörterungen des von der Bundesregierung vorgelegten Sozialberichts eingehender als heute die Leitlinien behandeln können, die auch Grundlage für diesen
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Parl. Staatssekretär RohdeGesetzentwurf waren. Ich will an dieser Stelle nur anmerken: Auch mit diesem Gesetz zeichnet sich deutlich ab, daß das Fundament der sozialen Sicherung in der Landwirtschaft und der agrarsozialen Leistungen in den letzten Jahren breiter und fester geworden ist, als wir es im Jahre 1969 vorgefunden haben.
Der Sozialbericht — darauf kommen wir im Parlament später, wie gesagt, noch im einzelnen zu sprechen — wird Ihnen weiter dokumentieren, daß sich der Kreis der dynamisierten Sozialleistungen für jene Fälle, die auf den Lebensunterhalt bezogen sind, in den letzten Jahren erheblich ausgeweitet hat — von der Kriegsopferversorgung bis zu dem Bereich, den wir heute behandeln. Dynamisierung ist ein fachlich kühles Wort. Aber es bedeutet doch Wichtiges: daß nämlich die Sozialleistungen und die Empfänger von Sozialleistungen damit integriert sind in die Wirtschafts- und Wachstumsprozesse der Gesellschaft. Das ist nicht nur ein fachlicher Vorgang. Das ist ein substanziell sozialer Vorgang, mit dem wir es zu tun haben. Es hat sich also nicht nur die agrarsoziale Basis verbreitert, sondern auch die Basis der dynamisierten Sozialleistungen. Drittens ist schließlich noch festzustellen, daß der soziale Flankenschutz für den Strukturwandel in der Landwirtschaft differenzierter geworden ist. Das bezieht sich nicht nur auf die Barleistungen, sondern auch auf die Dienstleistungen der verschiedensten Arten und Bereiche, von der Rehabilitation bis hin zur Krankenversicherung. Deshalb scheint es mir nicht gerechtfertigt zu sein, wenn die Opposition die Sozialpolitik für die Landwirtschaft im Tone des Vorwurfs behandelt.Im Gegensatz zu den Anmerkungen des Kollegen Horstmeier möchte ich darauf hinweisen, daß Maßnahmen wie Dynamisierung und die von mir genannte Staffelung des Altersgeldes mit gewichtigen finanziellen Konsequezen verbunden sind. Die Bundesregierung weiß, daß angesichts des Strukturwandels in der Landwirtschaft soziale Absicherungen notwendig sind. Demgemäß ist in dem Gesetz die Finanzierung neu geregelt und der Bund verpflichtet, in Zukunft den für das Jahr 1973 bereitgestellten Bundeszuschuß jedes Jahr in dem Verhältnis aufzustocken, in dem die Gesamtausgaben für das Altersgeld steigen. Das bedeutet eine für die Zukunft gesetzlich festgelegte Beteiligung des Bundes an den Altersgeldaufwendungen in dem derzeit gegebenen Umfang von fast 85 °/o.Erwähnung verdient aus unserer Sicht in diesem Zusammenhang auch der Ausgleich des im Jahre 1973 hei den landwirtschaftlichen Alterskassen entstehenden Defizits in Höhe von 35 Millionen DM. Auf diese Weise wird dafür gesorgt, daß diese Finanzierungslücke nicht über eine Beitragserhöhung zu Lasten der Landwirte noch in diesem Jahre geschlossen werden muß. Der Kollege Susset hat hier mit einer Handbewegung --- nach dem Motto: was ist das schon? über diese 35 Millionen DM gesprochen. Ich sage Ihnen, Herr Kollege: 35 Millionen DM konkret bereitzustellen ist natürlichetwas anderes, als 300 Millionen DM nur zu fordern und keine Deckung parat zu haben.
Deshalb will ich in diesem Zusammenhang noch einige Anmerkungen zu den Anträgen der Opposition machen, nur kurz, um die Debatte um diesen Punkt nicht zu vertiefen.
— Sie können sich dazu noch äußern, wenn Sie das für richtig halten. — Ich sagte schon, daß die heute von Ihnen vorgelegten Anträge einen Betrag von annähernd 300 Millionen DM ausmachen. Die Debatte hat sichtbar werden lassen, daß weder in den Ausschüssen — wie die Redner hier erklärt haben — noch heute in der zweiten und dritten Lesung von der Opposition ein Deckungsvorschlag gemacht werden konnte. Diese Art von Politik halte ich vor allem deshalb für nicht solide, Herr Kollege Franke, weil wir, wie Sie genau wissen, in der Sozialpolitik und in der Gestaltung der Sozialleistungen immer mehr dazu übergegangen sind, bei ausgabewirksamen Beschlüssen Planungen über die Auswirkungen in den nächsten Jahren aufzustellen. Sie gehen teilweise über dieses Jahrzehnt hinaus. Bei dem Volumen sozialer Sicherung, von dem wir heute ausgehen müssen, ist es ein wesentlicher Grundzug geworden, soziale Leistungsverbesserungen auf die Grundlage längerfristiger finanzieller Planungen zu stellen. Daran müssen wir uns auch im Zusammenhang mit dem heutigen Entwurf halten, ein Grundzug, an den sich nach meiner Meinung nicht nur die Regierung, sondern auch die Opposition gebunden fühlen sollte. An die Stelle von Planung einfach das Augenzwinkern zu setzen und sich der Auffassung hinzugeben: „Wir wollen mal sehen, wie es läuft", erscheint doch als ein völlig unangemessenes Verhalten in der Sozialpolitik.
Die Bundesregierung hat — das wird die Sozialberichterstattung deutlich machen — in der Agrarsozialpolitik seit 1969 wesentliche Fortschritte verwirklicht. Allein im Bereich der Altershilfe ist der gesetzliche Leistungspegel in diesem Zeitraum von vier Jahren jetzt zum drittenmal angehoben worden. Ich darf noch darauf hinweisen, daß der heutige Gesetzentwurf neben den erwähnten Verbesserungen einen Ausbau der Zuschußgewährung zur Nachentrichtung von Beiträgen zur Rentenversicherung enthält, um die strukturellen Veränderungen in diesem Bereich noch besser auffangen zu können. Sie sehen, wie wir uns bemühen, auch die Beziehungen zwischen den einzelnen Sozialleistungsbereichen noch besser als in der Vergangenheit zu verzahnen.Im ganzen sehen wir in diesem Entwurf einen wichtigen und sich positiv auswirkenden Schritt auf dem Wege zu mehr sozialer Sicherheit in der Landwirtschaft.
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3746 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Ich bitte, wieder Platz zu nehmen, um die Schlußabstimmung mit der Abstimmungsanlage durchführen zu können. Bitte überprüfen Sie freundlicherweise noch einmal die Identitätsnummern, die Sie ja haben. Ich frage: Sind die Nummern alle eingestellt? — Ich darf darauf aufmerksam machen, daß Sie wegen des Gewichtes, das bekanntlich bei der Anlage eine gewisse Rolle spielt, im Sitzen abstimmen müssen.
Dann kommen wir zur Abstimmung. — Meine Damen und Herren, das Gesetz ist einstimmig angenommen; zwei Enthaltungen.
Ich unterbreche die Sitzung des Deutschen Bundestages.
Um 13.30 Uhr beginnt die Fragestunde. Die Sitzung ist unterbrochen.
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Fragestunde
— Drucksachen 7/1182, 7/1204 —
Zu Beginn kommen wir zu den Dringlichkeitsfragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen.
Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Herold zur Verfügung.
Ich rufe die Dringlichkeitsfrage 1 des Herrn Abgeordneten Dr. Abelein auf:
Verstößt die am 15. November 1973 in Kraft tretende Regelung nach Ansicht der Bundesregierung gegen „Buchstaben und Geist" der mit der DDR beschlossenen Verträge, und wird die Bundesregierung sofort in Verhandlungen mit der DDR eine Änderung herbeizuführen versuchen?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Professor Abelein! Ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten.
In den Verträgen mit der DDR und den dazugehörenden Briefen wird über die Frage des Mindestumtauschs nichts gesagt. Eine Erhöhung der Umtauschbeträge in dieser Größenordnung wirkt sich jedoch auf die Vereinbarungen aus, im Zuge der Normalisierung der Beziehungen praktische und humanitäre Fragen nach Art. 7 des Grundlagenvertrages zu regeln und, wie im Briefwechsel vom 21. Dezember 1972 festgelegt worden ist, den grenzüberschreitenden Reise- und Besuchsverkehr einschließlich des Tourismus weiter zu verbessern.
Die Bundesregierung hat in ihrer Erklärung vom 5. November 1973 zum Ausdruck gebracht, daß sie keinerlei Verständnis für die empfindliche Erschwerung des Reisens in die DDR durch die Erhöhung der Umtauschquote hat und daß sie das Vorgehen der DDR ausdrücklich bedauert. Die Bundesregierung wird jede ihr zur Verfügung stehende Gesprächsmöglichkeit mit der DDR nutzen; wie Sie wissen, findet heute ein Treffen des Herrn Bundesministers Bahr mit Herrn Kohl statt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Ansicht, daß diese neue Regelung betreffend den Umtausch gegen die Abmachungen, die diese Bundesregierung mit der Regierung der DDR getroffen hat, verstößt?
Wir sind der Meinung, daß die Regelung nicht im Einklang mit dem steht, was nach Art. 7 des Grundlagenvertrages zwischen den Vertragspartnern festgelegt worden ist.
Ich hätte eine zweite Frage.
Bitte schön.
Ist die Bundesregierung in den laufenden Besprechungen zwischen Minister Bahr und Staatssekretär Kohl oder auf andere Weise von der Absicht der SED informiert worden, die Zwangsumtauschquote im innerdeutschen Reiseverkehr zu verdoppeln?
Sie ist nicht informiert worden, was auch in der Erklärung der Bundesregierung vom 5. November 1973 zum Ausdruck kommt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie heute der Auffassung, daß es richtiger gewesen wäre, im Zuge der Verhandlungen über den Grundvertrag zu Abmachungen auch über solche wichtigen Fragen zu kommen, damit heute der Bundesregierung die Peinlichkeit erspart bliebe, in dieser Weise reagieren zu müssen?
Diese Dinge sind, wenn Sie so wollen, für uns alle, vor allen Dingen für den Personenkreis, der in die DDR einreisen will, äußerst unangenehm. Nur glaube ich, daß man die heute zur Debatte stehenden Fragen nicht in einem Vertrag regeln kann. Sie wissen, daß auch andere sozialistische Länder bis zur Stunde an einer Art Umtauschpflicht festhalten. Wir sind nach wie vor darum bemüht, wie mit Staaten des Westens Regelungen zu erreichen, die eine Umtauschpflicht eines Tages ausschließen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3747
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Kunz.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob die Erhöhung der Zwangsumtauschquote bei den Gesprächen zwischen Wehner und Honecker erörtert worden ist?
Das ist mir nicht bekannt. Ich glaube, daß Sie diese Frage Herrn Kollegen Wehner selbst stellen sollten.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Dringlichkeitsfrage 2 des Herrn Abgeordneten Böhm auf:
Sind der Bundesregierung sonstige, bereits erlassene oder in Vorbereitung befindliche Maßnahmen der DDR bekannt, die zu einer Erschwerung des innerdeutschen Reiseverkehrs führen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Ihre Frage, Herr Kollege Böhm, beantworte ich mit Nein. Wenn Sie allerdings die Verordnungen der DDR über Sperrbezirke oder den Ausschluß von Geheimnisträgern vom Kreis der Reiseberechtigten ansprechen wollen, so weise ich darauf hin, daß diese Einschränkungen bereits vor dem Abkommen bestanden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß in jüngster Zeit solche Personen, die von der SED zu Geheimnisträgern erklärt worden sind, die Genehmigung zu Reisen in die Bundesrepublik erst drei Jahre nach Erreichen des Rentenalters erhalten?
Ich kann hier nicht eindeutig sagen, daß Fälle dieser Art bekannt sind. Es gibt aber auch bei uns Verordnungen, die Geheimnisträger betreffen und die festlegen, daß solche Personen Beschränkungen bei Reisen in sozialistische Staaten unterliegen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wollen Sie damit die Bemühungen des demokratischen Staates Bundesrepublik Deutschland moralisch in gleicher Weise wie die Bemühungen der DDR, den innerdeutschen Reiseverkehr zu erschweren, qualifizieren?
Herr Kollege Böhm, Sie haben mich doch so gefragt, daß ich Ihnen nach bestem Wissen eine Auskunft geben muß, auch wenn diese unbequem ist. Ob ich beides miteinander vergleichen wollte, müßten Sie, Herr Kollege, am besten beurteilen können. Sie kennen mich doch aus den Ausschüssen, wo man freier und offener reden kann und wo ich meine Meinung bisher nicht verhehlt habe.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Kunz .
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß zunehmend und mit besonderer Konsequenz das SED-Regime solchen DDR-Bürgern die Ausreise verweigert, die als religiös überzeugt gelten oder sonst eine Überzeugung haben, von der das SED-Regime weiß, daß es nicht die seinige ist?
Was Sie hier ansprechen oder feststellen wollen, kann ich nicht bestätigen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Mattick.
Herr Staatssekretär, ich wollte nur fragen, ob Sie bestätigen können, daß die Vorschriften der deutschen Bundesregierung in bezug auf Beschränkungen bei Reisen bestimmter Beamter in die DDR und andere Ostgebiete von früheren Regierungen erlassen worden sind und ihr Umfang von der jetzigen Regierung eingeschränkt worden I ist?
Ja, das kann ich bestätigen, Herr Kollege Mattick.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß eine Maßnahme wie die, von der eben die Rede ist, unter die Pflicht zur gegenseitigen Konsultation der beiden Regierungen fällt, und können Sie uns darüber Aufschluß geben, ob diese Konsultation im Falle dieser Maßnahme seitens der DDR-Regierung gegenüber der Bundesregierung erfolgt ist?
Ich habe diese Frage bereits beantwortet und gesagt, daß keine Konsultationen stattfanden und daß es besser gewesen wäre, wenn man vorher miteinander gesprochen hätte.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Hupka.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in Mitteldeutschland in Betriebsversammlungen dazu animiert wird, keine
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3748 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Dr. HupkaReisen in die Bundesrepublik Deutschland anzutreten?
Es ist nach meiner Kenntnis richtig, daß bei Betriebsversammlungen in der DDR in dieser Art Empfehlungen ausgesprochen werden.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Mertes.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß die Handhabung des Geheimnisschutzes und die Verwendung des Geheimnisschutzarguments im Zusammenhang mit dem innerdeutschen Personenverkehr in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR qualitativ nicht zu vergleichen ist?
Ich teile Ihre Auffassung.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Höhmann.
Herr Staatssekretär, können Sie nicht auch bestätigen, daß, obwohl die DDR bemüht ist, Reisen aus der DDR in die Bundesrepublik möglichst zu unterbinden, die Zahl der Reisenden in die Bundesrepublik immerhin zugenommen hat, weil der Kreis der Verwandten, die die Bundesrepublik besuchen dürfen, erweitert worden ist?
Das ist richtig. Es kann festgestellt werden, daß trotz dieser Bemühungen einzelner Funktionärskader die Zahl der Besucher, die von der Bundesrepublik Deutschland in die DDR reisen können, einen neuen Höchststand erreicht hat. Wir haben von Anfang Januar bis Oktober 1973 rund 1,8 Millionen Besucher im Gegensatz zu der Vergleichszahl des vergangenen Jahres von rund i Million verzeichnen können. Dies zeigt, daß die Maßnahmen der DDR nicht den Erfolg hatten, der ihnen zum Teil unterstellt wird.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Abelein.
Herr Staatssekretär, können Sie für den Besucherverkehr in ost-westlicher Richtung von einer ähnlich günstigen Entwicklung berichten?
Ich kann hier erklären, daß sich die Zahlen bei den Reisen von Rentnern interessant entwickelt haben. Wenn ich die Zahlen des Vorjahres denen dieses Jahres gegenüberstelle, so ist eine Steigerung von 150 000 bis 200 000 Personen zu verzeichnen. Dazu kommen
— das wissen Sie — die Reisen im Bereich der dringenden Familienangelegenheiten. Hier haben wir erst im Juni/Juli beginnen können, dennoch lassen sich die Zahlen sehen. Es sind zwischen 50 000 und 60 000 Personen, die die Bundesrepublik in dringenden Familienangelegenheiten besuchen konnten.
Ich möchte für diesen Bereich noch die Vergleichszahlen nennen, obwohl ich sie hier schon mehrfach angeführt habe. Wir hatten in der Zeit vor dem Abkommen Besuche von im Schnitt etwa 200 bis 350 Personen monatlich. Dabei waren Besucher aus allen Bereichen einschließlich der Funktionäre, der Monteure, der Arbeiter, der Vortragsredner, also alle Personen, die hier bei uns zu tun hatten. Die Steigerung auf mehr als 50 000 Personen bedeutet also eine Erfolgsbilanz. Natürlich kann man sagen, daß das noch zu wenig ist. Auch wir sind nicht damit zufrieden. Aber ich glaube, wir haben eine gute Basis, um eine Ausweitung zu erreichen.
Ich rufe die Dringlichkeitsfrage 3 des Herrn Abgeordneten Kunz auf:
Welche Auswirkungen wird nach Ansicht der Bundesregierung die Verdoppelung der Zwangsumtauschquote haben in bezug auf den kleinen Grenzverkehr, in bezug auf sonstige Reisen in die DDR?
Die Bundesregierung kann heute natürlich noch nicht feststellen, wie sich das im einzelnen auswirken wird. Aber ich glaube, man muß eine gewisse Sorge haben, daß verschiedenen Personenkreisen die Reisemöglichkeiten erschwert werden. Das ist unbestritten richtig.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, müssen wir nicht alle befürchten, daß es auf Grund der Verdoppelung der Zwangsumtauschsätze fast zu einer Halbierung der Besucherzahlen kommt und auf der anderen Seite das Regime etwa dieselben Einnahmen erzielt wie bisher?
Ich bin daran interessiert, daß eine Ausweitung erfolgt. Ich kann deshalb jetzt nicht orakeln, ob es zu der von Ihnen befürchteten Halbierung kommt. Sie nehmen diese Zahl wahrscheinlich deshalb an, weil ungefähr 50 % der Reisenden in die DDR Rentner sind. Herr Kollege Kunz, ich bin der Meinung, daß sich viele, die vorhaben zu reisen, durch die zusätzlichen 10 DM nicht an einem Besuch hindern lassen werden, sondern ich glaube, den meisten, die reisen wollten, liegt an dem Zusammenkommen mit Verwandten und Freunden in der DDR sehr viel, so daß sie bereit sind, diese 10 DM zuzulegen. Im Grundsatz allerdings muß man Sorge haben, daß sich der Reiseverkehr verringert. Wir hoffen jedoch, daß es dazu nicht kommt.
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Eine zweite Zu-satzfrage.
Herr Staatssekretär, muß nicht insbesondere wegen der Betroffenheit der Rentner für Berlin, wo der Rentneranteil besonders hoch ist und einen besonders vitalen Faktor des Besuchsverkehrs darstellt, befürchtet werden, daß gerade hier der Zusammenhang und das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Stadt Berlin besonders getroffen werden soll?
Ich möchte erklären, daß wir nach wie vor — ich sagte dies bereits auf eine der Fragen des Herrn Kollegen Dr. Abelein — darum bemüht sind, diese Dinge zu klären. Wieweit uns das gelingt, vermag ich heute nicht zu sagen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Heyen.
Herr Staatssekretär, ist es nicht bezeichnend, daß die DDR-Regierung, die sich in aller Welt als Anwalt der Arbeiterschaft und der unterprivilegierten Schichten darstellen möchte, mit ihren Maßnahmen genau die Westberliner Arbeiter und Rentner trifft?
Das möchte ich bestätigen; es ist für mich unverständlich, daß ausgerechnet diese Schichten betroffen werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, bei den bevorstehenden Verhandlungen mit der DDR über die Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen Abmachungen darüber zu treffen, daß künftig derartige Gebührenerhöhungen nicht mehr einseitig, sondern nur noch in gegenseitigem Einvernehmen der beiden Staaten in Deutschland vorgenommen werden?
Ich möchte beides aus bestimmten Gründen, die auch Sie kennen, Herr Kollege Jäger, nicht miteinander verquicken. Daß wir jedoch jede Gelegenheit wahrnehmen werden, um im Interesse der Menschen zu vernünftigen Regelungen zu kommen, steht wohl außer Zweifel.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Abelein.
Herr Staatssekretär, da Sie von Bemühungen der Bundesregierung im gegenwärtigen Zeitpunkt reden, frage ich Sie: Meinen Sie nicht, es wäre besser und wirkungsvoller gewesen, entsprechende Bemühungen vor einem Jahr hei Aushandlung des Grundvertrages zu unternehmen, um solche Schwierigkeiten durch entsprechend präzise Formulierungen von vornherein zu verhindern?
Aber, Herr Kollege Dr. Abelein, ich hatte gestern die Ehre, Ihnen einige ganz harte Zahlen auf den Tisch zu legen, die bewiesen haben, daß wir ein großes Stück vorangekommen sind und daß diese Verträge tatsächlich die menschlichen Erleichterungen in einer Form und in einer Weise ausgeweitet haben, wie wir uns das gemeinsam wahrscheinlich nicht vorstellen konnten. Ich glaube, auch das muß heute festgestellt werden. Die Zahlen dazu liegen auf dem Tisch.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, sich darüber Gedanken zu machen, inwieweit man den Rentnern helfen kann, trotz dieser erhöhten Zwangsumtauschsumme die Reise nach Ost-Berlin und nach Mitteldeutschland anzutreten?
Über diese Dinge wird selbstverständlich nicht nur nachgedacht, sondern darüber wird auch gesprochen werden.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Höhmann.
Herr Staatssekretär, gibt es eigentlich irgendeinen Vertrag mit einem anderen Staat, in dem die Gebühren für Visa oder Geldumtausch von vornherein festgelegt sind?
Mir ist keiner bekannt.
Eine Frage des Abgeordneten Böhm.
Herr Staatssekretär, unter Bezug auf die von Ihnen erwähnte positive Bilanz des Reiseverkehrs möchte ich Sie fragen, ob Sie meine Vermutung teilen, daß gerade wegen dieser positiven Bilanz die DDR jetzt entschlossen ist, durch die Erhöhung des Zwangsumtausches in konsequenter Verfolgung ihrer bisherigen Politik diesen Reiseverkehr zu drosseln?
Ich habe Ihnen vorhin am Beispiel der Reisenden aus der Bundesrepublik Deutschland in die DDR aufgezeigt, daß nicht eingetreten ist, was manche von uns und von Ihnen
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Parl. Staatssekretär Heroldbefürchtet haben. Daß die von Ihnen angesprochenen Motive heute eine Rolle spielen können, will ich aber nicht in Frage stellen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß die DDR-Regierung im Hinblick auf die innerdeutsche Zielsetzung des Grundvertrages den Begriff der Souveränität der Staaten im Vergleich zu dem Menschenrecht der Freizügigkeit im eigenen Land mißbräuchlich weit auslegt?
Ich würde nicht von Mißbrauch reden. Aber ich glaube, es wäre gut, wenn man bei dieser Gelegenheit an die Rede des Herrn Winzer vor den Vereinten Nationen erinnert.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Mende.
Herr Kollege Herold, ist die Bundesregierung bereit, angesichts der Verdoppelung des Zwangseintrittsgeldes in die DDR zu prüfen, ob es weiter verantwortlich ist, im Rahmen des innerdeutschen Handels der DDR jene Vergünstigunqen zu gewähren und jenen zinslosen Kredit, der jetzt bereits über 600 Millionen DM beträgt, und gedenkt sie auch vielleicht. diesen zinslosen Kredit auf 300 Millionen DM zu halbieren?
Herr Kollege, diese Frage steht nicht mehr in unmittelbarem Zusammenhang mit der gestellten Frage. Wir können sie nicht beantworten.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Seiters.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung wie der Regierende Bürgermeister von Berlin der Ansicht, daß die Verdoppelung der Umtauschquote eine Aushöhlung bestehender Vereinbarungen darstellt, und wird sie in den bevorstehenden Verhandlungen mit der DDR zum Ausdruck bringen, daß sie die umfassende Förderung der Besuche zwischen beiden Teilen Deutschlands nach wie vor als eine der Hauptaufgaben innerdeutscher Politik ansieht?
Von einer Aushöhlung würde ich nicht sprechen. Ich darf wiederholen, daß die Reisen durch die Neuregelung der DDR eventuell erschwert werden könnten.
Keine Frage mehr.
Ich rufe die Frage 4 des Herrn Abgeordneten Lagershausen auf.
Herold, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen. Frau Präsidentin, ich glaube, ich habe diese Frage bereits im Zusammenhang mit der Frage des Herrn Kollegen Dr. Abelein beantwortet.
Zudem ist der Herr Kollege nicht anwesend, wie ich sehe. Die Frage wird daher noch schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit sind die Dringlichkeitsfragen beantwortet.
Wir kommen zu den übrigen Fragen, zunächst aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Davon sind die Fragen 112 bis 117 und 120 bis 121 auf Bitten der jeweiligen Fragesteller schriftlich zu beantworten. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Die Fragen 118 und 119 sind zurückgezogen. Damit gibt es für diesen Geschäftsbereich keine Fragen mehr.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Moersch zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 130 des Herrn Abgeordneten Dr. Schäuble auf:
Treffen Pressemeldungen zu, wonach bei der Erstfirmung des Präsidentenpalastes in Santiago bundesdeutsche Waffen gefunden worden seien, und zu welchen genehmigungspflichtigen Waffentransaktionen hat die Bundesregierung wenige Zeit vor dein Militärputsch in Chile kurzfristig ihre Einwilligung gegeben?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung kann Pressemeldungen, wonach bei der Erstürmung des Präsidentenpalastes in Santiago de Chile bundesdeutsche Waffen gefunden worden • seien, nicht bestätigen. Es trifft auch nicht zu, daß die Bundesregierung wenige Zeit vor dem Militärputsch in Chile kurzfristig Ausfuhrgenehmigungen für genehmigungspflichtige Kriegswaffentransaktionen erteilt hat.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, die Genehmigungen für die letzten Waffenlieferungen aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vor dem Militärputsch in Chile hier konkret anzugeben?
Selbstverständlich, Herr Abgeordneter. Es gibt eine einzige aus diesem Jahr, und die ist vom März: für 17 Maschinenpistolen für die chilenische staatliche Zollfahndung.
Keine Zusatzfrage?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3751
Vizepräsident Frau FunckeIch rufe die Frage 131 des Herrn Abgeordneten Engelsberger auf. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 132 des Herrn Abgeordneten Dr. Warnke auf. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 133 des Herrn Abgeordneten Kahn-Ackermann auf:Wie vereinbart das Auswärtige Amt Neuinvestitionen von annähernd 60 Millionen Mark für Auslandsschulbauten mit der inzwischen erhärteten Überzeugung, daß das durch zahlreiche Schwierigkeiten belastete Auslandsschulwesen — bei dem nach Angaben der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen 80 % der entsandten Lehrer nicht oder nicht ausreichend vorgebildet werden können — sinnvoll vermindert werden sod, z. B. in Ländern wie Spanien und Brasilien, Ländern, in denen die Schulstrukturen nach wie vor sehr reformbedürftig sind?Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, für Grundstückserwerb, Neubauten, Umbauten und Erweiterungsbauten von Schulen im Ausland stehen im Jahre 1973 23 590 000 DM zur Verfügung. Die Planungsvorhaben umfassen nur Projekte besonderer Dringlichkeit, die zum Teil schon wiederholt zurückgestellt werden mußten. Das Auswärtige Amt würde weitere Investitionen in Schulbauten nicht befürworten, wenn es nicht auch im Einzelfalle überzeugt wäre, daß die jeweilige Schule eine sinnvolle Funktion erfüllt und von ihrer Struktur her die ihr gestellten Aufgaben und die in sie gesetzten,. Erwartungen erfüllen kann.
Das Auswärtige Amt, die Länder wie auch die Enquête-Kommission für auswärtige Kulturpolitik des Deutschen Bundestages sind der Ansicht, daß das Auslandsschulwesen nach wie vor ein wichtiges und wirksames Instrument der auswärtigen Kulturpolitik darstellt. Die Beseitigung der Unzulänglichkeiten ist unterdessen längst in Angriff genommen worden. So haben sich Auswärtiges Amt und die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen in den vergangenen eineinhalb Jahren mit Strukturfragen der Schulen in. 26 Ländern befaßt.
Das Problem der Vorbereitung der ins Ausland vermittelten Lehrer wird vom Auswärtigen Amt sehr wohl gesehen. Die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen führt auch gegenwärtig im Rahmen des Möglichen Einführungslehrgänge durch. Das Auswärtige Amt hofft jedoch, möglicherweise schon im Jahre 1975 soweit zu sein, daß alle ins Ausland entsandten Lehrer zusammen mit den „Goethe-Dozenten.", den DAAD-Lektoren und vielleicht auch den künftigen Kulturreferenten eine umfassende und sachgerechte Vorausbildung erhalten können.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie sich der Tatsache bewußt, daß bezüglich der hier von Ihnen angedeuteten Möglichkeiten hinsichtlich einer Abstellung der ganz offensichtlich vorhandenen und von Ihnen auch erwähnten Mängel im Auslandsschulwesen, wie sie vom Präsidenten der Zentralstelle für die Auslandsschulen angesprochen sind, große Skpesis besteht, und ist die Bundesregierung nicht bereit, auch im Zuge ihrer mittelfristigen Planung, wie sie im März dieses .Jahres im Auswärtigen Amt veröffentlicht worden ist, die Reduzierung des Auslandsschulwesens etwas drastischer voranzutreiben, als dies bisher geschehen ist, zumal sich viele Beobachter darüber im klaren sind, daß es sich hier weniger um ein Mittel aktiver Auslandskulturpolitik als vielmehr größtenteils um Einrichtungen zur Befriedigung von verschiedenen Bildungsansprüchen Deutschstämmiger und auch von Bundesbürgern in den betreffenden. Staaten handelt?
Herr Abgeordneter, die Frage ist sehr vielschichtig. Ich würde sie nicht mit dem Begriff „drastisch" oder mit dem Komparativ „drastischer" umschreiben. wollen.
Wir haben Planungen vorgenommen, die eine Grundtendenz unserer auswärtigen Kulturpolitik zum Inhalt haben; diese Planungen müssen wir selbstverständlich den Realitäten anpassen. Es hat keinen Sinn, das, was man im Inland für möglich oder auch für notwendig erachtet, im Ausland ohne Rücksicht auf die Gefühle der betroffenen Staaten und ihrer Völker nach eigenem Schematismus vorzunehmen.
Das Thema ist so vielfältig, daß man es in einer Fragestunde, in der man auf kurze Antworten angewiesen ist — nach der Geschäftsordnung übrigens auch auf kurze Fragen --, kaum bewältigen kann. Dieses Thema eignet sich wohl eher zu einer Erörterung in den entsprechenden Gremien des Bundestages, in den Ausschüssen, vielleicht auch in einer Plenardebatte.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich darf Sie fragen: Habe ich Sie recht verstanden, daß Sie auch der Meinung sind, daß ein so vielschichtiger Begriff wie der der Wünsche anderer Staaten für die Bedürfnisse deutscher Auslandsschulen etwas zwielichtig ist und von unserer Seite auch unter modernen soziologischen Gesichtspunkten eine nochmalige maßgebliche Prüfung erforderlich ist, bevor die Bundesregierung in dem Programm fortfährt, wie sie es in ihren Denkschriften fixiert hat?
Herr Abgeordneter, ich will dabei gar keine Begriffe aus der Soziologie bemühen. Wir machen eine Politik, die wir neu definiert haben auf Grund von Erfahrungen und auf Grund der Frage, die im Bundestag von uns allen, wie ich meine, mit Recht gestellt worden ist: ob das Geld, das wir ausgeben, sinnvoll ausgegeben wird
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3752 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Pari. Staatssekretär Moerschund ob es nicht noch sinnvoller ausgegeben werden kann. Nach diesem Maßstab verfahren wir.Daß die Idealvorstellungen einzelner Mitglieder dieses Hauses mit den realen Möglichkeiten nicht immer in Einklang stehen, die eine Verwaltung hat, ist Ihnen, Herr Abgeordneter, aus langer Praxis bekannt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, im unmittelbaren Anschluß an Ihre letzte Bemerkung von der möglichst sinnvollen Verwendung des Geldes darf ich fragen: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß bei aller Bedeutung der deutschen Auslandsschulen als Kultur- und Sprachzentren die Entsendung von deutschen Lehrern ins Ausland dann besonders wirkungsvoll ist — und zwar durchaus nicht nur unter finanziellen Gesichtspunkten —, wenn diese Lehrer zur Ausbildung von Lehrern herangezogen werden?
Herr Abgeordneter, solche Lehrer nennt man bei uns normalerweise Professoren und Dozenten. Das wollen wir auch weiterhin fördern.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Fuchs.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß auf Grund der außerordentlich geringen Mittel im Bundeshaushalt eine sinnvolle und wirksame Vorbereitung der Lehrer an deutschen Auslandsschulen kaum möglich ist?
Herr Abgeordneter, ich habe in meiner Antwort auf die Frage des Kollegen Kahn-Ackermann bereits geschildert, daß wir das Optimum auf diesem Gebiet keineswegs erreicht haben. Wir warten auch mit großer Spannung auf die Vorschläge, die aus diesem Hause von der Enquete-Kommission zu einer sinnvolleren Verwendung gerade dieser Mittel kommen. Das Auswärtige Ami. ist dazu selbstverständlich bereit. Aber es ist dabei natürlich an die Haushaltsrichtlinien gebunden.
Gerade diese Bundesregierung hat dafür Sorge getragen, daß man die Schwerpunkte hier etwas anders setzt. Die Frage, die der Kollege Schulze-Vorberg gestellt hat, ist die Kernfrage, nämlich die Frage, wie man mit relativ geringen Mitteln einen möglichst hoben Wirkungsgrad erzielt, wie man also beispielsweise nicht direkt ausbildet, sondern Multiplikatoren ausbildet. Die Ausbildung der Ausbilder ist natürlich der Anfang aller weiteren Ausbildung im Ausland.
Ich rufe die nächste Frage auf, die Frage 134 ,des Herrn Abgeordneten Kahn-Ackermann:
Wie vereinbart die Bundesregierung ihre auch schriftlich niedergelegte Überzeugung, daß der Schwerpunkt der Förderung der deutschen Sprache nach Europa verlegt werden sollte, mit der Tatsache, daß beabsichtigt ist, die deutschen Kulturinstitute in Neapel und Palermo zu schließen, während gleichzeitig mit nicht unbeträchtlichem Kostenaufwand in Dacca in Ostpakistan ein neues Kulturinstitut errichtet werden soll, das für die Förderung der deutschen Sprache von sehr peripherer Bedeutung ist?
Im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt ist die Zentralverwaltung des Goethe-Instituts laufend mit der besonders aus Haushalts- und Rationalisierungsgründen gebotenen Überprüfung 'des gesamten Zweigstellennetzes befaßt. Im Rahmen dieser ständigen weltweiten Überprüfung, die sich natürlich auch auf die in Italien unterhaltenen Institute erstreckt, ist unter anderem die Schließung einiger Zweigstellen in Europa beabsichtigt, um mit den eingesparten Haushaltsmitteln an anderen Orten 'bereits vorhandene Schwerpunktaktivitäten zu verstärken oder, wie für Rumänien und die USA geplant, neue Kulturinstitute zu eröffnen.
Eine endgültige Entscheidung über die Orte, an denen Institute, möglichst unter Übertragung der bisher wahrgenommenen Funktionen auf andere lokale Träger, geschlossen oder neu eröffnet werden sollen, ist noch nicht getroffen. Ich möchte jedoch betonen, daß die von der Tätigkeit der deutschen Kulturinstitute im Ausland teilweise unabhängigen Bemühungen der Bundesregierung, die Verbreitung der deutschen Sprache im Ausland nachhaltig unter Setzung von kulturpolitisch gebotenen Schwerpunkten zu fördern, durch die Straffung des Zweigstellennetzes des Goethe-Instituts nicht beeinträchtigt werden.
Es trifft nicht zu, Herr Abgeordneter, daß in Dacca ein neues Kulturinstitut errichtet werden soll. Richtig ist vielmehr, daß das Goethe-Institut in der früheren Hauptstadt von Ostpakistan bereits seit 1961 eine Zweigstelle unterhält, die den Betrieb während der militärischen Auseinandersetzungen um die Errichtung des Staates Bangladesch seit Ende März 1971 eingestellt hatte. Einem Wunsche der Regierung der Volksrepublik Bangladesch entsprechend beabsichtigt die Bundesregierung ,diese Zweigstelle in dem beibehaltenen Institutsgebäude im Herbst dieses Jahres, also jetzt, wieder zu eröffnen. Diese Zweigstelle wird kein Institut im herkömmlichen Sinne sein. Der Institutsleiter wird den Schwerpunkt seiner Tätigkeit vielmehr in die Universität legen und den deutschen Sprachunterricht des an der Universität Dacca errichteten National Institute of Foreign Languages aufbauen und leiten. Zweifellos nimmt die Sprachförderung in den kulturellen Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland keinen zentralen Platz ein. Die Volksrepublik Bangladesch hat aber einen ständigen Bedarf an Fachleuten, die deutsch sprechen. Die Bundesregierung betrachtet es als ihre Aufgabe, die Erziehungseinrichtungen in Bangladesch bei der Heranbildung der Fachkräfte zu unterstützen.
Eine Zusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3753
Herr Staatssekretär, Sie haben in diesem Zusammenhang zwei Antworten gegeben. Ich darf daher meine Frage teilen. Ich frage Sie: Bisher hat doch Italien als einer der Schwerpunkte für unsere europäische Kulturarbeit gegolten, wo sogar die Austauschbeziehungen, das Netz gegenseitiger Institutionen bei weitem noch nicht ein Optimum erreicht haben. Darf ich Sie deshalb fragen, ob die Bundesregierung plötzlich ,der Meinung ist, dieser Kurs müsse nicht mehr weiter verfolgt werden? Zum anderen: Nachdem die bisherigen Leiter des Kulturinstituts in Dacca übereinstimmend erklärt haben, daß eine Kulturarbeit und auch Sprachunterricht dort angesichts anderer Bedürfnisse im Staate Bangladesch vorläufig völlig sinnlos seien, frage ich mich wirklich, ob angesichts des vorgesehenen Konzentrationszwangs bei der Errichtung von Kulturinstituten diese Maßnahme sehr weise ist und ob die Bundesregierung mit den Mitteln, die dort aufgewendet werden müssen, nicht der Regierung in Bangladesch sehr viel sinnvoller helfen könnte.
Herr Kollege, Sie haben nicht sich gefragt, sondern den Herrn Staatssekretär?
Ja, den Herrn Staatssekretär.
Dann ist es gut.
Herr Abgeordneter, wenn wir von deutscher Sprache sprechen, ist es auch zwingend, die Prämissen einzuhalten. Die Antwort habe ich gegeben. Unsere Kulturarbeit in Italien soll ja deswegen nicht eingeschränkt werden, im Gegenteil: der europäische Bereich ist der Schwerpunkt unserer sprachlichen Bemühungen im Ausland. Aber Sie haben überhört, Herr Abgeordneter, daß ich von einem entsprechenden Wunsch der Regierung von Bangladesch gesprochen habe, der uns geleitet hat, als wir einen Mann entsandten oder entsenden wollten, der für den Deutschunterricht für Fachkräfte seinen Beitrag an dem Institut leisten soll, das dort für fremde Sprachen gegründet worden ist. Wenn einzelne Vertreter, die draußen bei uns tätig sind, ihre spezielle Meinung zur Notwendigkeit oder zur Weisheit von Maßnahmen haben, ist das eine Sache. In den internationalen Beziehungen spielt eine große Rolle, was andere Regierungen für Wünsche haben, was sie selbst für notwendig halten. Da wir die Qualität unserer Beziehungen verbessern und nicht verschlechtern wollen, müssen wir auf solche Meinungen anderer Regierungen Rücksicht nehmen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung bewußt, daß
bei der Straffung dieser deutschen Kulturinstitute draußen, wie Sie es genannt haben, d. h. tatsächlich bei der Auflassung solcher Institute, negative politisch-psychologische Auswirkungen zu befürchten sind, die weit über den engeren Kulturbereich hinausgehen?
Herr Abgeordneter, in jedem Einzelfall muß man abwägen, ob nicht der Schaden, der an anderer Stelle entsteht, größer ist als der nicht vorhandene Nutzen, der bei der Beibehaltung eines Instituts besteht. Es ist ja eine Erfahrung, die der Bundestag jetzt schmerzlich macht, daß es leichter ist, Institute zu gründen, als sie abzubauen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 135 des Herrn Abgeordnten Rainer auf. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 136 des Herrn Abgeordneten Gerlach gehört in den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft.
Ich rufe die Frage 137 des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst auf:
In welchem Wert hat die Bundesregierung an die Chilenische Regierung Waffenlieferungen getätigt, und wenn ja, in welchem Zeitraum und zu welchem Zweck?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat zu keiner Zeit Waffenlieferungen nach Chile getätigt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, welche Beweggründe maßgebend waren, die Waffenausfuhr ausgerechnet nach Chile zu genehmigen, wo doch die Ausfuhr von Waffen aus der Bundesrepublik strengen Embargobestimmungen unterliegt und diese strengen Maßstäbe bei der Ausfuhr von Waffen in NATO-Länder angelegt wurden?Moersch, Parl. Staatssekretär 'beim Bundesmini ster des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich weiß nicht, ob Sie meine Antwort zur Kenntnis genommen haben.
Die Bundesregierung, habe ich gesagt, hat keine Waffenlieferungen getätigt. Sie haben nach Lieferungen der Bundesregierung gefragt. Was die Genehmigung betrifft, so habe ich die Größenordnung vorher dem Kollegen Schäuble dargetan.Ich frage Sie, Herr Abgeordneter, ob irgendwann einmal irgend jemand in diesem Hause Einspruch dagegen erhoben hat, daß private deutsche Firmen — und zwar auf kommerzieller Basis Waffen in Länder geliefert haben, bei denen es sich nicht um Spannungsgebiete handelte. Bis zu den jetzigen
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3754 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Parl. Staatssekretär MoerschEreignissen hat Chile unbestritten nicht als Spannungsgebiet gegolten. Deswegen sind Lieferungen genehmigt worden, die von der chilenischen Armee, die übrigens traditionell als deutschfreundlich gilt, sowie von chilenischen Polizei- und Zollbehörden angefordert worden sind. Es war der dringende Wunsch der dortigen Militärs, die seit Jahrzehnten, man möchte fast sagen, seit hundert Jahren, ihre Soldaten an deutschen Waffen ausbilden, auch jetzt wieder Waffen aus Deutschland beziehen oder kaufen zu können. Da wir es bei anderen lateinamerikanischen Staaten genauso gehandhabt haben, bestand überhaupt kein ersichtlicher Grund, Chile anders zu behandeln. Sie werden wahrscheinlich in diesen Tagen Gelegenheit haben, den früheren chilenischen Staatspräsidenten zu befragen, der bei Ihnen zu Besuch weilen und der sicherlich meine Meinung teilen wird.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort dargetan, daß die Bundesregierung die Ausfuhr von Waffen nach Chile genehmigt habe. Ich frage Sie: Stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, daß Chile unter Allende vor keinem äußeren Verteidigungsfall stand, für den es Waffen benötigt hätte, und war sich die Bundesregierung bewußt, daß sie mit der Genehmigung der Waffenausfuhr nach Chile der Volksfront Allendes unter die Arme gegriffen hat?
Herr Abgeordneter, ich glaube, daß es einer gründlichen Erörterung der dortigen Verhältnisse bedürfte, um die in der Frage enthaltenen sachlichen Fehler erst einmal richtigzustellen. Tatsache ist doch, daß nicht die Bundesregierung und keine andere Regierung in der Welt die Entscheidung darüber, ob es sich um Waffenlieferungen genehmigungspflichtiger Art handelt, davon abhängig machen kann, ob sie selbst der Meinung ist, daß irgendwann einmal ein Kriegsfall in dem betreffenden Gebiet eintreten könnte oder nicht, sondern Maßstab ist die Frage: ist es ein Spannungsgebiet oder nicht? Da die Nachbarn Chiles immer der Meinung gewesen sind, daß Chile kein Spannungsgebiet sei, ist also dieses Argument entfallen. Danach handeln wir. Die innere Souveränität von Staaten ist deren Sache. Es ist doch überhaupt keine Frage, daß die Regierung, von der Sie soeben gesprochen haben, auf demokratische Weise zustande gekommen ist.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Auffassung, daß ein Land, von dem alle Welt und demzufolge wohl auch die Bundesregierung wußte, daß es vor einem drohenden Bürgerkrieg stand, von der Bundesregierung mindestens ebenso behandelt werden müßte wie ein offiziell als Spannungsgebiet bezeichnetes Land?
Herr Abgeordneter, Sie sind möglicherweise einer der ganz wenigen, die gewußt haben, daß dieses Land vor einem Bürgerkrieg stand.
Die Betroffenen, mit denen ich Gespräche geführt habe, — diejenigen, die heute die Regierung bilden, gehörten ebenso dazu wie diejenigen, die früher die Regierung bildeten —, waren nicht der Meinung, daß irgendwann ein Bürgerkrieg drohen würde. Dieser Meinung waren auch Ihre Freunde nicht, die dort zu Besuch gewesen sind.
Keine Zusatzfrage? — Ich rufe die Frage 138 des Herrn Abgeordneten Dr. Schulz auf:
Hat nach der vom 16. Juli 1973 datierten schriftlichen Beantwortung meiner Mündlichen Anfrage betr. Besuche hochrangiger ausländischer Gäste in der Bundesrepublik Deutschland weder Staatspräsident Stroessner, Paraguay, noch Präsident Bokassa, Zentralafrikanische Republik, noch Ministerpräsident Dr. J. M. den Uyl und Außenminister Dr. M. van der Stoel, Niederlande, noch Kaiser Haile Selassie I. von Äthiopien, noch Bundeskanzler Kreisky, Österreich, noch Außenminister Fitzgerald, Irland, noch Ministerpräsident Tanaka und Außenminister Ohira, Japan, noch Präsident Dr. Berkhouwer, Europäisches Parlament, noch Außenminister Thorn, Luxemburg, noch Außenminister Pohl, El Salvador, noch Präsident Léopold Sedar Senghor, Senegal, noch der Präsident der Kommission der Europäischen Gemeinschaft, Franz Xaver Ortoli, noch Außenminister Hunlede, Togo, noch Außenminister Dr. Konombo, Obervolta, noch Staatspräsident Lamizana, Obervolta, den Wunsch geäußert, auch West-Berlin zu besuchen?
Bitte schön!
Herr Abgeordneter, keiner der in der Frage aufgeführten ausländischen Persönlichkeiten hat den Wunsch geäußert, auch Berlin zu besuchen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß sich die meisten aufgeführten Politiker lediglich zu kurzen Arbeitsbesuchen in Bonn angesagt hatten.
Zusatzfrage? ---Bitte schön!
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich die Diskrepanz zwischen der Tatsache, daß Staatsbesucher in früheren Jahren den lebhaften Wunsch hatten, Berlin zu besuchen, und der Tatsache, daß das in letzter Zeit offenbar nicht mehr der Fall ist?
Herr Abgeordneter, ich kann eine solche pauschale Frage ebenso pauschal nicht beantworten. Ich kann sie nur beantworten, indem ich Ihnen die Liste der speziellen Wünsche derjenigen vorlese, die in letzter Zeit hier waren und die Sie hier aufgeführt haben. Dann würde sich, glaube ich, das Problem sehr schnell klären. Die Besucher hatten sehr präzise Vorstellungen. Ich habe hin-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3755
Parl. Staatssekretär Moerschzugefügt — das ist vielleicht nicht richtig verstanden worden , ,daß es sich dabei fast ausschließlich um Arbeitsbesuche gehandelt hat. Sie haben offensichtlich im wesentlichen Staatsbesuche im Auge gehabt, die weniger inhaltsreich, dafür aber oft etwas länger sind.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, was könnten Sie persönlich tun, um dafür zu sorgen, daß die Auskunft in der schriftlichen Antwort auf meine Anfrage vom 16. Juli, wonach die Bundesrepublik derartige Besuche für geeignet hält und meint, daß die legitimen Bindungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin dadurch verstärkt werden, kein Lippenbekenntnis bleibt?
Moersch, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini. ster des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, das geschieht in jedem einzelnen Falle. Unsere Dienststellen machen im Sinne der Antwort, die ich Ihnen gegeben habe, darauf aufmerksam. In diesem Zusammenhang muß man sich aber natürlich auch selber einmal die Frage stellen diesen Gesichtspunkt müssen wir jeweils mit berücksichtigen —, ob wir die Hauptstadt eines Landes sozusagen anders behandeln müssen als die anderen Hauptstädte.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wehner.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wäre es denkbar, daß eine in den Akten des Auswärtigen Amtes befindliche Arbeit des früheren Staatssekretärs des Auswärtigen Amtes, Herrn Professor Dr. Carstens, wenn schon nicht veröffentlicht, so doch dem Fragesteller übergeben würde, weil in dieser Arbeit davon abgeraten worden ist, daß bei jedem Bonner Staatsbesuch der Gast auch nach Berlin geht? Ich bitte dringend darum, damit wir an der Begriffsverwirrung hier nicht eingehen. Könnten Sie nicht dafür sorgen, daß dem Fragesteller die genannte Arbeit übergeben wird?
Ich meine die Arbeit „60 Thesen zur Deutschlandpolitik" des damaligen Staatssekretärs Professor Dr. Carstens. Diese Arbeit befindet sich in den Akten des Auswärtigen Amtes. So viel zum Quellennachweis.
Herr Abgeordneter, weil dieses Dokument Herrn Wehner als Fraktionsvorsitzendem von dem früheren Außenminister übergeben worden ist. Dies nur zur Klarstellung.
— Das wissen wir aus dem Aktenvermerk Ihres Kollegen Dr. Schröder.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Abgeordneter, ich könnte mir denken, daß nach dieser Frage das Bedürfnis nach weiterer Information bei der Opposition entfallen könnte.
Herr Staatssekretär, in der Annahme, daß Sie die dem Herrn Professor Carstens unterstellte Auffassung, die der Herr Kollege Wehner eben wiedergegeben hat, für Ihre Person jedenfalls nicht teilen, frage ich: Hat die Bundesregierung bei der Vorbereitung der Arbeitsbesuche der in dieser Frage aufgeführten ausländischen Staatsmänner die Frage gestellt, ob sie eventuell bereit wären, nach Berlin zu gehen?
Herr Abgeordneter, ich habe diese Frage bereits bejahend beantwortet. Ich habe Herrn Kollegen Dr. Schulz die Antwort schriftlich gegeben. Das können Sie im Protokoll des Bundestages nachlesen. Die Bundesregierung fragt alle diejenigen, die Besuchswünsche haben, ob sie den Wunsch haben, auch West-Berlin zu besuchen. Wir müssen — höflich, wie wir sind — die Antworten der Gäste natürlich so nehmen, wie sie gegeben werden. Wir haben jedenfalls in dem Sinne keine Weisung erlassen, wie sie hier eben diskutiert worden ist und aus früherer Zeit stammen könnte.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten von Fircks.
Herr Staatssekretär, können Sie dem Hause bestätigen, daß es doch ein eminenter Unterschied ist, ob man jedem ausländischen Besucher, der in der Bundesrepublik kommt, empfiehlt nach Berlin zu gehen, oder ob
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3756 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Freiherr von Fircksjetzt — und danach war gefragt worden — kein einziger den Wunsch geäußert hat, nach Berlin zu gehen?
Das habe ich in meiner Antwort überhaupt nicht bestätigt, Herr Abgeordneter.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 139 des Herrn Abgeordneten Dr. Schulz auf:
Kann die Bundesregierung nicht versuchen, künftig entsprechende Wünsche zu wecken oder zu aktivieren, da sie selber in ihrer Antwort vom 16. Juli dieses Jahres betonte, daß derartige Besuche geeignet sind, „die Stadt ihrer Bedeutung gemäß in die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu befreundeten Staaten einzubeziehen. Sie würden damit den legitimen Bindungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin entsprechen."?
Herr Kollege, bei der Planung frühzeitig angekündigter Besuche, die nicht von vornherein nur, den Wünschen des Gastes entsprechend, Bonn oder anderen Gebieten der Bundesrepublik Deutschland gelten, bleibt es ein wichtiges Anliegen der Bundesregierung, ausländische Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Außenminister weiterhin — wie in früheren Jahren — nach Berlin zu führen, wobei auch die politische Interessenlage der Gäste berücksichtigt werden muß. Sie haben die Frage, die ich eben beantwortet habe, zuvor ja bereits als Zusatzfrage gestellt.
Bitte schön, Herr Kollege, eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ich nehme auf Ihre Antworten zu der vorigen Frage Bezug und frage Sie: Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß es ganz allgemein üblich ist, internationale Programme zwischen dem Besucher- und dem Gastland abzustimmen, und daß hier eine große Spielbreite des Auswärtigen Amtes gegeben wäre, in Zukunft West-Berlin mehr als bisher zu berücksichtigen?
Herr Abgeordneter, es ist eine Frage der Betrachtungsweise, wie groß die Möglichkeiten des eigenen Außenministeriums sind, auf die Wünsche ausländischer Gäste Einfluß zu nehmen.
Zur Illustration der Tatsachen — ich glaube, dies ist ganz nützlich, damit wir hier nicht in einer gefühlsmäßigen Betrachtung verharren — lese ich Ihnen einfach einmal die Liste der Besucher vor und sage Ihnen, wie es im einzelnen gewesen ist. Sie haben in Ihrer Frage 14 Besucher aufgeführt. Davon waren sieben lediglich zu Arbeitsbesuchen in Bonn. Der Staatspräsident von Paraguay verbrachte überhaupt nur ein Wochenende in Bayern. Er war
gar nicht in Bonn. Der Präsident der Zentralafrikanischen Republik besuchte auf ausdrücklichen Wunsch außer der Bundeshauptstadt aus wirtschaftlichen Gründen Hamburg und Bremen und besichtigte Einrichtungen der Bundeswehr bei Celle. Der Kaiser von Äthiopien kam zu einer Konsultation nach Bonn und zu einer äthiopischen Ausstellung des Instituts für Auslandsbeziehungen nach Stuttgart. Der Ministerpräsident von Japan, begleitet von seinem Außenminister, hat der Bundesregierung in Bonn einen ersten Besuch abgestattet und vor der Weiterreise nach Moskau einen Ruhetag bei Frankfurt verbracht. Der Außenminister der Republik El Salvador reiste zu Besprechungen von .Außenhandelsfragen von Bonn nach Bremen, der Präsident der Republik Senegal von Bonn nach Hamburg und Bremen. Der Präsident ,der Republik Obervolta besuchte die Bundesrepublik Deutschland in Begleitung seines Außenministers im multilateralen Auftrag der sechs von der Dürrekatastrophe betroffenen Sahel-Staaten Afrikas. Angesichts dieser Interessenlage unserer Gäste, die in dieser Liste zum Ausdruck kommt, war ein Besuch West-Berlins nicht durchführbar.
Eine Zusatzfrage, bitte schön!
Herr Staatssekretär, stimmen Sie nicht grundsätzlich mit mir darin überein, daß es ein bedenkliches Zeichen ist, daß nach eigenen Angaben das zuständige Protokollamt 'des Senats des Landes Berlin seit Februar dieses Jahres nicht ein einziges Mal mit der Betreuung eines ausländischen Gastes befaßt worden ist?
Moersch, Parl. Staatssekretär 'beim Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen die Situation dargelegt. Ich habe Gefühle anderer nicht zu kommentieren.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe auf die Frage 140 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka:
In welcher Weise gedenkt die Bundesregierung, die Regierung der Volksrepublik Polen davon nicht nur in Kenntnis zu setzen, sondern auch zu überzeugen, daß die vom Deutschen Roten Kreuz registrierte Zahl von 283 000 deutschen Aussiedlungswilligen aktualisiert und richtig ist, weshalb aller Anlaß besteht, diese Zahl jeder Erörterung der Aussiedlerfrage zu Grunde zu legen?
Moersch, Parl. Staatssekretär 'beim Bundesminister des Auswärtigen: Frau Präsidentin, darf ich des Zusammenhangs wegen bitten, die Fragen 140 und 141 zusammen beantworten zu dürfen?
Mir wäre es lieber, wenn Sie sie einzeln beantworteten.
Die Bundesregierung hat in allen Verhandlungen, Konsultationen und Gesprächen mit der polnischen Regierung die Unterlagen des DRK über die Zahl der Umsiedlungsbewerber
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3757
Parl. Staatssekretär Moerschzugrunde gelegt. Minister Scheel hat bei seinen jüngsten Gesprächen in Warschau erneut die polnische Seite darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung von der zur Zeit beim DRK registrierten Zahl von 283 000 Umsiedlungsbewerbern ausgeht und dementsprechend erwartet, daß alle diese Ausreisewünsche sorgfältig daraufhin geprüft werden, ob sie die in der Infformation genannten Kriterien erfüllen.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, hätte die Bundesregierung nicht in den nahezu drei Jahren, seitdem es diese Information gibt, Zeit gehabt, auf welchem Weg auch immer, diese Zahl zu fixieren und auch die polnische Regierung davon zu überzeugen, damit nicht immer wieder zu hören ist, die polnische Regierung arbeite mit ganz anderen Zahlen?
Herr Abgeordneter, diese letzten drei Jahre, von denen Sie sprechen, sind begleitet von zahlreichen Anfragen und Antworten in diesem Hause auf diese Frage. Sie können sich also selbst davon überzeugen, was die Bundesregierung in dieser Zeit unternommen und mitgeteilt hat.
Zur Sache ist, wie ich annehme, vom Außenminister selbst einiges an Information im Auswärtigen Ausschuß gegeben worden.
Ich möchte vorausschikken, diese Informationen hatten nichts mit der Frage zu tun.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir haben es nicht erreicht, die polnische Regierung davon zu überzeugen, diese Zahl zur Kenntnis zu nehmen? Man kann doch hier nicht andauernd in Erfolgsmeldungen machen.
Ich habe meine eigenen Berichte hier nicht zu qualifizieren. Ich habe gesagt, daß es Differenzen zwischen unseren und den polnischen Zahlen gibt. Diese Differenzen bestehen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, die Zahl der Ausreisewilligen war bereits im Herbst 1970 bei den Vereinbarungen, die damals in Warschau geschlossen worden sind, ähnlich wie die jeztige Zahl, weil die Zahl der Genehmigungen und die Zahl der Nachmeldungen sich in etwa ausgleicht. Weshalb hat die Bundesregierung bei den Verhandlungen im Dezember 1970 nichts dagegen unternommen, daß in der Information der polnischen Regierung von damals eine so extrem niedrige und zu der Wirklichkeit in keinem Verhältnis stehende Zahl von wenigen Zigtausend genannt worden ist?
Herr Abgeordneter, Sie können schwerlich im Jahre 1970 bei Verhandlungen die Beweise auf den Tisch legen, die Sie im Jahre 1973 haben. Das ist unser Schicksal.
Keine Zusatzfrage? — Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, warum beruft sich die Bundesregierung nur auf Wünsche und nicht auf die festgestellte Antragsberechtigung, die eine oberste Bundesbehörde, das Bundesverwaltungsamt, festgestellt und der Schutzmacht und jetzt der Deutschen Botschaft in Warschau übermittelt hat, die beweist, daß zwischen der festgestellten Antragsberechtigung und den erfüllten Anträgen eine ungeheuere Differenz klafft? Warum beruft sich die Bundesregierung nicht auf diese a m t -1 i c h e n Zahlen?
Herr Abgeordneter, ich muß offen gestehen, ich kann nicht erkennen, auf was Sie mit Ihrer Frage hinauswollen. Wie anders sollten wir uns ausdrücken, als der polnischen Seite zu sagen, daß uns so viele Anträge vorliegen und diese Anträge die Wünsche der Betroffenen sind?
Ich rufe die Frage 141 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Verfügt die Bundesregierung nach ihren jüngsten Gesprächen in Warschau über verbindliche Zusagen der Regierung der Volksrepublik Polen, daß auf Grund der „Information" zum Warschauer Vertrag endlich auch alle „Personen mit unbestreitbarer deutscher Volkszugehörigkeit" entsprechend dem erklärten Aussiedlungswillen dieses Personenkreises in den Genuß der Aussiedlungsmöglichkeiten gelangen können?
Die polnische Regierung, Herr Abgeordneter, hat ihre Bereitschaft erklärt, das Umsiedlungsproblem im Einklang mit der „Information" während der nächsten drei bis fünf Jahre in umfassender Weise zu lösen. Daraus ergibt sich bereits, daß auch die Ausreise von Personen mit unbestreitbar deutscher Volkszugehörigkeit geregelt werden soll. Die polnische Regierung hat darüber hinaus ausdrücklich erklärt, daß sie künftig den Maßstab der deutschen Volkszugehörigkeit in den Mittelpunkt der Prüfung von Ausreiseanträgen stellen will.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann davon ausgegangen werden, daß die Formulierung aus dem Kommuniqué von Warschau „in umfassender Weise" — auch Sie haben es eben zitiert — gerade jetzt ein Vorzug für die Deutschen mit unbestreitbar deutscher Volkszugehörigkeit sein wird?
Metadaten/Kopzeile:
3758 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Herr Abgeordneter, ich darf wiederholen, was ich gesagt habe: Die polnische Regierung hat darüber hinaus ausdrücklich erklärt, daß sie künftig den Maßstab der deutschen Volkszugehörigkeit in den Mittelpunkt der Prüfung von Ausreiseanträgen stellen will.
Zusatzfrage.
Besteht für die Bundesregierung die Möglichkeit, dafür zu sorgen, daß die Anträge, soweit sie abgelehnt werden, durch ein Widerrufverfahren erneuert werden können, ohne daß dann abermals die unbestreitbar deutsche Volkszugehörigkeit auf Grund dieses dehnbaren Begriffs in Frage gestellt wird?
Herr Abgeordneter. der polnische Außenminister hat in der gemeinsamen Pressekonferenz zum Abschluß des Besuchs von Bundesminister Scheel die Absicht bekräftigt, daß die polnischen Behörden über Anträge im optimalen Interesse der gegenseitigen Beziehungen entscheiden wollen. Gleichzeitig hat Herr Olszowski erklärt, daß er ein gemeinsames Prüfungsverfahren zur Zeit nicht für erforderlich hält.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kunz.
Herr Staatssekretär, besteht Einigkeit zwischen der deutschen Bundesregierung und der polnischen Regierung über den Begriff der einwandfreien deutschen Volkszugehörigkeit?
Dieser Begriff ist damals gemeinschaftlich definiert worden, wobei es bezüglich der allgemeinen Definition und der Lebenspraxis ja nicht in jedem Fall eine gemeinsame Auffassung gibt, wie wir alle aus früherer Zeit wissen. Es geht da nicht etwa um Bürger, die nur deutscher oder nur polnischer Abstammung wären. In welchen Fällen man als deutscher Volkszugehöriger gilt, das ist in der Information bekanntgegeben worden. Ich bin gern bereit, Ihnen das noch einmal zur Verfügung zu stellen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Czaja.
Trifft es zu, Herr Staatssekretär, daß die polnischen Behörden in Durchführung dessen, was Sie eben sagten, dazu übergegangen sind, Kinder der Aussiedlungswilligen zu testen, wieweit sie die deutsche Sprache beherrschen, obwohl in der Volksrepublik Polen und in den OderNeiße-Gebieten die deutsche Muttersprache im Unterricht und oft in der Öffentlichkeit nicht zugelassen wird? Und wie wird die Bundesrepublik
Deutschland angesichts der von Ihnen unlängst festgestellten Schutzpflicht für deutsche Staatsangehörige, und zwar für jeden einzelnen, auch in der Familienzusammenführung und bezüglich der Frage der Freizügigkeit darauf reagieren?
Herr Abgeordneter, obwohl kein Zusammenhang mit den hier schriftlich gestellten Fragen besteht, darf ich Ihnen sagen, daß wir in umfassender Weise den Auswärtigen Ausschuß auch über diese Fragen informiert haben, die Sie hier jetzt anschneiden. Ich darf mich auf diese Information beziehen. Wenn das nicht zu Ihrer Zufriedenheit geschehen sein sollte, kann das nachgeholt werden.
Keine Zusatzfrage mehr.
Ich rufe die Frage 142 des Abgeordneten Roser auf:
Treffen Pressemeldungen zu, die Bundesregierung habe während der Amtszeit des früheren chilenischen Präsidenten private Waffenlieferungen nach Chile in Abweichung von den sonstigen verwaltungsmäßigen Gepflogenheiten binnen 24 Stunden genehmigt, und hat sie sich — bejahendenfalls -- vergewissert, daß die Empfänger nach chilenischem Recht zum Erwerb und Besitz dieser Waffen berechtigt waren?
Die Antwort lautet nein, Herr Abgeordneter.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, Auskunft darüber zu geben, welchen Zeitraum ein Genehmigungsverfahren bei privaten Waffenlieferungen normalerweise in Anspruch nimmt und welcher Zeitraum in dem von mir angesprochenen Fall zwischen Antragstellung und Genehmigungserteilung in Anspruch genommen wurde?
Herr Abgeordneter, zunächst kann ich die Frage so beantworten — Sie haben nach 24 Stunden gefragt —: in jedem Fall mehr als 24 Stunden. Das trifft für beide Fragen zu.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich habe meine Frage jetzt präzisiert, und ich wäre sehr dankbar, wenn Sie bereit wären — und darum bitte ich —, jetzt Antwort zu geben.
Herr Abgeordneter, Sie haben eine Frage gestellt, deren Inhalt ich verneint habe. Ich habe vorhin hier zu den gleichen Fragen Auskunft gegeben und darauf hingewiesen, daß es sich in jedem Fall um das normale Verfahren handelt. Da das Wirtschaftsministerium und das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft die zuständigen Behörden
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3759
Parl. Staatssekretär Moerschsind, kann ich jetzt nicht sagen, wie lange es dauert. Da aber alle strittigen Fragen im Bundessicherheitsrat behandelt werden müssen und dieser nicht täglich, sondern im Abstand von mehreren Wochen zusammentritt, können Sie davon ausgehen, daß ein Genehmigungsverfahren Monate in Anspruch nimmt.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, wer der Empfänger dieser Waffenlieferungen gewesen ist, und hat sich die Bundesregierung bei diesem Genehmigungsverfahren darüber vergewissert, zu welchem Zweck diese Waffen vom Empfänger dieser Waffenlieferungen verwendet werden sollten?
Herr Abgeordneter, ich habe das vorhin gesagt. Ich habe gesagt: „die staatliche chilenische Zollfahndung", und ich unterstelle, wenn eine Zollfahndung Waffen begehrt, nämlich 17 Maschinenpistolen, daß sie auf Leute schießen will, die unberechtigt die Grenze mit Verzollungsgut überschreiten.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jobst.
Herr Staatssekretär, war
) der Bundesregierung bei der Genehmigung der Waffenausfuhr nach Chile bekannt, daß Allende in seinem Land heimlich Guerilla-Ausbildungslager einrichten ließ und damit Vorbereitungen für einen Bürgerkrieg traf?
Herr Abgeordneter, es ist in der Weltgeschichte ein einmaliger Fall, wenn eine im Amt befindliche Regierung bezichtigt wird, sie unterhalte Guerilla-Lager und bilde Guerillas aus. Ich habe bisher immer gehört, daß das umgekehrt der Fall sei.
Mir ist ein solcher Fall bisher, wie gesagt, nicht vorgekommen. Ich weiß auch gar nicht, wo Sie Ihre Meldungen dazu herhaben.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Wehner.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, würden Sie meine Meinung teilen, daß es eigentlich genügt, jede Waffensendung in ein Land zu unterlassen, wenn die Christlich-Demokratische Union hier die Leute, die in diesem Land Politik machen, als „Marxisten" abgestempelt hat, weil sie
dann nämlich abschußreif, aber nicht mehr waffenbezugsfähig sind?
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Werner.
— Das können Sie gleich in Verbindung damit tun.
Werner : Herr Staatssekretär, da wir nun über diese leidige Frage der Waffenlieferungen sprechen: Wie erklärt die Bundesregierung die Tatsache, daß für angeblich 17 automatische Waffen drei verschiedene Lieferfirmen in die Lieferung einbezogen worden waren?
Herr Abgeordneter, ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.
Dann müssen Sie mir sagen, um welche Lieferungen und um welche Lieferfirmen es sich handelt.
— Herr Abgeordneter, ich habe eine Pressemeldung, die hier offensichtlich zur Grundlage der Fragestellung von mehreren Fragestellern wurde, die gar nicht im Saal waren und die eine schriftliche Antwort bekommen; diese müssen Sie natürlich kennen. Diese Pressemeldung habe ich als nicht zutreffend qualifizieren können. Ich habe das Jahr 1973 genannt. Ich kann Ihnen vom Jahre 1972 andere Zahlen nennen. Aber ich kann Ihnen hier noch sagen, daß die Bundesregierung auch in einem Fall eine Genehmigung zurückgestellt hat, und vielleicht halten Sie eine Lieferung für genehmigt, die es gar nicht gegeben hat. Im übrigen ist der Waffenlieferant oft nicht identisch mit dem Munitionslieferanten; das darf ich Ihnen ebenfalls hier versichern. Da die Waffen selten ohne Munition geliefert werden, sind meistens zwei Firmen beteiligt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Pfeffermann.
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3760 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Herr Staatssekretär, hielten Sie es nicht mit dem übrigen Einstehen Ihrer Regierung, wie das jetzt auch in bezug auf die Situation von Chile zum Ausdruck kam, für vereinbar und notwendig, die ungeheure Diskriminierung, die in der Formulierung des Abgeordneten Wehner lag, als er davon sprach, Marxisten seien dem Grundsatz nach für die Christlichen Demokraten in diesem Land abschußreif —
Herr Kollege
Frau Präsidentin, Sie haben vorher die Frage des Herrn Kollegen Wehner auch nicht abgebrochen!
Herr Kollege, Sie fragen nach einer Bewertung. Eine Bewertung kann hier vom Parlamentarischen Staatssekretär nicht gegeben werden. Das steht so in der Geschäftsordnung. Ich habe die Antwort auf die Frage des Herrn Kollegen Wehner auch nicht zugelassen. Bleiben wir bitte bei der Frage, oder wir müssen sie jetzt absetzen.
Dann verzichte ich; es bezog sich in der Tat auf die Diskriminierung der Opposition in diesem Haus.
Aber Sie können danach nicht den Herrn Parlamentarischen Staatssekretär fragen. Dieser ist dafür der falsche Adressat.
Ich bedanke mich, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Grabert zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 124 des Herrn Abgeordneten Engelsberger auf:
Wie hat der Bundesminister für besondere Aufgaben beim Bundeskanzler auf die Bemerkungen seines Verhandlungspartners in Ost-Berlin reagiert, die Tätigkeit seines Vertreters in der Eigenschaft als Bevollmächtigter der Bundesregierung in Berlin sei „nicht förderlich", und wie hat er das Verhältnis von Bund und Land Berlin unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Grundvertrag dargestellt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Engelsberger, in den Gesprächen des Herrn Bundesministers Bahr hat kein Vertreter der Regierung der DDR eine solche Erklärung abgegeben. Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundlagenvertrag mit der DDR hat Herr Bundesminister Bahr gegenüber dem Vertreter der DDR ausgeführt, die Bundesregierung werde sich voll an Text und Inhalt der geschlossenen Verträge und der dazugehörigen Texte halten. Dabei sei darauf hinzuweisen, daß sie sich auch
bisher in den Verhandlungen, die zu den verschiedenen Abkommen, insbesondere zu dem Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen, geführt haben, an die vom Grundgesetz gesetzten Auflagen gehalten hat. Dies ist, wie bekannt, auch vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich dann davon ausgehen, daß Pressemeldungen, nach denen der Verhandlungspartner von Egon Bahr die Behauptung aufgestellt hat, der Bevollmächtigte der Bundesregierung in Berlin sei nicht förderlich für die Beziehungen zwischen Bonn und Ost-Berlin, nicht den Tatsachen entsprechen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe Ihnen bereits erklärt, daß solche Erklärungen in den Verhandlungen nicht abgegeben worden sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Keine Zusatzfrage. Ich rufe dann Frage 125 des Herrn Abgeordneten Schmude auf:
Hat der Bundesnachrichtendienst in früheren Jahren, unter anderem auf unmittelbare Weisung des damaligen Bundeskanzlers, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens der Bundesrepublik Deutschland überwacht, darunter die Herren Dr. Gustav Heinemann, Willy Brandt, Erich Ollenhauer, Ernst Lemmer und Egon Bahr?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, ich würde gern, wenn die Abgeordneten zustimmen, die Fragen bis einschließlich Frage 128 gemeinsam beantworten.
Das ist gleich eine ganze Menge. Herr Kollege Schmude, sind Sie einverstanden?
Ja, Frau Präsidentin, allerdings mit der Bitte, daß mir dadurch die Möglichkeit, eine Zusatzfrage zu den Fragen des Kollegen Metzger zu stellen, nicht genommen wird.
Ja, das ist natürlich die Bedingung.
Dann rufe ich zusätzlich Frage 126 des Herrn Abgeordneten Schmude auf:Trifft es zu, daß der Verlagsdirektor der Illustrierten Quick, Heinz van Nouhuys, über Jahre gleichzeitig für den Bundesnachrichtendienst und als Agent für den Staatssicherheitsdienst der DDR tätig gewesen ist, von beiden Diensten beträchtliche Vergütungen erhalten und gelegentlich beide mit dem gleichen Material bedient hat?Wie ist es mit Ihnen, Herr Kollege Metzger? Sind Sie einverstanden?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3761
Vizepräsident Frau FunckeIch lasse dann jeweils eine Frage mehr zu, und Sie können wechselseitig je eine Frage stellen.Ich rufe demgemäß noch die Fragen 127 und 128 des Herrn Abgeordneten Metzger auf:Trifft die Meldung des STERN vom 25. Oktober 1973 zu, daß einem ausscheidenden Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes eine hohe Abfindung gezahlt worden ist, nachdem er zuvor versucht hatte, durch Androhung von Indiskretionen einen Betrag von 100 000 DM zu erpressen?Sind in den letzten Jahren beim Ausscheiden von Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes in größerem Umfang Akten verschwunden, wie der STERN vom 25. Oktober 1973 berichtet?Bitte sehr!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung nimmt, wie bereits erklärt wurde, den am 25. Oktober 1973 im „Stern" erschienenen Artikel „Der Doppelagent" ernst. Daher wurde der Bundesnachrichtendienst sofort angewiesen, die ihn betreffenden Tatsachenbehauptungen zu untersuchen. Diese Untersuchungen laufen zur Zeit. Außerdem habe ich im Benehmen mit der Leitung des Bundesnachrichtendienstes den Herrn Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof auf die Veröffentlichung hingewiesen. Die Bundesanwaltschaft hat auch am 26. Oktober 1973 an Ort und Stelle ihre Prüfungen aufgenommen. Über deren Fortgang und Ergebnis kann ich aus den bekannten Gründen hier keine Mitteilung machen.
In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, daß ich allerdings nicht, wie behauptet worden ist, allen aktiven und ausgeschiedenen Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes Aussagegenehmigungen erteilt habe. Vielmehr gilt nach wie vor, was ich hier bereits am 14. September 1973 gesagt habe: Die Bundesregierung wird bei Anträgen der 'Staatsanwaltschaften auf Aussagegenehmigung in jedem Einzelfall eine sorgfältige Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an strafrechtlicher Verfolgung von Straftatbeständen einerseits und Nachteilen für das Wohl des Bundes andererseits vornehmen.
Im einzelnen möchte ich auf die Fragen wie folgt antworten. Ich darf in meiner Antwort zunächst auf die Fragen 125 des Herrn Abgeordneten Schmude und 127 des Herrn Abgeordneten Metzger eingehen, da beide Fragen ja miteinander in einem Zusammenhang stehen.
Nach Mitteilung des Herrn Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes sind Unterlagen über von Ihnen, Herr Abgeordneter Schmude, angesprochene Überwachungen im BND nicht vorhanden
Mit Schreiben vom 17. März 1969, Herr Abgeordneter Metzger, wurde einem Mitarbeiter des Dienstes wegen Verschweigens nachrichtendienstlich relevanter Personalangaben fristlos gekündigt. Während des sich anschließenden Rechtsstreits behauptete dieser ehemalige Mitarbeiter gegenüber dem Hauptvertrauensmann des Dienstes, er habe in den fünfziger Jahren den dienstlichen Auftrag gehabt, den heutigen Bundespräsidenten und damaligen Bundesminister und Rechtsanwalt Dr. Gustav Heinemann zu überwachen. Diese Tatsache werde er veröffentlichen, falls er nicht mit zirka 100 000 DM abgefunden werde. Rückfragen beim damaligen Leiter der Organisation Gehlen haben ergeben, daß diesem von einem solchen Auftrag nichts bekannt ist. Die Unterabteilung „Sicherheit" des Dienstes konnte den angeblich vor 20 Jahren erteilten Auftrag ebenfalls nicht feststellen. Die Forderung des Mitarbeiters wurde zurückgewiesen. Der Rechtsstreit endete durch gerichtlichen Vergleich vom 24. Juli 1969. Auf Grund dieses Vergleichs wurde der Bundesnachrichtendienst verpflichtet, dem Mitarbeiter aus sozialen Gründen eine einmalige Abfindung von 15 000 DM zu zahlen und ein zinsloses Darlehen von 35 000 DM zu gewähren.
Die Frage 126 des Abgeordneten Schmude enthält zwei Teile, den einen, ob Herr van Nouhuys beim Bundesnachrichtendienst mitgearbeitet habe, und den anderen, ob er für den Staatssicherheitsdienst der DDR tätig gewesen sei.
Zum ersten Teil der Frage möchte ich hier keine Stellung nehmen. Allerdings soll Herr van Nouhuys selbst Dritten gegenüber angegeben haben, in München für den Geheimdienst unterwegs gewesen zu sein.
Was den zweiten Teil der Frage angeht, muß ich auf die hierzu laufenden Prüfungen der Bundesanwaltschaft verweisen.
Zur Frage 128 des Herrn Abgeordneten Metzger darf ich sagen: Der Bundesnachrichtendienst ist nach seinem Auftrag Auslandsaufklärungsdienst. Deswegen hat mein Amtsvorgänger kurz nach seinem Amtsantritt im Jahre 1969 den Bundesnachrichtendienst angewiesen, durch eine von seinem Auftrag nicht gedeckte Tätigkeit des Dienstes entstandene Unterlagen zu vernichten. Hierüber hat Herr Bundesminister Ehmke dem Hohen Hause auch am 21. September 1972 berichtet. Ob vor oder bei Gelegenheit dieser Aktenvernichtung oder aus anderem Anlaß Aktenteile widerrechtlich beiseite geschafft worden sind, wird sich naturgemäß schwer feststellen lassen, ist jedoch auch Gegenstand der vorhin erwähnten Untersuchung.
Zusatzfrage, Kollege Schmude.
Eine Zusatzfrage zunächst zu Frage 125, Beobachtung von Politikern: Ist der mehrfach entstandene Eindruck zutreffend, Herr Staatssekretär, daß sich die Bundesregierung nicht in der Lage sieht, den öffentlichen Behauptungen über die Beobachtung von Politikern im Inland nachdrücklich und eindeutig verneinend entgegenzutreten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dieses kann diese Bundesregierung für die Zeit nach 1969 eindeutig. Eine andere Frage ist, ob die Untersuchungen ergeben, ob dieses auch für die Zeit davor so beantwortet werden kann. Ich habe ausgeführt, daß die Untersuchungen laufen und deswegen keine konkreten Angaben gemacht werden können. Dies muß dann nach Vorlage des Ergebnisses geschehen.
Metadaten/Kopzeile:
3762 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Eine weitere Zusatzfrage.
Eine Zusatzfrage zu Frage 126, die Doppelagententätigkeit betreffend: Würde das in dieser Frage angesprochene Verhalten im Rahmen der für den Bundesnachrichtendienst zulässigen Praxis liegen oder von der Bundesregierung als Pflichtwidrigkeit gerügt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Frage, ob der Betreffende auch für einen anderen Dienst tätig war, unterliegt zunächst der Untersuchung. Sollte dieses — ich sage dies im Konjunktiv — zutreffen, so wäre dies nicht nur eine Frage, die für die Arbeit im Bundesnachrichtendienst relevant wäre, sondern die auch nach anderen Kategorien, z. B. strafrechtlicher Art, zu beurteilen wäre.
Eine weitere Zusatzfrage.
Teilt die Bundesregierung die von ihren Kritikern in dieser Angelegenheit vertretene Auffassung, daß selbst zu rechtlich und politisch grob fehlerhaften Vorgängen beim Bundesnachrichtendienst der Öffentlichkeit ebenso wie dem Bundestag klare Auskünfte zu versagen oder im Interesse des Nachrichtendienstes sogar unrichtig zu erteilen sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, für die Behandlung der Fragen gibt es ein parlamentarisches Vertrauensmännergremium. Dieses ist für einen der nächsten Tage einberufen und wird sich wohl mit den Einzelheiten, die hier auch zur Debatte stehen, beschäftigen. In diesem Gremium wird den Vertrauensmännern des Parlaments auf einzelne Fragen Antwort gegeben werden. Ich bitte um Verständnis, daß dieses hier nicht geschehen kann.
Weitere Zusatzfrage?
Frau Präsidentin, wie hatte ich idas zu verstehen? Habe ich jetzt noch eine Frage?
Sie haben jetzt noch eine direkte Zusatzfrage. Dann kommt erst der Kollege Metzger an die Reihe, und hinterher haben Sie dann noch einmal eine Zusatzfrage frei.
Halten Sie auf Grund Ihrer Erkenntnisse, Herr Staatssekretär, ,die gegen den Bundesnachrichtendienst und seine ausgeschiedenen Mitglieder erhobenen Vorwürfe für, wie ein Mitglied dieses Hauses erklärt hat, unberechtigt und haltlos?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, es ist für mich zur Zeit nicht möglich, ein idas Ergebnis der Untersuchungen vorwegnehmendes Urteil abzugeben.
Herr Kollege Metzger, jetzt wären Sie an der Reihe.
Frau Präsidentin, ich habe zunächst eine Zusatzfrage zur Frage 126 des Kollegen Schmude.
Sie können Ihr Kontingent verteilen, wie Sie wollen.
— Der Kollege 'hat vier Fragen, weil er zwei Fragen gestellt hat. Das ist ,die Übung dieses Hauses, und die hat
— Herr Kollege, dann müssen Sie zuhören! Ich habe aufgerufen —
— Ich habe die Fragen 125, 126, 127 und 128 aufgerufen.
— Es sind zwei Fragesteller, die für jede ihrer Fragen zwei Zusatzfragen haben. Das ist Übung dieses Hauses, und deswegen ist 'der Kollege Metzger mit seinen Fragen 127 und 128 an ,der Reihe. Wir haben beiden Kollegen je eine Zusatzfrage gegeben, die aber erst zum Zuge kommen, nachdem die anderen Kollegen an der Reihe waren. Ich glaube, das ist eine gute Übung.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesanwaltschaft im Zusammenhang mit den Ermittlungen um die Vorwürfe gegen ,den Verlagsdirektor der Illustrierten „Quick", Herrn van Nouhuys, bereits um eine Aussagegenehmigung für Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes nachgesucht, und hat die Bundesregierung bereits solche Aussagegenehmigungen erteilt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Bundesanwaltschaft hat um Aussagegenehmigungen nachgesucht. Es handelt sich um sieben Fälle. Diesen Anträgen ist entsprochen worden.
Eine zweite Zusatzfrage.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3763
Herr Staatssekretär, zur Frage 127: Haben sich im Bereich der Geheimhaltung von Angelegenheiten des Bundesnachrichtendienstes Schwierigkeiten mit ausgeschiedenen oder ausscheidenden ehemaligen Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes ergeben, bei denen nach Ihren Feststellungen die politische Gegnerschaft dieser Mitarbeiter zur jetzigen Bundesregierung eine Rolle gespielt hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich sagte, daß wir am Beginn einer sicher nicht einfachen Untersuchung stehen, die diesen Tatbestand wird umfassen müssen, wobei es hier wohl mehr um Fragen des Geheimschutzes, die strafrechtlich zu würdigen sind, als um Einstellungsfragen geht.
Eine weitere Zusatzfrage.
Hat die Bundesregierung Anhaltspunkte dafür, daß Indiskretionen von Mitarbeitern oder ehemaligen Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes nicht nur zu befürchten waren, sondern auch zur Förderung von Angriffen auf die jetzige Bundesregierung tatsächlich erfolgt sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich kann hier keine Vermutungen äußern, und Anhaltspunkte, die nicht zum Beweis geführt haben, sind von mir hier nicht zu verwenden. Ich kann Ihnen auf Ihre Frage hier nicht mitteilen, daß derartiges bewiesenes Material vorliegt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Eine Zusatzfrage zur Frage 128: Hat die Bundesregierung feststellen können oder feststellen müssen, daß die Klärung des in der Presse verschiedentlich erhobenen Vorwurfs rechtswidriger Praktiken des Bundesnachrichtendienstes in früheren Jahren durch das Fehlen oder aber auch durch die Unübersichtlichkeit von Akten des Bundesnachrichtendienstes behindert worden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich habe in der Antwort auf die Frage 128 ausgeführt, daß mein Amtsvorgänger angeordnet hat, die Akten zu vernichten, die durch eine von seinem Auftrag nicht gedeckte Tätigkeit des Dienstes entstanden sind. Ich habe hinzugefügt, daß es mir heute nicht möglich ist, von hier aus festzustellen, ob dieses voll erfolgt ist oder ob bei dieser Gelegenheit Vorgänge entwendet worden sind. Ich habe weiter ausgeführt, daß dieses noch Gegenstand der Untersuchung ist. Nach Abschluß wird mit Sicherheit im Vertrauensmännergremium abschließend darüber berichtet werden können.
Darf ich noch eine Verständnisfrage stellen?
Nein, jetzt nicht. I Sie kommen nachher nochmals dran.
Herr Abgeordneter Conradi!
— Meine Damen und Herren! Ich glaube, ich muß hier mal die Geschäftsordnung vorlesen. Selbstverständlich kommen die Fragen in der Fragestunde nach der Reihenfolge derer, die sich melden, zum Zuge. Die Kollegen Conradi und Hansen haben sich ganz zu Anfang gemeldet. Ich pflege das in der gleichen Reihenfolge bei den übrigen Fraktionen zu machen.
Meine Damen und Herren, wenn die Kritik an der Geschäftsführung nicht aufhört, muß ich die Kollegen bitten, diesen Raum zu verlassen. Ich verfahre nach der Geschäftsordnung.
Bitte schön, Herr Kollege Conradi!
Zur Frage 127. Herr Staatssekretär, sind gegen den Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes, der durch Indiskretionen einen Betrag von 100 000 DM zu erpressen versucht hat, Strafanzeigen wegen versuchter Erpressung oder wegen Erpressung gestellt worden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein.
Herr Kollege Hansen!
Herr Staatssekretär, kann davon ausgegangen werden, daß sich die Ermittlungen auch auf Pressemeldungen erstrecken werden, wonach sich eine Gruppe ehemaliger Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes zusammengetan hat, um ihre Erkenntnisse und Kenntnisse einer in diesem Hause vertretenen politischen Partei anzubieten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Ermittlungen werden sich auf alle mit Strafe bedrohten Handlungen erstrecken. Informationen einer politischen Partei zur Verfügung zu stellen, fällt nach meiner Auffassung, soweit nicht Geheimschutzbestimmungen verletzt werden, nicht unter eine Strafdrohung.
Herr Abgeordneter Vogel!
Frau Präsidentin! Darf ich mich zunächst erkundigen, ob ich zu jeder der vier aufgerufenen Fragen eine Zusatzfrage stellen darf?
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3764 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Es ist Übung des Hauses, wenn mehrere Fragen zusammen aufgerufen werden, daß sie durcheinander diskutiert werden können.
Ich frage ja nur. Vizepräsident Frau Funcke: Ja, bitte!
Herr Staatssekretär! Sind Sie bereit, im parlamentarischen Vertrauensmännergremium Auskunft zu geben über den Inhalt des Mercker-Berichts, den bisher auch die Mitglieder des parlamentarischen Vertrauensmännergremiums nicht zur Kenntnis bekommen haben, und zwar im Hinblick auf Ihre Antwort, daß ab 1969 Derartiges nicht vorgekommen sei, und angesichts der Tatsache, daß sich der Mercker-Bericht auf die Zeit vor 1969 bezieht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter! Der Mercker-Bericht liegt, soweit ich weiß, seit längerer Zeit vor. Ich muß Ihnen persönlich sagen, daß nicht einmal ich ihn zur Kenntnis genommen habe. Ich kann Ihnen Ihre Frage deswegen nicht beantworten.
— Doch. Dieses ist nach 1969 ein anderer Tatbestand.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Mende.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß die Erörterung dieser Fragen hier im Plenum des Deutschen Bundestages und nicht im Vertrauensmännergremium im Interesse der Institution „Bundesnachrichtendienst" liegt, die von allen demokratischen Fraktionen dieses Hauses getragen wird?
Und können Sie meinen Eindruck beseitigen, daß die Fragen und Zusatzfragen, die die Kollegen Schmude und Metzger schriftlich festgelegt hatten, vorher mit Ihnen abgesprochen wurden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, zum letzten kann ich Ihnen sagen, daß natürlich keine Absprache stattgefunden hat. Das haben Sie vielleicht auch an den Antworten gehört. Im übrigen würde ich sagen: Es würde eine Übertreibung sein von Zusammenarbeit, die sonst sehr gut funktioniert, wie Sie wissen.
Zum ersten würde ich meinen, Herr Abgeordneter Mende: Was für den Bundesnachrichtendienst am allerwichtigsten ist, ist die Freiheit von dem Gefühl, für nichtauftragsgemäße Dinge mißbraucht zu werden.
Das Wichtigste für den Dienst ist, daß öffentlich klargemacht ist, daß dieses nicht geschieht, daß, wenn es aber geschehen ist, entsprechende Maßnahmen getroffen werden, um dieses zukünftig zu verhindern. Das ist das, was ich persönlich für das Wichtigste für den Dienst halte: daß jeder hier im Lande die Gewißheit hat, daß sich der Dienst mit der Auslandsaufklärung beschäftigt, die in der Tat wichtig ist — dies kann nur unterstrichen werden —, aber keine anderen Aufgaben ausführt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Pfeffermann.
Herr Staatssekretär, können Sie meinen Eindruck bestätigen, daß die Bundesregierung — vertreten durch Sie — offensichtlich Willens ist, zu dem Bereich der Frage 126 nur dann nähere Auskunft zu geben, wenn die Verdachtsmomente durch Untersuchungen zu Tatsachen erhärtet sind und nicht nur auf Verdächtigungen, auf Material der DDR, zurückzuführen sind, — dies ganz offensichtlich im Gegensatz zur Handhabung von Vorgängen aus der Vergangenheit, wo Verdachtsmomente in anderem Zusammenhang — etwa vom Kollegen Metzger — als Tatsachen dargestellt worden sind und dann auf dem Gerichtswege als unzutreffend zurückgewiesen werden mußten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Sie gehen von völlig falschen Voraussetzungen aus. Ich habe vorhin ausgeführt, daß diese Frage aus zwei Teilen besteht. Zu der einen Frage habe ich hier mitgeteilt, daß ich mich nicht spezieller äußern kann; zu diesem Teil habe ich mich im Vertrauensmännergremium schon durch eine Mitteilung speziell geäußert. Was den anderen Teil angeht, so würde ich vor der Vorstellung warnen, daß dies etwa ausschließlich aus Quellen hervorgeht, die Sie für die einzigen halten.
Darf ich zur Frage 125 eine Zusatzfrage stellen?
Einen Moment! — Ich glaube, da es sich um vier Fragen handelt, sollten wir auch die Zusatzfragen verdoppeln.
— Nein, auch bei zwei Fragen haben wir nur eine Zusatzfrage; aber bei vier Fragen sollten wir zwei Zusatzfragen zulassen. — Aber jetzt müßten wir dann zuerst Herrn Kollegen Metzger Gelegenheit zur Frage geben, dann kommt Herr Kollege Vogel, dann Herr Dr. Mende und dann kommen Sie, Herr Pfeffermann.
Bitte schön, Herr Kollege Metzger!
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß in die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft auch die Frage eingeschlossen werden wird, ob und in welchem Umfang Akten aus dem
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3765
MetzgerBundesnachrichtendienst verschwunden bzw. beseitigt worden sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dies ist einer der ganz wichtigen Teile der zu untersuchenden Tatbestände, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Vogel.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß der Journalist Ebelseder vom „Stern" in einer bei Gericht abgegebenen eidesstattlichen Erklärung angegeben hat, daß ihm vom Staatssekretär im Bundeskanzleramt in Aussicht gestellt worden sei, daß für alle in Frage kommenden Personen Aussagegenehmigung erteilt werde? Wie verträgt sich das mit der von Ihnen hier gegebenen Antwort?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Vogel, Herr Ebelseder hat von mir auf eine Frage hin die Antwort erhalten, die das Hohe Haus bereits im September in einer Fragestunde erhalten hat und in der die grundsätzliche und auch in diesem Fall anzuwendende Haltung der Bundesregierung deutlich gemacht wurde; dies ist kein neuer Tatbestand. Nur sehe ich, wenn ich dies hinzufügen darf, hier keinen Widerspruch. Denn offenbar handelt es sich nach der Auffassung von
Herrn Ebelseder um kriminelle und damit zu bestrafende Vorgänge, also um Straftaten; dies hat ihn wohl zu seinem Schluß geführt. Ich würde dieses hier nicht zu einem Gegensatz hochstilisieren.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mende.
Herr Staatssekretär, wird das Bundeskanzleramt bezüglich des Wahrheitsgehalts politischer Meldungen der Illustrierten „Stern" nach den Erfahrungen mit dem Fall des Kollegen Dr. Hupka und des Schriftstellers Hans Habe, wo in dem einen Falle 20 000 DM, in dem anderen Fall 30 000 DM vom „Stern" gezahlt werden mußten, weil sich die Vorwürfe vor Gericht als wahrheitswidrig herausstellten, etwas vorsichtiger mit dem „Stern" umgehen, als dies Ihr Vorgänger im Amt getan hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist nicht Aufgabe, vorsichtig oder unvorsichtig vorzugehen, Herr Abgeordneter, sondern es geht darum, daß im Interesse unseres Nachrichtendienstes und, so würde ich sagen, im Interesse der Bundesrepublik jedem Hinweis nachgegangen wird, ob es Leute gibt, die auch für andere Dienste arbeiten. Dies empfinde ich als eine der vornehmlichen Amtspflichten der Aufsichtsbehörde. Ich wäre dankbar, wenn sich das Haus in diesem Grundsatz einig wäre.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Pfeffermann.
Nicht mehr? —Dann eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, halten Sie die Behandlung dieser Vorgänge, nachdem die breite Öffentlichkeit in aller Ausführlichkeit mit ihnen bekanntgemacht worden ist, wirklich für schädlich, oder meinen Sie nicht vielmehr, daß gerade deshalb die Erörterung in diesem Hause sehr notwendig ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Erörterungen im Hause haben — wie auch von den Fragestellern erklärt wurde — nur den Sinn und können nur den Sinn haben, den Dienst und damit die Aufgabenerfüllung frei von Verdacht zu halten. Ich kann dieses nicht als schädlich für die Erfüllung der dienstlichen Aufgaben betrachten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 129 des Herrn Abgeordneten Spranger auf:
Kann die Bundesregierung ausschließen, daß die Falschmeldungen verschiedener Presseorgane im Jahr 1972, der Herr Bundeskanzler habe 25 000 DM als Spende für den Lübecker Dom von dem ihm verliehenen Friedensnobelpreis abgezweigt, durch Informationen aus dem Bundeskanzleramt oder anderer Bonner Behörden verschuldet wurden, und warum wurde von einer Richtigstellung abgesehen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär Grabert!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung kann ausschließen, Herr Abgeordneter Spranger, daß die Falschmeldungen in verschiedenen Presseorganen durch Informationen aus dem Kanzleramt bzw. dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung verschuldet wurden. Sie werden mit mir darin übereinstimmen, daß es etwas weit führen würde, wollte die Bundesregierung alle in verschiedenen Zeitungen aufgestellten Behauptungen, die ohne politisches Gewicht sind, jeweils richtigstellen. Anfragen — und darauf kommt es hier insbesondere an — sind jedoch stets dahin beantwortet worden, daß die Spende aus Mitteln des Bundeskanzleramts gekommen ist.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Falschmeldungen den für das Ansehen des Herrn Bundeskanzlers günstigen, aber falschen Eindruck vermittelten, der Herr Bundeskanzler habe aus eigenen Mitteln die Spende aufgebracht, während in Wirklichkeit der Steuerzahler die Spende finanziert hat?
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3766 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich würde hier nicht von günstigen und ungünstigen Wirkungen sprechen. Es ist immer unangenehm, wenn in diesem Bereich Falschmitteilungen an die Öffentlichkeit gelangen, wie es in diesem Fall geschehen ist.
Ich habe eine zweite Zusatzfrage. — Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß der Herr Bundeskanzler, der sich ja kürzlich selber als Leser der Zeitschrift „Stern" bezeichnet hat und diese Falschmeldung kannte, gerade als Nobelpreisträger die moralische Pflicht gehabt hätte, hier eine Richtigstellung herbeizuführen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich habe bereits mitgeteilt, daß jede Frage anders, und zwar zutreffend, beantwortet worden ist. Ich kann also weder erkennen, daß jemand geblufft werden sollte, noch daß jemand hinters Licht geführt werden sollte. Ich würde deswegen meinen, daß den Notwendigkeiten in dieser Sache völlig Genüge getan worden ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schulze-Vorberg.
Dr. 'Schulze-Vorberg : Herr Staatssekretär, könnten Sie, nachdem nun in der Öffentlichkeit ein falscher Eindruck entstanden ist, hier eine Richtigstellung in der Weise vornehmen, daß Sie uns mitteilen, wofür das Geld tatsächlich verwendet wurde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dies habe ich bereits getan, Herr Abgeordneter. Ich habe mitgeteilt, daß die Mittel für diese Spende aus dem Verfügungsfonds im Kanzleramt gekommen sind.
Nein, wofür diese Gelder aus dem Nobelpreis verwendet worden sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, diese Frage geht wohl über das hinaus, worüber die Bundesregierung Mitteilungen machen kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung eine Erklärung für die Ursache dieser Falschmeldung?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein.
Keine weiteren Zusatzfragen. Damit sind die Fragen aus diesem Geschäftsbereich beantwortet. Ich bedanke mich, Herr Staatssekretär Grabert.
Ich rufe noch eine Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen auf, die Frage 14 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja:
Sind nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 31. Juli 1973 alle Staatsorgane und Behörden der Bundesrepublik Deutschland kraft Gesetzes verpfichtet, ausschließlich die amtlichen deutschen Ortsnamen für alle Orte in ganz Deutschland zu verwenden?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Herold.
Frau Präsidentin, wenn der Fragesteller damit einverstanden wäre, würde ich gerne beide Fragen zusammen beantworten.
Ich bitte um getrennte Beantwortung.
Dann kommt aber nur noch die eine Frage dran, Herr Kollege.
Dann ziehe ich die zweite Frage zurück.
Gut, also dann nur die erste.
Ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten. Ihre Frage bezieht sich, wie ich sie verstehe, auf Orte jenseits der Oder-NeißeGrenze. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 beschäftigt sich mit der Bezeichnung dieser Orte nicht. Aus dem Urteil ergibt sich also für die Behörden der Bundesrepublik Deutschland nicht die Verpflichtung, die Sie Ihrer Frage zugrunde legen. Ich mache zusätzlich darauf aufmerksam, verehrter Herr Kollege Czaja, ,daß mein Kollege Moersch in seiner Antwort auf Ihre Frage am 11. September zu diesem Fragenkomplex bereits eindeutig Stellung genommen hat.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie meine Frage so, wie sie gestellt ist, und nicht so, wie Sie sie auslegen, beantworten und mir sagen, db es amtliche Ortsbezeichnungen für alle Orte in ganz Deutschland gibt und was dagegen spricht, ,daß deutsche Behörden sie benutzen.
Ich habe Ihre Frage nicht nach meinem Ermessen ausgelegt, sondern ich habe die Antwort korrekt gegeben. Sie fragten nach dem Verfassungsgerichtsurteil, und ich habe darauf geantwortet.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3767
Eine zweite Zusatzfrage.
Werden also von den Bundesbehörden alle Orte in ganz Deutschland, nachdem die Bundesrepublik Deutschland nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts als eigenes Staatsgebiet zum einheitlichen Staatsgebiet Deutschland als nicht abtrennbarer Teil gehört, mit deutschen Ortsbezeichnungen geführt?
Ich kann nur die Antwort auf Ihre erste Zusatzfrage wiederholen. Für die Oder-Neiße-Gebiete hat Herr Kollege Moersch geantwortet. Was Idle Wiedervereinigung insgesamt betrifft: Wenn wir das von der Reglementierung — so sagte mein Kollege Moersch — von Sprachregelungen abhängig machen, dann wäre es um die Bestrebungen innerhalb unseres Volkes und der Nation schlecht bestellt.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen A 15, 19, 20, 40, 48, 49, 81 und 85 sind von den Fragestellern zurückgezogen.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seiters.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der heutigen Fragestunde ist der Beschluß der DDR, die Zwangsumtauschquote zu verdoppeln, behandelt worden. Dieser Beschluß erschwert nach Auffassung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion den innerdeutschen Reiseverkehr, höhlt bestehende Vereinbarungen aus und trifft Millionen von Menschen, die Besuche im Machtbereich der DDR machen wollen.
Der Beschluß ist nach unserer Meinung eine Demontage scheinbar zugesagter menschlicher Erleichterungen. Er ist gegen Begegnungen gerichtet, die von uns allen im Interesse der Menschlichkeit dringend gewünscht werden müssen. Von daher ist es notwendig, daß die Regierung alle Anstrengungen unternimmt, um die andauernden Verstöße der DDR gegen den von der Bundesregierung so oft beschworenen Geist der Entspannungspolitik zurückzuweisen.
Die Beantwortung der Dringlichkeitsfragen in der heutigen Fragestunde macht nach Auffassung der CDU/CSU eine weitere Behandlung in diesem Hause erforderlich. Namens meiner Fraktion beantrage ich daher eine Aktuelle Stunde.
Meine Damen und Herren, es ist eine Aktuelle Stunde beantragt. Es war jedoch interfraktionell vereinbart, um diese
Zeit die Behandlung über das Ergebnis des Vermittlungsausschusses zum Vierten Gesetz zur Reform des Strafrechts zu verhandeln und abzustimmen. Könnten wir — abweichend von der Geschäftsordnung — so verfahren, daß wir die Aktuelle Stunde etwas verschieben und dafür zunächst über das Ergebnis des Vermittlungsausschusses abstimmen? — Widerspruch erfolgt nicht. Dann, glaube ich, dürfen wir so verfahren.
Dann rufe ich Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Vierten Gesetz zur Reform des Strafrechts
— Drucksache 7/1166 — Berichterstatter: Abgeordneter Dürr
Ich darf Herrn Abgeordneten Dürr bitten, die Berichterstattung über das Ergebnis des Vermittlungsausschusses zu übernehmen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 6. Juli 1973 beschlossen, das vom Deutschen Bundestag am 7. Juni 1973 verabschiedete Vierte Gesetz zur Reform des Strafrechts mit einer Reihe von Änderungsbegehren dem Vermittlungsausschuß vorzulegen. Der Vermittlungsausschuß hat sich in zwei Sitzungen am 21. September und am 25. Oktober 1973 mit den Änderungsanträgen des Bundesrates befaßt.Der Antrag des Vermittlungsausschusses liegt Ihnen auf Drucksache 7/1166 vor. Ich darf Ihnen wie folgt erläutern. Im Vermittlungsausschuß ist die Anregung des Bundesrates, § 131 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs neu zu fassen, nicht aufgegriffen worden. In einer Reihe von Punkten hat der Vermittlungsausschuß die Anregungen des Bundesrates erörtert, ist ihnen aber nicht gefolgt. Dies gilt für folgende Vorschläge.Erstens. Die Verletzung der Aufsichtspflicht sollte nach Auffassung des Vermittlungsausschusses nicht mit Strafe bedroht werden.Zweitens. Es empfiehlt sich auch nicht, in § 174 Abs. 2 Stiefkinder besonders zu schützen.Drittens. Sexuelle Handlungen, die ein Beamter unter Ausnutzung der durch seine Amtsstellung begründeten Abhängigkeit an anderen vornimmt, brauchen nur in den in § 174 b des Gesetzesbeschlusses bezeichneten Fällen besonders mit Strafe bedroht zu werden; im übrigen greift der allgemeine Nötigungstatbestand ein.Viertens. Die Vorschriften im 4. Strafrechtsreformgesetz über die Straffreiheit oder das Absehen von Strafe unter bestimmten Voraussetzungen sollten bestehenbleiben. Der Gesetzgeber sollte seine Vorstellung, daß in solchen Fällen ein Absehen von Strafe geboten sein kann, klar zum Ausdruck bringen.Fünftens. Schließlich sollte es bei der vom Bundestag beschlossenen Abschnittsüberschrift „Straf-
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3768 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Dürrtaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung" bleiben. Diese Überschrift schließt nicht aus, daß in dem so überschriebenen Abschnitt auch andere Rechtsgüter geschützt werden.In folgenden Punkten schlägt der Vermittlungsausschuß dagegen eine Änderung des Gesetzesbeschlusses vor.Erstens. Die Höchststrafe bei Verletzung der Unterhaltspflicht sollte erhöht werden. Es erscheint angemessen, Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe anzudrohen.Zweitens. Beim Problemkreis der Kuppelei konnte der Vermittlungsausschuß zum Teil den Vorschlägen folgen, die der Bundesrat bei der Anrufung des Vermittlungsausschusses gemacht hat. Mit Rücksicht auf die allgemein anerkannten Grenzen, die der Legitimität und der Durchsetzbarkeit strafrechtlicher Verbote gesetzt sind, sollte das Strafrecht auf dem Gebiet der Kuppelei nur solche Handlungen treffen, die in unmittelbarer oder mittelbarer Weise die Selbstbestimmung anderer oder die Entwicklung der Jugend gefährden.Hieran gemessen greift eine Vorschrift, die jede gewerbsmäßige Vermittlung außerehelicher sexueller Beziehungen — auch wenn alle Beteiligten sie wünschen — unter Strafe stellt, nach Ansicht der Mehrheit des Vermittlungsausschusses zu weit. Aus dem gleichen Grunde ist auch ein allgemeines Verbot der Ehegattenkuppelei nach Auffassung der Mehrheit nicht angebracht. Strafwürdig erscheint aber ein Sonderfall der Ehegattenkuppelei, nämlich die zuhälterische Betätigung des Ehemannes, die nach § 181 a Abs. 3 mit Strafe bedroht bleibt. Im übrigen macht sich weiter wegen Nötigung strafbar, wer einen anderen, auch den Ehegatten, mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel dazu nötigt, sich einem Dritten hinzugeben.Von dem generellen Verbot, sexuellen Handlungen Jugendlicher zwischen 14 und 16 Jahren Vorschub zu leisten, hatte der Bundestag mit dem sogenannten Erzieherprivileg eine Ausnahme vorgesehen. Sofern die Erziehungspflicht nicht gröblich verletzt wird, sollte nach dem Gesetzesbeschluß des Bundestages sowohl der Sorgeberechtigte als auch ein von ihm ermächtigter Dritter straffrei bleiben. Der Vermittlungsausschuß hat zwar an der grundsätzlichen Straffreiheit des Sorgeberechtigten festgehalten, weil sie möglichen pädagogischen Konfliktslagen Rechnung trägt. Dagegen erschien es dem Vermittlungsausschuß richtig, das Erzieherprivileg nicht auf dritte Personen, die mit Einwilligung der Sorgeberechtigten handeln, auszudehnen. Auch in anderen Fällen, in denen der Gesetzesbeschluß ein Erzieherprivileg vorsieht, empfiehlt sich nach Auffassung des Vermittlungsausschusses, das Privileg auf die Sorgeberechtigten zu beschränken.Drittens. Darüber hinaus wird vom Vermittlungsausschuß vorgeschlagen, § 184 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs zu ändern. Es soll dabei verbleiben, daß pornographische Schriften, abgesehen von den sadistischen, pädophilen und sodomitischen Schriften, für die § 184 Abs. 3 eine besondere Regelung vorsieht, an Erwachsene, die dieses selbst wünschen, abgegeben werden dürfen; denn insoweit ist ein Strafbedürfnis nicht gegeben. Sicherzustellen ist aber der Schutz der Öffentlichkeit, der Schutz desjenigen, der mit Pornographie nicht konfrontiert zu werden wünscht und insbesondere der Schutz der Jugend.Der Vermittlungsausschuß schlägt vor, die geschützten Rechtsgüter in § 184 Abs. 1 dadurch zu verdeutlichen, daß die bisher im Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit geregelten Jugendschutztatbestände ausdrücklich im Strafgesetzbuch genannt werden, zumal die Gesetzestechnik im Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften schwer verständlich ist. Eine ausdrückliche Regelung im Strafgesetzbuch wird deshalb den Sinn des Rechtsgutes „Jugendschutz" deutlicher zum Ausdruck bringen als eine bloße Regelung in einem Nebengesetz.Aus Gründen des Öffentlichkeits- und Jugendschutzes schlägt der Vermittlungsausschuß darüber hinaus die Neueinfügung von § 184 Abs. 1 Nr. 7 — die sogenannte Kino-Klausel — vor. Danach soll verboten werden, pornographische Filme in einer öffentlichen Filmvorführung gegen ein Entgelt zu zeigen, das ganz oder überwiegend für diese Vorführung verlangt wird. Mit dieser Vorschrift soll die Vorführung von pornographischen Filmen in öffentlichen Lichtspieltheatern verhindert werden. Dies erschien dem Vermittlungsausschuß notwendig, weil der Jugendschutz leichter aufrechtzuerhalten ist, wenn künftig in öffentlichen Lichtspieltheatern pornographische Filme nicht vorgeführt werden dürfen. Die vom Vermittlungsausschuß vorgeschlagene Formulierung ist auch im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform eingehend beraten worden. Bei der künftigen Auslegung der Vorschrift können deshalb die Beratungen des Sonderausschusses berücksichtigt werden.Viertens. Letztlich ist vom Vermittlungsausschuß eine Änderung des § 15 des Gesetzes zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit vorgeschlagen worden. Der Vermittlungsausschuß war sich darüber im klaren, daß die vorgeschlagene Änderung auch zu einer Erweiterung der Strafbarkeit führt, da sie öffentlich vorgeführte indizierte Filme künftig der Strafvorschrift des § 21 GjS unterstellt. Diese geringfügige Ausdehnung der Strafbarkeit ist nach Meinung des Vermittlungsausschusses sachlich vertretbar.Der Vermittlungsausschuß hat beschlossen, daß über die Vorschläge gemeinsam abzustimmen ist. Namens des Vermittlungsausschusses bitte ich Sie, dem Vorschlag zuzustimmen.
Wir danken dem Berichterstatter.Wird seitens der Fraktionen zur Abgabe von Erklärungen das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann kommen wir zur Abstimmung. Auf Beschluß des Vermittlungsausschusses soll über alle Vor-
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Vizepräsident Frau Funckeschläge gemeinsam abgestimmt werden. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Damit ist der Antrag des Vermittlungsausschusses angenommen.Wir kommen nunmehr zurAktuellen Stunde.Das Wort hat Herr Abgeordneter Abelein.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Stoff für Aktuelle Stunden zu den verschiedensten Themen gibt uns diese Bundesregierung fürwahr genug.
Heute möchten wir uns über innerdeutsche Probleme und die Situation in unserem Land unterhalten.
„Der Vertrag wird seine volle Wirkung erst zeigen, wenn er in Kraft tritt." — Jetzt haben wir die volle Wirkung dieses Vertrages!
Meine Damen und Herren, was gehört denn zu dieser vollen Wirkung des Vertrages? Der Zwangsumtausch-Betrag pro Person und Tag wurde jetzt verdoppelt, was, wie die Bundesregierung zugibt, sicher nicht im Interesse der Reiseerleichterungen liegt; die Sperrung von Hunderten von Ortschaften und Ortsteilen für den kleinen Grenzverkehr im Laufe dieses Sommers wurde nachträglich vollzogen, wogegen die Bundesregierung nur schwach protestierte. Es gibt zahlreiche Versuche der Regierung der DDR, die Kontakte zwischen den beiden Teilen Deutschlands zu lähmen und die ohnehin dünne Substanz des Grundvertrages noch zusätzlich auszuhöhlen. Ganze Betriebsbelegschaften mußten sich verpflichten, nicht einmal mehr ihre engsten Verwandten zu sich einzuladen. SED-Mitglieder müssen sich verpflichten, Westkontakte zu meiden. Sicherheitsträger — ihre Zahl nimmt ständig zu — haben nicht die Möglichkeit von Besuchsreisen in die Bundesrepublik. Die Bundesregierung redet zwar von erzielten Erleichterungen, die auch wir anerkennen. Aber sie müßte auch darauf hinweisen, daß in den letzten Wochen der Reiseverkehr aus der DDR in die Bundesrepublik insgesamt eine sinkende Tendenz aufweist.
Die Sperrmaßnahmen an den Grenzen wurden verstärkt; die SED gab dafür nach bisher vorsichtigen Schätzungen allein 9 Milliarden DM aus. Vielleicht braucht sie für den weiteren Ausbau das Zwangsgeld, das jetzt erhöht wurde. Das Schießen an der Grenze wurde in keiner Weise eingestellt.Wir gehen nicht davon aus, daß diese Dinge der Bundesregierung angenehm sind. Aber das jetzigeWeinen nützt nichts. Die Erkenntnis hätte früher kommen sollen, nämlich vor einem Jahr.
Ich frage mich, ob angesichts dieser Ergebnisse der innerdeutschen Politik derjenige, der die Verträge in dieser Weise ausgehandelt hat, von der Bundesregierung jetzt nicht aus dem Verkehr gezogen werden sollte.
Um es noch deutlicher zu sagen: Herr Bahr ist angesichts dieser Situation für uns unhaltbar geworden.
Bundeskanzler Brandt hat anläßlich des Abschlusses des Grundvertrages erklärt:Ich möchte meiner sicheren Hoffnung Ausdruck geben, ,daß das neue Verhältnis beider Staaten sich zum Segen für die Menschen in ihnen auswirken wird.Diese sichere Hoffnung hat in der Zwischenzeit bei den Menschen in der DDR, wie wir wissen, einer grausamen Ernüchterung Platz gemacht. Die Fluchtbereitschaft trotz des steigenden Risikos wächst. Die DDR veranstaltet gegenwärtig Schauprozesse gegen Menschen, die Fluchthilfe geleistet haben, und die Bundesregierung muß sich noch vorhalten lassen, daß Fluchthilfe gegen die Mißbrauchsklausel im Verkehrsvertrag verstößt. Das heißt, wir haben eine Situation, wo für ihre unmenschliche Aktion die DDR auf angebliche Vertragsbestimmungen, die sie mit dieser Bundesregierung abgeschlossen hat, hinweisen kann.Wo bleibt der flammende Protest der Bundesregierung gegen diese Maßnahmen der DDR? Wie verhält es sich denn mit der von der SPD so viel beschworenen menschlichen Solidarität auf dieser Welt? Hier handelt es sich um die Solidarität mit unseren Mitbürgern.
Es handelt sich um Menschen, die von nichts anderem als von ihrem natürlichen Recht der Freizügigkeit Gebrauch machen wollen. Die Äußerungen der Bundesregierung, nicht zuletzt die ihres Staatssekretärs Grabert, sind in diesem Zusammenhang in hohem Grade mißverständlich. Hier handelt es sich nicht um einen Mißbrauch, sondern um den Gebrauch der Menschenrechte, die auch alle Bürger in unserem Lande für sich in Anspruch nehmen können.
Wir erwarten ein klares Wort der Bundesregierung auf diese brennenden Fragen.Lassen Sie mich zum Abschluß noch darauf hinweisen, daß es sich in diesem Zusammenhang ganz offensichtlich um eine konzertierte Aktion der Sowjetunion und ihrer Partner im Ostblock handelt: Mißachtung der Bundesfahne bei Ausstellungen in Berlin; Versuche, West-Berlin in eine Isolierung zu treiben.
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3770 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Dr. AbeleinWir anerkennen, daß die Bundesregierung gegenwärtig versucht, teilweise zu retten, was noch zu retten ist. Wir wollen sie dabei gerne unterstützen.
Allerdings muß ich dazu sagen, daß wir in der Haltung des Herrn Wehners keinen Beitrag zu diesen Versuchen selbst der Bundesregierung sehen.
Es gibt eindeutige Interessen bei der Auslegung, die die Sowjetunion vertritt, und es gibt Interessen, die die Bundesregierung — wie wir anerkennen —, wenn auch spät, im Interesse der Bundesrepublik vertritt. Wir fragen: Welche Interessen haben Sie, Herr Wehner, bei diesen Aktionen in letzter Zeit eigentlich vertreten?
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Das Wort hat Herr Arndt .
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abelein war so freundlich, zu fragen, welche Interessen wir, die Sozialdemokraten
oder unser Fraktionsvorsitzender Wehner in diesem Zusammenhang vertreten: Die Interessen des deutschen Volkes, des einfachen Mannes in beiden Teilen dieses Landes,
der erstens unter den Zufälligkeiten der Weltpolitik nicht unnötig leiden sollte, der zweitens bei einer neuen Eskalierung in der Weltpolitik nicht einem ungewissen Schicksal ausgesetzt werden sollte und der drittens nicht mehr viel damit zu tun hat, daß 1933 bis 1945 Europa im deutschen Namen vom Krieg überzogen wurde. An dieser Rechnung haben wir doch noch zu tragen.
Herr Abelein, wenn es Ihnen schwerfällt, sich von Zeit zu Zeit einmal eine Weltkarte anzugucken, dann lesen Sie doch bitte einmal in amerikanischen Veröffentlichungen, wie der westliche Teil von Europa bezeichnet wird: westlicher Streifen der eurasischen Landmasse, um den man sich strategisch und politisch in gewissem Umfang zu kümmern hätte. „Streifen" wird manchmal durch „Teil" ersetzt. Das macht die Sache doch nicht besser.
Es wurde gesagt, man hätte vor einem Jahr die Erkenntnis haben sollen. Welche Erkenntnis?Ihre? Dann hätten wir die Verträge nicht. Dann hätte es überhaupt keine menschlichen Erleichterungen. gegeben.
Und eine Fortsetzung der Politik, die bis 1965/66 gegeben war, hätte nicht nur die Menschen in Mitteldeutschland getroffen, sie hätte die Bundesrepublik isoliert; wir wären eine Art Taiwan geworden.
Die Frage ist: Gehen wir jetzt in eine neue Periode der Vereisung hinein? Wir brauchen uns nicht von dem SED-Regime abzugrenzen. Es ist nicht demokratisch und es ist nicht sozialistisch. Aber
ob Ihren Rezepten — z. B. flammende Proteste — gefolgt werden sollte, — da mache ich doch ein Fragezeichen. Wenn wir diesen Rezepten 1967 bis 1969 gefolgt wären, wären wir nicht weiter. Ent-spannungs- und Ostpolitik gingen hin auf die Verträge, und sie bedürfen der Ausfüllung der Verträge.
Dazu gehört, daß es von beiden Seiten keine einseitigen Akte in Fragen gibt, in denen die Auslegung der Verträge umstritten ist.
Das gilt natürlich auch für Gebührenerhöhungen im Reiseverkehr, aber nicht nur für diese.
Nun das zweite. Was früher bei der Förderung des innerdeutschen Handels möglich war und neuerdings zweifelhaft geworden ist — die Opposition wollte in der Fragestunde ja sogar soweit gehen, den Kreditswing der Bundesbank nach unten zu fahren —, muß erhalten bleiben. Beide Seiten müssen daran interessiert bleiben, die Verträge im Geist der Entspannung auszufüllen.
Das kostet uns Geld, das kostet die Regierung auch die Bereitschaft zur Konsultation. Das verlangt die entsprechende Bereitschaft von Ost-Berlin. Erst wenn sie wirklich einseitig nie gezeigt worden wäre, wäre eine neue Überlegung zu treffen. Aber das ist nicht der Fall.Es geht der sozialdemokratischen Fraktion darum, aus einer im Augenblick verhängnisvoll aussehenden Spirale herauszukommen, wegen der Menschen in Dresden wie in München. Deswegen wollen wir in dieser Frage einen neuen Anfang machen, aber
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3771
Dr. Arndt
nicht auf Grund der Scheinrezepte der CDU/CSU-Fraktion.
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Abgeordneter Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist hier bei Professor Abelein von der Frage nach der vollen Wirkung der Verträge die Rede gewesen. Ich stelle an diesem Punkt die Gegenfrage: Was wäre denn eigentlich ohne diese Verträge?
Herr Professor Abelein, Sie haben hier einen Katalog von Beanstandungen an der gegenwärtigen Situation aufgeführt, Beanstandungen, die sicherlich von dem ganzen Hause geteilt werden.
Aber wäre es nicht sinnvoll, diesem Katalog einmal eine Aufzählung all dessen entgegenzuhalten, was 1969 vor Beginn dieser neuen Deutschland- und Ostpolitik zu beanstanden war?
Ich glaube, meine Damen und Herren, dieser Katalog wäre umfangreicher.
Sicherlich nützt es nichts, zu weinen. Aber ich
frage mit aller Nüchternheit hier in diesem Moment und zu diesem Problem: Wer von Ihnen, meine Damen und Herren, hat eigentlich erwartet, daß die Politik einer äußeren Entspannung gegenüber einem nichtdemokratisch regierten Staat nicht an dem einen oder anderen Punkt fast zwangsläufig zu Abgrenzungsversuchen dieses Staates auf bestimmten Gebieten führen mußte? Denn ein solcher nichtdemokratisch regierter Staat empfindet natürlich jeden dieser zunehmenden menschlichen Kontakte als einen Angriff auf seinen eigenen inneren Status. Damit haben wir rechnen müssen, damit haben wir gerechnet.
Dem steht die entschiedene Willenserklärung dieser Koalition gegenüber, alles zu tun, heute und in Zukunft, um solchen Abgrenzungsversuchen entgegenzuwirken. Ich stehe hier nicht, und ich werde es weit von mir weisen, diese Maßnahme der DDR oder andere, die hier angeführt worden sind, vor diesem Hause oder vor der Öffentlichkeit zu verteidigen.
Die Verdoppelung der Umtauschbeträge
verstößt auch nach unserer Meinung gegen den Geist
des Grundvertrages, und es wird die Aufgabe des
ganzen Hauses sein, meine Damen und Herren, solchen Verstößen entgegenzuwirken.
— Meine Damen und Herren, ich nehme in Kauf, daß im Protokoll stehen wird „Beifall bei der CDU/ CSU". Ich hoffe, bei der nächsten Bemerkung wird der Beifall von einer anderen Seite kommen.
Ich will Ihnen, meine Damen und Herren, folgendes sagen. Die Basis, von der aus wir in der Lage sind, solchen Versuchen der DDR entgegenzutreten und die positive Entwicklung der Besucherzahlen weiter voranzutreiben, hat nicht die Opposition geschaffen, sondern die sozialliberale Koalition mit ihrer Politik.
Wenn wir in den Vereinten Nationen, wenn wir auf Grund der internationalen Verträge über Menschenrechte, die wir neulich ratifiziert haben, wenn wir, auf welcher Basis auch immer, heute mit mehr Wirkung menschliche Erleichterungen und Menschenrechte auch von dem Staat fordern können, der auf einem anderen Teil deutschen Bodens sich etabliert hat, so ist das nicht Ihr Verdienst, meine Damen und Herren von der Opposition. Es nützt mit Sicherheit nichts, zu weinen, sondern es nützt, etwas zu tun.
Die Zahlen, die wir vor uns haben, die Besucherzahlen, die Sie heute in der Fragestunde auch gehört haben, auch die Zunahme der Reisen von Ost nach West, meine Damen und Herren, sprechen ihre eigene Sprache. Jeder dieser Besuche, jeder dieser Kontakte, ist ein Schritt dazu, daß die Einheit der deutschen Nation, die Sie so oft im Munde führen, erhalten bleibt und gesichert wird für den Zeitpunkt, an dem wir das gemeinsame Ziel eines deutschen Staates auf deutschem Boden erreichen können.
Das Wort hat Herr Bundesminister Franke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einige Anmerkungen zu den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Abelein. Er hat hier den Begriff der vollen Wirkungen des Grundlagenvertrags in die Debatte geworfen, die sichtbar werden sollten, wenn er angenommen sei. Er fragte, wie das denn nun aussehe, und er bezog das auf das aktuelle Thema, das uns allen nicht behagt.Aber wenn diese Frage aufgeworfen wird, möchte ich hier in Erinnerung rufen, daß in der Tat, nachdem der Grundlagenvertrag in Kraft getreten ist, jetzt viele Folgeverhandlungen aufgenommen werden, um all die Dinge, die in den Jahren zuvor nur als Forderungen hier immer angemeldet wurden, einer konkreten Lösung näherzubringen.
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3772 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Bundesminister FrankeEs ist doch völlig unrichtig, Herr Kollege Abelein, was Sie hier sagen zu können meinten, nämlich daß im Grenzbereich der DDR Hunderte von Orten für den Besuch gesperrt seien. Erstmals nach vielen Jahrzehnten sind Tausende von Orten im nahen Grenzbereich für den grenznahen Verkehr geöffnet.
und über 140 000 Besucher aus dem Bereich der Bundesrepublik Deutschland sind in den ersten vier Monaten hinübergefahren.Meine Damen und Herren, Sie können nicht nui Ihre negativen Gesichtspunkte hier immer in die Debatte werfen, um damit den Wert dieser Politik zu charakterisieren, sondern Sie müssen das Ganze sehen. Dann seien Sie bitte mit uns bemüht, diese schwierige Aufgabe im Interesse der Menschen, um die es in beiden Staaten Deutschlands geht, sinnvoll und redlich zu lösen.
Ich will auch zu den anderen Dingen, um die es jetzt geht, etwas sagen. Ich glaube, sagen zu müssen, daß die jüngsten Entwicklungen in den Beziehungen zwischen uns und der DDR von niemandem auf die leichte Schulter genommen werden können. Das ist die einhellige Meinung. Es lohnt sich darum gar nicht, zu versuchen, hier Differenzen aufzubauen, sondern das ist völlig eindeutig und klar. Diese Entwicklungen müssen all diejenigen mit Sorge erfüllen, die sich ernsthaft bemühen und entschlossen sind, die neue, vertraglich vereinbarteGrundlage der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten nach Geist und Buchstaben zur Wirkung zu bringen.Die Äußerungen des Ersten Sekretärs Honecker über das Viermächteabkommen, die politische Arbeit hinter dem Fluchthelferprozeß in Ost-Berlin, die jetzt verfügte Erhöhung der Mindestumtauschsätze — das alles zusammengenommen kann nicht anders denn als Versuch gewertet werden, einen künstlich konstruierten Schirm von Klagen und Vorwürfen zu errichten, um dahinter gegen den Geist des Kompromisses und des guten Willens sich auf Positionen der Immobilität zurückzuziehen.Nehmen wir die Erhöhung der Mindestumtauschsätze. Wer eine so lange und in sich konfuse Begründung braucht, um sie zu rechtfertigen, setzt sich von vornherein dem Verdacht aus, sein eigentliches Motiv zu verschleiern.
Wer die vorgetragene finanz- und währungspolitische Begründung auf ihre reale Dimension hin überprüft, kommt auf den Verdacht, hier will man die absolute Zahl der Besucher herunterdrücken. Und dies, obwohl der Erste Sekretär Honecker noch vor gar nicht langer Zeit das neue Bild der DDR draußen malte, das sich in den Köpfen der vielen westdeutschen und West-Berliner Besucher auf Grund des Augenscheins herauszubilden beginne. Und dies obwohl, wie auf dem jüngsten Plenum des Zentralkomitees dargelegt wurde, die ideologische Offensive hauptsächlich durch Herzeigen der Vorzüge des sogenannten realen Sozialismus geführt werden soll. Und dies ausgerechnet mit finanziellen Auflagen, die naturgemäß die pekuniär Schwachen stärker von einem Besuch im Arbeiter- und Bauernstaat abhalten müssen als die Bessergestellten.Doch abgesehen von all dem und das ist in den Augen der Bundesregierung das Gravierende —: Weil es sich um eine Einschränkungsmaßnahme handelt, verstößt sie gegen die Logik und die Chancen der getroffenen Abmachungen, die über das konkrete Vereinbarte hinaus auf weitere schrittweise Verbesserung abzielen. Das ist im Briefwechsel vom 21. Dezember 1972 eindeutig niedergelegt.Ich sprach von der politischen Absicht hinter dem Fluchthelferprozeß. Ich sehe diese Absicht nicht nur in der Abschreckungswirkung dagegen spricht auch die geringe Zahl der Fälle von Mißbrauch der Berliner Transitwege, den die Bundesregierung, ich betone das hier ausdrücklich, in Abwägung der in Frage stehenden Güter und auf Grund der Verpflichtungen im Rahmen des Viermächteabkommens nicht billigen kann, nicht billigen wird und auch auf das schärfste verurteilt; denn durch die mißbräuchliche Nutzung dieser Transitwege werden millionenfache. Begegnungen von Deutschen erschwert und möglicherweise in Zukunft nicht mehr in der Weise durchzuführen sein,
wie es uns nach mühsamen Verhandlungen nach vielen Jahren kleinlicher Schikanen nun gelungen ist, diesen Verkehr reibungslos herzustellen. Ich bitte, das sehr ernst zu nehmen. Es geht in der Tat darum, die große Zahl zu sehen, die vielen Möglichkeiten, die sich daraus ergeben.Ich meine auch, darum geht es hier jetzt nicht. Das immanente Recht der DDR-Behörden und -Justizorgane, gegen den Mißbrauch der Transitwege einzuschreiten, ist unbestritten;
die Bundesregierung hält sich an die im Rahmen des Viermächteabkommens getroffenen Vereinbarungen. Und darum wird es niemandem gelingen, der Bundesregierung Verstöße gegen das Abkommen nachzuweisen. Ebenso wie es niemandem gelingen wird, die Solidarität der Bundesregierung mit dem Berliner Senat und dem Regierenden Bürgermeister aufzubrechen.Lassen Sie mich nur noch eines sagen, meine Damen und Herren. Die Bundesregierung hat nie verhehlt, daß es sich bei den Verträgen und Abkommen mit der DDR um Kompromisse handelt. Auch die DDR hat den Kompromißcharakter der gefundenen Lösungen nach innen in keiner Weise verschwiegen. An der Bereitschaft, mit diesen Kompromissen zu leben — auch da, wo man selbst zurückstecken oder zugeben mußte --, hängt die Glaubwürdigkeit, hängen aber auch die Chancen der Vertragspolitik zwischen den beiden deutschen Staaten im Rahmen des Ausgleichs zwischen Ost und West in Europa. Diese Bereitschaft darf nicht Schaden nehmen. Sie muß gehütet werden, denn sie bildet das Fundament
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3773
Bundesminister Frankeder Zusammenarbeit, die beide Partner sich vorgenommen haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Böhm .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Arndt aus Berlin hat mit seinem Beitrag bei unserer Fraktion den Eindruck erweckt, daß er nicht entschlossen gegen die jüngsten Maßnahmen der DDR zu Felde rücken will, sondern hier einen Versuch zu ihrer Entschuldigung unternommen hat.
Etwas realistischer war die Betrachtungsweise des Kollegen Ronneburger, obwohl auch er — genau wie der Kollege Arndt aus Berlin — nicht erkennen ließ, ,daß man bei der Koalition begriffen hat, welche Strategie der DDR hinter den jetzigen Maßnahmen steckt,
nämlich die Strategie, die scheinbar gewährten Zugeständnisse menschlicher Erleichterungen nach dem Einzug in die Vereinten Nationen mit seinen internationalen Folgen nunmehr systematisch zu demontieren.
Deshalb unterhalten wir uns hier nicht über die Frage, was gewesen wäre, wenn der Grundvertrag nicht zustande gekommen wäre, sondern heute und in Zukunft darüber, wie diese Zusagen der DDR nunmehr systematisch zurückgenommen werden und wie damit leider Befürchtungen, ,die wir früher geäußert haben, ihre Bestätigung erfahren.
Meine Damen und Herren, was bedeutet denn diese Verdoppelung des Zwangsumtausches für die Menschen? Nehmen wir einmal einen bestimmten Personenkreis heraus, nämlich die im innerdeutschen Reisegebiet an der Demarkationslinie Wohnenden. Da gibt es doch die nachhaltigsten Folgen. Dort wirkt sich diese Verdoppelung des Zwangsumtausches als eine zusätzliche — nunmehr finanzielle — Schranke neben Minenfeldern, Stacheldraht und sonstigen Behinderungen des freien Verkehrs aus.
Wir alle, meine Damen und Herren, gebrauchen das Wort vom „kleinen Grenzverkehr" im Zusammenhang mit den Tagesaufenthalten in der DDR. Ich meine, das enthält eine Gefahr, nämlich die, daß man mit dieser Bezeichnung so tut, als sei das, was an dieser Demarkationslinie geschieht, etwas ganz Normales. Die Bezeichnung „kleiner. Grenzverkehr", die sich leider eingebürgert 'hat, ist nichts anderes als Etikettenschwindel;
denn unter „kleinem Grenzverkehr" versteht man überall in der Welt das freie Hin und Her der Menschen, spontan und ohne bürokratisches Antragsverfahren.
Deshalb sollten wir uns — diese Aufforderung richte ich an alle — vornehmen, künftig nicht mehr Begriffe, die einen bestimmten Inhalt haben, auf die anormalen Verhältnisse in Deutschland anzuwenden und damit in der Welt den Eindruck des Normalen an der Grenze in Deutschland zu erwecken, weil man sonst der Welt, unserem Volk und, was dann wahrscheinlich das Gefährlichste ist, sich selbst ein falsches Bild von der Wirklichkeit in Deutschland suggeriert.
Die konkrete Folge für reisewillige Bürger im Zonenrandgebiet ist, daß, wenn sie sich für das volle Kontingent von 30 möglichen Reisetagen entscheiden, dafür jetzt pro Person 600 DM zwangsmäßig in DDR-Mark umtauschen müssen.
Ein Rentnerehepaar zum Beispiel hätte somit 1200 DM aufzubringen und an die DDR-Behörden zu entrichten, wenn sie die „Segnungen" des Grundvertrages voll in Anspruch nehmen wollten. Das trifft auch in vollem Umfang auf den allgemeinen Reiseverkehr zu, der sich aus der Bundesrepublik in die DDR vollzieht. Ich bin sicher, daß gerade diese Tatsache in Zukunft dazu führen wird, daß die Bürger der Bundesrepublik, die nach drüben reisen, die Dauer ihres Aufenthaltes abkürzen und auf ein Minimum beschränken. Genau das liegt im Sinne der Machthaber in der Zone, die mit den Maßnahmen, die sie jetzt ergriffen haben, das und nichts anderes erreichen wollen.Minister Franke hatte gemeint, er könne gegen meinen Kollegen Professor Abelein einen Vorwurf konstruieren, als er die Frage der nachträglichen Einschränkung des Reisegebietes auf der DDR-Seite hier ansprach. Vor mir liegt ein Brief, den das Ministerium für innerdeutsche Beziehungen fünf Tage vor der Bundestagswahl an einen Bürger im Kreis Witzenhausen geschrieben hat. Ich zitiere aus diesem Brief:Aus dem Briefwechsel zur Familienzusammenführung, zur Reiseerleichterung und Verbesserung des nichtkommerziellen Warenverkehrs können Sie entnehmen, daß in Zukunft auch Reisen in das Sperrgebiet der DDR entlang der Demarkationslinie möglich sind. Allerdings werden diese Erleichterungen erst mit Inkrafttreten des Grundvertrages möglich.
So lauteten, damals fünf Tage vor der Bundestagswahl, die Erklärungen. Erst nachträglich kam dann die Feststellung, daß insgesamt 315 Orte und weitere 274 Ortsteile weiter Sperrgebiet bleiben. Ich bitte Sie zu erkennen, daß hinter dieser jüngsten Maß-
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3774 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Böhm
rahme der DDR eine Strategie steckt, systematisch das abzubauen, was scheinbar gewährt worden ist. Ich hoffe, dies baut wenigstens die Illusionen Ihrer Deutschland- und Ostpolitik ab, die Sie noch immer hegen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Büchler .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Fragestunde und die Aktuelle Stunde bestätigen mir wieder einmal, daß die CDU/CSU den Eindruck erweckt, als habe sie noch nicht zur Kenntnis genommen, was sich eigentlich seit dem Abschluß der Verträge entwickelt und verändert hat.
Die Ausführungen des Abgeordneten Böhm und auch des Abgeordneten Dr. Abelein weisen dies ganz deutlich aus und bringen das zum Ausdruck. Ihre Äußerungen zeigen doch nur, daß Sie unter neuen Formulierungen immer wieder Ihren alten Standpunkt gegenüber der Entspannungspolitik zu vertreten versuchen.
Mir scheint, daß Sie etwas aufs Spiel setzen wollen,
das sich zwar noch relativ begrenzt und auch einseitig vollzieht, zugegebenermaßen, aber im Interesse der Menschen in beiden Teilen Deutschlands liegt. Ich meine ganz einfach, daß Millionen Bürger wieder reisen dürfen, daß dadurch wieder millionenfache Kontakte ermöglicht werden, daß viele Familien zusammenfinden, daß neue Freundschaften entstehen, daß Bekannte sich wiedersehen können, daß millionenfache menschliche Bindungen entstehen. Und das, so scheint mir, stellen Sie in Frage.
Dabei übersehe ich nicht, daß sich diese menschlichen Erleichterungen bisher im wesentlichen nur in einer Richtung bewegen, obwohl wir auch die Zahlen der Besucher aus der DDR bei uns nicht vergessen sollten. Trotzdem muß ich an dieser Stelle, so meine ich, noch einmal betonen, was jetzt möglich ist. Denn Sie spielen das bewußt immer wieder herab.
Erstens können sich wieder Verwandte und Bekannte besuchen. Zweitens: Seit einiger Zeit sind wieder Reisen aus kommerziellen, kulturellen, sportlichen und religiösen Gründen möglich. Drittens: Unsere Bürger können als Touristen die DDR besuchen. Viertens: In Berlin vollzieht sich ein reibungsloser Verkehr bei den Tagesbesuchen.
Fünftens: Und ganz wichtig, so scheint mir, das stetige Anwachsen der Tagesbesuche in grenznahen Kreisen. Das muß doch auch gesagt werden.
Ich darf hierzu ein paar Zahlen nennen und komme dabei auf das zurück, was der Kollege Böhm hier von sich gegeben hat: „Etikettenschwindel" und derlei Dinge mehr. Dies ist zurückzuweisen, dies ist einfach Unfug, wenn man die Zahlen kennt. Im Juli 1973 reisten 9800 Menschen in die DDR. Im August waren es 26 750, im September 42 600, im Oktober 49 500 und vom 1. bis zum 4. November 10 650 Personen. Staatssekretär Karl Herold hat die Addition heute in der Fragestunde vollzogen.
Damit klar ist, wie sich der Personenverkehr westdeutscher Bürger in die DDR ohne die Westberliner entwickelt hat, noch ein paar Zahlen: Im Januar 1973 47 105, im Februar waren es 46 679, im März 143 851, im April 392 661, im Mai 133 548 und im Juni 255 947. Um dann noch einen Vergleich zum Juni 1972 zu ziehen: da waren es nur 112 000 rund gerechnet. Meine Erfahrung ist die, daß nicht nur ältere Bürger diese Möglichkeit des grenznahen Verkehrs wahrnehmen, sondern daß immer mehr jüngere Menschen von den Reiseerleichterungen Gebrauch machen.
Gerade diese Generation, so meine ich, wird durch ihren Gedankenaustausch und den Meinungsaustausch zur Fortentwicklung dieser unserer Politik beitragen.
Damit ist das, was wir unter Entspannungspolitik und gutnachbarlichen Beziehungen verstehen, längst zum praktischen Leben vieler Familien in beiden Teilen Deutschlands geworden.
Eine Mehrheit von Bürgern in unserem Land hat sich diese Politik zu eigen gemacht und will auch nicht mehr darauf verzichten. Wir stehen hinter dieser Politik, weil sie im Interesse unserer Bürger liegt. Allerdings werden wir uns nicht damit abfinden, daß die DDR mit Verwaltungsanordnungen den Geist der Verträge unterläuft.
Ich betrachte diese Anordnung der DDR-Behörden als Verstoß gegen die vom Außenminister Winzer in seiner Rede vor der UNO betonte Menschlichkeit als Ergebnis der Entspannungspolitik. Aber daraus den Schluß zu ziehen, wie es die Opposition immer wieder tut, daß damit die Richtigkeit der Entspannungspolitik in Frage steht, ist nicht nur absurd, sondern richtet sich gegen die Interessen unserer Bürger, für die wir die Erleichterungen in die Wege geleitet haben.
Herr Kollege Büchler, der Zeitablauf.
Sekunde! — Sie benützen hier eine Maßnahme der DDR, die wir insbeson-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3775
Büchler
dere im Interesse unseres sozialschwachen Bürgers nicht befürworten können,
uni das Erreichte in seinem Wert herabzusetzen. Daswollen Sie draußen erreichen und sonst nichts.
Sie werden Ihr Ziel nicht erreichen; das betone ich hier. Wir haben nie geleugnet, daß wir Verträge mit einem Partner abgeschlossen haben, der uns nicht gleichgesonnen ist.Wir wußten schon bei Abschluß der Verträge —und mußten das in Rechnung stellen —, daß unsdieser Partner einen steinigen Weg bereiten würde.
Herr Kollege, kommen Sie zu Ende.
Das darf uns aber nicht abhalten, für die Menschen in beiden Teilen Deutschlands die Entspannungspolitik und die menschlichen. Erleichterungen verbindlich zu machen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mende.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verlauf dieser Debatte zeigt eine gespenstische Situation.
Da kämpft hier die Sozialdemokratische Partei nicht gegen Erich Honecker und die kommunistischen Terrormaßnahmen, sondern gegen die Opposition in diesem Hause.
Um so dankbarer bin ich dem Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen, dem Kollegen Franke, daß er als erster und bisher einziger Bundesminister dieser Regierung
hier feststellt, daß es sich bei den Maßnahmen der DDR um eine konzertierte Aktion handelt, die geeignet ist, das bisher mühsam sich anbahnende Verhältnis zwischen den beiden Teilstaaten in Deutschland wieder zu vergiften.
Genau heute vor einem Jahr, meine Damen und Herren, am Mittwoch, dem 8. November 1972, haben die beiden damaligen Staatssekretäre Bahr und Kohl den Grundlagenvertrag paraphiert. Ich befand mich damals im Zonenrandgebiet im Kreis Eschwege und beobachtete die Erleichterung der
Bevölkerung in Erwartung größerer Möglichkeiten menschlicher Kontakte zum anderen Teil Deutschlands. Fotographen aus Hessen haben damals Aufnahmen gemacht, um die Sperranlagen festzuhalten, in der Hoffnung, daß wir später sicher einmal feststellen könnten, das wäre der Höhepunkt der Einsperrmaßnahmen im geteilten Deutschland und von nun an würde eine Demontage der unmenschlichen Einsperrmaßnahmen erfolgen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir verfügen auch jetzt noch innerdeutsch über einen doppelten Stacheldrahtzaun von 836 km Länge. Der Metallgitterzaun, der moderne Zaun, hat inzwischen eine Länge von 590 km erreicht. Die Länge der Minenfelder beträgt 750 km, und es sind 1 700 000 Minen in unserem Lande verlegt.
Das ist, meine Damen und Herren, das größte Minenfeld in der Geschichte. Auf jeden zehnten Bewohner im anderen Teil Deutschlands kommt mitten in unserem Land eine Mine.
Wir haben auf 79 km Selbstschußanlagen, 936 Erdbunker und Unterstände; davon 710 aus Betonfertigteilen. Wir haben 340 Beobachtungstürme aus Holz und 200 aus Beton. Wir habenman höre, es klingt unglaublich, Herr Wehner —363 Hundelaufanlagen mit 517 verwendeten, auf Menschen dressierten Hunden.
Das, meine Damen und Herren, sollten Sie doch zum Gegenstand Ihre Angriffe machen und nicht das Verhalten der christlich-demokratischen Oppotion.
Bei einer solchen Lage wagt es Erich Honecker, in seinem Interview im „Neuen Deutschland" zu sagen:Unsere Partei, die SED, deren Politik auf das Wohl des Menschen, auf das Glück des Volkes gerichtet ist,
besitzt das uneingeschränkte Vertrauen und die volle Unterstützung des ganzen Volkes.Und draum, wegen des Vertrauens des ganzen Volkes zur SED Erich Honeckers, diese Einsperranlagen!
Damit, meine Damen und Herren, und mit dem, was gegen Berlin und die Bundesrepublik Deutschland international wieder in Gang gesetzt wird, sollten sich die Sozialdemokraten hier auseinandersetzen Sehen Sie, die sozialdemokratische Opposition hat ja selber einmal in diesem Hause die Möglichkeit
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3776 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Dr. Mendeerkannt — in der Europapolitik, in anderen Fragen —, der Regierung zu helfen, indem die harte Kritik der damaligen sozialdemokratischen Opposition die Regierungschefs in die Lage versetzte, um jede Konzession in den 50er und 60er Jahren zu kämpfen, als es auch darum ging, immer mehr Freiheit für das besiegte Deutschland zu erreichen. Meine Herren von der Opposition, — — meine Herren von der Koalition
— ja, ich hoffe, daß Sie bald wieder Opposition sein werden;
wenn Sie so weitermachen, sowieso —, nutzen Sie doch die Möglichkeit, mit Hilfe der Opposition wieder mehr Gemeinsamkeit in der Berlin- und Deutschlandfrage zu erreichen! Allein, Herr Wehner, werden Sie es nicht erreichen, es sei denn, Sie wollen eine andere Politik.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Abelein war es, glaube ich, der uns gemahnt hat, nun endlich von den Illusionen wegzukommen. Wir hatten keine Illusionen hinsichtlich der Schnelligkeit des Erfolges unserer Politik, aber erst recht nie die Illusion, daß durch Nichtstun etwas erreicht werden könnte.
Das ist Ihre Illusion gewesen.
Wenn man vieles von dem, was hier an Kritik geäußert wird, hört, könnte man fast auf die Idee kommen, das seien alles Hindernisse, Schwierigkeiten, Maßnahmen und zum Teil Gebühren, die es erst seit Bestehen dieser Koalition gibt. Tatbestand ist, daß das meiste von dem, was mit Recht hier kritisiert wird, leider seit einem Jahrzehnt und länger besteht und daß wir es trotz dieser Hindernisse erreicht haben, daß eben heute mehr Menschen zueinander kommen können, als es zur Zeit der Koalition zwischen SPD und CDU/CSU und FDP und CDU/CSU möglich war. Hier sind wir weitergekommen. Daran können Sie nichts wegdiskutieren.
Wir bedauern es wie Sie, daß die Umtauschgebühren erhöht worden sind, vor allen Dingen, daß jetzt gegenüber dem früheren Zustand die Rentner einbezogen worden sind. Es wird Aufgabe der Verhandlungen sein, zu versuchen, insbesondere diesen Tatbestand wieder zu beseitigen.
- Wollen Sie das vielleicht nicht haben? Paßt Ihnen
das schon nicht, wenn wir klar feststellen, daß wir
über diese Dinge miteinander beraten? Ohne Grundlagenvertrag gäbe es keine Beratungen über diese Dinge. Das müssen Sie doch endlich mal kapieren.
Ich wende mich mit aller Entschiedenheit dagegen, daß hier durch eine Nebenbemerkung, die offensichtlich nicht überall voll aufgenommen wurde, so getan wird, als seien die Auseinandersetzungen über den Mißbrauch der Transitwege durch Fluchthilfe allein eine Frage der Vereinbarungen über den Verkehrsvertrag oder den Grundlagenvertrag. Hier, meine Damen und Herren von der Opposition, bitte ich doch einmal genau nachzulesen, was im Viermächteabkommen und in den Anhängen dazu über möglichen Mißbrauch der Transitwege steht. Das sollten Sie endlich zur Kenntnis nehmen, wenn Sie hier den falschen Eindruck erwecken wollen, als sei das nur eine Frage des deutsch-deutschen Verhandelns. Hier geht es um Viermächtevereinbarungen, die zur Diskussion stehen und die wir nach beiden Seiten hin voll eingehalten wissen wollen, also auch von uns aus den Mißbrauch weder fördern noch dulden dürfen. Das müssen Sie genauso anerkennen und dürfen sich nicht darum herummogeln.
— Wenn Sie diese Frage so stellen, haben Sie immer noch nicht verstanden, um was es bei den Transitwegen geht. Das sollten Sie endlich einmal verstehen.
Hier geht es um 2'/2, 3 Millionen Menschen, die sich frei bewegen können und die durch Mißbrauch gefährdet sind. Wollen Sie die Gefährdung der Transitwege? Dann sagen Sie das!
Wir wollen das nicht.
Eine letzte Bemerkung. Wenn hier mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen worden ist, daß wir uns gegen die Absperrung wenden sollen, sind wir gleicher Meinung. Wenn Sie auf die Freizügigkeit hinweisen: Wir sind gleicher Meinung. Kein Mensch denkt bei uns daran, die Freizügigkeit einzuschränken.
Kein Mensch denkt daran, demjenigen, der sich hier ill der Bundesrepublik aufhält, das politische Asyl zu verweigern. Wir wehren uns aber gegen geschäftlichen Mißbrauch der Möglichkeiten, die die Menschen in Deutschland heute haben.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete von Wrangel.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3777
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, Herr Kollege Mischnick, Sie hätten besser daran getan, als Herr Kollege Mende die traurigen Zustände an der Zonengrenze kritisiert hat, hier nicht zu lachen, sondern dies bitter ernst zu nehmen.
Ich möchte gleich hinzufügen, meine Damen und Herren: es ist doch immer wieder dasselbe! Wenn wir diese Themen hier behandeln, dann versuchen Sie zu beschönigen oder Sie greifen zum Mittel einer schamlosen Geschichtsklitterung, die Sie eigentlich nicht vornehmen sollten.
Sie wissen ganz genau, daß die CDU/CSU auch Verträge abgeschlossen hätte, nur nicht schlechte Verträge, die mehrdeutig sind. Dies ist doch das Problem.
Sie täten auch gut daran, meine Damen und Herren, die Entspannungseuphorie nicht fortzusetzen, sondern den Mut zu haben, Rückschläge zuzugeben.
Ich möchte mich nun aber einigen Punkten noch besonders zuwenden dürfen. Herr Kollege Abelein hat völlig zu Recht von der Verletzung des Geistes der von Ihnen so oft beschworenen Verträge gesprochen. Bei dem Honecker-Interview handelt es sich doch ganz offenkundig um die Verletzung der Buchstaben des Viermächteabkommens. Ich meine, damit muß sich diese Regierung nun intensiv auseinandersetzen.
Ich glaube, daß in diesen Zusammenhang noch etwas anderes gehört, an die Adresse der Regierung gewandt. Herr Honecker hat vorgestern den Regierenden Bürgermeister von Berlin angegriffen. Es ist offenkundig der Opposition überlassen, solche Angriffe zurückzuweisen. Der Bundeskanzler und die Regierung haben zu diesen Angriffen leider geschwiegen.
Meine Damen und Herren, dies schmälert nicht nur die Position des Regierenden Bürgermeisters, es mindert auch die Position Berlins in der Welt.
— Ja, ich habe sehr gut zugehört, er hat dies nicht getan.
Meine Damen und Herren, die Regierung sollte doch, so meine ich, Appelle, etwas gemeinsam zu tun, ernster nehmen. Sie sollte auch nicht immer dann die nationale Gemeinsamkeit beschwören, wenn sie sich selber in Bedrängnis fühlt. Sie sollte endlich einmal versuchen, ihren hochgeschraubten Erwartungshorizont in Einklang zu bringen mit den Realitäten.
Die Opposition weiß sehr wohl, daß das Verhandlungsgewicht der Bundesrepublik Deutschland durch gemeinsame Handlungen verbessert wird. Die Bundesregierung wird ihr Ansehen in der Welt und ihr eigenes Verhandlungsgewicht verlieren, wenn sie die Dinge so weiter treiben läßt. Sie muß endlich — das sage ich mit großem Ernst — eine schmerzhafte Überprüfung ihrer eigenen Politik vornehmen.
Ein Letztes. In der Vergangenheit haben Sie gemeint, Sie müßten uns, der CDU/CSU, mehr Sinn für politische Realitäten empfehlen. Heute muß ich sagen: Die Regierung sollte endlich aus ihren Wunschträumen erwachen und auf den Boden der Realität zurückkehren.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Kreutzmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition sieht in dem Verhalten der DDR in den letzten Tagen und Wochen eine Bestätigung ihrer Politik. Die Frage ist dabei, welche Politik sie bestätigt sieht.Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben doch mit Ihrer Deutschlandpolitik nichts bewegt. Sie haben nur eines erreicht: die totale Erstarrung und die für jeden bange Frage, was einmal danach kommt.
Wenn der Herr Kollege Mende an Stacheldraht und Minenfelder erinnert hat, so möchte ich doch auf eines hinweisen.
Dieser Stacheldraht und diese Minenfelder bestanden auch schon damals, als Sie Gesamtdeutscher Minister waren, Herr Kollege Mende.
Und was haben Sie damals dagegen getan? Sie sind durch das Zonenrandgebiet gefahren und haben an die Bevölkerung große Prospekte verteilt,
in welcher Weise ihr von seiten der damaligen Bundesregierung geholfen würde, und dann kamen die Leute zu uns und wollten das erfüllt haben, was Sie ihnen versprochen hatten und nicht erfüllen konnten. Das war damals Ihre Deutschlandpolitik.
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3778 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Dr. KreutzmannIch möchte bei der Auseinandersetzung über die Politik der DDR doch einmal wissen,
ob man sich in den letzten Tagen nicht einmal die Frage gestellt hat,
wie die Lage in Deutschland im Zeichen des Nahostkonfliktes aussähe, wenn die DDR nicht durch die Politik dieser Regierung und ihre Verträge gebremst würde.
Welche Wellen der Agitation liefen dann über dieses Land hinweg und auch über die übrige Welt!Das sollten Sie sich auch einmal vor Augen halten.
Niemand hat jemals daran Zweifel gehabt, daß die DDR diese Politik der menschlichen Erleichterungen nur mit größtem Widerwillen betreibt. Daß sie die gegenwärtigen weltpolitischen Spannungen nutzt, zu prüfen, was sie daran an Abstrichen machen kann, ist doch nicht verwunderlich. Ich meine, wir haben die Aufgabe, sie nun einmal sehr nachdrücklich mit ihren Reden von der Koexistenz beim Wort zu nehmen. Wir müssen die DDR einmal nachdrücklich fragen, ob sie darunter nur Abgrenzung versteht oder ob sie die Koexistenz so versteht, wie wir sie verstehen:
als ein ständiges Bemühen, sich näherzukommen.Lassen Sie mich etwas Weiteres sagen. Die Maßnahmen, die die DDR getroffen hat, sind von uns mit aller Deutlichkeit und Entschiedenheit zu verurteilen. Wir werden das auch bei jeder Gelegenheit tun und haben das auch getan. Wir sind der Meinung, daß sie mit dieser Politik dem Geist der Verträge zuwiderhandelt. Wir meinen aber, daß es für uns doch letzten Endes eine sehr deutliche und erfreuliche Tatsache ist, festzustellen, daß sie mit dieser Politik im Lager ihrer Verbündeten nicht restlos auf Beifall und Unterstützung trifft.Lassen Sie mich zusammenfassen, was hier zu sagen ist. Die DDR handelt mit dieser Politik der Nadelstiche sicherlich auch gegen Ihre eigenen Interessen und gegen den Sinn und Geist der Verträge.
Sie schafft sich unnötige Mißstimmung im Innern. Wir verstehen wohl, daß es schwer für sie ist, Abstriche an der Souveränität hinnehmen zu müssen, wie sie es erlebt hat. Wir glauben auch, daß es ihr nicht leichtfällt, die Grenzen zu öffnen, die sie auf Grund der Verträge öffnen muß. Es ist abernicht unsere Absicht, Unruhe in ihrem Innern zu stiften oder sie wirtschaftlich zu schädigen. Unsere Absicht ist es, ähnliche normale Verhältnisse zu ihr zu schaffen, wie sie heute gegenüber vielen anderen Ländern des Ostblocks bestehen. Daß uns das gegenüber Bewohnern eines Landes, in dem fast jeder viele seiner nächsten Angehörigen hat, besonders am Herzen liegt, versteht sich von selbst. Die führenden Politiker der SED machen, so meine ich, einen verhängnisvollen Fehler, wenn sie das nicht sehen. wollen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kunz.
Kunz (CDU, CSU) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was sich in Gestalt des Zwangsumtausches in Ost-Berlin abgespielt hat und weiter abspielen wird,
ist ein Symptom für die generelle Methode einer Politik, deren Generalnenner allenfalls noch mit dem Begriff „Leichtfertigkeit" zu umschreiben ist.
Wenn die Regierungsbank bei der Behandlung dieses Themas derart besetzt ist, wie Sie es hier sehen, so spricht das wiederum für sich.
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Herr Staatssekretär, mit welcher Zielsetzung gehen Sie nach Ost-Berlin?
Die erheblichen Konzessionen im Moskauer Vertrag, im Warschauer Vertrag, im Grundlagenvertrag und auch im Zusammenhang mit der UNO-Aufnahme sollten uns gegenüber mit dem Hinweis auf die menschlichen Erleichterungen gerechtfertigt werden. Wie sieht es aber mit diesen menschlichen Erleichterungen aus? Das SED-Regime hat den Hahn zugemacht und wird ihn weiter zumachen, wo eine Öffnung irgendwie in Erscheinung tritt. Das SED-Regime ist von prinzipieller Kontaktfeindlichkeit getragen. Das SED-Regime minimalisiert menschliche Begegnungen. Wir protestieren gegen diese Zumutungen. Wir müssen aber insbesondere auch darauf hinweisen, daß die Verträge — weitgehend zu Lasten der Bundesrepublik Deutschland — unausgewogen sind und insofern Erpressungsansätzen Tür und Tor geöffnet haben.
Wir müssen auch darauf hinweisen, daß der Regierende Bürgermeister von Berlin erklärt hat, möglicherweise liege kein Verstoß gegen Buchstaben
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Kunz
vor, wohl aber liege ein Verstoß gegen den Geist vor. Wir fragen uns: Warum liegt denn möglicherweise kein Verstoß gegen Buchstaben vor? Doch deshalb, weil die heiße Nadel und nicht die Vernunft der Generalnenner war, als die Verträge gefertigt wurden.
Die grundlegenden Forderungen des Ostens sind in den Vertragstexten expressis verbis enthalten. Unsere Wünsche und Interessen sind allenfalls in Absichtserklärungen, die mehr oder weniger verbindlich sind, niedergelegt. Was tut die Bundesregierung?
Der Regierungssprecher — ich mußte es mehrfach lesen, konnte es aber kaum glauben — hat erklärt, daß die Bundesregierung bezüglich der Zwangsumtauschmaßnahmen keinen Anlaß für einen offiziellen Protest sehe.
Ich kann hier nur sagen, daß das Maß der zunehmenden Aggressivität der DDR in direktem Verhältnis zu der Lauheit steht, mit der die Bundesregierung dieser sich eskalierenden Aggressivität entgegentritt.
Wenn dem so ist, kann man sich über das, was geschieht, kaum noch wundern. Wo ist insbesondere die Stellungnahme des seinerzeitigen Chefunterhändlers? Er hat sich in „sonderba(h)rer" Weise zu dem, was zur Zeit vor sich geht, ausgeschwiegen.
Ich halte dieses Schweigen auch nicht gerechtfertigt unter Hinweis darauf, daß er heute Verhandlungen führt. Wer leise in Verhandlungen hineingeht, kommt mit kaum etwas an Ergebnissen heraus. Das ist die Bahrsche Methode.
Ich kann die Mitglieder der Bundesregierung nur auffordern, endlich zu sehen, daß der Abgrenzungspolitik der SED, einer Politik, die Kontakte zwischen den Teilen Deutschlands als „substanzlose innerdeutsche Pflichtübung" bezeichnet, Herr Kollege Wehner, mit eben der Zielstrebigkeit und der Hartnäckigkeit entgegengetreten werden muß, mit der die DDR-Führung versucht, menschliche Kontakte auszutrocknen. Die Zwangsmaßnahmen rühren an die Substanz. Wenn möglicherweise nicht der Buchstabe von Vereinbarungen verletzt ist, so stellt sich doch die Frage der Geschäftsgrundlage in zunehmender Deutlichkeit. Das Honecker-Regime präsentiert die Zeche: zielstrebig, Schritt für Schritt, und zwar Zahlungen in bar.
Wer zahlt, das sind die Menschen, und zwar wird bezahlt für jene Hektik und für jene Leichtfertigkeit, mit der die Verträge gemacht wurden.
Meine Damen und Herren! Als letzter Redner in der aktuellen Stunde hat der Herr Abgeordnete Heyen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und hierren! Als Berliner Abgeordneter hätte ich mir heute gewünscht, daß wir in der zur aktuellen Stunde anstehenden Frage mehr Gemeinsamkeit gehabt hätten.
- Ich glaube, Sie spenden zu früh Beifall, obwohl ich es auch aushalte, wenn Sie bei einem sozialdemokratischen Redner Beifall klatschen.
Aber dies war von dem Moment an schwieriger geworden, als Herr Abelein angesichts der harten Maßnahmen der DDR-Regierung sagte, daß diese Bundesregierung Stoff zu einer aktuellen Stunde gegeben habe. Hier merkt man im Grunde genommen die Taktik der CDU/CSU. Es war doch während der gesamten aktuellen Stunde und während der Fragestunde nicht zu verkennen, daß innerhalb der Opposition sich angesichts der harten Maßnahme der DDR-Regierung ein gewisses Triumpfgefühl breitgemacht hat.
Wir kennen das, weil es immer die Haltung der CDU/CSU war, wenn es Schwierigkeiten in Berlin und an den Grenzen gab, daraus ein parteipolitisches Siippchen zu kochen.
Das ist auch jetzt wieder geschehen. Die DDR-Regierung würde sich im Grunde genommen viel wohler fühlen, wenn sie den Zustand wieder erreichen könnte, der geherrscht hat, als die CDU/CSU die Regierung stellte.
Im Grunde genommen hat es immer - das will ich auch ganz klar und hart sagen - eine heimliche Komplizenschaft zwischen einem harten Kern der CDU/CSU und einem harten Kern der SED gegeben,
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Heyen
wenn es um das Viermächteabkommen und gegen den Grundvertrag ging.
Wir haben wenigstens bisher noch kein klares Ja von Ihnen zu dem Erfolg des Viermächteabkommens und des Grundvertrages gehört.
- Ihre Taktik ist doch die, Herr Marx, gerade Ihre
Taktik — lassen Sie mich bitte ausreden —: Sie identifizieren sich mit den positiven Dingen des Viermächteabkommens und versuchen mit den Schwierigkeiten, die heute auftauchen, parteipolitische Auseinandersetzungen hervorzurufen.
Ich möchte nicht wissen — das hat mein Kollege Kreutzmann vorhin auch ausgeführt —,
wo wir im Inneren angesichts der weltpolitischen Lage heute gerade in Berlin stehen würden und was sich die DDR-Regierung herausnehmen könnte, wenn wir den Grundlagenvertrag und das Viermächteabkommen nicht hätten.
Das gilt für die Transitwege darüber haben Sie
heute gar nicht gesprochen —, das gilt für den Warenverkehr — darüber haben Sie auch nicht gesprochen —, das gilt für die Bindungen, und es gilt für die Besuchsregelung.
Wir haben Schwierigkeiten. Der Regierende Bürgermeister von Berlin hat sie heute im Abgeordnetenhaus dargestellt. Und wenn Sie sich hier das darf ich ganz klar sagen — mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin solidarisieren, dann geben Sie das mal an die Adresse der CDU-Fraktion des Abgeordnetenhauses weiter, die heute versucht, einen Spalt in die Berliner Bevölkerung zu treiben.
Sie haben heute im Gegensatz — — Da frage ich: Wo ist denn heute der Oppositionsführer?
— Der zuständige Minister hat hier heute gesprochen, und ich meine, wir alle unterstreichen, was er heute hier gesagt hat.
Wir haben Schwierigkeiten in und um Berlin. Aber wir haben zum erstenmal die Situation, daß ein Regierender Bürgermeister und ein Bundeskanzler in der Beurteilung dieser Lage völlig einig sind.
Das gab es weder bei Adenauer noch bei Erhard, noch bei Kiesinger.
Wir erleben heute, daß die Berliner Bevölkerung voll hinter ihrem Regierenden Bürgermeister steht und daß die SPD-Fraktion und, ich glaube, auch die FDP-Fraktion voll hinter diesem Regierenden Bürgermeister stehen. Wir erleben heute, daß die drei Westmächte voll mit diesem Berliner Senat übereinstimmen.
Aber es ist sehr traurig — damit möchte ich abschließen daß es wie bei allen Schwierigkeiten in und um Berlin wiederum der CDU/CSU vorbehalten bleibt, aus diesen Schwierigkeiten ein parteipolitisches Süppchen zu kochen. Es stimmt mich besonders traurig, daß die Berliner CDU-Abgeordneten, namentlich Herr Kunz, in diesem Spiel gemeinsame Sache mit der CDU/CSU-Fraktion machen.
Meine Damen und Herren, damit ist die aktuelle Stunde beendet.
Ich rufe nunmehr Punkt 3 der Zusatztagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Müller , Katzer, Dr. Blüm, Russe, Link, Wawrzik, Dr. Klein (Stolberg), Sauer (Salzgitter), Zink, Rollmann und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kündigungsschutzgesetzes
— Drucksache 7/1163 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutze in Ausbildung befindlicher Mitglieder von Betriebsverfassungsorganen
— Drucksache 7/1170 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Das Wort zur Begründung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Kündigungsschutzgesetzes hat Herr Abgeordneter Müller .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dem Betriebsverfassungsgesetz, das am 15. Januar 1972 im Bundesgesetzblatt verkündet wurde, beinhaltet § 78 die Schutzbestimmungen für den Betriebsrat, den Gesamtbetriebsrat, den Konzernbetriebsrat, die Jugendvertretung und die Gesamtjugendvertretung.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3781
Müller
Nach diesem Paragraphen dürfen die Mitglieder dieser Organe in der Ausübung ihrer Tätigkeit weder gestört - noch behindert werden. Sie dürfen wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden. Das gilt auch für die berufliche Entwicklung.§ 103 des gleichen Betriebsverfassungsgesetzes beinhaltet das Verfahren bei einer außerordentlichen Kündigung der Betriebsverfassungsorgane in besonderen Fällen. Dazu muß der Betriebsrat seine Zustimmung geben, und in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren muß ,der Betriebsrat als Betroffener zugezogen werden.Dieses Haus hat in § 123 des Betriebsverfassungsgesetzes ein weiteres beschlossen, nämlich die Änderung des Kündigungsschutzgesetzes in seinem § 15. An Abs. 1 dieses § 15 wird nach Änderung des Kündigungsschutzgesetzes festgehalten, daß die „Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats, einer Jugendvertretung, einer Bordvertretung oder eines Seebetriebsrats" unzulässig ist, „es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die ... zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen."Wir haben im Laufe der letzten Monate, insbesondere von den betroffenen Jugendvertretern, die in einem Ausbildungsverhältnis stehen, erfahren, daß in diesem Kündigungsschutz für Organe der Betriebsverfassung eine Lücke besteht, weil das Ausbildungsverhältnis auf Zeit abgeschlossen ist und dann auch die Amtszeit der Jugendvertretung abläuft. Es sind Fälle bekanntgeworden, über deren Zahl man sich allerdings streitet, wo nach Ende des Ausbildungsverhältnisses einem Jugendvertreter die Weiterarbeit versagt worden ist.Nun haben wir in einem Gesetzentwurf, der Ihnen vorliegt, vorgeschlagen, daß diese Lücke geschlossen wird. Wenn in § 78 des Betriebsverfassungsgesetzes steht, daß zu dem Schutz auch die Frage der beruflichen Entwicklung gehört — und wir wissen, daß die Praxis des Arbeitslebens zeigt, wie wichtig es ist, daß der Auszubildende nach Beendigung des Ausbildungsvertrags in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen wird, um die erworbenen Kenntnisse in der Praxis vertiefen zu können —, dann wird auch deutlich, daß hier ein Schutz der Jugendvertretungen erforderlich ist, wenn es sich um einen Auszubildenden handelt, dessen Ausbildungsvertrag ausläuft.Wir schlagen aus diesem Grunde vor, dem § 15 des Kündigungsschutzgesetzes, der den Kündigungsschutz für die Betriebsräte und die Jugendvertretung ganz allgemein beinhaltet, einen § 15 a anzufügen, in dem festgelegt wird, daß der Arbeitgeber einem Auszubildenden, der Mitglied einer Jugendvertretung ist, dann die Weiterarbeit ermöglichen muß, wenn dieser es wünscht, es sei denn, daß Gründe vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung berechtigen. Diese wichtigen Gründe sind aber in § 626 des Bürgerlichen Gesetzbuches erschöpfend aufgeführt, und der Arbeitgeber wäre auf jeden Fall hierfür beweispflichtig. Ich halte deswegen die Einfügung eines § 15 a in das Kündigungsschutzgesetz für sinnvoll, weil hier auch auf den Absatz 1 des § 15 mit der Nachwirkung für ein Jahr Bezug genommen werden kann.Wir sehen in unserem Gesetzentwurf darüber hinaus vor, daß der Arbeitgeber generell verpflichtet ist, jedem Auszubildenden, ganz gleich, ob er zur Jugendvertretung gehört oder nicht, spätestens drei Monate vor Beendigung des Ausbildungsverhältnisses schriftlich mitzuteilen, ob nach Beendigung des .Ausbildungsverhältnisses ein unbefristetes Arbeitsverhältnis begründet wird. Wenn diese Frist nicht eingehalten wird, soll das Arbeitsverhältnis von Beendigung des Ausbildungsverhältnisses an als geschlossen gelten. Wir glauben, auch hier besteht eine große Lücke, von der im Berufsausbildungsgesetz damals nicht die Rede war, die aber nunmehr im Interesse der Auszubildenden geschlossen werden muß.Wir haben gleichzeitig den Entwurf der Koalitionsfraktionen zum Betriebsverfassungsgesetz hier vorliegen, der in seiner Grundtendenz die gleiche Auffassung vertritt, wobei zu dieser Frage hier gesagt wird, daß die Änderung im Betriebsverfassungsgesetz kommen soll. Ich persönlich halte, wie gesagt, die Einfügung in das Kündigungsschutzgesetz für besser. Vielleicht ist aber auch in den Ausschußberatungen eine Kombination von Betriebsverfassungsgesetz und Kündigungsschutzgesetz sinnvoll und möglich.Ich darf Sie bitten, dem Überweisungsvorschlag an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zuzustimmen, damit dann möglichst umgehend dieser Gesetzentwurf hier im Hause in zweiter und dritter Beratung verabschiedet werden kann. Meine Freunde, die mit mir diesen Antrag unterschrieben haben, werden mit weiteren Kollegen aus unserer Fraktion — ich hoffe, die Zustimmung der gesamten Fraktion dafür zu bekommen — diesem sachlichen Anliegen des Schutzes der Jugendvertreter, wenn sie das Ausbildungsverhältnis beendet haben, zustimmen. -
Damit, meine Damen und Herren, ist die Vorlage auf Drucksache 7/1163 begründet.
Zur Begründung des Antrags auf Drucksache 7/1170 hat Herr Abgeordneter Urbaniak das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das neue Betriebsverfassungsgesetz hat sich in den Betrieben sehr gut bewährt. Es konkretisiert immer mehr die Rechte der Betriebsräte, um zu einer sehr umfassenden Vertretung der Belegschaftsmitglieder zu kommen.
In den letzten Wochen aber haben wir feststellen müssen, daß in den Betrieben und Unternehmen zahlreiche in Ausbildung befindliche Jugendvertreter und Betriebsräte nach Beendigung ihres Ausbildungsverhältnisses nicht in ein Arbeitsverhältnis übernommen wurden. Dabei war sehr augenfällig, daß die meisten jungen Arbeitnehmer ihre Ausbil-
Urbaniak
dung mit recht guten Prüfungsergebnissen abschlossen. Dennoch kam oft. ein Arbeitsverhältnis hierbei nicht zustande. Offensichtlich wurde eine Lücke des neuen Betriebsverfassungsgesetzes von den Unternehmern. ausgenutzt.
Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist es unverständlich, daß sich eine derartige Verhaltensweise in den Betrieben breitgemacht hat. Schließlich sind die jungen Arbeitnehmer durch die Belegschaftsmitglieder in ein betriebsverfassungsrechtliches Organ gewählt worden, in dem sie bestimmte Aufgaben zu erfüllen haben. Der Arbeitskatalog des Betriebsverfassungsgesetzes ist hier ein beredtes Beispiel. Er gibt die Möglichkeit der Mitwirkung und Mitbestimmung, der Beteiligung an Meinungs- und Willensbildung im Betrieb. Die Entfaltung der demokratischen Funktion soll hier voll zur Wirkung kommen. Das meinten wir damals auch bei der Verabschiedung des von der Bundesregierung eingebrachten Betriebsverfassungsgesetzes.
Mit dem Entwurf eines Gesetzes zum Schutz in Ausbildung befindlicher Mitglieder von derartigen Organen haben die Koalitionsfraktionen dafür gesorgt, daß der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet wird, diese Mitglieder bei Beendigung ihres Berufsausbildungsverhältnisses auf ihr Verlangen in ein Arbeitsverhältnis zu übernehmen. Es kommt uns darauf an, wie bei dem Betriebsrat einen gesicherten und ausreichenden Organschutz für die Jugendvertretung herzustellen, damit diese Arbeitnehmervertretung in der festgelegten Wahlperiode die vorgeschriebenen Aufgaben erfüllen kann.
Diejenigen Arbeitgeber, die unliebsame Mitglieder der Jugendvertretung oder des Betriebsrats aus ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Funktion durch die Nichtübernahme in ein Arbeitsverhältnis entfernt haben, müssen jetzt die Mitglieder dieses Organs in ein Arbeitsverhältnis übernehmen. Hier gilt der Kontrahierungszwang.
In diesem Zusammenhang komme ich nicht umhin, das Demokratieverständnis jener Unternehmer als fragwürdig zu bezeichnen, die in der Vergangenheit diese Verhaltensweise an den Tag gelegt haben, um sich so junger Menschen zu entledigen, die durch junge Belegschaftsmitglieder als Jugendvertreter oder Betriebsräte gewählt worden sind. Diese Verhaltensweise muß ich energisch ablehnen.
Der von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Gesetzentwurf gibt den Auszubildenden nicht nur Schutz während ihrer Mitgliedschaft in einem betriebsverfassungsrechtlichen Organ, sondern auch dann, wenn das Ausbildungsverhältnis innerhalb eines Jahres nach Beendigung der Amtszeit des betreffenden betriebsverfassungsrechtlichen Organs ausläuft.
Abschließend noch ein Wort zu dem Gesetzentwurf von einigen Abgeordneten der Opposition. Ich glaube, 43 an der Zahl haben Ihren Gruppenantrag, Kollege Müller, unterzeichnet.
234 Mitglieder hat Ihre Fraktion, 190 haben nicht unterschrieben; das sind über 80 %. Schreiben Sie sich das mal in Ihre Notizen hinein!
Ich wollte damit nur sagen, es handelt sich bei Ihnen um einen Gruppenantrag, der keine Mehrheit in Ihrer eigenen Fraktion hat. Das ist hier festzustellen.
Ich meine, Herr Kollege Müller, dies ist eine weitere Dokumentation für die Zerstrittenheit in Ihren Reihen, wenn es um die Realisierung von Arbeitnehmerinteressen geht.
Im Gegensatz dazu vertreten die Koalitionsfraktionen eine einheitliche Meinung. In den Betrieben und Unternehmungen, bei den Gewerkschaften und Betriebsräten und bei den Jugendvertretungen wird man diese Haltung zu würdigen wissen, drückt die Koalition doch mit diesem Gesetzentwurf ihren Willen aus, über die soziale und gesellschaftspolitische Reformarbeit, die in der Regierungserklärung angesprochen wird, aktuelle Bezüge aus dem Arbeitsleben aufzugreifen und einer befriedigenden gesetzlichen Regelung zuzuführen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der FDP-Fraktion habe ich folgende Erklärung abzugeben. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Ergänzung des Betriebsverfassungsgesetzes setzt die Fraktion der FDP ihr langjähriges Bemühen konsequent fort, Aufgaben und Befugnisse der Jugendvertretung zu erweitern und die Stellung der Jugendvertreter durch stärkere Rechte abzusichern. Mit diesem Gesetzentwurf soll der Schutz der Jugendvertreter beim Übergang von einem Ausbildungsverhältnis in ein Arbeitsverhältnis verbessert werden.Meine Damen und Herren, wer die Vorgänge der letzten Monate um die Jugendvertreter verfolgt hat, mußte allerdings den Eindruck gewinnen Herr Kollege Urbaniak wies bereits darauf hin —, diese Jugendvertreter seien nach geltendem Recht der Willkür der Arbeitgeber ausgeliefert. Das ist eigentlich unzutreffend. Auch das geltende Betriebsverfassungsrecht sollte zumindest nach dem Willen des Gesetzgebers eine Benachteiligung von Jugendvertretern ausschließen.Im Interesse der Rechtssicherheit halten wir Freie Demokraten es jetzt aber für erforderlich, das Benachteiligungsverbot des § 78 des Betriebsverfassungsgesetzes zu konkretisieren und gesetzlich klarzustellen, unter welchen Voraussetzungen der Ju-
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Hölschergendvertreter auf sein Verlangen weiter zu beschäftigen ist.Darüber hinaus wird dem Arbeitgeber und nicht dem Jugendvertreter auferlegt - das erscheint uns besonders wichtig —, das Arbeitsgericht anzurufen, wenn die Weiterbeschäftigung des Jugendvertreters abgelehnt wird. Dadurch soll vermieden werden, daß der Jugendliche zur Durchsetzung seiner Rechte den ersten Schritt zum Arbeitsgericht tun und den im Einzelfall oft schwierigen Nachweis einer Benachteiligung führen muß.Soviel zur politischen Zielsetzung.Im Ausschuß wird sicher noch zu prüfen sein, ob die jetzt vorliegende Formulierung möglicherweise noch einer Verbesserung bedarf. Wir Freien Demokraten begrüßen den vorgesehenen Ausbau des Schutzes der Jugendvertreter in vollem Umfang.
Wir wollen sicherstellen, daß sich junge Arbeitnehmer — und darauf kommt es wohl an — frei für die Interessen ihrer Kollegen engagieren können, ohne mit beruflichen Nachteilen rechnen zu müssen.
Die Gesetzesinitiative entspricht aber auch dem wichtigen Anliegen der FDP, den Schutz von Sondergruppen und betrieblichen Minderheiten in der Betriebsverfassung zu verstärken.
Meine Damen und Herren, damit sind die beiden Gesetzesanträge begründet.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Rohde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt, daß sich in dieser Debatte die gemeinsame Absicht abzeichnet, den Schutz der Jugendvertreter zu verbessern und in diesem Bereich dadurch mehr Rechtssicherheit zu schaffen.
Die vorliegenden Initiativentwürfe beziehen sich auf eine Frage, die in diesem Jahr verständlicherweise die Öffentlichkeit und vor allen Dingen die Jugendlichen in beruflicher Ausbildung beschäftigt hat. Die Gesetzesinitiativen aus dem Parlament ermöglichen ein verkürztes Gesetzgebungsverfahren. Es ist in der bisherigen Debatte deutlich geworden, daß dies im Interesse der Betroffenen und der Sache liegt.
In der Diskussion der letzten Wochen ist darüber gestritten worden, in welchem Umfang durch die bisherige Rechtslage jugendliche Arbeitnehmer als Jugendvertreter tatsächlich benachteiligt worden sind, indem sie nach Abschluß der Ausbildung vom Arbeitgeber nicht in ein Arbeitsverhältnis übernommen wurden. Ich will diese Diskussion heute nicht noch einmal nachzeichnen. Wir müssen von Tatbeständen und Erfahrungen ausgehen. Es ist nicht zu bestreiten, daß nach der derzeitigen Rechtslage der Arbeitgeber es grundsätzlich in der Hand hat, Mitgliedern der Jugendvertretung die Ausübung ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Funktionen ohne jegliche Angabe von Gründen dadurch unmöglich zu machen, daß er sie nach Beendigung des befristeten Ausbildungsverhältnisses nicht in ein Arbeitsverhältnis übernimmt. Diese Möglichkeit für sich allein rechtfertigt nach meiner Auffassung schon das Bemühen, das in dem Entwurf der Koalitionsparteien seinen Ausdruck findet.
Die vorliegenden Entwürfe stimmen darin überein, daß alle Mitglieder von Betriebsverfassungsorganen und insbesondere gerade die jüngeren Mitglieder durch ihr soziales Engagement für andere keine persönlichen Nachteile haben sollen und daß sie auf einer rechtlichen Grundlage arbeiten sollen, die es ihnen ermöglicht, ihr Amt unabhängig auszuüben. Wenn auch nur ein Teil der Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion den von Ihnen eingebrachten Gesetzentwurf unterschrieben hat, so hoffe ich doch, daß wir in diesem Haus eine breite Mehrheit für einen effektiveren Schutz für die Jugendvertreter erreichen können. Diese erste Lesung ist, wie Sie verstehen werden, nicht der Zeitpunkt, um im einzelnen auf die Regelungen beider Entwürfe näher einzugehen. Sie werden wir sorgfältig im Sozialpolitischen Ausschuß, wie Sie schon angekündigt haben, Herr Kollege Müller, beraten.
Ich darf mir abschließend nur noch erlauben, den Wunsch zu äußern, daß es möglich sein wird, den Gesetzentwurf für die Verbesserung des Schutzes der Jugendvertreter alsbald zu verabschieden.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, beide Vorlagen dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes
Drucksache 7/458 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 7/1206Berichterstatter: Abgeordneter Haehserb) Bericht und Antrag des Innenausschusses — Drucksache 7/1155 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schäfer
Abgeordneter Freiherr von Fircks
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Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenIch frage zunächst, ob die Herren Berichterstatter noch zur Ergänzung des Berichts das Wort wünschen. — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich danke den Herren Berichterstattern für Ihre Berichte.Ich schlage vor, daß wir nunmehr in die zweite Beratung eintreten. Ich rufe Art. 1 und damit gleichzeitig die Änderungsanträge 7/1199, 7/1200, 7/1201 auf. Ich frage die Fraktion der CDU/CSU, ob ich nicht gleichzeitig auch die Art. 1 a und 3 aufrufen kann, um auf diese Weise die gesamten Änderungsanträge gleichzeitig begründen lassen zu können. — Die Antragsteller sind damit einverstanden.Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Fircks.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hat das 27. Änderungsgesetz zum Lastenausgleichsgesetz eingebracht, nachdem mit dem 25. Änderungsgesetz zum Lastenausgleichsgesetz vom 24. August 1972 die Versorgungsleistungen für rund eine halbe Million Unterhaltshilfeempfänger, die als ehemals selbständige Landwirte und als ehemals selbständige Gewerbetreibende ihre Altersversorgung durch Vertreibung oder durch Flucht verloren haben, mit Wirkung vom 1. Januar 1973 dynamisiert wurden, womit für die laufende Anpassung der Versorgungsrenten dieses Personenkreises in Zukunft auch im Kriegsfolgenbereich die gleichen Maßstäbe wie im klassischen Bereich der Sozialpolitik, nämlich in der gesetzlichen Rentenversicherung, gelten sollten.Bei der damaligen Verabschiedung dieser Dynamisierungsvorschrift bestand — so war, glaube ich, der allgemeine Eindruck im Hause Übereinstimmung aller Fraktionen dahin gehend, daß Dynamisierung heißen soll: eine Angleichung, eine Anhebung der Renten jeweils zum gleichen Zeitpunkt und in der gleichen Höhe wie in der gesetzlichen Rentenversicherung.Zur Verdeutlichung der Tatsache, daß das tatsächlich gemeinsame Auffassung dieses Hauses war, möchte ich einige Passagen zitieren. Der Kollege Hofmann von der SPD-Fraktion sagte anläßlich der dritten Beratung am 21. Juni 1972 — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — wörtlich:Mit dieser Dynamisierung ist das Tauziehen um die Verbesserungen der Unterhaltshilfe beendet. Damit ist auch die Integration dieses Personenkreises in die Sozialleistungen des Bundes vollzogen.Und der Kollege Krall von der FDP-Fraktion meinte damals — ich darf wiederum mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren —:Wer diese Entscheidung bejaht, muß sich darüber im klaren sein, daß dies eine Orientierung an den Löhnen und Gehältern bedeutet. Er muß sich auch darüber im klaren sein, daß gegebenenfalls eine Defizithaftung des Bundes zu realisieren ist, wenn die Reserven des Lastenausgleichsfonds nicht ausreichen.Nachdem nun, meine Damen und Herren, der Anpassungstermin für die Sozialrenten unter dem Druck der Preisentwicklung in diesem Lande .im Rahmen des Rentenreformgesetzes bereits im vergangenen Jahr, also 1972, um sechs, Monate vorverlegt worden ist, ist eine erneute Entscheidung dieses Hauses über eine zeitgerechte Anpassung der Unterhaltshilfe, wie ich meine, seit langem, eigentlich seit dem 1. Juli 1972, fällig.Wir haben, nachdem die Regierung und auch die Koalitionsparteien untätig blieben, ein 27. Änderungsgesetz vorgelegt, mit dem wenigstens eine Rentenanpassung ab 1. Juli 1973 gleichzeitig mit der Rentenanpassung in der Sozialversicherung vorgenommen werden sollte. Dieser Antrag ist im April dieses Jahres vorgelegt worden.Wir haben damals geglaubt, daß eine termingerechte Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes erwartet werden darf, insbesondere nachdem auch der für diesen Arbeitsbereich zuständige Bundesminister des Innern mit Schreiben vom 25. April 1973 mitgeteilt hatte, daß auch seine Bemühungen in jedem Fall dahin gingen, nach dem Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes eine analoge Regelung für die Unterhaltshilfe nach dem LAG zu treffen, und „analog" darf und kann doch wohl nur heißen: zum gleichen Zeitpunkt und in gleicher Höhe.Nachdem dann auch noch Herr Bundesminister Franke bereits in einem Schreiben vom 12. Februar 1973 versichert hatte, daß auch er sich mit Nachdruck dafür einsetzen werde, daß die Anhebung der allgemeinen Renten und der Kriegsschadenrenten zu gleichen Sätzen und zum gleichen Zeitpunkt erfolgen werde, war, glaube ich, nicht nur unsere, sondern auch die Hoffnung der Betroffenen nicht unberechtigt, daß sie spätestens mit diesem einen Jahr Verzug wieder in die gleiche Position kommen würden.Mit Bedauern müssen wir heute feststellen, daß unser Antrag im Innenausschuß verändert wurde zu einem — so möchte ich sagen — Terminkalender der Regierung in der Anpassung mit einer tatsächlichen Verzögerung von drei Jahren. Aus unserem ursprünglichen Antrag mit einer echten Anpassung ist jetzt ein Torso geworden, obgleich seinerzeit alle Fraktionen und, wie ich darlegen konnte, zwei Minister dieser Bundesregierung deutlich ihre Absicht bekundet hatten, dies zum 1. Juli 1973 zu verwirklichen.Wir bedauern, daß die Bundesregierung — ebenso wie Sie, meine Damen und Herren von der SPD und FDP — bisher jedenfalls nicht bereit ist, dem von uns eingebrachten Initiativgesetzentwurf zuzustimmen, der doch quasi nur eine Sofortmaßnahme ist und nichts weiter zum Inhalt hat, als in Übereinstimmung mit den ursprünglichen Absichten des ganzen Hohen Hauses den zeitlichen Anschluß der Versorgungsleistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz an die Sozialversicherungsrenten wieder herbeizuführen.Wenn Sie, meine Damen und Herren, entsprechend dem Vorschlag der Bundesregierung, das Gleichziehen der Kriegsschadensrente erst am
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Freiherr von Fircks1. Oktober 1974 zur Hälfte zu beginnen und erst am 1. Juli 1975 zu beenden, im Innenausschuß mehrheitlich beschlossen haben, den Lastenausgleichsrentnern also eine Wartezeit von drei Jahren auferlegen, so widerspricht dies nicht nur der ursprünglich gemeinsamen Basis, von der wir bei der Verabschiedung der 25. Novelle in diesem. Hause ausgingen, sondern es widerspricht auch, so meine ich, insbesondere den Grundsätzen einer Politik sozialer Gleichheit, Sicherheit und Gerechtigkeit, denen sich doch auch die Bundesregierung und Sie verpflichtet fühlen.Wenn Sie wirklich wollen, daß alle Menschen in unserem Lande besser leben können, daß die Einkommenslage aller Bürger von Jahr zu Jahr besser wird, daß das Realeinkommen steigt, wenn Sie wirklich einen sozialen Rechtsstaat weiter ausbauen wollen, wie Sie dies erneut im Sozialbericht 1973 ausdrücklich unterstreichen, dann können Sie nicht gleichzeitig ausgerechnet jene Rentner in unserem Lande, die noch heute unter den Folgen der Teilung Deutschlands am schwersten zu leiden haben, weil sie Heimat, Besitz und Altersversorgung verloren haben, dazu verurteilen, nun als einzige oder fast als einzige jahrelang durch die Folgen der Preisinflation in einem sozial unerträglichen Maß benachteiligt zu sein und darüber hinaus über Jahre hin auch von der Teilnahme am realen Anstieg des Sozialniveaus in der Bundesrepublik Deutschland vollkommen ausgeschlossen zu sein.Halten Sie es denn wirklich für sozial tragbar, wenn die ehemals selbständigen Landwirte, Handwerker oder Gewerbetreibenden aus Ost- und Mitteldeutschland nach einem erfüllten Arbeitsleben mit einer gegenwärtigen Mindestversorgung von monatlich 405 DM in diesem Jahr praktisch keine reale Verbesserung ihrer Einkommenssituation erzielen und das niedrigste Rentenniveau im gesamten Sozialgefüge haben und damit mit ihrer Versorgung zum Teil noch unter dem Betrag liegen, der dem Fürsorgeempfänger heute gewährt wird?Man muß sich dabei auch dessen bewußt sein, daß die Sozialversicherungsrenten seit 1967 bis heute
um rund 56 % gestiegen sind und damit dem Sozialversicherungsrentner eine Einkommenssteigerung von mehr als 4 % brachten, während sich die Vergleichszahl für die Empfänger von Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz bei einer Steigerung von 305 DM auf 405 DM im Jahre 1973 auf knapp 33 % beläuft und damit auf eine reale Einkommenssteigerung von nur 0,5 %. Dabei bedeutet es für den Betroffenen auch keinen Trost, meine Damen und Herren, wenn er einen Wechsel auf die Zukunft ausgestellt bekommt, daß die Anpassungssätze innerhalb von drei Jahren diesen Rückstand beseitigen werden.Wir müssen in diesem Zusammenhang jetzt nochmals bedauern, daß unsere Anträge im Rahmen des 4. Unterhaltshilfeanpassungsgesetzes, im vergangenen Jahr die Ausgangsbasis für die Dynamisierung richtig zu schaffen, abgelehnt worden sind, weil damit die ganze Dynamisierung von vornherein einemindere Verbesserung als im Sozialbereich erfährt.Im übrigen haben die Empfänger von Kriegsschadenrente bereits ein halbes Jahr der Anpassung ihrer Renten im Jahre 1972 verloren, 1973 weitere 6 Monate, und 1974 sollen abermals 3 Monate hinzukommen. Das macht in Mark und Pfennig für den einzelnen einen Verlust von 640 DM, also in Höhe des Anderthalbfachen seiner monatlichen Gesamteinkünfte von 405 DM. Der Gesamtbetrag des Verlustes der Kriegsschadenrente aus der vorenthaltenen Rentenanpassung beläuft sich auf rund 120 Millionen DM, das ist der Betrag der Mehraufwendungen, die sich bei einer Anpassung ab 1. Juli 1973 nach unserem Entwurf ergeben würden. Diesem Betrag stehen aber auf der anderen Seite Einsparungen des Lastenausgleichsfonds, der hier alleiniger Kostenträger ist, wie ich nochmals betonen möchte, in gleicher Höhe gegenüber, die sich aus der Anrechnung erhöhter Sozialversicherungsrenten auf die Unterhaltshilfe und aus der Einführung der Renten nach Mindesteinkommen ergeben. Es kann also auch nicht mit Kostengründen oder der Behauptung eines zusätzlichen Konsumanreizes gegen unsere Anträge argumentiert werden.Als einziges bliebe die Auswirkung auf andere Renten, wobei insbesondere die Kriegsopferversorgungsrenten gemeint sind. Als Sie damals die Angleichung ablehnten, konnten Sie, meine ich, selber noch gar nicht sehen, welche Kostensteigerungen auf diese beiden Personenkreise zukommen. Denken Sie allein an die Porto- und Telefonkostenerhöhung und an die ganzen Erhöhungen im Heizkostenbereich, die gerade jetzt verstärkt auf diese beiden Personenkreise zukommen. Ich hoffe also, daß auch hier von Ihnen im Rahmen des Vermittlungsausschusses noch ein für uns alle gemeinsam gangbarer Weg gefunden wird.Wir schlagen daher in den Ihnen vorliegenden Änderungsanträgen Drucksachen 7/1199 bis 7/1203 vor, den ursprünglichen Inhalt unseres durch die Beschlüsse des Innenausschusses veränderten Gesetzentwurfs wiederherzustellen, so daß die Anpassung der Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz schon ab 1. Juli 1973, gleichzeitig mit der Anpassung der Sozialrenten, erfolgen kann.Der Herr Bundeskanzler hat am 26. Oktober 1973 in der Debatte über die Haushalts- und Finanzpolitik vor diesem Hohen Hause die ernste Absicht der Bundesregierung bekundet, die Furcht vor materieller Not und sozialem Abstieg durch die Schaffung von mehr sozialer Gerechtigkeit zu bannen. Sie, meine Damen und Herren von den Fraktionen der SPD und FDP, haben hier und jetzt die Chance, dafür zu sorgen, daß die Worte Ihres Bundeskanzlers auch von Taten begleitet werden, indem Sie unseren Änderungsanträgen Ihre Zustimmung geben. Bestätigen Sie wenigstens in dieser Frage das, was Herr Minister Arendt in seiner Einbringungsrede zum Sozialbericht 1973 bekundet hat: die sozialliberale Koalition werde sich in der Sorge um die Rentner von niemandem übertreffen lassen. Ich darf Sie daher namens der CDU/CSU-Fraktion bitten, unse-
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3786 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Freiherr von Fircksren vorliegenden Anträgen Drucksachen 7 1199 bis 7/1203 auf Anpassung der Versorgungsleistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz noch in diesem Jahr Ihre Zustimmung zu geben.
Damit sind die Anträge begründet. — Das Wort hat der Abgeordnete Hofmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer den Begründungsworten des Kollegen von Fircks zugehört hat, hat wieder einmal gemerkt, daß hierbei eine Attacke gegen die Sozialleistungen vorgetragen wurde, ohne daß gesagt wurde, wie es denn bei den anderen vergleichbaren Renten aussieht. Wer behauptet, daß soziale Gleichheit und Gerechtigkeit gerade bei der Unterhaltshilfe nicht gegeben seien, der muß sich einmal vor Augen halten, wie denn diese Unterhaltshilfe seit dem Jahre 1969 verbessert wurde, und der muß auf die Frage Antwort geben, welche Renten denn in gleicher Form und im gleichen Zeitraum erhöht wurden.
Hier einige Zahlen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kriegsopferrenten wurden von 1970 bis 1974 bei beschädigten Waisen und Eltern um 63,1 % erhöht, bei den Witwen um 75,5 %, bei den Altersrenten seit 1969 um 65 %. Die Unterhaltshilfe aber wird von 1969 bis zu dem Stufenplan, den Herr von Fircks ablehnt, eine Erhöhung erfahren, die bei knapp 88 % liegt. Es gibt keine andere Rentenreform, die in diesen Sätzen zugenommen hat. Dies betrifft nur den Alleinstehenden ohne andere Renten. Bei dem Alleinstehenden mit dem Selbständigenzuschlag beträgt die Erhöhung fast 82 %, bei dem Ehepaar 86 %, bei Ehepaaren mit Selbständigenzuschlag 82 %. Ich verstehe nicht, wie man hier sagen kann, daß es eine Ungerechtigkeit sei, daß dies kein sozialer Rechtsstaat sei. Um die Zahlen nominal zu nennen: Die Renten betrugen für ein Ehepaar mit Selbständigenzuschlag 1969 490 DM, sie werden nach unserem Stufenplan 893 DM betragen. Herr von Fircks, wir haben in der Tat den Leuten die Furcht vor der sozialen Not genommen. Ich muß Ihnen sagen: uns hat noch keine andere Partei in einem gleichen Zeitraum in dieser Beziehung übertroffen.
Zu Ihren Anträgen muß ich Ihnen folgendes sagen. Sie haben sie äußerst schnell und leichtfertig vorgelegt. In § 277 a Satz 1 steht nicht „jährlich, erstmals mit Wirkung vom 1. Januar 1973"! Da wollen Sie ein halbes Jahr zurück. Das wäre eine Benachteiligung; denn im § 277 a Satz 1 steht: „jährlich, erstmals mit Wirkung vom 1. Januar 1974". Ich glaube, das wollten Sie verändern, und nicht „1973". So steht es im Gesetz. Da muß man schon ein bißchen genauer schauen und die Materie voll beherrschen, wenn man solche Anträge einbringt.
Aber worum geht es denn bei diesen Anträgen? Sie wollen heute bei der Unterhaltshilfe einen Vorgriff auf die Gestaltung der Kriegsopferrente vollziehen. Sie meinen, daß wir, wenn es Ihnen heute bei der Abstimmung gelingt, dies durchzusetzen, bei der Kriegsopferrente gar nicht anders verfahren könnten. Das System sieht wie folgt aus. Wir sind der Meinung, daß im Stufenverfahren die Renten dreimal angehoben werden sollen: einmal am 1. Januar 1974, wie es in § 277 a des Lastenausgleichsgesetzes vorgesehen ist, dann zum 1. Oktober 1974 —das, Herr von Fircks, ist in diesem Jahr eine Steigerung von über 14 "/o; das gibt es auch bei keiner anderen Rente — und drittens dann am 1. Juli 1975.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen die Zahlen genannt und muß sagen, daß wir gerade bei der Anhebung der Unterhaltshilfe zu Sätzen gekommen sind, die bei keiner anderen Rente vergleichbar sind.
Deshalb bitte ich Sie, die Anträge der Opposition abzulehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Einmal mehr beweist die Opposition, daß sie noch immer nicht zwischen dem Wünschenswerten und dem in gesamtwirtschaftlicher Verantwortung Möglichen zu unterscheiden vermag.
Denn es geht, Herr Kollege von Fircks, gar nicht um die 90 Millionen DM, die bei Annahme Ihrer Anträge zusätzlich aus dem Ausgleichsfonds zu bezahlen wären, wo ohnehin ab 1980 ein Defizit von 1 Milliarde DM durch den Bund zu tragen ist, sondern es geht darum, daß hier wieder Dinge präjudiziert werden würden, die finanziell schwerübersehbare Auswirkungen haben würden. Das Vorziehen der Anpassung der Unterhaltshilfe geschieht nach dem Ausschußvorschlag genau wie im Bereich der Kriegsopferversorgung und präjudiziert damit nichts; denn wenn man dann dem folgen würde, was die Opposition vorschlägt, würde in anderen Bereichen sozusagen rückschlagend wiederum die Diskussion um mehrere hundert Millionen DM Mehrausgaben für den Bundeshaushalt aufgeworfen werden. Deshalb müssen wir die Anträge der Opposition trotz der schönen und wünschenswerten Verbesserungen, die diese für den Kreis der Betroffenen enthalten, ablehnen, obwohl sie, wenn wir ihnen folgen würden, den Betroffenen mehr als hundert Prozent Steigerung der Renten von 1969 bis 1974 geben würden. Wir folgen dem, was der Ausschuß vorschlägt, denn das ist logisch, und stimmen deshalb dem Gesetz in der Fassung zu, wie sie uns der Ausschuß vorgelegt hat.
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3787
Vizepräsident Dr. JaegerWir kommen zu den Änderungsanträgen. Es ist noch über keinen einzigen abgestimmt worden. Ich rufe zuerst den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/1199 auf, Art. 1 Nr. 1 eine neue Fassung zu geben. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/1200. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/1201. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist wieder die gleiche Mehrheit; abgelehnt.Dann lasse ich über Art. 1 in der Ausschußfassung — das ist jetzt das umgekehrte Abstimmungsverfahren — abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit angenommen.Ich rufe Art. 1 a auf. Dazu ist ein Antrag auf Streichung gestellt. In zweiter Lesung wird üblicherweise in der Form darüber abgestimmt, daß man Art. 1 a selbst zur Abstimmung stellt. Ich lasse also darüber abstimmen. Wer Art. 1 a in der Ausschußfassung zustimmt, möge die Hand heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. Wer streichen will, muß jetzt die Hand heben. —
Art. 1 a ist angenommen.
Wir kommen zu Art. 2. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.Wir kommen zu Art. 3. Hierzu liegt ein Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 7/1203 vor. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit abgelehnt.Wir kommen zu Art. 3 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.Ich rufe Einleitung und Überschrift auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.Meine Damen und Herren, ich eröffne die dritte Beratung.Hierzu liegen Wortmeldungen vor. Das Wort hat Herr Abgeordneter Freiherr von Fircks.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion wird dem jetzt zur abschließenden Beratung vorliegenden Gesetzentwurf dennoch zustimmen,
weil wir jede Verbesserung in diesem Bereich unterstützen und weil durch dieses Gesetz wenigstens gesichert wird, daß sich die Lage der Empfänger von Kriegsschadensrente nach dem Lastenausgleichsgesetz, wenn auch erst in ferner Zukunft, angleichen wird.
Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Hofmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den die CDU vorgelegt hat, hatte zum Ziel, die von der Bundesregierung mit der 25. LAG-Novelle eingeführte Dynamisierung der Unterhaltshilfe, die nach geltendem Recht jährlich zum 1. Januar, erstmals am 1. Januar 1974, durch Rechtsverordnung vorzunehmen ist, bereits am 1. Juli 1973, also ein halbes Jahr früher, vorzunehmen. Die Opposition hat schon anläßlich der ersten Lesung ihres Gesetzentwurfs darauf verzichtet, eine Erklärung abzugeben, da sie weiß, daß die hierfür notwendigen 700 Millionen DM effektiv nicht vorhanden sind.Dazu kam die Tatsache, daß die Landesregierung von Schleswig-Holstein über den Bundesrat zum zweitenmal den Versuch gemacht hat, die gesamte Land- und Forstwirtschaft für die Zeit von 1972 bis 1979 von der Vermögensabgabe freizustellen. Daraus ergäbe sich eine Mindereinnahme des Ausgleichsfonds von weiteren 720 Millionen DM bis zum Jahre 1979.
Sie alle wissen, daß alle Verbesserungen, die im Rahmen der Lastenausgleichsgesetzgebung noch beschlossen werden, nach 1979 vom Bundeshaushalt im Rahmen seiner Defizithaftung getragen werden müssen. Aus diesem Grunde müssen wir das bereits heute politisch verantwortlich entscheiden. Der Standpunkt „nach mir die Sintflut" kann und darf nicht die Richtschnur unseres Handelns sein. Deshalb hat der Innenausschuß in seiner Sitzung am 17. Oktober 1973 gegen die Stimmen der CDU/CSU entsprechend dem Stufenplan zur Verbesserung der Kriegsopferrenten beschlossen, auch die Unterhaltshilfe mit den dazugehörigen Zuschlägen dem Lastenausgleich vorzeitig anzupassen. Damit ist die zeitliche Gleichstellung mit den übrigen Empfängern aus der Renten- und Kriegsopferversorgung endgültig.Schließlich wäre von den Beschlüssen des Innenausschusses zu erwähnen, daß die Erhöhungsbeträge auf Grund der Rentenanpassung vom 1. Juli 1974 auf die Renten nach der Reichsversicherungsordnung, dem Angestelltenversicherungsgesetz und dem Reichsknappschaftsgesetz für die Zeit vom 1. Juli 1974 bis zum 30. September 1974 bei der Berechnung der Unterhaltshilfe, sofern sie beide Rentenarten erhalten, unberücksichtigt bleiben.
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3788 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
HofmannMit den Beschlüssen des Innenausschusses ist ein weiterer Schritt der sozialliberalen Koalition vollzogen worden, den sozialen Rechtsstaat zu verwirklichen. Wir garantieren damit den alten und erwerbsunfähigen Geschädigten einen zufriedenen und gesicherten Lebensabend.Wir bitten Sie, dem Gesetzentwurf in der neuen Fassung Ihre Zustimmung zu geben.
Meine Damen und Herren, wird des weiteren das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Damit kommen wir zur Schlußabstimmung. Ich habe sie mit der Abstimmungsanlage durchzuführen. Ich bitte Platz zu nehmen. Ich bitte, die Identitätsnummer zu überprüfen bzw. einzustellen.
Meine Damen und Herren, ich bitte, jetzt abzustimmen. — Einstimmig angenommen.
Wir stimmen nunmehr über den Ausschußantrag Nr. 2 ab, den Sie in Ihrer Vorlage auf Seite 3 finden. Wer diesem Ausschußantrag zuzustimmen wünscht, bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 10 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
— Drücksache 7/1064)
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Dr. Lenz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der von der CDU/CSU-Fraktion vorgelegte Antrag, die Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts mit Zweidrittelmehrheit im Grundgesetz zu verankern, ist seinem Inhalte nach unstreitig. Er entspricht dem geltenden Recht, und es wird zur Zeit von keiner Seite die Beseitigung dieser Vorschrift gefordert. Unser Antrag geht aber nicht dahin, dieses Recht zu ändern, sondern dahin, es in der Verfassung zu verankern, und zwar aus folgenden Gründen:Das Bundesverfassungsgericht ist das Verfassungsorgan. Auch bei anderen Verfassungsorganen bestimmt das Grundgesetz, mit welcher Mehrheit sie zu wählen sind. So muß z. B. der Bundespräsident in den beiden ersten Wahlgängen mit der Mehrheit der Mitglieder der Bundesversammlung gewählt werden. Ebenso gibt es eingehende Bestimmungen über die Mehrheiten, die bei der Wahl des Bundeskanzlers erreicht werden müssen. Beim Bundesverfassungsgericht sind die erforderlichen Mehrheiten nicht in der Verfassung selbst ausgewiesen.Es empfiehlt sich deshalb aus verfassungssystematischen Gründen, auch für die Wahl der Bundesverfassungsrichter die Wahlmehrheit im Grundgesetz fest zu verankern. Dies empfiehlt sich um so mehr, als gelegentlich die Auffassung vertreten worden ist, das Grundgesetz regle bereits in Art. 94 die Wahl der Bundesverfassungsrichter, allerdings in der Weise, daß sie mit einfacher Mehrheit gewählt werden müßten.Wenn wir die Wahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts mit Zweidrittelmehrheit im Grundgesetz verankert wissen wollen, so hat es neben verfassungsystematischen auch verfassungspolitiche Gründe. Das Bundesverfassungsgericht hat die Aufgabe, alle Akte von Regierung und Parlament auf Antrag auf ihre Vereinbarkeit mit dem höchsten Gesetz unseres Landes, dem Grundgesetz, zu prüfen. Es liegt auf der Hand, daß Streitfälle gerade dort auftreten werden, wo die Aussage der Verfassung für den streitigen Sachverhalt umstritten ist. Dies ist dort am ehesten der Fall, wo die Verfassung unklar oder lückenhaft ist. Das Bundesverfassungsgericht hat also gegebenenfalls darüber zu entscheiden, ob die obersten vom Volk direkt oder indirekt gewählten Organe verfassungsmäßig gehandelt haben oder nicht, und dies in Fällen, meine Damen und Herren, wo man durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann.Das Bundesverfassungsgericht entscheidet den Streitfall durch Auslegung der Verfassung, die ihrerseits wieder das Verhältnis der Staatsorgane zueinander und das Verhältnis des Staates zum Bürger regelt. Deswegen können die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auf dieses Verhältnis der Staatsorgane zueinander und des Staates zum Bürger ähnliche Auswirkungen haben wie die Verfassung selbst. Von ihnen kann die Verwirklichung des Programms einer Regierung abhängen, die vom Volk mit deutlicher Mehrheit bestätigt worden ist. Die rechtliche und politische Bedeutung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts liegt damit auf der Hand.Damit es offensichtlich ist, daß das Bundesverfassungsgericht nach rechtlichen und nicht nach politischen Gesichtspunkten entscheidet, also das Bundesverfassungsgericht nicht das Werkzeug einer politichen Gruppe und inbeondere nicht der Regierung ist — Leibholz spricht vom latenten Konflikt zwischen der Exekutive und dem Verfassungsgericht —, und um die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts von der Regierung für jedermann sichtbar zu machen, verlangt das Grundgesetz, daß die Richter des Bundesverfassungsgerichts zur Hälfte vom Bundestag und zur anderen Hälfte vom Bundesrat gewählt werden. Deshalb verlangt das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht, daß sie von einer Zweidrittelmehrheit der zuständigen Wahlkörperschaften gewählt werden müssen. In diesem Gesetz steht also den wichtigsten politischen Kräften im Staate, der Volksvertretung und der Ländervertretung, der Regierungsmehrheit und der Opposition, die Mitwirkung bei der Bestellung der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts zu. Nur auf diese Weise kann das Gericht seine Funktion erfüllen, durch seine Rechtssprechung zugleich der politischen Integration des Ganzen zu dienen, wie Leibholz gesagt hat. So weit, so gut.
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Dr. Lenz
Wenn jedoch eine Mehrheit glaubt, Grund zu der Annahme zu haben, daß entscheidende Teile ihres Programms die Hürde des Verfassungsgerichts nicht nehmen können, obwohl diese Mehrheit von der Richtigkeit und Verfassungsmäßigkeit ihres Tuns überzeugt ist und die Mehrheit der Wähler hinter sich weiß, kann leicht und völlig gutgläubig in einer solchen Lage die Behauptung aufgestellt werden, das Gericht befinde sich in einer schiefen Stellung, es habe die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit im Bereich der politischen Fragen vorverlegt, es bemächtige sich der Vollmachten des Parlaments und befinde über eine Frage, über die das Volk in einer Wahl entschieden habe. Damit würde unweigerlich die Frage auftauchen, ob das Volk oder die Verfassung Souverän im Staat sei.In einer solchen Lage könnte die Versuchung auftreten, das vermeintlich formale Hindernis auf dem Weg zur Verwirklichung des Volkswillens und zur Durchsetzung der richtigen Interpretation der Verfassung durch eine Änderung des Wahlverfahrens für die Verfassungsrichter zu beseitigen. Gerade in einer solchen Lage würde schon allein der Versuch eine Staatskrise heraufbeschwören. Deshalb ist es notwendig, daß niemand in Versuchung geführt wird. Darauf zielt unser Vorschlag ab.Zur Zeit, meine Damen und Herren, wird niemand in Versuchung geführt. Deshalb ist es eine gute Zeit, unseren Vorschlag unbefangen zu prüfen. Es geht nicht um eine deutsche Frage, auch nicht um eine Frage zwischen der jetzigen Mehrheit und der jetzigen Opposition, sondern es ist eine Frage zwischen der jeweiligen Mehrheit und der jeweiligen Opposition.Wir wissen, daß gegen unseren Vorschlag Bedenken erhoben werden. Es wird gesagt, er sei zu schwerfällig und gefährde die rechtzeitige Besetzung freigewordener Richterstühle. Dieser Einwand gilt natürlich auch gegen das geltende Recht. Gewiß ist es leichter, eine einfache Mehrheit zu erreichen als eine Zweidrittelmehrheit. Bisher haben jedoch im Abwägen von Für und Wider diejenigen Argumente die Oberhand behalten, die für die Beibehaltung des derzeitigen Wahlverfahrens mit Zweidrittelmehrheit sprechen.Unser Vorschlag dient dazu, die Mitwirkung der Minderheit bei der Bestellung des Bundesverfassungsgerichts grundgesetzlich zu verankern. Er zielt damit in dieselbe Richtung wie die Reformbemühungen im Bundestag während der 5. Wahlperiode und die Vorschläge der Enquete-Kommission Verfassungsreform während der 6. Wahlperiode, die allesamt eine stärkere Stellung der Opposition befürworten. Wir würden deshalb eine Äußerung der Enquete-Kommission Verfassungsreform zu dieser Frage durchaus begrüßen.Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, der Ausschußüberweisung zuzustimmen.
Es spricht Herr Abgeordneter Stienen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf Drucksache 7/1064 sieht vor, den Grundsatz der Zweidrittelmehrheit für die Wahl von Bundesverfassungsrichtern in das Grundgesetz zu übernehmen. Ich möchte mich mit dem befassen, was in der Begründung des Entwurfs gesagt worden ist. Da heißt es, nach Auffassung der Antragstellerin wird es der entscheidenden Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts „für die Sicherung und den Ausbau unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung" nicht mehr gerecht, daß die zur Wahl jedes Bundesverfassungsrichters erforderliche breite Mehrheit in Bundestag oder Bundesrat nur durch ein einfaches Gesetz — gemeint sind §§ 6 und 7 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes — festgelegt ist.
Diese Begründung erscheint mir bei näherer Nachprüfung nicht stichhaltig. Seine heutige, seit langem gefestigte Bedeutung hat das Bundesverfassungsgericht exakt auf der Grundlage und im Sinne der Verfassung und des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes gewonnen. Seine hervorragende Stellung war und bleibt durch das Grundgesetz und des Bundesverfassungsgerichtsgesetz vorgezeichnet.
Ich möchte somit sagen, daß kein Mißverhältnis zwischen der Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts einerseits und der bestehenden Regelung für die Wahl seiner Richter andererseits vorhanden ist. Es ist also kein Mißverhältnis da, welches im Sinne des Entwurfs korrigiert werden müßte.
Die SPD-Fraktion wird dem Entwurf voraussichtlich auch aus folgenden Gründen nicht zustimmen können. Es besteht Einigkeit darin, daß die bisherige Praxis, isoliert Verfassungsänderungen vorzunehmen, nicht fortgesetzt werden sollte. Aus diesem Grunde wurde die Enquete-Kommission für Fragen der Verfassungsreform eingesetzt, die Vorschläge für eine solche Reform aus einem Guß erarbeiten soll. Demnach sollten Verfassungsänderungen grundsätzlich so lange zurückgestellt werden, bis die Enquete-Kommission ihre Beratungen abgeschlossen und ihre Empfehlungen vorgelegt hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogel?
Bitte schön!
Bitte sehr, Herr Abgeordneter!
Herr Kollege, darf ich Ihre Äußerung so auffassen, daß Sie das, was Sie vorhin ausgeführt haben, für alle hier im Augenblik anstehenden Verfassungsänderungen so meinen?
Ich habe gesagt, daß die einmütige Auffassung, soweit ich das sehe, dahin geht, daß isolierte Verfassungsänderungen nicht vorgenommen werden sollten, wenn sie nicht von besonderer Dringlichkeit sind, wie dies im Einzelfall an-
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Dr. Stienenerkannt worden ist, z. B. für die Regelung des Petitionswesens. Wir können ja darüber in den Ausschußberatungen reden. Falls Sie das anders sehen, als ich es gerade vorgetragen habe, werden wir uns dieser Frage noch zuwenden. Ich gehe aus von dem, was ich im Moment an Erkenntnismöglichkeiten hierzu habe.Ich sehe hier keinen Fall besonderer Dringlichkeit, weil wir eine gesetzliche Regelung haben, die sich bisher bewährt hat. Niemand beabsichtigt oder hat sonst in irgendeiner Form erklärt oder erkennen lassen, daß er diese Regelung der Zweidrittelmehrheit abändern möchte.Der letzte Versuch in dieser Hinsicht, am Grundsatz der Zweidrittelmehrheit zu rütteln, wurde vor 18 Jahren unternommen durch den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 10. September 1955, Drucksache II/1662, eingebracht von einer CDU/CSU-geführten Regierung.
— Bitte sehr!
Herr Kollege Stienen, würden Sie mir zugeben, daß die Annahme unseres Entwurfs jede Regierung, von wem auch immmer sie gestellt würde, gar nicht mehr in die Lage bringen würde, einen solchen Antrag einzubringen, wie Sie eben hier einen zitiert haben?
Ja, das gebe ich Ihnen zu, weil wir dann die erschwerte Abänderbarkeit hätten; das sehen wir selbstverständlich. Ich sage hier nochmals ausdrücklich, daß niemand, soweit ich das beobachte, daran denkt, den Grundsatz der Zweidrittelmehrheit abzuändern. Es gibt andere Vorstellungen in diesem Zusammenhang, die aber nicht diesen Grundsatz betreffen; ich komme darauf gleich noch zurück. Ich meine nur, wenn man befürchtet, daß sich hier etwas ändern könnte, dann darf und muß doch daran erinnert werden, daß es eine solche Initiative bisher nur einmal erkennbar gegeben hat, und zwar vor 18 Jahren und von einer CDU/CSU-geführten Regierung.
— Sehr geehrter Herr Kollege Lenz, ich habe nicht behauptet, daß ich für diesen Versuch, der so lange zurückliegt, kein Verständnis hätte, daß ich ihn nicht recht einordnete.
Von einer vorzeitigen Verfassungsänderung der vorgeschlagenen Art sollte auch deshalb abgesehen werden, weil die Bestimmungen betreffend die Wahl der Bundesverfassungrichter zweckmäßig im Zusammenhang auf ihre Reformbedürftigkeit hin überdacht werden sollten, z. B. im Hinblick auf die Einführung eines neutralen Vorschlagsrechts — das würde den Grundsatz der Zweidrittelmehrheit nicht berühren — oder durch Einführung eines qualifizierten Vorauswahlrechts. Wenn sich hierbei ergäbe, daß im wesentlichen der bisherige Wahlmodus beibehalten wird — ich persönlich meine, er würde beibehalten —, dann könnte z. B. auch daran gedacht werden, die Institution des Wahlmännerausschusses im Grundgesetz in Art. 94 zu verankern, nicht zuletzt, um die verfassungsrechtlichen Bedenken, die gegen § 6 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes erhoben worden sind, auszuräumen.
Nach allem vermag ich nicht recht einzusehen, warum die Verfassung gerade jetzt in der beantragten Weise geändert werden soll. Die in der schriftlichen Begründung des Entwurfs hergestellte Parallele zur Reform des Petitionswesens überzeugt nicht. In dieser Hinsicht hat die Enquete-Kommission nämlich ihre Beratungen bereits abgeschlossen und Vorschläge zur Reform des Grundgesetzes unterbreitet. Ich darf hierzu auf Seite 44 ff. des Zwischenberichts der Kommission verweisen. Außerdem wird die Reform des Petitionswesens von allen Fraktionen, wie ich vorhin bereits sagte, seit längerem als dringlich angesehen.
Wir gehen selbstverständlich trotz der vorgetragenen Bedenken davon aus und erklären unsere Bereitschaft dazu, in den Ausschußberatungen den Entwurf gemeinsam so eingehend zu beraten und zu erörtern, wie dies dem besonderen Rang der Materie, die hier angesprochen ist, entspricht.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nur einige ganz kurze Bemerkungen noch nach den sehr gründlichen Ausführungen der Herren Vorredner.Erstens. Ich glaube, wir strapazieren das etwas zu sehr — ich habe das neulich hier schon einmal gesagt -- mit dem Grundsatz, daß man Grundgesetznovellierungen nur gebündelt und dann zu irgendeinem Tage X, von dem wir alle nicht genau wissen, wann er sein wird, vornehmen soll. Wir haben praktische Notwendigkeiten. Ich beabsichtige nicht, diesen Grundsatz überzustrapazieren. Allerdings sehe ich im vorliegenden Fall auch noch nicht ganz die Dringlichkeit des Vorhabens, nachdem wir mit dem jetzigen Verfahren ja doch sehr anständig — bei allen Schwierigkeiten, die darin liegen — zurechtgekommen sind. Niemand hat erkennen lassen, daß er das Verfahren ändern will. Es fehlen hier die Verdachtsmomente.Ich komme mit der Frage, wie wir bisher zurechtgekommen sind, gleich zum zweiten Punkt. Ich glaube nämlich, wenn hier überhaupt etwas zu geschehen hat, dann sollten wir, falls wir durch irgendwelche besonders glücklichen Umstände etwas mehr Muße haben — dieses erfordert meiner Meinung nach Muße —, eine Überprüfung der Richterwahlverfahren ganz allgemein und ganz grundsätzlich vornehmen.Ich habe weniger im Hinblick auf das Verfahren, das hier in Rede steht, Herr Kollege Klein, als viel-
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Kleinertmehr auf andere Verfahren, die schon beschlossen sind oder in Kürze beschlossen werden — unter anderem in den Ländern —, eine Fülle von Bedenken, die ich gern einmal vorbehaltlos und ohne Rücksicht auf irgendwelche parteipolitischen Standpunkte mit den dafür zuständigen Kollegen erörtern möchte.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vogel?
Herr Kollege Kleinert, ist Ihnen entgangen, daß Herr Kollege Lenz in seiner Begründung ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß wir es hier mit der Wahl eines Verfassungsorgans zu tun haben und daß insoweit ein Unterschied gegenüber den Wahlen zu den übrigen Bundesgerichten besteht?
Herr Kollege Vogel, mein hoher Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht führt nicht so weit, daß ich hier in die Heuchelei verfallen würde, zu sagen, die Menschlichkeiten, die in anderen Richterwahlausschüssen gelegentlich eine Rolle spielen können, könnten hier in keinem Fall eine Rolle spielen. Daher nehme ich die Berechtigung, dieses Thema auf das zu erstrecken, was ich eben gesagt habe.
Damit komme ich zum dritten Punkt; er richtet sich allerdings ausschließlich an die Damen und Herren der Opposition. Niemand hat gesagt, er wolle das jetzige Verfahren der Wahl der Richter zum Bundesverfassungsgericht ändern. Sehr oft jedoch haben Sie gesagt, Sie wollten das Verhältniswahlsystem in diesem Lande ändern. Von unserer Fraktion aus besteht ein noch dringenderes Interesse daran, das seit vielen Jahren, seit Gründung dieser Bundesrepublik, bewährte Verhältniswahlsystem im Grundgesetz festzuschreiben, als eine Änderung in diesem Einzelpunkt vorzunehmen, der, so wichtig er sein mag, vielleicht nicht ganz so wichtig ist wie das eben von mir auch noch erwähnte Problem. Vielleicht können wir das im Zusammenhang behandeln.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Der Entwurf der Opposition erscheint reichlich rätselhaft. Ich hatte gehofft, nach der nicht sehr aufklärenden schriftlichen Begründung nun in den Bemerkungen des Kollegen Lenz einige Aufklärung darüber zu bekommen, was Sie eigentlich veranlaßt, diesen Entwurf hier einzubringen. Die Regelung über die Wahl von Richtern des Bundesverfassungsgerichts gilt in der jetzigen Form seit 1956. Seit 1956 wird sie mit Erfolg und ohne Beanstandungen praktiziert; sie hat sich also bewährt.Von daher gesehen gibt es überhaupt keinen Grund, die Frage hier aufzugreifen. In Wirklichkeit tut das der Entwurf auch gar nicht. Er beschränkt sich vielmehr darauf, das, was bisher im Bundesverfassungsgerichtsgesetz über die Notwendigkeit der qualifizierten Mehrheit für die Richterwahl steht, zusätzlich in das Grundgesetz aufzunehmen.Da kommen wir zu der Frage, ob hierzu eigentlich ein Anlaß besteht. In der Begründung, die wir gehört haben, wird lediglich gesagt, daß die Verankerung dieser Regel in einem einfachen Gesetz ihrer Bedeutung für die heutige Stellung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr gerecht werde. Konsequent zu Ende gedacht würde das ja bedeuten, daß wir Wahlverfahren für die Besetzung von Verfassungsorganen generell in der Verfassung festschreiben müßten.
Dies ist aber nicht der Fall. Das Wahlverfahren für das Verfassungsorgan Bundestag — Herr Kollege Kleinert hat eben mit Recht schon darauf hingewiesen — ist nicht im Grundgesetz fixiert. Für das Verfassungsorgan Bundesrat ist nichts darüber im Grundgesetz gesagt. Das folgt aus anderen Regeln. Diese Begründung also, daß im Grunde die Qualität des Wahlverfahrens daraus abgeleitet werde, wie und wo es geregelt sei, kann doch wohl nicht ganz ernst gemeint sein. Sie kann jedenfalls kein tragendes Argument für den vorgelegten Antrag sein.
Gibt es denn nun irgend jemanden, der die Absicht hat, das bisherige Verfahren zu ändern? Ich erkläre hier für die Bundesregierung: Von ihr wird dieser Gedanke nicht verfolgt; niemand hat eine solche Absicht; es hat auch niemand eine solche Absicht geäußert. In diesem Hause gilt, jedenfalls für heute, das gleiche. Ich erinnere daran, daß wir vor knapp drei Jahren die vierte Novelle zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz in diesem Hause verabschiedet haben. Damals — das können Sie in dem Ausschußbericht, übereinstimmend von Berichterstatter und Mitberichterstatter so dargestellt, nachlesen — ist als Überzeugung des Rechtsausschusses, die sich das Haus zu eigen gemacht hat, gesagt worden: Alle mit dem Bundesverfassungsgericht zusammenhängenden Fragen sind sorgfältig und abschließend geprüft worden; es gibt in diesem Zeitpunkt keine Frage, die offengeblieben und jetzt der Regelung bedürftig ist. Frage also: Was hat sich seither — in diesen knapp drei Jahren geändert, daß Sie heute zu einer anderen Auffassung kommen?Nein, meine Damen und Herren, es gibt eigentlich nur eine Rechtfertigung, auf die der Kollege Stienen schon hingewiesen hat: Offenbar sind es Ihre eigenen historischen Erinnerungen an den Entwurf der zweiten Regierung Adenauer, die Sie dazu veranlassen, die Frage, die Sie damals manipulieren wollten, nun einer möglichen Manipulation zu
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Bundesminister Jahnentziehen. Nur sind die Adressaten, an die Sie sich richten, offenbar nicht richtig gewählt, denn Adressat dafür könnten doch nur Sie sein.Es ist vielleicht gut, wenn Sie sich noch einmal vergegenwärtigen, was damals gesagt worden ist. Damals haben diejenigen, die heute die sozialliberale Koalition bilden, durch die Sprecher ihrer Fraktionen mit großem Nachdruck und teilweise großer Leidenschaft gegen diese Pläne der jetzigen Opposition — schließlich sogar auch mit Erfolg — opponiert. An unserer Auffassung, Herr Kollege Lenz und meine Damen und Herren, hat sich seither nichts geändert. Ich kann hier nur rundherum erklären: Das, was damals gesagt worden ist, gilt für uns auch für die Zukunft. Wir wünschen an diesem Wahlverfahren nichts zu ändern, und wir weisen jeden Verdacht, daß irgendwelche Absichten in dieser Richtung bestehen, mit Entschiedenheit zurück. Dieses sage ich in aller Form auch im Namen der Bundesregierung.Fragen wir uns also, was das Fazit sein muß, dann ist es ganz einfach: Das Wahlverfahren für die Richter des Bundesverfassungsgerichts hat sich bewährt. Niemand in diesem Hause denkt daran, diese bewährte Regelung zu beseitigen. Das Grundgesetz selbst — ergänzt durch das Bundesverfassungsgerichtsgesetz — gewährleistet ein Wahlverfahren, das die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts sichert. Es gibt also keinen Grund, die bestehende Regelung in irgendeiner Weise abzuändern.Was die Frage von Verfassungsänderungen an sich anlangt, so lassen Sie mich dies hier noch in aller Offenheit sagen: Es tut weder dem Grundgesetz noch dem Bundesverfassungsgericht gut, wenn permanent mit neuen Vorschlägen und mit neuen Anträgen dieser Art Unruhe in die Diskussion hineingebracht wird. Es gibt eine Reihe dringender politischer Probleme, die dazu Anlaß gegeben haben, dieses Haus mit Verfassungsänderungsfragen zu befassen. Sie kennen diese Probleme, und Sie werden nicht bestreiten können, daß sie der Regelung bedürfen. Das, was in Ihrem Antrag steht, ist jedoch weder dringlich noch gar notwendig. Und wenn der Entwurf, den Sie hier vorgelegt haben, eines an Einsicht bringt, dann dies: daß die Opposition nach fast 20 Jahren endlich den Bewußtseins- und Erkenntnisstand erreicht hat, den die gegenwärtige Regierung und Koalition damals — als Opposition — schon gehabt hat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Lenz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorredner zwingen mich doch zu einigen Bemerkungen. Erstens, Herr Bundesminister Jahn: Warum haben Sie eigentlich eben nicht davon gesprochen, daß die Bestimmungen für die Wahl des Bundeskanzlers und des Bundespräsidenten sehr wohl im Grundgesetz verankert sind? Diese leiten, genauso wie das Bundesverfassungsgericht, ihre Legitimation nicht direkt vom Volke, sondern von anderen gewählten Körperschaften ab, und da ist eben diese Bestimmung notwendig und üblich.Zweite Bemerkung: Sie haben hier die Frage aufgeworfen: wie kommen wir eigentlich dazu? Ich habe nicht die Absicht, hier eine kontroverse Auseinandersetzung zu führen, aber ich muß dann doch einen Artikel ins Spiel bringen, der im „Vorwärts" vom 2. August nachzulesen ist. Er trägt die schöne Überschrift „Wie man schlafende Hunde weckt" Und da Sie unbedingt die Hunde nicht schlafen lassen wollen, Herr Bundesminister der Justiz, werde ich Ihnen einige Sätze daraus vorlesen. Da heißt es— ich lese das zusammenfassend, nicht wörtlich vor, weil es sonst zu lange dauerte — zum Grundvertragsurteil und zum Grundvertragsverfahren: Der kritische Betrachter kann schwerlich übersehen, daß sich das Verfassungsgericht bei der Beurteilung des Grundvertrages in einer schiefen Stellung befindet, weil es über eine Frage befinden mußte, die das Volk unlängst in der Bundestagswahl entschieden hatte.— Es heißt etwas später: Durch die negative Beurteilung des Grundvertrages hätte sich das Bundesverfassungsgericht in unmittelbaren Gegensatz zum Volk gesetzt. — Einige Zeilen später taucht dann unweigerlich die Frage auf, ob denn nun das Volk oder die Verfassung Souverän im Staate ist.Herr Bundesminister, wenn man diesen Gedanken konsequent zu Ende denkt, darf das Bundesverfassungsgericht nach der von diesem Autor vertretenen Auffassung zu einer bestimmten Frage keine andere Meinung vertreten als die, die mit der jeweiligen Mehrheit angeblich durch das Volk entschieden worden ist. Und das, Herr Bundesminister der Justiz, setzt das Bundesverfassungsgericht als Institution selbst aufs Spiel,
denn sie geht eben davon aus, daß in einer Rechtsfrage, Herr Bundesminister der Justiz, sehr wohl die Mehrheit eine andere Auffassung haben kann als das Bundesverfassungsgericht und daß dann dennoch nicht die Macht, sondern das Recht siegt.Es ist gesagt worden — und es war richtig, daß der Punkt angesprochen worden ist —, daß 1955 hier ein Gesetzentwurf vorgelegt worden ist, nach dem, falls die Zweidrittelmehrheit nicht zustande kommt, der Bundestag mit Mehrheit entscheidet. Dieser Gesetzentwurf ist damals — Sie haben das gesagt, Herr Bundesminister — von der Opposition bekämpft worden,
und zwar mit vollem Recht aus meiner Sicht, Herr Bundesminister, denn sie sah darin eine Beeinträchtigung ihrer Möglichkeiten — nicht der Sache selbst, aber ihrer Möglichkeiten —, ihre Kandidaten bei der Wahl für das Bundesverfassungsgericht durchzusetzen, weil nach einiger Zeit die Mehrheit hätte entscheiden können. Damals hat sich im Bundestag die Opposition genausowenig durchsetzen können, wie sie sich heute im Bundestag durchsetzen kann. Aber damals hat es einen Bundesrat gegeben, der den Vermittlungsausschuß angerufen hat.
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Dr. Lenz
Daran ist die Sache dann gescheitert, und ich sage, Gott sei Dank gescheitert.Ich habe in meinen Ausführungen — das kann Ihnen nicht entgangen sein, Herr Bundesminister der Justiz — keineswegs die CDU/CSU hier weißgewaschen. Ich kenne meine Freunde, und ich weiß, daß die Macht Versuchungen mit sich bringt. Das war das, Herr Bundesminister, was ich hier als den Grund für diesen Gesetzentwurf vorgetragen habe. Daß das nicht aus Ihren Reihen kommt, nehme ich Ihnen ja gar nicht übel. Ich könnte weder Herrn Wehner noch Herrn Mischnick verstehen, wenn sie einen solchen Gesetzentwurf einbrächten. Daß er aus unseren Reihen kommen muß, sollten Sie nun wiederum verstehen. Denn immer der schwächere Partner ist da bedroht. Erzähle ich eigentlich irgend jemand in diesem Hause etwas Neues, wenn ich sage, daß es ja gelegentlich, vielleicht nicht im Grundgesetz festgelegte, aber doch vorkommende Wahlen zum Bundesrat gibt und daß die Beseitigung der derzeitigen Mehrheit im Bundesrat der Bundesregierung oder den Mehrheitsparteien oder der dann im Bundesrat bestehenden Mehrheit jederzeit die Möglichkeit geben würde, einen Gesetzentwurf durchzusetzen, der das geltende Recht zu ihren Gunsten verändert? Deswegen habe ich in meinen Ausführungen ausdrücklich darauf hingewiesen, daß mir der jetzige Zeitpunkt günstig zu sein scheint, weil jetzt niemand in Versuchung ist. Was Sie da an Zurückhaltung an den Tag gelegt haben, Herr Bundesminister, war weniger Tugend als Mangel an Gelegenheit, einen derartigen Gesetzentwurf einzubringen. Er würde scheitern, und so etwas Dummes tut man nicht. So etwas kündigt man erst an, wenn man es durchsetzen kann.
Außerdem, Herr Bundesminister der Justiz, habe ich mich nicht nur auf deutsche Erfahrungen bezogen. Die meisten von Ihnen, jedenfalls von denen, die zu dieser Stunde im Hause anwesend sind, kennen die Vorgänge um den obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten in den Jahren 1936/37. Ich unterstelle dem Präsidenten Roosevelt nicht, daß er die Verfassung brechen wollte; weit entfernt! Ich weiß nur aus meinem bißchen Kenntnis amerikanischer Geschichte, daß der Präsident von zwei Dingen überzeugt war, einmal von der absoluten Notwendigkeit der Maßnahmen, die vom Verfassungsgericht — vom Supreme Court, muß ich sagen — für verfassungswidrig erklärt worden waren, und zweitens von deren Verfassungsmäßigkeit. In dieser Zwangslage, in der es sich subjektiv gesehen hat, hat er damals den berühmten Gesetzentwurf eingebracht.Herr Bundesminister Jahn, ich unterstelle Ihnen wirklich nichts anderes, als ich mir selber unterstellen würde. Wenn Sie in der gleichen Lage wären, dann stünden Sie vor der Frage. Ob Sie dann ebenso prinzipientreu wären wie heute, wo Sie gar nicht anders können als prinzipientreu zu sein, diese Frage wird doch aufgeworfen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Jusitz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das war nun wirklich enttäuschend, Herr Kollege Lenz.
Wenn alles, was Sie hier zur Rechtfertigung Ihres Antrages vorbringen können, ein Zeitungsartikel ist, dann ist aber die Fundierung Ihres Antrags wirklich nicht überzeugend; das werden Sie wohl zugeben müssen.
Wo kommen wir eigentlich hin, wenn jede in diesem Land öffentlich geäußerte Meinung den einen oder anderen von uns dazu veranlassen sollte, entsprechende Anträge im Parlament einzubringen?
Ich habe hier — und es ist schade, daß Herr Kollege Lenz darauf nicht eingegangen ist — eindeutig die Auffassung, die Absicht der Bundesregierung dargelegt. Bei diesem Wort können Sie diese Regierung jederzeit nehmen.
Sie können sich nicht einfach darüber hinwegsetzen oder so tun, als sei dieses hier nicht gesagt worden. Bringen Sie die Debatte doch nicht an einen Punkt, wo ich Sie daran erinnern muß, daß hier schon einmal ein Bundeskanzler gestanden hat, der mit dem Bundesverfassungsgericht sehr anders umgegangen ist und in seiner öffentlichen und parlamentarischen Auseinandersetzung mit dem Bundesverfassungsgericht keineswegs jene Form des Umgangs gewählt hat, die wir unbedingt für notwendig halten und an die wir uns auch halten wollen.
Ich bleibe bei dem, was ich vorhin dazu gesagt habe: in der Sache entbehrt der Antrag jeder Grundlage, in der Form entspricht er nicht jenem Verfahren, auf das sich, wie ich meine, dieses Haus vor einiger Zeit mit der Einsetzung der Enquete-Kommission verständigt hat, nämlich im Rahmen der Gesamtüberprüfung offener verfassungsrechtlicher Fragen die Sachüberprüfung vor Anträge zu stellen. Es wäre besser gewesen, Sie hätten diese Frage zunächst einmal einer ruhigen, sachlichen Diskussion und Überprüfung zugänglich gemacht, bevor Sie mit einem solchen Antrag diese Debatte in Gang setzten.
Wird des weiteren das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schlage ich Ihnen die Überweisung des Gesetzentwurfs an den Rechtsausschuß — federführend — und an den Innenausschuß — mitberatend — vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, FrauDr. Neumeister, Frau Schleicher, Burger,
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3794 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Vizepräsident Dr. JaegerDr. Hammans, Braun und 'der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes
— Drucksache 7/1067 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für WirtschaftHaushaltsausschuß gemäß § 96 GOb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Frau Dr. Neumeister, Frau Schleicher, Burger, Dr. Hammans, Braun und der Fraktion der CDU/CSU betr. Weiterentwicklung des Arzneimittelwesens— Drucksache 7/1066 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für WirtschaftDas Wort zur Begründung beider Vorlagen hat Frau Dr. Neumeister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es erfüllt mich im Interesse unserer gesundheitspolitischen Arbeit mit ganz besonderer Genugtuung, gleich in meinen ersten Ausführungen von dieser Stelle aus auf eine Gemeinsamkeit mit der Bundesregierung hinweisen zu können.Die Bundesregierung hält nach den. Erklärungen von Frau Bundesminister Dr. Focke auf Ihrer ersten Pressekonferenz nach Ihrem Amtsantritt im Februar dieses Jahres die Novellierung des Arzneimittelgesetzes zur Verbesserung der Markttransparenz und zur Steigerung der Arzneimittelsicherheit für ihre dringlichste gesundheitspolitische Aufgabe.Die Initiatoren des vorliegenden Gesetzentwurfs — Drucksache 7/1067 — sehen das nicht nur grundsätzlich ebenso, sondern stimmen auch mit den entsprechenden Vorarbeiten im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit im wesentlichen überein, wobei ich allerdings betonen möchte, daß außerdem völlig neue Akzente von uns gesetzt wurden.Unser Gesetzentwurf will nämlich folgende Ziele erreichen: Erweiterung der Registrierpflicht auf Arzneimittel, die bisher der Registrierung nicht unterworfen waren; Verbesserung des Nachweises von Wirksamkeit und Unbedenklichkeit durch die Hersteller; Verbesserung des Verbraucherschutzes durch Erweiterung der Kennzeichnungspflicht; Verwendung der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Kurzbezeichnungen für die arzneilich wirksamen Bestandteile; Einführung von Registrierfristen; Erweiterung der Ermächtigungsgrundlage für verschreibungspflichtige Arzneimittel.Die Bundesregierung will entgegen ihrer ursprünglichen, schon in der 6. Legislaturperiode erklärten Absicht auf diesem Sektor jetzt nichts tun, sondern in einer sogenanten Gesamtreform das Arzneimittelrecht novellieren. Wir halten das zwar für ein löbliches Vorhaben, können uns aber damit angesichts der Dringlichkeit der Probleme im Interesse des Verbraucherschutzes nicht zufrieden geben. Wenn man bedenkt, daß sich die Vorarbeiten zum Arzneimittelgesetz über ein Jahrzehnt erstreckt haben, scheint mir, selbst wenn es mit der Gesamtreform jetzt um einiges schneller gehen Isollte — was wir sehr wünschen —, eine Vorabnovelle durchaus notwendig zu sein.Um nur ein Beispiel zur Begründung dieser Notwendigkeit herauszugreifen, möchte ich auf die zunehmende Bedeutung der sogenannten Generics hinweisen. Hier handelt es sich um Arzneimittel, die nicht Arzneispezialitäten im Sinne des geltenden Arzneimittelgesetzes sind und daher bisher nicht der Registrierungspflicht beim Bundesgesundheitsamt in Berlin unterliegen. Das hat dazu geführt, daß die Bestimmungen unseres Arzneimittelgesetzes in immer größerem Umfange durch die Herstellung, den Vertrieb und die Einfuhr sogenannter Generics umgangen werden. Die Konsequenzen für die Arzneimittelsicherheit in unserem Lande sind, was auf der Hand liegt, so bedrohlich geworden, daß allein dieser Zustand, der nicht zuletzt durch die personelle und sachliche Überforderung des Bundesgesundheitsamtes entstanden ist, bei dem sich das Registrierungsverfahren neuer Arzneispezialitäten bis über zwei und sogar drei Jahre hinzieht, ein sofortiges Eingreifen des Gesetzgebers nach meiner Auffassung geradezu zwingend erfordert. Unser Gesetzentwurf sieht daher eine Unterwerfung dieser bisher vom Arzneimittelgesetz nicht erfaßten Generics unter die Registrierungspflicht nach dem Arzneimittelgesetz vor.Über die zwangsläufigen Auswirkungen auf die Gestaltung des Registrierungsverfahrens werde ich noch im Zusammenhang mit der Begründung des von den Initiatoren des Gesetzentwurfs gleichzeitig vorgelegten Antrags betreffend Weiterentwicklung des Arzneimittelwesens kommen.Im übrigen möchte ich aus unserem Gesetzentwurf nur noch die Verbesserung des Verbraucherschutzes durch Erweiterung der Kennzeichnungspflicht kurz ansprechen. Wir schlagen u. a. vor, in § 9 des Arzneimittelgesetzes die Kennzeichnungspflicht von Arzneimittelspezialitäten dahin zu erweitern, daß neben den arzneilich wirksamen Bestandteilen einer Spezialität auch solche Bestandteile, z. B. die Hilfsstoffe, anzugeben sind, die geeignet sind, auf die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktion des Körpers oder auf seelische Zustände Einfluß auszuüben. Das trägt der modernen pharmakologischen Erkenntnis Rechnung, daß für die Wirkung eines Arzneimittels auf den menschlichen Organismus eben nicht nur die arzneilich wirksamen Bestandteile im engeren Sinne von Bedeutung sind, sondern auch andere, mit ihnen in der Spezialität verbundene Bestandteile, die als solche nicht arzneilich wirksam wären.Durch unseren Gesetzentwurf werden Personalkosten infolge der Schaffung dringend benötigter Stellen für qualifizierte Wissenschaftler und Fachkräfte beim Bundesgesundheitsamt entstehen. Bei den Ländern und Gemeinden entstehen keine neuen Kosten. Über die Notwendigkeit eines zügigen personellen Ausbaus des Bundesgesundheitsamts be-
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Frau Dr. Neumeistersteht aber, soweit ich es überblicke, im wesentlichen Übereinstimmung zwischen der Bundesregierung und uns.Ich möchte jetzt noch kurz etwas zur Begründung des von den Initiatoren des Gesetzentwurfs ebenfalls vorgelegten Antrags, die Weiterentwicklung des Arzneimittelwesens betreffend, sagen, Drucksache 7/1066. Der Antrag ergänzt unseren Gesetzentwurf um einige gesundheitspolitische Schwerpunktforderungen zur Weiterentwicklung des Arzneimittelwesens, die im Gegensatz zu dem Anliegen des Gesetzentwurfs nicht sofort verwirklicht werden können. Wir halten es daher für sinnvoll, wenn diese Forderungen von der Bundesregierung im Rahmen ihrer Gesamtreform des Arzneimittelwesens berücksichtigt werden. Schwerpunkte unserer Forderungen sind z. B. die Verpflichtung der Hersteller von Arzneimitteln, unverzüglich einer zentralen Stelle, z. B. Bundesgesundheitsamt oder Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, alle Fälle zu melden, in denen Nebenwirkungen von Arzneimitteln beobachtet wurden, die das Leben gefährden oder die Gesundheit dauernd schädigen könnten. Zu einer solchen Meldung sollte der Hersteller auch dann verpflichtet werden, wenn die Nebenwirkungen bereits bekannt waren.Im Interesse einer höchstmöglichen Arzneimittelsicherheit müssen an die vom Hersteller durchgeführte Prüfung von Arzneimittelspezialitäten, die zur Registrierung beim Bundesgesundheitsamt angemeldet werden, ganz besonders hohe Anforderungen gestellt und durchgesetzt werden. Zugleich sollte aber, insbesondere für homöopathische und naturheilkundliche Arzneimittel, eine gesetzliche Regelung gefunden werden, die auch künftig die Herstellung und die Anwendung dieser Mittel nicht ausschließt, ohne dabei allerdings das übergeordnete Prinzip der Arzneimittelsicherheit zu vernachlässigen.Die bereits in Verkehr befindlichen Arzneispezialitäten müssen im Interesse der Arzneimittelsicherheit in angemessener Zeit überprüft und -den Anforderungen, die für neue Arzneimittelspezialitäten gelten, ebenfalls unterworfen werden.Erforderlich ist es auch, die Frist für die Verschreibungspflicht für neue Arzneimittel, die zur Zeit drei Jahre beträgt, auf vier Jahre vom Zeitpunkt des Inverkehrbringens auszudehnen, weil die Frist von drei Jahren für die Beurteilung und Feststellung möglicher schädlicher Nebenwirkungen und Gefahren für die menschliche Gesundheit nicht ausreicht.Angesichts dieser im Interesse der Arzneimittelsicherheit notwendigen Verschärfung der Arzneimittelprüfung und der Beschleunigung des Registrierungsverfahrens beim Bundesgesundheitsamt drängt sich die Frage geradezu auf, ob das Bundesgesundheitsamt überhaupt noch in der Lage sein wird, diese erheblich zunehmenden Aufgaben in der Zukunft zu erfüllen, und ob nicht neue Organisationsformen für die Prüfung und Registrierung von Arzneispezialitäten entwickelt werden müssen. Mit einer bloßen personellen und finanziellen Steigerung der Ausstattung des Arzneispezialitätenregisters beim Bundesgesundheitsamt allein scheinen mir die Probleme der Arzneimittel in der Zukuñft in unserem Lande kaum lösbar zu sein; jedenfalls dann, wenn man von angemessenen Fristen z. B. für das Registrierungsverfahren ausgeht, damit neue arzneiliche Wirkstoffe den Patienten, die darauf unter Umständen dringend angewiesen sind, nicht länger als unbedingt notwendig vorenthalten werden.Wir haben daher in unserem Antrag die Bundesregierung abschließend aufgefordert, im Hinblick auf die im Interesse der Arzneimittelsicherheit ständig wachsenden Anforderungen an die vom Anmelder vorzulegenden Registrierungsunterlagen im Hinblick auf die Notwendigkeit, mehr als 20 000 Altspezialitäten noch zu registrieren, und im Hinblick auf die zu erwartenden zusätzlichen Belastungen, innerhalb einer bestimmten Frist die auf dem Markt befindlichen Arzneispezialitäten den EG-Richtlinien anzupassen, zu prüfen, ob unter Wahrung des bewährten Prinzips der ausschließlichen Verantwortlichkeit des Herstellers von Arzneimitteln eine Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts oder ein eingetragener Verein, dem alle am Arzneimittelmarkt Beteiligten kraft Gesetzes angehören sollten, oder aber ein öffentlich-rechtlich beliehener Unternehmer, wie z. B. der Technische Überwachungsverein, oder letztlich eine Stiftung im Interesse der Volksgesundheit die notwendigen Aufgaben besser erfüllen kann oder ob zumindest durch eine dieser möglichen Einrichtungen eine Vorprüfung der einzureichenden Registrierungsunterlagen erfolgen kann, damit das Registrierungsverfahren insgesamt beschleunigt wird.Ich gebe mich angesichts der Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause keinen Illusionen über die Erfolgschancen unserer Anträge hin. Ich halte es aber schon für einen Fortschritt, wenn die sachlichen Anliegen unserer Vorschläge auch von den Gesundheitspolitikern der beiden anderen Fraktionen dieses Hauses akzeptiert und von der Bundesregierung im Rahmen ihrer Gesamtreform entsprechend berücksichtigt werden. Dabei mag mich als Parlamentsneuling ein wenig der Optimismus beflügeln, daß vordergründige parteipolitische Erhebungen auf dem Feld der Gesundheitspolitik
und insbesondere der Verbesserung der Arzneimittelsicherheit auf allen Seiten zurückstehen werden.
Mein bisheriger Eindruck, insbesondere in der Arbeit des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit, hat meinem Optimismus insoweit jedenfalls keinen Abbruch getan.Schließlich bewerten wir auch eine beschleunigte Vorlage der Gesamtreform der Bundesregierung auf Grund der Tatsache, daß wir unsere Anträge bereits vorgelegt haben, schon als einen erfreulichen und im Interesse der Verbraucher liegenden Nebeneffekt unserer Initiativen.Den Überweisungsvorschlägen an die Ausschüsse stimme ich namens meiner Fraktion zu.
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Die beiden Anträge sind begründet.
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bardens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nur kurz zu den beiden vorgelegten Drucksachen Stellung nehmen, dem Gesetzentwurf und dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU.
Der Entwurf für eine Teilnovelle zum Arzneimittelgesetz beruht, wie es schon im Vorblatt heißt, auf Vorarbeiten des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit aus der letzten Legislaturperiode, Vorarbeiten, die deshalb damals in dieser Form unternommen wurden und deren Ergebnis vorgelegt wurde, weil wegen der Zeitenge in der letzten Legislaturperiode auch von der Bundesregierung eine Teilnovellierung vorgesehen war. In dieser Legislaturperiode aber besteht die Möglichkeit und die Notwendigkeit einer umfassenden Reform des gesamten Arzneimittelrechts. Eine entsprechende Forderung hat vor wenigen Wochen übrigens auch der Deutsche Ärztetag erhoben, und er hat durchaus wertvolle, wesentliche Anregungen für diese Reform formuliert.
Die jetzt von der Opposition vorgeschlagene Teillösung, so gut sie auch gemeint ist, würde aber die notwendige Gesamtreform behindern, möglicherweise auch verhindern, daß wir in dieser Legislaturperiode überhaupt noch die Gesamtreform abschließen können. Der Entwurf der CDU/CSU ist nämlich nicht nur fragmentarisch, sondern er stellt auch sehr weitgehende Anforderungen an die Mitarbeiter des Ministeriums, die zur Zeit mit der Erarbeitung des Entwurfs für die Gesamtreform beschäftigt sind. So heißt es u. a. im Vorblatt — ich darf das vorlesen —:
Der vorliegende Gesetzentwurf enthält keine Straf-, Anpassungs- und Übergangsvorschriften; insoweit wird um Formulierungshilfe der Bundesregierung gebeten. Dieses Ersuchen gilt auch hinsichtlich einer gesetzlichen Regelung für homöopathische und naturheilkundliche Arzneimittel, damit diese weiterhin in den Verkehr gebracht werden können, ohne dabei das übergeordnete Prinzip der Arzneimittelsicherheit zu vernachlässigen.
Fast die Hälfte dessen, was im Gesetzentwurf am Schluß stehen müßte, wenn man von einer Teilnovellierung ausgeht, soll also das Ministerium beitragen. Das heißt, daß gerade für die schwierigsten Entscheidungen die Mitarbeit und Formulierungshilfe der Regierung erwartet werden, die, wie gesagt, zur Zeit mit der wichtigen Aufgabe der Vorbereitung der Gesamtreform beschäftigt ist.
Hinzu kommt, daß der vorgelegte Entwurf weder den Vorschriften der Ersten Pharmazeutischen Richtlinie der EG, die inzwischen auch schon acht Jahre alt ist, noch den inzwischen beschlossenen Normen der Weltgesundheitsorganisation für die Arzneimittelsicherheit vollständig entspricht. Dies würde wiederum entweder überlange Beratungszeiten bedingen oder aber später Schwierigkeiten bei der Harmonisierung mit dem internationalen Recht bringen, wodurch die Notwendigkeit nachfolgender Novellierungen gegeben wäre.
Dies alles — so meine ich — macht deutlich, daß es der Opposition eher auf ein politisches Unterlaufen der Gesamtreform ankommt, um sagen zu können: Wir waren zuerst da.
— Ich will es Ihnen nicht unbedingt unterstellen; aber der Eindruck muß natürlich entstehen, da Sie wissen, daß die Gesamtreform in Vorbereitung ist und daß wir alle zusammenarbeiten müssen, um diese Gesamtreform ordentlich zuwege zu bringen und sie in dieser Legislaturperiode verabschieden zu können. Daß dies von der Opposition möglicherweise auch so gesehen wird, geht aus der Kombination von Entwurf und Antrag hervor; denn der Antrag unterstützt ja das Vorhaben einer Gesamtreform, begrüßt es
und rennt damit im Grunde bei der Koalition und bei der Regierung offene Türen ein.
Im Vorblatt zum Entwurf stellen die Antragsteller fest, aus gesundheitspolitischen Gründen sei diese Kleinnovelle erforderlich. Wir meinen, daß es mehr gesundheitspolitische Gründe dafür gibt, alles zu tun, um die Gesamtreform zu beschleunigen und in dieser Legislaturperiode noch verabschieden zu können. Es liegt an uns, am Parlament, die Regierung zu drängen und selbst alles zu tun, um die endgültige Reform in spätestens zweieinhalb Jahren verabschieden zu können.
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! In dankenswerter Weise hat Frau Dr. Neumeister eingangs ihrer Ausführungen darauf hingewiesen, daß wir, die Regierung, die Koalitionsparteien und die Opposition, in ein und dieselbe Richtung zielen. Nur bestehen über den Weg, wie man dieses Ziel am schnellsten erreichen kann, vermutlich, wahrscheinlich, ja sogar sicher Meinungsverschiedenheiten. Die CDU hat hier für die Lösung der Probleme hohe und hehre Ziele angesprochen, denen natürlich niemand widersprechen kann. Denn wer wäre gegen eine Verbesserung der Vorschriften über den Nachweis der Wirksamkeit, wer wäre gegen Verbesserungen der Vorschriften über den Verbraucherschutz durch Erweiterung der Kennzeichnungspflicht der Arzneimittel und ähnliches?Wenn die CDU/CSU zu dem Ergebnis kommt, daß es aus gesundheitspolitischen Gründen nicht vertretbar wäre, diese Vorabfragen später als im Jahre
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Spitzmüller1974 zu lösen, so muß man fragen, ob dieses Argument stimmt. Ich komme zu dem Ergebnis, daß ich diesem Argument nicht vollinhaltlich zustimmen kann, denn der Gesetzentwurf der Opposition sieht eine Reihe von Änderungen des Arzneimittelgesetzes vor, die, gemessen an den Notwendigkeiten, nur Teillösungen darstellen.Nun stellt sich die Frage, ob solche Teillösungen aus gesundheitspolitischen Erwägungen noch vertretbar sind. Ich komme zu dem Ergebnis: Sie sind nicht vertretbar, sondern es ist nunmehr an der Zeit — der Kollege Dr. Bardens hat schon darauf hingewiesen —, in diesem Bundestag, in dem wir noch reichlich Zeit, noch drei Jahre vor uns haben, die Arzneimittelsicherheit umfassend zu verwirklichen. Wir sollten den Ausschuß jetzt nicht mit Stückwerk verstopfen. Dies ist doch die große Schwierigkeit, in die wir kommen, wenn wir Ihren Gesetzentwurf beraten wollen, zumal Sie ja — auch darauf hat der Kollege Bardens schon hingewiesen — geradezu eine Novitätenschau auf dem Deckblatt Ihres Entwurfs veranstalten. Sie fordern die Bundesregierung auf, in einer ganz umfassenden Form Formulierungshilfe zu leisten. Der größere und vor allem schwierigere Teil, die im Detail manchmal auch nicht ganz einfach zu lösenden Problemkreise, muß also von der Regierung noch bewältigt werden, bevor wir im Bundestag im Ausschuß überhaupt an die Beratung dieses Gesetzentwurfs herangehen können.Es bleibt festzustellen, daß die berechtigten gesundheitspolitischen Forderungen an die Arzneimittelsicherheit in diesem Teillösungsvorschlag nicht voll erfüllt sind, denn er bleibt hinter den Verpflichtungen zurück, die sich aus der Ersten Pharmazeutischen Richtlinie der EG ergeben. Es ist darauf hinzuweisen, daß in das Gesetz auch Vorschriften übernommen und eingebaut werden müßten, die dem internationalen Standard für eine ordnungsgemäße Herstellung und Kontrolle der Arzneimittel in den Herstellungsbetrieben entsprechen. Auch hier sind gewisse Lücken festzustellen.Im übrigen stellt sich — ich habe das schon anklingen lassen — die Frage, wie der federführende Bundestagsausschuß denn angesichts der ohnehin in Fülle vorliegenden Beratungsgegenstände die anderen Reformvorhaben, die Teilnovellierung des Arzneimittelgesetzes und anschließend dann noch die Neuordnung des Arzneimittelrechts bewältigen soll. Ich erinnere hier an das, was wir neulich im Unterausschuß zum Ausbau des Bundesgesundheitsamtes gehört haben: Die Bundesregierung hat die Absicht, das Neuordnungsgesetz im Juli 1974 im Kabinett zu verabschieden und es dann die parlamentarischen Stadien durchlaufen zu lassen. So sieht der Zeitplan aus. Die Bundesregierung geht von der Vorstellung aus, daß das Plenum diese grundsätzliche Neuordnung im Jahre 1975 vor der Sommerpause verabschieden könnte, so daß die Verkündung im Spätherbst 1975 erfolgen könnte.Wenn ich dem nun den Terminplan für Ihre Teillösung mit all den Vorarbeiten oder Zuarbeiten, zu der Sie die Bundesregierung mit Recht aufgefordert haben, gegenüberstelle, so komme ich zu dem Ergebnis, daß — eine zügige Beratung vorausgesetzt — die Kleinnovelle frühestens im Spätsommer 1974 verkündet werden kann. Sie gewinnen mit einer Teillösung also ein ganzes Jahr. Nun kann man sagen: Dieses Jahr ist für diesen Teilbereich unerhört wichtig. Verspielen wir aber nicht für die übrigen wichtigen Bereiche unter Umständen volle vier Jahre, weil wir die gesamte Neuorganisation des Arzneimittelrechts dann nicht mehr schaffen?Ein Weiteres kommt hinzu. Wir wissen doch — das sage ich mit einem Blick auf meinen Kollegen Prinz zu Sayn-Wittgenstein —, daß der Ausbau des Bundesgesundheitsamtes zur Wahrnehmung auch dessen, was in der Kleinnovelle steht, erst im Jahr 1975 erreicht sein kann, so daß diese Kleinnovelle auch bezüglich der Durchführung ein bißchen im luftleeren Raum stünde. Ich nehme Ihren Vorschlag aber gern zum Anlaß, um hier in diesem Hause an die Hushaltspolitiker, die natürlich nicht hier sein können, weil sie in Berlin beraten — vielleicht liest der eine oder andere aber das Protokoll —, zu appellieren und ihnen deutlich zu machen, daß der Ausbau des Bundesgesundheitsamts mit allem Nachdruck voranzutreiben ist
— auch im Finanzministerium; — jawohl, Prinz Botho, da sind wir uns völlig einig —, und zwar hinsichtlich der baulichen Maßnahmen und der Bereitstellung neuer Planstellen. Aber beides muß Hand in Hand gehen, und wenn wir das nicht erreichen, nützt auch die Teilnovellierung nicht.Wenn ich die Dinge zusammenfasse, komme ich zum Ergebnis, daß diese Teilnovelle, so gut sie gemeint ist, die Neuordnung des Arzneimittelrechts in einer umfassenden Reform gefährden kann. Von daher werden wir uns sicherlich noch im Ausschuß unterhalten und auseinandersetzen müssen.Zu dem Antrag Drucksache 7/1066 kann ich nur sagen, wie Kollege Bardens schon andeutete, daß Sie damit nicht nur offene Türen einrennen, sondern auch Erkenntnisse vorlegen, die im Ministerium längst, sogar in weitergehender Form, gereift sind, wie sich bei der Beratung im Ausschuß sicherlich zeigen wird. Im übrigen ist der Antrag ein gewisser Widerspruch zum Antrag Drucksache 7/1067, weil Sie dort die große Gesamtordnung verlangen, die, wie ich darzulegen versucht habe, in dieser Legislaturperiode nicht zu schaffen ist, wenn wir sehr viel Zeit darauf verwenden, vorab diese Teilnovelle zu verabschieden.Sosehr ich das Anliegen, das Sie zum Ausdruck bringen, verstehe, sosehr bitte ich doch einmal zu überlegen, ob Sie wirklich die Verantwortung auf sich nehmen wollen und können, eine Teilnovelle durchzusetzen, aber die Verabschiedung der Gesamtreform zu gefährden. Wir würden nämlich am Ende der Legislaturperiode feststellen, daß die CDU mit ihrem Entwurf und der Teilnovelle bums fallera den Ausschuß in zeitliche Schwierigkeiten gebracht hat und die Gesamtnovelle nicht mehr kommen kann. Das wäre ein schlechtes Endergebnis auf
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Spitzmüllerdem gesundheitspolitischen Sektor. Sie haben sicherlich Verständnis, wenn wir als Koalitionsparteien mit einem guten Endergebnis aufwarten und uns deshalb gar nicht erst in die Gefahr begeben wollen, daß die Gesamtnovelle durch Ihre Teilnovelle in Frage gestellt werden kann.
Das Wort hat Frau Bundesminister Dr. Focke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition hat den Entwurf einer Teilnovelle zum Arzneimittelgesetz eingebracht und zugleich in einem Antrag Verbesserungsvorschläge vorgelegt, die die Bundesregierung in die geplante Gesamtreform des Arzneimittelrechts einbeziehen soll. Lassen Sie mich dazu folgendes feststellen.Vorschläge der CDU/CSU für die von der Bundesregierung gleich zu Beginn dieser Legislaturperiode Frau Neumeister, Sie sagten es mit Nachdruck — vorgesehene und angekündigte grundsätzliche Neuordnung des Arzneimittelrechts sind uns natürlich immer willkommen. Allerdings sind die Arbeiten an dieser Reform offenbar schon weiter fortgeschritten, als die Opposition in ihrer Kenntnis der Dinge zu erkennen gibt.
Doch, es ist öfter gesagt worden; aber ich wiederhole es gern. Ich gehe davon aus, daß das Bundeskabinett im Juni 1974 den Regierungsentwurf verabschieden und gleich anschließend dem Bundesrat zuleiten wird. Die von der CDU/CSU eingebrachte Teilnovelle scheint mir darum zeitlich und gesundheitspolitisch überholt, so gut ihre Absicht auch sei. Ich frage mich, was ein solches Stückwerk soll, nachdem die Gesamtreform schon so weit gediehen ist, das der Referentenentwurf noch in diesem Jahr fertig vorliegen wird.Lassen Sie mich heute kurz sagen, worum es der Bundesregierung bei der Gesamtreform des Arzneimittelrechts gehen muß. Das Ziel ist, da werden wir sicherlich übereinstimmen, eine optimale Arzneimittelsicherheit zu verwirklichen. Dazu, meine Damen und Herren, sind wir im Grunde noch immer seit der schrecklichen Katastrophe im Contergan-Fall aufgerufen. Es muß gewährleistet werden, daß der Bevölkerung Arzneimittel zur Verfügung stehen, die die notwendige Güte, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit haben. Es sollen einerseits die Entwicklung medizinisch wichtiger Arzneimittel gefördert, andererseits damit verbundene Risiken so weit wie irgend möglich ausgeschaltet werden.Es ist notwendig, die Arzneimittelsicherheit umfassend zu verwirklichen und nicht in Teillösungen stecken zu bleiben. Mit Stückwerk ist es heute einfach nicht mehr getan. Die berechtigten Forderungen an die Arzneimittelsicherheit lassen sich nur mit einem insgesamt systematisch neu und umfassend konzipierten Arzneimittelgesetz verwirklichen. Als Folge der Neuordnung müssen wir auch versuchen, eine Transparenz auf dem Arzneimittelmarkt zu erreichen, die sich an der Qualität der Arzneimittel orientiert und ohne dirigistische Eingriffe voraussichtlich zu einer vernünftigen Verminderung der Zahl der Arzneimittel führen kann.In der Neuordnung soll das bisherige Registriersystem auf ein Zulassungssystem umgestellt werden. Es sollen nur noch solche Arzneimittel zugelassen werden, die ausreichend pharmakologisch, toxikologisch und klinisch geprüft worden sind und für die der Nachweis der Unbedenklichkeit, der Wirksamkeit und der Güte erbracht ist. Die Zulassung soll sich übrigens nicht auf Arzneimittelspezialitäten beschränken, sondern — von begründeten Ausnahmen abgesehen -- auf alle Arzneimittel ausgedehnt werden, und zwar stufenweise auch auf diejenigen, die bereits auf dem Markt sind.Im Zusammenhang damit muß natürlich dem Bundesgesundheitsamt eine umfassende Auflagebefugnis eingeräumt werden, die es insbesondere in die Lage versetzt, eine ausreichende Information des Verbrauchers sicherzustellen. Liebe Kollegen und Kolleginnen von der Opposition, Sie dürfen uns glauben, daß das ganz bestimmt auch für unsere Gesamtreform eine sehr nachdrückliche Orientierung sein wird.Die klinische Prüfung muß eine angemessene Regelung erfahren, die dem besonderen Schutzbedürfnis aller Beteiligten Rechnung trägt. Die Neuordnung muß Vorsorge dafür treffen, daß die pharmakologisch-toxikologischen, klinischen und analytischen Prüfungen ständig dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entsprechen.Ein weiteres Ziel der Neuordnung ist der Ausbau eines Systems zur Erfassung und Auswertung von Nebenwirkungen und sonstigen Anwendungsrisiken, also das, was Sie in Ihrem Antrag für die spätere Phase vorgeschlagen haben. Die Arzneimittelkommission der Heilberufe müssen in das System integriert, die Befugnisse des Bundesgesundheitsamts erheblich erweitert und die exekutiven Überwachungsbefugnisse der Länder verstärkt werden. Den Herstellern sollen entsprechende Anzeigepflichten auferlegt werden. Solche gesetzlichen Regelungen müssen es ermöglichen, bei auftretenden Gefahren schnell und wirksam zu reagieren und notfalls den weiteren Verkehr eines Arzneimittels sofort zu unterbinden. Gerade in diesem Punkt haben wir ja im geltenden Arzneimittelrecht Lücken feststellen müssen.Die Erfahrungen haben uns auch gelehrt, daß bei Arzneimittelschäden der wirtschaftliche Schutz der Betroffenen in keiner Weise ausreicht. Eine Neuordnung muß verhindern, daß es noch einmal zu solch jahrelangen Auseinandersetzungen wie im Contergan-Fall über den wirtschaftlichen Schutz der Betroffenen kommt.Außerdem gilt es, die Strafbestimmungen wirksamer zu gestalten, die dem Schutz der Gesundheit dienen. Natürlich geht es auch um eine Verschärfung der Rezeptpflicht. Ebenso muß die Information
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Bundesminister Frau Dr. Fockeder Laien wie auch der Fachkreise über Arzneimittel verbessert werden. Ich denke an die Kennzeichnungspflicht, die Erweiterung solcher Informationen und an eine Verbesserung der beigefügten Gebrauchsanleitungen, damit eine sachgerechte Anwendung, soweit sie mit einer solchen Gebrauchsanleitung überhaupt möglich ist, gewährleistet wird.Natürlich geht es auch um die Arzneimittelwerbung. Sie wird in dieser Gesamtreform enthalten sein. Sie muß versachlicht werden. Es geht darum, jeder Arzneimittelwerbung eine deutliche Mindestinformation beizufügen. Nicht zuletzt muß daran gedacht werden, daß die Ärzteberater einen Sachkundenachweis erbringen, wonach sie befähigt sind, Informationen des Herstellers an den Arzt und umgekehrt vom Arzt an den Hersteller weiterzuleiten.Die Qualitätskontrollen in den pharmazeutischen Herstellungsbetrieben müssen intensiviert werden.Hier gilt es — das wurde schon von meinem Kollegen erwähnt — , den von der Weltgesundheitsorganisation in Grundregeln festgelegten internationalen Standard für die Bundesrepublik zu verwirklichen. Dazu ist u. a. eine Erweiterung der Ermächtigungsgrundlage des geltenden § 39 des Arzneimittelgesetzes erforderlich. Frau Neumeister, es wäre deshalb wenig sinnvoll, so, wie es die Opposition in ihrem Entschließungsantrag zur Weiterentwicklung fordert, auf der bestehenden schmalen Ermächtigungsgrundlage die Rechtsverordnung noch zu erlassen, weil sie schon bei ihrem Erlaß weitgehend überholt wäre und kurzfristig wieder geändert werden müßte.
Nicht zuletzt hat sich gezeigt, daß die bestehenden Einfuhrvorschriften nicht ausreichen. In diesem Bereich muß die Neuordnung den Schutz wesentlich erhöhen. Es wird Vorsorge zu treffen sein, daß nur solche Arzneimittel die Grenze überschreiten, die den anspruchsvollen Kriterien des künftigen Arzneimittelrechts gerecht werden. Der in der Vergangenheit wiederholt erhobene Vorwurf, die Bundesrepublik gerate auf Grund des geltenden Arzneimittelrechts in Gefahr, zum Experimentierfeld für ausländische Präparate zu werden, muß ein für allemal ausgeräumt werden.Eine Reihe begleitender Maßnahmen wird die Neuordnung des Arzneimittelrechts ergänzen müssen. Natürlich geht es um die Forschung auf dem Gebiet des Arzneimittelwesens, natürlich geht es darum, laufend wichtige Erkenntnisse für die Prüfung zu erlangen; aber Hand in Hand damit wird es vor allem um den Ausbau des Bundesgesundheitsamtes gehen, wie ja schon erwähnt wurde. Bei Verabschiedung der Neuordnung muß dieses Bundesgesundheitsamt — nur dort kann ich mir die Zulassungsprüfungen vernünftigerweise vorstellen — in der Lage sein, die ihm übertragenen Aufgaben auch tatsächlich durchzuführen.Personelle Engpässe, die wir im Augenblick ohne jede Frage haben, müssen deshalb bis dahin überwunden sein. Trotz der Schwierigkeiten, die es bedeutet, nicht nur die Planstellen zu schaffen — ich hoffe, daß wir dazu eine gemeinsame Anstrengung in diesem Bundestag und in der Bundesregierung unternehmen —, trotz der Schwierigkeiten, dieses qualifizierte Personal auch über die Beschaffung der Personalstelle hinaus zu finden, ist dies eine vordringliche parallele Aufgabe. Ich darf daran erinnern, daß erst im Juni dieses Jahres weitere Stellen hier in einer Ausnahmeanstrengung bewilligt worden sind und daß es noch nicht möglich war, sie alle zu besetzen. Dies erfordert Suche, dies erfordert Verhandlungen. Aber immerhin sind jetzt acht neue Kräfte fest gefunden. Weitere Verhandlungen laufen, und für 1974 sind zusätzliche Stellen vorgesehen. Ich hoffe, daß diese wesentliche Erweiterung doch schon in der Zwischenzeit zu einer erheblichen Reduzierung des Engpasses führen kann. Im übrigen haben wir ja gemeinsam den Ausbau des Bundesgesundheitsamtes besprochen, nämlich, daß etwa zu der Zeit, wo die Gesamtreform vorliegen wird, auch eine erhebliche Ausweitung zustande gebracht sein soll.Meine Damen und Herren, diese knappen auf das Grundsätzliche beschränkten Ausführungen mögen verdeutlichen, daß die Arzneimittelsicherheit heute als ein komplexes System zu begreifen ist, das nur dann funktioniert, wenn alle Teilstücke ineinandergreifen und keine Lücken mehr übrigbleiben. Im Grunde wird nichts erreicht, wenn das bestehende Arzneimittelgesetz nur an der einen oder anderen Stelle ausgebessert wird. Nur eine systematische Neugestaltung kann die benötigte Sicherheit bringen. Ich würde Sie deshalb sehr herzlich bitten, die ganze Kraft auf die Verwirklichung der Arzneimittelsicherheit als Ganzes zu konzentrieren und sich nicht bei Teillösungen aufzuhalten, die nur die cine oder die andere Lücke notdürftig schließen.Der Gesetzentwurf der Opposition sieht eine Reihe von Änderungen des Arzneimittelgesetzes vor, die, gemessen an den Notwendigkeiten, nur Teillösungen darstellen. Das ist heute nicht mehr vertretbar. Es kommt hinzu — ich glaube, ich muß das hier noch einmal nachdrücklicher sagen, als das schon in der Öffentlichkeit geschehen ist —, daß wir mit solchen Teillösungen hinter europäischen Verpflichtungen zurückbleiben, die in nationales Gesetz umzugießen unsere Aufgabe durch die Erste Pharmazeutische EG-Richtlinie längst ist. Eine Zweite Pharmazeutische EG-Richtlinie steht in Brüssel bereits kurz vor der Verabschiedung und müßte vernünftigerweise vorweg mit eingebaut werden, wenn wir uns schon jetzt an eine Novellierung des Arzneimittelgesetzes heranbegeben. Es handelt sich im übrigen, was die erste Richtlinie betrifft, um eine so bedeutsame Vorschrift wie die, daß das Bundesgesundheitsamt in der Lage sein muß, bedenkliche oder als unwirksam erkannte Arzneimittel zu unterbinden. Es geht natürlich auch darum, den bestehenden Arzneimittelmarkt an die erhöhten Anforderungen anzupassen. Beide Lücken würden bedeuten, daß die drohende Klage aus Brüssel vor dem Europäischen Gerichtshof nicht abgewendet würde, wenn wir uns jetzt lediglich mit einer Teilnovelle begnügten.Es ist schon bemerkt worden, daß die Opposition nicht allein eine Teilnovelle vorgelegt, sondern auch3800 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973Bundesminister Frau Dr. Fockeeinen Teil ausgelassen und die Bundesregierung um Formulierungsvorschläge gebeten hat, und daß dies ganz gewichtige Teilfragen sind, die von der Bundesregierung noch zusätzlich zu liefern wären. Meine Damen und Herren der Opposition, ich schlage vor, daß die Bundesregierung Formulierungshilfe leistet, aber dann bitte so, wie sie es selbst für richtig hält. Diese Formulierungshilfe ist in den nächsten Monaten für die Gesamtreform zur Arzneimittelsicherheit vorzulegen.Ich sage es noch einmal: Sie wird im Juni 1974 nach der vorgesehenen Zeitplanung — und nichts gibt mir Anlaß zu glauben, die könnte sich nicht einhalten lassen — vom Bundeskabinett beschlossen werden können. Dieser Termin ist so konkret, ist so nah, daß die Kleinnovelle vor der umfassenden Neuordnung der Arzneimittelsicherheit sinnlos, ja gesundheitspolitisch einfach nicht seriös wäre.
Die Gesamtreform des Arzneimittelrechts ist kein Fernziel und darf auch nicht zu einem Fernziel werden, indem sie künstlich auf die lange Bank geschoben wird. Wir sind jetzt schon so nahe an der Verwirklichung dieser Reform, daß es nicht verantwortungsvoll wäre, sich noch mit einer Teilnovelle aufzuhalten.Es stimmt, meine Damen und Herren: Meine Vorgängerin, Käte Strobel, hat in der vergangenen Legislaturperiode selber einen Referentenentwurf für eine Vorabnovelle vorgelegt. Aber das war gegen Ende einer Legislaturperiode.
Sie wußte sehr wohl, daß es höchstens noch ein Jahr zusätzlich hätte gehen können und daß das nicht ausgereicht hätte, um eine Gesamtreform zu verabschieden. Jetzt, nachdem wir erneut eine ganze Legislaturperiode zur Verfügung haben, ist dies eine überholte Maßnahme, und es gilt, die Gesamtreform anzupacken. Das haben wir getan. Darum haben wir keine Vorabnovelle mehr vorgelegt, darum müssen wir Ihre Vorabnovelle, meine Damen und Herren von der Opposition, im Augenblick für nicht mehr ausreichend halten.Ich habe allerdings mit Genugtuung festgestellt, daß Sie unsere Vorabnovelle — damals der Referentenentwurf — teilweise abgeschrieben haben. Das läßt mich hoffen, daß es zu einer guten Zusammenarbeit in diesem Bundestag bei einer Gesamtreform des Arzneimittelrechts kommen kann. Es würde mich freuen, wenn ich Ihre Vorabnovelle — auch im Zusammenhang mit dem, was heute gesagt worden ist — als ein solches Signal verstehen könnte.
Das Wort hat der Abgeordnete Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Meine Kollegin Frau Dr. Neumeister hat in ihrem Beitrag unseren Gesetzentwurf und unseren Antrag zur Weiterentwicklung des Arzneiwesens bereits begründet und die wichtigsten Änderungen herausgehoben. Ich möchte mich daher hier an dieser Stelle mit den bisher bekanntgewordenen Verlautbarungen des zuständigen Ministeriums, aber insonderheit mit den Ausführungen der Frau Bundesminister und der Kollegen Bardens und Spitzmüller auseinandersetzen.Aus diesen Äußerungen sowohl des Ministeriums als auch des zuständigen Ministers und der Kollegen ist deutlich geworden, daß in der Sache, in der Zielsetzung, nämlich der Neuformulierung bestimmter Positionen des Arzneimittelgesetzes, weitestgehende Übereinstimmung besteht. Ich habe jedenfalls in der Sache keine gegenteilige Meinung hier gehört. Das, meine Damen und Herren, begrüßen wir, und wir hoffen zugleich, daß in diesem so wichtigen Bereich der Gesundheitspolitik eine gedeihliche Zusammenarbeit möglich ist.Aber es ist auch offenkundig geworden, daß sehr unterschiedliche Auffassungen über die Weiterentwicklung, nämlich über den Weg, wie man vorgehen soll, bestehen. Wir sind uns nicht einig über die Frage, was wann geändert werden soll. Während die Frau Bundesminister ausschließlich ihren ehrgeizigen Plan verfolgt, noch in dieser Legislaturperiode eine Gesamtreform des Arzneimittelgesetzes zu erarbeiten, vertritt die CDU/CSU-Fraktion die Auffassung, daß wichtige Probleme im Interesse des Verbraucherschutzes und der Arzneimittelsicherheit vorrangig geregelt werden müssen.Herr Kollege Bardens, ich darf hier gleich auf Ihre Ausführungen eingehen, wo Sie gesagt haben, daß man uns unterstellen müsse, wir wären gegen eine Gesamtreform. Das ist — und das möchte ich ausdrücklich erklären — nicht der Fall. Wir meinen, daß ein zeitliches Nacheinander einer Vorabnovelle und einer Gesamtreform durchaus sinnvoll ist und eine Teilnovelle — auch Sie sprechen ja immer von einer kleinen Novelle — Ihre Gesetzesarbeit im Zusammenhang mit der Gesamtreform nicht stören kann. Wenn Sie sich etwas mehr bemühten, die beiden genehmigten A-16-Stellen in Ihrem Ministerium zu besetzen, und zwar mit Leuten, die im Arzneimittelwesen fachkundig sind, hätten Sie schon die Möglichkeit, beides nebeneinander zu machen.
Sie beraten ja jetzt schon im Fachausschuß die Änderung des Arzneimittelgesetzes im Bereich der Tierarzneimittel.In einer ersten Stellungnahme hat das Bundesministerium mitgeteilt, daß noch Ende dieses Jahres der Referentenentwurf für die Gesamtreform vorgelegt würde. Herr Staatssekretär Professor Dr. Wolters hat in Berlin mitgeteilt, daß im Juni/Juli nächsten Jahres das Kabinett darüber entscheiden wird. Sie haben diese Aussagen bestätigt. Es steht außer Zweifel, wenn das gelingt, spricht das für den Fleiß der Mitarbeiter des Ministeriums.
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Prinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinWir erlauben uns aber doch, Zweifel anzumelden, ob bei der sehr komplexen Materie eine Gesamtreform des Arzneimittelgesetzes in diesem Zeitraum überhaupt durchführbar ist und ob auch die notwendige Abstimmung mit allen Beteiligten innerhalb dieses Zeitplans durchzuführen ist. Wenn Sie dann noch daran denken, ,daß Sie auch die Überlegungen, die in der sogenannten Bauer-Kommission angestellt werden, in diesen Bereich mit einarbeiten müssen — Sie kennen die Schwierigkeiten —, ist wirklich für mich die Frage, ob Sie mit Ihrem Plan tatsächlich zurechtkommen werden.Frau Minister, die Vorkommnisse dieser Woche zeigen doch sehr deutlich: auch eine Kabinettsentscheidung ist noch lange kein Zeichen dafür, daß die Vorlage dieses Kabinetts diesen Bundestag erreicht. Vielleicht fragen Sie einmal den Herrn Bundespostminister Ehmke oder den Herrn Verkehrsminister Lauritzen, welches Schicksal die Gebührenerhöhung bei der Bundespost bzw. die Änderung der Kraftfahrzeugsteuer in dieser Regierungsfraktion erlitten haben,
und dann sprechen wir uns einmal wieder, ob Sie noch so sicher sein können, daß Ihre Kabinettsvorlage den Bundestag wirklich in diesem Zeitraum erreicht.Sollte auch diese Klippe umschifft werden können, so muß auch noch der Bundesrat sein Votum abgeben. Die Regierung kann doch nicht erwarten, nachdem das zuständige Ressort anderthalb Jahre und mit den Vorarbeiten noch einen viel längeren Zeitraum benötigt hat, daß dann der Bundesrat und der Bundestag und seine Ausschüsse eine solche gewichtige Materie im Eilverfahren beraten und auch verabschieden. Die Regierung muß dem Bundestag und seinen Ausschüssen gerade auch im Hinblick auf unsere Arbeitsmöglichkeiten zugestehen, daß für die Beratung einer so umfassenden Materie, deren Regelung in der Gesamtreform vorgesehen ist, eine angemessene Zeit in Anspruch genommen werden kann.Wenn Sie sich hier, ich möchte fast sagen, darüber mokieren, daß die Bundesregierung für den Bereich der Übergangs- und Strafbestimmungen um Formulierungshilfe bitten, so möchte ich doch einmal daran erinnern, daß es nicht Aufgabe einer Opposition sein sollte, Gesetzentwürfe in der letzten Perfektion vorzulegen, sondern daß wir mit unseren Entwürfen im wesentlichen politische Vorschläge machen und Entscheidungen herbeiführen wollen. Im übrigen haben wir auch als Opposition das Recht, die Mithilfe der Regierung und des Ministeriums für uns in Anspruch zu nehmen.
Wenn dann der Bundestag über Ihre Gesamtreform beraten hat, kann, da danach ja auch der Bundesrat noch dazu Stellung nehmen muß, damit gerechnet werden, daß Ihre Gesamtreform frühestens Ende 1975, wenn nicht erst 1976 verkündet werden kann. Und da bisher noch nichts über den Inhalt der Gesamtreform bekannt geworden ist, muß bei kontroversen Auffassungen unter Umständen noch mit einem längeren Zeitraum gerechnet werden. Wenn ich dann noch die notwendigen Übergangsfristen, die ja bei einer Gesamtreform viel weitergehend sein müssen, mit einkalkuliere, komme ich zu dem Ergebnis, daß mit der Inkraftsetzung bestimmter Teilbestimmungen Ihrer Gesamtreform nicht vor 1976/77 zu rechnen ist. Bis dahin, meine Damen und Herren, sind es noch vier Jahre, und jeder in diesem Hohen Hause, insonderheit der zuständige Ressortminister, sollte prüfen, ob nicht eben doch wichtige Teilbereiche, in denen Mißstände offenkundig sind, schneller geregelt werden müssen.Es ist gesundheitspolitisch nicht zu verantworten, daß noch auf Jahre hinaus Arzneimittel ohne besondere Bezeichnung, nämlich die sogenannten Generics, ohne Prüfung und Registrierung beim Bundesgesundheitsamt auf den Markt gebracht werden können;
daß sie weder den Vermerk „verschreibungspflichtig" tragen müssen noch im Arzneimittelverkehr deutlich gemacht werden muß, daß diese Stoffe rezeptpflichtig sind. Es kann doch nicht länger hingenommen werden, daß Arzneimittel unter Umgehung des Gesetzes in den Verkehr gebracht werden und daß Stoffe mit in der medizinischen Wissenschaft nicht allgemein bekannter Wirksamkeit hier auf den Markt kommen. Können wir es denn zulassen, daß § 35 a des Arzneimittelgesetzes, der doch als Reaktion auf die entsetzliche Contergan-Katastrophe erst später in dieses Gesetz eingefügt wurde, trotz eben dieser Contergan-Katastrophe weiter umgangen wird? Gerade in den letzten Tagen gab es in der Zeitung eine Reklame für Medikamente, die unter deutlicher Umgehung dieses Gesetzes dem Patienten angeboten werden sollen.Es darf doch auch im Hinblick auf die Suchtgefahren, insbesondere bei jungen Menschen, ' nicht zugelassen werden, daß Arzneimittel, die nicht bestimmungsgemäß, sondern eben zu diesen Suchtzwecken verwendet werden, nur deswegen weiterhin in die Hände junger Menschen geraten können, weil die notwendigen gesetzlichen Grundlagen fehlen, diese Arzneimittel der Verschreibungspflicht zu unterwerfen.Diese Lücken im Arzneimittelgesetz müssen unseres Erachtens im Interesse der Volksgesundheit so schnell wie möglich geschlossen werden, unabhängig von und vor einer Gesamtreform des Arzneimittelgesetzes, die wir — ich sage es noch einmal — durchaus bejahen. Dies ist nicht nur die Auffassung meiner Fraktion, sondern gerade der Deutsche Ärztetag Herr Dr. Bardens hat darauf hingewiesen — hat Forderungen erhoben, die wir in unserem Gesetzentwurf praktisch zur Gänze abdecken, und auch andere Gruppen — etwa der Apothekertag oder der 25. Therapiekongreß — haben ähnliche Forderungen erhoben und darauf hingewiesen, daß vorab wichtige Lücken im Gesetz geschlossen werden müssen. Der Gesetzgeber muß also schnell handeln, um mögliches Unheil zu verhindern.
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Prinz zu Sayn-Wittgenstein-HohensteinDa der Gesetzentwurf, über den wir hier diskutieren, wegen der Tatsache, daß ihn eine Fraktion eingebracht hat, eine kürzere Bearbeitungszeit erfordert und da der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ja sowieso zur Zeit mit einer Änderung des Arzneimittelgesetzes beschäftigt ist, muß es technisch möglich sein, die Dinge trotz der zeitlichen Belastung in diesem kurzen Zeitraum zu beraten und zu verabschieden. So wäre ein Zeitgewinn von - unserer Meinung nach — mindestens zwei Jahren möglich, und im Interesse der hier aufgeworfenen Probleme sollte dieser Zeitgewinn von zwei Jahren genutzt werden. Nebenbei sei bemerkt: Bis vor einem Jahr war die Bundesregierung ähnlicher Auffassung.Der von mir bereits erwähnten Pressemitteilung des Ministeriums kann man auch entnehmen, die CDU habe bisher nämlich an der sogenannten Vorabnovelle - geleistete Vorarbeiten schon sehr gut verwertet. Meine Damen und Herren, wir haben nie bestritten, daß in unseren Gesetzentwurf Überlegungen des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit eingeflossen oder übernommen worden sind. Sie haben nur vergessen zu erwähnen, daß eine Reihe sehr wichtiger zusätzlicher Positionen erarbeitet wurde, die wir für diese Vorabregelung als gleichfalls wichtig erachten. Sie sollten fairerweise zugeben, daß das so ist. Außerdem sollten Sie auch mit uns gemeinsam daran interessiert sein, daß die Prüfung der Angaben der Arzneimittelhersteller über Wirksamkeit und Unschädlichkeit von Arzneimitteln beim Bundesgesundheitsamt so bald wie möglich rechtlich verbindlich fixiert wird. Wir können nicht abwarten, bis etwa durch gerichtliche Schritte der Beweis erbracht wird, daß die zur Zeit geltenden Richtlinien, nach denen das Bundesgesundheitsamt arbeitet, nicht rechtsverbindlich sind.
der Haushaltsausschuß hat bereits im vorigen Jahr die Regierung aufgefordert, diese Stellen zu beantragen, und erst in diesem Jahr ist es erfolgt — nicht gelungen ist, die notwendigen Stellen zu schaffen und sie zu besetzen. Erhebliche Wartezeiten für neue Arzneimittel bis zu zwei Jahren und mehr sind die Folge. Außerdem muß auch bezweifelt werden, ob es im Hinblick auf den weiteren Ausbau des Bundesgesundheitsamts gelingt, qualifizierte Fachkräfte in ausreichender Zahl zu gewinnen, die, eingeordnet in die Eigengesetzlichkeit der Beamtenhierarchie und ihre Besoldungsordnung, überhaupt bereit sind, zu den gebotenen Bedingungen dort tätig zu werden. Daher sollte — das ist unsere Anregung — mit uns gemeinsam geprüft werden, ob nicht andere Lösungen erarbeitet werden können, die praktikabler sind und sogar den Staatshaushalt entlasten. Es gibt hierfür ausreichend Beispiele, z. B. den Technischen Überwachungsverein, eine Institution, die sich doch hervorragend bewährt hat und wo staatliche Aufgaben von einem öffentlich-rechtlich beliehenen Unternehmer durchgeführt werden. Ich meine, wir sollten gemeinsam überlegen, ob solche Wege nicht gangbar sind. Meine Fraktion hat sich in dieser Angelegenheit nicht festgelegt, sondern ist bereit, mit allen Verantwortlichen Lösungsvorschläge zu erarbeiten.
Ich darf zum Schluß kommen. Meine Kollegin, Frau Neumeister, und ich haben aufgezeigt, daß es möglich, daß es notwendig ist, einige längst erkannte Mißstände im Arzneimittelwesen jetzt und vorab zu beseitigen. Für einen weiteren Aufschub gibt es keine zwingenden Gründe. Wenn gerade in den letzten Wochen so viel vom Verbraucherschutz gesprochen worden ist, sollten diese Regierung und die sie tragenden Parteien ihre Aufgabe nicht allein darin sehen, mit zweifelhaften, nur auf Öffentlichkeitswirkung abgestellten Aktionen diesem Ziel zu dienen, sondern darin, mit uns gemeinsam in der zügigen parlamentarischen Behandlung unseres Gesetzentwurfs einen Beitrag zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit und damit einen Beitrag, zur Verbesserung des Verbraucherschutzes zu leisten. Noch liegt der Entwurf der Gesamtreform des Arzneimittelwesens nicht vor und noch kann nicht gesagt werden, wann ein solches Vorhaben Gesetzeskraft erlangen wird. Da wir in der Sache übereinstimmen, müßte es doch möglich sein, in einer absehbaren Zeit gewisse Vorabentscheidungen zu treffen. Und hierzu möchte ich Sie herzlich auffordern.
Das Wort hat der Abgeordnete Fiebig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Der Wille ist zu loben, dennoch fehlen die Kräfte!", möchte man der Opposition entgegenhalten. Vielleicht aber möchte auch die Opposition einiges Versäumte nachholen. Wir erinnern uns, daß einmal eine frühere Gesundheitsministerin der CDU recht eigenmächtig vorgegangen ist; vielleicht soll das damalige Vorgehen nun heute gerechtfertigt bzw. legalisiert werden.Das jetzt geltende Arzneimittelgesetz hat der Bundestag 1961 einstimmig beschlossen, in das aus wohlüberlegten Gründen der Wirksamkeitsnachweis
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Fiebigund die Zulassung damals nicht einbezogen worden waren. Meine Partei hat damals aus der Opposition heraus erreicht, daß die Haftung bei den Herstellern blieb — und darauf sind wir heute noch stolz.1965 dann hat die damalige CDU-Gesundheitsministerin, Frau Schwarzhaupt, ohne Befragung des Bundestages eigenmächtig der ersten EWG-Richtlinie vom 26. Januar 1965 mit ihren weitgehenden Konsequenzen zugestimmt, obwohl deren Inhalt mit der ratio legis des geltenden Arzneimittelrechtes damals unvereinbar war. Dabei wurde auch nicht geprüft, ob und inwieweit die eingegangenen Verpflichtungen überhaupt verfassungskonform waren. Heute stellt der CDU-Entwurf daher nichts weiter als den Versuch einer nachträglichen Legalisierung eines Verstoßes gegen die einstimmig verabschiedeten Gesetze dar, ohne wenigstens jetzt, im Nachhinein, die verfassungsrechtliche Relevanz zu prüfen.Die CDU legt einen Gesetzentwurf vor, der entgegen den von ihr selbst ausgesprochenen Wünschen praktisch dennoch die Vernichtung der besonderen Heilverfahren, wie der Homöopathie und der Naturheilkunde, bedeutet. Wenn die Hälfte der westdeutschen Bevölkerung und mehr als 70 % der niedergelassenen Ärzte diese Behandlungsverfahren für richtig und notwendig befinden, darf ein Rechtsstaat dies nicht mißachten.Die Sozialdemokratische Partei steht seit den Travemünder Beschlüssen in der Medizin auf dem Standpunkt des Pluralismus und auch des Schutzes der Minoritäten. Ein Gesetz, das diesen Pluralismus unterdrücken will, dürfte außerdem in Kürze vom Bundesverfassungsgericht wieder außer Kraft gesetzt werden.Aber lassen Sie mich noch einige Anmerkungen zu diesem Problem aus der Sicht eines Parlamentariers machen, der ab und zu Patient ist — also nicht als Mediziner, sondern als Patient.
Die verallgemeinerte, unkritische Forderung des Wirksamkeitsnachweises verläßt meines Erachtens die Legalität. Wir dürfen nicht nur auf extremistische Forderungen radikaler Professoren und Publizisten hören, sondern wir müssen prüfen, inwieweit ein Wirksamkeitsnachweis konkret notwendig und zulässig ist. Experimente an Kranken jedenfalls sind nicht erlaubt, auch wenn sie zu wünschenswerten wissenschaftlichen Ergebnissen führen. Freiwillige Versuche lassen sich durch Gesetz nicht fordern. Nach den Erfahrungen von Dachau schränkt das Grundgesetz Versuche an Menschen eindeutig ein.Die in Amerika leider üblichen und auch auf deutschen Ärztekongressen schon empfohlenen Versuche an Gefangenen, die dann als Unterlage für die Arzneimittelzulassung dienen, sind in Deutschland grundsätzlich nicht statthaft.
Das gleiche gilt für die sogenannten kontrolliertenVersuchsreihen, bei der Überlebens- und Heilungschancen der unbehandelten Kontrollgruppe verhindert werden. Hier könnte die Behörde wegen unterlassener Hilfeleistung zur Rechenschaft gezogen werden.Wir dürfen auch nicht die Auslieferung von Arzneimitteln verhindern, die ärztlich als lebensrettend erachtet worden sind, nur deshalb, weil der wissenschaftliche Wirksamkeitsnachweis aus methodischen Gründen nicht oder nicht rechtzeitig durchführbar ist. Denken Sie bitte an Krebsbehandlungsmittel, die vielleicht noch nicht genügend geprüft sind, aber das Leben von Menschen retten können! Gleiches gilt für die Prüfung der Unbedenklichkeit. Wir alle miteinander wünschen unschädliche Arzneimittel, jedoch dürfen wir keine perfektionistischen und extremen Prüfungen verlangen, die überhaupt keine Aussagekraft besitzen. Wenn man namhafte Wissenschaftler danach fragt, inwieweit die Ergebnisse von Tierversuchen auf Menschen übertragbar sind, bekommt man keine genauen Auskünfte. Ich als Patient bin der Meinung, daß der Mensch immer noch etwas wesentlich anderes ist als eine Ratte und daß auch in der Therapie die jeweilige Situation des zu Behandelnden berücksichtigt werden muß. Wer Ratten und Menschen miteinander vergleicht, hat meines Erachtens ein mechanistisches Weltbild aus dem vergangenen Jahrhundert.
— Dann schauen Sie sich bitte mal im Lande um und fragen Sie die Wissenschaftler! Ich habe mir die Mühe gemacht und habe einige Universitätsinstitute angeschrieben. Die Antworten, die ich bekommen habe, sind besorgniserregend. Ich weise Sie auf den Aufsatz im „Deutschen Ärzteblatt" hin, den ich geschrieben habe und der gerade heute erschienen ist. Da können Sie das ausführlich nachlesen.Wenn wir von der Industrie die Anwendung von Prüfungsmethoden verlangen, deren Sinnlosigkeit nachweisbar ist, kann der Staat wegen enteignungsgleichen Eingriffs entschädigungspflichtig gemacht werden. Auch das muß bedacht werden.Über das trübe Bild der Diskrepanz zwischen extremistischen Forderungen und tatsächlicher Leistungsfähigkeit der Methoden wird besonders nachgedacht werden müssen. Es ist sehr die Frage, ob wir entsprechend dem CDU-Entwurf die Ärzteschaft aus der Verantwortung entlassen dürfen, womit wir uns gleichzeitig eines unsachlichen Dirigismus schuldig machen würden. Die Entschließung auf dem Deutschen Ärztetag zur Arzneimittelgesetzgebung sehe ich als einen Versuch an, dem Staat den Schwarzen Peter zuzuschieben. Wenn wir ein Arzneimittel nicht oder verspätet zulassen, rechnet uns die Ärzteschaft — wie kürzlich Professor Bock auf der Therapiewoche gegenüber der Federal Drug Administration — vor, wie viele Patienten durch die Behinderung der Hilfeleistung gestorben sind. Wird ein Arzneimittel großzügig zugelassen, wird der Staat zur Verantwortungslosigkeit geziehen, wenn unvermutete schädliche Nebenwirkungen auftreten. Der Staat darf sich nicht in den Zustand des permanent Angeklagten versetzen lassen, bei dem die
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FiebigÄrzteschaft nach dem Vorbild der USA die staatlichen Behörden mit beweiskräftigen Zahlen und publikumswirksamen Argumenten für die mit Notwendigkeit auftretenden Irrtümer und Fehler verantwortlich macht. Die Ärzteschaft muß mit in die Verantwortung einbezogen bleiben. Nach den rechtlichen Formen dieser Mitverantwortung muß gesucht werden.Dem Gesetzentwurf der CDU kann wegen seines Widerspruchs zur Verfassungswirklichkeit und zur Realisierbarkeit der Arzneimittelsicherheit nicht zugestimmt werden.
Wir Sozialdemokraten begrüßen es, daß Frau Minister Focke die Arbeiten zur Erstellung eines Regierungsentwurfs energisch vorantreibt, der ausgereifte Regelungen enthalten wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammans.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Fiebig, ich muß ehrlich gestehen: Sie haben mich mit Ihren Worten hier wirklich enttäuscht.
Ich habe weder erwartet, daß Sie so zu diesem Entwurf Stellung nehmen könnten, noch, daß Sie in dieser Form und Schärfe gegen die früheren Leistungen von CDU/CSU-Bundesregierungen in der Gesundheitspolitik sprechen würden. Ich glaube, wenn Sie Frau Minister Focke und ihre Vorgängerin fragen, werden Sie feststellen, daß nicht nur im Arzneimittelbereich, sondern auch z. B. im Lebensmittelbereich die Vorgänger aus der CDU/CSU hervorragende Sacharbeit geleistet haben. Wenn wir heute neuere Erkenntnisse haben, die das eine oder andere anders erscheinen lassen, so ist das eine andere Frage.
Herr Fiebig, ich muß die Kritik, die Sie geübt haben, aufs schärfste zurückweisen.Das, was Sie über die homöopathischen Mittel und ihre Mißachtung durch die CDU/CSU-Fraktion hier gesagt haben, weise ich schon deshalb zurück, weil ich gerade hier stehe, um zu diesem Punkt ausdrücklich noch ein paar grundsätzliche Gedanken vorzutragen, die nicht nur den Entwurf betreffen, der jetzt von der CDU/CSU-Fraktion vorgelegt wurde, sondern auch die Gesamtreform, die Frau Minister Focke angekündigt hat.Bezüglich der homöopathischen und naturheilkundlichen Mittel möchte ich folgendes ausführen. In dem Lösungsvorschlag, der von uns vorgelegt wurde, ist ausdrücklich der Hinweis enthalten, daß die Bundesregierung um Formulierungshilfe gebeten wird. Prinz Botho Sayn-Wittgenstein hat das schon angeführt: Dürfen wir denn als Opposition die Bundesregierung nicht mehr um Formulierungshilfe bitten? Ich meine, es ist doch wirklich auch die Aufgabe der Bundesregierung, der Opposition durch Formulierungen zu helfen, damit wir zu vernünftigen Lösungen kommen.In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß der zuständige Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit in seiner Sitzung vom 29. September 1971 einen Entschließungsantrag zum Vorschlag einer Richtlinie des Rates über die analytischen, pharmakologisch-toxikologischen und klinischen Vorschriften und Protokolle für Arzneimittelversuche einstimmig verabschiedet hat. Er lautet:Die Bundesregierung wird gebeten, bei der Beratung des Vorschlages der Richtlinie über die analytischen, pharmakologisch-toxikologischen und klinischen Vorschriften und Protokolle der Arzneimittelversuche im Ministerrat darauf hinzuweisen und sicherzustellen, daß erstens bei Arzneimittelspezialitäten aus bekannten Stoffen, deren Unschädlichkeit und Wirksamkeit allgemein als vorhersehbar gelten, die Vorlage der Sachverständigengutachten über die Unschädlichkeit und Wirksamkeit in Verbindung mit wissenschaftlichen Unterlagen über die Bestandteile der Arzneimittelspezialität ausreicht.Herr Fiebig, zweitens soll erreicht werden, daß die Alleinverantwortlichkeit des Herstellers — so wie wir es immer gefordert haben, und die nicht, wie Sie meinen, erst durch sie eingeführt wurde —, wie sie im deutschen Arzneimittelrecht gilt, auch im EWG-Bereich leitender Grundsatz wird.Drittens soll erreicht werden, daß auch Versuche über die Schädigung der Nachkommenschaft vorgeschrieben werden, wenn sich aus anderen Versuchen konkrete Hinweise auf eine solche Schädigung ergeben.Schließlich soll viertens erreicht werden, daß die Anpassungsfrist des Art. 24 der Richtlinie des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten auf mindestens 15 Jahre ausgedehnt wird.Meine Damen und Herren, der Ausschuß ging seinerzeit in der 6. Legislaturperiode davon aus, daß es nützlich und hilfreich sei, den Vertretern der Bundesregierung bei den Beratungen in Brüssel durch einen solchen Entschließungsantrag gewissermaßen eine parlamentarische Rückendeckung zu geben.Das Hauptproblem liegt darin, daß homöopathische und phytotherapeutische Arzneimittel innerhalb der Europäischen Gemeinschaft überwiegend in der Bundesrepublik Deutschland verordnet und gebraucht werden, während sie in anderen EG-Ländern ganz fehlen oder nur minimal verordnet werden. Es ist kein Geheimnis, daß es auch in der Bundesrepublik Deutschland Kreise gibt, die der Verwendung von homöopathischen Mitteln mit Skepsis gegenüberstehen.
Es gibt andererseits ohne Zweifel eine ganze Anzahlvon bekannten Wissenschaftlern und Medizinern,
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Dr. Hammansdie 'die Verwendung von homöopathischen Mitteln begrüßen und befürworten und diese auch auf die Dauer gesichert sehen möchten.Es ist daher, Herr Fiebig, ein ganz besonderes Anliegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, daß die Bundesregierung hier eine Lösung findet, die auch zukünftig die Verwendung von homöopathischen Arzneimitteln gewährleistet. Dabei ist nicht zu verkennen, daß hierbei die Frage der Wirksamkeit ganz besonders schwierig zu beurteilen ist. Aber dieses Problem der Wirksamkeit auf der einen Seite und der Unschädlichkeit auf der anderen Seite stellt sich ja immer wieder. Auch in den Vereinigten Staaten, die ja besonders streng in den Kontrollen sein sollen, hat die Food and Drug Administration am 11. Mai 1972 zwar die homöopathischen Mittel nicht als solche anerkannt, aber immerhin festgestellt, daß sie von den derartigen Untersuchungen befreit würden, weil die Untersuchungen und die Prüfungen diesen Mitteln nicht adäquat seien. Ich glaube, eine ganze bemerkenswerte Entscheidung.Die Vorschläge, die in der Vergangenheit gemacht wurden, sei es, daß man eine Frist von 51 Jahren gesetzt oder nur den Literaturnachweis gefordert hat, sind nicht voll befriedigend. Ich hoffe, daß es gelingen wird, eine Lösung zu finden, die auch in Zukunft sicherstellt, daß Ärzte und Patienten, die homöopathische Heilverfahren bevorzugen, auch die gesetzliche Möglichkeit haben, diese anzuwenden, und daß diese Verfahren nicht durch Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft oder auch durch Gesetze des Deutschen Bundestages eingeengt oder gar unmöglich gemacht werden.Ausdrücklich aber möchte ich feststellen, meine Damen und Herren, daß die Arzneimittelsicherheit, wie es unser Antrag vorsieht, in jedem Fall gewährleistet werden muß.
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Der Ältestenrat schlägt Ihnen Überweisung gemäß Tagesordnung vor. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe die Punkte 12 bis 23 auf:12. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes— Drucksache 7/1080 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Rechtsausschuß13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über eine Geflügelstatistik— Drucksache 7/1141 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Fürsten
InnenausschußHaushaltsausschuß gemäß § 96 GO Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 134 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 30. Oktober 1970 über den Schutz der Seeleute gegen Arbeitsunfälle— Drucksache 7/1132 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Verkehr14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 126 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 21. Juni 1966 über die Quartierräume an Bord von Fische-reifahrzeugen— Drucksache 7/1133 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten15. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 130 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 25. Juni 1969 über ärztliche Betreuung und Krankengeld— Drucksache 7/1134 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung16. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 92 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 18. Juni 1949 über die Quartierräume der Besatzung an Bord von Schiffen
— Drucksache 7/1135 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Verkehr17. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 133 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 30. Oktober 1970 über die Quartierräume der Besatzung an Bord von Schiffen
— Drucksache 7/1136 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Verkehr18. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 14. Mai 1973 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl einerseits und dem Königreich Norwegen andereseits— Drucksache 7/1140 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger Ausschuß
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Vizepräsident Frau Funcke20. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluß vom 28. Februar 1972 der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zur Aufhebung der gemäß Artikel 69 des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl erlassenen Rechtsakte— Drucksache 7/1142 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft21. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Protokoll vom 30. November 1972 zur Änderung des in Paris am 22. November 1928 unterzeichneten Abkommens über Internationale Ausstellungen— Drucksache 7/1143 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft22. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. November 1972 über die Errichtung des Afrikanischen Entwicklungsfonds— Drucksache 7/1177 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Ausschuß für WirtschaftAuswärtiger AusschußHaushaltsausschuß gemäß § 96 GO23. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 24. November 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Australischen Bund zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie bei einigen anderen Steuern— Drucksache 7/1139 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: FinanzausschußDas Wort zur Begründung wird nicht gewünscht, das Wort zur Debatte ebenfalls nicht. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats ersehen Sie aus der Tagesordnung. Wer ihnen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.Ich rufe den Punkt 24 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Enquete-Kommission „Frau und Gesellschaft"— Drucksachen 7/367, 7/1148 —Berichterstatterin: Abgoerdnete Frau Filers
Wünscht die Frau Berichterstatterin das Wort?
— Das ist nicht der Fall.Das Wort zur Beratung hat Frau Abgeordnete Timm.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst im Namen der SPD-Fraktion der Berichterstatterin für den Bericht des Ausschusses danken. Der Auftrag, der der Enquete-Kommission „Frau und Gesellschaft" gegeben werden soll, wird darin als bedeutsam und umfangreich charakterisiert, aber auch gleichzeitig so weit eingeschränkt, daß man sehr konkrete Ergebnisse von dieser Enquete-Kommission erwarten kann. Ich darf aus dem Bericht zitieren:Aufgrund von Untersuchungen und Situationsanalysen ist bekannt, welches die Probleme sind. Die Fakten liegen also vor. Aus diesem Grunde soll es nicht Aufgabe der Enquete-Kommission sein, die Situation erneut zu untersuchen. Ihr Auftrag lautet vielmehr, aus dem vorliegenden Material Konsequenzen zu ziehen und konkrete Maßnahmen vorzuschlagen, die geeignet sind, die Situation zu verbessern.Ich meine, daß es von besonderem Interesse sein wird, internationale Vergleiche, vor allem hinsichtlich der rechtlichen Gleichberechtigung, aber auch in bezug auf Fragen der sozialen Chancengleichheit, anzustellen. Darin sehe ich die Möglichkeit eines originären Beitrags des Deutschen Bundestages zur Aufklärung der gesamten Gleichberechtigungsproblematik. Gleichzeitig könnten daraus auch Anregungen und Vorschläge für unsere eigene Gesetzgebung oder für Initiativen im internationalen Bereich hergeleitet werden. Dabei bekommen wir auch die Chance, dafür zu sorgen, daß das Jahr 1975, das von den Vereinten Nationen zum „Jahr der Frau" erklärt worden ist, bei uns nicht bloße Deklamation bleibt, sondern den Politikern — und nicht nur den Frauen — in unserem Lande Anstöße zur Weiterentwicklung begonnener Reformen gibt.Der gesamte Bereich der sozialen Chancengleichheit wird sicherlich als besonders schwierig zu gelten haben, weil über die bloße Gesetzgebung an diese Problematik nur teilweise mit dem Ziel, Veränderungen herbeizuführen, herangegangen werden kann.
— Insbesondere vom Parlament, in der Tat. Über die Gesetzgebung, habe ich gesagt, Herr Kollege. In weiten Bereichen reicht diese Problematik in das hinein, was der Herr Bundeskanzler in der Regierungserklärung im Januar 1973 das „gesellschaftliche Klima" genannt hat. Die Enquete-Kommission wird sicherlich durch ihre Arbeit oder zum Teil schon durch ihre bloße Existenz dazu beitragen können, die Vorurteile, von denen der Bundeskanzler sprach, mit abbauen zu helfen.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktionstimmt der Einsetzung dieser Enquete-Kommission zu, wie sie der Ausschuß beantragt hat.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3807
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wex.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag wird heute über die Einsetzung der Enquete-Kommission „Frau und Gesellschaft" Beschluß fassen. Wir -- die CDU/CSU-Bundestagsfraktion — haben am 19. März die Einsetzung dieser Kommission beantragt. Im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ist dieser Einsetzung einstimmig zugestimmt worden. Ich freue mich, daß dieses Vorhaben in diesem Hause eine so breite Mehrheit gefunden hat. Zu Beginn der Diskussion sah das nämlich gar nicht so aus. Wir haben damals Stimmen gehört, die sagten, dies sei eine Kommission, die den Fortschritten der Gleichberechtigung nicht diene. Mittlerweile
dem werden wohl alle in diesem Hause zustimmen — hat sich die Szene erheblich gewandelt. Allenthalben wird diese Kommission nun als eine Chance begriffen, den entscheidenden Schritt zur rechtlichen und sozialen Gleichberechtigung der Frau in unserer Gesellschaft zu tun. Ich sehe den großen Vorteil der nun zu bildenden Kommission darin, daß jetzt endlich die vielen bereits vorliegenden Untersuchungen und Umfragen in praktische Politik umgesetzt werden. Wenn man nämlich draußen von dieser Enquete-Kommission gesprochen hat, ist man immer wieder skeptisch gefragt worden: Schon wieder eine Untersuchung? Es wird ganz deutlich, daß auch bei uns die Frauen seit langem die politisch entscheidenden Schritte, die Konsequenzen aus solchen Untersuchungen vermissen. Die Kommission hat den Auftrag, hier eine Änderung herbeizuführen.
Den zweiten Nutzen dieser Kommission sehe ich darin, daß sie eine Probe auf das Exempel für das Parlament darstellt. Es kann in diesen Fragen einen entscheidenden Schritt tun, die äußeren Bedingungen dafür zu schaffen, daß die Frauen die Aufgaben in dieser Gesellschaft auch wirklich erfüllen können, deren Erfüllung wir im übrigen auch von ihnen verlangen. Es genügt nun nicht mehr allein der Hinweis, die Regierung werde das schon alles machen. Wir selbst setzen mit der heutigen Entscheidung einen Maßstab, an dem wir als Parlament in der Öffentlichkeit gemessen werden müssen und — so hoffe ich — auch gemessen werden können.
Ich sehe in der Einsetzung der Kommission einen bedeutenden politischen Willensakt des Parlaments, zu einem Konzept auf diesem gesellschaftspolitischen Gebiet zu kommen, das sinnvoll in ein gesamtgesellschaftspolitisches Konzept eingebaut werden kann. Am Ende der Arbeit soll ein Konzept stehen, das die volkswirtschaftliche und kulturelle Verantwortung der berufstätigen Frau und der Hausfrau umschreibt und möglich macht. Außerdem soll am Ende der Arbeit für die Frauen die Möglichkeit gegeben sein, ihre Entscheidungen in größtmöglicher Freiheit zu treffen. Allein hierin, so meine ich, kann der Sinn der Emanzipation der Frau und der Gesellschaft liegen. Simone de Beauvoir beginnt ihr Buch „Das andere Geschlecht" mit dem Wort „Hemmung" ; sie habe Hemmung, ein Buch über die Frau zu schreiben, denn das Thema sei ärgerlich, besonders für die
Frau. Meine Damen und Herren, die Arbeit mit dieser Kommission soll dafür sorgen, daß dieses Thema nun nicht mehr länger ärgerlich bleibt.
Das Wort hat der Abgeordnete Christ.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich weiß die interessante und interessierte Reaktion meiner Kollegen zu schätzen. Wie bereits in der ersten Lesung habe ich als der einzige Mann hier das Vergnügen, für die FDP deren Stellungnahme darzulegen.
— Aber ich bin froh, daß unter den Zuhörern mehr Männer als Frauen sitzen. Wenigstens das ist eine erfreuliche Tatsache. Ich will die Ausführungen, die ich in der ersten Lesung gemacht habe, nicht im einzelnen wiederholen; sie waren grundsätzlicher Art. Ich glaube, wir brauchen das heute nicht mehr zu machen, und ich bin auch sicher, daß ich die breite Zustimmung des Hauses finde, wenn ich mich kurz fasse.
Einige zusätzliche Anmerkungen vielleicht zum Bericht des Ausschusses! Meines Erachtens sollte es nicht die Hauptaufgabe der Enquete-Kommission sein, den Ist-Zustand erneut zu untersuchen. Es wurde eben dargelegt, wir haben bereits genügend Forschungsmaterial, das zusammengetragen wurde. Dieses ist nun auszuwerten und es muß auch möglich sein, Konsequenzen aufzuzeigen und konkrete Vorschläge für ein überschaubares Gesamtkonzept zu machen.Weiter möchte ich sagen, daß, wie in solchen Fällen immer, die Gefahr besteht, den bestehenden Zustand unkritisch fortzuschreiben. Ich meine deshalb, daß die Kommission sich bemühen sollte, unter Zugrundelegung der beeinflußbaren volkswirtschaftlichen, sozialen und auch bildungspolitischen Daten verschiedene, also mehrere denkbare Zukunftsmodelle bzw. gesellschaftspolitische Alternativen für die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft aufzuzeigen. Dies würde nämlich die notwendige öffentliche Diskussion wesentlich beleben und auch dem Parlament einen breiten Entscheidungsspielraum geben, der im echten Sinne auch politische Alternativen sichtbar macht.Wie auch immer das Ergebnis der Arbeit der Kommission aussehen wird, ich meine, wir sollten vielleicht zwei Überlegungen dabei nicht unberücksichtigt lassen. Die Enquete-Kommission darf nicht ein neues festgeprägtes Leitbild für die Frau entwickeln; sie sollte lediglich die Voraussetzungen aufzeigen, unter denen die Frauen in die Lage versetzt werden, in freier Entscheidung ihre Aufgaben in Beruf oder Gesellschaft oder in beiden Bereichen
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Christgleichzeitig wahrzunehmen, um so ihr Selbstbestimmungsrecht endlich zu verwirklichen.Da auch noch ein Appell oder ein Wort an meine männlichen Kollegen: Eine Emanzipation der Frau im Rahmen eines partnerschaftlichen Denkens und Handelns setzt bei uns, bei den Männern, voraus, daß wir grundsätzlich bereit sind, darüber nachzudenken, ob wir unsere Rolle eventuell neu definieren müssen, wenn dies notwendig ist, um der Frau im Sinne dieser Emanzipation den Spielraum zu geben, den sie braucht und den sie will. Die noch immer anzutreffende Diskriminierung der Frau ist eben kein Problem, das nur die Frauen angeht, auch kein Problem, das von den Frauen allein oder gar gegen die Männer gelöst werden könnte.
Wenn ich zum Schluß die Zustimmung der FDP gebe, dann vielleicht noch eine Anmerkung: Die FDP wird die Einsetzung der Enquete-Kommission nicht zum Anlaß nehmen, ihre Reformpolitik mit dem Ziel einer nicht nur rechtlichen, sondern auch sozialen Gleichstellung der Frau einzuschränken oder gar mit den notwendigen Vorschlägen bis zum Vorliegen des Arbeitsergebnisses dieser Kommission, also bis zum Frühjahr 1975, zu warten. Wir Liberalen — ich glaube, das können wir mit Genugtuung sagen — sind nämlich davon überzeugt, daß die Ergebnisse der Enquete-Kommission bestätigen werden, daß die FDP mit ihren Überlegungen und Vorstellungen auf dem richtigen Weg zu einer Gesellschaft ist, in der die Chancengleichheit für die Frau nicht nur ein gut gemeintes deklamatorisches Wort ist.
Wir kommen zur Beschlußfassung. Wer dem Ausschußbericht zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. —Die Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 25 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU betr. Aus- und Fortbildung der Unteroffiziere
— Drucksache 7/1095 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Verteidigungsausschuß Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich ganz kurz den Antrag der CDU/CSU-Fraktion 1095, Aus- und Fortbildung der Unteroffiziere, begründen.Sie wissen vielleicht, daß am 4. April dieses Jahres die drei Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP gemeinsam eine Bildungskonzeption verabschiedet haben, die Offizierskonzeption. Einer der wichtigsten Punkte dabei war der Punkt 1, der lautete: gleiche Bedeutung und Förderung von Offizieren und Unteroffizieren. Das bedeutet Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit.In der Zwischenzeit haben die Bundeswehrhochschulen ihre Arbeit aufgenommen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, glaubte, daß es nunmehr an der Zeit ist, auch die Unteroffizierskonzeption neu zu regeln. Sie hat deshalb am 17. Oktober 1973 einen entsprechenden Antrag eingebracht, basierend auf Vorschlägen einer Fachkommission des wehrpolitischen Arbeitskreises Bayern.Die CDU/CSU geht dabei von folgenden drei Grundsätzen aus:1. Keine Benachteiligung mehr von Angehörigen der Kampftruppen gegenüber denen technischer Truppen.2. Nach wie vor muß eine Durchlässigkeit der Laufbahnen gegeben sein, gerade für jene Kreise, die aus dem Unteroffiziersstand aufsteigen zu Offizieren im militärfachlichen Dienst.3. Es müssen an der Wirklichkeit des Arbeitsmarkts und der beruflichen Vorbildung orientierte Angebote zur fachlichen Fortbildung für jeden Unteroffizier gegeben sein.Dies waren drei gemeinsame Forderungen, die von allen drei Fraktionen gestellt wurden. Für die CDU/CSU ist es oberster Grundsatz, bei einer neu zu konzipierenden Unteroffiziersausbildung die Einsatzbereitschaft der Truppe zu verbessern. Entscheidender Maßstab bleiben dabei Qualität und Anzahl der Ausbilder und Führer.Lassen Sie mich ganz kurz zu ein paar Punkten Stellung nehmen. Wir sind der Meinung, daß die Ausbildung die fachlichen Kenntnisse vermitteln und den allgemeinen Bildungsstand heben und zur Vermittlung zivilberuflich nutzbarer und anerkannter Abschlüsse und auch zur Attraktivität beitragen soll. Wir sind der Meinung, daß die Bewährung in der Praxis Leistungsmaßstab dafür sein sollte, welche Ausbildung der Unteroffizier in Zukunft haben wird.Wir sind aber zugleich auch der Meinung, daß eine verbesserte Ausbildung nicht zu Lasten der finanziellen Leistungen gehen darf, die diese Kategorie von Unteroffizieren zum Schluß normalerweise erhält.Wenn man diese Grundsätze berücksichtigt, so ergeben sich folgende Forderungen. Wir sind der Auffassung, daß die Vorschläge der Bildungskommission zur Personalstruktur, nämlich die Einrichtung von Verwendungsreihen, zu verwirklichen sind und daß im Rahmen eines Ausbildungskatalogs für alle Verwendungsreihen eine Bedarfsberechnung angestellt werden muß. Damit müssen die Ausbildungsgänge, die notwendigen Ausbildungsmaßnahmen, die Angabe der Ausbildungseinrichtungen sowie die zivilberufliche Verwertbarkeit der Ausbildung festgelegt sein. Wir sind der Meinung, daß es eine zentrale Personalführung und -steuerung ermöglichen soll, dem Freiwilligen möglichst frühzeitig eine Zusage für seinen Werdegang zu geben.Personalführung, Berufsförderung und Ausbildung sollten unseres Erachtens im Verteidigungs-
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Handlosministerium stärker als bisher koordiniert werden. Gestützt auf die Personal- und Ausbildungsplanung, von der ich gesprochen habe, sollte unseres Erachtens ein Beratungssystem für Freiwillige eingeführt und hier insbesondere eine Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeit angestrebt werden.Parallel zu den Offizieren, für die ja die Bundeswehrhochschulen errichtet worden sind, sollen für die Unteroffiziere in Zukunft Fachschulen eingerichtet werden — in Bayern und Baden-Württemberg spricht man von Fachakademien , um auf diese Art die Voraussetzungen für die Ausübung des anerkannten Berufs eines Betriebswirts, Technikers usw. zu vermitteln.Wir sind, insgesamt gesehen, der Auffassung, daß Bestandteil aller Ausbildungslehrgänge für Vorgesetzte in Zukunft eine gewisse pädagogische Ausbildung sein muß, in die auch der Fernunterricht aufgenommen werde sollte. Daß das alles natürlich nur mit einem entsprechenden Schüleretat möglich ist, liegt auf der Hand.Ich darf bezüglich dieser Forderungen von seiten der CDU/CSU zum Schluß noch folgendes feststellen. Wir glauben, daß in absehbarer Zeit ein neuer Spitzendienstgrad für Unteroffiziere eingeführt werden muß, wie wir ihn bereits einmal hatten, nämlich der Spitzendienstgrad eines Stabsfeldwebels, der nicht an irgendwelche Prüfungen gebunden werden soll.Insgesamt ist die CDU/CSU-Bundestagsfraktion der Auffassung, daß, wenn diese Punkte verwirklicht sind, draußen in der Truppe zu Recht von einer Gleichrangigkeit und einer Gleichwertigkeit von Offiziers- und Unteroffiziersausbildung gesprochen werden kann, wie dies am 4. April gemeinsam von den drei Bundestagsfraktionen beschlossen wurde.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Horn.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestern hat das Bundesverteidigungsministerium einen ausführlichen Katalog über die Ausbildung der Unteroffiziere vorgelegt. Dieser Katalog des Bundesverteidigungsministeriums gründet sich auf eine über dreijährige Arbeit seit der sozialliberalen Koalition. Seit dieser Zeit sind zum ersten Mal in einer Systematik die Probleme der Bildung und Ausbildung für die Reform der Bundeswehr angepackt und jetzt in die ersten Teilverwirklichungen hereingegeben worden.Das frühere Gutachten der Bildungskommission unter Vorsitz von Professor Eilwein hat innerhalb und außerhalb der Bundeswehr zu heftigen Diskussionen und auch zu Kontroversen geführt. Bedauerlicherweise vollzogen sich die Auseinandersetzungen fast ausschließlich um die Frage der künftigen Offiziersausbildung und hier vornehmlich um die Struktur der zu errichtenden Bundeswehrhochschulen. Die Verengung der Diskussion auf das Feld der Offiziersausbildung scheint nicht angemessen. Die neue Ausbildungskonzeption für Unteroffiziere in der öffentlichen Diskussion praktisch zu unterschlagen ist weder von der Zahl der in der jährlichen Phase auszubildenden 23 000 Unteroffiziere zu rechtfertigen noch von der Bedeutung hinsichtlich ihrer im Bereich der technischen, gesellschaftlichen und persönlichen Ausbildungsmöglichkeiten gegenüber den Soldaten.Bildungs- und Ausbildungsbedingungen der länger dienenden Unteroffiziere sind keineswegs problemloser als die der Offiziersausbildung, und das Spektrum der Ausbildungsangebote ist eher noch vielfältiger und reichhaltiger. Es stellt den daran zu beteiligenden Einrichtungen eine Fülle von pad-agogischen und organisatorischen AufgabenDie Zusammensetzung der Bildungskommission mit zwölf Soldaten verschiedener Dienstgrade und Stellungen und zwölf fachkundigen Leuten von Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft, Gewerkschaft, Industrie- und Handelskammer und Handwerkskammer kennzeichnen die Absichten der Kommission, die nun in der bündigen Vorlage zum ersten Mal dem Ausschuß vorgelegt wurden. Die Reform soll die Schlagkraft der Bundeswehr erhöhen, die begonnene Integration von Armee und Gesellschaft vorwärts treiben und dem einzelnen vielfältige Bildungsmöglichkeiten und ein Höchstmaß an beruflichen Chancen bieten. Den militärischen Erfordernissen muß Rechnung getragen werden. Die Hinzuziehung von zwölf Fachleuten aus dem zivilen Bereich bedeutet aber zugleich auch in der Rücksichtnahme dessen, was diese Regierung vorgelegt hat, daß eine Anerkennung der jeweiligen Ausbildungsabschlüsse durch die öffentliche Verwaltung und die freie Wirtschaft erfolgen muß. Ich möchte auch hier ein Wort des Dankes meiner Fraktion gegenüber Professor Ellwein und der Kommission aussprechen und auch all den Herren, die auf der Hardthöhe im Verteidigungsministerium die Arbeiten bis an diesen Punkt heute gebracht haben.
Militärische Ausbildung und Qualifikationen werden weitgehend an die zivile Ausbildung und zivile Abschlüsse angeglichen. Da viele Funktionen in einer technisierten Armee ohnehin zivilen Tätigkeiten entsprechen, ist das möglich und erleichtert den Übergang des Soldaten in das spätere Berufsleben. Es werden vor allem dem Unteroffizier umfassende berufliche schulische Bildungsmöglichkeiten geboten: mittlere Reife, Abitur, Meisterprüfung, Hochschuldiplom. Ein bildungswilliger Volksschüler kann im Wechsel zwischen militärischer Ausbildung, fachlicher Fortbildung, Truppendienst und Schulbesuch durchaus die Abschlüsse der Sekundarstufen I und II erwerben, um sie entweder zivil zu nutzen oder über Studium höchste Offiziersränge zu erreichen. Damit ist die Durchlässigkeit in den Aufstiegsmöglichkeiten vom Soldaten bis zum höheren Offizier gesichert.Die zu erwartenden Mehrausgaben für den Bereich der Ausbildung der längerdienenden Unteroffiziere sind sicherheitspolitisch notwendig und volkswirtschaftlich zu vertreten. Die längerdienenden Unter-
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Hornoffiziere sind das Rückgrat der modernen Streitkräfte. Sie garantieren den Ausbildungsstand der Soldaten und damit die Wirksamkeit der Bundeswehr als Instrument unserer Sicherheitspolitik. Bildung und Ausbildung der Ausbilder unserer Soldaten ist somit das Kernstück einer von politischer Verantwortung getragenen Sicherheitspolitik.Aber auch die finanziellen Mehraufwendungen in diesem Bereich sind echte Bildungsinvestitionen, die sich nach wissenschaftlichen Berechnungen in spätestens vier bis sechs Jahren amortisieren. Bessere Ausbildung durch Kurse und Lehrgänge auf Grund der Mithilfe des Berufsförderungsdienstes sowie eine systematische Ausbildung über die Berufsfachschulen und andere Einrichtungen führen der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung qualifizierte und leistungsfähige Männer zu. Höhere Leistungen bedeuten im Ergebnis wirtschaftlichen und steuerlichen Gewinn.Die Sozialdemokratische Partei begrüßt, daß nach diesen langen Vorarbeiten nun ein bündiges und geschlossenes Konzept für die Unteroffiziersausbildung vorliegt. Wir begrüßen es, und wir sind der Auffassung, daß die Bundeswehr keineswegs die Schule der Nation ist, welche dieser Gesellschaft ihr Gepräge geben will; die Bundeswehr ist aber auch nicht das Museum unserer Nation. Ein kleiner Testfall kann dafür auch das Ausbildungskonzept für die Unteroffiziere und seine Verwirklichung sein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Krall.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zum Antrag der CDU/ CSU auf Drucksache 7/1095 darf ich namens der Fraktion der FDP folgende Erklärung abgeben.
Ein sorgfältiges Studium des Antrags der CDU/ CSU läßt mich manch guten alten Bekannten wiederfinden. Seit vielen Jahren fordert die FDP auf dem Gebiet der Ausbildung der Bundeswehr insbesondere für die Unteroffiziere eine echte Chancengleichheit in der Ausbildung, eine Durchlässigkeit der Laufbahnen und die Chance eines echten sozialen Aufstiegs in der Armee.
Eine enge Verknüpfung von personalpolitischen Interessen der Bundeswehr mit einer flexiblen Handhabung der Bildung und Ausbildung ist gleichfalls eine alte Forderung der Freien Demokraten. Dazu gehört auch, daß, wo immer gleiche Ausbildungsinhalte vorliegen, militärische Lizenzen, Patente, Prüfungen und Qualifikationen im zivilen Bereich anerkannt werden müssen. Alle diese Vorstellungen haben im Gutachten der Bildungskommission, die diese Bundesregierung eingesetzt hat, ihren Niederschlag gefunden. Ich schließe mich gern dem Dank des Kollegen Horn für die Mitglieder der Kommission, die hier tätig geworden sind, an.
Das grüne Buch aus dem Sommer 1971 ist keineswegs verstaubt, sondern bildet die Grundlage für die Vorlage des Verteidigungsministeriums an den Verteidigungsausschuß über die Neuordnung der Ausbildung und Bildung für die Unteroffiziere, die wir erstmals gestern im Ausschuß vorgetragen bekommen haben.
Die entscheidende Umwälzung in der Offiziersausbildung dokumentiert sich in der Schaffung von zwei Bundeswehrhochschulen, die ihren Studienbetrieb am 1. Oktober 1973 aufgenommen haben. Dieses spektakuläre Ereignis hat insofern eine Überbewertung erfahren, als die Neuordnung von Ausbildung und Bildung für den Unteroffizier dabei leider in den Hintergrund getreten ist. Gerade auf diesem Gebiet sind die vorgesehenen Änderungen nicht, weniger notwendig und bedeutsam. Die Vorlage des Verteidigungsministeriums trägt dem in vollem Umfang Rechnung; wir begrüßen das außerordentlich.
Die wesentlichen Forderungen des Antrags der Opposition sind damit bereits berücksichtigt. Ich meine, daß dieser Antrag eigentlich überflüssig wäre. Auf Einzelheiten möchte ich hier nicht eingehen; wir werden Gelegenheit haben, die Dinge im Ausschuß eingehend zu erörtern.
Lediglich zum letzten Punkt des Antrags will ich eine kurze Stellungnahme abgeben und ihm im wesentlichen zustimmen, aber mit der Einschränkung, daß der neu einzuführende Spitzendienstgrad der Unteroffiziere, nämlich der Stabsfeldwebel, auf die Besoldungsgruppe A 9 beschränkt werden sollte, zumal hier eine weitere Prüfung nicht vorgesehen ist. Er würde also dann den Kreis der jetzt bereits in A 9 befindlichen Hauptfeldwebel umfassen. Ich hielte das für eine psychologisch außerordentlich wichtige Entscheidung.
Lassen Sie mich zusammenfassen: In der Neuordnung der Aus- und Fortbildung der Unteroffiziere sehen wir den verstärkten Anreiz zur Leistung. Er muß mit dem Leistungswillen des einzelnen Hand in Hand gehen. Die Wechselwirkung zwischen dem Ausbildungssystem der Streitkräfte und dem allgemeinen beruflichen Bildungswesen ist gegeben. Die Qualität der Streitkräfte läßt sich auf diesem Wege steigern.
Der Antrag der CDU/CSU, so gut er gemeint sein mag, zielt auf Grund des vorher Gesagten meines Erachtens ins Leere. Während die Opposition der Regierung ständig vorwirft, die Verteidigung und damit die Sicherheit unseres Landes zu vernachlässigen hat diese Regierung im allgemeinen und das Verteidigungsministerium im besonderen ernsthaft gearbeitet und Grundsätze ausgearbeitet, die die Ausbildung der Unteroffiziere betreffen, die endlich auch die seit Jahren von den Freien Demokraten geforderten Kriterien erfüllen. Ich danke hierfür der Bundesregierung und dem Verteidigungsministerium.
Die FDP-Fraktion stimmt dem Überweisungsvorschlag zu.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Berkhan.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich sehe, wie ein paar Kollegen nach der Uhr schauen. Ich werde mich befleißigen, sehr kurz zu sein.
Ich habe vor mir den Antrag auf Drucksache 7/1095, den der Herr Kollege Handlos hier begründet hat, und ich will zu den einzelnen Punkten, wenn auch nur stichwortartig, meine Meinung und die Meinung der Regierung sagen.
Schon heute, Herr Kollege Handlos, wird Unteroffizieren oder heranstehenden Unteroffizieren eine Ausbildung zuteil, die in der Regel dort, wo es möglich ist, zivil anerkannt ist. Sie könnten uns allerdings in der Öffentlichkeit helfen, wenn Sie den Kammern und den anderen Institutionen, die damit befaßt sind, einmal ganz klar und deutlich sagen, wie wertvoll die Ausbildung bei der Bundeswehr ist und wie gleichrangig sie mit der Ausbildung im zivilen Bereich anzusetzen ist.
Darüber hinaus heißt es in Punkt 2 des Antrages: Durchlässigkeit in höhere Laufbahngruppen. Hier sind wir nicht zu übertreffen. Während früher der Vorgesetzte einen Vorschlag machen mußte, ist heute der Unteroffizier und der Soldat in der Lage, seine Einweisung in eine andere Laufbahngruppe selbst zu beantragen.
Bei Punkt 3 stimme ich Ihnen vollends zu. Bei Punkt 4 kann ich Ihnen auch zustimmen.
Bei Punkt 5 wird es zwar schwierig sein, aber auch cla sind wir einer Meinung, daß das zu schaffen ist.
Wenn Sie aber in Punkt 6 sagen: „Die Bundeswehr errichtet staatlich anerkannte Fachschulen, die einen zivil verwertbaren Abschluß ermöglichen", so kann ich Ihnen nur sagen: Hier sieht es fast so aus, als gebe es so etwas noch nicht. Es gibt drei Fachschulen des Heeres; eine der Luftwaffe wird in den nächsten Tagen eröffnet. Die Marine wird keine Fachschule aufmachen, weil sie so klein und fein ist. Vielleicht wird sie etwas im Pilotdienst für alle drei Teilstreitkräfte machen. Sonst wird die Marine vorwiegend die Fachschulen des Heeres und der Luftwaffe mitbenutzen und zivile Einrichtungen vergleichbarer Art für ihre Soldaten nutzbar machen.
Bei Punkt 7 sind wir dabei, Ausbildungskataloge zu erstellen und Verwendungsreihen aufzustellen. Das dauert noch etwas. Die zentrale Personalsteuerung wird auch eingeführt. Es wird also alles so passieren, wie Sie es wünschen.
Bei Punkt 8, der auch in Zusammenhang mit Punkt 3 zu sehen ist, sollten Sie darauf achten, daß Freunde von Ihnen beispielsweise im „Deutschland-Magazin" immer wieder davor warnen, es dürfe nicht zu einer Verschulung der Bundeswehr kommen. Ich möchte sie bitten, doch recht kräftig mitzuhelfen, daß auch diese Herren allmählich lernen, daß eine pädagogische Ausbildung für militärische Vorgesetzte nicht ein intellektueller Firlefanz, sondern eine Notwendigkeit des Jahres 1973/74 und der folgenden Jahre sein wird. Ich bin dankbar, Herr Handlos, daß Sie das hier so klar gesagt haben, und hoffe,
Opposition und Regierungsmehrheit werden in der Öffentlichkeit gemeinsam streiten.
Lassen Sie mich abschließen. Der Spitzendienstgrad Stabsfeldwebel ist keine Sache, die der Bundesminister der Verteidigung allein schaffen kann. Dazu brauchen wir die Hilfe des Innenministers, der für Laufbahnen zuständig ist.
Wir sind dort nicht allein zuständig. Ich weiß nicht, ob ich das für die Regierung sagen darf, aber ich darf für mich sagen: Sie finden in mir einen Mitstreiter auf diesem Felde. Für uns ist das nicht neu, aber wir müssen die vorhandenen Stabs- und Oberstabsfeldwebel noch ein bißchen in Richtung Null abschmelzen lassen, bevor wir mit Erfolg diesen Dienstgrad für eine Gruppe von Unteroffizieren vorsehen können, die ohne Prüfung in diese Stufe eingewiesen wird.
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Empfohlen ist die Überweisung an den Verteidigungsausschuß — federführend — und zur Mitberatung an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 27 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, FDP betr. Novellierung des Tierzuchtgesetzes— Drucksache 7/1090 -Überweisungsvorschlag des Altestenrates: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenDas Wort wird nicht gewünscht. Es ist Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vorgeschlagen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 28 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen über den Bericht der Bundesregierung über den Bezug von Zeitungen und Zeitschriften aus der DDR für das Jahr 1972 (Zeitungsbezugsbericht 1972)— Drucksachen 7/712, 7/1126 —Berichterstatter: AbgeordneterDr. Kreutzmann AbgeordneterDr. Kunz
Wünscht dazu jemand das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Beschlußfassung über den Antrag. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.Ich rufe jetzt die Punkte 29 bis 38 der Tagesordnung global auf:
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3812 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973
Vizepräsident Frau Funcke29. Beratung des Antrags des Haushaltsausschusses zu der nachträglichen Unterrichtung der Bundesregierung über die Veräußerung des 4,3 ha großen Restgeländes der ehemaligen Königin-Olga-Kaserne in Ludwigsburg an die Stadt Ludwigsburg— Drucksachen 7/948, 7/1161 —Berichterstatter: Abgeordneter Grobecker30. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates über die Koordinierung der Agrarforschung— Drucksachen 7/69, 7/1078 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Ritgen31. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 619/71 zur Festlegung der Grundregeln für die Gewährung einer Beihilfe für Flachs und Hanf— Drucksachen 7/872, 7/1082 —Berichterstatter: Abgeordneter Sauter
32. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der Kommission der Europäischen Gemeinschaftenfür eine Verordnung des Rates über die Durchführung einer Erhebung über Struktur und Verteilung der Löhne und Gehälter im Handel, im Bank- und Versicherungsgewerbefür eine Verordnung des Rates über die Durchführung einer Arbeitskostenerhebung im Handel, im Bank- und Versicherungsgewerbe— Drucksachen 7/966, 7/971, 7/1099 —Berichterstatter: Abgeordneter Hölscher33. Beratung des Berichts und des Antrags des Finanzausschusses zu den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlägen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Verordnung (EWG) des Ratesüber die zolltarifliche Behandlung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die im persönlichen Gepäck der Reisenden eingeführt werdenüber die Durchführung einer Reihe von Beschlüssen des durch das Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Österreich eingesetzten Gemischten Ausschusses, die Zollregelungen zum Gegenstand habenüber die Durchführung einer Reihe von Beschlüssen des durch das Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Portugal eingesetzten Gemischten Ausschusses, die Zollregelungen zum Gegenstand habenüber die Durchführung einer Reihe von Beschlüssen des durch das Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Schweden eingesetzten Gemischen Ausschusses, die Zollregelungen zum Gegenstand habenüber die Durchführung einer Reihe von Beschlüssen des durch das Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft eingesetzten Gemischten Ausschusses, die Zollregelungen zum Gegenstand habenzur Durchführung bestimmter Beschlüsse des durch das Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Island eingesetzten Gemischten Ausschusses, die Zollregelungen zum Gegenstand habenfür eine Richtlinie des Rates über die Anwendung des Artikels 5 der Richtlinie des Rates vorn 4. März 1969 zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über den aktiven Veredelungsverkehrfür eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1496/68 des Rates vom 27. September 1968 über die Bestimmung des Zollgebiets der Gemeinschaft für eine Verordnung des Rates betreffend die gegenseitige Unterstützung sowohl der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten untereinander als auch im Verhältnis dieser Behörden zur Kommission, um die ordnungsgemäße Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet des Zollwesens und der Landwirtschaft zu gewährleisten— Drucksachen 7/901, 7/497, 7/946, 7/960, 7/967, 7/573, 7/1097 —Berichterstatter: Abgeordneter SchreiberAbgeordneter Dr. Wagner
34. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 64. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1973 3813
Vizepräsident Frau Funckeund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Funkstörungen durch Ton- und Fernseh-Rundfunkempfänger— Drucksachen 7/571, 7/1103 —Berichterstatter: Abgeordneter Weber
Abgeordneter Wuttke35. Beratung des Berichts und des Antrags des Auswärtigen Ausschusses zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Änderung und Ergänzung bestimmter Richtlinien im Anschluß an die Erweiterung der Gemeinschaft— Drucksachen 7/900, 7/1125 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Kliesing36. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 134/67/EWG und Nr. 137/67/EWG über die Einschleusungspreise und über das sogenannte „System von Leit- und Folgeerzeugnissen" auf dem Schweinefleischsektor— Drucksachen 7/947, 7/1149 —Berichterstatter: Abgeordneter Grunenberg37. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates über die Durchführung einer Zwischenerhebung im Rahmeneines Erhebungsprogramms zur Untersuchung der Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe— Drucksachen 7/972, 7/1153 —Berichterstatter: Abgeordneter Schonhofen38. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Ergänzung der Verordnung (EWG) Nr. 816/70 durch Einführung neuer Bestimmungen über die önologischen Verfahren— Drucksachen 7/752, 7/1165 — Berichterstatter: Abgeordneter BraunWünscht jemand der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Beratung wird auch nicht gewünscht. Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen? — Ich höre keinen Widerspruch.Wir kommen damit zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen 7/1161, 7/1078, 7/1082, 7/1099, 7/1097, 7/1103, 7/1125, 7/1149, 7/1153 und 7/1165. Wer zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Sämtliche Anträge sind angenommen.Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende unserer heutigen Beratungen. Ich berufe das Haus auf morgen, Freitag, 9. November 1973, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.