Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich bekannt, daß Ihnen eine Liste von Vorlagen vorliegt, die keiner weiteren Beschlußfassung bedürfen und die nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschuüssen überwiesen werden sollen:
Betr.: Gesetz über die weitere Finanzierung von Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden und des Bundesfernstraßenbaus
Bezug: Beschluß des Deutschen Bundestages vom 1. März 1972
– Drucksache 7/1104 —zuständig: Finanzausschuß
Betr.: Berufs-/Laufbahnreform
Bezug : Beschluß des Deutschen Bundestages vom 14. .Juni 1973
— Drucksache 7/1129 —
zuständig: Innenausschuß
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Überweisung von EG-Vorlagen
Verordnung des Rates über die zolltarifliche Behandlung bestimmter Erzeugnisse, die zur Verwendung beim Bau, bei der Instandhaltung und der Instandsetzung von Luftfahrzeugen bestimmt sind
— Drucksache 7/1110 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte uni Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Festlegung der im Falle von Störungen auf dem Reissektor anzuwendenden Grundregeln
Drucksache 7/1111 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Festsetzung des Marktrfchtpreises und des Interventionspreises für Olivenöl für das Wirtschaftsjahr 1973/1974
— Drucksache 7/1112 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 234/73 hinsichtlich der Festsetzung der als Ausgleichsbeträge auf dem Schweinefleischsektor anwendbaren Beträge
— Drucksache 7/1113 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Wir fahren in der Aussprache zum Tagesordnungspunkt 2 fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1974
— Drucksache 7/1100 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsauschuß
b) Beratung des von der Bundesregierung vorgelegten Finanzplans des Bundes 1973 bis 1977
— Drucksache 7/1101 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Hanshaltsauschuß
Das Wort hat Herr Dr. Wörner. Für ihn hat seine Fraktion eine Redezeit von 40 Minuten beantragt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Manche Leute haben sich in den letzten Jahren einzureden begonnen, die Großwetterlage sei unfehlbar stabil und in dieser Eigenschaft durch die Entspannung zwischen den Großen sozusagen garantiert. Das hat die Schleusen für alle Narreteien geöffnet, die sich unter der Einbildung eines gesicherten Friedens üblicherweise einstellen. Tendenzen zum einseitigen Abbau kriegsverhindernder Maßnahmen, naiver Pazifismus, Antimilitarismus, Papier- und Deklamationsgläubigkeit. Der neue Nahostkrieg böte eine Gelegenheit zu erkennen, woran wir wirklich sind. Der Friede, den man so gern nach menschlichem Ermessen für gesichert hält, steht in Wahrheit nach wie vor auf tönernen Füßen." Das schreibt einer der angesehensten Journalisten der westlichen Welt, Fred Luxinger, in der „Neuen Zürcher Zeitung", und er schließt daraus: „Es wäre Torheit, sich danach noch für politisch solid versichert gegen Katastrophen zu halten und auf bloße Entspannungsproklamationen zu bauen."
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3614 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973
Dr. WörnerIch finde, wer heute über die sicherheitspolitische Lage in Europa nachdenkt und spricht, der kann das nicht tun, ohne einige Blicke auf den Nahen Osten zu werfen und ohne einige Schlußfolgerungen auch für unsere Lage in Europa zu ziehen. Ich darf diesen Versuch am Anfang meiner Rede hier machen.Die erste Schlußfolgerung, die, wie ich glaube, gezogen werden muß, lautet: Auch das atomare Mächtegleichgewicht zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten von Amerika vermag den Ausbruch von Auseinandersetzungen auf regionaler Ebene nicht zu verhindern, wenn dort das Gleichgewicht gestört ist. Oder um es ganz konkret auf die Situation zu übertragen, in der sich die Bundesrepublik Deutschland befindet: Auch die strategische Gleichgewichtssituation, auch das atomare Patt zwischen den USA und der UdSSR wirkt sich nur dann kriegsverhindernd und friedensstabilisierend in Mitteleuropa aus, wenn dieses atomare Patt auch hier in Europa durch ein Gleichgewicht der Kräfte untermauert wird. Dies um so mehr, als die beiden Großmächte sichtbar und zu Recht bestrebt sind, die nukleraren Risiken einzugrenzen.Die zweite Schlußfolgerung: Nur derjenige, der selbst den Willen und die Kraft zur Selbstbehauptung aufbringt, kann mit der Unterstützung durch seine Verbündeten rechnen.
Um auch das auf unsere Situation zu übertragen: Auch wir hier in der Bundesrepublik Deutschland I können nur dann mit der Unterstützung durch die Vereinigten Staaten von Amerika rechnen, wenn wir selbst den Willen und die Kraft zur Verteidigung unseres Landes bewahren und aufrechterhalten.
Dies, meine Damen und Herren, gilt natürlich um so mehr, als, wie Sie wissen, die Vereinigten Staaten von Amerika gerade in der jetzigen Situation von ihren Verbündeten begreiflicherweise höhere Eigenleistungen erwarten. Und niemand hier in der Bundesrepublik Deutschland sollte sich täuschen: Wenn wir den Vereinigten Staaten von Amerika und ihren Bürgern gegenüber nicht sichtbar und deutlich zu machen verstehen, wie ernst wir unseren Beitrag zur europäischen Verteidigung meinen und daß wir bereit sind, dafür Opfer zu bringen, dann werden in den Vereinigten Staaten von Amerika diejenigen die Oberhand gewinnen, die dem Abzug ihrer Truppen aus Europa das Wort reden, und das, glaube ich, wäre verhängnisvoll für die Sicherheit der Bundesrepublik und ihrer Bürger.Und die dritte Schlußfolgerung schließlich, die aus diesem Konflikt zu ziehen ist: Erst das direkte Engagement und Eingreifen der Supermächte und ihr dominierendes Interesse an der Verhinderung eines Weltkonflikts bieten wenigstens eine Chance, regionale Konflikte zu stabilisieren. Um auch das auf unsere Situation zu übertragen: Nur die direkte, sichtbare und unmittelbare Präsenz der Vereinigten Staaten von Amerika in der Bundesrepublik garantiert schlußendlich die Abschreckung und damit den Frieden in Europa.
Auch eine Europäische Verteidigungsunion, die wir wollen, die wir anstreben, könnte und dürfte — lassen Sie mich das in aller Klarheit sagen — an dieser grundlegenden Tatsache nichts ändern. Eine solche Europäische Verteidigungsunion kann und soll die Amerikaner entlasten, sie kann und soll sie aber nicht ersetzen. Das heißt, daß das Bündnis mit den Vereinigten Staaten und ihr strategischer Atomschutz der unverzichtbare Rahmen für die europäische Verteidigung auch nach einer Einigung Europas bleiben.Die Vorgänge im Nahen Osten haben für den, der nicht völlig blind ist, doch eines mit geradezu dramatischer Deutlichkeit klargemacht und haben eine Lehre in Erinnerung gerufen, die in unserem Volk von vielen unter dem Einfluß eben dieser 28jährigen Friedenszeit, die wir gehabt haben, leider vergessen wurde: daß nämlich der gesicherte Frieden, daß schon das rein physische Überleben der Bürger, daß auch die Handlungsfreiheit der Bundesrepublik Deutschland allein davon abhängen, ob es uns gelingt, das Gleichgewicht der Kräfte hier in Mitteleuropa auf allen Ebenen zu bewahren und zu sichern.
Es ist doch kein Zufall, daß es in diesen 28 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg allein in Mitteleuropa nicht zu einer kriegerischen Auseinandersetzung kam, während in Vietnam, in Korea, im Nahen Osten die Waffen gesprochen haben. Dies verdanken wir doch — und diese Lehre muß wieder und wieder ausgesprochen werden — allein oder mindestens überwiegend der Tatsache, daß wir hier in Europa eine ausgewogene Machtbalance hatten.Darum sage ich in aller Deutlichkeit: Nicht der gefährdet Frieden und Entspannung, der diese Dinge beim Namen nennt, der das militärische Gleichgewicht aufrechtzuerhalten sucht, der die Verteidigungsbereitschaft in diesem Volk wachzuhalten versucht, sondern der gefährdet Frieden und Entspannung, der darüber in diesem Volk Illusionen aufkommen läßt
und der mit naiver Vertrauensseligkeit — anders kann man das doch nicht nennen — grundlegende Lehren der Geschichte, auch der jüngsten Geschichte, außer acht zu lassen bereit ist. Der gefährdet Friede und Entspannung, der Entspannungseuphorie, Staatsverdrossenheit, Verteidigungsunwillen und Abneigung gegenüber der Bundeswehr aufkommen läßt.
Natürlich müssen wir alle unsere Anstrengungen in der Bundesrepublik und in Europa darauf konzentrieren, die politischen Spannungen zwischen den Staaten und Völkern nicht nur hier in Europa, sondern in der Welt — abzubauen. Aber wir können militärische Sicherheit bis auf weiteres eben nicht durch vage Entspannungshoffnungen ersetzen; auch das ist eine der Lehren, die wir aus cien Vorgängen zu ziehen haben. Selbstverständlich — um das auch
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973 3615
Dr. Wörnergegenüber all denen deutlich zu machen, die die öffentliche Diskussion entstellen, die uns von der CDU/CSU in die Ecke der überständigen kalten Krieger zu drängen hoffen—müssen wir alles daransetzen, ausgewogen und kontrolliert abzurüsten, um das Gleichgewicht der Kräfte auf einer niedrigeren Ebene, mit weniger Truppen, weniger Kosten und weniger Material zu stabilisieren.Schließlich waren es Regierungen der CDU/CSU, die die fundiertesten Abrüstungsvorstellungen in die Weltdiskussion eingebracht haben; auch das bitte ich, nicht zu vergessen.
Aber wir müssen eben wissen, daß eine vorweggenommene, einseitige Verminderung unserer Verteidigungsanstrengungen jede beiderseitige Abrüstung unmöglich macht und genau das gefährdet, was wir in diesem Hause alle zusammen und was auch unser Volk in seiner Gesamtheit wollen: den Frieden und die Stabilität in Europa.Wenn es aber richtig ist — und es ist richtig —, daß das Gleichgewicht der Kräfte für absehbare Zeit — politisch wie militärisch — schicksalsentscheidend ist, dann ist die Frage, die wir an den Verteidigungsetat zu stellen haben, ob er dieser Lage gerecht wird. Denn, meine Damen und Herren, man kann vor einer bitteren Tatsache die Augen nicht verschließen — man sollte auch nicht darüber hinwegreden —: daß sich nämlich allen beruhigenden Erklärungen — nicht nur der Bundesregierung —zum Trotz das Kräfteverhältnis in Europa in den letzten Jahren immer deutlicher und völlig unverkennbar zuungunsten des Westens verschoben hat.
Ich meine, das müßte all diejenigen besorgt stimmen, die die Entwicklung der Sicherheitspolitik bzw. die Entnwicklung der politischen Kräfte in Europa beobachten.Das Schlimme ist — auch das muß in dieser Stunde ausgesprochen werden —, daß sich diese für uns außergewöhnlich besorgniserregende Entwicklung fortsetzt — wer, meine Damen und Herren, wollte das leugnen?! Wer wollte zum ersten leugnen, daß die Verteidigungsanstrengungen des Westens, gemessen am Bruttosozialprodukt, Jahr um Jahr mit steter Regelmäßigkeit zurückgehen — im übrigen auch in der Bundesrepublik Deutschland —, während die der Sowjetunion und die des Warschauer Pakts wachsen! Der Herr Bundesverteidigungsminister hat das in seiner Rede, die er vor noch nicht einmal einem Jahr gehalten hat, deutlich gemacht. Wer sieht es nicht — und wer sieht es nicht mit Sorge! —, was sich in Belgien, was sich in_ Holland, was sich in Dänemark tut! Die NATO verringert ihre konventionelle Kampfkraft mit all den Konsequenzen, die das für das Kräfteverhältnis und im übrigen leider auch für den Nukleareinsatz im Rahmen der flexible response hat, Jahr und Jahr.Und wer, meine Damen und Herren, wollte in dieser Situation eine zweite gefährliche Entwicklung übersehen, nämlich Tendenzen in den Vereinigten Staaten von Amerika, ihre Truppenstärke in Europa zu vermindern? Wer wollte sich denn angesichts der Tatsache, daß wir in Europa im Bereich der NATO selbst reduzieren, in der Hoffnung wiegen, wir könnten einen etwaigen Abzug der Amerikaner ausgleichen?Ein Drittes. Auch darauf muß hingewiesen werden, weil das andere kaum mehr tun, mit der einen rühmlichen Ausnahme des Herrn Bundesverteidigungsgministers: Wer sieht nicht die Risiken, die sich aus der Stabilisierung des nuklear-strategischen Gleichgewichts ergeben — an sich ist dies eine durchaus wünschenswerte Entwicklung —, weil diese Stabilisierung auf der strategischen Ebene eben nicht auch durch eine Stabilisierung auf der konventionellen Ebene untermauert und nicht gestützt wird, sondern weil sich genau das Gegenteil vollzieht: Unter der stabileren nuklearen Ebene wurde das konventionelle Mächteverhältnis in Europa fortlaufend unstabiler. Das ist doch genau das Ziel der Sowjetunion: die Stabilisierung, das nukleare Dach zu unterlaufen, indem sie auf konventioneller Ebene das Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten, und zwar Jahr um Jahr deutlicher, verschiebt.Die Frage ist doch: Arbeiten wir dieser Strategie nicht in die Hände? Ist es nicht offenkundig, daß in unserem Volk der Wille zur Verteidigung mit dem Gefühl, nicht mehr bedroht zu sein, schwindet? Ist nicht deutlich zu sehen, wie sich überall Gleichgültigkeit, wie sich überall Illusion und wie sich zum Teil bewußte Ablehnung breitmacht? Mit dein Schwinden der Verteidigungsbereitschaft, um das in aller Deutlichkeit auszusprechen, schwindet im Grunde genommen die Basis, auf der sich im Zeichen wachsender sozialer Ansprüche fast ausschließlich eine wirksame Verteidigung aufbauen laßt.Ist das nicht der eigentliche Triumph der sowjetischen Strategie, daß sie erlebt, wie im Westen der Wille und die Fähigkeit zur Verteidigung nachlassen, ohne daß sie auch nur einen einzigen Mann abzuziehen braucht, zum selben Zeitpunkt, in dem die Sowjetunion beispielsweise seit 1968 1500 Panzer — das ist eine komplette Panzerstoßarmee— im Zeichen der „Entspannung" nach Mitteleuropa nachgezogen hat?
Das ist doch der eigentliche Triumph der Sowjetunion! Ist es nicht ein noch viel größerer Triumph der sowjetischen Politik, muß es die sowjetischen Führer nicht in ihrer Überzeugung bestärken, auf dem richtigen Weg zu sein, wenn es so weit gekommen ist, daß der Bundesverteidigungsminister diese Tatsachen hier im deutschen Parlament nicht mehr beim Namen nennen kann, ohne daß er anschließend von Ihnen und Ihrer Fraktion zur Rechenschaft gezogen wird?
Das ist doch, wenn Sie sich einmal die Reaktion derer drüben in Moskau überlegen, für sie der Beweis dafür, daß sie auf dem richtigen Wege sind, wenn es bereits so weit gekommen ist, daß man die Dinge nicht mehr beim Namen nennen kann.
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Dr. WörnerHier geht es, Herr Kollege Horn, gar nicht um das ideologisch fixierte Feindbild. Man pflegt uns gelegentlich zu unterstellen, wir hätten ein ideologisch fixiertes Feindbild. Nein, meine Damen und Herren, wer den Mut hat, nüchtern die Tatsachen beim Namen zu nennen, der hat kein ideologisch fixiertes Feindbild. Ich habe den Eindruck, diejenigen haben ein. ideologisch vorgeformtes Feindbild, die es nicht mehr wagen, diese Tatsatchen beim Namen zu nennen, weil das nämlich nicht in ihr ideologisch vorgeformtes Bild der Sowjetunion als einer Macht des Status quo paßt.
Darum braucht sich derjenige, der es nicht mehr wagt — und ich will gerne zugeben, das ist heute nicht mehr gefragt —, von Bedrohung zu reden, nicht zu wundern, wenn der feste Boden, auf dem wir seither gestanden haben, zumindest in Mitteleuropa, zu bröckeln anfängt.Wenn wir von Bedrohung reden — ich bin sehr dankbar, daß Sie hier spöttisch lächeln —, dann denken wir eben nicht in erster Linie, wie das immer vermutet wird, an einen Krieg. Sicher hat sich bei gleicher Zielsetzung mit der sowjetischen Strategie auch der Charakter der Bedrohung gewandelt, und ich bin fest davon überzeugt, daß die sowjetischen Führer hier in Mitteleuropa, solange das riskant ist, einen Krieg nicht wünschen. Aber das bleibt eben nur so lange riskant, wie die Bundeswehr funktioniert und wie das Bündnis festbleibt. Auch das muß dazu gesagt werden.Die Bedrohung, meine sehr verehrten Damen und Herren, liegt in der politischen Ausnutzung militärischer Überlegenheit. Auch uns ist bekannt, daß „Gleichgewicht" natürlich nicht nur bedeutet, daß jedem Soldaten drüben ein Soldat bei uns gegenübersteht. Das braucht nicht numerisch exakt das gleiche zu sein. Natürlich umfaßt das Gleichgewicht der Kräfte mehr als nur die militärische Komponente.Der Herr Bundesfinanzminister hat in einem sehr interessanten und übrigens auch bemerkenswert deutlichen Vortrag, den er unlängst auf einer internationalen Tagung gehalten hat, sehr zu Recht und übrigens deutlicher, als er das neuerdings im Parlament auszusprechen pflegt, darauf hingewiesen, daß natürlich auch subjektive psychologische Faktoren, also etwa die Einschätzung der Lage durch den Gegner, eine erhebliche Rolle im Gleichgewicht spielen. Aber ganz sicher ist, daß es einen Punkt gibt, an dem die militärische Überlegenheit, die zahlenmäßige Überlegenheit und die Überlegenheit in der Qualität der Waffensysteme in eine politische wie psychologische Vorherrschaft umschlägt.Das ist der kritische Punkt, den wir zu befürchten haben. Wenn das gekommen sein sollte, befänden wir uns in einer Landschaft — und ich vermute, daß das Ziel der sowjetischen Strategie ist —, in der die politischen Absichten der Sowjetunion durchgesetzt werden könnten, ohne daß Gewalt angewandt würde, weil eben für uns klar wäre, daß Widerstand sinnlos ist. Diese Strategie haben wir zu fürchten, diese Zielsetzung haben wir zu fürchten. Den politischen Charakter der militärischen Bedrohung gilt es in den Griff zu bekommen.Mit diesen Zielen der Sowjetunion deckt sich doch auch ihre übrige Konferenzstrategie. Wer kann denn übersehen, daß man mit einer Serie von Konferenzen — SALT, MBFR, KSZE — versucht, auf der einen Seite die Bindungen zwischen Amerika und Europa zu lockern und auf der anderen Seite auch der verteidigungspolitischen Einigung Europas Fesseln anzulegen? Und wenn Sie sich das vor dem Hintergrund der veränderten militärischen Kräfteverhältnisse vorstellen, dann muß doch jedem klar sein: Was uns hier droht, ist ein allmähliches —nicht schlagartiges — Abgleiten in den sowjetischen Machtbereich, wenn wir nicht verstehen, das zu unternehmen, was angesichts dieser Situation unter Aufbringung der nötigen Opfer erforderlich geworden ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Friedrich?
Aber selbstverständlich, gerne.
Muß ich Ihren Ausführungen nicht entnehmen, Herr Kollege, daß unser amerikanischer Bündnispartner unfähig ist, diese Strategie der Sowjetunion zu erkennen, denn er trägt doch diese Politik, die Sie gerade skizziert haben?
Verehrter Herr Kollege, ich habe den Eindruck — und ich sage das zum Lobe unserer Bündnispartner in den Vereinigten Staaten —, daß dort — mindestens in der Führungsspitze, wenn ich etwa an den Außenminister Kissinger denke — die Gefahren, die sich aus der mitteleuropäischen Entwicklung ergeben, sehr viel deutlicher gesehen werden, als das beispielsweise in Ihren Reihen der Fall ist.
Ich wäre dankbar, wenn Sie einmal nachlesen würden, was der amerikanische Präsident in seinen Jahresberichten über die Lage und die Entwicklung in Mitteleuropa schreibt. Ich wäre dankbar, wenn Sie einmal zur Kenntnis nähmen, was der amerikanische Verteidigungsminister Schlesinger sagt. Es ist doch unverkennbar, daß die Vereinigten Staaten von Amerika, gerade weil sie die Verschiebung der Kräfte in Europa fürchten, uns laufend mahnen, etwas mehr für unsere eigene Verteidigung zu tun.Vor diesem Hintergrund, Herr Bundesfinanzminister, ist der Verteidigungsetat zu sehen. Es ist doch klar, daß unsere Haushaltsplangestaltung auch und gerade in diesem Bereich Signalwirkung hat, daß man in aller Welt — nicht zuletzt eben in den Vereinigten Staaten von Amerika — auf die Haushaltsplangestaltung der Bundesrepublik Deutschland, was die Verteidigungsanstrengungen anlangt, blickt. Nun haben wir eine Zuwachsrate von 6,5 %. Aber nach
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Dr. Wörnerden eigenen Ankündigungen der Bundesregierung rechnet sie bereits mit einer Preissteigerung von 6 oder mehr Prozent, d. h. diese Zuwachsrate wird nach Ihrer eigenen Überzeugung durch die von Ihnen erwartete Preisentwicklung völlig beseitigt. Wenn Sie dann noch die Überlegung anstellen, daß selbstverständlich mit dem komplizierter werdenden Gerät die Kosten für die Beschaffung von Gerät, die Kosten für die Infrastruktur steigen, dann ist doch einfach nicht zu leugnen, daß dieser Verteidigungsetat wiederum einen faktischen Rückgang unserer Verteidigungsanstrengungen bedeutet.
— Herr Bundesfinanzminister, es wäre gut, wenn Sie sich angewöhnen könnten, Argumente durch Argumente zu widerlegen, nicht durch Bemerkungen, deren Gehalt doch leicht ins Gebiet des Zynischen abgleitet.
Ein bißchen mehr wollten wir dazu gerne von Ihnen hören. Es ist doch die Frage, ob diese Verteidigungsanstrengungen ausreichen, erstens einmal in den Augen unserer Bündnispartner, ob sie ausreichen, um Ihre eigenen Ankündigungen, daß die europäische Verteidigung verstärkt werden müsse, zu verwirklichen, und ob sie dem entsprechen, was sicherheitspolitisch notwendig ist. Wir werden den Verteidigungsetat in den Einzelberatungen daran und nur daran messen.Nun sind Verteidigung und Sicherheit nicht nur eine Frage von Zahlen, von Geld und von Summen, so wichtig diese auch sind. Die Sicherheit und die Verteidigung hängen ganz entscheidend von der Einbettung der Bundeswehr in die Gesellschaft und damit von dem Vertrauen ab, das die Bürger dieses Staates der Bundeswehr und unseren Verteidigungsanstrengungen entgegenbringen.Bei dem Aufbau der Bundeswehr wurde sehr viel Mühe darauf verwandt, die Bundeswehr nahtlos in das demokratische Staatsgefüge der Bundesrepublik Deutschland einzufügen. Es wurde sehr viel Mühe darauf verwandt von Kollegen aus allen Fraktionen, die politisch-parlamentarische Kontrolle über die Bundeswehr sicherzustellen. Wir haben hier in der Bundesrepublik Deutschland eine Einrichtung geschaffen — den Wehrbeauftragten —, die eigens zu diesem Zweck besteht. Ich sage ausdrücklich: daran hatten Männer wie Adenauer, wie Heuss, wie unser verehrter Kollege Jaeger, wie Blank, aber auch Männer wie — etwa von Ihrer Seite — Ihr verstorbener Kollege Erler entscheidenden Anteil. Ich würde jedem, der sich im Augenblick kritisch äußert, einmal dringend empfehlen, die Protokolle aus jenen Jahren nachzulesen.An kritischer Wachsmakeit gegenüber dieser Armee hat es in der Bundesrepublik Deutschland bis heute nicht gefehlt. Dieser Armee ist eher zuviel als zuwenig Mißtrauen mit auf den Weg gegeben worden. Wer erinnert sich nicht an die Situation, vor der die ersten Soldaten standen, als sie das erntemal mit ihren Uniformen in der Öffentlichkeit waren! Wenn es gelungen ist, diesen Wall des Mißtrauens, den nicht die Bundeswehr und die Soldaten zu errichten drohten, sondern der eher von der Gesellschaft aufgebaut war, abzubauen, dann ist das — lassen Sie mich das gerade im Blick auf Angriffe in der jüngsten Zeit sagen — das Verdienst der Soldaten, die unter schwierigen Bedingungen als Demokraten und als loyale Staatsbürger bewiesen haben, daß sie den Dienst in unseren Streitkräften als Dienst an dieser unserer Demokratie verstehen.
Unsere Bundeswehr hat niemals — wer sie kennt, der weiß das — die Tendenz, auch nur die Tendenz zum Staat im Staate entwickelt.In der Bundeswehr und vor allen Dingen auch in jener Schnez-Studie, auf die ich gleich noch zu sprechen komme, ist eines von Anfang bis zum Schluß unumstritten geblieben, nämlich das Prinzip politischer Kontrolle unserer Armee. Und wenn in den letzten Jahren aus der extrem linken Ecke zunehmend versucht wird, ohne jeden konkreten Beweis, ohne jeden Anhaltspunkt Mißtrauen gegen diese Armee in diese Gesellschaft zu tragen, dann doch nicht aus Sorge um diesen demokratischen Staat, sondern im Gegenteil, um eine der Säulen dieses demokratischen Staates zu untergraben und, wenn es geht, auch zu beseitigen. Das gehört doch zur Strategie anti- und außerdemokratischer Kräfte, und es wäre Aufgabe aller demokratischen Parteien, gerade auch in diesem Parlament dieser Strategie mit der gebotenen Klarheit entgegenzutreten und solche Angriffe auf die Bundeswehr und damit auf unseren Staat zurückzuweisen. Aber was erleben wir statt dessen? Auch in der SPD als Regierungspartei wird die Bundeswehr — darüber gibt es keinen Zweifel — zunehmend in Frage gestellt, setzt die Taktik der Verdächtigungen und Verleumdungen ein.Einen gewissen Höhepunkt hat diese Anti-Bundeswehr-Kampagne in Ihrer Partei mit jener Rede ihres ehemaligen Vorsitzenden der Jungsozialisten, Voigt, erreicht, der eben doch einen Zusammenhang zwischen den Vorgängen in Chile und der Bundeswehr herzustellen versuchte. Nun hat der Bundesverteidigungsminister Leber getan, was er tun mußte: er wies diesen Angriff in der gebotenen Deutlichkeit zurück. Aber was passiert? Anstatt von Ihnen, von der Fraktion der SPD, ,darin Unterstützung zu erhalten, wird er wieder einmal aus Ihren Reihen massiv kritisiert, und zwar diesmal von einem Bundestagsabgeordneten, zudem noch von einem Mitglied des Verteidigungsausschusses.
Dieses Mitglied des Verteidigungsausschusses bringt erneut — und das ist das Ungeheuerliche an diesem Vorgang — die Bundeswehr in Zusammenhang mit den Vorgängen in Chile. Er verdächtigt ehemals führende Offiziere dieser Armee, in Gedanken mit Verfassungsbruch gespielt zu haben. Er diffamiert pauschal den Geist der mittleren Offiziersgeneration.
- Es wäre besser gewesen, Sie regten sich nicht jetzt auf, sondern Sie hätten sich aufgeregt, als dieser Artikel erschienen war.
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3618 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973
Dr. WörnerDas Ungeheuerlichste an dieser Behauptung: Der Kollege Horn stellt die Behauptung auf, in der Bundeswehr gebe es viele Menschen, die zweifellos ein gebrochenes Verhältnis zur Demokratie und zu unserer Verfassung hätten.
— Nichts Neues? Ich höre das sehr gern noch einmal als Bekräftigung dessen, was hier gesagt wurde.
Wenn der Kollege Horn sich damit begnügt hätte — was er auch getan hat —, der CDU/CSU und ihrem Vorsitzenden Staatsstreichabsichten oder gar die geistige Vorbereitung des Staatsstreichs vorzuwerfen, dann hätten wir das, je nach dem, wie wohlwollend man das sieht, unter der Rubrik ,,Unanständiges" oder „ungewollt Komisches" abgelegt. Das verdient eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Sicherheit nicht. Aber was ist das Alarmierende?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Friedrich?
Halten Sie das demokratische Verständnis der CSU für intakt, wenn in der Zeitung, deren Herausgeber der CSU-Vorsitzende ist, der Putsch in Chile gerechtfertigt wird und wenn der einzige Partner in Europa die faschistische Partei Italiens ist?
Herr Kollege, ich nehme dankbar zur Kenntnis, daß Sie wiederum Ihren alten Versuch fortsetzen, eine unbestreitbar demokratische Partei in die rechtsradikale Ecke zu drängen. Aber eines kann ich Ihnen sagen: Die CSU hat in ihrer Geschichte und bis zum heutigen Zeitpunkt nachgewiesen, daß sie diesen demokratischen Staat nicht nur mit aufgebaut hat, sondern daß sie ihn bis zum heutigen Zeitpunkt auch mit dem Grundrecht schützt, daß andere diesen Staat in Zweifel ziehen und attackieren können.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Wenn das auf die Redezeit nicht angerechnet wird, gern, Herr Präsident.
Abgesehen davon, Herr Kollege, darf ich Sie fragen, ob das, was z. B. am Schluß einer im parteioffiziellen CDU-Organ stehenden Wertung von Chile steht, eine Warnung an den Bundeskanzler Brandt ist, der in eine Beziehung zu Allende gebracht ist? Das gibt Grund zum Nachdenken, oder meinen Sie nicht?
Herr Kollege Wehner, darauf gibt es nur eine klare Antwort: Ich würde Sie dringend bitten, die Erklärung des Präsidiums der CDU zur Kenntnis zu nehmen.
Ich möchte Sie dringend bitten, das, was sonst zu diesem Staatsstreich gesagt wurde, nachzulesen, und Sie werden feststellen, daß niemand versucht hat, zu rechtfertigen, und daß niemand versucht hat, einen Zusammenhang zu Brandt herzustellen. Im übrigen können Sie damit nicht von dem ablenken, was hier der Gegenstand der Debatte ist, daß nämlich ein Mitglied Ihrer Fraktion versucht hat, zwischen der Bundeswehr und Chile Zusammenhänge herzustellen.
Es ist doch klar ersichtlich, was hier die Taktik ist.
Aber auf diese Taktik werden wir nicht hereinfallen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Horn?
Herr Kollege Horn, ich bin gern bereit, mich mit Ihnen auseinanderzusetzen,aber jetzt ist doch offenkundig, was Sie versuchen; da Ihnen diese ganze Geschichte unangenehm geworden ist, versuchen Sie, mich daran zu hindern, das im Zusammenhang darzustellen.
Ich sprach davon, daß dieser Vorgang aus zwei Gründen alarmierend ist. Aus dem einen Grund nämlich, weil damit wieder einmal sichtbar wird, wie stark die Isolierung von Bundesverteidigungsminister Leber in seiner Partei, in seiner Fraktion, ja sogar schon im Verteidigungsausschuß geworden ist. Man hat doch langsam den Eindruck — lassen Sie es mich einmal so sagen —, daß der Angriff auf cien Herrn Leber als eine Art Eintrittskarte in den Klub der Linken der SPD gilt
und daß er als Zielscheibe freigegeben wird; denn anders ist es doch nicht erklärbar, daß der Herr Bundeskanzler bis zum heutigen Tag dazu kein klares Wort gesagt hat. Es wird Zeit, daß er sich hier dazu äußert.
Zum zweiten ist der Vorgang deswegen alarmierend, weil zum erstenmal in der Nachkriegszeit ein Mitglied des Verteidigungsausschusses — und nicht irgendwer, ich wiederhole das — die Verfassungstreue der Bundeswehr in Zweifel zieht. Meine Damen und Herren, dies kann man weder verniedlichen noch herabspielen noch aus der Welt reden. Man muß sich einmal vorstellen, mit welcher Freude und welchem Genuß das drüben in den Warschauer Pakt-Staaten aufgenommen wird. Man muß sich einmal vorstellen, wie uns die Auseinanderset-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973 3619
Dr. Wörnerzung mit extremen Kräften, die sich ja jetzt auf eine offizielle Äußerung eines Verteidigungsausschußmitglieds berufen können ,erschwert wird. Wie sollen wir denn die Auseinandersetzung draußen führen, wenn solche Verdächtigungen aus den Reihen der SPD von einem Abgeordneten ausgesprochen werden!
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Herr Präsident, ich habe bereits zum Ausdruck gebracht, und ich bitte dafür um Verständnis, daß ich den Rest meiner Rede ungestört zu Ende bringen will.
— Sie wird so lang sein, daß sie noch einige Punkte enthalten wird, die Ihnen ebensosehr unangenehm sind wie das, was Sie vorher von uns hören mußten.Ich möchte noch einmal eines klarstellen.
Die CDU/CSU-Fraktion erwartet zu diesem Vorgang, zu dieser Verdächtigung, zur Stellung des Bundesverteidigungsministers eine klare Aussage des Bundeskanzlers hier in diesem Plenum, aber nicht nur hier, sondern auch in und gegenüber seiner eigenen Partei. Wie oft, meine Damen und Herren, haben wir, habe ich an dieser Stelle darauf hingewiesen, was sich in Ihrer Partei tut, wie die Spaltung der SPD in Verteidigungsangelegenheiten sich fortsetzt, und wie oft ist mir entgegengehalten worden, wir dramatisierten. Man hat mir gesagt: Wir werden damit schon fertig werden. Aber geschehen ist nichts. Man hat die Dinge auch hier so treiben lassen wie anderswo.Die Folgen werden immer deutlicher sichtbar. Das Kesseltreiben gegen den Bundesverteidigungsminister in Ihren Reihen wird immer stärker. Die Kritiker der Bundeswehr — nicht ihre Anhänger, die es genauso gibt — bestimmen den Ton in Ihrer Partei, Herr Bundeskanzler. Da genügt es eben nicht, wenn Sie gelegentlich — so gut und richtig das ist — einen Truppenbesuch machen und dabei einige freundliche Worte für die Soldaten haben. Viel wichtiger wäre es, wenn Sie in Ihrer Partei endlich für Klarheit sorgten, was nun in Sachen Sicherheit, Verteidigung und Bundeswehr gilt und was nicht gilt.
Viel dringlicher wäre es, wenn Sie mit der Schizophrenie in Ihrer Partei Schluß machten, daß auf der einen Seite die Herren Voigt, Horn und ändere die Bundeswehr verunglimpfen und zur gleichen Zeit der Herr Leber und andere Kollegen aus Ihrer Fraktion versuchen, die Bundeswehr dagegen in Schutz zu nehmen. Das kann doch auf die Dauer nicht nebeneinander stehenbleiben.
Daher stelle ich für die CDU/CSU-Fraktion im Blick auf diese jüngsten Verdächtigungen fest:Erstens. Die Bundeswehr ist eine unbestreitbar demokratische Armee. An ihrer demokratischen Zuverlässigkeit. gibt es für uns keinen Zweifel.
Zweitens. Die Soldaten der Bundeswehr haben ihre Verfassungstreue von der Stunde des Anfangs bis heute durch die Tat unter Beweis gestellt, und sie haben mit Ihrem Dienst unsere Demokratie geschützt, während manche — ich sage nicht, alle — ihrer Kritiker diese Demokratie eben nicht meinen, wenn sie die Bundeswehr angreifen.
Darum weisen wir von der CDU/CSU-Fraktion in aller Klarheit und in aller Schärfe diese Angriffe zurück.Drittens. Dies gilt auch für die von Herrn Horn namentlich genannten Offiziere. Ich nenne stellvertretend Herrn General a. D. Schnez.
Zunächst einmal verwahren wir uns, Herr Horn, gegen den Ausdruck „seine Kamarilla" ;
denn dazu müßten Sie beispielsweise einen so integeren und tüchtigen Mann wie den General Hildebrandt rechnen, der von Ihrem Verteidigungsminister zum Inspekteur des Heeres ernannt wurde.
Sicher, Herr Horn, kann man über die eine oder andere Formulierung in der Denkschrift des Herrn Schnez streiten. Manches davon halte ich für falsch, manches für richtig; manches halte ich für unglücklich formuliert. Aber nirgendwo in dieser Denkschrift und nirgendwo in der Bundeswehr ist gefordert worden, diesen Staat und diese Gesellschaft einseitig, wie Sie es behaupten, militärischen Kategorien unterzuordnen. Abgesehen davon — auch das muß einmal klargestellt werden; denn was hier unternommen wird, ist doch der vorweggenommene Versuch der Geschichtsklitterung; man versucht, die Geschichte der Bundeswehr umzuschreiben —
hatte Herr General Schnez — der damalige Verteidigungsminister Schmidt wird das gerne bestätigen — den ausdrücklichen Auftrag der politischen Führung, ohne Rücksicht auf die bestehende Rechtslage
die Wünsche und Anregungen der Soldaten zusammenzutragen. Lassen Sie mich dazu abschließend sagen: Auch für General Schnez und die anderen genannten Offiziere gilt: ihre Verfassungstreue steht für uns von der CDU/CSU außer jedem Zweifel.
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3620 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973
Dr. WörnerUnd um einmal zu zeigen, wie makaber das ist, was Sie hier unternommen haben, lese ich Ihnen einmal das vor, was der damalige Verteidigungsminister Schmidt zum Abschied von General Schnez gesagt hat, nachdem er die Tätigkeit von Schnez gewürdigt hatte:
Beides hat zu dem Bild Ihrer Person ganz wesentlich beigetragen, das sich mir mitgeteilt hat: das Bild eines Mannes, dem ich meinen persönlichen Respekt heute ganz öffentlich bekunden möchte. Bundespräsident Dr. Heinemann hat Sie vor einigen Tagen mit dem Großen Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens unseres Staates ausgezeichnet.
Ich möchte diese Anerkennung
— so sagt Schmidt —ganz wörtlich wiederholen und unterstreichen. Sie haben sich um Heer und Bundeswehr ver-client gemacht. Ich danke Ihnen für den Dienst, den Sie der Bundesrepublik geleistet haben.
Nicht lange danach wagt es ein Mitglied dieser Fraktion in einer, wie wir sagen, unverschämten Form, nicht nur das Andenken an diesen General, sondern auch sein Wirken und seine Verfassungstreue in Zweifel zu ziehen. Das ist ein so ungeheuerlicher Vorgang, daß dazu nicht nur der Bundesverteidigungsminister, sondern auch der Bundeskanzler Stellung nehmen muß.
Eine vierte und letzte Bemerkung. Ich muß der Behauptung von Herrn Kollegen Horn — auch das muß hier klargestellt werden, weil es das ganze Parlament trifft, also auch Sie, wenn Sie es nachgelesen haben ganz entschieden widersprechen, jede parlamentarische Kontrolle hätte bei schwerwiegenden Vorfällen, die sich in den letzten Jahren ereignet hätten, ausgesetzt — so wörtlich. Der Kollege Horn nennt dafür kein Beispiel. Ich kann Ihnen nur empfehlen, Herr Kollege Horn: Lesen Sie die Protokolle des Verteidigungsausschusses! Lesen Sie die Protokolle des Haushaltsausschusses! Lesen Sie die Protokolle des Plenums und die Berichte des Wehrbeauftragten! Dann werden Sie feststellen: Dieses Parlament hat seine Kontrollaufgabe der Bundeswehr gegenüber zu allen Zeiten, auch zu den Zeiten, als Sie in der Opposition waren, ernst genommen.Ich komme zum Schluß. Die Bundeswehr — ich wiederhole das noch einmal unterliegt zu Recht der genauen und sorgfältigen Kontrolle dieses Parlaments und anderer politischer und Verfassungsorgane. Niemand will die Bundeswehr generell oder im einzelnen von der Kritik und Kontrolle ausnehmen. Aber die inzwischen 17jährige Geschichte dieser Bundeswehr berechtigt nach unserer Auffassung zu der Feststellung: Diese Bundeswehr verdient das Vertrauen der Burger, des Parlaments und der politischen Führung.
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung, Herr Leber!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin nicht auf eine Rede vorbereitet. Wenn ich es richtig sehe, ist auch nicht eingeplant, daß der Verteidigungsminister heute eine längere Rede zu Fragen der Verteidigungspolitik hält. Ich bin allerdings durch die Ausführungen des Herrn Kollegen Wörner veranlaßt worden, einige Anmerkungen dazu zu machen.Herr Dr. Wörner hat seine große Besorgnis um meine Person zum Ausdruck gebracht. Das ist ja nicht neu. Es ist seit 25 Jahren, seit ich politisch tätig bin, so, daß ich auch umstritten bin. Ich halte es gar nicht für schlecht, daß über politische Ansichten auch gestritten wird.
Ich kann Sie beruhigen, Herr Kollege Wörner. Wenn Sie meine Position in meiner eigenen Fraktion in Frage stellen, so kann ich Ihnen nur sagen: sie ist so gut, wie sie selten gewesen ist, denn ich habe bisher alles geschafft, was ich in der Fraktion zu schaffen hatte.
Wenn Sie mich für isoliert halten, so muß ich Ihnen sagen: So wichtig Isolierband bei bestimmten Gelegenheiten auch ist, in meiner Fraktion gibt es Isolierschichten nicht.
Sie müßten mir einen Punkt nennen, der auch nur andeutungsweise und synonym ausdrücken würde, daß ich von meiner Fraktion isoliert wäre. Ich habe einmal versucht, in Ihrer Seele zu forschen. Solche Ansichten wie die Ihre werden ja nicht nur hier zum Ausdruck gebracht, sondern ich lese sie auch in gewissen Zeitungen. Ich komme nur zu dem einen Schluß: Die Verteidigungspolitik, die diese Bundesregierung macht, ist so gut, daß Sie es der SPD nicht gönnen, daß sie diese Politik auf ihre Fahnen schreiben kann.
Ich kann ja verstehen, daß Sie meiner Partei diesen Erfolg nicht gönnen. Deshalb versuchen Sie, den Erfolg mir allein zuzuschreiben; und versuchen, die SPD von mir und meiner Politik zu isolieren, weil im Lande ja anerkannt ist, daß die nicht schlecht ist.
Dies halte ich für legitim, meine Damen und Herren.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973 3621
Bundesminister Leber— Herr Kollege, ich bitte Sie; ich habe drüben den Staatspräsidenten von Obervolta sitzen.
Ich möchte bitten, daß sie das verstehen.
Gestatten Sie dennoch eine kurze Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?
Ich wollte Sie nur fragen, Herr Minister, wie 'das in Ihrer Fraktionssitzung nach Ihrer letzten Rede war. Vielleicht können Sie uns darüber etwas sagen.
Das war eine Sitzung, die der allgemeinen Auseinandersetzung über diese Fragen gedient hat. Die Sitzung ist zustande gekommen, weil ich unter dem Zeitdruck des Parlaments nicht alles sagen konnte, was ich in dieser Rede zu sagen vor hatte.
— Das wissen Sie doch! Das war abends um halb 9, meine Herren.
Deswegen habe ich in meiner Fraktion aus der Rede das nachgetragen, was ich dem Hohen Hause vorenthalten mußte.Im übrigen müßte ich ja eigentlich gar nicht böse sein, wenn Sie mich so sehr in Ihre Fürsorge einschließen, meine Herren. Ich will Ihnen sagen: In der Tat halte ich das für gut. Ich sage Ihnen allen Ernstes, daß es gut ist, daß der Verteidigungshaushalt nicht zuallervorderst im Spannungsverhältnis der Fraktionen des Parlaments steht. Das halte ich für gut. Wenn Sie mich in Ihre Fürsorge nehmen, so muß ich Ihnen im übrigen sagen: So schwach bin ich nicht und meine Spannweite ist auch nicht so eng, daß ich nicht verkraften könnte, was ein Verteidigungsminister immer zu verkraften hat, ganz gleich, woher er auch kommt.Erlauben Sie mir ein paar Feststellungen. Ich stimme mit dem, was hier gesagt worden ist, soweit die verteidigungspolitischen Erfordernisse in Betracht kommen, im wesentlichen überein. Es ist auch gut, daß es um die Sicherheit unseres Staates keine großen und ätzenden Kontroversen geben muß.Erstens müssen wir den Versuch machen, unseren Frieden zu sichern und weiter zu festigen. Das erreichen wir in optimalem Maße, wenn wir neben die militärische Vorsorge, die sich am Ausmaß der militärischen Bedrohung orientiert, ebenbürtig den nachhaltigen und ernsten Versuch zur Verminderung der Spannung und der Konfrontation setzen. Das ist das, was sich die Regierung vornimmt.
Wir stellen uns nicht von einem Bein auf das andere, sondern versuchen, dem einen Bein, auf 'das allein der Frieden über 15 Jahre gegründet war, ein zweites Bein, nämlich die Entspannung und die Verminderung der Konfrontation, zuzufügen.
Zweitens. Wir wissen, daß wir uns nicht übernehmen dürfen und daß auf lange Sicht die Anwesenheit der Vereinigten Staaten in Europa nicht nur der Sicherheit unseres Landes wegen, sondern der freiheitlichen Lebensart ganz Westeuropas wegen erforderlich bleibt. Daran darf auch nicht gerüttelt werden.
Drittens. Unsere Bundeswehr erfüllt ihre Aufgabe und leistet ihren vollen Beitrag im Bündnis so, wie wir ihn selbst für angemessen halten müssen. Unsere Bundeswehr zählt zu den guten Armeen in der Welt und hat im Osten wie im Westen eine gute Reputation. Daran sollte hier niemand rütteln, meine Damen und Herren.
— Sie haben doch gesehen, daß meine Fraktion eben sehr unterstrichen hat, was ich hier gesagt habe, Herr Kollege Wörner. Wieso zweifeln Sie eigentlich daran?Wenn wir nach Europa sehen — ich erlaube mir, das hier zu sagen —, dann müssen wir ein wenig besorgter um die Sicherung Westeuropas sein und um das, was jedes Land in den letzten Jahren dazu aufgewendet hat, als wenn wir in unser eigenes Land sehen. Wir dürfen das, was wir hier tun, nicht vor uns selbst verkleinern und verniedlichen. Wir wissen um das Kräfteverhältnis in der Welt. Die erste Aufgabe, die wir haben, ist, wachsam zu bleiben; Wachsamkeit bleibt der Preis der Freiheit.
Wir haben keine Angst. Unser Land und die Menschen in diesem Land brauchen keine Angst und keine Sorge um den Frieden zu haben. Diese Regierung tut, was nötig ist, um ihren Frieden zu sichern.
Ich möchte allerdings auch davor warnen — ich sage das ganz wertfrei —, der Bevölkerung aus welchen Gründen auch immer Angst einzuflößen und in ihr Furcht auszulösen. Wer ein Geschäft mit der Angst und der Furcht der Bevölkerung macht, leistet der Sicherheit unseres Landes keinen guten Dienst, meine Damen und Herren.
Die Bundesregierung wird in dieser Sorge und in dem, was nötig ist, keine Fragen offenlassen, die beantwortet werden müssen. Ich kann Ihnen hier sagen: Bei allem, was ich als Bundesminister der Verteidigung zu tun habe, kann ich mich zuerst und in vollem Umfange auf die Zustimmung, die Hilfe und Unterstützung des Bundeskanzlers berufen. Ich bin in keinem Falle ohne seine persönliche Unterstützung gewesen.
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3622 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973
Bundesminister LeberEin paar Bemerkungen zum Haushalt. Wir reden über den Haushalt 1974. Ich hatte heute während der Debatte den Eindruck, wir redeten noch über den Haushalt 1973. Den Haushalt hat diese Bundesregierung vorgelegt. Ich möchte, wenn ich ihn einschätze, sagen: Er berechtigt sicher nicht dazu, übermütig zu werden. Aber ich kann auch aus Überzeugung dazu sagen: Die Mittel, die er zur Verfügung stellt, reichen aus — ich würde das nicht sagen, wenn das nicht so wäre —, um alle wichtigen Aufgaben, die der Sicherheit unseres Landes wegen geboten sind, angemessen zu erfüllen.Es gibt keine Armee in der Welt, die soviel bekommt, wie sie eigentlich möchte. Auch die Bundeswehr ist eine dieser Armeen in der Welt; sie bekommt auch nicht soviel, wie sie eigentlich haben müßte und gerne haben möchte.
— Wie sie eigentlich haben müßte und möchte. Ja, das stimmt. Das gilt für jede Armee in der Welt, wenn sie sich ausrechnet, was eigentlich notwendig wäre. Das gilt ja nicht nur für die Verteidigung. Nennen Sie mir doch einmal einen Haushalt, wo der betreffende Minister soviel bekommt, wie er eigentlich möchte und müßte! Das gibt es doch im ganzen Bundeshaushalt nicht.
— Ich gönne dem Kollegen Maihofer noch ein bißchen mehr, als er hat. Dadurch wird die Bundesrepublik noch nicht arm!
Sie haben den Anteil des Verteidigungshaushalts am Sozialprodukt kritisiert. Herr Kollege Wörner. Der Anteil des Sozialproduktes, den der Verteidigungshaushalt bekommt, ist nicht geringer geworden, sondern ist leicht gestiegen. Der Einzelplan 14 orientiert sich exakt am Anteil des Sozialproduktes, so wie es für die Haushaltspolitik geschätzt worden ist.
Dieser Anhaltspunkt ist es gerade, mit dem wir nicht nur hier, sondern in Europa und vor allen verbündeten Völkern in der nordatlantischen Gemeinschaft gut bestehen können. Ich wollte, jeder Haushalt im Bündnis wäre so veranschlagt für 1974, daß er sich konkret am Wachstum des Sozialproduktes orientiert. Dann brauchte ich einige Sorgen nicht zu haben.
Das zweite: Der Verteidigungshaushalt folge nicht dem vollen Wachstum des Haushaltes. Haben Sie eigentlich einmal darüber nachgedacht, daß er, wenn er dem folgte, proportional stärker wüchse? Der Gesamt-Rahmen des Haushaltes wird von Jahr zu Jahr größer. Es werden neue Einnahmen für neue Aufgaben geschaffen. Wieso muß der Verteidigungshaushalt eigentlich, wenn eine höhere Mineralölsteuer beschlossen wird und damit die Einnahmeseite vergrößert wird — das Hundert wird mehr, als das früher der Fall war —, prozentual gleich mitsteigen? Er kann zurückbleiben, wenn der Bundeshaushalt ausgeweitet wird, ohne daß die Verteidigungsaufgaben dadurch vernachlässigt werden.
Wer das anders darstellt, streut cien Menschen Sand in die Augen. Für Verteidigung wird nicht weniger aufgewandt, sondern, gemessen an dem Bisherigen, soviel wie vorher auch. Dabei ist das Wachstum voll einbezogen.Das Dritte: Ich bin für Offenheit. Die hat es bis jetzt nicht gegeben. Ich bin dankbar, daß der Finanzminister mit mir völlig einer Meinung gewesen ist —das haben wir zusammen gemacht —, endlich einmal das Unter-der-Tischdecke-für-Verteidigungszwecke-Ausgaben beiseite zu tun.
Ich bin nicht nur dafür, daß wir genug für unsere Sicherheit tun, sondern auch dafür, daß wir den Mut haben, das der Bevölkerung zu sagen und nicht aus sieben Schachteln zusammenzutragen.
Deshalb gibt es künftig aus dem Einzelplan 60 des Finanzministers keine investiven Ausgaben mehr, sondern alles wird im Einzelplan 14 ausgewiesen.
-- Ich bin ja froh, wenn ich mit Ihnen einig bin, Herr Kollege Haase. Aber früher war das immer so. — Wir haben die Pensionen der Soldaten, die eine Aufblähung des Verteidigungshaushaltes dargestellt haben, herausgenommen und sie dorthin getan, wo die Pensionen aller, die im öffentlichen Dienst tätig sind, auch hingehören, nämlich in Einzelplan 33. Damit ist Haushaltsklarheit geschaffen.Wenn Sie von der Steigerungsrate reden: Die Personalkosten sind in den 6,7 °o nicht enthalten, sondern die kommen noch dazu. Die sind der Höhe nach nicht fixiert. Wenn das feststeht, wollen wir einmal sehen, um wieviel der Verteidigungshaushalt eigentlich gestiegen ist. Alles andere sind Hypothesen und Prognosen, auf die ich mich jetzt nicht einlassen möchte.Meine Damen und Herren, ich möchte hier in die Auseinandersetzungen, die um gewisse Erklärungen in der Presse entstanden sind, nicht eingreifen.
Es ist nicht meine Aufgabe als Minister, mich hier im Bundestag in eine Pressedebatte einzuschalten.
Das werde ich nicht tun. Das ist Ihre Sache. Wenn Sie einmal Minister sind, Herr Kollege Wörner, können Sie das ja tun. Ich halte es jedenfalls nicht für einen guten Stil, daß sich ein Minister vom Katheder des Parlaments in solchen Dingen mit einem Abgeordneten seiner Fraktion auseinandersetzt. Ich jeden-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973 3623
Bundesminister Leberfalls tue dies nicht. Das geschieht dort, wo es hingehört.
Was hier dazu zu sagen habe, sage ich Ihnen jetzt, meine Damen und Herren.
— Verehrter Herr Kollege, seien Sie doch nicht so ungeduldig! Was ich zu sagen habe, sage ich jetzt. Hören Sie nur einmal zu!
- Hier, ja. Sie können das hören.Ich habe eben gesagt, die Bundeswehr zählt zu den guten Armeen in der Welt, und sie hat im Osten wie im Westen einen hervorragenden Ruf und eine gute Reputation. Dies ist das erste, was ich zu sagen habe. Dafür bin ich dankbar.Ich möchte deshalb folgendes hinzufügen: Unsere Bundeswehr bemüht sich nach dem Auftrag, der ihr gegeben worden ist, junge Menschen nicht nur für den Dienst in den Streitkräften auszubilden, sondern auch ihren Teil dazu beizutragen, staatsbürgerliche Erkenntnisse bei jungen Bürgern reifen zu lassen. Sie bemüht sich, die jungen Bürger mit dem Inhalt und dem Wesensgehalt der Verfassung vertraut zu machen und Staatsbürger heranbilden zu helfen, wie ihr das vom Gesetz mit aufgegeben ist. Sie hilft den jungen Menschen, gute Staatsbürger im Sinne unserer Verfassung zu werden.
Dies ist ihre Aufgabe. Diese Aufgabe erfüllt die Bundeswehr unter anderem; daran gibt es überhaupt keinen Zweifel.Ich habe hinzufügen: Unsere Bundeswehr steht zu unserer Verfassung. Jeder Offizier hat auf diese Verfassung seinen Eid geleistet. Ich sage das hier von der Bundeswehr, auch wenn ich weiß, daß diese Bundeswehr eine große Gemeinschaft von 500 000 Menschen darstellt, in der es an der Peripherie auch einige Soldaten gibt, deren politische Überzeugung mit unserer Verfassung in Einklang zu bringen mir schwerfällt, meine Damen und Herren.
Dies sage ich auch, aber ich stelle mich hier bewußt und aus Überzeugung vor 99,9 % unserer Soldaten. Sie stehen zur Verfassung.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wörner?
Wenn ich beispielsweise höre, daß ein NPD-Mann oder jemand, den ich zu den Kommunisten zählen würde die gibt es auch in der Bundeswehr —, die Bundeswehr setzt sich aus allen Schichten unserer Gesellschaft zusammen —, wenn ich höre, daß ein solcher Offizier auf einer Parteiveranstaltung erklärt, die Parteien, die gegenwärtig im Deutschen Bundestag sind, ruinierten den Staat — damit sind Sie auch gemeint! —, dann habe ich Bedenken, ob der noch dazuzuzählen ist, meine Damen und Herren.
Ich habe ein zweites zu sagen, und dies sage ich hier nicht polemisch. Ich wäre dankbar, wenn damit nicht politisch Unfug getrieben würde.
— Darüber müssen wir einmal eigens reden, nicht in
einer so kurzen öffentlichen Intervention. Das gehört dann in einen Ausschuß. Man darf nur diese Ausnahmefälle nicht mit der deutschen Bundeswehr identifizieren, wie ich mich auch dagegen wehre, daß die deutsche Bundeswehr in einen anderen Zusammenhang gebracht wird. Sie steht zu dieser Verfassung und zu diesem Staat.
— Das ist etwas komplizierter, als sich hier ausdrücken läßt.
Lassen Sie mich schließen mit einer Bemerkung. Ich habe 1949 als junger Gewerkschaftler am Bundeskongreß zur Gründung des DGB teilgenommen. Ich war dort innerlich bewegt, als ich hörte, wie Hans Böckler sagte: „Wenn dieser demokratische Staat, so wie wir ihn meinen, jemals in Gefahr geraten sollte, dann werden wir auf die Barrikaden gehen." Ich bin nicht der Überzeugung und habe nirgendwo den Eindruck, daß dieser Staat in Gefahr ist und daß eine solche Gefahr irgendwo erkennbar ist.
Und dies sage ich hier aus voller Überzeugung dazu: Wenn es jemals so weit käme, wie ich es heute nirgendwo sehe, daß es in diesem Staat einmal Kräfte gäbe, gegen die Demokraten auf die Barrikaden gehen müßten, dann — da bin ich ganz sicher, und dies sage ich sehr froh — würden die Gewerkschaften auf der anderen Seite der Barrikaden dann nicht die Bundeswehr antreffen. Dies ist etwas ganz Wichtiges.
Meine Damen und Herren, bevor wir in der Aussprache fortfahren, möchte ich den Herrn Staatspräsidenten von Obervolta, Staatspräsident Lamizana, der auf der Diplomatentribühne Platz genommen hat, herzlich begrüßen und ihm für sein Land und die Länder, die er
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3624 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973
Vizepräsident von Hasselgegenwärtig in den Verhandlungen in Deutschland vertritt — Länder südlich der Sahara, die geplagt sind von schwerer Hungersnot —, namens des Bundestages alles Gute wünschen.
Wir fahren fort. Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren, ich habe nur zu einem Punkt zu sprechen. Herr Kollege Wörner hat aus einer Rede zitiert, die ich aus Anlaß der Verabschiedung des damaligen Inspekteurs des Heeres gehalten habe. Ich stehe zu dieser Rede. Dieser Mann, Herr Kollege Wörner, hat nach meiner Überzeugung nach bestem Wissen und mit ganzem Willen der Bundesrepublik gedient.Was aber nun den mit seinem Namen verbundenen seinerzeitigen Streit und die mit seinem Namen verbundene seinerzeitigen Studien angeht, von denen Sie auch geredet haben, so möchte ich Sie bitten, bei der geschichtlichen Wahrheit zu bleiben. Der Auftraggeber dieser Studien war nicht ich, wie Sie gesagt haben, sondern lange vor mir der damalige Minister der Verteidigung Dr. Gerhard Schröder. Die Studien waren abgeliefert, längst ehe ich ins Amt kam. Sie lagen in den Akten und waren von der vormaligen Leitung des Hauses auch mit entsprechenden Randvermerken versehen worden, Randvermerken, aus denen zu ersehen war, daß die vormalige Leitung des Hauses auf den Gang dieser Studien Einfluß genommen hatte und mit dem Inhalt sehr zufrieden war.
Eine dieser mehreren Studien ist durch eine Indiskretion, deren Quelle ich nicht weiß, zum öffentlichen Abdruck gelangt. Das machte es notwendig, daß ich als damaliger Verteidigungsminister mich öffentlich dazu äußerte. Ich habe dazu öffentlich gesagt — den Text habe ich mir soeben noch einmal beschafft, nachdem Sie davon geredet haben; ich zitiere den Kernsatz meiner öffentlichen Einlassung —, diese Studie sei diskussionswürdig, aber sie sei auch diskussionsbedürftig. Das war sie wirklich. Ich habe sie damals nicht auf dem Marktplatz, wohl aber in den Sitzungssälen des Verteidigungsministeriums stundenlang mit allen Spitzengenerälen des Heeres, im übrigen einschließlich des Generalinspekteurs, durchgesprochen und habe den Herren deutlich gemacht, wo ich ihre Ansicht verstünde, wo ich ihre Ansicht sogar respektierte und akzeptierte und wo ich ihre Ansicht nicht verstünde, wo ich ihre Ansicht nicht akzeptieren könnte. Alles dies hat vor drei Jahren schon einmal in diesem Hause eine Rolle gespielt. Ich darf Sie daran erinnern, daß ich damals diesem Hause vorgetragen habe, daß ich z. B. den Punkt — das ist nur einer, der mir wieder einfällt — nicht akzeptieren könne, wo in der Studie gefordert wurde, es müsse den Soldaten ein einheitliches Geschichtsbild vermittelt werden. Dies kann es nicht geben. Das war einer der Punkte, die undenkbar' sind.Ich bitte Sie also herzlich, sich an all das zu erinnern und mir nicht eine Mitverantwortung für den geistigen Gehalt, für den Auftrag oder für das Ergebnis dieser Studien anzudichten.Im übrigen sind diese Indiskretionen seinerzeit sicherlich erfolgt, um den damaligen, den ersten sozialdemokratischen Verteidigungsminister in eine Situation zu bringen, in der er sich vielleicht würde hinreißen lassen zu unüberlegten personalpolitischen Schritten. Das war der eigentliche Zweck der ganzen öffentlichen Debatte. Vielleicht hätte dies dann einen groß angelegten Konflikt auslösen können, der einigen Herren erwünscht erschienen sein mag.Ich darf in Erinnerung rufen, daß sich der damalige Bundeskanzler — es ist derselbe wie heute — und der damalige Verteidigungsminister darin einig waren, daß wir solchem Druck nicht nachgeben würden. Unabhängig davon hatte ich vor dem Zeitpunkt, zu dem mir diese Studien bekannt wurden, die, wie gesagt, schon in den Akten lagen, einen der führenden Herren aus dem Führungsstab des Heeres wissen lassen, daß ich sein Verbleiben in dieser Stelle nicht weiterhin wünschenswert finden könnte. Sein Rücktritt, der dann erfolgt ist, bevor mir die Studien bekannt wurden, hing im wesentlichen mit einem Vorgang an der Führungsakademie der Streitkräfte zusammen, mit einem Vorgang, bei dem der betreffende Herr weit über den Inhalt der Studie hinausgegangen war, im übrigen auch in Formulierungen, die nicht tolerierbar erschienen. Ich wäre dankbar, Herr Wörner, wenn Sie nicht so viele Jahre nach den Ereignissen eine Klitterung der Darstellung herbeiführen würden.
Im übrigen muß ich hier zur Klarstellung der Vorgänge um die Person des damaligen Inspekteurs des Heeres, der sich in diesem Hause nicht zu Wort melden kann, eines sagen. Es ist zweifellos so, daß die Studie, von der die Öffentlichkeit erfahren hat, seine Unterschrift trägt. Es ist andererseits ganz zweifellos so, daß er nur zum geringeren Teil der Beitragende gewesen ist. Es liegt mir am Herzen, das klarzustellen.Sodann möchte ich, was den Verteidigungshaushalt angeht, eine Bemerkung anschließen. Alles, was der Herr Kollege Leber hier dazu ausgeführt hat, stimmt mit den Vorstellungen überein, die auch den Finanzminister bestimmt haben, als wir beide uns über den diesjährigen Verteidigungshaushalt einig zu werden katten. Die Bemerkung des Herrn Kollegen Wörner, daß der gegenwärtige Verteidigungshaushalt, wie er für 1974 vorgeschlagen worden ist, eine reale Verringerung der Bundeswehr darstelle, ist abwegig und nicht belegbar; die Bundeswehr ist längst über das Aufbaustadium hinaus.
— Auf den Zwischenruf, Herr Althammer, darf ichantworten, daß es einigermaßen abwegig ist, Lebens-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973 3625
Bundesminister SchmidtStandardindizes mit Indizes z. B. für Beschaffungsaufwand zu vergleichen.
Aber das will ich hier im Augenblick nicht vertiefen. Ich sage noch einmal: Die Beweisführung hinsichtlich dieser höchst abwegigen und auch international abträglichen Bemerkung ist er schuldig geblieben.Im übrigen darf ich Sie daran erinnern, daß ich in der Haushaltseinbringungsrede von einigen Haushaltsrisiken gesprochen habe. Ich habe in diesem Zusammenhang die Offset-Verhandlungen erwähnt, sie aber ausdrücklich nicht beziffert; es ist klar, daß wir dafür Vorsorge getroffen haben. Aber Sie können sich ausrechnen, daß in jedem Maße — wenn es nur ein kleines, ein mittleres oder ein größeres Maß ist —, in dem sich etwa das Risiko aus den Offset-Verhandlungen realisiert, der Verteidigungshaushalt nur noch wachsen kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wörner. Es folgt ihm der Abgeordnete Würtz.
Dr. Wörner : Vielleicht haben Sie davon gehört, daß es in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages steht, daß der Herr Präsident die Möglichkeit hat, die Reihenfolge der Redner festzulegen, um in diesem Parlament Rede und Gegenrede möglich zu machen; das ist, meine Damen und Herren, eine sehr sinnvolle Bestimmung.
Denn wenn hier zwei Minister der Regierung zu einem bestimmten Punkt gesprochen haben, dann können Sie es dem Sprecher der Opposition zu diesem Bereich nicht verübeln, wenn er dazu noch einmal ganz knapp Stellung nimmt; und das will ich tun.
Zunächst, Herr Schmidt, möchte ich sagen, daß es in einem Punkt zwischen uns keine Meinungsverschiedenheiten gibt. Das haben wir Ihnen damals gesagt, und das möchte ich Ihnen heute wiederum, nachdem Sie es hier wieder zur Sprache gebracht haben, ausdrücklich bestätigen. Auch ich persönlich war und bin der Überzeugung, daß manche der Gedanken der Schnez-Studie diskussionsfähig und diskussionsbedürftig sind. Ich brachte ja zum Ausdruck, daß ich mich zwar nicht mit allem identifizieren würde, es allerdings Dinge in dieser Studie gebe, mit denen ich mich sehr wohl identifizieren würde; aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, daß ein Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion, daß ein Mitglied des Verteidigungsausschusses an diese Studie die ungeheuerliche Verdächtigung geknüpft hat, ein namentlich genannter General habe sich in Gedanken mit dem Verfassungsbruch getragen. Das ist ein ungeheuerlicher Vorwurf. Ich kann das leider dem Bundesverteidigungsminister nicht persönlich sagen, da er nicht mehr da ist. Es ist nicht nur eine gute und herkömmliche Übung im Beamtenrecht, auch die Loyalitätspflicht des Vorgesetzten gegenüber seinem Untergebenen wäre es, eine solche
Ehrverletzung in aller Form hier vor dem Plenum des Deutschen Bundestages zurückzuweisen.
Es gibt einfach keinen Grund dafür, warum sich der Bundesverteidigungsminister darum gedrückt hat, denn anders kann man das nicht bezeichnen, was hier geschehen ist.
Ich wiederhole noch einmal, Herr Bundeskanzler, es ist auch nicht damit getan, und es wäre auch nicht damit getan, daß der Verteidigungsminister dazu allein eine Erklärung abgibt. Sie sind der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Sie tragen die oberste Verantwortung auch für diese Armee. Wenn aus Ihren eigenen Reihen diese Armee mit Vorgängen in Chile in Zusammenhang gebracht wird und wenn namentlich genannte Offiziere des Verfassungsbruchs bezichtigt werden, wäre es Ihre Aufgabe, hier heraufzukommen und diese Dinge für sich und Ihre Regierung klarzustellen. Darauf bestehen wir!
Das Wort hat der Abgeordnete Würtz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihre Rede, Herr Kollege Dr. Wörner, reiht sich nach meiner Auffassung nahtlos in das Krisengerede der Opposition früherer Jahre, besser der Zeit seit 1969, seitdem Sie die Verantwortung für das Verteidigungsressort verloren haben, ein. Wir kennen diese Litanei, das brauche ich nicht besonders zu betonen. Lesen Sie einmal die Reden nach, die hier der Kollege Damm und der Kollege Wörner bei verschiedenen Anlässen gehalten haben.Mir kommt es aber darauf an, hier eine Vorbemerkung zu machen. Ich möchte zuerst Stellung nehmen zu den Angriffen auf meinen Freund Erwin Horn. Ich muß hier mit aller Deutlichkeit bekennen, daß ich Ihre aufgeregte Hektik nicht verstehe, Herr Kollege, die Sie und auch andere wegen dieses Vorgangs zeigen. Ich möchte Ihnen hier einmal ein Zitat aus meiner Lokalzeitung bringen — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —, die sagt:
Tatsächlich hatte der Abgeordnete ausdrücklich der Mehrheit der Soldaten bescheinigt, überzeugte Demokraten zu sein. Daß es immer wieder Gegenbeispiele gibt, leugnet im Ernst wohl niemand.
— Entschuldigen Sie, dieser Artikel ist erschienen in der Kreiszeitung der Grafschaft Hoya unter der Überschrift „Bundeswehr und Grundgesetz" von Herrn Wilfried Ferner. Dies nur zu Ihrer Information.Es ist aber auch wichtig, etwas aus dem Artikel von Herrn Kollegen Horn zu zitieren. Es trifft doch
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3626 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973
Würtznicht zu, daß Herr Horn die Bundeswehr pauschal diffamiert hätte. Er hat vielmehr auf den einen oder anderen Einzelfall angespielt. Ich zitiere mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten:Dem Wort des Bundeskanzlers: „Die Soldaten verdienen den Respekt und die Anerkennung unserer Gesellschaft" ist vorbehaltlos zuzustimmen. Dies kann und darf jedoch nicht vor eine ständigen kritischen Prüfung des geistig-politischen Standortes hindern.Herr Kollege Wörner, Sie haben vorhin auch einen Satz gebracht, der aus dem Zusammenhang gerissen war. Herr Kollege Horn hat gesagt:Wer die realsoziologische Wirklichkeit unserer Bundeswehr kennt, wird viele überzeugte Demokraten in der Bundeswehr kennenlernen, zugleich aber auch viele Menschen, die zweifellos ein gebrochenes Verhältnis zur Demokratie ... haben.
Herr Kollege Horn hat dies relativiert; man muß es aber so darstellen. Ihre Aufregung verstehe ich nicht, wenn Sie wissen — und das ist Ihnen bekannt — , daß Herr Horn ein Interview beim Parlamentarisch-Politischen Pressedienst gegeben hat. Dort ist gefragt worden:Es ist also festzuhalten, daß Sie nicht grundsätzlich und pauschal der Bundeswehr undemokratisches oder gar verfassungsfeindliches Verhalten unterstellen. Ist das richtig, Herr Horn?Herr Horn antwortet:Sehr richtig, diese Sachaussage trifft völlig zu. In der Bundeswehr finden sich viele Auffassungen und Meinungen, auch im politischen Bereich. Das muß man sehen und zur Kenntnis nehmen.
Es wird zwei Sätze weiter noch klarer:Man hört, daß Sie, Herr Horn, gewisse negativ zu beurteilende Einzelfälle aus dem Bundeswehralltag dem Verteidigungsausschuß des Bundestages zur kritischen Beurteilung vorlegen werden.
Der Fragesteller weiter:Kann man damit die abschließende Feststellung verbinden, daß es Ihnen natürlich ferngelegen hat, der Bundeswehr pauschal und insgesamt ein distanziertes Verhältnis zur Demokratie vorzuhalten?
Darauf Herr Horn:
Sie haben vollkommen recht. Im Verteidigungsausschuß des Bundestages müssen Probleme behandelt werden, die linksextreme Agitation zum Inhalt haben. Es müssen aber auch Vorgänge vorgebracht werden, die sich imreaktionär-konservativen und im Rechtsaußenbereich bewegen. Ihrer abschließenden Feststellung stimme ich vorbehaltlos zu.Was soll also dieser Sturm im Wasserglas, verehrter Herr Kollege?
Man muß doch mit aller Deutlichkeit sagen, daß der Herr Kollege Horn durch seine Mitarbeit im Verteidigungsausschuß dieses Hauses nicht nur einmal deutlich gemacht hat, daß er die Arbeit mit kritischem Sachverstand und manchmal auch mit unkonventionellen Äußerungen positiv zu beleben versucht.
Wir sollten uns mit seiner Darstellung — dies ist ein Angebot — der inneren Verhältnisse der Bundeswehr, über die man sicher streiten kann, ebenso kritisch auseinandersetzen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner?
Sehr gern.
Herr Würtz, gestatten Sie mir bei allem, was uns verbindet, doch die Frage: Fänden Sie es nicht angebracht, daß wenigstens Sie als ehemaliger aktiver Offizier dieser Bundeswehr Ihre Kameraden gegen diese pauschalen Verdächtigungen in Schutz nehmen, anstatt hier den Kollegen Horn zu verteidigen?
Herr Kollege Dr. Wörner, darauf muß man doch klar antworten, daß Herr Horn nur kritisch die Sonde an bestimmte Einzelfälle gelegt hat.
Und Ihre Rede ist nicht geeignet, die Probleme, die sicher in einer so großen Gemeinschaft, wie die Bundeswehr sie darstellt, bestehen, deutlicher zu erkennen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Horn?
Sehr gern.
Herr Kollege Würtz, würden Sie es nicht als eine sehr klare und eindeutige Form der Agitation des Kollegen Wörner ansehen, wenn er ganz bewußt bestimmte Dinge mitten aus dem Zusammenhang herausreißt und den entscheidenden Punkt hier überhaupt nicht bemerken und darstellen will, der da lautet:
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973 3627
HornWer die ... Wirklichkeit unserer Bundeswehr kennt, wird viele überzeugte Demokraten in der Bundeswehr kennenlernen.
Herr Kollege Horn, ich habe dies vorhin schon einmal ausgeführt. Ich stimme Ihnen zu.Herr Wohlrabe hat gestern in einem Debattenbeitrag, über dessen Niveau man kaum streiten kann — ich meine, Herr Kollege Wehner hat dies hier schon in einem Zwischenruf gewürdigt —, den Kosten für Sachverständige im Einzelplan 14 seine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Er hat diesen Ansatz kritisiert, und auf meine Zwischenfrage hat er eine alte Stellungnahme des Bundesrechnungshofes vorgelesen.Ich möchte hier noch einmal klarstellen, daß aus diesem Titel Kosten für Sachverständige gezahlt werden, Kosten für Gutachten auf wehrmedizinischen Gebieten, Kosten für Gutachten auf wehrpsychologischen Gebieten, Kosten für Gutachten über Modelle zur Lösung von Personalauswahl- und -verwendungsproblemen und Kosten auf dem Gebiet der Untersuchung personalstruktureller Basisprobleme der Streitkräfte, hier: die neue Wehrstruktur.Mir liegt daran, noch einmal vor aller Offentlichkeit deutlich zu machen, daß der Herr Kollege Wohlrabe in seinem Beitrag doch wohl offensichtlich nicht sagen wollte, diese Untersuchungen sollten nicht stattfinden. Die Kollegen des Verteidigungsausschusses aus der CDU/CSU-Fraktion haben solche Vorhaben ja auch immer wieder gefordert.Lassen Sie mich nun, meine Damen und Herren, auf den Verteidigungshaushalt 1974 allgemein eingehen. Der Plafond für den Einzelplan 14 steigt gegenüber dem verabschiedeten Haushaltsplan 1973 um rund 1,1 Milliarden auf 27,6 Milliarden DM an; das sind 4,3 % mehr. Dieser Vergleich vermittelt jedoch kein zutreffendes Bild. 1974 ist, wie auch der Verteidigungsminister ausgeführt hat, die Veranschlagungsmethode grundlegend geändert worden. Die 1972 und 1973 im Einzelplan 60 veranschlagten Verstärkungsmittel für die Beschaffung des Ergänzungsflugzeugs Phantom und für das europäische Verstärkungsprogramm sind nunmehr im Einzelplan 14 mit veranschlagt. Zugleich ist die Erstattung der Versorgungsaufwendungen für Soldaten an den Einzelplan 33 fortgefallen. Dies dient einer größeren Klarheit des Verteidigungshaushaltes. Ich weiß mich mit den Kollegen der CDU hoffentlich einig darin, daß wir hiermit eigentlich das fortsetzen, was bei anderen Haushalten selbstverständlich ist. Um echt vergleichen zu können, muß man den Haushaltsplan 1973 daher auf die Veranschlagungsmethode des Haushalts 1974 umrechnen. Bei einem Plafond 1973 von 25,8 Milliarden DM ergibt sich ein Anstieg um rund 1,8 Milliarden DM. Das sind 6,7 % und nicht, wie Sie gesagt haben, Herr Kollege Dr. Wörner, 6 1/2%. Diese Steigerung ist geringer als die des Bundeshaushalts, die sich bekanntlich auf 10,5 % beläuft. Wir müssen jedoch beachten, daß die Bundeswehr mit ihrem Bedarf in Konkurrenz zu allen anderen Aufgaben des Staates steht. Nebenbei, Herr Kollege Dr. Wörner: dies ist die Situation, in der sich alle Verteidigungsminister der westlichen Welt befinden; dies ist keine Ausnahme für die Bundesrepublik Deutschland.Viele Kollegen in der Opposition scheinen diese Tatsache zu verkennen. Dadurch manövrieren sie sich dann in die mißliche Lage, zwar ständig größere finanzielle Opfer für die Verteidigung zu fordern, aber gleichwohl nicht zu sagen, woher sie diese Mittel aus dem Gesamthaushalt nehmen wollen. Dieser Dissens erhöht ihre Glaubwürdigkeit keineswegs. Der Verteidigungsetat muß so bemessen sein, daß die Bundeswehr ihre Aufgaben im Bündnis voll erfüllen kann. Die Ausbildung muß auf einem hohen Stand gehalten werden. Die Modernisierung der Waffen und des Geräts muß ohne Unterbrechung fortgesetzt, die Infrastruktur weiter verbessert werden. Im sozialen Bereich und für die Bildung müssen der Bundeswehr die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen, die benötigt werden, um die eingeleiteten Schwerpunktmaßnahmen fortzuführen.Der Haushalt von 27,6 Milliarden DM wird diesen Forderungen gerecht und erfüllt damit die Bedürfnisse unserer Sicherheitspolitik. Niemand kann sagen, wir würden die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland vernachlässigen. Mit diesem Haushalt ist ein vernünftiger Ausgleich zwischen dem Wünschenswerten und einer zu geringen Ausstattung gefunden worden.Gestatten Sie mir einige wenige Bemerkungen zu den wichtigsten Einzelbereichen des Verteidigungshaushalts 1974. An erster Stelle darf ich hier die Personalausgaben nennen, die mit 41 % auch weiterhin den größten Anteil am Verteidigungshaushalt ausmachen. Sie steigen gegenüber dem Vorjahr nur verhältnismäßig wenig an, weil neue Stellen nur in ganz geringem Umfange gefordert werden. Der Anteil der Personalausgaben am gesamten Verteidigungshaushalt ist im übrigen seit drei Jahren im wesentlich konstant geblieben. Dies ist nach unserer Auffassung eine erfreuliche Tatsache, die zeigt, daß versucht wird, die Aufgaben mit einem etwa gleichbleibenden Personalbestand zu bewältigen.Ich möchte aber auch den Diskussionsbeitrag des Herrn Kollegen Dr. Althammer von gestern aufnehmen und gerade zu diesem Bereich eine kritische Anmerkung machen, Wenn ich mir die Stellenpläne bei Kommandobehörden und Dienststellen, aber auch im Verteidigungsministerium ansehe, so werde ich das ungute Gefühl nicht los, daß eine Überprüfung der dort vorhandenen Stellen im Sinne einer effektiveren Arbeitsleistung dringend erforderlich ist. Wir sollten dieses Problem bei den Haushaltsberatungen aufgreifen.Die Materialerhaltung steht in der Reihe der unbedingten Notwendigkeiten nach den Personalaus-
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3628 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973
Würtzgaben an zweiter Stelle. Die Ausgaben für die Materialerhaltung steigen um 6 %. Diese Steigerung ist geringer als in den Jahren 1972/1973. Hierin liegt ein Erfolg intensiver Rationalisierungsbemühungen und eine Folge des kontinuierlichen Zulaufs neuen Geräts in den vergangenen Jahren. Wir glauben nicht, daß damit alle Probleme gelöst sind. Möglicherweise gibt es in der Zukunft noch periodische Entwicklungen mit vorübergehend höheren und dann wieder geringeren Steigerungsraten.Ich habe schon in einer Rede im April dieses Jahres von dieser Stelle ausgeführt, welche Geräte und welche Waffen der Bundeswehr in den letzten Jahren zugeführt worden sind. Diese Liste, die da-mals von mir genannt worden ist, möchte ich hier nicht noch einmal nennen. Ich meine aber, daß alles Gerede, Herr Kollege Dr. Wörner, die Bundeswehr würde in stärkerem Maße veraltern, wenn wir den Verteidigungshaushalt nicht übermäßig anheben würden, nicht zutreffend ist.Besondere Bedeutung kommt im Jahre 1974 dem Ausbau auch der Infrastruktur zu. Ich darf hier nur anführen, daß die Bauinvestitionen erheblich steigen und mit 1,2 Milliarden DM eine ansehnliche Höhe erreichen; nach meiner Auffassung eine beachtliche Entwicklung, die von Baumaßnahmen betroffenen Soldaten und zivilen Mitarbeitern sicher mit Interesse zur Kenntnis genommen wird.Gestatten Sie mir ein Wort zum Verhältnis zwischen den verteidigungsinvestiven und den Betriebsausgaben. Für ,die Bundeswehr war dieses Thema immer von Interesse. Seit der Arbeit der Wehrstrukturkommission ist es auch stark in den Blickpunkt ,der Öffentlichkeit gerückt. Wie Sie wissen, hat die Kommission den Anteil der verteidigungsinvestiven Ausgaben mit 30 % beziffert, der nicht unterschritten werden sollte. Dabei ist hervorzuheben — und ich glaube, daß hierüber Einvernehmen besteht —, ,daß dies keine starre Grenze sein kann. Sie muß im Grunde einen Durchschnittswert über einen längeren Zeitraum darstellen. Letzten Endes ist immer entscheidend, ob die für Investitionen bereitgestellten Mittel ausreichen, den notwendigen Bedarf zu decken, und ich meine, dies ist in diesem Haushalt gewährleistet.Schwerpunkte der Investitionen in diesem Jahr liegen auf den Gebieten der Panzerabwehr, der Luftverteidigung, der Artilleriewaffen, der Modernisierung der Führungssysteme und der Fernmeldeverbindungen. Der Anteil der Investitionen steigt von 29,3% im Vorjahr auf 32% in 1974. Ich gebe natürlich hier auch gern zu, daß dies durch die Entwicklung des bereinigten Haushalts geschieht. Wir erfüllen damit, Herr Kollege Dr. Wörner, einen von Ihnen in Ihrer Rede im Januar dieses Jahres bei der Beurteilung der Verteidigungspolitik in dieser Legislaturperiode von dieser Stelle festgelegten Markstein.Lassen Sie mich beim Thema des Investitionsanteils auch darauf hinweisen, daß sich die Bundeswehr künftig mit dem Problem wachsender Betriebsausgaben auseinandersetzen muß. Die Bundeswehr ist und bleibt übermäßig personalintensiv. Meine Freunde und ich wollen, daß die Soldaten und zivilen Mitarbeiter an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilnehmen. Zudem fordert die Materialerhaltung erhebliche Kosten. Die neue Wehrstruktur, die sicherheits- und verteidigungspolitisch geboten ist, wird diesem Problem besondere Beachtung schenken müssen.Ich sage aber auch hier deutlich: die Bundeswehr muß in der Zukunft verfügbare Mittel noch kostenwirksamer anlegen. Fehlentwicklungen der vergangenen Zeit bei Entwicklungs- und Beschaffungsprogrammen müssen unter allen Umständen vermieden werden. Hier sind zwar in erster Linie der Verteidigungsminister und seine Mitarbeiter aufgerufen; gleichwohl müssen die Parlamentarier dafür Sorge tragen, daß so weitreichende Entscheidungen wie etwa die Beschaffung des Mehrzweckkampfflugzeugs MRCA unter dem Gesichtspunkt der Kosteneffektivität einer eingehenden Analyse unterzogen werden müssen. Wenn ich hier auf den Nahost-Konflikt hinweise, dann möchte ich nur anregen, .die Entwicklung, die in der Militärtechnik eingetreten ist, zum Anlaß zu nehmen, große Beschaffungsprogramme zu überdenken. Wer von uns kennt außerdem nicht eine Reihe von Beispielen, wo mit Haushaltsmitteln recht leichtfertig und ohne Berücksichtigung des doppelten Aspekts militärischen Nutzens und volkswirtschaftlicher Vernunft umgegangen wurde. Hier bleibt nach meiner Auffassung genügend Arbeit für das Verteidigungsministerium.Ich habe Ihnen hier die Grundzüge und die wichtigsten Ausgabenbereiche des Verteidigungshaushalts 1974 kritisch wertend dargestellt. Wir werden die einzelnen Ansätze im Verteidigungsausschuß und im Haushaltsausschuß zu beraten haben. Mir liegt nur daran, bei dieser ersten Lesung des Haushaltsplans 1974 festzuhalten, daß die vom Sprecher der CDU/CSU vorgetragenen Überlegungen keine Alternative zum Konzept der Bundesregierung darstellen und wenig geeignet sind, die Diskussion voranzubringen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion geht an die Beratung des Einzelplans 14 mit der Überzeugung, die Präsenz und Kampfkraft der Bundeswehr zu erhalten und damit ihre Bündnisverpflichtung im Rahmen der NATO zu erfüllen, den Soldaten und zivilen Mitarbeitern die notwendige Teilhabe an der allgemeinen Einkommensentwicklung zu gewährleisten und zugleich die aktive Politik der Entspannung, wie sie von der Bundesregierung zielstrebig verfolgt wird, dabei nicht außer acht zu lassen. Wir wissen aber auch, daß Reformmaßnahmen in anderen Bereichen des Gesamthaushaltes, den wir immer betrachten müssen, nicht beeinträchtigt werden dürfen.Nach unserer Auffassung ist der Haushaltsentwurf ausgewogen. Die Mittel sind so knapp wie möglich, aber so ausreichend wie nötig.
Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973 3629
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 14 des Haushaltsplanentwurfs 1974 hätte sicherlich nicht allein Anlaß gegeben, eine verteidigungspolitische Debatte in diesem zeitlichen Umfang hier in diesem Haus zu führen. So mögen der Nahostkonflikt, der vom Sprecher der Opposition, Herrn Kollegen Dr. Wörner, erwähnt wurde, aber auch der inkriminierte Artikel des Kollegen Horn willkommener Anlaß gewesen sein, hier wieder einmal darzustellen, daß es doch erhebliche Meinungsunterschiede in den verteidigungspolitischen Auffassungen der Fraktionen in diesem Hause gebe.Sicherlich können wir aus dein Nahostkonflikt Erkenntnisse ziehen, Erkenntnisse militärischer Art, aber vor allen Dingen Erkenntnisse politischer Art, allerdings andere als die, die der Herr Kollege Dr. Wörner hier vorgetragen hat. Der Nahostkonflikt kann kein Anlaß sein, gewollt parteipolitische Auseinandersetzungen
über unsere Verteidigungspolitik und unsere Außenpolitik herbeizuführen,
und ich würde vor einem solchen Vorgehen warnen.
— Herr Kollege Dr. Wörner, ich habe, wenn Sie hier die Auffassung Ihrer Fraktion vortragen, in der Vergangenheit immer den Verdacht gehabt, und ich hatte ihn auch heute, daß gewollt Konfliktstoff in die Auseinandersetzung hineingetragen wird. Es ist das alte Vokabular „Wir müssen den Willen zur Verteidigung haben" wieder abgespielt worden, und es ist die angebliche naive Vertrauensseligkeit großer Kreise unserer Bevölkerung und auch vieler Politiker erwähnt und vor einer Entspannungseuphorie gewarnt worden.Herr Kollege Dr. Wörner, der Nahostkonflikt hätte sich nicht wieder einmal abgespielt, wenn es gelungen wäre, Konfliktherde politisch aus der Welt zu schaffen, wenn es gelungen wäre, auch in diesem Teil der Welt mit der Verminderung der Konfliktursachen eine Entspannung herbeizuführen. Diesem Ziel dient unsere Außenpolitik, die Außenpolitik dieser Regierung, und dieses Ziel wird weiterhin bis zur Vollendung angestrebt; denn wenn Entspannung erreicht worden wäre, dann wäre es auch nicht notwendig gewesen, sich um die Lebensrechte eines Volkes militärisch auseinandersetzen zu müssen.Nun können Sie aber weder aus dem Haushaltsentwurf 1974 noch aus dem Haushalt dieses Jahres noch aus der Politik der Bundesregierung und der Fraktionen, die diese Bundesregierung tragen, schließen, der Wille zur Verteidigung wäre nicht vorhanden.Meine Damen und Herren, hier müssen wir jeder Versuchung, ein solches Nachlassen unserer Verteidigungsbemühungen herauslesen zu wollen, unseren Widerstand entgegensetzen. Wir sind mit Ihnen, Herr Kollege Dr. Wörner, einer Meinung, daß die Präsenz der Truppen der Vereinigten Staaten in der Bundesrepublik bisher den Frieden in Europa gesichert hat und daß die Anwesenheit der Truppen auch weiterhin zur Erhaltung des Friedens notwendig ist. Hier hat es in der Vergangenheit und auch heute nie abweichende Meinungen zwischen den Fraktionen gegeben. Wir haben in unserer Politik auch keinen Anlaß dafür gegeben, daß die Vereinigten Staaten andere Überlegungen als bisher hätten anstellen können. Die Auseinandersetzungen über Art und Umfang der Präsenz finden doch in den Vereinigten Staaten selbst statt. Dort werden doch Versuche gemacht, die Präsenz zu verringern. Wir bemühen uns demgegenüber, sie zu halten. Wir sind mit Ihnen der Auffassung, daß der Frieden, in dem wir leben, durch das Gleichgewicht der Kräfte, der Mächte in der Welt erhalten wurde.Sie fragen, ob der Verteidigungsetat der derzeitigen Lage gerecht wird. Sie zeigen auf, daß die Ausgaben für die Verteidigung gegenüber dem Anstieg des Bruttosozialprodukts nachhinken, daß sie dem Anstieg des Bruttosozialprodukts gegenüber absinken. Die Antwort hat Ihnen der Bundesfinanzminister gegeben.
Sie haben darauf hingewiesen, daß zwar Stabilität auf nuklearer Ebene, aber eine Instabilität im konventionellen Bereich besteht. Ich darf doch in aller Bescheidenheit bemerken, daß gerade Sie in der Vergangenheit die Stabilität im konventionellen Bereich zugunsten einer stärkeren Hinwendung zur nuklearen Komponente hingenommen haben und daß es gerade die Freien Demokraten gewesen sind, die von einer Arbeitsteilung im Bündnis gesprochen haben. Die Begrenzung des deutschen Anteils an der Verteidigung auf dem konventionellen Sektor und die Stärkung der konventionellen Komponente der Bundeswehr ist nicht zuletzt auf unser ständiges Drängen in dieser Richtung zurückzuführen.Ich darf also für die Freien Demokraten feststellen: Es ist der Wille zur Verteidigung vorhanden. Der Wille zur Verteidigung steht nicht im Widerspruch zu unseren Bemühungen in der Entspannungspolitik, weil der Abbau von Spannungsherden auch die Chance zur Erhaltung des Friedens vergrößert.Lassen Sie mich nur einige wenige Worte zu den aktuellen Auseinandersetzungen über die vermutete Haltung der Bundeswehr in denkbaren kritischen Situationen sagen. Die Freien Demokraten sind davon überzeugt, daß unsere Streitkräfte demokratische Streitkräfte sind, daß sie ein notwendiger Teil unserer Gesellschaft sind und daß sie ihren Platz in dieser Gesellschaft gefunden haben. Wir können uns keine Situation vorstellen, in der unsere Armee einschließlich ihrer Führung, ihrer Generalität, zum Verfassungsbruch bereit sein könnte. Ein solcher Verdacht, daß diese Situation einmal eintreten
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3630 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973
Olleschkönnte, ist abwegig und wird von uns in aller Schärfe zurückgewiesen.
Meine Damen und Herren, wir haben uns, solange diese Partei besteht, zur Verteidigung unserer Freiheit bekannt. Wir werden hinter den Instrumenten stehen, die vornehmlich dafür geschaffen wurden. Daran gibt es keinen Zweifel. Wir wissen aber, daß die Bundeswehr auch Spiegelbild unserer Gesellschaft ist, daß es in ihr widerstreitende Meinungen gibt. Wir haben aus dieser Kenntnis in der Vergangenheit gewisse gelegentliche Erklärungen von Bundeswehrangehörigen — bis in die höchsten Ränge hinein —, auch wenn sie nicht in unsere allgemeine politische Linie hineinpaßten, mit Gelassenheit zur Kenntnis genommen und haben sie dort zurückgewiesen, wo sie zurückgewiesen werden mußten. Wir überbewerten andererseits aber auch nicht, wenn gelegentlich aus allen Schichten der Bevölkerung die kritische Sonde — auch von Abgeordneten — an die Bundeswehr gelegt wird. Allerdings meinen wir, meine Damen und Herren, daß für einen Abgeordneten mit Rücksicht auf seinen besonderen Erkenntnisstand sicherlich Zurückhaltung geboten ist,
vor allen Dingen dann, wenn Ausführungen oderErklärungen geeignet sein könnten, eine allgemeinvertretene Position durch Schärfen oder Auseinandersetzungen, für die es eigentlich keinen Grund gibt, in Frage zu stellen. Deshalb sollten wir, meine Damen und Herren, nicht so überempfindlich reagieren, wie es heute hier in diesem Hause geschehen ist.
Das klärende Wort war vom Dienstherrn gesprochen.
Für meine Fraktion und für die Freien Demokraten insgesamt habe ich es im Auftrage der Fraktion hier und heute getan.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst zwei ganz aktuelle Themen einführen, mit denen sich heute früh das Kabinett vor der Plenarsitzung befaßt hat. Ich meine einmal die Situation im Nahen Osten. Ich bin sicher, die Mitglieder dieses Hauses haben die jüngsten Nachrichten über die Entwicklung im Nahen Osten mit gleicher Aufmerksamkeit und dem gleichen Wechsel von Sorge und Erleichterung wie ich zur Kenntnis genommen. Vor dem Hintergrund blutiger Kämpfe, der Meldungen von sowjetischen Truppentransporten, der Alarmierung amerikanischer Streitkräfte in aller Welt mag manchem, der uns zuhört und zuschaut, die Debatte des gestrigen Tages ein wenig gespenstisch erschienen sein. Niemand weiß jedoch besser als ich, wie wichtig und drängend die Probleme sind, die wir hier in diesem Hause bei der Einbringung des Haushalts zu prüfen haben. Und doch haben wir wohl alle, was uns sonst auch immer trennen mag, gespürt, daß ohne wirkliche Sicherung des Friedens unser aller Arbeit ganz einfach ihren Sinn verlieren würde.Ich möchte hier ein Wort zur Haltung der Bundesregierung sagen, was die jüngsten Ereignisse im Nahen Osten angeht. Die Bundesregierung hat den erneuten Ausbruch von Feindseligkeiten in jener Region von Anbeginn an mit außerordentlicher Sorge verfolgt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die strategische Bedeutung dieses Gebiets, zu der noch die Bedeutung der Erdölversorgung von dort kommt, und nicht zuletzt das starke Engagement der beiden Weltmächte in jenem Raum sehr schnell zu gefährlichen Auswirkungen für den Weltfrieden führen können. Die Bundesregierung hat deshalb in ihren Stellungnahmen stets betont, daß sie für eine sofortige Feuereinstellung eintrat und eintritt, die mit gleichzeitigen nachdrücklichen Bemühungen um die Herbeiführung einer definitiven, gerechten und dauerhaften Friedenslösung im Nahen Osten verbunden sein muß, und zwar in Anlehnung an die Sicherheitsresolution Nr. 242 vom November 1967.Die Bundesregierung hat es begrüßt, daß diese Gedanken sowohl in der Erklärung der neun Regierungen der Europäischen Gemeinschaft vom 13. Oktober wie in der Entschließung des Sicherheitsrats vom 22. Oktober ihren Ausdruck gefunden haben.Die Nichtparteinahme der Bundesrepublik Deutschland in jenem militärischen Konflikt darf jedoch keinesfalls als Gleichgültigkeit gegenüber dem Geschehen dort mißverstanden werden. Das gebietet allein das Mitgefühl mit den Betroffenen, den leidtragenden Menschen. Unsere Haltung ist in erster Linie von unserem großen, unserem vitalen Interesse an der baldigen Herbeiführung eines Friedens bestimmt, der von allen Völkern jenes Raumes als gerecht hingenommen oder sogar anerkannt werden kann.
In diesem Sinne strebt die Bundesregierung weiterhin vor allem eine enge Zusammenarbeit mit den anderen Regierungen der Europäischen Gemeinschaft an. Wir sind uns darüber im klaren, daß in der jetzigen Situation die beiden Weltmächte eine vorrangige Verantwortung für den Frieden haben. Wir glauben jedoch, meine Damen und Herren, daß auch die europäischen Regierungen in dem vielleicht begrenzten Rahmen ihrer Möglichkeiten eine konstruktive Rolle spielen sollten.Noch ist kein Friede. Urn ihn zu gewinnen, braucht es die Anstrengung und den entschlossenen Willen aller Beteiligten. Nun muß die Vernunft Vorrang gewinnen, cl. h., Verhandlungen muß endlich eine nüchterne Chance gegeben werden. Deshalb sage ich noch einmal: Grundlage für eine Friedensregelung bleiben nach meiner, nach unserer Einsicht das
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973 3631
Bundeskanzler BrandtLebensrecht und die Sicherheit aller Staaten der Region und ihr Recht, in anerkannten Grenzen frei von Drohungen und Gewaltakten zu leben. Dies sind die Grundvoraussetzungen für eine dauerhafte Friedensregelung.Was wir Europäer tun können, um diesen Einsichten den Weg zu öffnen, das müssen und, ich hoffe, werden wir tun. Und ich meine auch, sobald die Zeit dafür gekommen ist, sollten wir uns über das Humanitäre hinaus gemeinsam mit den Partnern der Europäischen Gemeinschaft darum bemühen, durch vernünftige wirtschaftliche Zusammenarbeit zu einem Prozeß der Befriedung dieser gesamten Region beizutragen.Ich wollte dies voranstellen.Sodann, meine Damen und Herren, möchte ich darauf hinweisen, daß in den letzten Monaten, in denen so viel vom „heißen Herbst" geredet wurde — manchmal konnte man meinen, in manchen Kreisen gebe es sogar eine Sehnsucht nach dem, was man „heißen Herbst" nannte —,
die Bundesregierung das getan hat, was ihre Pflicht ist. Sie hat gerade auf dem Gebiet der Finanz- und der Wirtschaftspolitik, der Haushalts- und der Steuerpolitik, zu der ich jetzt ein Wort sagen darf, harte, sachliche Arbeit geleistet.
Darüber konnte weder die Debatte vom Mittwoch noch die gestrige Aussprache hinwegtäuschen.Die Opposition sprang — wenn ich das etwas salopp ausdrücken darf — ins Leere. Das ist die übliche Konsequenz einer Taktik, die ihre Ziele zu eilig, zu kurz und eben nur taktisch bemißt, Konsequenz einer Politik, die sich zum Gefangenen der eigenen Propaganda macht.
Unterdessen hat die Bundesregierung, und zwar heute früh, ihr Programm der Steuerreform im engeren Sinne zu Ende gebracht.
In Kürze wird also dem Bundesrat und dem Bundestag die ganze breite Palette unserer Steuerreformpolitik zur Beratung vorliegen. Die Pessimisten haben sich — und das freut mich — wieder einmal gründlich geirrt und getäuscht. Unser Steuerreformkonzept wird Realität.
Dem Bundestag liegt zur Beschlußfassung entweder schon vor
oder wird in wenigen Wochen vorliegen
die Reform der Vermögensteuer, die uns endlichdazu bringt, daß die kleinen und mittleren Vermögen steuerlich spürbar entlastet und daß Spitzenvermögen künftig etwas stärker belastet werden; ferner die Reform der Erbschaftsteuer, die von den gleichen Grundzielen wie die Neuordnung der Vermögensteuer ausgeht.In diesen beiden Bereichen — das muß ich einmal sagen — hat die Bundesregierung mit der sozialliberalen Koalition bei der Steuerreform jene Schularbeiten gemacht, vor denen man in früheren Jahren in falscher Furchtsamkeit vor Interessenten immer wieder zurückzuckte; denn so war es doch.
Nachdem wir im vergangenen Monat, unmittelbar nach der Sommerpause, die bereits im Jahre 1971 — damals unter der Verantwortung des Kollegen Möller, den ich voll einbeziehe in dieses große Werk, das wir mit seinem dritten Teil auf den Weg bringen —
festgelegten Eckwerte zur Steuerreform
der wirtschaftlichen Entwicklung angepaßt haben,
verabschiedete das Kabinett heute vormittag die noch ausstehenden Gesetzentwürfe. Es handelt sich hierbei einmal um das dritte Steuerreformgesetz, cien wichtigsten Teil der Steuerreform, also um die Einkommensteuer einschließlich der Lohnsteuer und den Kinderlastenausgleich, um die Körperschaftsteuer und um das Sparprämienrecht.Es handelt sich zweitens um den Entwurf eines Kraftfahrzeugsteuergesetzes — der sicher nicht nur Interesse finden, sondern auch noch intensiver Debatte ausgesetzt sein wird —, der eine grundlegende Vereinfachung des geltenden Rechts bewirkt. Außerdem haben wir den Entwurf eines zweiten Steueränderungsgeseztes 1973 beschlossen, der u. a. die generelle Veranlagungsgrenze für Arbeitnehmer anhebt. Damit wird es möglich, das dritte Steuerreformgesetz bereits am 1. Januar 1975 statt, wie zunächst vorgesehen, am 1. Januar 1976 in Kraft treten zu lassen.
Die Bundesregierung sieht die Reform der Körperschaftsteuer im übrigen in einem klaren Zusammenhang mit einem Gesetz zur Beteiligung breiter Schichten der Bevölkerung am Produktivvermögen. Dafür werden wir einen Gesetzentwurf so rechtzeitig einbringen — das ist heute morgen noch einmal festgestellt worden —, auch durch Fortschreiben der hierfür zunächst zur Verfügung zu stellenden Geldmenge, daß auch diese bedeutende Reform in dieser Legislaturperiode Wirklichkeit werden kann.
Das Entscheidende ist, daß die gesamte Steuerreform nun als geschlossene Konzeption den gesetzgebenden Körperschaften zur Beratung vorliegt.
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3632 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973
Bundeskanzler BrandtDiese umfassende Steuerreform verlangt von allen Beteiligten ein hohes Maß an Sachverstand, Energie und Beharrlichkeit. Darum meine Bitte und mein Appell an das ganze Haus, besonders auch an die Opposition und nicht zuletzt an die von der CDU/ CSU geführten Länder im Bundesrat: diese Vorlagen der Bundesregierung sollten bitte ohne Verzögerungen beraten werden.
Die Bundesregierung ist bereit, im Gang dieser Beratungen ihrerseits alle Anregungen — ich sage das aus gegebenem Anlaß — aufmerksam zu prüfen. Sie muß allerdings schon jetzt darauf hinweisen, daß gegebenenfalls Umschichtungen vorgenommen werden müssen und nicht einfach weitere Aufkommensminderungen hinzugefügt werden dürfen.Es geht darum, konstruktiv, wenn auch kritisch an der Steuerreform mitzuarbeiten. Mit Polemik ist es — zumal jetzt, da die Entwürfe auf dem Tisch liegen — nicht mehr getan. Hier ist uns miteinander eine Arbeit aufgetragen, die im Interesse unserer Bürger jahrelang Bestand haben muß.Lassen Sie mich festhalten:Erstens. Mit der Vorlage dieser Gesetzentwürfe hat die Bundesregierung alle Teile der in meinen Regierungserklärungen vom 28. Oktober 1969 und vom 18. Januar 1973 angekündigten Steuerreform auf den Weg gebracht. Der Gesamtzusammenhang der einzelnen Teile der Steuerreform ist damit gewahrt.
Zweitens. Die Bundesregierung hat sorgsam auf die soziale Ausgewogenheit dieser Reform geachtet. Viele Einzelmaßnahmen dienen größerer steuerlicher Gerechtigkeit.
Ich nenne vor allem die Neuregelung des Kinderlastenausgleichs, die dem Grundsatz der Gleichheit der Chancen aller Kinder gerecht wird, aber auch die Neuregelung für die Aufwendungen zur Lebensvorsorge, bei denen es künftig keine steuerlichen Vorteile mit wachsendem Einkommen mehr gibt.Drittens. Die vorgelegten Entwürfe sind im Gegensatz zu den vorgestern hier debattierten Vorschlägen kein opportunistisches Programm unter dem billigen Schlagwort der Steuersenkung.
Kleinere und mittlere Einkommen werden zum Teil erheblich entlastet. Doch wir haben uns hier an unsere Aussage gehalten, daß bestehende Vermögen nicht durch konfiskatorisch wirkende Steuern angetastet werden sollen. Dies kann freilich nicht bedeuten, daß es für jeden einzelnen und jede Gruppe bei der Höhe der bisherigen Steuerbelastung bleibt. Zur steuerlichen Gerechtigkeit gehört meiner Überzeugung nach
auch eine maßvolle Umverteilung von Lasten zwischen den Gruppen in unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit.
Wenn ich nun, meine Damen und Herren, zur bisherigen Debatte ein Wort sagen darf: Sie hat mich ein wenig enttäuscht und dann doch auch zugleich befriedigt, und zwar beides aus den gleichen Motiven.Enttäuscht wurde meine Bereitschaft, mich durch die parlamentarische Kunst der Opposition beeindrucken zu lassen. Diese Bereitschaft ist übrigens größer, als Sie vielleicht denken und als ich mir für gewöhnlich anmerken lasse. Ich billige zumal den Reden des Kollegen Strauß im allgemeinen einen hohen Orientierungs- und manchmal auch Unterhaltungswert zu.
Für seinen Witz, wenn er ihn zeigt, für seine Polemik, wenn sie nicht zu rüde ist, habe ich viel mehr Verständnis, als ich es zu erkennen geben darf, ohne den Unwillen meiner Wähler zu erregen.
Aber diesmal blieb er uns selbst die sonst unvermeidlichen Beispiele aus seinem lateinischen Zitatenschatz schuldig.
Weder er noch seine Mitredner oder Nachredner von der CDU überwältigten uns mit gewichtigen Einwänden oder gar mit eigenen Konzeptionen. — Von den letzten wage ich kaum noch zu reden, denn Herr Kollege Strauß hat uns ja gestern darüber belehrt, daß eine gewisse Alternativlosigkeit geradezu als Tugend der Opposition zu betrachten sei.
Auf den Zeugen Fritz Erler hätte er allerdings besser verzichten sollen. Dieser bedeutende Mann hat unseren deutschen Bürgern — und viele erinnern sich daran — ein hohes Beispiel dafür gegeben, was Opposition sein kann.
Einen solchen Vergleich fordert man nicht ungestraft heraus.
Im übrigen, Herr Strauß, Sie werden es nicht fertigbringen, meiner Regierung oder auch meiner Partei eine antimarktwirtschaftliche Haltung oder Feindseligkeit gegenüber dem Unternehmertum im allgemeinen oder dem Handel im besonderen anzudichten.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973 3633
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr!
Herr Bundeskanzler, darf ich mir die Frage erlauben, ob Sie im Ernst meinen, daß Ihnen das noch angedichtet werden muß.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann das nicht als eine der sachlichen Diskussion dienende Frage ansehen, Herr von Bismarck.
Im übrigen ist es mir ähnlich gegangen wie dem Kollegen Helmut Schmidt, als ich gestern früh Herrn Strauß zuhörte. Ich habe mich auch gefragt, von welchem Land Herr Strauß wohl geredet hat, in dem erstens der Bundeskanzler für die Lehrpläne der Volksschulen zuständig ist,
zweitens rundum der Klassenkampf tobt, drittens die Bundesregierung bestimmt, wie das Sozialprodukt verteilt wird, viertens der Bundesfinanz- oder -wirtschaftsminister die Preise des Handels festsetzt, fünftens die Bundesregierung schuld ist an den Schwierigkeiten solcher Unternehmen, die sich übernommen haben, sechstens die Marktwirtschaft kaum noch existiert und siebentens — ich komme auf den Anfang zurück — der Bundeskanzler die Richtlinien der Kulturpolitik bestimmt.
Dieses Land ist nicht die Bundesrepublik Deutschland; es ist eine Erfindung des Franz Josef Strauß.
Man könnte es deshalb, wenn es das nicht schon gäbe — allerdings der Sowjetunion vorgelagert —, das Franz-Josefs-Land nennen.
Warum er diese Erfindung brauchte, um seinen Beitrag zu dieser Debatte zu bestreiten, das ist nicht das Problem der Bundesregierung und der sozialliberalen Koalition, sondern ein Problem der CDU/ CSU.
Wir beneiden Sie nicht darum.
Franz-Josefs-Land, — das ist ein Land, das ist wüst und menschenleer;
doch einen Bürger hat es wohl: den Kollegen Wohlrabe,
der sich mit geradezu zerstörerischem Elan auf Teile unseres Etats gestürzt hat.
Er hat — ich weiß nicht, ob er im Saale ist — unter anderem moniert — —
— Da sind Sie mit einem Kopfsprung in ein Bad hineingesprungen, das leer war, Herr Kollege Wohlrabe.
Sie haben moniert, daß wir einige Mittel bereithielten, Wissen und Verstand von Experten für unsere Arbeit zu nutzen. Das kostet in der Tat Geld, ist aber eine produktive Ausgabe.
Gegen sie kann nur dann Protest angemeldet werden, wenn man vom Nachdenken nichts hält.
Seien Sie hier zurückhaltend! Herr Wohlrabe, wenn Sie hier nicht zurückhaltend werden, dann stören Sie Herrn Strauß in seiner jungen Liebe zu den deutschen Intellektuellen.
Die Professoren Steinbuch und Schelsky, mit denen ich übrigens weiterhin angeregte Briefe zu wechseln hoffe,
würden es Ihnen kaum verzeihen.Im übrigen: Eine unsachliche Rede, wie die von Herrn Wohlrabe, sollte uns nicht daran hindern, im Ausschuß auch über jede Einzelheit, die das Kanzleramt und das Bundespresse- und -informationsamt angeht, sachlich zu reden.Doch ich sagte, ich wollte auch erklären, warum ich nach dem bisherigen Verlauf der Debatte nicht nur enttäuscht, sondern auch zufrieden sei. Ich bin in der Tat zufrieden, daß Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, dieser Etat kaum Anhaltspunkte für eine überzeugende Auseinandersetzung zu bieten schien; um so besser.Ich möchte nun von dem reden, was die Bundesregierung und die sozialliberale Koalition in diesem Augenblick leisten und was sie sich nach den Grundlinien, die in diesem Haushalt sichtbar werden, an Arbeit selbst aufgetragen haben.Aber zunächst noch diese Zwischenbemerkungen:Ich finde es nicht in Ordnung, wenn man — wie gestern früh — im Zusammenhang mit dem Bummel-
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3634 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973
Bundeskanzler Brandtstreik in der Flugsicherung so von einem Skandal spricht, als ob die Regierung für den Skandal verantwortlich sei.
Das ist doch nicht wahr, und es ist auch nicht fair, dies in einem Augenblick zu sagen, in dem in Celle prozessiert wird.
Es ist auch nicht in Ordnung, wenn Herr Strauß, was Bildungsfragen angeht, aus meiner Rede in Bad Segeberg bei der dortigen Evangelischen Akademie sinnentstellend Sätze aus dem Zusammenhang herausnimmt und zitiert.
Lassen Sie mich deutlich sagen: Unterwanderer haben mich zum Feind, aber Hysteriker haben mich nicht zum Freund.
Ich finde es auch nicht in Ordnung, wenn man die Klarstellung eines Kollegen — der nach meiner Meinung in seiner kritischen Stellungnahme überzogen hatte; nicht jetzt, sondern vorgestern, am 24. Oktober —, in der er für alle Welt deutlich gemacht hat, daß ihm Pauschalkritik fern gelegen habe, nicht zur Kenntnis nimmt und daran vorbeipolemisiert — gestern und heute.
- Was den Kollegen Leber angeht, Herr Wörner, so sollten Sie hier die Dinge doch nicht auf den Kopf stellen. Meine Partei, für die ich jetzt auch ein Wort sagen darf, weil ich in dieser Eigenschaft angesprochen worden bin, hat vor der Sommerpause auf ihrem Hannoverschen Parteitag mit überwältigender Mehrheit festgestellt, daß wir, wie es dem NATO-Konzept entspricht, Verteidigung und Entspannung als die beiden nicht voneinander zu trennenden Elemente unserer Sicherheit betrachten.
Dies gilt für meine Partei, dies gilt für die Koalition, und dies gilt für die Regierung. — Bitte, Herr Wörner.
Herr Bundeskanzler wären Sie nicht bereit, einmal klar zu dem Vorwurf Stellung zu nehmen, den der Kollege Horn in einem Zeitungsabschnitt, den ich hier habe, erhoben hat: daß Generäle der Bundeswehr — die er namentlich genannt hat - sich mit dem Gedanken des Verfassungsbruchs getragen hätten, daß die mittlere Offiziersgeneration, wie hier zu lesen steht, unter nationalistischer Verengung leide und daß es in der Bundeswehr viele gebe, die ein gebrochenes Verhältnis zu dieser Demokratie haben. Dazu eine klare Stellungnahme von Ihrer Seite!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn Sie die Güte gehabt hätten, noch drei Minuten zu warten, hätten Sie die Zwischenfrage vielleicht nicht gestellt.Ich würde übrigens auch empfehlen, nicht einfach untergehen zu lassen, was der Bundesverteidigungsminister hier aus seiner ihm nicht abzunehmenden Verantwortung gesagt hat und was sein Vorgänger im Amt hier hinzugefügt hat.Ich will sagen: Die Bundesrepublik Deutschland ist natürlich nicht Chile, in keinerlei Hinsicht. Es ist grotesk, anzunehmen, wir würden es in unserem Lande zu etwas Ähnlichem wie chilenischen Zuständen kommen lassen. Ich hoffe, niemand fühlt sich dadurch betroffen. Die Opposition brauche ich auch nicht daran zu erinnern, wer sich hier — es sind ja Namen genannt worden — auch auf unserer Seite des Hauses mit aller Klarheit für die Innere Führung und für das demokratische Bewußtsein in der Bundeswehr engagiert hat. Ich stelle mit aller Deutlichkeit fest, die Bundeswehr, ihre Führung und ihre Soldaten verdienen nicht nur unseren Respekt, sondern sie haben unser Vertrauen. Das ist keine Parteienfrage, darf es nicht sein. Die Bundesregierung tut im übrigen das Ihre, um dieses Vertrauen zu rechtfertigen und zu festigen.
Herr Kollege Wörner, Sie haben im übrigen aus Gründen, die Sie wohl selbst am besten kennen, Ihre atomaren Visionen für Europa unterdrückt. Dabei wären wir übrigens nicht auseinander - wenn ich Ihr Denken, Ihre Äußerungen dazu verfolge —, wenn es darum geht, daß die sich formende Europäische Union auch zu einer souveränen Verteidigungsorganisation wird kommen müssen. Ich füge aber gleich hinzu: Es gibt in der Welt so, wie sie ist, und für die Zeit, die ich übersehen kann, keine Alternative zur amerikanischen nuklearen Abschreckung.
Im übrigen, Herr Kollege Wörner, Bundesregierung und Bundeskanzler haben ihre Politik für Europa und für das Bündnis von der ersten Regierungserklärung 1969 bis zu diesem Tage unmißverständlich erklärt; und mehr als das: sie haben ihre Politik durch ihr tägliches Verhalten bestätigt. Das sollte man nicht anders darstellen, als es in Wirklichkeit ist.Dieses Jahr 1973 ist trotz allem ein eminent europäisches Jahr geworden. Es wurde ein Jahr, in dem die Allianz geprüft wurde und in dem sie trotz großer Belastungen ihre Stabilität und Solidarität bewiesen hat. Dieses Jahr bewies zugleich die Notwendigkeit der konsequenten Entspannungs- und Friedenspolitik. Sie müßte jetzt erfunden und entwickelt werden, wenn es sie nicht gäbe.
Sie wird noch viele Tests — vor allem unserer Geduld - zu bestehen haben, und Geduld werden wir bei der zweiten Phase der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und bei den in Wien beginnenden Verhandlungen über beiderseitigen
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973 3635
Bundeskanzler Brandtausgewogenen Truppenabbau brauchen. Wir brauchen Geduld vor allem im nüchternen Alltag der Ost-West-Politik, gleichviel, ob es sich um die Ausformung unserer Beziehungen zur DDR oder um den Prozeß der Normalisierung und Kooperation mit osteuropäischen Nachbarn handelt.Unsere gesamte Politik nach außen — das will ichsagen, nachdem von Entspannungseuphorie die Rede war ist eingebettet in die unlösbare Zugehörigkeit zur Europäischen Gemeinschaft, die sich im Schutz des Bündnisses zur Union ausformen wird.Das sich neigende Jahr hat das Entspannungskonzept der NATO bekräftigt und der Allianz als Instrument eines dynamischen transatlantischen Dialogs eine neue Dimension gegeben. Die Bundesregierung begrüßt den konstruktiven Geist, mit dem sich alle Verbündeten um die Formulierung einer atlantischen Erklärung bemühen, die dies zum Ausdruck bringt. Das Ziel ist klar: In Sicherheit und durch Solidarität wollen wir eine Partnerschaft begründen, die in der Pflicht des Friedens und unter dem Geist der guten Nachbarschaft steht.Meine Damen und Herren, die Opposition hat gefragt und sie hat Anspruch auf eine Antwort , ob die Mitvertretung der Westberliner und West-Berlins weiterhin für uns gelten wird. Nun, es gilt, was vereinbart wurde. Daran werden wir uns halten; davon lassen wir uns nicht abbringen. Zu dem, was vereinbart wurde, gehört die Mitvertretung West-Berlins und der Westberliner. Das Viermächteabkommen muß strikt eingehalten und voll ausgeschöpft werden. Auf der Grundlage jenes Abkommens müssen auch solche Fragen geregelt werden, die noch nicht geregelt sind, nicht um überflüssige Probleme aufzuwerfen, sondern um künftigen Schwierigkeiten vorzubeugen. Darum geht es nämlich in Wirklichkeit.Die Opposition hat auch nach unseren Grundsätzen für den Handel mit osteuropäischen Ländern gefragt. Dazu möchte ich zunächst feststellen: Die Bundesregierung hat längst jene Haltung überwunden, die ungeachtet vertraglicher Abmachungen durch das Kennwort „Röhrenembargo" bestimmt war. Wenn ich die Ausführungen von Mitgliedern der Opposition richtig interpretiere, so sind sie übereinstimmend dahin zu verstehen, daß auch die Opposition für die Ausweitung des Handels mit osteuropäischen Ländern ist.
Die Ausführungen, die Sie dazu gegenüber osteuropäischen Partnern machen, sind meist noch etwas deutlicher, als es hier klingt.Eine Frage, die gestern gestellt wurde, bezog sich auf vermutete Konditionen im Handel mit osteuropäischen Staatshandelsländern. Nun, über zinsverbilligte Kredite ist in diesen Wochen viel — überwiegend Unzutreffendes oder Mißverstandenes — geschrieben und geredet worden. Wir werden uns mit den Fraktionsvositzenden und den zuständigen Ausschüssen beraten, sobald und sofern die Voraussetzungen für eine solche Beratung gegeben sind. Heute nur soviel: Wir werden, was die Methode staatlich heruntergeschleuster Zinsen angeht, nicht mit anderen Ländern konkurrieren, auch nicht mit uns so nahestehenden Ländern wie Frankreich und den USA.
Zum anderen: Das Verhältnis zu den Staaten Osteuropas, zumal die ökonomische Zusammenarbeit, soll nicht an der Vergangenheit orientiert sein, sondern so stark wie möglich an der Zukunft. Deshalb müssen wir den vielfältigen Möglichkeiten der wirtschaftlichen sowie der wissenschaftlich-technischen Kooperation nachgehen und gehen ihnen nach.Der Handel mit den Ländern, von denen hier die Rede ist, steigt ja schon recht erfreulich. Es geht nun darum, zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den einzelnen osteuropäischen Staaten sowie der Sowjetunion eine langfristige wirtschaftliche Kooperation einzuleiten, die zum beiderseitigen Nutzen eine positive Verflechtung von Interessen herbeiführt. Das ist nicht nur unser Ziel. Es ist auch das Ziel der Europäischen Gemeinschaft. Es ist das Ziel, das sich alle westlichen Staaten für die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa gesetzt haben. Nur im Rahmen eines derartigen umfassenden Konzepts, ,das Westeuropa und Osteuropa wieder in eine gesamteuropäische Beziehung zueinander bringt, werden aus dem wirtschaftlichen Geschehen Wirkungen auf die politischen Beziehungen zugunsten der Friedenssicherung ausgehen können.
Ich darf zu meiner zweiten einleitenden Berner-kung zurückkehren. Wir haben mit der Steuerreform ein Versprechen eingelöst. Es ist nicht das erste. Ein anderes wichtiges Stück Arbeit der sozialliberalen Koalition, zu dem die Opposition herzlich wenig beigetragen hat, obwohl sie sich gern als Hüterin der Marktwirtschaft patentieren lassen würde, waren die dringend notwendigen Ergänzungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Ein weiterer Punkt aus dem Bereich Wirtschaftspolitik, bei dem uns gerade die Ereignisse dieser Wochen eindrucksvoll darüber belehren, wie wichtig er ist: Wir haben im August ein energiepolitisches Konzept verabschiedet. Herr Friderichs hat gestern Wesentliches in dieser Debatte dazu gesagt. So hatten wir es in der Regierungserklärung in Aussicht gestellt. Auch hier erfüllt die Bundesregierung eine Pflicht, die lange versäumt worden war.In Bereichen wie Steuerreform, Wettbewerbsrecht, Energiepolitik, die ordnungspolitisch und gesellschaftspolitisch so wichtig sind, hat diese Koalition bewiesen, daß sie mit Sachverstand und Augenmaß, aber auch mit Beharrlichkeit und Courage ihre Politik voranzutreiben versteht. Dabei wird es bleiben.
Dennoch machen sich die Kollegen von der CDU/ CSU wieder einmal die bittersten Sorgen um die sozialliberale Koalition im allgemeinen und die deutschen Sozialdemokraten im besonderen.
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3636 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973
Bundeskanzler BrandtSie werden sich weiter sorgen müssen, denn die Verantwortung ist noch lange und gut und sicher bei uns aufgehoben.
Beschäftigen Sie sich also mit uns, es soll Ihnen nicht langweilig werden.
Denn Regieren heißt bei uns natürlich nicht, daß auch nur irgendwo andeutungsweise die Diskussion zu vernachlässigen sei oder gar erstickt werden sollte. Diese Diskussion ist unverzichtbar. Sie wirkt in unsere Koalition, sie soll in unsere Koalition wirken. Wir werden im Bündnis der beiden Regierungsparteien die Diskussion fortsetzen, bis wir das Notwendige, das Wünschenswerte und das Mögliche jeweils in einem Kompromiß vereinen, den beide Partner als fair empfinden. Es gibt in dieser Koalition nichts anderes als die gemeinsame Verantwortung, kein Diktat — von wo sollte es auch kommen? —, sondern den sachlichen Zwang, aufeinander zuzugehen. Dies gilt für die Mitbestimmung, es gilt für das Bodenrecht, es gilt für die Vermögensbildung, für die Reform der beruflichen Bildung. So haben wir die Steuerreform geschaffen. So werden wir die anderen notwendigen Reformen ins Werk setzen.Die Bereitschaft zum Kompromiß, die der Anfang aller Vernunft ist, enthebt die Parteien und ihre prägenden Kräfte nicht der Pflicht, ihre Grundforderungen in gebotener Klarheit zu formulieren.
Wie soll man sonst zu dem kommen, das man miteinander aussagen wird?Reden wir also noch einen Augenblick von einem Kernstück unserer Regierungsarbeit unserer Koalition, nämlich von der paritätischen Mitbestimmung in den Großbetrieben! Für uns soll, wie wir es in der Regierungserklärung festgehalten haben, der Grundsatz der Gleichberechtigung und der Gleichwertigkeit von Arbeitnehmern und Anteilseignern gelten. Unsere Kollegen, die sich damit befassen, haben schon gute Arbeit geleistet, um diesen Grundsatz zu konkretisieren. Ich bin überzeugt, auch unter Einbeziehung von besonderen Problemen im Bereich der Angestelltenschaft werden wir eine praktikable Lösung auf dem Boden der Parität finden. Wir können der CDU und CSU freilich nicht ihre Schwierigkeiten abnehmen.
Wir sind auch nicht dazu da, Herrn Blüm zu widersprechen, wenn er gegen Etikettenschwindel und Unredlichkeit aufbegehrt.
Die _ Bundesregierung wird es nicht zulassen, daß den Arbeitnehmern Sand in die Augen gestreut wird. Wir werden diesem Haus eine für beide Partner gute und gesellschaftspolitisch vorwärtsweisende Lösung vorlegen.Mit dem gleichen Realismus werden wir das große Thema der Vermögensbildung aus der Diskussion herausführen und in konkrete Gesellschaftspolitik umsetzen. Vermögensbildung darf nicht zum untauglichen Konjunkturinstrument denaturiert werden.
Gerechtigkeit sollte für uns alle von der Konjunktur unabhängig sein.
Zum Bodenrecht haben interessierte Kreise der CDU/CSU die von uns angeregten Lösungen zunächst als Weg zur Enteignung der Eigenheime diffamiert. Das ließ sich natürlich nicht durchhalten. Inzwischen gibt es sachlichere Einlassungen, und ich hoffe, daß wir uns über manche Auseinandersetzungen hinweg auf relativ breiter Basis schließlich zusammenfinden werden. Wir werden allerdings niemanden aus der Verantwortung entlassen, der sich querlegt.Insgesamt jedoch: Wenn die Bürger Ihnen, verehrte Kollegen von der Opposition, glaubten, dann müßten sie schon jetzt das Gefühl haben, sie schmorten in der rotesten Hölle des Sozialismus und die Freien Demokraten heizten den Kessel.
Was mancher so unter Sozialismus versteht! Jeder Schritt auf dem Wege zur sozialen Gerechtigkeit war für kurzatmige Konservative schon stets ein Schritt in den Abgrund der Gleichmacherei und des Funktionärstaates.
Wie mühsam und wie schwer mancher lernt! Man folgt uns ja, wenn auch hinkend und gestikulierend. Der Fortschritt ist ohne seine Nachhut nicht denkbar, das ist wahr; aber zunächst braucht er seine Avantgarde, und dann braucht er eine große soziale Streitmacht.
Ich halte es nicht für richtig, uns die Verspätungen der Opposition ankreiden zu wollen.
Es ist doch nicht unsere Schuld, wenn der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz heute für gut hält, was der CDU-Chef in Hessen noch gestern und vielleicht auch heute noch als Sozialismus denunziert.
Ich kann Sie, verehrte Kollegen von der Opposition, nicht daran hindern, in der Nachhut zu bleiben. Aber um der Glaubwürdigkeit unserer Demokratie willen bitte ich darum: Trennen Sie sich von jenem Selbstbetrug, der Sie immer wieder dazu zwingt, Forderungen der Gerechtigkeit als Extremismus und als sozialistische Utopie zu verdammen! Ich sage ja nicht, daß es leicht sei, den Übergang zu dem zu finden, was gerecht und was sozial ist.
Aber eines sollten die konservativen Kräfte nicht mehr tun: sie sollten die Ausreden für ihre Versäumnisse nicht mehr immer und grundsätzlich bei anderen suchen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973 3637
Bundeskanzler BrandtDie vergangenen Wochen haben aufs neue deutlich gemacht, daß die Bundesregierung ernst macht mit der Absicht, die Furcht vor materieller Not und sozialem Abstieg zu bannen,
daß sie damit ernst macht, mehr Gerechtigkeit und mehr reale Freiheit in unserer Gesellschaft zu schaffen, auch durch das Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, das wir für sehr wichtig halten, auch durch das Rehabilitationsgesetz, auch durch die Krankenversicherung der Landwirte, auch durch unser Programm zur Humanisierung der Arbeitswelt einschließlich des Arbeitsschutzes für Jugendliche. Ich sage Ihnen: die Humanisierung der Arbeitswelt, also die Fragen der Ausgestaltung der Arbeitsplätze sowie der Mitgestaltungs- und der Mitverantwortungsrechte der Arbeitnehmer, werden neben den klassischen Forderungen nach höherem Lohn und kürzerer Arbeitszeit ganz gewiß an Bedeutung gewinnen.Ich habe vor einigen Tagen an anderer Stelle und aus anderem Anlaß gesagt, hier sei uns für längere Fristen eine Aufgabe gestellt, die wir bereits heute, so energisch wir es nur können, angehen müssen, und ich wiederhole: die Bundesregierung betrachtet Schritte zur Humanisierung der Arbeitswelt als eine ihrer wichtigsten Aufgaben.In diesem Zusammenhang ein aktuelles Wort: In der Metallindustrie von Nord-Württemberg und Nord-Baden herrscht seit einigen Tagen wieder Arbeitsfrieden. Die Tarifparteien haben sich, wie wir wissen, nach langwierigen Verhandlungen auf eine Tarifvereinbarung geeinigt, die von beiden Seiten als epochemachend bezeichnet worden ist. Es ist nicht meine Aufgabe, einem solchen Urteil ein weiteres anzufügen. Wenn ich mich dennoch zum Ergebnis jener Tarifauseinandersetzung äußere, so tue ich es mit der Zurückhaltung, die der Bundesregierung angesichts der Unabhängigkeit und Autonomie der Tarifpartner auferlegt ist. Ich möchte doch drei Dinge feststellen:Erstens. Die Tarifautonomie hat gerade dort ihre Leistungsfähigkeit wieder jedermann sichtbar gemacht.Zweitens. Beide Seiten in unserem Wirtschaftsleben sollten wissen: Dauerhaft gesichert ist nur, was im Tarifvertrag seinen Niederschlag gefunden hat. Das verlangt, daß die Regeln respektiert werden.Ich hätte hinzufügen wollen: Das gilt auch für das Saarland. Ich freue mich, feststellen zu können, daß die Streiks im Saarbergbau beigelegt sind.
Drittens. Niemand darf sich darüber wundern, daß Fortschritte bei der Humanisierung der Arbeitswelt im Detail zäh umstritten sein werden, aber nur Scharlatane können bestreiten, daß hier ganz wesentlich über die zukünftige Stellung der breiten Schichten in unserem Volk entschieden wird.Die Bundesregierung wird also weiter alle Anstrengungen unternehmen, die Arbeitswelt menschlicher zu machen. Investitionen für menschliche Arbeitsbedingungen dürfen hinter Wachstumsinvestitionen nicht zurückbleiben. Menschenwürde, gerade auch am Arbeitsplatz, muß geschützt werden. Hier setzen wir einen Schwerpunkt unserer Orientierung, und hier gehört er gesetzt. Diesen Teil unseres Regierungsprogramm betrachte ich — über diese Legislaturperiode hinaus, nebenbei gesagt — als eine zentrale Aufgabe. Hier haben wir die Chance und die Pflicht, für ein Mehr an Gerechtigkeit zu sorgen. Hier schafft Sicherheit mehr Freiheit, und diese Freiheit schafft mehr konkrete Demokratie.
Die Kollegen Finanzminister und Wirtschaftsminister haben gestern zu den Fragen der Konjunktur- und Haushaltspolitik Stellung genommen. Ich möchte mich auf zwei Feststellungen beschränken.Erstens. Die konsequente, wenn auch natürlich vielfach unbequeme Stabilitätspolitik von Bundesregierung und Bundesbank trägt erste Früchte. Wir werden und wir dürfen diese Erfolge jetzt nicht gefährden.
Die Bundesregierung wird ihre Anstrengungen zur Wiedergewinnung der Stabilität also fortsetzen.Zweitens. Wir werden unsere Stabilitätsmaßnahmen so dosieren, daß die Vollbeschäftigung gesichert bleibt. Die Arbeitsplätze insgesamt sind nicht in Gefahr und werden nicht in Gefahr kommen.
Schwierigkeiten in einigen Branchen beobachten wir mit besonderer Aufmerksamkeit. Wo in einzelnen Bereichen ernsthafte ökonomische und soziale Probleme sichtbar werden,
greifen wir gezielt ein. Die Bundesregierung wird damit ihrer sozialen Verantwortung gerecht, und sie sichert die Voraussetzungen für die notwendige Fortsetzung der Stabilitätspolitik.Meine Damen und Herren, ein Wort noch zum Zusammenhang zwischen Bundeshaushalt und Konjunkturpolitik: Es ist doch nicht so, daß die öffentlichen Haushalte — damit meine ich auch die Länder und die Gemeinden — den Hunger eines unersättlichen Molochs Staat stillen sollen. In den öffentlichen Haushalten sammeln sich die Kosten für die Dienstleistungen und Güter, die der Staat seinen Bürgern zur Verfügung stellt. Wir alle wissen, daß gerade in diesem Bereich — dazu gehören besonders die öffentlichen Investitionen — dringende Aufgaben auf uns warten. Es ist uns darum nicht leicht, sondern es ist uns sehr schwer gefallen — ich sage das ganz offen —, um der Stabilität willen die Ausgaben so einzuschränken, wie es in diesem und im nächsten Jahr notwendig ist. Doch mit Genugtuung stelle ich fest, daß diese Notwendigkeiten in der Öffentlichkeit weithin verstanden werden, — und wenn es nicht so wäre, dann müßte man das immer noch einmal geduldig erklären.
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3638 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973
Bundeskanzler BrandtAn das Gemeinschaftsgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute ist in der Debatte mehrfach erinnert worden. Dort heißt es — ich zitiere —, daß noch nie seit Bestehen der Bundesrepublik so frühzeitig und so energisch gebremst wurde wie jetzt. Dieses Urteil wird ausdrücklich auch auf die Haushaltspolitik des Bundes bezogen. Wann, so möchte ich fragen, findet wohl endlich die Opposition die Kraft, zusätzlich zum Ritual der Haushaltsschelte einmal sachliche Kritik — insoweit Kritik zur Sache — zu üben?Man wirft der Bundesregierung einerseits vor, daß die Steigerungsraten der öffentlichen Investitionen zu niedrig seien; doch andererseits wird der Haushalt als zu hoch verdammt.
Das war 1970 nicht logisch, Herr Althammer, es entsprach 1971 nicht der Logik,
es war 1972 alogisch, und es ist 1973 nicht logischer geworden.
Kann man es dennoch wagen, von der Notwendigkeit eines Klärungsprozesses bei unseren Opponenten zu reden? Wo viel Schatten ist, scheint keineswegs viel Licht zu sein. Opposition bedeutet, wenn sie recht verstanden und geübt wird, doch keineswegs, daß man sich zur Unvernunft verurteilt, meine Damen und Herren.
- Das ist wahr. Einsicht ist keine Machtfrage — da haben Sie völlig recht —, aber eine Frage des Verantwortungsgefühls.Niemand bestreitet, daß die konjunkturgerechte Haushaltspolitik Reformen aufhält, die Geld kosten. Trotzdem, erstens: Im Bereich der Reformmaßnahmen, den an die Geldbeutel der Allgemeinheit gehen, haben wir für jedermann erkennbar gezeigt, daß wir hier wie anderswo nicht mit dem Kopf durch die Wand wollen. Zweitens. Die Opposition weiß so gut wie jeder Bürger in diesem Land, daß ein wichtiger Teil unserer Reformpolitik nicht oder kaum mit zusätzlichem finanziellem Aufwand verbunden ist. Da sollen wir dann tun, was sich machen läßt. Und wenn Ihnen, Herr Strauß, zum Thema kostenlose Reformen nicht wesentlich mehr einfällt als die Kleinschreibung, dann legt das den Schluß nahe, daß es vom Kleingeschriebenen zum Kleinkarierten kein weiter Weg ist.
Was die Solidität unserer Finanzwirtschaft betrifft: sie ist in diesem Haushalt genauso gewährleistet, wie sie es in den vergangenen .Jahren war und wie sie es in der Zukunft sein wird.Ich möchte dem Bundesfinanzminister und seinen Mitarbeitern für ihre Arbeit an diesem Entwurf eines solide finanzierten und konjunkturgerechten Bundeshaushalts 1974 ausdrücklich und aufrichtig danken.
Unser Land kann sich darauf verlassen: Die Regierung der sozialliberalen Koalition wird dafür sorgen, daß uns die Krise erspart bleibt, von der die Opposition seit fast vier Jahren redet und die herbeizureden ihr doch nicht gelungen ist.
Helmut Schmidt schloß seine Haushaltsrede am Dienstag mit dem Wort,
unter dem unsere gesamte Wirtschafts- und Reformpolitik steht: ökonomische Stabilität und gesellschaftlicher Fortschritt. Meine Damen und Herren, das ist eine andere Formel für das Grundmotiv, daß diese Regierung leitet: durch mehr Gerechtigkeit mehr Sicherheit, durch Sicherheit und Gerechtigkeit mehr Freiheit. So bauen wir fort an der Gemeinschaft der freien und selbstbewußten Bürger dieser Bundesrepublik Deutschland.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Carstens.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte ebenso, wie der Herr Bundeskanzler es getan hat, mit einer kurzen Bemerkung über die Situation im Nahen Osten beginnen. Ich glaube, die Opposition ist sich mit der Bundesregierung darin einig, daß wir alle nichts sehnlicher als die endgültige Einstellung der Feindseligkeiten und als die Schaffung der Voraussetzungen für einen dauerhaften und gerechten Frieden in diesem Bereich der Welt wünschen können.
Ich bin allerdings der Meinung, daß zu dem, was der Bundeskanzler ausgeführt hat, doch wohl noch einige zusätzliche Akzente gesetzt werden müssen. Wie auch immer man über die Vorgeschichte dieses Konfliktes denken mag — ganz sicher sind in der Vorgeschichte Fehler sowohl auf der einen wie auf der anderen Seite begangen worden —: Dieser jetzt ausgebrochene Konflikt ist nicht dadurch ausgelöst worden, daß Israel den ersten Schlag geführt hätte. Wir müssen weiter feststellen, daß die Sowjetunion die arabischen Nachbarstaaten Israels nicht nur mit Waffen und Kriegsmaterial versorgt hat, sondern darüber hinaus ein arabisches Land, welches sich dem Konflikt zunächst fernhielt, ausdrücklich ermuntert hat, seinerseits an der Seite seiner arabischen Brüder Partei zu nehmen.
Dies alles ist in einer Phase der weltpolitischen Entwicklung geschehen, die man im allgemeinen als
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973 3639
Dr. Carstens
die Entspannungsphase bezeichnet. Die These, die wir aus dem Munde des Bundeskanzlers hier so oft gehört haben, daß diese Entspannungspolitik den Frieden sicherer mache, hat sich jedenfalls in diesem Teil der Welt nicht bewährt.Die Vereinigten Staaten haben mit großer Präzision vorsichtig dosierte Aktionen unternommen, um das Gleichgewicht in dem genannten Bereich und Raum wiederherzustellen, allerdings erst, nachdem Israel selbst außerordentliche Anstrengungen zu seiner eigenen Verteidigung unternommen hatte. Ich meine, ein Wort der Anerkennung aus dem Munde des Bundeskanzlers gegenüber dem großen Verbündeten, den Vereinigten Staaten, auf den man sich so oft so nachdrücklich bezieht, wäre auch in diesem Zusammenhang wohl angebracht gewesen.
Die beiden Weltmächte sind bemüht — das erkennen wir alle —, die Entwicklung unter Kontrolle zu halten, und haben an dem Zustandekommen des prekären Waffenstillstands, der jetzt erreicht worden ist und von dem wir alle hoffen, daß er dauerhaft sein wird, einen entscheidenden Anteil.Ich glaube, es ist richtig, aus den Lehren und Erfahrungen, die wir in diesen Tagen alle gemacht haben, einige Schlußfolgerungen zu ziehen. Trotz Entspannung ist es nötig, die eigene Verteidigung intakt zu halten. Verdächtigungen der Bundeswehr, wie sie jüngst von einem Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion ausgesprochen worden sind, sind nicht dazu geeignet, die Verteidigungskraft unseres Landes zu stärken.
Ich muß Ihnen, Herr Bundeskanzler und Herr Bundesverteidigungsminister — der der Debatte allerdings wohl nicht mehr beiwohnt —, sagen, daß mich die Ausführungen, die Sie zu diesem Thema gemacht haben, nicht befriedigt haben. Lassen Sie mich bitte noch einmal den Satz, um den es hier geht, aus einem Aufsatz des Kollegen Erwin Horn vorlesen. Er sagt dort:Wer die realsoziologische Wirklichkeit unserer Bundeswehr kennt, wird viele überzeugte Demokraten in der Bundeswehr kennenlernen, zugleich aber auch viele Menschen, die zweifellos ein gebrochenes Verhältnis zur Demokratie und zu unserer Verfassung haben.Das ist so formuliert, daß man den Eindruck gewinnen muß: Die eine Hälfte sind gute Demokraten, die andere Hälfte sind es nicht.
Das ist eine unerhörte Diffamierung der Bundeswehr, die durch die Erklärungen, welche die Regierung hier abgegeben hat, nicht ausgeräumt worden ist. Denn die Bundesregierung hat es eben sorgfältig vermieden, zu rügen, was Herr Kollege Horn hier gesagt hat.
Man kann annehmen, daß Herr Kollege Horn in dieser Art, sich über die Bundeswehr zu äußern, wohl fortfahren wird.
Ich glaube, eine zweite Folgerung, die wir aus den Lehren des Nahen Ostens ziehen müssen, ist die, daß wir alle Anstrengungen zur Verstärkung der europäischen politischen Zusammenarbeit und zur Schaffung der europäischen politischen Union einschließlich einer Zusammenarbeit auf dem Verteidigungssektor unternehmen müssen. Ich freue mich, daß in den Ausführungen des Bundeskanzlers ähnliches angeklungen ist. Nur können wir eben leider nicht davon überzeugt sein, daß dies eine politische Linie ist, hinter der alle Mitglieder des Kabinetts uneingeschränkt stehen.Schließlich möchte ich sagen — das ist die letzte Folgerung, die ich aus der Situation ziehen möchte —, daß eine in sich ausgewogene Entspannungspolitik, die die CDU/CSU seit Mitte der sechziger Jahre befürwortet, das Potential des östlichen Partners nüchtern in Rechnung stellen muß. Zur Entspannungspolitik gehört ein klares Wort der Bundesregierung, der für diese Politik verantwortlichen Männer, nämlich des Inhalts, daß das militärische Potential unseres östlichen Nachbarn trotz Entspannungspolitik von Jahr zu Jahr wächst, stärker als unser eigenes Potential wächst. Sehen Sie, dieses Element der Nüchternheit vermissen wir in Ihren Äußerungen. Das ist der Grund, weswegen wir Ihnen vorwerfen, daß Sie so illusionäre Vorstellungen verbreiten.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat dann zu einer Reihe von Punkten Stellung genommen, auf die ich in aller Kürze eingehen darf.Er hat zunächst bemängelt, daß sich mein Kollege Strauß auf Fritz Erler berufen hat, als er die Rolle der Opposition vor einer Reihe von Jahren definierte. Ich glaube, in der Wertschätzung von Herrn Erler stimmen wir alle überein. Aber ich möchte doch gern einige Zitate aus neuerer Zeit vorlesen dürfen, und zwar von Persönlichkeiten und Kollegen, die dem derzeitigen Bundestag noch sehr wohl angehören, teils in ganz hervorragenden Positionen.Am 30. November 1965 sagte einer von ihnen:Es steht nirgendwo geschrieben, daß die Opposition dabei helfen soll, eine Regierung aus der Zwickmühle herauszuholen, in die sie sich selbst hineinmanövriert hat.
Das war der jetzige Bundesminister der Finanzen.
Und am 10. November 1966 sagte ein hochgeschätztes Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion:Politisch bleibt entscheidend, daß keine Opposition aus ihrer Position heraus Alternativen entwickeln kann, die die letzte Aussagekraft besitzen, da sie ja nicht die Regierungspolitik
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3640 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973
Dr. Carstens
betreibt. Sowohl die Einnahme- als auch die Ausgabeseite werden immer maßgebend von Gesetzen und deren Zielsetzungen beeinflußt, für die im vollen Umfang die Regierungskoalition und nur höchstens partiell die Opposition die Verantwortung trägt.
Meine Damen und Herren, das war Herr Kollege Alex Möller, ein ebenfalls hochgeschätzter Kollege in unserem Hause.
Aber wir tun ja sogar mehr, als wir nach diesen früheren Definitionen zu tun brauchten oder tun sollten. Wir bringen ja Alternativen. Wir haben den Entwurf eines Gesetzes eingebracht, daß unserer Meinung nach ein vorzügliches Instrument zur Bekämpfung der Inflation dargestellt hätte: das Gesetz zur Entlastung der kleineren und mittleren Einkommen von den Inflationsbelastungen, die ihnen zusätzlich auferlegt worden sind. Das lehnen Sie ab.Nun, daß Sie das Gesetz ablehnen, nehme ich Ihnen nicht übel. Es wäre sicherlich zuviel von Ihnen verlangt, daß Sie der Opposition attestieren, daß sie einen guten Gedanken gehabt hat. Aber was ich Ihnen ein wenig übelnehme — das muß ich sagen —, ist die Art und Weise und die Begründung, mit der Sie dieses Gesetz ablehnen, indem Sie nämlich an den entscheidenden Argumenten für unseren Vorschlag immer genau haarscharf vorbeidiskutieren.
Ich will jetzt nicht die ganze Debatte über dieses Gesetz noch einmal wiederholen. Aber das ist doch der entscheidende Punkt: Wir haben 7 % Geldentwertung pro Jahr — Gott sei es geklagt! —, und wegen dieser 7 %igen Geldentwertung müssen die Löhne, wenn wenigstens die Geldentwertung ausgeglichen werden soll, nach Adam Riese doch wohl um etwa 7 % erhöht werden. Daran kommt doch niemand vorbei.
Aber wenn Sie die Löhne nur um 7 % erhöhen, kommt dadurch der durchschnittliche Lohnempfänger in die höhere Stufe des progressiven Steuertarifs hinein und muß so-und-so viel Prozent — drei oder wieviel Prozent es sind — mehr Steuern bezahlen. Das ist doch ein Circulus vitiosus. Es ist doch offenbarer Unsinn, den wir hier betreiben und an den auch kein Mensch gedacht hat, als vor so-und-so vielen Jahren die obere Grenze des Proportionaltarifs bei 16 000 DM festgesetzt worden ist. Niemand konnte voraussehen, daß wir im Jahre 1973 derartige Inflationsraten haben, wie wir sie haben. Unterbrechen wir deswegen doch den Circulus vitiosus und erhöhen den Grundfreibetrag! Sehen Sie, das ist das Einmaleins, in sechs Sätzen zusammengefaßt, unseres Vorschlags,
und kein Sprecher —
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sofort, Frau Präsidentin. Ich möchte nur den Satz zu Ende führen.
Kein Sprecher der Regierungskoalition oder der Regierung hat sich die Mühe gemacht, auf dieses Argument einzugehen.
Bitte schön, Herr Kollege Ehrenberg.
Herr Professor Carstens, wenn Sie schon von einem Circulus vitiosus sprechen, glauben Sie nicht, daß der Versuch, durch eine massive Kaufkraftentlastung Inflation zu bekämpfen, mindestens einem Circulus vitiosus hoch zwei gleichkommt?
Herr Kollege Ehrenberg, bei allem schuldigen Respekt vor Ihnen: Sie gehören auch zu den taubstummen Dialogpartnern.
Man kann hundertmal sagen, daß das einen Einfluß auf die bevorstehenden Tarifgespräche hätte, daß dadurch eine Dämpfung der Forderungen zu erreichen wäre,
aber Sie ignorieren das, und Sie stellen Ihre Fragen so, als wenn das Argument niemals gebraucht worden wäre.Der Herr Bundeskanzler hat dann während seiner Ausführungen noch zu den gesellschaftspolitischen Modellen gesprochen, die demnächst von der Regierung vorgelegt werden. Nun gut, wir warten mit Spannung auf diese Vorlagen. Die kleinen Schwierigkeiten, die sich da noch am Rande der Mitbestimmung — so ungefähr hat der Herr Bundeskanzler wohl gesagt — mit den Angestellten zu ergeben scheinen, scheinen mir ein wenig größer zu sein, als der Herr Bundeskanzler das dargestellt hat.
Aber bitte schön, das ist natürlich eine Sache, die die Regierungskoalition unter sich ausmachen soll. Da warten wir ab, was uns präsentiert wird.Ich möchte Ihnen nur sagen, daß die CSU und die CDU zusammen ein ganz klares gesellschaftspolitisches Konzept entwickeln.
— Sie lachen; Sie werden nicht mehr lachen, wenndas Konzept hier zur Diskussion gestellt wird! —,
ein klares gesellschaftspolitisches Konzept, das auf unserem Hamburger Parteitag mit Sicherheit verabschiedet wird. Dieses wird sich um drei Kernbegriffe herumkristillisieren: Wir sind für soziale Partnerschaft, aber gegen Klassenkampf.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973 3641
Dr. Carstens
— Ich komme auf den Klassenkampf noch zurück, meine Herren. Ich werde Ihnen einige Zitate vorlesen, bei denen Sie vielleicht aufhören werden zu lachen, aber vielleicht auch nicht. — Wir sind für soziale Marktwirtschaft und gegen alle Versuche der planwirtwirtschaftlichen Beeinflussung unseres Wirtschaftsprozesses, und wir sind für persönliches Eigentum und gegen kollektives Eigentum.
An diesen drei Thesen, meine Damen und Herren, werden Sie sich noch die Zähne ausbeißen!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Verehrte Frau Präsidentin, ich glaube, die Zeit schreitet fort, und ich möchte doch gerne — Herr Kollege, es tut mir furchtbar leid — ein bißchen fortfahren. Ich bin auch erst in den allerersten Anfängen meiner Ausführungen. Ich stehe immer noch in dem Teil, den ich gar nicht vorbereitet hatte, sondern in dem ich auf die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers eingehe.
— Hören Sie einmal, ich finde, es ist viel lebhafter, wenn man unvorbereitet spricht. Sonst werfen Sie mir vor, daß ich vorbereitete Texte hier verlese.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch auf zwei Bemerkungen des Herrn Bundesministers der Finanzen eingehen, den ich allerdings in diesem Hohen Hause nicht sehe. Vielleicht ist einer der Kollegen des Finanzministers auf der Regierungsbank so liebenswürdig,
vielleicht ist der Herr Staatssekretär so liebenswürdig, den Herrn Finanzminister über das zu unterrichten, was ich jetzt sagen werde. Trotzdem würde ich es an sich begrüßen, wenn wir wenigstens insoweit uns an gewisse Formen der demokratischen und parlamentarischen Zusammenarbeit hielten, daß, wenn der Vorsitzende der Oppositionsfraktion hier spricht, der Finanzminister selbst anwesend ist.
Der Bundesminister der Finanzen hat in mehreren Bemerkungen anklingen lassen, und andere Redner aus der Regierungskoalition haben es übrigens auch getan, als wenn die CDU/CSU die Restriktionspolitik im ganzen jetzt aufgeben wollte. Das hat niemand von uns gefordert. Aber wir haben gesagt, und ich wiederhole es hier, daß diese Restriktionspolitik regional und sektoral zu Erscheinungen, zu Belastungen führt, die beunruhigend sind und gegen die gezielte Gegenmaßnahmen ergriffen werden müssen, ehe diese Erscheinungen ein größeres, vielleicht sogar ein katastrophales Ausmaß annehmen.Das ist unser Standpunkt, und zu diesem stehen wir.
Eine zweite Bemerkung, die ich gerne noch machen möchte zu den Ausführungen des Herrn Bundesministers der Finanzen. Er beruft sich immer darauf — er hat das vor einigen Tagen nicht zum erstenmal getan —, daß die harte Antiinflationspolitik der Regierung erst möglich gewesen wäre, nachdem durch die gemeinsamen europäischen Maßnahmen eine Freigabe des Dollarkurses im März dieses Jahres bewirkt worden war.
Meine Damen und Herren, dies ist eine nachträglich aufgestellte Schutzbehauptung des Bundesministers der Finanzen, die den wirklichen Sachverhalt in großem Umfange verfälscht und verändert.
In Wahrheit war es doch so, daß der Bundesfinanzminister, damals noch Bundesverteidigungsminister, an der Spitze derjenigen Kräfte stand, die im Jahre 1972 den damaligen Minister für Wirtschaft und Finanzen, Herrn Schiller, zum Rücktritt zwangen, weil sie mit seinem Stabilitätsprogramm nicht einverstanden waren.
Noch Ende Januar 1973 erklärte der Bundesfinanzminister in einem Interview gegenüber der „Times" — ich zitiere jetzt wörtlich —:Da wir nicht erneut unseren Wechselkurs ändern möchten, wollen wir uns nicht vom allgemeinen Inflationstempo der Europäischen Gemeinschaft abhängen.Dies waren seine damaligen Worte, und diese Fünf-Prozent-Rede, die hier so oft erwähnt worden ist, daß ich sie nicht noch einmal wiederholen will, zeigt doch auf einen Mann, der die Bekämpfung der Inflation sich nicht zum Ziel gesetzt hat, jedenfalls nicht im damaligen Zeitpunkt. Die Ratschläge, die sein vormaliger Staatssekretär, Herr Mommsen, ihm gegeben hat, sind ja auch alle öffentlich bekanntgeworden.Durch das Zögern des Finanzministers im Frühjahr dieses Jahres sind 6 Milliarden Dollar in die Bundesrepublik Deutschland hereingeflossen — unnötigerweise, sage ich. Alle diese Dinge muß man wissen, wenn man hört, daß der Bundesfinanzminister jetzt sagt, er habe nicht eher handeln können, weil die europäische Einigung in der Frage der Freigabe der Kurse gegenüber dem Dollar nicht herbeigeführt worden war.Meine Damen und Herren, die schlichte Wahrheit ist: er wollte nicht eher handeln. Dies ist der Vorwurf, den wir gegen ihn und seine Regierung erheben. Sie haben die Bekämpfung der Inflation in einem viel zu späten Zeitpunkt aufgenommen.
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3642 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973
Dr. Carstens
Meine Damen und Herren, ich hatte vor, noch einige weitere Mitglieder dieses Bundeskabinetts in meiner Rede zum Haushalt kurz anzusprechen.
Ich möchte gern mit dem Bundesminister für Verkehr beginnen, Herrn Lauritz Lauritzen.
— Er ist auch nicht da. Das tut mir leid.
Vielleicht kann jemand Herrn Bundesminister Lauritzen das weitergeben, was ich jetzt an seine Adresse sage. Vielleicht führt seine Abwesenheit dazu, daß meine Bemerkungen weniger scharf ausfallen, als ich sie sonst gemacht hätte.Aber ich muß doch sagen, daß ein solches Beispiel von Unsicherheit und Hilflosigkeit eines Bundesministers
gegenüber einer zugegebenermaßen schwierigen Situation mir in der bisherigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nicht bekannt ist.
— Oh, er ist da! Ich bitte um Entschuldigung, Herr Bundesminister, ich habe Sie nicht gesehen. Ich nehme alles zurück, was ich über Ihre Abwesenheit gesagt habe. Ihre Anwesenheit setzt mich in den Stand, etwas schärfer zu sprechen, als ich es sonst getan hätte.
Es fing mit einer harten Behandlung der Fluglotsen an. Dann folgte das, was ich hier einmal — wie ich zugebe, vielleicht etwas salopp — die „weiche Welle" nennen möchte. Dann kam plötzlich der geniale Gedanke, daß Eurocontrol die Rettung aus allen Schwiereigkeiten sei. Aber das dauerte ja auch nur ganz wenige Tage, wenn ich es richtig in Erinnerung habe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
das geht auf keinen Fall. Und dann sagte der Herr Bundesminister für Verkehr im Zweiten Deutschen Fernsehen am 4. Juli dieses Jahres:
[ch lasse mich auch durch Katastrophenmeldungen nicht verunsichern. Derjenige, der in der Bundesrepublik für den Flugverkehr verantwortlich ist, muß genau wissen, was er will.
Ich muß sagen: Wenn der Herr Bundesminister für
Verkehr genau wußte, was er wollte, und noch
immer genau weiß, was er will, dann besitzt er die
meisterhafte Kunst, dieses sein Wissen vor anderen geheimzuhalten.
Und die einzige auf die Dauer erfolgversprechende Gegenmaßnahme, die ich Ihnen, Herr Bundesminister für Verkehr, auch heute noch dringend anraten möchte,
haben Sie unterlassen, nämlich die Bildung einer Personalreserve, die Sie aus dem Druck befreien würde, unter den Sie die zweifellos rechtswidrig handelnden Fluglotsen- jetzt setzen.
— Oh, ich bin genau auf dem laufenden. Ich verfolge
zwar die Diskussion nur aus der Ferne, aber, Herr Kollege Haehser,
eine gewisse Distanz ist manchmal ganz gut, um die Schwächen des anderen besser zu erkennen.
Verehrter Herr Bundeskanzler, ich spreche Sie in diesem Zusammenhang jetzt auch noch einmal an. Sie selbst haben sich in dieser Frage im wesentlichen schweigend verhalten. Meine zweimaligen Appelle an Sie, daß Sie sich doch einmal mit den Fluglotsen unterhalten sollten,
haben Sie mit der Begründung zurückgewiesen, die Fluglotsen handelten rechtswidrig, und Sie könnten deswegen mit ihnen nicht sprechen.
Wenn Sie. verehrter Herr Bundeskanzler, das zur allgemeinen Richtschnur Ihres Verhaltens erheben wollen, daß Sie mit Menschen, die sich rechtswidrig verhalten, in Zukunft nicht mehr sprechen wollen, dann müssen Sie den Kreis Ihrer Gesprächspartner, so fürchte ich, drastisch reduzieren.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leber?
Herr Bundesminister!
Herr Kollege Carstens, glauben Sie nicht, daß das Fluglotsenproblem vermutlich viel leichter lösbar wäre, wenn nicht unter der Verantwortung der CDU im Jahre 1962 der schlimmste aller
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Bundesminister LeberAuswege, nämlich die Verbeamtung der Fluglotsen, gewählt worden wäre?
Herr Bundesminister Leber, ich erkenne an, daß die Art und Weise, in der Sie Ihre Frage formuliert haben, den geschickten Versuch darstellt, uns vergessen zu machen, daß Sie seit 1969 für diesen Bereich die Verantwortung tragen
— seit 1966 für diesen Bereich die Verantwortung tragen — und daß leider in der damaligen Situation insofern die Grundlage für den jetzt bestehenden Konflikt gelegt worden ist, als durch ein Gutachten, das, wie ich glaube, Sie selbst in Auftrag gegeben haben, in den Fluglotsen Hoffnungen geweckt worden sind, die die jetzige Regierung nicht erfüllen kann.
Ich betone noch einmal: Ich bitte das nicht in dem Sinne zu verstehen, daß ich das Verhalten der Fluglotsen rechtfertige. Aber hier ist ein schwerer Fehler der Bundesregierung zu verzeichnen, für den, soweit ich sehe, Sie, Herr Bundesminister, die Verantwortung tragen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? — Nein; danke.
Ich habe auch dem Herrn Bundesminister für Technologie und Wissenschaft, Herrn Bundesminister Ehmke,
noch einige Worte zu widmen — auch er ist nicht da; nun gut —
- Aber der Herr Bundesfinanzminister ist leider immer noch nicht da.
Ich glaube, Sie dürfen den Bundesfinanzminister nicht so gering veranschlagen, als daß ich ihn nicht auch als ein Mitglied dieses Kabinetts betrachten würde.
Meine Damen und Herren, ich wollte mich mit Herrn Bundesminister Ehmke vorwiegend im Zusammenhang mit der Aussage befassen, die er vor dem
Untersuchungsausschuß, dem Untersuchungsausschuß Wienand /Steiner, gemacht hat.
– Wienand/Steiner, Steiner/Wienand — über die Reihenfolge streite ich mich mit Ihnen nicht.
Vor dem Untersuchungsausschuß hatte er auf die Frage zu antworten, zu welchem Zweck er ein oder zwei Tage vor dem Mißtrauensvotum 50 000 DM aus dem Geheimtitel des Bundeskanzlers abgehoben hatte. Auf die in diesem Zusammenhang an ihn gerichteten Fragen, meine Damen und Herren, hat er neunmal die Aussage verweigert.
Es ist ein geduldiges Volk, das deutsche Volk, und es ist ein geduldiges Parlament, der Deutsche Bundestag. Denn wenn man sieht, was in einem anderen Land passiert, wenn die Exekutive versucht, sich hinter Geheimhaltungsvorschriften zu verschanzen und in einer Frage, die die Öffentlichkeit auf das Höchste erregt, die Aussage verweigert, dann muß man sich wirklich wundern, wie es möglich ist, daß sich ein Untersuchungsausschuß damit zufrieden gibt, daß der betreffende Minister erklärt: Darauf verweigere ich die Aussage — und das nicht weniger als neunmal.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kleinert?
Bitte schön!
Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Carstens, würden Sie so freundlich sein, hier zu erklären, ob Sie als Amtsvorgänger von Herrn Ehmke nicht in ganz ähnlicher Weise verfahren wären? Würden Sie bereit sein, darüber hinaus zur Kenntnis zu nehmen, daß wir, alle Mitglieder des Ausschusses, die besonderen Belange der Bundesrepublik — gleichgültig, wer jeweils die Regierungsverantwortung trägt — in diesem Falle auch bei der Benennung von Zeugen sehr sorgfältig zu berücksichtigen bemüht waren?
Herr Kollege, was mich selbst betrifft, so möchte ich Ihnen sagen, wenn ich durch eine volle Aufklärung der Öffentlichkeit eine Bundesregierung, der ich gedient habe, von dem ungeheuerlichen Verdacht hätte befreien können, daß aus amtlichen Mitteln
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Dr. Carstens
ein Abgeordneter der damaligen Opposition dazu verleitet worden ist, gegen seine Fraktion und für die damalige Regierung zu stimmen,
hätte ich die Karten rücksichtslos auf den Tisch gelegt.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Nein, ich möchte jetzt keine Zwischenfragen annehmen.
Das ist doch eine Frage der Güterabwägung, die hier vorgenommen werden muß.
Und nun muß ich Ihnen sagen, meine Damen und Herren,
wenn ich höre, daß der Herr Bundesminister Ehmke erklärt hat, er hätte einen großen Betrag von diesen 50 000 DM für einen „sicherheitsrelevanten Bereich" benötigt, dann allerdings überfährt mich eine Gänsehaut. Das muß ich Ihnen wirklich sagen. Die Vorstellung, 'daß unter der Leitung von Herrn Ehmke im Bundeskanzleramt eine Art Amateurnachrichtendienst aufgezogen worden sein sollte, ist abenteuerlich, wenn man sich vergegenwärtigt, welch einen sicheren Instinkt Herr Bundesminister Ehmke bei allen sonst sicherlich zu schätzenden geistigen Fähigkeiten, die er hat, dafür besitzt, Situationen herbeizuführen, die für ihn selbst, für die Regierung, der er dient, und für unser ganzes Land die größten Schwierigkeiten zur Folge haben. Ich darf hier nur daran erinnern, daß er einen griechischen Professor aus Athen mit einer Maschine der Luftwaffe entführen ließ, ich darf Sie weiter daran erinnern, daß er eine dubiose Persönlichkeit aus der Schweiz kommen ließ, um sich von ihr Material gegen ein hochehrenswertes Mitglied dieses Hohen Hauses zu beschaffen — Behauptungen übrigens, die sich hinterher alle als falsch erwiesen —, daß offenbar zwischen dieser seiner Aktion und einer Veröffentlichung in der Illustrierten „Stern", die in denselben Tagen erfolgten, ein innerer Zusammenhang bestand mit dem Erfolg, daß der „Stern" eine Entschädigung von 20 000 DM, nachdem er einen Prozeß verloren hatte, an den Abgeordneten zahlen mußte, von dem ich jetzt spreche.
Wie gleichen sich doch die Zeichen, meine Damen und Herren. In diesen Tagen lesen wir wieder eine großartige Veröffentlichung im „Stern". Da wird jemand, den ich gar nicht kenne, bezichtigt, im Dienste des Bundesnachrichtendienstes gestanden zu haben. Und auf eine Frage antwortet der jetzige Staatssekretär des Bundeskanzleramtes: Jawohl, ich bestätige, bis in die 60er Jahre hinein hat der Betreffende für den BND gearbeitet.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
Bitte schön, Herr Kollege Wehner.
Herr Vorsitzender der Fraktion der CDU/CSU, haben Sie deshalb die Sitzung des Vertrauensmännergremiums nicht besucht, um diese Pointe hier bringen zu können, weil sie wußten, dart stand diese Frage zur Klärung?
Verehrter Herr Kollege Wehner, ich will Ihnen einmal etwas sagen. Ich trage hier vor diesem Haus Dinge vor, die öffentlich belegt sind, und keine Dinge, die-
— Hören Sie, wenn wir beide reden, kann uns keiner verstehen. Vielleicht wäre es ganz gut, wir sprächen nacheinander.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hirsch?
Wenn ich hier etwas vortrage, was der Herr Staatssekretär gesagt hat, — —
— Das ist doch nicht skandalös. Jawohl, daß er es gesagt hat, ist skandalös, aber doch nicht, daß ich es hier vortrage.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hirsch?
Meine Damen und Herren, hier werden Nachrichtendienste zur Bekämpfung innenpolitischer Gegner mißbraucht, hier wird die staatliche Autorität mißbraucht, und hier werden fest verankerte Grundsätze über den Umgang mit geheimen Vorgängen der Staatssicherheit über Bord geworfen.
Meine Damen und Herren, ich sehe mit großem Bedauern,
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Dr. Carstens
daß meine Zeit sich dem Ende zuneigt, aber das ist ein Schicksal, das ich mit vielen anderen tragen muß,
das man sicherlich mit Fassung tragen muß. Ich hatte mir vorgenommen, noch eine längere Betrachtung über das Zusammenwirken anzustellen, Herr Kollege Wehner,
welches in meinen Augen immer deutlicher sichtbar wird, das Zusammenwirken zwischen Ihrem Verhalten und dem Verhalten des Herrn Bundesministers Bahr in den zurückliegenden Jahren.Sie wissen, daß ich hier vielfach und immer wieder die Verhandlungsführung von Herrn Bahr in den zurückliegenden Jahren kritisiert habe und daß ich, wie ich glaube, den schlüssigen Nachweis geführt habe,
daß Herr Bahr 1968, 1969 und noch 1972 für eine Lösung der europäischen Probleme eingetreten ist, die in klarem Widerspruch zu der Politik steht, die die Bundesregierung — öffentlich jedenfalls — vertritt. Aber ich muß sagen, die letzten Dinge, die wir auf diesem Gebiet erfahren haben, zeigen an, daß der Vorsitzende der SPD-Fraktion — jedenfalls in einigen Fragen; für einige Fragen ist das klar erkennbar mit dem Konzept des Herrn Bahr übereinstimmt.Das bezieht sich auf die Frage, ob die Bundesregierung ihren Berlin-Standpunkt überzogen habe. Hier hat der „Vorwärts" vor einigen Tagen wieder in dieselbe Kerbe geschlagen, in die auch schon Herr Kollege Wehner hineingeschlagen hatte. Und immer wieder dreht es sich um die Frage der Einbeziehung West-Berlins in die völkerrechtlichen Verträge der Bundesrepublik Deutschland.Meine verehrten Damen und Herren, ich möchte Sie wirklich bitten — denn das ist eine sehr, sehr ernste Sache —, einmal zur Kenntnis zu nehmen, was ich heute, glaube ich, zum fünften- oder sechstenmal sage.
Es wird von Ihrer Seite — so auch wieder in diesem Artikel des „Vorwärts" — behauptet, das Vierniächteabkommen über Berlin sehe lediglich vor, daß Berlin in die völkerrechtlichen Verträge der Bundesrepublik Deutschland einbezogen werden könne, aber es sehe nicht vor, daß Berlin einbezogen werden müsse. Diese Behauptung dient dann als Schutzbehauptung angesichts der Tatsache, daß die Bundesregierung auf diesem Gebiet nicht mehr erreicht.Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß in diesem — zugegebenermaßen kompliziert formulierten — Viermächteabkommen wenige Absätze nach dem von mir soeben wiedergegebenen Satz, nämlich in Anlage IV B 2 d
- ja, es ist wirklich wichtig, und da Sie es nicht zur Kenntnis nehmen, erlauben Sie mir, Ihnen die Fundstelle genau anzugeben, damit Sie es nachlesen können —,
steht, daß die Sowjetunion gegen eine derartige Einbeziehung Berlins keine Einwendungen erheben wird. Das ist doch eine ganz klare Verpflichtung der Sowjetunion! Und wie ist es denn menschenmöglich, so frage ich, daß in einer Darstellung über das Viermächteabkommen zwar die eine Hälfte dieser Vereinbarungen zitiert, die andere Hälfte aber unter den Tisch gefegt wird? Das dürfen wir nicht zulassen, und in dem Punkte sollten wir alle einer Meinung sein!
Aber der Herr Kollege Wehner hat sich nicht darauf beschränkt, zu erklären, daß die Bundesregierung ihren Standpunkt in der Berlin-Frage überzogen habe, sondern er hat darüber hinaus vor wenigen Tagen nach einer Meldung, die ich in der „Süddeutschen Zeitung" gelesen habe, davor gewarnt, daß die westliche Forderung nach größerer Freizügigkeit zwischen Ost und West zur Vorbedingung für einen Erfolg der europäischen Sicherheitskonferenz gemacht wird. — Meine Damen und Herren, damit — ich kann es nicht anders ausdrücken — demontiert
Herr Kollege Wehner eine weitere wichtige Position in den Ost-West-Verhandlungen eine Position, die nicht nur die der Bundesregierung ist, sondern die auch eine gemeinsame Position des gesamten Westens darstellt.
Es werden sicherlich schwierige Verhandlungen sein, die über diesen Punkt zu führen sein werden. Aber es ist der einzige Punkt, bei dem die westliche Seite Gegenforderungen gegenüber den weitgehenden Wünschen der östlichen Seite erhebt.Was ist denn das, so frage ich Sie, für eine Verhandlungsführung, bei der ein maßgebender, ich möchte sagen, der maßgebende Sprecher der Regierungsfraktionen, bevor die Verhandlungen überhaupt begonnen haben, erklärt: „Das darf man nicht zur Vorbedingung eines Erfolges machen"!? Das heißt doch wirklich die gemeinsame Position erschüttern und demontieren.
Die Forderung nach größerer Freizügigkeit — das will ich hier ganz freimütig hervorheben — ist eine Forderung, die die CDU/CSU vor Jahren zuerst aufgestellt hat, eine Forderung, die die Regierung sich zu eigen gemacht hat, eine Forderung, die der gesamte Westen sich zu eigen gemacht hat. Warum in aller Welt sollten wir von dieser Forderung ablassen?Ich möchte noch einige wenige Worte über einen Punkt sagen, auf den auch der Herr Bundeskanzler in seinen Ausführungen eingegangen ist, auf den
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Dr. Carstens
Herr Ehmke in seinen gestrigen Ausführungen sehr ausführlich eingegangen ist, nämlich auf die Frage des Vordringens radikaler verfassungsfeindlicher Kräfte in unserem Land. Man will uns ja glauben machen, daß das eine Schimäre sei, eine Gefahr, die wir an die Wand malen, um die Bürger zu erschrekken. Aber ich glaube, mit dieser Art von Verharmlosung wird man auf die Dauer die wirkliche Gefahr, die hier droht, nicht verheimlichen können. Es fängt mit der Einstellung von Bewerbern, die der DKP angehören, in den Staatsdienst an. Wir alle kennen einen in dieser Frage sehr entschiedenen Beschluß der Ministerpräsidenten,
dem der Bundeskanzler selbst zugestimmt hat, vom Januar 1972. Aber wir wissen alle, daß ungeachtet dieses Beschlusses im Lande Nordrhein-Westfalen ein kommunistischer Funktionär zum Richter gemacht worden wäre — mit Zustimmung des Justizministers, mit Zustimmung des Ministerpräsidenten und ohne daß man ein Wort der Einwendung seitens des Herrn Bundeskanzlers dazu gehört hätte —, wenn nicht dort im letzten Moment die Opposition — die CDU-Opposition im Landtag — und zwei der FDP angehörige Minister ein Veto eingelegt hätten.
Wir kennen die Beschlüsse, die die Landesverbände der SPD zu diesem Thema abgegeben haben, in denen deutlich die Abschaffung des damaligen Beschlusses gefordert wird. Wir sehen mit großer Sorge die weiche und unentschiedene Haltung, die der Bundeskanzler selbst in dieser Frage einnimmt. Dazu möchte ich nur auf eine Tatsache hinweisen, die sicherlich von niemandem bestritten werden wird. In einer Konferenz des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten, die kürzlich stattgefunden hat, hat der Bundeskanzler zunächst ganz klar bestätigt, daß der Beschluß vom Januar 1972 weiter Gültigkeit habe. Aber in der amtlichen Verlautbarung, die am nächsten Tag darüber veröffentlicht wurde, stand davon kein Wort. Natürlich stand davon kein Wort darin, weil offenbar starke Kräfte in der Partei des Bundeskanzlers in dieser Frage anderer Meinung sind als er.
Aber es handelt sich um eine ernste Frage und um eine Frage, Herr Bundeskanzler, zu der Sie klar und eindeutig Stellung beziehen müssen.Ebenso müssen Sie nach meiner Auffassung klar und unzweideutig gegen die Versuche Stellung nehmen, den Schulunterricht an den Schulen einiger deutscher Länder — in Hessen z. B., in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen — umzufunktionieren zu einem Instrument zur Bekämpfung unserer freiheitlich-demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung und zur Vorbereitung unserer Gesellschaftsordnung im Sinne spätmarxistischer Ideologien. Das sind doch unbestreitbare Tatsachen, daß die hessischen Rahmenrichtlinien dies vorsehen.
Wenn Sie darauf antworten — so habe ich Ihre heutige Bemerkung verstanden, Herr Bundeskanzler —, daß es nicht Ihre Aufgabe sei, die Richtlinien der Kulturpolitik zu bestimmen, so möchte ich dem mit aller Entschiedenheit widersprechen. Es handelt sich hierbei nicht um eine Frage der Kulturpolitik, ob groß oder klein geschrieben werden soll, ob Französisch oder Englisch als erste Fremdsprache gelehrt werden soll, sondern es handelt sich um eine hochpolitische Frage, eine Frage, von deren Beantwortung wahrscheinlich ,die Existenz unseres Staates als eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates abhängt.
Wenn Sie dazu wie in Ihrer Segeberger Rede sagen, Sie könnten nicht wissen, ob in diesen Richtlinien im einzelnen Unrichtiges ins Auge gefaßt worden sei, oder wenn Sie heute dazu sagen, Richtlinien der Kulturpolitik seien nicht Sache des Bundes, dann weichen Sie, Herr Bundeskanzler, in einer entscheidenden Frage wieder einmal der Entscheidung aus.
Ich kann durchaus verstehen, warum Sie das tun. Natürlich sehen wir alle die inneren Vorgänge in der Sozialdemokratischen Partei, das Anwachsen linker Kräfte in dieser Partei. Ich verweise auf die Rede, die Herr Wolfgang Roth am 1. August auf den Weltjugendfestspielen in Ost-Berlin gehalten hat, wo er sich mit Leonid Breschnew, Eduard Gierek, Erich Honecker — und dann hat er Willy Brandt auch noch in diesem Zusammenhang genannt — solidarisierte und die Gelegenheit benutzte, um die freiheitlich-demokratischen, rechtsstaatlichen Kräfte in unserem Land als konservative Reaktionäre und Gegner einer künftigen Friedensordnung zu diffamieren. Ich sehe die Tendenzen zur Schaffung eines imperativen Mandats in Ihrer Partei, auf die der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Münchener Stadtrat, Herr Preißinger, am 9. Juli 1973 so eindrucksvoll hingewiesen hat. Ich lese den Brief von Herrn Hermann Kreutzer, der schreibt — in einem offenen Brief, also offensichtlich einem zu unserer allgemeinen Kenntnis bestimmten Brief —, daß die „Grotewohls unter uns" seien; so heißt es dort wörtlich. Ich lese eine Verlautbarung des Herrn Bundesministers für Wohnungsbau, Herrn Vogel, in der er erklärt, daß es eine Gruppe gebe, die innerhalb der SPD ganz offen einer staatszerstörenden Konfliktstrategie, dem verschärften Klassenkampf und der Zusammenarbeit mit den Kommunisten das Wort rede.
Das sind doch nicht Dinge, die ich hier erfinde, das sind Dinge, die man jeden Tag mit Händen greifen kann.
Nach Pressemeldungen aus Bremen — es tut mir leid, daß aus meiner geliebten Heimatstadt in letzter Zeit so viele unglückliche Nachrichten kommen — ist dort eine Prüfungskommission eingesetzt worden, die die Staatsprüfung von Juristen abnehmen soll. Dieser Prüfungskommission gehören fünf Studen-
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Dr. Carstens
ten an. Ob das sinnvoll ist, mag vielleicht mehr eine bildungspolitische als eine staatspolitische Frage sein. Aber wenn unter diesen fünf Studenten zwei Mitglieder der DKP sind und, Herr Kollege Wehner, ein weiteres Mitglied, welches einer links von der DKP stehenden Gruppe in Bremen, nämlich den sogenannten Chaoten, angehört, dann muß man sich allerdings fragen: Wohin treibt dieser Staat?
Stellen Sie sich doch einmal eine Prüfung vor einer so gearteten Kommission vor. Da sitzen nun die beiden Herren Kommunisten und der Chaote, dessen Weltanschauung ich im einzelnen nicht wiedergeben kann, und da sitzen die armen Prüflinge, die das Examen bestehen wollen. Was bleibt denen denn anderes übrig, als die Antworten auswendig zu lernen, die diese Prüfer von ihnen verlangen. Das ist doch eine Pervertierung des Prüfungssystems, die ihresgleichen sucht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte zum Schluß kommen, Frau Präsident.
Herr Kollege Ehmke, der leider immer noch nicht da ist, hat gestern den Versuch gemacht — —
Herr Ehmke ist inzwischen da. Er sitzt auf der Abgeordnetenbank.
Sie sind ausnahmsweise unauffällig eingetroffen, Herr Kollege Ehmke, muß ich Ihnen sagen.
Aber ich bin gerade dabei, mich mit Ihnen auseinanderzusetzen.
- Aber unauffällig, das geben Sie zu.
— Nun gut, dann eben weniger unauffällig. Das würde ja seinem Charakter auch weit besser entsprechen.
Ich hätte sehr gern, Herr Kollege Ehmke, das aufgenommen, was Sie hier gestern vorgetragen haben in Zusammenhang mit einer Kontroverse über Herrn Bundesminister Eppler. Ich nehme den Gegenstand der Diskussion — Demokratie und Freiheit — sehr ernst und würde es begrüßen, wenn wir — wie Sie es angeregt haben — darüber einmal miteinander diskutieren könnten. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß die Verwendung der Begriffe „Demokratie" und „Demokratisierung" für Partizipation und Mitbestimmung — Dinge, die wir alle wollen — ein fundamentaler Fehler ist, und nicht nur ein Fehler, ich möchte sagen, ein logischer, ein Denkfehler ist, sondern daß er insofern ein verhängnisvoller Fehler ist, als mit der Einführung des Begriffs „Demokratisierung" in diesen Sachverhalt falsche Hoffnungen erweckt werden, die unerfüllbar sind. Denn sehen Sie, zum Begriff der Demokratie gehört, jedenfalls für mein Verständnis — ich bin ganz sicher: für das Ihre auch —, die Gleichheit der Rechte aller an der demokratischen Verfassung Partizipierenden. Ein preußisches Dreiklassenwahlrecht ist nicht Demokratie in unserem Sinne.
Und nun frage ich Sie, Herr Kollege Ehmke und meine Damen und Herren: Demokratisierung anstatt Mitbestimmung und Partizipation führt doch, wenn Sie diesen Gedanken zu Ende denken, zu vollständig absurden Resultaten. Niemand von Ihnen will, daß — alle Schüler und alle Lehrer und der Direktor und die Eltern — jeder eine gleiche Stimme hat. Ich nehme an, niemand von Ihnen faßt ins Auge, daß in der Dienststelle des Herrn Bundeskanzlers, im Bundeskanzleramt, etwa in Zukunft die Referenten und Hilfsreferenten gleichberechtigt über die Richtlinien der Politik abstimmen können. Das ist doch Unsinn. Aber das sind alles Dinge, die mit dem Begriff der Demokratisierung angesprochen werden. Deswegen ist es ein falscher Begriff für eine Sache, die berechtigt ist, nämlich Partizipation und Mitbestimmung.
Auf diese Diskussion hat sich der Herr Kollege Eppler nun eingelassen in einer Besprechung die er über eine Schrift von Schelsky im „Spiegel" in einer der letzten Wochen verfaßt hat. Ich hätte gar nichts dagegen, wenn ich auch glaube, daß die Argumente von Herrn Eppler falsch sind und nicht ausreichen, die Thesen von Herrn Schelsky zu widerlegen, wenn nicht Herr Eppler — Herr Bundeskanzler, und hier spreche ich Sie wieder an — diese seine Ausführungen beendet hätte mit dem Satz — ich zitiere jetzt aus dem Gedächtnis —: Wie muß es um eine Partei bestellt sein — damit war offensichtlich die CDU gemeint -, die sich an solch einem Fusel besaufen kann!
— Meine Damen und Herren, die Sie klatschen, ich möchte Ihnen sagen: Bei diesem Satz fragt man sich, ob die Dummheit dessen, der ihn ausspricht, größer .ist oder seine Arroganz.
Herr Abgeordneter, ich bin nicht ganz sicher, ob es richtig ist, daß Sie ein Mitglied des Hauses hier der Dummheit bezichtigen.
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3648 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973
Präsident Frau Renger— Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe. Sie können sich hinterher bei mir — —
— Ich bitte um Ruhe.
— Herr Abgeordneter Strauß, ich bitte um Ruhe. Sie können sich nicht mit mir darüber unterhalten, was ich jetzt hier bemerke. Das können Sie hinterher vielleicht beanstanden.
Meine Damen und Herren, ich kann nur feststellen, daß, wenn der eine „Fusel" sagt, dies offenbar ein vorzüglicher demokratischer, parlamentarisch korrekter Ausdruck ist; „Fusel" und „besaufen" sind alles korrekte Ausdrücke, „Dummheit" ist es nicht.
Dummheit ist eine, wie ich finde, wertfreie Feststellung.
Aber sei dem, wie ihm wolle: Herr Kollege Eppler — Herr Bundesminister Eppler, muß ich ja wohl in diesem Fall sagen — betätigt sich auch sehr intensiv auf dem Gebiet der auswärtigen Politik. Ich wollte eigentlich dazu Stellung nehmen. Ich habe zu meinem nicht geringen Vergnügen ein Zitat aus einer Fernsehsendung gefunden, in der sich der Sprecher des Auswärtigen Amtes — Herr Bundesminister des Auswärtigen, meinen Respekt vor Ihren Mitarbeitern — zu diesem Thema folgendermaßen geäußert hat;
das ist so großartig, daß ich auf die Gefahr, mir einen zweiten Ordnungsruf der Frau Präsidentin zuzuziehen, nicht umhin kann — —
Herr Abgeordneter, Sie haben keinen Ordnungsruf bekommen.
Nicht? — Oh, ich danke Ihnen sehr.
Das passiert erst beim nächstenmal.
Dann hatte ich Sie falsch verstanden, Frau Präsidentin. Ich fühle mich jetzt wohler.
Ich möchte diesen Satz vorlesen, meine Damen und Herren; auf den kommt es an.
Der Sprecher des Auswärtigen Amts sagte mit
Bezug auf diesen Komplex der Belehrungen, die
von seiten des Herrn Bundesministers Eppler — —
— Aber, Herr Kollege Haehser, nun lassen Sie uns doch nicht jeden Sinn für Humor verlieren! Ich hoffe, daß Sie wirklich herzlich lachen werden, wenn ich Ihnen den Satz vorlese. Er ist schön, er ist wunderschön. Ich lese ihn vor, nicht nur weil er vom Sprecher des Auswärtigen Amts stammt,
sondern auch weil ich ihn für richtig halte. Der Sprecher des Auswärtigen Amts sagte mit Bezug auf den Komplex,
daß ein Bundesminister auswärtigen Staaten dauernd Belehrungen erteilt — damit ist ganz offensichtlich Herr Eppler gemeint, obwohl er hier nicht namentlich genannt wird —:
Wir können nicht als moralisierende Tante mit erhobenem Zeigefinger und missionarischem Eifer der übrigen Völkerfamilie auf den Wecker fallen und versuchen, ihnen Lehren zu erteilen, wie sie ihre eigenen Angelegenheiten regeln sollen. Ich nehme an, dazu fehlt uns vermutlich auch das Talent, bestimmt aber die Qualifikation.
Meine Damen und Herren, Hut ab vor dem Sprecher des Auswärtigen Amts! Ich habe dieser Charakterisierung nichts hinzuzufügen.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie jetzt bitten, zum Ende zu kommen. Sie haben Ihre Redezeit schon weit überschritten.
Meine Damen und Herren, ich habe meine Redezeit schon überschritten; mir tut das unendlich leid.
Ich möchte nur noch folgendes sagen. Von diesen Zuständen, die wir hier geschildert haben, die ich zu schildern versucht habe, möchte die Bundesregierung, vor allen Dingen auch die sozialdemokratische Fraktion, mehr und mehr dadurch ablenken, daß sie auf die vergangenen 20 Jahre, die Jahre von 1949 bis 1969, zu sprechen kommt. Hier ist von „Stagnation" und von „Sterilität" die Rede gewesen, und Herr Kollege Wehner hat die Liebenswürdig-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973 3649
Dr. Carstens
keit gehabt, in diesem Zusammenhang auch von einem „Bankrott" zu sprechen. Meine Damen und Herren, das ist nun wirklich des Guten zuviel; denn ich möchte Sie fragen: Wer hat die deutsche Wirtschaft aus der Sterilität und Stagnation, in der sie sich nach dem Kriege befand, befreit? Niemand anders als die CDU/CSU,
— nota bene gegen den erbitterten Widerstand der sozialdemokratischen Fraktion!
Wer hat den Weg nach Europa gewiesen? Niemand anders als die CDU/CSU!
Heute rühmt sich die Regierung dieser Sache. Wer hat den Beitritt zum Nato-Bündnis vollzogen und die Bundeswehr auf die Beine stellen helfen?
Die CDU/CSU, und zwar zunächst gegen den erbitterten Widerstand der sozialdemokratischen Fraktion!
Herr Bundeskanzler und meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion,
Sie wollen doch nicht ernsthaft behaupten, daß Sie in den 20 Jahren, die hinter uns liegen, oder auch nur heute in irgendeinem Moment die Fähigkeit gehabt hätten, aus eigener Kraft heraus Beschlüsse zu fassen, die dazu geführt hätten, eine — wie Herr Bundesminister Leber stolz verkündet hat Armee von 500 000 Mann auf die Beine zu stellen.
Das hätten Sie doch nie geschafft! Und dann sagen Sie: alles Sterilität, alles Stagnation und Bankrott. Herr Kollege Wehner, das können Sie der deutschen Bevölkerung nicht erzählen. Wenn Sie es länger versuchen sollten, werden Ihnen die Wähler die Quittung dafür geben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Kollege Carstens,
ich möchte ein Wort von Ihnen anwenden oder bitten, es anwenden zu dürfen. Ich wollte das, was Sie zu dem Begriff „Dummheit" gesagt haben, auf die Phonstärke, die Sie erzielt haben anwenden: Sie ist wertfrei. Sie entspricht nämlich anderen Gefühlsbedürfnissen.
— Ich bitte Sie um Entschuldigung! Daß Herr Carstens mit Reitpferden umzugehen weiß und deswegen meint, auch mit Damen, hat er hier eben in ganz bestimmter Weise dargelegt.
Herr Abgeordneter Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sie können ja die Debatte über den Bundeshaushalt 1974 nicht noch einmal von vorn anfangen. Dazu haben Sie viel zuviel Zeit vergeudet, die Sie hätten gewinnen können.
Herr Carstens hat hier gemeint — diese Berner-kung hat er tadelnd an die Adresse des Bundeskanzlers und der Regierung gerichtet —, daß ein Wort der Anerkennung an die Adresse des großen Verbündeten, wie er sich ausgedrückt hat, dem Bundeskanzler wohl angestanden hätte. Ich bin der Überzeugung, daß die Bundesregierung und der Bundeskanzler nicht Tadel, sondern Anerkennung dafür verdienen, daß sie die Rolle unserer Bundesrepublik Deutschland in diesen kritischen Wochen so würdig und so besonnen vertreten haben.
Sie haben dann nachgefaßt: Die CDU/CSU habe seit der Mitte der 60er Jahre beharrlich eine Politik der Entspannung befürwortet. Dies ist sicher diskussionsfähig und diskussionsbedürftig, Herr Carstens. Wir werden jedenfalls, so denke ich, bei den Debatten über den Nichtverbreitungsvertrag von Atomwaffen demnächst Gelegenheit haben, darüber sachlich zu sprechen.
Schließlich liegt ein Brief Ihres Parteifreundes Strauß dazu vor, aus dem man sich seinen eigenen Vers auf das machen kann, worauf Sie sich hier berufen wollen.Ich möchte bei der Gelegenheit aber auch an andere kritische Wochen erinnern. Ich möchte daran erinnern, daß es bei früheren Krisen, an denen es ja nicht gefehlt hat, jedesmal oder häufig hart an die Grenze des Hineinziehens oder Hineingezogen- oder -gedrücktwerdens von Berlin in diese Krisenerscheinungen gekommen war. Deswegen haben wir, als wir uns am Montag in Berlin versammelt hatten,
mit Zustimmung angehört, ,daß der Bundeskanzler festgestellt hat, von allem anderen abgesehen sei der Nahostkonflikt die Probe darauf, ob das Gebäude der Entspannung schon stark genug sei, eine solche Belastungsprobe auszuhalten; gerade in die-
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3650 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973
Wehnerser Stadt bedürfe es keiner großen Phantasie, um sich vorzustellen, daß wir ohne unsere Verträge, ohne das Viermächteabkommen heute eine schreckliche Berlin-Krise haben könnten. Gerade im Lichte des Nahostkonflikts — so hat er ergänzt — müsse auch dem kritischen Beobachter klarwerden: Es ist gut, daß wir die Verträge haben; die Schwierigkeiten, über die wir insoweit sprechen, sind im Grunde Feinschliff; wir sollten den richtigen Maßstab finden.Da haben Sie eine ausgewogene, abgeklärte Auffassung zu dieser Situation. Ich bin der Meinung, daß kein Grund besteht, die Bundesregierung zu tadeln. Im Gegenteil!Ich komme auf den Haushalt zurück und dabei auch auf einige der Bemerkungen, die Sie, wenn auch gegen Ende dieser Debatte, auf den Haushaltsplan verwendet haben. Ich möchte sagen, daß dem Bundesminister der Finanzen, Helmut Schmidt, Dank dafür gebührt, daß er unser aller Blicke nüchtern auf die Risiken gelenkt hat, die sich aus der tatsächlichen Situation auch für diesen sorgsam ausgewogenen Bundeshaushaltsplan 1974 ergeben können.Ich versage es mir, hier nachzuzeichnen, worum es sich dabei gehandelt hat und wie es mit Recht begründet worden ist, wie er z. B. seine Befürchtungen und auch Vorschläge bezüglich der Finanzgebarung der Europäischen Gemeinschaften dargelegt hat; das war notwendig und wird uns auch helfen. Auch will ich mich nicht mehr ins einzelne verlieren hinsichtlich der ebenso konstruktiven wie nüchternen Ausführungen zu dem Energieprogramm, einer lebenswichtigen Angelegenheit, in der unsere Regierung einen großen Ansatz gemacht hat. Weiter will ich auf die jedenfalls mich sehr nachdenklich stimmenden Anmerkungen zu der Defizitentwicklung der Deutschen Bundesbahn nicht näher eingehen. Ich denke dabei nämlich auch daran, daß es mitten im Wahljahrsommer 1965 einer der Kollegen aus den Reihen der Opposition für angebracht und der Mühe wert hielt, mit mir sehr eingehend darüber zu sprechen, welche Entwicklungen das Bundesbahndefizit und die daraus entstehende Lage in diesen Jahren bei der Konstruktion und angesichts der Gesamtausgangssituation 1965 sozusagen naturnotwendig nehmen mußten. Das war immerhin ein Beweis dafür, daß man das dieser Regierung nicht anlasten kann, sondern daß es etwas war, was andere damals sehr spürten, wenn es damals vergleichsweise auch nur wenige waren, die das so spürten.Die Opposition hat hier statt des Haushaltsplans 1974 ihr eigenes gescheitertes „Inflationsförderungsgesetz" noch einmal aufzuwärmen versucht. Das hat auch Herr Carstens hier gemacht, ebenso wie er die Sache mit der Flugsicherung noch einmal anzubringen versucht hat. Ich finde, das ist schade, Herr Carstens; denn es ist nicht zu bestreiten, daß in zwei Sitzungen des Verkehrsausschusses von seiten der Opposition keine Vorschläge gemacht worden sind,
außer daß Sie heute bzw. gestern bezüglich der Personalreserve gesagt haben, daß Militärlotsen oder USA-Lotsen angeheuert werden sollten. Das war alles, was Sie dazu bisher geleistet haben. Eine solche Attitüde steht einem nicht an, wenn man hier von oben herab die schwierige Frage abkanzelnd behandeln will.Meine Damen und Herren von der CDU, Sie müssen mit sich zu Rate gehen. Sie werden es nicht schaffen, wenn Sie Ihren Hamburger Parteitag vorwiegend als eine Art kosmetische Veranstaltung betrachten.
Sie müssen nämlich, wenn Sie Erfolg haben wollen — und warum sollen Sie ihn nicht haben wollen —, Alternative werden zum gegenwärtigen Bündnisverhältnis der Sozialdemokraten und der Freien Demokraten. Das ist gar nicht so einfach. Sie kommen nicht darum herum, wenn Sie meinen, Sie könnten die FDP in die mit dem Jahr 1969 überwundene Zeit des Koalitionspendelns zurücklocken. Die FDP wird ja für ihren eigenen Hut zuständig sein. Ich habe für sie nicht zu sprechen. Ich nehme jedenfalls an daß eine neue Auflage des Schubes „Zoglmann, Mende, Starke" nicht erschwinglich ist, auch nicht bei noch so großen Reserven, die Sie meinen dafür zu haben.
Die FDP wird sich um ihren eigenen Platz mühen.Sie wird sich nicht in Fremdbestimmung genommen sehen wollen; von keiner Seite, nehme ich an.
Das werden wohl alle zu respektieren haben.
Die CDU muß sich entscheiden, wie sie ihre Rolle selbst bestimmen will. Nehmen Sie einmal an, weil Sie nun so von Marxismus und von Klassenkampf reden „Die Junge Union informiert" !
Überschrift: „Die SPD-Regierung betreibt Lohnraub und Preistreiberei".
— Ach so. Sehen Sie, das war sehr interessant. Wie man in diesen Wald hineinruft, schallt es heraus. Ich hätte nämlich gedacht, Sie hätten gesagt, damit wollten Sie nichts zu tun haben; mit dieser Art von Hetze, die von Ihren Leuten betrieben wird.
Da steht nämlich: „Die Arbeitnehmer werden von der Regierung betrogen, obwohl sie ...", „Die Regierung greift dem Arbeitnehmer kräftig in die Taschen" usw.
- Aha. Ich wollte nur wissen, ob dieses schändliche Flugblatt tatsächlich auf Ihrem Mist gewachsen ist. Es ist auf Ihrem Mist gewachsen!
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62, Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973 3651WehnerDas geht bis auf den Ton „Die SPD-Bonzen, die dies" — was Sie hier angreifen — „ausnützen, um euch weiter eure sauer verdienten Gelder aus der Tasche zu ziehen". Wissen Sie, was das ist? Das ist der Versuch, Klassenhaß zu entflammen gegen die verfassungsmäßige Regierung und gegen die Koalitionsparteien, vor allen Dingen die SPD. Das ist alles, was Sie damit machen.
Wie Ihnen das bekommen wird? Das wird sich zeigen, meine Damen und Herren von der Opposition. Ich habe Ihnen keinen Rat zu geben. Rutschen Sie weiter so! Dann werden Sie sehen: Das bekommt Ihnen nicht. Das sage ich Ihnen, auch wenn Sie glauben, Sie hätten da zeitweise einen —
— Lassen Sie doch die arme Lederhose in Ruhe. Ich möchte nicht, daß die Bayern nur immer dafür geschmäht werden, daß wir uns nicht mit Herrn Strauß verstehen; Lederhose hin, Lederhose her.
Ich habe doch auch die Platte „Deutschland braucht Bayern".
- Ja, sicher. Das glaube ich auch. Einverstanden. Denn ich kann keinen Käse liefern.
Nun, meine Damen und Herren: Der Herr Strauß greift uns z. B. an, indem er sagt, die Propaganda für Mitbestimmung hätte doch keinen Sinn mehr, wenn solche Themen wie Investitionskontrolle usw. den Vorrang hätten. Ja, da müssen Sie sich aber auch entscheiden, obwohl ja der Parteitag nicht der der CSU, sondern der der CDU ist. Sie wollen nicht wirkliche Mitbestimmung. Das ist eine Feststellung. Sie möchten das durch einen Biedenkopf ersetzen.
— Na sicher. — Nun wundern Sie sich darüber, daß die Antwort auf Ihre Weigerung in Forderungen wie Investitionskontrollen und staatlichem direktem Eingreifen widerklingt. Das ist doch nicht anders zu erwarten. Wer die paritätische Mitbestimmung verhindert, der hilft, auch wenn er es nicht wollte, zu solchen anderen und völlig anders gerichteten Vorstellungen.
Wir werden die Mitbestimmung ja durchsetzen. Haben Sie doch keine Angst. Sie werden weiter an diesen anderen Sachen herumnörgeln.Worum es im Grunde genommen geht, ist, daß Sie in der Frage des Freiheitsverständnisses und auch in der Frage des Entspannungsverständnisses, die Sie immer wieder zu Angriffspunkten machen, sehr andere Meinungen haben, als Sie dadurch zum Ausdruck bringen, daß Sie die Worte „Freiheit" und „Entspannung" auch für sich zu okkupieren versuchen wollen.
— Nein, warten Sie doch bitte. — Denken Sie doch bitte daran, wie es war — der frühere Bundeskanzler Erhard ist jetzt weg; ich kann es ihm nachfühlen; der andere, etwas spätere, ist ja gar nicht erst gekommen —: Da war doch 1966 diese fatale Sache mit der „formierten Gesellschaft", nicht?
— Ja, ja: Ach Gott, ach Gott. — Das war damals das, was Sie dem Herrn Erhard nachriefen.Da Sie heute so gerne in Zitaten herumwühlen: Gucken Sie dann einmal nach, was ein Mann, den Sie heute so gerne zitieren — ein Professor Schiller z.B. —, 1966 über das Gegenbild dieser „formierten Gesellschaft" Erhards, nämlich über die mündige Gesellschaft, geschrieben hat!
Sie haben doch solche Zettelkästen; schauen Sie einmal nach! Wissen Sie, bei Ihnen — jetzt meine ich wieder die CDU; da brauchen Sie sich nicht aufzuregen, Herr Strauß, Sie können das ruhig mir überlassen — war es doch schon einmal auf einem Kieler Parteitag so, daß jenes völlig falsche, hoffärtige Wort von einem Ihrer stellvertretenden Vorsitzenden — es war der langjährige Bundestagspräsident Dr. Gerstenmaier — gebraucht wurde, das Ihre Richtung bestimmt hat, nämlich daß bei uns in der Bundesrepublik die Grenzen des sozialen Rechtsstaats erreicht seien.
Jetzt haben Sie eine Situation, in der Sie alles, was auch in Ihren eigenen Reihen nach Änderung drängt oder wenigstens dazu mahnt.
als „marxistisches Gedankengut" bezeichnen. Das Wort spielt ja wieder eine große Rolle, um anderen den Brandstempel aufzudrücken. Im Streit um Vermögensbildung und um Mitbestimmung und solche Dinge wird dann plötzlich sogar das, was in Ihren eigenen Entwürfen steht, als marxistisches Gedankengut bezeichnet.
Herr Kollege Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, sehr gern! Vizepräsident Frau Funcke: Bitte schön!
Herr Kollege Wehner, halten Sie es eigentlich für sehr sachdienlich, wenn Sie hier ein Zitat von Herrn Gerstenmaier bringen, von dem Sie wissen, daß er es dort auf dem Kieler Parteitag genau anders gebraucht hat?
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3652 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973
Er hat das ja nicht gebraucht, sondern geprägt.
Daß Sie damals auf ein falsches Gleis gegangen sind, war Ihr Erzkonservatismus und Ihre Fehleinschätzung, die Sie auch heute noch nicht überwunden haben.
Herr Kollege Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Breidbach?
Bleiben wir doch einmal bei dem, was Sie jetzt machen.
— Ich zitiere z. B. Herrn Biedenkopf, um nun ganz modern zu sein. Sie werden mir doch nicht verbieten, wen ich zitiere. Lassen Sie mich doch erst zitieren, dann können Sie immer noch sagen, ob das echt ist. Das ist auf grünen Blättern, nicht auf roten oder weißen Blättern.
Herr Kollege Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Breidbach?
Nein, ich erkläre eben etwas, was zur Beantwortung einer vorigen Frage gehört. Da kann ich nicht schon wieder eine Zwischenfrage zulassen. Ich bekomme ja einen Schluckauf, wenn mir so viele Fragen gestellt werden.
Herr Biedenkopf, Generalsekretär der CDU, sagt, die Visionen — Visionen! —
der Sozialreformer des ausgehenden 19. Jahrhunderts — es ist ja noch gar keine Eingabe dazu da; ich bin ja erst am Zitieren! — hätten sich nicht nur erfüllt, sie seien weit übertroffen worden. Dann kommt jener harte Satz:Es gibt heute keine grundsätzlichen Aspekte der sozialen Frage mehr, die nicht beantwortet sind oder deren Antwort uns nicht bekannt wäre.Damit ist genau jene Sache wieder festgenietet wiedamals bei den „Grenzen des sozialen Rechtsstaats".
Dann geistert bei Ihnen noch immer die Vorstellung von dieser „formierten Gesellschaft", auch wenn ihr Erfinder oder ihr Aussprecher inzwischen Ehrenvorsitzender, wie es ja bei Ihnen schon mehrere gibt, geworden ist.
Ich bleibe bei Biedenkopf und seinen neueren Auslegungen im Vorfeld Ihres eigenen Parteitags, den Sie hier beschworen haben. Viel Vergnügen in Hamburg! Ich möchte nur sagen, daß Herr Biedenkopf erklärt:Unter sozialer Marktwirtschaft ist heute — und dies ist für mich politisches Programm — auch und in erster Linie eine Wirtschaftsordnung zu verstehen, in der alle Teilinteressen,alle Teilautonomien einer verpflichtenden und notfalls durchsetzbaren Bindung an das Allgemeinwohl unterworfen sind, ohne ihren autonomen Status zu verlieren.Das soll mir mal einer vormachen! Das ist das, was Sie „formierte Gesellschaft" genannt haben. Herr Erhard war nur nicht so raffiniert, wie es der Herr Biedenkopf ist. Das ist der ganze Unterschied.
Alles soll „formiert" sein, und alles wird firmiert mit Autonomie und mit Freiheit. So machen Sie es in diesem politischen Bereich.
Statt sich mit der wirklichen Notwendigkeit der Sozialverpflichtung des Eigentums aus dem Grundgesetz zu befassen, wird hier formuliert:Sozialbindung als politischer Auftrag bedeutet somit Einordnung der autonomen Gruppen und Verbände.
Das ist die „formierte Gesellschaft".
— Das würde meine Redezeit übersteigen; wir können das dann privat machen.
— Nein, Biedenkopf ist also die intelligente Neuauflage von Erhard. Das heißt, Sie sind immer noch im selben Fahrwasser, und das wird Ihnen nicht bekommen.Herr Althammer — ich bitte um Entschuldigung, ich greife jetzt auf die CSU über — hat hier einen interessanten Satz gesagt, als er sinngemäß fragte, ob nicht durch die Prinzipien, die in der Politik Geltung haben — er meinte Demokratie im Staatlichen, Wahlrecht usw. —, im kulturellen und anderen Bereichen immer mehr Sachprobleme politisiert werden. Das finde ich eine der interessantesten Bemerkungen, weil sie reizt zu Erörterung und Abwägung unterschiedlicher Gesichtspunkte in dieser Frage: wie weit denn Demokratie gehen soll, gehen darf.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973 3653
WehnerIch scheue mich nicht, zu sagen, daß es meine Auffassung ist, daß wir unsere Gesellschaftordnung demokratisieren, d. h. durchlüften, müssen und daß wir unseren Staat humanisieren müssen. Dies sind für mich beides die entscheidenden Aufgaben.
Herr Kollege Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?
Im Moment muß ich gerade erst einmal dieses ausloten. — Herr Althammer, aber sicher; ich habe Sie ja gerade zitiert.
— Ja sicher. Ich habe ja keine vorformulierte Rede bei mir.
Herr Kollege Wehner, nehmen Sie zur Kenntnis, daß dies so, wie Sie es soeben dargestellt haben, sicherlich kein Streit sein wird, sondern daß die eigentliche Diskussion erst bei den Details beginnen wird?
Einverstanden! Und genau die ist notwendig, so daß man eben nicht nur mit allgemeinen Begriffen herumjongliert. Ich habe ja gesagt: das war eine interessante Variante in Ihrer) Rede.Sehen Sie einmal, Sie sind doch alle insgesamt immer wieder nicht nur in Gefahr, sondern manche sogar in dem Sog, auf jenen Punkt zurückgeworfen zu werden. Ich habe hier das Protokoll jener Sitzung, in der die Regierungserklärung 1961 — es war die damalige 5. Sitzung vom 29. November — vorgetragen wurde. Sie wurde von Herrn Erhard vorgetragen; Herr Adenauer selbst war unpäßlich. Da gibt es jenen berühmten Satz, der jahrelang Streit verursacht hat. Da hat er erklärt:Von den Sozialpartnern erwartet die Bundesregierung Unterstützung durch eine maßvolle und besonnene Lohnpolitik. Diese muß den Produktivitätsfortschritt berücksichtigen. Von der Einhaltung der durch Preisstabilität und Sicherung eines gesunden wirtschaftlichen Wachstums gesetzten Grenzen wird es abhängen, ob gegebenenfalls neue Lösungen und Formen der Zusammenarbeit der Sozialpartner gefunden werden müssen.Sie haben heute so viel Erler zitiert, meine Damen und Herren, Sie hätten auch dahin kommen können, wie wir — er und andere — damals auf diese unverhüllte oder kaum verhüllte Kampfansage gegen die Tarifautonomie und die Tarifpartnerschaft, über die sowieso viel zu sprechen ist, geantwortet haben.
Da steht hier an Zwischenrufen zunächst von mir:„Was ist denn das?" Und dann hat Erler gefragt:„Ist das eine Drohung?" Dann hat Herr Brandt alsAbgeordneter gesagt: „Nur an eine Seite!" Und dann habe ich noch einmal gesagt: „Hört! Hört!"
Dann weitere Zurufe von der SPD, aber Beifall bei Ihnen, weil Sie diese „besonderen Maßnahmen" wollten. Es hat drei Jahre gedauert, ehe dieser Satz, dieser schäbige Satz, dieser einzige Satz, in dem in der Regierungserklärung des vierten Kabinetts Adenauer die Arbeitnehmer und ihre Organisationen überhaupt vorkamen, wieder revidiert worden ist. Drei Jahre hat das gedauert. Das kann man auch nachlesen.
Sehen Sie, das ist Ihre schwache Seite. Sie sind in diesen Fragen nicht mit dem Wind. Sie stellen sich den Problemen dieser unserer Zeit nicht. Sie versuchen, ihnen mit allgemeingültigen Erklärungen, wie Sie sie sehen, zu begegnen.Herr Strauß hat gestern hier eine Frage gestellt, die ich 'doch — auch wenn das lange her ist — hier noch einmal beantworten möchte. Ich habe mich gestern auch öffentlich dazu geäußert, weil ich nicht wußte, wann ich hier Gelegenheit haben werde, etwas dazu zu sagen. Ihre Frage betraf — mit einigen kräftigen Randbemerkungen — das Verhältnis der SPD zu einem Kongreß, der in Moskau stattfindet und dort „Kongreß der Freunde des Friedens" ist.
-- Ich will es Ihnen gleich sagen. Aber ich will Sie nicht in Schwierigkeiten bringen,
hier sagen zu müssen, wie ich darauf reagierte. Ich habe gesagt: Nicht unser Kongreß. Wir wissen wohl, wie wichtig er für die dortige Regierung und dortige Regierungspartei ist. Es kommt nicht in Frage, daß wir in einer bundesrepublikanischen Delegation dabei sind; denn in dieser sind fast ausschließlich erbitterte Gegner unserer Regierung Brandt/Scheel und zu einem solchen, auch noch so wichtiges Interesse beanspruchenden Kongreß schikken wir keine Teilnehmer an einer bundesrepublikanischen Delegation.
— Sie sind jetzt sehr flink, Herr Stücklen.
Vorhin waren Sie als einer der Stellvertreter des Fraktionsvorsitzenden jedoch nicht flink genug, um ihm beizuspringen, daß er nicht in das Fettnäpfchen, das wir heute morgen geklärt haben, hineintappt.
— Machen Sie das unter sich aus. Ich will Ihnen Ihre Konfliktsthemen nicht nehmen, und ich werde auch Herrn Carstens nicht die Freude an seinem Scheinerfolg nehmen.
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3654 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973
WehnerDie SPD beteiligt sich an keinerlei Komitees, Veranstaltungen, Kampagnen oder Institutionen, die sie nicht selbst initiiert. Sie trägt aber mit der Entsendung einer Beobachtungsgruppe
der Tatsache Rechnung, daß die UdSSR dieser Veranstaltung Bedeutung für Frieden und Entspannung beimißt; deshalb also eine Beobachtergruppe.
— Sie lesen manchmal sogar Sachen, die ich geschrieben habe. Aber da die anderen — nicht Sie — das nicht gelesen haben, bringe ich das hier noch einmal vor:Die SPD— so habe ich erklärt —ist für konkrete und realistische Politik, die der Friedenssicherung und Entspannung, der Normalisierung der Beziehungen — auch zwischen Staaten unterschiedlicher politischer und sozialer Ordnungen — dient. Deshalb tritt sie auch entschieden für Beiträge zum Gelingen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in ganz Europa ein, die zur Zeit in Genf eine Runde zur Vorbereitung ihrer abschließenden Arbeiten in Helsinki ausführt, und ebenso für das Gelingen der Bemühungen um ausgewogene Rüstungsbegrenzungen und Truppenreduzierungen in Wien.Ich habe dazu erklärt, daß die UdSSR für diese reale Politik ein besonders wichtiger Partner sei und daß der Vertrag, den die Bundesrepublik Deutschland und die UdSSR miteinander geschlossen haben, behutsamer Pflege bedarf. Dies gilt auch für die anderen Verträge und Abkommen, die gleichermaßen für die Entwicklung normaler Beziehungen, für Frieden und Entspannung entscheidend sind. Deshalb gilt das Interesse der SPD auch solchen Veranstaltungen, an denen sie sich nicht beteiligen kann, weil sie mit sozialdemokratischer Politik nicht zu vereinbaren sind, und die dennoch oder sogar deswegen ihre Bedeutung für das internationale Klima haben, indem sie für Frieden, Sicherheit, Zusammenarbeit und Entspannung wirken sollen. Und deshalb meine Schlußbemerkung:Beobachtergruppe der SPD und nicht Teil einer Delegation aus der Bundesrepublik Deutschland.
Das, Herr Strauß, war's was Sie ja wohl wissen wollten.Der Herr Carstens hat hier noch einmal versucht, eine Diskussion, die wir, wenn ich mich nicht irre, sehr verehrter Herr Kollege, am 3. Oktober in der Plenarsitzung des Bundestags geführt haben, aufzuwärmen. Schade; denn Sie haben ja andere Sachen, von denen Sie gesagt haben, daß Sie die gern hätten anbringen wollen. Warum bringen Sie also eine Sache auf — meine sogenannte Reduktion der Berlin-Vertretungsrechte —, die hier bereits ausdiskutiert worden ist? Dies gibt es nicht; ich warne danur alle. Bei dem getadelten Ausspruch von mir habeich gesagt, daß ich das — ganz ohne Differenzierung— auf uns aille bezöge. Das habe ich vorsichtshalber aus dem Protokoll der Bundespressekonferenz zitiert; ich selber habe ja meine Ausführungen, die ich spontan mache, nicht vorher aufgeschrieben. Da steht, Herr Kollege, daß wir also doch wohl manches ein wenig überzogen haben, nachdem das erste wirkliche Nachkriegs-Viermächteabkommen über Berlin viel mehr gebracht hat, als zu erwarten gewesen war.
Sie müssen sich damit ja erst noch befreunden; denn Sie wollten ja das alles nicht. Sie wollten weder den Moskauer Vertrag noch den Warschauer Vertrag, obwohl davon das Berlin-Abkommen abhing. Alles dies wollten Sie nicht! Nun versuchen Sie sich hinzustellen, als hätten Sie das nicht nur gepachtet, sondern als hätten Sie das erfunden, geschürft und gegraben. Ich gönne Ihnen diese Schürfarbeit noch eine Weile; denn dann kommen wir wohl allmählich zueinander ins richtige Verhältnis der nationalen Übereinstimmung in gewissen Fragen auch sonst kontroverser Kräfte.Das ist genau der Punkt, weswegen ich immer gesagt habe und es auch heute bei dieser Gelegenheit und aus gegebenem Anlaß zu sagen für notwendig halte. Ein Mann, der wie Bundeskanzler Willy Brandt in schwierigen Jahren deutsche Politik dort vertreten hat, wo es am schwierigsten war, nämlich in Berlin
— ja, sicher, wenn Sie ,das nachvollziehen wollen, müssen Sie bei allem, was Sie sonst gegen ihn vorbringen wollen oder was Sie ihm nachsagen wollen, einige Dinge zurücknehmen, die sie fortgesetzt wieder ins Feld werfen —,
ein Mann, der in diesen Schwierigkeiten unvergleichlich viel mehr dazu getan, Ansätze zu einer realistischen deutschen Politik zu finden und entwicklungsfähig zu machen, jedenfalls viel mehr als viele, die hier Schwüre auf Berlin und deutsche Einheit geleistet haben
— das ist für mich Unterpfand für seine Bedeutung —, ein Mann, der auch als Bundesminister des Auswärtigen in dem kritischen Jahre 1968 mit einigen kritischen Daten in Genf im Rahmen der Konferenz der nichtnuklearen Länder der Welt die Rolle unseres Staates bei den Bemühungen um Nichtverbreitung der Atomwaffen und um unseren Platz auf dem Bauplatz der Entspannung so beschrieben hat, daß das nicht nur Widerhall, sondern Zustimmung fand, nun, das ist nun der, der als Bundeskanzler den Mut bewiesen hat, der Realität des getrennten Deutschlands auf den Grund zu sehen und die Konsequenzen zu ziehen, die mit dem Viermächteab-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973 3655
Wehnerkommen über Berlin durch die Signatarmächte und dem Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten in eine lange Periode des Bemühens um ein friedlich geregeltes Nebeneinander und womöglich Miteinander zum Wohle der Menschen in allen Teilen Deutschlands werden münden können. Das ist doch wohl ein Verdienst und nicht tadelnswert. Es wird doch nichts abgeschwächt an dem, was früher gemacht worden oder unvermeidlich gewesen ist. Nur, wenn wir das alles wieder aufbrühen wollen, bleibt nicht so viel Positives übrig, wie Sie jetzt, da das andere vergessen sei, meinen anbringen zu können. Es gibt da Bundestagsprotokolle.Ein paar Bemerkungen zu der Rolle des Bundeskanzlers Willy Brandt und zu den Aufgaben, die er als Vorsitzender der stärksten Partei der Regierungskoalition hat. Ich halte Rolle und Aufgaben für geschichtlich nicht vergleichbar mit der Rolle eines der Vorsitzenden dieser Partei in der Nachkriegszeit, womit ich das Verdienst von keinem seiner Vorgänger, weder Erich Ollenhauers noch Kurt Schumachers, schmälern will, wenn ich seine Rolle als Parteivorsitzender mit hervorhebe. Brandt ist der Vorsitzende der SPD — —
— Nein, nein, das ist eine ehrliche Rede. — Brandt ist der Vorsitzende der SPD in einer Zeit, in der unsere Partei den geschichtlichen Prozeß ihrer Regeneration durchmacht, der sie zu der die 70er Jahre prägenden Partei im Wettkampf mit den anderen demokratischen Parteien macht.
In diesen Jahren wird zum Wachsen kommen, was in dem Entwicklungsstadium, das zum Godesberger Programm und zu seiner Durchsetzung geführt hat, gesät worden und schon aufgegangen ist. Das ist unser Stadium, kein einfaches Stadium, eines, in dem wir uns auch viel mit dem befassen, was der eine gern so und der andere gern anders gemacht haben möchte. Aber die geschichtliche Bedeutung und das Vertrauen zu einem solchen Mann, die dürften nicht beeinträchtigt und dürften nicht bestritten werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie sprachen eben, Herr Kollege Stücklen, von „zu dick aufgetragen". Nun, als vorhin der Kollege Carstens sprach und hier die breite Palette dessen darlegte, was die CDU/CSU
alles gemacht hat — er entfernt sich ja gerade —,
da wurde ich erinnert an ein Wort, das wir 1946 in Auseinandersetzung mit einer anderen Partei geprägt haben und das lautete: Und wenn die liebe Sonne lacht,
— dann hat's die CDU gemacht, sage ich hier in diesem Falle.
— Wenn Sie, lieber Herr Stücklen, dann das andere hinzugefügt haben: Ich wollte Sie nicht in deren Nähe bringen; ich wollte von vornherein ein anderes Wort dafür gebrauchen.
— Für sonnige ja, aber wir haben nie behauptet, wir
hätten das alles alleine gemacht. Und wenn Sie einmal darüber nachdenken würden, ob nicht Ihre auch heute noch praktizierte Politik, Ihre heutige Einstellung, Sie allein seien diejenigen, die diesen Staat aufgebaut haben, sehr dazu beigetragen hat, daß Sie heute als Partei in dieser Isolation sitzen, wäre das ein Schritt vorwärts.
Aus der Rede des Kollegen Carstens wurde wieder einmal deutlich, daß man eben doch nichts gelernt hat, sondern nach wie vor nur darum trauert, Staat und Partei nicht als eines zu haben.
Kollege Carstens hat davon gesprochen, die Erfahrungen aus dem Nahen Osten und die Schwierigkeiten der Weltpolitik in den letzten Wochen sollten uns dazu bringen, die europäische Union mehr in den Vordergrund zu stellen. Er hat begrüßt, daß der Bundeskanzler das zum Ausdruck brachte, hat aber sofort wieder in Zweifel gezogen, daß das ganze Kabinett dem folgen würde. Das ist ein typisches Beispiel dafür, wie hier eine ganz klare Linie, die diese Bundesregierung und diese Koalition gemeinsam verfolgt haben, plötzlich in Frage gestellt werden soll, obwohl es keinen echten Anhaltspunkt dafür gibt, sondern wir im Gegenteil immer wieder beweisen, daß wir diesen Weg konsequent gegangen sind.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Strauß? —
Herr Kollege Mischnick, warum zitieren Sie falsch? Das haben Sie doch nicht nötig.
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3656 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973
StraußHerr Carstens hat nicht gesagt, daß das Kabinett dem Bundeskanzler Brandt dabei nicht folgt, sondern, daß nicht alle Kabinettsmitglieder damit übereinstimmen.
— Nein, Sie haben hier falsch zitiert!
Entschuldigen Sie, Herr Strauß, er hat Zweifel zum Ausdruck gebracht, daß das Kabinett nicht voll folgt. Das hat er hier gesagt; da gibt es gar keinen Zweifel.
Und das Kabinett folgt dieser Politik. Das ist doch ganz eindeutig immer wieder dargestellt worden; daran kann es keinen Zweifel geben.
Und die Koalition folgt dieser Politik; auch daran kann es keinen Zweifel geben.
Denn es gibt nicht eine Entscheidung in dieser Bundesregierung oder in diesem Hause, die etwas anderes beinhaltet hätte als das Vorantreiben der europäischen Union.
Wenn Sie davon ausgehen, daß der eine oder der andere einmal eine andere Meinung hat, dann zitieren Sie sie hier, aber bringen Sie nicht die Unterstellung, es gebe einen Unterschied zwischen der Kabinettsmeinung und dem, was der Herr Bundeskanzler hier vorgetragen hat.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Carstens? —
Herr Kollege Mischnick, ist Ihnen entgangen, daß ich in der Sitzung dieses Hohen Hauses am 3. Oktober ausführlich das zitiert habe, woraus ich schließe, daß der Bundesminister Bahr eine andere politische Zielsetzung verfolgt?
Und ist Ihnen, Herr Kollege Carstens, entgangen, daß dazu hier in aller Ausführlichkeit Stellung genommen worden ist?
Wieso wirbeln Sie denn immer wieder alles auf, was hier längst zurückgewiesen ist?
Das kann doch nur bedeuten, daß Sie entweder keine anderen Themen haben, so daß Sie immer wieder das Alte aufwärmen müssen, oder aber bewußt versuchen, dort, wo Klarheit geschaffen ist, Zweifel zu säen. Beides ist nicht gut.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Breidbach?
Bitte sehr.
Herr Kollege Mischnick, können Sie dem Hohen Hause ein Zitat nennen, das einen Anhaltspunkt dafür gibt, das zu belegen, was Sie gerade im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung Bahr/Carstens gesagt haben?
Aber Herr Kollege Breidbach, waren Sie denn nicht dabei, wie hier im Plenum am 3. Oktober und am Tage danach dazu Stellung genommen worden ist?
Das ist doch ganz deutlich geschehen! Haben Sie da nicht zugehört? Das würde ich bedauern.
Hier ist dazu mehrfach Stellung genommen worden. Sie brauchen aber einen Dauerlutscher, weil Sie nicht in der Lage sind, sachlich etwas entgegenzusetzen. Das ist doch der ganze Hintergrund!
Herr Kollege Carstens hat dann davon gesprosprechen, man habe in diesem Hause zu dem wirklichen Inhalt Ihres Gesetzes — nämlich Steuersenkungen vorzunehmen — nicht klar Stellung genommen. Herr Kollege Carstens, der ganze Mittwoch wurde damit in der Plenarsitzung verbracht, zu Ihrem Gesetzentwurf Stellung zu nehmen. Wir bleiben dabei: es ist ein Inflationsförderungsgesetz gewesen. Deshalb haben wir es abgelehnt. Nun sagen Sie, daß einmal eins eins sei, man brauche doch nur darauf hinzuweisen, daß 1 % oder 2 % geringere Abschlüsse bei den Tarifverträgen sich entsprechend hei den Arbeitnehmern durch die Steuerprogression positiv ausnähmen. Das war doch das, was Sie vorhin hier zum Ausdruck gebracht haben.
— Natürlich, Sie haben deutlich gemacht, daß dadurch ein Einfluß auf die Tarifpartner käme. Das haben Sie doch gesagt. Oder bezweifeln Sie das?
Lieber Herr Kollege Carstens, bei all Ihren Berechnungen haben Sie offensichtlich eines übersehen: Ihr Steuersenkungsprogramm, zu diesem Zeitpunkt beschlossen, hätte nicht nur die Stabilitätspolitik unterlaufen, sondern wäre doch gerade in der Wirkung auf die Gewerkschaften deshalb nicht positiv gewesen, weil 1 % oder 2 % weniger Lohnabschluß für den, der keine Lohnsteuer zu zahlen hat, keine Verbesserung, für den, der 19% Lohnsteuer zu zahlen hat, eine geringe Verbesserung, und für den, der 30 oder 40 % Lohnsteuer zu zahlen
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973 3657
Mischnickhat, eine hohe Verbesserung gebracht hätte. Sie hätten mit Ihrem Gesetzentwurf gerade für die weniger Verdienenden eine negative Wirkung erreicht. Das ist der maßgebende' Punkt. Deshalb haben wir es abgelehnt.
Wenn Sie dieses Einmaleins nicht verstehen, tut mir's leid.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?
Immer noch nicht kapiert? Tut mir leid.
Sie brauchen mich nicht zu belehren zum Kapieren, Herr Mischnick, denn die Frage habe ich mit Sicherheit besser kapiert als Sie; sonst würden Sie so etwas, was Sie eben sagten
und überlegen Sie sich das und bestätigen Sie es vielleicht — —
Herr Kollege, Sie wollen eine Frage stellen! — Eine Frage!
Haben Sie, Herr Mischnick, immer noch nicht begriffen, daß der Hauptvorschlag in diesem Steuerprogramm - wir bräuchten an sich nicht mehr darüber zu reden, aber da die Diskussion sich ergeben hat, muß man es eben klarstellen —, die Erhöhung des Grundfreibetrages von 1 680 auf 3 000 DM, eine steuerliche Entlastung für Ledige und Verheiratete, allerdings dann doppelt bei Verheirateten, wenn sie Steuer gezahlt haben, in gleicher Höhe erbracht hätte und keine Unterschiede wegen Progression vorhanden sind?
Haben Sie denn noch immer nicht festgestellt, daß Ihr Gesamtprogramm, diese 8 Milliarden,
genau zu diesem Ergebnis geführt hätte, das ich hier genannt habe?
Wenn Sie das nicht sehen, tut es mir herzlich leid; dann kann ich das nur bedauern. Aber Sie wollen es eben nicht verstehen. Sie wollen der Öffentlichkeit weismachen,
daß sie damit tatsächlich stabilitätsfördernd gewesen wären. In Wahrheit war es ein Inflationsförderungsgesetz, sonst gar nichts, dabei bleiben wir.
— Also, entschuldigen Sie: Inflationsförderungsgesetz ist so zutreffend, daß- ich es mit Sicherheit immer wiederholen werde. Denn jedermann weiß jetzt draußen, daß Sie eben nicht bereit waren, die Stabilitätspolitik zu unterstützen, sondern im Gegenteil versucht haben, sie zu unterlaufen. Das haben wir mit aller Deutlichkeit gesagt.
Herr Kollege Carstens, Sie haben dann davon gesprochen, es sei zu spät gegen die Inflationsentwicklung vorgegangen worden. Sie haben davon gesprochen, daß Kollege Möller zurückgetreten sei, und dann haben Sie Herrn Kollegen Schiller gepriesen, der nach Ihrer Ansicht eine andere Meinung gehabt hat und sich nicht durchsetzen konnte. Haben Sie sich eigentlich einmal überlegt: wenn 1970 der Kollege Schiller gegangen wäre, daß dann vielleicht manche andere Entwicklung gar nicht so eingetreten wäre? Denn Sie haben doch selbst in Ihrer Ehe mit ihm im Wahlkampf 1972 gemerkt, daß manches von dem, was der Kollege Schiller damals vertreten hat, eben doch nicht das Richtige war.
Sie sollten deshalb nicht immer wieder vom Rücktritt des Kollegen Möller anfangen, sondern sollten dann das Ganze sehen. Hier können Sie mit Sicherheit wirklich keinen Blumentopf gewinnen.
Eines, Herr Kollege Carstens, möchte ich allerdings mit aller Deutlichkeit sagen. Sie haben es für richtig gehalten, aus der Arbeit, aus den noch nicht abgeschlossenen Beratungen des Untersuchungsausschusses hier Teile in die Diskussion einzuführen.
Sie, Herr Kollege Carstens, legen immer sehr großen Wert — und dafür habe ich Verständnis — auf Stil. Ich empfinde es als Stillosigkeit, daß zu diesem Zeitpunkt, wo die Beratungen des Untersuchungsausschusses nicht abgeschlossen sind, sie hier in die Plenardebatte eingeführt werden.
Ich empfinde es als Stillosigkeit, daß Sie hier über Punkte diskutieren, von denen Sie genau wissen, daß in den Beratungen im Ausschuß Fragen erörtert worden sind, wie weit man auch einmal Praxen der Vergangenheit mit prüfen muß. Ich hätte es für besser gehalten, Sie hätten dazu zu diesem Zeitpunkt nichts gesagt. Es ist niemand daran gehindert,. das, wenn die Berichte hier auf dem Tisch des Hauses liegen und beraten werden, im Detail zu tun. Aber das zwischenzeitlich zu tun, war bisher in diesem Hause nicht üblich. Ich bedauere das.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Rawe?
Über Stilfragen kann man immer streiten. Aber wie beurteilen Sie es denn, wenn Sie in Ihrem Pressedienst und die andere große Fraktion, die der Regierungskoalition ange-
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3658 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 62. Sitzung. Bonn, Freitag, den 26. Oktober 1973
Rawehört, in ihrem Pressedienst schon dauernd Untersuchungsergebnisse vorwegnehmen und Herr Carstens lediglich das hier wiedergegeben hat, was in der Öffentlichkeit diskutiert wird?
Lieber Herr Kollege, Sie wissen doch ganz genau, daß während der gesamten Arbeit des Untersuchungsausschusses die Pressestellen aller Parteien dazu immer wieder Stellungnahmen abgegeben haben. Allerdings ist es für mich ein ganz entscheidender Unterschied, ob ich hier von dieser Stelle aus im Deutschen Bundestag Teile zur Diskussion stelle, und das als Fraktionsvorsitzender,
und ihnen damit ein Gewicht gebe, das einzelne Presseerklärungen niemals in der gleichen Weise haben können. Das ist der Punkt, über den Sie sich klar sein müssen.
— Wenn Sie so darauf antworten, dann bitte ich Sie nachzulesen, was . Sie immer gesagt haben, wenn wir hier Presseerklärungen von Ihnen zitiert haben. Sie antworteten darauf, eine Presseerklärung sei nicht die offizielle Meinung, die offizielle Meinung würde hier von diesem Podium aus gesagt. Dieser Zwischenruf war also völlig neben der Sache.
Herr Kollege Wehner hat davon gesprochen, daß die Freien Demokraten sich nicht in Fremdbestimmung nehmen lassen und nicht in Fremdbestimmung genommen werden wollen. Ein sehr wahres Wort. Ich habe hier anläßlich der Diskussion über die Regierungserklärung davon gesprochen, daß diese Koalition nicht wie eineiige Zwillinge handeln wird, sondern daß ihre Partner von ihren unterschiedlichen Standpunkten aus an die Sachfragen herangehen werden. Das hat sich in den verschiedensten Punkten gezeigt. Wir haben mit unserem Koalitionspartner in Sachfragen gerungen, und wir sind mit großem Interesse den Vorschlägen der Opposition, soweit sie Gegenpositionen bezog, gefolgt. Ich möchte hier allerdings die Behauptung zurückweisen, es sei nicht mehr möglich gewesen, wenn in diesen letzten Jahren wesentlich andere Gesichtspunkte kamen, sie in die Ausschußberatungen mit einzubeziehen. Das ist nicht richtig. Ich erinnere daran, daß beispielsweise bei dem Betriebsverfassungsgesetz eine Reihe von Vorschlägen aus den Reihen der Opposition in dem zuständigen Ausschuß aufgenommen wurden. Daß wir allerdings hier im Plenum nicht mit wechselnden Mehrheiten gearbeitet haben, daß ist der entscheidende Fortschritt dieser Koalition gegenüber der Koalition mit der CDU/CSU.
Da wußten wir nie genau, ob nicht wieder eine
Gruppe ausbricht, ob nicht mit einem Gruppenantrag
versucht wird, das, was man mühsam als gemeinsame Basis geschaffen hatte, wieder zu verändern. Diese Art Politik werden wir nicht wieder machen, die wird man mit uns nicht wieder machen. Deshalb führen alle Hoffnungen so mancher Ihrer Gruppen
— ich denke an die Sozialausschüsse —, man könnte vielleicht mit diesem oder jenem Vorschlag etwas erreichen, an der Sache vorbei.
Wir wissen, daß wir in manchen Fragen noch hart ringen müssen. Wir wissen, daß es manche Punkte gibt, wo die Meinungsverschiedenheiten nicht überbrückt werden können. Aber wir werden nie den Fehler machen, dann nicht offen zu sagen, wo die Schwierigkeiten liegen, sondern wir werden uns immer bewußt sein, daß diese sozialliberale Koalition als Koalition einen Wählerauftrag erteilt bekommen hat, den wir mit aller Ruhe und Nüchternheit und mit Zielstrebigkeit bis 1976 auch erfüllen werden.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Eppler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe mich auf drei ganz kurze Bemerkungen zu beschänken.Erstens. Herr Kollege Carstens, Ihr Zitat des Sprechers des Auswärtigen Amtes. Dieser Sprecher hat mir auf Anfrage mitteilen lassen, daß er, als er dies gesagt habe, den Aufsatz im „Vorwärts", auf den sich das bezieht, noch nicht gelesen gehabt habe und daß er deshalb diese Äußerung bedauere.
Zweiter Punkt, Herr Kollege Carstens: zum Thema Dummheit. Ich habe keine Angst, daß dieser Vorwurf meinem Image sehr viel schaden wird.
Aber ich glaube, es könnte Ihrem Image schaden, wenn Sie aus solchem Anlaß schon so aus der Rolle fallen, wie Sie das hier getan haben.
Im übrigen, Herr Kollege Carstens, biete ich Ihnen an, über die Themen, um die es hier geht, öffentlich mit Ihnen, notfalls im Fernsehen, zu diskutieren und dann dem deutschen Publikum das Urteil über unseren jeweiligen Intelligenzquotienten zu überlassen.
— Jetzt kommt die Sache mit dem Fusel, ja, Herr Stücklen, das ist meine dritte Bemerkung. Ich habe— nun ist Herr Kollege Strauß nicht mehr hier —
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Bundesminister Epplerden Artikel im „Spiegel", der Sie offenbar so erregt hat, begonnen mit einem Zitat eines Journalisten, der zu den führenden Journalisten des deutschen Protestantismus gehört und der mir gesagt hat, im Augenblick habe er den Eindruck, daß die ganze Union von Schelsky besoffen sei.
— Ich möchte ihn jetzt nicht nennen; ich möchte ihn erst fragen.
— Ach, ich bitte Sie! Ich bin gern bereit, Ihnen nachher diesen Namen zu sagen, Herr Carstens. Ich möchte ihn jetzt nicht vor dem Plenum sagen, weil ich das mit dem betreffenden Journalisten nicht abgesprochen habe.
Jedenfalls war es so, daß Herr Strauß dieses Zitat gar nicht angegriffen hat, wenn Sie das richtig gehört haben. Dann habe ich dieses Bild fortgeführt: Wenn das so ist, wo liegt dann in dem, was Schelsky zu sagen hat, der hochprozentige Alkohol? Das ist also die Fortsetzung dieses Bildes.
Und dann habe ich am Schluß gesagt dem Sinnenach —, dies ist für mich schlechter Alkohol, was der Mann da geboten hat, und ein anderes Wort dafür ist Fusel — ein schlechter Alkohol. Und nun habe ich wieder das Bild aufgegriffen: Also ist es schlimm, daß sich eine Partei ihrer Größe an solchem Fusel betrinkt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage.
Bitte!
Herr Kollege Eppler, würden Sie bereit sein, zur Kenntnis zu nehmen, was Sie wirklich gesagt haben?
Sie haben gesagt: „Wie muß es um eine große Partei bestellt sein, wenn sie sich an solchem Fusel besaufen kann!"
Ja, exakt das habe ich geschrieben, weil ich der Meinung war, daß dies, wenn man in diesem Bild bleibt, schlechter Alkohol oder, wenn Sie so wollen, Fusel ist.
Im übrigen, meine Damen und Herren von der Opposition, wenn sich der Herausgeber des „Bayernkurier" über ein solches Bild empört, dann kommt mir das vor, wie wenn ein Metzger den Vegetarismus predigen wollte.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Ehmke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich war leider nicht im Raum, als Herr Kollege Carstens mich
— wenn ich das recht verstanden habe, sonst korrigieren Sie mich bitte — dahin angegriffen hat, daß ich „neunmal" im Untersuchungsausschuß die Aussage verweigert hätte, obgleich es um den Vorwurf gehe, ob die Regierung auf die Stimmabgabe eines Abgeordneten Einfluß genommen habe. Herr Kollege Carstens, ich darf zunächst sagen, ich verstehe natürlich, daß Sie durch einen solchen Angriff von dem Umstand ablenken wollen, daß das einzige, was bisher in diesem Ausschuß herausgekommen ist, eigentlich nur zwei Tatsachen sind: erstens, daß ein Mann wie Steiner in der CDU nicht nur Abgeordneter werden, sondern auch wichtige Funktionen in einem CDU-Landesverband wahrnehmen konnte,
und zweitens, daß die Geldtransaktionen dieses Herrn ein seltsames Licht auf die Finanzierung Ihrer Partei werfen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein!Was im übrigen den Angriff auf mich betrifft, Herr Kollege Carstens, so scheint er mir ein Musterbeispiel für das zu sein, was Sie — im Gegensatz zu mir — als Fairneß verstehen.
Sie sollten die Rechtslage kennen. Ich bin mit einer Aussagegenehmigung in diesen Ausschuß hineingegangen, die sich eben nicht darauf erstreckte, Auskunft über die Verwendung dieser Fonds zu geben.
— Herr Kollege Carstens, warten Sie doch ein bißchen! Zu all dem komme ich noch. — Zweitens bestand dazu gar kein Grund; denn nach dem Gesetz liegt die Kontrolle allein beim Präsidenten des Rechnungshofes. Dieser Präsident des Rechnungshofes,
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Bundesminister Ehmkeden Sie ja wohl nicht auch noch in Ihr parteipolitisches Spiel hereinziehen wollen,
hat nicht nur erklärt, er könne bestätigen, daß kein Geld an Abgeordnete geflossen sei, sondern er hat auch noch, wie Herr Kollege Leicht, der hinter Ihnen sitzt, bestätigen wird, in einem an den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses dargelegt, er wisse, wofür dieses Geld ausgegeben worden sei.
— Jawohl, so ist es, Herr Leicht; ich kenne den Brief.
— Bitte! Das heißt, der Fall ist geklärt, es sei denn, Sie wollen auch noch die Institution der Kontrolle durch den Präsidenten des Rechnungshofes in Ihr parteipolitisches Spiel hineinziehen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Carstens?
Nein, im Augenblick nicht!
Drittens. Herr Kollege Carstens, Sie haben doch nun wirklich aus Ihrer Zeit im Kanzleramt und im Verteidigungsministerium eine ganz hervorragende Einsicht, warum es so ist, daß über die Verwendung dieser Mittel nicht gesprochen werden soll. Wohin würden wir kommen — es geht keineswegs nur um diesen Titel, sondern gleichzeitig auch um einen Titel des Auswärtigen Amts —, wenn wir diese Dinge im Widerspruch zum Gesetz offenlegten? Aus dieser Sache, die nach der Rechtslage klar ist, machen Sie nun, ich hätte neunmal die Aussage verweigert. Für mich, Herr Kollege Carstens — um das klarzumachen —,
fällt dieser Vorgang unter die Rubrik — darunter fällt für mich übrigens auch die Rede, die Sie heute zum dritten- oder viertenmal hier im Bundestag gehalten haben —: Der Biedermann als Demagoge.
Ich gestehe auch, Herr Kollege Carstens, daß ich von dieser Methode nicht überrascht bin.
Ich habe nämlich die Art, in der Sie so etwas machen, schon an dem Tag kennengelernt, als ich seinerzeit das Kanzleramt von Ihnen übernahm, Sie mir die streng geheime „Akte Bahr" gaben und meinten, das sei eine wichtige Sache, das könne nur der Chef des Kanzleramtes machen, das müsse geklärt werden. Ich habe mich dazu schon einmal im
vorigen Bundestag geäußert. Da gab es einen Denunzianten, der den damaligen Planungschef des Auswärtigen Amtes, der der Fürsorgepflicht des Kanzleramtes mit unterlag, denunziert hatte,
geheime Verbindungen zur SED zu haben,
und dafür wurden Zeugen, namhafte Journalisten, angegeben. In den Akten befand sich nichts darüber, woher dieser Mann eigentlich kam und wer er war. Es ergab sich aber, daß man die angeblichen Zeugen jedenfalls nicht gehört hatte. Ich habe das dann in einer Woche getan. Die ganze Sache klärte sich als eine der miesesten Intrigen auf, die ich in Bonn gesehen habe. Vielleicht sollte man noch einmal versuchen festzustellen, woher dieser Denunziant damals eigentlich gekommen ist.
Ich hoffe jedenfalls, ich kann diesem, wie ich meine, sehr unqualifizierten Angriff auf mich positiv entnehmen, Herr Kollege Carstens, daß Sie, wenn es jetzt um die Klärung des Vorwurfs geht, daß der BND in früheren Zeiten systematisch parteipolitisch mißbraucht worden ist, hinsichtlich Ihrer Aussagebereitschaft die Auffassung vertreten werden, die Sie mir heute — bei einer anderen Rechtslage — zum Vorwurf machen wollten.
Das Wort hat Herr Bundesminister Bahr.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht nicht um eine Rechtfertigung, sondern darum, daß wir Herrn Professor Carstens korrigieren müssen. Er hat vorhin ein Zitat benutzt, mit dem er beweisen wollte, daß die Sowjetunion eine Verpflichtung übernommen habe, Berlin in die Verträge einzuschließen.
Frau Präsident, ich zitiere mit Ihrer Genehmigung das, was Herr Professor Carstens unvollständig zitiert hat:Unter der Voraussetzung, daß Angelegenheiten der Sicherheit und des Status nicht berührt werden, wird die Sowjetunion keine Einwände haben gegen die Ausdehnung von völker-
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Bundesminister Bahrrechtlichen Vereinbarungen und Abmachungen, vorausgesetzt, daß die Ausdehnung solcher Vereinbarungen und Abmachungen jeweils ausdrücklich erwähnt wird.Ich stelle fest, daß das Zitat, das Sie gebracht haben, nicht korrekt war. Daraus folgt, daß auch Ihre Schlüsse nicht korrekt sein konnten.
- Nein, es geht um den Wortlaut.
Es war aus folgendem Grunde nötig, dies richtigzustellen.
Aus solchen unvollständigen und nicht korrekten Zitaten könnten unsere Vertragspartner den Eindruck herleiten, als ob wir die strikte Einhaltung des Viermächteabkommens verändern wollten.
Dies ist nicht der Fall. Wir sind für die strikte Einhaltung und volle Anwendung des Viermächteabkommens.Damit das nicht korrekte Zitat nicht so stehenblieb, war es notwendig, das richtigzustellen.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. -
— Damit schließe ich die allgemeine Aussprache.
Zu einer persönlichen Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung hat Herr Bundesminister Schmidt das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, ich habe mich kurz nach Beginn der Rede des Oppositionsführers zu einer tatsächlichen Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung gemeldet. Diese Erklärung möchte ich abgeben. Der Oppositionsführer hat davon gesprochen, daß 6 Milliarden DM wegen vorwerfbaren Zögerns seitens der Bundesregierung in unser Land geströmt seien.
- Eine tatsächliche Erklärung!
Der Oppositionsführer sprach weiter davon, der Bundesminister der Finanzen habe währungspolitisch eigentlich nicht handeln wollen. Er hat dazu ein „Times"-Interview als scheinbaren Beleg herangezogen. Diese Darstellungen entsprechen nicht den Tatsachen.
— Dies ist eine tatsächliche Erklärung, die nach der Geschäftsordnung zulässig ist und die rechtzeitig angemeldet wurde. Ich darf die Frau Präsidentin bitten, mir Gehör zu verschaffen.
Ich meine, die Mitglieder des Ältestenrates sollten die Geschäftsordnung kennen. Es heißt in § 36 der Geschäftsordnung: „Zu einer tatsächlichen oder persönlichen Erklärung ...". Ich habe das Wort nach § 36 erteilt.
Ich wäre dankbar, wenn man die Bestimmung nachläse.
Bitte schön, Herr Bundesminister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich stelle hierzu drei Tatsachen fest.
Erstens. Die Bundesregierung hat seit Einsetzen der Weltwährungskrise im Februar 1973 darauf hingewirkt, daß sich die Staaten der Europäischen Gemeinschaft gemeinsam vom festen Wechselkurs zum amerikanischen Dollar lösen. Dies ist im Februar zunächst aus zwei Gründen gescheitert. Zum einen hatte sich Frankreich seine Bereitschaft zwar erstmals abringen lassen, sie jedoch von der Mitwirkung Großbritanniens im EG-Währungsverbund abhängig gemacht. Großbritannien sah sich dazu jedoch nicht in der Lage. Zum anderen wurde die Situation zunächst durch die Abwertung des amerikanischen Dollars entschärft.
Zweitens. Das beharrliche Festhalten an der Erfüllung unserer vertraglichen völkerrechtlichen Verpflichtungen im Februar, von dem der Oppositionsführer meint, Deutschland hätte sich einseitig und allein davon lösen wollen, hat überhaupt erst die Handlungsbereitschaft der anderen Staaten herbeigeführt. Ein isoliertes Handeln der Bundesrepublik hätte den europäischen Währungsverbund zerstört. Die unseren EG-Partnern gegenüber klar ausgesprochene Eventualkonsequenz, sich schließlich doch davon lösen zu müssen, hat im März dann zu zweierlei Ergebnissen geführt. Zum einen haben die bisherigen Partner des Verbundes schließlich doch — und zwar ohne Bedingungen in bezug auf England und Italien — unseren Vorschlag auf Lösung
vom amerikanischen Dollar angenommen. Zum anderen haben die Vereinigten Staaten von Amerika dies ausdrücklich akzeptiert. Niemand, Herr Profes-
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Bundesminister Schmidt
sor Carstens, bezweifelt die Rolle der deutschen Regierung bei diesem Vorgang.
Die Bezugnahme auf vorweggehende Zeitungsinterviews ist hier ohne Bedeutung.
Jedermann ist geläufig, daß man währungspolitische Absichten nicht im Vorwege bekanntgeben kann.
Der Vorwurf mangelnden Handlungswillens ist nicht belegt.
Ich darf für Sie persönlich hinzufügen, Herr Professor Carstens, daß ich um Ihre Nachsicht bitte, wenn ich bei Ihrer Rede nicht anwesend war. Ich bitte, mir zu glauben, daß ich seit Montagabend mit einer ziemlichen Grippe zu tun habe. Aber ich habe Ihre Rede Wort für Wort in meinem Zimmer gehört.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Vogel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frau Präsidentin hat darauf hingewiesen, daß der Herr Bundesminister der Finanzen das Wort zur Abgabe einer Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung erbeten habe. Es heißt dort:
Zu einer tatsächlichen oder persönlichen Erklärung kann der Präsident außerhalb der Tagesordnung das Wort erteilen.
Auf diese Möglichkeit hat sich der Herr Bundesminister der Finanzen berufen. Die Frau Präsidentin ging wahrscheinlich davon aus, daß nicht nur nach dem Wortlaut, sondern auch nach dem Sinn dieser Vorschrift hier eine tatsächliche Erklärung abgegeben werden sollte. Was wir gehört haben, ist eine Erklärung, mit der die Sachdebatte wieder eröffnet worden ist und die nicht als tatsächliche Erklärung im Sinne dieser Vorschrift aufgefaßt werden kann. Ich möchte das hier ausdrücklich sagen.
Gleichzeitig rege ich an, Herr Kollege Schulte, daß hier von § 129 Gebrauch gemacht wird. Ich darf ihn einmal vorlesen:
Eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Auslegung einer Vorschrift dieser Geschäftsordnung kann nur der Bundestag nach
Prüfung durch den Ausschuß für Wahlprüfung,
Immunität und Geschäftsordnung beschließen.
Ich möchte nämlich nicht erleben, daß die Bundesregierung — —
Herr Kollege, haben Sie einen Antrag zu stellen? Sie haben sich dazu gemeldet.
Frau Präsidentin, ich habe zur Geschäftsordnung das Wort erbeten und zunächst einmal eine Anregung gegeben. Ich rege nämlich an, daß von § 129 Gebrauch gemacht wird — „über den Einzelfall hinausgehende Auslegung" —, und möchte zur Erläuterung dazu sagen, daß ich nicht erleben möchte, daß sich diese Bundesregierung einer Sachdebatte im Parlament entzieht, indem sie sich unter Hinweis auf § 36 zu Wort meldet.
Zur Geschäftsordnung, Herr Abgeordneter Rawe.
Frau Präsidentin, ich bitte um Nachsicht. Ich melde mich noch einmal zur Geschäftsordnung, weil Sie darauf hingewiesen haben, daß wir dann einen Antrag zu stellen haben. Ich stelle hiermit den Antrag, daß die Debatte wieder eröffnet wird.
Die Debatte war geschlossen. Wer möchte sich dem Antrag anschließen, die Debatte wieder zu eröffnen? — Gegenprobe! - Das letzte war die Mehrheit; die Debatte bleibt geschlossen.
Der Ältestenrat hat Ihnen die Überweisungsvorschläge unterbreitet. Wer der Überweisung beider Vorlagen an den Haushaltsausschuß zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe das Haus auf Mittwoch, den 7. November 1973, 13.30 Uhr zu einer Fragestunde ein.
Die Sitzung ist geschlossen.