Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung soll der Unfallverhütungsbericht Drucksache 7/991 dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung überwiesen werden. Es erhebt sich kein Widerspruch; dies ist so beschlossen.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Überweisung von EG-Vorlagen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Aktionsprogramm für die Politik im wissenschaftlich-technologischen Bereich
— Drucksache 7 1026
überwiesen an den Ausschuß für Forschung und Technologie und für das Post- und Fernmeldewesen , Ausschuß fur Wirtschaft, Haushaltsausschuß mit der Bitte urn Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rut
Richtlinie des Rates über die Harmonisierung der Verbrauchsteuern auf Mineralöle
Drucksache 71042 —
überwiesen en den Finanzausschuß , Ausschuß für Wirtschaft, Haushaltsausschuß mit der Bitte urn Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates über die Erhöhung der Kontingentsmenge des Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte Aale der Tarifstelle ex 03.01 A II des Gemeinsamen Zolltarifs
— Drucksache 7/1047 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte urn Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates über die Finanzierung bestimmter Maßnahmen durch den Europäischen Ausrichtungs-
und Garantiefonds für die Landwirtschaft, Abteilung Garantie
— Drucksache 7/1048 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Überweisung von Zollvorlagen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Aufhebbare Verordnung zur Änderung des Deutschen TeilZolltarifs
— Drucksache 7/1041 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um
Vorlage des Berichts rechtzeitig zum Plenum am 15. Januar 1974
Ich rufe Punkt 20 der gemeinsamen Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes
Drucksache 7/1008 —
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes
Drucksache 7 1009 —
Zur Begründung hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Drucksache 7/1008 legt die Bundesregierung diesem Hohen Hause den Entwurf eines Fünften Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes vor. Damit sollen die laufenden Rentenleistungen der etwa 2,4 Millionen Kriegs- und Wehrdienstopfer vom 1. Januar 1974 an um durchschnittlich 11,4 % erhöht werden. Das ist die bisher höchste prozentuale Anhebung dieser Leistungen für den Zeitraum eines einzigen Jahres, die es seit Bestehen des Bundesversorgungsgesetzes gegeben hat.Neben der linearen Anhebung der Rentenleistungen sieht auch dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung wieder einige strukturelle Verbesserungen des Leistungsrechts vor. Es sind dies im einzelnen: Verbesserungen im Bereich der Heil- und Krankenbehandlung, die Erhöhung des Bestattungsgeldes und die Erstattung der Kosten für die Nachentrichtung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Pflegepersonen.Vor allem mit der letztgenannten Maßnahme soll ein sozialpolitisch bedeutsames Problem gelöst werden. Hier geht es um die Fürsorge für Menschen, die sich unter Zurückstellung eigener wirtschaftlicher Interessen und ungeachtet der mangelhaften eigenen Alterssicherung der Pflege von hilflosen Beschädigten gewidmet haben. Meist war es die Tochter oder die Schwester, die manchmal sogar ihren Beruf aufgegeben hat, obwohl die Versorgungsleistungen lange Zeit keinen entsprechenden
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3142 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1973
Bundesminister Arendtfinanziellen Ausgleich bieten konnten. Sicher lösen wir hiermit kein Massenproblem, aber es wäre sozialpolitisch äußerst bedenklich, wollte man immer nur dort helfen, wo ein großer Personenkreis dahintersteht.Mit diesen zusätzlichen Leistungsverbesserungen hat die Bundesregierung wiederum ihr Versprechen wahrgemacht, auch im Rahmen der Anpassungsgesetze durch rechtliche Verbesserungen das Kriegsopferrecht zeitgerecht weiterzuentwickeln. Die finanziellen Auswirkungen dieses Gesetzes bedeuten für den Bundeshaushalt allein im Jahre 1974 Mehraufwendungen in Höhe von 773 Millionen DM.Alle Gesetzentwürfe, die von der sozialliberalen Bundesregierung eingebracht wurden und Leistungsverbesserungen für die Kriegsopfer zum Gegenstand hatten, beweisen, daß wir diesem Bereich unserer sozialpolitischen Arbeit ein besonderes Augenmerk widmen.
Noch zu keiner Zeit hat es im Kriegsopferrecht einen solchen gewaltigen Fortschritt gegeben.
Die Bundesregierung hat anläßlich der Aufstellung des Bundeshaushalts 1974 und des Finanzplans bis 1977 erneut nach einem Weg gesucht, auch für den Bereich der Kriegsopferversorgung die Anpassungstermine in Anlehnung an die Regelung für die gesetzliche Rentenversicherung vorzuziehen.Unter Berücksichtigung der besonderen Situation des Bundeshaushalts und in Anbetracht unserer Stabilitätsbemühungen soll das in zwei Stufen geschehen, und zwar sollen die Rentenerhöhungen im Jahre 1974 auf den 1. Oktober und von 1975 an jeweils zum 1. Juli vorgezogen werden. Mit anderen Worten bedeutet das, daß 1974 die Renten der Kriegsopfer zweimal erhöht werden: zum 1. Januar um 11,4 % und zum 1. Oktober um 11,2 %. Das bedeutet im Ergebnis: die Renten der Kriegsopfer werden allein 1974 im Jahresdurchschnitt um rund 15 % erhöht. Für 1975 ergibt sich eine ähnliche Rentensteigerung. Für die Jahre 1970 bis 1974 beträgt die Gesamterhöhung der Renten unter Einrechnung der vorgezogenen Anpassungen rund 63 %, für Witwen sogar rund 75 %.Wenn wir, meine Damen und Herren, bezogen auf den Zeitraum 1970 bis 1974, die Mehraufwendungen an Bundesmitteln für die linearen Rentenerhöhungen zusammenrechnen, so ergibt das insgesamt den beachtlichen Betrag von 7 Milliarden DM. Hinzu kommen noch weitere Mehraufwendungen von nahezu 2 Milliarden DM für strukturelle Verbesserungen, die mit den einzelnen Anpassungsgesetzen verwirklicht wurden. Der Mehraufwand beträgt also rund 9 Milliarden DM.Die Leistungsverbesserungen bewirken, daß im Jahre 1974 nach dem Haushaltsansatz im Durchschnitt pro Versorgungsberechtigten über 77,5 % mehr ausgegeben werden, als dies im Jahre 1969 bei der Übernahme der Regierungsverantwortung durch die sozialliberale Koalition der Fall war.Das sind nüchterne Zahlen, an denen nicht zu rütteln ist. Sie beweisen die enormen Leistungsverbesserungen in den letzten Jahren.
Diese Zahlen beweisen aber auch, daß Bundesregierung und Koalition die besondere Verpflichtung des Staates gegenüber den Kriegsopfern sehr ernst nehmen.Um so mehr muß es verwundern, wenn in der Begründung zum Antrag des Bundesrates zu lesen ist, daß es mit den Grundsätzen eines Rechts- und Sozialstaates nicht vereinbar sei, wenn nicht auch für die Kriegsopfer Leistungsverbesserungen, die denen der Fortentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung entsprechen, geschaffen würden. Auch in dem Bleichlautenden Antrag der Opposition dieses Hauses war dies zu lesen.Meine Damen und Herren von der Opposition, ich frage Sie allen Ernstes: Haben Sie vergessen, wie das vor 1969 war, als die Regierungsverantwortung in Ihren Händen lag? Haben Sie vergessen, daß es immer eines schweren Kampfes bedurfte, bis die Renten der Kriegsopfer angehoben wurden? Meistens hat es dann noch drei Jahre gedauert.
— Wer hat denn, Herr Barzel, aus den Reihen der Opposition damals auch nur den Gleichklang mit den Rentenversicherungen durch jährliche Anpassung der Kriegsopferrenten gefordert? Niemand, meine Damen und Herren.
Und wenn sich einer gefunden hätte, dann hätte er auf verlorenem Posten gestanden.
Es kann keine Zwischenfrage während der Einbringung eines Gesetzes gestellt werden, sondern erst in der Diskussion.
Der damalige Finanzminister F. J. Strauß hätte sicher nicht sein Ja zu einer solchen fortschrittlichen Regelung gegeben.
Meine Damen und Herren, das sind Fakten, die Sie nicht hinwegleugnen können. Erst die sozialliberale Koalition und Regierung hat durch schnelles und entschlossenes Handeln den Kriegsopfern Gerechtigkeit zuteil werden lassen,
indem sie ihre Versorgung auf eine zuverlässige und sichere Basis gestellt hat. Wenn sie nunmehr sogar für die Kriegsopfer einen gangbaren Weg für die Vorziehung der Rentenanpassung gefunden hat, so ist dies als ein weiterer Beweis ihres guten Willens gegenüber einem Personenkreis zu werten, der für die Allgemeinheit in einer schweren, unglücklichen Zeit große Opfer bringen mußte.
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Bundesminister ArendtEine rechtliche Verpflichtung im Zusammenhang mit den vorgezogenen Anpassungen in der gesetzlichen Rentenversicherung lag diesem Handeln nicht zugrunde. Die Rechtsgebiete der Sozialversicherung und der Kriegsopfer unterscheiden sich in ihrer Funktion, im Leistungsgefüge, in der Trägerschaft und der Aufbringung der Mittel in einer Weise, daß auch die Tatsache einer einheitlichen Anpassungsquote eine solche rechtliche Bindung nicht zu begründen vermag. Hinzu kommt, daß mit dem Vorziehen der Rentenanpassungen in den gesetzlichen Rentenversicherungen teilweise die im Jahre 1958 unterbliebene Anpassung nachgeholt werden sollte, ein Umstand, der auf die Kriegsopferversorgung keinen Bezug hat.Meine Damen und Herren, der Antrag des Bundesrates veranlaßt mich noch zu einigen weiteren Bemerkungen. Sie alle wissen, daß diesem Antrag die Initiative des Freistaates Bayern zugrunde liegt. Nun ist es natürlich für ein Land sehr leicht, eine solche Initiative zu ergreifen, weil es ja nicht die finanzielle Verantwortung für die entsprechenden Maßnahmen zu tragen hat.
Es dürfte Ihnen ja bekannt sein, daß die finanziellen Mittel zur Versorgung der Kriegsopfer fast ausschließlich vom Bund getragen werden. Die Länder sind lediglich mit 20 % an einem Teil der für die Kriegsopferfürsorge aufzubringenden Mittel beteiligt. Dies ist ein ganz geringer Anteil an den Gesamtaufwendungen für die Kriegsopferversorgung, nämlich nur 2 %.Man möchte nun meinen, daß ein Land, das sich berufen fühlt, als Streiter für die Rechte der Kriegsopfer eintreten zu müssen, gerne diese geringe finanzielle Belastung auf sich nimmt. Aber das ist keineswegs der Fall.
Nicht einmal zu diesem kleinen Opfer für die Kriegsopfer ist das antragstellende Land bereit.
Hier ist der Beweis: Mit Schreiben vom 5. September 1973 hat das Bayerische Staatsministerium der Finanzen den Bundesminister der Finanzen gebeten, dafür Sorge zu tragen, daß die Kostenbeteiligung der Länder beseitigt werde. Unter anderem wurde dieses Verlangen damit begründet, daß die Entwicklung der Ausgaben eine beträchtliche Steigerungsrate zeige, obwohl die Zahl der Kriegsopfer abnehme, und voraussichtlich diese überproportionale Ausgabenentwicklung in den nächsten Jahren noch anhalten werde.Sie sehen also, meine Damen und Herren, das angeblich große Interesse sieht doch anders aus, wenn man in die eigene Tasche greifen muß.
Meine Damen und Herren, fast wäre ich geneigt zu sagen: Das ist ein Spiel mit doppeltem Boden.
Wo bleibt da der Einklang zwischen öffentlicher Forderung und eigenem Verhalten? So sollte man nicht Politik machen, am allerwenigsten, wenn es um das Schicksal schwerbetroffener Menschen geht.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch einige Worte zur Elternversorgung sagen. Sie alle kennen aus früheren Diskussionen die seit langem bestehende Regelung, daß auf die Elternrente auch Unterhaltsleistungen der noch lebenden Kinder als Einkommen anzurechnen sind. Diese Regelung ist alt. Sie hat ihren Ursprung im Reichsversorgungsgesetz und wurde im Jahre 1950 in das Bundesversorgungsgesetz übernommen. Seitdem war sie immer wieder Gegenstand von Auseinandersetzungen. Dabei waren es nicht die Mitglieder der heutigen Koalition, die diese Regelung verteidigt haben. Vielmehr waren es namhafte Vertreter der CDU/CSU, die für die Beibehaltung der Anrechnung eingetreten sind und auf den engen Verbund zwischen Elternrente und Unterhaltsleistungen der noch lebenden Kinder bestanden haben.Die Stellungnahme zu diesem Problem in der Begründung zum vorliegenden Regierungsentwurf entspricht dem Stand der Planungen im Zeitpunkt der Beschlußfassung über den Entwurf.In der Sozialpolitik gibt es aber keinen Stillstand, und das gilt auch hier. Und so freue ich mich, Ihnen mitteilen zu können, daß die Bundesregierung inzwischen doch Mittel und Wege gefunden hat, die Anrechnung von Unterhaltsleistungen der noch lebenden Kinder auf die Elternrente zu beseitigen.
Es gibt sicher, meine Damen und Herren, auch noch manche anderen Strukturschwächen im Kriegsopferrecht, die wir ändern wollen. Wir sind und bleiben ständig um eine sachgerechte Weiterentwicklung des Kriegsopferrechts bemüht. Das geht aber nur Schritt für Schritt. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, hatten schon früher manche Gelegenheit, die Weichen anders zu stellen. Das haben Sie nicht getan, und das, was Sie versäumt haben, können wir natürlich nicht alles in einem Zuge aufholen. Im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten aber werden wir das Kriegsopferrecht fortschrittlich weiterentwickeln. Dessen können Sie und die Kriegsopfer gewiß sein.Wie ernst es uns damit ist, mögen Sie aus den folgenden wichtigen Vorhaben ersehen.1. In einem besonderen Gesetz werden wir die Fahrgeldbefreiung im Nahverkehr erweitern und verbessern.2. Auf dem Verordnungswege werden wir eine Härteregelung treffen für Witwen, deren Schadensausgleich bisher gekürzt wird, nachdem der Ehemann das 65. Lebensjahr vollendet hätte.
Wir beseitigen damit ein Relikt aus der Vergangenheit, das vielen Witwen Schmerz und Kummer bereitet.
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3144 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1973
Bundesminister Arendt3. Auch die Einkommensermittlung bei nicht buchführenden Landwirten wollen wir günstiger und gerechter regeln.Alle diese strukturellen Verbesserungen, meine Damen und Herren, sind bereits in Vorbereitung. Sie werden entscheidend dazu beitragen, die Kriegsopferversorgung insgesamt sozial gerechter zu gestalten.
Der Gesetzentwurf ist eingebracht. Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Geisenhofer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In die Beratung des Ihnen vorliegenden Entwurfs der Bundesregierung und des Bundesrates für ein Fünftes Gesetz über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes muß auch noch der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion vom 14. März 1973 mit einbezogen werden. Der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion wurde damals ohne Aussprache dem zuständigen Ausschuß übermittelt. Der Gesetzentwurf des Bundesrats, der auf eine Initiative des Freistaates Bayern zurückgeht, wurde schon in der 396. Sitzung des Bundesrats am 6. Juli 1973 behandelt.Ich darf die Bundesrats- und die damit identische Unionsvorlage begründen und zum völlig unzureichenden Gesetzentwurf der Bundesregierung Stellung nehmen.Der Gesetzentwurf des Bundesrats und der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion vom März dieses Jahres sehen schwerpunktmäßig folgende Verbesserungen vor.Erstens. Die Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes sollen nicht wie bisher jeweils zum 1. Januar eines jeden Jahres, sondern jeweils zum Juli des vorangehenden Kalenderjahres an die Änderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage der gesetzlichen Rentenversicherung angepaßt werden. Das heißt, die Kriegsopferrenten und Wehrdienstopferrenten sollen nach unserem Gesetzentwurf rückwirkend zum 1. Juli 1973 um 11,35 % angehoben werden.Zweitens. Bürgerlich-rechtliche Unterhaltsansprüche bei der Festsetzung der Elternrente sollen in Zukunft nicht mehr als Einkommen berücksichtigt werden, d. h. die Unterhaltspflicht der Kinder bei der Elternrente soll wegfallen.Herr Bundesminister Arendt, Sie haben soeben dem Hohen Hause bekanntgegeben, daß auch diese Forderung der CDU/CSU-Fraktion von Ihnen nun — wenn ich das richtig verstanden habe, ist das der Fall erfüllt wird. Ich danke Ihnen dafür und füge hinzu: Ohne die Gesetzesinitiative der CDU/CSU-Fraktion wäre Ihr Kompromißvorschlag niemals gekommen.
Drittens. Das Bestattungsgeld von jetzt 750 DM soll auf 1000 DM erhöht werden. Diese Forderung ist allen Gesetzentwürfen gemeinsam.Die Bundesregierung beharrt — auch Sie, Herr Bundesarbeitsminister, in Ihren Ausführungen — in ihrem Gesetzentwurf auf den Anpassungstermin 1. Januar 1974 und lehnt die vorgezogene Anpassung, wie sie die Union will, mit der Begründung ab, daß für die nach ihrer Berechnung erforderlichen 379,9 Millionen DM Mehrausgaben im Jahre 1973 im Haushalt angeblich keine Deckungsmöglichkeit vorhanden sei. Haushaltsschwierigkeiten sollen hier also das Handeln der Bundesregierung rechtfertigen und abdecken.Dieses Verhalten, meine sehr verehrten Damen und Herren, bedeutet die Nichteinhaltung eines gegebenen Versprechens, die Nichtanwendung der zeitgerechten Dynamisierung, die Abkoppelung der Kriegsopferrente von der Erhöhung der Sozialrenten und somit eine erhebliche Benachteiligung der Kriegs- und Wehrdienstopfer.Es ist bezeichnend, daß diese Bundesregierung zur Begründung der Ablehnung der vorgezogenen Rentenanpassung nach Argumenten sucht, die beweisen sollen, wie viel diese Bundesregierung in den letzten drei Jahren bereits für die Kriegsopfer getan habe und wie wenig in der Vergangenheit durch die CDU-Regierungen geschehen ist. Herr Bundesminister und meine Damen und Herren von der SPD und FDP, diese Argumentation, die auch Sie wieder verwendet haben, Herr Minister Arendt, daß in 20 Jahren CDU/CSU-Regierungszeit für die Kriegsopfer nicht viel getan wurde, während seit dem Regierungswechsel der soziale Fortschritt Riesensprünge gemacht haben soll, sollten Sie endlich aufgeben.
Die CDU/CSU kann auf die großen sozialen Leistungen der Vergangenheit angesichts eines verlorenen Krieges und einer zerstörten Wirtschaft mit Stolz verweisen.
Ihre Leistungen halten auch auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung internationalen Vergleichen stand. Wenn man das, was Herr Bundesminister Arendt soeben vorgetragen hat hört, und wenn man die Verlautbarungen in den SPD-Pressediensten und anderen Informationsmedien der letzten Zeit betreffend die hohen Anpassungssätze und die Milliardenbeträge, die Sie angeblich jetzt und für die nächsten Jahre den Kriegsopfern zur Verfügung stellen, liest, so könnte man den Eindruck gewinnen, daß die Kriegs- und Wehrdienstopfer mit ihrem Wohlstand zur Zeit gar nicht mehr fertig werden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, der VdK-Deutschland weist in einer Zeitungsannonce im „Münchner Merkur" vom 1. Oktober 1973 im einzelnen nach, daß die Realität, die rauhe Wirklichkeit eine ganz andere ist. Ein unterschenkelamputierter Schwerbeschädigter erhielt im Jahre 1970 eine Grundrentenerhöhung von nur 15 DM, eine Witwe
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Geisenhofereine solche von 38 DM. Im Jahre 1971 erhielt der Schwerbeschädigte 6 DM, die Witwe 10 DM mehr. Im Jahre 1972 erhielt der Schwerbeschädigte 7 DM, eine Witwe nur 12 DM mehr. Von einer Teilnahme der Kriegsopfer am wachsenden Wohlstand der Bevölkerung kann überhaupt keine Rede sein.Meine sehr verehrten Damen und Herren, um das Vorziehen der Anpassung der Kriegsopferrenten umgehen zu können, versucht die Bundesregierung ferner nachzuweisen, daß die Dynamisierungsvorschrift des § 56 BVG erfüllt sei, denn die Kriegs- und Wehrdienstopferrenten würden ja alle Jahre entsprechend der Steigerung der Sozialrenten angepaßt. Gerade in dieser Auslegung liegt aber das große Argernis begründet, denn es bestand 1970 in diesem Hohen Hause anläßlich der Einführung der Dynamisierung, der alle Parteien zugestimmt haben, Übereinstimmung bei allen Fraktionen, daß Dynamisierung nur heißen kann: Anhebung der Kriegsopferrenten zum gleichen Zeitpunkt und in gleicher Höhe wie die Sozialrenten. Da waren wir uns doch einig.Die Bundesregierung versucht ferner nachzuweisen, daß die nicht zeitgerechte Anpassung der Kriegsopferrenten nicht verfassungswidrig sei, weil sich die Rechtsgebiete der Sozialversicherung und der Kriegsopferversorgung ebenso unterscheiden wie die Aufbringung der Mittel. Diese Auffassung steht im Widerspruch zu dem Gutachten des bekannten Rechtsgelehrten der Universität Erlangen, Herrn Professor Dr. Klaus Obermayer, der u. a. folgendes aussagt: Die Benachteiligung der Kriegsopfer gegenüber den Sozialrentnern bei der Anpassung der Versorgungsleistungen verletzt den Gleichheitsgrundsatz des Artikels 3 Abs. 1 des Grundgesetzes. Die Kriegsopfer können gegen die ihnen widerfahrene verfassungswidrige Benachteiligung Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben. Ich frage, Herr Bundesminister Arendt: Will es die Bundesregierung in dieser Kriegsopferfrage tatsächlich zu einem Rechtsstreit kommen lassen?Meine Damen und Herren, ich glaube, die Bundesregierung wäre gut beraten gewesen, wenn sie sich an Stelle des Sammelns von Argumenten gegen die Anpassung mit Nachdruck um einen anständigen Kompromiß bemüht hätte. Es ist für mich und für meine Fraktionskollegen einfach unverständlich, warum die Bundesregierung den Kompromißvorschlag des Landes Hessen nicht angenommen hat, nämlich das Vorziehen der Kriegsopferrenten, wenn schon nicht zum 1. 7. dieses Jahres, dann wenigstens zum 1. Oktober dieses Jahres zu beginnen. Damit hätten Sie 200 Millionen DM eingespart. Das wäre ein vernünftiger Kompromiß gewesen. Ich darf aber auch hinzufügen, ohne die Initiative des Bundesrates und der CDU/CSU-Fraktion wäre auch der Kompromißvorschlag des Landes Hessen gar nicht möglich gewesen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte die Bundesregierung doch erkennen müssen, daß sie in der Kriegsopferfrage nicht mehr weiter zögern darf. Aber auch diesen Kompromiß hat die Bundesregierung abgelehnt. Unmöglich ist der Vorschlag des Bundeskabinetts, das Gleichziehen der Kriegsopferrenten erst am 1. Oktober 1974 zu beginnen und erst am 1. Juli 1975 zu beenden. Die CDU/CSU-Fraktion hält an ihrem Anpassungstermin 1. Juli 1973 mit Nachdruck fest.
Der Herr Bundeskanzler und vor allem die SPD haben mit dem Dynamisierungsparagraphen Wahlkampf betrieben. Sie haben im Wahlkampf den Eindruck erweckt, als würden auch sie die Kriegsopferrenten im Jahre 1973 zusätzlich anpassen. Sie haben damit ebenso Wahlkampf betrieben wie mit der Regelung der von der CDU/CSU im September vergangenen Jahres eingebrachten Vorschläge für die zweite große Rentenreform.
Damals propagierten Sie im Wahlkampf, Sie hätten die Rentenniveauregelung durchgesetzt, Sie hätten die Kleinstrentenregelung durchgesetzt. Jeder von Ihnen weiß, daß Sie bis zur letzten Bundestagssitzung schärfsten Widerstand gegen uns geleistet haben. Jeder weiß das.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, nach gewonnener Wahl erinnern Sie sich dieser Ihrer Versprechungen nicht mehr. Sie sammeln Milliardenbeträge, die in der CDU/CSU-Gesetzgebung den ärmsten Schichten der Rentner gegeben wurden, wieder ein,
kassieren diese Beiträge und Beträge, um sie dann für 1976 für den kommenden Bundestagswahlkampf bereitzustellen.
Das ist keine Sozialpolitik, das ist Wahlpolitik, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich darf Sie doch daran erinnern, daß Sie es waren, welche die CDU/CSU-Verbesserungen bei der flexiblen Altersgrenze nachträglich verschlechtert haben. Sie waren es, die das Rentenniveau-Sicherungsgesetz wieder verschlechtert haben. Sie waren es, meine Damen und Herren von der SPD/FDP, welche die zinslose Zweckentfremdung von 2,5 Milliarden DM Bundeszuschüssen in der Sozialversicherung bis 1980/81 verursacht haben.
Hätte die CDU/CSU Maßnahmen, die erst durchgesetzt wurden, nach der Wahl zurückgenommen, würde man demonstrieren und marschieren. Das ist doch die wahre Situation.
Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß alle Parteien, alle Fraktionen dieses Hohen Hauses den
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GeisenhoferKriegsopfern gegenüber im Wort stehen. Ich sage es noch einmal: im Wort stehen. Ich habe in der Bundestagssitzung bei der Behandlung der Kriegsopfer-frage Herrn Professor Schellenberg zitiert, ich habe Herrn Katzer zitiert. Ich brauche das nicht zu wiederholen. Alle haben gesagt: Wir werden die 1972 nicht mögliche Anpassung nachholen, sobald es möglich ist. Die CDU/CSU hat Wort gehalten und bereits am 14. März dieses Jahres ihren Gesetzentwurf zum Vorziehen der Anpassung der Kriegsopferrenten zum 1. Juli 1973 eingereicht. Aber dieser Gesetzentwurf liegt seit sechs Monaten im Ausschuß, ohne behandelt worden zu sein. Wir bedauern das. Die Ausschußmehrheit wollte die Behandlung nicht.Die Kriegs- und Wehrdienstopfer sind über die Haltung der Bundesregierung zutiefst enttäuscht. Das ist auch bei den Protestkundgebungen schon im Mai dieses Jahres durch den VdK-Deutschland und damals auch noch durch den Reichsbund ganz deutlich zum Ausdruck gekommen.
Bei der letzten Protestkundgebung des VdK-Deutschland am 2. Oktober dieses Jahres auf dem Bonner Marktplatz, an der 30 000 Kriegsopfer teilgenommen haben, hat sich gezeigt, daß das Maß nun voll ist. Der Vizepräsident des VdK, Ludwig Hönle, sagte auf der Kundgebung — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:Wir demonstrieren nicht gegen den Staat oder gegen die Parteien, sondern gegen ein Unrecht. Wir sind als Staatsbürger der Überzeugung, daß der Deutsche Bundestag als oberstes Gesetzgebungsorgan das Recht und die Verpflichtung hat, unzureichende Gesetzesvorlagen der Regierung zu ändern und zu verbessern, um so den Kriegs- und Wehrdienstopfern zu ihrem Recht zu verhelfen. Um dies unüberhörbar deutlich zu machen, sind wir hier. Denn noch hat der Deutsche Bundestag die Möglichkeit, so wie er sie früher öfter in Fragen der Kriegsopferversorgung wahrgenommen hat, kraft seiner eigenen Souveränität die Dinge in Ordnung zu bringen.Meine Damen und Herren, bringen wir doch endlich diese Dinge gemeinsam in Ordnung!Es gehört zur Tragik dieser Bundesregierung, daß sie hartnäckig darauf besteht, die Stabilitätspolitik mit auf dem Rücken der Kriegsopfer auszutragen. Das ist eine Tragik. Jene, die durch den Krieg und seine Folgen Berufschancen und Gesundheit geopfert haben, sollen jetzt auch noch das größte Stabilitätsopfer unseres Volkes tragen. Das ist unmöglich.
Herr Bundeskanzler, Herr Bundesminister Arendt, meine Damen und Herren von der SPD/FDP, Sie haben sich für die Demonstration der Härte, der Entschlossenheit und der Kompromißlosigkeit einen vollkommen falschen Personenkreis ausgesucht.
Wenn der Herr Bundeskanzler und die SPD diese Härte, Entschlossenheit und Kompromißlosigkeit auch bei jenen linksextremen Kräften, die unseren Staat gefährden, anwendeten,
könnte er der Unterstützung aller demokratischen Kräfte in unserem Volke sicher sein. Diese Härte und Kompromißlosigkeit bei einem vom Schicksal hart getroffenen Personenkreis zu exerzieren, der seine Kräfte für diesen Staat eingesetzt hat, ist unglaublich und unverständlich.
wir von der CDU/CSU haben uns bisher in den Debatten um die Kriegsopferversorgung immer bittend für Gerechtigkeit gegenüber den Kriegsopfern eingesetzt.
Sie haben unsere Bitten als Propaganda abgetan. Wenn es jetzt zu dieser Zuspitzung und dieser Härte gekommen ist, zu den Demonstrationen, dann ist das nicht Schuld der CDU/CSU oder des VdK Deutschlands, sondern es ist Schuld der Bundesregierung, die die ehrlichen Sorgen der Kriegsopfer einfach ignoriert hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Geiger?
Ja, Herr Geiger.
Herr Kollege Geisenhofer, würden Sie mir doch endlich sagen, ob das die erste Demonstration der Kriegsopfer ist oder ob nicht viele andere bei viel besseren finanziellen Möglichkeiten vorausgegangen sind, als Sie noch die Verantwortung trugen?
Lieber Kollege Geiger, ich werde im Laufe meiner Ausführungen noch auf Ihre Frage zurückkommen. Ihr Argument, daß zu unserer Regierungszeit die Kriegsopfer schlechter behandelt wurden als während Ihrer Regierungszeit, werden wir deutlich widerlegen können. Warten Sie ab!
Wir kennen die Bemühungen der Kriegsopferverbände, die bis zuletzt in Gesprächen versucht haben, einen Kompromiß zu erzielen. Immer wieder wurde von der Regierungsseite betont, daß aus Gründen der Stabilität im Jahre 1973 keine zusätzlichen Leistungen an irgendwelche Gruppen erfolgen können.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1973 3147
GeisenhoferDer VdK stellt fest:Wenige Wochen später hat die Bundesregierung der Forderung der Gewerkschaften und des Beamtenbundes auf Zahlung eines 13. Monatsgehaltes im öffentlichen Dienst .. entsprochen. Die Kosten ... betragen hierfür ... 1,4 Milliarden DM ... Niemand wendet sich gegen diese Leistungsverbesserungen. Nur darf sich auch niemand beklagen darüber, daß bei den Kriegsopfern kein Verständnis mehr dafür vorhanden ist, daß ein solcher Milliardenbetrag die Stabilitätsbemühungen nicht gefährden werde, während ... 490 Millionen DM ...für die Kriegsopfer die ganze Stabilität kaputtmachen würden.Die Kriegs- und Wehrdienstopfer haben bereits ein halbes Jahr Anpassung im Jahre 1972 verloren, was den Betrag von 270 Millionen DM ausmacht, Sie haben dadurch das größte Stabilitätsopfer aller Schichten unseres Volkes gebracht. Wenn im Jahre 1973 wiederum keine Anpassung erfolgt, verlieren die Kriegsopfer weiter 390 Millionen DM. Das ist doch eines Sozialstaates unwürdig. Herr Bundesminister Arendt, wenn der Vorschlag des Kabinetts, die Anpassung erst am 1. Juli 1974 einzuleiten und am 1. Juli 1975 zu vollenden, durchgezogen würde, verlören die Kriegsopfer 800 Millionen DM. Das ist den Kriegsopfern einfach nicht zuzumuten.Meine Damen und Herren, noch etwas zu Ihrer Kritik an der Union. Ich erinnere Sie an folgendes. Beim ersten Kriegsopferanpassungsgesetz 1970 ist durch die SPD/FDP für die drei Bezugsjahre 1968 bis 1970 nur ein Anpassungssatz von 16 % beschlossen worden, obgleich sich die Sozialrenten im gleichen Zeitraum wesentlich höher entwickelt haben. Die CDU/CSU-Fraktion hat damals einen Anpassungssatz von 22 % vorgeschlagen, um die Ausgangsbasis gerechter zu gestalten. Dadurch, daß Sie von der SPD/FDP unseren CDU/CSU-Antrag abgelehnt haben, kam die Kriegsopferversorgung gegenüber den Leistungen der Sozialversicherung erneut um 7 bis 8 % in Rückstand. Dieser Rückstand wird auch nicht durch die relativ hohen Anpassungssätze, mit denen Sie jetzt argumentieren, in den nächsten Jahren beseitigt. Sie tun so, als hätten Sie die hohen Anpassungssätze erstritten. Wahrheit und Tatsache ist: Erstens sind die hohen Anpassungssätze im Hohen Hause gemeinsam beschlossen worden, und zweitens sind sie auch eine Folge der inflationären Entwicklung in unserem Lande. Das traurige Verdienst, diese erhöhte Inflationsrate in unserem Lande erzeugt zu haben, wollen wir Ihnen nicht streitig machen.
Lassen Sie mich zusammenfassend folgendes sagen.Erstens. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß zu Zeiten der CDU/CSU-Regierung der Anteil der Kriegsopferrenten am Sozialprodukt höher lag, nämlich 2 % betrug, während er unter dieser Bundesregierung im Jahre 1972/73 auf 1 % abgesunken ist.
Ich sage das trotz Ihrer Milliardenbeträge, die Sie hier propagandistisch ins Feld führen.Zweitens. Die Kriegsopfer nehmen im Jahre 1972 nicht mehr, zumindest nicht mehr voll an der allgemeinen Einkommensentwicklung und an der Steigerung des Sozialprodukts teil. Auch die Arbeitnehmer nehmen erstmalig im Jahre 1973 trotz Lohnerhöhungen von 8 % nicht mehr an der Steigerung des Sozialprodukts teil, weil die Inflationsrate die Lohnerhöhungen bereits überspielt hat.
Drittens. Die Dynamisierung der Kriegsopferrenten haben alle Parteien gemeinsam beschlossen. Das ist kein Verdienst der SPD/FDP. Es ist aber ein Mißverdienst dieser Regierung, die beschlossene Dynamisierung nicht richtig zu realisieren, nicht richtig durchzuführen. Auch wir wollen möglichst keine Ausweitung des Bundeshaushaltes, aber innerhalb des Haushaltes müssen Prioritäten gesetzt werden; es muß eine Umschichtung zugunsten der Kriegsopfer möglich sein.
Wir haben bei der Haushaltsdebatte am 18. Juni dieses Jahres einen Deckungsantrag vorgelegt. Aber Sie, meine Damen und Herren von der SPD/FDP, wollten ihn nicht annehmen. Es fehlte Ihnen aber auch der Mut, ihn abzulehnen. Daher kam Ihr Überweisungsantrag an den Ausschuß, wissend und wollend, daß im Bundeshaushalt keine Mittel eingesetzt werden.Ich frage abschließend: Wo sind die sozial eingestellten Abgeordneten der SPD/FDP?
Meine Damen und Herren, wir wissen, Finanzminister müssen das Geld zusammenhalten. Das war auch bei Franz Josef Strauß so. Aber zu den damaligen Zeiten sind innerhalb der CDU/CSU Männer und Frauen aufgestanden und haben trotzdem Gerechtigkeit für die Kriegsopfer gefordert. Ich erinnere Sie an den mutigen Einsatz der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, der CSU-Abgeordneten Frau Dr. Maria Probst.
Wo sind jetzt diese Abgeordneten in der SPD, die doch auch fühlen, daß hier ein großes Unrecht vorhanden ist?
Die Regierung spricht so viel von der Verbesserung der Lebensqualität. Aber die Kriegsopfer empfinden die Lebensqualität doch nicht aus den Propagandabroschüren der Bundesregierung, sondern tagtäglich aus der harten Realität ihres Haushalts. Das ist die Wirklichkeit.Meine Damen und Herren, wir von der CDU/CSU wollen der Anpassung Priorität beimessen, obwohl wir wissen, daß noch viele strukturelle Verbesserungen für die Kriegsopfer notwendig sind. Die Kürzung der Witwenrente beim Schadensausgleich, wenn der Ehemann fiktiv das 65. Lebensjahr erreicht,Geisenhoferund viele andern Härten müssen später in einem neuen Gesetz beseitigt werden.
Ich darf mit einem Hinweis schließen. Nicht weniger als 2,4 Millionen Kriegsopfer, Frauen und Männer, Witwen und Waisen, verfolgen im Land die Debatte des Deutschen Bundestages. Sie erwarten von diesem Hohen Hause mehr Gerechtigkeit. Die große Zahl von 2,4 Millionen beweist aber auch, daß die Kriegsopferversorgung kein Problem der Vergangenheit ist, wie es viele gern hätten, sondern auch eine große Aufgabe der Gegenwart und der Zukunft darstellt, weil von der gerechten Lösung dieser Frage auch die Wehrbereitschaft unserer jungen Bundeswehrsoldaten abhängt.
Meine Damen und Herren, stimmen Sie bitte in den folgenden Beratungen im Ausschuß und in der dritten Lesung des Hohen Hauses dem Gesetzentwurf des Bundesrats zu, damit die Kriegsopfer wieder Vertrauen fassen und das Bewußtsein haben können, daß dieser Staat, dem sie die größten Opfer gebracht haben, sie nicht vergessen hat.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Unruhe, die hier eben von Herrn Kollegen Geisenhofer vorgetragen worden ist
— das war sicher nur ein unruhiger Vortrag —, scheint mit der angeblichen Unruhe der gesamten CDU/CSU-Fraktion doch wohl nicht in Einklang zu bringen zu sein; denn wenn der Antrag ernst gemeint wäre, hätten wir auf dieser Seite , sicherlich eine andere Beteiligung, als wir sie hier heute morgen tatsächlich haben.
— Ach, wissen Sie, ich bin so lange in der Arbeit eines großen Kriegsopferverbandes, und ich weiß, wann Unruhe unter den Kriegsopfern gewesen ist. Davon hatten Sie damals sicherlich gar keine Ahnung.
Denn sonst hätten Sie auf die berechtigten Forderungen der Kriegsopfer vor zehn Jahren und davor in ganz anderer Weise reagiert.
Heute meinen Sie, diese angebliche Unruhe unter den Kriegsopfern schüren zu müssen.
Ich bitte, die Zurufe zurückzuhalten, damit eine Zwischenfrage gestellt werden kann. Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Glombig, sind Sie so kurzsichtig, daß Sie nicht sehen, daß z. B. von der FDP nur vier Abgeordnete und von der SPD vielleicht weniger Abgeordnete im Plenarsaal sitzen als von der Opposition?
Herr Kollege Franke, diese Koalition beanstandet nicht das Fünfte Anpassungsgesetz zum Bundesversorgungsgesetz, dessen Entwurf von der Bundesregierung vorgelegt worden ist. Die Koalition ist sich einig, daß dieser Gesetzentwurf, wie er von der Bundesregierung vorgelegt worden ist, und darüber hinaus der Plan zur vorzeitigen Anpassung der Kriegsopferrenten spätestens mit dem sechsten Anpassungsgesetz verabschiedet werden wird.
Sie wollen doch hier bekunden, daß es noch in diesem Jahr zu einer vorgezogenen Anpassung der Kriegsopferrenten kommen muß. Darauf spiele ich an.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie nun eine Zwischenfrage des Abgeordneten Burger?
Ich möchte auch bald mal zu dem kommen, was ich zu sagen habe. Letztesmal, als ich zum Schwerbeschädigtengesetz sprach, ist mir die durch Zwischenfragen verbrauchte Zeit auf die Redezeit angerechnet worden, Herr Präsident. Ich bitte, das zu berücksichtigen.
Auf die Redezeit wird es nicht angerechnet. Aber es ist natürlich Ihre eigene Entscheidung, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen wollen oder nicht.
Bitte schön!
Herr Kollege Glombig, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß es eine echte Unruhe unter den Kriegsopfern gibt? Beweis. 30 000 Witwen und Schwerbehinderte haben demonstriert; sie haben die Belastung einer langen Reise auf sich genommen, sind mehrere Kilometer gelaufen und haben hier für ihr Recht gekämpft. Glauben Sie, daß das kein Beweis für die Unruhe bei den Kriegsopfern ist?
Wissen Sie, Herr Kollege Burger, ich bin - wie vor 28 Jahren — heute noch aktiv in einer großen Kriegsopferorganisation tätig. Ich habe — ich will das ganz offen sagen — von dieser Unruhe dort, wo ich in einer sehr großen Stadt - es ist immerhin die größte Stadt der Bundesrepublik - mit den Kriegsopfern jeden Tag zusammenarbeite, nichts gespürt. Ich meine auch, daß
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Glombigdas eine echte Unruhe in dem Sinne eigentlich nur sein könnte, wenn sich alle Kriegsopferorganisationen an dieser Demonstration beteiligt hätten. Sie haben es nicht getan. Ich meine, das ist nun wirklich ein Beweis dafür, daß diese Unruhe so groß nicht sein kann.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Burger?
Bitte schön!
Herr Kollege Glombig, halten Sie die Forderung der Kriegsopfer nach Gleichstellung mit den Sozialversicherten für berechtigt oder nicht?
Ich halte diese Forderung für berechtigt. Deswegen wollen wir sie ja erfüllen, und deswegen wird sie erfüllt. Das muß doch endlich einmal klargestellt werden.
Sie können doch nicht so tun, als hätten wir diese Forderung nicht erfüllt und würden sie nicht erfüllen. Aber darauf will ich ja jetzt zu sprechen kommen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ich
betone es noch einmal mit aller Deutlichkeit — begrüßt den Entwurf der Bundesregierung zum Fünften Gesetz über die Anpassung der Leistungen der Kriegsopferversorgung.
Herr Abgeordneter Glombig, darf ich nun fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Biehle beantworten wollen?
Also, das ist aber die vorletzte Zwischenfrage, die ich beantworte.
Biehle : Herr Kollege, pflichten Sie mir nicht bei, wenn ich feststelle, daß bei dieser Kundgebung in Bonn nicht nur die Mitglieder des VdK, sondern auch die anderen Verbände beteiligt waren, daß aber diese Mitglieder anderer Verbände, weil diese in der Spitze anders orientiert sind, von ihrer Führung verlassen worden sind?
Wissen Sie, das ist natürlich eine Behauptung, die ich nicht nachprüfen kann. Ich weiß nur, daß diese Demonstration vom VdK angekündigt und durchgeführt worden ist und daß die anderen Verbände gesagt haben, sie würden sich daran nicht beteiligen. Daran muß ich mich halten. Wenn Sie auf dem Marktplatz in Bonn etwas anderes festgestellt haben, kann ich das nicht ändern. Aber ein Beweis für Ihre Behauptung scheint mir das nicht zu sein.
Den Gesetzentwurf des Bundesrates lehnen wir, um das von vornherein zu sagen, entschieden ab.
Die Bundesregierung, um das auch noch einmal festzustellen, hat über den Entwurf eines Fünften Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes hinaus einen Plan zur vorgezogenen Anpassung der Kriegsopferrenten vorgelegt, der sich in zwei Stufen vollziehen wird, und zwar zum 1. Oktober 1974 und zum 1. Juli 1975. Das bedeutet, daß die Kriegsopfer mit den Sozialrentnern bereits ab 1. Oktober 1974 rechtlich und materiell gleichgestellt sein werden.
Ich meine, Sie sollten den Kriegsopfern doch ein-
mal vorrechnen, welchen Verlust sie in der Zeit von 1949 bis 1969 gehabt haben. Diese Rechnung, die wir Ihnen da aufmachen würden, brächte Ihnen die Tränen in die Augen und den Kriegsopfern auch.
Diese Tatsache, die ich soeben dargestellt habe, wird häufig absichtlich — vor allem auch von Ihnen absichtlich – übersehen. Nun müssen wir Ihnen diese Tatsache ins Gedächtnis zurückrufen.
Der vorliegende Stufenplan — das gebe ich zu ist ein Kompromiß.
Ein guter Kompromiß! Er ist ein Kompromiß auf der Grundlage von sozialpolitischem Wollen und finanzwirtschaftlichem Verantwortungsbewußtsein, das Sie allerdings nicht mehr zu haben scheinen.
— Das glaube ich, daß Sie diese Feststellung abqualifizieren möchten. Aber ich werde gleich noch versuchen, das zu begründen.
Herr Abgeordneter, „Unverschämtheit" ist nicht parlamentarisch.
Fest steht: Die Mehrheit der Kriegsopfer erkennt an, was Bundesarbeitsminister Walter Arendt im Rahmen der Haushaltsberatungen 1974 auf der Kabinettsebene und der weiteren Finanzplanung für sie erreicht hat. Auch die Kriegsopferverbände können zufrieden sein. Ich sage: Der größere Teil der Kriegsopferverbände ist auch zufrieden. Seit der Übernahme der Regierungsverantwortung durch die sozialliberale Koalition sind die berechtigten Forderungen der Kriegsopfer weitgehend erfüllt worden, und zwar in einem Umfang, den sich die Kriegsopfer beim Amtsantritt der Regierung der sozialliberalen Koalition wirklich nicht erträumt haben.
Herr Abgeordneter Glombig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller ?
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Ja, den Kollegen Müller mag ich so gern. Bitte!
Herr Kollege Glombig, ist Ihnen bekannt, daß im Jahre 1950 für die Kriegsopfer von einem Bruttosozialprodukt von 98 Milliarden DM 2,5 % aufgewandt wurden und heute bei 900 Milliarden DM knapp über 0,75 °/o?
Aber diese Steigerung des Bruttosozialprodukts war schon 1959 und vor 1969 sichtbar. Ich halte von diesem Milliardenspiel, das Sie seit einigen Wochen und Monaten anstellen,
überhaupt nichts. Denn Sie hätten in den letzten 20 Jahren Zeit gehabt, mehr zu tun als das, was wir getan haben, und das ist doch einiges.
Nun wollen wir dieses Spielchen hier mal lassen. Denn ich möchte nun endlich zu dem kommen, was ich Ihnen zu sagen habe. Es wird sich sicher noch die Möglichkeit ergeben, daß Sie mir eine Frage stellen.
Ich wollte sagen — und jetzt haben Sie die Möglichkeit, sich wieder zu erregen , daß Sie, statt sich als „Anwalt der Kriegsopfer" aufzuspielen was Sie tun —, zuerst einmal versuchen sollten — und das haben Sie in dem notwendigen Umfang bisher nicht getan —, sich an einer nüchternen, soliden und konstruktiven Politik zugunsten der Kriegsopfer mit uns gemeinsam zu beteiligen, meine Damen und Herren. Davon haben wir bisher nicht viel gemerkt.Vielmehr hat man den Eindruck, als seien die Kriegsopfer für die CDU/CSU nur Statisten in der finanzpolitischen Komödie gewesen
— jawohl, Statisten in der finanzpolitischen Komödie gewesen —, die Sie uns nun schon seit Monaten vorspielen.
Oder soll man das ernst nehmen, meine Damen und Herren, wenn die Opposition gleichzeitig ausgabenwirksame Gesetzesanträge und Anträge stellt, die Steuern senken sollen? Und dann möchten Sie sich auch noch als „stabilitätspolitisches Unschuldslamm" hinstellen! Die Diskussion gestern hat uns doch deutlich gezeigt, in welchem Widerspruch Sie sich befinden.
Hoffentlich ist Ihnen klar, wie komisch das draußen in der Öffentlichkeit wirkt, was Sie hier zur gleichen Zeit versuchen zu absolvieren.
Der Haushalt 1973, den der Kollege Strauß seinerzeit als stabilitätswidrig abgekanzelt hat, ist heute offenbar allzusehr stabilitätskonform. Wie wäre es sonst zu erklären, daß die Opposition noch für dieses Jahr Steuersenkungen in Höhe von 600 Millionen DM verlangt und gleichzeitig durch die vorzeitige Anpassung der Leistungen der Kriegsopferversorgung noch in diesem Jahr Mehrausgaben von 394,8 Millionen DM verursachen möchte?
— Sie schützen die Kriegsopfer nicht vor der Inflation, indem Sie den Konsum anheizen und die Preise noch mehr steigern.
Damit können Sie die Kriegsopfer vor einer solchen Entwicklung nicht schützen. Im Gegenteil, das kann doch nur zum Nachteil der Kriegsopfer sein.
Auch der Entwurf zum Haushaltsplan 1974 ist, bevor er überhaupt vorliegt, ohne langes Überlegen als stabilitätswidrig bezeichnet worden. Das hindert die CDU/CSU nicht daran, für 1974 in ihrem „Inflationsanheizungsgesetz" — so möchte ich es nennen —
Steuererleichterungen von 8 Milliarden DM zu verlangen und gleichzeitig auf der Ausgabenseite unter anderem — unter anderem; das ist nur ein Posten — bei der Kriegsopferversorgung nochmals mit zirka 190 Millionen DM über den Plan der Bundesregierung hinauszugehen.
— Das ist ja kein 13. Monatsgehalt, sondern das letzte Drittel eines 13. Monatsgehalts. Das ist doch wohl ein großer Unterschied. Führen Sie doch die Öffentlichkeit nicht fortwährend irre!
— Was haben Sie denn gegen die berechtigten Ansprüche der Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst?
Der Kollege Strauß kritisiert die geplante Steigerungsrate des Bundeshaushalts 1974 gegenüber 1973 von 10,5 % als zu hoch und spricht sich ganz generell gegen zweistellige Zuwachsraten aus. Demnach müßte er auch verlangen, daß die Kriegsopferrenten um weniger als 10 % steigen,
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Glombigobwohl sie im Jahre 1974 und im Jahre 1975 mindestens am 15 % steigen sollen, es sei denn, man macht uns hier und jetzt in aller Öffentlichkeit deutlich, wo und auf wessen Kosten die CDU/CSU-Fraktion Einsparungen wünscht, um z. B. trotz der vorgezogenen Anpassung zu einer nur einstelligen Zuwachsrate des Haushalts zu kommen.
Seriöse Vorschläge dieser Art haben Sie jedenfalls bis heute nicht eingebracht. Dabei bleibe ich, und daran hat sich gegenüber der Haushaltsberatung im Juni auch nichts geändert.
Wie ist das alles mit der Auffassung des Vorsitzenden des Arbeitskreises Haushalt, Steuern, Geld und Kredit der CDU/CSU-Fraktion, des Kollegen Höcherl, zu vereinbaren, der sich über den aufgeblähten Sozialkonsum im Haushaltsplan 1974 mokiert?Meine Damen und Herren, man muß die Kriegsopferpolitik der CDU/CSU auf dem Hintergrund dieser finanzpolitischen Ungereimtheiten sehen, um zu erkennen, daß sie. überhaupt nicht ernst gemeint sein kann.Ich meine, es geht der Opposition in diesem Fall überhaupt nicht um die Kriegsopfer. Sonst hätte sie sich wie die Regierung und die Koalitionsfraktionen nüchtern überlegt, wie man nach Kräften die Leistungen der Kriegsopferversorgung im Rahmen des Möglichen verbessern kann. Die Opposition mißbraucht die Kriegsopfer für „Schaufensteranträge", die sie nur deshalb stellt, weil sie genau weiß, daß sie von dieser Koalition aus vernünftigen und für jeden einsichtigen Gründen abgelehnt und von ihr selbst nicht verantwortet werden müssen.
Wenn die CDU/CSU den sozialpolitischen Fortschritt, so wie sie ihn versteht, dort fordert, wo er nicht realisierbar ist, kann der eine Flügel der Union sein Reformprestige aufpolieren und der andere Flügel beruhigt sein, daß alles gar nicht so ernst gemeint ist und daß doch alles beim alten bleiben kann.
Herr Abgeordneter Glombig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Geisenhofer?
Na ja.
Herr Kollege Glombig, wollen Sie Ihre bittere Behauptung aufrechterhalten, daß die CDU/CSU die Kriegsopfer politisch mißbraucht? Vorher haben Sie gesagt, wir hetzten die Kriegsopfer auf. Ist es Aufhetzen, wenn sich die CDU/CSU für soziale Gerechtigkeit einsetzt, und ist es dann, wenn die SPD soziale Forderungen stellt, die große soziale Tat? Die Begriffsverwirrung in diesem Bereich wird immer noch schrecklicher.
Herr Kollege Geisenhofer, ich habe gar nicht behauptet, daß Sie .die Kriegsopfer aufgehetzt haben. Das werden Sie sicherlich auch nicht in dem Sinne fertigkriegen. Aber ich habe gesagt, daß Sie die berechtigten Anliegen der Kriegsopfer dazu mißbraucht haben, Schaufensteranträge zu stellen, von denen Sie genau wissen, daß sie in diesem Jahre nicht zu realisieren sind. Darum geht es doch und um nichts anderes.
Aber ich bin überzeugt, daß die CDU/CSU mit diesem Trick bei den Kriegsopfern nicht weiterkommt. Sie kann wohl eine Weile auf die Unwissenheit, auf das kurze Gedächtnis der Bürger und auf die Gutgläubigkeit der Kriegsopfer spekulieren. Auf die Dauer jedoch läßt sich mit solchen Spiegelfechtereien kein sozialpolitisches Engagement vortäuschen.
Herr Abgeordneter Glombig, gestatten Sie nunmehr eine Zwischenfrage des Abgeordneten Burger?
Herr Kollege Glombig, Sie nannten unseren Antrag einen Schaufensterantrag.
Würden Sie mir auf meine Frage antworten: Wie würden Sie jene Anträge bezeichnen, die beim Zweiten Neuordnungsgesetz von der FDP in Höhe von 3 Milliarden DM und von Ihnen in Höhe von 2 Milliarden DM bei einem nur halb so großen Haushaltsvolumen wie heute eingebracht wurden?
Bei dem großen Nachholbedarf der Kriegsopfer in dieser Zeit waren das durchaus berechtigte Anträge,
die bei dem Volkseinkommen damals durchaus hätten realisiert werden können.
Gestatten Sie eine Zusatzfrage des Abgeordneten Burger?
Nein. Jetzt muß ich zum Schluß kommen.
Sie gestatten sie nicht. Bitte, es ist Sache eines Redners, ob er eine Zusatzfrage gestatten will.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie, daß auch ich ganz kurz auf die Strukturverbesserungen eingehe, die das Fünfte Anpassungsgesetz vorsieht, um noch einmal deutlich zu machen, was wir neben den linearen Rentenerhöhun-
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Glombiggen vor allem für die Schwerstbeschädigten mit diesem Gesetzentwurf erreichen wollen.Die SPD-Fraktion begrüßt vor allem die Regelung, nach der die Pflegepersonen von Kriegsbeschädigten die Aufwendungen für eine Nachentrichtung von Beiträgen in der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten können. Damit wird sicher kein allzu großer Personenkreis erfaßt, wie es Herr Bundesarbeitsminister Arendt bereits gesagt hat, aber es wird eine um so größere individuelle Härte beseitigt. Ich möchte darauf hinweisen, daß die SPD-Fraktion bei der weiteren Beratung prüfen wird, ob in diesem Punkt der Änderungsvorschlag des Bundesrats sinnvoll ist, aus der vorgesehenen Kann-Bestimmung eine Muß-Vorschrift zu machen.Auch die Gleichstellung von Pflegezulageempfängern und Schwerbeschädigten bei der Heil- und Krankenbehandlung wird geeignet sein, in vielen Fällen individuelle Notlagen zu beseitigen.Für die Kriegsopfer, die der Anstaltspflege bedürfen, wird es eine wesentliche Verbesserung sein, daß sie künftig ihre volle Grundrente zur persönlichen Verfügung haben werden, statt wie bisher mit einem Taschengeld von 71 DM im Monat abgefunden zu werden.Es sollte auch anerkannt werden, daß sich die Bundesregierung dem Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen angeschlossen hat, bei Verlust der Elternrente den Anspruch auf Kriegsopferfürsorge nicht mehr erlöschen zu lassen. Die gegenwärtige Rechtslage hat oft dazu geführt, daß Personen, die niedrige Sozialrenten haben, bei einer Steigerung dieser Renten zum Schluß noch eine Einkommenseinbuße hinnehmen mußten, wenn sie mit der Elternrente auch noch die Kriegsopferfürsorge verloren und damit auf die Leistungen der Sozialhilfe angewiesen waren.Eine ganz wichtige Verbesserung bringt die von der Bundesregierung geplante Klausel zur Besitzstandswahrung, die verhindern soll, daß die Witwenrenten infolge der Herabsetzung des Vergleichseinkommens gekürzt werden, wenn der verstorbene Ehegatte 65 Jahre alt geworden wäre. Die beiden letztgenannten Verbesserungen werden bei den Kriegsopfern dessen bin ich sicher — mit Befriedigung aufgenommen, denn die bisherige Rechtslage hat schon lange Anlaß zu berechtigten Beschwerden gegeben. Ich bin der Bundesregierung sehr dankbar, daß sie, was den letzten Punkt angeht, die Zusage gemacht hat, auf dem Verordnungswege das Notwendige zu tun.Ich möchte auch meine Befriedigung darüber ausdrücken, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung dem Vorschlag zugestimmt hat, die Unterhaltsansprüche gegenüber noch lebenden Kindern und Enkeln nicht mehr auf die Elternrente anzurechnen. Gerade wir Sozialdemokraten begrüßen es, daß gesicherte und einklagbare Rechtsansprüche dort geschaffen werden, wo bisher die Berechtigten in einer Weise auf die Generationensolidarität verwiesen worden sind, die dem raschen Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse und Anschauungen nicht mehr angemessen ist.Ich darf darauf hinweisen, daß es auch außerhalb des Bundesversorgungsgesetzes in dieser Richtung noch viel zu tun gibt, und möchte die Bundesregierung ermuntern, dem Problem der Anrechnung von Unterhaltsansprüchen weiterhin besondere Beachtung zu schenken.Meine Damen und Herren, die in diesem Gesetz enthaltenen Strukturverbesserungen sind durch den unnötig aufgeheizten Streit um die lineare Leistungsanpassung leider nicht recht ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt. Manche Leute haben sich sogar darüber mokiert und aus demagogischen Gründen diese Sache herunterzuspielen versucht mit dem Hinweis, das alles würde ja nur 50 Millionen DM kosten. Für meine Begriffe ist das ein „Millionenfetischismus", der nicht gerade Zeugnis für ein besonderes Verständnis an der konkreten Lage der Kriegsopfer ablegt. Denn die Strukturverbesserungen sollen ja gerade gezielt dort einsetzen, wo das Versorgungsrecht noch lückenhaft ist und wo die Kriegsopfer noch immer individuelle Härten zu ertragen haben. Eine solche gezielte Verbesserung braucht keine Milliarden zu kosten und kann dennoch sehr viel Ungerechtigkeit und Not beseitigen.Ich meine, daß ein Vergleich zwischen Grundrentenerhöhungen bei denjenigen, die auch noch ein sonstiges Einkommen haben, das an der wirtschaftlichen Entwicklung teilnimmt, und denjenigen, die einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich oder Schadensausgleich haben,
hinken muß, weil er nur eines beweist: daß wir das liegt an diesem System — bei denjenigen, die in Not sind, bei denjenigen, die weniger in Not sind, und auch bei denjenigen, die wohlhabend sind, gleichmäßig die Grundrenten von Jahr zu Jahr erhöhen. Ich will das nicht abschaffen; ich will nur darauf hinweisen, daß das der Effekt dieser Regelung ist. Das haben wir gewollt. Nur kann man nicht so tun, als wenn die Erhöhung bei denjenigen, die noch eine andere Leistung erhalten oder ein anderes Einkommen haben, im gleichen Umfang durchgeführt werden müßte wie bei denjenigen, die solche zusätzlichen Leistungen nicht bekommen oder ein anderes Einkommen nicht haben.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Wenn man den Gesetzentwurf des Bundesrates auf der Drucksache 7/1009 und den Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion auf der Druckfache 7/315 liest — sie sind weitgehend identisch, auch was die Fehler in den Berechnungen angeht , muß man sich fragen, warum die CDU/CSU in der Zeit ich wiederhole es noch einmal, um es ganzklarzumachen , als sie die Regierungsverantwortung trug, ihre jetzt bekundeten Absichten nicht verwirklicht hat. In der damaligen Zeit mußten die Kriegsopfer ein Mindestmaß ihrer Rechte gegen den Widerstand damaliger CDU/CSU-Regierungen erkämpfen, Erst die sozialliberale Koalition hat die Dynamisierung der Kriegsopferleistungen herbeigeführt, und zwar — ich sage es noch einmal -nach Überwindung der Widerstände, die in der CDU CSU-Fraktion vorhanden waren.
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Deutscher Bundestag -- 7. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1973 3153
Glombig— Ja, ich muß Ihnen das immer wieder vor Augen führen, weil Sie so tun, als sei das eine Selbstverständlichkeit gewesen,
und weil Sie meinen, darauf noch einen draufsetzen zu müssen, indem Sie sagen, wir hätten unsere Pflicht gegenüber den Kriegsopfern nicht erfüllt.
Wir haben unsere Pflicht erfüllt.
Über die linearen Erhöhungen hinaus haben wir weitere strukturelle Verbesserungen in der Kriegsopferversorgung beschlossen. Unter dem Eindruck dieser fortschrittlichen sozialpolitischen Entscheidungen haben Ende 1969 führende Vertreter aller Kriegsopferverbände, an deren Spitze der VdK, von einer „neuen Ara" im Kriegsopferrecht gesprochen. Ich wage den Verbänden in diesem Punkt nicht zu widersprechen.
Meine Damen und Herren, wir werden uns weiterhin der Kriegsopfer annehmen. Wir werden ihnen überall dort Hilfe geben, wo es notwendig ist, und überall dort, wo es möglich ist. Wir werden dabei vor allem die Schwer- und Schwerstbeschädigten nicht vergessen, weil wir meinen, daß gerade sie einen besonderen Anspruch auf diese Hilfe haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Freien Demokraten begrüßen es sehr, daß die Bundesregierung rechtzeitig das Fünfte Anpassungsgesetz vorgelegt hat, damit es möglich ist, am 1. Januar 1974 die Renten in der auf Grund der Dynamisierung vorgesehenen Höhe auszuzahlen und die Kriegsopfer in den Genuß dieses Gesetzes kommen zu lassen, das immerhin das möchte ich ausdrücklich feststellen eine Erhöhung der Renten gegenüber 1970 um 63 % und der Witwenrenten sogar um 75 % bringt und einen zusätzlichen Haushaltsansatz von 800 Millionen DM erforderlich macht,
Herr Kollege Geisenhofer, ich komme noch darauf. Warten Sie noch einen Moment!Wir begrüßen darüber hinaus, daß die Bundesregierung gleichzeitig durch den Stufenplan und die Einbeziehung in die mittelfristige Finanzplanung die Anpassung der Kriegsopferrenten in den nächsten zwei Jahren zu den vorgesehenen Teminen möglich macht. Daß das nicht leicht war, daß das eine Frage ist, die auch im Zusammenhang mit Stabilitätsüberlegungen gesehen werden muß, sollte Ihren Freunden, die laufend von Stabilität reden, aber dauernd Anträge stellen, die geeignet sind, die Stabilität wieder kaputtzumachen oder zu erschweren, eigentlich klar sein. Wenn ich an die gestrige Debatte denke, muß ich allerdings sagen, daß Sie sich das zumindest noch einmal genau überlegen sollten.
— Ich komme noch darauf. Immer mit der Ruhe! Lassen Sie mich zunächst einmal ein paar Worte sagen.Wir begrüßen weiterhin ganz besonders — und ich werde im Detail dazu noch einiges zu sagen haben —, daß der Herr Bundesarbeitsminister eine Reihe von zusätzlichen Strukturmaßnahmen angekündigt hat, die im Rahmen der Beratungen bzw. im Rahmen eigener Gesetzesvorlagen für den Kriegsopferbereich in diesem und im nächsten Jahr diesem Hohen Hause ebenfalls vorliegen werden.Wir lehnen klar und eindeutig den gleichfalls vorliegenden Entwurf des Bundesrates Drucksache 7/1009 — ab.
Wir lehnen diesen Vorschlag klar und eindeutig ab, genauso wie den vom Kollegen Geisenhofer noch einmal in die Debatte gebrachten Antrag der CDU/CSU Drucksache 7/315 —, bezogen auf das Land Bayern.Nun, Herr Kollege Geisenhofer, gleich noch ein persönliches Wort zu Ihnen. Es hat mir — denn ich weiß, wie Sie um diese Fragen ringen, wie Sie da innerlich engagiert sind — ehrlich leid getan, daß Sie heute hier diesen abzulehnenden Antrag und diesen Bayern-Antrag begründen mußten, genau einen Monat nach dem Tage, an dem es Ihre bayerische Staatsregierung mit Brief an den Bundesarbeitsminister abgelehnt hat, in Zukunft noch die Kosten für die Kriegsopferfürsorge zu übernehmen.
Genau einen Monat danach begründen Sie hier solche Dinge! Was für eine Argumentation ist denn das eigentlich? Sie können mir leid tun; das muß ich sagen, weil ich weiß, wie ernst Sie es meinen. Aber wo sind denn Ihre Freunde von der CSU, die gleichzeitig nicht mehr bereit sind, die wenigen Millionen für die Kriegsopferfürsorge in Zukunft aus dem bayerischen Etat zu nehmen, hier aber große Töne reden?
Das paßt leider sehr gut in das Bild der Vergangenheit, Herr Kollege Geisenhofer, das Sie ja auch beschworen haben.
Das paßt ins Bild.
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3154 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1973
Schmidt
— Das hat doch nichts damit zu tun, daß Sie die Kosten für die Zukunft ablehnen und sie auf den Bund abwälzen möchten, wie es in dem Brief steht. Vielleicht lesen Sie ihn einmal beim Bundesarbeitsminister nach.Das paßt leider sehr gut, meine Damen und Herren, in das Bild — Herr Kollege Katzer, ich weiß auch, wie Sie seinerzeit mit dem Bundesfinanzminister gerungen haben —, das man aus dem Lande, das auch ich hier im Bundestag vertrete, hier in Bonn sehr gern sehr große Töne spuckt, dann aber nicht bereit ist, auch danach zu handeln. Das habe ich allerdings nicht ganz so gern, und deshalb wende ich mich gegen diese Vorschläge.
— Entschuldigen Sie, wenn Sie nicht mehr genau wissen, daß das während der Großen Koalition war — —
— Meine Damen und Herren, soll ich das jetzt wieder vorlesen, worüber ich schon gesprochen habe? Der Herr Kollege Katzer kennt die Zahlen: Anträge des Bundesarbeitsministers für den Haushalt; Streichungen des Bundesfinanzministers Strauß. Herr Kollege Katzer, soll ich es hier noch einmal ausbreiten? Sie wissen das doch.
— Finanzminister war Herr Strauß.
— Der Wirtschaftsminister gehörte nicht der FDP an!
— Ich komme auch auf diese Dinge. Ich weiß sehr genau, in welch schwierige Situation die SPD in der Großen Koalition damals gekommen war, und ich habe das von dieser Stelle aus manchmal deutlich gesagt.
Ich bin gar nicht so, daß ich das hier kaschieren will.Aber ich möchte doch feststellen: Die Auseinandersetzung bestand damals auch zwischen dem sicher gutwilligen Arbeitsminister — Herr Kollege Katzer, das möchte ich Ihnen attestieren — und dem auch der CSU angehörenden Finanzminister, der auch wieder nicht wollte.
Und wenn man hier schon wieder einiges aus der Vergangenheit aufrollt, wenn man schon von großen sozialen Leistungen der CDU/CSU in der Kriegsopferversorgung in der Vergangenheit spricht, Herr Kollege Geisenhofer, dann gestehe ich das zu, wenn ich an die Kollegin Probst und manches, was in den ersten Jahren war, denke. Aber ich glaube, die Kollegin Probst hätte es nicht gewagt, sie hätte sich geschämt, sich hierher zu stellen und einen solchen Antrag zu begründen, wenn ihr das Land Bayern gleichzeitig mit solchen Briefen in den Rücken gefallen wäre.
Herr Abgeordneter Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Burger?
Bitte!
Herr Kollege Schmidt, Sie wissen doch auch, daß Kriegsfolgeleistungen grundsätzlich vom Bund zu übernehmen sind! Und wissen Sie nicht, wie die Ausgaben in der Fürsorge gestiegen sind? 1970 um 20 %, 1971 um 20 %! Wissen Sie nicht, daß die Kommunen und die Länder nicht mehr können und daß auch die Kriegsopferfürsorgeausgaben erheblich gestiegen sind, so daß man sehr wohl die Meinung vertreten kann, der Bund sollte die Kriegsopferlasten übernehmen, und die Länder haben mit den Ausgaben in der allgemeinen Fürsorge genug zu tun?
Herr Kollege Burger, ich zitiere zu dieser Stelle als Antwort die Rede des Herrn Bundesarbeitsministers:
Mit Schreiben vom 5. September 1973 hat das Bayerische Staatsministerium der Finanzen den Bundesminister der Finanzen gebeten, dafür Sorge zu tragen, daß die Kostenbeteiligung der Länder beseitigt werde.
Nämlich auf dem Gebiet der Kriegsopferfürsorge! Bisher war eine solche Beteiligung — da geben Sie mir doch recht — gegeben. Man kann zwar darüber reden, ob die Abgrenzungen geändert werden, aber wenn zum gleichen Zeitpunkt das Urheberrecht Bayerns für alle diese Dinge vom Kollegen Geisenhofer hier sozusagen noch einmal auf den Tisch gelegt wird, wo doch noch vier Wochen zuvor der bayerische Finanzminister gesagt hat: wir wollen gar nichts mehr für die Kriegsopferfürsorge ausgeben, ihr sollt alles tun!, dann ist das doch eine etwas makabre Situation, über die die Kriegsopfer auch einmal nachdenken sollten.
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Burger.
Bitte!
Herr Kollege Schmidt, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß der Umstand, daß die Ausgaben in der Sozialhilfe in den letzten zwei Jahren so sprunghaft gestiegen sind,
den Schluß zuläßt, daß in dem Versorgungs- und Versicherungsrecht einiges nicht mehr in Ordnung ist und daß die vorgezogenen Anpassungen deshalb begründet sind?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1973 3155
Ich spreche im Augenblick nicht von den vorgezogenen Anpassungen, sondern von der merkwürdigen Haltung des Landes Bayern, auf dessen Initiative Ihr Antrag im Endeffekt zurückgeht, hier Forderungen zu stellen, hier vor den Kriegsopfern eine Schau abzuziehen und gleichzeitig nicht mehr bereit zu sein, die Gelder für die Krigesopferfürsorge aufzubringen; das wollen wir hier einmal ganz klarstellen.
— Wenn Sie schon von erinnern reden, Herr Kollege Geisenhofer. Ich habe soeben schon gesagt, daß die Kollegin Probst wahrscheinlich nicht auf den Gedanken gekommen wäre — weil sie sich geschämt hätte, weil sie anders zu den Dingen stand; dafür kenne ich sie noch gut genug , die Demonstration, die dieser Tage in Bonn war, mit dem in Verbindung zu bringen, was in vergangenen Jahren war.
Von 1950 bis 1969, bis zum Antritt dieser sozialliberalen Koalition, mußte jedes Jahr wirklich echt gekämpft werden. Wir alle, die engagiert waren, mußten hart kämpfen. Ich bin in diesen Dingen lange genug engagiert; ich werde an dieser Stelle nachher auch noch einiges zur Verbandspolitik sagen
— ja, es ist vielleicht notwendig, daß man die Dinge einmal nicht nur in Briefwechseln, in Hinterzimmern oder dergleichen ausspricht, sondern öffentlich —, weil ich selbst Mitglied des Parlamentarischen Beirats des VdK bin. Trotz dieses Kampfes wurden, unter Federführung Ihrer Bundeskanzler von 1950 bis 1969 nur vier Anpassungen erreicht. Auf das Zwischenspiel 1966 bis 1969, auf die Versuche von Herrn Strauß und anderen, den § 56 aus dem Bundesversorgungsgesetz hinauszuwerfen, will ich hier im Detail gar nicht eingehen. Schließlich wurde erreicht — u. a. auf Grund der Bemühungen der SPD —, daß dieser Paragraph im Gesetz blieb. Erst nach 1969 war es möglich, die Dynamisierung einzuführen und in den vier Jahren danach vier Anpassungen vorzunehmen, während vorher in 19 Jahren nur vier Anpassungen — in Begleitung von Demonstrationen möglich waren.
Das ist das Bild der Geschichte in dieser Sache, und nicht das, was in den letzten vier Wochen von verschiedenen Seiten aufgeheizt worden ist.
Meine Damen und Herren, gleiches Recht für Kriegsopfer! Solange ich dem Deutschen Bundestag angehöre das ist immerhin seit 1961 —, habe ich mich in dieser Frage engagiert und werde ich mich auch weiterhin engagieren, dieses gleiche Recht durchzusetzen. Ich war es, der hier zur Zeit der Großen Koalition die Frage der Dynamisierung — viele werden sich erinnern immer wieder angesprochenhabe. Wir waren es dann auch, die das durchsetzen konnten. Ich lasse mich hier also nicht so an die Seite stellen, als ob wir früher nichts getan hätten, heute nichts tun wollten und dergleichen mehr. Nein, meine Damen und Herren! — Gleiches Recht, ja. Aber, Herr Kollege Geisenhofer, ich möchte es uns heute ersparen — ich glaube, auch der Herr Kollege Katzer hat kein Interesse daran —, die Rentendebatte des vorigen September noch einmal an Hand aller Protokolle durchzugehen. Ich habe damals darauf hingewiesen, welche Probleme mit der Vorziehung der Rentenanpassung kommen, nicht nur für den Kriegsopferbereich, auch für den Lastenausgleichsbereich und alle sonstigen Bereiche mit jährlich vorzunehmenden Anpassungen. Ich habe gesagt, das ist nicht zu lösen. Selbst Herr Kollege Katzer hat damals gesagt, das können wir haushaltsmäßig nicht lösen, weil es im Moment nicht drin ist.
— Sie wissen, daß es auch heuer nicht drin ist,
trotzdem stellen Sie den Antrag. Sie sollten dankbar sein, daß es gelungen ist, in der mittelfristigen Finanzplanung für die nächsten Jahre die soziale Gleichstellung über Stufenpläne zu erreichen. Sie sollten eigentlich froh sein, daß Sie daran mitwirken können.
Lassen Sie mich aber auch eine andere Frage einmal aufwerfen, meine Damen und Herren, die sich immer stärker stellt, wenn ich an meine Erfahrungen in zwölf Jahren auf diesem Gebiet denke. Wir haben die Dynamisierung und haben dadurch die lineare jährliche Anpassung, die wir jetzt in zwei Stufen an den neuen Anpassungstermin heranführen werden. Ist aber die lineare Anpassung, ist die Dynamisierung, ihre unbedingte Durchsetzung, die ja gesetzlich festgelegt ist, wirklich das einzige, das große Kriegsfolgenproblem für unsere Kriegsbeschädigten, Heimkehrer und andere Gruppen? Sind nicht die vielen Strukturmaßnahmen, sind nicht die vielen individuellen Maßnahmen, über die wir noch nachdenken müssen, gerade für die Generation wichtig — ich gehöre dazu, ich war 1939 gerade 17 Jahre alt —, die in diesem Krieg einen Teil der Gesundheit oder Teile ihrer Familie geopfert hat, und jetzt im Alter zwischen 50 und 60 steht, wo individuelle Probleme auftauchen, die wir nicht mit linearen 10 %, 12 % oder 15 % lösen können? Hier sind wir dankbar für Strukturmaßnahmen. Ich denke an den „65er-Knick" für die Witwen — ich will es nicht im Detail ausführen, es ist angesprochen worden , ich denke an die Frage der Elternrenten, ich denke speziell an die Frage der individuellen Versorgungsschäden, die mancher durch lange Kriegsbeteiligung, durch die Kriegsbeschädigung hat — diese Frage ist noch offen und muß gelöst werden —, ich denke auch an die Frage der nicht mehr genau nachweisbaren Kausalzusammenhänge zwischen Herzerkrankungen und Kriegsbeschädigungen, ich denke an all diese Dinge, die wir tagtäglich auf dem Tisch haben. Dort liegen
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Schmidt
die Probleme und zukünftigen Aufgaben, denen wir uns stärker zuwenden müssen,
statt unbedingt eine Anpassung durchzusetzen, die nur in Stufen möglich ist. Schließlich wurde in den letzten vier Jahren etwas erreicht.Auf Zahlen will ich nicht eingehen. Sie sind vorn Bundesarbeitsminister und vom Kollegen Glombig genannt worden. Lassen Sie mich daher beinahe schon abschließend etwas zur Praxis der Verbände sagen. Ich gehörte schon vor meiner Tätigkeit im Deutschen Bundestag dem Verband der Kriegsopfer, dem VdK an und war selbst lange Rentenbezieher. Ich bin inzwischen Gott sei Dank wieder so weit gesund, daß ich keine Rente mehr benötige. Ich gehöre dem Parlamentarischen Beirat des VdK an. Ich habe es sehr bedauert, daß es der VdK, der einen Parlamentarischen Beirat berufen hat, in den Monaten, in denen es um diese Auseinandersetzung ging, nicht für nötig befunden hat, diesen Parlamentarischen Beirat einmal zur Beratung der anstehenden Fragen einzuberufen. Manches, was hier an Auseinandersetzung, an Polemik und unterschiedlichen Auffassungen zwischen den Verbänden in den letzten Wochen zutage getreten ist, wäre durch eine sachgemäße Beratung all derer, die sich den Kriegsopfern verpflichtet fühlen -- und wir Freie Demokraten haben das immer getan, ich persönlich habe es besonders getan , besser auf dem Wege zu lösen gewesen, den die Bundesregierung jetzt vorschlägt, ohne in der Bevölkerung Fronten aufzubauen. Denn ob man damit, daß man plötzlich sagt: jetzt jagen wir die Beamten gegen die Kriegsopfer oder die Kriegsopfer gegen die Beamten, weil die ein 13. Monatsgehalt bekommen und das nächste Mal jagen wir die oder jene gegeneinander , den Kriegsopfern gerecht wind, ob wir damit der sozialen Gerechtigkeit dienen, die wir alle wollen, die aber eben nur in Anpassungsschritten zu erreichen ist, und zwar aus Gründen der Stabilität und anderen Gründen, über die wir genug gesprochen haben, ist für mich eine große Frage.Vizepräsident Dr. Jaeger Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Maucher? — Bitte!
Herr Kollege Schmidt, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß bei dem Marsch nach Bonn im Jahre 1963 der Parlamentarische Beirat auch nicht einberufen wurde, ohne daß die Regierungsparteien dagegen protestiert hätten?
Verehrter Herr Kollege Maucher, zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nicht die Ehre, dem Parlamentarischen Beirat anzugehören.
Ich gehöre ihm meines Wissens seit 1969 an, kann es aber jetzt nicht genau sagen. Ich bin aus anderen Parlamentarischen Beiräten von Verbänden gewöhnt, daß der Parlamentarische Beirat zur Beratung anstehender Fragen in überfraktioneller Zusammensetzung herangezogen wird. Danach kann der Verband tun, was er will, erst einmal wird aber in einem solchen Beirat beraten und nicht einfach über die Dinge hinweggegangen. Hier wird ja noch gesagt, die Entwicklung sei über den Beirat hinweggegangen. Seit ich Mitglied des Parlamentarischen Beirates bin, hat es komischerweise noch keine Sitzung gegeben, aber jeden zweiten Tag große Dokumentationen, wie man es machen will. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht - ich sage das hier offen , ob das Sinn der Zusammenarbeit in einem solchen Beirat ist. Ich sage auch sehr offen, ich werde mir sehr überlegen, ob ich einem solchen Parlamentarischen Beirat noch zugehören kann, wenn man der Meinung ist, daß diejenigen, die sich hierfür einzusetzen bereit sind, keine Ratschläge zu geben brauchen. Es mag ja sein, daß solche Ratschläge dem Verband manchmal nicht gefallen. Aber auch wenn sie offensichtlich politisch klüger sind, will man nicht darüber diskutieren. Dann sollte man keine Parlamentarischen Beiräte berufen.
Herr Abgeordneter Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biehle?
Herr Kollege, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß Ihre Formulierung des Jagens der Kriegsopfer gegen andere Gruppen eine Diskriminierung der Kriegsopfer darstellt?
Ist nicht die Forderung der Kriegsopfer, nämlich eine Anpassung an die heute gegebenen Verhältnisse vorzunehmen, ein berechtigtes Anliegen?
Herr Kollege Biehle, ich teile völlig Ihre Auffassung, daß das ein berechtigtes Anliegen ist. Aber ich muß leider einem Brief entnehmen, daß die neue Begründung genau mit dieser Argumentation arbeitet: jetzt hat man den Beamten das dritte Drittel des 13. Monatsgehalts gegeben, jetzt werden wir erst recht marschieren! Das kann ich Ihnen schriftlich zeigen. Im übrigen muß man fragen, wie viele Beamte zugleich Kriegsopfer sind. Ich will das gar nicht näher erörtern. Einer solchen Polemik kann ich jedenfalls nicht mehr unbedingt eine sachliche Argumentation unterstellen.
Gestatten Sie eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Biehle?
Herr Kollege, teilen Sie mit mir die Auffassung, daß die Zubilligung des 13. Monatsgehalts für die Beamten die Forderung der Kriegsopfer wegen des noch größeren Rückstandes nur um so berechtigter erscheinen läßt?
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Ich habe kein einziges Mal von einer unberechtigten Forderung gesprochen, noch habe ich gesagt, daß das 13. Monatsgehalt unberechtigt wäre. Ich habe in meiner Replik zur Praxis der Verbände nur festgestellt, daß ich solche Dinge im Interesse der Betroffenen, im Interesse der Sache, der wir uns alle verpflichtet fühlen, nicht für gut halte. Da könnte man einige Dokumentationen der letzten Woche nachlesen. Das werden mir manche meiner Kollegen, die mit der Sache befaßt sind — aus allen Reihen —, sicher bestätigen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Wir Freien Demokraten fühlen uns, wie gesagt, mit der Bundesregierung einig in der Vorlage zum Fünften Anpassungsgesetz. Wir begrüßen es, daß weitere Strukturmaßnahmen in den nächsten Beratungen des Ausschusses und bei weiteren Gesetzesvorlagen getroffen werden können. Wir sind dankbar, daß es gelungen ist, in der mittelfristigen Finanzplanung in den nächsten zwei Jahren die notwendige soziale Gleichstellung zu erreichen. Wir stellen mit Freude noch einmal fest, daß sich der Kriegsopferhaushalt in den Jahren der sozialilberalen Koalition verdoppelt hat, was man in den Jahrzehnten vorher nicht sagen konnte.
Das Wort hat der Abgeordnete Maucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer außergewöhnlichen Situation stehen wir heute naturgemäß vor einer harten Diskussion. Zunächst muß ich, Herr Kollege Glombig, wenn ich mir Ihre Rede vergegenwärtige — dazu muß ich mein Bedauern aussprechen —, feststellen: welch tiefes Niveau! Ich bedauere das. Ich schätze und achte Sie sehr. Man muß in dem Zusammenhang sagen, daß man für die Kriegsopfer nicht weiterkommt, wenn man Sünden der Vergangenheit anderer aufzuzeigen versucht und das Fehlen der eigenen Initiative damit überdecken will.
Herr Abgeordneter, der Ausdruck „Scheinheiligkeit" ist nicht parlamentarisch.
Wenn Sie jetzt den bitteren Vorwurf machen, der Antrag der CDU/CSU sei ein Schaufensterantrag, dann muß ich Ihnen sagen: dadurch fühle ich mich als einer, der 20 Jahre in der Kriegsopferversorgung steht und selber schwerbeschädigt ist und in den Verbänden arbeitet, tief getroffen. Sie haben damit auch dem Ministerpräsidenten von Hessen, Oswald, den gleichen Vorwurf gemacht,
ebenso Ihren Freunden — der SPD — im LandeNordrhein-Westfalen. Die sind zu der Erkenntnis gekommen, daß die CDU in diesem Falle richtig liegt.Herr Kollege Schmidt, Sie haben von Ihrer großen und langjährigen Arbeit gesprochen und wagen sich hier hinzustellen und zu behaupten: wenn Maria Probst hier wäre, sie würde sich schämen und würde das nicht tun. Das ist eine Unterstellung und Verkennung der Situation. Wenn Maria Probst hier wäre und in der Opposition mit dem Elan kämpfen würde wie damals in der Regierungskoalition, dann würden Sie sich alle wundern.
Der Abgeordnete Nölling hat im Pressedienst Nr. 566 der SPD gemeint, die Opposition hätte allen Grund, ihre demagogischen Talente an die Leine zu legen, sie habe in der Vergangenheit die Kriegsopfer regelmäßig jahrelang hängenlassen. Ich muß dazu hier und heute feststellen: was Sie als demagogische Reden der CDU-Opposition bezeichnen, sind Kleinigkeiten im Vergleich zu den Reden, die Sie in der Opposition gehalten haben. Lesen Sie sie in den Protokollen nach! Ich muß heute feststellen: durch Ihre damaligen Forderungen sind die Forderungen der CDU von heute in den Schatten gestellt. Bei der SPD scheint man der Meinung zu sein: wenn zwei das gleiche tun, dann ist es nicht das gleiche.Man muß feststellen, daß das derzeitige Milliardenspiel der Regierungskoalition ohne Zweifel eine Herausforderung der Kriegsopfer ohnegleichen darstellt. Hier werden Zahlen gegeneinandergestellt, ohne daß die gegebene Situation berücksichtigt wird. Man muß der SPD in einem simplen Beispiel folgendes sagen. Wenn irgend jemand 100 Mark bekommt und gibt dem Armen 10 Mark, und er bekommt im nächsten Jahr auf Grund der Teuerung 200 DM und gibt dann großzügig dem Armen 15 DM, dann wird niemand behaupten, daß der prozentual das gleiche gegeben hat. Genau das ist das Bild, das wir heute haben. Herr Kollege Nölling, wenn Sie die 6,4 Milliarden von 1969 mit dem Haushalt 1974 vergleichen, erkennen Sie diesen wesentlichen Unterschied. Wir hatten nämlich damals einen Anteil von 10 0/o des Bundeshaushaltes, und hier ist er geringer. Das muß man also in das richtige Verhältnis setzen.Sie können nicht isoliert die Korea-Krise ansprechen. In dem ihr folgenden Jahr sind die Preise nur um 0,2 O/ o gestiegen. Daneben müssen Sie die Zahlen der prozentualen Teuerung in derselben Zeit setzen. Dann kommen Sie zu einem anderen Ergebnis. Sie werden nicht bestreiten können, daß der zu 30 0/ o Kriegsbeschädigte im Jahre 1967 von seiner Grundrente noch ein Paar Schuhe kaufen konnte. Heute kann er sie nicht mehr kaufen. Das ist die Realität, und diese können Sie eben nicht widerlegen.
Die CDU/CSU hat in ihrer Regierungszeit für die Kriegsopfer im Rahmen des Haushaltes mehr getan, als heute geleistet wird. Hier gibt es zwei ganz entscheidende Maßstäbe. Der erste Maßstab ist die allgemeine Bemessungsgrundlage. Der zweite Maßstab ist die Entwicklung in der Sozialhilfe.Wenn Sie schon in der Vergangenheit rühren wollen, so bin ich gern bereit, die geschichtliche Entwicklung in allen Bereichen seit dem Jahre 1945 auf-
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Maucherzuzeigen. Die Frage der allgemeinen Bemessungsgrundlage ist von grundsätzlicher Bedeutung. Es kann kein anderer Grundsatz vertreten werden als der, daß man die Kriegsopfer an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilhaben läßt.In diesem Zusammenhang muß ich Sie an folgendes erinnern. Im Jahre 1949, als die Länder noch ihre eigene Finanzhoheit hatten, hatten wir im Lande Württemberg-Hohenzollern, das von der CDU regiert wurde, die Kriegsopferrenten nach dem Jahresarbeitsverdienst, der damals galt, festgesetzt, und zwar in drei Stufen: 1800, 2100 und 2400. Wir haben den Satz von 2100 zugrunde gelegt, während in den sozialdemokratischen Ländern damals als Grundlage die Jahresarbeitsverdienstgrenze von 1800 galt. Ich habe im Landtag von Württemberg-Hohenzollern damals den Grundsatz vertreten: Man kann die Kriegsopferrenten nicht am untersten Lohnniveau, sondern nur am Durchschnittseinkommen orientieren. Das ist von der CDU praktiziert worden.Der zweite Abschnitt begann im Jahre 1960, als von der CDU/CSU das Erste Neuordnungsgesetz mit einer allgemeinen Bemessungsgrundlage eingebracht wurde. Im Jahre 1960 wurde die Grund- und Ausgleichsrente des Erwerbsunfähigen festgestellt. Sehen Sie sich die Zahlen einmal an, wenn Sie die Frage beantworten wollen: Wie sieht es heute in Wirklichkeit aus? Der Rückstand gegenüber der allgemeinen Bemessungsgrundlage lag im Jahre 1970 bei 180 DM. Heute liegt er bei 340 DM.
Das sind Vergleichszahlen, an denen man nicht rütteln kann.
Der zweite wichtige Maßstab — ich will mich jetzt kurz fassen — ist die Entwicklung der Sozialhilfe. Sehen Sie sich die Zahlen doch einmal an. Vorhin wurde in der Diskussion schon die Zunahme der Ausgaben angesprochen. Herr Kollege Nölling, Sie können hier mit Zahlen operieren, wie Sie wollen. In der Sozialhilfe wird bei der Bemessung der Ausgaben, die für den Lebensunterhalt notwendig sind, von dem sogenannten Warenkorb ausgegangen. Auch im Vergleich zur Sozialhilfe ist nun ein Mißverhältnis entstanden.Wenn sich die Kriegsopferrenten trotz nomineller Erhöhung verringern, so ist doch deutlich, daß alle Ihre Behauptungen und auch die Darstellung des Ministers einfach nicht zutreffen. Glauben Sie ja nicht, daß Sie weiterkommen, wenn Sie die Dinge hier mit solchen Kraftausdrücken und Kraftworten darlegen. In Wirklichkeit ist es so, daß der Kaufkraftverlust in den letzten vier Jahren durch die Anpassung nicht ausgeglichen worden ist. Das ist der Tatbestand.
Zur Anpassung selbst muß ich nochmals auf die Entwicklung hinweisen. Das vorausgegangene Dritte Neuordnungsgesetz hat dieses Haus einstimmig verabschiedet. Ich muß feststellen: Nach Bildung der Großen Koalition hat die Sozialdemokratie ihren eigenen Entwurf über Nacht in den Papierkorb geworfen.
Herr Kollege, wenn Sie immer so schön und wunderbar reden wie heute, dann darf ich Sie daran erinnern, was Sie damals gesagt haben. Sie haben damals gesagt:Im Hinblick auf die Renten der Schwer- und Schwerstbeschädigten kann nur festgestellt werden, daß das Bundesversorgungsgesetz durch seine zusätzlichen individuellen Leistungen wie z. B. Ausgleich des Berufsschadens einem Vergleich mit anderen Gesetzen einigermaßen standhalten kann.Damals so, heute anders! Meine sehr verehrten Damen und Herren und Herr Minister — er ist nicht mehr da —, wenn Sie hier anklagen, dann klagen Sie sich doch praktisch selber an.
Sie waren doch mitbeteiligt. Sie haben doch allen Gesetzen einstimmig zugestimmt.
Wo sind Ihre Anträge geblieben?Der Initiativentwurf von Hans Katzer wurde damals einstimmig verabschiedet. Daß am 1. Januar 1970 die Renten angepaßt wurden, war doch der einmütige Wille dieses Hauses. Ich habe wiederholt darauf hingewiesen, daß ich die Entschließung damals selber mit formuliert habe. Sie wurde dann einstimmig verabschiedet, und die Maßnahme trat am 1. Januar in Kraft. Was brauchen wir uns deshalb zu streiten, es war eine gemeinsame Lösung! Entscheidend ist, daß wir im Parlament den Mut haben, weiter solche Lösungen zu treffen.Daß die Dynamisierung der künftigen Entwicklung der Kriegsopferversorgung nicht gerecht werden konnte, habe ich eindeutig hier erklärt. Ich habe damals gesagt, der Rückstand sei dynamisiert worden, und stelle dies heute nochmals fest. Damals war der Rückstand — ich habe es gesagt — 180 DM; heute sind es 340 DM. Im Jahre 1980 werden es über 500 DM sein. Wenn Sie also die Kriegsopferversorgung nicht abhängen wollen, müssen Sie einen Zuschlag geben. Durch die Anpassung am 1. Juli tritt keine Aufholung ein.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte Ihnen ein Beispiel geben. Es ist gesagt worden, man vergleiche mit anderen Renten. Am 1. Januar 1960 betrug die allgemeine Bemessungsgrundlage etwas über 400 DM. Ein zu 100 % Beschädigter erhielt damals eine Grundrente von 200 DM. Wenn jemand einen Unfall erlitten hatte, der zu einer 100 %igen Erwerbsunfähigkeit geführt hatte, erhielt er auf Grund der allgemeinen Bemessungsgrundlage eine Unfallrente von 260 DM. Wenn heute nach dem neuen Gesetz ein zu 100 % Kriegsbeschädigter 438 DM erhält, müßte er nach der allgemeinen Bemessungsgrundlage 800 DM erhalten. Das ist die Entwicklung.
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MaucherDa wollen Sie behaupten, daß alles in bester Ordnung sei? Das sind Tatbestände, die Sie nicht wegdiskutieren können.
— Nein! Der Zuruf durfte nicht kommen. Wenn Sie es richtig wissen wollen: Die Dynamisierung der Unfallversicherung hat die Christlich-Demokratische Union gemacht.
— Herr Kollege Wehner, die CDU hat die Welt nicht gemacht. Aber der Wähler ist imstande — —
— Lassen Sie mich ausreden! Die CDU hat die Welt nicht gemacht. Aber der Wähler ist in der Lage, die Welt durcheinanderzubringen.
Ich darf Ihnen sagen: All die Zahlen wären in Ordnung, wenn nicht eine verfehlte Politik mit der Inflation dahinterstünde.Nun muß ich ein entscheidendes Wort an dieses Parlament richten. Die CDU hatte den Mut, während der Zeit, in der sie die Regierung trug, nicht zu allem ja und amen zu sagen, was die Regierung vorlegte.
Gerade in der Kriegsopferversorgung hat sich dieses Parlament buchstäblich zusammengerauft und oft eine Reihe anderer Dinge zugunsten der Kriegsopfer zurückgestellt. Ich habe nochmals nachgelesen, was Frau Probst im Jahre 1960 gesagt hat. Sie sagte — ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten —:In einer intensiven und vom guten Willen aller Beteiligten getragenen Zusammenarbeit unter der ausgleichenden Führung seines ersten Vorsitzenden Herrn Pohle— ein SPD-Mann —hat der Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen seine Aufgabe darin gesehen, die Neuordnung des Rechts der Kriegsopfer in Übereinstimmung zu bringen mit den Persönlichkeitsrechten des Grundgesetzes.Sehen Sie, darin ist das ganz klar zum Ausdruck gebracht. Herr Kollege Glombig, ich bin Ihnen heute noch dankbar; denn Sie hatten in diesem Parlament zu berichten — das hat Herr Pohle nachher gesagt —: Wir sind dankbar, daß diese und jene unserer Wünsche berücksichtigt worden sind. Wir können das leider nicht sagen. Darin liegt das Problem.
Was ich damit sagen wollte: Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, würden diesem Parlament zu einer großen Achtung in der Öffentlichkeit und vor allem bei den Kriegsopfern verhelfen, wenn Sie den Mut hätten, in dieser Frage der Opposition zu folgen; wenn nicht ganz, dann wenigstens in einem annehmbaren Kompromiß. Geschähe das, so würde das der parlamentarischen Demokratie, die wir auf die Dauer hoffen erhalten zu können, einen großen entscheidenden Dienst erweisen. Ich darf Ihnen sagen: Manchmal habe ich den Eindruck, als ob in diesem Hause das imperative Mandat dem Parlament von der Regierung verordnet ist.
Ich habe manchmal das Gefühl, als ob wir hier als Befehlsempfänger, als Vollzugsorgan dieser Bundesregierung sitzen. Das kann doch nicht der Sinn der parlamentarischen Demokratie sein.
Wir sind es den Kriegsopfern schuldig, daß wir ihnen gegenüber gerecht sind. Wenn man die Dynamisierung auf der Grundlage der Rentenversicherung vollzogen hat, dann heißt das nicht nur wertgleich, sondern auch zeitgleich. Damals haben wir lange diskutiert, wie und in welcher Weise die Dynamisierung erfolgen soll: auf der Grundlage der wirtschaftlichen Entwicklung, der Unfallversicherung oder anderer Bereiche.Nun muß ich noch auf eine Annonce der Bundesregierung in allen deutschen Zeitungen am vergangenen Samstag zurückkommen. Hier stellt sich die Frage: Was kostet diese gegenüber den Kriegsopfern nicht vertretbare, in der Sache frisierte, um nicht zu sagen: falsche Darstellung? Sie behaupten, nun habe man die Kriegsopfer an der allgemeinen Entwicklung teilnehmen lassen. Richtig ist, daß sie mit teilgenommen haben. Aber es ist falsch, so zu tun, als ob sie in vollem Umfang teilgenommen hätten. Das zeigt mein Hinweis auf das immer weitergehende Zurückbleiben nach der allgemeinen Bemessungsgrundlage.Eine Reihe anderer Beispiel zeigt folgendes: Der Einwand, man müsse den Schadens- und Berufsschadensausgleich dazurechnen, stimmt nicht. Die Bundesregierung hat bei der Schaffung dieser Bestimmung als einer dritten Säule in der Versorgung darauf hingewiesen, daß es sich hier um nichts anderes als um einen Ausgleich bei einem besonderen sozialen Abstieg handele. Also gehört das in die Vergleichszahlen nicht hinein.Was mich aber an dieser Anzeige ganz besonders empört und stört, ist, daß Sie die Prozentzahlen für die Jahre 1970 bis 1974 berechnen und genau das aussparen, was Sie — wie Herr Nölling das getan hat — bei der CDU/CSU kritisieren, was Sie besonders anprangern: den Nachholbedarf für die Jahre 1968 und 1969. Dieser Nachholbedarf ist in den Prozentzahlen enthalten. Ziehen Sie 20 % ab, dann ist es richtig. Daß man in Zeitungsanzeigen solche Darstellungen mit Steuergeldern macht, ist gegenüber den Kriegsopfern und gegenüber den Steuerzahlern nach meiner Meinung unvertretbar.
Auf der Grundlage dieser Jahre wurde der Prozentsatz der Erhöhung für das Erste Anpassungsgesetz festgelegt. Hier haben Sie den gerechten Anhebungssatz von 22 %. Damals war dieser Satz im
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MaucherVorschlag der CDU/CSU, den Sie abgelehnt haben, vorgesehen.Herr Kollege Nölling, wenn Sie jetzt anführen, in welchen Jahren keine Erhöhung erfolgt sei Sie nennen immer vier Jahre —, dann muß ich Ihnen folgendes sagen. In den vier Jahren von 1961 bis 1964 zusammen sind die Preise nicht mehr gestiegen als jetzt in einem Jahr, und damals hatten wir eine Erhöhung der Renten um 33 %. Das ist nämlich der wesentliche Unterschied. Das müssen Sie neben Ihre Zahlen setzen, wenn Sie gerecht sein wollen.Mit diesen Steuermitteln hätten Sie einen großen Teil der Hoffnungen erfüllen können, die Sie den Witwen bei der Verabschiedung der Bestimmung gemacht haben, Herr Minister und meine Herren von der Regierungskoalition, daß die Witwen von zu 50 und 60 % Beschädigten, die nicht an den Folgen der Beschädigung gestorben sind, eine Beihilfe erhalten. Wir stellen fest, daß diese Bestimmung für die Witwen in 100 Fällen nicht ein einziges Mal zum Tragen kommt. Es gibt eine ganze Reihe Versorgungsämter, die nicht einen einzigen positiven Fall haben. Meine Verehrten, so kann man die Kriegsopfer draußen nicht verschaukeln! Ich kann es nicht anders sagen. Es ist eine Sünde gegenüber den Kriegsopfern, wenn man sie tausend Anträge stellen läßt und kaum jemand zum Zuge kommt. Das muß unbedingt geändert werden. Hier wird eine Verwaltungsarbeit in Gang gesetzt, die zu dem Ergebnis in keinem Verhältnis steht. Ich hoffe, daß der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung diese Dinge korrigiert.Herr Kollege Nölling, Sie beschuldigen die Regierung der Vergangenheit der Vernachlässsigung. Nach meiner Auffassung ist es die Pflicht und die Schuldigkeit dieser Regierung, diese besonderen Härten zu beseitigen. Der Herr Minister hat das angekündigt. Wir haben diesen Antrag wegen der Witwen schon dreimal gestellt. Bisher wurde er immer abgelehnt. Ebenso haben wir den Antrag auf Erhöhung des nicht in Anrechnung kommenden Betrages der Grundrente der Witwen wiederholt abgelehnt bekommen. Ich darf in diesem Zusammenhang feststellen: Wenn Sie die Zahlen gegenüberstellen, was nach der Anrechnung echt herauskommt, dann sieht das prozentuale Bild wieder anders aus.Ebenso beschämend ist es, daß sich durch das Inkrafttreten des Gesetzes über die landwirtschaftliche Krankenversicherung Verschlechterungen ergeben haben.
Die Bezieher von Altersgeld müssen jetzt Beträge von über 100 DM zusätzlich zahlen, wogegen sie bisher nach dem Bundesversorgungsgesetz auf Grund einer Leistung der CDU kostenfrei krankenversichert waren. Würden wir das tun oder hätten wir das jemals getan, dann möchte ich Sie hier hören!Das alles läßt Sie kalt. Statt dessen suchen Sie krampfhaft nach Entschuldigungen aus der Vergangenheit. Kurz und schlicht gesagt,
trotz Erhöhung, trotz Dynamisierung hat sich die Kaufkraft der Kriegsopfer angesichts der Lebenshaltungskosten verschlechtert. Das ist der Tatbestand. Da helfen auch alle Entschuldigungen nicht. Hinzu kommt die ungeheure Steigerung der Mieten. Die Erhöhung der Benzinpreise bringt für die Kriegsopfer eine Umgehung der Kraftfahrzeugsteuerbefreiung; denn sie werden mehr zur Kasse gebeten. Das wiegt für sie besonders schwer, weil sie in vielen Fällen das Kraftfahrzeug über das normale Maß hinaus in Anspruch nehmen müssen.
Auch hier ist der Ausgleich für besondere Belastungen auf Grund der Entwicklung nicht gefolgt. Die soziale Fürsorge haben Sie in ihrer Entwicklung ebenso hängen lassen wie eine Reihe anderer Dinge.Und nun, Herr Abgeordneter Nölling — ich muß mich nochmals an Sie wenden —, glauben Sie, mit dem VdK, dem größten Kriegsopferverband der Bundesrepublik, abrechnen zu müssen, wie es auch der Kollege Schmidt getan hat. Sie wollen Demokraten sein! Wenn das der Fall wäre, können Sie den Widerspruch —
— Ja, warum regen Sie sich auf? Ich wundere mich. Wenn Sie
Herr Abgeordneter Maucher, es ist Ihnen vielleicht im Eifer des Gefechts eine Formulierung unterlaufen, die in der Sache doch etwas zu weit geht. Die Formulierung „Wenn das der Fall wäre" unterstellt ja, daß eine Partei dieses Hauses nicht demokratisch wäre. Das geht nicht.
Herr Präsident, ich darf klarstellen, daß ich gesagt habe: Sie wollen Demokraten sein! Das meine ich positiv. Ich möchte das also keineswegs abwerten.
Weil Sie das sein wollen, deshalb müssen Sie auch einen Widerspruch erlauben und eine Aktion ertragen, die vom Grundgesetz her zugelassen ist.
— Sie können das nicht, muß ich sagen.Im VdK Deutschlands haben wir eine Organisation, die sich seit Jahrzehnten in den Dienst der Gemeinschaft gestellt hat und die für die Kriegsopfer eine hervorragende Arbeit geleistet hat. Man sollte nicht, wie Sie es getan haben, Herr Kollege Nölling, einfach behaupten, daß der VdK damit mehr oder weniger seine Existenzberechtigung nachweisen wolle.
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MaucherSie sagten am Ende, daß er damit seinen Mitgliedern schadet. Ich glaube, Sie meinten damit die Mitglieder der SPD oder die Bundesregierung. Ich darf Ihnen sagen, in diesem VdK sind die Vertreter aller politischen Parteien, und der Beschluß, der ohne mein Zutun gefaßt worden ist — ich war nicht dabei —, war einstimmig.
Er ist also auch mit den Stimmen Ihrer Parteifreunde im Bundesvorstand im VdK gefaßt worden.
Aber jetzt muß man zu dem Ergebnis kommen, daß eine Organisation in dem Augenblick, wo sie mit der Bundesregierung nicht mehr konform geht, bereits in Ungnade fällt. Das ist an sich eine tragische Feststellung, die ich hier und heute treffen muß.
Ich gehöre dem VdK seit seiner Gründung an, und ich habe im Jahre 1963, als der Marsch nach Bonn stattfand, nicht protestiert.
— Warum regen Sie sich auf? Eigenartig!
— Das ist ein Zeichen des schlechten Gewissens.Der VdK Deutschlands erfüllt seine Aufgabe nach seiner Satzung.
Sie haben die Vorstellung, daß Verbandsmitglieder in ihrer Tätigkeit in erster Linie Sozialdemokraten und in zweiter Linie Verbandsangehörige sind. Entsprechend unserer Satzung erfüllen wir die Aufgaben so, daß kein Mitglied des Verbandes, wo es auch steht, auf Grund seiner Einstellung in Gewissenskonflikte zu kommen braucht. So hat es der VdK gehalten, und dafür gebührt ihm hohe Achtung. Ein Beispiel für viele andere, das möchte ich hier sagen.
Herr Abgeordneter Maucher, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Biehle?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, bitte!
Herr Kollege, würden Sie mir nicht beipflichten, daß das von Ihnen angeführte Zitat des Kollegen Nölling eine schallende Ohrfeige für die vielen Hunderte und Tausende ehrenamtlichen Mitarbeiter des VdK ist, die unter Aufwendung von viel Freizeit und unter persönlichen Opfern Tag für Tag im Dienste der Kriegsopfer wirken?
Das ist keine Frage.
— Herr Kollege Wehner, ich habe es auf Grund meiner Tätigkeit gar nicht notwendig, in die Verbandspresse zu kommen.
— Herr Wehner, ich habe Ihnen schon einmal gesagt, daß hier in dieser Frage vor Ihnen ein Schwerbeschädigter spricht. Sie sollten doch etwas mehr Respekt davor haben.
Herr Abgeordneter Maucher, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Niegel?
Bitte!
Herr Kollege Maucher, können Sie mir, wenn auch der Herr Wehner kritische Anmerkungen macht, bestätigen, daß gerade der stellvertretende Präsident des VdK Deutschlands und Vorsitzende des VdK Bayerns, der SPD-Landtagsabgeordnete Weishäupl, von seiner eigenen Partei nicht mehr aufgestellt wird, weil dort die linken Kräfte überhand genommen haben?
Herr Kollege Niegel, ich glaube, daß wir mit dieser Sache nicht in die politischen Interna der Parteien einwirken wollen, sondern uns geht es lediglich um das Verhalten und die Stellung der Verbände in der Öffentlichkeit.
Ich möchte abschließend sagen: Ich glaube, wir sind es allen Kriegsopferverbänden schuldig, ihnen Dank und Respekt für ihre Arbeit zu zollen. Wir stellen fest, daß sie in den letzten 25 Jahren eine große gesellschaftspolitische Arbeit geleistet haben.
Ich würde es außerordentlich begrüßen, wenn dieses Parlament wenigstens in einer Kompromißlösung zu einer Entscheidung käme, die den Kriegsopfern verdienterweise einigermaßen gerecht würde. Die Opfer, die unsere Beschädigten für uns getragen haben und zeitlebens tragen müssen, sind im Dienst für Volk und Staat entstanden. Die Sorgen und Nöte, die unsere Witwen und Waisen auf sich nehmen, stehen in keinem Vergleich zu dem, was sie an Leistungen erhalten. Man kann in den Entscheidungen für die Kriegsopfer auch an die Grenzen des Erträglichen gehen, aber man muß gerecht sein. Was hier geschieht, die Weigerung der Bundesregierung und
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Maucher
der Regierungskoalition, die Renten zeitgleich mit den Renten der Sozialversicherung anzupassen, ist eine Ungerechtigkeit, die wir, die CDU/CSU-Fraktion, nicht mitmachen.
Das Wort hat der Abgordnete Dr. Nölling.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte gar nicht die Absicht, zu der Kontroverse mit dem VdK zu sprechen, und bedauere, daß der Kollege Maucher das hier hineingebracht hat.
— Hat er das, ja? — Dann wollen wir das hier einmal feststellen.
Herr Kollege Maucher — vielleicht hören Sie einen Moment zu —, ich halte es nicht für angebracht, daß ein Verband sich einen Beirat zulegt, in dem Parlamentarier sind, die dann nur dazu mißbraucht werden, nach außen als Feigenblatt zu dienen. Dazu sollten wir uns zu schade sein. Das hat nichts mit der Eigenschaft als Demokrat zu tun, sondern damit, wie man Demokraten möglicherweise mißbraucht. Das sollte sich der Verband meines Erachtens einmal sagen lassen.
— Sie wissen ja gar nicht, worum es geht. Nun schreien Sie nicht so viel herum!
Ich habe so bei einigen Passagen der Rede des Kollegen Maucher gedacht: Das kann man eigentlich nur noch humoristisch, aber nicht mehr ernst nehmen.
Ich will es auch gar nicht so furchtbar ernst nehmen. Ich will auch nicht so lange reden wie er und sein Vorredner.
Meine Kollegen, der Bundesarbeitsminister und Herr Glombig, haben sehr wesentliche Punkte gesagt, ebenso der Kollege Schmidt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Im Moment nicht, Herr Kollege Müller, vielleicht später.
— Ich möchte gern anfangen können, bevor Sie Gelegenheit haben, mich zu fragen.Ich bin der Meinung, daß man diese Dinge sehr wohl sachlich und nicht demagogisch darstellen und behandeln kann, und ich weiß nicht, ob es gut ist, daß man für diese Art der Darstellung Respekt verlangt, sondern frage mich, ob nicht mildernde Umstände angebrachter gewesen wären.
Meine Damen und Herren, ich habe in den vier Jahren, in denen ich hier die sozialpolitischen Auseinandersetzungen miterlebt habe, zwei Erfahrungen gemacht. Die erste Erfahrung ist die, daß die Ansprüche von Gruppen an den Bundeshaushalt immer irgendwie begründbar sind, d. h., daß sich immer Ansatzpunkte und Maßstäbe finden lassen, um mehr und mehr und noch mehr zu fordern. Das ist die eine Erfahrung. Und ich habe die andere Erfahrung gemacht, daß wir insofern eine sehr zuverlässige Opposition haben, als sie sich jedesmal zum Fürsprecher übersteigerter Gruppenforderungen gemacht oder sie selber erzeugt hat.
Das nenne ich eine dem Augenblick verhaftete, opportunistische Gefälligkeitspolitik, die unserem Staat nicht guttun kann, auch wenn manche glauben, daß einzelne Gruppen vielleicht bevorzugt werden könnten. Wenn ich mich dann frage, warum die Opposition so gereizt und demagogisch reagiert, dann ist die Antwort auch klar. Als wir 1970 eine neue Epoche einleiteten, war sie nicht dabei, nämlich die Epoche, in der die Kriegsopfer nicht länger Bittsteller, sondern Menschen sind, die einen Rechtsanspruch darauf haben, jedes Jahr Leistungsverbesserungen von diesem Staat zu erhalten.
Anders, meine Damen und Herren, kann ich mir Ihr Verhalten nicht erklären.
Früher war das anders. Ich habe mich anläßlich der jüngsten Demonstration einmal mit dein Hintergrund der Demonstration von 1963 befaßt und etwas in die Vergangenheit hineingeleuchtet; denn die CDU/CSU hat in der Tat in der Vergangenheit, wenn es um die gruppenspezifische Vertretung der Kriegsopfer ging, eine andere Politik betrieben, als sie es seit 1970 tut.
Hören Sie zu, Herr Kollege Müller! Von 1950 bis 1969 sind in nicht weniger als 12 von 20 Jahren die Kriegsopferbezüge nicht erhöht worden. Die Unionsparteien haben in dieser Zeit niemals eine Dynamisierung, d. h. eine regelmäßige Anpassung der Kriegsopferleistungen gefordert. Wenn ich lese, daß der Bundesrat schreibt, gerade dies sei eine Forderung, ein Grundprinzip des freiheitlichen und sozialen Rechtsstaats, dann wundere ich mich allerdings, warum man 13 Jahre lang nicht das beherzigt hat, was man heute entdeckt. Heute wird die Dynamisierung als Grundprinzip unserer Rechts- und Sozialstaatsordnung bezeichnet, während, wie gesagt, 13 Jahre lang, nämlich von 1957 bis 1970, nichts getan worden ist. Das ist zunächst einmal der Tatbestand.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1973 3163
Dr. Nölling— Ich werde auf das Inflationsargument noch zurückkommen.Die zeitlichen Abstände, innerhalb derer Sie damals die Kriegsopferbezüge erhöht haben, betrugen manchmal 5, 4, 31/2 Jahre. Es hat kein einziges Jahr gegeben, in dem nicht Preissteigerungen zu verzeichnen waren, d. h. in dem nicht die Kriegsopfer reale Einkommensverluste erlitten haben. Kein einziges Jahr seit 1950 ist ohne Preissteigerungen verlaufen.
Ich möchte einmal die Kollegin Probst, die ich persönlich leider nicht gekannt habe, zitieren. Damit komme ich zugleich auf Ihre Moritz-Rechnungen mit den Maßstäben, die Sie hier eingeführt haben, zurück. Die Kollegin Probst sagte damals, am 22. Oktober 1959, hier im Bundestag:Nimmt man den Anstieg des sozialen Budgets von 1949 = 100 bis 1956 = 240 als Maßstab, so läßt sich erkennen, welche Sparten bis Ende 1956 Gewinner oder Verlierer gewesen sind ... Unter dem Durchschnitt aber sind geblieben die Kriegsopferversorgung mit 195 % ... Die seitherige Entwicklung hat das prozentuale Verhältnis zuungunsten der Kriegsopferversorgung verändert.Das war die Tatbestandsschilderung 1959 nach zehn Jahren christdemokratischer Kriegsopferpolitik, nämlich daß sich die Leistungen für die Kriegsopfer weit, weit unter dem Durchschnitt des Anstiegs aller Sozialleistungen befanden.
Nun kommt irgend jemand von der Opposition und sagt doch tatsächlich, die Ausgaben für die Kriegsopfer hätten 1950 10 % des Bundeshaushalts ausgemacht. Wenn das je ein Maßstab für Ihre Kriegsopferpolitik gewesen wäre, hätte die Kollegin Probst keinen Anlaß gehabt, die Situation 1959 zu beklagen.
Herr Abgeordneter,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte schön!
Herr Kollege, würden Sie mir beipflichten, wenn ich sage, daß auf Grund der von Ihnen zitierten Feststellung der früheren Kollegin Dr. Probst damals Konsequenzen gezogen worden sind, während Sie heute nicht bereit sind, aus den getroffenen Feststellungen Konsequenzen zu ziehen?
Ich will Ihnen sagen, welche Konsequenzen gezogen worden sind. Ich komme nämlich zu einem zweiten Zitat, und zwar des Kollegen Barzel, aus dem Jahre 1963. Herr Kollege Barzel sagte vier Jahre später:Wir sind in der glücklichen Lage, unsere positive Einstellung zur Kriegsgeneration und zum Soldatentum nicht erst noch unter Beweis stellen. zu müssen.Das sagte er am 11. Dezember 1963, obwohl die Kriegsopfer 31/2 Jahre keinen einzigen Pfennig Rentenerhöhung von diesem Staat erhalten hatten.
Wir hatten in den Jahren 1965/66 Preissteigerungen von 3,7 bzw. 4,1 % zu verzeichnen.
— Ja, selbstverständlich! Aber was waren das für Zeiten für die Kriegsopfer, als sie keinen Pfennig Rentenerhöhung bekamen und genau in diesem Ausmaß reale — ich betone: reale — Einkommensverschlechterungen in Kauf nehmen mußten.
Und nun zu dem Argument, seit 1970 hätten unsere Kriegsopferrentner an der Entwicklung des Lebensstandards nicht teilgenommen. Ich nenne Ihnen die Zahlen. 1970: Preissteigerung 3,8 %, Steigerung der Renten 16 %, für Witwen 22%, 1971: Steigerung beim Preisindex 5,1 %, Steigerung der Versorgungsbezüge 5,5 %. 1972: 6,2 % Preissteigerung, 6,3 % Steigerung der Versorgungsbezüge.Sie können beklagen, daß in diesen beiden Jahren unter dem Strich real nicht mehr übriggeblieben ist, aber Sie können hier nicht behaupten, die Kriegsopfer hätten an der Steigerung des Lebensstandards nicht teilgenommen, sondern wären sogar zurückgefallen.
Das ist einfach falsch, und das können Sie, wie die Statistiken zeigen, die ich Ihnen hier präsentiere, nicht behaupten.Für dieses Jahr gilt Ihre Behauptung ebenfalls nicht, denn gegenüber 9,5 % Steigerung bei der Kriegsopferversorgung werden in diesem Jahr für den Rentnerhaushalt Preissteigerungen von etwa 7 % zustande kommen. Es wird also eine reale Verbesserung von immerhin 2,5 % übrigbleiben.Nun noch ein Wort zu den ebenfalls eingeführten Maßstäben, das Bruttosozialprodukt mit dem für die Kriegsopferversorgung zur Verfügung stehenden Betrag zu vergleichen. Ich frage Sie: was für eine Rechnung des kleinen Moritz ist das denn, die Lage von 1950, als wir fast 4 Millionen Kriegsopfer hatten und zum erstenmal überhaupt Versorgungsleistungen in einen Haushalt einsetzten — die wir dann drei bzw. fünf Jahre lang gar nicht erhöht haben —, zum Anlaß zu nehmen, heute zu beklagen, der Prozentsatz wäre geringer, wo doch heute 1,5 Millionen Kriegsopfer weniger als 1950 zu versorgen sind?
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3164 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1973
Dr. Nölling— Herr Kollege Maucher, wissen Sie, Sie machen sich, wenn Sie das tun und der Herr Kollege Geisenhofer hat es heute und auch am 18. Juni wieder getan —, einfach lächerlich, weil diese Bezugsgrößen für die Politik nicht verwendbar sind.
Würden Sie sie verwendbar machen — überlegen Sie doch einmal einen Augenblick mit —, d. h. würden Sie heute 10 % des Haushaltes für die Kriegsopfer bereitstellen, dann wären das etwa 13 Milliarden Mark. Nun überlegen Sie sich doch einmal, was für eine Relation das noch zu den Einkommensansprüchen anderer Gruppen wäre! Solche Bezugsgrößen kann man doch sehr wahrscheinlich aus dieser Debatte herauslassen.
— Nun, ob die Landwirtschaft gar nichts mehr bekäme, müßten wir dann ja von der Union hören.
Meine Damen und Herren, ich mag solche historischen Betrachtungen gar nicht besonders gern, weil ich es nicht für richtig halte, immer so weit zurück zu gehen. Aber es läßt sich leider nicht verhindern, daß wir einfach um der historischen Wahrheit und auch um der Bedeutung dieser Tatsachen für unser soziales Sicherungssystem willen die Bedeutung der Dynamisierung wieder in die richtige Perspektive rücken — was Sie natürlich nicht besonders freut.Wir müssen auch mit Bedauern feststellen, daß sich ein Kriegsopferverband, der hier demonstriert hat, für diesen Reformschritt der Dynamisierung in der Vergangenheit niemals mit der Vehemenz eingesetzt hat, wie es heute geschieht, wenn diese Verbände auf die Straße gehen.
Heute spricht dieser Verband von Selbstverständlichkeiten, die jetzt gesetzlich geregelt seien, und vergißt dabei, wie schwierig es für uns war, diese Dynamisierung durchzusetzen.
Meine Damen und Herren, es ist uns klar, daß man immer noch Forderungen aufstellen kann, die über das, was wir gegenwärtig für möglich halten, hinausgehen. Wir meinen, daß wir Forderungen von Gruppen so lange für legitim halten können, wie sie sich im Vergleich mit Einkommenserwartungen anderer Gruppen im Rahmen der finanziellen Leistungsfähigkeit des Staates und der wirtschaftlichen Stabilität halten. Wer politische Verantwortung trägt und bejaht und nicht davor weglaufen will, muß die oft undankbare Aufgabe des Abblockens gruppenspezifisch überzogener Forderungen erfüllen.Früher einmal dachte auch die Opposition so. Ich habe ja immer sehr gerne Herrn Barzel zitiert undmöchte das noch einmal tun. Als hier im Dezember 1963 eine Kriegsopferdebatte mit Geschäftsordnungsgründen abgewürgt wurde, erklärte Herr Barzel zur Kriegsopferfrage:Auch bei dieser Frage haben wir an alle, haben wir an das Ganze zu denken. Zusätzliche Mittel hier erfordern Kürzungen an anderer Stelle.Meine Damen und Herren von der Opposition, ich frage Sie: Ist eigentlich alles vergessen, was früher einmal Maxime Ihrer Politik war — mit der wir dann selbstverständlich auch nicht einverstanden waren --, und woher will die CDU eigentlich die 400 Millionen nehmen, die in diesem Jahr im Bundeshaushalt untergebracht werden müssen?
Ich habe es als eine ganz grobe Unanständigkeit empfunden — um das an dieser Stelle einmal zu sagen —, wie hier Ihre Haushaltssachverständigen damals versucht haben, den Kollegen Glombig auf den Rücken zu legen,
als sie hier begründen wollten, sie hätten eine Deckung im Bundeshaushalt gefunden. Es war keine Deckung vorhanden; es gab auch keinen Antrag, der darauf abzielte.
Aber, meine Damen und Herren, das paßt eben bei dieser Opposition alles zusammen: die Forderung nach einer harten Stabilitätspolitik, Klagelieder über die Preissteigerungen, ein Gesetzentwurf über Steuererleichterungen in Höhe von acht Milliarden DM und Anforderungen an den Bundeshaushalt in Milliarden-Höhe. So bringt sich die Opposition selber um: nämlich dadurch, daß sie sich um ihre Glaubwürdigkeit bringt.
Hätte die Koalition — das sage ich auch mit aller Deutlichkeit — so wenig für die Kriegsopfer getan wie frühere CDU-Regierungen, dann würde ich das Argument der Stabilität für unanständig halten, es nicht bringen und mich dagegen wehren, daß es hier Eingang findet.Herr Kollege Burger, Sie haben soeben in einem Zwischenruf gesagt: Die Kriegsopfer heizen keine Inflation an. Das mag für den Einzelfall durchaus zutreffen. Aber es ist ja gerade die Kumulation Ihrer Forderungen, gerade das Zusammentreffen von vielen überspitzten Forderungen, das uns befürchten lassen muß, daß eben doch die Inflation angeheizt würde, wenn wir diese Ausgabewünsche erfüllten.Ich will den Inhalt des Regierungsentwurfs nicht wiederholen. An den Prozentsätzen, an den absoluten Beträgen, die hier genannt worden sind, kann man nicht rütteln. Wir werden jedenfalls bis 1975 — also innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren — den Anpassungstermin in der KOV an den Anpas-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1973 3165
Dr. Nöllingsungstermin der gesetzlichen Rentenversicherung herangeführt haben; die Mittel dafür stehen zur Verfügung.Die Befürchtung, die der VdK während der Demonstration geäußert hat, daß das keine rechtlich verbindlichen Zusagen seien, sind völlig aus der Luft gegriffen. Dies hat heute auch noch einmal der Bundesarbeitsminister deutlich gemacht. Die Kriegsopfer, meine Damen und Herren, können ab 1974 in einem Zweijahreszeitraum mit Rentensteigerungen von mehr als 30 % rechnen. Ich habe aus einem beliebigen Zeitraum der Nachkriegsgeschichte keine vergleichbare Zahl zur Hand, die eine solche Einkommensteigerung für eine Gruppe von 2,5 Millionen Menschen, wie sie jetzt programmiert wird, erkennen läßt. Ich meine, das sollten wir nicht dadurch lächerlich machen, daß wir hier und da immer noch einen Punkt finden, von dem wir vielleicht auch meinen, es wäre schön, wenn wir ihn mit berichtigen könnten. Hier geht es um die Größenordnungen, in denen wir denken müssen, und es geht auch darum, daß wir das Geld dafür selbstverständlich irgendwoher aufbringen müssen. Das sind Beträge, die dann weit über zehn Milliarden DM hinausgehen.Die SPD-Fraktion, meine Damen und Herren, ist froh darüber, daß es gelungen ist, diesen Anpassungstermin in einem Stufenplan zu verwirklichen. Es hat nur drei Jahre gedauert, ihn zu verwirklichen, während es früher 13 Jahre gedauert hat, bis wir die Dynamisierung im Anschluß an die Dynamisierung der gesetzlichen Rentenversicherung bekamen.Wir danken vor allem dem Arbeitsminister für seinen erfolgreichen Einsatz und seine Arbeit für die Kriegsopfer. Die Ausschußberatungen werden wir auf der Grundlage des Regierungsentwurfs so zügig zu Ende bringen, daß die Kriegsopfer ab 1. Januar 1974 ihre Bezüge, d. h. 11,4 % mehr, erhalten können.
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will nicht in den Streit darüber eingreifen, wer zuerst, wer mehr und wer überhaupt etwas getan habe. Angesichts dieser Fragen sehe ich mich jedoch als jemand, der dem Bundestag seit 1949 angehört und der manche der hier genannten Namen nicht nur als lebende Personen gekannt, sondern auch geschätzt hat, auch wenn sie anderen Seiten des Hauses angehört haben.
— Nicht nur deshalb. Immer wenn es redlich ist, Herr Franke, kann es auch streitbar ausgetragen werden.
Ich will aber hier niemandem meine Sitten aufzwingen, sondern Ihnen nur folgendes sagen. Ich fühle mich auch sozusagen verpflichtet als das Mitglied eines Kabinetts, dessen Bundeskanzler, dessenFinanzminister und dessen Arbeits- und Sozialminister seinerzeit der CDU und CSU angehörten, etwas zum Nachdenken mitzugeben. Ob das an der Sache, am Sachverhalt etwas ändert, weiß ich nicht. Mich hat nur die Einbringungsrede des jetzigen Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, des Kollegen Walter Arendt veranlaßt, einmal zu überlegen, ob man darauf nicht aufmerksam machen müsse und auch dürfe. Wie gesagt, ich war als ein sozialdemokratisches Kabinettsmitglied in jenem Kabinett, dessen Kanzler ein bedeutendes Mitglied und der Vorsitzende der CDU war, dessen Finanzminister der Vorsitzende der CSU war und dessen Arbeits- und Sozialminister auch der Fraktion der CDU/CSU angehörte und der heute auch hier ist.Ich habe mir das Datum inzwischen besorgt, weil ich das nicht mehr so genau wußte. Am 14. September 1968 habe ich in dieser Eigenschaft und mit diesem Hintergrund in Garmisch-Partenkirchen im dortigen Stadion nach der Angabe des Veranstalters vor 50 000 Besuchern, nach den polizeilichen Schätzungen vor 40 000 bis 50 000 Besuchern — es waren damals noch etwas mehr als hier, wenn Ihr Bericht mit den 30 000 stimmt, den Sie heute gegeben haben — zu sprechen gehabt; denn weder der damalige Bundeskanzler noch der damalige Bundesminister der Finanzen, obwohl Garmisch-Partenkirchen in seinem Land liegt, noch natürlich der Arbeits- und Sozialminister waren dort aufgefordert. Ich vertrat dort sozusagen die Regierungsseite. Diese Kundgebung war — das kann man nachlesen, und mancher wird sich vielleicht den Spaß gönnen — angekündigt als eine gewaltige Kraftprobe. Im Stile des Herrn Maucher würde das wohl heißen: Sie nehmen keine Rücksicht darauf, wer die Regierung stellt. Kann sein, aber darüber will ich mit Ihnen nicht streiten.Ich habe damals erlebt, daß der Ministerpräsident des Freistaates Bayern, derselbe, der heute auch Ministerpräsident des Freistaates Bayern ist und der heute hier in die Debatte eingeführt ist, obwohl er auf dieser Bank nicht vertreten ist und sich bei einem Bundesratsentwurf durch Bundestagsabgeordnete hier vertreten läßt und so den Respekt vor diesem Haus und vor dieser Regierung bekundet,
daß derselbe Ministerpräsident damals so sprach, als würden er, seine Staatsregierung und überhaupt die CSU alles geben, was die Veranstalter des riesigen Meetings von 40- bis 50 000, der VdK, damals forderten. Sie würden ihnen alles geben, Herr Goppel würde ihnen alles geben. Er sprach nach mir, damit es kontrastreich wurde. Ich war sozialdemokratisches Mitglied in einem Kabinett, dessen Kanzler CDU-Vorsitzender, dessen Finanzminister CSU-Vorsitzender und dessen Arbeits- und Sozialminister eine der führenden Persönlichkeiten der CDU war und noch ist. Nur deshalb, weil heute der Herr Kollege Walter Arendt so ein wenig, beinahe hätte ich gedacht: gekränkt oder wehmütig im Zusammenhang mit der jetzigen Haltung des bayerischen Ministerpräsidenten von einem doppelbödigen Verhalten gesprochen hat, kam ich darauf.
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3166 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1973
WehnerIch darf noch einmal auf meine Erinnerung zurückkommen. Damals wußte ich, daß sich der Bundesminister der Finanzen im Kabinett dafür stark gemacht hatte — 1967, und als wir das damals als Koalilionspartner nicht durchließen, noch einmal 1968 —, Grundrenten bis 40 % zu streichen. Das ist dann schließlich verhindert worden. Wir haben uns verständigen müssen; damals war die Gesamtlage so, daß die CDU/CSU-Seite nicht anders konnte, als das so zu tun, als es eben bei allen Gemeinsamkeiten in den Bemühungen um das Überwinden schrecklicher Folgen vorhergegangener Finanz- und Haushaltspolitik ging. Die kann man belegen. Ich habe immer die damalige vergilbte Regierungserklärung bei mir, wie sie Herr Kiesinger vorgetragen hat. Die ist schon ziemlich beschädigt, aber das steht da genau drin, und wenn es hier notwendig sein sollte, würde ich das wieder einmal vorlesen. Damals wußte ich also, daß er diese Streichung wollte. Wir haben sie 1967 unter jenem großen Baum verhindert. Es war für die Öffentlichkeit gar nicht so wichtig, was man tat, sondern wo man es tat. So ist das heute mit Bildern und Berichten. Platanen waren es wohl. Ich erinnnere mich noch.Das kam ein Jahr später wieder. Damals konnte der Bundeskanzler des Kabinetts, der Vorsitzende der CDU, das nicht lösen. Wir gingen mit der Forderung des bayerischen Bundesministers der Finanzen und Vorsitzenden der CSU nicht mit, dessen Ministerpräsident in der Staatsregierung des Freistaates Bayern zugleich entgegengesetzte Forderungen vertrat, als der andere uns aufzwingen wollte uns zu verhalten. Der Bundeskanzler, Herr Kiesinger, hat damals gesagt, er werde doch hoffentlich keinen Widerspruch finden, wenn er sich mit den führenden Persönlichkeiten der Verbände darüber zu verständigen versuche, ob die es als Ehrensache bezeichneten, auch an einem solchen damals nannte man es noch nicht so — Stabilitätsopfer teilzunehmen.Ich will Ihnen nicht vorlesen, was es da alles gibt. Auch damals sind schon in der Regierungserklärung und dann in der Praxis recht bestimmte Worte und Sitze gebraucht worden. Sehen Sie, damals, wie gesagt, ging es darum, Folgen schwerwiegender Fehler der vorangegangenen Bundesregierungen zu überwinden. Zur Charakterisierung der Ergebnisse bringe ich dennoch einige Sätze in Erinnerung. Da werden die Milliardendefizite, die Milliardenfehlbeträge festgestellt. Es waren ja immer CDU-Bundeskanzler und entsprechende Regierungen. Da wurde die Unzulänglichkeit des Art. 113 des Grundgesetzes festgestellt. Auch die unbegründete Furcht vor dem Unmut der Wähler habe eine Korrektur dieser Entscheidung vor cien Bundestagswahlen verhindert, und auch nach den Wahlen sei das nicht gelungen. Sie können das einmal nachlesen, was da alles vorher an schrecklichen Feststellungen gemacht werden mußte, unwidersprochen von Ihrer Seite, weil es ja eine übereinstimmende Feststellung war. Dann hieß es:Niemandem, am wenigsten den scheinbar Begünstigten, würde eine wirklichkeitsfremde Politik nützen, der die Finanzgrundlage fehlt oder die nur zu Lasten anderer für unser Volk lebenswichtiger Zukunftsaufgaben finanziert werden könnte. Die Bundesrepublik wendet von ihrem Bruttosozialprodukt für soziale Leistungen so viel auf wie kein anderes Land. Das ist kein Wohlstandsübermut; wir müssen Milliarden für Kriegsopfer, Vertriebene und Flüchtlinge ausgeben und immer mehr alte Menschen versorgen, — eine Folge der Kriegsverluste und der großen Geburtenausfälle während der beiden Weltkriege und der Wirtschaftskrise um 1932.Aber dann:Politik ist in allen Bereichen die Kunst des Möglichen. Eine fortschrittliche Gesellschaftspolitik setzt eine gesunde, wachsende Wirtschaft und eine stabile Währung voraus. Sie würde den Boden unter den Füßen verlieren, wenn sie die Leistungen so stark ausdehnen wollte, daß das Wachstum unserer Wirtschaft die Stabilität der Währung gefährdete und die die Zukunft unseres Volkes sichernden Infrastrukturinvestitionen unterbleiben müßten.Das waren damals die Probleme. Heute haben wir einige andere Probleme. Aber auch die sind in Geld auszudrücken. Ich streite deswegen nicht auf der einen oder gegen die andere Seite darum, wer mehr getan hat.Es ist noch nicht so lange her. Ich habe es noch in Erinnerung. Hier wurde etwas von den Demonstrationen vor zehn Jahren gesagt. Das kam mir kürzlich wieder auf, weil ich gehört hatte, es sei ja schon einmal der Bundeskanzler dadurch gestürzt worden, daß die Kriegsopfer marschierten. Es war damals Ihr eigener Bundeskanzler, es war Professor Erhard. Darüber könnte ich Ihnen einiges sagen. Das ist jetzt wieder von Organisatoren als die Machart hingestellt worden. Bezeichnend ist: hier ist das Primäre nicht, daß sie, einer Not folgend, etwas verbessern wollen, was ich ihnen auch nicht bestreite. Das Primäre ist, daß sie sich erinnern: es ist doch schon einmal, wenn auch damals unser eigener Bundeskanzler, mit Kriegsopfermärschen gestürzt worden. Das ist es, wissen Sie. Da wollte ich den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung gewissermaßen trösten.
Er hat heute doppelbödiges Verhalten beklagt und mit Recht angeklagt, was ich verstehe. Zum Trost dürfte er daran erinnert werden, daß die maßgeblichen Herren derselben Unionspartei ein solches Verhalten untereinander und, manchmal könnte man sagen, übereinander pflegen. Es kommt Ihnen offenbar darauf an, zur gleichen Zeit an verschiedenen Fronten gleich populär zu wirken — und wäre das auch nur möglich um den Preis der Unvereinbarkeit der diversen Wahrheiten, die Sie zu entgegengesetzten Versprechen heilig zu halten pflegen. Das ist nicht ein Januskopf, das ist eine Hydra von Köpfen.Ich sage auch bei dieser Gelegenheit: das Wichtigste für unser Land und das Wichtigste für alle die,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1973 3167
Wehnerdie seinen Ausbau, seinen sozialen Ausbau, und. die Sozialstaatlichkeit im Sinne des Grundgesetzes wollen und brauchen, ist, daß diese Unionsparteien — entschuldigen Sie diese Parteienbemerkung — davon erlöst werden, mit einer Hydra von Köpfen gegeneinander unser Land kaputtzubeißen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Katzer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ehrt den Kollegen Wehner, daß er in dieser Weise reagiert hat. Denn es zeigt, daß er im Kern von der Richtigkeit unserer Argumentation überzeugt ist
und sich offenbar in einem Regierungszwang sieht, den ich kenne. Ich könnte auch, verehrter Herr Kollege Wehner, mit Ihnen Vergangenheitsbewältigung betreiben. Ich weiß mich — haarscharf — einer Kundgebung hier in Bonn in der Beethovenhalle zu erinnern. Ich glaube, auch Sie werden sich erinnern, Sie sprachen nach mir und nahmen meine Worte auf, — 1969 vor den Bundestagswahlen. Ihr jetziger Koalitionspartner, Herr Kollege Mischnick, vertrat eine andere Position. Ich will das aber nicht vertiefen, Herr Kollege Wehner. Denn sowohl Ihre Bemerkungen als auch die Bemerkungen der anderen Sprecher der SPD-Fraktion, insbesondere die von Herrn Nölling, waren doch ein Stück Vergangenheitsbewältigung, um von der Gegenwart abzulenken.
Wir sprechen doch nicht von gestern. Hier dieses Haus hat Politik für heute und für morgen zu machen, und davor wollen Sie sich drücken. Das ist der Punkt.
Es ist merkwürdig, meine Damen und Herren, bei Ihnen beginnt die Zeitgeschichte mit dem Eintritt der SPD in die Regierung der Großen Koalition. Wenn man über die Kriegsopferversorgung sprechen will, dann müßte man mindestens Herrn Kollegen Erhard -- — Herr Kollege Wehner, das werden Sie mir doch zugute halten, daß die Regierung Erhard das Dritte Kriegsopfer-Neuordnungsgesetz beschlossen hat mit einem Volumen von fast 100 Milliarden, die wir gemeinsam mit der FDP, Herr Kollege Spitzmüller — —
— 1 Milliarde.
— Sie haben sich noch nie versprochen, Herr Kollege Wehner!? — Mit 1 Milliarde, Herr KollegeSpitzmüller. — Herr Kollege Wehner, ich habe Sie in Verbindung mit Herrn Erhard gebracht, weil Sie hier etwas Unerträgliches gemacht haben, nämlich uns etwas unterstellt haben, was Sie offenbar damals selbst betrieben haben, was wir aber nicht tun werden und was nicht in unserer Haltung eingeschlossen liegt. Genau dos war der Punkt.
Lassen Sie mich eine zweite Bemerkung machen! Es ist lustig, aus dem Munde von Herrn Wehner zu hören „Januskopf der CDU". Ich würde vorschlagen, machen Sie sich darüber weniger Gedanken, sondern setzen Sie sich mal mit den vielen Köpfen der SPD auseinander!
Es ist doch geradezu sagenhaft, daß die Arbeiterpartei von gestern mittlerweise Arbeitnehmergruppen in der SPD bilden muß, damit dieser Teil bei Ihnen überhaupt noch zum Zuge kommt.
Damit komme ich zu dem Dritten, was ich sagen möchte, und das ist der Kern der Diskussion heute. Der Kern der Diskussion heute ist doch ein ganz anderer, als er hier dargestellt wird. Wir hätten doch weder im vergangenen Jahr die Rentenanpassung vorgezogen noch würden wir heute darüber diskutieren, wenn wir nicht miteinander von einer inflationären Entwicklung überrollt würden. Für diese Entwicklung tragen Sie nun einmal die Hauptverantwortung.
Das ist der Punkt, von dem wir nicht ablenken lassen können. Diese inflationäre Entwicklung trifft in der Tot insbesondere die Rentner und Kriegsopfer. Ich habe die heutige Diskussion als peinlich empfunden.
— Ich kenne Sie zu gut, um nicht zu wissen, daß Sie es auch als peinlich empfinden, wenn hier der Eindruck erweckt wird, als ob ein Mißbrauch mit Kriegsopfern im Gange wäre. Richten Sie diese Frage doch bitte einmal an den hessischen Ministerpräsidenten, an Ihren Kollegen Osswald, der doch mit uns darin übereinstimmt, daß wir die Kriegsopferrenten — anders, als Sie es vorhaben — vorzeitig anheben und erhöhen müssen.
Halten Sie das für Demagogie? Es ist doch peinlich, wenn Sie sich so verhalten, wie Sie es tun, und sich zugleich an der bayerischen Staatsregierung hochrangeln. Ich hätte auch gewünscht, Herr Kollege Wehner, sie wäre hier — —
— Aber selbstverständlich!
— Selbstverständlich, Herr Kollege Wehner! Allerdings irren Sie. Wir beraten hier nicht den Antrag
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3168 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1973
Katzerder bayerischen Landesregierung, sondern wir sprechen hier über den Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, den wir damals — vor wenigen Monaten — nicht begründen konnten, was wir deshalb hier nachholen.
Herr Kollege Wehner, lassen Sie mich abschließend noch folgende Bemerkung machen. Wenn ich mir den Kompromißvorschlag ansehe, den der Kollege Osswald in Hessen gemacht hat, so stelle ich fest: Das ist nicht das, was wir als Opposition wollen, aber es ist immerhin sehr viel mehr, als die Regierung jetzt zu tun bereit ist. Ich meine, es wäre doch zu überprüfen, ob man diesen Vorschlag aus Hessen nicht aufgreifen sollte.
Herr Kollege Wehner, wir haben vor den Wahlen von dieser Stelle aus — auch ich habe das für die Opposition getan — gesagt: Im Grundsatz ist das Anliegen der Kriegsopfer berechtigt, wir werden ihm Rechnung tragen, aber es geht jetzt im Haushalt nicht. In diesem Haushaltsjahr hat sich die Situation aber doch verändert. Die Haushaltslage ließe es jetzt zu. Sie läßt es zu, denn Sie sprechen ja selbst davon, daß das letzte Drittel des dreizehnten Monatsgehaltes, das Sie gewähren wollen, allein für die Arbeiter und Angestellten 1,3 Milliarden DM kostet. Die Kosten für die Beamten und für die Bundeswehr sind darin noch nicht eingeschlossen. Nimmt man Bund — ohne Beamten und Bundeswehr —, Länder und Gemeinden zusammen, so kostet die Einführung des vollen dreizehnten Monatsgehaltes rund 3,3 Milliarden DM. Dagegen ist nichts zu sagen. Meine Damen und Herren, hier geht es allerdings um die Priorität.
Wer dieses Geld geben kann, kann auch den Kriegsopfern die Erfüllung ihres Anspruches nicht versagen. Deshalb unser Antrag!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Nach dem Vorschlag des Ältestenrates sollen die beiden Vorlagen dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend — und dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung von Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung
— Drucksache 7/377 —
aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/1053 — Berichterstatter: Abgeordneter Krampe
bb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 7/1039 —
Berichterstatter: Abgeordneter Geiger
b) Zweite Beratung des von den Abgeordneten Rollmann, Frau Stommel, Frau Schroeder , Dr. Götz, Burger, Geisenhofer und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Hauspflege und der Familienhilfe im Rahmen der Reichsversicherungsordnung
— Drucksache 7/464 —
Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 7/1039 —
Berichterstatter: Abgeordneter Geiger
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Bitte, Herr Abgeordneter Geiger!
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu dem vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktion der SPD und FDP liegt Ihnen auf Drucksache 7/1039 ein Schriftlicher Bericht vor. Nach einer entsprechenden Änderung hat die CDU/CSU-Opposition diesem Gesetzentwurf bei Vorliegen eines eigenen Entwurfs voll zugestimmt. Ich freue mich, das sagen zu können, und darf noch erwähnen, daß der Ausschuß Wert darauf gelegt hat, festzustellen, daß durch dieses Gesetz andere Rechtsansprüche auf Lohnfortzahlung oder Rechtsansprüche, die durch dieses Gesetz außer Kraft gesetzt werden können, nicht berührt werden. Ebenso legt der Ausschuß Wert darauf, festzustellen, daß die Krankenhauspflege, solange sie notwendig ist und zur Gesundung beiträgt, aufrechterhalten werden muß, wenn die Aussteuerung vorbei ist. Er stützt sich dabei auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 18. November 1969.
Der Ausschuß hat festgestellt, daß mit diesem Gesetz ein weiteres Stück der sozialen Sicherheit und der sozialen Verbesserung verabschiedet wird, das in Zukunft ganz besonders für die Mütter und die Familien von großem Vorteil sein wird, also für all diejenigen Frauen, die einem Erwerb nachgehen müssen. Er bittet Sie um Annahme dieses Gesetzentwurfs.
Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht. Änderungsanträge liegen nicht vor.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1973 3169
Präsident Frau RengerWer dem Gesetzentwurf sowie Einleitung und Überschrift in zweiter Beratung zustimmen will, gebe ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — In zweiter Beratung einstimmig angenommen.Wir kommen zurdritten Beratung.Das Wort zu einer Erklärung hat Frau Abgeordnete Schlei.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst ein Wort zu Herrn Katzer. Herr Katzer, meine Partei hat nicht nur Arbeitnehmergruppen, sie macht auch Politik für Arbeitnehmer, wie dieser Gesetzentwurf beweisen wird.
Dieser von der SPD und der FDP vorgelegte Gesetzentwurf besitzt aber noch einen anderen Vorzug, nämlich dadurch, daß er eine unbefriedigende Regelung, die sogenannte Krankenscheinprämie, abschafft, wodurch Beträge freigesetzt werden, die der Finanzierung günstiger Regelungen dienen können. Mit diesen Finanzierungsmitteln werden wichtige gesundheits- und sozialpolitische Leistungen zugunsten der Versicherten und ihrer Familienangehörigen ermöglicht.Die Prämie für nicht benutzte Krankenscheine wird also durch Annahme dieses Gesetzentwurfs abgeschafft. Die so eingesparten 390 Millionen DM decken weitgehend die Leistungsverbesserungen, die wir hier noch im einzelnen erörtern werden. Diese Leistungsverbesserungen werden im Jahre 1974 auf 440 Millionen DM geschätzt.Durch den Wegfall dieser Prämie wird zugleich ein gesundheits- und sozialpolitisch äußerst bedenklicher Disziplinierungsversuch innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung beendet. Wir Sozialdemokraten haben diesen Disziplinierungsversuch immer kritisch betrachtet und wollen es nun nicht mehr verantworten, daß Versicherte wegen einer solchen Prämie von einem erforderlichen Arztbesuch abgehalten werden. In einer Zeit, in der die Notwendigkeit von Vorsorge- und Früherkennungsmaßnahmen immer stärker erkannt und beachtet wird, ist es keinesfalls vertretbar, Unterlassungen von Arztkonsultationen auch noch zu prämieren.Im Erfahrungsbericht der Bundesregierung zu diesem Komplex kam zum Ausdruck, daß die Krankenscheinprämie die Entwicklung der Gesamtausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung keineswegs günstig beeinflußt hat. Die Spitzenverbände der Träger der Krankenversicherung vertraten — nicht nur wegen der unangemessen hohen Verwaltungskosten — die Ansicht, daß das ursprünglich angestrebte Ziel nicht erreicht worden sei.Meine Fraktion begrüßt, daß der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung am 21. September unseren Gesetzentwurf einstimmig beschlossen hat. Er enthält im einzelnen folgende Regelungen, die bereits zum 1. Januar 1974 in Kraft treten sollen.Erstens. Aussteuerung bei Krankenhauspflege wird künftig nicht mehr möglich sein. Die bisher für höchstens 78 Wochen innerhalb von drei Jahren übernommenen Behandlungskosten werden in Zukunft nicht mehr zeitlich begrenzt. Es wird also verhindert, daß ein langwieriger Krankenhausaufenthalt vom Versicherten selbst oder aber durch die Sozialhilfe finanziert werden muß.Zweitens. Alle Versicherten mit Kindern bis zum vollendeten achten Lebensjahr oder mit einem behinderten Kind erhalten einen Anspruch auf Haushaltshilfe, wenn ihnen wegen Krankenhaus- oder ärztlich verordneten Kuraufenthaltes die Haushaltsführung nicht möglich ist. Das gilt auch für Entbindung im Krankenhaus. Entweder stellt die Krankenversicherung eine Haushaltshilfe oder sie beteiligt sich in angemessener Höhe an den Kosten für die selbst beschaffte Hilfe.Das gilt nicht, so wie es heute im Nachrichtendienst verkündet wurde, nur für erwerbstätige Frauen, sondern das gilt auch für die mitversicherten Hausfrauen. Eine Anzahl von 5 Millionen Frauen ist hiermit gemeint. Diese 5 Millionen Frauen kommen in den Genuß der Haushaltspflege in beschriebener Weise.Mit dieser Regelung nehmen wir Hunderttausenden von Müttern und Vätern kleiner Kinder eine große Belastung ab. Ein notwendiger Krankenhausoder Kuraufenthalt muß nun nicht mehr aus Angst um unversorgte Kinder verschoben oder wie in so vielen Fällen bisher aufgegeben werden.Drittens. Berufstätigen Versicherten wird die Pflege erkrankter Kinder ermöglicht. Sie können jährlich bis zu fünf Tagen für jedes Kind von der Arbeit freigestellt werden. Das gilt für Kinder unter acht Jahren und setzt voraus, daß eine andere im Haushalt lebende Person diese Aufgabe nicht übernehmen kann. Für diesen Zeitraum steht dem Versicherten bei Verdienstausfall ein volles Krankengeld zu.Der Anspruch, von der Arbeit freigestellt zu werden und Krankengeld zu erhalten, soll nach einstimmigem Beschluß des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung in bestimmten Fällen auch bei Betreuung möglich sein, und zwar dann, wenn das Kind zur ärztlichen Behandlung begleitet werden muß.Besonders hervorzuheben ist, daß sowohl berufstätige Mütter wie auch die Väter zur Pflege oder Betreuung erkrankter kleiner Kinder von der Arbeit freizustellen sind. Auch Väter können und sollten also in Zukunft von der eingeräumten Möglichkeit Gebrauch machen. Aus Partnerschaft in der Ehe müßte auch Partnerschaft in der Kinderpflege zu entwickeln sein.Wir hoffen sehr, daß sich das Problem der nicht krankheitsbedingten Abwesenheit vom Arbeitsplatz nun entschärft. Bisher hat es das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmerinnen sehr belastet.
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Frau SchleiIn diesem Zusammenhang erlauben Sie mir, auf eine, wie ich meine, nicht zu tolerierende Äußerung des offiziellen Organs der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber hinzuweisen. Diese Außerung zielt auf beide Gesetzentwürfe, sowohl auf den Gesetzentwurf der CDU/CSU wie auch auf den der Koalitionsfraktionen. Ich bitte zitieren zu dürfen, was dieser Artikel sagt:Angesichts einer unerträglichen Beitragsspirale in der gesetzlichen Krankenversicherung ist der Wettlauf der Parteien um eine Verbesserung des Leistungskatalogs ebenso zynisch wie unsozial. Die Parteien sind auf einem Irrweg, wenn sie kostspielige exklusive Leistungen zu Lasten der allgemeinen Beiträge dekretieren. Die Ungerechtigkeiten und Mißbrauchsmöglichkeiten sind im System der sozialen Sicherung wahrlich schon groß genug.Hier können wir doch nur gemeinsam fragen: Wer ist hier zynisch? Ich bin der Ansicht, wir sind hier gemeinsam auf dem richtigen Weg und sollten ihn so gehen, wie wir es hier skizziert haben.Die beschriebenen Maßnahmen verstehen wir zugleich als Fortentwicklung einer zeitgemäßen Familienpolitik, einer Familienpolitik, die die Nöte und Wirklichkeiten des Alltags vieler Mütter, Väter und Kinder erkennt. Sie fügen sich in unsere Konzeption einer kinder- und familienfreundlichen Politik ein, wie wir sie unter anderem auch für eine Gesamtreform des § 218 zu gestalten haben. Mut zum Kind kann besser entwickelt werden, wenn auch die Gesellschaft ihre Pflichten gegenüber der Familie erfüllt.
— Herr Franke, wenn Sie doch zuhörten! Wir sind doch dabei, etwas zu tun.
Ich halte das für eine Hilfe, die anbietbar ist und die bestimmt auch gerne akzeptiert wird.
Die heute zu beschließenden wichtigen Leistungsverbesserungen fügen sich ausgezeichnet in das große Bündel der sozialpolitischen Maßnahmen unserer Regierung ein, deren Aktivitäten eine Sozialpolitik ohne Stillstand bewirken. Diese Politik wird helfen, den schwierigen Alltag der Familien menschlicher zu gestalten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller (CDU/CSU).
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Schlei, ich darf Ihnen gleich zu Beginn sagen, daß das, was Sie zur Stellungnahme des BDA gesagt haben, genau den Kern der Sache trifft und daß ich mich dem anschließe.
Wir begrüßen die Weiterentwicklung des Rechts der Krankenversicherung in sehr wesentlichen Einzelfragen der sozialen Sicherung. Meine Fraktion hatte schon zu einem früheren Zeitpunkt — zum Teil schon in der vergangenen Legislaturperiode — zwei der hier anstehenden Punkte angesprochen und einen eigenen Gesetzesvorschlag eingebracht, und zwar für die Gewährung der Haushaltshilfe und die Zahlung des Krankengeldes bei Verdienstausfall, wenn die Mutter wegen der Betreuung des erkrankten Kindes zu Hause bleiben muß.Die nunmehr gefundenen Regelungen sind hinsichtlich der Dauer der Krankengeldzahlungen bei der Betreuung eines kranken Kindes nach unseren Vorstellungen ein erster Anfang. Wir hatten zunächst vorgesehen, daß das Krankengeld für die Dauer von zwei Wochen gezahlt werden sollte, während der heute zu verabschiedende Entwurf der Koalitionsfraktionen bei einer Erkrankung eines Kindes eine Zahlung für fünf Tage vorsieht. Wir verzichten aber darauf, heute unsere Anträge erneut zu stellen, weil wir glauben, daß dem Grundanliegen auch hiermit gedient ist. Wir müssen allerdings nach ersten Erfahrungen mit dieser Neuregelung prüfen, ob eine Verlängerung des Zeitraums durch eine Novellierung des Gesetzes zu einem späteren Zeitpunkt notwendig und auch finanziell darzustellen ist.Wir heben die Gewährung von Haushaltshilfe für den Fall, daß die Mutter wegen einer Erkrankung das Krankenhaus aufsuchen muß und die Familie dadurch nicht betreut wird, besonders hervor. Das ist eine wichtige familienpolitische Leistung, die man nur begrüßen kann. Sie entspricht unserem gemeinsamen Anliegen in beiden Gesetzentwürfen.Die Krankenkassen haben bekanntlich bisher die Kosten der Krankenhausbehandlung für höchstens 78 Wochen innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren übernommen. Wenn über diesen Zeitraum hinaus eine weitere stationäre Behandlung erforderlich war, mußten die Versicherten entweder die Kosten selbst tragen oder aber die Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Diese Aussteuerung betraf meist schwerkranke Menschen, die neben der Belastung durch die Krankheit auch noch durch die Übernahme der Krankenhauskosten finanziell zusätzlich belastet wurden. Wenn nunmehr ein Rechtsanspruch auf zeitlich unbegrenzte Gewährung von Krankenhauspflege eingeführt wird, ist das eine begrüßenswerte gesundheits- und sozialpolitische Maßnahme.Die Frage des Wegfalls der Krankenscheinprämie spielt in dem Zusammenhang der Finanzierung dieser Leistungen eine Rolle. Die Krankenscheinprämie ist bekanntlich von der Großen Koalition im Jahre 1969 im Rahmen der Einführung der arbeitsrechtlichen Lohnfortzahlung für Arbeiter eingeführt worden. Der Versicherte und seine mitversicherte Ehefrau bekamen bei Nichtinanspruchnahme des Krankenscheins einen Betrag von 10 DM pro Krankenschein zurückerstattet, höchstens jedoch für drei
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Müller
Krankenscheine im Jahr, damit auf jeden Fall 1 Krankenschein für die so notwendigen Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch genommen werden konnte, ohne daß ein Anreiz zur Rückerstattung vorlag.Meine Damen und Herren, wir — ich wiederholees, um noch einmal daran zu erinnern: die Parteien der Großen Koalition, CDU, CSU und SPD — waren uns bei den damaligen Verhandlungen — ich habe an ihnen teilgenommen bei der Einführung dieser Regelungen sowohl über den Kompromißcharakter der Lohnfortzahlung als auch über das Risiko der Einführung dieser neuen Maßnahmen im klaren. In der Diskussion damals behaupteten sehr viele Fachleute, mit dem Krankenschein werde Mißbrauch getrieben. Darum sollte auch diese Maßnahme einmal zeigen, ob es in der Tat so war und ob man durch die Rückzahlung eines Beitragsanteils in Gestalt der Krankenscheinprämie einer möglichen falschen Inanspruchnahme der Krankenscheine steuern konnte. Die Krankenscheinprämie von 10 DM hatte bei ihrer Einführung im Jahre 1969 noch einen höheren realen Gegenwert als 1973, weil die inflationäre Entwicklung den Wert der Deutschen Mark hat fraglich werden lassen. Die Erfahrungen der gesetzlichen Krankenversicherung mit dieser Krankenscheinpräraie haben gezeigt, daß die Krankenkassen zusätzlich belastet und nicht entlastet wurden. Daher stimmen wir einer Beseitigung der Krankenscheinprämie zu, die wir von Anfang an als ein Experiment angesehen haben. Im übrigen wird die Zukunft zeigen, ob die Beseitigung der Krankenscheinprämie einerseits und die Leistungsverbesserungen andererseits den bestehenden Trend zu stärkerer Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen verstärken.Die gesetzliche Krankenversicherung befindet sich ohnehin in einer erheblichen Finanzklemme. Eine weitere Kostensteigerung würde die Lage der Krankenkassen nur noch verschärfen. Diese Kostenexplosion in der gesetzlichen Krankenversicherung ist beträchtlich. Vielleicht können das einige Zahlen einmal verdeutlichen. Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung entwickelten sich von rund 2,5 Milliarden DM 1950 über rund 9,66 Milliarden DM 1960 und 23,8 Milliarden DM 1970 auf 34,6 Milliarden DM 1972, und nach zuverlässigen Schätzungen ergeben die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahre 1973 rund 40,2 Milliarden DM. Diese Zahlen müssen jeden, der es mit der gesetzlichen Krankenversicherung ernst meint, nachdenklich stimmen. Es ist Aufgabe der Politiker, insbesondere der Sozialpolitiker, darauf zu achten, daß bei aller Notwendigkeit von Leistungsverbesserungen die Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung für die Beitragszahler in einem erträglichen Rahmen bleiben.Zwei Kostenfaktoren in dein Anwachsen der Ausgaben der gestzlichen Krankenversicherung möchte ich darstellen. Es sind einmal die laufenden Preissteigerungen bei Medikamenten und zum anderen die erhebliche Belastung der Krankenversicherung durch die Krankenversicherung der Rentner, die nur zu einem geringen Teil von der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten getragen wird.Die Kostenexplosion bei den Medikamenten ist nicht eine Sache der Versicherten. Ihr ist nur durch ein Zusammenwirken der pharmazeutischen Industrie mit den Ärzten, den Krankenkassenverbänden und den Versicherten zu steuern.Die Reform der Krankenversicherung der Renter scheint mir eine vorrangige Aufgabe des Parlaments zu sein. Hiermit werden wir uns möglichst bald beschäftigen müssen, wenn wir nicht wollen, daß die Krankenkasse durch die Krankenversicherung der Rentner noch stärker belastet wird.Es werden weitere Aufgaben auf diese gesetzliche Krankenversicherung zukommen: die Notwendigkeit der Weiterentwicklung der Vorsorgeuntersuchungen, die Frage der Neuregelung der studentischen Krankenversicherung, die aber nicht zu Lasten der Beitragszahler gehen darf, alles Fragen, die uns sehr bald in diesem Hause zu beschäftigen haben. Heute aber begrüßen wir die jetzigen Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Krankenversicherung als sozialpolitische, als gesundheitspolitische, vor allen Dingen aber auch als eine familienfreundliche Maßnahme.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu diesem letzten, wohl einzigen versöhnlichen Tagesordnungspunkt dieser Woche, in dem volle Übereinstimmung im Ausschuß und anscheinend auch hier bei der Verabschiedung besteht, darf ich namens der freien demokratischen Fraktion folgende Erklärung abgeben.Wir Freien Demokraten begrüßen die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs. Wir begrüßen die in ihm niedergelegten neuen Leistungen in der Krankenversicherung. Wir begrüßen es vor allem, daß durch die Abschaffung der Krankenscheinprämie den Bedenken Rechnung getragen wird, die wir Freien Demokraten seinerzeit bereits bei der Einführung angemeldet haben, weil wir schon damals der Auffassung waren, daß die Prämie nicht geeignet ist, die Selbstverantwortung des einzelnen zu stärken, sondern an der gesundheits- wie sozialpolitischen Notwendigkeit einer aktiven Gesundheitsvorsorge vorbeigeht. Wir begrüßen es, daß durch den Wegfall der Krankenscheinprämie frei werdende Mittel in eine Richtung gelenkt werden können, in der wir lange die Notwendigkeit von Ergänzungen sahen. Wir freuen uns darüber, daß die Aussteuerung nunmehr vermieden werden kann, durch die gerade die von besonders schwerer Krankheit Betroffenen zweifellos in eine schwierige Notlage kamen, die bisher nicht zu überbrücken war. Von besonderer Bedeutung ist für uns Freie Demokraten fernerhin die Freistellung und der Krankengeldanspruch der berufstätigen Frau und Mutter, die ein erkranktes Kind zu betreuen hat. Diese Ausdehnung des Krankenversicherungsschutzes ist aus gesellschaftspolitischen Gründen für uns Freie
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Schmidt
Demokraten besonders geboten, um die noch offenen Lücken im System unserer sozialen Sicherung zu schließen, die auf Grund der zunehmenden Berufstätigkeit auch der verheirateten Frau entstanden sind. Die FDP macht mit der Zustimmung zu diesem Gesetz und insbesondere zu diesem letzten Punkt erneut deutlich, daß es ihr auch im Bereich der Sozialpolitik darum geht, den Veränderungen unserer Gesellschaft gerade auch hinsichtlich des neuen Rollenverständnisses der Frau Rechnung zu tragen.Wir stimmen dem Gesetzentwurf zu.
Das Wort hat Bundesminister Arendt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das zur Verabschiedung anstehende Leistungsverbesserungsgesetz wird von der Bundesregierung begrüßt und unterstützt. Das Gesetz ist ein weiterer Schritt, um den sozialen Schutz der versicherten Bevölkerung zu verbessern. Die Rechtsänderungen zielen vor allem auf eine Verbesserung der sozialen Lage der Familie und der erwerbstätigen Mütter ab.
Die Aufhebung der zeitlichen Begrenzung der Krankenhausbehandlung auf Kosten der Krankenkasse nimmt insbesondere den chronisch Kranken und den Schwerkranken eine große Sorge ab. Sie brauchen nicht mehr zu befürchten, daß sie noch die Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen.
Die Neuregelungen fügen sich sinnvoll in die Maßnahmen der Bundesregierung zur Weiterentwicklung der sozialen Krankenversicherung ein. So wird auch die Konsequenz daraus gezogen, daß sich die im Jahre 1970 eingeführte Krankenscheinprämie nicht bewährt hat. Der von der Bundesregierung vorgelegte Erfahrungsbericht ist hierfür die Grundlage. Auch die Sachverständigenkommission zur Weiterentwicklung der sozialen Krankenversicherung hat die Beseitigung der Krankenscheinprämie empfohlen. Ich meine, daß die bisher für die Prämienzahlung erforderlichen Beträge eine weitaus bessere Verwendung finden, wenn damit jetzt die vorgesehenen Leistungsverbesserungen finanziert werden.
Allerdings müssen diese Verbesserungen mit der Finanzsituation der Krankenversicherung abgestimmt werden. Diese Situation ist nicht befriedigend. Es werden vermehrte Anstrengungen gemacht werden müssen, um die steigenden Krankenkassenbeiträge zu bremsen. Die Bundesregierung ist bemüht, hierfür Vorschläge zu entwickeln. Wir wollen darauf hinwirken, daß der soziale Fortschritt in der Krankenversicherung auch finanziell abgesichert bleibt. In der Sachverständigenkommission zur Weiterentwicklung der sozialen Krankenversicherung wird dieser Punkt mit Vorrang erörtert.
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wir kommen zur Schlußabstimmung.
Wer dem Gesetz in der Ausschußfassung im ganzen zustimmen will, der erhebe sich. — Danke schön! Die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Wir müssen noch über Ziffer 2 des Ausschußantrages abstimmen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 7/464 für erledigt zu erklären. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur Fortsetzung des Punktes 1:
Fragestunde
— Drucksache 7/1044 —
Wir kommen zunächst zu den restlichen Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Ich rufe die Frage 88 des Herrn Abgeordneten Geldner auf. — Er ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 89 des Herrn Abgeordneten Milz! — Er ist ebenfalls nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 90, 91 und 92 werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden ebenfalls als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 93 des Herrn Abgeordneten Josten auf:
Wie weit ist der gesamte Bau der linksrheinischen Autobahn gediehen, und wann ist mit der Fertigstellung bzw. Freigabe von weiteren Teilstücken zu rechnen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär Haar!
Frau Präsidentin, Herr Kollege, von der Autobahn Krefeld–Ludwigshafen sind folgende Abschnitte in Betrieb, und zwar nach dem Stand 1. Oktober 1973: Anschlußstelle Kaldenhausen bis Gelsdorf — das sind 100,5 km —, Kreuz Koblenz bis AS Koblenz-Süd, Anschlußstelle Emmelshausen bis Bingen, das Kreuz Frankenthal bis Anschlußstelle Speyer und die Anschlußstelle L 722 bis Dreieck Hockenheim. Das sind insgesamt 189,3 km. Bis Ende 1975 wird die Bundesautobahn Krefeld–Ludwigshafen voraussichtlich zwischen der Bundesautobahn Venlo–Duisburg bei Moers und der Bundesautobahn Frankfurt–Karlsruhe bei Hockenheim in einer Gesamtlänge von rund 317 km dem Verkehr zur Verfügung stehen.Im einzelnen werden in den Jahren 1973, 1974 und 1975 folgende Abschnitte fertiggestellt: Gelsdorf bis Bad Neuenahr-Nord, Anschlußstelle Koblenz-Süd bis Anschlußstelle Emmelshausen; das gilt für das Jahr 1973. Für das Jahr 1974 darf ich folgende Abschnitte nennen: Anschlußstelle Moers bis Anschlußstelle Kaldenhausen, Anschlußstelle Men-dig bis Kreuz Koblenz, Pfeddersheim bis Kreuz Frankenthal, Anschlußstelle Speyer einschließlich Rheinbrücke Speyer bis Anschlußstelle L 722, und für 1975 Bad Neuenahr-Nord bis Anschlußstelle Mendig und Bingen bis Pfeddersheim.
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Parl. Staatssekretär HaarEs ist vorgesehen, die nördlich der Bundesautobahn Venlo–Duisburg liegende Teilstrecke der Bundesautobahn Krefeld–Ludwigshafen bis zur niederländischen Grenze innerhalb des 2. Fünfjahresplans für den Ausbau der Bundesfernstraßen zu bauen, d. h. in dem Zeitraum von 1976 bis 1980.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, angesichts der Verkehrsprobleme auf der B 9 zwischen Bonn und Brohl und den Ahrtal-Straßen dem Autobahnanschluß zwischen dem Koblenzer Kreuz und der Autobahn bei Gelsdorf eine höhere Priorität einzuräumen, nachdem Sie vorhin das Jahr 1975 genannt haben?
Herr Kollege, derartige Maßnahmen müssen, auch soweit es sich um Prioritäten im Einsatz der Investitionsmittel handelt, mit den Landesverkehrsverwaltungen abgestimmt werden. Ich kann Ihnen hier im Augenblick keine verbindliche Zusage geben, will das aber gern prüfen lassen.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir jetzt oder gegebenenfalls schriftlich mitteilen, ob in Ihrem Ministerium im Hinblick auf den Bau der linksrheinischen Autobahn der Bau einer Rheinbrücke bei Remagen/Sinzig weiter vorrangig geplant und in Angriff genommen wird?
Herr Kollege, das entzieht sich zumindest nach den mir für diese Fragestunde vorliegenden Unterlagen meiner Kenntnis. Ich will das gern prüfen und es Ihnen schriftlich mitteilen.
Wir kommen zu Frage 94 des Herrn Abgeordneten Dr. Evers. — Er ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, und die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 95 des Herrn Abgeordneten Hösl auf. — Auch diese Frage wird schriftlich beantwortet; die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zu den Fragen 96 und 97 des Herrn Abgeordneten Dr. Klein . — Der Kollege ist nicht im Saal; auch diese Fragen werden schriftlich beantwortet, und die Antworten werden in der Anlage abgedruckt.
Ich rufe dann Frage 98 des Herrn Abgeordneten Blank auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß der Ausbau des Flughafens Köln-Wahn auf etwa die doppelte Start- und Landekapazität, insbesondere durch Herstellung einer dritten Landebahn, bis zum Jahr 1985 notwendig und daher die Ausbauplanung unverzüglich in Angriff zu nehmen ist?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Blank, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß es richtig ist, wenn die „Flughafen Köln/Bonn GmbH" — wie übrigens alle Flughafenträger — interne Planungsüberlegungen über die Anpassung ihrer Anlagen an den Verkehrszuwachs anstellt. Die Bundesregierung hält es für nützlich und notwendig, daß sich die Flughafengesellschaft mit den Zukunftsfragen ihres Bereiches rechtzeitig planerisch auseinandersetzt.
Bitte schön, eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die für die dritte Landebahn notwendigen Flächen zur Zeit für Verteidigungszwecke genutzt werden und daß es deshalb außerordentlich schwierig sein wird, sie zu bekommen?
Das ist unserem Hause bekannt, Herr Kollege.
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte!
Ist Ihnen bekannt, daß diese Flächen auf Grund sehr starker Interventionen aus der Bevölkerung zumindest für Samstag/Sonntag von der Militärverwaltung freigekämpft worden sind und deshalb zu dem ohnehin knappen und begrenzten Freizeitraum des Bereiches um Köln gehören?
Herr Kollege, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Gelegenheit nähmen, das in meinem Hause mit zu erörtern. Ich werde mich gern bemühen, im Rahmen unserer Einflußmöglichkeiten zu einer klärenden Aussprache auch mit den verantwortlichen Herren im Vorstand der Flughafen-Gesellschaft zu kommen.
Ich rufe die Frage 99 des Abgeordneten Blank auf:
Wird der Ausbau des Flughafens Köln-Wahn dadurch dringlicher, daß der nach den Landesverkehrsplänen von Nordrhein-Westfalen geplante dritte Verkehrsflughafen im westfälischen Raum in überschaubarer Zeit nicht verwirklicht werden kann?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Eine erhöhte Dringlichkeit besteht unter den zur Zeit gegebenen Umständen nicht. Der Flughafen verfügt heute über ein Start- und Landebahnsystem von drei Bahnen. Die Gesellschaft beabsichtigt, dieses Bahnsystem bis etwa zum Jahre 1980 durch begrenzten Ausbau und Ergänzung der Instrumentierung leistungsfähiger zu machen. Darüber hinaus bemüht sich die Gesellschaft, im Rahmen der Gebietsentwicklungsplanung eine Erweiterungszone für eine weitere Bahn im Nordosten des Platzes zu sichern. Hierbei steht die Geländesicherung im Vordergrund. Die Verwirklichung ist — un-
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Parl. Staatssekretär Haarbeschadet der Schwierigkeiten bei der Planung eines dritten Verkehrsflughafens in Nordrhein-Westfalen — nicht dringlich.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß es zweckmäßiger wäre, statt dieser Erweiterung die Planung des dritten Flughafens voranzutreiben, um den ohnehin sehr dicht besiedelten Kölner Raum zu schonen?
Das hängt weitgehend von den planerischen wie von den Investitionsmöglichkeiten in Abstimmung mit dem zuständigen Lande ab, Herr Kollege.
Keine weitere Zusatzfrage? Danke schön.
Frage 100 des Herrn Abgeordneten Wagner wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zu Frage 101 der Frau Abgeordneten Verhülsdonk:
Ist die Bundesregierung bereit, bei der Unternehmensleitung der Deutschen Bundesbahn darauf zu drängen, daft auch der großen Zahl alleinstehender Rentner im Wege vorübergehend verbilligter Bahnfahrten das Reisen und der Besuch von Angehörigen, Freunden und Bekannten erleichtert wird, da sich viele alleinstehende Rentner, die keine Möglichkeit haben, für Reisen einen Partner zu finden, durch die nene Aktion der Deutschen Bundesbahn „Fahrt zusammen — spart zusammen" diskriminiert fühlen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Frau Kollegin, von einer Diskriminierung der älteren Mitbürger durch das neue Sonderangebot im Reiseverkehr „Fahrt zusammen — spart zusammen" kann im Grunde keine Rede sein. Die Vergünstigung kann bei Erfüllung der Voraussetzungen auch von älteren Mitbürgern in Anspruch genommen. werden.
Mit diesem Sonderangebot an jedermann ist die Bundesbahn zahlreichen Wünschen entgegengekommen. Sie hat damit ihre seit Beginn der Durchführung solcher Aktionen vor einigen Jahren geübte Praxis weitergeführt, jeweils verschiedene Bevölkerungskreise anzusprechen. Sie konnte dies um so mehr tun, als die Senioren bereits wiederholt und über längere Zeiträume hinweg begünstigt worden sind.
Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß die Bundesregierung die Bundesbahn nicht dazu veranlassen kann, bestimmte Personenkreise in die Sonderangebote im Reiseverkehr einzubeziehen. Die Entscheidung darüber, ob und in welcher Form Sonderaktionen durchgeführt werden, liegt beim Vorstand der Deutschen Bundesbahn. Der Bundesminister für Verkehr muß sich hier auf Anregungen beschränken; er tut dies bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
Ich darf vielleicht abschließend noch darauf hinweisen, daß unserem Hause natürlich klar ist, daß bei dieser Art des Sonderangebotes, Frau Kollegin, alleinstehende ältere Mitbürger nun nicht in den Genuß dieses Angebots kommen können. Sie dürfen sicher sein, daß wir bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit auf diesen Mangel im Angebot hinweisen, eine Weisung dafür aber nicht geben kennen.
Frau Kollegin, eine Zusatzfrage bitte.
Stimmt die Bundesregierung mir zu, daß es ein sehr großer Personenkreis von alleinstehenden älteren Mitbürgern ist, die keinen Partner finden — insbesondere ältere Frauen — und damit durch die derzeitige Regelung negativ betroffen sind?
Ich stimme darin zu, Frau Kollegin.
Eine weitere Zusatzfrage.
Sind Sie bereit, diesen Gesichtspunkt, daß Sie zustimmen, in der Intervention bei der Verwaltung der Bundesbahn auch zur Geltung zu bringen?
Ich habe das bereits positiv beantwortet, weise aber, Frau Kollegin, noch einmal auf die kaufmännische Verantwortung des Vorstandes nach dem Bundesbahngesetz hin.
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Kollege!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob bei der Auswahl der Personen, die nun vergünstigt reisen sollen, soziale Gesichtspunkte maßgebend waren? Oder anders gefragt: Ist die Auswahl so getroffen, daß gerade den sozial Schwächeren eine Möglichkeit eingeräumt wird, billig zu fahren? Wäre die Bundesregierung, wenn dies nicht der Fall ist, bereit, bei zukünftigen Angeboten, bei zukünftigen verbilligten Fahrten darauf hinzuwirken, daß gerade diesen sozial Schwächeren gegenüber eine Leistung erbracht werden muß?
Die Bundesregierung, Herr Kollege, hat sich in den bisherigen Gesprächen darum bemüht, daß dieses Angebot gerade sozial schwächeren Schichten unterbreitet wird.Im übrigen ist das jetzige Angebot auf Grund einer Marktanalyse des Vorstands der Bundesbahn erfolgt. Die letzte Aktion „Rosa-Zeiten" vom Dezember des vergangenen bis zum Januar dieses Jahres hat nicht das eingebracht, was sich der Vorstand errechnet hatte. Da dieser Gesichtspunkt auch
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Pari. Staatssekretär Haarfür die weiteren Überlegungen des Vorstandes gelten muß, haben wir zwar darauf hingewiesen, auf welchen Personenkreis nach der Auffassung des Bundesverkehrsministers auch künftig ein Angebot ausgerichtet werden sollte, aber die Form des Angebots muß dem Vorstand der Bundesbahn allein überlassen bleiben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß bei Zugrundelegung der von Ihnen hier selber eingeräumten Tatsache, daß es sich wohl um einen sehr großen Personenkreis von älteren Mitbürgern handelt, die auch von Allein-Reisen, die begünstigt sind, Gebrauch machen würden, in diesem Falle die große Zahl von Nachfragen die Sache für die deutsche Bundesbahn auch wirtschaftlich vertretbar machen würde?
Herr Kollege, ich wünschte mir eine so positive Stellungnahme Ihrer Fraktion, wenn es um die haushaltsmäßigen Entscheidungen für die Bundesbahn geht. Dann würde sich manche Diskussion um solche Angebote erübrigen.
Keine weiteren Zusatzfragen. — Die Fragen 102, 103, 104 und die Frage 47 des Herrn Abgeordneten Gerlach aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft die Frage 48 des Herrn Abgeordneten Freiherr Spies von Büllesheim auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß zunehmend staatliche Fuhrunternehmen aus Ostblockstaaten, insbesondere aus Bulgarien, für Transporte durch Deutschland im Verkehr zwischen Drittländern tätig sind, die infolge wesentlich geringerer Personal-, Steuer- und sonstiger Betriebskosten die Frachttarife bis zu 40 % unterbieten und dadurch deutsche Fernverkehrsbetriebe verstärkt aus traditionell ausgeübten Transportleistungen verdrängen, und wenn ja, kann die Bundesregierung im Interesse der deutschen Verkehrswirtschaft gegen diese Schleuderkonkurrenz etwas unternehmen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, Feststellungen der Bundesregierung haben nicht bestätigt, daß deutsche Unternehmer des Straßengüterverkehrs in verstärktem Maße von staatswirtschaftlichen Betrieben der Ostblockstaaten aus Beförderungen zwischen Drittländern, die im Transit durch die Bundesrepublik führen, verdrängt werden.
Im übrigen handelt es sich bei diesen Beförderungen — beispielsweise zwischen Teheran und Rotterdam — um Einzelverkehre von geringem Umfang.
Allerdings ist nicht zu verkennen, daß der Anteil des von Unternehmen aus Ostblockstaaten im Verkehr mit der Bundesrepublik Deutschland beförderten Warenaufkommens insgesamt eine zunehmende Tendenz aufweist. Die Bundesregierung ist insoweit bemüht, den deutschen Transportunternehmern einen angemessenen Anteil zu sichern.
Bitte, Herr Kollege, eine Zusatzfrage!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß der vermehrte Einsatz an der holländischen Grenze von zwei größeren deutschen Firmen, die sich an der Zonengrenze befinden, gesteuert oder sogar vollzogen wird? Wäre die Bundesregierung daran interessiert, die Namen zu erfahren, und wäre sie bereit, eine Überprüfung dieser Firmen daraufhin vorzunehmen, ob die Tarifvorschriften eingehalten werden?
Herr Kollege, der Bundesregierung sind die Details, die Sie hier ansprechen, im Augenblick nicht bekannt, zumindest nicht nach den Unterlagen, die ich aus meinem Hause zur Verfügung habe. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir weitere Angaben machen könnten; wir werden sie dann gerne prüfen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hupka.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben davon gesprochen, das Ganze habe nur einen geringen Umfang. Sind Sie in der Lage, uns zu sagen, wie gering dieser Umfang ist?
Ich will Ihnen das gerne schriftlich mitteilen, Herr Kollege.
Keine weiteren Zusatzfragen.Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr erledigt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch zur Verfügung.Die Frage 129 des Abgeordneten Dr. Zimmermann wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Die Fragen 130 und 131 des Herrn Abgeordneten Kahn-Ackermann sind zurückgezogen.Ich rufe die Frage 132 des Herrn Abgeordneten Zywietz auf:Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache des gewaltsamen Sturzes der legitimen Regierung Allendes in Chile in bezug auf die diplomatischen Beziehungen und die Fortführung der deutschen Entwicklungshilfe an Chile?Bitte, Herr Staatssekretär!
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Herr Abgeordneter, die Bundesregierung verbindet mit ihrer Entscheidung, diplomatische Beziehungen zu einem fremden Staat fortzuführen oder aufzunehmen, kein Werturteil über dessen Regierung. Sie handelt hierbei vielmehr im wohlverstandenen eigenen Interesse. Das gilt auch im Falle Chiles. Nachdem zweifelsfrei feststand, daß die neue Regierung die effektive Macht in ganz Chile ausübt und sich bereit erklärt hatte, ihre internationalen Verpflichtungen einzuhalten, haben wir durch unsere Botschaft in Santiago unsere Beziehungen zu Chile auf den üblichen diplomatischen Wegen fortgeführt. Erst hierdurch war die volle Funktions- und Arbeitsfähigkeit unserer Botschaft wiederhergestellt, die auch zum Schutze der zahlreichen deutschen Interessen in Chile — ich darf hier nur an die 10 000 bis 15 000 deutschen Staatsangehörigen erinnern — dringend erforderlich war. Die Fortsetzung der normalen diplomatischen Beziehungen zu Chile erleichterte bekanntlich auch die Freilassung von sechs deutschen Staatsangehörigen, die nach dem Statasstreich inhaftiert worden waren.
Frau Präsidentin, ich hatte vorgesehen, die nächste Frage mit zu beantworten.
Wenn der Fragesteller einverstanden ist.
— Dann rufe ich auch noch die Frage 133 des Herrn Abgeordneten Zywietz auf:
Sieht die Bundesregierung insbesondere die Wirksamkeit der deutschen Entwicklungshilfe an Chile angesichts der Machtübernahme durch das dortige Militär für gewährleistet an?
Eine objektive Beurteilung der Lage in Chile und der weiteren Entwicklung ist zur Zeit mangels ausreichender und umfassender Informationen noch nicht möglich. Insbesondere sind die Absichten der neuen chilenischen Regierung hinsichtlich ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik noch nicht deutlich genug erkennbar. Erst noch Klärung dieser Frage kann die Haltung der Bundesregierung zu ihrer künftigen Entwicklungshilfe an Chile endgültig festgelegt werden.
Generell hält die Bundesregierung an ihrer Haltung fest, daß Entwicklungshilfe weder ein Instrument kurzfristiger tagespolitischer Erwägungen noch ein Instrument zur Einmischung in innere Verhältnisse anderer Länder ist. Die Bundesregierung hat in keinem Falle die Gewährung von Entwicklungshilfe vom Fortbestand der jeweiligen Regierung des Entwicklungslandes abhängig gemacht. Wirkungsvolle Entwicklungspolitik kann nicht an tagespolitischen Veränderungen ausgerichtet werden, sondern hat sich an langfristigen Entwicklungsperspektiven zu orientieren.
Es gilt als weiterer Grundsatz, unsere Entwicklungshilfe primär an den Bedürfnissen der Menschen auszurichten, unabhängig von unserer Einstellung zu einer Regierung oder Regierungsform. Unsere Hilfe kann jedoch nur dort wirkungsvoll im
Sinne unserer entwicklungspolitischen Konzeption sein, wo soziale und wirtschaftliche Ziele im Interesse der ganzen Bevölkerung aktiv verfolgt werden. Die Bundesregierung wird völkerrechtlich eingegangene Verpflichtungen auch gegenüber der neuen chilenischen Regierung erfüllen. Sie wird außerdem auch in Zukunft bereit sein, für in Not befindliche Menschen humanitäre Hilfe zu leisten. Im übrigen wird die Bundesregierung zu gegebener Zeit prüfen, ob einzelne Hilfsmaßnahmen noch im Sinne ihrer entwicklungspolitischen Zielsetzung durchgeführt werden können. So besteht auch der Grundsatz, dorthin keine Hilfeleistungen zu geben, wo Kampfhandlungen stattfinden.
Hinsichtlich der Sicherheit deutscher Experten der Technischen Hilfe sowie des DED darf festgestellt werden, daß kein Experte zu Schaden gekommen oder verhaftet ist.
Zusatzfrage? — Bitte, Herr Kollege!
Herr Staatssekretär, Sie führten aus, daß die Entwicklungshilfemaßnahmen nicht vom Fortbestand der jeweiligen Regierung abhängig gemacht werden. Macht es aber bei der Ausgestaltung der auswärtigen Beziehungen und der Maßnahmen der Entwicklungshilfe einen Unterschied, ob eine Regierung auf demokratische Weise oder durch Gewaltmaßnahmen abgelöst wird?
Herr Abgeordneter, zwischen auswärtigen Beziehungen und Entwicklungshilfe muß unterschieden werden. Die Tatsache, daß eine Fülle von Ländern Entwicklungshilfe bekommt, die unseren Vorstellungen von Verfassung und Regierung nicht entsprechen, beantwortet Ihre Frage.
Weitere Zusatzfragen? — Das ist nicht der Fall.
Frage 134 des Herrn Abgeordneten Dr. Schwenke:
Ist die Bundesregierung gewillt, ihre Politik gegenüber Chile nach dem Militärputsch gegen die demokratisch gewählte Regierung Allende dahin gehend zu überprüfen, daß sie die Entwicklungshilfeleistungen einstellt und damit — wie schon Schweden — gegen den Akt militanter Gewalt demonstriert?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, ich habe in meiner Antwort auf die Frage des Herrn Kollegen Zywietz bereits eingehend den Standpunkt der Bundesregierung dargelegt. Ich gehe davon aus, daß damit auch Ihre Frage beantwortet ist. Sie ist im Inhalt den beiden beantworteten Fragen gleich.
Zusatzfrage. Herr Kollege Schwenke, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie dann die Ihnen doch sicher bekanntgewordene Auffassung der schwedischen Regierung, vorläufig die Entwicklungshilfe auszusetzen, um
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1973 3177
Dr. Schwenkenicht eine durch die Ablösung der demokratisch gewählten Regierung auf nicht legitimem Wege zustande gekommene Regierung indirekt zu unterstützen?
Herr Abgeordneter, es steht der Bundesregierung nicht zu, Maßnahmen anderer Regierungen zu beurteilen. Wir haben unsere Entscheidung getroffen, die Beziehungen fortzusetzen. Ich habe soeben dargelegt, daß es Verträge gibt, die eingehalten werden müssen, wenn die Voraussetzungen zur Einhaltung auf der anderen Seite auch bestehen. Ich habe die entsprechenden Vorbehalte hier angemeldet und gesagt, wann wir unter Umständen eine Prüfung vornehmen werden. Die Meinung, die früher, z. B. auch in diesem Hause, ebenfalls vorhanden war, man solle etwa der Regierung Allende gegenüber Entwicklungsprojekte einstellen, weil sie sich damals in der Frage der DDR-
Anerkennung nicht so verhalten habe, wie es unseren Verhandlungsinteressen entsprochen habe, haben wir ebenfalls mit dem Hinweis zurückgewiesen, daß das zwei unabhängig voneinander gegebene Tatbestände seien. Ich selbst habe in Chile deutlich zum Ausdruck gebracht, daß davon Abmachungen anderer Art nicht berührt werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, ist es richtig, wenn ich Sie so verstehe, daß in Ihrem Hause und, ich möchte meinen, in enger Zusammenarbeit mit dem Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, überprüft wird, welche Leistungen der Entwicklungshilfe möglicherweise storniert werden könnten und welche Schritte im Augenblick aus Humanitätsgründen auch jetzt erfolgen mußten?
Herr Abgeordneter, alles, was die Bundesregierung tut, geschieht in enger Abstimmung der betroffenen Ressorts. Es ist nicht die Frage, ob man etwas stornieren kann, sondern ob man etwas stornieren muß, weil sich die von mir vorhin genannten Voraussetzungen eventuell geändert haben.
Völlig unbestritten ist — ich hoffe, Sie teilen diese Auffassung —, daß wir die humanitären Hilfen, die wir ohnedies vor dem Umsturz in Chile vorgesehen hatten, wie z. B. Weizenlieferungen, gewähren und die Lieferungen zu dem vorgesehenen Zeitpunkt nach Chile verladen müssen und werden, weil wir gerade damit der dort herrschenden Not am ehesten entgegensteuern können.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneeten Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, dient die Entwicklungshilfe dazu, Regierungen zu stützen,
oder dient Entwicklungshilfe dazu, das Schicksal die Lebensbedingungen der Menschen in einem Lande zu fördern?
Herr Abgeordneter, ich habe bereits dargelegt, daß der Grundsatz, daß diese Hilfe den Völkern zugute kommen muß, völlig unbestritten ist und sein muß. Aber es ist auch in anderer Form nicht abzustreiten, daß etwa wirtschaftliche Kooperation — nicht unbedingt Entwicklungshilfe — mit Staaten, deren Regierungen nicht unseren Wertvorstellungen entsprechen, trotzdem richtig ist. Neuerdings ist es, wie ich in der Debatte dieser Woche hörte, auch bei der Opposition unbestritten, daß man selbstverständlich auch über solche Regierungen den Völkern Hilfe zukommen lassen muß, weil es keine andere Möglichkeit dafür gibt. Also nicht unsere Beurteilung vom Wesen einer Regierung ist entscheidend, sondern die Frage, was insgesamt im Interesse der beiderseitigen Beziehungen der Völker liegt. Das gilt nach Osten wie nach Westen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Auffassung des CDU-Abgeodrneten Gewandt, der die Erhöhung der Entwicklungshilfe für Chile in einem Augenblick forderte, als Menschenleben zu Schaden kamen, als die Verfassung außer Kraft gesetzt wurde, im Verhältnis zu der Auffassung des CDU-Abgeordneten Rollmann, der die Einstellung der Entwicklungshilfe forderte, als deutsche Vermögenswerte in Gefahr geraten sein sollten?
Herr Abgeordneter, entschuldigen Sie bitte, diese Frage können Sie so nicht stellen. Sie können die Regierung nicht nach den Äußerungen anderer Kollegen befragen. Die Frage kann ich nicht zulassen.
— Das ist eine andere Frage.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mertes.
Herr Staatssekretär, wären Sie so freundlich, das Wort „neuerdings von der Opposition anerkannt wird" etwas zu kommentieren?
Ja, Herr Abgeordneter, das will ich gern tun. Es gab in den Reihen der Opposition vor einigen Jahren — nicht in diesem Bundestag — Kräfte, die der Meinung waren, daß z. B. jeder Kontakt mit der DDR unterbleiben müsse und daß man am besten etwa ein Wirtschaftsembargo einrichten müsse, weil man sonst, wenn man etwa wirtschaftlich zusammenarbeite, auch die jeweilige Regierung stütze. Ich nehme an, Herr Abgeordneter,
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3178 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1973
Parl. Staatssekretär Moerschdaß Ihnen einzelne Ihrer Kollegen bekannt sind, diediese Meinung — heute allerdings nicht mehr laut— vertreten.
— Das Röhrenembargo ist ein markantes Beispiel. Ich danke für den Zwischenruf. — Sie kennen Fälle, wo z. B. die jetzigen Regierungsparteien anderer Meinung waren als die gesamte CDU/CSU. — Herr Abgeordneter, ich bitte zu verstehen, daß man nicht immer im einzelnen differenzieren kann. Wenn man Namen nennt, wird man sicherlich manchen Leuten nicht gerecht, die inzwischen ihre Meinung geändert haben.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe Frage 135 des Herrn Abgeordneten Dr. Franz auf. — Er ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 136 des Abgeordneten Höcherl und die Fragen 137 und 138 des Abgeordneten Kater werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Frage 139 des Abgeordneten Roser ist zurückgezogen.
Frage 140 des Herrn Abgeordneten Gierenstein!
Er ist nicht im Raum; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 141 des Abgeordneten Wagner wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 142 des Herrn Abgeordneten Hupka:
Was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu unternehmen, daß die Botschaft der Volksrepublik Polen die Forderung an Besuchsreisende aus der Bundesrepublik Deutschland stellt, „Der Geburtsort, der sich in der Volksrepublik Polen befindet, darf im Visaantrag nur in polnischer Ortsbezeichnung angegeben werden", zumal diese Forderung einer deutsch-polnischen Übereinkunft zuwiderläuft, derzufolge Geburtsorte bis 1945 in deutscher und nach dem 8. Mai 1945 in polnischer Sprache anzugeben sind?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, Sie haben bereits am 23. Februar dieses Jahres vor diesem Hohen Haus die Frage der Geburtsortsbezeichnung in Pässen angeschnitten. Damals hatte ich den Inhalt der deutsch-polnischen Absprache sowie der innerdeutschen Vorschriften dargestellt. Die Absprache gilt auch für die Geburtsortsbezeichnung in den Visaanträgen. Sollte von Visum-Bewerbern die Eintragung einer Geburtsortsbezeichnung verlangt werden, die nicht der Absprache entspricht, so ist das Auswärtige Amt bereit, solchen Beschwerden nachzugehen, was es auch bereits getan hat.
Zusatzfrage, Herr Fragesteller?
Herr Staatssekretär, wäre es aber nicht vielleicht ein besserer Weg, nicht den einzelnen Widrigkeiten nachzugehen, sondern unmittelbar ein Gespräch mit der Vertretung der
Volksrepublik Polen zu führen? Denn es steht ja in den Formularen: das Visum wird nur erteilt, wenn der Geburtsort in der polnischen Angabe bezeichnet wird.
Herr Abgeordneter, nach unserer Meinung ist die Vereinbarung klar, und die polnische Vertretung kennt unseren Standpunkt hierzu. Ich habe hier eine Aufzeichnung, aus der hervorgeht, daß in der Tat die Handhabung unterschiedlich gewesen ist. Aber ich gehe davon aus, daß das eben dann nicht die allgemeine Praxis ist.
Zusatzfrage!
Können Sie mir darin zustimmen, Herr Staatssekretär, daß denjenigen, die ein derartiges Visum beantragen und die sich weigern, der polnischen Anordnung genüge zu tun, ein Nachteil entsteht, indem sie dann die Reise nicht antreten können?
Wenn das so wäre, hätten sie recht. Aber wir haben je gerade das Gespräch gesucht, um diese Schwierigkeiten auszuräumen. Ich vertraue darauf, daß die getroffene Vereinbarung auch umfassend angewandt wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Herr Staatssekretär, Sie sagten, Sie sind Einzelheiten nachgegangen. Was ist dabei in diesen Angelegenheiten veranlaßt worden zur Durchsetzung der Schutzpflicht nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil, die gegenüber allen deutschen Staatsangehörigen, auch soweit sie nicht in der Bundesrepublik sind, besteht?
Herr Abgeordneter, wir haben hier keine Gerichtsurteile heranziehen müssen, sondern wir haben im Gespräch mit der anderen Seite im Sinne der Petenten gehandelt.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke dem Herrn Staatssekretär des Auswärtigen. Damit sind die Fragen an dieses Ressort erledigt.Ich rufe auf: Geschäftsbereich des Bundesministers des innern. Der Herr Bundesminister steht selber zur Verfügung.Fragen 1 und 2 des Herrn Abgeordneten Sieglerschmidt! — Er ist nicht im Saal; die Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Frage 3 des Herrn Abgeordneten Milz:Geht die Bundesregierung davon aus, daß diejenige Rechtsauffassung, wonach die deutsche Staatsangehörigkeit derjenigen deutschen Volkszugehörigen bestätigt wird, denen die deutsche
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1973 3179
Präsident Frau RengerStaatsangehörigkeit auf Grund der Verordnung vom 4. März 1941 verliehen worden war, im Warschauer Vertrag ausreichend Berücksichtigung gefunden hat und entsprechend geregelt wurden ist?Bitte, Herr Bundesminister!
Im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen beantworte ich Ihre Frage wie folgt:
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Durch den Abschluß dieses Vertrages gehen keiner Person Rechte verloren, die ihr nach den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Gesetzen zustehen.
Zusatzfrage? — Herr Kollege!
Herr Minister, gilt auch für die Bundesregierung die von mir angezogene Verordnung vom 4. März 1941, bezogen auf die deutsche Staatsangehörigkeit, und ist die Bundesregierung der Auffassung, daß gegenüber der Volksrepublik Polen auf diesen Umstand mit Nachdruck hingewiesen werden sollte?
Herr Abgeordneter, ich habe schon verlesen, was der Bundesminister des Auswärtigen vor Unterzeichnung des Vertrages zum Ausdruck gebracht hat. Das ist eine deutliche Wahrung des Rechtsstandpunktes der Bundesregierung.
Zusatzfrage.
Herr Minister, ist die Bundesregierung bereit, die Volksrepublik Polen mit allem Nachdruck auf ihre ungerechtfertigte Nichtbeachtung dieser Verordnung hinzuweisen, um so dazu beizutragen, daß die Familienzusammenführung sich reibungsloser vollzieht, als das zur Zeit der Fall ist?
Herr Abgeordneter, ich glaube, daß gerade humanitäre Fragen — und dazu gehört die Familienzusammenführung — an ihrem Erfolg zu messen sind, ohne daß man darüber spektakuläre Auseinandersetzungen führen sollte.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Herr Minister, da die Schutzpflicht aus der Staatsangehörigkeit folgt und
zu den Grundrechten gehört, muß ich doch fragen:
Was wird die Bundesregierung in Zukunft tun, um die notwendige Wahrnehmung der Schutzpflicht, von der auch im Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vorn 31. Juli 1973 die Rede ist, durchzusetzen, um so mehr, als vom Bundesverfassungsgericht die Rechtsauffassung vertreten wird, daß nicht nur ein rechtswidriges Handeln zu unterlassen ist, sondern auch der Schutz der Grundrechte aktiv durch den Staat zu betreiben ist?
Herr Abgeordneter, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes bedeutet für die Bundesregierung eine Bestätigung ihrer Auffassung und hat nicht etwa den Charakter einer notwendigen Nachhilfe in Rechtsfragen.
Aus diesem Grunde führt die Bundesregierung ihre Bemühungen um Familienzusammenführung fort, so wie sie auch schon vor dem Urteil mit großer Energie betrieben wurden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Wir kommen zu Frage 4 des Herrn Abgeordneten Spranger. — Der Abgeordnete Spranger ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 5 des Herrn Abgeordneten Dr. Vohrer auf:
Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, uni das von ihr vertretene Verursachungsprinzip im Umweltschutzbereich nicht nur für die Beseitigung des Altnils, sondern auch für andere Produkte wie Autowracks, Reiten, Verpackungsmaterial, Einwegflaschen usw. zu verwirklichen?
Bitte, Herr Bundesminister!
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat sich in ihrem Umweltprogramm zur konsequenten Anwendung des Verursacherprinzips bekannt. Von diesem Motiv hat sie sich bei den von ihr vorgelegten Entwürfen zu Umweltschutzgesetzen leiten lassen, was insbesondere auch beim Abfallbeseitigungsgesetz zum Ausdruck kommt. Ein Beispiel dafür, wie sich das Verursacherprinzip in der Praxis bewährt hat, stellt das von Ihnen erwähnte Altölgesetz dar. Danach können Besitzer von Altöl grundsätzlich eine kostenlose Abholung von Altöl verlangen. Hierbei und für Aufbereitung oder unschädliche Beseitigung entstehende Kosten werden durch Zuschüsse aus einem Rückstellungsfonds gedeckt. Der Rückstellungsfonds wiederum wird vom Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft verwaltet und aus einer Abgabe gebildet, die bei Frischöl erhoben wird.Während der parlamentarischen Beratungen über das Abfallbeseitigungsgesetz hat der Bundestag die Bundesregierung ersucht, bis zum 31. Dezember 1973 über den Stand der Beseitigung von Autowracks und Altreifen zu berichten. Dieser Bericht wird zur Zeit auf der Grundlage von eingehenden Untersuchungen vorbereitet und wird unter Berücksichtigung der Regelung des „Modells" Altölgesetz Hinweise
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3180 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1973
Bundesminister Genscherenthalten, welche Maßnahmen zu einer befriedigenden Lösung des Problems beitragen können. Die Verwirklichung des Verursacherprinzips wird bei diesen Überlegungen ein wichtiger Gesichtspunkt sein. Ich weise hier bereits darauf hin, daß die Bemühungen, Abfälle möglichst vollständig zu verwerten und eine Art Rohstoffkreislauf herzustellen, bei der Autowrackbeseitigung am weitesten gediehen sind. Hierbei hat sich vor allem der Einsatz von Shredderanlagen sehr bewährt. Bei diesem Verfahren werden Autowracks maschinell in faustgroße Stücke zerschlagen. Der gewonnene Schrott besitzt einen hohen Reinheitsgrad. 18 Shredderanlagen sind in der Bundesrepublik Deutschland schon im Einsatz. Die Errichtung weiterer Anlagen ist geplant. Das Verfahren ist zur Zeit durchaus wirtschaftlich. Gewisse Schwierigkeiten verursachen allerdings noch die erhöhten Kosten für Transport von Autowracks aus verkehrsmäßig schlecht erschlossenen Gebieten und bei längeren Transportwegen.Zur Frage von Verpackungsmaterial und Einwegflaschen ist zu sagen, daß die Bundesregierung auf Grund des § 14 des Abfallbeseitigungsgesetzes ermächtigt ist, diese Produkte bestimmten Beschränkungen oder Verboten zu unterwerfen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß es durch die Entwicklung und den Ausbau von Recycling-Verfahren möglich ist, die Menge dieser Abfälle beträchtlich zu reduzieren. Recycling-Verfahren sollen dazu dienen, die überwiegende Masse an Abfällen als „Rohstoffe am falschen Ort" in den Produktionsprozeß wieder einzugliedern. Ein weit gespanntes Recycling-Programm der Bundesregierung, das sich zur Zeit in Vorbereitung befindet, wird mögliche Maßnahmen zur Förderung der Wiederverwertung und. Weiterverwendung aufzeigen. Von dem Erfolg dieser Maßnahmen wird es abhängen, für welche Stoffe, die nicht der Wiederverwertung zugeführt werden können, von der Ermächtigung des § 14 des Abfallbeseitigungsgesetzes Gebrauch gemacht werden muß.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Kollege, bitte!
Herr Minister, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß die Bundesregierung bereit ist, in Bälde einen Gesetzentwurf vorzulegen, der dem Verursacherprinzip entsprechend Umweltprobleme hinsichtlich der Beseitigung von Abfallstoffen und des Recycling von Rohstoffen in umfassender Art besser regelt, als dies zur Zeit der Fall ist?
Herr Abgeordneter, dieser Vorschlag, der in Ihrer Frage liegt, gehört mit zu den Alternativen, die wir zu prüfen haben. Wir werden dazu in dem zum Jahresende zu erstattenden Bericht Stellung nehmen. Ich habe Sympathie für diesen Vorschlag.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Dr. Vohrer auf:
Welche Maßnahmen sind vorgesehen, um das Recycling von Rohstoffen anzukurbeln?
Bitte, Herr Bundesminister!
Schon heute werden Altöl und Autowracks weitgehend dem Rohstoffkreislauf wieder zugeführt. Dabei sind der Wirtschaftlichkeit der Altautoverwertung dadurch Grenzen gesetzt, daß der teilweise weite Transport zu den zentralen Verschrottungsanlagen mit hohen Kosten verbunden ist. Für Altreifen und andere Produkte sind zahlreiche Recycling-Verfahren in der Erprobung.
Wie schon erwähnt, erstellt die Bundesregierung zur Zeit ein umfassendes Recycling-Programm. Es ist als Ergänzung des Umweltprogramms anzusehen und soll bis Ende 1974 vorliegen. Eine Projektgruppe, in der Sachverständige aus den verschiedensten Bereichen vertreten sind, wird auf der Grundlage sorgfältiger Bewertungen einen Katalog kurz- und langfristiger Maßnahmen zur Förderung des Recycling von Rohstoffen zusammenstellen. Im Rahmen dieser Arbeiten werden u. a. sowohl Fragen der Technologie als auch mögliche Auswirkungen gesetzlicher Regelungen geprüft werden.
Diese Hinweise, Herr Abgeordneter, mögen verdeutlichen, daß sich die Bundesregierung intensiv um eine befriedigende Lösung dieses Problems bemüht.
Gegenwärtig ist in einigen Bereichen ein Ansteigen der Rohstoffpreise zu beobachten. Damit verschiebt sich die Wirtschaftlichkeitsschwelle zugunsten des Recycling. Schon heute erreicht beispielsweise in der Papierproduktion der Altpapieranteil rund 50 %, in der Stahlerzeugung der Schrottanteil rund 40 %. Die Bundesregierung will diesen Prozeß jedoch nicht sich selbst überlassen. An den erwähnten Beispielen wurde deutlich, daß sie sich bemüht, neue Möglichkeiten für ein gesteigertes Recycling zu schaffen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, teilen Sie mit mir die Auffassung, daß hier zwei Komponenten vorhanden sind, eine technische und eine politische, und daß bislang die technische Komponente gegenüber der politischen zu sehr im Vordergrund stand?
In den konzeptionellen Arbeiten, die die Regierung im Augenblick leistet und von denen ich gesprochen habe, wird der politische Gesichtspunkt stärker zum Ausdruck kommen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Mertes.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1973 3181
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, in Ihrem Hause prüfen zu lassen, ob es für das schöne englische Wort „Recycling" auch ein schönes deutsches Wort gibt?
Ich werde mich darum bemühen, Herr Abgeordneter.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Konrad.
Herr Minister, würden Sie im Rahmen Ihrer Überlegungen zum Recycling der Papierindustrie und damit der Wiederverwendung von Altpapier und zur Papierherstellung geeigneten Textilien einen besonderen Schwerpunkt einräumen?
Ja, das gehört mit dazu.
Keine Zusatzfrage mehr.
Die Fragen 7, 8, 9 und 10 werden auf Wunsch der Fragesteller — das sind die Abgeordneten Dr. Dollinger, Freiherr von Fircks und Pensky — schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 11 des Abgeordneten Hansen wird schriftlich beantwortet, da der Fragesteller nicht im Saal ist. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 12 des Abgeordneten Flämig wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Fragen 13 und 14 des Abgeordneten Dr. Gruhl auf:
Warum sind die Rechtsverordnungen zum Abfallbeseitigungsgesetz vom 7. Juni 1972 noch nicht vorgelegt worden, und wann ist damit zu rechnen?
Sind die Bundesländer wegen des Fehlens der Rechtsverordnungen bei der Durchsetzung des Abfallbeseitigungsgesetzes in irgendeiner Weise behindert?
Bitte, Herr Bundesminister!
Die Arbeiten an den Entwürfen zu den nach dem Abfallbeseitigungsgesetz des Bundes zu erlassenden Rechtsverordnungen sind unverzüglich nach Inkrafttreten des Abfallbeseitigungsgesetzes aufgenommen worden. Es handelt sich dabei um Vorschriften, für deren Ausarbeitung zum Teil umfangreiche wissenschaftliche Untersuchungen und insbesondere die bei den Ländern gemachten Erfahrungen benötigt werden. Ich darf darauf hinweisen, daß in einer Reihe von Ländern nach Anweisungen gehandelt wird, deren Auswirkung wir im Augenblick überprüfen.
Am weitesten fortgeschritten ist der Entwurf einer Rechtsverordnung nach § 13 des Abfallbeseitigungsgesetzes, in der das Antragsverfahren beim grenzüberschreitenden Verkehr mit Abfällen bundeseinheitlich geregelt werden soll. Der Entwurf ist am
22. Juni dieses Jahres an die Bundesländer zur Stellungnahme übersandt worden. Eine abschließende Stellungnahme der Länder steht jedoch noch aus.
Die Arbeiten an den Entwürfen für die Verordnungen nach § 11 über Modalitäten der Anzeige und Überwachung der Beseitigung von Sonderabfällen und nach § 12 über Vorschriften des Antragsverfahrens für Einsammlungs- und Beförderungsgenehmigungen werden so weit beschleunigt, daß sie im November dieses Jahres zusammen mit dem Entwurf nach § 13 mit den Ländern abschließend erörtert werden können.
Die Formulierung der Rechtsverordnung nach § 15 des Abfallbeseitigungsgesetzes über das Aufbringen von Abwasser und ähnlichen Stoffen setzt voraus, daß die in diesem Fall besonders schwierigen wissenschaftlichen und fachlichen Fragen ausreichend geklärt werden. Das Bundesgesundheitsamt führt die Vorarbeiten in meinem Auftrag durch und soll hierzu bis zum März 1974 ausführlich berichten. Nach Vorliegen des Ergebnisses dieses Forschungsauftrages wird die Formulierung der Rechtsverordnung unverzüglich vorgenommen werden.
Die Entscheidung, ob und wann eine Rechtsverordnung nach § 14 über Verpackungen und Behältnisse erlassen wird, soll vom Ausmaß der Schwierigkeiten abhängig gemacht werden, die von den Abfällen ausgehen, die nach einer weitgehenden Durchführung von Recycling-Verfahren — ich muß in diesem Augenblick das Wort noch gebrauchen — nicht erfaßt werden können. Ich darf auf meine näheren Ausführungen in der Antwort auf die Fragen des Herrn Abgeordneten Dr. Vohrer in dieser Fragestunde hinweisen.
Das Abfallbeseitigungsgesetz als solches kann schon jetzt voll praktiziert werden; denn die Vorschriften des Abfallbeseitigungsgesetzes des Bundes über die Überwachung der Beseitigung nach § 11 und die Genehmigung der Einsammlung und Beförderung nach § 12 sind seit dem Inkrafttreten des Gesetzes vollziehbares und anwendbares Recht. Die Bundesländer sind weder in der Überwachung der Abfallbeseitigung noch in der Aufsicht der Einsammlung und Beförderung behindert.
Auch das Land Hessen teilt diese Auffassung. Der Umweltbericht der hessischen Landesregierung 1973 sagt dazu wörtlich — ich zitiere —:
Der praktikable Vollzug des Bundesgesetzes auf der Grundlage der für Hessen bereits vorliegenden Gesamtkonzeption der Abfallbeseitigung ist sichergestellt.
Bitte, eine Zusatzfrage!
Herr Bundesminister, stehen Sie noch zu Ihrer Erklärung aus dem vorigen Jahr, wonach Ihr Haus die Rechtsverordnungen bereits vorbereitete, während die entsprechenden Gesetze noch beraten wurden? Wahrscheinlich wurde das in diesem Fall nicht so abgewickelt.
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3182 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1973
Herr Abgeordneter, das, was Sie sagen, gilt z. B. für die Rechtsverordnungen zur Ausführung des noch in der Beratung befindlichen Immissionsschutzgesetzes, weil die Durchführung dieses Gesetzes davon abhängig ist, daß die entsprechenden Rechtsverordnungen zur gleichen Zeit vorgelegt werden. Das wird geschehen.
Bei den hier in Rede stehenden Rechtsverordnungen ging es darum, auf der einen Seite bestimmte wissenschaftliche Ergebnisse noch auszuwerten, auf der anderen Seite aber auch gewisse Erfahrungen bei der Anwendung des Gesetzes mit zu berücksichtigen. Ich bitte zu beachten, daß wir hier ein für die deutsche Gesetzgebung neues Rechtsgebiet beschritten haben, das übrigens auch international ohne Beispiel ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
Dr. Gruhl : Herr Bundesminister, teilen Sie angesichts Ihrer letzten Ausführungen meine Ansicht, daß die entsprechenden Abteilungen Ihres Hauses eventuell zu schwach besetzt sind?
Herr Abgeordneter, das ist an sich nicht der Grund. Ich sagte schon, daß auch in stärkerer Besetzung der Abteilungen die von mir genannten Gründe nicht hätten überwunden werden können, nämlich notwendige Erfahrung und wissenschaftliche Erkenntnis.
Es besteht aber kein Zweifel, daß nach Aufnahme der Arbeit des Umweltbundesamtes hier eine wesentliche Unterstützung gerade der Arbeit in diesem Bereich zu erwarten ist. Denn nach dem Errichtungserlaß wird es zu den Aufgaben dieses Amtes gehören, die Bundesregierung bei der Vorbereitung von Rechtsverordnungen zu unterstützen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, wie erklären Sie es sich angesichts Ihrer Antwort auf meine Frage — die Länder seien an der Durchsetzung des Abfallbeseitigungsgesetzes nicht gehindert , daß in Hessen dennoch dieses Gesetz über Jahre hinaus offensichtlich nicht entsprechend angewandt worden ist?
Herr Abgeordneter, ich glaube, wir werden es immer wieder mit Fällen zu tun haben, in denen Rechtsbrecher gegen Gesetze, auch gegen Strafbestimmungen, verstoßen. Sie werden bemerken, daß das in allen Rechtsgebieten und nicht nur im Bereich des Umweltschutzes passiert.
Es besteht doch gar kein Zweifel, daß die neue Rechtsmaterie, die geschaffen wurde, natürlich auch die Länder bei der Überwachung der Einhaltung dieser Gesetze vor erhebliche Probleme gestellt hat.
Eine letzte Zusatz- frage des Fragestellers.
Herr Bundesminister, teilen Sie die Ansicht der hessischen Landesregierung, wonach weitere Gesetze zur Lösung der Abfallbeseitigung nötig sind?
Ich glaube, daß sich das mehr auf Rechtsverordnungen bezieht. Aber ich bin gern bereit, wenn konkrete Vorschläge gemacht werden, sie zu überprüfen.
Herr Abgeordneter Gerster, eine Zusatzfrage.
Herr Minister, trifft es zu, daß die Vorlage der Nachweisbücher, die in § 11 des Abfallbeseitigungsgesetzes vorgesehen sind, erst verlangt werden kann, wenn die entsprechenden Rechtsverordnungen ergangen sind?
Nein, das trifft nicht zu.
Herr Abgeordneter Erhard.
Herr Minister, Sie erwähnten die Richtlinien, die in einigen Ländern anstelle der vorgesehenen Verordnung praktiziert würden. Werden diese Richtlinien auch
im Lande Hessen praktiziert?
Herr Abgeordneter, es handelt sich um unterschiedliche Richtlinien in den einzelnen Bundesländern. Wir wollen aus der unterschiedlichen Handhabung Erfahrungen für die von uns zu erlassenden Rechtsverordnungen sammeln. Ich entnehme hier einer Notiz, daß es solche Richtlinien in Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein gibt, und zwar für die Überwachung des Transports der Sonderabfälle durch einen Begleitschein. Außerdem gibt es einen ähnlichen Erlaß im Land Nordrhein-Westfalen. Ich bin im Moment überfordert, wenn Sie mich fragen, ob es einen solchen Erlaß auch in Hessen gibt.
Eine zweite Zusatzfrage:
Nein, Sie haben nur eine Zusatzfrage.
Ich habe zu Frage 13 eine Zusatzfrage gehabt, Frau Präsidentin. Zur Frage 14 hätte ich auch noch eine Zusatzfrage.
Ja, dazu dürfen Sie auch eine Zusatzfrage stellen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1973 3183
Danke schön. — Herr Minister, welche Behörden sind nach Ihren Informationen und Feststellungen für die Beseitigung giftiger Abfallprodukte nach dem geltenden Recht zuständig?
Herr Abgeordneter, Behörden sind dafür gar nicht zuständig, sondern wir haben auch hier das Verursacherprinzip. Das Abfallbeseitigungsgesetz sieht aber die Möglichkeit vor, daß von den Ländern Abfallbeseitigungspläne erlassen werden, um eine organische Zusammenfassung aller Bemühungen auf diesem Gebiet zu erreichen. Es ist offenkundig, daß in vielen Bereichen die kommunalen Körperschaften überfordert wären, wenn sie sich diesem Problem nicht in einer Zusammenarbeit mit anderen stellten. Aber die Ausführung dieses Gesetzes im einzelnen, auch die organisatorische Entscheidung, wer die Zuständigkeit hat, liegt selbstverständlich in der Hand des jeweiligen Landes. Davon zu trennen ist natürlich die Frage, wer bei strafrechtlichen Verantwortlichkeiten einzuschreiten hat. Das ist offenkundig: das sind die Staatsanwaltschaften.
Bitte, noch eine Zusatzfrage!
Herr Minister, habe ich Sie richtig verstanden, daß es sich bei den Vorgängen, die Sie genauso wie ich aus der Berichterstattung der letzten Tage kennen, um ein typisch hessisches Problem handelt, das durch geeignete Maßnahmen des Landes Hessen durchaus hätte verhindert werden können?
Es handelt sich um ein typisch kriminelles Verhalten, Herr Abgeordneter, nämlich eine Gesetzesüberschreitung, die an allen Stellen passieren kann.
Ja, natürlich. — Ich will hoffen, daß wir nicht zu
viele Rechtsbrüche dieser Art erleben werden. Sie wissen, daß die Bundesregierung Wert darauf gelegt hat, die Umweltdelikte aus dem Bereich der Kavaliersdelikte und der entsprechenden Behandlung herauszunehmen, indem sie in ihre Umweltschutzgesetze Strafdrohungen aufgenommen hat, die deutlich machen, daß es sich nicht um Dinge handelt, die mit Geldbußen abgegolten werden können, sondern daß es sich hier um kriminelles Unrecht handelt. Dabei will ich nicht verschweigen, daß die Bundesregierung diese Regelung in den Umweltgesetzen, also Spezialgesetzen, auch nur für eine Übergangsregelung hält. Unser Ziel ist es, im Rahmen der Strafrechtsreform diese Umweltdelikte in den Katalog der gemeingefährlichen Delikte aufzunehmen; denn dort gehören sie wegen ihrer Gesellschaftsgefährlichkeit in Wahrheit hin.
Zu welcher Frage möchten Sie Ihre zweite Frage stellen?
Zur anderen, Frau Präsidentin.
Welche war das eben? Pfeffermann : Die erste.
Das ist nicht mehr auseinanderzuhalten.
In der Tat. Das liegt vielleicht daran, daß beide Fragen zusammen beantwortet worden sind.
Herr Minister, wenn ich Ihre Ausführungen von vorhin richtig verstanden habe, dann sind Sie der Auffassung, daß die derzeit vorliegenden Gesetze durchaus ausreichend sind, um solche kriminellen Delikte zu verfolgen, zumindest also Gesetzesgrundlagen geschaffen sind, wobei allerdings die Länder angehalten sind, diese Delikte zu verfolgen.
Ja. Präsident Frau Renger: Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Fragen 15 und 16 des Herrn Abgeordneten Liedtke auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Raum. Die Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 17 des Herrn Abgeordneten Konrad auf:
Sind nach Meinung der Bundesregierung ausreichende Maßnahmen eingeleitet bzw. geplant, um den Anfall von Sonderabfällen durch sinnvolle Wiederverwendung, Weiterverwertung oder Aufbereitung zu verringern?
Bitte, Herr Bundesminister!
Herr Abgeordneter, das Abfallbeseitigungsgesetz des Bundes vom Juni 1972 regelt, wie die Kurzbezeichnung sagt, ausschließlich die unschädliche Beseitigung von Abfällen.Unter den Aspekten präventiven Umweltschutzes läßt sich feststellen, daß damit zugleich ein Schluß-stein für eine Entwicklung gesetzt wurde, die sich lediglich auf die Regelung des schadlosen Beseitigens beschränkte. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß es sich bei Abfällen ganz überwiegend um „Rohstoffe am falschen Ort" handelt, die möglichst rasch in den Produktionskreislauf zurückgeführt werden müssen. Sie hat daher, um den Übergang von der traditionellen Abfallbeseitigung zur echten Abfallwirtschaft einzuleiten, ein breit gefächertes Recycling-Programm in Vorbereitung. Ich würde jetzt vielleicht sagen: ein breit gefächertes Wiederverwertungsprogramm.Vom Bundesministerium für Forschung und Technologie ist in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und meinem Hause ein Großvorhaben der Forschung über Wiederverwertung und Beseitigung von Sonderabfällen vergeben worden. Das Vorhaben umfaßt grundsätzliche Untersuchungen, Aufbereitung der Sonderabfalldaten für die Modellregion, Erarbeitung von Vor-
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3184 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 55. Sitzung. Bonn, Freitag, den 5. Oktober 1973
Bundesminister Genscherschlägen für ein Abfallverwertungssystem, Bewertung der Vorschläge und Darstellung der eigentlichen Lösung, Durchführungsplanung zur Realisierung des Abfallverwertungssystems. Als Modellregion wird hierbei der Bereich Nordwürttemberg/Nordbaden untersucht. Dieses Vorhaben soll im Jahre 1974 abgeschlossen werden.Von meinem Hause werden außerdem Forschungsvorhaben über die Unterbringung von Sonderabfällen unter Tage gefördert.Ich darf besonders hervorheben, daß die Bundesrepublik die Durchführung des NATO-CCMS-Projektes „Gefährliche Sonderabfälle" als Pilotland übernommen hat. Im Rahmen dieses Projektes sollen unter Mitarbeit anderer NATO-Staaten in einer breit angelegten Studie organisatorische Möglichkeiten aufgezeigt werden, mit deren Hilfe die Beseitigung und Wiederverwertung von Sonderabfällen wirtschaftlich und umweltverträglich gestaltet werden kann. Endziel der Studie ist es, in einem Katalog bestimmten Sonderabfällen jeweils geeignete Behandlungstechnologien und Managementformen der Beseitigung zuzuordnen. Die Zusammenstellung soll den Regierungen als Richtlinie für die Sonderabfallbeseitigung empfohlen werden.Das in Arbeit befindliche Wiederverwertungsprogramm der Bundesregierung wird diese Fragen ebenso besonders berücksichtigen.Erfassung, Katalogisierung, Wiederverwertung und Beseitigung von Sonderabfällen sind ferner Gegenstand der Beratungen eines Fachausschusses der Zentralstelle für Abfallbeseitigung mit Vertretern von Bund und Ländern, der im Jahre 1972 seine Arbeit aufgenommen hat und in Kürze Richtlinien hierzu vorlegen soll.Die Bearbeitung von Fragen der Sonderabfälle wird künftig mit zu den Schwerpunktaufgaben des Umweltbundesamtes gehören.
Zusatzfragen? — Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Minister, indem ich zunächst einmal meinen Dank vorausschicke, daß Sie auch bei mir, und zwar zutreffend, sprachpuristische Neigungen angenommen haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie mit mir darin übereinstimmen, daß Recycling-Programm für Sonderabfälle besonders schwierige wissenschaftliche Untersuchungen erfordern und daher längere Zeiträume benötigen.
Ja, Herr Abgeordneter.
Haben Sie bei den Wiederverwendungsprogrammen in Erwägung gezogen, auch die Länder zu beteiligen, insbesondere dann, wenn etwa der in Bundesländern anfallende Sondermüll ein spezielles Landesproblem darstellt?
Wir erarbeiten alle diese Vorschriften in enger Zusammenarbeit mit den Ländern, weil die Durchführung ohnehin bei den Behörden der Länder liegt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ey.
Herr Minister, sind für die Weiterentwicklung von schwierigen Recycling-Verfahren Förderungsmaßnahmen vorgesehen?
Das wird sich nach Abschluß unserer Arbeiten ergeben.
Ich rufe die Frage 18 des Herrn Abgeordneten Konrad auf:
Welche Änderungen und Ergänzungen des Wasserhaushaltsgesetzes sind erforderlich, um bei Giften und wassergefährdenden Stoffen den Schutz der Gewässer vor Verunreinigung in allen Fällen sicherzustellen?
Bitte, Herr Bundesminister!
Bei Giften und sonstigen wassergefährdenden Stoffen, die der Verwendung oder auch der Wiederverwendung dienen und die damit kein Abfall im Sinne des Abfallbeseitigungsgesetzes sind, muß der Schutz der Gewässer durch die wasserrechtlichen Vorschriften sichergestellt werden. Das ist bis jetzt nur ungenügend der Fall. Für das Lagern solcher Stoffe, vornehmlich also für Tatbestände, die keine erlaubnispflichtige Gewässerbenutzung darstellen, fehlen derzeit die erforderlichen Schutz- und Sicherheitsvorschriften noch weitgehend. Die Bundesregierung hat daher in dem Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetz, der dem Bundestag für die erste Beratung vorliegt, vorgeschlagen, einen neuen § 19 g über Anforderungen an Anlagen zum Lagern und Abfüllen wassergefährdender Stoffe in das Wasserhaushaltsgesetz einzufügen. Auch der Bundesrat wird, so hoffe ich, die Dringlichkeit der nach § 19 g vorgesehenen Regelungen jetzt einsehen und seine bisherige ablehnende Haltung gegen diese Vorschrift und gegen die damit zusammenhängende Notwendigkeit, dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für den Wasserhaushalt einzuräumen, aufgeben. Ich habe Anlaß zu dieser Erwartung, und zwar um so mehr, als eine Reihe von Bundesländern das schon frühzeitig erklärt hat.
Selbstverständlich muß auch verhütet werden, daß die in der Anlage zu § 19 g aufgeführten Gifte und sonstigen wassergefährdenden Stoffe in die Gewässer eingeleitet werden. In meinem Hause wird daher geprüft, welche Möglichkeiten in dieser Hinsicht noch bestehen, um den Gewässerschutz effektiver zu regeln. Die Bundesregierung wird bemüht sein, die sich aus dieser Prüfung ergebenden Vorschläge möglichst bald vorzulegen.
Bitte, Herr Abgeordneter, eine Zusatzfrage.
Herr Minister, habe ich Sie richtig verstanden, daß die von Ihnen jetzt in Aussicht
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Konradgestellten Verbesserungen in der Vierten Wasserhaushaltsnovelle nur möglich sind, wenn der Bund die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit erhält?
Ja.
Ich habe eine zweite Zusatzfrage, Frau Präsidentin. — Herr Minister, sind Ihnen aus eigener Wahrnehmung Pläne oder Gespräche aus den Reihen der Opposition bekannt — über die die „Süddeutsche Zeitung" heute berichtet —, daß die Grundgesetzänderung vom Bundesrat zugestanden werden soll, sofern Sie das Wasserhaushaltsgesetz und auch das Wasserabgabengesetz im Sinne der Industrie entschärfen?
Ein solches Ansinnen ist an mich nicht herangetragen worden.
Herr Kollege Ey!
Herr Minister, sind Sie der Auffassung, daß bei der Behandlung von Wasserläufen durch chemische Mittel zur Verhinderung von Pflanzenbewuchs die Anwendung und Verwendung einer besonderen Beobachtung oder Aufsicht bedarf?
Das ist ohne Zweifel notwendig, Herr Abgeordneter.
— Ja.
Ich rufe die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Ey auf:
Hält die Bundesregierung eine Zentralisierung der Giftmülldeponie für erforderlich, und wenn ja, welche Pläne bestehen hierfür?
Bitte, Herr Bundesminister!
Herr Kollege, gestatten Sie mir zunächst ein Wort zu der Bezeichnung „Giftmülldeponie", die leicht zu falschen Vorstellungen führen könnte. Weder die Bundesregierung noch die Länder sind daran interessiert, im Bundesgebiet verteilt Lagerplätze einzurichten, auf denen giftige Abfälle in großen Mengen abgelagert werden und, wenn auch unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen, auf Jahrzehnte gesehen als eine Art Zeitbombe ruhen. In Übereinstimmung mit den Fachleuten sollen vielmehr, abgesehen von der Ausnutzung der Möglichkeiten einer Ablagerung untertage, zentrale Einrichtungen für die Behandlung und Beseitigung von Sonderabfällen geschaffen werden, wie das beispielsweise in Schwabach bereits ,der Fall ist. Dort werden solche Abfälle unschädlich verbrannt oder vor ihrer endgültigen Beseitigung vorbehandelt bzw. entgiftet.
Eine Zentralisierung auf wenige, aber leistungsfähige Anlagen dieser Art in den einzelnen Länderbereichen entspricht den Vorstellungen der Bundesregierung. Nach meiner Unterrichtung besteht neben
Schwabach eine weitere solche Anlage in Bayern, ebenso in Hamburg und in Hessen. Weitere Anlagen dieser Art stehen vor der Inbetriebnahme oder werden vorbereitet.
Gemäß § 6 des Abfallbeseitigungsgesetzes haben die Länder in den von ihnen aufzustellenden Abfallbeseitigungsplänen die Anlagen zur Beseitigung von Sonderabfällen besonders zu berücksichtigen. Es sollte an dieser Stelle hervorgehoben werden, daß die Länder bereits erhebliche Anstrengungen unternommen haben, bei der Planung und teilweise auch bei der Durchführung ihrer Abfallbeseitigung der Auflage des § 6 durch die Ausweisung von zentralen Beseitigungsanlagen nachzukommen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Minister, hält die Bundesregierung die Zeitspanne vom Bekanntwerden des hessischen Giftmüllfalles bis zur erkennbaren Aktivität der hessischen Landesregierung für befriedigend?
Herr Abgeordneter, ich kann nicht in die Prüfung der Frage eingreifen, wer wann was gewußt hat.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Minister, halten Sie die die Ländergrenzen überschreitende Erfassung hochgiftigen Mülls und dessen Deponierung wie auch Unterbringung für ausreichend abgesichert und überwacht?
Meinen Sie jetzt innerhalb des Bundesgebiets oder über die Grenzen des Bundesgebiets hinweg?
Innerhalb des Bundesgebietes.
Das, Herr Abgeordneter, wird im Rahmen der Rechtsverordnungen, die wir erlassen wollen, mit zu prüfen sein.
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege Konrad!
Herr Minister, verbietet der gegenwärtige Rechtszustand bereits ein jahrelanges Lagern von Fässern mit hochgiftigen Sonderabfällen außerhalb des Fabrikationsgeländes an einer gewissermaßen jedermann zugänglichen Stelle, in einem alten Hause oder dergleichen?
Es fehlt in jedem Fall eine ausreichende bundesrechtliche Regelung dafür. Das ist der Grund für das Bemühen der Bundesregierung, Herr Abgeordneter, das mit der Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz zu er-
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Bundesminister Genscherreichen. Ich darf darauf hinweisen, daß durch die Auflösung des Bundestages im letzten Jahr hier leider eine Verzögerung in der Gesetzgebung eingetreten ist.
Danke! — Frage 20 des Herrn Abgeordneten Haase :
Ist die Bundesregierung mit mir der Meinung, daß ein ehemaliger SS-Offizier, ohne daß es dabei auf die frühere persönliche Haltung des Betroffenen in der SS überhaupt ankommt, nicht Leiter der Vorprüfung im Anerkennungsverfahren für Asylbewerber in der Bundesrepublik Deutschland sein kann?
Bitte, Herr Bundesminister!
Herr Abgeordneter, der Leiter der Vorprüfung im Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat diese Funktion seit dem 1. Mai 1969 inne. Er hat seit diesem Zeitpunkt keinen Anlaß zur Beanstandung seiner Tätigkeit gegeben. Seine frühere Zugehörigkeit zur Waffen-SS war im Zeitpunkt der Bestellung bekannt. Im einzelnen ergibt sich dazu aus dem Bescheid der Spruchkammer Hilpoltstein vom 17. März 1948 folgendes: Der Betreffende wurde im Rahmen einer allgemeinen Aktion zur Waffen-SS eingezogen, und zwar zur SS-Division „Prinz Eugen". Er war zu diesem Zeitpunkt 22 Jahre alt, bei Kriegsende 25. Wie dem Bescheid der Spruchkammer weiter zu entnehmen ist, hatte er zuletzt den Dienstgrad eines Untersturmführers der Reserve. Ferner ergibt sich aus dem Bescheid, daß er als Volksdeutscher aus Jugoslawien weder die Möglichkeit hatte, sich der Einziehung zu entziehen, noch daß für ihn die Chance bestanden hätte, sich für einen Dienst in der Wehrmacht an Stelle des Dienstes in der Waffen-SS zu entscheiden.
Angesichts dieses Sachverhalts, der bei der Bestellung bekannt war, und angesichts der Tatsache, daß, wie ich schon ausgeführt habe, dem Betreffenden wegen der Ausübung seines Dienstes im Rahmen des Asylverfahrens keine Vorwürfe gemacht werden können, würde ich es für nicht vertretbar halten, ihn von seiner jetzigen Tätigkeit abzulösen.
Ich möchte hinzufügen, daß ich entgegen der in Ihrer Frage geäußerten Auffassung der Meinung bin, daß es sehr wohl auf die frühere persönliche Haltung des Betroffenen in der SS ankommt. Eine pauschalierende Verurteilung halte ich nicht für gerechtfertigt. Etwas anderes wäre es, wenn dem Betreffenden wegen der Ausübung seines Dienstes in der Waffen-SS Vorwürfe gemacht werden könnten. Das ist bisher jedoch von keiner Seite geschehen.
Zusatzfrage!
Herr Minister, können Sie sich vorstellen, daß z. B. jugoslawische oder tschechische Flüchtlinge, also Leute aus Ländern, die anerkanntermaßen unter der SS gelitten haben, mindestens sehr betroffen reagieren müssen, wenn sie erfahren, daß sie von einem ehemaligen SS-Offizier empfangen werden, wobei ich Ihre Ansicht teile, daß dem Mann persönlich kein Vorwurf zu machen ist?
Herr Abgeordneter, ich kann gut verstehen, welche Sorge Sie zu Ihrer Frage veranlaßt. Auf der anderen Seite bitte ich zu berücksichtigen, daß ganz sicher auch die Asylsuchenden Verständnis dafür haben werden, daß es unserer Rechtsordnung entspricht, jemandem nur dann Nachteile aufzuerlegen, wenn ihm ein persönliches schuldhaftes Verhalten nachgewiesen werden kann.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte!
Herr Minister, meinen Sie nicht, daß man die Sache ein wenig vereinfacht, wenn man nur auf die Frage abstellt, ob dem Betroffenen ein Schuldvorwurf zu machen ist? Muß man nicht vielmehr auf die Gesamtsituation abstellen und auch nach der Möglichkeit einer einvernehmlichen Lösung auch mit dem Betroffenen suchen?
Herr Abgeordneter, ich glaube, daß nicht zuletzt Ihre Frage in dieser Fragestunde und meine Antwort dazu beitragen werden, eine objektive Erörterung dieses Sachverhalts zu ermöglichen, weil ich dabei Gelegenheit hatte, auch die Frage der damaligen Entscheidungsmöglichkeit des Betreffenden zu erörtern.
Sie haben zwei Fragen gestellt, Herr Kollege.
Die Frage 21 wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Herrn Bundesministers des Innern erledigt. Ich danke dem Herrn Bundesminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutschen Beziehungen auf. Die Fragen 108 und 109 werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Frage 110 des Herrn Abgeordneten Pfeffermann:
In welcher Weise gedenkt die Bundesregierung, in Verhandlungen mit der DDR zu erreichen, daß für den Personenkreis in der DDR, die nach Abschluß des Grundvertrags zu sogenannten Geheimnisträgern erklärt worden sind, die menschlichen Erleichterungen zu gestatten, die für sie vor den Verhandlungen zum Grundvertrag bestanden, d. h. daß ihnen zumindest wieder Briefverkehr mit Bekannten, Verwandten und Freunden in der Bundesrepublik Deutschland gestattet wird?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Frau Präsidentin! Herr Kollege Pfeffermann! Ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten.Der Bundesregierung ist bekannt, daß auf bestimmte Personen in der DDR eingewirkt wird, möglichst wenig oder gar keine Kontakte zu Bekannten, Freunden oder Verwandten im Bundesgebiet zu
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Parl. Staatssekretär Heroldunterhalten. Bei den Betroffenen handelt es sich in erster Linie um solche Bewohner der DDR, die bestimmte Positionen im Staats-, Partei- oder Wirtschaftsapparat bekleiden sowie um deren Angehörige. Die Beschränkungen beruhen auf seit langer Zeit praktizierten Vorschriften der DDR, die nicht veröffentlicht worden sind und die erst durch das Wirksamwerden der Reiseerleichterungen zunehmend in Erscheinung getreten sind.Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse darüber vor, daß im Zusammenhang mit dem Abschluß des Grundlagenvertrages der Kreis der von dieser Regelung betroffenen Personen ausgedehnt worden ist. Im übrigen kann nicht ausgeschlossen werden, daß in Einzelfällen fehlerhafte Entscheidungen nachgeordneter Behörden ergangen sind.Die Bundesregierung ist nicht bereit hinzunehmen, daß die Reiseerleichterungen, die im Zusammenhang mit den Verträgen zwischen den beiden deutschen Staaten vereinbart worden sind, durch administrative Maßnahmen unterlaufen werden. In den Gesprächen mit Staatssekretär Dr. Kohl hat Bundesminister Bahr deshalb wiederholt auf die aufgetretenen Schwierigkeiten hingewiesen und Abhilfe gefordert.Ich darf Sie aber darauf hinweisen, verehrter Herr Kollege Pfeffermann, daß wir trotz der bekanntgewordenen Einschränkungen bis Ende August dieses Jahres eine Zahl von etwa 1,6 Millionen DDR-Besuchern registrieren konnten, während im gleichen Zeitraum des Vorjahres nur 1,02 Millionen Besucher festzustellen waren. Das bedeutet also trotz der eingangs erwähnten einschränkenden Vorschriften eine Steigerung des Besuchsverkehrs um rund 56 %.
Bitte, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich gehe davon aus, daß der letzte Teil Ihrer Antwort wohl nicht unmittelbar den Personenkreis, den ich mit meiner Frage ansprach, betraf.
Von da her möchte ich an Sie die Frage stellen, welche Möglichkeit Sie sehen, daß man gerade diesem Personenkreis, den ich mit meiner Frage ansprach und den man öffentlich nicht nennen kann, auch wenn einem die Namen bekannt sind, die menschlichen Erleichterungen zugute kommen läßt. — Ich bin mir darüber im klaren, daß das schwierig ist, da Sie mit den Behörden der DDR keine Verhandlungen Ad personam führen können, wenngleich Sie dazu durch Art. 7 des Grundlagenvertrages verpflichtet sind.
Herr Kollege Pfeffermann, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß wir unsere Möglichkeiten voll ausschöpfen, um den Besuchsverkehr weiter zu entwickeln. Sie müssen aber berücksichtigen, daß auch in der Bundesrepublik gewisse Vorschriften bestehen, die einen bestimmten Personenkreis ebenfalls hindern, Besuche in der DDR vorzunehmen; auch das muß hier festgestellt werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn ich zunächst einmal unterstelle, daß mich zu meiner Fragestellung zumindest ein Fall veranlaßt hat, der nach unserer Einsicht in diese Rechtsverordnungen der DDR nicht hineinpassen würde, so würde mich — auf die Öffentlichkeit bezogen — folgendes interessieren. Ist, wenn Vorgänge dieser Art unter Nennung des Namens an Ihr Haus herangetragen werden, gewährleistet, daß diesen Vorgängen nachgegangen werden kann, ohne daß wir dabei Gefahr laufen, daß dem betroffenen Bürger der DDR weitere Unbilligkeiten zugefügt werden?
Herr Kollege Pfeffermann, wenn uns solche Fälle bekannt werden, versuchen wir natürlich, sie mit den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu klären. Ich meine aber, daß man in der Regel zunächst die Betroffenen fragen sollte, ob sie es wünschen, daß ihr Fall hochgespielt wird. Wir haben aber Beispiele, daß sich die Betroffenen in der DDR selbst an höchste Instanzen in Ost-Berlin wenden, z. B. an Herrn Honecker, und daß dann dort von Fall zu Fall auch Entscheidungen fallen, die die der unteren Organe revidieren.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär!
Meine Damen und Herren, ich darf noch mitteilen, daß die Fragen 117 und 118 des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke vom Fragesteller zurückgezogen worden sind. — Damit ist die Fragestunde beendet.
Ich berufe die nächste Plenarsitzung auf Mittwoch, den 17. Oktober 1973, 14 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.