Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, es liegt Ihnen folgende Liste von Vorlagen vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und die Hach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:
Betr.: Entschließung über den Ersten Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über die Wettbewerbspolitik
— Drucksache 7 320 —zuständig: Ausschuß für Wirtschaft
Betr.: Entschließung zur Wirtschaftslage in der Gemeinschaft
— Drucksache 7'321 – -
zuständig : Ausschuß für Wirtschaft
Erhebt sich gegen die beabsichtigte Überweisung Widerspruch? — Das ist nicht der Fall; dann ist so beschlossen.
Folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Präsident der Monopolverwaltung für Branntwein Berlin hat am 20. März 1973 gemäß §§ 6 und 9 des Gesetzes über das Branntweinmonopol den
Geschäftsbericht der Monopolverwaltung für Branntwein Berlin und die Bilanz mit Gewinn- und Verlustrechnung der Verwertungsstelle für das Geschäftsjahr 1971/72
vorgelegt. Bericht und Bilanz werden als Drucksache 7/399 verteilt.
Wir kommen nunmehr zur Fragestunde
-- Drucksache 7/360 —
Zuerst kommen die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Herold steht zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 97 des Grafen Stauffenberg auf:
Teilt die Bundesregierung angesichts der auch von ihr zugegebenen Enttäuschung über das Verhalten der DDR im Zusammenhang mit angekündigten und zugesagten menschlichen Erleichterungen immer noch die Auffassung von Bundesminister Bahr, „daß die DDR großen Wert darauf legen wird, ein verläßlicher Vertragspartner zu sein, der gegebene Zusagen hält"?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Herr Präsident! Verehrter Kollege von Stauffenberg, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten.
Die Bundesregierung bedauert die Schwierigkeiten, die während der letzten Monate aufgetreten sind. Sie ist jedoch nach wie vor davon überzeugt, daß die DDR großen Wert darauf legen wird, ein verläßlicher Vertragspartner zu sein und gegebene Zusagen zu halten. Dafür gibt es drei Gründe.
Erstens funktionieren die bisherigen Abkommen. Sie wissen selbst, daß z. B. der Berlin-Verkehr nach dem Transitabkommen reibungslos verläuft. Wo es Anfangsschwierigkeiten gibt, ist die Bundesregierung nicht untätig geblieben.
Zum zweiten hat die Bundesregierung nie die Illusion genährt, durch den Abschluß eines solchen Vertrages könnten die grundsätzlichen Gegensätze aufgehoben oder das jahrelang gespannte Verhältnis
auf Anhieb in allen Lebensbereichen gewandelt und ohne Reibungsverluste entfaltet werden. Beide Seiten werden Erfahrungen sammeln müssen, gerade auch die DDR.
Schließlich ist der Grundvertrag noch nicht in Kraft getreten. Je eher das Vertragswerk ratifiziert ist, um so eher wird sich die Bundesregierung auf seine Vorschriften mit Nachdruck berufen können.
Eine Zusatzfrage, Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, damit über Inhalt und Auslegung gegebener Zusagen hüben und drüben nicht unterschiedliche Meinungen herrschen?
Wir haben aufgetretene Schwierigkeiten oder Mißverständnisse bei jedem Gespräch — auch beim gestrigen — immer wieder zur Diskussion gestellt. Sie haben ja in bezug auf den Journalisten-Erlaß gestern erlebt, was hierbei erreicht werden kann.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie vorhin in der Beantwortung
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1 148 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. März 1973
Graf Stauffenbergmeiner Frage auf die Notwendigkeit verwiesen haben, daß zuerst der Vertrag ratifiziert werden müsse, darf ich Sie fragen, ob Sie mit mir der Auffassung sind, daß auch das Stadium zwischen Vertragsabschluß und Ratifizierung durchaus nicht rechts- und treuepflichtfrei für beide Seiten ist.
Sie wissen, daß die DDR z. B. bereit war, die Möglichkeiten des Transitabkommens — wenn ich nur an dieses denke — vorzuziehen. In diesem Sinne werden auch jetzt durch die DDR Erleichterungen gewährt, die an und für sich vom Inkrafttreten des Grundlagenvertrages abhängen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.
Herr Kollege Herold, da der Chef der SED gesagt hat, die DDR sei bestrebt, den Vertrag nach Buchstaben und Geist zu erfüllen, frage ich, ob das gestrige Gespräch eine Annäherung in der Definition dessen, was man „Geist des Vertrages" nennt, gebracht hat und ob Sie bereit sind, überhaupt über das gestrige Gespräch heute vormittag hier etwas Eingehenderes zu berichten.
Ich bin nicht in der Lage und nicht befugt, Herr Kollege Dr. Marx, zu dem Gespräch von gestern jetzt Ausführungen zu machen. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß wir auch vor einigen Monaten Diskussionen über das Transitabkommen hatten, bei denen ebenfalls Zweifel auftraten, ob alles das, was vereinbart worden war, auch eingehalten würde. Ich glaube, nach einigen Monaten Erfahrung kann man davon ausgehen, daß die DDR bereit ist, geschlossene Vereinbarungen nach Geist und Buchstaben durchzuführen. Wir gehen davon aus, daß das auch im Zusammenhang mit dem Grundlagenvertrag geschehen wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, kann nach Auffassung der Bundesregierung die DDR auch angesichts der Tatsache noch als verläßlicher Partner bezeichnet werden, daß sie es offenkundig unterlassen hat, die Bundesregierung erstens vor der Änderung der Journalisten-Verordnung und zweitens z. B. vor den umfangreichen und auch uns berührenden Baumaßnahmen an den neuen Grenzübergängen jenseits der Zonengrenze zu konsultieren, obwohl sie nach der bereits in Kraft getretenen Vereinbarung über die Konsultationspflicht in jedem Fall der Berührung gegenseitiger Interessen hierzu verpflichtet war?
Ich darf dazu folgendes sagen.
Was die Zonengrenzübergänge betrifft, so sollten wir doch gemeinsam froh darüber sein, daß die DDR alle Anstrengungen unternimmt, Aufnahmemöglichkeiten zu schaffen, die den Besuchern im Rahmen des kleinen Grenzverkehrs gestatten, ungehindert einzureisen und in die vorgesehenen Bestimmungsorte zu fahren.
Daß im Rahmen der Öffnung der Grenzübergänge in den nächsten Tagen und Wochen über Details gesprochen werden muß, steht außer Zweifel. Die Gespräche laufen und sind vorgesehen. Auch insofern kann man davon ausgehen, daß die DDR bemüht ist, die auf sie zukommenden Verpflichtungen zu erfüllen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sauer .
Herr Staatssekretär, unter Bezugnahme auf Art. 7 Ziff 8 des Zusatzprotokolls zum Grundvertrag, der die Bereitschaft der Bundesregierung beinhaltet, dem Deutschen Sportbund bei der Förderung der Sportbegegnungen behilflich zu sein, frage ich Sie, nachdem nun die ostzonale Sportführung in Dresden strikt erklärt hat, daß sie 1. Westberliner Sportler in unseren Mannschaft nicht akzeptieren und 2. West-Berlin als Austragungsort nicht genehmigen werde: Was hat die Bundesregierung bisher getan, dem Deutschen Sportbund behilflich zu sein?
Ich darf darauf hinweisen, daß ich bei der Beantwortung der zweiten Frage des Kollegen Graf Stauffenberg auf dieses Thema kommen werde. Jetzt nur soviel: Wir gehen davon aus, daß der Landessportverband Berlin ein Teil des Deutschen Sportbundes ist. Dies ist auch vom Internationalen Olympischen Komitee anerkannt.
Nach dem Viermächteabkommen — wenn ich diese Ableitung vornehmen darf — ist sichergestellt, daß die Rechte des Landessportverbandes Berlin gewahrt bleiben. Sie wissen, daß man auch nicht protestiert hat, als Herr Korber an den Sportgesprächen teilnahm. Das sollte man bedenken, wenn diese Fragen behandelt werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten von Wrangel.
Herr Kollege Herold, könnten Sie einmal um der Begriffsklarheit willen sagen, was denn die DDR unter dem „Geist des Vertrages" wovon Sie hier wiederholt gesprohaben, versteht?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. März 1973 1149
Ich habe hier keine Interpretationen vorzunehmen. Die Auslegung der Vereinbarungen nach Buchstaben und Geist muß auch nach dem erfolgen, was in den Gesprächen zwischen den Verhandlungspartnern besprochen und dann im Protokoll niedergelegt wurde.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schröder .
Herr Staatssekretär, wie können Sie uns den Tatbestand erklären, daß vor Inkrafttreten des Vertrages, der ja zu gewissen menschlichen Erleichterungen führen soll, in der DDR ausgerechnet das Gegenteil eintrat, daß nämlich bestimmte Restriktionsmaßnahmen zum Unterlaufen dieser menschlichen Erleichterungen eingeführt wurden?
Sind Sie davon überzeugt, daß diese unmittelbar nach Inkrafttreten des Vertrages wieder aufgehoben werden? Wenn ja: aus welchem Grunde führt man sie dann überhaupt erst ein?
Sie wissen genau — wir sind ja nicht erst seit gestern in der Politik, Herr Kollege Schröder —,
daß viele Erklärungen, die von Spitzenvertretern der DDR abgegeben werden, vor allen Dingen ihre Wirkung nach innen nicht verfehlen sollen. Sie kennen die Schwierigkeiten, die die Regierung der DDR derzeit hat, daß man drüben z. B. auch der Meinung ist, die DDR habe auf Grund der Vereinbarungen, die nun abgeschlossen worden sind bzw. ratifiziert werden, Erleichterungen zu gewähren. Vielleicht — ich kann das nur annehmen, hat die Entwicklung der Deutschlandpolitik zu schnell und zu unkontrolliert auf die Bevölkerung gewirkt. Auch dies sollte man gerechterweise nicht außer acht lassen.
Ich rufe die Frage 98 des Grafen Stauffenberg auf:
Warum hat die Bundesregierung bei der Aushandlung des Grundvertrags nicht dafür gesorgt, daß sich sein Geltungsbereich und der der Folgeverträge zweifelsfrei auf das Land Berlin erstreckt, um Vereinbarungen wie z. B. über Sportverkehr zwischen beiden Teilen Deutschlands zu erleichtern?
Ich darf Ihre Frage, Herr Kollege Stauffenberg, wie folgt beantworten.
Der Grundvertrag konnte nicht insgesamt auf Berlin ausgedehnt werden, da er sich auf Gegenstände erstreckt, die für Berlin den Vier Mächten vorbehalten sind und nach unserer Meinung vorbehalten bleiben sollen.
Innerhalb dieser Vorbehaltsrechte haben die Vier Mächte mit dem Abkommen vom 3. September 1971 die notwendigen Regelungen getroffen.
Unter diesen Umständen stand nur die Erstreckung der Regelungen der Art. 7 und 8 zur Disposition der
Bundesregierung. Die Vertretung der Interessen von Berlin durch die ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR war dabei ein sehr, sehr schwieriger Verhandlungspunkt.
Was weiterhin die Folgeverträge anging, so durfte niemand erwarten, daß in den Verhandlungen über den Grundvertrag in der Frage der Einbeziehung von Berlin mehr erreicht werden konnte als bei den Viermächteverhandlungen.
Es war im Gegenteil zu befürchten, daß die DDR bestrebt war, hinter diesen Regelungen zurückzubleiben. Ziel der Bundesregierung mußte es hier sein, zu erreichen, daß sich die beiden deutschen Staaten verpflichten, auch in bezug auf die zwischen ihnen zu schließenden Vereinbarungen in Übereinstimmung mit dem Viermächteabkommen vom 3. Dezember 1971 zu handeln.
Ich bin der Meinung, daß dies der Bundesregierung gelungen ist. Die ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR wird in Übereinstimmung mit dem Viermächteabkommen die Interessen von Berlin vertreten In einer Erklärung beider Seiten anläßlich der Unterzeichnung des Grundlagenvertrages ist das bestehende Einvernehmen darüber festgehalten worden, daß die Ausdehnung von Abkommen und Regelungen, die im Zusatzprotokoll zu Art. 7 vorgesehen sind, in Übereinstimmung mit dem Viermächteabkommen vom 3. September 1971 auf Berlin (West) im jeweiligen Fall vereinbart werden kann.
Eine automatische Erstreckung aller Abkommen der Bundesrepublik Deutschland auf Berlin findet sich auch nicht im Viermächteabkommen. Vielmehr wurden dort bestimmte Kriterien für die Einbeziehung aufgestellt, die auch im Verhältnis zur DDR maßgeblich sein werden. Dazu gehört vor allem, daß in den betreffenden Abkommen nicht die Fragen des Status oder der Sicherheit von Berlin (West) behandelt werden, sondern Bereiche berührt sind, die eine Vertiefung der bestehenden Bindungen zwischen Berlin (West) und dem Bund dienen sollen. Der Vorbehalt einer Prüfungsmöglichkeit der Vereinbarungen in jedem Einzelfall zur Sicherung des Vetorechts der Drei Mächte gegen die Einbeziehung von Berlin (West) in Vereinbarungen ist der maßgebliche Grund dafür, daß es nach dem Willen der Vier Mächte keinen Automatismus in dieser Frage geben darf und nach unserer Auffassung auch nicht geben sollte.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär Herold, hat die Bundesregierung in ihren Gesprächen mit Vertretern der DDR versucht, Schwierigkeiten wegen der Einbeziehung Berlins dadurch zu vermeiden und die Rechte und die Pflichten der Verbündeten in Berlin dadurch zu respektieren, daß sie vorgeschlagen hat, einen Verweis auf diese Rechte, insbesondere auf das Berlin-Abkommen der Vier Mächte, in diesen Vertrag einzuführen, um
Graf Stauffenberg
damit jeglichem Einwand von dieser Seite zu begegnen?
Wir halten die Bestimmungen des Viermächteabkommens für ausreichend. Es ist nicht nur unser Wunsch, es ist auch der Wunsch der drei Mächte gewesen„ daß alle Aktionen und alle Vorhaben rechtzeitig mit den drei Mächten entsprechend ihren Verantwortlichkeiten abgestimmt werden. Es war besonders unser Wunsch, daß das so bleibt und daß in dieser Frage keine Änderungen erfolgen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, ich möchte versuchen, meine Frage etwas zu präzisieren: Wäre es nicht möglich gewesen, in diesen Grundvertrag oder in dieses Vertragswerk Bestimmungen einzuführen, wodurch diesen Rechten oder diesen Pflichten zur Abstimmung bzw. der eventuellen Notwendigkeit der Zustimmung oder der Berücksichtigung der Einwände der Mächte entsprochen worden wäre, ohne daß, wie es jetzt geschehen ist, die Einbeziehung Berlins von Fall zu Fall von der Zustimmung der anderen Seite abhängig ist?
Herr Kollege von Stauffenberg, die Bundesregierung ist der Meinung, daß die Vorbehaltsrechte, die Sie in diesem Zusammenhang ansprechen, durch Art. 9 des Grundlagenvertrages eindeutig gesichert sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.
Kollege Herold, ist es von Ihrer Position her zu erwarten, daß bei den künftigen Verhandlungen über Folgeverträge, die in Art. 7 des Grundvertrages angedeutet sind, jedes Mal aufs Neue über die eventuelle Einbeziehung des Landes Berlin verhandelt werden muß, und wie wäre in diesem Zusammenhang die heute in den Zeitungen zu findende Erklärung der DDR-Seite zu verstehen, daß man das jedes Mal könne?
Das ist der Wille der Vier Mächte gewesen. Wir müssen daher in jedem einzelnen Fall erneut verhandeln.
— Von Kompromissen in dem von Ihnen gemeinten Sinne kann wohl nicht die Rede sein. Herr Kollege Dr. Marx, im übrigen verstehe ich nicht, was Sie gegen Kompromisse haben.
Ist Demokratie überhaupt möglich, ohne daß man auch saubere und faire Kompromisse schließt?
— Herr Kollege Marx, Sie wollen alles auf einmal haben. Sie hätten es sicher leichter als wir gehabt, wenn Sie daran früher selbst gearbeitet hätten.
Der Vertrag wäre dann wahrscheinlich auch besser geworden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger .
Herr Staatssekretär, da Sie die Frage des Herrn Kollegen Graf Stauffenberg beharrlich nicht konkret beantwortet haben, möchte ich Sie noch einmal präzisierend fragen: Hat die Bundesregierung versucht, einen Artikel etwa folgenden Inhalts in den Grundvertrag einzubauen: Dieser Grundvertrag gilt auch für Berlin , soweit ,die Rechte der Vier Mächte dem nicht entgegenstehen, und wenn sie es versucht hat, warum ist es von ,der anderen Seite, vom Vertragspartner, abgelehnt worden, einen solchen Passus in den Vertrag einzufügen?
Wir haben diesen Artikel nicht für notwendig gehalten,
da die Rechte der Mächte im Vier-Mächte-Abkommen gesichert sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eilers.
Herr Staatssekretär, sind Sie wirklich der Auffassung, daß nach dem mageren Ergebnis der Besprechungen der Sportorganisationen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR am vergangenen Donnerstag immer noch davon gesprochen werden kann, daß die Regierung der DDR, wie es in Ziffer 8 zu Artikel 7 des Zusatzprotokolls heißt, bereit ist, auch ihre eigenen Sportorganisationen zu unterstützen, damit bessere Möglichkeiten des Austauschs sportlicher Betätigung erreicht werden können?
Sehr geehrter Herr Kollege, wir stehen ,am Anfang dieser Gespräche. Sind Sie nicht auch der Meinung — nachdem 10 oder 15 Jahre fast nichts geschehen ist —,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. März 1973 1151
Parl. Staatssekretär Herolddaß man wenigstens mehrere Gespräche der Verhandlungspartner abwarten muß, bevor man vorschnelle Urteile negativer Art abgibt?
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schröder .
Herr Staatssekretär, in Ziffer 8 zu Artikel 7 des Zusatzprotokolls heißt es, daß die Sportbeziehungen schon nach Unterzeichnung und nicht erst nach Ratifizierung des Vertrags aufgenommen werden sollten. Darf ich Sie fragen: Sehen Sie die Gespräche, die in der vergangenen Woche in Dresden stattgefunden haben, als beispielhaft für die Art der Durchführung der Vereinbarungen auch nach Ratifizierung des Vertrags an?
Wa heißt hier „beispielhaft" ? Fest steht, daß ein erstes Gespräch zwischen den Spitzengremien stattgefunden hat und daß sich weitere anschließen werden. Das Ergebnis wird sein, daß Sportbegegnungen beginnen werden. Davon gehe ich aus.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wienand.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Bundesregierung auf der Basis des Deutschland-Vertrages in ständiger engster Konsultation mit den drei Westmächten gerade im Hinblick auf die Verantwortung gegenüber Berlin gestanden und mit ihnen zusammen geprüft hat, was im äußersten Fall in die Verhandlungen eingebracht werden kann, und daß dann in Zusammenarbeit mit ihnen das, was auch von ihnen nur im äußersten Fall konzediert werden konnte, erreicht worden ist?
Genau das ist der Fall, Herr Kollege Wienand.
Wir gehen davon aus, daß die Gemeinsamkeit mit den Westmächten in Berlin betreffenden Fragen in keiner Weise gestört ist oder schlechter werden wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heyen.
Herr Staatssekretär, können Sie noch einmal bestätigen, daß auch der Berliner Senator Korber an diesem Gespräch in Dresden teilgenommen hat — Sie haben es ja soeben schon gesagt — und daß er deutlich gemacht hat — als früherer Passierscheinunterhändler ist er wohl über jeden Zweifel erhaben , daß es nach einer Unterbrechung von drei Jahren das erste Gespräch war, und daß man auf Grund dieses Gesprächs durchaus die Hoffnung hegen kann, daß wir zu einer Einigung in dieser Frage kommen werden?
Diese Aussagen des Herrn Korber bestätige ich.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sieglerschmidt.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß, wenn man, wie es hier geschieht, systematisch Zweifel an der Vertragstreue eines Vertragspartners weckt, dies nicht gerade seine Vertragstreue fördert,
sondern daß er vielmehr förmlich dazu aufgefordert wird, sich so zu verhalten, wie man es von ihm erwartet?
Herr Kollege Sieglerschmidt, ich teile Ihre Auffassung, daß der hier zum Ausdruck kommende Pessimismus und vor allen Dingen die negative Einstellung zu allen Fragen
nicht unbedingt für das förderlich sind, was wir hier gemeinsam anstreben sollten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reddemann.
Herr Staatssekretär, halten Sie Fragen wie die des Herrn Kollegen Sieglerschmidt für nützlich, wenn die Bundesregierung Gespräche mit Ost-Berlin führt, oder bieten nicht Fragen dieser Art der Regierung in Ost-Berlin ein Alibi dafür,
daß sie nicht mehr tun will?
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1152 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. März 1973
Daß die DDR nicht mehr tun will, Herr Kollege Reddemann, ist Ihre Auffassung. Daß sich manches viel besser als erwartet entwickelt hat, werden Sie heute zugeben müssen. Deswegen vertrete ich Ihr geballtes Mißtrauen, das offensichtlich auch gegen die Bundesregierung geht, nicht.
Ich glaube nicht, daß dieses Mißtrauen — um mich vorsichtig auszudrücken — der Sache förderlich ist, Herr Kollege Reddemann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Klein.
Herr Staatssekretär, zurückkommend auf Ihre Äußerungen zur Einbeziehung Berlins: Hat sich im Laufe der Verhandlungen die Deutsche Demokratische Republik mit der Begründung geweigert, über Berlin mit der Verhandlungsdelegation der Bundesrepublik zu sprechen, die Bundesrepublik sei nicht legitimiert, über West-Berlin zu verhandeln?
Nein.
Ich rufe die Frage 99 des Abgeordneten Schröder auf:
Welche menschlichen Erleichterungen sind in der DDR respektive im Beziehungsverhältnis zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland seit Beginn der Verhandlungen über den Grundvertrag von der DDR zugesagt, welche konkret eingeführt und welche durch administrative Maßnahmen wieder unterlaufen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Herr Präsident! Herr Kollege Schröder! Ich darf die Frage 99 wie folgt beantworten. Zunächst darf ich darauf hinweisen, daß schon vor Beginn der Verhandlungen über den Grundlagenvertrag wichtige und spürbare Erleichterungen für die Menschen auf Grund der Vertragspolitik der Bundesregierung eingetreten sind. Ich erinnere an das Transitabkommen über den Berlin-Verkehr und die Vereinbarungen im Bereich des Post- und Fernmeldewesens. Während der Verhandlungen über den Grundlagenvertrag ist der Verkehrsvertrag in Kraft getreten. Die menschlichen Erleichterungen, die von der DDR zugesagt oder eingeführt worden sind, betreffen in erster Linie den Reiseverkehr zwischen den beiden Staaten.
Gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des Verkehrsvertrages am 17. Oktober 1972 sind in der DDR zwei Anordnungen in Kraft getreten, die sowohl die Reisemöglichkeiten für Bewohner der DDR in das Bundesgebiet als auch die Reisemöglichkeiten für Bewohner der Bundesrepublik Deutschland in die
DDR verbessern. Erstmalig können auch jüngere, d. h. noch nicht im gesetzlichen Rentenalter stehende DDR-Bewohner anläßlich dringender Familienangelegenheiten ihre Angehörigen in der Bundesrepublik Deutschland besuchen. Ich habe Ihnen die Durchschnittszahlen für Besuche im Rahmen dringender Familienangelegenheiten gestern mitgeteilt.
Bewohner der Bundesrepublik Deutschland, die bisher nur zum Besuch von Verwandten ersten oder zweiten Grades sowie auf Einladung amtlicher Stellen oder zur Leipziger Messe in die DDR fahren durften, können jetzt Verwandte und Bekannte in der DDR besuchen oder auf Einladung der zuständigen Organe der DDR aus kommerziellen, kulturellen oder religiösen Gründen in die DDR einreisen. Wenn die Verhandlungen der Sportverbände erfolgreich sein sollten, gilt dies auch für den Bereich der sportlichen Beziehungen. Bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen kann der Pkw benutzt werden.
Die Aufenthaltserlaubnis erstreckt sich auf das gesamte Gebiet der DDR. Westdeutsche Reisebüros bieten im übrigen bereits eine Vielzahl von Touristenreisen an. Der Grundlagenvertrag enthält nicht nur in Artikel 7 die Verpflichtung, im Zuge der Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten praktische und humanitäre Fragen zu regeln, sondern mit seinem Inkrafttreten wird es Verbesserungen im Reiseverkehr, insbesondere Tagesaufenthalte im grenznahen Bereich sowie Erleichterungen bei der Familienzusammenführung und im nichtkommerziellen Warenverkehr geben. Auch diese Dinge sind veröffentlicht und Ihnen bekannt. Deshalb brauche ich sie wegen der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit nicht noch einmal — zum wiederholten Male — hier darzulegen.
Ich darf in diesem Zusammenhang auch auf die während der Zeit der Verhandlungen gegebenen Zusage auf dem Gebiet der Rückführung von Kindern und der Zusammenführung von Verlobten Bezug nehmen, zu der ich bereits in den Fragestunden des Deutschen Bundestages am 14. März und am gestrigen Tage Stellung genommen habe.
Die Schwierigkeiten, auf die Ihre Frage abzielt, betreffen vor allen Dingen den Reiseverkehr. Soweit es sich nicht um Anfangsschwierigkeiten bei der Anwendung erweiterter Bestimmungen handelt, bedauert die Bundesregierung diese nachdrücklich. Ich darf ausdrücklich hervorheben, daß die Wirkung des Vertrages selbst erst dann zur Entfaltung gelangen kann, wenn der Bundestag die Zustimmung zu seinem Inkrafttreten erteilt hat. Vorher können auch die Erleichterungen aus diesem Vertrag nicht geltend gemacht werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schröder .
Herr Staatssekretär, trifft die Meldung einer großen Berliner Tageszeitung vom Anfang dieser Woche zu, derzufolge bei den Bundesbehörden 6000 Anträge auf Familienzusammenführung vorliegen, der Herr
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. März 1973 1153
Schröder
Staatssekretär Kohl gegenüber Herrn Bahr aber erklärt haben soll, daß lediglich 1000 berücksichtigt werden können? Wenn ja, was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um auch die übrigen in die Familienzusammenführung einzubeziehen?
Herr Kollege Schröder, ich habe bereits in früheren Fragestunden erklärt, daß wir immer wieder auf eine Ausweitung auf diesem Gebiet gedrängt haben und daß bei der Verlobtenzusammenführung und der Zusammenführung von Kindern und Familien kein Stopp eintritt, sondern daß diejenigen eines Tages herüberkommen können, die dies wollen. Die hier genannten Zahlen von 6 000 Fällen kann ich nicht bestätigen. Ich nannte gestern selbst eine Zahl, die sich auf die Kinder bezog. Das waren 1 500 Fälle. Von den von Ihnen zitierten 6 000 Fällen ist mir nichts bekannt.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schröder .
Herr Staatssekretär, in einem Zeitschrifteninterview hat Herr Sonderminister Bahr von 5 000 Fällen gesprochen, in denen die Ausreise verweigert worden ist. Können Sie diese Zahl bestätigen?
Herr Bahr wird gewußt haben, wovon er sprach. Ich habe keine Veranlassung, seine Angaben zu bezweifeln.
Ich rufe dann die Frage 100 des Herrn Abgeordneten Schröder auf:
Welcher Personenkreis in der DDR mußte sich durch Unterschriften verpflichten, keinerlei Einladungen an Burger der Bundesrepublik Deutschland auszusprechen, und was hat die Bundesregierung unternommen, um die DDR-Regierung zu einer Zurücknahme dieser Maßnahmen zu veranlassen?
Die Frage 100 beantworte ich wie folgt. Herr Kollege, in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 20. Dezember 1972 habe ich bereits auf Ihre diesbezügliche Frage ausgeführt, daß der Bundesregierung durch Zuschriften und andere Hinweise bekanntgeworden ist, daß auf bestimmte Kreise der Bevölkerung der DDR eingewirkt wird, entweder keine Besuche aus dem Bundesgebiet zu empfangen oder nicht selber in das Bundesgebiet zu reisen. Bei dem betroffenen Personenkreis handelt es sich nach unseren derzeitigen Erkenntnissen in erster Linie um solche Bewohner der DDR, die bestimmte Positionen im Staats-, Parteioder Wirtschaftsapparat bekleiden, sowie deren Angehörige. Da die einschlägigen Anordnungen der DDR nicht veröffentlicht worden sind, vermag die
Bundesregierung auch nicht im einzelnen exakt anzugeben, welche Kategorien von Personen von dieser Regelung betroffen sind. Nach Auffassung der Bundesregierung ist der betroffene Personenkreis übertrieben groß und nicht mit Sicherheitsinteressen erklärbar. Ich schließe jedoch nicht aus, daß er von der DDR eingegrenzt wird.
Nun zu den Schritten der Bundesregierung. Bundesminister Bahr hat Herrn Staatssekretär Kohl bei allen Begegnungen seit September vergangenen Jahres auf die Schwierigkeiten im Reiseverkehr zwischen den beiden Staaten angesprochen. Darüber hinaus sind diese Dinge auch bei anderen Gelegenheiten angesprochen worden, so daß Gelegenheit war, auf Verbesserungen hinzuwirken. Der zuständige Bundestagsausschuß wurde übrigens durch Herrn Minister Franke eingehend unterrichtet.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schröder .
Herr Staatssekretär, treffen Informationen zu, denen zufolge in diesen Personenkreis, den Sie eben sehr allgemein beschrieben haben, auch die ehemaligen Mitarbeiter der Ihnen bekannten Einrichtungen sowie deren Angehörigen einbezogen sind?
Ich kann das im Moment nicht bestätigen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Marx.
Herr Staatssekretär, da Sie eben gesagt haben, die betreffenden Anordnungen der DDR seien nicht veröffentlicht worden, frage ich Sie: Müssen wir davon ausgehen, daß es neben den Zusagen der DDR an unsere Unterhändler Anordnungen gibt, die die Substanz dieser Zusagen wieder aushöhlen?
Wir können ungefähr abschätzen, daß die Anordnungen in den einzelnen Bezirken und Städten zum Teil sehr unterschiedlich gehandhabt werden. Ich möchte aber davon ausgehen, dali diese Anordnungen — meines Erachtens nicht zuletzt auf Grund unserer energischen Vorstellungen — in jedem Fall auf den betreffenden Personenkreis, wie es ihn ja auch hier in der Bundesrepublik gibt, beschränkt werden. Von einem Aushöhlen möchte ich hier nicht sprechen. Ich sagte bereits vorhin bei der Beantwortung einer anderen Frage, daß es drüben größere Schwierigkeiten gibt, als man geglaubt hat.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wehner.
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1 154 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. März 1973
Herr Staatssekretär, ohne gleichstellen zu wollen, frage ich Sie: Sind hier bei uns, in der Bundesrepublik Deutschland, die Personenkreise öffentlich bekanntgegeben worden bzw. werden ständig die Personenkreise bekanntgegeben, die aus Gründen ihres Dienstverhältnisses und anderen beruflichen Verpflichtungen gewisse Länder nicht bereisen oder besuchen sollen und dürfen?
Das geschieht in laufenden Belehrungen in den einzelnen Dienststellen und Behörden.
Entschuldigen Sie, Herr Kollege Wehner, ich habe Sie mißverstanden. Das wird nicht veröffentlicht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß es zur Schutzpflicht gehört, die nach Art. 1 GG der Bundesregierung auch für die Deutschen drüben in der DDR obliegt, für die durch diese Maßnahmen beeinträchtigten Rechte der Deutschen drüben einzutreten, und ist die Bundesregierung der Auffassung, daß sie das nach wie vor und in gleichem Umfang auch nach Ratifikation und Inkrafttreten des Grundvertrags tun kann und wird?
Ich habe bereits mehrfach gesagt, daß wir uns laufend darum bemühen, Verbesserungen und Veränderungen zugunsten der Betroffenen zu erreichen; dies wird auch nach Inkrafttreten des Vertrages möglich sein und geschehen. Ich habe außerdem erklärt, daß es nur durch unsere Politik und den Abschluß der Verträge möglich ist, daß wir hier wie in den vergangenen Fragestunden über solche Probleme diskutieren können.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Barche.
Herr Staatssekretär, können Sie mir im Zusammenhang mit der Frage 100 wohl sagen, wieviel Personen von der DDR an der Demarkationslinie zurückgewiesen worden sind?
Wenn Sie den Berlinverkehr meinen: im letzten Jahr ist eine Zurückweisung von nur 64 Personen registriert worden, während der Reiseverkehr gegenüber 1971 um rund 1,4 Millionen Personen zugenommen hat.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen.
Die Frage 120 des Abgeordneten Dr. Jahn wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 121 des Abgeordneten Walkhoff auf:
Ist die Bundesregierung gewillt, diplomatische Beziehungen zu Nord-Vietnam aufzunehmen, vorausgesetzt, daß auch die dortige Regierung zu einem solchen Schritt bereit ist?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung ist grundsätzlich daran interessiert, mit allen vier Staaten des ehemaligen Indochina diplomatische Beziehungen herzustellen bzw. zu unterhalten. Das gilt auch für Nord-Vietnam. Die Bundesregierung wird jedoch in der jetzigen Phase der weiteren Entwicklung in Indochina nicht vorgreifen. Sie wird zunächst abwarten, ob alle Unterzeichnerstaaten des Waffenstillstandsabkommens dessen Bestimmungen einhhalten. Sie wird abwarten, ob die beiden Parteien in Süd-Vietnam auch nach dem Abzug der US-Truppen innerhalb von 60 Tagen willens sind, wie in dem Waffenstillstandsabkommen vereinbart, die noch offenen Fragen auf friedlichem Wege zu lösen.
Die Herstellung diplomatischer Beziehungen zwischen Nord-Vietnam und der Bundesrepublik Deutschland ist keine prinzipielle, sondern lediglich eine Frage des geeigneten Zeitpunkts. Wir werden uns bei der Überprüfung unserer Beziehungen zu Nord-Vietnam mit unseren europäischen Partnern und den Vereinigten Staaten abstimmen. Man ist zur Zeit ernsthaft bemüht, in Vietnam die Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden zu schaffen. Wir möchten diesen Prozeß nicht durch einseitige Maßnahmen stören.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Walkhoff.
Herr Staatssekretär, muß Ihr Hinweis darauf, daß wir erst die Entwicklung der Verhältnisse in Vietnam abwarten müssen und diese nicht beeinflussen dürfen, als ein eindeutiges Votum gegen Nord-Vietnam verstanden werden, wenn man bedenkt, daß wir zu Süd-Vietnam schon seit längerer Zeit diplomatische Beziehungen haben?
Nein, Herr Abgeordneter, unsere Bemühungen müssen Sie als Beitrag zur friedlichen Entwicklung in diesem Lande verstehen. Das ist die gemeinsame Auffassung all unserer Partner.
Ich rufe die Frage 122 des Abgeordneten Walkhoff auf:Ist die Bundesregierung bereit, schon vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Nord-Vietnam, die Einreiseverbote für Vertreter Nord-Vietnams, der Vietnamesischen Befreiungsfront , der Provisorischen Revolutionsregierung Süd-Vietnams
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. März 1973 1155
Vizepräsident Dr. Jaegerund der Befreiungsbewegungen der übrigen Staaten Indochinas aufzuheben und die Einrichtung von Informationsbüros in der Bundesrepublik Deutschland zu gestatten?Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, ein generelles Einreiseverbot für die genannten Personengruppen hat nie bestanden. Die Genehmigung wurde stets erteilt, wenn der Zweck der Reise ein humanitäres Anliegen war. Die Genehmigung wurde nur dann verweigert, wenn mit der Einreise offensichtlich beabsichtigt wurde, auf deutschem Boden gegen uns verbundene Staaten in der Öffentlichkeit zu agitieren. Auch in Zukunft werden Einreisesichtvermerke den genannten Personengruppen nach den bisherigen Grundsätzen erteilt.
Wie Sie wissen, Herr Kollege, ist die Freiheit der Berichterstattung in der Bundesrepublik Deutschland gewährleistet. Man wird aber bei der Zulassung von Informationsbüros, wie sie sich nennen, zu unterscheiden haben, ob hier eine wirkliche Informationsmöglichkeit eröffnet werden soll oder ob versucht wird, innenpolitische Auseinandersetzungen anderer Länder auf unserem Boden auszutragen.
Die Bundesregierung wird diese Aspekte beachten müssen, wenn sie ihre Entscheidung trifft. Ich hatte bisher den Eindruck, daß alle Teile dieses Hauses diese Haltung der Bundesregierung mittragen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Walkhoff.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie so verstehen, daß Einreisen und Einrichtungen von Büros möglich wären, wenn es sich dabei allein darum handelt, die Probleme Nord-Vietnams hier in der Öffentlichkeit darzustellen?
Herr Abgeordneter, nach der Beilegung der Kampfhandlungen in Vietnam insgesamt und nach einer friedlichen Entwicklung und nach der Herstellung normaler Beziehungen, die wir zu allen Staaten in dieser Welt wünschen, wird man diese Frage sicherlich in einem anderen Licht sehen können, als sie in der Vergangenheit gesehen werden mußte.
Ich rufe die Frage 123 des Abgeordneten Dr. Schweitzer auf:
Trifft es zu, daß, wie die „Welt am Sonntag" vorn 4. Februar 1973 meldet, ausländische Touristen in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere aus Polen, Ungarn und der CSSR, über ihre Einstellung zu den Regimen in ihren Ländern durch Meinungsforschungsinstitute befragt wurden, wenn ja, haben solche Institute nach Kenntnis der Bundesregierung für derartige Untersuchungen Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln erhalten, und wie beurteilt die Bundesregierung unter dem Gesichtspunkt des außenpolitischen Gesamtinteresses der Bundesrepublik Deutschland derartige Umfragen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, ich gehe davon aus, daß sich Ihre Frage auf die Meldung „Wenn es freie Wahlen gäbe" in der „Welt am Sonntag" vom 4. Februar 1973, Seite 3, bezieht. Wie es in dieser Meldung heißt, sind die Meinungsumfragen unabhängiger Meinungsforschungsinstitute in sechs westeuropäischen Ländern, also nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, durchgeführt worden. Nachforschungen der Bundesregierung haben keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, daß Zuschösse aus öffentlichen Mitteln zu Meinungsumfragen zu dem von Ihnen genannten Thema gegeben worden sind.
In unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung kommt es nicht selten vor, daß Meinungsforschungen zu Themen in Auftrag gegeben werden, die nach Auffassung der Bundesregierung unter außenpolitischen Gesichtspunkten wenig glücklich sind. Die in der Verfassung garantierte Meinungsfreiheit hat demgegenüber Priorität. Ich füge hinzu: Die Bundesregierung hat auch keinen Einfluß darauf, wer in einem freien Land Meinungsforschungsinstitute aus eigenem Interesse beauftragt, irgendwelche Umfragen durchzuführen.
Ich rufe die Frage 124 des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz auf:
Sieht die Bundesregierung heute noch eine Möglichkeit, ihrer Rechtspflicht nachzukommen gegenüber den ca. 300 000 ausreisewilligen Deutschen aus den jetzt polnischen Gebieten — nach-
dem beim Vertragsabschluß auf eine exakte Beschreibung der
Vertragsgegenstände verzichtet wurde —, um zu erreichen, daß
Ausreise benachteiligungsfrei den Antrag auf Ausreise stellen können und tatsächlich unter menschenwürdigen Umständen, d. h. ohne Gefahr zu laufen, schwere wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen zu müssen, ausreisen dürfen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, zunächst möchte ich klarstellen, daß die Bundesregierung beim Abschluß des Warschauer Vertrages nicht auf eine exakte Beschreibung der Vertragsgegenstände in dem von Ihnen angedeuteten Sinne verzichtet hat. Wie Ihnen bekannt ist, wurde der Kreis der Umsiedlungsberechtigten im wesentlichen durch zwei Kriterien festgelegt: Entweder handelt es sich um Personen unbestreitbarer deutscher Volkszugehörigkeit oder um gemischte und getrennte Familien, die sich mit ihren in der Bundesrepublik Deutschland oder der Deutschen Demokratischen Republik lebenden nahen Verwandten vereinigen wollen.Die polnische Regierung hat in der Information ferner zugesichert, daß die persönlichen Bindungen an Deutschland berücksichtigt werden sollen.Die Bundesregierung hat sowohl bei den Verhandlungen im Jahre 1970 wie in den späteren Kontakten mit der polnischen Regierung darauf hingewiesen, daß die Situation der betroffenen Menschen, von denen sich eine erhebliche Anzahl seit vielen Jahren vergeblich um die Ausreise aus Polen be' müht, die deutsch-polnischen Beziehungen belasten muß, solange dieses Problem nicht gelöst ist.Obwohl die gegenwärtige Lage hinsichtlich der Umsiedlung unbefriedigend ist, möchte ich doch folgendes nachdrücklich feststellen. Die polnische Regierung hat einerseits stets betont, daß sie die bezüglich der Umsiedlung gegebenen Zusagen einhalten will, und andererseits, daß sie die weitere Verbesserung des deutsch-polnischen Verhältnisses zu
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1156 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. März 1973
Parl. Staatssekretär Moerschnormalen und guten Beziehungen anstrebt. Angesichts dieser polnischen Haltung gehe ich davon aus, daß die zur Zeit noch bestehenden Probleme und Schwierigkeiten der Umsiedlungswilligen überwunden werden können.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung heute die lückenhaften schriftlichen Vereinbarungen mit Polen, deretwegen sehr viele ausreisewillige deutsche Menschen unwürdigen Schikanen ausgesetzt sind?
Herr Abgeordneter, es gibt keine lückenhaften Vereinbarungen mit Polen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, was ka an seitens der Bundesregierung unternommen werden, damit endlich die Schikanen aufhören, die die Menschen erleiden müssen, die sich zur Aussiedlung bereit gefunden und entschlossen haben?
Herr Abgeordneter, ich weise noch einmal darauf hin, daß die Bundesregierung alle diese Fälle zum Gegenstand von Gesprächen mit dem polnischen Partner gemacht hat. Ich darf mich hier auf die Erläuterungen beziehen, die wir diese Woche im Auswärtigen Ausschuß gegeben haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, welche Zusammenstellungen über die schweren wirtschaftlichen Nachteile, die in der Frage genannt sind, und die menschenunwürdigen Umstände, der diese deutschen Staatsangehörigen unterworfen sind, besitzt die Bundesregierung, und beabsichtigt sie, diese einmal dokumentarisch der Öffentlichkeit zu übermitteln?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat die Kenntnisse, die ihr von den Betroffenen zugehen. Die Bundesregierung wird ihre Veröffentlichungen an dem Interesse der Betroffenen messen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wende.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß es eine Reihe von Umsiedlern gibt, die nach geglückter Aussiedlung bereits in der Bundesrepublik ansässig waren, dann jedoch wieder den Wunsch geäußert hatten, zurückzukehren, weil sie im nachhinein feststellten, daß der Verlust der Heimat — das bedeutete für sie ja die Aussiedlung — in dem polnischen Oberschlesien für sie nicht durch das aufgewogen werden konnte, was sie im Westen anzutreffen erhofft hatten?
Herr Abgeordneter, es gibt eine ganze Fülle tragischer Verstrickungen, die in diesem Zusammenhang genannt werden müssen. Es gibt solche Einzelfälle, wie Sie sie genannt haben. Jedenfalls ist das jeweils in den Zeitungen berichtet worden.
Sie wissen, daß es auch seit Jahren eine Umsiedlungstätigkeit in anderer Richtung — wenn auch in sehr viel geringerem Umfange — gegeben hat. Aber diese Einzeltatsachen beweisen nur, daß eine gründliche Aufklärung und Information, etwa durch stärkere menschliche Kontakte, im allgemeinen nützlich ist, um hinterher eine Enttäuschung zu vermeiden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Biehle.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß im Rahmen der Ausreise von Deutschen aus Polen jeweils im voraus die Kopfbeträge und viele Gebühren bezahlt worden sind, aber nach der Ablehnung der Anträge nicht mehr zurückerstattet werden, und sind Sie bereit, bei Ihren künftigen Verhandlungen dafür zu sorgen, daß den betroffenen Personenkreisen diese finanziellen Ausfälle ersetzt werden?
Wenn uns solche Angaben vorliegen, werden wir uns selbstverständlich darum bemühen. Mir ist im Augenblick kein solcher Fall gegenwärtig.
Ich rufe die Frage 125 des Abgeordneten Dr. Kunz auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Unterlassung, den Begriff „Personen mit unbestreitbarer deutscher Volkszugehörigkeit" beim Vertragsabschluß in Warschau im Dezember 1970 präzisiert zu haben, die eigentliche Ursache für die unerträglichen Schwierigkeiten und Schikanen ist, denen die ausreisewilligen Deutschen in Polen heute teilweise unterworfen werden, weil dadurch die Volksrepublik Polen in die Lage versetzt wird, über das Schicksal ihrer ausreisewilligen deutschen Mitbürger nach eigenem Ermessen zu entscheiden?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, die Antwort heißt: nein. Die Bundesregierung teilt nicht Ihre Auffassung, die Schwierigkeiten seien darauf zurückzuführen, daß der Begriff „Personen mit unbestreitbarer deutscher Volkszugehörigkeit" nicht näher präzisiert wurde. Ich möchte lediglich darauf hinweisen, daß unter den gegebenen Umständen eine exakte Definition sehr schwierig gewesen wäre und in manchen Fällen auch zu Nachteilen der Be-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. März 1973 1153
Part. Staatssekretär Moerschtroffenen hätte führen können. Denken Sie z. B. an das Problem vor allem derjenigen Menschen, die nach 1945 in einer sprachlich rein polnisch orientierten Umwelt aufgewachsen sind.Nach Lage der Dinge war es nur vernünftig, die Kriterien pragmatisch und flexibel zu fassen. Auseinandergehende Auffassungen ergeben sich weniger über die Kriterien als über die Frage, wieweit im Rahmen ihrer Anwendung der Wille der Betroffenen als Maßstab gelten soll.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Was kann die Bundesregierung tun, Herr Staatssekretär, damit nun endlich die Deutschen mit unbestreitbar deutscher Volkszugehörigkeit wirklich aussiedeln können? Denn es fällt doch auf, daß von der Zahl, die wir kennen, die Personen mit unbestreitbar deutscher Volkszugehörigkeit kaum 1 % ausmachen.
Herr Abgeordneter, ich verweise auf die vorhin gegebene Antwort und auf die Ausführungen im Auswärtigen Ausschuß. Ich habe hier erklärt und wiederhole es, daß wir in nachdrücklichen Gesprächen über diese Frage mit dem polnischen Partner stehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, würden Sie auf Grund der Vertragsverhandlungen bestätigen können, daß die Volksrepublik Polen über die Ausreise deutscher Staatsangehöriger nicht ausschließlich nach eigenem Ermessen entscheiden kann, sondern daß dies eingeschränkt ist, da der Volksrepublik Polen in den Schlußverhandlungen deutlich gemacht wurde, daß in dieser humanitären Frage ein erfüllter Mindestinhalt Voraussetzung für die Paraphierung des Vertrages und für seine Unterzeichnung war und ist und also die Nichterfüllung Rückwirkungen auf den Vertrag hat?
Herr Abgeordneter, ich habe exakt diese Frage vor kurzem in diesem Hause beantwortet; die Antwort findet sich im Protokoll.
Können Sie das also bestätigen?
Ja, denn Sie haben ja zum Teil aus meiner Antwort zitiert. Warum sollte ich meine eigene Antwort nicht bestätigen können?
Die Frage 126 des Herrn Abgeordneten Kahn-Ackermann ist zurückgezogen worden. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern und rufe zuerst Frage 5 des Abgeordneten Dr. Schweitzer auf:
Trifft es zu, daß es innerhalb der ARD Bestrebungen gibt, die finanzielle Grundlage des Deutschlandfunks zu verändern, und wie ist die im Kommuniqué über die gemeinsame Sitzung der Regierungschefs von Bund und Ländern am 23. Februar 1973 in Bonn vom Bundesminister des Innern angedeutete Auffassung der Bundesregierung über den Deutschlandfunk" konkret zu verstehen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, wegen der Bedeutung dieser Frage möchte ich vorweg unmißverständlich klarstellen, daß die Bundesregierung nicht den geringsten Anlaß sieht, hinsichtlich des Deutschlandfunks ihre Auffassung zu ändern.Im Rahmen des gesetzlichen Auftrages hat der Deutschlandfunk durch Rundfunksendungen für Deutschland und das europäische Ausland ein umfassendes Bild Deutschlands zu vermitteln. Diesem Auftrag liegt zugrunde, daß die Kenntnis der Deutschen voneinander und ihr Verstehen untereinander ein besonderes Anliegen bleiben muß.Wegen dieser besonderen Sachlage sollte der Deutschlandfunk nach wie vor aus Mitteln des Rundfunkgebührenaufkommens finanziell abgesichert werden.Diese eindeutige Haltung hat die Bundesregierung unverzüglich nach Bekanntwerden der Verlautbarungen des Intendanten des Hessischen Rundfunks am 19. Februar 1973 durch ihren Sprecher klarstellen lassen. Der Bundesminister des Innern hat darüber hinaus auch die Regierungschefs der Länder in der Besprechung mit dem Bundeskanzler am 23 .Februar 1973 über diese Auffassung der Bundesregierung unterrichtet.Bei den Bestrebungen innerhalb der ARD, die finanzielle Grundlage des Deutschlandfunks zu verändern, handelt es sich lediglich um Gedanken zur Reform des Finanzausgleichs der Rundfunkanstalten der Länder, die der Intendant des Hessischen Rundfunks meines Erachtens als persönliche Überlegungen gelegentlich einer Zusammenkunft der Intendanten der ARD seinen Kollegen zugänglich gemacht hat.Die ARD hat hierzu bisher noch keine Stellungnahme abgegeben. Die Intendanten der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland werden Ende März dieses Jahres in Berlin über den weiteren Finanzausgleich ihrer Rundfunkanstalten unter Berücksichtigung der von ihnen angeregten Rundfunkgebührenerhöhung beraten. Auf dieser Besprechung wird voraussichtlich auch die Frage der Beibehaltung und der gegebenenfalls bei einer Gebührenanhebung in Betracht zu ziehenden entsprechenden Erhöhung der Mitfinanzierungsquote für den Deutschlandfunk aus dem Rundfunkgebührenaufkommen erörtert werden.
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1158 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. März 1973
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung meine Auffassung teilt, daß angesichts der erhöhten Bedeutung, die dem Deutschlandfunk in der neuen Phase unserer Beziehungen zur DDR zukommt, bei einer allgemeinen Erhöhung der Rundfunkgebühren der Etat für diesen Sender heraufgesetzt werden sollte?
Wie Sie wissen, war das Verhältnis der Finanzierungsquote aus dem Rundfunkgebührenaufkommen und aus den Mitteln, die der Bund zur Verfügung stellt, früher, 1 : 1. Weil es sich aber um einen fixen Betrag handelt, der von den Rundfunkanstalten für den Deutschlandfunk vorgesehen war, hat sich dieses Verhältnis verschoben. Die Bundesregierung wird anstreben, daß wieder ein anderes Verhältnis erreicht wird und daß dem Deutschlandfunk das Gebührenaufkommen gesichert wird.
Ich komme zu den Fragen 6 und 7 des Abgeordneten Dr. Wörner:
Trifft die Meldung in der „Welt" vom 21. Februar 1973 zu, wonach die geheimen „Wintex-73-Unterlagen" der sowjetischen Botschaft in Rolandseck per Post zugestellt und von dort per Boten am 9. Februar 1973 dem Auswärtigen Amt wieder zugeleitet wurden?
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung getroffen, um die Angelegenheit aufzuklären und Vorsorge zu treffen, daß solche Vorgänge sich nicht wiederholen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, Ihre Fragen berühren Angelegenheiten, die im Interesse der Bundesrepublik Deutschland geheimzuhalten und die Gegenstand eines noch schwebenden Ermittlungsverfahrens sind. Ich bitte daher um Verständnis dafür, daß ich mir bei der Beantwortung Beschränkungen auferlegen muß.
In einer vertraulichen Sitzung hat der Bundesinnenminister dem Innenausschuß des Deutschen Bundestages am 20. März, also vor wenigen Tagen, nähere Angaben gemacht.
Herr Abgeordneter Dr. Wörner!
Bei der Bedeutung, die diese Angelegenheit auch in der internationalen Öffentlichkeit erhalten hat, kann ich mich leider mit dieser Antwort nicht ganz abfinden, und ich frage Sie: wann werden diese Untersuchungen abgeschlossen sein, und in welcher Weise wird der Öffentlichkeit dann Aufschluß gegeben werden?
Die zuständigen Behörden tun alles, um diese Ermittlungen so schnell wie möglich zu Ende zu führen. Die Öffentlichkeit wird selbstverständlich über das Ergebnis unterrichtet werden.
Eine zweite Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung bereit, in der nächsten Sitzung des Verteidigungsausschusses einen Zwischenstandsbericht neuesten Datums vorzulegen?
Das wird die Bundesregierung sicher sein, wenn sich neue Tatsachen ergeben, die über das, was dem Innenausschuß schon berichtet wurde, hinausgehen.
Ich komme zur Frage 8 des Abgeordneten Dr. Slotta. Der Abgeordnete ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Zu den Fragen 9 und 10 des Abgeordneten Dr. Evers ist schriftliche Beantwortung beantragt. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich komme zur Frage 11 des Abgeordneten Berger:
Treffen Pressemeldungen zu, nach denen eine Umgliederung im Bundesamt für Verfassungsschutz dergestalt beabsichtigt ist, daß eine neue Abteilung zur Beobachtung des politischen Terrorismus unter Ausgliederung der entsprechenden Arbeitsgebiete aus den Abteilungen für Links- und Rechtsradikalismus eingerichtet werden soll?
Die zunehmende Bedrohung durch terroristische Aktivitäten hat Maßnahmen notwendig gemacht, um die Nachrichtengewinnung des Bundesamtes für Verfassungsschutz auf dem Gebiet des Terrorismus zu intensivieren. Die Bundesregierung ist bereit, darüber und über etwaige organisatorische Konsequenzen dem Parlamentarischen Vertrauensmännergremium nach seiner Konstituierung nähere Mitteilungen zu machen.
Zu einer Zusatzfrage Abgeordneter Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, hofft die Bundesregierung mit dieser organisatorischen Maßnahme die totale Stagnation beim Aufspüren der Baader-Meinhoff-Bande zu überwinden, von deren noch auf freiem Fuß befindlichen annähernd zehn Kernmitgliedern seit vielen Monaten keines mehr festgenommen wurde?
Ich vermag Ihre Auffassung nicht zu teilen und verweise Sie — ich bitte da um Verständnis — wegen der näheren Einzelheiten auf das von mir vorgeschlagene Gremium.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Welches sind die Gründe für eine Umbesetzung in der Leitung der Abteilung Linksradikalismus, und ist als Nachfolger —
Das kommt doch in Ihrer nächsten Frage, Herr Abgeordneter!
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. März 1973 1159
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nicht unmittelbar. Aber ich kann dann die Frage zurückstellen.
Herr Abgeordneter Dr. Miltner!
Herr Staatssekretär, können Sie dem Hause nicht mitteilen, ob beabsichtigt ist, eine neue Abteilung im Bundesamt für Verfassungsschutz einzurichten?
Ich bitte noch einmal um Verständnis, Herr Abgeordneter, daß diese Angaben besser im Parlamentarischen Vertrauensmännergremium diskutiert werden sollten.
Ich komme zur Frage 12 des Abgeordneten Berger:
Ist es richtig, daß im Zusammenhang mit dieser Umgliederung der Leiter der Abteilung Linksradikalismus in die weit kleinere Abteilung Rechtsradikalismus umgesetzt werden soll?
Die Frage ist so, wie sie gestellt ist, eindeutig mit Nein zu beantworten.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ist das auch außerhalb dieses Zusammenhangs nicht der Fall?
Herr Abgeordneter, ich würde Sie bitten, auch diese Frage im Parlamentarischen Vertrauensmännergremium zu stellen.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Werden der Abteilung Linksradikalismus die operativen Kräfte einschließlich der Observationsgruppe zur Beobachtung der DKP und ihrer Anhängsel auch organisatorisch uneingeschränkt weiter zur Verfügung stehen?
Herr Abgeordneter, ich habe Verständnis für Ihre Frage, bitte Sie aber nochmals, für meine Antwort Verständnis zu haben, daß diese Fragen — die mit den anderen im Zusammenhang stehen — in dem von mir vorgeschlagenen Gremium beantwortet werden sollten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es nicht richtig, daß es im allgemeinen eine gute Übung in diesem Hause wie in anderen demokratischen Parlamenten war, Einzelheiten dieser Art aus dem Bereich der Nachrichtendienste nicht im Plenum des Parlaments zu erörtern?
Ich teile Ihre Auffassung voll und ganz, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Miltner.
Herr Staatssekretär, wäre es nach Ihrer Auffassung nicht besser, wenn alle diese Fragen nicht im Vertrauensmännergremium, sondern im zuständigen Innenausschuß besprochen würden?
Herr Abgeordneter, ich bitte um Verständnis, daß ich bei meinem Vorschlag bleibe, da uns das als das geeignete Gremium erscheint.
Ich komme zur Frage 13 des Abgeordneten Gerster :
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß Pressemeldungen über eine beabsichtigte Umgliederung des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit dem Ergebnis einer Abgrenzung der Beobachtung der DKP von der anderer linksradikaler Organisationen einerseits und Meldungen über Beschwerden der DKP wegen ihrer Beobachtung durch den Verfassungsschutz andererseits in einem inneren Zusammenhang stehen?
Die Pressemeldungen treffen in dieser Form nicht 711. Wie ich bereits in der Antwort auf die Anfrage ,des Abgeordneten Berger zum Ausdruck gebracht habe, hat die zunehmende Bedrohung durch terroristische Aktivitäten Maßnahmen notwendig gemacht, um die Nachrichtengewinnung des Verfassungsschutzes auf dem Gebiet des Terrorismus zu intensivieren. Diese Maßnahmen stehen in keinem Zusammenhang mit der Beurteilung der Notwendigkeit, die DKP zu beobachten.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Gerster.
Herr Staatssekretär, sehen Sie dann die Beobachtung der DKP durch den Verfassungsschutz nicht, wie die DKP selbst, als verfassungswidrig und kriminell an, sondern als zum Schutze unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung dringend notwendig?
Ich teile Ihre Meinung und nicht die Meinung der DKP.
Eine zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Gerster.
Teilen Sie meine Auffassung, daß jede Zurückhaltung des Verfassungsschutzes bei der Beobachtung der DKP geeignet wäre, die Indifferenz in der Einschätzung der Gefährlichkeit des Kommunismus für die Freiheit zu fördern?
Von einer Zurückhaltung, Herr Abgeord-
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1160 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. März 1973
Parl. Staatssekretär Baumpeter, kann — ich habe es bereits gesagt — nicht die Rede sein.
Ich komme zur Frage 14 des Abgeordneten Gerster :
Hält die Bundesregierung ihre Auffassung aufrecht, daß die DKP wie die verbotene KPD sich auf der ideologischen und politischen Linie der SED bewegt, sich zu den Lehren von Marx, Engels und Lenin bekennt, die Ablösung unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch die Diktatur des Proletariats anstrebt und daher verfassungsfeindliche Ziele verfolgt?
Herr Staatssekretär!
Die DKP bewegt sich wie die verbotene KPD auf der ideologischen und im wesentlichen auch auf .der politischen Linie der SED. Sie bekennt sich zu den Lehren von Marx, Engels und Lenin. Das Bekenntnis zu den Theorien des Marxismus-Leninismus schließt nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts im sogenannten KPD-Urteil notwendigerweise die Herbeiführung ,der proletarischen Revolution und die Diktatur des Proletariats ein.
Zur Frage der Vereinbarkeit der Diktatur des Proletariats mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hat das Bundesverfassungsgericht in dem erwähnten KPD-Urteil ausgeführt — ich zitiere —:
Die Diktatur des Proletariats ist mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes unvereinbar. Beide Staatsordnungen schließen einander aus; es wäre nicht denkbar, den Wesenskern des Grundgesetzes aufrechtzuerhalten, wenn eine Staatsordnung errichtet würde, die die kennzeichnenden Merkmale der Diktatur des Proletariats trüge.
Die Bundesregierung, Herr Abgeordneter, hält dementsprechend an ihrer Auffassung fest, daß die DKP somit verfassungsfeindliche Ziele verfolgt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie dann Pressekommentaren nicht zu, daß die Behauptung, die DKP sei eine Ersatzorganisation der verbotenen KPD, ein ungeheuerlicher Anschlag gegen die marxistische Partei der Arbeiterklasse sei?
Die Frage, ob die DKP eine Ersatzorganisation ist, und die aus der Antwort gegebenenfalls zu ziehenden Schlußfolgerungen sind von der Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern zu prüfen.
Wir stehen am Ende der Fragestunde. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Die nicht beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Die Fragen 16, 17, 28, 37, 38, 73, 74, 76, 77, 78, 83, 102 bis 105, 110, 111, 112, 126 und B 26 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete von Wrangel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ich auf Grund der Ziffer 2 der Richtlinien für die Aktuelle Stunde eine Aktuelle Stunde beantragen. Ich möchte zur Begründung dieses Antrags folgendes feststellen.
Herr Staatssekretär Herold hat sich Mühe gegeben, die hier gestellten Fragen wortreich zu beantworten. Aber er ist immer wieder auf Nebengebiete ausgewichen. Ich möchte darüber hinaus sagen, daß die Regierung vor der Wahl immer wieder versucht hat, der Öffentlichkeit weiszumachen, nun würde der gesamtdeutsche Frühling ausbrechen. Wir stellen fest, daß nach der Wahl die Vereisung im gesamtdeutschen Bereich zugenommen hat. Ich bin der Meinung, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung hier eine unverantwortliche Vertrauensseligkeit demonstriert.
Deshalb ist auch diese Fragestunde für die Bundestagsfraktion der CDU/CSU unbefriedigend gewesen. Wir fordern die Bundesregierung noch einmal auf, ihre Politik der Verschleierung und Beschwichtigung endlich zu korrigieren.
Die aktuelle Stunde dient diesem Zweck.
Meine Damen und Herren, es ist gemäß Ziffer 2 der vorläufigen Bestimmungen über Aussprachen zu Fragen von allgemeinem aktuellen Interesse eine Aktuelle Stunde im Anschluß an eine mündliche Anfrage beantragt: Dem ist stattzugeben.
Ich eröffne die
Aktuelle Stunde.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Marx.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde erweist sich als nötig, um von der Bundesregierung endlich zu erfahren, ob sie die schlechte Übung weiterverfolgen will, durch Abwiegeln, Verharmlosen und Herunterspielen die Tatsachen zu verdrängen, die Tatsachen nämlich, daß ihr feste Zusagen für Erleichterungen des Lebens der Menschen im geteilten Deutschland in den Verhandlungen mit der DDR nicht gegeben worden sind, daß sie düpiert worden ist und daß sie — ich nehme das auf, was soeben Kollege von Wrangel sagte — vor der Wahl unserer Öffentlichkeit Dinge dargestellt hat, die sich bei unserem kritischen Fragen und Prüfen nach der Wahl eben nicht als realisierbar erweisen.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. März 1q73 1161
Dr. Marx
Meine Damen und Herren, der Kollege Herold hat sich heute, was ich ausdrücklich hervorheben möchte, im Gegensatz zu früheren Diskussionen, große Mühe gegeben, Antworten auf unsere Fragen zu geben, und er hat gestern gesagt, er wünsche — und wir nehmen dies auf, Herr Kollege Herold —, daß wir uns überlegen, in welcher Weise vertrauliche Dinge in einem sogenannten Kontaktausschuß diskutiert werden können. Aber ich bitte doch auch zu sehen: Es geht nicht, daß Sie vor den Wahlen eine ganze Reihe von Propagandaformeln gebrauchen, die in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, jetzt endlich sei es soweit, jetzt gebe es eine gesamtdeutsche Entwicklung, jetzt gebe es ein viel engeres Miteinander der Menschen, und dann nach den Wahlen, wenn wir fragen, sagen: aber bitte, die Antworten darauf sind so heikel; darüber werden wir nur hinter verschlossenen Türen reden.
— Herr Kollege Wohlrabe, ich möchte gern noch etwas sagen. Wir haben einen Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen — wie das jetzt heißt -, Herrn Kollegen Franke. Ich selbst habe namens der Fraktion der CDU/CSU direkt nach der Wahl diesen Bundesminister in einem Brief gefragt, wie das denn nun mit den 308 Kindern sei, ob sie alle da seien, wenn nicht, warum nicht, wie viele noch fehlten, wie viele überhaupt noch drüben seien, und ich habe nach sage und schreibe einem Vierteljahr durch diesen Minister einen Brief bekommen, der aus zwei Sätzen bestand. Der erste lautete, er erbitte mein Verständnis, daß er erst jetzt antworte — aber er hat keinen Grund genannt —, und der zweite Satz lautete, er könne mir in dieser Sache nicht schriftlich antworten; das eigne sich nicht zur öffentlichen Erörterung.
Hier allerdings, meine Damen und Herren, müssen wir fragen, wie eigentlich die Bundesregierung glaubt mit dem Deutschen Bundestag umgehen zu können.
Wir sind auch nicht bereit, z. B. immerfort zu erleben, daß substantielle Fragen, die der Pressesprecher der Bundesregierung, wenn sie ihm auf Pressekonferenzen gestellt werden, gar keinen Anstand hat zu beantworten, dann, wenn sie hier gestellt werden, von der Bundesregierung unzureichend, ausweichend oder gar nicht beantwortet werden.
Wir wollen hier folgendes festhalten.
Erstens. Wir sprechen deshalb von menschlichen Erleichterungen, weil es sie offenbar nicht gibt, sondern weil die andere Seite, von der uns gesagt wird, wir gingen vom Nebeneinander zum Miteinander mit ihr über, menschliche Unerträglichkeit, ja Unmenschlichkeit herbeigezwungen hat.
Zweitens. Gestern sind hier Zahlen genannt worden, Herr Staatssekretär Herold — ich werde gleich noch darauf zurückkommen , die wir mit Interesse zur Kenntnis nehmen. Denn jeder von uns ist daran interessiert, daß sich die Dinge positiv weiterentwickeln. Aber Sie haben vor der Wahl und während der Wahl die törichte — und ich sage: stupide — Formel verwendet, 20 Jahre sei nichts getan worden. Herr Kollege Wehner, Sie waren damals Vorsitzender des Gesamtdeutschen Ausschusses;
Sie wissen ganz genau, wie wir uns damals alle zusammen in einer sehr schwierigen Situation Mühe gegeben haben, den anderen Stück um Stück etwas mehr aus den Händen herauszuziehen,
um dafür zu sorgen, daß menschliche Erleichterung eintritt.
In der Zeit, in der die CDU/CSU die Regierungsverantwortung hatte — ich nenne die Zeit von 1950 bis 1960 —, sind 3 582 000 Übersiedler herübergekommen
— ich würde dabei wirklich nicht lachen; denn es sitzen doch auch in diesem Hause einige, die damals zum Teil legal und zum Teil bei Nacht und Nebel, unter Gefahr für ihr eigenes Leben, zu uns herübergekommen sind —,
und zwar legal 130 000 Personen; unmittelbar nach dem Mauerbau sind 1000 Kinder herübergekommen; vom Jahre 1962 auf 1963 15 000 politische Häftlinge; seit 1964 7000 politische Häftlinge; von 1962 bis 1969 auf legale Weise als Übersiedler 132 600 Menschen und in dem gleichen Zeitraum als Flüchtlinge 87 943.
Was die Bundesregierung vor der Wahl unserer Überzeugung nach hastig ausgehandelt hat, hat viele substantielle Elemente enthalten, die die andere Seite nun fest für sich in Händen hält. Die Bundesregierung hat ihrerseits dafür nur unpräzise und unverbindlich in Aussicht gestellt bekommen, daß man, wie es in dem Briefwechsel heißt, „Schritte ... unternehmen" werde, um Probleme in bestimmten Bereichen lösen zu können.
Unser Vorwurf an die Bundesregierung, meine Damen und Herren, besteht darin, daß sie in den Vertrag, der von beiden Seiten unterschrieben worden ist und von diesem Hause diskutiert und verabschiedet werden soll, nicht jene Elemente hineingebracht hat, von denen sie vorher immer gesagt hat, sie seien der eigentliche Sinn all ihrer Anstrengungen,
nämlich dafür zu sorgen, daß für die Menschen in diesem Lande dauerhaft Erleichterung geschaffen wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese, wie Sie sie nennen, Aktuelle Stunde ist damit eingeleitet worden, daß der Re-
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1162 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. März 1973
Wehnergierung vorgeworfen worden ist, sie habe vor derWahl den gesamtdeutschen Frühling angekündigt,
ja, das haben Sie gesagt; das ist hier so behauptet worden; das nennen Sie ausdrücklich „sehr richtig" — und nach der Wahl sei die Vereisung gekommen. Das ist Ihre Auffassung.Über die Art, in der Sie vor der Wahl über heikelste und delikateste Dinge humanitären Charakters geschrieben, geredet und getönt haben, will ich mit Ihnen gar nicht streiten.
— Warten Sie bitte ab! Wenn Sie sich mit Tatsachen befassen wollen, so steht Ihnen hier eine Stunde dafür zur Verfügung.Was die Verträge bedeuten, ist hier wiederholt und auch in der vorigen Stunde gesagt worden, an der nichts so aktuell war als das, daß Sie wieder einmal gezeigt haben, daß Sie in Wirklichkeit die Verträge nicht wollen und sich an jeder Einzelheit aufhängen, die Sie vorher finden.
Nun zu den Tatsachen. Zwischen dem 17. Oktober 1972, d. h. dem Inkrafttreten des Verkehrsvertrages, und dem 28. Februar 1973 sind erwachsene Privatreisende ohne die Kinder aus der Bundesrepublik Deutschland in die DDR eingereist — ohne die Berliner mitzurechnen im Dezember, also nach der Wahl, 341 000 — in einem einzigen Monat —, im Januar 1973 — in einem einzigen Monat — 135 000, im Februar 1973 — in einem einzigen Monat — 146 000. Einreisen aus der Deutschen Demokratischen Republik in die Bundesrepublik Deutschland — wieder ohne Berliner — vom 17. Oktober 1972 bis zum 28. Februar 1973: 141 000, davon in dringenden Familienfällen 30 000. Das sind Tatsachen an Stelle Ihrer Redensarten.Nun hat hier der Herr Marx von der „schlechten Übung" der Regierung gesprochen. Das haben wir ja aus den Fragen entnommen und bei den Zusatzfragen erlebt: Sie wollten am liebsten — jedenfalls einige von Ihnen —, die Gespräche, die gestern zwischen dem Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Herrn Grabert, und dem dortigen Staatssekretär Kohl geführt worden sind, heute hier öffentlich erörtern. Ich muß Ihnen nur eines sagen — —
— Das haben Sie hier gesagt, das können Sie im Protokoll nachlesen, noch ehe es wieder korrigiert werden kann. Das ist hier heute morgen so zu verstehen gegeben worden.
Ich möchte Ihnen folgendes sagen, Herrn Marx und auch den anderen, die eben jetzt von Ausschüssen sprechen: Dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion ist angeboten worden, über die gestern in Berlin geführten Gespräche unverzüglich Informationen zu bekommen.
Ich weiß, daß das schriftlich geschehen ist. Ich weiß auch, wie schwierig das mit Herrn Kollegen Barzel ist. Aber die Sache, die Sie alle so wichtig nehmen, wird er wohl nicht weniger wichtig nehmen.
Es muß also andere Gründe haben.
Sie haben hier am Schluß einige Zahlen genannt, an die Sie, Herr Dr. Marx, noch denken werden. Die Praxis, die Sie auch hier im Parlament einzuführen versuchen, ist dieselbe, die Sie in einer unsäglichen und, wie ich Ihnen entgegenhalten muß, verantwortungslosen Weise
während des Wahlkampfes in Zeitungsinseraten sich haben ausströmen lassen. Das waren aber keine Zeitungsinserate wie jene, von denen Ihre offiziellen Parteistellen dann nach der Wahl abgerückt sind, sie seien ihnen von nicht bestellten Freunden zuteil geworden.
Sie stammten vielmehr amtlich von der CDU, und in ihnen wurde behauptet, unter dem Minister für gesamtdeutsche Fragen Wehner — ich nenne nur eines dieser Sudelinserate, damals in Gießen mit dem Namen des Kandidaten erschienen, den Sie alle kennen, der ein besonders kulturbeflissener Mensch ist —, unter Wehners Kabinettsmitgliedschaft und Ministerschaft seien besonders viele kriminelle Verbrecher und Täter hereingeholt und losgekauft worden. Ich sage, Sie werden das, was Sie heute hier gemacht haben, daß Sie das auch noch parlamentskundig zu machen versuchen, noch einmal selber bereuen.
Meine Damen und Herren, die Verträge schließen wir, um eine vertragliche Grundlage für die Beziehungen zu schaffen. Sie bedeuten keine Wohlverhaltensbekundung unsererseits. Was jetzt am Verhalten der DDR auszusetzen ist — vieles ist daran auszusetzen und wird daran auszusetzen sein, wie auch umgekehrt die, wenn auch aus anderen Motiven, an unserem Verhalten etwas auszusetzen und zu mißdeuten haben werden —, kann nicht dadurch aus der Welt geschafft werden, daß die vertragliche Grundlage überhaupt verweigert wird oder erst bei Wohlverhalten der anderen Seite in Aussieht gestellt wird. Sie müssen bedenken, daß Sie die
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WehnerMöglichkeiten, die zur Zeit für die Familienzusammenführung und die Lösung schwierigster menschlicher und familiärer Probleme noch oder schon gegeben sind, schwächen, ja, daß Sie sie schädigen. In beiden Fällen schädigen Sie diese Möglichkeiten! Wenn Sie das nicht wissen sollten,
dann können wir darüber sprechen, aber nicht in dieser Form,
die Sie zu wählen für richtig gehalten haben.
— Daß Sie hier in den Illustriertenstil verfallen
und daß Sie Dinge, die jahrelang Tausenden von Menschen geholfen haben, jetzt hier zu Ihrem Vergnügen auf den sogenannten Markt bringen. Sie sind nicht humanitär, sondern Sie sind auf diese Weise praktisch antihumanitär.
Meine Damen und Herren, Fragen können im Verlauf der Aktuellen Stunde nicht an den Redner gestellt werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben vor einer Woche hier eine Aktuelle Stunde erlebt, die bereits damals ihre eigentliche Zielrichtung verfehlt hat. Wir haben uns vor acht Tagen über Dinge unterhalten, die bereits eine Rechtsgrundlage haben. Die Aktuelle Stunde mußte ganz einfach deswegen ihre Wirkung verfehlen, weil sie nicht etwa eine gemeinsame Zielrichtung des Parlaments ergab, die Dinge, ,die zwischen der DDR und der Bundesrepublik vereinbart waren, nun auch gegenüber der DDR gemeinsam durchzusetzen, sondern weil es hier zu einer Diskussion von seiten der Opposition gekommen ist, die glaubte, es genüge, der Bundesregierung in dieser Richtung Vorwürfe zu machen.Heute sprechen wir aber über Dinge, für die es noch keine Rechtsgrundlage gibt.
— Ist denn der Grundvertrag schon ratifiziert?
— Wenn Sie, meine Damen und Herren von derOpposition, wollen, daß die Dinge, die im Grundvertrag stehen, Wirklichkeit werden, dann setzen Sie sich mit uns gemeinsam für die Ratifizierung dieses Vertrages ein.
Herr Dr. Marx hat von „Vertrauensseligkeit" der Bundesregierung gesprochen. Ich frage Sie: Ist es denn nicht so, daß durch das Verfahren der Bundesregierung, das hier kritisiert wird, menschliche Erleichterungen bereits in einem Maße eingetreten sind, das es einfach billig erscheinen läßt, wenn immer wieder von „gewissen" menschlichen Erleichterungen und von „Einschränkungen" dieser Erleichterungen gesprochen wird?
Wir sollten uns eigentlich auf etwas mehr Gemeinsamkeit in diesen Fragen einigen können.
Wir sollten bereit sein, uns in diesem Hohen Hause miteinander zum Besten derjenigen Menschen einzusetzen, die der deutschen Nation angehören und die zur Zeit Bürger der Deutschen Demokratischen Republik sind. Um diese Menschen und um die Kontakte mit ihnen geht es, Herr Dr. Marx. Es geht nicht nur um Ausreisen, sondern es geht um ständige Kontakte, um Besuchsmöglichkeiten.
— Dazu sind ja hier Zahlen genannt worden, Herr Dr. Marx.
— Herr Dr. Marx, ich frage Sie einmal ganz nüchtern, ob, wenn unter einer der früheren Bundesregierungen erreicht worden wäre, daß, wie z. B. in der Zeit vom 4. Juni 1972 bis 28. Februar 1973,
insgesamt 2 341 000 Bürger mit ständigem Wohnsitz in West-Berlin hätten in die DDR reisen können, das nicht ein Erfolg gewesen wäre. der damals hätte anerkannt werden müssen. Dieser Erfolg sollte auch, heute nicht verkleinert werden.
— Herr Kollege Wohlrabe, darf ich Ihnen dazu folgendes sagen. Sie erheben immer wieder den Vorwurf, die Bundesregierung oder die Koalitionsfrak-
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Ronneburgertionen hätten vor der Wahl gewaltige Versprechungen gemacht.
— Haben Sie denn eigentlich alles vergessen, was zu jener Zeit gesagt worden ist? Ich erinnere Sie an unser Wort von damals von dem steinigen Weg, der auch nach der Aushandlung des Grundvertrages und nach der Unterschrift unter diesen Vertrag vor uns liegen werde. Wir haben nicht vom „Frühling" gesprochen; das stimmt nicht.
Ich meine, es ist nicht Aufgabe dieses Hohen Hauses, jetzt etwa den Wahlkampf nachzuvollziehen. In dieser Beziehung ließe sich einiges an gegenseitigen Vorwürfen anführen, was aber niemandem nützen würde.
Ich fordere Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, deshalb noch einmal zu gemeinsamen Bemühungen auf. Sorgen wir in diesem Hohen Hause dafür, daß diejenigen Dinge, für die es bereits eine Rechtsgrundlage gibt, eingefordert werden, und lassen Sie uns dafür sorgen, daß die Rechtsgrundlage für weitere Verbesserungen der Situation der Menschen in der DDR und für weitere Kontakte zwischen den Bürgern der DDR und unseren Bürgern geschaffen wird,
— Wirkliche Rechtsgrundlagen; darüber sind wir uns völlig einig,
wobei wohl nicht bestritten werden kann, daß die Protokolle und die Zusatzabkommen zu diesem Vertrag Bestandteil des Vertrages sind.
— Wir schaffen doch hier kein neues Völkerrecht, und wir können ja darauf verweisen, Herr Dr. Marx, daß Teilbestimmungen eines Vertrags hier nicht zum erstenmal in Zusatzprotokollen festgelegt worden sind, ohne daß man nachher bestritten hätte, daß sie Teil dieses Vertrages seien. Darum geht es uns, und darum sollten wir uns in diesem Hause auch in den Fragen einig sein, in denen es um die Menschen geht und in denen es sich darum handelt, daß der Zusammenhalt der deutschen Nation auch über den Zeitraum hinweg erhalten bleibt, in dem die Wiedervereinigung noch nicht realisierbar ist.
Das Wort hat Herr Parlamentarischer Staatssekretär Ravens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Marx hat heute morgen in seiner ersten Intervention erklärt, daß es ihm nicht um Propaganda, sondern um die Sache gehe. Dabei hat er gleichzeitig aber doch sehr deutlich werden lassen, daß es ihm eigentlich nicht um die Sache, sondern darum geht, den Versuch zu unternehmen, dieser Bundesregierung Unzuverlässigkeit zu unterstellen.
Eine ähnliche Runde haben wir in der vergangenen Woche erlebt, als es um die Frage der Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten ging,
— auch hier vor dem Hintergrund des Vorwurfs, Herr Kollege Marx, diese Bundesregierung habe leichtfertig und unzuverlässig gearbeitet.
Dieser Vorwurf ist knapp eine Woche später verpufft.
— Ich weiß, wovon ich rede.
Mein Kollege Herold hat gestern und heute auf die Gespräche, die gestern in Berlin stattgefunden haben, hingewiesen. Sie wissen, daß ein neuer Termin für den 26. April in Bonn vereinbart worden ist.
Sie wissen wie ich, daß über diese Gespräche gestern Vertraulichkeit vereinbart wurde. Meine Damen und Herren, auch die Aktuelle Stunde heute kann und darf die Bundesregierung im Interesse der Sache, um die es wohl auch hier geht und von der Sie sagen, daß es um sie geht, nicht dazu bringen, die vereinbarte Vertraulichkeit zu brechen.
— Frau Kollegin Berger, es tut mir leid, daß ein Brief, den mein Kollege Grabert Ihrem Herrn Fraktionsvorsitzenden Barzel geschrieben hat, wegen dessen Abwesenheit von Bonn ihn bisher nicht erreichen konnte.
Es wäre aber gut, wenn einer der Herren stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Gelegenheit nähme, sich den Inhalt dieses Briefes anzusehen. Im glaube, dann wären auch Sie mit mir der Auffassung, daß es im Interesse der Sache, um die es
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Parl. Staatssekretär Ravensuns geht, besser wäre, wir würden hier nicht weiter Runde um Runde drehen.
Meine Damen und Herren, wer helfen will, den Menschen zu helfen, wer helfen will, daß der Vertrag seine volle Wirksamkeit entfaltet, der sollte nicht versuchen, für sich selbst im nachhinein immer noch einmal Gründe für sein vorprogrammiertes Nein zu suchen, sondern der sollte versuchen, zu helfen, daß diese Verträge verabschiedet werden können.
Das Wort hat der Abgeordnete Reddemann.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich bin fast versucht, herzlich danke dafür zu sagen, daß auch wieder ein Vertreter der Opposition auf das Podium kommen kann.
Offenbar meint die Regierung die mangelnde Qualität ihrer Argumente durch eine Quantität an Rednern ersetzen zu können.
Ich möchte aber, jetzt ohne Ironie, meinem Kollegen Ronneburger herzlich für das Angebot danken, über diese Themen gemeinsam zu sprechen und zu versuchen, in der Frage der menschlichen Erleichterungen wirkliche Gemeinsamkeiten zu erreichen; denn was sich der Herr Kollege Wehner heute morgen geleistet hat — ich glaube, man kann es nur mit dem Begriff der Hybris der Macht umschreiben —, das war ein Versuch, in dieses Haus wieder den Keil der Spaltung gerade in solchen Fragen zu tragen, bei denen wir früher der Auffassung waren, daß sie von diesem Haus gemeinsam, und zwar übereinstimmend, gehandhabt werden müssen.
Herr Kollege Wehner, wenn Sie dem Kollegen Dr. Marx vorwerfen, er habe, weil er Einzelheiten über frühere humanitäre Erleichterungen hier vorgetragen hat, antihumanitär und verantwortungslos gehandelt, dann, meine ich, sollten Sie sich einmal überlegen, wer aus diesem Hause denn damit begonnen hat, solche Themen in die Öffentlichkeit zu tragen;
dann wird Ihnen doch klar sein, daß der erste, der das getan hat, der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen Egon Franke gewesen ist,
daß der zweite der heutige Sonderminister EgonBahr in einem Fernsehauftritt gewesen ist und daßder dritte der Herr Bundeskanzler gewesen ist, derin seiner Kasseler Rede diese Dinge in die Öffentlichkeit hinausgetragen hat.
Wenn der Vorwurf, Herr Kollege Wehner, ,daß das Nennen dieser Probleme in der Öffentlichkeit antihumanitär und verantwortungslos ist, stimmt, dann fällt dieser Vorwurf auf die Bundesregierung, und zwar in aller Schärfe.
Ich bin ,der Auffassung, meine Damen und meine Herren, daß es einfach unmöglich ist, über dieses Thema nicht zu sprechen.Damit komme ich zu dem, was der Herr Staatssekretär Ravens gesagt hat. Er hat uns praktisch vorgeworfen, wir hätten vor einer Woche falschen Alarm geschlagen, als es um die Journalistenverordnung ging. Er hat das damit begründet, daß wir inzwischen eine mündliche Erklärung des DDR-Verhandlungsführers Meyer haben, man werde diese Verordnung großzügig auslegen.Herr Kollege Ravens, ich habe die Bitte, daß die Bundesregierung sich in ihren Aussagen wenigstens abstimmt, wenn sie etwas erklärt. Während Sie hier so tun, ,als sei es völlig sinnlos gewesen, daß wir in der vergangenen Woche darüber gesprochen haben, hat der stellvertretende Sprecher der Bundesregierung, Armin Grünewald, in der Pressekonferenz erklärt, er betrachte diese einschränkende Äußerung zu der Presseverordnung als einen Erfolg der Proteste hier in Bonn.
Ich gestehe gern, daß ich dem Regierungssprecher in diesem Fall vollends folge. Ich möchte deswegen darauf hinweisen, daß wir als Opposition diese Fragen auch in Zukunft, selbst wenn es der Regierung in keiner Weise paßt, wieder in die Öffentlichkeit tragen, wenn wir merken, daß mit dieser Art endlich etwas erreichbar ist, während durch das Leisetreten eben nicht das erreicht wird, was notwendig ist.
Meine Damen und meine Herren, ich muß hier noch einen Punkt erwähnen. Der folgende Sachverhalt ist doch geradezu erschreckend. Unmittelbar vor der Bundestagswahl wurde 200 Menschen in der DDR mitgeteilt, sie könnten in. absehbarer Zeit ausreisen. Diese Menschen haben ihre Wohnungen aufgegeben, Sie haben ihren Arbeitsplatz aufgegeben, sie haben ihre Möbel verkauft. 50 davon sind noch vor der Bundestagswahl herausgekommen. 150 sitzen jetzt da und haben nicht die Chance, herauszukommen. Sie haben kein Einkommen, ja, sie haben nicht einmal eine Krankenversicherung mehr. Meine Damen und meine Herren, wenn solche Dinge im deutschen Parlament nicht behandelt werden können, stelle ich mir die Frage: Wo soll man das denn sonst noch tun?!
Ich will nicht weiter auf den Brief eingehen, den Herr Staatssekretär Grabert an den Franktionsvorsitzenden der CDU/CSU, Dr. Barzel, geschrieben hat.
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1166 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. März 1973
ReddemannDer Brief ist erst heute morgen um 8.15 Uhr eingegangen.
Ich kann es mir deshalb ersparen, auf Einzelheiten einzugehen.Meine Damen, meine Herren, ich möchte nur um eines bitten. Versuchen wir doch, das gemeinsame Gespräch noch einmal zu erreichen. Ich bitte die Regierung sehr herzlich, uns nicht Vorwürfe für Dinge zu machen, die sie selber tut, und dieses gemeinsame Gespräch nicht als Alibi zu mißbrauchen, sondern als Anfang einer gemeinsamen politischen Handlung zu nehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Reddemann muß einem Mißverständnis unterliegen, wenn er meint, die Aktuelle Stunde sei der Opposition als Klagemauer vorbehalten. Sie ist doch vielmehr zur Aussprache für das ganze Parlament gedacht. Wenn Sie aber eine solche Aussprache suchen, müssen Sie doch gerade Wert darauf legen, auf Ihre Diskussionsbeiträge auch eine Antwort zu bekommen.
Die Aktuelle Stunde, wie Sie sie zum Thema des Grundlagenvertrages jetzt praktizieren, soll nun offenbar einen bevorzugten Platz im politischen Spielplan der Opposition bekommen und im Repertoire en suite gespielt werden.
Nun wird niemand leugnen wollen, daß die drängenden Fragen — und dazu gehört die Entwicklung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten— dieses Parlament fortlaufend zu beschäftigen haben. Meine Damen und Herren, es muß aber bezweifelt werden, daß dabei jedes Teilproblem mit denselben Methoden zu lösen ist. Was für die Abwehr einer die Berichterstattung der Presse bedrohenden Zensur richtig und notwendig war,
muß nicht in gleicher Weise für die Beseitigung der Schwierigkeiten im Bereich der Familienzusammenführung hilfreich sein. Etwas mehr Rücksichtnahme auf menschliche Konfliktlagen würde uns allen gut anstehen.
Meine Damen und Herren, ich predige damit nicht Rücksicht und Schonung gegenüber dem kommunistischen System der DDR. Hier ist eine klare Sprache besser als Leisetreterei.
Im übrigen bekommt das unserer Politik auch sehr viel besser.
Wir werden sie jedenfalls nicht mit dem Odium belasten, daß die Chancen dieser Politik nur durch Nachgiebigkeit und Wohlverhalten zu sichern seien, aber wir werden uns von der Opposition auch nicht nachsagen oder einreden lassen, daß wir uns so verhielten.
Meine Damen und Herren, dies setzt nach meiner Einschätzung voraus, daß wir die parlamentarische Behandlung des Grundlagenvertrages ohne quälende Positionskämpfe zu einem baldigen Abschluß bringen.
Schließlich sind die Entscheidungen darüber längst gefallen; letztlich ist dies mit der Wahlentscheidung im November des vorigen Jahres geschehen. Meine Damen und Herren, wenn wir uns darauf verständigen könnten, dann sollten wir auch die Bereitschaft aufbringen, uns jene Erfahrungswerte anzueignen, die uns die Beratungen auch liefern können. Dann werden wir befähigt sein, beim Abschluß der Folgeverträge mit der DDR jene Ursachen auszuschließen, die uns im Augenblick ärgerliche Praktiken der Behörden der DDR bescheren.
Wir müssen erkennen, daß die DDR im Augenblick jede Möglichkeit nutzt, abgeschlossene Vereinbarungen einschränkend zu handhaben. Es scheint jetzt so, daß die DDR nur widerwillig vertragliche Beziehungen zur Bundesrepublik aufgenommen hat. Dieser Grundhaltung, den geübten Praktiken und den daraus erlangten Erfahrungswerten gilt es künftig Rechnung zu tragen. Aber, meine Damen und Herren, das sollten wir miteinander im gemeinsamen Bemühen tun. Dazu gehört allerdings, so meine ich, daß die CDU endlich über ihren Schatten springt und ihr prinzipielles Nein gegen eine richtige Politik überdenkt und aufgibt.
Das Wort hat der Abgeordnete Schröder .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von der Bundesregierung wurde und wird der Abschluß des Grundvertrags immer wieder damit begründet, daß er dazu führen solle, die Menschen beiderseits der innerdeutschen Grenze trotz der bestehenden vielfältigen politischen Gegensätze einander näherzubringen. Es geht deshalb in diesen Debatten, Herr Wehner, nicht um den Grundvertrag, sondern um die menschlichen Erleichterungen, mit denen Sie diesen Vertrag begründet haben und mit denen Sie unerfüllbare Erwartungen und Hoffnungen in weiten Kreisen der Bevölkerung diesseits und jenseits der Demarkationslinie geweckt haben und mit denen Sie die Zustimmung weiter Kreise unserer Bevölkerung erheischt haben.
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Schröder
Meine Damen und Herren, an diesem Ziel der menschlichen Erleichterungen müssen sich die Ergebnisse und die Folgen der Verhandlungen der Bundesregierung messen lassen, und zwar hier und heute und nicht erst nach Ratifizierung des Vertrages.
Denn dieser Vertrag hat bereits jetzt seine Wirkung zugunsten der DDR gezeigt. Ihre weltweite diplomatische Anerkennung und Aufwertung ist vollzogen.
Die Aufnahme in internationale Institutionen steht unmittelbar bevor, und im innerdeutschen Verhältnis steht sie uns bereits jetzt gleichrangig gegenüber.Das, meine Damen und Herren, sind die exakten Erwartungen, die die DDR an diesen Vertrag geknüpft hat. Deshalb zu argumentieren, erst nach Ratifizierung werde alles besser und die DDR werde dann weitere Schritte im Sinne echter menschlicher Erleichterungen und echter Freizügigkeit vollziehen, ist nicht nur unbegründet. sondern nach den Erfahrungen mit dem Warschauer Vertrag und dem praktischen Stoppen der Familienzusammenführung aus Polen geradezu eine gefährliche Illusion.
Sie wollen uns doch nicht im Ernst einreden, daß nach der Ratifizierung das ganze Bündel an Restriktionsmaßnahmen, der Journalistenerlaß und die Verpflichtungserklärungen, die gerade erst in diesen Wochen eingeführt worden sind, wieder rückgängig gemacht werden!
Meine Damen und Herren, was wir vor der Ratifizierung nicht niet- und nagelfest machen,
werden wir hinterher gar nicht mehr durchsetzen können, weil wir alle Trumpfkarten aus der Hand gegeben haben.
Unter diesen Umständen, meine Damen und Herren von der SPD, ist es nicht nur legitim, sondern die Pflicht dieses Hauses, gerade im Interesse tatsächlicher menschlicher Erleichterungen zu fragen: Was steht den erbrachten politischen Vorleistungen eigentlich konkret gegenüber? Es sind vage Absichtserklärungen. Aber schon jetzt, wo die DDR-Regierung im Grunde genommen immer noch das theoretische Risiko eingeht, daß Sie von der Regierungskoalition konkrete vertragliche Absicherungen menschlicher Erleichterungen für vorrangiger halten als die Abwiegelung des Eingeständnisses, daß Herr Bahr miserabel verhandelt hat, unterläuft die DDR-Regierung diese unverbindlichen Zusagen. Die Bundesregierung hat noch nicht einmal rechtliche und politisch-faktische Möglichkeiten dagegen. Sie ist das eigene Opfer, wenn ich es einmal so formulieren darf, der Bahrschen Zweideutigkeiten, die man uns allzulange als hohe Kunst der Diplomatie verkauft hat.
Meine Damen und Herren, aber weder das Zurückhalten von Kindern und Jugendlichen noch die Ausreiseverweigerung bei mindestens 5000 Antragstellern, weder das Unterbinden der Familienzusammenführung noch das Unterlaufen des Reiseverkehrs durch Verpflichtungserklärungen, weder die Amnestie Krimineller an Stelle politischer Häftlinge noch die Ausschließung West-Berlins aus dem innerdeutschen Sportverkehr, weder die Ausklammerung West-Berlins aus dem Bulgarienverkehr noch das Verbot des Bezuges westdeutscher Fachzeitschriften für Spezialisten in der DDR, von dem wir gestern Kenntnis bekommen haben, haben diese Bundesregierung bisher dazu bewegen können, eine realistische und feste Haltung gegenüber den ganz offensichtlichen Absichten der DDR einzunehmen und auf konkreten vertraglichen Regelungen zu bestehen. Im Gegenteil: Sie legt den DDR-Machthabern gegenüber ein Verständnis und ein Wohlverhalten an den Tag, das schon geradezu peinlich wirkt und das die Verhandlungsposition der Bundesrepublik Deutschland nur noch weiter schwächt.
Wenn es in diesen Tagen zu einer leichten mündlichen Modifizierung des sogenannten Journalistenerlasses gekommen ist, dann doch nicht etwa auf Grund der Verhandlungsführung dieser Regierung, sondern des energischen Insistierens der parlamentarischen Opposition in diesem Hause vor einer Woche.
Hat die Bundesregierung wirklich geglaubt, die DDR würde uns das alles nach ihrer völkerrechtlichen Aufwertung auf den Tisch legen? Hat sie wirklich geglaubt, daß sich so ein verläßlicher Vertragspartner verhält? Hat sie wirklich geglaubt, guter Wille auf unserer Seite allein reiche aus? Hier gibt es doch nur eine Schlußfolgerung: Entweder hat man mit grenzenloser Naivität die Verhandlungen geführt, oder man hat sich selbst und der Öffentlichkeit etwas vorgemacht.Mir scheint es hier und heute angebracht, das Unterlaufen der menschlichen Erleichterungen noch vor der Ratifizierung des Vertrages anzuprangern und die Bundesregierung sozusagen noch in allerletzter Minute aufzufordern, zu einem unmißverständlichen Handeln im Interesse der Menschen in beiden Teilen Deutschlands zu gelangen, als hinterher den allseitigen politischen Katzenjammer mitzuerleben.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmude.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß die Situation, die wir heute behandeln, an einem Problem besonders deutlich wird: an dem Problem der Familienzusammenführung. In diesem Rahmen werde ich auch auf ein Zahlenspiel zurückkommen, das Herr Marx uns vorhin vorgeführt hat.
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1168 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. März 1973
Dr. SchmudeGerade das Problem und das Schicksal der getrennten Familien ist eine der bittersten Auswirkungen der deutschen Teilung. Uns ist voll und ganz bewußt, welche Verzweiflung, welche Hilflosigkeit und welche Last im Einzelfall auf den Betroffenen liegt. Wir lassen uns durch den zuweilen von der anderen Seite zu hörenden Hohn über unser Bestreben um menschliche Erleichterungen, aber auch durch das stramme Verlangen nach hartem Vorgehen, das wir hier laufend hören, nicht davon abbringen, unbeirrt, beweglich und fest im Ziel weiterhin um die Zusammenführung der getrennten Familien bemüht zu bleiben.Wir halten das nicht, wie der Kollege Schröder das soeben erklärt hat, für eine unerfüllbare Hoffnung, sondern wir halten das für ein Ziel, das weiterhin zu verfolgen ist, bei dem die DDR wissen muß, daß sie zu einer Normalisierung im wirklichen Sinne des Wortes nicht kommen wird, solange dieses Problem ungelöst ist. Das haben die vergangenen zwölf Jahre seit der Absperrung gezeigt.
Aber wer das alles so sieht, kann doch nicht nein sagen zu einem Vertrag, der uns erstmals den Ansatzpunkt für eine Lösung dieser Probleme im ganzen bietet. Daß Sie dieses Nein trotzdem durchhalten, daß Sie uns das immer wieder demonstrieren, meine Damen und Herren von der Opposition, begründet ja die Zweifel, die die Öffentlichkeit hinsichtlich der Aufrichtigkeit der von Ihnen verfolgten Politik gerade in diesem Punkt permanent hat und behält.
Wenn wir von dem Kollegen Reddemann hier hören, durch den Beitrag des Herrn Kollegen Wehner werde eine Spaltung im Willen dieses Hauses mit bewirkt, dann müssen wir feststellen: Wir sind nicht im Zweifel und nicht besorgt darüber, wem die Öffentlichkeit die Spaltungstendenz und die Spaltungsurheberschaft in diesen Fragen zuerkennt.
Wir müssen doch, wenn wir die heutige Situation betrachten, dem die Vergangenheit gegenüberhalten und fragen: Was hat es damals gegeben? Da kann man nicht, Herr Kolege Marx, herkommen und sagen, bis 1961 habe es drei Millionen Übersiedler gegeben. Ich meine, es ist ein ganz besonders bemerkenswertes Kunststück, die damaligen Flüchtlinge, die zu uns gekommen sind, auch noch mit Leistungen der CDU/CSU-Regierung in Zusammenhang zu bringen.
— Gewiß, Sie haben auch von einer weiteren Zahl derer gesprochen, die legal herübergekommen sind. Aber wie viele von diesen Rentner gewesen sind,
die also nach wie vor die Ausreisemöglichkeit haben, das haben Sie uns nicht gesagt.
Mir geht es hier um die Frage der getrennten Familien, mir geht es um die Frage. Wie sieht es mit den Verlobten, mit den Ehegatten, mit den Kindern aus, die noch in der DDR leben? Und da hat es in der Vergangenheit ja wirklich traurig genug ausgesehen. Da hat hartes Taktieren von unserer Seite, für das Sie damals zum Teil die Verantwortung hatten, nichts genützt.
Und ein Punkt, den ich für sehr wichtig halte: DieDDR hat in dieser Zeit dieses Problem ignoriert; siehat es durch ihre örtlichen Behörden leugnen lassenmit dem Bescheid, eine Ausreise gebe es keinesfalls.Das kennen wir ja alles. Allein seit der Paraphierung des Grundvertrages hat es demgegenüber in308 besonders dringlichen Fällen der Trennung vonKindern und Familien die Ausreisegenehmigung gegeben. Weit über 200 Menschen sind inzwischenausgereist, weitere kommen, und in einigen Fällenwird es auch die Berücksichtigung anderer familiärerBindungen geben, also die Möglichkeit, daß die Betroffenen von der Ausreise Abstand nehmen wollen.
Eine Vielzahl von Verlobten und Eheleuten durfte inzwischen ausreisen,
ein Vorgang, für den ein prominenter Kollege von Ihnen nur die Bezeichnung fand — ganz geringschätzig —, dies sei ein Rinnsal an menschlicher Erleichterung.
Ich hätte gern einmal gesehen, daß dieser Kollege das den Betroffenen selbst sagt.
Was besonders wichtig ist: Die DDR erkennt in diesem Grundvertrag erstmals das Problem der getrennten Familien an. Die Bereitschaft, es zu regeln, ist ausdrücklich erklärt, und bereits bei Inkrafttreten des Vertrages sollen bestimmte Regelungen, bestimmte Erleichterungen ohne weiteres wirksam werden.Herr Honecker hat am 8. März öffentlich die Entschlossenheit der DDR bekundet, diesen Vertrag auf
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. März 1973 1169
Dr. Schmudeder Basis der Politik der friedlichen Koexistenz nach Buchstaben und Geist zu erfüllen. Darauf kommen wir zurück, und darauf werden wir gerade im Interesse der getrennten Familien bestehen.
Aber dafür brauchen wir auch den Vertrag, nicht nach Verzögerungen, nicht nach Bedenkzeiten, sondern so schnell wie möglich.
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Stauffenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung versichert, daß dieser Grundvertrag die Grundlagen für die Lösung praktischer Fragen schaffe. Wir begrüßen diese Absicht, aber gerade deshalb messen wir seinen Wert und seine Qualität an den konkret sichtbaren Folgen und nicht etwa an nebulosen Hoffnungen oder an vagen Vertröstungen auf eine ungewisse Zukunft.
— Es hat keinen Sinn, Herr Mattick, uns vorzuhalten: erst Ratifizierung, und erst dann könne man die Ergebnisse sehen, erst dann könne man etwas unternehmen gegen aushöhlende und einschränkende Maßnahmen der anderen Seite. Das erinnert an diese berüchtigte Aufforderung, die Katze im Sack zu kaufen. Meine Damen und Herren, das ist kein schmeichelhaftes Ansinnen, aber es ist vor allem auch kein Verfahren, das dem Auftrag und der Verantwortung dieses Hohen Hauses Rechnung tragen könnte.
Meine Damen und Herren von der SPD und der FDP, hören Sie bitte genau zu: Wir nehmen auch nicht einfach hin, daß in der Zeit zwischen Vertragsverhandlungen und parlamentarischer Zustimmung von der anderen Seite nun peu à peu vollendete Tatsachen geschaffen werden, auf die sie dann nach Inkrafttreten als „vorvertragliche Grundlage" und „rechtliche Basis" verweisen wird.
Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, wir haben gestern und heute aufmerksam notiert, daß Sie vor falschen, vor überhöhten Hoffnungen warnen. Herr Minister` Franke will die Verhandlungsergebnisse als kleine Schritte verstanden wissen. Und nun frage ich Sie: Wer hat denn die falschen Hoffnungen geweckt?
Wer hat denn jene anspruchsvollen Begriffe — Friedenspolitik, Entspannung, Normalisierung Ausgleichund viele andere — ins Spiel gebracht? Und ist diesdenn vereinbart mit „kleinen Schritten", zumindest im normalen Verständnis der Sprache draußen?
Sie haben doch selbst den Eindruck erweckt, als ob Ihnen der große Durchbruch gelungen sei, als ob Sie den entscheidenden Schritt zum Besseren getan hätten, und wenn Sie jetzt die Geister, die Sie riefen, nicht mehr loswerden, dann weisen Sie anklagend auf uns, so nach dem Motto: haltet den Dieb!
— Herr Wehner, ich vermerke aufmerksam, daß Sie nun zum zweitenmal mir gegenüber eine Formulierung gebrauchen, die in etwa Ihren letzten Bemerkungen zu einem Ihnen und mir wohlbekannten Mann in diesem Hohen Hause entspricht. Herr Wehner, diese Gleichstellung ehrt mich natürlich sehr, aber ich frage mich, ob Sie Ihren Wortschatz nicht etwas anreichern sollten.
Der Herr Bundeskanzler hat doch gesagt: das Eis ist gebrochen. Nun, meine Damen und Herren, wir fürchten eben, er ist eingebrochen. Darum geht es doch!
Gestatten Sie mir noch eine ganz grundsätzliche Bemerkung zu dieser Debatte. Da hören wir — wir hören es immer wieder —, wir dürften nicht einerseits die zugesagten Leistungen reklamieren, wenn wir andererseits den ganzen Vertrag ablehnten. Nun, ich verstehe das nicht. Wir hörten das stets, wenn wir auf unsere konkreten Fragen keine konkreten Antworten bekamen. Sagen wir es doch einmal ganz deutlich, und erlauben Sie, daß ich hier ein Bild wähle. Die Bundesregierung hat in selbst gesuchter Zeitnot und in unnötiger Hast ihre Ware zu überhöhten, zu Schwarzmarktpreisen eingehandelt. Nun zeigt sich auch noch, daß die Ware mangelhaft, daß sie löchrig ist, daß es mit den zugesicherten Eigenschaften nicht stimmt usw. Und wenn wir nun die Mängel rügen, wenn wir gewissermaßen sagen, daß die Butter ranzig ist und die Brötchen zu klein, ganz klein gebacken sind, dann heißt das doch nicht, daß wir damit den überhöhten, den nicht verantwortbaren Preis akzeptieren wollen!
Über den Preis, meine Damen und Herren von der SPD und FDP, werden wir noch zu reden haben, und zwar ausführlich. Über die Gegenleistungen aber reden wir u. a. eben auch jetzt.Warum fordern Sie uns auch heute wieder auf, über die offenbaren Mängel dieses Vertrages nicht zu reden?
Wirklich nur um des Verhandlungsklimas willen? Wir müssen hier wirklich einmal die Bundesregierung mit allem Nachdruck fragen, was sie eigentlich noch unter Normalisierung versteht. Will sie normale dauerhafte, gesicherte, menschenwürdige Lebensbedingungen für die Menschen, für die Menschen im geteilten Deutschland schaffen? Will sie
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1170 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. März 1973
Graf Stauffenbergdurch Normalisierung die Dinge verbessern? Oder wird sie zulassen, daß die Anormalität zur Norm erhoben wird? Diese Frage ist jetzt angebracht.
Zeigen Sie uns, meine Damen und Herren von der SPD und FDP und von der Bundesregierung, was Sie wirklich erreicht haben, zeigen Sie uns die Belege, nennen Sie uns die Sicherheiten, auf die Sie Ihre Erwartungen und Hoffnungen gründen! Uns interessiert keine bunte Verpackung, uns interessiert kein glitzerndes Etikett. Kommen Sie zum Inhalt, kommen Sie ganz konkret zur Sache!
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Graf Stauffenberg hat gesagt: Kommen Sie konkret zur Sache. Die Sache ist, daß die Anormalität über zehn/ fünfzehn Jahre zu Ihrer Regierungszeit die Norm war.
— Ich verstehe gar nicht, daß Sie so aufgeregt reagieren.
Zweiter Punkt. Während wir in unserer Regierungszeit versucht haben, Sie von diesem falschen Standpunkt abzubringen, und dabei nur in wenigen Punkten vorwärts gekommen sind, haben wir seit 1969 die praktischen Konsequenzen gemeinsam mit den Sozialdemokraten gezogen und überhaupt erst möglich gemacht, daß zwei Millionen Menschen sich begegnen konnten, gegen Ihren Widerstand!
- Darüber spreche ich gerade, keine Sorge!
Herr Kollege Marx, Sie sprachen vorhin davon, es seien — ich hoffe, ich habe die Zahl richtig im Gedächtnis — allein 1962 87 000 Menschen gekommen. Stimmt das, daß Sie diese Zahl genannt haben? Ich habe es so aufgenommen. Wenn Sie mir das bitte bestätigen wollen; ich will keine falsche Zahl zitieren.
— Hatten Sie im Zusammenhang mit dem Jahre 1962 von 87 000 Menschen gesprochen?
Herr Abgeordneter Dr. Marx, Sie können in der Aktuellen Stunde keine Zwischenfrage stellen.
Herr Präsident, ich frage ja nur, ob die Zahl stimmt, die ich hier genannt habe.
— Danke schön! Diese Zahl wollte ich haben, denn Sie sprachen mich auf meine Kabinettszugehörigkeit an. Im Jahre 1962, Herr Kollege Marx — wenn Sie sich bitte die Statistik ansehen wollen —, gab es natürlich einen sehr hohen Anteil von Registrierten, weil nach der großen Fluchtwelle von 1961 im Jahre 1961, 1962 und auslaufend 1963 die Registrierung dieser Flüchtlinge erfolgte, also zu einem erheblichen Teil später, nicht zu dem Zeitpunkt, wo sie tatsächlich herübergekommen sind. Das müssen Sie bei Ihren Zahlen unterscheiden. Das weiß ich aus meiner Kabinettszeit noch sehr genau.
Nächster Punkt! Wenn Sie die Zahlen, die wir in der Zwischenzeit haben, nun nicht wahrhaben wollen, und zwar einschließlich der Zahl der aus der DDR kommenden Besucher — —
— Ausgezeichnet, vielen Dank! Dann frage ich mich, Herr Kollege Marx: woher nehmen Sie den Mut, zu sagen, daß 30 000 Menschen in vier Monaten ein Rinnsal seien?! Dann ist das eben unwahrhaftig!
Meine verehrten Kollegen von der CDU/CSU, Sie haben hier heute mehrfach davon gesprochen
— und da wurde doch deutlich, um was es ging —: vor der Wahl, nach der Wahl.
— Oh, ich habe sehr genau zugehört, was Sie beispielsweise gestern über den Brief mit den Kindern sagten — mit allem, was dazugehört. Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor der Wahl über 308 Kinder der Wahrheit gemäß gesprochen zu haben, ist immer noch besser, als vor 20 Jahren vor der Wahl über zwei Leute Verleumdungen ausgesprochen zu haben, wie es Ihr Bundeskanzler getan hat.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. März 1973 1171
Mischnick— Wenn Sie nicht mehr wissen, was im Jahre 1953 durch Ihren damaligen Bundeskanzler an Verunglimpfungen gesagt worden ist, dann beweist das nur, daß Sie Ihre eigene Geschichte nicht kennen.
— Ich bin bei der Sache. Das gehört genau dazu.Ein letzter Punkt: Wer von Ihnen hier vom Sport gesprochen und so getan hat, als könnte das erste Gespräch in Dresden sofort mit positiven Ergebnissen enden,
der ist entweder sachlich nicht orientiert oder naiv. Denn jeder, der etwas Kenntnis im Sport hat, weiß, daß diese Verhandlungen nicht in einer Runde zu erledigen sind. Sie haben mit der Behauptung, es wären sofort Ergebnisse zu erzielen,
falsche Hoffnungen geweckt — im Gegensatz zu uns, die wir gesagt haben: das bedarf ausreichender Zeit und schwerwiegender Verhandlungen.
Sie haben davon gesprochen, daß Debatten hier hilfreich sein sollen.
— Daß sie hilfreich sind für die Sache. Wenn man — wie bei der Frage der Journalistenzulassung — über einen konkreten Punkt, der ausgeräumt werden muß, hier gemeinsam redet, ist das hilfreich.
— Das haben wir auch vor acht Tagen gesagt.
Sie wissen aber ganz genau, daß gerade in dem subtilen Bereich der Familienzusammenführung
jede öffentliche Erörterung nicht zum Nutzen der Betroffenen ist. Das ist das, was ich Ihnen vorwerfe.
Das Wort hat der Bundesminister Franke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der heutigen Fragestunde sind wieder im einzelnen jene Themen und Tatbestände behandelt worden, die uns alle und viele Menschen in der DDR berühren. Die Bundesregierung hat, wie auch in der vorigen Woche, den Fragern Rede und Antwort gestanden.
Auch jetzt hat die Opposition es wieder für richtig gehalten, eine aktuelle Stunde zu dem Fragenkomplex anzuschließen.
Was kann denn diese aktuelle Stunde erbringen?
Die Fragen beziehen sich letztlich alle auf den Grundvertrag,
und dieser Vertrag wird gegenwärtig nach dem Arbeitsplan des Hauses in den Ausschüssen beraten. Die Ausschußberatungen und die Berichte darüber werden eine wesentlich fundiertere und breitere Basis für den Austausch der Wertungen und Auffassungen zum Grundvertrag hier im Plenum bringen.
— Das will ich auch gar nicht. Um was kann es denn anderes gehen als um die Behandlung des aktuellen Geschehens? Wollen Sie etwa sagen, daß die Beratung des Grundvertrages in den parlamentarischen Ausschüssen nicht zum aktuellen Geschehen gehört, daß sie nicht zu berücksichtigen ist, wenn wir das Ganze hier bewerten wollen?Jeder hier kennt die Einstellung der Bundesregierung. Sie ist auch vorhin wieder bei der Beantwortung von Fragen zum Ausdruck gekommen. Die Bundesregierung hält die Ratifizierung des Vertrages so, wie er ist, für notwendig. Sie hat weder nachlässig verhandelt, noch hat sie sich täuschen lassen.
Eine Täuschung der Bundesregierung war schon allein deswegen nicht möglich, weil die Bundesregierung sich selbst nie getäuscht hat darüber, mit wem sie verhandelt und welches Ausmaß an Hindernissen zu überwinden ist. Sie werden hier von dieser Stelle zu keiner Zeit gehört haben, daß wir als Bundesregierung Erwartungen geweckt haben, die nicht in Erfüllung gehen konnten.
Im Gegenteil! Wenn Sie korrekt bleiben wollen — lesen Sie die Bundestagsprotokolle nach —, werden Sie feststellen müssen — das ist dokumentarisch festgehalten —: Hier in diesem Hause ist das gesagt worden, daß wir einen mühsamen und schweren Weg gehen, daß wir ihn gehen werden, weil es uns
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1172 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. März 1973
Bundesminister Frankeum den Menschen geht, um menschliche Erleichterungen, daß wir uns keiner Illusion hingeben, daß es etwa nur eines Vertrages bedürfe, um die Probleme zu lösen. Das haben wir seit Jahren gesagt. Wir haben Ihnen die Ergebnisse dieser Politik konkret mit Zahlen unterbreitet. Auch das können Sie nachlesen.Wenn Sie das alles als nicht vorhanden ignorieren wollen, so ist das Ihr Recht, Ihre Qualität der Betrachtung der Deutschlandpolitik.
Das überlassen wir Ihnen gern. Diese Bundesregierung wird diese Politik weiterbetreiben,
eingedenk der Schwierigkeiten, die uns bekannt sind, und die wir auch nicht verkennen. Wir sollten hier keinen untergründigen Wettstreit darüber veranstalten, wer sich von den Seiten dieses Hauses die jeweiligen menschlichen Schicksale mehr zu Herzen nimmt.Hier wurde heute auch davon gesprochen, meine Damen und Herren, daß der erste, der über das Problem des Austausches von Häftlingen in der Öffentlichkeit gesprochen habe, ich gewesen sei. Dazu will ich hier noch einmal sehr deutlich feststellen: Es war ein Stückchen Politik, bei dem Ihnen eine Zeitung half, die glücklicherweise nur Sonntags erscheint. Da wurde so getan, als sei diese Bundesregierung bereit, ganz gewichtige Persönlichkeiten ohne jede Gegenleistung der anderen Seite auszutauschen; Sie erinnern sich daran. Es ging damals darum, zwei hier inhaftierte Damen der anderen Seite zu überstellen. In welchem Zusammenhang das geschah, war bekannt. Wir haben im Vertrauensmännerausschuß im einzelnen darüber gesprochen.
Die Regierung hat mit den Vertretern der Opposition gesprochen, — mit Ihnen, Herr Vogel, habe ich darüber gesprochen —, und diese hatten gegen dieses Arrangement nichts einzuwenden.Es muß in der Öffentlichkeit folgendes deutlich gemacht werden: es war nicht so, daß die Regierung auf der anderen Seite um Wohlverhalten buhlte; vielmehr wurden dafür von der anderen Seite ganz konkrete Leistungen erbracht, und zwar in einer Dimension, die allgemeine Anerkennung verdiente.Ich fühlte mich verpflichtet, auch denen, die an dieser Auseinandersetzung mit beteiligt waren — auch den Regierungsstellen der DDR —, zu bescheinigen, daß man sich dann, wenn man hart miteinander verhandelt und zu Ergebnissen kommt, auch daran hält, was vereinbart worden ist.
Das war der Sinn. Sie haben sich dann — nicht Sie persönlich — leider unter Verletzung der bisher immer geübten vertraulichen Behandlung und Beratung dieser Komplexe bewegt.
— Nein, das ist nicht wahr. Ich habe nur dargestellt — und dazu stehe ich —, daß nicht nur wir unliebsame politische Persönlichkeiten, die sich bei uns aufhielten, überstellt haben, sondern daß wir dafür Männer und Frauen aus dem Gewahrsam der DDR zurückbekommen haben, die zum Teil dort schon über 10 und 15 Jahre einsaßen. Ich war dazu verpflichtet, um dem Eindruck zu begegnen, den Sie in der Öffentlichkeit erwecken wollten,
— nicht Sie persönlich; Ihre politische Gemeinschaft; das ist ein breites Spektrum, was dazu gehört —
als seien wir Willige und Hörige einer anderen Kraft und Macht. Das kann man mit uns nicht machen.Nicht aus Unterschätzung der Nöte und Schwierigkeiten oder aus Gleichgültigkeit ihnen gegenüber, sondern gerade ihretwegen setzt sich die Bundesregierung für die Ratifizierung des Vertrages ein. Sie tut dies nach bestem Wissen und Gewissen, weil sie weiß, daß das, was in den Verträgen und Abmachungen steht, das Erreichbare ist und weil gerade der Grundlagenvertrag auf Entwicklung angelegt ist. Hören Sie bitte genau zu: Das ist nicht der Endvertrag, sondern der Grundlagenvertrag, um nachfolgend in einer Vielzahl von Einzelverträgen die ungelösten Probleme in möglichst großer Zahl zu der jetzt möglichen Lösung zu bringen.
In dieser Hinsicht lassen wir uns nicht irritieren. Und weil Sie die Ergebnisse kennen,
können wir doch diese Art hier feststellen, wie Sie meinen hier auftreten zu sollen und sich jetzt auch noch die Ergebnisse an die Fahne zu hängen. Herr Kollege Schröder , ich möchte einmal, daß Sie solche Verhandlungen zu führen hätten,
und dann möchte ich einmal sehen, wie Sie zurückkommen
und zu welchen Einsichten Sie kommen würden.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 24. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. März 1973 1173
Bundesminister FrankeIch möchte an dieser Stelle noch einmal in Erinnerung zurückrufen, was ich hier schon einmal in einer früheren Debatte gesagt habe. Als einmal aus Ihren Reihen ein Minister für diesen Aufgabenbereich gestellt wurde, hat er sich ganz anders verhalten, wenn es darum ging, in diesen Themenbereich einzusteigen. Er hat z. B. wenn es um Fragen der Deutschlandpolitik ging, gesagt: Soweit es um diesen Komplex geht, muß man auch schweigen können.
Wir dagegen sprechen mit Ihnen; wir geben Ihnen Informationen, mehr, als von der Sache her vertretbar ist. Wir verhalten uns anders als Sie zu der Zeit, als Sie die Regierung stellten; wir werden diesen Stil auch weiterpflegen.
— Aber selbstverständlich werden wir das tun; wir werden Sie beteiligen. Nur eines werden Sie nicht verhindern: daß wir unseren Versprechungen treu bleiben und versuchen, für die Menschen das Erreichbare in dieser Zeit zu verwirklichen,
und nicht darauf warten, daß uns irgendwann einmal der Geschichtsablauf den Zipfel eines Mantels erreichen läßt, den dieser Ablauf gar nicht tragen wird.
Wir wollen — ich habe das hier gesagt — den Grundvertrag ratifiziert wissen, den Grundvertrag, der auf Entwicklung über das in dieser Zeit Erreichte und Erreichbare hinaus angelegt ist.
Aller Ärger und aller Mißmut, meine Damen und Herren, dürfen uns nicht dazu verleiten, das Wesentliche aus dem Auge zu verlieren. Das Wesentliche ist, eine Verbesserung der Verhältnisse, die wir anstreben. Ohne die Entwicklung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten ist dies undenkbar. Der Grundvertrag erstellt die Basis für die Aufnahme und die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten, und der Zusammenhang lautet: Ohne diese Basis keine Beziehungen, und ohne Beziehungen keine Verbesserungen. Es ist ein Gebot der Klugheit, diesem Zusammenhang zu entsprechen, ja, mehr noch, nicht nur zu entsprechen, sondern ihn in seinem vertraglich verpflichtenden Charakter zu unterstützen. Das geht alle Mitglieder dieses Hauses an.
Diesem Gebot unterwirft sich die Bundesregierung mit ihren Einlassungen in der Fragestunde ebenso wie in dieser Aktuellen Stunde.
Das Wort hat der Abgeordnete Wohlrabe.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich, Herr Minister Franke, zur Einleitung sagen, daß es vielleicht in dieser Diskussion gut gewesen wäre, wenn der zuständige Minister hier zu Beginn der Aktuellen Stunde jene Fragen, die in der Aktuellen Stunde anstehen und die in der Fragestunde nicht beantwortet worden sind, beantwortet hätte. Es geht doch nicht an, daß Herr Staatssekretär Ravens als erster hier spricht und zu den Fragen, die wir gestellt haben, keine Antwort gibt, und daß Sie am Ende der Aktuellen Stunde, leider auch nicht mit den Zahlen ausgerüstet, die wir uns gewünscht hätten, uns aufzuklären versuchen. Dieser Weg scheint uns unangemessen zu sein. Es ist nicht der Weg, der im Sinne einer wirklich guten Information der Kollegen im Hause zu beschreiten ist.
Ich darf am Ende der Aktuellen Stunde noch kurz zu einigen Punkten Stellung nehmen. Hier ist heute der Eindruck erweckt worden, als ob alles das, was verhandelt worden ist, voll in Ordnung sei. Meine Damen und Herren, ich glaube, die Aktuelle Stunde, vor allem aber auch die Presseberichterstattung draußen und die Tatbestände, die wir selbst aus der DDR von den Bürgern wissen, zeigen, daß dies nicht so ist. Ich habe heute einmal einen Brief aus der Berliner Zeitung „Tagesspiegel" mitgebracht, den ich aus gegebenem Anlaß vortragen möchte. Ich bin überzeugt, daß dieser Brief — ein Abschiedsbrief aus der DDR — mehr zeigt als viele Worte, die uns die Regierung hier über den Erfolg ihrer Politik vorerzählen will. Ich lese den Brief vor und nenne den Namen des Absenders nicht. Der Brief stammt aus dem „Tagesspiegel" und gehört in diese Debatte. Darin wird folgendes geschrieben:Nun, Liebe, muß ich Dir leider schreiben, daß dies der letzte Brief ist, den Du von mir bekommst. Nimm es mir bitte nicht übel, aber unser Betrieb verlangt es so.Datum dieses Briefes: 16. März 1973.Wir sind der Nationalen Volksarmee unterstellt, und darum verbieten sie uns, daß wir Verbindungen zu Verwandten im Westen haben. Ob Vater, Mutter, Kinder oder Geschwister, wir dürfen keinem mehr schreiben. Am 1. 2. mußten wir das unterschreiben; wenn nicht, werden wir entlassen. So etwas hat es noch nie gegeben,
solange die Erde besteht. Kohl und Bahr verhandeln, daß es besser wird, daß es ein Miteinander gibt, und wir müssen das Gegenteil erfahren. Dann hat es ja auch keinen Zweck mehr, daß die Staatsmänner zusammenkommen. Ich weiß nicht, ob die Angst haben, daß ich verrate, wie Bäume gepflanzt und gepflegt werden oder wie man ein Haus baut oder repariert,
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Wohlrabedenn weiter wissen wir auch nichts. Wir wissen nur das, was jeder hier weiß, uns interessiert auch sonst nichts. Wir wollen, daß sie uns in Ruhe lassen, friedlich miteinander leben und der Friede erhalten bleibt. Hoffen wir, daß es doch noch gut wird, sonst schreiben wir wieder, wenn wir Rente bekommen.
Meine Damen und Herren, das ist ein so erschütterndes Dokument über die Arbeit, die hier geleistet worden ist, daß wir alle — und ich sage das auch mit einer großen Bitte an Sie, Herr Minister Franke — uns überlegen sollten, ob es wirklich zutrifft, daß alles so viel besser geworden ist, wie hier immer behauptet wird. Wenn Sie ehrlich sind, wenn Sie Ihre Aufgabe ernst nehmen, wenn Sie sich auch einmal kritisch prüfen, wenn Sie den Schleier der Schönfärberei herunterziehen,
wenn Sie vergessen, daß es Wahlkämpfe gibt, wenn Sie wirklich daran denken, daß es Menschen gibt, denen wir alle doch irgendwie helfen wollen, gerade jenen, die aus der DDR kommen, die in der DDR wohnen, dann müssen Sie doch zugeben, daß für die Mitbürger in der DDR in der Mehrzahl einiges schlechter geworden ist, als es früher der Fall war. Das kann nach so einem Brief nicht anders dargestellt werden, meine Damen und Herren.Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, Herr Minister Franke, daß Sie in ein Dementi verwickelt sind, das nicht so ohne weiteres aus dieser Debatte herausgelassen werden sollte. Sie haben u. a. am 10. März durch Ihr Ministerium erklären lassen, daß es keinen Stopp der Familienzusammenführung gebe. Dieses ist in der Berliner Zeitung „Der Abend" und auch anderswo abgedruckt. Jeder weiß, daß es anders ist. Der renommierte Journalist Jürgen Engert — Chefredakteur dieser Zeitung —, der nicht zu denen gehört, die — wie haben Sie es vorhin so schön gesagt? — Willige und Hörige einer anderen Macht seien — das gehöre zu unserem großen Plan, wenn ich Sie richtig verstanden habe;
ich möchte das bei dieser Gelegenheit zurückweisen, das ist eine ganz üble Verleumdung, die Sie hier aufgestellt haben, Herr Franke, und die Sie in Zukunft unterlassen sollten —,
dieser renommierte Journalist schreibt an Sie persönlich gewandt — wir haben heute schon über die 150 Kinder gesprochen, die keine Ausreisegenehmigung bekommen haben —:Eine Verzweiflung herrscht unter diesen Menschen,— er meint den Kreis der Menschen, die zurückgehalten werden, —die bereits zu zahlreichen Hilferufen an staatliche Stellen in der DDR und in der Bundesrepublik geführt hat. Es ist sinnlos, wenn jetzt von seiten der Bundesregierung— damit sind vornehmlich Sie und Ihr Ministerium gemeint —versucht wird, die Probleme zu verniedlichen, in der Hoffnung, durch Taktieren bei der DDR etwas erreichen zu können. Das Leid ist so groß, daß es beim Namen genannt werden muß.
Nichts anderes tun wir hier, meine Damen und Herren.
Minister Franke— Jürgen Engert wendet sich nun persönlich an Sie —war bisher unverdächtig, ein Zyniker zu sein. Diesen Ruf aber gefährdet er, wenn er zu Berichten von Selbstmorden anmerkt, ihm sei „nur" ein solcher Fall bekannt. Eine solche Äußerung provoziert zu der Frage, bei wieviel Selbstmorden mit der Verschleierung Schluß gemacht wird.
So Jürgen Engert, meine verehrten Damen und Herren.
Was das bedeutet, ist, glaube ich, klar.Lieber, verehrter Herr Kollege Wehner, ich möchte nur eines — und damit will ich heute zum Schluß kommen, weil vieles schon gesagt worden ist —, nämlich daß die Probleme, die bei der menschlichen Zusammenführung und den Besuchsregelungen in Deutschland eine Rolle spielen — ich war drei Jahre lang Vorsitzender des Unterausschusses zu Kap. 2702 Tit. 685 01, also für den Häftlingsaufkauf und für Familienzusammenführung in diesem Hause —, nicht nur zu Propagandazwecken benutzt werden. — Herr Minister Franke hat damals in „PPP" vom 8. November 1972 angefangen —, sondern daß erkannt wird, wo Schwächen sind, daß wir die Schwächen offenlegen, daß wir der DDR mit der gebotenen Härte gemeinsam gegenübertreten und nicht so tun, als wenn nichts gewesen wäre. Das kann weder im Interesse der Bürger hier noch der Bürger drüben liegen. Das muß beendet werden. Sonst treiben wir keine sinnvolle Politik, meine Damen und Herren.
Wir stehen am Ende der Aktuellen Stunde. Ich berufe die nächste Sitzung auf Dienstag, den 3. April, 11 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.