Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung soll der Bericht betreffend die soziale Lage der verheirateten Studenten — Drucksache VI/2864 dem Ausschuß für Bildung und Wissenschaft — federführend — und dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mitberatendin der 7. Wahlperiode erneut überwiesen werden. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat wird die Tagesordnung außerdem um den Ihnen vorliegenden Zusatzpunkt ergänzt:Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Bergmannsprämien - Drucksache 7/212 —Ist das Haus damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Überweisung von EG-VorlagenDer Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:Verordnung des Rates zur Änderung der Haushaltsordnung betreffend den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft- Drucksache 7/204 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rateszur Änderung der Verordnung Nr. 859/72 des Rates vom 25. April 1972 über die Regelung für bestimmte Obst-und Gemüsesorten mit Ursprung in den assoziierten afrikanischen Staaten und Madagaskar oder den überseeischen Ländern und Gebietenzur Änderung der Verordnung Nr. 860/72 des Rates vom 25. April 1972 über die Regelung für bestimmte Obst- und Gemüsesorten mit Ursprung in der Vereinigten Republik Tansania, der Republik Uganda und der Republik Kenia— Drucksache 7/205 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1569/72 des Rates zur Einführung von Sondermaßnahmen für Raps- und Rübsensamen— Drucksache 7/207 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung des Rates über die Festlegung allgemeiner Vorschriften für die Regelung der Ausgleichsbeträge im Sektor Obst und Gemüse— Drucksache 7/208 überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Ausdehnung des Anhangs der Verordnung (EWG) Nr. 109/70 zur Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die Einfuhr aus Staatshandelsländern auf weitere Einfuhren— Drucksache 7/209 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatMitteilung der Kommission an den Rat über die Ergebnisse der Verhandlungen mit Marokko und Tunesien im Hinblick auf den Abschluß von Protokollen. mit denen die Assoziierungsabkommen mit diesen Ländern auf Grund der Erweiterung der Gemeinschaft angepaßt werden sollenEmpfehlung zu der Verordnung des Ratesüber den Abschluß eines Protokolls zur Festlegung bestimmter Vorschriften betreffend das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko infolge des Beitritts neuer Mitgliedstaaten zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaftüber den Abschluß eines Protokolls zur Festlegung bestimmter Vorschriften betreffend das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Tunesischen Republik infolge des Beitritts neuer Mitgliedstaaten zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft — Drucksache 7/210 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft , Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Ratesbetreffend die Durchführung des Protokolls Nr. 3 über die Begriffsbestimmung für „Erzeugnisse mit Ursprung in" oder „Ursprungserzeugnisse" und über die Zusammenarbeit der Verwaltungen, welches dem Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Österreich als Anlage beigefügt istbetreffend die Durchführung des Protokolls Nr. 3 über die Begriffsbestimmung für „Erzeugnisse mit Ursprung in" oder „Ursprungserzeugnisse" und über die Zusammenarbeit der Verwaltungen, welches dem Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Portugal als Anlage beigefügt istbetreffend die Durchführung des Protokolls Nr. 3 über die Begriffsbestimmung für „Erzeugnisse mit Ursprung in" oder „Ursprungserzeugnisse" und über die Zusammenarbeit der Verwaltungen, welches dem Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Schweden als Anlage beigefügt istbetreffend die Durchführung des Protokolls Nr. 3 über die Begriffsbestimmung für „Erzeugnisse mit Ursprung in" oder Ursprungserzeugnisse" und über die Zusammnarbeit der Verwaltungen, welches dem Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft als Anlage beigefügt ist— Drucksache 7/'211 —überwiesen an den Finanzausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatWir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:Fragestunde Drucksache 7/188Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Ich rufe die Frage 52 des Abgeordneten Härzschel auf:Wieviel allgemeine Sparguthaben mit gesetzlicher Kündigungsfrist gibt es in der Bundesrepublik Deutschland, und wie hoch ist die Summe dieser Spareinlagen?
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824 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Februar 1973
Vizepräsident von HasselZur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Herr Abgeordneter Härzschel, die Zahl der Sparkonten mit gesetzlicher Kündigungsfrist ist statistisch nicht erfaßt; schätzungsweise dürfte es sich um 60 Millionen Konten handeln. Die Einlagen auf diesen Konten betragen bei den von der Deutschen Bundesbank erfaßten Kreditinstituten zum 31. Dezember 1972 147,3 Milliarden DM.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Härzschel.
Herr Staatssekretär, können Sie mir in etwa sagen, wieviel diese Einlagen prozentual im Verhältnis zum gesamten Sparaufkommen ausmachen?
Da bin ich im Augenblick überfordert. Ich werde das ausrechnen lassen und Ihnen das Ergebnis schriftlich mitteilen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Härzschel auf:
Hält die Bundesregierung einen flexiblen Zinssatz dieser Sparguthaben dann für möglich, wenn die Inflationsrate den Zinssatz allgemeiner Sparguthaben übersteigt, oder was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um den Substanzverlust dieser Sparer auszugleichen?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Die Zinsen für Spareinlagen sind flexibel; sie orientieren sich an der Entwicklung des Kapitalmarktzinses. Das gilt insbesondere seit der Aufhebung der Zinsbindung zum 1. April 1967. So erfolgte seitens der Kreditinstitute überwiegend zum 1. Januar 1973 eine Erhöhung der Spareinlagenzinsen um ½%.
Als Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist, die vielfach mehr unter Liquiditäts- als unter Renditegesichtspunkten angelegt werden, wird jedoch nur ein prozentual zurückgehender Teil der langfristigen Ersparnisse gehalten. Anlagen in langfristigen Sparguthaben, festverzinslichen Wertpapieren, Bundesschatzbriefen usw. dagegen erbringen Renditen, welche die gegenwärtige Steigerungsrate der Lebenshaltungskosten übersteigen. Die privaten Sparer haben diese Vorteile erkannt und machen in wachsendem Umfang von den hier vorhandenen Möglichkeiten Gebrauch. Außerdem genießen sie bei der langfristigen Anlage zusätzlich die Vorteile der Sparförderung, die 1972 nicht weniger als rund 6,8 Milliarden DM ausmachten. Bei dieser Sachlage sieht die Bundesregierung keine Notwendigkeit zum Ausgleich sogenannter Sparverluste, die völlig fiktiv sind, sobald man fairerweise die Kapitalerträge in Form von Zinsen, Prämien und Steuervorteilen in die Betrachtung einbezieht.
Die Bundesregierung würde es darüber hinaus begrüßen, wenn die Kreditinstitute ihre Sparzinsen etwas flexibler als bisher auch nach oben anpassen würden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Härzschel.
Herr Staatssekretär, wenn ich es richtig sehe, sind alle Prognosen darauf ausgerichtet, daß wir auch in diesem Jahr mit einem höheren Inflationsverlust rechnen müssen. Hält es die Bundesregierung bei dieser Sachlage für vertretbar, daß gerade die kleinsten Sparer Substanzverluste hinnehmen müssen, und ist die Bundesregierung der Meinung, daß es tatsächlich mit dem sozialen Rechtsstaat in Übereinstimmung zu bringen ist, wenn sie dem tatenlos zusieht?
Dies ist eine Behauptung, der ich widersprechen muß. Es stimmt nicht, was Sie über die kleinsten Sparer gesagt haben. Auch die kleinsten Sparer haben die Möglichkeit, auszuweichen; sie sind nicht auf die gesetzliche Kündigung angewiesen.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Härzschel.
Herr Staatssekretär, muß ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung nicht bereit ist, hier in irgendeiner Weise etwas zu unternehmen?
Die Bundesregierung ist bereit — das hat sie durch ihre Beschlüsse am Wochenende bewiesen —, den Preisauftrieb zu bekämpfen und von dem bisherigen Preisauftrieb herunterzukommen. Das sind die Maßnahmen der Bundesregierung, die zeigen, daß wir entschlossen sind, dieses Problem zu lösen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten von Bockelberg.
Hält es die Bundesregierung für mit der Besteuerungsmoral vereinbar, für diese durch die Inflation aufgefressenen Zinsen auch noch Steuern zu nehmen?
Die Bundesregierung hält das für vertretbar.
Keine ZusatzfrageDie Frage 54 des Abgeordneten Schedl wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Februar 1973 825
Vizepräsident von HasselIch rufe die Frage 55 des Abgeordneten Pieroth auf. Ist der Abgeordnete im Saal? — Der Abgeordnete ist nicht anwesend. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Die Fragen 56 und 57 des Abgeordneten Höcherl kann ich gemäß Ziff. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde nicht zulassen, da sie Punkt 14 der Tagesordnung — Erste Beratung eines Zweiten Steuerreformgesetzes — betreffen und derartige Fragen in derselben Woche nicht zulässig sind.Ich rufe die Frage 58 des Abgeordneten Freiherr Ostman von der Leye auf:Welche Möglichkeit sieht die Bundesregierung angesichts der Tatsache, daß das Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes e. V. unter den vom Bundesverfassungsschutz observierten rechtsradikalen Kulturorganisationen aufgeführt wird, die ausgesprochene Anerkennung als „besonders förderungswürdigen und gemeinnützigen Zwecken dienend" zu entziehen und damit den Bundesinteressen widersprechende Abzugsfähigkeit der Spenden von der Steuer zu beseitigen?Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hermsdorf.
Herr Kollege Ostman von der Leye, bereits in den Jahren 1964 und 1970 war die steuerliche Behandlung von Spenden an das Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes Gegenstand einer Kleinen Anfrage und zweier mündlicher Anfragen. Schon damals hat die Bundesregierung im Einvernehmen mit den Finanzministern und Senatoren der Länder die Auffassung vertreten, daß die Zwecke des Deutschen Kulturwerks Europäischen Geistes nicht zu den als besonders förderungswürdig anerkannten gemeinnützigen Zwecken gehören und die dem Verein zugewendeten Spenden daher nicht steuerlich abzugsfähig sind. Die Bundesregierung hat keinen Anlaß zu der Annahme, daß die damals vertretene Rechtsauffassung von den Finanzämtern nicht befolgt wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ostman von der Leye.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung diese Anfrage zum Anlaß nehmen, die steuerliche Behandlung von Spenden an das Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes e. V. überprüfen zu lassen?
Der Bundesminister der Finanzen achtet im Benehmen mit den Finanzministern der Länder darauf, daß keine ungerechtfertigten Steuervorteile für derartige Spenden in Anspruch genommen werden. Im Hinblick auf die Bestimmungen über das Steuergeheimnis kann im Einzelfall das Ergebnis einer solchen Überprüfung allerdings nicht mitgeteilt werden.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ostmann von der Leye.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung dann bereit,
die Oberfinanzdirektionen insbesondere im Freistaat Bayern, in dem das angebliche Kulturwerk seinen Sitz hat, erneut darauf hinzuweisen, daß Absetzungen zugunsten dieses Kulturwerks schon aus Gründen der Bundeseinheitlichkeit nicht erfolgen dürfen?
Wir hatten bisher keinen Anlaß, das zu tun. Da ich aber auf Grund Ihrer Frage vermute, daß Sie Gründe für die Annahme haben, daß diese Bestimmung umgangen wird, wird die Bundesregierung die Landesregierung Bayern nochmals hinweisen.
— Ich bitte um Entschuldigung. Ich bin korrigiert worden. Es muß heißen: Staatsregierung. Ich bin gern bereit, dem Wunsch der Bayern, diese Bezeichnung zu verwenden, nachzukommen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, da es nun den Bemühungen vieler einzelner Abgeordneter und einer ganzen Fraktion in den letzten acht Jahren nicht gelungen ist, eindeutig zu erfahren, ob rechtsextreme Organisationen und Vereinigungen in der Praxis als förderungswürdig im Sinne des Steuergesetzes anerkannt werden oder nicht, möchte ich Sie fragen: Wäre es nicht wirklich an der Zeit, mit der schizophrenen und paradoxen Praxis Schluß zu machen, daß man einerseits Steuerausfälle hinnimmt und andererseits Steuergelder benutzt, um die gleichen Vereinigungen zu bekämpfen, sei es über den Verfassungsschutz oder über die Polizei?
Herr Kollege Hansen, ich bin nicht der Auffassung, daß sich die Finanzverwaltungen hier schizophren verhalten. Ich bin aber der Auffassung, daß wir versuchen sollten, dort, wo diesen Vereinen ungerechte Steuervorteile gewährt werden, das nochmals zu überprüfen und eine Liste zu erstellen. Diese würden wir dann den Landesfinanzämtern zusenden.
Keine Zusatzfrage.Die Fragen 59 und 60 des Abgeordneten Leicht werden anschließend vom Auswärtigen Amt beantwortet.Herr Staatssekretär Hermsdorf, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Die Frage 7 des Abgeordneten Wohlrabe ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Rollmann auf:Mit welchem Ergebnis hat die deutsche Delegation in Warschau über die Ausreise von Deutschen aus den Oder-Neiße- Gebieten verhandelt?Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch.
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826 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Februar 1973
Herr Abgeordneter, das Problem der Umsiedlung ist bei den deutschpolnischen Konsultationen in Warschau eingehend behandelt worden. Wir haben die bestehenden Schwierigkeiten und vor allem unsere einzelnen Beschwerdepunkte, wie etwa die schleppende Abwicklung der Umsiedlung, die administrativen Behinderungen bei der Antragstellung sowie den Verlust des Arbeitsplatzes und sonstige berufliche Nachteile — alles Punkte, die vor diesem Hohen Hause oder in den Ausschüssen bereits eingehend behandelt worden sind — dargelegt.
Wir haben die polnische Regierung gebeten, den Ausreiserhythmus zu beschleunigen und entweder das Rot-Kreuz-Verfahren oder das über das polnische Außenministerium laufende Interventionsverfahren zu verbessern.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rollmann.
Herr Staatssekretär, haben Sie vielleicht bemerkt, daß Sie meine Frage gar nicht beantwortet haben? Ich habe nämlich nicht gefragt, was Sie in Warschau getan und was Sie vorgetragen haben, sondern wollte wissen, mit welchem Ergebnis Sie verhandelt haben. Und ich möchte doch den Herrn Präsidenten darum bitten, das Hohe Haus gegen solche unzulänglichen Antworten der Regierung in Schutz zu nehmen.
Darf ich, Herr Kollege Rollmann, darauf aufmerksam machen, daß es für jeden Präsidenten ausgeschlossen ist, genau zu verfolgen, ob Frage und Antwort deckungsgleich sind. Wir bemühen uns darum, aber wir können das von uns aus nicht immer feststellen. Das gilt für alle Präsidenten, auch für den gegenwärtig amtierenden.
Herr Präsident, darf ich dazu eine Bemerkung machen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Zunächst, Herr Abgeordneter, bitte ich Sie, die Richtlinien für die Fragestunde zu prüfen.
Dort ist es ins Ermessen der Regierung gestellt, — —
Ich möchte eine Antwort von Ihnen, Herr Staatssekretär!
Es steht der Regierung
frei, auch nicht zu antworten, Herr Abgeordneter. Die Regierung hat Ihnen geantwortet, und Sie haben ja die Möglichkeit, Zusatzfragen zu stellen. Ich darf sagen, daß die Praxis, die ich hier übe, mir von einem Ihrer alten Kollegen, nämlich von Herrn Eckardt, als besonders wirksam empfohlen worden ist.
— Aber Herr Rollmann hat keine Zusatzfrage gestellt.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rollmann.
Herr Staatssekretär, sind Sie nunmehr bereit, über das Ergebnis der Konsultationen in Warschau zu berichten?
Herr Abgeordneter, selbstverständlich bin ich dazu bereit. Ich wollte aber noch darauf hingewiesen haben, Herr Abgeordneter, daß schon in der letzten Woche — am letzten Freitag — darüber hier ausführlich gesprochen worden ist. Ich darf das also wiederholen.
Die polnische Seite hat die Berechtigung der Beschwerden teilweise angezweifelt und die Auffassung geäußert, daß die Ausreise in zahlreichen Fällen lediglich zu Erwerbszwecken angestrebt werde. Wir haben diesem Argument entgegengehalten, daß es notwendig sei, die konkreten Fälle zu prüfen. Wir haben vereinbart, daß weitere Gespräche darüber stattfinden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schröder.
Herr Staatssekretär, treffen Meldungen zu, denen zufolge die Ausreise aus einzelnen polnischen Provinzen, beispielsweise aus der Provinz Oppeln, generell untersagt ist und dort noch nicht einmal Ausreiseanträge entgegengenommen werden?
Herr Abgeordneter, wir haben diese Probleme eingehend dargelegt. Es gibt darüber keine generellen Berichte und keine generellen Feststellungen. Ich bin aber bereit — und das habe ich hier wiederholt angekündigt —, im Ausschuß jeden einzelnen Fall zu behandeln.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, stimmt in diesem Zusammenhang der Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", daß die Bundesregierung es auch jetzt — nach den Verhandlungen in Warschau — abgelehnt hat, von einer normalen Auswanderung zu sprechen?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Februar 1973 827
Ja.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter von Fircks.
Herr Staatssekretär, darf jetzt, nachdem, soweit ich es übersehe, zum erstenmal auf höherer Ebene regierungsseitig mit Warschau verhandelt worden ist, damit gerechnet werden, daß die Verhandlungen nunmehr grundsätzlich auf Regierungsebene geführt und nicht mehr allein dem Roten Kreuz überlassen werden, und kann man damit rechnen, daß man auch eines Tages von Regierung zu Regierung zu konkreten Abmachungen und Vereinbarungen kommt, auf die diejenigen, die aussiedeln wollen, dann auch tatsächlich mit einem gewissen Rechtsanspruch warten können?
Herr Abgeordneter, Ihre Frage enthält einige Unrichtigkeiten, so daß ich zunächst dies klarstellen muß: Es ist nicht zum erstenmal von Regierung zu Regierung verhandelt worden; es haben in Warschau Konsultationen stattgefunden. Das ist — auch in dieser Frage — zum wiederholten Male geschehen. Über diese Frage ist bilateral im Zusammenhang mit dem deutsch-polnischen Vertrag erstmals verhandelt worden.
Daß die Rot-Kreuz-Gesellschaften weiterhin eingeschaltet bleiben, ergibt sich aus den Antworten auf die nächsten Fragen. Vielleicht wäre es ohnehin sinnvoll, Herr Präsident, wenn wir zunächst die nächsten beiden Fragen behandelten; das würde sicher viele Zusatzfragen ersparen.
Mir liegen noch insgesamt drei Wortmeldungen für Zusatzfragen vor. Vielleicht können wir diese eben abhandeln. Dann lassen wir keine weiteren Zusatzfragen zu, sondern verweisen auf die nächsten Fragen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Auffassung, daß es zur Erfüllung der Schutzpflicht für deutsche Staatsangehörige nunmehr notwendig wäre, die deutsche Öffentlichkeit durch eine Dokumentation in vollem Umfang über die schwierige Lage der deutschen Staatsangehörigen in den Oder-Neiße-Gebieten zu informieren, um so mehr, als beispielsweise die Ausreise jüdischer Bürger aus der Sowjetunion gerade durch die öffentliche Behandlung der Frage stärker in Fluß gekommen ist?
Herr Abgeordneter, ich glaube, daß die Regierung so handeln muß, wie es den Interessen der Umsiedlungswilligen entspricht. Sie mögen selbst prüfen, ob Ihre Anregung diesen Interessen entsprechen würde,
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht den Bemühungen der Bundesregierung um vermehrte Ausreise dienlicher, wenn sich diejenigen, die die bestehenden Verhältnisse durch ihre Mitgliedschaft in früheren Organisationen mit herbeiführen halfen und zur Erschwerung heute immer noch beitragen, hier entsprechend zurückhielten?
Ich lasse diese Zusatzfrage nicht zu, weil es sich um eine Frage an die Regierung im Hinblick auf ihren Einflußbereich handeln muß. Sie darf nicht hier anwesende Kollegen, frühere Kollegen oder andere Bürger betreffen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lemmrich.
Herr Staatssekretär, sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der hinsichtlich der Ausreise von Deutschen aus diesen Gebieten sehr schwierigen Lage und der Tatsache, daß die Bundesregierung überhastet und mit wenig Sorgfalt die deutsch-polnischen Verträge ausgehandelt hat?
Herr Abgeordneter, ich weise diese in Ihrer Frage enthaltene Unterstellung mit Entschiedenheit zurück. Die Dokumente über die Art der Verhandlungen, nicht zuletzt der Verhandlungen, die der verstorbene Staatssekretär Duckwitz geführt hat, beweisen das Gegenteil von dem, was Sie in Ihrer Frage gesagt haben.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Engelsberger auf. Ist der Abgeordnete im Saal? — Er ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wie erklärt sich die Bundesregierung die Schwierigkeiten, die trotz Absatz 5 der Information der Volksrepublik Polen denen gemacht werden, die zu Besuch in die Gebiete jenseits von Oder und Görlitzer Neiße fahren wollen, indem ohne Angabe von Gründen das Visum verweigert wird, und hat die Bundesregierung gegen solche Fälle, die im krassen Widerspruch zur Information stehen, protestiert?
Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch.
Es trifft zu, Herr Abgeordneter, daß Polen anläßlich der jüngsten deutschpolnischen Konsultationen die Auffassung vertreten hat, bei den Umsiedlungsbewerbern handle es sich vorwiegend um Personen, die zu Erwerbszwecken die Ausreise wünschen. Gleichzeitig hat die polnische Regierung aber erneut bekräftigt, daß sie
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828 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Februar 1973
Parl. Staatssekretär Moerschdie „Information" erfüllen will. Wir haben demgegenüber dargelegt, daß wir die polnische Auffassung über die Motive der Ausreisewünsche für nicht zutreffend halten. Wir haben darauf hingewiesen, daß die Frage, ob die Umsiedlungsbewerber die Kriterien der „Information" erfüllen, in jedem Einzelfall sorgfältig geprüft werden muß. Es ist z. B. unlogisch, Menschen, die zu einem erheblichen Teil seit Jahren und Jahrzehnten unter großen persönlichen Opfern um die Ausreisegenehmigung kämpfen, ausschließlich oder vorwiegend wirtschaftliche Motive zu unterstellen.In den Konsultationen ist auch noch einmal erörtert worden, daß für die Ausreise von Personen, die die Kriterien der „Information" erfüllen, keine zeitliche Begrenzung vorgesehen ist. Dies ist in den Erläuterungen zur „Information" ausdrücklich präzisiert, Die polnische Seite hat das auch nicht in Zweifel gestellt. Sowohl zwischen den Regierungen als auch zwischen den Rot-Kreuz-Gesellschaften werden die bei der Durchführung der „Information" der Regierung der Volksrepublik Polen aufgetretenen Probleme weiter behandelt werden.Zusammenfassend darf ich feststellen, daß von einer „Zerstörung der Geschäftsgrundlage" im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gesprochen werden kann.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Hupka.
Das war nicht meine Frage, Herr Präsident, sondern es war die Antwort auf die Frage von Herrn Engelsberger.
Entschuldigung! Aufgerufen war die Frage 9. Ich bin der Reihe nach vorgegangen.
Verzeihung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär! Die Frage 9 ist nicht aufgerufen worden, weil der Fragesteller nicht im Saal war. Deshalb habe ich die Frage 10 des Abgeordneten Dr. Hupka aufgerufen.
Entschuldigen Sie, ich hatte verstanden: Frage 9! Es tut mir leid. Aber ich glaube, die Antwort war für viele mögliche Zusatzfragen wichtig.
— Entschuldigen Sie! — Es handelt sich also um die
Frage 10, Herr Präsident, wenn ich es richtig sehe.
Ja, bitte! Die Frage 10 war aufgerufen.
Ziffer 5 der „Information" sieht für Besuche von Familienangehörigen in den ehemaligen deutschen Gebieten östlich der OderNeiße vor, daß Polen gegenüber diesem Personenkreis dieselben Grundsätze anwendet, die gegenüber anderen Staaten Westeuropas üblich sind. Diese Zusage ist inzwischen verwirklicht. Die früher notwendige Aufenthaltsgenehmigung durch die polnischen örtlichen Milizorgane ist nicht mehr erforderlich. Die Umtauschquote wurde pro Person und Tag auf 6 Dollar ermäßigt. Ferner besteht auch die Möglichkeit, die Reise als Einzelreise mit dem eigenen Pkw durchzuführen. Der Bundesregierung sind in der letzten Zeit keine Beschwerden bekannt geworden, daß Polen diese Zusagen nicht eingehalten hätte.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie es sich dann, daß Reiseunternehmen berichten, daß im Jahre 1972 im Schnitt bis zu 30 Anträge auf Visagenehmigungen abgelehnt worden sind?
Herr Abgeordneter, mir sind diese Berichte nicht bekannt. Ich habe täglich einen großen Posteingang auf diesem Gebiet. Aber ich höre dies in dieser Präzision von Ihnen zum erstenmal.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Besteht die Möglichkeit, daß sich die Bundesregierung darüber informiert und dann entsprechend dieser Auskunft, die ich jetzt gebe und die auch von anderer Seite erhalten werden kann, Schritte bei der polnischen Botschaft unternimmt?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat immer angeboten, solche Informationen entweder schriftlich oder im Ausschuß entgegenzunehmen, und sie hat jeweils darauf reagiert. Das wissen Sie aus einem umfangreichen Schriftwechsel.
Keine Zusatzfrage. — Ich rufe die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß entgegen getroffener Absprachen wiederholt Vertriebene aus Ostdeutschland von der polnischen Botschaft in Köln angehalten worden sind, ihre deutschen Geburtsorte — entsprechend ihrem Geburtsdatum vor 1945 — auf polnische Ortsnamen im Reisepaß umschreiben zu lassen, sonst könnte kein Besuchsvisum erteilt werden, und was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu tun?
Die Frage der Bezeichnung des Geburtsorts in Reisepässen von Deutschen,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Februar 1973 829
Parl. Staatssekretär Moerschdie in den ehemaligen deutschen Gebieten östlich von Oder und Neiße geboren sind, ist durch eine deutsch-polnische Absprache geregelt, der die innerdeutschen Vorschriften angepaßt sind. Bei Geburt des Paßbewerbers vor 1945 wird die Ortsbezeichnung nur in deutscher Sprache, bei Geburt nach 1945 zunächst die polnische Ortsbezeichnung und dahinter in Klammern die deutsche Ortsbezeichnung eingetragen. Soweit dem Auswärtigen Amt bekannt ist, gibt es in dieser Frage grundsätzlich keine Schwierigkeiten mehr. Sollte im Einzelfall doch eine Beschwerde der von Ihnen dargelegten Art auftreten, so ist das Auswärtige Amt jederzeit bereit, solchen Beschwerden nachzugehen und gegebenenfalls Verbindung mit den zuständigen polnischen Stellen aufzunehmen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Stimmt die Bundesregierung mit mir darin überein, daß es nach den Absprachen zwischen dem Auswärtigen Amt hier und dem Auswärtigen Amt in Warschau an sich so gehalten werden müßte, wie Sie es eben interpretiert haben, daß Geburtsorte vor 1945 nur in deutscher Sprache in den Paß aufgenommen werden dürfen?
Herr Abgeordneter, ich habe das Problem in meiner Antwort dargelegt. Die entsprechenden Ausführungsbestimmungen sind Ihnen sicher bekannt. Ich kann sie Ihnen hier gern zur Verfügung stellen.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Wie erklärt sich aber die Bundesregierung, daß es immer wieder zu diesen Schwierigkeiten kommt und daß Besucher, die nach den Gebieten jenseits von Oder und Görlitzer Neiße fahren wollen, die Reise deswegen nicht antreten, weil ihnen von der polnischen Botschaft erklärt wird, der Name ihres Geburtsorts müsse in polnischer Sprache im Paß erscheinen?
Herr Abgeordneter, ich habe eben dargelegt, daß uns diese Einzelfälle nicht bekannt sind. Wenn Beschwerden auftreten, gehen wir ihnen nach. Aber ich kann auf eine hypothetische Frage schlecht antworten. Ich kenne diese Fälle nicht, die Sie offensichtlich kennen.
Ich rufe die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein auf. — Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Das gleiche gilt für die Frage 13.
Ich rufe die Frage 14 des Herrn Abgeordneten Waltemathe auf:
Macht die Bundesregierung bei dem konsularischen Schutz deutscher Staatsbürger, die in Griechenland in Untersuchungshaft geraten, einen Unterschied zwischen kriminellen und politischen Häftlingen, und trifft es zu, daß, wie in einem Brief des Auswärtigen Amtes vom 21. April 1972, Aktenzeichen V 4-88-6978/71, bemerkt wurde, der deutschen Botschaft in Athen keine finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, die es gestatten, politische Untersuchungshäftlinge deutscher Staatsangehörigkeit hin und wieder im Gefängnis zu besuchen, so daß solche Gefängnisbesuche, wenn überhaupt, nur auf ausdrückliche massive Bitte politischer Häftlinge stattfinden?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung macht weder in Griechenland noch in anderen Ländern bei der Gewährung konsularischen Schutzes für inhaftierte deutsche Staatsbürger einen Unterschied zwischen kriminellen und politischen Häftlingen. Die in einem Brief des Auswärtigen Amts vom 21. April 1972 enthaltene Bemerkung, der deutschen Botschaft in Athen stünden keine finanziellen Mittel zum Besuch von inhaftierten deutschen Staatsbürgern zur Verfügung, beruht —ich will das offen bekennen — auf einem Mißverständnis. Es war dadurch entstanden, daß die Vorprüfungsstelle des Auswärtigen Amts zuvor in einem Fall beanstandet hatte, daß die Botschaft Athen die anläßlich eines Gefängnisbesuches entstandenen Kosten nicht den Betroffenen in Rechnung gestellt hatte, wie es die einschlägigen Richtlinien — auch darauf muß ich verweisen — grundsätzlich vorsehen.
Die Fälle der kürzlich freigelassenen Hannelore Runft und der vier in Athen inhaftiert gewesenen deutschen Studenten zeigen, daß die Botschaft Athen nicht nur selber diese Inhafiterten mehrmals im Gefängnis besucht, sondern auch dafür Sorge getragen hat, daß sie von ihren Angehörigen und dem deutschen Pfarrer in Athen des öfteren besucht werden konnten.
Es kann daher überhaupt keine Rede davon sein, daß solche Gefängnisbesuche — ich zitiere — „wenn überhaupt, nur auf ausdrückliche massive Bitte politischer Häftlinge stattfinden". Dies ergibt sich auch schon daraus, daß Fräulein Runft von einem Angehörigen unserer Botschaft in Athen noch am gleichen Tage besucht wurde, an dem die Botschaft von ihrer Verhaftung erfuhr.
Keine Zusatzfrage. — Ich rufe die Frage 15 des Herrn Abgeordneten Waltemathe auf:
Treffen Informationen zu, wonach die deutsche Gerichtsreferendrin Fräulein Hannelore Runft über die deutsche Rotschaft in Athen des öfteren beantragte, aus der Untersuchungshaft im Korydalos-Gefängnis gegen das Angebot täglicher persönlicher Meldung bei den griechischen Polizeiorganen entlassen zu werden, und daß sie im Oktober 1972 bei dem Besuch des Rechtsexperten des Auswärtigen Amtes im Korydalos-Gefängnis erklärte, sie werde widerrechtlich festgehalten, und welche konkreten Schritte sind daraufhin von der deutschen Botschaft in Athen eingeleitet, beziehungsweise vom Auswärtigen Amt veranlaßt worden?
Zur Beantwortung der Herr Parlamentarische Staatssekretär.
Dem Auswärtigen Amt, Herr Abgeordneter, ist nichts darüber bekannt, daß Fräulein Runft „über die deutsche Botschaft in Athen
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830 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Februar 1973
Parl. Staatssekretär Moerschdes öfteren beantragt hat, aus der Untersuchungshaft gegen das Angebot täglicher Meldung entlassen zu werden".Für Fräulein Runft waren drei bekannte griechische Rechtsanwälte tätig. Ihre Verteidiger haben sich wiederholt mit der Botschaft in Verbindung gesetzt, um zu erörtern, welche Möglichkeiten für eine Haftverschonung Fräulein Runfts bestehen. Sie haben dann auch mehrere Anträge auf Haftentlassung bei dem zuständigen Gericht gestellt.Nun zum zweiten Teil Ihrer Frage: Der Besuch Fräulein Runfts durch den Leiter des Strafrechtsreferats des Auswärtigen Amts hat nicht im Oktober 1972, sondern am 9. November 1972 im Gefängnis Korydalos stattgefunden.Bei dem Gespräch, an dem auch ein Angehöriger der Botschaft Athen teilnahm, wurde Fräulein Runft darauf aufmerksam gemacht, daß nach Art. 10 Abs. 4 der griechischen Verfassung die Dauer der Untersuchungshaft zwar grundsätzlich ein Jahr nicht übersteigen soll, daß aber in besonderen Fällen, insbesondere bei Ausländern, die Untersuchungshaft durch Gerichtsbeschlüsse um ein halbes Jahr verlängert werden kann.Ein solcher Gerichtsbeschluß war im Falle des Fräulein Runft Anfang November 1972 ergangen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Waltemathe.
B) Waltemathe : Herr Staatssekretär, mißt die Bundesregierung den öffentlichen Aussagen der vier Studenten, in diesem Falle aber auch des Fräulein Runft, Bedeutung bei, wonach sie von griechischen Sicherheits- und Justizorganen mißhandelt worden seien? Falls Sie diesen öffentlichen Aussagen Bedeutung beimessen, möchte ich Sie fragen, ob diese Aussagen, die jetzt bekanntgeworden sind, zum Gegenstand amtlicher Vorstellungen bei der griechischen Regierung gemacht worden sind.
Ja, Herr Abgeordneter; das ist Ihnen bekannt. Die Frage, was im einzelnen geschehen ist, kann ich nur wie folgt beantworten.
Fräulein Runft hat unserem Botschaftsvertreter gegenüber erklärt daß sie „hart angefaßt" worden sei. Später hat sie dann andere Erklärungen abgegeben. Der Botschaftsangehörige, der sie besucht hat, hat damals sofort gegenüber dem zuständigen griechischen Beamten Vorstellungen erhoben. Dieser hat erklärt, daß er solchen Beschwerden nachgehen wolle.
Ich bitte zu beachten, daß hinsichtlich der Gefängnishaft selbst diese Behauptung nicht aufgestellt worden ist, sondern daß sie später für die Art der Verhaftung erhoben worden ist. Welche Vorgänge im einzelnen gemeint waren, ist daher schwer nachzuprüfen. Jedenfalls haben wir alle Überprüfungen vorgenommen, die erforderlich waren. Daraus hat sich dann ergeben, daß das Wort „hart angefaßt" der eigentliche Vorwurf gewesen ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Waltemathe.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie nach der soeben gegebenen Antwort fragen, wie die Bundesregierung in etwaigen weiteren Fällen ähnlicher Art das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit deutscher Staatsbürger, wenn sie sich auf griechischem Boden befinden, zu schützen gedenkt?
Herr Abgeordneter, die Frage, wieweit man deutschen gesetzlichen Vorschriften im Ausland Geltung verschaffen kann, gilt nicht nur für Griechenland, sondern ganz generell.
Sie wissen, daß z. B. die Militärpolizei anderer Staaten, die gelegentlich auf unserem Boden ihren Landsleuten gegenüber Dienst tut, hinsichtlich der Praxis bei Verhaftungen und Festnahmen andere Vorstellungen hat als wir. Das gilt übrigens für die Polizei in einer ganzen Reihe von Staaten.
Die Bundesregierung wird, wo immer sie davon erfährt, genauso vorstellig werden, wie es in diesem Falle geschehen ist. Es handelt sich hier nicht nur um ein spezielles Problem, sondern auch um ein allgemeines Problem: auch in Staaten, die mit uns befreundet und verbündet sind, gibt es eine Praxis bei Verhaftungen und Festnahmen, die unseren rechtsstaatlichen Vorstellungen nicht entspricht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, anknüpfend an die letzten Sätze Ihrer Antwort möchte ich Sie fragen, ob es zutrifft, daß Beamte Ihres Hauses erklärt haben, wer schon einmal nach Griechenland fährt, müsse auch gewisse Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen, u. a. auch einen Gefängnisaufenthalt.
Herr Abgeordneter, das ist mir nicht bekannt.
Aber es trifft zu, daß ich selbst die Meinung vertrete, daß dadurch, daß man in bestimmten Ländern straffällig wird — möglicherweise ohne zu wissen, daß ein Straftatbestand erfüllt worden ist —, das persönliche Risiko erhöht wird, wie überhaupt das Risiko des Lebens manchmal ziemlich groß sein kann.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau von Bothmer.
Herr Staatssekretär, können Sie die Meldung, die ich in Zeitungen gelesen habe, bestätigen, daß die deutsche Vertretung in Athen den Inhaftierten, als sie zur Verhandlung vorgeführt wurden, geraten hat, sie möchten ihre schlechte Behandlung dort nicht erwähnen?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Februar 1973 831
Frau Abgeordnete, das trifft nicht zu. Ich bitte Sie im übrigen prinzipiell zu beachten, daß Ratschläge, die Inhaftierte von Angehörigen der Botschaft erbitten und die ihnen dann auch gegeben werden, nicht befolgt werden müssen.
Es ist eine bare Selbstverständlichkeit, daß, wenn einer unserer Beamten über einen Anwalt oder von einem Inhaftierten direkt gefragt wird, wie er am schnellsten aus der Haft entlassen werden könne, dieser Beamte dann pflichtgemäß antworten muß: nach unserer Erfahrung ist es am besten, wenn Sie sich so oder so verhalten. Das ist in jedem Einzelfalle verschieden. Was hätte es eigentlich für einen Sinn, jemandem eine solche Frage zu stellen, wenn man die Antwort von vornherein nicht akzeptiert?! Aber es handelt sich ja hier nicht um eine Weisung der Bundesregierung, die irgend jemandem gegeben wird, sondern um einen persönlichen Rat. Und wir würden es einem Beamten zum Vorwurf machen, wenn er etwa keinen Rat oder einen Rat gäbe, der nicht seiner Lebenserfahrung entspräche. Ob dieser
Rat dann im Einzelfalle richtig war, kann man auch
nachträglich kaum beweisen.
Ich rufe die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz auf:
Warum hat die Bundesregierung nicht die Weltöffentlichkeit mobilisiert, sondern geschwiegen gegenüber der Tatsache, daß fünf Angehörige des deutschen Malteser-Hilfsdienstes völkerrechtswidrig vom Vietcong in Südvietnam gefangengenommen und fast fünf Jahre in so harter Gefangenschaft gehalten wurden, daß drei von ihnen verstarben?
Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Die Bundesregierung hat unter anderem am 1. Dezember 1969 öffentlich an die Verantwortlichen Nordvietnams und der Befreiungsfront in Südvietnam appelliert, die gefangenen Helfer des Malteser Hilfsdienstes unverzüglich freizulassen.
Seit der Verschleppung der fünf Malteser Hilfsdienst-Helfer hat sich die Bundesregierung auf allen ihr möglichen Wegen bemüht, die Freilassung der Gefangenen zu erwirken. Leider blieben alle diese Bemühungen erfolglos. Auch auf Appelle der Weltöffentlichkeit haben weder die Regierung in Nordvietnam noch die sogenannte Provisorische Revolutionsregierung Südvietnams reagiert.
Ich möchte hinzufügen: Ich habe kurz vor Beginn der Fragestunde eine noch nicht endgültig bestätigte Meldung erhalten, nach der die beiden sich noch dort in Nordvietnam befindenden Deutschen — Herr Diehl und Frau Schwinn — am Dienstag freigelassen werden sollen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Dr. Kunz auf:
Trifft es zu, daß im Namen der Bundesregierung Erklärungen über eine deutsche Beteiligung am Wiederaufbau Vietnams durch die Tochter des Herrn Bundespräsidenten abgegeben worden sind?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär.
Frau Ranke-Heinemann hat Hanoi als Privatperson besucht. Sie hat daher nicht für die Bundesregierung Erklärungen hinsichtlich einer deutschen Hilfe für Vietnam abgegeben.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Kunz.
Herr Staatssekretär, dann stimmt also die Meldung nicht, daß Frau Ranke-Heinemann im Auftrag der Bundesregierung diese Erklärung abgegeben hat?
Sie haben eine zutreffende Folgerung aus meiner Antwort gezogen, Herr Abgeordneter.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 59 des Abgeordneten Leicht auf:
Trifft es zu, daß die finnische Regierung in der Frage der Reparationszahlungen erneut an die Bundesregierung herangetreten ist?
Herr Staatssekretär zur Beantwortung!
Herr Abgeordneter, mit ihrer Deutschland-Initiative vom September 1971, die an die Bundesrepublik und die DDR gerichtet war, schlug die finnische Regierung u. a. vor, rechtliche und finanzielle Fragen, die seit dem Ende des zweiten Weltkriegs unerledigt geblieben waren —darunter auch Entschädigung für die von den Truppen des Deutschen Reiches während der Jahre 1944/45 in Finnland angerichteten Schäden —, vertraglich zu regeln. Ein entsprechender Abkommensentwurf wurde übergeben. Die Bundesregierung konnte auf diesen Vorschlag nicht eingehen, da seine Annahme mit dem Londoner Schuldenabkommen vom 27. Februar 1953, dem Finnland mit Wirkung vom 20. Mai 1955 beigetreten ist, unvereinbar gewesen wäre. Durch Art. 5 dieses Abkommens ist die Prüfung der Reparationsfrage bis zu ihrer endgültigen Regelung zurückgestellt.
Anläßlich der Verhandlungen über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Herbst vergangenen Jahres kam die finnische Regierung auf dieses Thema zurück. Die Bundesregierung verblieb jedoch bei ihrem Standpunkt.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Leicht.
Herr Staatssekretär, kann ich das so verstehen, daß die Aussagen des finnischen Botschafters, wie sie in einer im Nachrichtenspiegel des Presse- und Informationsamtes vom 15. Februar 1973 wiedergegebenen Pressemeldung geschildert werden, auch heute nicht bewirken können, daß der Standpunkt der Bundesregierung aufgegeben wird?
Herr Abgeordneter, zu-
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832 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Februar 1973
Parl. Staatssekretär Moerschnächst einmal gibt der Pressespiegel Nachrichten wieder, die ja nicht Erklärungen der Bundesregierung sind.
— Ich wollte das nur noch einmal festhalten, damit kein Mißverständnis entsteht. Der Standpunkt der Bundesregierung ist von mir hier dargelegt worden. Ich habe gesagt — ich darf noch einmal wiederholen —: Die Bundesregierung verblieb und verbleibt bei ihrem Standpunkt.
Ich rufe die Frage 60 des Abgeordneten Leicht auf:
In welcher Höhe und mit welcher Begründung werden diese Forderungen erhoben?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Ich darf in zwei Abteilungen antworten.
Zur Höhe: Die finnische Regierung hat bisher ihre Reparationsforderungen der Bundesregierung gegenüber nicht beziffert.
Zur Begründung: Im Anschluß an die finnische Initiative vom September 1972 hat der finnische Verhandlungsbevollmächtigte während der deutsch-finnischen Gespräche wiederholt ausgeführt, daß die Entschädigungsforderungen wegen der Zerstörungen in Lappland keine Reparations-, sondern Wiedergutmachungsforderungen seien, vergleichbar den Forderungen nach Wiedergutmachung für nationalsozialistisches Unrecht. Dieser Argumentation wurde von unserer Seite immer wieder mit dem Hinweis begegnet, daß es sich eindeutig um Kriegsverluste handele, die nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Wege von Reparationen zu entschädigen seien.
Keine Zusatzfrage. Wir sind am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, für die Beantwortung.
Stellt die Bundesregierung irgendwelche Überlegungen an, eine Revision des Beschlusses der Regierungschefs des Bundes und der Länder vom 28. Januar 1972 über die Nichteinstellung von verfassungsfeindlichen Kräften im öffentlichen Dienst durchzuführen, nachdem der Bundeskanzler von Jungsozialisten und dem Sozialistischen Hochschulbund in den letzten Wochen wiederholt dazu aufgefordert wurde?
Zur Beantwortung Herr Bundesminister Genscher.
Herr Abgeordneter, ich habe in der Fragestunde vom 16. Februar 1973 die Auffassung der Bundesregierung zu dem Beschluß des Herrn Bundeskanzlers und der Herren Ministerpräsidenten der Länder vorgetragen. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Die Bundesregierung ist allerdings bereit, an jeder Konkretisierung und Präzisierung mitzuwirken, die zu der von allen Fraktionen in einer der letzten Fragestunden gewünschten einheitlichen Rechtsanwendung im Sinne der Rechtssicherheit führen kann.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Schröder.
Herr Bundesminister, darf ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung oder Sie bereit sind, auf die Landesregierungen einzuwirken, die ganz offensichtlich diesem Beschluß nicht Folge leisten?
Herr Abgeordneter, das ist nicht die Aufgabe der Bundesregierung. Es wird aber heute nachmittag, wie ich höre, Gelegenheit sein, in dem Gespräch, das der Herr Bundeskanzler mit den Ministerpräsidenten der Länder führt, da dies von einigen Ministerpräsidenten erbeten worden ist, diesen Themenbereich zu berühren.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Schröder.
Herr Bundesminister, welche Haltung nimmt die Bundesregierung in der Frage der Beweislast ein, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Beweislast bei den jeweils Betroffenen liegt oder bei den jeweils einstellenden Behörden?
Herr Abgeordneter, es kann für mich nicht zweifelhaft sein, daß immer dann, wenn eine Behörde eine Entscheidung zu Lasten eines Staatsbürgers trifft, die Behörde zu beweisen hat, daß die entscheidungserheblichen Tatsachen gegeben sind.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Fuchs.
Herr Bundesminister, wie lange glaubt die Bundesregierung die von Ihnen vorgetragene Haltung angesichts der Tatsache beibehalten zu können, daß von großen Gliederungen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands erneut die Forderung erhoben wird, den Beschluß der Ministerpräsidenten aufzuheben?
Herr Abgeordneter, das ist für die Bundesregierung keine Glaubensfrage, sondern eine Frage einer von ihr getroffenen Entscheidung.
Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Schröder auf:Wie viele Bewerber sind unter Bezugnahme auf diesen Beschluß seit dem 28. Januar 1972 bis heute bei den Bundesministerien und Bundesbehörden, in den Ministerien der Lander und Gemeinden, sowie Länder- und Gemeindebehörden nicht eingestellt worden?Zur Beantworetung der Herr Bundesminister.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Februar 1973 833
Herr Abgeordneter, für die Beantwortung dieser Frage sind umfangreiche Erhebungen notwendig, die wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit bisher nicht abgeschlossen werden konnten. Ich bitte deshalb um Ihr Einverständnis, daß ich Ihnen die erbetenen Angaben zu gegebener Zeit schriftlich mitteilen darf.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Schröder.
Herr Bundesminister, selbst angesichts der Tatsache, daß Sie die Zahlen noch nicht vorliegen haben, Sie aber sicher über die Entwicklung informiert sind, darf ich fragen: Treffen Behauptungen zu, denen zufolge dieser Erlaß einseitig angewandt worden sein soll?
Herr Abgeordneter, auch daß muß notwendigerweise mit untersucht werden, wenn ich Ihre Frage beantworten will. Das würde aber natürlich bedeuten, daß sich die Bundesregierung ein Urteil über jede Entscheidung im Einzelfall anmaßt. Ich darf daran erinnern, daß ich in der Fragestunde am vergangenen Freitag darauf hingewiesen habe, die Bundesregierung wehre sich gegen schematische Entscheidungen und sei für Entscheidungen im Einzelfall. Deshalb sind auch schematische Beurteilungen nicht möglich. Die Bundesregierung müßte jeden Einzelfall bewerten, was die Kenntnis der Sachverhalte voraussetzen würde. Sie mögen daraus entnehmen, daß Sie mich mit Ihrer Fragestellung überfordern.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Schröder.
Herr Bundesminister, treffen Behauptungen zu, die in diesen Tagen aufgestellt worden sind, denen zufolge sich in höheren und höchsten Rängen der Bundesverwaltung Beamte befinden, die sich in rechtsradikalen Organisationen tummeln bzw. rechtsradikal betätigen?
Ich glaube das nicht, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Dr. Sperling.
Herr Minister, ist es richtig, daß der Beschluß der Ministerpräsidenten kein neues Recht geschaffen hat, so daß niemand unter Bezugnahme auf diesen Beschluß nicht eingestellt werden kann, sondern nur unter Bezugnahme auf das Beamtenrecht nicht eingestellt werden kann?
Herr Abgeordneter, ich nehme Ihre Frage gern noch einmal zum Anlaß, ausdrücklich zu unterstreichen, daß es weder die Absicht der Ministerpräsidenten und des Bundeskanzlers war, neues Recht zu setzen, noch daß in dieser Form neues Recht hätte gesetzt wer-
den können. Grundlage aller Entscheidungen können immer nur die geltenden Gesetze des Bundes und der Länder sein.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Mertes.
Herr Bundesminister, trifft es zu, daß nach dem Bundesbeamtenrecht die Beweislast für die Verfassungstreue beim einzelnen Beamten liegt?
Herr Abgeordneter, ich sage noch einmal, daß ich der Überzeugung bin, daß es unseren rechtsstaatlichen Erfordernissen entspricht, daß einen Staatsbürger belastende Entscheidungen nur auf Tatsachen gestützt werden können, die von der entscheidenden Behörde festgestellt sind und bewiesen werden können.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Dr. Schneider auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, inwieweit beim Vollzug des am 1. Januar 1973 in Kraft getretenen Bundeswaffengesetzes bisher Schwierigkeiten aufgetreten sind, etwa weil für die Ausstellung von Waffenbesitzkarten bei der Anmeldung des vorhandenen Waffenbestandes unterschiedliche Maßstäbe angelegt, unterschiedlich hohe Gebühren gefordert oder z. T. für den Waffen- und Munitionserwerb sowie das Führen von Waffen angeblich wegen Fehlens von Formularen noch keine Genehmigungen erteilt werden, und durch welche Maßnahmen will die Bundesregierung gegebenenfalls auf eine reibungslose Durchführung des Waffengesetzes hinwirken?
Zur Beantwortung, Herr Bundesminister.
Ich bitte, Herr Präsident, diese und die folgende Frage zusammen beantworten zu dürfen.
Haben Sie Bedenken? — Keine Bedenken. Die Frage 21 des Abgeordneten Dr. Schneider wird mit aufgerufen:
Sind der Bundesregierung bisher schon Fälle bekanntgeworden, in denen Waffenbesitzer vorhandene Waffen pflichtgemäß angemeldet haben, ohne daß ihnen eine Waffenbesitzkarte ausgestellt wurde, und wie wurde bzw. würde in derartigen Fällen hinsichtlich des Waffenbesitzes tatsächlich verfahren?
Das Waffengesetz ist am 1. Januar 1973 in Kraft getreten. Die Frist, innerhalb deren Waffen angemeldet werden müssen, läuft erst am 30. Juni 1973 ab. Der Bundesregierung liegen daher noch keine Berichte der Länder darüber vor, in welchem Umfang Waffen angemeldet wurden und wie dabei verfahren wurde.Gestern fand in meinem Haus eine Besprechung mit den Waffenrechtsreferenten der Länder statt. Dabei wurden auch erste Erfahrungen mit dem Vollzug des neuen Waffengesetzes ausgetauscht. Ich darf Sie darüber unterrichten, Herr Abgeordneter, daß ich schon in der letzten Sitzung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages auf eine Anregung des Herrn Vorsitzenden mitgeteilt habe, daß ich dem Innenausschuß über die Erfahrungen mit der Anwendung des neuen Rechts berichten werde. Ich bin gern bereit, auch Sie persönlich darüber schriftlich zu unterrichten.
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834 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Februar 1973
Bundesminister GenscherDie Bundesregierung hat das Ihre getan, um die Länder in den Stand zu setzen, das neue Waffengesetz durchzuführen. Die nach § 51 Abs. 1 des Waffengesetzes zu erlassenden allgemeinen Verwaltungsvorschriften des Bundesministers des Innern und des Bundesministers für Wirtschaft sind aus Gründen der besseren Übersichtlichkeit zu einer Verwaltungsvorschrift zusammengefaßt und inzwischen dem Bundesrat zugeleitet worden. Damit jedoch schon bei Inkrafttreten des Gesetzes die Vollzugsbehörden mit detaillierten Weisungen versehen waren, haben der Bundesminister für Wirtschaft und ich noch im Dezember 1972 die Entwürfe dieser Vorschriften, die vorher mit den Interessenverbänden erörtert und mit den Ländern abgestimmt worden waren, den Ländern mit der Bitte übersandt, die unteren Verwaltungsbehörden anzuweisen, vorläufig danach zu verfahren. Diese Vorschriften enthalten auch Muster waffenrechtlicher Erlaubnisse, insbesondere der Waffenbesitzkarte, des Munitionserwerbsscheins und des Waffenscheins.In der Frage der Gebührenerhebung bei der Anmeldung waren sich Bund und Länder stets darüber einig, daß die Erteilung der Waffenbesitzkarte auf Grund der Anmeldung nach § 59 des Waffengesetzes gebührenfrei sein soll. Dadurch soll eine Nichtanmeldung aus finanziellen Gründen ausgeschlossen werden. Die vom Bundesminister für Wirtschaft zu erlassende Dritte Verordnung zum Waffengesetz, die u. a. gebührenrechtliche Fragen regelt und gegenwärtig dem Bundesrat vorliegt — es handelt sich um die Bundesratsdrucksache 10/73 —, sieht daher in ihrem enumerativen Verzeichnis der kostenpflichtigen Amtshandlungen nach dem Waffengesetz die Erteilung einer Waffenbesitzkarte im Fall der Anmeldung nach § 59 des Waffengesetzes nicht vor.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Schneider.
Herr Bundesminister, bis wann kann denn definitiv mit dem Inkrafttreten der Verwaltungsvorschriften gerechnet werden?
Wir sind um eine schnelle Regelung bemüht.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Schneider.
Nachdem die Verabschiedung des Waffengesetzes, wie Sie sich sicherlich noch erinnern werden, Herr Innenminister, unter größtem Zeit- und Beratungsdruck stattfinden mußte, darf ich Sie fragen: Inwieweit ist mit den Durchführungsverordnungen und Verwaltungsvorschriften zum Waffengesetz sichergestellt, daß nicht Verschärfungen z. B. für traditionelle Waffeninhaber wie Jäger, Waffensammler und Sportschützen eintreten, die vom Gesetzgeber ursprünglich nicht beabsichtigt gewesen sind?
Herr Abgeordneter, die zügige Beratung des Gesetzentwurfs entsprach der allgemeinen Auffassung, daß es notwendig sei, im Interesse der Bekämpfung der Kriminalität in unserem Land eine Übersicht über den vorhandenen Waffenbestand zu bekommen und zudem einen Schlag gegen den illegalen Waffenhandel zu führen. Für die Bundesregierung ist es eine Selbstverständlichkeit, daß sich Verordnungen und Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetz nur im Rahmen des Gesetzes halten, es also nicht verschärfen können.
Zu einer dritten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Schneider.
Herr Bundesminister, können Sie gewährleisten, daß historische Waffen, die der Gesetzgeber ursprünglich vom Waffengesetz freigestellt hatte, weil keine Munition mehr dafür vorhanden ist, nunmehr nicht über die Munitionslisten erlaubnispflichtig werden, nur weil die Patronen für diese Waffen noch in Beschußgesetzen bzw. Beschußkatalogen aus dem internationalen Bereich aufgeführt sind, die teilweise noch aus dem vorigen Jahrhundert stammen und in die Munitionslisten einbezogen werden sollen?
Herr Abgeordneter, es entspricht dem Geschichtsbewußtsein der Bundesregierung, daß sie hier keine Erschwerungen vorsieht.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dreyer.
Herr Bundesminister, das Waffengesetz sieht lediglich die Anmeldung von Waffen, die im Besitz von Einzelpersonen sind, vor. Wären Sie bereit und in der Lage, in den Ausführungsbestimmungen zu regeln, daß auch Vereine und Verbände — ich denke dabei speziell an Schützenvereine —, die im Besitz von Waffen sind, eine Anmeldungsmöglichkeit als Verein und nicht als Einzelperson haben?
Es muß immer eine persönliche Verantwortlichkeit sichergestellt werden, Herr Abgeordneter.
Zu einer letzten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Schneider.
Herr Bundesminister, obwohl ich keine Veranlassung habe, an Ihrem Geschichtsbewußtsein zu zweifeln,
will ich Sie doch fragen, welche Garantien Sie für den Weiterbesitz vorhandener Waffen geben, die jetzt pflichtgemäß angemeldet sind, wenn die fünfjährige Erlaubnispflicht abgelaufen ist. Entfällt nach fünf Jahren wie beim Inkrafttreten des Waffengesetzes bei diesen Waffenbesitzern ebenfalls noch die Bedürfnisprüfung?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Februar 1973 835
Herr Abgeordneter, ich will Ihnen darauf gerne eine schriftliche Antwort geben.
Das ist sehr entscheidend.
Eben deshalb lege ich Wert auf Schriftform.
Ich bitte, hier nicht in einen Dialog einzutreten.
Ich rufe die Frage 22 des Abgeordneten Becker auf:
In welchen Bereichen des öffentlichen Dienstes sind inzwischen „Schwerpunktprüfungen" im Rahmen der Aufstiegsprüfungen eingerichtet worden?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister.
Herr Abgeordneter, die Deutsche Bundespost hatte im Jahre 1970 lebensälteren Beamten des einfachen und mittleren Dienstes, die sich langjährig auf Dienstposten der nächsthöheren Laufbahn bewährt hatten, den Aufstieg durch Ablegung einer Schwerpunktprüfung ermöglicht. Diese Sonderregelung stellte eine einmalige Maßnahme zur Bereinigung der Laufbahnverhältnisse dar. Hiermit vergleichbare Regelungen sind nach Kenntnis der Bundesregierung in der Zwischenzeit weder bei der Deutschen Bundespost noch in anderen Bereichen der Bundesverwaltung getroffen worden.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Becker .
Herr Minister, wären Sie mit mir der Meinung, daß man vor allem auch im Bereich der Bundesbahn eine ähnliche Regelung zur Bereinigung ähnlicher Verhältnisse ins Auge fassen sollte?
Herr Abgeordneter, wenn ein solcher Anlaß besteht, wird das ganz sicher nicht auf den Widerstand der Bundesregierung stoßen. Ich teile im Grunde die Tendenz, die aus Ihrer Frage spricht.
Eine zweite Zusatzfrage, der Abgeordnete Becker.
Herr Minister, können wir auch davon ausgehen, daß wir die Frage grundsätzlich noch einmal behandeln können, wenn das Gutachten der Dienstrechtskommission im Verlaufe dieses Jahres vorliegt?
Herr Abgeordneter, man wird gar nicht umhin können, bei der Auswertung der Erkenntnisse des Gutachtens
in die dann zu treffenden politischen Entscheidungen auch eine solche Möglichkeit einzubeziehen.
Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 23 des Abgeordneten Brandt auf:
Hält es die Bundesregierung für sozial gerechtfertigt, die in Artikel 1 des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesreisekostengesetzes (Bundesratsdrucksache 123/72 bzw. 28/73) aufgenommene Klasseneinteilung A bis D der Tage- und Übernachtungsgelder beizubehalten?
Zur Beantwortung der Bundesminister.
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung sieht das Problem, das sich aus dem Vorhandensein mehrerer Reisekostenstufen ergibt. Sie hat deshalb in dem Gesetzentwurf schon eine Verringerung der Zahl der Reisekostenstufen vorgesehen. Während das geltende Recht fünf Reisekostenstufen hat, soll es künftig nur noch vier geben. Diese Verbesserung wurde mit den Ländern im Rahmen der Vereinheitlichung des Reisekostenrechts abgesprochen. Für später ist eine weitere Verringerung der Zahl der Reisekostenstufen geplant. Das liegt im Sinne Ihrer Frage.
Eine Zusatzfrage, der Abgeordnete Brandt.
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836 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Februar 1973
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Februar 1973 837
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838 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Februar 1973
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Februar 1973 839
— Das war eine Stimme Mehrheit, Herr Kollege, und es ging Ihnen darum, Ihren Willen durchzusetzen, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Mehrheit im Bundestag eine völlig andere war. — Man wollte einerseits den Vorrang der Einsatzmöglichkeiten von Zivildienstleistenden im sozialen Bereich nicht anerkennen, zum anderen wollte man dem Beirat, von dem die Einsatzmöglichkeiten außerhalb des sozialen Bereiches bestimmt werden sollten, keine Möglichkeit der Mitberatung zugestehen.
Der Vermittlungsausschuß hat einen Kompromiß gefunden. Von allen Vertretern, auch den Vertretern der CDU/CSU, ist im Vermittlungsausschuß die Vorrangigkeit des Einsatzes im sozialen Bereich herausgestellt worden. Am 21. September 1972, einen Tag vor Auflösung des Parlaments; haben Sie dann mit der damaligen doch auch sehr knappen Mehrheit
— es gab ja in der Zwischenzeit einige Überläufer — den Vermittlungsvorschlag im Plenum abgelehnt.
Das Zivildienstgesetz, das für Wehrdienstpflichtige und Zivildienstpflichtige eine Dienstgerechtigkeit herbeiführen sollte, also den entscheidenden Beitrag zur Wehrgerechtigkeit leisten sollte, war somit dem politischen Demonstrationsbedürfnis der CDU/CSU zum Opfer gefallen. Die Opposition muß sich aus diesen Gründen vorwerfen lassen, daß sie die Bereitstellung neuer, notwendiger Dienstplätze nicht nur behindert, sondern im letzten Jahr auf mindestens 5000 neue Plätze verzichtet hat.
Sie ist gleichzeitig dafür verantwortlich, daß die für die Zivildienstleistenden vorgesehenen Verbesserungen in Ausbildung, Besoldung und in anderen Bereichen ,für ein Jahr blockiert worden sind. Im übrigen, Herr Kollege Damm: Sie können gar nicht sagen, das sei nicht wahr. Wenn Sie beispielsweise mit dem Bundesbeauftragten für den Zivildienst sprächen, würde der Ihnen sicherlich wesentlich anderes sagen.
In seiner Regierungserklärung vom 18. Januar
dieses Jahres hat Bundeskanzler Willy Brandt die Frage des Zivildienstes erneut aufgegriffen. Er führte hierzu wörtlich aus ich zitiere —:
Ich will aber auch bewußt an die Pflichten der jungen Menschen gegenüber dem Staat erinnern. Wir haben ... die allgemeine Wehrpflicht; sie gilt es gerecht durchzusetzen. Dazu braucht es auch eine ausreichende Zahl von Ersatzdienstplätzen. Das ist nicht nur ein Gebot der Wehrgerechtigkeit. Das liegt auch im eigenen Interesse der Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen, weil so der Anreiz geringer
840 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Februar 1973
Biermann
wird, ein Grundrecht durch Mißbrauch abzuwerten. Die Reform des Ersatzdienstes, den wir in einen Zivildienst umwandeln wollen, sollte vom Bundestag möglichst rasch wieder behandelt werden.
Diesen Wunsch des Bundeskanzlers teilen die Koalitionsfraktionen im Interesse aller Dienstleistenden. Grundlage des vorliegenden Entwurfs ist darum auch das von der CDU/CSU durch politische Kraftmeierei in zwölfter Stunde im vorigen Bundestag verhinderte Gesetz.
Die Koalitionsfraktionen wollen an dem Grundtenor dessen festhalten, was sie in der vorigen Legislaturperiode durchsetzen wollten: Erstens wird die Eigenständigkeit des Zivildienstes stärker als bisher zur Geltung gebracht, zweitens wird die verwaltungsmäßige Durchführung des Gesetzes verbessert, drittens wird die Voraussetzung für die Schaffung einer ausreichenden Zahl von Dienstplätzen ermöglicht und viertens ist die rechtliche und materielle Gleichstellung der Zivildienstleistenden mit den Wehrdienstleistenden vorgesehen.
Die Koalitionsfraktionen bleiben ferner dabei, den Dienst der anerkannten Kriegsdienstverweigerer in „Zivildienst" umzubenennen, die Zivildienstpflichtigen vorrangig im sozialen Bereich einzusetzen — und ich betone hier: vorrangig, da die CDU/CSU in der Öffentlichkeit immer den Eindruck zu erwecken versucht, die Koalitionsfraktionen würden den Einsatz nur im sozialen Bereich vorsehen —, des weiteren beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung einen Beirat zu bilden, dem neben Vertretern der Organisationen der Kriegsdienstverweigerer und der Verbände der anerkannten Einrichtungen auch Vertreter der Kirchen, der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände, des Bundesrates sowie Zivildienstleistende selbst angehören werden, die Dienstleistenden in Lehrgängen in ihren Dienst einzuführen und den Dienstleistenden entsprechend den Beförderungsmöglichkeiten bei der Bundeswehr die Möglichkeit einer höheren Besoldung zu geben.
Unter bestimmten Voraussetzungen soll den Beschäftigungsstellen die Möglichkeit eingeräumt werden, den Kostenbeitrag auf Antrag erlassen — zumindest teilweise erlassen zu erhalten. Auch daraus, meine Damen und Herren, wird sich sicherlich die Möglichkeit ergeben, verstärkt neue Dienstplätze zu schaffen.
Meine Damen und Herren, die Koalitionsfraktionen werden alles daransetzen, diesen Gesetzentwurf im Interesse der Dienstgerechtigkeit für alle Dienstpflichtigen umfassend, aber zügig zu beraten, um alsbald wirklich zu einer Verabschiedung in diesem Hause mit dem Ziel der Dienstgerechtigkeit zu kommen.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung zur Einbringung gehört. Ich eröffne die Aussprache in erster Beratung. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Tübler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn mein Vorredner, der Herr Kollege Biermann, von einer politischen Kraftmeierei gesprochen hat,
so hoffe ich, daß ich den Standpunkt unserer Fraktion hier ohne dieses Vorzeichen vortragen kann.Sie haben völlig recht, Herr Kollege Biermann: wir sollen mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf praktisch wieder einen Entwurf beraten, der uns bereits in der 6. Legislaturperiode sehr beschäftigt hat. Sie haben aber, glaube ich, unsere damalige Auffassung nicht richtig verstanden, denn unsere Ziele — und ich meine, das waren auch die Ziele des Regierungsentwurfs — sind — und so bleibt es auch in Zukunft — drei wesentliche Dinge.Erstens. Wir wollen weitere Beschäftigungsbereiche eröffnen, d. h., wir wollen Bereiche über den sozialen Bereich hinaus erschließen. Zweitens. Wir wollen die gesetzlichen Grundlagen für die verwaltungsmäßige Durchführung des Dienstes verbessern. Und letztlich wollen wir die Benachteiligung der anerkannten Kriegsdienstverweigerer beseitigen.Ich glaube, Ihren Ausführungen entnommen zu haben, daß unsere Zielsetzungen auf diesem Gebiet gleich sind. Auch die Bundesregierung hat in ihrem damaligen Entwurf sehr klar zu diesen Zielen Stellung genommen. Herr Präsident, ich darf mit Ihrer Genehmigung zitieren, was die Regierung in der Begründung sagte:Gleichzeitig ist die Notwendigkeit entstanden, weitere Beschäftigungsbereiche zu erschließen und den Einrichtungen die Beschäftigung Dienstleistender zu erleichtern.Und weiter sagte sie:Während die Tätigkeit der Dienstleistenden bisher im wesentlichen auf den sozialpflegerischen Bereich beschränkt war, sollen in Zukunft grundsätzlich alle Aufgaben erfaßt werden, die mit der Gewissensentscheidung der Dienstpflichtigen vereinbar sind und wegen ihrer Bedeutung den Einsatz von Dienstleistenden rechtfertigen.Meine Damen und Herren, hierin stimmten wir damals mit der Bundesregierung überein, und im Hinblick auf den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf halte ich dies ausdrücklich fest.Wir haben uns bei der damaligen Beratung im Verteidigungsausschuß bemüht, eine gemeinsame Formulierung des § 1 der Novelle zu finden. Wir haben auch eine Fassung gefunden und haben formuliert:Im Zivildienst erfüllen anerkannte Kriegsdienstverweigerer Aufgaben, die dem Gemeinwohl dienen.Wir waren der Meinung, daß wir damit der Bundesregierung den Weg geöffnet hätten, alle Bereiche, die dem Gemeinwesen nützlich sind, für Dienstleistungen durch Ersatz- oder, wie wir in Zu-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Februar 1973 841
Frau Tüblerkunft sagen wollen, Zivildienstleistende zu erschließen.Ich meine, meine Damen und Herren, in dieser Haltung stehen wir nicht allein. In Schweden z. B. — wir wissen alle, daß dieses Land von vielen jungen Menschen als ein Musterland der Demokratie angesehen und uns, gerade uns von der CDU/CSU-Fraktion, sehr häufig als Vorbild hingestellt wird — wurde die gleiche Grundüberzeugung in eine gesetzliche Bestimmung gefaßt. Selbstverständlich gehen auch wir davon aus, daß bei der Einteilung in die verschiedenen Bereiche auf die Fähigkeiten, die Ausbildung und die Eigenschaften des Ersatzdienstpflichtigen Rücksicht genommen werden muß. Aber genauso wie in Schweden setzen wir auf der anderen Seite voraus, daß der Kriegsdienstverweigerer, der von der gesetzlichen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat und befreit worden ist — ich betone nochmals, daß diese Möglichkeit von uns nie bestritten werden wird —, dann auch bereit sein muß, jede dem Gemeinwesen nützliche Arbeit zu leisten.Es wäre meiner Meinung und auch der Meinung meiner Kollegen nach gegenüber dem Ersatzdienstleistenden ungerecht, einen Unterschied in der Qualität des zu leistenden Dienstes zu machen, nämlich einerseits des Sozialdienstes und andererseits des Dienstes in Bereichen, die nicht mit der Überschrift „sozial" versehen werden können. Es ist unverständlich, daß bei einer Ausweitung auf andere Dienste ein Mitwirkungsrecht eines Beirats festgelegt werden soll, so als ob diese anderen Dienste weniger wert wären. Wir warnen davor, hier Festlegungen zu treffen, die später nicht reparabel sind.Überdies scheinen mir nicht nur die §§ 1 und 2 a des neuen Gesetzentwurfs, sondern auch die gesamte organisatorische Ausgestaltung des Dienstes unzureichend zu sein. Wir hatten eigentlich erwartet, daß die Bundesregierung die Zeit, die seit der letzten Debatte über diese Frage verstrichen ist, dazu benutzen würde, sich etwas zur organisatorischen Verbesserung des Dienstes einfallen zu lassen.
Offenbar haben aber diejenigen Kräfte innerhalb der SPD — inwieweit das auch bei der FDP der Fall ist, wird sich noch herausstellen —, die eine einseitige Festlegung der Dienstleistung im Ersatzdienst wollten, auch jetzt wieder — das sehen wir an dem vorliegenden Gesetzentwurf — ihre Vorstellungen durchsetzen können.Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf gibt bis auf geringfügige Änderungen das Ergebnis der Beratungen im Vermittlungsausschuß wieder. Bei der weiteren Beratung dieses Änderungsgesetzes müssen wir von folgendem Tatbestand ausgehen. Es handelt sich dabei nicht um Zahlen, die ich erfunden habe, sondern sie stammen von dem zuständigen Mann, der für die Ersatzdienstpflichtigen verantwortlicht ist. Im Augenblick stehen das wissen wir alle — ca. 11 000 Dienstplätze für etwa 22 000 Kriegsdienstverweigerer zur Verfügung. Das ist ein Verhältnis 1 : 2. Ich muß Sie noch einmal darauf aufmerksam machen, daß im Jahre 1972 immerhin 33 792 neue Anträge eingegangen sind, die bei diesen Zahlen noch nicht berücksichtigt sind.Wenn es nun darum geht, daß jeder anerkannte Kriegsdienstverweigerer genau wie jeder Wahrpflichtige in der Bundesrepublik dienen muß — mein Herr Vorredner hat das ebenfalls betont; er hat dabei besonders auf die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers hingewiesen —, dann frage ich mich, ob nicht die Gefahr besteht, daß wichtige Aufgaben, die in anderen Bereichen liegen, wie z. B. die angelaufene Aktion „Saubere Landschaft" in München oder die vom Beauftragten für den Ersatzdienst ins Leben gerufene Aktion „Wattenmeer," vernachlässigt werden.Besteht nicht im Hinblick auf die Diskussion im Beirat über die Ausweitung des Dienstes die Gefahr, daß in diesem Beirat ständig Uneinigkeit herrscht? Meine Damen und Herren, ich darf Sie an den Bericht in der „Süddeutschen Zeitung" vom 12. Februar 1973 erinnern, der sich mit der Wahl des neuen Vorstands des Verbandes der Kriegsdienstverweigerer auseinandersetzt. Er trägt die Balkenüberschrift:Der neue Vorstand des Verbandes der Kriegsdienstverweigerer orientiert sich an der Kommunistischen Partei.
Ich empfehle Ihnen, meine Damen und Herren, insbesondere im Hinblick auf die Beiratszusammensetzung, diesen Bericht noch einmal zu lesen. Ich bin gern bereit, falls Sie ihn nicht haben, ihn Ihnen zur Verfügung zu stellen.
Sicher sind wir mit anderen Regelungen des Entwurfs einverstanden. Wir begrüßen die Kostenregelung, die vorgesehene Ausbildung und die Verbesserung der Vergütung, um nur einige Punkte zu nennen. Wir müssen aber immer daran denken, daß die Leistung des Ersatzdienstes genauso eine öffentliche Dienstleistung des einzelnen für die Gemeinschaft darstellt, wie es auch der Wehrdienst tut.
Wir müssen daran denken, welche Belastungen der Wehrpflichtige durch die heimatferne Einberufung, durch die generelle Gemeinschaftsunterkunft und durch die ganz anders geartete Organisation in diesem Bereich auf sich nimmt. Deswegen müssen wir in diesem Zusammenhang die von uns in der 6. Legislaturperiode gemachten Vorschläge zu mehr Wehr- und Ersatzdienstgerechtigkeit wiederholen.Sie wissen alle — und vor allen Dingen die Kollegen, die schon dem 6. Deutschen Bundestag angehört haben —, daß wir anläßlich der Erörterung der dritten Novelle einen Entschließungsantrag eingebracht haben. Ich betone hier ausdrücklich, daß dieser Entschließungsantrag für die CDU/CSU-Fraktion nach wie vor Gültigkeit hat.
842 Deutscher Bundestag —7. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Februar 1973Frau TüblerIch möchte einige Anmerkungen zu dem Entschließungsantrag machen, um vielleicht den neuen Kollegen, die sich mit dem Thema noch nicht so haben befassen können, die Wesenszüge dieses Entschließungsantrags noch einmal klarzumachen.Wir haben damals gesagt, daß das ganze Recht der herkömmlichen allgemeinen öffentlichen Dienstleistungspflichten nach Art. 12 a des Grundgesetzes, des Wehrdienstes, des Dienstes im Bundesgrenzschutz sowie des Dienstes in Einheiten und Einrichtungen des Zivilschutzes und des Dienstes in einem Ersatzdienst, neu zu ordnen und zu fassen ist. Dabei sind die im Wehrpflichtgesetz, im Gesetz über den zivilen Ersatzdienst und im Gesetz über das Zivilschutzkorps teilweise gleich oder ähnlich geregelten Rechtsnormen zu einem allgemeinen Teil zusammenzufassen, der für alle Gemeinschaftsdienste gilt. Wir sind weiter der Meinung, daß wir uns auch — und wir haben der Bundesregierung diesen Vorschlag schon in der vorigen Wahlperiode gemacht — ein neues Heranziehungssystem überlegen sollten.Wir sind mit der Bundesregierung der Meinung, daß über den auch von Ihnen gewollten Katalog hinaus weitere Aufgaben auf Zivildienstpflichtige warten. Ich möchte hier nur einige nennen: öffentliche Einrichtungen im Rahmen des Katastrophen- und Ides Umweltschutzes.Herr Kollege Biermann, Sie haben vorhin gesagt, wir hätten verhindert, daß 5000 neue Plätze geschaffen werden konnten. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß gerade in dieser Zeit von der Bundesregierung eine begrüßenswerte Initiative ohne eine Gesetzesänderung ergriffen worden ist, nämlich die von mir bereits vorhin genannte „Aktion saubere Stadt "in München und die „Aktion Wattenmeer". So schlimm kann also unser Versäumnis nicht gewesen sein.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biermann?
Bitte.
Frau Kollegin, ich begrüße zwar ebenfalls die Initiative von Herrn Iven, der seit 1970 ungefähr 7000 Plätze neu geschaffen hat. Aber haben Sie nicht verstanden, daß ich gesagt habe: 5000 Plätze sind darum nicht geschaffen worden, weil wir in diesem Bericht ein Jahr für ein neues Gesetz, mit dem wir mehr hätten tun können, verloren haben?
Herr Kollege Biermann, die Sache wäre ganz einfach gewesen, wenn Sie dieser allgemein gefaßten Formulierung, die der Verteidigungsausschuß vorgeschlagen hat, gefolgt wären. Dann hätte die Bundesregierung nämlich die Möglichkeit gehabt, alle Gebiete zu öffnen und,
soweit es in ihren Vorstellungen liegt, auch hier mehr Ersatzdienstplätze zu schaffen.
Also bitte keinen Umkehrschluß!
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Damm?
Frau Kollegin Tübler, können Sie mir bestätigen und insofern auch die Erinnerung des Kollegen Biermann auffrischen helfen, daß die Beratung des in der vorigen Legislaturperiode vorgelegten Gesetzentwurfs der Regierung durch die Regierungsmehrheit, sowohl im Innenausschuß als auch im Arbeitsausschuß, über viele Monate blokkiert worden ist?
Herr Kollege Damm, darauf gebe ich sehr gerne eine Antwort. Ich möchte nämlich, daß endlich mit der Legende Schluß gemacht wird, wir seien die Schuldigen und hätten die Verabschiedung dieses Gesetzes verhindert. Ich war damals zu diesem Gesetz im Ausschuß Berichterstatterin. Herr Kollege Schäfer, der gerade anwesend ist, wird mir bestätigen, daß wir vom 29. April 1971 bis zum 13. April 1972 gebraucht haben,
um dieses Gesetz im Innenauschuß zu beraten.
Ich möchte noch auf ein Weiteres aufmerksam machen. Dieses Thema ist sehr häufig — Herr Professor Schäfer, Sie werden mir das bestätigen — von dem Berichterstatter Ihrer Fraktion, allerdings mit meinem Einverständnis, weil wir uns darüber von vornherein klar waren, das Beste erreichen zu wollen, von der Tagesordnung abgesetzt worden. Ich könnte hier einen diesbezüglichen genauen Plan vorlegen, möchte mich aber gern an die Aufforderung des Kollegen Biermann halten, keine polemische Rede zu halten, sondern möchte, dem Gesetzentwurf entsprechend, meine sachlichen Argumente vortragen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehrenberg?
Frau Kollegin, können Sie mir bestätigen und damit das Erinnerungsvermögen des Kollegen Damm auffrischen helfen, daß im Vermittlungsausschuß eine einhellige Fassung gefunden worden war und daß diese Fassung erst am letzten Tag der letzten Legislaturperiode hier wieder mit einer Zufallsmehrheit zunichte gemacht wurde?
Frau Tübler : Lieber Herr Kollege, ich könnte hier eine Retourkutsche fahren und sagen: Wenn Sie im Innenausschuß oder bei Ihren Beratungen nicht so viel Schwierigkeiten gehabt hätten,
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Frau Tüblerwären wir wahrscheinlich etwas früher fertig gewesen und hätten den Gesetzentwurf auch verabschieden können.
Ich möchte nun in meinen Ausführungen fortfahren. Ich bin der Meinung — das ist auch die Meinung meiner Fraktion —, daß wir sehr viele Aufgaben zu bewältigen haben. Ich denke da z. B. an den Zivil- und Katastrophenschutz, an den Rettungsdienst auf der Straße und auf dem Wasser, aber auch, meine Damen und Herren, an die Pflege und Unterhaltung von Erholungs- und Naturschutzgebieten wie auch an eine Unterstützung bei der Anlage und Unterhaltung z. B. von Sportstätten und Wanderwegen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biehle?
Frau Kollegin Tübler, würden Sie mir bestätigen, daß die Verzögerungstaktik einer der heutigen Koalitionsfraktionen bei den Beratungen in der 6. a
Legislaturperiode u. a. auch darauf
zurückzuführen war, daß sie sich mit ihren Vorstellungen im Gegensatz zu denen des zuständigen Ressortministers befand, der ja der Meinung der der CDU/CSU viel näher stand als der der Fraktionen der SPD und FDP, und daß sie die Ausweitung des Kataloges auf viele andere Bereiche verhindern wollte?
Genau das, Herr Kollege Biehle, habe ich vorhin schon gesagt. Ich kann mich noch sehr genau an das Aufatmen der Vertreter der Bundesregierung im Verteidigungsausschuß erinnern, als wir diese Formulierung gefunden hatten, die der Bundesregierung wirklich den Weg frei machte.
Würden Sie noch eine letzte Zwischenfrage des Herrn Kollegen Bierman zulassen?
Sehr gern, Herr Präsident!
Frau Kollegin, würden Sie Ihrem Fraktionskollegen einmal sagen, daß der für dieses Gesetz zuständige Ressortminister der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ist und daß dieser Zivildienst nicht, wie es in der CDU scheinbar üblich ist, von den Freunden aus dem Verteidigungsausschuß beraten wird.
Herr Kollege Biermann, Sie werden ja gemerkt haben, daß ich auch zum Verteidigungsausschuß gehöre. Wir sehen eben das Problem des Ersatzdienstes und der Wehrpflicht unter der großen Überschrift „Wehrgerechtigkeit".
Ich kann mich gut daran erinnern, daß die Kollegen, die die sachlichen Probleme sehr, sehr ernst nehmen — damit will ich nicht unterstellen, daß Sie es nicht tun —, mit uns damals gemeinsam gerungen haben, um einen Weg zu finden. Ich denke an den Kollegen Pensky; ich denke an die Vertreter im Verteidigungsausschuß. Es bestand doch die Schwierigkeit, Ihre verschiedenen Gruppen unter einen Hut zu bringen, damit Sie wieder die Einschränkung hatten.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß nur durch eine Gesamtbetrachtung der in Art. 12 a GG genannten Dienste die bisher bestehenden Ungerechtigkeiten — Herr Kollege Biermann, Sie haben vorhin selbst die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers zitiert — beseitigt werden können. Wir alle reden von Wehrungerechtigkeit und Wehrgerechtigkeit; aber wieweit wir das ernst nehmen, wird sich bei der Beratung dieses Gesetzentwurfes zeigen.
Ich glaube, ich habe sehr deutlich gemacht, daß ich keine unterschiedliche Behandlung der Wehrpflichtigen wie auch der Zivildienstlleistenden — ich benutze bewußt den neuen Begriff — möchte. Ich will keine vorrangige Arbeit für sie, ich will keine nachrangige Arbeit für sie, sondern ich will eine gleichberechtigte Behandlung, wie es wohl auch die Ersatzdienstpflichtigen für sich beanspruchen können.
Meine Damen und Herren, wir werden bei der Beratung von der Bundesregierung eine Auskunft haben müssen — ich betone: müssen! —, wieweit der alte Katalog zur Schaffung von Dienstplätzen noch Gültigkeit hat, ob er weiter ausgebaut werden soll und — Herr Kollege Biermann, ich nehme Sie beim Wort — wieweit auch hierzu eine positive Einstellung der Koalitionsfraktionen vorhanden ist. Wir werden sehen, ob Sie bereit sind, das zu tun.
Ich möchte zum Schluß betonen, daß die CDU/CSU-Fraktion eine zügige Beratung dieses Gesetzentwurfes wünscht. Wir werden unsere Anträge, die der Erfüllung maximaler Wehrgerechtigkeit dienen, wiederholen.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Hölscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mir als Neuling in diesem Hause schlecht möglich, mich an der Vergangenheitsbewältigung der CDU/CSU zu beteiligen.
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HölscherFür uns neuen Leute ist das auch nicht so interessant. Mir persönlich jedenfalls geht es in diesem Bereich und in anderen Bereichen —
— Was heißt „Polemik", Herr Kollege?
— Herr Kollege Wörner, ich warte so lange, bis ich wieder weiterreden kann. Ich habe Zeit. Ich habe ohnehin nicht vor, sehr lange zu sprechen. Ich hoffe, Herr Präsident, Sie rechnen mir das nicht auf die Zeit an.Ich wollte mit meinem ersten Satz eigentlich nur sagen, daß es für uns Neue in diesem Hause auch im Bereich des Zivildienstgesetzes darauf ankommt, was hier und heute und in den nächsten Wochen im Plenum und in den Ausschüssen dafür getan wird.
Wenn die Koalitionsfraktionen gerade das Zivildienstgesetz als einen der ersten Gesetzentwürfe neu einbringen, so zeigt das schon die Bedeutung und die Dringlichkeit, die wir diesem Entwurf beimessen.Allein die Ablösung des Begriffs „Ziviler Ersatzdienst" durch die Bezeichnung „Zivildienst" bringt klar zum Ausdruck, daß es sich bei diesem Dienst nicht um einen minderwertigen Ersatz des Wehrdienstes handelt, sondern um eine vollwertige Alternative für diejenigen, die von ihrem Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung Gebrauch machen.
Die Eigenständigkeit dieses Dienstes drückt sich nicht allein durch die Errichtung eines Bundesamtes für den Zivildienst und eines Beirates beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung aus, sondern findet auch seine Bestätigung in der qualitativen Ausgestaltung. Darauf kommt es eben im wesentlichen an. Gerade die Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen — das wissen wir —, die es als Minderheit in unserer Gesellschaft wahrhaftig nicht leicht haben, sind in besonderem Maße zu einer Tätigkeit in den sozialen Bereichen bereit und auch, wie die Erfahrungen der Institute in der letzten Zeit zeigen, geeignet. Hier sollen sie vorrangig Aufgaben erfüllen, die dem Allgemeinwohl dienen. Hier leisten sie aber auch einen besonders wertvollen Dienst, denn gerade die sozialen Bereiche leiden bei wachsenden Aufgaben unter immer stärkerem Personalmangel. Daß die Zivildienstleistenden nur sinnvoll arbeiten können,wenn sie in Lehrgängen entsprechend unterrichtet werden, versteht sich wohl von selbst.Ob die nun angestrebte, qualitative Ausgestaltung des Dienstes ausreicht, endlich mit der Diskriminierung des Ersatzdienstes Schluß zu machen, werden wir sicher noch einmal im Ausschuß prüfen können. Jedenfalls wird der vorliegende Gesetzentwurf nach seiner Verabschiedung wesentlich mehr Plätze als bisher schaffen. Damit wird nicht nur dem Mißbrauch des Grundrechts auf Kriegsdienstverweigerung begegnet, sondern wir schaffen auch — das ist ein besonderes Anliegen meiner Fraktion — eine wichtige Voraussetzung für die Abschaffung des doch sehr fragwürdigen Anerkennungsverfahrens.
Die gesetzliche Regelung des Prüfungsverfahrens erfolgte ja nicht in einem besonderen Gesetz, sondern im Wehrpflichtgesetz. Gestatten Sie mir die persönliche Anmerkung: ausgerechnet im Wehrpflichtgesetz! Die Antragsteller müssen sich, wie Sie wissen, in den verschiedenen Prüfungsinstanzen, also Prüfungsausschuß, Prüfungskammer und Verwaltungsgericht, einer peinlichen Gewissensprüfung unterziehen — ein für die Geltendmachung eines Grundrechts doch wohl sehr ungewöhnlicher Vorgang. Jeder vernünftige Mensch weiß, daß eine Gewissensentscheidung nicht überprüfbar ist. Trotzdem verlangt man vom Kriegsdienstverweigerer, die „Glaubwürdigkeit" seiner Gewissensentscheidung unter Beweis zu stellen. Hierdurch werden Kriegsdienstverweigerer und Prüfungsinstanzen letzten Endes überfordert. Wen mag es da eigentlich noch wundern, daß die Institution des Prüfungsverfahrens und seine Handhabung in der Öffentlichkeit zur zusätzlichen Diskriminierung der Kriegsdienstverweigerer führte und auch der Eindruck entstehen mußte, bei dem Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung handle es sich um ein Ausnahmerecht.Wir werden uns jedenfalls bemühen, Voraussetzungen zu schaffen, die die Anerkennungsverfahren überflüssig machen und die freie Wahl zwischen Zivildienst und Wehrdienst ermöglichen.
Dabei bedarf es nicht nur einer ausreichenden Zahl von Zivildienstplätzen, sondern auch einer entsprechenden Zivildienstqualität. Die Zahl der Plätze allein ist nicht entscheidend, denn welchen Nutzen hätte eine Einrichtung, die Tätigkeiten anbietet, die den Kriegsdienstverweigerer erniedrigen und ihn damit praktisch bei der Ausübung des Grundrechts — darauf möchte ich noch einmal abstellen — behindern.Ich will hier wirklich keinen Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung der CDU in diesem Bereich leisten. Herr Kollege Biermann hat mit Recht hierzu schon einiges gesagt. Ich meine, die Opposition sollte ihre Haltung noch einmal überdenken. Sie spielt sich sonst immer so gern zum Gralshüter des Grundgesetzes und der freiheitlichen Gesellschaftsordnung auf. Am Zivildienstgesetz kann sie einmal
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HölscherI beweisen, daß es für sie keine weißen Flecken im Grundgesetz gibt.
Weitere Wortmeldungen zur Aussprache in der ersten Beratung liegen nicht mehr vor. Ich schließe die erste Beratung.Vom Ältestenrat ist vorgeschlagen worden, den Gesetzentwurf wie folgt zu überweisen: zur Federführung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, zur Mitberatung an den Innenausschuß und den Verteidigungsausschuß, ferner an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 25 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime für Volljährige
— Drucksache 7/180 —Es ist ein Gesetzentwurf aus der Initiative des Bundesrats. Für ihn wird der Entwurf begründet durch Herrn Senator Liehr.Liehr, Senator des Landes Berlin: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf in diesem Hohen Hause die erste Lesung des vom Bundesrat eingebrachten und einstimmig beschlossenen Entwurfs eines Gesetzes über Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime für Volljährige — in Kurzfassung „Heimgesetz" genannt — zum Anlaß nehmen, als Beauftragter des Bundesrats einige erläuternde Bemerkungen zu dem Gesetzgebungsvorhaben zu machen.Der Gesetzentwurf hat ein sozialpolitisches Problem zum Gegenstand, das im Laufe der vergangenen Jahre immer deutlicher hervorgetreten ist: die Lage der in Heimen lebenden älteren Menschen und pflegebedürftigen Volljährigen. Ein erster Schritt zur Verbesserung ihrer Situation wurde mit der Änderung der Gewerbeordnung vom 24. August 1967 getan. Mit einer Ergänzung des § 38 wurden die Landesregierungen ermächtigt, durch Rechtsverordnungen Buchführungs- und Auskunftspflichten der Gewerbetreibenden festzulegen und vor allem Mindestanforderungen für Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime zu bestimmen, die — ich zitiere „zum Schutz Dritter an die Zahl, die Zulassung und an das Verhalten der im Betrieb Beschäftigten sowie in gesundheitlicher Beziehung an die Räume zu stellen sind". Von dieser Ermächtigung haben die Landesregierungen mit Erlaß der sogenannten Heim- bzw. Überwachungsverordnungen Gebrauch gemacht. Sie führten nicht nur zu einer laufenden Überwachung, sondern insbesondere auch zur Festlegung eines räumlichen und ausstattungsmäßigen Mindeststandards für die gewerblich betriebenen Heime.Wenn auch der hiermit bewirkte Fortschritt gegenüber dem zuvor bestehenden rechtsfreien, d. h. gesetzlich in keiner Weise geregelten Zustand nicht zu verkennen und auch nicht zu unterschätzen ist, so hat sich in der Verwaltungspraxis das Fehlen wirksamer behördlicher Eingriffsbefugnisse bei schwerwiegenden Mißständen doch bemerkbar gemacht. Die rechtliche Möglichkeit der Gewerbeuntersagung nach § 35 der Gewerbeordnung erwies sich als ein relativ stumpfes Schwert. Vor allem aber wird die derzeitige Rechtslage deshalb als besonders mißlich empfunden, weil sie keine Maßnahmen zur Verhütung von Mißständen vorsieht und die zuständigen Behörden erst tätig werden können, wenn schwerwiegende Mißstände eingetreten und nachzuweisen sind. Zudem wird der einzig mögliche Eingriff in Form der Gewerbeuntersagung dadurch äußerst problematisch, daß er zugleich diejenigen in ihren persönlichen Lebensverhältnissen einschneidend trifft, deren Schutz mit der Maßnahme verfolgt wird, nämlich die Heimbewohner.Am Anfang der Überlegungen, die zu dem vorgelegten Gesetzentwurf führten, stand dementsprechend die Erwägung, eine erneute Änderung der Gewerbeordnung zu beantragen. Mit der Einführung einer Konzessionspflicht für gewerbsmäßig betriebene Heime könnte eine präventive Kontrolle gewährleistet werden. Des weiteren könnte mit der Möglichkeit des Konzessionsentzugs bei Nichtvorliegen oder Wegfall der Voraussetzungen für die Erlaubniserteilung die repressive Eingriffsbefugnis der zuständigen Behörde verschärft werden. Dennoch wurde eine gewerberechtliche Lösung als unzulässig angesehen.Diese Einschätzung beruht auf der allseitigen Erkenntnis in den Sozialressorts der Länder, daß es nicht mehr allein darum geht, die älteren und pflegebedürftigen Mitbürger, die auf eine Heimbetreuung angewiesen sind, vor Übervorteilung zu schützen und ihnen einen ihrem Entgelt angemessenen Leistungsstandard zu sichern, sondern daß es darüber hinaus einer Heimaufsicht mit dem Ziel bedarf, das persönliche Wohl der in Heimen lebenden Mitbürger umfassend zu gewährleisten, um das Gebot der Alten- und Behindertenhilfe des Bundessozialhilfegesetzes und letzten Endes auch das Sozialstaatprinzip des Grundgesetzes, das Gebot sozialer Gerechtigkeit, wirksam erfüllen zu können.Meine Damen und Herren, letzten Endes wird unser sozialer Rechtsstaat auch daran gemessen werden, was wir alle für unsere älteren Bürger zu tun bereit sind. Der vom Bundesrat eingebrachte Entwurf knüpft an das bewährte Vorbild der Heimaufsicht nach dem Jugendwohlfahrtsgesetz an. Eine innere Berechtigung findet dieser Schritt in der zwar nicht identischen, aber doch ähnlichen Problemlage. Während er sich dort um Kinder und Jugendliche handelt, deren Fähigkeit, sich selbst zu helfen, durch mangelnde Lebenserfahrung ausgeschlossen oder eingeschränkt ist, geht es hier um Menschen, deren Selbsthilfemöglichkeit durch Altersabbau oder Behinderung mehr oder weniger stark herabgesetzt ist. Die Herauslösung der Kontrollbefugnisse aus der Gewerbeordnung und die Einführung einer umfas-
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846 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Februar 1973
Senator Liehrsenden Heimaufsicht nach dem Vorbild des Jugendwohlfahrtsgesetzes ermöglichen nicht nur eine Erweiterung des Aufsichtszwecks, der neben dem Schutz vor Übervorteilung künftig auch die darüber hinausgehende Sicherung des persönlichen Wohls umfassen soll, sondern es wird zugleich auch die Möglichkeit der Einbeziehung nichtgewerblicher Einrichtungen in den Anwendungsbereich des Gesetzes eröffnet, die für die Geltung der Mindestanforderungen an die räumliche und personelle Ausstattung der Heime von besonderer Bedeutung ist.Mit diesen übergeordneten Zielen des Entwurfs, der qualitativen Verbesserung der nach geltendem Recht bestehenden Aufsicht über die gewerblichen Heime und deren Erstreckung auf Heime nichtgewerblicher, d. h. gemeinnütziger und kommunaler Träger, wird kein Novum im deutschen Recht angestrebt. Es wird vielmehr — das sei nochmals deutlich unterstrichen — nur die notwendig gewordene Parallelregelung zu den §§ 78 und 79 des Jugendwohlfahrtsgesetzes für den Bereich der Alten- und Behindertenfürsorge gefordert.Daneben berücksichtigt der Entwurf das Anliegen, durch Einführung einer Erlaubnispflicht eine präventive Kontrolle dort zu gewährleisten, wo die Gefahr des unangemessenen Eigennutzes gegeben ist, nämlich bei den mit der Absicht einer Gewinnerzielung betriebenen Heimen. Die Erlaubnispflicht soll im Interesse jener Menschen, die einer Betreuung und Fürsorge bedürfen, gewährleisten, daß nur solche Personen ein Heim betreiben dürfen, deren Zuverlässigkeit die Gewähr für eine einwandfreie Führung des Heimes bietet. Hiermit sollen spätere Schließungen, die für die Bewohner problematisch und ihnen gegenüber unter Umständen kaum zu vertreten sind, nach Möglichkeit von vornherein ausgeschlossen werden. Außerdem erthält der Entwurf des Heimgesetzes anstelle des bisher einzig möglichen Eingriffs, der Gewerbeuntersagung, einen Katalog differenzierter und abgestufter Eingriffsermächtigungen und notwendiger Kontrollbefugnisse für die Behörden, um Mißständen auf rechtsstaatlicher Grundlage wesentlich wirksamer als bisher begegnen zu können.Im Verlauf der Beratungen des vom Land Berlin eingebrachten Gesetzentwurfs ist es im Bundesrat zu einer öffentlichen Anhörung von Vertretern jener Spitzenverbände gekommen, deren Interessen durch den Gesetzentwurf berührt werden. Dieser Vorgang verdient eine besondere Hervorhebung nicht nur deswegen, weil es sich um ein im Bundesrat äußerst selten geübtes Verfahren handelt. Auch daran, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die besondere Bedeutung dieses Gesetzentwurfs abzulesen, die ihm der Bundesrat beigemessen hat. Die Tatsache des bereits durchgeführten Anhörungsverfahrens könnte zudem diesem Hohen Haus Veranlassung geben, auf ein weiteres Anhörungsverfahren zu verzichten und auf das dem Bundesrat vorliegende Material zurückzugreifen, was im Interesse einer Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens zu begrüßen wäre.Soweit bei der erfolgten Anhörung einzelne Stellungnahmen zu dem Entwurf nicht positiv ausfielenoder Anregungen im Entwurf unberücksichtigt blieben, vermochten die Länder in weitestgehender Übereinstimmung den geäußerten Bedenken nicht zu folgen. Dies gilt vor allem auch für die Anregung, die Heimaufsicht in das Bundessozialhilfegesetz einzubauen. Abgesehen davon, daß der Umfang der angestrebten Regelungen eine Einfügung in dieses Gesetz unzweckmäßig erscheinen läßt und für ein eigenständiges Gesetz spricht, bestehen auch rechtssystematische Bedenken insofern, als das Bundessozialhilfegesetz ein Leistungsgesetz ist und ihm ordnungsbehördliche Regelungen, deren es auch bedarf, fremd sind.Wie weitgehend die Übereinstimmung auf seiten der Länder ist, beweist im übrigen die Tatsache, daß die Einbringung des vorliegenden Entwurfs vom Bundesrat, wie eingangs bereits erwähnt, einstimmig beschlossen wurde.Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf gewährleistet ferner die organische Entwicklung einer vernünftigen inneren Struktur der Altenheime, indem er die Befugnis des einzelnen Heimbewohners zur Mitgestaltung des inneren Heimbetriebs konstituiert. Die Möglichkeiten der Ausgestaltung der Beteiligung sollen den von den Ländern zu erlassenden Rechtsverordnungen vorbehalten bleiben. Dieses Mitspracherecht soll auch dazu beitragen, daß die Heimbewohner künftig nicht überwiegend Objekt der Fürsorge sind, sondern mehr als bisher auch im Heim die Möglichkeit zur freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit im Rahmen einer funktionsgerechten Mitwirkung erhalten.Abschließend sei betont, daß der vorgelegte Entwurf keineswegs als Ausdruck eines allgemeinen Mißtrauens gegenüber den Trägern jener Einrichtungen, für die das Gesetz gelten soll, aufzufassen ist. Von ihnen ist oft unter schwierigsten Bedingungen Beachtliches und zum Teil Vorbildliches geleistet worden. Der Entwurf ist auch keineswegs als Instrument staatlicher Bevormundung gegenüber gemeinnützigen und gewerblichen Trägern gedacht. Angegesichts des Verhältnisses der vorhandenen Heimplätze in staatlichen Einrichtungen einerseits sowie in gemeinnützigen und gewerblichen Einrichtungen andererseits liegt es auf der Hand, daß der Staat auf eine Mitarbeit der gemeinnützigen Verbände und auf eine private Initiative im gewerblichen Bereich angewiesen ist und auch in Zukunft angewiesen bleiben wird.Es ist grundsätzlich auch nichts dagegen einzuwenden, daß persönliche Betreuung und Fürsorge als Dienstleistung mit der Absicht der Gewinnerzielung angeboten wird, sofern Leistung und Gegenleistung in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Nicht hingenommen werden können jedoch Tatbestände der übertriebenen Gewinnsucht, die mit einer Ausbeutung der Notlage jener Menschen einhergeht, welche auf eine Betreuung in Heimen angewiesen sind. Daß Fälle übler Geschäftemacherei mit der Notlage alter ,und pflegebedürftiger Mitbürger zu verzeichnen sind wie auch sonstige Mißstände in bezug auf Unterbringung und Betreuung dieser Menschen in einzelnen Heimen, ist eine Feststellung, die sich auf Grund der gesammelten
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Senator LiehrErfahrungen in den Sozialressorts aller Bundesländer schwerlich bestreiten läßt. Ihrer Beseitigung soll der vorliegende Entwurf dienen, nachdem sich die behördlichen Kontroll- und Eingriffsbefugnisse nach dem geltenden Recht als unzulänglich erwiesen haben, Mißständen in ihren Anfängen zu wehren und Zuständen, die mit dem Prinzip sozialer Gerechtigkeit schlechthin unvereinbar sind, mit geeigneten rechtsstaatlichen Mitteln wirksam entgegenzutreten.Daß in dieser Beziehung von seiten des Gesetzgebers etwas getan werden muß, ist eine Erkenntnis, die sich nicht nur in den Ländern entwickelt hat, sondern, wie die Drucksache VI/3266 beweist, auch dieses Hohe Haus bewegt.Angesichts der Dringlichkeit der lösungsbedürftigen Probleme, denen sich die Behörden aller Länder gegenübergestellt sehen, sei mit gestattet, mit der Bitte um zügige Beratung und damit auch um Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens zu schließen.
Nach der Rede des Beauftragten des Bundesrates zur Einbringung dieses Gesetzentwurfs eröffne ich die allgemeine Aussprache in erster Lesung. — Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schroeder .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Die CDU/CSU-Fraktion hatte bereits im vorigen Jahr grundsätzlich der Vorlage eines Gesetzes zum Schutze alter Menschen in Heimen zugestimmt. Die große Zahl und die besondere Situation unserer älteren Generation stellen uns immer wieder vor neue Aufgaben, zu denen auch dieses Gesetz gehört.Wir sehen den Sinn dieses Gesetzes darin, daß es den alten Menschen mehr Sicherheit geben soll, sich Altenheimen anzuvertrauen, und ihnen den notwendigen Schritt des Eintritts in ein Heim, der ihnen oft schwer wird, zu erleichtern.Wir sehen auch selbstverständlich die Notwendigkeit ein, sicherzustellen, daß nur solche Personen ein Altersheim einrichten und leiten dürfen, die dazu befähigt sind und dies unter Beweis gestellt haben. Wir bejahen deshalb die Erlaubnispflicht.An die Qualität der Heime müssen bestimmte Mindestanforderungen gestellt werden. Ich halte es für ganz besonders wichtig, daß es eine Stelle gibt, die gerade bei den nicht gemeinnützigen gewerblich betriebenen Heimen prüft, ob zwischen dem Entgelt und der Leistung ein Mißverhältnis besteht. Bei der Not an Heimplätzen besteht eben immer die Gefahr, daß diese Notlage ausgenutzt wird, und hier gilt es einfach, dem im Interesse unserer älteren Generation vorzubeugen.Sehr deutlich muß aber gesagt werden — ich freue mich, daß das hier auch von dem Herrn Vertreter des Bundesrates ausgeführt worden ist —, daß dieses Gesetz nicht aus einem allgemeinen Mißtrauen gegen die Altenheime heraus gemacht werden soll und darf. Ich weiß, daß gerade viele Trägergemeinnütziger Heime zunächst über die Vorlage eines solchen Gesetzes befremdet waren, Träger von Heimen, die ja nun wirklich jahrelang auf dem Gebiete der Gestaltung von Altenheimen bahnbrechend gewesen sind und mit immer neuer Initiative Vorbildliches geleistet haben. Wir müssen das Gesetz so gestalten, daß es auch von dieser Seite bejaht werden kann und nicht als eine Bevormundung angesehen wird. Die in der Öffentlichkeit bekanntgewordenen Mißstände, die manchmal sehr hochgespielt worden sind, haben sich doch als Einzelfälle erwiesen. Auch das muß einmal gesagt werden. Dem gegenüber steht die große Zahl von Heimen, in denen unsere alten Mitbürger wohlgeborgen sind und in denen sich Pflege- und Hilfskräfte oft bis an die Grenze ihrer Kräfte um die alten Menschen bemühen.
Von diesen Menschen, die die Arbeit in den Heimen tragen, wird es viel mehr als von diesem Gesetz abhängen, daß — wie es hier heißt — „das leibliche, geistige und seelische Wohl der Bewohner gewährleistet" ist. Das können nur Menschen machen, das kann nicht durch Kontrollen allein erreicht werden.Wir haben schon im vorigen Jahr unsere Grundbedingungen für solch ein Gesetz hier genannt: Dieses Gesetz darf auf keinen Fall zu einer staatlichen Gängelung des Betriebes und der Gestaltung in den Heimen führen, und es darf vor allen Dingen nicht die private Initiative sowie die Initiative freier Verbände zur Altenarbeit einengen.Wir erkennen an, daß man sich bei dem jetzt vorliegenden Gesetz bemüht hat, diesen Grundzügen nachzukommen und ihnen gerecht zu werden. Dennoch werden wir einzelne Paragraphen noch sehr eingehend beraten müssen, damit das Gesetz eine Hilfe für die Heime und nicht eine Plage für die Heime wird.Das gilt zum Beispiel für § 8, der die Art der Überprüfung regeln soll und den Prüfungskommissionen sehr weitgehende Rechte zur Einsichtnahme gibt. Dies sollte noch einmal geprüft werden. So wie es jetzt da steht, ist es, meine ich, nicht ganz durchführbar und auch nicht zumutbar.Ebenso müssen wir § 12 noch einmal unter die Lupe nehmen, der die Beschränkung der Erlaubnis von Zuwendungen zum Inhalt hat. Hier müssen wir uns vorsehen, daß wir nicht die Entscheidungsfreiheit der Heiminsassen einschränken. Es handelt sich ja doch um mündige Menschen, die in den Heimen leben; sie können selbst entscheiden.Ich würde es begrüßen, wenn wir die Möglichkeit, daß die Heime der freien Wohlfahrtsverbände durch deren Spitzorganisationen selbst geprüft werden, noch ausbauten und präzisierten, damit von ihr möglichst viel Gebrauch gemacht werden kann.Ebenso sollten wir die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit der Beratung sehr sorgfältig diskutieren und sie vielleicht noch verstärken.Wir begrüßen es auch durchaus, daß der Gesetzentwurf nunmehr das Recht zur Beteiligung der
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848 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Februar 1973
Frau Schroeder
Heimbewohner an Angelegenheiten des inneren Heimbetriebes vorsieht. Es entspricht unseren Bestrebungen, den alten Menschen so weit wie möglich die eigene Gestaltung ihres Lebens oder zumindest die Mitsprache an dieser Gestaltung zu ermöglichen. Wir sollten gerade diese Möglichkeiten im Ausschuß sehr sorgfältig beraten und sollten uns überlegen, wie wir hier zu einer sinnvollen Mitwirkung der alten Menschen kommen. Selbstverständlich muß man hier nach den besonderen Heimarten differenzieren. Wir halten es für besonders wichtig, daß dieses Recht der Mitsprache und vielleicht auch das Recht der Einsichtnahme in die finanzielle Gestaltung des Heims bei solchen privaten Wohnstiften vorhanden sind, deren Zahl jetzt ja sehr zunimmt, bei denen die Heiminsassen mit oft erheblichen Zuwendungen und Darlehen zur Errichtung und zum Unterhalt des Heimes beigetragen haben. Unter diesem Gesichtspunkt sollten wir eventuell § 4 erweitern.Dieses Gesetz kann nur in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit allen Trägern von Heimen entstehen. Darauf legen wir allergrößten Wert. Wir würden es sehr begrüßen, wenn wir auch im Ausschuß noch einmal eine Sachverständigenanhörung durchführen könnten.Im übrigen kann ich abschließend nur wiederholen, was wir schon im vorigen Jahr hier zum Ausdruck gebracht haben. Wir halten eine wirksame Förderung der Erstellung von Altenheimen, Altenwohnheimen und Altenwohnungen für noch wichtiger als die Kontrolle. Wir brauchen ein genügendes Angebot vielfältiger Einrichtungen für unsere alten Menschen, damit sich diese nach ihren verschiedenartigen Wünschen einen Platz in einem Heim wählen können. Wenn der Mangel an Heimplätzen einmal beseitigt sein wird, wird die Gefahr der Ausnutzung einer Notlage von allein geringer. Das wäre der beste Weg.Die CDU/CSU-Fraktion hofft auf eine gemeinsame sachliche und sorgfältige Beratung dieser Materie im Ausschuß.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wissen, daß viele Heime in der Betreuung alter und behinderter Menschen Hervorragendes leisten und daß wir den Trägern und Mitarbeitern dieser Einrichtungen zu großem Dank verpflichtet sind. Dennoch hat es in letzter Zeit — wir haben es bereits gehört — wiederholt Beweise dafür gegeben, daß Mitbürger, die in Heimen leben, nicht immer ausreichend geschützt sind. Die festgestellten Mißstände beziehen sich vor allem auf eine unzureichende Unterbringung und Verpflegung von Heimbewohnern, auf mangelhafte Betreuung sowie auf ungenügende pflegerische Versorgung, auf zahlenmäßig nicht ausreichendes und fachlich unzulänglich qualifiziertes Personal sowie auf eine finanzielle Übervorteilung von Heimbewohnern. Diese Mißstände, die besonders unter den älteren Mitbürgern, aber auch in der gesamten Öffentlichkeit Unruhe und Unsicherheit hervorgerufen haben, zeigen, daß die geltenden Bestimmungen insbesondere der Gewerbeordnung, die vor einigen Jahren bereits abgeändert worden sind, nicht ausreichen.In Sorge um das Wohlergehen der älteren und behinderten Mitbürger hat der Deutsche Bundestag deshalb am 12. April 1971 auf Initiative der Fraktionen der SPD und FDP einmütig beschlossen, die Bundesregierung aufzufordern, dafür Sorge zu tragen, daß der Entwurf eines Heimgesetzes den gesetzgebenden Körperschaften vorgelegt wird. Dieser Auftrag ist nun erfüllt.Meine Fraktion begrüßt es, daß in engem Zusammenwirken zwischen dem Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit und den Länderregierungen der Entwurf eines Heimgesetzes zustande gebracht werden konnte, der nunmehr auf Antrag des Landes Berlin als Initiative des Bundesrates dem Bundestag zur Beratung vorliegt. Den Initiatoren möchte ich im Namen meiner Fraktion für diese gute Vorarbeit ausdrücklich danken.Meine Fraktion steht voll und ganz hinter den in dem Gesetzentwurf enthaltenen Grundsätzen:Erstens. Der Staat ist verpflichtet, den Menschen, die in Privatheimen leben und die sich aus eigener Kraft nicht mehr helfen können, den nötigen Schutz vor unseriösen Geschäftemachern zu gewähren. Wenngleich wir wissen, daß solche Mängel nur in geringem Umfang auftreten, so ist dennoch ein gesetzlicher Schutz aller in Heimen lebenden Mitbürger erforderlich. Denn es ist doch absurd, daß z. B. derjenige, der eine Gaststätte betreiben will, dazu nicht nur eine staatliche Erlaubnis benötigt, sondern auch seine persönliche Zuverlässigkeit und Eignung nachweisen muß, während nach geltendem Recht jeder, auch ein gewissenloser Geschäftemacher, ein Altenheim ohne die Erfüllung dieser Voraussetzungen eröffnen kann. Solche Zustände müssen schleunigst beseitigt werden. Daher muß für gewerbliche Heimträger eine gesetzliche Erlaubnispflicht eingeführt werden.Zweitens. Der Staat muß den Mitbürgern, die in Heimen leben, ein möglichst menschenwürdiges Dasein sichern. Das ist eine vorrangige humanitäre Verpflichtung. Deshalb müssen die Heimbewohner durch Festlegung von Mindestanforderungen an die Qualität der Heime vor ungenügender Versorgung und mangelhafter Betreuung geschützt werden.Drittens. Das Schutzbedürfnis der Bewohner von Altenheimen, Altenwohnheimen und Pflegeheimen besteht unabhängig von der Rechtsform des Trägers. Deshalb muß sich auch nach Auffassung meiner Fraktion die Heimaufsicht auf alle diese Einrichtungen erstrecken. Meine Fraktion betrachtet es jedoch als selbstverständlich, daß bei dieser Heimaufsicht den Besonderheiten der frei-gemeinnützigen und öffentlich-rechtlichen Einrichtungen Rechnung getragen wird. Grundsatz muß jedoch sein, daß es keine schutzfreien Bereiche mehr geben darf.Viertens. Die Mitbestimmung der Heimbewohner in allen sie unmittelbar betreffenden Fragen muß
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Glombigsichergestellt werden. Heimbewohner dürfen nicht zum Objekt der Fürsorge degradiert werden. Das entspricht unserem Verständnis von demokratischer Mitwirkung und menschenwürdiger Lebensgestaltung.Selbstverständlich wird sich der Gesetzgeber bei der Beratung dieses Gesetzentwurfes des Sachverstandes der in der Heimarbeit Tätigen bedienen und mit allen Verbänden eng zusammenarbeiten, die an einer sachgerechten Lösung des Problems im Interesse der in den Heimen lebenden Mitbürger bereit sind. Insofern begrüße ich den Vorschlag der Kollegin Schroeder.Lassen Sie mich zum Abschluß noch folgendes feststellen. Das Heimgesetz richtet sich nicht gegen diejenigen Träger, die ihre segensreiche Tätigkeit für unsere hilfsbedürftigen Mitbürger in vorbildlicher Weise erfüllen, sondern allein gegen diejenigen, die sich gegenüber Alten und Behinderten in verantwortungsloser Weise ihrer humanitären Verpflichtung entziehen. Das ist der Beweggrund für die Einbringung des Gesetzentwurfes. In diesem Sinne werden wir auch in den Ausschüssen die Beratungen miteinander führen.
Das Wort hat der Abgeordnete Christ.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf namens der FDP-Fraktion zur ersten Lesung des Heimgesetzes folgende Erklärung abgeben.Ich glaube, es ist in diesem Hause unbestritten, daß Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime in ihrer räumlichen und personellen Ausstattung und in ihrer wirtschaftlichen Führung den Anforderungen für das leibliche, geistige und seelische Wohl der Hausbewohner entsprechen müssen.Die Schilderung von Mißständen. in einzelnen Häusern durch Presse, Rundfunk und Fernsehen hat die Öffentlichkeit aufhorchen lassen, und es wird von den parlamentarischen Gremien erwartet, daß sie aus ihrer politischen Verantwortung heraus Schritte unternehmen, durch die solche Mißstände, die bei aller Schärfe nur in einer Minderheit von Heimen aufgetreten sind, in der Zukunft beseitigt werden können.Aus diesen Gründen haben die Koalitionsfraktionen bereits im März 1972 einen Antrag im Bundestag eingebracht, durch den die Bundesregierung ersucht wird, ein Altenheimgesetz vorzulegen. Der Bundesrat hat nun die Initiative ergriffen und einen eigenen Entwurf vorgelegt, der durch die Einführung der Erlaubnispflicht eine präventive Kontrolle ermöglicht, wobei begrüßenswert ist, daß auch gemeinnützige und kommunale Einrichtungen in die Kontrolle einbezogen worden sind.Es erscheint mir wichtig, einige grundsätzliche Anmerkungen zu machen, damit durch diesen Gesetzentwurf keine illusionären Erwartungen entstehen. Durch diesen Gesetzentwurf wird nämlichin keiner Weise der Mangel an Plätzen in Altenheimen beseitigt. Es erscheint auch fraglich, ob er so geeignet ist, in Zukunft alle Mängel zu verhindern.Der Entwurf — lassen Sie mich das sagen — erweckt auch ein bißchen den Verdacht, daß der Bundesrat durch die Vorlage eines solchen Gesetzes ein Alibi dafür gesucht hat, daß die bereits vorhandenen gesetzlichen Kontrollmöglichkeiten der Länder bisher nicht in dem erforderlichen Maße ausgeschöpft worden sind. Wir Freien Demokraten halten es daher für richtig, daß sich der Ausschuß zunächst einmal an Ort und Stelle bei den gemeinnützigen kommunalen und privaten Einrichtungen einen unmittelbaren Eindruck von den tatsächlichen Verhältnissen verschafft.Wenn z. B. Mitarbeiter der diakonischen Werke in Hessen und Nassau in einer Stellungnahme bezweifeln, ob die vorliegende Fassung notwendig, zweckmäßig, durchführbar und verfassungsmäßig ist, und wenn in diesem Zusammenhang die Gefahr staatlicher Willkür, ein Eingriff in die Selbständigkeit der Heimträger und eine Aufkündigung partnerschaftlicher Zusammenarbeit befürchtet oder gesehen wird, muß dies den Gesetzgeber nachdenklich stimmen, zumal man den Verfassern dieser Entschließung wohl kaum ein primär materielles Interesse unterstellen kann.Solche Bedenken gegen den Gesetzentwurf des Bundesrates kommen jedoch nicht nur aus einem Sektor; sie sind im Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband und bei der Caritas ebenso vorhanden. Wir werden diese Bedenken in Abstimmung mit allen beteiligten Verbänden im gemeinnützigen privaten und kommunalen Sektor prüfen.Einer der Kernpunkte, die nach Auffassung der FDP bei den Beratungen erörtert werden muß, ist die Beteiligung der Heimbewohner an der Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse in den Heimen. Die Formen und Möglichkeiten einer sachgerechten abgestuften Beteiligung in Form von Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechten müssen dabei im einzelnen noch erörtert werden. Die Vorschläge in der Bundesratsdrucksache erscheinen uns nicht nur überprüfungs-, sondern vor allem auch ergänzungsbedürftig. Gerade aus Zuschriften der Heimbewohner erweist sich immer wieder, daß dies für die Heimbewohner eine der zentralen Fragen ist.Wir Freien Demokraten sind überzeugt, daß bei einer Umgestaltung des Inhalts dieses Gesetzes die Notwendigkeit einer besseren Zusamenarbeit zwischen den Trägern und den Heimleitungen einerseits und den Heimbewohnern andererseits aus dem Prinzip der Partnerschaft heraus akzeptiert werden wird.Im Laufe der Behandlung des Gesetzentwurfes wird es sich auch zeigen müssen, ob die bisherigen Schwierigkeiten tatsächlich aus dem Fehlen einer Erlaubnisgrundlage resultieren. Die Länder haben durch die Änderung des § 38 der Gewerbeordnung die Ermächtigung erhalten, daß für gewerbliche Altenheime Buchführungs- und Auskunftspflichten sowie Überwachungsmaßnahmen eingeführt wer-
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Christden können und daß auch Mindestanforderungen hinsichtlich des Personals und der räumlichen Gestaltung gestellt werden können. In diesem Zusammenhang gibt es bereits heute die Möglichkeit der Gewerbeuntersagung, wenn grobe Mißstände ein wirksames öffentliches Einschreiten erfordern.Bekanntgewordene Vorgänge lassen aber vermuten, daß das Hauptproblem einer effizienten Kontrolle nicht so sehr in einer unzureichenden Rechtsgrundlage zu suchen ist, sondern vielmehr in personellen Schwierigkeiten bei der Durchführung und in einer Überforderung der zuständigen Stellen. Hier sollte Entscheidendes unternommen werden, um das Heimgesetz dann auch in der Praxis wirksam vollziehen zu können. Denn wenn sich dieser Eindruck bestätigen sollte, wird auch bei der Ausweitung dieser Vorschriften auf andere Träger nicht der gewünschte positive Effekt erzielt werden.Abgesehen von der notwendigen Beseitigung grober Mißstände in einer Minderheit von Altenheimen kann der Sinn dieses Gesetzes wohl nur darin liegen, daß diejenigen gemeinnützigen privaten und öffentlichen Einrichtungen, die bisher in zufriedenstellender Weise ihre Aufgaben wahrgenommen haben, in der Fortsetzung dieser Arbeit bestärkt werden und nicht durch eine öffentliche Reglementierung in einer bedenklich überzogenen Weise in dieser Arbeit eingeschränkt werden können.Wir sehen uns zu diesem Hinweis veranlaßt, weil der Entwurf bisher kaum positive Reaktionen bei den betroffenen Trägern erkennen läßt. Selbst dort, wo eine gewisse Zustimmung zu registrieren ist, wird im gleichen Atemzug die Forderung an die öffentliche Hand erhoben, die Verwirklichung der vorgesehenen Vorschriften und Auflagen auch mit entsprechenden öffentlichen Mitteln zu finanzieren.Wir Freien Demokraten lassen Sie mich daszum Abschluß sagen — setzen uns für eine realistische Gestaltung dieses Entwurfs in einer Form ein, die den Heimbewohnern hilft und dazu beiträgt, das Angebot qualitativ guter Heime zu verbreitern.Das Heimgesetz muß letztlich so gestaltet werden, daß eine partnerschaftliche Zusammenarbeit aller Träger mit den Überwachungsbehörden erreicht werden kann.
Mit der Abgabe der Erklärungen der drei Fraktionen ist die Aussprache in der ersten Lesung beendet. Wir kommen zur Überweisung. Der Ältestenrat hat vorgeschlagen, den Gesetzentwurf an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit — federführend — und an den Ausschuß für Wirtschaft zur Mitberatung zu überweisen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Bergmannsprämien
— Drucksache 7/212 —
Das Wort zur Begründung wird nicht begehrt. Ich eröffne die Aussprache in erster Lesung. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Wirtschaft und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung vor. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Wir sind damit am Ende unserer Tagesordnung angelangt. Ich berufe die nächste Plenarsitzung auf Mittwoch, den 14. März 1973, 14 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.