Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom 10. März 1972 für den aus dem Schuldenausschuß bei der Bundesschuldenverwaltung ausscheidenden Abgeordneten Windelen den Abgeordneten Röhner vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Abgeordnete Röhner als Mitglied des Schuldenausschusses bei der Bundesschuldenverwaltung gewählt.
Nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung soll der Bericht über die Tagung der Beratenden Versammlung des Europarates vom 19. bis 26. Januar 1972 in Straßburg Drucksache VI/3140 — dem Auswärtigen Ausschuß, der Mietenbericht 1971 — Drucksache VI/3237 — dem Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen überwiesen werden. — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat am 14. März 1972 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Leicht, von Alten-Nordheim, Dr. Ritgen, Bittelmann, Dr. Ritz, Richarts, Adorno, Frau Griesinger, Dr. Stark , Susset und Genossen betr. Preis für Zuckerrüben — Drucksache V1/3211 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/3271 verteilt.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vorn 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
EG-Vorlagen
Verordnung des Rates zur Festsetzung einer Übergangsvergütung für die am Ende des Wirtschaftsjahres 1971/72 vorhandenen Bestände an Weichweizen, zur Brotherstellung geeignetem Roggen und Mais
— Drucksache VI/3253 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates über die Verbrauchsteuern und die anderen indirekten Steuern als die Mehrwertsteuer, die mittelbar oder unmittelbar den Verbrauch von Erzeugnissen belasten
Richtlinie des Rates über die Harmonisierung der Verbrauchsteuern auf Alkohol
Richtlinie des Rates über eine harmonisierte Verbrauchsteuer auf Wein
Richtlinie des Rates über die Harmonisierung der Verbrauchsteuern auf Bier
Richtlinie des Rates über die Verbrauchsteuerregelung für Mischgetränke
Entscheidung des Rates über die Einsetzung eines „Ausschusses für Verbrauchsteuern"
— Drucksache VI 3256 -
überwiesen an den Finanzausschuß , Ausschuß für
Wirtschaft, Haushaltsausschuß mit der Bitte uni Vorlage des
Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Wir kommen zu den Punkten 21 und 22 der Tagesordnung:
Aussprache über den Agrarbericht 1972 der Bundesregierung gemäß § 4 des Landwirtschaftsgesetzes
— Drucksachen VI/3090, zu VI/3090 —
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Milch- und Fettgesetzes
Drucksache VI/2546 —
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache VI/3229 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Ritz
Ich danke dem Berichterstatter für seinen Schriftlichen Bericht. Ist eine Ergänzung veranlaßt? — Das ist nicht der Fall.
Dann können wir in die Aussprache eintreten. Soll es zunächst eine allgemeine Aussprache sein?
— Wir treten dann zunächst in die allgemeine Aussprache ein. Wer wünscht das Wort? — Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Früh.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum siebzehnten Male bringt die Bundesregierung den Grünen Bericht ein. Manche Kreise sind der Ansicht, das wäre langsam eine langweilige Geschichte. Aber wer den Grünen Bericht aufmerksam studiert, muß feststellen, daß er ein immer ergiebigeres Nachschlagewerk wird und daß wir uns glücklich schätzen könnten,
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10366 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972
Dr. Frühwenn wir in anderen europäischen Ländern ebenfalls ein solches Werk hätten,
um den schwierigen Weg der Landwirtschaft in die industrielle Welt verfolgen zu können.
Deshalb ist es an dieser Stelle sicherlich nicht mehr als recht, wenn denen gedankt wird, die vor 17 Jahren gesetzgeberisch dieses Werk geschaffen haben, und auch denen, die alljährlich — angefangen von den 8000 Testbetrieben draußen im Lande bis hinauf zu den Spitzen der Ministerien — die Daten zusammentragen und daraus ein solches Werk herstellen, aus dem wir ständig neue Schlüsse ziehen können. Bedauerlich ist nur, daß die vielen Ratschläge, die die Landwirtschaft für die Lösung ihrer Probleme auch von außerhalb bekommt, nicht davon zeugen, daß sich die Ratgeber intensiv mit den vorliegenden Grünen Berichten auseinandergesetzt haben.Nun bin ich heute morgen in der äußerst schwierigen Lage, daß ich hier die Debatte über einen Grünen Bericht eröffnen soll, obwohl Sie, Herr Bundesminister, von einer neuerlichen Schlacht in Brüssel zurückkehren und uns sicherlich — das haben wir aus der Presse entnommen; andere Nachrichten stehen uns leider nicht zur Verfügung — einiges sagen werden. Ich hätte gewünscht, Sie hätten es zuvor dem Hohen Hause bekanntgegeben. Es wäre für die Opposition wesentlich leichter gewesen, darauf zu replizieren.
Allerdings weiß ich nicht recht, ob ein bißchen Methode dahintersteckt. Natürlich können Sie die Ratssitzungen in Brüssel nicht so legen, wie es gerade für die Bonner Termine günstig ist. Aber für uns ist es eine ungemeine Erschwernis, ohne Kenntnis der Details hier zu diskutieren, während Sie nachher die in den nächtelangen Kämpfen von Brüssel errungenen Erfolge darlegen können. Dabei nehmen Sie mir bitte nicht übel, daß ich allgemein — ich sehe, Herr Wehner, Sie lächeln; es ist klar, das ist eine schwierige Situation — von gewissen Pyrrhussiegen ausgehen muß, wobei ich gern bereit bin, mich nachher belehren zu lassen.
— Nein, Herr Schäfer, warten Sie doch ab! Manchmal kommt es mir nämlich so vor, als wenn man das Kind in den Brunnen fallen läßt und dann, wenn es im Brunnen liegt, ungemeine Anstrengungen macht — das muß man dann anerkennen , um es noch zu retten. Wenn man die Anstrengungen jedoch gemacht hätte, bevor es hineingepurzelt ist, wäre uns manches erspart geblieben.
Lassen Sie mich zum eigentlichen Gegenstand der heutigen Debatte kommen; das sind nicht die Brüsseler Beschlüsse, sondern das ist eine Aussprache über den Grünen Bericht. Sie wissen, daß sich dieser Grüne Bericht nicht gerade besonders auszeichnet.Ich will nicht, wie es in einem Kommentar gestanden hat, darauf Bezug nehmen, daß man im Olympiajahr sagen könnte, daß hier Rekorde entstanden sind. Es sind jedenfalls Tiefenrekorde. Sie wissen, daß der Anpassungsprozeß der Landwirtschaft in diese industrielle Welt hinein — darüber sind wir uns alle im klaren — schwierig ist. Niemand bestreitet das. Wer könnte das besser wissen als eine CDU/CSU, die 20 Jahre lang für diesen schwierigen Weg die Verantwortung getragen hat! Aber seit es Grüne Berichte gibt, ist es noch nie geschehen, daß das Einkommen von einem auf das andere Jahr um 10 % gefallen ist.
— Herr Saxowski, ich richte mich nur nach den Zahlen. Ich will hier ja nicht polemisieren, aber so steht das geschrieben.In einer Zeit, in der die übrigen Einkommen — der Grüne Bericht soll ja mit ein Mittel sein, um die Disparität der Landwirtschaft mehr und mehr zu überwinden, so schwierig das auch ist — um 14 % gestiegen sind obwohl der Begriff „Globaldisparität" ohnehin nicht mehr so genannt werden darf und auch gar nicht mehr ausgewiesen wird —, muß man trotzdem darauf hinweisen, daß mit diesem Ergebnis etwas geschehen ist, was anderthalb Jahrzehnte hindurch kontinuierliche Agrarpolitik in Frage gestellt hat. Ich werde nachher noch darauf zurückkommen. Hier ist nämlich auch in Betrieben einer Größe von über 50 ha die Disparität auf über minus 27 % hinaufgeschnellt. Damit ist natürlich vielfach jungen Leuten, die diesen Anpassungsprozeß unter großen Anstrengungen vollzogen haben, der Mut genommen worden.
Sie wissen, daß in Betrieben unter 20 ha — ich will mich gar nicht in Zahlen vertiefen; jeder, den es interessiert, hat diesen Bercht sicher gelesen — diese Disparität sogar auf 39 % gestiegen ist; das ist doch immer noch die Hauptmasse unserer Betriebe.Natürlich gibt es dafür Gründe. Ich will mich nachher mit ihnen auseinandersetzen. Aber zunächst darf ich folgendes anführen. Es ist nicht so, daß man in diese Situation einfach hineingestolpert wäre. Es gibt eine Große Anfrage der CDU/CSU zur Agrarpolitik, die vor dieser Entwicklung gewarnt hat, es gibt eine gezielte Kleine Anfrage vom Februar 1971, speziell der baden-württembergischen Abgeordneten. Das sage ich nicht im Hinblick auf den 23. April, wie manch einer meinen könnte, sondern das sind Tatsachen, in deren Zusammenhang eine Disparität von 40 % genannt worden ist, errechnet aus Vorausberechnungen von 1250 buchführenden Betrieben im Lande Baden-Württemberg. Wir haben darauf eine Antwort bekommen. Herr Bundesminister, Sie haben uns zu diesem Zeitpunkt, als aus buchführenden Betrieben Vorausberechnungen vorlagen, in Ihrer Antwort mit der Bemerkung abgeschmettert — ich zitiere wörtlich —, „es handle sich hier um problematische Annahmen und Schätzungen", und das, ob-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972 10367
Dr. Frühwohl Berichte von buchführenden Betrieben da waren. Wir verstehen das heute noch nicht. Aber wir haben gewarnt. Deshalb wird es schwierig sein, Ihnen zu diesem Ergebnis mildernde Umstände zuzubilligen.
Lassen Sie mich schnell etwas einfügen. Allen in diesem Haus wird sicherlich bekannt sein, daß es frühere ein geflügeltes Wort gegeben hat, die Landwirtschaft müsse barfuß in die EWG gehen. Wir alle wissen, daß sie nie ganz dicke Socken anhatte, und mit diesen nicht ganz dicken Socken hat sie natürlich in diesem schwierigen Prozeß hin und wieder kalte Füße bekommen. Welche Landwirtschaft der Welt in einer industriellen Gesellschaft hat das nicht?
Aber nun ist eines geschehen. Mit kalten und mal wieder mit warmen Füßen kann man laufen. Aber wenn man einbricht und noch dünne Socken anhat, wenn man kalte und nasse Füße bekommt — das ist doch hier geschehen —, dann ist der Weitermarsch ungemein schwieriger.
— Herr Schäfer, Sie lächeln.
Ich will dieses Bild einmal in Zahlen ausdrücken. Sehen Sie, 10 % minus und dann sofort hinterher der Trost: Aber seid befriedigt, im nächsten Jahr 12 % mehr, und dann ist das ausgebügelt. Was heißt denn das? Das heißt, in zwei Jahren plus minus null bei allen Risiken, die noch drinliegen, und das heißt weiter, daß Sie wahrscheinlich diesen äußerst schwierigen Prozeß, der sich bisher im großen und ganzen auf einer Disparitätsbasis zwischen 20 und 30 % abgewickelt hat, auf die nächsthöhere Stufe zwischen 30 und 40 % gebracht haben.
Lassen Sie mich zu den Gründen kommen, die hier vorliegen. Das ist einmal die Ernte, dann der Schweinezyklus, und das sind die Kosten.Zur Ernte darf man doch sagen, Herr Minister, daß die Bodenbruttoproduktion fast gleichgeblieben ist — so weisen es wenigstens die Statistiken aus —, daß die Getreidemenge nur um 9 % gefallen ist und daß die Futtermittelzukäufe dadurch um 8% gestiegen sind. Aber dadurch sind auch 5 % mehr tierische Erzeugung geleistet worden. Ich frage mich: Warum konnten denn diese Futtermittelzukäufe so stark zu Buche schlagen, nachdem sie doch auf der einen Seite durch die Aufwertung so verbilligt wurden und andererseits durch die verhältnismäßig geringere Ernte der Interventionspreis bei Getreide überschritten wurde? Diese Dinge sind also nicht so drastisch, wie sie von Ihnen dargestellt worden sind.Bei den Schweinen wird es schon kritischer. Natürlich, der Schweinezyklus ist eine nicht nur vomjetzigen Bundesernährungsminister zu beklagende Erscheinung, sondern er hat auch uns schon viel zu schaffen gemacht. Aber dieser Schweinezyklus war lang und tief und niederschmetternd, und zwar aus folgendem Grunde. Herr Gallus, jetzt müssen Sie gut zuhören. Jetzt muß ich ein altes, zwischen uns immer wieder umstrittenes Thema ansprechen.
Ist dieser Zyklus nicht doch eine Nach- und Spätwirkung dieser Aufwertung?
— Herr Dr. Schmidt , das ist oft bestritten worden. Ich will das hier gar nicht vertiefen; wir können das in einer Fragestunde einmal tun. Wie oft ist der Agrarpolitik der Vorwurf gemacht worden, sie sollte sich mehr mit der Wissenschaft verbünden und sich von der Wissenschaft beraten lassen! Vielleicht auch Ihnen, Herr Gallus, ist in unserem Land Professor Böckenhoff bekannt. Er ist ein Statistiker, der ganze Reihen in der „Agrarwirtschaft" veröffentlicht hat. Ich würde Sie bitten, einmal das Heft 1 des Jahrgangs 1972 durchzulesen. Ich will Ihnen nur einen Satz dazu sagen — das längere Zitat kann ich Ihnen gern zur Verfügung stellen —, den ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren darf:Der Einfuhrüberschuß— es handelt sich um das Jahr 1971 —war um 25 % höher als im Vorjahr und nahezu doppelt so hoch wie vor zwei Jahren . . .Und wenn Sie seinen persönlichen Kommentar dazu hören wollen, möchte ich Ihnen sagen, daß in diesem persönlichen Kommentar steht, daß in erster Linie die Wirkung der Aufwertung ein entscheidender Grund dafür war.
Es kann ja gar nicht anders sein. Ich würde so sagen: Hier ist nicht — und das ist jetzt der nächste Zusammenhang — das marktkonforme Verhalten der deutschen Bauern zu kritisieren, sondern hier liegt doch ganz klar auf der Hand, daß in den Partnerländern, etwa in Belgien und Holland — ich will niemanden anklagen; das sind tüchtige Bauern —, in den letzten acht Jahren die Schweineproduktion zum Teil um 100 % gestiegen ist. In den zurückliegenden Jahren — von 1969 bis 1971 — ist sie in Belgien sogar um 36 % und in Holland um 29 %, aber — und das ist jetzt die wichtige und entscheidende Zahl — nur um 8,7 % in der Bundesrepublik Deutschland angestiegen. Das heißt: marktkonform haben sich die deutsche Bauern verhalten,
weil der Anstieg parallel zum Verbrauch verlaufen ist. Nun gehe ich nicht so weit, zu sagen: das ist unfair von unseren Partnern. Ich sage vielmehr so, Herr Minister: Tugend ist oft nur Mangel an Gelegenheit.
— Nur die Ruhe! Das wissen Sie doch alle. Sie, HerrBundesminister, und mehr noch der Bundeswirtschafts- und -finanzminister haben bei Gott durch
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10368 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972
Dr. Frühdie Veränderung der Währungsparitäten diesen holländischen und belgischen Bauern, die clever sind und rechnen können, Gelegenheit zum Sündigen in reichem Ausmaße gegeben, und sie haben ihre Marktchance voll genutzt.Ich muß noch etwas zu den Kosten sagen, weil ja die Kosten auch angekreidet worden sind. Aber das kann ich kurz machen. Jedermann weiß, daß die Preise für landwirtschaftliche Produkte in diesem Jahr auf einem Index von 98,1 — das Jahr 1961/62 gleich 100 genommen — lagen, daß die Kosten mit der Mehrwertsteuer um 4,9 % gestiegen sind und daß nichts mehr vorhanden ist von der Fata Morgana der Kostenverbilligung durch die Aufwertung, die man mit 500 Millionen DM im Aufwertungsverlustausgleich im vorhinein abgezogen hat. Man darf auch nicht immer nur von den Preisen reden. Man muß Kosten und Preise zusammen sehen; dann kommt nämlich erst das richtige Ergebnis — das für die Bauern niederschmetternde Ergebnis — heraus.
In dieser Situation haben wir hier unseren Antrag auf Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 °/o eingebracht, um dieses für die Bauern unerträgliche Auseinanderlaufen aufzuhalten. Das Opfer der Aufwertung haben die Bauern gebracht, aber der Nutzen der Kostensenkung ist bei ihnen nicht eingetreten.
Und was ist geschehen? Es ist ein Trauerspiel. Dieser Antrag ist — das wissen Sie — in den Ausschüssen auf Eis gelegt worden, und nach einem Jahr — Sie kennen die Debatten, die wir im Ernährungsausschuß vor den Ferien, nach den Ferien und später geführt haben — ist der Antrag dann in beiden Ausschüssen, auch im Finanzausschuß, niedergebügelt worden. Wenn Zeitungsmeldungen von heute morgen — man konnte sie sich ja nur sehr flüchtig ansehen — stimmen — es ist schade, Herr Minister, daß Sie die Debatte nicht eröffnet haben, sonst könnte ich es bestimmt sagen —, dann haben Sie genau das gemacht, was wir nicht wollten und was Sie im Prinzip auch nicht wollen können, nämlich die Mehrwertsteuer gegen die neue Aufwertung nach der Festschreibung einzusetzen. So war das von uns nicht vorgesehen. Diese Mehrwertsteuer war von uns als ein echter Beitrag zum Auffangen der nicht gebremsten Kostenentwicklung bei sinkenden Preisen in der Landwirtschaft unabhängig von jeder Aufwertung gedacht.
— Lassen Sie mich den Gedanken noch zu Ende führen, Herr Löffler.Ich möchte eine Frage stellen, die mich bewegt: Warum kann die belgische Landwirtschaft — Herr Minister, hier sind Sie nun wirklich angesprochen — melden, soweit ich mich darauf verlassen kann, daß sie in diesem Jahr ein um 17 % höheres Einkommen hat? Warum kann der französische Bauernverband seiner Regierung für die wachsende Realkaufkraft der französischen Landwirtschaft danken?Das ist doch das eigentliche Menetekel dieses Berichts, das uns zu denken geben muß. Die Zahlen für die deutsche Landwirtschaft sind in den Keller gesaust, während die übrigen Landwirtschaften mit den Ergebnissen dieses Jahres zufrieden sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Löffler?
Ja, bitte!
Herr Dr. Früh, ist Ihnen bekannt, daß bereits in der „grünen Debatte" des Jahres 1962 ein Sprecher Ihrer Fraktion ausgeführt hat, daß der Preisindex für landwirtschaftliche Erzeugnisse nach dem damals vorliegenden Bericht von 221 auf 211 zurückgegangen ist, also um 5 %, und dieser Sprecher weiterhin ausführte: „Das gleiche können wir leider für die Betriebsausgaben nicht sagen"? Wären Sie bereit, dem Hohen Hause darzulegen, welche Maßnahmen Ihre Partei im Jahre 1962 ergriffen hat, um dieses bereits damals vorhandene Mißverhältnis auszugleichen?
Herr Kollege Löffler, ich gestehe Ihnen offen, ich habe die Debatten von 1962 nicht gelesen.
— Einen Moment, ich bin noch nicht fertig. Ich war damals noch nicht in diesem Hohen Hause. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Es ist sicher — ich beziehe mich hier auf die Aussage des Deutschen Bauernverbandes —, daß von 1961 bis 1969 das Einkommen der deutschen Landwirtschaft pro AK durchschnittlich um 10 % gestiegen ist. Das ist doch der entscheidende Punkt.
Ich würde mich hier mit Ihnen, Herr Löffler, nicht um Indexe streiten oder darüber auseinandersetzen, wenn in diesem Bericht stünde, das Einkommen der Landwirtschaft pro AK sei seit dem letzten Jahr um 10 °/o gestiegen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kiechle?
Ja, Herr Kiechle.
Herr Abgeordneter Früh, wären Sie so freundlich, den Fragesteller darauf hinzuweisen, daß die deutsche Landwirtschaft in jenem Jahr noch in der Lage war, zu rationalisieren, weil die Preise stabil waren und damit einen Teil even-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972 10369
Kiechletuell einmal eingetretener Preisverluste aufzufangen, was heuer nicht mehr der Fall ist?
Herr Kiechle, ich teile voll Ihre Auffassung. Wahrscheinlich war es zur damaligen Zeit für Herrn Löffler schwierig, über agrarpolitische Probleme nachzudenken.
Lassen Sie mich zu einem dritten Aspekt kommen, dem des Gemeinsamen Marktes. Hier möchte ich zunächst eine erfreuliche Feststellung treffen. Ich kenne noch die Zeiten — da war ich hier, und da waren auch Sie hier, Herr Löffler, und deshalb wollen wir uns darauf beschränken, das macht viel mehr Spaß — —
Meine Herren, ich finde es sehr nett, daß Sie so früh am Morgen schon so munter sind. Wahrscheinlich hängt das damit zusammen, daß vor allem Vertreter der „grünen Front" anwesend sind, die das Frühaufstehen gewöhnt sind. Ich möchte aber vorschlagen, daß Sie jetzt etwas ruhiger sind, dem Redner zuhören und ihm nachher erwidern. Wir kommen dann rascher voran. Um die Mittagszeit wird das Haus nicht mehr so gut besetzt sein wie jetzt.
Herr Präsident, ich danke Ihnen, daß Sie das frühe Aufstehen in der Landwirtschaft ansprechen. Hoffentlich wissen alle Zuhörer, daß man dort auch spät ins Bett geht und bei einer so langen Arbeitszeit nur ein solches Einkommen vorweisen kann.Aber lassen Sie mich etwas für Sie Erfreuliches sagen. Sie hindern mich dauernd daran. Es ist sicher erfreulich, daß beim Bundesernährungsminister inzwischen ein Lernprozeß stattgefunden hat, der zwar schmerzhaft war, über den wir uns aber freuen. An diesem Pult nämlich ist fast theatralisch gesagt worden: Ich muß diese Suppe auslöffeln, die ihr eingebrockt habt. Bei ,der Einbringung des Grünen Berichts sind Worte, die ich anerkenne, vom Minister gesprochen worden, daß nämlich keine Regierung, keine Person, keine Partei usw. für die Entwicklung verantwortlich gemacht werden könne, sondern die wirtschaftliche und technische Entwicklung, die man nur richtig lenken müsse.
— Jawohl, so ist es, Herr Gallus. Es ist gesagt worden, daß die EWG ein von uns allen anerkanntes Faktum ist; das ist voll zu unterstreichen. Die Schwierigkeit liegt hier eben nur beim Lenken. Da bin ich nun nicht ganz sicher, daß hier in den letzten zweieinhalb Jahren richtig gelenkt worden ist.
Lassen Sie mich das kurz ausführen. Einer der schlimmsten oder einer der günstigsten Gegenständefür Versammlungen — wo auch immer — ist es, zu sagen: Das Unglück ist diese Rechnungseinheit, diese Rechnungseinheit bringt uns um, sie ist der Fluch, — —
— Herr Gallus, Sie haben einmal das Wort vom Bauerngericht zitiert, vor das manche gehören.
— Lassen Sie mich das bitte ausführen; Sie können nachher reden. Diese Rechnungseinheit war doch der kühne Gedanke, war der Faßreifen, um die auseinanderstrebenden Interessen in der EWG überhaupt zusammenzubringen; sie war das Leuchtzeichen für eine Währungsunion. Ohne diesen Durchbruch — seien wir doch ehrlich — hätten wir zu dieser Stunde keine EWG. Hier hat die Landwirtschaft in einem ungeheuren Maße Vorarbeit geleistet
und hat beispielhaft auf die europäische Zukunft hin etwas getan, wovon sich alle übrigen, die in Brüssel oft um viel kleinere Dinge feilschen, ein gutes Stück abschneiden könnten. Ich darf ein Wort des französischen Landwirtschaftsministers anführen, das er auf der ersten Grünen Woche im Jahre 1970 in Berlin gesprochen hat. Er hat damals gesagt, man rede immer über diese Landwirtschaft, die die EWG blockiere und bremse. Nein, das tut sie nicht, weil die Landwirtschaft den größten europäischen Beitrag geleistet hat. Man sollte lieber über die Bereiche reden, in denen noch nichts geleistet worden ist.
Glauben Sie nicht, meine Damen und Herren, daß wir, wenn wir in Brüssel zu verhandeln hätten — etwa über gleiche Löhne, gleiche Soziallasten, gleiche Steuern und all die anderen Dinge —, genauso Marathonsitzungen abhielten, nur noch längere und noch schlimmere? Das ist doch die große Leistung der Landwirtschaft gewesen; sie ist nicht der Bremsblock der EWG, von dem dauernd geredet wird, sie ist der Vorreiter, und sie lädt alle anderen dazu ein — nur so kann sie der Vorreiter bleiben —, es ihr nachzumachen. Die Väter, die die EWG geschaffen haben — der Minister hat von Zeugung und Pubertätsjahren gesprochen —, wollten, daß die Wirtschafts- und Währungsunion 1969/70 fertig ist. Bis zu diesem Zeitpunkt hat die CDU/CSU die Landwirtschaft mit wachsendem Einkommen in die EWG hinübergeführt. Und dann ist das Schlimmste passiert, in nationalen Alleingängen — und das war gegen das Gesetz und gegen den Geist dieser EWG —:
Abwertung, Aufwertung, Floating, Bandbreiten; Sie kennen das alles.Glauben Sie mir, es ist den Bauern kaum mehr zuzumuten, die daraus erwachsenden Schwierigkeiten zu ermessen. All das 'hat doch diese gute, nach vorn drängende Schrittmacheridee in ihrem Kern getroffen.
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10370 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972
Dr. FrühDurch diese Währungsveränderung haben wir, ohne daß die deutsche Landwirtschaft Kostenerleichterungen erhalten hat — das war ja der Sinn der Sache —, in der Bilanz dieser drei Jahre gegenüber Frankreich — ich will das nur einmal global nehmen; niemand kann es auf das letzte Prozent nennen — eine Wettbewerbsverschlechterung um 28 %, was sogar voll zutrifft, wenn wir an die Waren denken, die nicht in den Marktordnungen — Obst, Gemüse, Kartoffeln — Sie wissen alle, welche Sorgen auf uns zukommen — stehen.
— Das ist richtig, das war die Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung.
— Nein, Herr Wehner, es war immer ein schwieriger Weg; aber dieser schwierige Weg der Landwirtschaft ist jetzt fast unmöglich gemacht worden.Jetzt darf ich einmal zitieren, was hier der Bundesernährungsminister — auch wieder auf der Grünen Woche — gesagt hat: „Noch eine Aufwertung" — und was ist aus dem Floating anders geworden? —, „und diese EWG-Rechnungseinheit ist im Eimer."Ich weiß, was für ein schwerwiegendes Wort das ist; ich gebe mich da keinen Illusionen hin. Aber eines ist sicher: Wenn das so weitergeht — und wer weiß, wie lange es weitergeht —, muß der Bundesernährungsminister wissen, daß, wenn er immer nur reagiert und nach Ausgleichen — degressiven Ausgleichen, wegfallenden Ausgleichen, Mehrwertsteuer und was es da gibt — greift und mit großer Anstrengung, mit hohem Einsatz danach greift, trotzdem kein anderer Weg übrigbleibt, als daß am Schluß schließlich die deutsche Landwirtschaft „im Eimer" ist.Deshalb unsere Forderungen — die Ihnen klar sind, das ist gar nichts Neues; aber anders können wir es nicht mehr tun —: Grenzausgleich, qualifizierter als bisher; Verringerung der Bandbreiten, eine dringende Notwendigkeit, weil Sie die Folgen kennen.Sicher sind wir in Washington von 4,5 auf 2,5 gekommen. Das wird als großer Erfolg gefeiert. Das kann man auch als Erfolg sehen; nur muß man so ehrlich sein und sagen, daß wir eben vorher schon bei 1,5 waren
und daß man hier zwei Schritte zurück und nur einen nach vorn geht. So ist das nicht zu machen.Nun zu den nationalen Maßnahmen für die Produkte, die nicht in den Marktordnungen stehen. Sie werden sagen, das könnte die EWG sprengen. Das wollen wir nicht. Niemand kann das wollen, daß der gemeinsame Markt als Schrittmacher dieser EWG auseinanderbricht. Aber niemand kann auch wollen, daß die deutsche Landwirtschaft auf Grund der destruktiven Automatik dieser europäischen Rechnungseinheit in eine ständig schlechtere Wettbewerbssituation kommt, ohne daß sie sich dagegen wehren kann, ohne daß sie dadurch Kostensenkungen erreicht.
Wenn es vielleicht, meine Damen und Herren wo gibt es das nicht? —, am Anfang der EWG oder bei der Konzeption der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft da und dort die — vereinfachte — Vorstellung gegeben haben sollte, die Stärke Frankreichs werde der Agrarmarkt sein und das Gegengeschäft werde mit der Industrie gemacht, dann ist doch eines ganz klar — jeder ist klüger geworden, jeder weiß Bescheid —: die Bundesrepublik Deutschland kann und will ihre Landwirtschaft nicht aufgeben, gerade weil sie eine industrielle Gesellschaft ist.Inzwischen ist doch deutlich geworden, daß es nicht nur um die Ernährung geht, sondern daß es in der industriellen Gesellschaft bei der Erhaltung einer funktionsfähigen Landwirtschaft auch um ganz andere Dinge geht — von Umwelt, Landschaft und Erholung angefangen . Weil wir eine industrielle Gesellschaft sind, brauchen wir eine funktionsfähige Landwirtschaft.Lassen Sie mich ferner dazu sagen: Niemand in der EWG — niemand! — ist doch bereit, etwa bei diesem vielleicht einmal gedachten Gegengeschäft seine Industrie zu opfern. Daran denkt doch kein Mensch!Deshalb müssen, falls hier einmal falsche Akzente gesetzt worden sind, die in eine falsche Richtung geführt haben, diese Akzente energisch und zäh verändert werden. Und ,ich bin davon überzeugt, daß deshalb die Wirtschaftsgemeinschaft nicht auseinanderbrechen wird.Auch die Bauern in der EWG müssen umlernen. Auch für die Bauern unserer Partnerländer muß der vielleicht einmal gehegte Irrglaube — ich erinnere an frühere Reden des Landwirtschaftsministers Pisani, der gesagt hat: Französische Bauern, dort in Deutschland ist eure Chance; ich habe nichts dagegen, das muß er sagen, er muß sie anfeuern —, dieser gehegte Irrglaube muß weg, die europäischen Bauern könnten auf dem Rücken der deutschen Kollegen den gemeinsamen Agrarmarkt gewinnen. Keiner kann es auf dem Rücken ides anderen. Das ist eine genauso überholte Idee wie die Spannungen, die es bei uns zwischen hauptberuflichen Landwirten und Landwirten im Nebenberuf geben mag, wo dei eine manchmal meint — es ist heute besser ,als früher —, der andere sei ihm im Weg.
Lassen Sie mich nun zu einem weiteren Punkt kommen — ich kann nur wenige Sätze dazu sagen —, und zwar zu dem Teil Ihrer Einführungsrede, Herr Minister, in dem Sie in Ihrem Agrarhaushalt darzulegen versucht haben, wieviel Sie für die Landwirtschaft mehr getan haben. Dabei wird aufgeführt, daß ,die Altershilfe, die Krankenversicherung und alle diese Maßnahmen, die ergriffen werden, hohe Millionenbeträge erfordern. Diese soziale Absicherung der Landwirtschaft ist unbe-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972 10371
Dr. Frühstritten. Sie ist sehr wichtig und ist zu loben. Ich will mir weitere Anmerkungen hierzu ersparen. Aber man sollte auch sagen, daß das keine zusätzlichen Kraftakte sind, sondern daß auch von der anderen Seite die Gegenrechnung aufzumachen ist. Diese Gegenrechnung besagt, daß 110 Millionen DM weniger im Aufwertungsverlustausgleich sind, daß es für die Berufsgenossenschaften 100 Millionen DM weniger sind, obwohl Sie 160 Millionen DM übertragen haben — das ist alles bekannt —, und daß die Berufsgenossenschaften dafür ihre Reserven auflösen müssen.Man könnte sich vielleicht auch darüber Gedanken machen — lassen Sie mich das nur in einem Schlenker anbringen —, ob Sie angesichts der Lage der Landwirtschaft, so wie sie in diesem Grünen Bericht ausgewiesen ist, dem von unserem Kollegen Röhner im Haushaltsausschuß vorgebrachten Vorschlag -ich war damals Zaungast — nicht hätten nähertreten können, in dem es um zusätzliche 300 Millionen DM ging.
— Herr Gallus, seien Sie friedlich! Sie waren der erste, der dagegen gesprochen hat. Der Herr Minister hat es in seiner Schlußbemerkung nicht in Abrede gestellt, daß die Möglichkeit dieser Finanzierung besteht. Er hat nur anklingen lassen: Wir wollen das Jahr weiter fortschreiten lassen —
was Sie gesagt haben, können Sie im Protokoll nachlesen —, denn bei dieser Trockenheit weiß niemand, wie das Jahr ausgeht. Das hat er so gesagt, damit er Mitte des Jahres mit den 300 Millionen DM den Weihnachtsmann spielen kann; er nimmt mir das nicht übel.
Darf ich hier etwas Gewagtes sagen, Herr Bundesernährungsminister. Ich weiß nicht, wieweit sie stichhaltig sind.
— Doch, Herr Sander! Es ist nicht unwichtig, denn es geht um 700 Millionen DM, und das muß man immer sagen. Es ist gesagt worden, der Agrarhaushalt sei um die EWG-Ausgaben geringer, nur deswegen sei er gesunken. Das ist richtig. Wir alle wissen aber auch, daß Sie die nicht in Brüssel verbrauchten Mittel in den nationalen Haushalt überführen können. Damit haben Sie sich lange und zu Recht gerühmt. Für Brüssel waren immer etwa 2,5 Milliarden DM angesetzt. Effektiv ausgegeben wurden etwa 1,8 Milliarden DM. In dieser schwierigen Lage der Landwirtschaft hätte man um diese Differenz kämpfen müssen. Herr Minister, bevor dieser Grüne Bericht vorgelegt wurde, haben Sie doch in Geheimbesprechungen mit dem Herrn Bundeskanzler und auch mit dem Herrn Bundeswirtschafts- und -finanzminister noch versucht — so ging es wenigstens durch die Presse —, herauszuholen, was ging. 65 Millionen sind dann gekommen. Wäre es nicht möglich gewesen, mindestens zu versuchen, diese frühere Chance zu nutzen, die wir doch schon so oft genutzt haben,der Landwirtschaft aus nicht verbrauchten Mitteln der EWG zu helfen — da handelt es sich um den Brocken von 700 Millionen DM —, statt diese einfach von den übrigen Ressorts — der Bundesfinanzminister wird es dringend brauchen kassieren zu lassen und damit künftig weniger Bewegungsfreiheit in schweren Zeiten der Landwirtschaft zu haben? Herr Gallus, 300 Millionen und diese 700 Millionen, das ist etwa eine Milliarde. Das wäre ein Brocken.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Ich will gerade noch dieses Kapitel abschließen.
Ein Letztes dazu. Was Sorge macht, ist, daß wir jetzt in diesem Ernährungshaushalt keinen Spielraum mehr haben, daß die Sozialausgaben 22 % betragen. Und das ist wichtig: Niemand wird hier ein Wort gegen die Sozialausgaben sagen. Niemand wird sie verzögern, wie man draußen in den Versammlungen immer wieder so gern verbreitet. Aber diese 22 % Sozialausgaben wachsen in der mittelfristigen Finanzplanung auf 45 %. Und bei steigenden Kosten kann doch dann für diese Landwirtschaft weniger investiv unternommen werden. Darum würde ich um eines bitten: Man sollte hier nach Frankreich hören, wo dem französischen Landwirtschaftsminister klipp und klar gesagt worden ist: Das mit den Sozialausgaben ist richtig; aber vergessen Sie nicht: die Landwirtschaft ist kein Zusammenschluß von Lohnarbeitern, sondern von Unternehmern.
Deshalb muß das hier nicht in dieser einseitigen Richtung geschehen.
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Peters.
Herr Kollege Dr. Früh, ist Ihnen bekannt, daß 500 Millionen DM heute nicht im Ernährungsetat für Marktordnung, im Einzelplan 10, sondern im Einzelplan 60 verplant sind, daß diese Mittel aber genauso Einsatz für die Landwirtschaft finden, als wenn sie im Einzelplan 10 wären und daß es ein altes Verlangen aller Fraktionen des Bundestages ist, diese Mittel aus der Marktordnung nicht im Einzelplan 10, sondern im Einzelplan 60 zu etatisieren?
Herr Peters, ich würde wünschen, daß Ihr Anliegen sich verwirklicht. Wir können ja später darüber reden. Ich kann nur eines sagen; wenn das sich so erfüllt wie der Abschluß Ihrer letzten Rede, mit der ich Sie gern konfrontieren würde, dann kann ich davon nicht viel halten.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen und hier noch einige Bemerkungen zum einzelbetrieblichen Förderungsprogramm machen. Sie wissen sehr genau, daß dieses einzelbetriebliche Förderungsprogramm von Anfang an, fast würde ich sagen: einer der
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10372 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972
Dr. Früh„großen Schlager" dieser Bundesregierung und des Bundesernährungsministers gewesen ist. Aber auch eines ist ganz deutlich: Nach zweieinhalb Jahren — und ich weiß, das war Übergangszeit, es war Ankündigung, aber die Propaganda ist draußen lange gelaufen; und jetzt am 1. Juli ist es wirklich in Kraft gesetzt worden — ist doch das Ergebnis nicht als zu glanzvoll zu nennen — ich will mich zart ausdrücken; ich könnte es auch anders sagen —, und zwar weil gerade die investive Förderung mehr als zögernd anläuft und weil uns auf dem sozialen Sektor die Dinge fast über den Kopf zu wachsen drohen.Von dort kommen nämlich viele Klagen, daß die Bedingungen der Landabgaberente großzügiger gehandhabt werden sollten. Viele reden davon, daß man sogar die Grenze völlig wegschaffen müßte. Es gibt nämlich, wenn man die Dinge so streng nimmt, wirklich schlimme Fälle. Ich darf Ihnen einen berichten. Da kommt ein Bauer zu mir
— aus der Ravensburger Ecke, wissen Sie —, nicht allzu guter Boden, 26 ha. Er würde gern die Landabgaberente nehmen. — Geht nicht, weil er ein bißchen zu groß ist. Wir haben das ja schon erweitert. Jetzt kommt der andere — 16 ha —, bedrängt mich: er will unbedingt aufnehmen. Aber er liegt unter der Fördergrenze und darf nicht. Und so stehen die beiden sich gegenüber, knirschen mit den Zähnen, schimpfen natürlich in dem Fall auch auf mich,
obwohl ich gar nichts dafür kann, und sagen: Ihr müßt bessere Gesetze machen. Da kann ich immer nur sagen: Wir hatten noch nie ein so gutes, glänzendes, allerdings auch mit sehr viel Aufwand verkauftes und sämtliche Fehlinvestitionen verhinderndes Förderprogramm wie zur Stunde. Und trotzdem geht es nicht.
— Ja, Herr Gallus, ich schicke die beiden zu Ihnen, und dann werden Sie es mit ihnen regeln.
Aber der wesentliche Punkt und der Erfolg dieses Programms ist doch — so hat der Minister gesagt , daß die Bauern rechnen gelernt haben. Herr Minister, ich bin davon überzeugt, daß die Bauern auch zu der Zeit, als Sie Berater in Miesbach waren, schon gerechnet haben. Wenn sie es nicht getan haben sollten, haben sie es hoffentlich bei Ihnen gelernt. Damals kam aber bei ihrer Rechnung eine Rendite heraus, und deshalb konnten sie investieren.Wir alle in diesem Hause sind uns wohl darüber klar, daß Agrarpolitik eine komplexe Angelegenheit geworden ist,
daß es sich nicht nur um Einkommenspolitik handelt,sondern um einen tiefgreifenden Strukturwandelgrößten Ausmaßes und um die gleichberechtigte Integration der Landwirtschaft in die industrielle Welt. Deshalb kann die Landwirtschaftspolitik bei aller unbestrittenen Vorrangigkeit der Preispolitik — das muß immer wieder mal gesagt werden, sonst geht dies in den übrigen Programmen unter — ihren konkreten Ansatzpunkt nur in der Region finden. Dort beginnt die Vielfalt, und die Vielfalt der Region zwingt uns doch geradezu eine flexiblere Fördergrenze auf, nicht — wie befürchtet wird —, weil wir die Verhältnisse zementieren wollen, sondern weil wir in der Lage sein müssen, bei den Verhältnissen anzusetzen und sie zu verändern.Ich will Ihnen deshalb mit einem Satz die Tragik dieses Programms sagen. Für diese Tragik ist nicht der Bundesernährungsminister in erster Linie verantwortlich,
sondern für den „Maßanzug", wie es der Bundesernährungsminister genannt hat, hat ihm ein anderer, nämlich der Bundeswirtschafts- und -finanzminister, die falschen Maße geliefert.
An ihm lag es doch: daß diese Maße nicht mehr gestimmt haben. Der Bundeswirtschafts- und -finanzminister hat z. B. das Maß gesetzt: Wir werten auf, die Kosten sinken, und dann kann man besser investieren. Den Gefallen, Schlepper in Deutschland billiger zu verkaufen, haben uns die andern aber eben nicht getan.Der inflationäre Kostendruck hat noch nicht nachgelassen, obwohl uns der Bundesernährungsminister in seiner Einbringungsrede versprochen hat, daß die Zügelung der Kosten begonnen habe. Wir sind gespannt, wann diese Entwicklung zum Halten kommt. Das Schlimme an diesem Programm ist also, daß es daran leidet, daß bei dem inflationären Kostendruck die Förderschwelle zu hoch und die Hilfen — ohne Investitionsbeihilfe, nur mit Zinsverbilligungen — zu gering sind, so daß bei sinkenden Preisen — wie es doch bei der Veröffentlichung dieses Programms aussah — keine Chance bestand, sinnvoll zu investieren.Wir brauchen in gewissen Regionen die flexibleren Schwellen, damit — das ist der entscheidende und wichtige Satz, und zu diesem Satz sollten wir alle in diesem Hause uns durchringen — das Kernstück unserer Agrarstruktur, der durchrationalisierte, gesund strukturierte bäuerliche Betrieb bleiben und fortentwickelt werden kann — neben allen übrigen Formen der Landwirtschaft im Nebenberuf.Es ist ein großes Verdienst, daß die Nebenerwerbslandwirtschaft in diesen Grünen Bericht aufgenommen worden ist. Plötzlich entdeckt man sie, aber plötzlich scheint man sie, weil sie ja der einzig geringe Lichtblick ist, auch hochjubeln zu wollen. Hier darf ich vielleicht etwas anfügen, was in der Öffentlichkeit so nicht dargestellt werden kann. Man sagt — und es gibt Artikel in dieser Richtung —: Der Landwirtschaft geht es gar nicht so schlecht, weil ja etwa 60 % Nebenerwerbsbetriebe sind und weil diese Nebenerwerbsbetriebe ein Ein-
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Dr. Frühkommen haben, das man bei der Gesamtrechnung dazurechnen muß. Niemand redet von der Mehrleistung und von der Mehrarbeit. Mir kommt das gerade so vor, als ob nächstens jemand — darauf warte ich — argumentiert: Auf Tariferhöhungen werden alle Beamten, Angestellten oder wer auch immer verzichten, deren Frauen etwas dazuverdienen oder die abends Versicherungen abschließen oder sonst etwas arbeiten; denn dieser Gruppe geht es ja insgesamt nicht schlecht.So kann doch dieses Argument auf keinen Fall verkehrt und die schwierige Situation der hauptberuflichen Landwirtschaft dadurch verkleinert und verniedlicht werden.Ich muß zum Schluß kommen; ich sehe die Lampe leuchten. Ich glaube, der langjährige und oft mit Erbitterung in diesem Hause geführte Prinzipienstreit, ob Struktur oder Preise, ist heute hinfällig geworden; darüber sind wir uns alle einig. Wir wissen, daß es keine Alternative gibt, kein Entweder/Oder, sondern nur die eine konstruktive Antwort: Preise und Struktur. Wir wissen das ist ja das Generalthema , daß die Marktlage und die notwendige Übereinstimmung von sechs und bald auch von zehn Partnern diesem Konzept Grenzen setzen; das wissen wir alle.Wenn dem aber so ist, dann muß doch zum mindesten ein Förderprogramm mit so günstigen Bedingungen entwickelt werden, damit die notwendige Anpassung — wobei man nicht verschnaufen kann; sonst vergißt man das Schnaufen in dieser europäischen Konkurrenz auch noch sinnvoll ist.Die Tragik der letzten zwei Jahre ist doch gewesen, daß im Verhältnis zu den inflationären Kostensteigerungen, die nicht auf das Konto dieses Ernährungsministers gehen, die Preise zu gering, die Kosten zu hoch und die Förderkonditionen zu schlecht waren, um sich anpassen zu können.
Eine von der Preis- und 'Förderpolitik doppelt in die Zange genommene Landwirtschaft — und so war es doch — kann und darf sich jedoch nicht mit sozialen Hilfen abspeisen lassen. Hier gibt es nur eine einzige richtige Reaktion — und leider zeichnet sie sich ab : die Resignation.Es ist bedauerlich, wenn das Ifo-Institut darauf hinweist, daß wir vor der Tatsache stehen, daß die besten jungen Leute langsam beginnen, zu resignieren und die Flinte ins Korn zu werfen — ausgerechnet die Leute, die wir auf dem künftigen schweren Weg der Landwirtschaft in die Zukunft brauchen würden.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Ich habe nur noch einen Satz, Herr Präsident.
Um diese Resignation der jungen Leute, die bisher unter großen Opfern Betriebe aufgebaut haben, die Erstaunliches leisteten und leisten, zu verhindern — wir können sie uns in der Landwirtschaft
nicht leisten —, gibt es in diesem Hause nur eine Möglichkeit: daß wir gemeinsam das Einkommenstief, in das die Landwirtschaft geraten ist, möglichst rasch wieder überwinden, damit es auf diesem Weg in die EWG weitergehen kann. Sie dürfen sicher sein, Herr Minister, daß wir von der CDU/CSU dazu, wenn es sich um vernünftige Vorschläge handelt, jederzeit die Hand bieten. Wir können nur staunen, Herr Gallus, daß Sie selbst bei so klaren Forderungen wie z. B. nach einer Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht über Ihren Schatten springen konnten, obwohl es um das Schicksal der Landwirtschaft geht.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine Vorbemerkung an die Adresse meines Kollegen Früh. Es ist ein Vorteil für Sie, Herr Kollege Früh, daß Sie noch so jung in diesem Hause sind und daher die Entwicklung der Agrarpolitik seit dem Jahre 1958, seitdem die EWG besteht, nicht mitverfolgt haben. Ich bin Ihnen aber nicht böse, zumal Ihre Ausführungen eine verhältnismäßig freundliche Note zeigten. Ich möchte Ihnen nur sagen, daß Sie in einigen Punkten allerdings sehr tief in die alte Mottenkiste hineingegriffen haben. Das Thema „Aufwertung 1969 und deren Folgen" hängt uns allmählich zum Halse heraus.
Dabei verschweigen Sie wohlweislich die übrigen Leistungen der Bundesregierung.
— Nein, jetzt noch nicht!
Herr Abgeordneter Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Früh?
Also schön!
Herr Kollege Schmidt, können Sie mir wirklich die „alte Mottenkiste" ankreiden, wenn erst jetzt in „Wissenschaftliche Publikationen", Heft 1, Jahrgang 1972, die Wirkungen von Aufwertung und Schweinezyklus dargelegt werden? Ich kann nicht schneller als die Wissenschaft sein.
Das ist eine wissenschaftliche Publikation. Ich kann Ihnen andere zeigen, die zu ganz anderen Ergebnissen kommen.
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Dr. Schmidt
Aber lassen Sie mich noch eine weitere Vorbemerkung machen. Sie haben gesagt das ist mir imSinn geblieben , es gebe ein geflügeltes Wort, wonach die deutsche Landwirtschaft barfuß in die EWG gegangen sei. Sie haben nicht das Wort „barfuß" benutzt, sondern Sie haben von „dünnen Socken" gesprochen. Aber sagen Sie doch einmal, wer sie denn mit „dünnen Socken" in die EWG geschickt hat. Haben Sie nicht damals die volle Verantwortung gehabt? Hätten Sie die Landwirtschaft nicht über ein Jahrzehnt lang auf diesen Tag vorbereiten können? Wir hätten einen Minister Pisani nötig gehabt. Sie haben aber die Sache sogar noch verharmlost und gesagt: Es wird schon nichts passieren. Heute kriegen wir den Druck zu spüren. Sie hätten sich früher darauf einstellen können.
Eine letzte Bitte an Sie. Sie haben zu Beginn Ihrer Ausführungen gesagt, es sei für Sie im Augenblick sehr schwer, die europäischen Verhandlungen zum Gegenstand der Debatte zu machen. Das meine ich auch. Deswegen sollten Sie Minister Ertl nicht unnötig peinigen und ihm keine Fragen stellen, die er einfach nicht beantworten kann, weil die Entscheidungen erst am nächsten Montag oder Dienstag fallen. Wir sollten nichts tun, was das bisherige Ergebnis verschlechtern könnte.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich im Telegrammstil, im Telexstil einige Bemerkungen zum Agrarbericht machen. Wir meinen, daß der Aussagewert dieses Berichts das wird auch von der Öffentlichkeit allgemein anerkannt — größer geworden ist. Er enthält keine Spekulationen und Verharmlosungen, und dabei ist auch keine Tünche verwendet worden, wie es in Ihren Kreisen schon vor der Drucklegung hieß. Ich meine, es ist ein solider Bericht, der sich mit seiner Aussage sehen lassen kann.Auch die Einbringungsrede von Bundesminister Ertl zeigte die gebotene Nüchternheit. Sie war konzentriert auf die wesentlichen Punkte — verbunden natürlich mit einer Würdigung der agrarpolitischen Arbeit und der zukünftigen Maßnahmen —, und sie hat sogar die kritischen Punkte, Herr Kollege Früh, nicht ausgelassen. Dem können wir nichts hinzufügen. Ich möchte an dieser Stelle für meine Freunde dem Minister Ertl dafür Dank sagen, daß er so offen und so frei hier gesprochen hat.Aus dem Agrarbericht wird noch für uns alle sichtbar, daß die agrarpolitischen Maßnahmen der letzten Jahre, auch in dem Jahre 1970/1971, bis heute weiterentwickelt worden sind, und zwar, wie ich meine, harmonisch weiterentwickelt worden sind. Dem Nachholbedarf agrarpolitischer Entscheidungen ist weitestgehend Rechnung getragen worden.Das Ergebnis dieses Berichts war bereits im vergangenen Jahr zu erwarten und bringt also insoweit nichts Neues.
Ich will das Ergebnis nicht bagatellisieren. Die unerfreuliche Gesamtrechnung ist zu sehen. Aber sieist auch kein Novum in der Agrarpolitik der letzten zehn Jahre, solange wir einen Grünen Bericht haben. Aber Sie weisen doch ständig darauf hin, daß es das einzige Mal in den letzten 15 Jahren sei, wo wir derartige Einkommensminderungen zu verzeichnen hätten. Herr Kollege Löffler hat es schon wiederholt angedeutet. Es gibt viele Zitate aus Ihren eigenen Reden, vom Kollegen Struve und von Herrn Bauknecht, über schwierige Situationen in den sechziger Jahren und auch vorher.
Im übrigen: für das Wirtschaftsjahr 1970/71 haben wir ja eine gleiche und ähnliche Tendenz auch bei unseren Nachbarländern. In Belgien haben wir sogar Einkommensminderungen bis zu 20%.
Ich frage Sie: Sieht sich unter diesem Gesichtspunkt nicht die Lage bei uns ganz anders an?Wir wissen also — das ist das Gesamtergebnis —,daß die gesamtwirtschaftliche Entwicklung
und deren Bindungen sich immer deutlicher auf der Kostenseite niederschlagen und ebenso einkommenswirksam sind wie die Ernten und die Marktlage. In den beiden ersten Fällen kann der Landwirt nichts dazu; das geht ohne ihn ab. Aber was den Markt angeht — das möchte ich hier doppelt und dreifach unterstreichen —, da trägt die Landwirtschaft eine Mitverantwortung. Die kann ihr auch niemand abnehmen.Staatlicherseits, Herr Dr. Früh, ist in dem genannten Wirtschaftsjahr doch alles getan worden, was man überhaupt tun konnte. Die Interventionen sind maximal ausgeschöpft worden. Ich möchte Ihnen sagen: es gab und es gibt keine Möglichkeit — auch in Zukunft nicht —, die politische Verantwortung für den Markt zu verstärken. Ich fürchte das Gegenteil und rechne damit, daß im Rahmen der Zehnergemeinschaft die politische Verantwortung für den Markt zugunsten der Eigenverantwortung weiter abgebaut wird. Der Bundestag hat doch der Landwirtschaft zwei Instrumente für das Marktverhalten gegeben: das Absatzfondsgesetz und das Marktstrukturgesetz. Ich bin der Meinung — es ist für mich eine gewisse Enttäuschung, das sagen zu müssen —, daß die Landwirtschaft die Chancen des Marktstrukturgesetzes nicht genützt hat. Man kann doch das nicht länger hinnehmen, was von Jahr zu Jahr passiert: Wenn es gut geht, haben die landwirtschaftlichen Organisationen das Nötige getan; geht es schlecht, dann werden die Politik und die Regierung dafür verantwortlich gemacht.
Ich meine, aus diesen Gründen und gerade nach dem Ergebnis 1970/71 muß der Landwirtschaft mehr Verantwortung im Markt zugebilligt werden. Da helfen keine schönen Reden. Müssen denn erst Marktkatastrophen eintreten, Kollege Ritz,
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Dr. Schmidt
— aber das gilt doch für unseren Raum! —, müssen denn erst Marktkatastrophen eintreten, um der Landwirtschaft und dem letzten Betrieb klarzumachen, daß in dem gegenwärtigen Run um die die Marktanteile sogar die Existenz insgesamt gefährdet ist? Gewiß, ich räume ein, wir haben auf vielen Teilmärkten den Verdrängungswettbewerb. Aber wie beseitigt man diesen Verdrängungswettbewerb?
Sicher nicht dadurch, daß man die Verantwortlichkeiten dafür allein der Regierung und der Politik zumutet. Auch die Landwirtschaft selbst muß ein Teil Verantwortung dafür übernehmen.
— Herr Kollege Ritz, denken Sie nur an das berühmte Beispiel der Gemüsekonserven. Wir haben das untersuchen lassen. Folgendes war das Ergebnis. Ein Teil der Belastung stammt zwar aus der Aufwertung, aber nur ein Teil. Die größere Belastung entstand aus einer Konstruktion auf dem Weg vom Erzeuger bis zur Gemüsekonservenfabrik. Solange wir das nicht in den Griff bekommen — das ist Sache der Landwirtschaft selbst —, können wir über Verdrängungswettbewerb nicht klagen.Meine Damen und Herren und Herr Bundesminister, mir scheint es an der Zeit, daß wir uns das Marktwesen in der Bundesrepublik insgesamt vornehmen und durchleuchten — es ist ja seit 20 Jahren fest eingefroren — und die Förderungsmaßnahmendahin gehend überprüfen, damit wir, um es kurz zu sagen, zu neuen Ufern gelangen können. Ich will keine weiteren Einzelheiten zum Markt sagen.Lassen Sie mich ein paar kurze Bemerkungen zur Preispolitik machen. In den letzten Wochen wurden Schauermärchen darüber erzählt, daß unser Preisniveau unter das des Jahres 1961/62 gerutscht ist.
Es sind Schauermärchen; denn das heutige Preisgefüge, meine Kollegen von der Opposition, ist doch nicht nur das Ergebnis der letzten zwei Jahre, sondern es ist das Ergebnis der letzten eineinhalb Jahrzehnte. Da haben Sie doch mit entscheidende Verantwortung getragen.
Ich mache Ihnen aus gewissen Entscheidungen in Brüssel gar keinen Vorwurf.
Das werde ich nie tun und habe ich auch in der Vergangenheit nicht getan. Aber wir wissen doch um die unterschiedliche Interessenlage bei unseren Partnerstaaten, die in der Zehnergemeinschaft noch viel stärker werden wird. Wir wissen doch um die eifrigen und konsequenten Bemühungen der Bundesregierung um die Veränderung im Preisgefüge; das alles können Sie doch nicht wegwischen. Ich binüberzeugt, daß wir auch am kommenden Montag/Dienstag vernünftige Lösungen erfahren werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ritz? — Bitte.
Herr Kollege Dr. Schmidt, wollen Sie, wenn Sie hier auf das Preisgefüge eingehen, nicht wenigstens einräumen, daß selbst die Sachverständigen zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in ihrem Jahresgutachten 1972 klipp und klar aussagen, daß die Erzeugerpreise im Wirtschaftsjahr 1970/71 um rund 8 % gesunken sind, während die Betriebsmittelpreise um 6 bis 8 % gestiegen sind? So steht das im Jahresgutachten unter der Ziffer 83.
Wir haben diesen Tatbestand nicht geleugnet, er kommt auch im Agrarbericht im Gesamtergebnis deutlich zum Ausdruck. Aber Sie können doch nicht leugnen, daß sich Bundesminister Ertl, solange er im Amt ist, erstens bemüht hat, weitere Senkungen zu verhindern, und zweitens voriges Jahr in der Anhebung der Erzeugerpreise erfolgreich war. In diesem Jahr stehen wir wieder vor dem Problem, und ich bin überzeugt, er wird dabei erfolgreich sein.
Wir wissen aber auch — darin sind wir uns einig —, daß selbst diese Anhebung der Erzeugerpreise nur dann ihre dauerhafte Sicherung hat, wenn wir zu einer Wirtschafts- und Währungsunion kommen. Wenn das nicht geschieht, wird das Stückwerk bleiben, da sind wir uns einig.
Aber Sie wollen doch nicht leugnen, daß die Wirtschafts- und Finanzminister in der vorigen Woche mit der Einführung der ersten Stufe einen ganz entscheidenden Schritt getan haben. Gewiß: erst zum Juli dieses Jahres. Wir haben bisher nur Hoffnungen; wir sehen einen Silberstreifen am Horizont. Hoffentlich bleibt das so und wird keine Fata Morgana. Aber dieser ernsthafte Versuch ist von allen Partnern anerkannt worden. Es gibt keine Meinungsverschiedenheiten. Ich habe selbst in der Wirtschaftsdebatte keinen Versuch von Ihrer Seite gehört, dieses Ergebnis zu bagatellisieren.Mit diesem Eintritt in die erste Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion wird nach meiner Ansicht auch die Agrarpolitik in der EWG eine andere Rolle haben. Es wird aber auch weitere Konsequenzen für die Produktion und für die Arbeitsteilung haben. Ich darf hinzufügen: es wird auch Konsequenzen für das Preisgefüge haben.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich angesichts der Zeit schnell noch eine dritte Bemerkung zur Strukturpolitik ganz allgemein machen. Sie ist heute Gott sei Dank ein entscheidender Bestandteil unserer Agrarpolitik überhaupt. Das war nicht
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Dr. Schmidt
immer so. Wir haben lange darum kämpfen müssen, vielleicht am Ende sogar gemeinsam kämpfen müssen. Der Rückgang um über 83 000 Betriebe, Kollege Früh, hat zwar Schlagzeilen gemacht. Sie haben es nicht gesagt; ich will es nur sagen. Ich halte ihn nicht für ein Krisengespenst, und ich halte diese Entwicklung auch nicht für außergewöhnlich, auch nicht für besorgniserregend. Denn selbst zu Höcherls Zeiten hat es in einem Jahr einmal einen Rückgang um fast 100 000 Betriebe gegeben. Gucken Sie in den Zahlen nach! Dieser Rückgang zeugt doch nur davon, daß das Bewußtsein der Menschen wach wird, daß landwirtschaftlichen Existenzen gewisse Grenzen gesetzt sind.
Dieser Prozeß der Veränderung wird sich verstärken, er wird weitergehen, und niemand, auch keiner in Ihren Reihen, wird ihn aufhalten können; vielleicht auch nicht wollen.Ich meine — das ist meine persönliche Überzeugung —, wir werden erst dann von einer gesamtwirtschaftlich ausgewogenen agrarpolitischen Struktur reden können, wenn der Anteil der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft zwischen 4 und 5 0/0 liegen wird. Das werden wir bald erreichen, auch ohne jeden politischen Eingriff. Das wird auch nicht dadurch aufzuhalten sein, daß man der Landwirtschaft neue Aufgaben — Umweltschutz, Landschaftspflege — zumutet.Nun, meine Damen und Herren, über das künftige Bild der Landwirtschaft brauchen wir uns nicht zu unterhalten. Es wird sicher genauso bunt sein wie bisher. Es war für mich verblüffend, im Ausschuß bei der Generalaussprache zum Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte zu hören, daß Sie die Entwicklung im Grunde genommen genauso prognostizieren, wie ich es eben getan habe.
— Ja, da war ich verblüfft; denn wir haben bisher immer etwas ganz anderes gehört.
Anläßlich einer zentralen Tagung über sozio-ökonomische Beratung in Bonn im Beisein des Bundesernährungsministers und des Bauernverbandspräsidenten Heereman habe ich meinen Standpunkt zu dieser Frage genauer umrissen und die Problematik aufgezeigt. Das möchte ich im Grunde genommen auch hier tun, damit es zu keinen Mißverständnissen kommt. Aber aus Zeitgründen darf ich mir erlauben, diesen Teil, den ich sogar ausgearbeitet habe, nachher zu Protokoll zu geben.Zum Thema Struktur nun noch drei abschließende Bemerkungen. Herr Kollege Früh, Sie haben das Förderungsprogramm hier erwähnt, waren in der Beurteilung allerdings viel zahmer als früher. Ich erinnere mich nur an die verketzernden Bemerkungen gerade aus Ihren Reihen. Das ist jetzt alles in Wohlgefallen aufgelöst. Bei der Diskussion der Fortschreibung war sogar eine Atmosphäre der Gemeinsamkeit zu spüren. Ich kann Ihnen dazu nur meineGlückwünsche aussprechen. Ich meine, daß man gerade auch bei der Betrachtung des Kapitels „Fremd- und Eigenkapital" in diesem Agrarbericht daraus die Konsequenzen ziehen muß, so daß dieses Förderungsprogramm im Grunde genommen genau die richtige Lösung ist.Ein Wort noch zu den überbetrieblichen Strukturmaßnahmen. Sie laufen bei uns seit fast zwei Jahrzehnten. Ich hielte es für an der Zeit, daß wir dabei einmal Zwischenbilanz ziehen, um zu sehen, was noch weitergehen muß, was man abbauen kann und was in Zukunft verstärkt werden muß. Um eine solche Zwischenbilanz werden wir uns sicher im Ausschuß gemeinsam bemühen.Eine Bemerkung zur EWG-Agrarstrukturpolitik. Meine Damen und Herren, da haben wir sehr viele Pläne hinter uns. Sie liegen alle im Papierkorb. Anstelle maximaler Forderungen haben wir eine pragmatische Gangart mit einem Plafond eingeschaltet. Wie ich den Zeitungen entnehme, hat es über diesen Plafond ausführliche Diskussionen gegeben. Ich hoffe nur, daß es dabei bleibt, denn unsere grundsätzliche Haltung zur EWG-Agrarstrukturpolitik hat sich nicht geändert. Wir möchten meinen, daß auch die Regierung diesen Standpunkt beibehält.Nun noch drei Sätze zu einem weiteren Komplex, zur Sozialpolitik. Sie gehört neben der Markt-, der Preis- und der Strukturpolitik zu den wichtigsten Kapiteln. Die Sozialpolitik hat es schwer gehabt, Eingang in die Agrarpolitik zu finden. Wir haben uns 15 Jahre lang ununterbrochen darum bemüht, und das Jahr 1972 dürfte einen Höhepunkt in den agrarsozialen Entscheidungen bringen. Wir meinen, daß damit die Sozialpolitik endgültig ein voll- und gleichwertiges Instrument der Agrarpolitik geworden ist. Wir zeigen darüber tiefste Genugtuung.Lassen Sie mich zum Schluß kommen.
Ich habe bewußt in meinen kurzen Darlegungen
die in dieser Regierungszeit erreichte politische Gleichwertigkeit der vier Säulen hervorgehoben. Damit ist keine Wunderwaffe entstanden, aber diese gesetzliche und politische Gleichwertigkeit bietet die beste Gewähr dafür, daß erstens die Entwicklung in der Landwirtschaft pragmatisch weiterverläuft und daß zweitens die Spannungen und Krisen vermindert werden. Und, Herr Kollege Früh, sie bietet auch Gewähr dafür, daß die negativen Auslesen in unserem Nachwuchs vermieden werden.Ich gebe zu, daß diese vier Kriterien in jedem Lande der EWG verschieden beurteilt werden. Dies ist auch die Ursache dafür, daß wir in der Agrarpolitik bis heute viel Krampf fabriziert haben.
Hier liegt auch der Grund dafür, daß viele der — so möchte ich sagen — die Zukunft belastenden Ungereimtheiten entstanden sind, die nur mit sehr viel Mühe bereinigt werden können. Der Kollege Ertl hat in diesen zwei Jahren den Geschmack da-
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Dr. Schmidt
für bekommen, wie viele Ungereimtheiten hier in Zukunft zu beseitigen sind.
Wir wissen, daß der Handlungsspielraum für uns eingeengt ist. In der Zehnergemeinschaft wird die Zahl der offenen Fragen für die Landwirtschaft nicht kleiner, sondern wahrscheinlich größer werden.
Aber lassen Sie mich abschließend sagen: Landwirtschaft hat es immer gegeben und wird es auch und gerade in unserem Lande immer geben. Sie steht zur Zeit — seit Jahren — vor großen Problemen, vielleicht vor den größten Probleme seit der Jahrhundertwende. Aber ihre Lage wird ja von allen übrigen Gesellschaftsgruppen gewürdigt, und insoweit steht sie also nicht auf verlorenem Posten, Herr Kollege Früh. Aber den Standort der Landwirtschaft in dieser Gesellschaft bestimmt nicht die Politik, sondern diesen Standort bestimmt die Landwirtschaft selber. Darüber sollten wir uns klar sein. Und dazu, daß die Landwirtschaft das erkennt, meine Damen und Herren, sollten wir alle beitragen.
Herr Abgeordneter Schmidt , seit zwei Jahren werden hier keine Reden mehr zu Protokoll genommen.
Das kann ich also leider nicht akzeptieren.
— Einmal! — Entschuldigen Sie, Herr Kollege. Bitte, Herr Abgeordneter Gallus!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Früh habe ich persönlich — es wird manchem hier im Saal so gegangen sein als einen groß angelegten Versuch der Opposition betrachtet, sich auf leisen Socken aus der EWG-Verantwortung zu schleichen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier kann doch heute morgen niemand sagen, er wisse eigentlich nicht, was in Brüssel geschehen sei. Wenn in Brüssel in den letzten Tagen Negatives geschehen wäre, hätte es die Opposition gewußt.
Nachdem aber heute morgen in der „Frankfurter Allgemeinen" zu lesen steht „Beachtlicher Erfolg Ertls beim Agrar-Marathon in Brüssel", hat man so getan, als wüßte man das nicht.
Ich glaube, das muß hier zunächst einmal festgestellt werden.
Der Agrarbericht 1972 der Bundesregierung über das Wirtschaftsjahr 1970/71 liegt vor und wurde von Bundesminister Ertl am 2. März in diesem Hohen Hause eingebracht.
Herr Abgeordneter Gallus, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Bewerunge?
Nein, meine Zeit ist viel zu knapp, als daß ich etwas davon verschenken könnte.
Herr Abgeordneter Gallus, für Sie sind 45 Minuten Redezeit angemeldet. Ich gebe Ihnen natürlich einen Zuschlag, wenn Zwischenfragen gestellt werden.
Herr Präsident, ich werde mich bemühen, in weniger als 45 Minuten fertig zu sein.
Ich ,danke Ihnen für diese Bemühungen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Agrarbericht hat für die deutsche Landwirtschaft wenig Erfreuliches aufzuweisen. Das wird von mir unumwunden zugegeben. Die Disparität zu vergleichbaren Berufen ist stark gestiegen, der Strukturwandel hat sich verstärkt. Die Stellungnahme des Deutschen Bauernverbandes beginnt mit dem für die Bundesregierung sehr harten Satz:Der Agrarbericht 1972 beweist, daß die Bundesregierung ihr agrarpolitisches Ziel, die volle Beteiligung der Landwirtschaft an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung, nicht erreicht hat.Es hätte dabei der berufsständischen Vertretung gut angestanden, zu sagen: „bis jetzt" nicht erreicht.
Dieser Bericht macht nämlich nur Aussagen über ein Wirtschaftsjahr. Das darf ich doch hier einmal in aller Sachlichkeit feststellen. Schon nachdem die erste Hälfte des Wirtschaftsjahres 1970/71 vorüber war, hat es an Hochrechnungen und Vorausschauen nicht gefehlt, um das schlechte Ergebnis vorwegzunehmen und in die agrarpolitische Auseinandersetzung einzubringen.
Die Lust zu Hochrechnungen für das neue Wirtschaftsjahr 1971/72 scheint allerdings bei den Länderagrarministern der CDU nicht im gleichen Maße vorhanden zu sein wie im vergangenen Jahr.
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GallusFür die deutsche Landwirtschaft muß das der untrügliche Beweis dafür sein, daß die Opposition hier und anderswo die Schwierigkeiten
im agrarischen Bereich gern hochspielt, jedoch selbst kein besseres Konzept anzubieten hat, um in dem schwierigen Stadium der EWG-Anpassung einen gangbaren Weg für die deutsche Landwirtschaft aufweisen zu können.
Ich wiederhole, was ich vor einem Jahr gesagt habe. Wer bei der Verabschiedung der EWG-Verträge geglaubt hat, in der Zukunft würde sich alles ohne Probleme vollziehen, der ist im Halbschlaf in die EWG hineingetaumelt. Wo waren denn die Agrarminister der CDU, als es galt, beim Aufbau der EWG die Interessen der deutschen Landwirtschaft zu wahren?
Es darf wohl immer noch festgestellt werden, daß der traurigste Markstein auf dem Marsch in die EWG der Beschluß von Anfang Dezember 1964 war, den Getreidepreis von 475 auf 425 DM pro Tonne Weichweizen zu senken.
Das war für den damaligen CDU-Wirtschaftsminister Schmücker der schönste Tag seines Lebens.
Der Deutsche Bauernverband hatte zu diesem Zeitpunkt vom damaligen Bundeskanzler Erhard das Versprechen des vollen Ausgleichs für die deutsche Landwirtschaft erhalten. Aber dieses Versprechen wurde nie eingelöst.
Der Beschluß vom Dezember 1964 wurde ab 1. Januar 1967 wirksam, und der Erzeugerpreisindex beweist es. Wenn wir das Jahr 1966 gleich 100 setzen, haben wir 1967 92,9, 1968 92,7, 1969 98,9 und 1970 97,9.Wie schwer es ist, in Brüssel Preiszugeständnisse mit den übrigen Partnern auszuhandeln,
das haben die letztjährigen Preisverhandlungen ebenso bewiesen wie die diesjährigen. Unser Bundeslandwirtschaftsminister Ertl hat zum erstenmal als Agrarminister der Bundesrepublik die Interessen der deutschen Landwirtschaft in Brüssel wirkungsvoll vertreten.
Durch die vorgezogene, einseitige Integration des Agrarmarktes,
Herr Abgeordneter Früh, der Abgeordnete Gallus gibt nicht die Erlaubnis zu Zwischenfragen. Das ist sein Recht. Ich habe darüber nicht zu verfügen.
..., die bewußt betrieben wurde, sind die Probleme der EWG agrarpolitisch erst entstanden. Der Grüne Dollar und keine gemeinsame Währung lassen durchaus Zweifel als berechtigt erscheinen, ob das Gesamtsystem, das geschaffen wurde, für die Zukunft tragfähig ist, wenn eine gemeinsame Währung ausbleibt. Wir haben aber die Hoffnung, daß es dieser Regierung gelingen wird, eine gemeinsame Wirtschafts- und Währungsunion voranzutreiben.
— Wir haben dafür Beweise nicht nur auf Grund der Konferenz von Den Haag, sondern auch auf Grund der jüngsten Beschlüsse in Brüssel und der derzeitigen Haltung Frankreichs, die, wenn ich die Dinge richtig sehe, eine ganz andere ist als zu der Zeit, als Ihre Minister mit Herrn de Gaulle verhandeln mußten.
In diesem Zusammenhang ein Wort zur letzten nationalen Möglichkeit, zur Anhebung des Trinkmilchpreises am 1. Februar 1971. Die vom Bundeslandwirtschaftsminister Ertl verfügte Verordnung hat sich positiv auf den Milchauszahlungspreis ausgewirkt.
Im Schnitt — das kommt im nächsten Grünen Bericht 1971/72 zum Ausdruck — sind 1971 die Milchauszahlungspreise ich habe mir die Zahlen der einzelnen Länder geben lassen — um 3,2 Pfennig gestiegen. Es gibt aber auch Länder, in denen der Anstieg erheblich höher ist. Dazu zählen auch weite Gebiete von Baden-Württemberg.
— Ich rede keine Stunde, Herr Kollege Früh; ich will hier Zeit sparen. Ich sage Ihnen aber eines— das müssen Sie sich sagen lassen —: Der CDU/ CSU-Opposition blieb es vorbehalten, durch einen ihrer Abgeordneten die Bundesregierung zu fragen,, was diese unternehmen würde, um den Anstieg des Trinkmilchpreises zu verhindern.Als eine der herausragendsten Zahlen im Agrarbericht 1972 muß richtigerweise die Zahl der 83 000 ausgeschiedenen Betriebe gesehen werden. Es ist zu fragen, ob dies schädlich ist. Nüchtern analysiert waren es 68 000 Betriebe der Zu- und Nebenerwerbs-
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Galluslandwirtschaft, die aufgegeben haben und andererseits dazu beitrugen, daß die Vollerwerbsbetriebe zugenommen haben.Es darf als bekannt vorausgesetzt werden, was die CDU/CSU in ihrem Entwurf eines Gesetzes zur Nachversicherung landwirtschaftlicher Unternehmer in der gesetzlichen Rentenversicherung — Drucksache VI/438 — zur Begründung ausgeführt hat. In dieser Drucksache heißt es — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten :Dieser Vorschlag beruht auf der Erwägung, daß der Strukturwandel der deutschen Landwirtschaft in den letzten Jahren aus gesamtwirtschaftlichen Überlegungen vor allem durch die vorzeitige Verwirklichung des gemeinsamen Agrarmarktes — ausgelöst worden und im Interesse des weiteren Wachstums der industriell-gewerblichen Wirtschaft zu beschleunigen ist.Ich will nicht sagen, daß dies die Agrarier der CDU/ CSU formuliert haben. Ich darf aber doch wohl annehmen, daß die ganze Fraktion der Opposition hinter diesem Antrag stand, und ich muß annehmen, daß die Agrarier der CDU/CSU das gelesen haben.Nun ist die Frage aufzuwerfen: Wo liegen die Gründe für die schlechte Ertragslage 1970/71?Es ist hier bereits von Herrn Kollegen Schmidt davon gesprochen worden, daß sich der Schweinezyklus über ein Dreivierteljahr negativ auf das Gesamtergebnis ausgewirkt hat. Ich sage Ihnen, es war nicht so, daß im Zusammenhang mit der Ostpolitik die Preise für uns schlechter waren, sondern wir sind dadurch, daß wir die Exporte an Schweinen in Drittländern von 1970 auf 1971 von 2400 t auf 28 200 t — vornehmlich in die Ostblockstaaten — erhöht haben, verhältnismäßig günstig über diese ganze Situation hinweggekommen.
Ich sage das hier in aller Deutlichkeit gegenüber dem, was Sie draußen dem Volk erzählen.Die Bundesregierung hat durch Erhöhung der Abschöpfungen, Erhöhung der Exporterstattungen, Lagerbeihilfen, Werbung und dergleichen einiges beigetragen.Die geringere Getreideernte in diesem Berichtsjahr war eine Tatsache, für die man keine Regierung verantwortlich machen kann, höchstens den Herrgott. Und ich nehme an, daß Sie vielleicht bessere Beziehungen dorthin haben.
Wir jedenfalls müssen uns mit den Realitäten auseinandersetzen. Die Kostenentwicklung wird von uns nicht bestritten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen der Opposition, was die Verlagerung der Warenströme in der EWG auf Grund der Aufwertung betrifft, stimmen Ihre Aussagen überhaupt nicht. Tatsache ist vielmehr, daß die Zufuhren aus der EWG in die Bundesrepublik Deutschland 1970 gegenüber 1969 um 5%, die Zufuhren aus der Bundesrepublik Deutschland in die EWG in dem gleichen Zeitraum um 11 % gestiegen sind. Im ersten Halbjahr 1971 haben wir gegenüber dem ersten Halbjahr 1970 aus der EWG in die Bundesrepublik Deutschland ein Plus von 15 % und aus der Bundesrepublik in die EWG ein Plus von 19 %.
Ich glaube, Sie müssen in diesem Zusammenhang einmal anerkennen — ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht —, daß der Agrarexport in einem nie dagewesenen Ausmaß gestiegen ist.
Dabei möchte ich die Arbeit der CMA durchaus positiv bewerten, soweit nicht mit Bauern- und Staatsgeldern großzügigst umgegangen wurde. Schade, daß Herr Kollege Klinker nicht ,da ist.
Es wird angesichts dieser Gesamtsituation der Opposition nicht gelingen, Bundesminister Ertl zum Sündenbock agrarpolitischer Versäumnisse der CDU/CSU zu machen.
Ertl hat nicht nur in Brüssel um bessere Preise gekämpft, er hat auch auf nationaler Ebene bei seinem Amtsantritt die Haushaltsansätze des Einzelplans 10 im Jahre 1970 gegenüber der langjährigen mittelfristigen Finanzplanung von Franz Josef Strauß um rund 500 Millionen DM aufstocken können.
Ja, ich muß sagen — wenn es Ihnen auch nicht gefällt —, die Aussichten für die deutsche Landwirtschaft unter einem künftigen Finanzminister Franz Josef Strauß wären schrecklich.
Der Versuch der Opposition, den letzten Haushalt pauschal zu kürzen, hätte in erster Linie eine Gefahr für den Agrarhaushalt bedeutet.Franz Josef Strauß hat nämlich 1967 und 1968 gezeigt, wo er mit dem Rotstift ansetzen würde, nämlich zuerst bei der Landwirtschaft. Diese Regierung hat im Haushalt 1971 alle verfügbaren Reserven des Einzelplans 10 der Landwirtschaft zugute kommen lassen.
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10380 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972
GallusNun komme ich zu den 480 Millionen DM. Herr Kollege Früh, auch der Staat kann als guter Haushalter das Geld nur einmal ausgeben.
Sie können doch nicht glaubhaft machen, wir hätten nicht gewußt, daß in 'diesem Haushalt noch Mittel sind. Wir haben sie aber 'zu dem Zeitpunkt ausgegeben, von dem wir glaubten, daß es für die Landwirtschaftvernünftig war. Wir haben im letzten Jahr insgesamt sogar 680 Millionen DM ausgegeben. Der Unfallversicherung sind 160 Millionen DM zugewiesen worden, und in diesem Jahr brauchen 'die Unfallversicherungen nicht etwa auf ihre Rücklagen zurückzugreifen, sondern sie können ihre Aufwendungen aus den Betriebsmitteln decken, die zu 50 % durch die Zuschüsse von seiten des Bundes angesammelt werden konnten. Auch das darf in diesem Zusammenhang einmal gesagt werden.Ich stelle mir die Frage: Hätte 'die Opposition mehr getan? Darauf kann jeder neutrale Beobachter nur nein sagen.
Man kann vielmehr sagen — jetzt müssen Sie gut hinhören —:
Die Haltung von Strauß bei der mittelfristigen Finanzplanung, die Anfrage bei der Trinkmilchpreiserhöhung, die Begründung des Nachzahlungsantrags zur Rentenversicherung,
die Haltung einiger CDU-Abgeordneter im Finanzausschuß bei der Schaffung des § 2 a im Einkommensteueränderungsgesetz wegen der Verlustübertragung bei der gewerblichen Veredelung sind für mich der schlagende Beweis, wie wenig eine von der CDU geführte Regierung bereit wäre, der Landwirtschaft zu helfen.
Für uns gilt es aber, in die Zukunft zu schauen. Zwei wichtige Änderungen im agrarsozialen Bereich liegen vor, als erstes die Einführung der berufsständischen Krankenkasse. Sie geben doch zu, daß die CDU/CSU sich hier völlig vergaloppiert hat.
Ich nehme an, die Zustimmung der Opposition zu diesem Gesetz ist gesichert. Die Übernahme der alten Last durch die Regierung bedeutet, daß unsere bäuerlichen Rentenempfänger keinen Beitrag zur Krankenversicherung mehr zu zahlen brauchen, jedoch voll versichert sind. Die Beiträge der Aktiven können vernünftig gestaltet werden. Die Stellungnahmen des Bundesverbandes der AOK und anderer Verbände, daß man ihnen das gute Versicherungsrisiko abnehme, müssen dem letzten vollends die Augen öffnen, daß diese Bundesregierung mit der berufsständischen Krankenkasse richtig liegt. Die Tatsache, daß wir uns dabei einmal auf einer Linie mit dem Deutschen Bauernverband befinden, bedauert die Opposition, und nur deshalb ist sie dagegen.
Ab 1. September dieses Jahres wird das Altersgeld auf 240 DM angehoben, ein Jahr früher, als' es die von der CDU geführten Regierungen früher getan haben. Altersgelderhöhungen gab es bei Ihnen immer erst wenige Monate vor der Bundestagswahl,
damit die Bauern am Wahltag wußten, wem zu danken sei.Ich muß nun auch ein Wort dazu sagen, daß ich im letzten Jahr einen CDU/CSU-Antrag auf Erhöhung des Altersgeldes abgelehnt habe. Das gehört genau in das Kapitel, Herr Dr. Früh, wo die 480 Millionen DM entweder den Bauern direkt gegeben werden konnten oder zur Erhöhung des Altersgeldes dienen konnten. Selbst der Deutsche Bauernverband hat zu diesem Zeitpunkt verlangt, das Geld direkt auszuzahlen. Auch hier gilt: Man kann das Geld nur einmal geben. Es wäre ehrlich, wenn Sie das den Bauern sagten.
Ich bitte um etwas mehr Ruhe.
Meine Damen und Herren, wenn die vorliegenden Gesetzentwürfe die Zustimmung des Parlaments gefunden haben, hat diese Regierung agrasozialpolitisch mehr geleistet als jede andere Regierung zuvor.
In der Zukunft werden die agrarsozialen Leistungen stark ansteigen. 1970 hatten wir 865 Millionen DM, 1973 werden es 2,1 Milliarden DM und 1975 2,4 Milliarden DM sein.
— Ich komme schon darauf, keine Sorge! Die Fragedes Verlustausgleichs da können wir uns einig sein — machen wir zum Wahlkampfthema der Bundestagswahl 1973.
Der Agrarbericht 1972 macht zum erstenmal auch Aussagen über die Neben- und Zuerwerbslandwirtschaft, die ich, weil die Grenzen dort fließend sind, unter dem Begriff Teilzeitlandwirtschaft zusammenfassen möchte. Die Aussagen zu diesem Bereich der Landwirtschaft werden von uns begrüßt. Sie stellen
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972 10381
Galluskeinen Versuch dar, dadurch die Gesamtlage der Landwirtschaft zu verschönern.
Teilzeitlandwirtschaft ist aber eine Realität, und die derzeit laufende Landwirtschaftszählung wird die echte Lage hinsichtlich des Anteils der verschiedenen Gruppen in unserer Landwirtschaft offenlegen. Dies wird in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich sein, und manchem werden nach dieser Zählung die Augen aufgehen.Teilzeitlandwirtschaft ist in meinen Augen keine Konkurrenz zum Vollerwerbsbetrieb. Sie wird in vielen Gegenden in Kooperation mit industrieller Tätigkeit die einzige Möglichkeit sein, die vielseitigen Probleme des flachen Landes zu meistern.
— Herr Dr. Früh, von Ihnen brauche ich in dieser Beziehung deshalb nichts zu lernen, weil ich schon zu einem Zeitpunkt Vorsitzender des Ausschusses für Nebenerwerbslandwirtschaft des Bauernverbandes Württemberg-Baden war, als Sie an diese Dinge noch gar nicht gedacht haben.
In der Agrarstrukturpolitik wurde ein Neuanfang durch das Ertl-Programm gemacht. Dabei gilt wie überall: Aller Anfang ist schwer. Aber eines ist richtig. Die Richtung stimmt beim Ertl-Programm.
In der Tat gibt es dazu keine Alternative. Es gibt keine Alternative.
Es gibt nur einmal einen Streit darüber, ob nicht die CDU für sich in Anspruch nehmen will, es HöcherlProgramm zu nennen, weil ja die Anfänge auf die Zeit Ihres Landwirtschaftsministers Höcherl zurückgehen.
Das wird doch von uns gar nicht bestritten. Sagen Sie doch den Bauern, daß man insgesamt mit der Agrarstrukturpolitik am Ende war. Das müssen Sie den Bauern einmal sagen.
Nun hat unser Herr Bundesminister Ertl schon bei der Ingangsetzung am 1. Juli 1971 seine Bereitschaft erklärt, dieses Programm zu verbessern, sobald man sieht, wie es in den einzelnen Ländern anläuft.Dieses Programm — das wissen Sie genausogut wie ich — geht ab 1. Januar 1973 in die Gemeinschaftsaufgabe der Länder ein. Die Bundesregierung verfährt genau richtig, wenn sie jetzt schon die Länder voll in die Beratungen dieses Programms einbezieht. Wenn aber bei einer der Sitzungen während der Grünen Woche in Berlin ein Landesagrarminister der CDU — und ich kann den Namen hier nennen: Dr. Brunner — erklärt hat, daß er wohlwisse, wie dieses Programm zu ändern wäre, auch in bezug auf Baden-Württemberg, er aber wegen des Wahlkampfs in Baden-Württemberg geschwiegen hat — in bezug auf seine angeblichen Verbesserungsvorschläge —, so ist das ein schlechter Stil der Zusammenarbeit zwischen Ländern und Bund.
Nun, wir haben jetzt schon, nachdem dieses Programm ein halbes Jahr läuft, von seiten der Bundesregierung Initiativen ergriffen, um dieses Programm zu verbessern. Eine flexible Handhabung der Förderschwelle — 20 % Anrechnung des Verdienstes außerhalb der Landwirtschaft — wird in den schwierigen Gebieten mit höherem Grünlandanteil die Schwelle auf rund 16 000 DM bringen.
Für Aussiedlung und Teilaussiedlung stehen Beihilfen mit 60 000 bzw. 42 000 DM zur Verfügung, und die Übergangskredite werden auf 30 000 bzw. 35 000 DM angehoben. Wir wissen schon, was wir tun, wenn wir diese Dinge gemacht haben. Sie sagen, das ist zuwenig. Und ich sage Ihnen: Die Dinge sind sehr unterschiedlich in der Bundesrepublik. Man kann kein Bundesagrarprogramm nur für das Land Baden-Württemberg machen. Das Land Baden-Württemberg muß dann von sich aus zusätzlich I Leistungen erbringen, auch finanzieller Art.
Nun noch etwas. Bei diesen Verbesserungen ist auch vorgesehen, das förderungsfähige Gesamtvolumen der Investitionen von 600 000 auf 1 Million DM heraufzusetzen. Ich bezweifle — ich sage das ganz offen —, ob das richtig ist, solange nicht eine Lösung auf EWG-Ebene gefunden ist, die Veredelungsproduktion in irgendeiner Form an die Bodenproduktion zu binden. Es besteht nämlich die Gefahr, daß die Landwirtschaft immer mehr ihr eigener Konkurrent wird. Das brauche ich nicht zu sagen in bezug auf die süddeutsche Landwirtschaft, das muß ich sagen in bezug auf die norddeutsche Landwirtschaft, wo einige Großunternehmer spielen wollen.
Diese Debatte darf nicht vorübergehen, ohne daß auch die Frage des bäuerlichen Eigentums und seiner Zukunftssicherung angesprochen wird. Bei der Verabschiedung des Städtebauförderungsgesetzes und des Zweiten Einkommensteueränderungsgesetzes sind Entschädigung und Besteuerung landwirtschaftlichen Vermögens an Grund und Boden vernünftig gelöst worden. Auch die Opposition hat diese Lösungen begrüßt. Ich frage mich nur, was der Vorwurf draußen bezwecken soll, „das Eigentum sei in Gefahr". Die CDU vergißt — wie immer — den Beschluß ihres eigenen Landesverbandes Hamburg auf Kommunalisierung von Grund und Boden.
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10382 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972
GallusWer im Glashaus sitzt, soll doch nicht mit Steinen werfen.
Diese Regierung hat eine klare Konzeption in der Agrarpolitik.
— Da gibt es solche und solche — wie bei der Jungen Union.
Die Bundesregierung ist dabei, der deutschen Landwirtschaft in der EWG den Platz zurückzuerobern, der ihr zusteht. Das kann auch das schlechte Wirtschaftsjahr 1970/71 nicht verschleiern.
— Der ist bereits längst vernünftig geworden.
— Wollen Sie denn jemandem politisch verwehren, daß er jeden Tag klüger wird? Das hat doch schon Adenauer gesagt.
Schon im nächsten Jahr werden die positiven Auswirkungen unserer Agrarpolitik sichtbar werden.
Für uns, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, ist aber dieser Agrarbericht Grund genug, einige Vorschläge für die künftige Agrarpolitik an die Regierung zu richten.
— An unsere Regierung. Das mache ich selbst, weil der Herr Kollege Früh von der Opposition das nicht getan hat. Sehen Sie, da setzen wir uns ganz deutlich von Ihnen ab, weil Sie nämlich immer nur kritisieren, aber keine Vorschläge machen.
— Nein, die ist gut; ich will sie aber noch besser machen.
Erstens. Neben dem Kampf um Preisverbesserungen in der EWG muß die Bundesregierung bei der Kommission in Brüssel einen Kontrollausschuß gegen Wettbewerbsverzerrungen im Agrar- und Ernährungsbereich verlangen.
Zweitens. Auf EWG-Ebene muß die Bindung der Veredelungsproduktion an den Boden eingeführt werden.Drittens. Die Erzeugergemeinschaften im Bereich der Schweineproduktion müssen schneller ausgebaut werden, um auf diesem Wege in der EWG zu einer Mengenregulierung zu kommen, und ich fordere die Opposition auf, die ja die Mengenregulierung in ihrem Agrarprogramm gestrichen hat, diese wieder hereinzunehmen.Viertens. Bei der EWG ist der Versuch zu unternehmen, zu erreichen, daß Strukturmittel der EWG nicht dazu führen, die Agrarüberschüsse Europas zu vergrößern. Es ist besser, in Italien Fabriken zu bauen, als die Agrarproduktion dort anzukurbeln.Fünftens. Bevor das Ertl-Programm Gemeinschaftsaufgabe wird, sollte der Versuch unternommen werden, auch die Hofübergabe in Gemeinschaft mit den Ländern in die Förderung einzubeziehen.Sechstens. Kooperationen in der Teilzeitlandwirtschaft bei Rindern und Schafen sollten nach meiner Auffassung mitgefördert werden.Siebentens. In der Teilzeitlandwirtschaft sind Modellbetriebe mit extensiver Bewirtschaftungsweise zu schaffen.Achtens. Im Zusammenhang mit der künftigen Gesetzgebung auf dem Gebiete des Landschaftsschutzes und der Landschaftspflege ist mit den Ländern zu klären, in welchen abgegrenzten Gebieten Flächenzuschüsse gegeben werden können, ohne die nach meiner Auffassung in diesen abgegrenzten Mittelgebirgslagen keine zukunftsträchtige Landwirtschaft mehr möglich ist.Neuntens. Schließlich bitte ich, in Zusammenarbeit mit den Ländern die Frage der Ausbildung und Beratung für Teilzeit-Landwirtschaft zu klären.Ich bin darüber hinaus der Meinung, daß die Bemühungen in den Ausschüssen vorangetrieben werden müssen, die Vorsteuerpauschale in der Mehrwertsteuer von 5 auf 6 % anzuheben.Ich bin weiterhin der Auffassung, daß man durchaus darüber reden kann — das hat Herr Dr. Früh als einziges angesprochen —, die Landabgaberente flexibel zu gestalten. Die Zeit verbietet es mir, darauf einzugehen, was von allen möglichen Seiten her in bezug auf die Landabgaberente gefordert wird. Ich habe an der Diskussion am Schliersee teilgenommen, wo selbst Ihr Kollege von der CDU zugebilligt hat, die Zumutbarkeit — Landabgaberente gleich Landabgabe, Tauschmöglichkeiten usw. — sei wegen der Zumutbarkeit zu prüfen. Ich habe mich glatt dagegen ausgesprochen. Über diese Dinge werden wir uns einmal zu späterer Stunde zu unterhalten haben.Ich glaube, daß es gut ist, wenn diese Punkte mit eingebracht werden. Sicher können sie keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben; wie wir aber wissen, geht die Entwicklung Europas weiter, und wir alle müssen unseren Teil dazu beitragen.Zum Schluß möchte ich nur ganz kurz noch auf zwei, drei Dinge eingehen, die der Kollege Früh angesprochen hat. Er hat gesagt, die besten jungen Leute liefen uns davon. Ich sage Ihnen: Die Zulassungszahlen zur Meisterprüfung im Lande Baden-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972 10383
GallusWürttemberg steigen laufend. Das beweist, daß wir mit unserer Agrarstrukturpolitik richtig liegen.
Diese Schwarzmalerei und diese Angstmacherei auch jetzt in dem Landtagswahlkampf mache ich nicht mit.
Angst vor der Inflation, Angst vor den Russen, Angst vor den Verbrechern — und so geht es weiter. Ich sage Ihnen, Sie als christliche Partei sollten wissen, daß das Evangelium damit beginnt: „Fürchtet euch nicht!"
Und jetzt noch zu jenem höchst interessanten Vorschlag des Herrn Kollegen Röhner im Haushaltsausschuß. Hier muß ich das Gedächtnis von Herrn Kollegen Früh etwas auffrischen; denn hierzu habe ich gesagt, es sei ein Experiment, das die Gefahr heraufbeschwöre, daß die Einfuhr- und Vorratsstelle in ihrer Funktionsfähigkeit beeinträchtigt werde und daß die deutsche Landwirtschaft durch eine derartige Schwächung unter Umständen erhebliche Verluste über geschmälerte Preise am Markt hinzunehmen hätte. Eines müssen Sie wissen: Die verbleibende Manövriermasse, die nach den Vorstellungen der CDU/CSU an verbilligten Krediten zur Verfügung stehen würde, ist zu gering; denn immerhin sind doch 600 Millionen DM in der Berlin-Reserve und rund 1 Milliarde DM in der Bundesreserve gebunden. Ich glaube, nachdem auch dieser Vorschlag nicht groß weiterverfolgt worden ist, wird er wieder sehr schnell in der Versenkung verschwinden.
Man kann nämlich nicht mit verbundenen Augen Agrarpolitik machen und schon am Anfang des Jahres alles das kaputtschlagen, was man im Laufe des restlichen Jahres braucht.Damit bin ich am Ende. Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, dem Kollegen Gallus muß man bestätigen, daß er das gemacht hat, was eigentlich die Opposition hätte machen müssen: Er hat konkrete Vorschläge für die weitere Arbeit aufgezeigt, während die Opposition bewiesen hat, daß sie zu dieser Agrarpolitik weder eine Alternative hat noch überhaupt Vorschläge machen kann.
Das wollte ich vorausschicken. Ich will noch ein zweites bemerken. Ich werde Gelegenheit haben, am Schluß der Debatte noch einmal das Wort zu ergreifen. Ich habe mich nur deshalb zwischendurch zu Wort gemeldet, um ein Mißverständnis aufzuklären. Mir ist gesagt worden, man sei im Ältestenrat dahin übereingekommen, daß zunächst die Vertreter der drei Fraktionen reden sollten und ich danach einen kurzen Zwischenbericht über die Verhandlungen in Brüssel geben sollte. Wenn diese Mitteilung falsch war, tut es mir leid. Aber ich weiß, daß gerade die Kollegen der Fraktionen auch großen Wert darauf legen, nicht ununterbrochen Ministerworte zu hören. Ich wollte das respektieren. Aber wie man es auch macht, es ist offensichtlich bei dieser Opposition immer falsch.
Ein weiteres, damit auch das um der Sachlichkeit willen klargelegt wird: Die für die Vollerwerbsbetriebe schlechter gewordene Ertragslage, auf die in diesem Agrarbericht in der Tat in differenzierter Form hingewiesen werden mußte, ist bereits im letzten Agrarbericht angekündigt worden. Das können Sie nachlesen. Der Kollege Struve, der ein sehr kluger und weit vorausschauender Mann ist, hat, nachdem ich im letzten Jahr hatte berichten können, daß sich das Einkommen der Landwirtschaft überproportional verbessert habe, gesagt: „Wir werden uns in einem Jahr wieder sprechen." Darauf habe ich zu ihm gesagt: Ich weiß, wir werden uns wieder sprechen, und dann werde ich hier stehen und sagen, wie in diesem Jahr das Ergebnis aussieht. Aber ich sage auch: wir werden uns nächstes Jahr wieder sprechen, und das hat der Kollege Gallus gemeint. Es gibt Länderminister der CDU, die jetzt über Zwischenbilanzen verfügen, voriges Jahr in Panik gemacht haben und jetzt schweigen,
weil sie jetzt der Landwirtschaft bessere Ergebnisse vorzeigen müßten. Das ist kein fairer Stil, Herr Fraktionsvorsitzender Barzel.
— Ja, das werde ich heute ausführlich tun; ich bin wohlpräpariert, Herr Fraktionsvorsitzender. Ich will aber zunächst die Debatte ein bißchen laufen lassen. Ich kann gute Ergebnisse mitteilen. Auf diese Weise lernt dieses Haus endlich einmal die Zahlen kennen.
Vielleicht hört man dann auf, mir zu unterstellen, ich malte ununterbrochen mit falschen Behauptungen rosarot.
Außerdem liegt mir das gar nicht. Rosarot ist eine mir sympathische Farbe. Da sich Herr Kollege Barzel, wie ich im Fernsehen gesehen habe, inzwischen auch um die Betriebe kümmert, müßte ihm rosarot eigentlich sogar sehr liegen.
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10384 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972
Bundesminister ErtlHier wurde behauptet — ich will nur drei Berner-kungen für die weitere Diskussion machen —, nur in der deutschen Landwirtschaft habe sich die Einkommenssituation verschlechtert. Das stimmt nicht. Der niederländische Agrarbericht weist aus, daß im selben Berichtszeitraum, über den wir hier diskutieren, auch in den Niederlanden ein Einkommensrückckgang zu verzeichnen war, und zwar von 17,1 %.
Die Vorausberechnungen für die Niederlande lauten ebenso wie bei uns, nämlich 12,2 %. Daran sehen Sie, daß das nicht ein Problem der Auf- bzw. Abwertung gewesen sein kann, sondern daß es sich in der Tat um ein EWG-Problem handelt. Über diese Frage werde ich mit Ihnen gern diskutieren. Die Meldungen aus Belgien liegen auf genau der gleichen Linie. Auch Belgien hat ungefähr auf der gleichen Ebene Rückgänge zu verzeichnen. Die Einkommen der belgischen Landwirtschaft sind um 4,6 Milliarden bfrs. zurückgegangen. Ich wollte das hier nur einmal sagen, weil ich meine, daß wir dann auf dieser Basis eine nützliche Diskussion führen können. Im übrigen möchte ich mich bei allen Diskussionsrednern für die bisherigen Beiträge bedanken.Lassen Sie mich nun einige Bemerkungen zu den Verhandlungen in Brüssel machen. Die Verhandlungen des Agrarministerrates über die Agrarpreise 1972/73 und die Strukturrichtlinien sind noch nicht abgeschlossen. Sie sind aus Termingründen unterbrochen worden und werden in der nächsten Woche fortgesetzt. Daher kann ich natürlich nur einen Zwischenbericht geben. Wir wären vielleicht in dieser Woche schon fertig geworden; aber ich mußte, wie Sie wissen, an dieser Debatte teilnehmen. Sie sehen, wie recht ich gehabt habe, als ich Sie bat, diese Debatte nicht schon am Donnerstag zu beginnen. Sonst hätten wir vielleicht noch nicht einmal dieses Zwischenergebnis erzielen können.Die Beratungen über die Preise liefen sich im Rat sehr schnell fest, weil 'die Unklarheit über den am Tag X für die Landwirtschaft festzusetzenden Ausgleich für die Aufwertungsverluste verschiedene Delegationen verunsicherte. Man wußte nicht, ob ein möglicher Währungsausgleich in Form einer Rechnungseinheit erfolgen oder Preisanhebungen von den Preisbeschlüssen für das kommende Wirtschaftsjahr abgezogen oder auf Preiserhöhungen noch aufgestockt werden sollten. Beide Wege sind, wie Sie wissen, gangbar. Ein Abzug des Währungsausgleichs von den Preiserhöhungen ist für die aufwertenden Mitgliedstaaten nicht akzeptabel. Dadurch würden nämlich die von uns für notwendig gehaltenen Preiserhöhungen um den Aufwertungsausgleich verkürzt. Eine Erhöhung der Preisbeschlüsse um den Währungsausgleich ist für die nicht aufwertenden Mitgliedstaaten andererseits aus konjunkturellen Gründen nicht akzeptabel. Die Frage des Währungsausgleichs mußte deshalb vorab geregelt werden, um den Weg für die Preisentscheidungen frei zu machen. Nach sehr schwierigen Diskussionen hat sich der Rat auf folgende Lösung zum Ausgleich der Aufwertungsverluste der Landwirtschaft geeinigt, die jedoch noch der endgültigen Zustimmung der Mitgliedstaaten bedarf:1. Ermächtigung an die aufwertenden Mitgliedstaaten, mit Hilfe nationaler Maßnahmen, z. B. Steuermaßnahmen, einen wesentlichen Teil oder die Gesamtheit der Aufwertungsverluste auszugleichen,2. Grenzausgleich für den Teil der Aufwertungsverluste, die nicht durch die vorgenannten nationalen Maßnahmen abgedeckt sind,3. gemeinsame finanzielle Verantwortung für den Grenzausgleich,4. stufenweiser Abbau des Grenzausgleichs, wobei jeder degressive Schritt durch andere Maßnahmen kompensiert wird, um Einkommensverluste der Landwirtschaft zu vermeiden. Die Einzelheiten werden zu gegebener Zeit vom Rat auf Vorschläge der Kommission festgelegt.
Meine Damen und Herren, Sie werden verstehen, daß ich mich im gegenwärtigen Stadium noch nicht im einzelnen zu der Lösung äußern möchte. Wir sind noch mitten in den Verhandlungen, die wir nur aus Termingründen, wie bereits erwähnt, insbesondere wegen der heutigen Sitzung, unterbrechen mußten. Wir werden die Beratungen in der nächsten Woche in Brüssel fortsetzen. Ich kann deshalb meine Verhandlungsposition nicht 'dadurch schwächen, daß ich hier auf alle Einzelheiten eingehe.
Ich möchte nur darauf hinweisen, daß diese Lösung gegenüber dem derzeitigen Grenzausgleichssystem einen Fortschritt bedeutet, weil durch die Kombination von Grenzausgleich und Mehrwertsteuerlösung für mehr Produkte ein Ausgleich geschaffen werden kann, als es durch das Grenzausgleichssystem bisher möglich war. Das gilt insbesondere für die Produkte, die an die Rechnungseinheit gebunden sind.Wir haben einen weiteren, sehr wichtigen Beschluß gefaßt: die Plafondierung bei den Strukturmaßnahmen wird beibehalten, und wenn sich herausstellt, daß durch die Strukturmaßnahmen ein größerer Mehrbedarf entsteht, als vorhergesehen worden ist — nämlich 285 Millionen Rechnungseinheiten plus Reserven für bisher nicht getätigte Ausgaben —, dann ist das Verfahren gemäß der neuen Finanzordnung nach Art. 6 anzuwenden. Auch das, glaube ich, ist ein sehr entscheidender Beschluß gewesen, weil nun der Weg für die Gestaltung einer vernünftigen Agrarstrukturpolitik in der EWG frei, aber umgekehrt klargestellt ist, daß dadurch nicht neue Belastungen für die deutschen Steuerzahler entstehen. Mit diesem Beitrag zur Debatte will ich es im Augenblick bewenden lassen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiechle.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972 10385
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir, die CDU/CSU, wissen, daß ein Landwirtschaftsminister ein schweres Amt hat. Seine eigene Fraktion unterstützt ihn derzeit mit etwa sechs bis sieben Mann bei der Debatte zu einem Agrarbericht, der das schlechteste Ergebnis zeitigen und bekanntgeben muß, seit es überhaupt diese Grünen Pläne gibt.
Gestatten Sie mir ein paar Vorbemerkungen. Unser Kollege Gallus hat heute wieder sein selbstgemachtes und erfundenes Evangelium verkündet — wie schon seit seiner Zugehörigkeit zum Bundestag —, hat unsachliche Behauptungen hier in den Raum gestellt und unbeweisbare Prognosen gegeben.
Dies entspricht keineswegs dem Ernst der Situation, die dieser Bericht bekanntgibt. Ich möchte mich deswegen auch nicht auf das Niveau seiner Ausführungen begeben.
Ich habe hier nur zwei Bemerkungen zurückzuweisen.
— Ach, wissen Sie, das ist das Gallus-Evangelium, das hat nicht so viel Beweiskraft wie das von Matthäus.
Das erste war: er hat hier behauptet, daß es nach dem Krieg nur einen einzigen Landwirtschaftsminister gegeben habe, der sich für die Bauern echt eingesetzt habe. Das ist eine Ungeheuerlichkeit, sie entspricht dem, was Sie auch sonst sagen. Mehr sage ich dazu nicht.
Sie haben zweitens behauptet, daß Sie alle Ausgleiche eingehalten hätten, die Sie versprochen haben, im Gegensatz zu denen, die die CDU versprochen hatte. Ich kann Ihnen dazu nur sagen, wir haben einmal einen Ausgleich für Getreide bezahlt. Möglicherweise hat sich die Ausgleichszahlung wegen Haushaltsschwierigkeiten ein wenig verschoben. Sie haben aber sämtliche Preise der Landwirtschaft — nicht nur für Getreide — gesenkt, und die Ausgleichszahlungen sind in vier Jahren beendet.Sie haben in den Saal gerufen: Fürchtet Euch nicht! Dem kann ich nur zustimmen; denn wenn Sie mit Ihrer Politik noch lange weitermachen, haben die deutschen Bauern ohnehin nichts mehr zu fürchten, weil nichts mehr da ist, weswegen sie sich fürchten könnten.
Herr Dr. Schmidt , Sie haben Ihre Ausführungen mit der Feststellung eingeleitet, daß Ihnen dieses ewige Reden von der Aufwertung zum Halse heraushänge. Das mag von der Formulierung her möglicherweise so sein, aber, Herr Dr. Schmidt (Gellersen), von den Auswirkungen her, die diese Aufwertung für Deutschlands Bauern hat — ich sage nicht hatte, sondern hat —, ist es leider so, daß das den deutschen Bauern nicht nur zum Halse heraushängt, sondern ihre Existenz bedroht.Der Agrarbericht ist, insgesamt gesehen, ein deprimierendes Dokument, und zwar der Agrarbericht, um den es sich hier handelt, nicht der, der morgen erstellt wird oder früher einmal erstellt wurde. Er legt nämlich Zeugnis über die Auswirkungen der fehlgelaufenen Politik dieser Bundesregierung gegenüber der deutschen Landwirtschaft ab. Will man ihn richtig beurteilen, muß man ihn vor dem Hintergrund all jener Aussagen beurteilen, die diese Regierung zur Agrarpolitik gemacht hat, als sie ihre Verantwortung übernahm, als es nämlich hieß — das war ein amtliches Versprechen des Bundeskanzlers —, die Landwirtschaft werde an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung teilhaben. Dies ist wohl laut dieses amtlichen Berichtes ins Gegenteil verkehrt worden.
Dazu gehören auch jene vielfältigen Aussagen, die von allerhöchster Stelle nicht nur einmalig getroffen wurden, daß es zwar bedauerlich sei, wenn wir Preissteigerungen in der bekannten Art hätten, daß es aber trotzdem jedem Bürger dieses Landes besser gehe; denn sein Einkommen sei mindestens stärker gestiegen als die Preise. Für die Bauern trifft dies mit Sicherheit nicht zu. So gesehen ist dieser Bericht, bezogen auf das Berichtsjahr, für die deutschen Bauern eine Katastrophe, und man braucht sich nicht zu wundern, wenn sich Existenzangst und Resignation breit machen.
Denn 10% weniger Einkommen je Arbeitskraft — das sollte man einmal irgendeinem anderen Berufsstand zumuten oder irgendeiner Gewerkschaft sagen, daß dies eintrete oder eingetreten sei, da würden Sie sich über andere Reaktionen als über die bescheidenen Proteste deutscher Bauern wundern.
Dazu kommen ja ohnehin noch die wie für jeden Bürger dieses Landes auch eingetretenen 5 bis 6% Preissteigerungen.Nach den Ausführungen, die im Agrarbericht gemacht werden, läßt übrigens der Begriff ,,Betriebseinkommen" eine Aussage über das jeweils echt zur Verfügung stehende Reineinkommen, das für Privatverbrauch und Eigenkapital zur Verfügung steht, überhaupt nicht zu. Man muß sich selbst ausrechnen, weil es im Bericht nämlich nicht steht, was dann an Verlust aufzuzeichnen ist. Das sind ganze 20 %. Dem stehen 14 % Lohnerhöhung bei der übrigen Bevölkerung gegenüber.Meine Damen und Herren, ich möchte hier einmal außerhalb dieses Berichts eine Bemerkung machen.
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10386 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972
KiechleVielleicht wäre es möglich und auch nicht zu viel verlangt, wenn der deutsche Gewerkschaftsbund als eine große Organisation, die sich zur sozialen Gerechtigkeit bekennt und sich immer als deren Hüter ausgibt, und auch der Verband des Groß- und Außenhandels diese Zahlen einmal zur Grundlage ihrer Überlegungen machen würden, bevor sie sich öffentlich gegen jede Preiserhöhung für landwirtschaftliche Produkte wendeten. Selbst das Jahresgutachten des Sachverständigenrates findet für die deutschen Bauern freundliche Worte, wofür wir uns im übrigen bedanken.Wir bedanken uns auch, meine Damen und Herren, bei unseren Verbrauchern in Stadt und Land. Denn wir können feststellen, daß sie überwiegend erkennen, auf welch hohem Qualitätsstand unsere deutschen Lebensmittel sind und wie wenig die Bauern an den Preisen, ,die sie, nämlich die Verbraucher, zahlen, teilhaben. Um so unverständlicher ist uns die Haltung der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände, wenn es um Preiserhöhungen für 'deutsche Bauern geht. Diese Arbeitsgemeinschaft hat sich leider in diesem Punkt als notorischer Gegner der Bauern unseres Landes selbst deklassiert. Wir können nur „Gott sei Dank" sagen, daß die Verbraucher selbst mehr Verständnis für uns, die Bauern, haben als ihr Bonner Verein.Die Einkommensdisparität zu vergleichbaren Berufsgruppen hat sich, und zwar differenziert, erschreckend erhöht, je nach Betriebsart von 24 auf 39 %, von 17 % auf 35 % und von 7 % auf 27 %. Dabei sind vor allem die großen und die modernen Betriebe in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Man kann .das ansehen, wie man will; das ist keine parteipolitische Feststellung, sondern eine Feststellung dieses amtlichen Berichts. Jedenfalls ist dazu zu sagen, daß damit die Agrarpolitik der Bundesregierung ein überall sonst allgemeingültiges ökonomisches Prinzip auf den Kopf gestellt hat.Dabei sind das nur Durchschnittszahlen. In Süddeutschland sieht die ganze Geschichte noch schlechter aus. Ich will nur eine Zahl nennen: Futterbaubetriebe über 50 ha hatten 1969/70 schon eine Disparität von 32 %, im darauffolgenden Jahr eine von 66 %.
Dies bedeutet, daß ein Bauer mit 50 ha Grünland, der nur Rinder und Milchvieh halten kann, in diesem Berichtsjahr praktisch ein Drittel eines normalen gewerblichen Einkommens verdient hat. Wohin der Weg führt, ist unschwer zu sagen. Er führt glatt in den Ruin. Dies zeigt auch allen Theoretikern, warum die Grünlandbauern von Betriebsgrößen à la Mansholt nichts halten.Wir freuen uns, Herr Bundesminister, daß Sie nun auch Nebenerwerbsbetriebe als bedeutenden Faktor der Landwirtschaft anerkennen. Wenn man aber die Daten und Zahlen sammelt, gehört nach meiner Meinung getrennt ausgewiesen, was aus welchem Einkommen stammt. Sonst würde nämlich ein statistisches Mischeinkommen entstehen, das das wahre Bild völlig verzerrt. Sowenig, wie man in der Bundesrepublik künftig nur mit einer Hobbylandwirtschaft wird weitermachen können, sowenig darf übersehen werden, daß der Vollerwerbsbetrieb ein rentabler Betrieb sein muß, wenn die Landwirtschaft überhaupt soll bestehen können.
Ich würde es als geradezu makaber und unreell ansehen, wenn nach außen ein statistisches Bild entstünde, das über die außerlandwirtschaftlichen Einkommen fleißiger Bauern mit hoher Arbeitsleistung und langen Arbeitszeiten die Produktion von Lebensmitteln sozusagen künstlich verbilligen würde. Eine innere Subvention, meine Damen und Herren, wäre gerade das letzte, was man der Landwirtschaft noch zumuten sollte.
Herr Bundesminister, es mutet schon einigermaßen seltsam an, wenn Sie und Ihre Sprecher seit Beginn der Vorlage dieses Berichts dauernd sagen, daß zwar das laufende Wirtschaftsjahr nicht so gut gewesen sei, aber das kommende — das wäre also dasjetzt laufende eine Einkommensverbesserung von12 % bringe.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Peters?
Bitte schön, Herr Peters.
Herr Kiechle, ist Ihnen bewußt, daß Sie genau das umgekehrte Spiel voriges Jahr getrieben haben?
Herr Abgeordneter Peters, wir haben mit den Sorgen der Bauern noch nie gespielt.
Sie sagen also, daß dieses Einkommen überrelativ hoch ansteige. Ganz nüchtern betrachtet bedeutet dies unter der Voraussetzung, daß Ihre Aussage auch stimmt, was ja nicht unbedingt der Fall sein muß, gerade noch ein Aufholen auf den Stand von 1969, ein Jahr, dessen Preisauswirkungen Sie noch nicht zu verantworten hatten, obwohl Sie den Erfolg auf Ihre Fahnen geschrieben haben.
Sie, Herr Bundesminister, müssen also heute geradezu froh sein und verkünden es auch schon im voraus als einen Erfolg Ihrer Politik, wenn Sie im Agrarbericht 1973 nachweisen könnten, hinsichtlich der landwirtschaftlichen Einkommen wieder auf dem Stand zu sein, den Sie bei Ihrem Amtsantritt vorgefunden haben. Und da muß ich nur sagen: diese Feststellung, glaube ich, könnte zu einiger Bescheidenheit Anlaß geben.
Vielleicht — so möchte ich nur sagen — ist esmöglich, daß all die Verkünder der reinen Lehre aus
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972 10387
KiechleIhrer Fraktion nun wieder etwas stiller werden, die stets predigend durchs Land ziehen und, unbeeindruckt von allen Realitäten, verkünden, wie schlecht doch die Agrarpolitik der CDU/CSU gewesen sei.
Sie sollten besser sagen, was jetzt ist und was künftig werden soll, aber in konkreten Angaben und nicht nur in Versprechungen für spätere Pläne und ähnliches; denn davon haben wir alle — und die Bauern ganz besonders — mehr als genug.
Eingebrockt hat Ihnen, Herr Bundesminister, die ganze Geschichte Ihr Superkollege Karl Schiller. Seine für seine eigene Zielprojektion der Stabilität höchst fragwürdigen, für die Bauern aber lebensgefährlichen Währungsmanipulationen und die letzten Endes unter seiner Verantwortung entstandene inflationsbedingte Preissteigerung haben nämlich dieses vorliegende Resultat maßgeblich beeinflußt.
Es mutet manchmal schon geradezu ärgerlich an, wenn Herrn Schillers soziales und volkswirtschaftliches Gewissen immer nur dann laut und vernehmlich wird, wenn es um einkommensverbessernde Erzeugerpreiserhöhungen für die Bauern geht. Er hat sich geradezu zum bösen Geist der deutschen Landwirtschaft entwickelt.
Meine Damen und Herren, ich habe mir das Vergnügen gemacht und es war wirklich eines —, Reden des heute verantwortlichen Ministers und seines Staatssekretärs aus den Jahren 1966 bis 1969 nachzulesen. Da gibt es viele interessante Verlautbarungen. Ich will nur einige Feststellungen zitieren.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Löffler?
Herr Kollege Löffler, ich sage bei Ihnen sehr ungern nein, aber wir sind alle in Zeitdruck.
Einige Feststellungen, die seinerzeit getroffen wurden, möchte ich hier zitieren.
Herr Logemann, Sie waren stets ein glühender Verfechter von kostendeckenden Preisen. „Mut zur Preispolitik!" so steht es im Protokoll des Deutschen Bundestages — haben Sie diesem Hohen Hause 1966 zugerufen. Ich kann nur feststellen:jetzt, wo Sie die Verantwortung tragen, ist das Verhältnis von landwirtschaftlichen Erzeugerpreisen zu Betriebsmittelkosten und Löhnen so schlecht, wie es noch nie gewesen ist. Und es ist ganz einfach nur die halbe Wahrheit, wenn Sie draußen im Lande erzählen, die Erzeugerpreise seien zur Zeit wieder gestiegen, aber dabei nicht 'hinzufügen, ,daß die Landwirtschaft von einer Kostenlawine überrollt wird.
Und dabei weiß )doch jeder, daß nur die Betrachtung von Kosten und Preisen zusammen, also die Berücksichtigung ihres Verhältnisses eine echte Beurteilung des Einkommens zuläßt.
Man könnte ja ein wenig spöttisch sagen, daß die Bauern beim Briefeschreiben und Telefonieren notfalls Einsparungen machen können, aber, meine Damen und Herren, sie können es nicht bei Frachten, bei Maschinen, 'bei Reparaturen, bei Düngemitteln und ähnlichem mehr. Und 'das ununterbrochene Sparen bei den Investitionen ist eben ein echter Rückschritt.
Herr Bundesminister, Sie haben damals — auch1966 — mit sehr viel Überzeugungskraft — ich habe es nachgelesen — von der Gretchenfrage der Preise gesprochen. Heute wissen auch Sie laut Ihrer eigenen Aussage bei der Einbringungsrede keine Patentlösungen mehr. Im Jahre 1966 haben Sie per Antrag in diesem Hause das war Umdruck 21 — Frachtbeihilfen oder Sondertarife für die Bergbauerngebiete beantragt. 1967 haben Sie diese Forderung wiederholt. Heuer, 1972 — unter sozialliberaler Regierung —, erhöhen sich — und das nicht zum erstenmal — sämtliche Frachtkosten für die ganze Landwirtschaft sowohl beim Bahn- als auch beim Güterkraftverkehr beträchtlich. Zusätzliche Kosten und Steuerlasten beider Transportunternehmungen werden auf die gesamte Landwirtschaft abgewälzt und 'bringen neue Lasten. Dies geschieht, obwohl die Bundesregierung, vertreten durch Herrn Hermsdorf, in diesem Hause Zusagen gemacht hat, daß sie derartige 'Belastungen verhindern wolle. Ich brauche Ihnen als Präsident der Alpwirschaft wohl nicht 'zu sagen, was das für marktferne Produktionsgebiete bedeutet. Es ist nämlich in diesem Zusammenhang eine kumulierende Last.Im Agrarbericht sind im großen und ganzen nur Bekundungen des guten Willens vorhanden, soweit es sich um politische Aussagen handelt. Es wird hinsichtlich der künftigen Preispolitik, also zur Gretchenfrage, keine konkrete Aussage gemacht. Ich möchte doch einmal wissen, Herr Bundeskanzler, welche Preiserhöhungen die Bundesregierung eigentlich für erforderlich hält und für welche sie unter allen Umständen kämpfen will. Oder weiß sie das noch nicht?
CDU und CSU haben sich jedenfalls schon vor einemJahr klar für 10% ausgesprochen und haben diesauch der Öffentlichkeit gesagt und ihr gegenüber
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Kiechlevertreten. In Ihren Augen war das damals unrealistisch und utopisch. Sie wollten also nicht dafür kämpfen, obwohl Bundeskanzler Brandt diese Forderung — es war nicht unsere, sondern die des Bauernverbandes — als maßvoll und gerecht bezeichnet hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt ?
Bitte schön!
Herr Kollege Kiechle, Sie reden gerade von den 10%. Ist Ihnen Ihre neue Entschließung unbekannt, worin zu lesen ist, daß nur noch eine angemessene Preiserhöhung anzustreben sei?
— Nein, nein, Ziffer 5. Ist Ihnen das unbekannt?
Das ist mir nicht unbekannt. Erstens können Sie das aber ruhig in Zusammenhang mit dem vorigen Jahr sehen, und zweitens wird die Aussage durchaus konkreter, wenn Sie weiterlesen. Wir wollen Spielraum für Diskussionen lassen, was angemessen ist, während man sonst den notwendigen Spielraum für Diskussionen leider nicht findet.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz?
Bitte schön!
Herr Kollege Kiechle, würden Sie den Kollegen Dr. Schmidt darauf aufmerksam machen, daß es in unserem Entschließungsantrag eindeutig heißt, daß es um Agrarpreiserhöhungen geht, die der inflationären Kostenentwicklung entsprechen.
Das wäre das volle Zitat gewesen.Dazu möchte ich gleich noch einen Satz sagen. Heute läßt sich, wie Sie sehen, mit der damaligen Forderung von 10 % noch nicht einmal die nach dem Motto „alle Jahre wieder" eintretende Preissteigerung von 5 bis 6 % ausgleichen.
Meine Damen und Herren, ein Wort zum einzelbetrieblichen Förderungsprogramm und seiner Auswirkung bezüglich seiner Praktikabilität. Die Festlegung von Förder- und Einkommensschwelle bei gleichzeitigem Einkommensrückgang ist, wenn man die beiden Positionen einander gegenüberstellt, schlicht gesagt, ein Unding. Die wenigsten Bauern können das Programm so, wie es jetzt ist, gebrauchen. Das betrifft gerade diejenigen, die rechnen können, Herr Bundesminister. Sie haben darauf aufmerksam gemacht, daß einige endlich das Rechnen gelernt hätten, aber gerade diejenigen, die rechnen können, kommen mit diesem Programm am wenigsten zurecht. Ich möchte deswegen sagen, wenn Sie künftig novellieren und verbessern wollen, muß dabei als Grundsatz beachtet werden, je benachteiligter die Region und je kapitalaufwendiger der Produktionszweig, desto abgestufter und den Umständen angepaßter das Programm; denn Einheitsrichtlinien haben sich als völlig unpraktikabel gezeigt.
Wie wir hören, Herr Bundesminister, gibt es in Brüssel womöglich bald eine Einigung über Strukturziele und gemeinsame Richtlinien dafür bzw. die Finanzierung der Strukturziele. Sie sollten vor einer abschließenden Einigung über die besonderes zu behandelnden und von der Natur benachteiligten Regionen eine einheitliche Rahmenregelung erzielen, denn nachher ist es zu spät. Wir wollen nicht erleben, daß unsere Höhen- und Problemgebiete schlechter gestellt sind als etwa die Englands, Frankreichs oder Italiens. Achten Sie bitte darauf, daß hier nur Richtlinien und keinesfalls Verordnungen erlassen werden, und überlassen Sie den einzelnen Ländern geeigneten Spielraum zur detaillierten Ausfüllung dieser Programme. Da haben Sie beispielsweise schon eine Alternative. Sie sind geradezu dazu verpflichtet, Herr Bundesminister, in den schönsten Gebieten der Bundesrepublik, die leider gleichzeitig auch landwirtschaftliche Problemregionen sind, Bauern, die das Land auch weiterhin bewirtschaften, dort zu halten und die Entvölkerung zu verhindern.
Im Zusammenhang mit der Frage der Preiserhöhungen in Brüssel möchte ich noch ein besonderes Problem beim Schlüsselprodukt Milch hinweisen. Beide Interventionsprodukte — nicht nur Eiweiß, sondern auch die Butter — bedürfen der Preisanhebung. Eine Preisanhebung bei Magermilchpulver ohne gleichzeitige und laufende Erhöhung der Fütterungsbeihilfe hieße, den Bauern das Geld aus der einen Tasche herausziehen, um es ihnen für die andere Tasche wieder anzubieten. Die Tatsache, daß die Milchpreisbeschlüsse in der geplanten Höhe, bezogen auf den derzeitigen Marktpreis, der Landwirtschaft ohnehin keinen einzigen Zehntelpfennig mehr an Milchgeld bringen, sondern nur ein Hinterherhinken bedeuten, möchte ich hier kurz erläutern.Der Anstieg der Preise im vergangenen Herbst, auf den Sie sich immer bezogen haben — Herr Gallus hat noch eine Zahl genannt —, beruht auf folgenden Tatsachen: erstens auf der eingetretenen Entspannung am Milchmarkt hinsichtlich der Überschüsse, zweitens auf der Preisentwicklung auf dem
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KiechleMagermilchpulversektor, und zwar weltweit, drittens auf der Selbsthilfe der Bauern, der Genossenschaften und der industriellen Verarbeitung durch Rationalisierung. Die Interventionspreise sind so gerechnet, daß sie normalerweise für die Bauern etwa 90 % des Erlöses bringen, der angestrebt wird, wenn man die Milch nur zu Interventionsprodukten verarbeitet. Seit mehreren Monaten liegen aber die Marktpreise über den Interventionspreisen. Will man nun die erreichten Milchauszahlungspreise über den Garantiepreis absichern, so müßte eine Anhebung bei der Butter um mindestens 4 % und beim Magermilchpulver um 30 % vorgenommen werden. Der Milchrichtpreis bedarf einer zehnprozentigen Anhebung, um das derzeitige Niveau abzudecken. Erst bei Preisverbesserungen über diese Sätze hinaus hätten die Bauern eine echte zusätzliche Preiserhöhung. Mit Sicherheit kann gesagt werden, daß eine D-Mark-Aufwertung, die nicht voll durch Grenzausgleichsmaßnahmen korrigiert wird, zu einer Senkung der Milchauszahlungspreise führen müßte.Wir hoffen — ich sage da nur: Ihr Wort in Gottes Ohr! —, daß das, was Sie uns vorhin als Zwischenbericht gegeben haben, dann auch real so eintreten wird.Meine Damen und Herren, im Agrarbericht steht unter Ziffer 3 ein zwar nicht sehr neuer, aber dafür wahrer Satz. Ich darf ihn hier zitieren:Politik für den ländlichen Raum ist heute nur bei einer engen Integration von Agrar-, allgemeiner Wirtschafts-, Raumordnungs-, Regional-, Sozial- und Bildungspolitik möglich.Wir unterstützen diese Auffassung. Ich muß allerdings noch einmal darauf hinweisen, wie sehr weit weg wir uns im Berichtsjahr beim Verlauf der Wirtschafts- und Agrarpolitik vom Begriff der Integration und vom Weg hin zur Integration befunden haben.
Völlig unverständlich ist uns aber, wie eine Bundesregierung, die sich zu der oben angeführten Ansicht bekennt, die soziale Integration der Landwirte bei der Krankenversicherung ablehnen kann und die Landwirte der Isolation zuführt.
Dafür hat die CDU/CSU kein Verständnis, und sicher auch nicht die fast 350 000 Bauern, die aus ihren AOK-Kassen, mit denen sie zufrieden waren und sind, herausmüssen.
Im übrigen hat es mehr als ein Jahr gedauert, bis die Bundesregierung eingesehen hat, wie berechtigt unsere Anträge auf Erhöhung des Altersgeldes und der Landabgaberente sind. Wir bedauern dies um der alten Menschen willen. Wir bedauern auch, daß dieses Anliegen erst im Herbst dieses Jahres erfüllt werden soll. Wir bedauern außerordentlich, Herr Minister, die Tatsache, daß die Finanzierungaus Mitteln des Aufwertungsausgleichs erfolgen wird, und zwar zu Lasten der aktiven Landwirtschaft.Wir verlangen, daß auch für die Landwirtschaft die Dynamisierung der Altershilfe eingeführt wird, daß eine gesetzliche Absicherung der Zuschüsse zur Unfallversicherung erfolgt, die die Bauern heute zwingen, ihre Betriebsrücklagen zu verbrauchen, und fordern angesichts der bevorstehenden Neuorientierung des Altershilfegesetzes ,die Möglichkeit des Wiedereintritts für die Bauern, die sich seinerzeit befreien ließen.Schließlich erinnern wir an unsere Anträge, die Landabgaberente und Nachversicherungszuschüsse zur Rentenversicherung auch dann zu gewähren, wenn eine extensive Weiterbewirtschaftung von Land gewährleistet ist.
Wir glauben nach wie vor, daß dies eine Möglichkeit wäre, der Gefahr übermäßiger Sozialbrache entgegenzuwirken.Meine Damen und Herren! Die Opposition bietet trotz oder — besser gesagt — gerade wegen eingetretener Schwierigkeiten ihre Mitarbeit an.
Sie kann dies allerdings nur, wenn die Bundesregierung zur Zusammenarbeit bereit ist und ein völlig unnötiges Gegeneinander vermeidet.Ich erinnere Sie, Herr Bundesminister, an Ihr Wort vor der Delegiertenversammlung des Deutschen Bauernverbandes 1970. Damals sagten Sie mit viel Pathos: „Gebt mir die entsprechenden parlamentarischen Mehrheiten, dann könnt ihr alles von mir haben." Ein sehr kühnes Wort, wie wir es ja von Ihnen des öfteren gewohnt sind.Wir sind schon oft bereit gewesen und sind es auch wieder, Ihnen bei Ihrer Agrarpolitik Mehrheiten zu geben, falls Sie mit Ihrem Koalitionspartner nicht ganz zurechtkommen.
Unsere Unterstützung können Sie haben bei Fragen der Preise und Marktpolitik, bei der Erhöhung der Mehrwertsteuer — die wegen Ihres Vetos heute nicht auf der Tagesordnung stehen konnte —, in der bestmöglichen Regelung der sozialen Anliegen der Bauern, bei sinnvollen Lösungen der Fragen des Landschafts- und Naturschutzes — und zwar im Sinne der Erhaltung unserer Kulturlandschaft — und bei allen Problemen im Zusammenhang mit gesunden Lebensmitteln.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es wurden seit 1969 schon zu viele agrar- und wirtschaftspolitische Fehler gemacht, die die Bauern heute büßen müssen.
— Das können Sie wohl nicht bestreiten!
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10390 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972
Kiechle225 Bauernhöfe, die im Berichtsjahr in der Bundesrepublik täglich verschwunden sind, sprechen dazu eine ganz klare, eindeutige Sprache.
Und die Sprache wird noch deutlicher, wenn man Frankreichs Zahlen dagegensetzt, die bei mehr als doppelt soviel Bauern nur halb so groß sind.An dieser Stelle schließe ich mit einem Zitat, das ich unserem Bundesminister für Ernährung
abnehme — er hat es 1968 bei der Agrardebatte gebraucht — und hier noch einmal wiederhole. Er sagte seinerzeit:Die Verbrechen finden in dieser Welt nicht immer ihre Sühne. Die Fehler aber werden immer bestraft, erbarmungslos und ohne Ausnahme.
Meine Damen und Herren, eine freundlichere Abschlußbemerkung hat der Bericht leider nicht verdient.
Meine Damen und Herren! Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So ernst ich die Sorge — unsere gemeinsame Sorge um die Zukunft der deutschen Landwirtschaft nehme, so wenig ist den Menschen in der Landwirtschaft mit Polemik und einseitigen Darstellungen gedient.
Was wir brauchen, ist gerade auch in diesem Bereich eine sachliche Prüfung der Tatbestände.
Ich will jetzt nicht wiederholen, was hier schon über das ungewöhnlich schwierige Wirtschaftsjahr 1970/71, über die seitdem wieder günstigere Entwicklung und über die Zusammenhänge zwischen Preispolitik, regionaler Wirtschaftspolitik und sozialpolitischen Maßnahmen gesagt worden ist.Im übrigen sollte bei einer kritischen Bilanz auch nicht vergessen werden, daß die Bundesregierung im vergangenen Jahr gerade wegen der schwierigen Situation, in der sich die Landwirtschaft befand, in erheblichem Maß zusätzliche Mittel bereitgestellt hat, um die Liquidität der Betriebe zu verbessern. Das waren im Jahre 1971 allein 680 Millionen DM.Dem verehrten Herrn Vorredner möchte ich sagen: es wäre meiner Meinung nach ungerecht, die energischen Bemühungen nicht zu würdigen, die Herr Kollege Ertl nicht erst jetzt, sondern auch im vergangenen Jahr — auf preispolitischem Gebiet unternommmen hat. Ich möchte von mir aus dem ein Wort zu den aktuellen Brüsseler Verhandlungen hinzufügen. Wir haben den kurzen Zwischenbericht des Herrn Kollegen Ertl über den Stand dieser Verhandlungen gehört. Er hat dabei mit Recht gesagt, daß heute noch nicht der Zeitpunkt gekommen ist, über einzelne Teilergebnisse der Verhandlungen, soweit sie sich bereits abzeichnen, zu debattieren und eine Gesamtbewertung vorzunehmen. Vernünftigerweise muß man das Ende dieser Verhandlungen abwarten und eine Wertung dann vornehmen, wenn das Gesamtergebnis, nämlich in bezug auf Preise, Strukturpolitik und Maßnahmen zum Währungsausgleich, vorliegt.Dennoch, meine Damen und Herren, läßt sich bereits heute sagen: Die Brüsseler Verhandlungen der letzten Tage haben deutlich gemacht, daß die Bundesregierung auch und gerade jetzt ihre agrarpolitische Verantwortung sehr ernst nimmt.Sie wird erstens ihre Zusage einlösen, daß durch währungspolitische Maßnahmen der deutschen Landwirtschaft keine Nachteile entstehen sollen. Ich habe dies im Rahmen der letzten deutsch-französischen Gespräche in Paris, wie auch schon im vergangenen Jahr, mit starker Betonung dargelegt.Zweitens. Die Bundesregierung wird auch in Zukunft darauf achten, daß die strukturpolitische Komponente in unserer nationalen Agrarpolitik weiterhin den ihr zukommenden Platz erhält. Das bedeutet jedoch keine Absage an die Harmonisierung der Agrarstrukturpolitik in der Gemeinschaft und an eine begrenzte Gemeinschaftsfinanzierung einer solchen Politik.Drittens. Die Bundesregierung setzt sich — unbeschadet der Auswirkungen auf die Lebenshaltungskosten wie im vergangenen Jahr für eine gezielte Anhebung der Agrarpreise ein. Aber meine Damen und Herren, die Schwierigkeiten gerade auf diesem Gebiet infolge der unterschiedlichen Interessenlage der Mitgliedstaaten sind dem Hohen Hause gewiß hinreichend bekannt.Ich meine deshalb, bei allem, was sonst umstritten sein mag, sollten wir dem Kollegen Ertl danken für sein unermüdliches Engagement und seinen persönlichen Einsatz bei diesen Verhandlungen.
Ich glaube, wir helfen ihm und der deutschen Landwirtschaft am besten, wenn wir die ohnehin schwierigen Verhandlungen nicht unnötig belasten.Die Bundesregierung führt diese zähen Verhandlungen in Brüssel nicht, um teilweise überholte Strukturen zu konservieren und um eventuell damit, wie man so sagt, politisch über die Runden zu kommen. Die Agrarpolitik der Bundesregierung trägt vielmehr der Tatsache Rechnung, daß die Landwirtschaft ein Teil, ein wichtiger Teil der Volkswirtschaft ist und wie viele andere Bereiche einem ständigen Strukturwandel unterliegt.Als ich im vergangenen Jahr in diesem Haus zum Agrarbericht sprach, habe ich darauf hingewiesen, daß Strukturwandel und Reformen keine Bedrohung der menschlichen Existenz, sondern Voraussetzung für gesellschaftlichen Fortschritt und Wohlstand
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Bundeskanzler Brandtsind. Ich habe den Eindruck, daß viele Menschen auf dem Lande dies verstehen und daß sie unsere Bemühungen anerkennen: nämlich ihnen durch gezielte einzelbetriebliche Förderung, durch die Schaffung außerlandwirtschaftlicher Arbeitsplätze und durch eine umfassendere Sozialpolitik als früher echte Alternativen zu bieten, Alternativen, zwischen denen sie sich frei entschieden können. Unter den Betrieben — zugegebenermaßen, wie eben gesagt wurde, zahlreichen Betrieben —, die auch im vorigen Jahr aufgegeben wurden, sind viele, deren Inhaber diese Hilfestellungen der Bundesregierung angenommen haben.Wir wissen natürlich genau, meine Damen und Herren, daß dieser Anpassungsprozeß der Landwirtschaft für viele der Betroffenen schmerzhaft ist und daß er nicht immer — leider nicht immer — ohne soziale Härten bewältigt werden kann. Deshalb hat die Bundesregierung gerade in diesem Bereich besondere Anstrengungen unternommen und die soziale Sicherung der landwirtschaftlichen Unternehmen und ihrer Familien immerhin in einem Maße ausgebaut, das noch vor wenigen Jahren zwar gefordert wurde, aber als nicht realisierbar erschien.
Mit der Pflichtkrankenkasse, mit der vorgesehenen Erhöhung des Altersgeldes und der Landabgaberente sowie mit der Nachversicherungsmöglichkeit der Landwirte, die ihren Betrieb aufgeben, ist die soziale Sicherung auch im ländlichen Raum stabiler und fester geworden.Lassen Sie mich noch feststellen, daß unsere Politik weiterhin darauf gerichtet sein wird, die Zukunft der Menschen in den ländlichen Räumen zu sichern. Das erfordert aber, daß diese Politik der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung in realistischer Weise Rechnung trägt und weder Wunschvorstellungen nachjagt noch falsche Hoffnungen weckt. Die Bundesregierung wird im Interesse unserer ländlichen Bevölkerung weiterhin eine solche realistische Politik verfolgen.
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch in der Agrardebatte des vergangenen Jahres haben wir aus Ihrem Munde, Herr Bundeskanzler, ähnliche Versprechen gehört wie soeben.
Zugleich liegen nun die Fakten auf dem Tisch, und Sie baten um eine sachliche Prüfung der Tatbestände. Wir sind gern bereit, darin einzutreten.In einem sind wir uns eing, daß der Kollege Ertl ein sicherlich mit großer Energie bemühter Kollege ist.
Er hätte es aber sehr viel leichter, wenn er nicht den Haupttteil seiner Arbeitskraft gegen andersdenkende Kabinettskollegen aufwenden und den Reparaturarbeiten in den Fragen zuwenden müßte, die der Kollege Schiller gerade für sein Ressort immer wieder aufwirft.
Zu dem, was der Herr Bundeskanzler mit sachlicher Prüfung der Tatbestände meinte: Herr Bundeskanzler, niemand in diesem Hause — und Sie selbst bestimmt nicht — kann bestreiten, daß neben den Rentnern, neben den Kinderreichen und den Sparern unsere Landwirte die Hauptbetroffenen der inflatorischen Entwicklung sind.
Mit Erklärungen können Sie hier nicht die Tatsache vom Tisch wischen, daß wir ein sinkendes Einkommen je Arbeitskraft um 10 v. H. haben, wie dies in der Debatte ausgeführt worden ist, während wir von 1960/61 bis 1970 im Durchschnitt eine Steigerung um 10 % hatten. Dies ist eine Zahl, die nicht bestritten wird und die sich auch aus den Dokumenten des Deutschen Bauernverbandes ergibt. Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, das — völlig zu Recht — in die Gesamtzusammenhänge der Volkswirtschaft einordnen, dann hätte doch eigentlich ein Wort hierher gehört zu dem, was der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im Jahresgutachten 1972 dazu sagt. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich das hier zitieren. Er sagt:Von der Einkommensexpansion des letzten Jahres blieb die Landwirtschaft weitgehend ausgeschlossen ... So verteuerten sich die Betriebsmittel, die die Landwirtschaft vom gewerblichen Sektor bezieht, im Wirtschaftsjahr 1970/71 um 8,3 v. H. Besonders ausgeprägt waren dabei die Preissteigerungen bei Instandhaltung von Gebäuden und Maschinen. Gleichzeitig sanken die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise. Sie lagen im Wirtschaftsjahr 1970/71 um nahezu 8 v. H. unter denen des Vorjahres.
Das heißt: Hier ist ein Berufsstand an der Arbeit, der von Ihnen eben freundliche Worte bekommt, dessen Einkommen sinkt und dessen notwendige Aufwendungen — um überhaupt die Existenzen zu erhalten — um die gleiche Summe steigen. Zu dieser Schere von Ihnen, Herr Bundeskanzler, kein Wort! Und das ist doch das Problem.
Wir haben auch kein Wort von Ihnen zu den währungspolitischen Problemen gehört. Wir fragen Jahr um Jahr: Wie soll das eigentlich nach 1973 weitergehen? Die Währungsausgleiche? Ich weiß, Herr Kollege Apel hat einmal den Zuruf gemacht, dann seien wir wieder dran. Lassen wir im Augenblick einmal diese unsachliche Bemerkung weg, meine Damen und Herren!
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10392 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972
Dr. Barzel— Sie halten das fest? Vielleicht verständigen wir uns zwischendurch noch über das Datum: etwas früher, als Sie sich das vorstellen.
Herr Bundeskanzler, es ist doch wirklich sehr wichtig, zu wissen, wie das nach 1973 weitergehen soll. Und wenn Sie hier mit diesen guten Worten kommen, müssen Sie doch die Sorge der Landwirte wegnehmen und sagen können, wie Sie sich dies vorstellen. Was ist denn Ihre Vorstellung von dem Problem, wenn wir nun eine Wirtschafts- und Währungsunion haben werden? Glauben Sie, daß die Beschlüsse, die da gerade gefaßt sind und deren sich alle so loben, obwohl sie eigentlich nur die Wiederherstellung des Zustandes des vergangenen Jahres bringen, eine größere Kraft haben werden, wenn Sie nicht endlich gleichzeitig einen Stufenplan zur politischen Union vorlegen? Glauben Sie nicht, daß dies, wenn Sie das alles weiter vor sich herschieben, alles auf dem Rücken z. B. der deutschen Landwirte ausgetragen werden wird?
Dies alles gehört doch zu einer sachlichen Betrachtung, von der aber hier soeben nicht die Rede war.Wir haben im vergangenen Jahr bereits — auf den Zuruf eines Kollegen nach den Alternativen — hier Anträge eingebracht hinsichtlich der Mehrwertsteuer, hinsichtlich der Altershilfe, hinsichtlich der Verbesserung der investiven Möglichkeiten. Was aus diesen Anträgen geworden ist, wissen Sie. Wir kennen Ihre Worte, und wir kennen Ihre Handlungen, wenn Sie im Ausschuß alles das ablehnen, was wir an sachlichen Vorschlägen machen.
Das ist die Realität.
Wir würden diese Position gegenüber der Landwirtschaft nicht einnehmen, wenn wir nicht fest überzeugt wären, daß das, was unsere Landwirte tun, nicht nur aus allgemeinen Gründen wichtig ist oder vielleicht wichtig ist aus Gründen der Überlieferung und Historie, auch nicht nur wichtig ist im Hinblick auf das, war wir hier an Natur haben und an Strukturproblemen, sondern daß es wichtig ist für unsere volkswirtschaftliche Bilanz. Denn wir wissen, daß Importe aufhören, billig zu sein, wenn man abhängig ist.
Das wollen wir an dieser Stelle nicht vergessen. Wir kennen den Produktivitätsfortschritt der deutschen Landwirtschaft, der durchaus Schritt halten kann mit dem Produktivitätsfortschritt in der deutschen Industrie. Das heißt: Hier sind Mitbürger am Werk, die tüchtig sind, deren Schwierigkeiten nicht von ihnen kommen, sondern aus den Verhältnissen, und die deshalb sehr wohl Anspruch haben, Hilfe zur Selbsthilfe zu bekommen, und dies auch für die Zukunft.
Auf diese Fragen hätten wir gern eine Antwort bekommen, zumal, Herr Bundeskanzler wir alle wissen, daß die Fragen unserer bäuerlichen Mitbürger ja weit ausstrahlen — ich erinnere an das, wasKollege Struve hier gelegentlich vorgetragen hat — auf die ländlichen Räume. Und täuschen Sie sich nicht: es geht über die ländlichen Räume hinaus um ein gesamtgesellschaftliches Problem. Wenn die Mitbürger, die auf eigenem Grund und Boden als Bauern tätig sind, in dieser Gesellschaft immer mehr an den Rand geraten, dann wird fraglich, was überhaupt mit Selbständigkeit und Eigentum in dieser Gesellschaft übermorgen sein wird.
Meine Damen und Herren! Das Wort hat ,der Herr Abgeordnete Peters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kiechle und Herr Dr. Früh haben Kritik geübt, und, Herr Dr. Barzel, man kann von Ihnen auch nichts anderes sagen: Sie haben ebenfalls nicht mehr aufgezeigt. Wenn man das nimmt, was Sie in Ihrem Entschließungsantrag gebracht haben, dann sind darin zur Hälfte Anliegen enthalten, die die jetzige deutsche Bundesregierung, die Koalition eingeleitet hat.
Wir haben die schlechte Ertragslage der Landwirtschaft 1970/71 nie heruntergespielt. Wir haben vor einem Dreivierteljahr, als wir die Hochrechnung kannten, offen darüber diskutiert. Nur: Wir waren uns über den Tatbestand, worauf diese Rückgänge zurückzuführen sind, nicht einig.Wir haben gesagt — das ist inzwischen von der Wissenschaft voll bestätigt —, es gibt dafür drei Gründe: die schlechte Ernte 1970, den Schweinezyklus mit schlechten Schweinepreisen von 20 % weniger als sonst und mit schlechten Rinderpreisen und die Kostensteigerungen. Sie haben gesagt: Das ist alles eine Folge der Aufwertung.
Dazu kann ich Ihnen nur sagen, meine Damen und Herren: Der Bauernverbandspräsident hat auf dem Bonner Marktplatz vor einem Jahr gesagt, die Bundesregierung hätte den Währungsausgleich korrekt und voll abgewickelt.
Wenn Sie die jetzige Gestaltung der Erzeugerpreise anführen, müssen Sie, wenn Sie ehrlich sind, auch sagen, daß wir vom 1. Januar 1971 bis zum 31. Dezember 1971 Preissteigerungen von 10 % bei Milch, von 13 % bei Rindern und von 12 % bei Schweinen hatten. Der nächste Grüne Bericht wird also weit anders aussehen und für das nächste Jahr auch in eine Entwicklung mit einer Preissteigerungsrate hineinlaufen, die nicht glänzend zu sein braucht, die aber weit besser sein wird, als bisher vorausgesagt.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972 10393
Peters
Wenn Sie, meine Damen und Herren, nun noch mit dem Märchen kommen, die Handelsströme hätten sich verlagert, daran können wir Ihnen nur entgegenhalten, daß die Ausfuhr an Agrargütern im Jahre 1971 stärker gestiegen ist als 1970 und daß die Importe nicht in dem Maße gestiegen sind.
— Ich weiß nicht, ob Sie so viel von Veredelungsproduktion verstehen.Wenn Sie dann noch die Schweinehaltung als Beweis anführen, kann ich Ihnen nur drei Daten nennen: Es wurde am 1. Januar 1970 aufgewertet. Wenn zu der Zeit in einem Nachbarland — Belgien und Holland werden hier immer angeführt — ein Landwirt den Beschluß faßte, mehr Schweine zu halten, brauchte er von der Sauenbedeckung bis zur Lieferung des Mastschweines zehn bis zwölf Monate. Dier Schweinezyklus hatte sein Hoch aber schon im Sommer 1970. Welchen Unsinn Sie damit behauptet haben, werden Sie durch diese Zusammenstellung der Zahlen schon erkennen.
— Ja, die Preise gehen in der Landwirtschaft in der Regel dann zurück, wenn die Menge wächst; wenn also mehr Schweine da sind, gehen die Preise zurück. Wenn es umgekehrt ist, steigen sie.Nun, meine Damen und Herren, es ist zwar unbestritten, daß die CDU weder die schlechte Ernte 1970 noch den Schweinezyklus hätte verhindern können; man muß Minister Ertl aber zugestehen, daß er mit viel Vehemenz und mit Einschaltung nicht nur von deutschen, sondern auch von EWG-Stellen die Überschüsse in der EWG kräftig hat mit beseitigen helfen und daß dadurch eine bessere Wettbewerbs- und Ertragslage für die deutsche und die europäische Landwirtschaft eingetreten ist. Das ist der Tatbestand.
Nun, Herr Dr. Barzel, ein Wort zur Unterstützung von Herrn Ertl durch den Bundeskanzler und durch das Bundeskabinett. Wenn Sie die Sache objektiv beurteilen wollen, müssen Sie zwei Dinge nebeneinander sehen. Sie können heute feststellen, daß Herr Ertl die volle Unterstützung des Bundeskanzlers, des Wirtschafts- und des Außenministers hat und damit verhandeln kann.
Wie war es denn während Ihrer Regierungszeit, meine Damen und Herren? Wie war es denn, als der von mir verehrte Herr Schwarz nach Brüssel geschickt wurde? Da wurde er von Kanzler Erhard und von Außenminister Schröder im Stich gelassen
und von Herrn Schmücker noch dazu hereingelegt. So ist es gewesen.
— Sie können ja hier antreten.Nun, meine Damen und Herren, zu den Kostensteigerungen, auf denen Sie immer wieder herumreiten. Sie behaupten, die Kostensteigerungen seien zu Ihrer Zeit geringer gewesen. Wir behaupten das Gegenteil und können das auch beweisen. Denn allen Maßnahmen, die wir gegen die Kostensteigerungen getroffen haben, der Aufwertung, dem Floaten der D-Mark, den Steuervorauszahlungen und den Haushaltsbeschränkungen, haben Sie nicht zugestimmt. Sie haben sich zum Teil dagegen ausgesprochen, zum Teil haben Sie sich der Stimme enthalten. Sie waren der Bundesregierung bei der Konjunktursteuerung nicht behilflich, sondern haben bei all diesen Maßnahmen abseits gestanden, Herr Dr. Barzel.
— Herr Dr. Barzel, wir sind mit der Preissteigerungsrate bestimmt nicht zufrieden. Es fragt sich nur, ob die Preissteigerungsrate, wenn Sie an der Regierung gewesen wären, niedriger gewesen wäre. Das ist die entscheidende Frage. Auf Grund Ihres Verhaltens in der Opposition kann man nur annehmen, daß Sie sich einer noch höheren Preissteigerungsrate gegenübergesehen hätten.
Ich will Ihnen noch ein Weiteres sagen. Ich glaube, daß die Tarifpartner, insbesondere die Gewerkschaften, wenn Sie an der Regierung gewesen wären, sehr wahrscheinlich noch weniger eingelenkt hätten, als es schon jetzt der Fall war. Als die Bundesregierung mit dem Tarifpartner, mit dem sie es zu tun hat, nämlich mit den Vertretern des öffentlichen Dienstes, 1970 über normale Lohnsteigerungsraten verhandelte, haben Sie hier einen Antrag gestellt und die Bundesregierung aufgefordert, mehr Prozente zuzulegen. Das war der Tatbestand.
Bundesminister Ertl hat jetzt über die Erhöhung der Agrarpreise verhandelt. Wir haben nur eine allgemeine Übersicht bekommen. Aber ich wiederhole an dieser Stelle: Wir haben volles Vertrauen nicht nur zu Minister Ertl, sondern auch zum Kabinett — der Bundeskanzler hat soeben noch einmal ausdrücklich erklärt, daß der Minister volle Handlungsfreiheit habe —, daß er bei diesen Verhandlungen unbeschadet der Lebenshaltungskosten her-aushandeln wird, was herauszuhandeln ist. Eine solche Handlungsmarge hatte bisher kein Landwirtschaftsminister in Deutschland.
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10394 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972
Peters
Trotzdem übersehen wir nicht die Schwierigkeiten, die sich auch künftig in der Agrarpolitik ergeben werden. Wir wissen, daß die Agrarerzeugung in der EWG stärker steigen wird als der Verbrauch von Lebensmitteln und daß sich daraus Schwierigkeiten in der EWG ergeben werden. Wir sehen auch, daß der Druck der USA auf die EWG mit dem Ziel, Agrarprodukte in der Gemeinschaft, und zwar möglichst billig, loszuwerden, zunehmen wird. Man kann heute schon sagen, daß die ungerechtfertigten amerikanischen Forderungen nur deshalb abgewehrt werden konnten, weil es dem Bundeskanzler und dem Außenminister vorher gelungen war, die Gemeinsamkeit innerhalb der EWG zu stärken. Durch diesen Beitrag konnten die amerikanischen Forderungen schließlich auf ein Mindestmaß zurückgeführt werden.
Wir sehen weitere Schwierigkeiten auf die Landwirtschaft auch dadurch zukommen, daß landwirtschaftliche Bereiche durch die starke Ausbreitung gewerblicher Veredelungproduktionen zurückgedrängt werden. Wir glauben, daß hier nicht nur deutsche Maßnahmen, sondern daß darüber hinaus Maßnahmen in der gesamten EWG ergriffen werden müssen, um eine starke bäuerliche Erzeugung zu halten. Denn sonst würde eine Agrarpolitik in der EWG illusorisch werden. Wir verschweigen aber nicht, daß der Strukturwandel sowohl in der Bundesrepublik als auch in der EWG weitergehen wird. Es war eben Ihr großer Fehler, meine Damen und Herren von der CDU, daß Sie das den Bauern 20 Jahre verschwiegen haben.
Ob dieser Strukturwandel in der Zukunft in die Richtung zu größeren Nebenerwerbsbetrieben oder in die Richtung zu größeren Vollerwerbsbetrieben gehen wird, ist heute schwer zu beurteilen. Das einzelbetriebliche Förderungsprogramm der Regierung gewährleistet jedoch, daß beide Typen sich entwickeln und daß früher entstandene Fehlinvestitionen künftig verhindert werden.Ich will über die sozialpolitische Absicherung, über die hier schon vieles gesagt worden ist, nicht weiter reden. Aber jedenfalls ist das, was von der CDU in diesem Punkte gefordert worden ist, durch Veröffentlichungen von Politikern der Koalitionsparteien als ganz klares Programm in dieser Legislaturperiode längst herausgestellt worden.Nun noch ein Letztes! Kritik ist für eine Opposition selbstverständlich. Aber sie muß sachlich sein, und sie muß Alternativen bieten.
Eine übertriebene Kritik an der Agrarpolitik fördert eine Entwicklung, in der die Strukturpolitik in ein überschnelles Tempo getrieben wird, das wir alle nicht haben wollen, Herr Dr. Ritz. Deshalb sind wir der Meinung, daß manches, was in dieser Beziehung von Ihnen gesagt wird — vielleicht ist es nachIhrer Meinung für Ihre Partei günstig für diedeutsche Landwirtschaft nicht von Nutzen ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Saxowski.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute morgen hat es in diesem Saal vor Polemik gedröhnt. Es ging von der Einschränkung des Eigentums bis zum vollen Verlust. Das sind die Worte, die wir dauernd draußen in den Versammlungen hören müssen. Es ist nicht so, daß Sie allein der Weisheit letzten Schluß aus dem Land beziehen, sondern auch wir sind unterwegs, auch wir sprechen mit den Bauern. Ich will Ihnen eines sagen: es ist sehr traurig, Herr Kollege Kiechle, wenn man hier nur Angstneurosen züchtet, die die Unsicherheit bei dem bäuerlichen Berufsstand immer noch weiter erhöhen. Man sollte davon ausgehen, daß man mit den Menschen, um die wir hier bemüht sind gemeinsam, betone ich —, etwas vorsichtiger umgehen sollte. Man sollte ihnen aufzeigen, wohin die Politik in der EWG zu führen hat, wie wir sie noch leiten und lenken können und welche Zuständigkeiten heute gar nicht mehr in unseren Bereich hineinzubringen sind.Herr Struve, wenn man so die alten Reden von 1961/62 liest, die Sie und Herr Bauknecht hier gehalten haben, gewinnt man den Eindruck, daß 1961 und 1962 die Landwirtschaft schon vor dem Ruin stand, ja schon am Ende war. Da haben Sie selbst früher Ihre Regierungen angegriffen. Demgegenüber stehen wir doch heute in einer Situation, die aufzeigt, daß eine gewisse Vorwärtsentwicklung in diesem vor uns liegenden Wirtschaftsjahr erreicht werden kann und wird. Man sollte nicht immer nur nach rückwärts schauen, sondern auch sehen, wie sich die Gegenwart und die nahe Zukunft abzeichnen.
Man muß auch einmal um sich sehen, welche Zuständigkeiten uns denn noch verbleiben. Sie tun so, wenn man Ihre Ausführungen heute morgen verfolgt hat — aller Ihrer Redner —, als ob wir in der EWG schalten und walten könnten, wie es uns Deutschen gerade recht und billig ist. Das ist doch nicht mehr drin. Wir haben uns mit sechs Partnern mit vollkommen verschiedenen Interessenlagen auseinanderzusetzen. Hier kann man nur im zähen Ringen um den Kompromiß nach vorne kommen. Dann werden natürlich auch Situationen eintreten, die uns nicht immer angenehm sind. Aber damit will ich meine Einführung beenden und mich dem Bericht zuwenden, um den es hier geht, und werde hier den württemberg-badischen Wahlkampf nicht weiter fortsetzen.
Der Agrarbericht 1972 bezieht sich auf das Wirtschaftsjahr 1970/71. Herr Bremm, hören Sie genau zu, ich werde auch die miesen Zahlen nicht verschweigen, das gebietet die Ehrlichkeit dem Berufs-
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Saxowskistand gegenüber und unter uns als Kollegen. Der Bericht stellt also nicht den aktuellen Bezug zur Lage der Landwirtschaft im Frühjahr 1972 her, sondern er befaßt sich mit einer Situation, wie sie vor einem Jahr bestand. Wir alle, auch die verehrten Kollegen von der Opposition, müssen uns vor Augen führen, daß der vorliegende Bericht in der Analyse der bisherigen Entwicklung hinter der Zeit herläuft und daß die darin aufgeführte voraussichtliche Entwicklung zum großen Teil schon Gegenwart ist. Werden wir uns dieser Tatsache bewußt, kann und muß diese Debatte über den Agrarbericht viel freundlicher und hoffnungsvoller geführt werden, als die Sprecher der Opposition dies bislang getan haben. Aber glauben Sie nicht, daß ich für die taktischen Regieanweisungen kein Verständnis habe, nach denen die Opposition heute morgen vorgeht. Wir dagegen werden uns von diesem Zwang zur Profilierung nicht anstecken lassen. Wir setzen uns mit diesem Bericht auseinander, wie es die Sache und die Lage gebieten: kritisch, nüchtern, mit der gebotenen Skepsis, problem-bewußt, aber ohne in Krokodilstränen auszubrechen, ohne mit dunklen Absichten im Herzen Angstneurosen bei denen zu erzeugen, die uns als betroffene Menschen viel zu schade für psychologische Manipulationen sind.Das Wirtschaftsjahr 1970/71 — das läßt der Bericht erkennen war für die gesamte deutscheLandwirtschaft kein gutes Jahr. Die Wertschöpfung für den Produktionsbereich Landwirtschaft liegt im vergangenen Wirtschaftsjahr bei 16,09 Milliarden DM. Wir müssen hier leider feststellen, daß dies 1,47 Milliarden DM weniger sind als im vorangegangenen Jahr. Die Wirtschaftsleistung je Vollarbeitskraft ging 1970/71 gegenüber dem Vorjahr um 2,7 % auf 11 267 DM zurück. Das sind die nackten Fakten, die wir nicht verschweigen können und wollen, weil der Bericht sie ausweist. Der Abstand zwischen Einkommen aus landwirtschaftlicher und gewerblicher Arbeit ist noch größer geworden. Während sich der gewerbliche Vergleichslohn um 14 % erhöhte, verminderte sich das Betriebseinkommen der Landwirtschaft je Vollarbeitskraft um rund 1300 DM auf 11 800 DM. Das ist auch wieder eine sachliche und nüchterne Feststellung. Es gibt hier Gründe, die dieses Absinken mit hervorgerufen haben,
aber auch entschuldigen. Hier ist das Evangeliumzitiert worden, hier ist der liebe Gott zitiert worden.
Das können wir nicht beeinflussen, weder das Evangelium noch den lieben Gott. Der Herrgott kam von Herrn Gallus und das Evangelium kam von Herrn Kiechle. Wir wollen die Dinge richtig verteilen.
— Wir wollen kein Kolloquium mehr führen; denn sonst sind wir wieder hier unter uns „Pastorentöchtern".Da ist zunächst das Absinken der Schweinepreise — das ist bereits von Ihrem Redner gesagt worden , und es ist immerhin die bemerkenswerte Summe von fast einer Milliarde DM. Wenn Sie bei der bereinigten Betriebsertragsrechnung pro ha einmal nachsehen, die um 105 DM gesunken ist, müssen Sie feststellen, daß allein 85 DM auf Schweine entfallen. Das muß man mit berücksichtigen und hier auch mit zur Diskussion stellen. Darüber kann man sich nicht hinwegmogeln.Dann kommt die Getreideernte, anschließend erhöhter Futtermitteleinkauf, das zyklische Angebot an Kartoffeln — Herr Bittelmann, das wissen Sie und teilweise an Obst und Gemüse und natürlich auch das starke Ansteigen der Preise für Vorleistungen aus dem gewerblichen Bereich. Das geben wir auch zu. Der Index der Einkaufspreise der landwirtschaftlichen Betriebsmittel insgesamt ohne Mehrwertsteuer lag 1970/71 mit 110,8 um 4,7, der Index der Einkaufspreise einschließlich Mehrwertsteuer um 4,9 Punkte höher als 1969/70; auch eine Tatsache.Wenn wir über den Berichtszeitraum sprechen, so sollten wir jedoch die darauffolgende Entwicklung nicht außer acht lassen. Denn seit Oktober ist hier eine Beruhigung eingetreten. Wir stehen im Augenblick auf 5,2; das ist der letzte Bericht vom Januar dieses Jahres. Für Februar hat es weiter keine Verschlechterung gegeben. Das heißt, hier läuft die Entwicklung nach oben.Auf der anderen Seite muß ich auch bei den Produkten sehen, wie sich das Angebot und die Nachfrage am Markt gegenüberstehen. Auch das können wir mit politisch dekretierten Mitteln allein nicht bewerkstelligen.Meine Damen und Herren, hier wurde von Herrn Kiechle ein Katalog aufgestellt, der die Sozialpolitik beinhaltete. Nun, dieses Koalition, die Sie als klein bezeichnen
— noch kleiner; das stört uns nicht — , hat in 21/2Jahren doch endlich den Schritt in die soziale Agrarpolitik hinein getan, der von Ihnen so lautstark gefordert wird und den Sie schon lange hätten bewerkstelligen können.
Denken Sie an das soziale Ergänzungsprogramm, in dem die Landabgaberente auf das Fünffache des Mindesteinheitswerts angehoben wurde und der Personenkreis so weit erweitert wurde, daß fast 80 % der Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe darunterfallen.
— Ob das theoretisch ist, Herr Horstmeier, oder nicht, auf jeden Fall ist es nicht akademisch, wie Sie es hier immer abhandeln wollen. Es ist ein Tatbestand. Sie haben, glaube ich, dem Gesetz sogar zugestimmt, der „Theorie" ; der haben auch Sie zugestimmt. — Und weiter: Für die jüngeren Landwirte ist die Rentenversicherung geöffnet worden mit einer enormen Leistung des Bundes an Einkauf in diese
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SaxowskiVersicherung hinein. Das muß man auch einmal sehen.
— Bitte?
— Der kann sich nicht in einem Jahr zeigen. Sie wollen alles in einem Jahr. Wenn ich an meinen sehr verehrten Herrn Kollegen Struve denke, den ich persönlich sehr achte, muß ich immer an seine Worte denken, die er sprach, wenn etwas Neues — Altersgeld und all diese Fragen damals — in Angriff genommen wurde: Wir müssen erst mal Erfahrungen sammeln. Uns will man nicht ein Jahr Erfahrung sammeln lassen. Das muß bei uns alles ad hoc im Geschwindschritt, wenn nicht sogar im eiligsten Laufschritt geschehen. So kann man es auch nicht machen.Was Herr Kiechle dann hier forderte, war sehr publikumswirksam. Aber fest steht, daß die Bundesregierung bereits das Altersgeld ab 1. Januar 1974 dynamisieren will und daß die Landabgaberente wie auch das Altersgeld noch in diesem Jahr einer Erhöhung in den Leistungen zugeführt werden.
Das sind also Dinge, die schon lange den Bach heruntergeschwommen sind, Herr Dr. Reinhard. Da geht kein Weg dran vorbei.
Was Sie also hier nur prophylaktisch gefordert haben, ist doch bereits Tatbestand durch Beschlüssedieser Bundesregierung. Das müssen wir doch sehen.Gestern haben wir das Gesetz über die Krankenversicherung für die Landwirte im Ausschuß verabschieden können, und es geht den Weg in den Sozialausschuß. Hier wurde gesagt, daß man alles aus der AOK herausreißt. Ich erinnere mich an Aussprüche von Herrn Kollegen Bewerunge gestern, als er sagte: Ich muß an meine 14 sauerländischen Kreise denken, die das alles gar nicht wollen.
— Hören Sie mal, ich war in ,der vergangenen Woche in zwei landwirtschaftlichen Kreisversammlungen seiner Bauernverbände im Sauerland, jede Versammlung von 140,150 Bauern besucht. Wenn man mit ihnen sachlich über diese Krankenversicherung spricht
- oh ja, wir haben drei bis vier Stunden zum Teil miteinander gerungen
— wir stimmen ja nicht ab — und wenn sie dann hören, welche Leistungen und welche Beiträge gezahlt werden müssen, Herr Kollege Horstmeier, dann werden sie auch kleiner.Und tun Sie nicht immer so — ,das stört nur; es stößt nicht ab, es stört nur —, als ob Sie allein die Weisheit und die Erfahrungen auf Ihrer Seite hätten.Da sind Sie in einem kolossalen Irrtum befangen, und ich würde Sie bitten, sich davon zu befreien.
Hier wurde man sich nach den Diskussionen dahin einig, daß man sich auch mit der KVdL durchaus einverstanden erklärt, vor allen Dingen mit dem, was durch uns und mit Unterstützung dieser Regierung noch in dieses Gesetz hineingearbeitet werden konnte. Das wollen wir einmal sehen!
Und wir haben die tiefe Befriedigung, daß wir mit dem Bauernverband und seinen Forderungen hier fast auf einer Ebene liegen;
wir sind kongruent; unsere diesbezüglichen Auffassungen decken sich fast hundertprozentig. Dagegen wehren Sie sich als Berufsvertreter.
— Ach, hören Sie, das ist nicht das erstemal. Wir sprechen ab und zu auch mit dem Bauernverband, und wir werden auch diese Gespräche gar nicht fürchten. Ganz im Gegenteil, wir haben diesen Leuten ja auch etwas zu sagen und etwas anzubieten, ebenso wie wir hoffen, von ihnen zu lernen. Wir sind nicht so ignorant zu sagen, daß wir die Weisheit allein gepachtet hätten, wie es in bezug auf Sie manchmal aus Ihren Ausführungen hervor-klingt.
Nun noch zum Schluß ein Wort zur Preispolitik. Hier werden lautstark eben auch wieder 10 % gefordert. Ich weiß, daß Sie sich damals bei der Preisfrage doch voll den Copa-Beschlüssen angeschlossen haben, und die lauteten auf 12 %. Wenn Sie aber nun einmal Herrn Knottnerus hören, den Vorsitzenden des Landbouwschap in Holland — ich wollte hiermit nur einmal die Einigkeit der Copa verdeutlichen —, der nun an seinen Landwirtschaftsminister Landinois die Forderung richtet, es müßten mindestens 7 bis 8% erreicht werden, dann sehen Sie, daß man da schon etwas realitätsbewußter ist, als wir es uns zum Teil hier immer noch vorgaukeln.Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten steht in Struktur-, Währungs- und Preisfragen noch immer in sehr harten Verhandlungen. Es sind ja im Vorjahr erstmalig — und das muß man auch einmal betonen — Preisanhebungen erfolgt. Sie können also nicht mehr so tun, als lehnten wir Preisanhebungen auf voller Breite und bei voller Flotte immer ab. Ganz im Gegenteil erklären wir — das darf ich hier sehr deutlich sagen — die Preispolitik als ein Instrument zu einem der vornehmsten Anliegen im agrapolitischen Bereich. Preispolitik, Strukturpolitik, Marktpolitik und
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SaxowskiSozialpolitik, diese vier Dinge sind bei uns die kompakte Agrarpolitik. Und diese Dinge können wir auch losgelöst voneinander gar nicht betreiben.Die 51/2 oder — wir können uns ja darum streiten — 5,2 % im Voriahr, die in diesem Jahre durchschlagen, können Sie beim besten Willen nicht leugnen und nicht abstreiten.
— Sie, hören Sie doch mit Ihrer Inflation auf! Gucken Sie sich einmal die anderen Inflationsraten draußen an!
— Sie haben gestern und vorgestern in Inflation gemacht; bei Ihnen ist alles Inflation. Ich will Ihnen einmal eines sagen: ich trete her oben schon bald so auf die Inflation, daß ich ins Stolpern komme, nicht wahr.
Mit dem Ding können Sie auf Ewigkeit keine Politik betreiben. Das ist doch wohl ganz klar. Warum soll man immer nur dieses abgedroschene Zeug erzählen? Aber das ist das einzige, was man von Ihnen hört. Im Augenblick können Sie nicht leugnen, Herr Dr. Reinhard, daß eine Preisberuhigung auf dem Betriebsmittelsektor eingetreten ist und weiter eintreten wird.
Das werden Sie im Laufe dieses Jahres verfolgen können.
— Bitte schön!
Herr Abgeordneter, ich darf Sie gleichzeitig darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Bitte, Herr Abgeordneter, der Kollege läßt die Frage zu.
Herr Abgeordneter, ist nicht vielleicht eine Erhöhung der Preise um nur 2 % bei einer stabilen Währung mehr als eine Erhöhung von 5 % bei einer Inflation?
Also, ich sehe das mit der Inflation überhaupt nicht.
Ich bin kein Währungsexperte. Aber das haben Ihnen schon andere gesagt.
-- Warum lachen Sie? Lesen Sie einmal schön die Indexzahlen der Währungen vergleichbarer Industrienationen durch, und dann haben Sie die volle Beruhigung für Sie — wir sind schon lange beruhigt —, daß wir am Ende stehen.
— Herr Stücklen, wir wissen doch, was Sie wollen! Aber Sie bringen uns damit nicht in die Ecke. Es tut mir leid, Ihnen das zu sagen.
Mir bleibt, da ich zum Schluß kommen muß, nur eines: dem Minister für seine robusten, energischen und zielstrebigen Verhandlungen in Brüssel herzlich zu danken. Das ist unser Bedürfnis,
sowohl das der FDP wie das der SPD.
Wir danken auch dem Bundeskanzler, daß er in den Gesprächen mit Präsident Pompidou diese Fragen in einer sehr energischen und abgerundeten Form bereinigen konnte, so daß wir, im ganzen gesehen, nicht mehr Angstneurosen um uns herumstreuen, sondern zielbewußt und hoffnungsfroh auch in die landwirtschaftliche Zukunft sehen können.
Wir wissen, daß es hier noch viele Strukturveränderungen geben wird, die Sie wie auch wir nicht auffangen können. Wir können nur dafür sorgen, daß Auffangmöglichkeiten bestehen, die diesen Leuten den Übergang so elegant wie eben möglich machen. — Vielen Dank für Ihre Geduld.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ritz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will versuchen, in die Begründung zu unserem Entschließungsantrag einige Antworten auf Aussagen einzuarbeiten, ,die Sprecher der Koalition gemacht haben, aber auch auf das, was der Herr Minister als Zwischenbericht aus Brüssel gegeben hat.Meine Damen und Herren, es ist leider so, ob wir es gerne hören oder nicht, die EWG-Probleme im Agrarbereich bewegen uns schwerwiegend, weil sie am stärksten auch unmittelbar einkommenswirksam sind. Darum zuvor zu diesem Problem einige Worte. Es kann gar kein Zweifel sein, daß sich die CDU/CSU immer zur EWG und zumgemeinsamen Agrarmarkt bekannt hat und bekennt. Wir bekennenuns auch zu dem Weg, den wir seit den Jahren 1956/58 in ,der EWG gegangen sind. Wir können aber für uns in Anspruch nehmen und tun dies auch, daß wir nicht zuletzt wegen der Konsequenzen bis 1969 nicht bereit waren, währungspolitische Allein-
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Dr. Ritzgänge mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Landwirtschaft hinzunehmen.
Meine Damen und Herren, ich spreche auch nicht gerne von der Aufwertung 1969, aber es tut mir leid, wir müssen halt noch davon sprechen, und zwar nicht von der Aufwertung, sondern von den Folgen.
Es kann doch gar kein Zweifel sein, daß durch den Teil des Aufwertungsausgleichs, der flächenbezogen gewährt wird, den wir hier auch gar nicht verniedlichen oder verkleinern wollen, Marktvorteile für andere Partner im deutschen Agrarmarkt einfach nicht verhindert werden können. Das wirkt eben nach, das ist doch das entscheidende Problem.
Deshalb bleibt für uns die Frage, wie wir nach all den Übergangsregelungen, die hier eingebaut sind, mit den Problemen fertig werden.Nun zu dem Zwischenbericht, den der Minister gegeben hat. Da es ein Zwischenbericht war, kann dies auch nur eine Zwischenwertung sein, keine abschließende Wertung. Herr Minister, Sie haben im Verlauf der Verhandlungen erreicht, daß man einen Grenzausgleich in einer bestimmten Größenordnung wenn ich das recht sehe, 2,7 % — füreine bestimmte Übergangszeit , degressiv bzw.in Stufen abzubauen durchgesetzt hat. Lassen Siemich zu diesem Teil ganz deutlich sagen, dies ist eben auch nur ein Grenzausgleich im bisherigen Umfang, d. h. er erfaßt viele Agrarprodukte gar nicht, und er erfaßt darüber hinaus bei vielen Veredelungsprodukten nur einen Teil des Warenwerts. Nun machen Sie uns ,den Vorwurf: Wenn ihr, Opposition, einen umfassenden Grenzausgleich fordert, müßt ihr wissen, das ist mit dem Vertrag gar nicht vereinbar. Herr Minister, das nehmen wir hin, wenn Sie das sagen, nur müssen Sie dann hinnehmen, daß wir darauf hinweisen, daß Sie noch im Dezember 1971 im Deutschlandfunk gesagt haben, es stelle sich jetzt die Frage, inwieweit das bisherige Konzept überhaupt noch beibehalten werden könne; nach Ihrer Meinung solle man den Weg nach vorn gehen und eine flexiblere Lösung als die Rechnungseinheit suchen. Ich kann nur sagen, wenn Sie als amtierender Minister durchaus zu Recht als Folge der währungspolitischen Veränderungen zu dieser Schlußfolgerung kommen, können Sie es der Opposition doch nicht verargen, daß sie Vorschläge macht, die letztlich allein die Möglichkeit geben, langfristig Nachteile von einem landwirtschaftlichen Teilmarkt, nämlich dem der deutschen Landwirtschaft, fernzuhalten. Das ist doch das eigentliche Problem, und man sollte doch nicht immer uns einseitig Vorwürfe machen, wir machten unrealistische Vorschläge, während Sie selbst in Aussagen des Jahres 1970, aber auch des Jahres 1971, zu diesen Konsequenzen kommen, wie ich sie zitiert habe.Meine Damen und Herren, nun ist die Mehrwertsteuer in der Größenordnung bis zu 2 % vorgesehen.Herr Minister, gegen diese Lösung ist gar nichts zu sagen; im Gegenteil! Auch wir meinen, daß die Mehrwertsteuerregelung, wenn sie in den Umsatzsteuergrenzausgleich einbezogen wird, im Grunde viel wirksamer packt als das Grenzausgleichssystem.
Das wollen wir genauso. Nur, meine Damen und Herren: Wir sind nach wie vor der Meinung — und deshalb bedauern wir, daß wir das heute nicht diskutieren und nicht darüber abstimmen konnten —, daß eine Anhebung der Mehrwertsteuer als Ausgleich für das, was wir 1970/71 hinnehmen mußten, überfällig gewesen wäre. Das ist jetzt der entscheidende Punkt, d. h. wir nehmen jetzt die Mehrwertsteuer zum Ausgleich für die vor uns stehende Paritätsfestsetzung und haben damit keinerlei Manövriermasse, um durch eine solche nationale Maßnahme entscheidende Verbesserungen durchzusetzen.
Nun zu den Fragen des Marktes und der Marktstruktur. Hier gehe ich gern auf den Kollegen Schmidt ein. Niemand von uns bestreitet, daß wir in Fragen der Marktstruktur auch weiterhin große Anstrengungen machen müssen, auch die Praxis selbst. Was nützen uns aber — ich meine, das hat der Kollege Früh mit den Zahlenbeispielen sehr deutlich gemacht — marktkonforme Verhaltensweisen, indem wir die Schweineproduktion etwa nur in einem Umfang von 8 % ausweiten, wenn die andern dies um 25 bis 35 % tun und dann noch Vorteile erhalten, ,die durch die Geldparität bestimmt sind und die noch im deutschen Markt voll wirksam werden. Hier liegen doch die eigentlichen Probleme. Ich sage noch einmal: Niemand verkennt bei uns, daß wir im Bereich der Marktstruktur weiterhin beachtliche Leistungen erbringen müssen, wenn wir vor allem auch in einer erweiterten EWG — ich denke hier auch an die Dänen — unsere Marktanteile halten wollen. Nur befürchten wir — diese Befürchtung ist hier nicht ausgeräumt worden —, daß wir, unabhängig von diesen Anstrengungen im EWG-Gefüge, Verzerrungen bekommen haben, die die Landwirte allein nicht mehr auszugleichen in der Lage sind.Meine Damen und Herren, wenn wir uns aber schon im Bereich des Grenzausgleichs damit abzufinden ,haben, daß er nicht umfassend ist, daß ,er nicht den vollen Warenwert erfaßt, dann werden wir — und hier ist wieder die Frage nach der Alternative nicht umhin können, nationale Ausgleichsmittel für Wirtschaftsgruppen bereitzustellen — ich nenne hier jetzt nur als Beispiele die Kartoffel- und Geflügelwirtschaft, die Eier-, Obst- und Gemüseproduktion —, um hier wirklich ,die schwerwiegenden Konsequenzen, die sich aus diesem begrenzten Grenzausgleich ergeben, einigermaßen befriedigend abfangen zu können. Das ist dann die einzige Konsequenz, die sich daraus ergibt.Lassen Sie mich ein Wort über die verbesserte Lage heute sagen. Ich kenne keinen Kollegen, der nicht einräumt, daß sich die Entwicklung im laufenden Wirtschaftsjahr verbessert hat. Ich glaube, Sie werden mir einräumen — ich sehe hier den Kollegen Lemp; ich habe mit ihm Podiumsdiskussionen be-
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Dr. Ritzstritten, oder er mit mir, wie man will —, daß ich dies nie, auch nicht draußen in Versammlungen bezweifelt habe. Nur, meine Damen und Herren, es bleibt halt dabei: Wenn ich das Wirtschaftsjahr 1970/71 und das von 1971/72 in seiner prognostischen Aussage addiere, dann komme ich zum Ergebnis Null, und das in einem Zeitraum, in dem in übrigen Wirtschaftsbereichen Einkommensverbesserungen in der Größenordnung von 16 bis 18 % eingetreten sind.
Da kann man doch nicht sagen: Das alles ist in Ordnung.
— Das sind nun Tatsachen, an denen man nicht einfach vorbeisehen kann. Ich wiederhole: Wir ignorieren nicht, ,daß die Situation im laufenden Wirtschaftsjahr besser geworden ist. Aber diese Verbesserung reicht leider nur dazu aus, um den alten Stand von 1969/70 wiederzuerreichen; das ist doch das eigentliche Problem.
Ein Wort zur Strukturentwicklung. Niemand in diesem Hause, auch nicht im Bereich der Opposition, bestreitet, daß sich der Strukturwandel in der Landwirtschaft fortsetzt. Das hat es nie gegeben, und heute gibt es auch niemanden, der dies sagt. Aber es ist eben die Frage, ob man das Ausscheiden von 80 000 Betrieben und 120 000 Menschen in einem Wirtschaftsjahr als normal hinstellt und damit als normales Tempo für die nächsten Jahre charakterisiert. Ich kann nur sagen, dieses Tempo ist zu hoch! Denn dies ist ein Tempo, das dazu führen würde, daß in weiten Teilen 'der Bundesrepublik der Strukturwandel der Landwirtschaft überhaupt nur noch durch passive Sanierung zu meistern wäre.
Da ich aber weiß, daß niemand — ich gehe jedenfalls nach wie vor davon aus in diesem Hause passive Sanierung, d. h. Abwanderung aus der Fläche in den Ballungsraum, will, nehme ich an, daß wir uns dann auch einig sind, daß diese Ziffern zu hoch sind und daß wir den Strukturwandel wieder in eine normale, in eine organische Entwicklung überführen müssen.Dazu gehört, daß der Landwirt die Sicherheit hat, daß er sowohl über die Preise wie über ,die Förderungskonditionen in der Lage ist, sein Einkommen so zu gestalten, daß er insgesamt ein zufriedenes Daseindaraus erwirtschaften kann. Das ist der Punkt.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich jetzt zur Begründung des Antrages noch einige Worte darüber hinaus sagen. Wir bringen in dem Antrag zum Ausdruck, daß wir eine Anhebung der Preise entsprechend der Anpassung an die Kostenentwicklung für notwendig halten. Da sind mir vorhin
— verzeihen Sie, Herr Kollege Peters — 5 % genannt worden. Wenn ich davon ausgehe, daß im vergangenen Wirtschaftsjahr die Kostensteigerung bei 6,8 % lag und wir in Brüssel nominal etwa 2 bis 3 % Preissteigerung realisiert haben — ich nehme das für dieses Jahr mit hinzu —, dann kommen Sie halt immer noch auf die 10 % — um ,das hier ganz deutlich zu sagen.Wir haben in unserem Entschließungsantrag noch einmal sehr deutlich auf die Notwendigkeit der Harmonisierung im Bereich der EWG in ganz bestimmten Sektoren hingewiesen. Wir meinen hier vor allem 'den Bereich des Futtermittel-, Lebensmittel- und Arzneimittelrechts. Niemand von der Opposition hat sich dagegen verwahrt oder sich dagegen gewehrt, daß die Bundesregierung Gesetze erarbeitet und 'diesem Hause vorgelegt hat, ,die auf einen verstärkten Gesundheitsschutz im Bereich des Lebensmittel-, Futtermittel- und Arzneimittelrechts abheben. Da sind wir durchaus der Meinung, das ist gut so. Nur muß sichergestellt sein, daß wir in einem gemeinsamen Agrarmarkt auch von gemeinsamen Regelungen ausgehen.Wenn dies nicht geht, und wenn dies nicht so schnell geht, wie dieses nationale Parlament arbeitet, dann muß halt an der Grenze sowohl im Interesse der Verbraucher als auch der Erzeuger nach diesen unseren verschärften rechtlichen Bestimmungen gehandelt werden.Dabei gibt es dann viele Probleme. Wir können eben viele Rückstände noch nicht — etwa im Grenzverkehr — sofort und schnell feststellen. Deshalb bleibt die Forderung nach der Harmonisierung eine der dringendsten Forderungen im Hinblick auf den gemeinsamen Agrarmarkt.Wir haben in diesen Entschließungsantrag auch den Bereich der nationalen Agrarpolitik aufgenommen und fordern, im Förderungsprogramm sicherzustellen, daß stärker als bisher den unternehmerischen Fähigkeiten des Betriebsleiters und der aktuellen Situation des landwirtschaftlichen Betriebes Rechnung getragen wird und wir wieder zu einer echten Investitionsbeihilfe kommen.Hier ist heute gesagt worden, wir hätten dieses Programm total zerrissen. Zu Recht, wie ich meine. Denn diese unsere Kritik über ein Jahr hat ja nun in der Tat dazu geführt, daß einige von uns gar nicht geleugnete Verbesserungen in dieses Förderungsprogramm eingebaut worden sind. Das begrüßen wir; denn wir haben doch die Istzahlen des vergangenen Jahres.
— Wie Sie das nennen, ist Ihre Sache.Wir haben von Anfang an gesagt, daß das Förderungsprogramm mit seinen damaligen Möglichkeiten nicht in der Lage sein würde, auch nur annähernd vernünftige Förderungskonditionen zu gewähren, daß dieses einzelbetriebliche Förderungsprogramm höchstens deshalb seinen Namen verdiene, weil man
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Dr. Ritzdamit nur noch einzelne Betriebe fördern könne. Das war doch von Anfang an das Problem.
— Herr Kollege Löffler, das ändert nun alles nichts. Wir sind im Bereich der betrieblichen Investitionsförderung — wenn ich einmal von der Zahl 20 000 im gesamten Bundesgebiet absehe — praktisch über eineinhalb Jahre auf der Stelle getreten. Das ist die Wirklichkeit. Hier sind jetzt einige Verbesserungen.Wir regen in diesem Entschließungsantrag ebenfalls an, den Dieselkraftstoff für die Landwirte bis zu einer Umstellung auf ein neues System zusätzlich um 2 Pf zu verbilligen. Das sind genau die 2 Pf, von denen der Parlamentarische Staatssekretär Hermsdorf hier im Hause gesagt hat, daß durch die Umstellung von dem sogenannten Leber-Pfennig auf die erhöhte Kfz-Steuer der Landwirtschaft zusätzliche Kosten im Bereich der Transporte entstehen. Wir meinen, es wäre das mindeste, daß man auf diesem Wege wenigstens diesen Kostenanstieg neutralisierte.
Einen letzten Gedanken, der sich mit der Sozialpolitik beschäftigt: Wir schlagen vor, nach entsprechender Anhebung der Altershilfe und der Landabgaberente — hier bestehen keine Meinungsverschiedenheiten im Hause — auch zu einer Dynamisierung dieser Maßnahmen zu kommen.Darüber hinaus regen wir in diesem Entschließungsantrag an, doch einmal zu prüfen — das erscheint mir nicht unwichtig , ob man nicht in den Bereichen, in denen Betriebe zwar die Bereitschaft haben, ihr Land langfristig zu verpachten, aber niemand mehr da ist, der dieses Land aufnimmt, einen völlig neuen Weg gehen sollte, auch etwa mit direkten Einkommensübertragungen oder Bewirtschaftungszuschüssen.
Herr Kollege, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zum Ende kämen.
Herr Minister, Sie wissen, diese Frage spielt eine entscheidende Rolle. Ich bin der Meinung, wir hätten hier einen ersten guten Einstieg, die Betriebe, die ihr Land heute verpachten wollen, aber nicht können, durch direkte Bewirtschaftungszuschüsse im Interesse der Erhaltung der Natur- und Erholungslandschaft zu fördern, wenn sie extensiv ihre Flächen der Allgemeinheit weiterhin erhalten. Dies scheint mir zur Begründung zu sagen zu sein.
Meine Damen und Herren, es ist hier gesagt worden, von Alternativen sei keine Rede. Hier ist eine ganze Reihe von alternativen Vorschlägen vorgebracht worden. Es bleibt dabei, eine der Hauptschwierigkeiten bleibt die Regelung der europäischen Probleme. Wir sollten aber auch alles, was wir national machen können, im vollen Umfang tun. Hierzu haben Sie unsere Mitarbeit, auch durch ganz konstruktive Vorschläge. Ich meine, die Landwirtschaft hat es verdient, daß sich alle in diesem Haus gleichermaßen bemühen, das Optimale für sie zu tun.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Fosten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will jetzt auf einige Bemerkungen eingehen und hoffe, daß wir diese Debatte dann beenden können. Herr Kollege Ritz, Sie haben aufgezählt, was die Regierung möglicherweise versäumt hat. Ich gebe Ihnen einen guten Rat: Lesen Sie einmal den Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion aus der ersten Debatte nach, die ich als Bundesernährungsminister im Jahre 1970 bestreiten mußte! Lesen Sie mal nach, was Sie da für Vorschläge gemacht haben! Wenn ich mich an die Vorschläge der Opposition gehalten hätte, dann hätte ich möglicherweise den Milchpreis gesenkt. Ich habe ihn erhöht.
Lesen Sie mal Ihren eigenen Entschließungsantrag nach! Aber da waren bei Ihnen noch die Nachwirkungen vorhanden, da haben Sie noch ein besseres Gedächtnis gehabt. Da wußten Sie ganz genau, in welche Lage Sie die Landwirtschaft durch Ihr eigenes Nichtstun auf dem Preissektor im Rahmen der EWG-Agrarpolitik hineinmanövriert haben. Das haben Sie 1970 noch zugegeben, und das kann jedermann in den Parlamentsprotokollen nachlesen. Wenn ich mich daran gehalten hätte, wäre der Einkommensverlust der Landwirtschaft in diesem Jahr möglicherweise noch höher. Aber ich habe von vornherein eine andere, nämlich eine aktive Preispolitik in der EWG betrieben — das kann ich heute an Hand von Zahlen nachweisen —, und zwar in einer Form, die weit über das hinausgegangen ist, was Sie als Opposition im Frühjahr 1970 zu fordern gewagt haben.
— Ich werde auch noch auf die Frage der Preise eingehen.Ich möchte es jetzt etwas zusammenfassen. Im wesentlichen hat es sich ja um die vier Punkte gehandelt: Landwirtschaft im Rahmen der EWG und die sich daraus ableitenden Folgen, einzelbetriebliches Förderungsprogramm, Sozialpolitik und Marktpolitik. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich nicht auf alle einzelnen Argumente eingehe, insoweit auch nicht auf die vom Kollegen Früh angesprochenen kalten Füße. Ich kann Ihnen nur sagen: Nach Schmücker hatte die deutsche Landwirtschaft sich in Brüssel sogar die Zehen erfroren. Aber ich will auf diese Gesichichte gar nicht weiter eingehen.Lassen Sie mich jetzt einige Bemerkungen zur Situation der Preise machen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972 10401
Bundesminister Ertl— Herr Kollege Struve, ich mache Ihnen hier sogar ein Angebot.
Wir werden diese vier Jahre mit Ihren vier Jahren vorher bilanzieren. Dazu bin ich bereit. Das ist ein faires Angebot.
— Die vier Jahre, in denen ich Verantwortung getragen habe.
Ich bin bereit, diese mit den Durchschnittszahlen Ihrer Jahre auf allen Gebieten zu bilanzieren. Darüber werden wir uns nächstes Jahr unterhalten, und dann werden Sie sich nicht mehr aufzuregen haben bzw. werden Sie zugestehen müssen, daß diese Regierung wesentlich mehr Aktivität in die Agrarpolitik investiert hat als jede Regierung, die von Ihnen mitgetragen wurde.
Ich bin aufgefordert worden, Zahlen zu nennen. Ich nenne hier Zahlen. Index der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise, 1961/62 gleich 100! 1964/65: 107,2, 1965/66: 114,1, 1966/67: 109,3, 1967/68 — Herr Kollege Struve, jetzt kommen wir gleich zu diesem Thema, und ich nehme an, daß Sie das wenigstens nicht bezweifeln —: 99,8.
— Ja, aber die Preise — das sagten Sie doch selber — sind ein wesentlicher Teil des Einkommens.
— Herr Kollege Reinhard, Sie können mich nicht durcheinanderbringen.
Das müssen Sie mir glauben. Sie sollten nicht versuchen, durch solche Dinge hier Ablenkungsmanöver zu unternehmen. Sie sollten einmal bei dem bleiben, was ich hier vortrage. Ihr Vorsitzender hat mich aufgefordert.Dann geht es weiter: 1968/69: 102,6, 1969/70: 106,2— sehen Sie —, 1970/71: 98,1, aber ohne Ausgleichszahlung und Liquiditätshilfen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch das gehört doch dazu, daß Sie dann mindestens den Betrag von rund 1,2 Milliarden DM, der als Ausgleichszahlung und Liquiditätshilfe gezahlt wird, auf das Einkommen umrechnen. Das tun Sie überhaupt nicht. Vor allen Dingen, wenn ich Ihre Reden nachlese, tun Sie einfach so, als wenn das selbstverständlich wäre.Nun kommt ,die Wende: Juli 1971: 99,2, August 1971: 102, September 1971: 102,4, Oktober 1971: 103,6, November 1971: 105,0, Dezember 1971, 106,7, Januar 1972: 106,3, Februar 1972: 108,3. Das ergibt gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung von 12,2 %.Das sind die Zahlen, die effektiv sind. Ich wäre Ihnen doch sehr dankbar, wenn man dann hier nicht ununterbrochen behauptete, diese Regierung operiere mit Zahlen, ,die nicht nachweisbar seien.
— Ich bin gerade dabei. Sie sind immer zu voreilig; deshalb haben Sie kein Glück, Herr Dr. Reinhard.Nun ein Weiteres. Ich komme Ihrem Wunsch nach. Ich tue ja alles; wissen Sie, ihrem Charme kann ich mich nicht entziehen.
Index der Einkaufspreise landwirtschaftlicher Betriebsmittel: 1960: 92, 1961: 94, 1962: 98, 1963: 100, 1964: 102, 1965: 105, 1966: 107, 1967: 103, 1968: 100, 1969: 103. Sie sehen, auch in der Zeit vor mir ist es schon heraufgegangen. Das gebe ich zu, allerdings kommt dann ein sehr beachtlicher Sprung: 1970: 108. Den habe ich übrigens in meiner Rede auch nicht verkleinert, sondern das habe ich in aller Offenheit zugegeben.
Aber jetzt werde ich Ihnen sagen, wie es ausschaut im Vergleich zur EWG.
— Die Zahl habe ich im Augenblick nicht da,
aber sie dürfte um ungefähr 5 % höher liegen. Der Durchschnitt ist im Agrarbericht nachzulesen; er liegt bei 4,7 %.
— Sehen Sie, Herr Dr. Reinhard, ich finde das immer so merkwürdig. Mit mir können Sie ja reden. Ich muß Ihnen aber sagen: So, wie Sie sich immer bei Rednern der Koalition aufführen — da müssen Sie eine Rede von Gallus mit mehr Würde ertragen. Das muß ich Ihnen ganz offen sagen. Ich habe das Gefühl, daß Sie das gar nicht können, uns einmal ungestört reden zu lassen, daß Sie sich selber sehr beleidigt fühlen, wenn Sie unterbrochen werden, daß Sie aber ständig unterbrechen. Das ist auch eine Frage der Fairneß in diesem Hause.
Aber ich bin bereit. Sie können sich zu Wort melden. Stehen Sie auf! Ich rede mit Ihnen stundenlang, wenn Sie wollen, bis nachmittags um fünf.Noch einmal: 4,7% im Durchschnitt.
— Herr Stücklen, es steht Ihnen frei, eine Frage zu stellen.
— Der muß in seinen Heimatort. Er ist aus Baden-Württemberg. Wo sind denn Ihre Freunde? Herr Stücklen, machen Sie es sich doch nicht so einfach und billig!
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10402 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972
Bundesminister ErtlItch werde Ihnen auch die Zahlen aus Frankreich vorlesen, weil das ja so wesentlich ist. Ich gehe aber nur auf die Zahlen für 1970 ein, die sich übrigens im Jahre 1971 nicht abgeschwächt haben — damit hier keine Irrtümer entstehen. In Frankreich 121 zu 108 in der Bundesrepublik, in den Niederlanden 122 zu 108 in der Bundesrepublik, in Belgien 118 zu 108 in der Bundesrepublik.Und jetzt komme ich zur Relation zwischen Preisen und Kosten. Diese Relation ist in unseren Partnerländern für die Landwirtschaft wesentlich schlechter als in dieser Bundesrepublik, nicht zuletzt durch die gesamte Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung. Und in diesem Zusammenhang müssen Sie auch die Aufwertung sehen.
Sie sehen, ich könnte den Dialog sehr weit und sehr intensiv fortsetzen. Aber ich will das gar nicht.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehnes?
Herr Minister, können Sie mir sagen, warum andere EWG-Staaten angesichts der Preis-Kosten-Relation gegen die Preiserhöhungen in Brüssel sind?
Das will ich Ihnen sehr genau sagen: Weil ein Kollege — ich will jetzt keinen Namen nennen, denn ich will keinen Kollegen in Brüssel in Schwierigkeiten bringen — erklärt hat: Uns interessieren die Forderungen des Berufsstandes gar nicht; wir machen eine Politik für unsere Verbraucher.
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ritz?
Das war eine sehr präzise Antwort, meine ich. Und das will ich hier auch ganz offen sagen, Herr Kollege Ehnes: Diese Regierung macht, weil sie die gesellschaftspolitische Bedeutung der Bauern erkannt hat und voll würdigt, diese Politik, obwohl erhebliche Teile des Berufsstandes einseitig CDU-Politik machen und die Regierung nicht unterstützen.
Aber wir machen die Politik um der Sache willen. Ich sage das, damit Sie nicht meinen, wir wären so dumm und wüßten das nicht. Für die Stimmen brauchen wir diese Agrarpolitik bestimmt nicht zu machen.
Hier steht der Mensch im Mittelpunkt. Ich sage das,
weil gerade auch Sie, Herr Kollege Ehnes, und Sie,
Herr Kollege Struve, im Interesse der Bauern und
auch der Politik eine besondere Verantwortung haben.
— Ja, das mußte ich sagen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Minister, ich glaube, es läge im Interesse einer objektiven Unterrichtung, wenn wir doch in der Lage wären, auch Vergleichszahlen etwa aus dem EWG-Bereich in den Agrarbericht einzubauen. Trifft es zu, daß im Jahre 1970/71 — ich persönlich habe diese Zahl gelesen — die Einkünfte der französischen Farmer um 7 % gestiegen sind?
Bei den Franzosen stimmt es, aber nicht bei den Holländern und Belgiern.
Die Betriebsmittelpreise aber — das betone ich noch einmal — sind in Frankreich erheblich gestiegen.
— Aber, verehrter Herr Kollege Ritz, wärmen Sie doch nicht alte Kamellen auf!
Die Franzosen haben doch zunächst einmal einen Vorteil aus den Getreidepreissenkungen gehabt. Das darf man ja nicht immer sagen, aber jetzt muß ich es sagen: Sie haben einen Vorteil von 10% gehabt. Sie haben auch — das weiß jedermann -aus der Auf- und Abwertung einen Vorteil gehabt. Daraus ergibt sich per Saldo eine wesentlich größere Preisanhebung, aber es ergibt sich daraus per Saldo nicht eine wesentlich verbesserte Einkommenssituation.Ich bin gern bereit, dem Ausschuß in dieser Frage noch einmal zu berichten. Ich nehme auch Ihre Anregung dankend zur Kenntnis. Wir werden diesen Teil im nächsten Agrarbericht noch weiter ausdehnen, weil ich in der Tat der Meinung bin, daß das eine sehr wesentliche Frage ist. Ich werde Ihnen dabei behilflich sein und bin auch bereit, jede mögliche Auskunft zu geben.
— Ja, aber ich versuch's trotzdem. Man soll nie
müde werden.Ich will nur noch eine Bemerkung machen; ich möchte über dieses Thema nicht zu lange sprechen. Wer den Einkommensrückgang der Landwirtschaft genau analysiert, wird feststellen, daß der Rückgang schweinezyklusbedingt — der ist nun weiß Gott nicht EWG-bedingt; einer der Vorredner hat das gesagt — 1 140 000 000 DM ausmachte. Von
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Bundesminister Ertl2 480 000 000 sind das genau 50%. Geringere Getreideernte: 590 000 000; höhere Betriebsmittelpreise: 750 000 000.Ich stimme Ihnen vollauf zu, meine Herren von der Opposition: Für die Landwirtschaft ist es lebensentscheidend, daß die Wirtschaftspolitik unter einem Primat der Stabilität geführt wird.
Das gebe ich Ihnen offen zu. Aber ich muß Ihnen auch weiter sagen: Wenn Sie die Wirtschaftszeitungen in dieser Woche lesen, werden Sie feststellen, daß sich die Erzeugerpreise auf dem Industriesektor erneut reduziert und wir insoweit einen beachtlichen Schritt zur Stabilität hin getan haben. Das, glaube ich, werden Sie in dieser Woche nicht mehr ernsthaft bestreiten können; noch dazu — ich war nicht da —, wo das in der Wirtschaftsdebatte, wie ich meine, sicherlich ausführlich behandelt worden ist.Im übrigen sind wir hier in Übereinstimmung mit allen anderen. Aber auch das sei hier gesagt ich freue mich sehr über die Feststellung des Kollegen Ritz —: Ich bekenne mich zur EWG, weil ich der Meinung bin, alles, was eine Regierung an Verpflichtungen eingegangen ist, ist auch von einer Regierung mit einer anderen politischen Konstellation einzuhalten. Deutsches Wort muß geltenganz gleich, welche Basis eine Politik hat.
Unter diesem Gesichtspunkt stehe ich zur EWG,obwohl ich — das weiß jedermann; ich sage das nicht nur in diesem Hohen Hause, ich sage das auch dort, wo es notwendig ist erst in dieser Woche z. B. über das Thema Einkommensübertragung einen echten Diskussionsbeitrag unsererseits vorgeschlagen habe, wie man möglicherweise die Agrarpolitik doch modifizieren kann.Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren der Opposition, diesen Weg kann man nur in Übereinstimmung mit der Kommission und unseren Partnern beschreiten. Das verlangt die europäische Loyalität, zu der ich vollauf stehe.
Aber ich mache Vorschläge. Mir wäre es allerdings lieb gewesen, wenn solche Vorschläge schon früher gemacht worden wären. Ich habe noch nie gehört, daß in der Zeit, in der Sie, meine Herren, die Verantwortung hatten, echte Alternativen bezüglich der EWG und der Agrarpolitik vorgelegt wurden. Das habe ich, weiß Gott, nie gehört. Ich hätte Sie dabei vollauf unterstützt.Meine Initiativen können Sie nachlesen. Herr Kollege Ritz, Sie haben recht, wenn Sie zuvor anführten, ich hätte gesagt, mir wäre eine flexiblere Form lieber. Der Beschluß der Nacht zum Donnerstag in Brüssel trägt dieser Flexibilität exakt Rechnung. Aber jedermann weiß, daß erstens solche Formen — das möchte ich noch einmal betonen —, solche Regelungen und Modifizierungen nur in Übereinstimmung mit allen Partnern erfolgen können und daß das zweitens nur in Form von Stufen möglich ist.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte am Schluß zu diesem Punkt zusammenfassen: Die Agrarpolitik — auch das habe ich wiederholt meinen Kollegen in Brüssel gesagt, weil ich der Meinung bin, zunächst muß man das denen sagen, mit denen man verhandeln muß — ist zweifelsohne in der Sackgasse, wenn es nicht gelingt, in der Wirtschafts- und Währungsunion zu konkreten Schritten zu kommen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch das muß ich hier doch sagen: Noch nie hat es derart konkrete Verhandlungen über die Wirtschafts- und Währungsunion gegeben wie in den letzten zwei Jahren. Die Bandbreitenverengung und der Lenkungsausschuß sind doch konkrete Ansätze. Früher wurde immer nur geredet, aber nicht gehandelt. Diese Regierung hat auf diesem Sektor gehandelt und hat sogar Fortschritte erzielt.
— Mit zwei Aufwertungen! Es tut mir leid, aber Sie zwingen mich dazu — Sie schießen lauter Selbsttore, meine Herren —, immer wieder die Vergangenheit aufzurollen. Die Aufwertung 1969 war doch ein Zugzwang nach der Abwertung des Franc.
Wollen Sie sagen, daß die Franzosen hier einen Alleingang gemacht haben? Das können Sie natürlich sagen. Aber dadurch wurde ein Zugzwang ausgelöst. Verehrter Herr Kollege Ehnes, unterhalten Sie sich einmal mit Ihrem Parteivorsitzenden über seine verhängnisvolle Rolle. Er hat die Bundesregierung zu einer Zeit, als sie hätte handeln können, ständig daran gehindert zu handeln, als er noch Finanzminister war.
Das hat dem deutschen Steuerzahler und der deutschen Landwirtschaft sicher nicht genutzt.
— Das glaube ich selber nicht? Das kann ich Ihnen sogar auf Heller und Pfennig beweisen.
Ich will Ihnen noch etwas sagen. Ich habe selbst einige Marktordnungen ausgehandelt — darüber können Sie mit den Betroffenen reden —, z. B. die Weinmarktordnung, die Tabakmarktordnung, die Fischmarktordnungen
— und die Hopfenmarktordnung. Dafür habe ich sogar — Herr Kollege Stücklen, ich bedanke mich sehr — den internationalen Hopfenorden bekommen.
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10404 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972
Bundesminister Ertl— Sie hätten ihn sich vorher längst holen können, wenn Sie etwas getan hätten.
Ich hätte ihn gern an Sie abgetreten und hätte Ihnen hier gratuliert. Ich wäre ein fairer Mann gewesen und hätte zu Ihnen gesagt: Meinen Glückwunsch, Sie haben etwas geschaffen! Auf jeden Fall haben die Marktordnungen — darüber können Sie sich mit den Betroffenen unterhalten —, die ich in Brüssel ausgehandelt habe, vitale Interessen der deutschen Landwirtschaft nicht aufgegeben, sondern sie haben sie absolut berücksichtigt. Das können Sie in den Agrarberichten nachlesen, wenn Sie sich beispielsweise über die Situation der Weinbauern oder der Tabakbauern informieren.
Hier wurde über das einzelbetriebliche Förderungsprogramm gesprochen. Ich freue mich über die Diskussion. Ich möchte dazu nur folgendes feststellen. Mir liegt ein Bericht aus der „Ostfriesen Zeitung" in Leer vor.
— Ja, das ist ein guter Ostfriesenwitz, Herr Schröder. Die Überschrift lautet: „Bauern vertrauen auf Ertl-Plan." Das können Sie nachlesen.
- Das ist eine Tatsache, Herr Niegel. Ich weiß, daßdas nicht in Ihr Konzept paßt. Ich glaube mich erinnern zu können, daß im Protokoll verzeichnet ist, daß sich alle Fraktionen des Deutschen Bundestages bei der Beratung des einzelbetrieblichen Förderungsprogramms positiv geäußert haben. Sie haben allerdings gewisse Änderungswünsche angemeldet. Ja, meine Herren, dann sollte man das aber auch hier sagen und sollte nicht draußen ununterbrochen polemisieren.
— Nein, das können Sie nachlesen, verehrter Herr Kollege Lemmrich. Wenn ich mich mit jemandem auseinandergesetzt habe, habe ich das hier getan. Draußen habe ich immer versucht, die Position und die Schwiergkeiten des jeweiligen Ernährungsministers mit einem Höchstmaß an Objektivität darzustellen. Das hat meiner Partei nicht immer Freude bereitet.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schröder?
Bitte sehr!
Herr Minister, da Sie die „Ostfriesen Zeitung" zitiert haben, möchte ich an Sie die Frage richten: Ist Ihnen bekannt, daß die Anträge zu dem einzelbetrieblichen
Förderungsprogramm zunächst nur sehr zögernd gestellt wurden, daß sie aber in der Hoffnung gestellt wurden, daß auch das niedersächsische Grünlandprogramm in das einzelbetriebliche Förderungsprogramm einbezogen würde?
Herr Kollege Schröder, ich kann Ihre Meinung — Ihre Frage war übrigens eine Feststellung — nicht teilen. Ich will Ihnen jetzt nicht den ganzen Artikel vorlesen; das will ich Ihnen aus Zeitgründen ersparen. Sie können ihn nachher bei mir einsehen. Er steht in Ihrer Zeitung aus Leer.
Ich habe ihn sicherlich nicht angeregt, aber ich habe ihn mir aufgehoben. Ich kann Ihnen nur sagen, was daraus hervorgeht, nämlich daß man an dem Programm in einem Maße Anteil nimmt, wie es früher kaum der Fall gewesen ist.
— Herr Niegel, Sie können sich zu einer Frage melden. Ich würde sagen: Seien Sie doch endlich einmal anständig in diesem Hause!
— Ist doch wahr! Melden Sie sich doch zu einer Frage! — Bitte sehr, Herr Kollege Struve!
Der Abgeordnete Struve hat sich zu Wort gemeldet.
Ich kann doch gar keine Antwort geben, wenn ununterbrochen Zwischenfragen kommen. Ich kann doch nicht auf alle Bemerkungen eingehen.
— Gut, wenn Sie wollen, ich kann auch das.
Meine Damen und Herren — entschuldigen Sie, Herr Minister —, ich wollte nur auf die Geschäftslage des Hauses aufmerksam machen. Wir haben noch zwei Gesetze zu verabschieden, und es liegen dazu auch noch Wortmeldungen aus dem Hause von beiden Fraktionen vor.
Ich will noch auf einen Punkt hinweisen. Selbstverständlich müssen wir — das habe ich mit Ihnen im Ernährungsausschuß auch besprochen — dieses Programm fortschreiben. Wir werden es möglicherweise fortschreiben müssen im Zusammenhang mit den Strukturbeschlüssen. Wir wollen es doch so fortschreiben, daß es möglichst praktikabel ist.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972 10405
Bundesminister ErtlHerr Kollege Kiechle, ich habe mit großem Interesse das Programm des Kollegen Eisenmann gelesen, das in Bayern so gelobt wird, das in Bayern so hervorragend ist.
— Wenn das so gut ist, — ich weiß nicht, was dann besonders schlecht ist. Nur eines will ich sagen: ich bewundere den Kollegen Eisenmann, wenn er die Landwirtschaft mit 11 Millionen sanieren kann. Wenn das so einfach ist, dann kann ich dem Finanzminister das nächstemal melden, daß ich mit wesentlich weniger Förderungsmitteln auskomme.Aber ich komme da auf einen wesentlichen Punkt. Das hängt mit der Schwelle zusammen. Ein Punkt ist z. B. bei der berühmten Aufstallungsprämie: 25 bis 30 Kühe. Herr Kollege Kiechle, Sie sind ein erfahrener Praktiker und wissen ganz genau, daß ein Betrieb mit 25 Kühen die Schwelle überschreitet.
— Doch, das Ertl-Programm. Wenn Sie wollen, lade ich Sie ein, sich mal den Agrarbericht anzuschauen; dann werde ich Ihnen die Buchführung darüber zeigen. Dabei bin ich noch gar nicht ausgegangen von der Tatsache, daß in diesen Gebieten bis zu 15 % abgeschlagen werden kann, das 20 % Nebenerwerb angerechnet werden kann, daß der Fremdenverkehr voll angerechnet werden kann. Darauf bin ich noch gar nicht eingegangen, Herr Kollege Kiechle. Da frage ich mich: was ist flexibler, diese Handhabung der Schwelle oder die starre Kuhzahl? Die starre Kuhzahl hat auch Herr Mansholt vorgeschlagen, und ich habe das in Brüssel bekämpft. Ich habe gesagt: bei starren Kuhzahlen ist keine Flexibilität möglich.
Nun kommt ein Weiteres, Herr Kollege Kiechle. Ich gebe zu: dieses Programm hat selektive Elemente in sich. Aber warum? Wenn ich einen Betrieb fördern will, dann will ich ihn in seiner Einkommens- und in einer sozialen Position aufwerten. Ich will nur dann verantworten, daß er ein zinsverbilligtes Darlehen übernimmt und sich verschuldet, wenn er dadurch seine soziale und damit seine Einkommenssituation verbessert. Ich bin der Auffassung, es ist nützlicher, ihm das vor der Aufnahme des Kredites zu sagen, statt ihm per Gießkanne Kredite zu geben und ihn dadurch in eine unheilvolle Situation zu bringen. Im übrigen — ich brauche mich heute darüber nicht mehr aufzuregen die Schwelle ist heute in Europa anerkannt, sie hat Eingang gefunden in das Programm der Kommission und wird von meinen Kollegen als eines der nützlichsten Dinge bezeichnet. Was soll ich mich dann da noch aufregen? Sie können mich auch in dieser Form durch Ihre Kritik heute nicht mehr aus der Ruhe bringen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz? — Bitte!
Herr Minister, ich wollte nur fragen, ob Sie nicht auch der Meinung sind, daß die von Ihnen erwähnten positiven Wirkungen im Hinblick auf Förderschwelle und Verschuldungsgefahr nicht auch schon in der Zeit Ihres Amtsvorgängers mit der Einführung des Betriebsentwicklungsplanes aufgefangen worden sind?
Doch, ich stimme Ihnen vollauf zu, und ich anerkenne die Bemühungen vom Kollegen Höcherl; das ist übrigens auch in der Opposition anerkannt. Ich habe damals gesagt: Ich sehe viele alte Bekannte im Höcherl-Programm. Ich habe mich mit meinen Mitarbeitern bemüht, dieses HöcherlProgramm fortzuentwickeln. Das gebe ich offen zu, Höcherl hat hier große Verdienste. Nur muß ich Ihnen eines sagen: dann müssen Sie aber auch so ehrlich sein und Ihre Polemik draußen einstellen, die ja sogar dahin geht, ich würde ein Vertreibungsprogramm machen.
Ich freue mich, Herr Kollege Ritz, daß Sie es in die Debatte gebracht haben, und ich bin überzeugt, viele Landwirte werden diesen Dialog mit Ihnen jetzt lesen, und das wird sehr zur Versachlichung beitragen.Der Strukturwandel hat Ausmaße angenommen, die dazu zwingen, die ganze Problematik durchzusehen.
— Herr Stücklen, ich verstehe, daß Ihre Wortzieherei zu Ihnen und zum Parteiprogramm gehört, aber ich bin folgender Meinung. Wir sehen den Strukturwandel mit Sorge, aber wir wollen auch das hier relativieren, Bei den ausgeschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben handelt es sich insgesamt um 68 000 Zu- und Nebenerwerbsbetriebe. Sie können die Zahl nachlesen. Der Großteil der aufgegebenen Betriebe liegt unter 5 oder unter 10 ha. Ich gebe ganz offen zu. die Landabgabenrente und die Sozialmaßnahmen des einzelbetrieblichen Förderungsprogramms greifen. Das ist doch von uns allen gewollt. Im übrigen bin ich hier wie in vielen Dingen gar nicht so allein auf weiter Flur, sondern ich bin hier in einem Boot mit dem Herrn Präsidenten Heereman — im Gegensatz zur Opposition. In der Krankenversicherung bin ich auch in einem Boot mit dem Deutschen Bauernverband.
Der Deutsche Bauernverband hat expressiv verbis meinen Vorschlag unterstützt. Ich finde, diesem Sachverstand sollte man sich beugen. Das sollte man auch den Bauern draußen sagen und nicht so tun, als ob der Deutsche Bauernverband nicht hinter diesem Entwurf stünde. Herr Präsident Heereman hat im Deutschlandfunk am 27. Januar 1972 die verstärkte Abwanderungszahl aus der deutschen Landwirtschaft als Folge — jetzt passen Sie auf — „einer
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Bundesminister Ertlkonstruktiven und auf dem Boden der Tatsachen stehenden Politik" bezeichnet. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.Noch ein Wort zur Mehrwertsteuer. Hier wurde so getan, als ob die Mehrwertsteuer eine Erfindung der Opposition wäre. Ich darf Sie, meine sehr verehrten Kollegen von der Opposition, noch einmal auf das hinweisen, was damals in der entscheidenden Debatte letzten Endes gesagt wurde. Sie wissen selbst, wie Sie abgestimmt haben. In der Erklärung der Fraktion hat z. B. der Abgeordnete Krammig als Sprecher der Opposition folgendes erklärt:Die vorgeschlagene Lösung — das ist eine weitere Kritik, die wir anzubringen haben — mißbraucht für einen Teil des Schadensausgleichs das Mehrwertsteuerrecht.Ich glaube, das sind sehr harte Vorwürfe. Er hat der Regierung damals vorgeworfen, sie mißbrauche das Mehrwertsteuerrecht.
Dazu könnte ich noch einige Vorschläge machen und einige Zitate liefern. Dann sollte man nicht hingehen und ungefähr sagen: jetzt haben wir den Dollpunkt der EWG-Agrarpolitik gefunden, man muß nur die Mehrwertsteuer erhöhen! Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätte die Landwirtschaft noch nicht einmal die bisherigen 3 % bekommen. Die hat sie gegen Ihren Widerstand allein dieser Regierung zu verdanken.
— Herr Susset, Sie können sich doch nicht herausreden, so wie Sie abgestimmt haben!
— Nein, das ist keine Unverschämtheit, sondern das ist eine klare — —
— Ja, haben Sie denn zugestimmt?
— Ja, wie kommt denn die Erklärung von Herrn Krammig zustande?
Herr Minister, wollen Sie eine Zwischenfrage zulassen? — Bitte!
Herr Minister, würden Sie einräumen, daß sich unser Nein damals nur daraus ergab, daß wir der Überzeugung waren, daß ein umfassendes Grenzausgleichssystem in unbefristeter Form der bessere Weg gewesen wäre?
Ich würde sagen: ich versuche, es Ihnen zu glauben.
Nun noch zu den Bergbauern.
— Ich darf wohl mit Genehmigung der Opposition fortfahren.
— Ich kann warten.Ich darf jetzt noch einmal zu den Bergbauern zurückkehren. Zum ersten möchte ich darauf hinweisen — das will ich hier gar nicht in allen Einzelheiten erwähnen —, welche Bemühungen diese Regierung unternommen hat, um beispielsweise den Milchmarkt funktionsfähig zu gestalten. Vor zwei Jahren gab es noch einen großen Butterberg. Unsere Marktpolitik, unsere Sozialmaßnahmen, aber auch unsere agrarstrukturellen Maßnahmen haben dazu beigetragen, diesen Butterberg abzubauen.Diese Regierung hat den Festpreis für Trinkmilch aufgehoben. Wir haben zunächst den Mindestpreis eingeführt, und wir werden in Zukunft den Trinkmilchmarkt ganz liberalisieren. Das war gar nicht so leicht. Meine sehr verehrten Herren von der Opposition. Sie werfen der Regierung vor, sie nehme es mit der Preispolitik nicht so ernst. Ich will mich jetzt nicht in Ihre Situation hineinversetzen. Ich — und mit mir das gesamte Kabinett — hatte den Mut — und ich hätte von Ihnen ein Wort de Dankes und der Anerkennung erwartet —, bei der Trinkmilch eine Preissteigerung von 20 % für die Verbraucher in Kauf zu nehmen — was sicherlichauch die Lebenshaltungskosten berührt hat —, damit die Bauern in einem Jahr insgesamt um 12 % erhöhte Erzeugerpreise bekommen.
Eine solche Rate, Herr Kollege Kiechle, hat es in diesen 20 Jahren, hat es seit 1949 noch nie gegeben Das ist statistisch nachweisbar.
Das ist die Gretchenfrage, und das ist meine Antwort. Ich habe es mit der Preispolitik ernst gemeint, wo ich konnte und wo ich Möglichkeiten hatte. Bei administrierten Preisen innerhalb der EWG kann ich nur den Kompromiß aushandeln und auskämpfen. Ich glaube, darüber brauchen wir uns nicht zu unterhalten, denn das ist ja durch die Erklärung von Herrn Ritz unbestritten.Ich könnte weiter sagen: Auch die Rinderpreis liegen um 13 % höher. Insoweit ist Ihre Entschließung schon erfüllt. Ich habe die 12 oder 13 % schon
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Bundesminister ErtlAuch zum Treibstoff noch ein Wort: Wir sind dabei, die Färbung einzuführen. Das ist, wie Sie wissen, ein altes Anliegen der Freien Demokraten. Das werden wir in dieser Legislaturperiode vollenden.
— Ach, Herr Kollege Stücklen, machen Sie sich nicht immer die Sorgen anderer; kümmern Sie sich um Ihre eigene Gruppe.
— Ja, das weiß ich!
— Weiß ich!
Noch einmal ein Wort zu den Bergbauern. Ich will jetzt gar nicht in allen Einzelheiten sagen, wo ich überall Ausnahmetarife durchgesetz habe. Herr Kollege Kiechle, ich gebe Ihnen das schriftlich, damit Sie sehen, wie ich mich um Ausnahmetarife bemühe. Sie werden das also schriftlich von mir bekommen. Aber ich will Ihnen dies sagen: Erstens habe ich Iden Wirtschaftswegebau höher dotiert; zweitens habe ich dadurch, daß ich die Almwirtschaft in den Einkommensausgleich einbezogen habe — und das bestätigen mir die Almbauern selbst , entscheidend zur Existenzsicherung der Almwirtschaft beigetragen.Und weil wir schon dabei sind: Im Aufwertungsausgleichsgesetz ist eine Revisionsklausel enthalten. Dieses Hohe Haus wird einen Bericht abwarten müssen, einen Bericht, der auch von der Kommission eingesegnet wird. In diesem Bericht wird festzustellen sein, ob es noch Auswirkungen infolge der Aufwertung gegeben hat oder nicht. Entsprechend wird dann die Revisionsklausel angewandt. Das ist so festgelegt; so steht es im Gesetz, und dem habe ich nichts hinzuzufügen.Nun noch etwas zu den sozialen Maßnahmen. Es kann keine Rede davon sein, daß die Sozialmaßnahmen aus dem degressiven Anteil des Aufwertungsausgleichs finanziert werden. Vielmehr ergeben sich bereits für das Jahr 1971 im Bundeshaushalt Aufwendungen in diesem Bereich von 974 Millionen DM. Ich glaube, mit gutem Grund sagen zu können — wobei ich das, was schon gesagt worden ist, gar nicht ergänzen will —: Diese Regierung wird den sozialen Komplex legislativ abschließen und wird dafür sorgen, daß es nach diesen vier Jahren auf dem Sozialsektor keiner besonderen Gesetzgebung für die Landwirtschaft mehr bedarf. Das halte ich in der Tat für ein bedeutendes Ergebnis.
Das sind die wesentlichsten Punkte: EWG, Einkommens- und Preisentwicklung, Strukturpolitik, Sozialpolitik, Marktpolitik. Mit Recht wurde von einigen meiner Vorredner darauf hingewiesen, daß eine vernünftige Marktpolitik nicht ohne Mitarbeit des Berufsstandes betrieben werden kann. Sie können zyklusbedingte Schwankungen sicherlich nicht ganz ausschließen, aber Sie können sie durch Mitarbeit des Berufsstandes reduzieren. Ich habe viele Angebote gemacht. Ich habe es erreicht — das darf ichhier doch einmal sagen —, daß es beispielsweiseauf dem Geflügelsektor bereits eine Absprache zwischen den Produzenten der Niederlande und Deutschlands gibt. Dasselbe muß auch auf dem Schweinesektor gelten. In der letzten Woche bzw. gestern sind zwei meiner Ansicht nach bedeutende Beschlüsse gefaßt worden. Im Ministerrat wird sich eine Arbeitsgruppe mit dem Problem des Geflügelmarktes, und zwar sowohl der Förderung des Geflügelmarktes als auch des Geflügelabsatzes, und der sich daraus ergebenden Konsequenz für den Berufsstand befassen. Dasselbe gilt auf der Ebene der EWG und des Rates für die Schweineproduktion. Hier hat die Landwirtschaft echte Möglichkeiten, selbst mitzuwirken. Hierin sehe ich sogar eine große Notwendigkeit. Diese Mitarbeit muß entsprechend den genauen Marktprognosen erfolgen, zu denen wir heute in der Lage sind. Ich erinnere nur an unsere Prognose auf dem Getreidesektor. Vor einem Jahr wurde bezweifelt, daß wir eine Rekordernte haben würden. Ich muß sagen, meine Mitarbeiter haben mit ihrer Prognose fast auf das Kilogramm genau recht gehabt. Wir sind heute in der Lage, wesentlich präzisere Marktprognosen zu machen. Jetzt müssen die Erzeuger von sich aus mitarbeiten, sie müssen sich in Erzeugerringen zusammenschließen und müssen ihre Produktionsgestaltung an Hand dieser Marktprognosen ausrichten. Sie haben dann auch eine Möglichkeit, am Markt Vorteile auszuhandeln. Das ist doch der Grund, warum wir bei Milch über dem Interventionspreis sind. Mir wäre es lieb, wir hätten insgesamt eine Situation, daß wir über den Interventionspreisen lägen. Manche Fragen würden sich dann viel leichter lösen lassen. Wo es notwendig war, haben wir zusätzlich geholfen, z. B. bei Obst und Geflügel sowie bei der Konservenindustrie. Wie Sie wissen, sind wir dabei — im übrigen nicht zur Freude unserer niederländischen Nachbarn —, noch einmal besondere Maßnahmen für Konserven und Kartoffeln zu ergreifen.Ich glaube nicht, daß man sagen kann, diese Bundesregierung sei nicht willens, zu handeln oder einzugreifen. Ich bin allerdings auch Ihnen gegenüber so weit offen, zu sagen, wir werden auch für die Zukunft noch einen sehr schwierigen und dornigen Weg haben. Deshalb bedarf es der Zusammenarbeit, und ich freue mich über Ihr Angebot, meine Herren von der Opposition. Ich bin bereit. Wir haben auch bisher vieles gemeinsam machen können. Es ist für die Position des Agrarministers in Brüssel leichter, wenn er weißt, er kann auf die Mitarbeit der Opposition zählen.Aber eines muß ich, wie ich glaube, hier sagen. Diese Bundesregierung kann nicht hinnehmen, daß immer wieder gesagt, daß auch draußen immer wieder dargestellt wird, sie würde sich immer nur bemühen und nicht handeln. Nein, sie hat in vielen Fragen gehandelt und hat dabei positive Ergebnisse erzielen können.Noch ein letztes. Ich empfinde es wirklich sehr schmerzlich, daß ununterbrochen unterstellt wird, diese Regierung meine es mit dem Eigentum nicht ernst. Diejenigen, die das immer wieder behaupten, sollen endlich einmal den Beweis liefern, wo ein
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10408 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972
Bundesminister ErtlGesetz dieser Regierung und dieses Parlaments ist, das das Eigentum nicht ernst genommen hat.
Wer so etwas behauptet, muß dafür den Beweis liefern, oder er muß es sich gefallen lassen, der Unwahrheit bezichtigt zu werden.
Denn das vergiftet unsere Atmosphäre, das macht Angst und Panik. — Herr Kollege!
Wenn Sie auf die Frage des Eigentums eingehen, möchte ich Sie fragen: Trifft es nicht zu, daß durch die Preissteigerungen und durch die Geldentwertung jeder einzelne Deutsche seit Ihrem Amtsantritt in seinem Einkommen zusätzlich belastet worden ist, da es eine Schmälerung um einen Betrag von rund 1000 DM erfahren hat?
Herr Schulze-Vorberg, Ihre polemische Frage werde ich ebenso polemisch beantworten. Seit 1949 ist das Eigentum eines jeden einzelnen um 50 % vermindert worden.
Es waren bei den Regierungen der CDU/CSU im Durchschnitt 2 %, jetzt sind es über 6 %.
Über den Vergleich können wir durchaus reden. Schauen Sie sich einmal die langfristigen Zahlen an. Sie werden dann zu anderen Schlußfolgerungen kommen.
Meine Damen und Herren, im Hinblick auf die Zeit wäre ich dankbar, wenn wir uns sehr stark auf das Thema konzentrieren könnten.
Herr Kollege Kiechle, Sie können ja hier heraufkommen und sagen, welches Gesetz von diesem Hohen Hause verabschiedet wurde, das die Eigentumsfrage nicht ernst nimmt, und was Sie von der Regierung halten. Ich möchte mich nicht einlassen — —
— Sie wundern sich immer, wenn man dann hart antwortet, Herr Kiechle.
Sie dürfen nicht beleidigt sein, wenn man Ihnen im
Ton nach dem Motto entgegnet: wie es in den Wald
hineinschallt, so hallt es zurück. Das müssen Sie dann schon in Kauf nehmen.
Ich kann mich auch mit einigen Beiträgen zum Eigentum aus Ihrer Partei befassen, z. B. mit dem Beschluß des Kreisverbandes der CSU in München zum Eigentum. Das lesen Sie einmal nach. Ich will doch gar keine parteiinternen Diskussionen führen. Aber es geht nicht an, daß Sie hier zur Untermauerung ununterbrochen Zwischenrufe machen, die im Protokoll verarbeitet werden, und daraus dann glauben entnehmen zu dürfen: einige Dumme haben es doch wieder geglaubt, und wir haben recht gehabt.
Das können Sie nicht machen; da werde ich Ihnen immer antworten.
Nun, lassen Sie mich sagen — damit komme ich zum Schluß —: Gerade deshalb ist es so notwendig, daß die Agrarförderung auf drei wesentliche Säulen ausgerichtet ist, soweit sie die investive und strukturelle Förderung berührt: 1. auf investivfördernde, langfristig lebensfähige Betriebe nach dem Entwicklungsplan, 2. auf Überbrückungshilfen für jene, die im Moment keine Alternativen haben, 3. auf soziale Hilfen für diejenigen, die ausscheiden. Diesen Dreiklang halte ich hinsichtlich einer vernünftigen Agrarförderung für das Wesentliche. Dann kann ich mit gutem Gewissen behaupten: Es gibt niemanden, der heute in der Landwirtschaft tätig ist, der durch dieses Programm nicht gefördert wird. Denn an einem dieser drei Teile kann er teilhaben, und insoweit ist es zum erstenmal ein Programm, das alle Komplexe einer Agrarförderung umfaßt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Struve.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es entspricht einer alten Übung dieses Hauses, daß der zuständige Ressortminister zum Schluß einer Grünen Debatte noch einmal das Wort nimmt, um Stellung zu dem zu nehmen, was in der Debatte von Regierung und Opposition gesagt worden ist. So durfte man annehmen, daß es auch heute wieder so sein würde. Nun, Herr Bundesminister, ich bin enttäuscht über Ihre letzte Rede; ich bin bitter enttäuscht. Lesen Sie bitte einmal in Ruhe das nach — oder lassen Sie sich von Ihren Mitarbeitern Auszüge machen —, was die Kollegen Früh, Kiechle und Ritz aus der Sicht der Opposition zu dem Grünen Bericht, zur Lage der Landwirtschaft und vor allen Dingen zu der Frage gesagt haben, wie es weiter gehen soll. Sie haben sich auf 1964 berufen. Heute morgen fiel hier der Name Schmücker. Ich möchte Sie dringend bitten, wenn diese Diskussionen fortgeführt werden sollen, wenn Bilanz gemacht werden soll, von der Sie reden, die Grünen Berichte und die Grünen Pläne von der Entstehungsgeschichte des Wirtschaftsgesetzes bis zum Jahre 1969 in Ruhe auf den Tisch zu legen und dann in der deutschen Land-
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Struvewirtschaft Bilanz zu machen und diese Bilanz mit dem zu vergleichen, was heute ist. Aber wenn Sie das alles nicht wollen oder nicht für richtig halten, dann möchte ich Sie dringend bitten, das zu lesen, was unter den Ziffern 81 bis 88 zum erstenmal in dem wissenschaftlichen Jahresgutachten des Jahres 1971 vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage gesagt worden ist. Die deutsche Landwirtschaft hat in den letzten 20 Jahren — zum Teil vielleicht in Verbindung mit eigenem Nichterkennen oder gar Verschulden — nicht immer die Stimme der Wissenschaftler gehabt und auch in der öffentlichen Auseinandersetzung vermißt. Ich möchte nicht alles vorlesen, was hier steht, möchte aber zur Problematik einiges sagen, weil Sie sich hier eben noch einmal wieder der Mühe unterzogen haben nachzuweisen, es sei in den letzten beiden Jahren doch alles gut gewesen, alles auf bestem Weg, und es sei doch jetzt, wenn in Brüssel in Verbindung mit den Preisen dies und jenes geschieht, alles in Ordnung.Herr Präsident, ich darf die Ziffer 85 zitieren: Neben den längerfristigen Anpassungsaufgaben der deutschen Landwirtschaft sind es, wie erwähnt, zwei Probleme, mit denen sie zu kämpfen hat, die inflationsbedingte Entwertung der garantierten Agrarpreise — steigende Kosten für Betriebsmittel und Lebenshaltung — sowie der Zwang zur Anpassung bei abrupten Wechselkursänderungen.Eigentlich ist hier umschrieben, was man, ohne Zahlen zu nennen, in der Ziffer 88 mit großer Sorge zum Ausdruck bringt.Man hat bei der Abfassung dieses Gutachtens schon Vorstellungen gehabt, und man hat im Kreise dieser Wissenschaftler darüber nachgedacht, was es bedeutet, wenn in einem Jahr 83 000 Betriebe aufgegeben werden und 120 000 Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft ausscheiden.Man hat sich die Frage gestellt: Wie geht das weiter? Herr Minister, Ihrer Regierung sind seit 1969 die Dinge aus der Hand geglitten. Und wenn wir die Dinge nicht wieder in die Hand bekommen, müssen Sie sich darüber klar sein — —
— Dann lesen Sie bitte, was in Ziffer 88 steht. In einem solchen Ausmaß hat es das nie gegeben.Und beachten Sie bitte — ich will die Dinge jetzt wegen der vorgerückten Zeit nicht alle wiederholen; sie sind ja vorgetragen worden —: Während unserer Zeit haben wir die Entwicklung des Strukturwandels in Verbindung mit der Entwicklung der landwirtschaftlichen Einkommen auf der einen Seite in der Hand gehabt, und wir haben auf der anderen Seite die frei werdenden Arbeitsplätze sinnvoll in die industrielle und gewerbliche Gesamtentwicklung eingliedern können. Das ist im Augenblick nicht mehr der Fall.
Das ist das Problem, das dahintersteht.
Herr Minister, wenn die Bauern draußen fragen „Wie soll es weitergehen?" und junge Menschen weiterfragen und das lesen, was der derzeitige Minister zum Schluß einer „Grünen Debatte" aufgeführt hat, und sie werden es in Beziehung bringen zu dem, was wir sagen, zweifle ich nicht an deren Urteil. Sie werden eindeutig zu dem Ergebnis kommen: Die Bundesregierung hat auf dem Sektor der Agrarpolitik völlig versagt.
Das Wort hat Herr Bundesminister Ertl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich hier zum Stil der Debatte etwas sagen.
Ich habe mir vorgenommen, so wie im ersten Beitrag sachlich und ruhig zu antworten. Aber wenn man ununterbrochen Zwischenrufe wie von Herrn Niegel und auch in der Form von Herrn Niegel bekommt, wird man gereizt. Jedermann weiß, daß jeder je nach Temperament anders handelt. Ich gehöre zu denen, die sagen: Ich gebe es so zurück, wie ich ununterbrochen Zwischenrufe bekomme. Ich lasse mich nicht dauernd mit „Inflation" und ähnlichem unterbrechen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? —Bitte!
Herr Bundesminister, würden Sie die Freundlichkeit haben, im Protokoll festzustellen, wie viele Zwischenrufe ich während Ihrer Rede gemacht habe und wie viele Zwischenrufe andere gemacht haben? Ich kann für meine Person feststellen, daß ich nur wenige Zwischenrufe gemacht habe.
Sie dürfen hier keine Erklärungen abgeben und Feststellungen treffen, sondern nur fragen.
Ich wollte es nur einmal sagen; aber wir können ja im Protokoll feststellen, wie ich dauernd unterbrochen wurde.
— Nein, nicht immer freundlich, Herr Kollege, zum Teil mit ganz schönen Unterstellungen. Dabei drücke ich mich jetzt sehr vorsichtig aus. — Herr Lemmrich macht gerade einen schönen Augenaufschlag. Er gehört auch zu denen. — Dann fühle ich mich getrof-
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Bundesminister Ertlfen, und dann reagiere ich so. Sie dürfen sich nicht so beleidigt fühlen.
— Nein! Gott, mit mir kann man feste rangehen. Ich war in meinem Leben noch nie beleidigt. Ich habe noch nie nachgetragen, müssen Sie wissen. Ich liebe diese Auseinandersetzungen.Herr Kollege Struve, mir liegt sehr daran, festzustellen, daß ich in der Debatte geantwortet habe und daß ich im Bericht und in meiner Einbringungsrede ein völlig ungeschminktes Bild von der Lage der Landwirtschaft gegeben habe. Da habe ich den Ernst der Lage vor aller Öffentlichkeit mit aller Deutlichkeit beschworen.
Wer sagt, ich bagatellisierte das, unterstellt schon wieder. Ich lasse mir diese Unterstellungen nicht gefallen, und wenn ich heute noch fünfmal hier her-aufgehen muß.
Herr Kollege Struve, ich möchte den Dialog nicht fortsetzen. In der Zeit, als Sie die Verantwortung trugen, gab es erhebliche Rückschläge. Ich könnte zitieren, was damals in der Einbringungsrede gesagt worden ist. Die Lage ist nicht so ungeschminkt, nicht so offen und nicht so schmerzhaft dargelegt worden, wie ich es getan habe. Sie wissen, warum ich das getan habe: weil ich unserem Volk, der gesamten Öffentlichkeit und auch unseren Partnern in Brüssel sagen wollte: Angesichts dieser schmerzlichen Entwicklung kann die deutsche Landwirtschaft keine weitere Belastung mehr verkraften.
Deshalb habe ich es getan. Dann kann man nicht sagen, ich wollte das bagatellisieren. Ich lasse jeden Satz nachprüfen.Noch etwas muß ich zum Schluß sagen. Ich habe jetzt die Zahlen zur Hand genommen. Es gab einen Rückgang von 83 000 Betrieben, 59 500 Betriebe in der Größenklasse 0,5 bis 5 ha, 19 400 Betriebe in der Klasse 5 bis 10 ha, 15 000 Betriebe in der Betriebsgrößenklasse 10 bis 20 ha. In der Betriebsgrößenklasse 20 ha und mehr gab es dagegen eine Zunahme von 11 000 Betrieben. Da kann man doch nicht sagen, das sei ein Prozeß, der die Landwirtschaft zwangsläufig in eine solche Lage bringe. Dieser Strukturwandel ist möglicherweise auch durch die allgemeine soziale Entwicklung in unserer Gesellschaft bedingt. Das wollte ich hier noch einmal erläutern.Ich betone, ich trage nicht nach, daß wir uns über solche Fakten unterhalten. Aber ich werde immer, wenn es notwendig ist, antworten, wenn man dieser Regierung einfach aus politischen Gründen ununterbrochen Untätigkeit und Versagen bescheinigen will. Das kann ich nicht hinnehmen und werde ich nicht hinnehmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht. vor. Ich schließe die Beratung.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Agrarbericht 1972 dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als federführendem Ausschuß und dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung zu überweisen. Der Entschließungsantrag *) der Fraktion der CDU/CSU soll dem Ausschuß für Ernährung, Lndwirtschaft und Forsten überwiesen werden. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wir kommen zu Punkt 22 der heutigen Tagesordnung. — Der Herr Berichterstatter wünscht nicht das Wort.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hauser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Vorlage, die soeben vom Herrn Präsidenten aufgerufen wurde, soll nach glücklich 16 Jahren eine Verordnung nachträglich Gesetzesrang erhalten, der nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1967 und einem zusätzlichen obergerichtlichen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1969 die gültige Rechtsgrundlage fehlt. Eine solche Verordnung soll hier nun nachträglich geheilt werden, weil aus dieser Rechtsungültigkeit Schadenersatzansprüche gegen den Bund drohen. Die gleiche Frage, Herr Schmidt, hat 1961, also vor elf Jahren, schon einmal dieses Hohe Haus beschäftigt.Worum geht es? Mit dem 6. Umsatzsteuergesetz hat man 1956 die Be- und Verarbeitungsstufe bei Milch von der Umsatzsteuer befreit, um für die billigere Werkmilch eine Stützungsaktion zu starten. Durch eine Rechtsverordnung sollten sodann die Molkereien angehalten werden, ihre Steuerersparnis an die Milcherzeuger als Ausgleich weiterzugeben, und zwar über einen Ausgleichsstock des Bundes, der an die Länder weiterverteilen sollte.Hier wurde schon im Jahre des Erlasses der ersten Verordnung deren Rechtsgültigkeit sehr bestritten. Da im Jahre darauf bereits die zweite, fast inhaltsgleiche Verordnung folgte, auf Grund deren die Beträge weiterhin entrichtet werden sollten, richteten sich nunmehr die Angriffe hauptsächlich gegen deren Rechtsgültigkeit. Als 1961 die Novelle zum Milch- und Fettgesetz im Parlament beraten wurde, stand somit auch allein diese Verordnung zur Debatte, obwohl man sehr wohl erwähnte, daß auch bei der ersten Verordnung eine ausreichende Rechtgrundlage bestritten war.Schon damals haben sich die Juristen sehr eingehend mit dem hier vorliegenden Problem der Rückwirkung beschäftigt. Was aber 1961 noch anging, was damals, vier Jahre nach Erlaß der Verordnung, kritische Erwägungen noch zurückstellen ließ, ist 16 Jahre später kaum mehr zu rechtferti-*) Siehe Anlage 2
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972 10411
Dr. Hauser
gen. Damals waren ja höchste Gerichte noch nicht damit befaßt. Die Sache war also noch streitig und eine ausdrückliche Klarstellung der gesetzlichen Regelung in diesem Stadium der Auseinandersetzung sehr wohl noch vertretbar, während heute, elf Jahre danach, ein gleicher Vorgang unsere obersten Gerichte desavouiert, die die Rechtsungültigkeit der vorausgehenden Verordnung festgestellt haben. Dies ist in einem Rechtsstaat doch ein sehr ungewöhnlicher Vorgang, wenn der Verordnungsgeber, dem von den obersten Gerichten die Nichtigkeit der Verordnung bescheinigt wurde, an den Gesetzgeber mit dem Ansinnen herantritt, durch ein rückwirkendes Gesetz diese nichtige Verordnung nachträglich mit rückwirkender Kraft zum Gesetz zu erheben, und der Gesetzgeber wohl gar noch diesem Vorschlag folgt.Ihr Kollege Arndt würde, wenn er noch unter uns wäre, Herr Schulte, gegen ein unter solchen Umständen ablaufendes Verfahren flammenden Prozeß erheben, wie er das 1961 schon getan hat. Dort sagte er in der Plenarsitzung: Wenn der Fehler geschehen sein sollte, dann muß er in Ordnung gebracht werden, aber nicht dadurch, daß man rückwirkende Gesetze macht und im Jahre 1961 fingiert, daß im Jahre 1957 etwas gegolten habe, was damals noch nicht galt, sondern dann muß ,der Staat — so sagte Herr Arndt damals —, der für die Gesetzgebung verantwortlich ist, seinerseits den Schaden ersetzen.Was damals schon Zweifel und Bedenken ausgelöst hat, und zwar nicht allein bei Herrn Arndt, muß erst recht heute bedacht werden, wo mehr als eineinhalb Jahrzehnte später unter viel kritischeren Gesichtspunkten und Voraussetzungen hier das gleiche Problem zur Entscheidung ansteht. Es bleibt nämlich die Frage, ob der Gesetzgeber des Jahres 1972 bei einer rückwirkenden Erhebung der hier in Frage stehenden Verordnung zum Gesetz für die Zeit ihres tatsächlichen Bestandes in den Jahren 1956 und 1957 nicht das Rechtsstaatsprinzip verletzt.Hier sind vor allem die Gedanken des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit zu prüfen, die einen sehr engen Rahmen setzen, dies im vorliegenden Fall um so mehr, als die ganze Malaise damit begann, daß das vorhin genannte Umsatzsteuergesetz, das den Ausgangspunkt darstellt, nicht expressis verbis sagte, die durch dieses Gesetz gewährten Steuererleichterungen müßten den Erzeugern zugute kommen. In den einschlägigen Ausschüssen wurde dies zwar erörtert, aber der Wille des Gesetzgebers fand keinen Ausdruck im Gesetzestext selbst. Was also das Parlament hier eigentlich selbst als Aufgabe zu erfüllen gehabt hätte, hat es damals dem Verordnungsgeber zu regeln an die Hand gegeben.Wenn also bereits allgemein von Rechtsprechung und Literatur klare Grenzen für die Rückwirkung gezogen werden, so gilt dies erst recht, wo die Gesetzlichkeit der Verordnung bereits in der Zeit, als sie erlassen und für verbindlich erklärt war, erheblichen Zweifeln ausgesetzt gewesen ist. Mit anderen Worten: Schon dort, wo eine ganz geringfügige Änderung des Sachverhalts gegeben ist, kommt der Vertrauensschutz der Betroffenen zum Zuge.Selbst wenn die Milchverarbeitungsbetriebe nicht von Anfang an damit rechnen konnten, daß ihnen diese Steuervorteile verbleiben würden, konnte der Vertrauensschutz, der einer Rückwirkung des Gesetzes entgegensteht, doch zu einem späteren Zeitpunkt einsetzen. Ich will gern übergehen, was an einzelnen Gesichtspunkten hier maßgeblich wäre.An eines aber will ich erinnern: Als die Milchverarbeitungsbetriebe zu Beginn des Jahres 1970, gerade unter Bezugnahme auf die letztgerichtlichen Entscheidungen, wegen der Rückzahlung beim Ministerium Verhandlungen aufnahmen, ließ man dort keineswegs erkennen, man behalte sich vor, den ganzen Sachverhalt rückwirkend durch Gesetz zu regeln. Ganz im Gegenteil bestritt man die Rückzahlungspflicht der Hauptsumme keineswegs, sondern gab zu erkennen, daß für die Erfüllung dieser Forderung sogar noch ein Stock im Ministerium aus ehemaligen Leistungen vorhanden sei. Allerdings stellte sich heraus, daß es sich hier um einen Irrtum gehandelt hat und die genannten Mittel aus Zahlungen auf Grund der später erlassenen Verordnung stammten.Man hat die betroffenen Betriebe also hingehalten und kam dann im Sommer des Jahres 1971 auf einmal wie Ziethen aus dem Busch mit dieser Vorlage an den Gesetzgeber heran. Dabei ging man so weit, Herr Schulte, daß man im Wege der Selbstbedienung des Staates in der Tat Verfahren noch in die zweite Instanz getrieben hat, obwohl der Sachverhalt ganz eindeutig geklärt war. Hier bleibt die Frage, ob dies mit dem Respekt vor dem rechtsstaatlichen Prinzip, den man gerade von den obersten Spitzen eines Ministeriums erwarten müßte, noch vereinbar ist.Ich zweifle daran, daß eine mit so vielen Mängeln und Unzulänglichkeiten belastete Vorlage von den Betroffenen ohne weiteres hingenommen werden wird. Meine Freunde und ich
wollen nicht die Hand dazu bieten, ein Gesetz aus der Taufe zu heben, das ganz erhebliche Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit offen läßt. Ich muß das sagen, so sehr der Grundgedanke dieses ganzen Gesetzeskomplexes mit den Hilfen für die Milcherzeuger auf dem Wege über eine Steuererleichterung gerechtfertigt ist.Ich kann zum Schluß nur sagen, und zwar mit den Worten von Herrn Arndt: Dieses Gesetz ist ein Lehrstück, wie man es nicht machen sollte. Deswegen werden wir uns der Stimme enthalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Metzger.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir müssen uns ja, Herr Kollege Hauser, darüber im klaren sein, daß wir mit diesem rechtlichen Zwiegespräch, das wir zu dieser Stunde führen, die letzten Sympathien, die die Juristen in diesem Hause noch genießen, verspielen.
Ich glaube, daß wir diese Rechtsfragen, die Sie eben hier dargelegt haben, im Rechtsausschuß sehr eingehend behandelt haben und daß wir hier in dieser landwirtschaftlichen Debatte mit diesen Detailfragen, die Sie auch heute noch einmal zur Diskussion gestellt haben, einfach kein Verständnis finden.
Sie wissen auch, Herr Kollege Hauser, daß es immer mehrere Auffassungen gibt, wenn zwei Juristen zusammen sind. So ist das auch hier bei diesem Gesetz, das uns die Bundesregierung vorgelegt hat. Sie haben Ihre Auffassung, die Bundesregierung und wir haben eine andere Auffassung.
Aber ich glaube, daß unsere Auffassung, die wir vertreten und die auch die Mehrheit des Rechtsausschusses gebilligt hat, den Vorzug hat — Herr Kollege Hauser, ich wäre dankbar, wenn Sie einmal zuhören würden, weil wir ja hier ein Zwiegespräch führen —, da die jetzige Regelung, die durch dieses Gesetz angestrebt wird, dem damaligen Willen des Gesetzgebers entspricht und durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gestützt wird.
Um was geht es? Ich will versuchen, das in einigen wenigen Sätzen zu sagen. Es geht darum, daß auf Grund einer Änderung des Umsatzsteuergesetzes im Jahre 1956 bestimmte Lieferungen von Milcherzeugnissen im Großhandel von der Umsatzsteuer befreit werden sollten. Der Wille des damaligen Gesetzgebers war, daß diese ersparten Beträge nicht dem Großhandel zugute kommen sollten, sondern den Milcherzeugern, den Landwirten und den Molkereien.
Das war nicht möglich, weil das auf Grund einer Verordnung geschehen sollte, deren Rechtsgültigkeit, wie Sie richtig ausführten, zumindest Zweifeln unterlag. Dabei muß man doch sehen — ohne daß ich hier polemisch werden will , daß diese Verordnung, der diese rechtlichen Zweifel galten, von einem Minister vorgelegt und initiiert wurde, der nicht der heutigen Regierungskoalition angehört, sondern Ihrer Fraktion angehörte. Wir müssen heute nun diese Rechtsfehler, die unter Umständen im Jahre 1956 begangen worden sind, ausbügeln. Darum geht es doch.
Das Gesetz, das jetzt hier behandelt wird, hat den Vorzug — ich sagte es bereits —, sich auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stützen zu können. Ich will es mir jetzt versagen, die entscheidenden Passagen dieses Urteils hier zu verlesen; aber aus diesem Urteil ergibt sich ganz klar und eindeutig, daß zunächst einmal ein Gesetz auch mit rückwirkender Kraft erlassen werden kann, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen, und diese Voraussetzungen liegen nach unserer Auffassung vor. In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird darüber hinaus klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, daß diejenigen keinen Vertrauensschutz genießen können — und bei Ihnen, Herr Hauser, spielt ja der Vertrauensschutz eine entscheidende Rolle —, die von Anfang an nach dem Willen des Gesetzgebers gar nicht in den Genuß der ersparten Beträge kommen sollten. Es geht nicht an, daß sich ein kleiner Personenkreis auf Kosten der Allgemeinheit bereichert. Dieses Gesetz ist notwendig, um zu verhindern, daß sich dieser kleiner Personenkreis auf Kosten der Allgemeinheit erhebliche Beträge zuschanzt.
Aus diesem Grunde stimmen wir dem Gesetz zu.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Wir kommen zur Einzelaussprache, in der noch das Wort verlangt werden kann.Ich rufe Art. 1, 2 und 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Keine Wortmeldungen? — Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? —
Bei einigen Enthaltungen angenommen. Ich schließe die zweite Beratung.Wir kommen zurdritten Beratung.Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Gesetz zustimmen will, möge sich erheben. — Gegenstimmen? — Keine. Enthaltungen? —
Bei einigen Enthaltungen ist das Gesetz angenommen.Ich rufe Punkt 23 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft nach Durchschnittssätzen und des Einkommensteuergesetzes— Drucksache VI/2983 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache VI/3268 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Tambléb) Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache VI/3224 —Berichterstatter: Abgeordneter Offergeld
Die Herren Berichterstatter wollen keine mündliche Ergänzung geben.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich rufe in der Einzelberatung Art. 1, 2, 3 und 4 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer zustim-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972 10413
Vizepräsident Dr. Schmidmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! —Enthaltungen? Einstimmige Annahme. Ich schließe die zweite Beratung.Wir kommen zurdritten Beratung.Wer dem Gesetz im Ganzen zustimmen will, möge sich erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.Meine Damen und Herren, bevor wir zur Fragestunde kommen, habe ich eine Erklärung abzugeben. Ich habe den Stenographischen Bericht über die 174. Sitzung des Bundestages vom 1. März 1972, in der ich zuletzt den Vorsitz im Plenum innehatte, gelesen. Dabei habe ich festgestellt, daß mir damals zwei Zwischenrufe entgangen sind, die mich, wenn ich sie vernommen hätte, sogleich zu einem Ordnungsruf veranlaßt hätten. Der Abgeordnete Dr. Schäfer gebrauchte bei einem Zwischenruf den Ausdruck „kluge Idioten" und bei dem anderen den Ausdruck „Schmutzfink". Hierfür rufe ich ihn nachträglich je einmal zur Ordnung.Wir kommen nunmehr zur Fragestunde— Drucksache VI/3243 —Ich rufe zunächst die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts auf. Auf die Fragen 92 bis 96 wollen die Fragesteller eine schriftliche Antwort haben. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Frage 97 des Abgeordneten Dr. Ritz:Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, um die zu erwartenden negativen Auswirkungen des isländischen Parlamentsbeschlusses, die Fischereigrenze vor dem Inselstaat von 12 auf 50 Seemeilen auszudehnen, von der deutschen Hochseefischerei abzuwenden?
Herr Präsident, zum gleichen Thema haben die Kollegen Cramer und Grobecker fast gleichlautende Fragen gestellt. Ich darf deshalb, weil es die erste Frage ist, die Frage des Abgeordneten Ritz ausführlich beantworten und mich dann bei den folgenden Antworten kurzfassen, weil sie, wie ich schon bemerkte, genau den gleichen Sachverhalt betreffen.
Herr Kollege, die Bundesregierung ist der Auffassung — und sie hat dies der isländischen Regierung gegenüber wiederholt zum Ausdruck gebracht —, daß die vom isländischen Parlament beschlossene Ausdehnung der isländischen Fischereizone auf 50 Seemeilen mit Wirkung vom 1. September 1972 mit den geltenden Regeln des Völkerrechts nicht vereinbar ist. Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß eine Durchführung des Beschlusses des isländischen Parlaments der deutschen Hochseefischerei schweren Schaden zufügen und sie in ihrer Existenz bedrohen würde, da etwa 62 % der Frischfischanlandungen der deutschen Hochseefischerei aus den fraglichen Gebieten stammen und Ausweichfangplätze nicht vorhanden sind.
Die Bundesregierung hat beschlossen, eine Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs über die zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Island streitige Frage herbeizuführen, ob die von Island angekündigte Erweiterung der Fischereizone Islands auf 50 Seemeilen mit den geltenden Regeln des Völkerrechts vereinbar ist. Die Bundesregierung hofft, daß die isländische Regierung bereit sein wird, für die Dauer des Prozesses mit der Bundesregierung eine vorläufige Regelung zu vereinbaren, wonach deutsche Hochseefischer in bisherigem Umfang in den streitigen Gewässern der hohen See auch nach dem 1. September 1972 fischen können.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stehen schon irgendwelche Termine in Aussicht, an denen mit der isländischen Regierung über die Übergangsregelung diskutiert und verhandelt wird?
Herr Abgeordneter, Sie wissen, daß wir in Kontakt mit der isländischen Regierung in dieser Frage sind. Ich kann jetzt nicht sagen, wann wir zu einem Ergebnis kommen werden.
Ich rufe die Fragen 98 und 99 des Abgeordneten Grobecker auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Erweiterung der Fischereigrenzen auf 50 Meilen durch Island?
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Freiheit der internationalen Fischfanggebiete zu sichern?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Präsident, ich darf mich hier auf die eben gegebene Antwort beziehen. Sie war, glaube ich, auch insofern umfassend.
Eine Zusatzfrage.
Trifft es zu, Herr Staatssekretär, daß der isländische Ministerpräsident inzwischen seine Bereitschaft erklärt hat, mit der Bundesrepublik Deutschland für eine Übergangsphase zu verhandeln, bis in Den Haag ein Urteil vorliegt?
Herr Abgeordneter, ich kann diese Nachricht nicht bestätigen. Mir liegt jedenfalls im Augenblick darüber kein Bericht vor. Aber ich bin gerne bereit, das nachzureichen, wenn neuere Meldungen da sein sollten.
Frage 100, Abgeordneter Cramer, ebenso Frage 101, Abgeordneter Cramer. — Ist nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
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10414 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972
Vizepräsident Dr. SchmidFrage 102 des Abgeordneten Engelsberger. Der Fragesteller hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Frage 103 des Abgeordneten Dr. Jahn . — Der Fragesteller ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Fragen 104 und 105 des Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg:Wie gedenkt die Bundesregierung das „einheitliche Ganze" herzustellen, das die Verträge der Bundesrepublik Deutschland mit den sozialistischen Ländern — „insbesondere mit der UdSSR, Polen, der CSSR und der DDR" — nach der in Moskau getroffenen Absichtserklärung Nummer Eins bilden sollen?Bedeutet die betonte Nennung dieser vier Länder durch die beiden Vertragschließenden — also die Sowjetregierung und die Bundesregierung —, daß die vier Verträge eine besondere und gemeinsame Rechtsqualität besitzen sollen?Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Präsident, die Antworten lauten wie folgt.
Die in der Absichtserklärung Nr. 1 getroffene Feststellung ist nicht dahin zu verstehen, daß unsere Verträge mit sozialistischen Ländern formal in einem Instrument zusammengefaßt werden oder rechtlich eine Einheit bilden sollen. Gemeint ist vielmehr nur, daß diese Abkommen miteinander in einem politischen Gesamtzusammenhang stehen.
Die Frage Nr. 105 ist zu verneinen. Vizepräsident Dr. Schmid: Zusatzfrage?
Ist das „einheitliche Ganze" mit der Sowjetunion vereinbart worden, oder wie kann ich Ihre Antwort verstehen, Herr Staatssekretär?
Wir haben mit der Sowjetunion Gespräche über unsere Gesamtpolitik geführt. Ich glaube, es war von unserer Seite klarzustellen, daß wir hier keine Politik machen wollen, die sich nur um den Ausgleich mit einzelnen Staaten in diesem Bereich bemüht, sondern daß wir alle Staaten des Warschauer Paktes und Osteuropas mit in unsere Entspannungspolitik einbeziehen wollen und daß wir mit all diesen Staaten, mit denen keine Beziehungen bestehen, diese Beziehungen aufnehmen bzw. vertiefen und verbessern wollen. Das ist der Sinn der Sache.
Eine Zusatzfrage.
Diese Verträge des „einheitlichen Ganzen", von denen ja bis jetzt nur zwei vorliegen und zwei — die mit der CSSR und der DDR — ausstehen, haben nach Ihrer Antwort, wenn ich Sie richtig verstanden habe, keine gemeinsame Rechtsqualität. Wie begründet das die Bundesregierung?
Was heißt hier
„Rechtsqualität", Herr Abgeordneter? Ich verstehe nicht ganz den Sinn dieser Frage. Das ist eine politische Willenserklärung der Bundesregierung, eine Absicht, mit allen Staaten Osteuropas die Beziehungen zu normalisieren. Daß wir in dem Verhältnis zur DDR eine besondere Situation haben, die aus verschiedenen Gründen — die hier gar nicht näher darzulegen sind gegeben ist, das möchte ich hierbei hervorheben. Aber ich würde mal umgekehrt formulieren: die Vorstellungen, die in früherer Zeit, auch in diesem Hause, bei maßgebenden Mitgliedern verbreitet waren, man könne eine Politik des Ausgleichs und der Aussöhnung mit einigen Staaten machen und andere Staaten dabei umgehen oder sie gar sozusagen indirekt isolieren, diese Politik war sicherlich nicht erfolgreich. Daraus haben wir die Konsequenz einer gleichmäßigen Behandlung aller in Frage stehen Staaten gezogen.
Herr Staatssekretär, meine zweite Frage — auf die Sie „nein" gesagt haben lautet:
Bedeutet die betonte Nennung dieser vier Länder durch die beiden Vertragschließenden -
also die Sowjetregierung und die Bundesregierung —, daß die vier Verträge eine besondere und gemeinsame Rechtsqualität besitzen sollen?
Herr Abgeordneter, ich habe die Frage bereits verneint.
Daraufhin haben Sie klar nein gesagt. Ich frage also: bedeutet Ihre Verneinung, daß ,der Vertrag mit der DDR nach Meinung der Bundesregierung eine andere Rechtsqualität hat als die Verträge mit den drei anderen hier besonders genannten Staaten?
Herr Abgeordneter, eben habe ich versucht auszuführen, daß unser Verhältnis zur DDR kein Verhältnis wie mit ausländischen Staaten ist. Nicht mehr und nicht weniger habe ich hier gesagt. Wir können ja auch wegen der Verantwortung, die die Vier Mächte für Deutschland als Ganzes und für Berlin haben, keineswegs formal so verfahren, wie wir anderen Staaten gegenüber formal verfahren können.
Eine letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, meine Frage beruhte vor allen Dingen darauf: das gemeinsame Ganze ist in der Absichtserklärung festgestellt und dennoch besitzt dieses gemeinsame Ganze keine gemeinsame Rechtsqualität. Wie erklären Sie das?
Das ist sehr einfach, das erkläre ich aus dem Unterschied zwischen Recht und Politik. Es gibt politische Verhaltens-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972 10415
Parlamentarischer Staatssekretär Moerschweisen, die nur sinnvoll sind, wenn man sich gleichmäßigen Kriterien unterwirft, aber die muß man sehr sorgfältig von dem unterscheiden, was rechtlich einem Land wie der Bundesrepublik Deutschland möglich ist. Es kann einen politischen Sinn geben, auch wenn man rechtlich zu unterschiedlichen Urteilen kommen muß.
Die Fragen 106 und 107 des Abgeordneten Rollmann werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Aus welchen Gründen hält die Bundesregierung die Errichtung eines Primatenzentrums für erforderlich?
Herr Kollege Dr. Hellige, die Bundesregierung hält die Errichtung eines Primatenzentrums im Göttinger Bereich für dringend erforderlich. Mich freut besonders, Ihnen das sagen zu können; denn wir haben uns sozusagen im vorparlamentarischen Raum gemeinsam um die Entwicklung dieses Bereiches kümmern können. Sie wissen, daß die Primatenforschung in viele Bereiche hineinreicht. Wir brauchen sie als Voraussetzung für die Verhaltensforschung. Fragen in vielen Bereichen der Psychiatrie sind wirklich schlüssig nur zu beantworten und zu erforschen, wenn wir Primatenforschung betreiben. Klinische Grundlagenforschung, insbesondere in der Neurochirurgie, Eingriffe bei organischen Erkrankungen der Nervensysteme und bei psychischen Störungen, Lernprobleme und deren Störung bei Krankheiten, experimentelle Untersuchungen, auch im Bereich der Herz-Kreislauf-Forschung und anderes sind nur so möglich.
Ganz besonders wichtig aber ist die Primatenforschung für das Feld der Psychopharmaka. Manche Probleme, die wir z. B. mit Contergan gehabt haben, hätten wir vielleicht früher erkennen können, wenn wir auch in Deutschland Primatenforschung betrieben hätten; denn das, was hier bisher von der Deutschen Forschungsgemeinschaft betrieben worden ist, nämlich die Züchtung von Kleinschweinen für Versuchszwecke, ergibt ja jedenfalls nicht solche ausreichenden Antworten, wie sie die uns sehr viel verwandteren Primaten geben könnten, wenn wir uns um die Forschung dort kümmern.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem auch ich meiner Genugtuung Ausdruck gegeben habe, einem langjährigen und geschätzten Göttinger Mitbürger die ersten Fragen zur Beantwortung in seinem neuen Amte als Parlamentarischer Staatssekretär stellen zu dürfen, darf ich Sie fragen: besteht die Wahrscheinlichkeit, daß in Göttingen betriebene Forschungsaufgaben benachteiligt werden, wenn das Primatenzentrum dort nicht errichtet werden kann?
Ich muß Ihnen sagen, daß diese Wahrscheinlichkeit besteht. Wir haben zusammen mit der niedersächsischen Landesregierung die Wahl Göttingens gerade deshalb getroffen, weil es dort eine ganze Reihe von Einrichtungen gibt, nicht nur an der Universität, sondern ich erinnere Sie auch an die Max-Planck-Institute, in denen Untersuchungen laufen und Forschungen betrieben werden, die durch die Forschung am Primatenzentrum sehr gut ergänzt werden würden.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Dr. Hellige auf:
Wie kann die Bundesregierung sicherstellen, daß die Anwohner nicht durch das Primatenzentrum gesundheitlich gefährdet werden?
Herr Kollege, die Bundesregierung wird die Mittel für ein solches Primatenzentrum nur dann zuteilen, wenn durch geologische, hydrologische und Hygienegutachten klargestellt ist, daß eine Gefährdung der Anwohner zumindest mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist. Es wird eine Quarantänestation errichtet, durch die erreicht werden soll, daß Affen, die als Krankheitsträger nicht in Betracht kommen, nicht im eigentlichen Primatenzentrum gehalten werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welche Erfahrungen haben denn andere Länder, die bereits über Primatenzentren verfügen, mit der in Göttingen befürchteten Gefährdung ihrer umwohnenden Bürger gemacht? Gibt es da zuverlässige Methoden und Mittel zur Verhinderung der Gefährdung der Bevölkerung?
Ja, es gibt eine ganze Reihe von schon existierenden Zentren, allein in den USA 7; drei weitere sind im Aufbau. In der Sowjetunion gibt es ein sehr großes Zentrum. Japan und Holland haben Erfahrungen. Das holländische Zentrum wird von der Organisation für angewandte wissenschaftliche Forschung in den Niederlanden in Rijswijk, der TNO, betrieben und hat tausend Tiere aller Größenordnungen, darunter auch Schimpansen.Alle diese Zentren sind von den Mitgliedern der Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft für das Primatenzentrum, der auch ausländische Gelehrte angehören, besucht worden. Die ausländischen Wissenschaftler haben uns ebenso wie die deutschen Mitglieder dieser Kommission bestätigt, daß es keinerlei nachteilige Erfahrungen gibt. Wir werden insbesondere mit Holland, das uns am nächsten liegt, eng zusammenarbeiten und die dort gemachten Erfahrungen für uns auch weiter nutzen.
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10416 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Wichert.
Herr Staatssekretär, sieht sich die Bundesregierung in der Lage, angesichts der beträchtlichen Unsicherheit, die in der Bevölkerung bei der Vergabe des Standorts des Primatenzentrums in den Göttinger Raum entstanden ist, dafür Sorge zu tragen, daß eine ausreichende Aufklärung erreicht wird?
Herr Abgeordneter, es kommen ja wohl im wesentlichen die in diesem Bereich liegenden Gemeinden Waake, Mackenrode und Landolfshausen in Frage. Die Bundesregierung beabsichtigt, Mitglieder der Gemeinderäte dieser Gemeinden in das Paul-Ehrlich-Institut in Frankfurt einzuladen, damit sie selbst sehen, wie die Erfahrungen dort sind, und sich an Ort und Stelle ein Bild machen können.
Ich rufe Frage 7 des Abgeordneten Dr. Gleissner auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung von Berufsverbänden und Presseorganen, daß nach neuesten Berechnungen, die sich auf den erkennbaren Bedarf von Staat und Wirtschaft und das vorausschaubare Angebot von Diplomchemikern stützen, u. a. als Folge des überstürzten Ausbaus der Hochschulen in der Fachrichtung Chemie, Mitte der 70iger Jahre jeder vierte und gegen Ende des Jahrzehnts fast jeder zweite Hochschulabsolvent keinen Arbeitsplatz findet, der seiner Ausbildung entspricht, und ist auch die Bundesregierung der Auffassung von Berufsverbänden der naturwissenschaftlichen Disziplinen , die den bisherigen hektischen Ausbau von Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland erneut kritisieren und davor warnen, daß dieser Ausbau ohne vorherige Prüfung des Bedarfs an akademisch vorgebildeten Fachkräften weiter wie bisher betrieben wird?
Herr Dr. Gleissner, Sie gehen vermutlich von einer Untersuchung und den darüber in den Zeitungen erschienenen Berichten aus, die vom Verband der Union leitender Angestellter — hier insbesondere von deren Mitgliedsverband, den Akademikern der chemischen Industrie — durchgeführt worden ist.
Der Bundesregierung ist diese Untersuchung bekannt. Wir haben die Zahlen überprüft und sind zu dem Schluß gekommen, daß der Ersatzbedarf für die Chemiker, die bis 1980 aus dem Erwerbsleben ausscheiden, bei dieser Untersuchung offenbar nicht ausreichend bewertet worden ist. Die Zahl der Chemiker, die wir brauchen werden, liegt wesentlich höher als die, die der Verband annimmt.
Sie kennen wahrscheinlich auch die hier schon gelegentlich zitierte Untersuchung von Widmaier über hochqualifizierte Arbeitskräfte in der Bundesrepublik Deutschland bis 1980. Widmaier kommt zu sehr viel größeren Zahlen; er nennt 68 000. Demgegenüber wird die Zahl der dann zur Verfügung stehenden Diplomchemiker wahrscheinlich nur 37 000 betragen.
Ich teile natürlich die gelegentlich vorgetragenen Bedenken gegenüber den bisher vorhandenen Modellen der exakten Bedarfsermittlung auch auf diesem Feld. Aber die Unterschiede sind doch hier so
eklatant, daß ich glaube, die Sorgen, die Sie aus der vorliegenden Untersuchung ableiten, sind nicht berechtigt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, treffen die wiederholt bekannt gewordenen überdurchschnittlich hohen Arbeitslosenquoten von Hochschulabsolventen einer Reihe von Fachrichtungen — insbesondere von naturwissenschaftlichen und technischen Fachrichtungen in den USA, in Schweden, England und Holland — zu, nachdem deren einschlägige Studentenzahlen bis vor kurzem als beispielhaft herausgestellt wurden?
Herr Kollege, Untersuchungen dieser Art und auch diese Ergebnisse sind der Bundesregierung bekannt. Wir haben uns erst vor einiger Zeit auf einer Tagung der OECD, an der auch Herr Kollege Dr. Hermesdorf aus Ihrer Fraktion teilgenommen hat, über diese Dinge unterhalten.
Ich darf Ihnen sagen, daß die Schlüsse, die aus diesen Ergebnissen der Entwicklung in diesen Ländern gezogen werden können, uns nicht zu einer Änderung der bisher bei uns betriebenen Methoden des Ausbaus der Studien in diesen Bereichen zwingen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, daß der Fragesteller möglicherweise den Eindruck erwecken möchte, es sei aus dem möglichen Übergang in einem Bereich zu folgern, daß die Planung im gesamten Hochschulbereich nicht in Ordnung sei?
Ein Mitglied der Bundesregierung kann nicht daran gehindert werden, hier Eindrücke zu sammeln.
Ich lasse diese Frage nicht zu.
Aber ich kann diese Eindrücke nicht wiedergeben.
Herr Kollege Slotta, Sie können die Bundesregierung hier nicht fragen, ob ein Abgeordneter einen bestimmten Eindruck erwecken möchte.
Wir kommen zu Frage 8 des Abgeordneten Jung. — Er ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, und die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode —. 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972 10417
Vizepräsident Dr. Schmid
Ich rufe Frage 9 der Abgeordneten Frau Dr. Walz auf:
Bedeutet die Absicht der Bundesregierung, die durch den Weggang von Frau Dr. Hamm-Brücher freiwerdende Stelle des für den Bildungsbereich zuständigen Staatssekretärs im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft nicht wieder zu besetzen, daß die Bundesregierung die Bildungspolitik nun nicht mehr an der ersten Stelle der inneren Reformen sieht?
Frau Dr. Walz, sollen die Fragen 9 und 10 gleichzeitig beantwortet werden?
— Gut, eine nach der anderen. — Zur ersten Frage Herr Staatssekretär, bitte!
Nein, Frau Kollegin.
Wie gedenkt die Bundesregierung die von ihr behauptete Priorität der Bildungspolitik konkret zu praktizieren, wenn für den nach richtiger Auffassung der Bundesregierung wichtigen Bildungsbereich kein Staatssekretär zur Verfügung steht und deshalb vielleicht wichtige Reformvorhaben liegenbleiben müßten, falls solche überhaupt vorhanden sind und nicht nur reine Propaganda waren?
Frau Dr. Walz, ich erinnere Sie daran, daß es Ihre Seite war, die im Haushaltsausschuß die Streichung dieser Stelle beantragt hat. Die Seite des Hauses, die die Regierung trägt, hat der Streichung dieser Stelle widersprochen.
Sind Sie sich darüber klar, Herr Staatssekretär, daß wir die Streichung nur beantragt haben, weil der derzeitige Inhaber der Stelle seinen Aufgaben nicht mehr nachkommen konnte?
Ich stelle aber die zweite Zusatzfrage: — —
Das war doch eben schon eine, oder nicht?
— Sie haben mir eben die Frage gestellt, ob ich mir über das und das klar sei. Sie haben mich völlig einwandfrei gefragt. Diese Frage möchte ich beantworten.
Das war doch schon eine Frage, Herr Präsident, oder nicht?
— Nun, ich will höflich sein.
Es ist für mich sehr schwer, gnädige Frau, festzustellen, was Sie eigentlich wollen.
Wollen Sie die Beantwortung Ihrer schriftlichen Frage, oder wollen Sie eine Zusatzfrage stellen?
Ich möchte die Beantwortung der schriftlichen Frage und dann die Beantwortung der beiden Zusatzfragen, die ich stellen möchte. Dies war die erste, Herr Präsident!
Sie wollen die Beantwortung der Frage 9?
— Die Frage ist beantwortet.
— Sie ist beantwortet mit dem schlichten Wort „nein".
— Dann bitte ich Sie, die Fragen so zu formulieren, daß auch der Präsident sie verstehen kann.
— Bitte schön!
Mit welchen Argumenten kann die Bundesregierung die bis heute nicht bestrittene oder gar dementierte Absicht der FDP, ihres Koalitionspartners, entkräften, daß eine Neubesetzung der Staatssekretärsstelle im BMBW gar nicht im Interesse der FDP liege, weil sich die FDP dann im Wahlkampf leichter gegenüber dem großen Partner profilieren kann?
Solche Erklärungen des FDP-Vorstandes oder, was hier relevant wäre, des FDP-Fraktionsvorstandes sind der Bundesregierung offiziell nicht bekannt.
Herr Wichert, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es Ihnen möglich, die Fragestellerin darauf hinzuweisen, daß alle diejenigen Projekte, die bis zum Weggang der Frau Staatssekretärin geplant und entwickelt sein werden, nur noch eine Chance haben, im parlamentarischen Arbeitsgang erledigt zu werden, so daß dadurch keine Verzögerungen in der Abwicklung der Bildungspolitik entstehen?
Die Antwort lautet: ja.
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10418 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es Ihnen bekannt, daß die FDP auf die Besetzung dieser Staatssekretärsposition durch einen FDP-Abgeordneten oder durch eine Persönlichkeit der FDP verzichtet hat, aber im übrigen keinerlei Wünsche hinsichtlich der Besetzung oder Nichtbesetzung geäußert hat?
Herr Kollege, das Verhältnis zwischen den beiden Koalitionspartnern ist gut; das Verhältnis zwischen den hier beteiligten Ministerien und Persönlichkeiten ist gut. Ich bestätige, was Sie sagen.
Ich rufe die Frage 10 der Frau Abgeordneten Dr. Walz auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Auffassung des früheren Senators Evers, daß auch der neue Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Klaus von Dohnanyi, in seinem Amt scheitern werde, weil sich die Voraussetzungen gegenüber denen, die beim Amtsantritt seines Vorgängers vorlagen, nicht geändert haben?
Ich darf zunächst mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten meiner Bewunderung über den Mut der Fragestellerin Ausdruck geben, aus einem Interview zu zitieren, das die Überschrift trägt: „Die CDU hat oft mit jahrelanger Verzögerung Bildungsreformen anderer Länder aufgegriffen." Dies ist der eigentliche Tenor des Interviews von Herrn Evers. Herr Evers hat außerdem seine Sorge darüber zum Ausdruck gebracht, daß er und auch große Teile der Bevölkerung der Meinung sind, die Reform des Bildungswesens könne wegen des Widerstandes reformunwilliger Kräfte nicht zügig genug vorangehen. Diese Sorge teilt auch die Bundesregierung. Er hat sich nicht auf den neuen Bundesminister bezogen, sondern allgemein gesagt: Wenn diese reformunwilligen Kräfte weiter so arbeiteten wie sie gearbeitet haben, müsse jeder neue Bildungsminister scheitern. Das ist der Inhalt des Interviews von Herrn Evers, wie es die Regierung gelesen hat und wie sie es beurteilt.
Zusatzfrage.
Das ist keine Antwort auf meine Frage, Herr Staatssekretär, aber meine Zusatzfrage wäre die erste Frage. Da Herr Evers Mitglied des Bundesvorstandes der SPD ist, die Jungsozialisten in Oberhausen den Minister „gewarnt" haben, die gescheiterte Politik seines Vorgängers fortzusetzen, Kollege Wichert nach demselben Interview lieber mit fliegenden Fahnen untergehen will als sich Kompromissen à la Dohnanyi zu beugen, die Freien Demokraten in der Bildungspolitik sowieso eine Profilneurose haben und die Finanzminister sämtlicher Länder der Reformeuphorie des Bundes eine Absage erteilt haben, frage ich Sie, welche Bildungsreformversprechen des Kanzlers der neue Minister überhaupt noch einhalten zu können glaubt?
Frau Kollegin, Sie verstehen, daß es sehr schwer ist, eine Frage zu beantworten, in der Behauptungen, Unterstellungen und gelegentliche Erwähnungen von Tatsachen, die dann noch unkorrekt wiedergegeben werden, enthalten sind. Ich möchte trotzdem antworten und Ihnen empfehlen, den Text der Regierungserklärung in bezug auf Bildung und Wissenschaft noch einmal zu lesen, nachzusehen, was innerhalb der letzten zweieinhalb Jahre geschehen ist, festzustellen, ob die Erledigung des einen oder anderen Punktes noch aussteht. Sie werden aber gleichzeitig feststellen, daß das in der Sache bereits eingeleitet ist, um dann zu dem für uns erfreulichen, für Sie vielleicht weniger schönen Schluß kommen zu können, daß die Bundesregierung das, was sie im Bereich von Bildung und Wissenschaft an Reformen angekündigt hat, zum großen Teil erfüllt hat und zum übrigen Teil erfüllen wird.
Eine letzte Zusatzfrage.
Die Zusatzfrage lautet: Teilt die Bundesregierung die Auffassung des zurückgetretenen Ministers Leussink, man müsse sich davor hüten, nach dem anfänglichen Linksdrall der Hochschulreform nun ins Rechtsextremistische zu verfallen, wobei hier durchaus gesagt ist, daß der bisherige Regierungsentwurf einen Linksdrall hat?
Frau Kollegin, Herr Professor Leussink gehört der Bundesregierung zu meinem persönlichen Bedauern nicht mehr an. Ich darf Ihnen aber versichern, daß diese Regierung ihre Reform der Hochschule nicht nach Kategorien wie links und/oder rechts betreibt, die äußerst unpräzise und so stark ideologisiert sind, daß man auf ihrer Grundlage keine vernünftigen Gesetze machen kann.
Abgeordneter Wichert, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß das Befürchten eines möglichen Scheiterns der einen oder anderen Frage im Bereich der Bildungspolitik, wie es auch Herr Evers und die Jungsozialisten formuliert haben, nur in Betracht kommen könnte, wenn und solange die CDU/CSU nicht bereit ist, sich im Rahmen der allgemeinen Reformentwicklung diesen Reformen auch durch Konzession anzupassen, sondern auf ihrer längst überholten bildungspolitischen Position beharrt und auch bereit ist, diese mit ihrer Mehrheit im Bundesrat gegen die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen auszuspielen?
Ich kann die Frage nicht zulassen. Die Bundesregierung hat kein Urteil
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972 10419
Vizepräsident Dr. Schmiddarüber abzugeben, ob Parteien überholte oder nicht überholte Auffassungen haben.Bitte, Herr Dr. Meinecke!
Herr Staatssekretär, ich möchte mich noch einmal auf die Frage 10 von Frau Dr. Walz beziehen. Sehe ich es richtig, daß es sich hier um die Fehlinterpretation eines Interviews durch eine Tageszeitung handelt, und hat der Betreffende, der hier fehlinterpretiert worden ist, sich hierzu geäußert bzw. dieses bedauert?
Herr Kollege, die Bundesregierung ist bei ihrer Auffassung von dem Originaltext ides Interviews ausgegangen. Was ich dazu zu erläutern hatte, habe ich bereits bei meiner ersten Antwort Frau Dr. Walz erklärt.
Im übrigen hat Senator Evers klargemacht, daß er weder irgend etwas persönlich gemeint noch etwa sich gegenüber den Anstrengungen der Bundesregierung kritisch geäußert habe. Das kann ich nur mitteilen. Dies ist der Bundesregierung natürlich bekannt. Wir haben aber auch nichts anderes von ihm annehmen müssen.
Die Fragen 11 bis 14 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
— Zu Frage 13 steht hier ein Vermerk: Der Fragesteller bittet um schriftliche Beantwortung.
— Dann rufe ich Frage 13 auf:
Wie gedenkt die Bundesregierung sicherzustellen, daß auf dem zukunftsträchtigen Markt der Hochtemperaturreaktoren der Kugelhaufenreaktor durch deutsche Firmenkonsortien erbaut wird, und teilt sie die Auffassung, daß dieser Reaktortyp wegen seiner Umweltfreundlichkeit und des Einsatzes von Prozeßwärme geeignet ist, zum Beispiel im Ruhrgebiet oder Saarland einen Beitrag zur wirtschaftlichen Umstrukturierung zu leisten?
Die Bundesregierung ist gern bereit, ,die Frage zu beantworten. Herr Kollege, Sie wissen, daß der Bund durch die Förderung des 300-MW-Prototyp-Kernkraftwerks mit einem Thorium-Hochtemperaturreaktor vom Kugelhaufentyp — also dem THTR 300
zusammen mit dem Land Nordrhein-Westfalen die Grundlage für eine kommerzielle Nutzung dieses Reaktors geschaffen hat, weil er der Auffassung ist, daß Hochtemperaturreaktoren im Vergleich zu Leichtwasserreaktoren bestimmte Vorteile haben. Wegen der besseren Ausnutzung ,des Urans sind sie unempfindlicher gegen Änderungen des Uranpreises, sie geben weniger Verlustwärme ab und sind daher umweltfreundlicher, und sie gestatten, Prozeßwärme höherer Temperatur zu erzeugen.
Nach Ansicht der Hersteller kann ein Hochtemperaturreaktorkraftwerk mit Kugelhaufenreaktor großer Leistung — das heißt ca. 1000 bis 12 000 MW
erst dann ohne unzumutbare Risiken angeboten werden, wenn erste positive Betriebserfahrungen -
darauf kommt es hier ja an — mit dem 300-MWReaktor vorliegen.
Eine Gutachterfirma hat im Auftrag unseres Ministeriums eine Studie angefertigt, in der die Einsatzmöglichkeiten von speziellen Kugelhaufenhochtemperaturreaktoren entweder für die Koppelproduktion von elektrischem Strom und Prozeßwärme oder ausschließlich für die Prozeßwärmeerzeugung behandelt werden.
Die Möglichkeiten, die sich hier bieten, um die in der Bundesrepublik Deutschland vorhandenen fossilen Brennstoffe Steinkohle und Braunkohle in energiereiche Gase umzuwandeln und in zahlreichen großtechnischen Verfahren oder als Wärmeenergie weiter zu verwenden, sind von großer potentieller volkswirtschaftlicher Bedeutung, insbesondere für das Ruhrgebiet und das Saarland.
Wir wollen ein entsprechendes Entwicklungsprogramm fördern, falls das Ergebnis einer demnächst stattfindenden Gutachtersitzung — Sie wissen, wie dieser Ausschuß zusammengesetzt ist — dies zuläßt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung eine Beteiligung weiterer deutscher Firmen an der HochtemperaturreaktorbauGmbH für sinnvoll?
Je mehr sich beteiligen wollen, um so angenehmer wäre es. Aber man muß natürlich von Fall zu Fall prüfen, ob der Beitritt dieser oder jener Firma sinnvoll ist.
Zusatzfrage.
Trifft es zu, daß die Bundesregierung der amerikanischen Firma Gulf General Atomic, die auch auf diesem Gebiet tätig ist, Zusagen der Beteiligung des Bundes an einem 1100-
MW-Hochtemperaturreaktor für den Fall gemacht hat, daß diese Gesellschaft Anteile der Hochtemperaturreaktorbau-Gesellschaft übernimmt?
Herr Kollege, ich wollte über die Fragen, wie weit Verhandlungen zwischen Gesellschaftern in diesem Zusammenhang schweben, bei der Antwort auf Ihre nächste Frage, die ja direkt darauf zielt, zu sprechen kommen.
Ich rufe Frage 14 des Herrn Abgeordneten Lenzer auf:Teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß der Bau von Kugelhaufenreaktoren in der Größenordnung um 300 MW weiter ge-
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10420 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972
Vizepräsident Dr. Schmidfördert werden sollte, daß ohne Rücksicht auf die weitere Entwicklung des Prototypprojekts in Uentrop/Schmehausen bereits jetzt die notwendigen Fachprogramme entwickelt werden müssen, und welche Auffassung hat in diesem Zusammenhang die Bundesregierung über eine mögliche ausländische Beteiligung an der Hochtemperaturreaktorbau-GmbH ?
Ob in den nächsten Jahren kleinere Einheiten des Kugelhaufenreaktors insbesondere für die Prozeßwärmeerzeugung auf der Basis der heute verfügbaren Technologie wirtschaftlich interessant sein werden, ist erst auf Grund eingehender Analysen zu beantworten. Das wissen wir noch nicht. Bisher liegt hierzu weder ein Vorschlag für ein Arbeitsprogramm noch ein Förderungsantrag vor.
Die Verhandlungen zwischen den Gesellschaftern der Hochtemperaturreaktorbau-GmbH und ausländischen Firmen über eine Zusammenarbeit haben sich nach dem Ausscheiden des einen deutschen Partners im Hinblick auf eine internationale Verbreiterung des Gesellschafterkreises der HTB verstärkt. Die Bundesregierung begrüßt diese Firmeninitiative, da es sich bei der Markteinführung eines neuen Reaktortyps gegen die Konkurrenz erprobter Typen um ein weltweites und nur um ein bundesdeutsches Problem handelt, das vermutlich nur dann erfolgreich gelöst werden kann, wenn alle Kräfte zusammenwirken. Ohne eine geeignete internationale Zusammenarbeit wäre zu befürchten, daß die dann einseitig, national benötigten Förderungsmittel nicht mehr aufgebracht werden können.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da die Frage der Einführung des THTR bisher sehr stark unter dem Gesichtspunkt der Energieerzeugung für elektrische Zwecke gesehen wird, wäre es nicht möglich, parallel zu der Weiterentwicklung des Prototyps in Uentrop/Schwehausen bereits jetzt unverzüglich ein Forschungsprogramm einzuleiten für Reaktortypen in einer Größenordnung von 300 bis 600 MW, die ausschließlich der Bereitstellung nuklearer Prozeßwärme, Kohlevergasung und Energie für ähnliche Prozesse, im Hinblick auf Strukturhilfen im Ruhrgebiet und im Saarland dienen?
Unmittelbare Anträge dieser Art, Herr Kollege, sind mir nicht bekannt. Aber Initiativen aus dem Haus sind nicht unmöglich.
Ich rufe die Fragen 15 und 16 des Abgeordneten Dr. Probst auf. — Er ist nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Dr. Sperling auf. — Er ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen. Die Fragen
35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42 und 43 sind von den Fragestellern zurückgezogen.
Zu Frage 44 hat der Abgeordnete Engelsberger um schriftliche Beantwortung gebeten. Dasselbe gilt für die Fragen 45 und 46 des Abgeordneten Freiherr von Fircks und für die Frage 47 des Abgeordneten Werner. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 48 des Abgeordneten Hansen auf:
Trifft es zu. daß entgegen den Angaben der Bankenverbände die Geldinstitute aus Lohn- und Gehaltskonten neben den Uherziehungskrediten zusätzlich beträchtliche Gewinne erwirtschaften durch den ihnen auf Grund des überdurchschnittlichen Guthabenbestandes zur Verfügung stehenden ewigen Kredit, durch die Vergabe von hochrentierlichen Ultimokrediten auf Grund von Daueraufträgen sowie durch Anschlußgeschäfte und Zubringerdienste im Zusammenhang mit den Lohn- und Gehaltskonten?
Herr Kollege Hansen, bei meiner letzten Stellungnahme zur Frage der Gebühren für Lohn- und Gehaltskonten habe ich mitgeteilt, daß die Führung eines Lohn- und Gehaltskontos nach übereinstimmenden Angaben der Kreditinstitutsverbände rund 50 bis 100 DM Kosten pro Jahr verursacht. In diese Berechnung sind die Gewinne aus dem sogenannten Bodensatz — in Ihren Worten: ewiger Kredit
schon saldiert.
Bei den von Ihnen erwähnten Ultimokrediten handelt es sich um Dispositionskredite. Wie ich Ihnen vor 14 Tagen erläutert habe, decken die Einnahmen aus Dispositionskrediten auch nicht annähernd die Kosten für die Führung der Lohn- und Gehaltskonten.
Aus Anschlußgeschäften und Zubringerdiensten im Zusammenhang mit Lohn- und Gehaltskonten mögen Gewinne für Kreditinstitute entstehen. Solche Gewinne lassen sich jedoch nicht quantifizieren und auch nicht eindeutig den Lohn- und Gehaltskonten zurechnen. Im übrigen habe ich schon in meiner letzten Stellungnahme ausgeführt, daß eine Verrechnung von Gewinnen und Verlusten in verschiedenen Dienstleistungszweigen der Kreditinstitute, an die Sie nach Ihrer Fragestellung wohl denken, problematisch ist. Eine derartige Lastenverschiebung wird in der Regel gerade die wenig bemittelten Bevölkerungskreise treffen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie
grundsätzlich ausschließen, daß man bei überschläglicher Berechnung doch zu höheren Gewinnmargen kommt, als Sie sie in Ihrer Antwort auf meine Frage in der vorigen Fragestunde angenommen haben? Wenn ich von einem Überziehungskredit von etwa 400 bis 500 DM pro Monat bei etwa 8 Millionen Konten ausgehe, würde nach meiner Berechnung bei 10 bis 11 % Zinsen ein Zinsgewinn von etwas mehr als 400 Millionen DM herauskommen.
Ich würde dies nicht grundsätzlich ausschließen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972 10421
Parlamentarischer Staatssekretär HermsdorfAber die Bundesregierung hat keine Möglichkeit, die Kostenkalkulation der Banken exakt nachzuprüfen. Es sind jedoch auch keine Tatsachen bekanntgeworden, die Anlaß zu Zweifeln an den vorgelegten Berechnungen geben würden.
Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Hansen auf:
Wird die Bundesrepublik Deutschland — wenn sie die Einführung von Buchungsgebühren für Lohn- und Gehaltskonten nicht verhindern kann — eine Preisauszeichnungspflicht für alle Gebühren durchsetzen, um so die Markttransparenz und den Wettbewerb zu verbessern?
Die Bundesregierung hat bei den Verbänden des Kreditgewerbes angeregt, die Gebühren für die Massengeschäfte, u. a. auch für die Lohn- und Gehaltskonten, in den Schalterräumen auszuhängen. Die Kreditinstitutsverbände haben sich damit grundsätzlich einverstanden erklärt. Die Bundesregierung ist informiert, daß ihr die Verbände in Kürze konkrete Vorschläge vorlegen werden. Außerdem plant die Bundesregierung, die Preisauszeichnung im Dienstleistungsbereich und damit auch auf dem Kreditsektor allgemein zu verbessern. Eine Änderung der Preisauszeichnungsverordnung wird zur Zeit mit den beteiligten Bundesministerien erörtert.
Die Frage 50 des Abgeordneten Schulte wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 51 des Abgeordneten Dr. Ritz auf:
Hält es die Bundesregierung für berechtigt, die Mittel für den Aufwertungsausgleich im 3. Subventionsbericht als Steuervergünstigung bzw. als Subvention auszuweisen?
Herr Kollege Dr. Ritz, die Bundesregierung hält es nicht nur für berechtigt, sondern auch für zwingend geboten, den Einkommensausgleich wegen der Aufwertung der D-Mark im Subventionsbericht auszuweisen. Der Einkommensausgleich in Form von Zahlungen aus dem Bundeshaushalt und der Einkommensausgleich im Rahmen der Mehrwertsteuer entsprechen den auf der Grundlage des § 12 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft entwickelten Begriffsbestimmungen für Finanzhilfen und Steuervergünstigungen und unterliegen deshalb ebenso wie die übrigen finanziellen Hilfen der gesetzlichen Berichterstattungspflicht. Im übrigen wird durch die Qualifizierung des Einkommensausgleichs als Finanzhilfe bzw. als Steuervergünstigung die Berechtigung dieser Maßnahme nicht in Frage gestellt.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht dennoch die Gefahr, daß mit der Einstellung dieser Mittel in den Subventionsbericht sehr leicht in der öffentlichen Meinung der Gedanke aufkommt, daß es sich hier um Subventionen handelt und nicht, wie es den Tatsachen entspricht, um einen Ausgleich für Maßnahmen, die die Landwirtschaft selbst überhaupt nicht zu verantworten hat?
Ich sehe diese Gefahr nicht; denn die Bundesregierung hat damals, als sie den Aufwertungsausgleich einführte, erklärt — und ich habe das hier noch als ein Sprecher der Koalitionsparteien dargelegt —, daß sie diesen Aufwertungsausgleich keinesfalls als Subvention ansieht. Dies ist in der Bevölkerung bekannt. Ich sehe deshalb nicht, daß diese Gefahr, die Sie hier ansprechen, besteht.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Die Fragen 60 bis 65 sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Frage 66 — Frau Abgeordnete Griesinger ist nicht
im Saal und Frage 67 werden ebenfalls schriftlich
beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Dann rufe ich die Frage 68 des Herrn Abgeordneten Josten auf:
Werden von der Regierung Erfahrungen in anderen Ländern gesammelt, wie dort Menschen in der für sie zutreffenden Behinderung, z. B. als Rollstuhlfahrer, Seh-, Hör- oder Gehbehinderte, geholfen wird?
Herr Kollege Josten, die Bundesregierung pflegt auf dem Gebiete der Rehabilitation Behinderter enge Kontakte zu anderen Ländern, um im Austausch gegen eigene Erkenntnisse die dort gewonnenen Erfahrungen in der Bundesrepublik Deutschland zu verwerten. Zentrale übernationale Kontaktgremien, mit denen die Bundesregierung ständig zusammenarbeitet, sind vor allem der Europarat, die Europäischen Gemeinschaften und die Weltgesundheitsorganisation.
Diese Gremien erarbeiten nicht nur Empfehlungen und Richtlinien für Maßnahmen auf nationaler Ebene. Sie sind zugleich auch die Schaltstelle für einen ständigen zwischenstaatlichen Erfahrungsaustausch. Darüber hinaus erhält die Bundesregierung wichtiges Erfahrungsmaterial aus dem Ausland auch durch die Einschaltung privater Verbände und Organisationen, die mit gleichartigen Einrichtungen anderer Länder zusammenarbeiten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es von seiten der Bundesregierung auf Grund ihrer Erfahrungen bereits einen Gesetzentwurf, womit den behinderten Menschen bessere Chancen zur Eingliederung in unsere Gesellschaft geboten werden, oder versucht die Bundesregierung, Verbesserungen auf andere Weise zu erreichen?
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10422 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 179. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. März 1972
Es gibt vielfältige Wege, um Behinderten zu helfen. Das drückt sich im materiellen Bereich z. B. in der Sozialhilfe aus. Die Novelle, die bei uns im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit vorbereitet wird, geht auch auf das Problem der Behinderten ein. Es gibt aber weitere Maßnahmen, auf die ich bei 'der Beantwortung Ihrer zweiten Frage eingehen werde, z. B. aus dem Tätigkeitsbereich des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen. Dort ist gerade vor kurzem —wenn ich das richtig sehe — eine Kleine Anfrage beantwortet worden, die eingehend darlegt, was im Bereich des Wohnungsbaues für Behinderte getan wird und welche helfenden Baunormen erarbeitet worden sind.
Ich rufe die Frage 69 des Abgeordneten Josten auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, durch Zusammenarbeit der zuständigen Ministerien mitzuhelfen, damit für die Eingliederung der behinderten Menschen in unsere Gesellschaft mehr getan wird?
Die zuständigen Bundesministerien arbeiten auf dem Gebiet der Rehabilitation Behinderter eng zusammen. Zur Durchführung des Aktionsprogramms der Bundesregierung zur Förderung der Rehabilitation der Behinderten ist zwischen dem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit und dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ein gemeinsamer Arbeitsausschuß gebildet worden. In diesem Ausschuß werden alle wichtigen, die Bundesregierung berührenden Fragen abgestimmt. Für Teilbereiche der Rehabilitation Behinderter —z. B. für die Beseitigung baulicher Hindernisse oder den Behindertensport — sind Unterausschüsse gebildet worden, in denen wegen der besonderen fachlichen Fragen auch das Bundesministerium für Städtebau und Wohnungswesen und andere Bundesressorts vertreten sind. Soweit die Länder zuständig sind, ist eine Mitwirkung der Bundesregierung durch Zusammenarbeit mit den Länderministerien in entsprechenden Ausschüssen, Arbeitsgemeinschaften und Konferenzen gewährleistet.
Die Zusammenarbeit zwischen den Bundesministerien, den Länderministerien und den sonst angesprochenen Stellen hat zu einer Reihe von Maßnahmen geführt, die Umweltbedingungen für Behinderte zu verbessern. So beteiligt sich jetzt auf Veranlassung des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen der Bund an der Finanzierung des baulich bedingten Mehraufwandes für den Bau von Wohnungen für Schwerbeschädigte, und zwar mit 4000 DM je Wohnung. Die Bewilligung der Bundesmittel ist an die Beachtung der Plannorm DIN 18025, Wohnungen für Schwerbehinderte, Blatt 1, Wohnungen für Rollstuhlbenutzer, gebunden. Durch diese Norm soll erreicht werden, daß der Schwerbehinderte von fremder Hilfe weitgehend unabhängig wird.
Ein weiteres Normblatt mit der Bezeichnung DIN 18025 Blatt 2, das in Kürze als Entwurf erscheint, befaßt sich mit Wohnungen für Blinde und wesentlich Gehbehinderte. Der Mittelbewilligung für Wohnungen für Haushalte, denen ein Blinder angehört, und für Wohnungen in Blindenzentren soll dieses Normblatt künftig zugrunde gelegt werden. Weitere Normblätter dieser Reihe befinden sich in Vorbereitung.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem es über 4 Millionen Behinderte in der Bundesrepublik gibt, darf ich Sie fragen: Ist die Bundesregierung bereit, nicht nur in Verbindung mit den Ländern, die Sie vorhin nannten, sondern auch mit den Verbänden bzw. den zuständigen Organisationen der Eingliederung unserer behinderten Menschen eine größere Priorität einzuräumen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Josten, die Bundesregierung hat dies durch die Vorlage eines umfassenden Rehabilitationsprogramms getan. Dort ist das Ministerium, in dem ich mitarbeite, nicht das federführende, aber doch eines der mitwirkenden, und zwar unter den zwei Aspekten der sozialen und der medizinischen Rehabilitation, während alles das, was darüber hinausgeht, insbesondere die Förderung im beruflichen Bereich, federführend vom Arbeitsministerium wahrgenommen wird. Der Arbeitsminister hat in anderen Unterlagen, die dem Parlament zugänglich sind, deutlich zum Ausdruck gebracht, wie umfassend die Bemühungen dieser Bundesregierung für die Hilfe für Behinderte im gesamten Rehabilitationsbereich sind. Dafür sind viele Millionen gerade im vergangenen Jahr erstmalig ausgegeben worden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, wie weit die Auswertung der Aktion „Ideenwettbewerb des guten Willens" gediehen ist, um gute Vorschläge zur Verbesserung der Hilfe für Behinderte zu realisieren?
Es tut mir leid, Herr Kollege Josten, aber diese Frage muß an den Arbeitsminister gerichtet werden. Dies hängt zusammen mit der vielfältigen Zuständigkeit der Bundesregierung, die sich an vielen Stellen um Behinderte bemüht. Die von Ihnen genannte Aktion ist unter der Federführung des Arbeitsministers gelaufen.
Die Fragen 70, 71 und 72 werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden in der Anlage abgedruckt.
Die Fragestunde ist damit zu Ende.
Ich berufe die nächste Plenarsitzung ein auf Mittwoch, den 12. April 1972, 9 Uhr.
Ich schließe die heutige Sitzung.