Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, für den aus dem Gemeinsamen Ausschuß gemäß Art. 53 a des Grundgesetzes ausscheidenden, zum Bundesverfassungsrichter gewählten Abgeordneten Hirsch schlägt die Fraktion der SPD den Abgeordneten Frehsee vor, der bisher stellvertretendes Mitglied war. An seiner Stelle wird stellvertretendes Mitglied der Abgeordnete Dr. Dübber. Das Haus hat die Vorschläge der Fraktion der SPD gehört. — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die heutige Tagesordnung erweitert werden um die
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung über den von der Bundesregierung vorgelegten Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Verordnung des Rates über bestimmte Verwaltungs- und Finanzmodalitäten der Tätigkeit des Europäischen Sozialfonds
— Drucksachen VI/2905, VI/2967 —
Ich höre auch hier keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen. Es ist der zweite Punkt der heutigen Tagesordnung.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Für den ausgeschiedenen Abgeordneten Hirsch, der auf sein Mandat als Mitglied im Richterwahlausschuß verzichtet, wird gemäß § 5 Abs. 3 des Richterwahlgesetzes sein bisheriger Stellvertreter, Abgeordnete Frau Huber, Mitglied. Für Abgeordnete Frau Huber rückt gemäß § 5 Abs. 3 des Richterwahlgesetzes Abgeordneter Metzger aus der Reihe der nicht mehr Gewählten als Stellvertreter nach.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung hat die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Klepsch, Ernesti, Damm, Haase , Stahlberg, Adorno, Dr. Marx (Kaiserslautern) und der Fraktion der CDU/CSU betr. Verteidigungshaushalt — Drucksache VI/2896 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/2969 verteilt.
Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat gegen die nachstehende Verordnung keine Bedenken erhoben:
Verordnung zur Durchführung des Beschlusses Nr. 71/66/EWG des Rates vom 1. Februar 1971 über die Reform des Europäischen Sozialfonds
Beschlußvorschlag des Rates über die Anwendung der Artikel 123 bis einschließlich 127 des Vertrages auf die französischen überseeischen Departements
— Drucksache VI/2102 —
Der Bundesminister für Verkehr hat die Kleine Anfrage der Abgeordneten Stücklen, Dr. Jobst, Schedl, Dr. Aigner und Genossen betr. Finanzierung der Bauarbeiten an der Großschifffahrtstraße Rhein-Main-Donau — Drucksache VI/2878 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/2970 verteilt.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katzer, Dr. Götz, Ruf, Burger, Möller , Härzschel und der Fraktion der CDU/CSU — Drucksache VI/2898 — betr. Kosten des Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Reform der gesetzlichen Rentenversicherung für die öffentlichen Haushalte und für die Krankenversicherung beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/2971 verteilt.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehende Vorlage überwiesen:
Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer — Einführung der Mehrwertsteuer in der Republik Italien -
- Drucksache VI/2943 —
überwiesen an den Finanzausschuß , Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Ich komme damit zur
Fragestunde
— Drucksache VI/2938 —
In Abweichung von der sonstigen Übung am Freitag beginnt sie mit den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen. Das Auswärtige Amt schließt sich dann an. Ich komme also zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen. Der Herr Staatssekretär Hermsdorf ist anwesend.
Ich rufe zuerst die Frage 53 des Abgeordneten Schmidt auf. — Er ist offensichtlich nicht da. Dann wird diese Frage schriftlich beantwortet, ebenso die Frage 54 des Abgeordneten Schmidt (Kempten). Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Die Frage 55 des Abgeordneten Dr. Slotta wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 56 des Abgeordneten Dr. Hammans auf:
Treffen Pressemeldungen zu, die in der Nummer 22 des von P. Mandt herausgegebenen Bonner Informationsdienstes veröffentlicht wurden, wonach bei einem vom Statistischen Amt der EG in Luxemburg angestellten Preisvergleich innerhalb der EG-Mitgliedsländer die Preise für Medikamente in der Bundesrepublik Deutschland wesentlich höher, d. h. bis zu vier- bis fünfmal so hoch sein sollen wie in den übrigen Mitgliedsländern?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
9310 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1971
Gestatten Sie, daß ich beide Fragen zusammen beantworte?
Bitte sehr. Dann rufe ich auch die Frage 57 des Abgeordneten Dr. Hammans auf:
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß die vorgenommene Erhebung keinen repräsentativen Querschnitt darstellt, da zu dem Preisvergleich insgesamt nur 19 Medikamente aus einem mehrere tausend umfassenden Angebot an Arzneimitteln auf dein europäischen Markt herangezogen worden sind, z. B. für Antibiotika lediglich ein Präparat und dabei sogar eines einer US-Firma, für deren Preisgestaltung die amerikanische Muttergesellschaft, nicht aber ihre europäischen Töchter bestimmend ist?
Die Pressemeldungen, auf die sich der von T. Mandt herausgegebene Bonner Informationsdienst bezieht, gehen auf eine Zusammenstellung des Statistischen Amtes der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg zurück. Die Zahlenangaben entsprechen den von diesem Amt getroffenen Feststellungen, die jedoch gewisse Faktoren, z. B. Packungsgrößen und Wirkstoffgehalte, nicht berücksichtigen.
Die Zusammenstellung enthält für den Monat November 1970 eine Gegenüberstellung von Durchschnittspreisen, die aus Einzelhandelspreisen in Groß-, Mittel- und Kleinstädten der Europäischen Gemeinschaft für 500 funktionell vergleichbare Artikel des „Warenkorbs" berechnet wurden. Sie ist für die Ermittlung von Verbrauchergeldparitäten vorgesehen, mit anderen Worten: der für alle Mitgliedstaaten vergleichbare „Warenkorb" von 500 Artikeln aller Bereiche soll als Maßstab für die Berechnung des Verhältnisses der Nominaleinkommen zu den Realeinkommen in den Mitgliedstaaten dienen. Für einen Vergleich des Preisniveaus im ganzen oder in Teilbereichen ist diese Zusammenstellung nicht gedacht und — wegen des andersartigen Zieles der Erhebung — nicht geeignet. Das gilt auch für die in dieser Zusammenstellung enthaltenen 19 Artikel des pharmazeutischen Bereichs. Diese Anzahl ist nach Auffassung statistischer Fachleute für die Erhebung eines „Warenkorbs" ausreichend.
In diesem Zusammenhang ist auch nicht zu beanstanden, daß aus dem Bereich der Antibiotika lediglich ein Präparat herangezogen worden ist und daß nicht nur dieses, sondern auch der überwiegende Teil der anderen Präparate dieser Zusammenstellung der besseren Vergleichbarkeit wegen Erzeugnisse nichtdeutscher Konzernunternehmen betrifft. Verallgemeinernde Schlüsse aus dieser Zusammenstellung auf das Arzneimittelpreisniveau in der Bundesrepublik sind angesichts dieser Umstände unangebracht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hammans.
Herr Staatssekretär, vertritt die Bundesregierung die Auffassung, daß, abgesehen von der auch von Ihnen erwähnten mangelnden Repräsentanz dieser Untersuchungen, die EWG-Studie nicht die zahlreichen Marktbesonderheiten der verschiedenen EWG-Länder berücksichtigt, diese wiederum maßgebend für die Preise identischer Medikamente auf den jeweiligen Märkten sind, wie dies z. B. ein Vergleich — den haben Sie in Ihrer Antwort nicht gezogen — der Herz- und Kreislaufpräparate ergeben hat — Sie erwähnten allerdings, daß die verschiedenen Verpackungsgrößen auch nicht berücksichtigt wurden —, und teilen Sie meine Meinung, daß allein dies schon einen Preisvorteil zugunsten der Arzneimittel in der Bundesrepublik von 13 v. H. darstellt?
Herr Kollege, ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ein Vergleich nicht möglich ist. Das, was Sie eben ausgeführt haben, unterstützt die Auffassung der Bundesregierung, daß man wegen der verschiedenen Ausgangspositionen die Preise nicht vergleichen kann.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, daß der deutschen Arzneimittelindustrie durch eine solche Nachricht Schaden in ihrem Ansehen zugefügt wird, der nicht berechtigt ist?
Ich teile die Auffassung nicht, daß hier der deutschen Arzneimittelindustrie Schaden zugefügt wird, weil die Ausgangsposition bei den Herstellern so klar und eindeutig ist, daß jedermann weiß, daß hier nicht vergleichbare Tatbestände zugrunde liegen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sollte man dann nicht wenigstens erwarten, daß die nicht vergleichbaren Tatbestände deutlicher herausgestellt werden?
Dies sollte man versuchen. Wieweit das möglich ist, kann ich im Augenblick nicht beurteilen; denn die Dinge sind nicht allein von uns abhängig.
Sie haben keine Zusatzfragen mehr, Herr Dr. Hammans? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter!
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, in Anbetracht des hohen Exportvolumens, das die deutsche pharmazeutische Industrie hat, und des Ansehens, das die
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1971 9311
Dr. Frerichs
deutsche Industrie auf diesem Sektor in der Welt genießt, nach Ihrer mündlichen Erklärung eine entsprechende klare schriftliche Erklärung zu diesen statistischen Zahlen für den Bereich der Bundesrepublik abzugeben?
Zur Zeit ist die Bundesregierung dazu nicht bereit, da im Augenblick ein Ausschuß mit dieser Frage beschäftigt ist, und erst wenn die Ergebnisse dieses Ausschusses vorliegen, können wir eine Erklärung abgeben, und zwar wahrscheinlich nicht nur wir, sondern auf europäischer Ebene.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Frerichs.
Herr Staatssekretär, teilen Sie nicht mit mir die Auffassung, daß das doch ein etwas ungewöhnliches Verfahren ist — denn dieser Ausschuß arbeitet schon seit vielen Monaten, und er wird sicherlich noch viele Monate arbeiten —, daß zu einer so aktuellen Frage, wie es diese statistische Aussage ist, jetzt keine Erklärung abgegeben wird?
Ich halte das nicht für ein unaktuelles Verfahren. Ich würde auch sagen: wenn die Bundesregierung hier eine Erklärung abgibt, muß sie es in Zusammenarbeit oder in Abstimmung mit den anderen beteiligten europäischen Kreisen tun.
Ich rufe die Frage 58 des Herrn Abgeordneten Josten auf:
In welcher Weise gedenkt die Bundesregierung in den kommenden Haushaltsplänen das Anliegen des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks zu berücksichtigen, welcher für eine verstärkte überbetriebliche Unterweisung als Ergänzung der Betriebslehre bis 1980 einen Betrag in Höhe von 1,8 bis 2 Milliarden DM für erforderlich hält?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Josten, die Bundesregierung fördert die überbetriebliche Unterweisung im Handwerk in jährlich steigendem Umfang aus den Mitteln der Gewerbeförderung. Im Haushalt 1972 sind für die Gewerbeförderung im Handwerk 23 Millionen DM sowie Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 11 Millionen DM vorgesehen. Außerdem sollen nach dem Beschluß des Haushaltsausschusses weitere 6 Millionen DM in den Eventualhaushalt eingestellt werden. Außerdem haben Sie hier in der vorigen Woche einen Entschließungsantrag angenommen, daß entsprechende Mittel aus dem ERP-Fonds zur Verfügung gestellt werden. Von diesem Planungsvolumen von insgesamt 40 Millionen DM — außer dem, was in dem Entschließungsantrag gesagt worden ist — werden voraussichtlich 27 Millionen DM für den Bau und die Einrichtung von beruflichen
Bildungsstätten und für die Durchführung von Ausbildungsmaßnahmen im Handwerk verwendet werden.
Um Einrichtungen und Maßnahmen der beruflichen Bildung auch in Zukunft verstärkt fördern zu können, sollen die für die Gewerbeförderung vorgesehenen Mittel bei der Fortschreibung der mehrjährigen Finanzplanung im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten des Bundes erhöht werden. Das Handwerk kann zudem — bei Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen — zur Mitfinanzierung von beruflichen Bildungseinrichtungen auch die Mittel aus den regionalen Förderungsprogrammen und die bei der Bundesanstalt für Arbeit für die institutionelle Förderung bereitstehenden Mittel in Anspruch nehmen.
Die Bundesregierung erstellt außerdem — ihrer
Ankündigung im „Aktionsprogramm Berufliche Bildung" folgend — zur Zeit für die gesamte gewerbliche Wirtschaft ein Schwerpunktprogramm für die Errichtung und den Ausbau überbetrieblicher beruflicher Bildungsstätten. In diesem Programm werden auch die vom Zentralverband des deutschen Handwerks für die überbetriebliche Unterweisung entwickelten Vorstellungen berücksichtigt werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Josten.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, daß die Berufsbildung den gleichen Rang wie andere Bildungseinrichtungen haben muß und daher auch die finanziellen Mittel von Bund und Ländern zur Verfügung gestellt werden müßten, die auch bei den von Ihnen genannten Zahlen noch unzureichend wären?
Herr Kollege Josten, ich teile nicht nur Ihre Auffassung, sondern bin sogar der Meinung, daß die berufliche Bildung, da sie im Gegensatz zu anderen Zweigen bisher sehr stark vernachlässigt worden ist, mehr gefördert werden muß. Wir werden uns bemühen, daß der Vorsprung, den die anderen Bildungszweige haben, aufgeholt wird, aber wir werden hier noch wesentliche Anstrengungen zugunsten der beruflichen Bildung unternehmen müssen.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten.
Herr Staatssekretär, auf Grund Ihrer erfreulichen Mitteilung darf ich Sie fragen: Wird auch die Bundesregierung jene Bestrebungen von seiten der Wirtschaft unterstützen, die die Gleichstellung der beruflichen mit der Allgemeinbildung fordern und dabei am dualen System festhalten wollen?
Wir werden die Förderung der beruflichen Bildung
9312 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1971
Parlamentarischer Staatssekretär Hermsdorf
im Rahmen der uns zur Verfügung stehenden Mittel unterstützen.
Ich komme zur Frage 59 des Abgeordneten Dr. Jobst. — Er ist nicht im Saal. Somit wird die Frage schriftlich beantwortet, und die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dann rufe ich Frage 60 des Abgeordneten Dr. Jahn auf. — Der Kollege ist ebenfalls nicht im Saal, so daß auch diese Frage schriftlich beantwortet und die Antwort als Anlage abgedruckt wird.
Wir kommen zur Frage 61 des Abgeordneten Büchner:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob sichergestellt ist, daß für die unter § 22 Ziff. 3 des Einkommensteuergesetzes fallenden Bestechungsgelder im „Bundesliga-Bestechungsskandal" bei den Empfängern Einkommensteuer-Vorauszahlungen festgesetzt worden sind?
Herr Kollege Büchner, darf ich beide Fragen zusammen beantworten?
Dann rufe ich auch die Frage 62 des Abgeordneten Büchner auf:
Sind die für die Veranlagung der bestochenen Spieler zuständigen Finanzämter besonders aufgefordert worden, Kontrollmitteilungen für die zur Besteuerung der Geldgeber zuständigen Finanzämter zu fertigen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Zwischen den Finanzministerien der Länder und unserem Hause besteht Einvernehmen darüber, daß die an die Fußball-Lizenzspieler möglicherweise von dritter Seite gezahlten Bestechungsgelder und sonstigen Vergütungen grundsätzlich einkommensteuerpflichtig sind. Für die Einkommensteuererklärung sind die entsprechenden Angaben natürlich erst 1972 zu machen. Erst wenn die Einkommensteuererklärungen für 1971 vorliegen, können die Finanzämter abschließend prüfen, ob auch die Bestechungsgelder als Einnahmen erklärt worden sind.
Ungeachtet dessen sind die Finanzämter berechtigt, die Einkommensteuer-Vorauszahlungen der in Betracht kommenden Fußballspieler noch rückwirkend für 1971 an die voraussichtliche Jahressteuerschuld anzupassen und den hiernach zu wenig entrichteten Betrag in einer Summe nachzufordern.
Da die Erhebung der Einkommensteuer den Ländern obliegt, ist der Bundesregierung nicht bekannt, ob und gegebenenfalls in welchen Fällen die Anpassungen der Vorauszahlungen bereits vorgenommen worden sind. Um eine möglichst baldige Anforderung der Steuer sicherzustellen, wird die Bundesregierung die Finanzminister der Länder bitten, die Finanzämter auf die Anpassung der Vorauszahlungen und auf die Erfassung möglicher Bestechungsgelder im Rahmen der Veranlagung hinzuweisen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Qualität dieser Bestechungsgelder? Sind es Gelder, die als Entgelt für bestimmte Gegenleistungen gezahlt wurden und damit voll abzugsfähig sind,
oder sollte durch die Gelder der Empfänger zu einem wohlwollenden Verhalten veranlaßt werden, womit nach geltendem Recht die Bestechungsgelder nur bis zu 100 DM abzugsfähig wären?
Die Bundesregierung beurteilt die Qualität so, wie man die Qualität von Bestechungsgeldern beurteilen muß. Hinsichtlich der Steuer werden wir uns an die rechtlichen Voraussetzungen halten, die hier gegeben sind.
Ich komme zur Frage 63 des Abgeordneten Vogt:
Kann die Bundesregierung Pressemeldungen bestätigen, daß auch einem Kind eine Lohnsteuerkarte ausgestellt wird, falls das von dem Kind selbst oder einem Erziehungsberechtigten beantragt wird, und teilt die Bundesregierung die Befürchtung, daß dadurch der Eindruck erweckt wird, Kinderarbeit werde entgegen den Bestimmungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes dann geduldet, wenn der Staat hierfür seinen Steueranteil erhält?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Vogt, ich teile nicht Ihre Auffassung, daß mit der Tatsache, daß eine Lohnsteuerkarte für ein Kind ausgestellt worden ist, der Eindruck erweckt wird, wir ließen sozusagen neben dem Gesetz Kinderarbeit zu. Aber Sie wissen, daß es eine Reihe von Möglichkeiten gibt, daß ein Kind — sogar ein zweijähriges — eventuell eine Lohnsteuerkarte erhalten kann.
Es ist auch, wenn ein Vater oder eine Mutter eine Lohnsteuerkarte für ein Kind anfordert, dem Finanzamt nicht möglich, zu fragen, wieso und warum dies geschieht, denn wer Lohnsteuerkarten anfordert, der bekommt sie.
Keine Zusatzfrage.
Die Fragen 64 und 65 des Abgeordneten Dr. Aigner werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. — Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zuerst steht Frage 107 des Abgeordneten Pöhler an. — Der Kollege ist nicht im Saal; auch diese Frage wird schriftlich be-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1971 9313
Vizepräsident Dr. Jaeger
antwortet, und die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 108 des Abgeordneten Hansen auf:
Bezieht sich die Auffassung der Bundesregierung, daß „im Interesse der politischen Bemühungen der Bundesrepublik Deutschland zu den Partnerländern davon abgesehen werden , politische Gegner der jeweiligen Regierung (als Lehrer) einzustellen" (Schreiben des Auswärtigen Amts vom 14. Oktober 1971 — Az.: IV 4-80.10/1 — an den Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen) auch auf Diktaturen, wie z. B. Griechenland?
Herr Staatssekretär Moersch!
Herr Kollege Hansen, die Bundesregierung hat in der Fragestunde vom 10. Dezember 1971 auf eine vom Kollegen Dr. Apel gestellte fast gleichlautende Frage bereits ausführlich geantwortet. Ich verweise auf die Drucksache VI/2890 sowie auf den Stenographischen Bericht Seite 9092 ff. Das Bestreben unserer Seite ist in der ganzen Angelegenheit auf das Wohl der Kinder gerichtet, die nach ihrer Rückkehr in die Heimat den Anschluß an das eigene Schulsystem schnell finden sollen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, ungeachtet der differenzierten Antworten, die in der Fragestunde vom 10. Dezember 1971 von Ihnen gegeben worden sind, möchte ich Sie fragen, ob Sie es nicht mit mir für unerträglich halten, daß im Kern des von mir zitierten Schreibens Grundrechte zur Disposition für außenpolitische Opportunitätserwägungen gestellt werden.
Herr Abgeordneter, ich glaube, Sie unterliegen hier einem Irrtum. Estens ist das in dem Brief nicht geschehen, zum zweiten geht es hier um einen Tatbestand, der die persönlichen Interessen ausländischer Staatsbürger betrifft. Ich glaube, das ist in diesem ganzen Zusammenhang doch zu beachten. Ein zu Hause anerkannter Schulbesuch liegt in deren eigenem Interesse und entspricht Vereinbarungen, die mit einem ausländischen Staat abgeschlossen worden sind.
Vielleicht ist es für Sie ganz nützlich, in diesem Zusammenhang zu hören, daß auch andere Länder in ganz ähnlicher Weise verfahren, daß etwa für die Kinder, die aus spanischen, jugoslawischen und türkischen Gastarbeiterfamilien kommen, die Lehrer aus diesen Ländern vermittelt werden, die dann den entsprechenden Fremdsprachenunterricht hier erteilen. Es sind also Lehrer aus den Staaten, aus denen die Gastarbeiter stammen, so daß hier kein Sonderfall irgendeiner Art vorliegen kann.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn wir davon ausgehen — und ich glaube, wir gehen beide davon aus —, daß alle sich im Geltungsbereich des Grundgsetzes befindenden Personen, ob Kinder, Heranwachsende oder Erwachsene, weitgehend den Schutz des Grundgesetzes genießen, möchte ich Sie fragen, ob Sie in diesem vorliegenden Fall nicht doch bereit sind, sich als politische Führung von dem Schreiben, das aus Ihrem Haus kommt, zu distanzieren und in einem klarstellenden neuen Schreiben Ihre Position zu verdeutlichen?
Herr Abgeordneter, ich habe diese Klarstellung in der letzten Woche in der Fragestunde vorgenommen. Ich glaube, es ist hinreichend deutlich geworden, und ich brauche Ihnen das Protokoll nicht noch einmal zu verlesen. Sie gehen nach meiner Meinung von einem grundlegenden Irrtum aus, nämlich dem, daß irgend jemand von uns gezwungen würde, irgendeinen Unterricht zu besuchen, den er nicht besuchen will. Der Unterricht, der von deutscher Seite unter deutscher Schulaufsicht gegeben wird, entspricht selbstverständlich den Grund- und Freiheitsrechten dieses Staates. Die Frage ist doch nur, ob jemand auf einen bestimmten Unterricht verzichten will mit der Folge, dann eine bestimmte Schulzeit im eigenen Lande nachholen zu müssen. Das ist doch das Problem, das sich für die Betroffenen jeweils stellen könnte.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich komme zur Frage 109 des Abgeordneten Dr. Ahrens:
Wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, daß entsprechend den Empfehlungen Nr. 173, 188 und 200 der Versammlung der Westeuropäischen Union der Ausschuß unabhängiger Sachverständiger seine vorbereitenden Untersuchungen beschleunigt fortsetzt und die Arbeiten an dem Statut des Personals der WEU und anderer koordinierter europäischer Organisationen bald zum Abschluß gebracht werden?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Die Bundesregierung befürwortet die Einsetzung eines Sachverständigenausschusses zur Überprüfung der Personalstruktur und der Beschäftigungsbedingungen der koordinierten Organisationen. Der Sachverständigenausschuß kann seine Arbeit erst aufnehmen, wenn die Zustimmung der Räte der fünf übrigen koordinierten Organisationen — das sind Europarat, NATO, OECD, ELDO und ESRO — zur Einsetzung des Ausschusses vorliegt. Das ist bisher noch nicht der Fall.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ahrens.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die bestehende Unsicherheit der personellen Situation vor allem zu Lasten der sozial schwächeren Mitarbeiter der Organisationen geht, und sind Sie bereit, von deutscher Seite alles daranzusetzen, daß die Lösung dieses seit 1959 anstehenden Problems nunmehr erfolgen kann?
Herr Abgeordne-
9314 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1971
Parlamentarischer Staatssekretär Moersch
ter, die Bundesregierung hat das mit Nachdruck getan, und sie hofft, daß auch eine befriedigende Regelung gefunden werden kann. Die Frage, die innerhalb der betroffenen Staaten umstritten ist, ist die Frage des Weges dahin.
Keine Zusatzfrage.
Ich komme zur Frage 110 des Abgeordneten Dr. Hupka:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in Oppeln die Stelle für Aussiedler, wie in Briefen aus Oberschlesien mitgeteilt wird, geschlossen worden ist, und weiche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um auf dem Verhandlungsweg zu erreichen, daß diese einseitige Unterbrechung der Aussiedlungsprozedur wieder rückgängig gemacht werden kann?
Herr Staatssekretär, bitte!
Nach Kenntnis der Bundesregierung ist das örtliche Paßbüro bzw. die Paßverwaltung in Oppeln nicht geschlossen worden. Auch dem Deutschen Roten Kreuz ist von einer derartigen Schließung der betreffenden Büros in Oppeln nichts bekannt.
Die Bundesregierung beobachtet die weitere Entwicklung. Insoweit darf ich mich auf die Antworten beziehen, die ich zu diesem Fragenkreis in der letzten Zeit in der Fragestunde gegeben habe.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, welche Konsequenzen können aus der Tatsache gezogen werden, daß uns ständig Nachrichten gerade aus Oberschlesien erreichen, denen zufolge in der Woiwodschaft Oppeln, im früheren Regierungsbezirk Oppeln, die Aussiedlung geradezu unmöglich gemacht worden ist und auch die letzten Zahlen von Friedland für die ersten zehn Tage des Monats Dezember nur noch 31 Oberschlesier ausweisen?
Herr Abgeordneter, ich habe an dieser Stelle wiederholt darauf hingewiesen, daß wir uns um eine Aufklärung dieser Zusammenhänge bemühen. Wir sind auch mit der polnischen Seite in Kontakt, und ich habe diese Antwort u. a. auf Grund einer Mitteilung aus dem polnischen Außenministerium geben können. Ich bin gern bereit, wenn weitere Informationen darüber vorliegen, diese im Auswärtigen Ausschuß vorzutragen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, kann nicht wenigstens in der deutschen Öffentlichkeit die Vertrauenslücke geschlossen werden, die dadurch entstanden ist, daß ein Widerspruch klafft zwischen den Informationen, die hier so verbreitet werden, und den Briefen, die von den unmittelbar Betroffenen, den Aussiedlungswilligen, in die Bundesrepublik gelangen?
Herr Abgeordneter, ich glaube, die Antwort ist enthalten in der Antwort, die ich auf die vorige Frage gegeben habe.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Josten.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung überhaupt bekannt, ob Stellen für Aussiedler in Polen geschlossen wurden?
Nein, darüber ist uns nichts bekannt, und es ist auch dementiert worden, daß das so sei.
Ich komme zur Frage 111 des Abgeordneten Meister. — Er ist nicht im Saal. Die Fragen 111 und 112 werden schriftlich beantwortet; die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Die Frage 113 des Abgeordneten Roser wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich komme zur Frage 114 der Abgeordneten Frau von Bothmer:
Trifft es zu, daß Angehörige des Auswärtigen Dienstes, die nach dem Kulturabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Südafrika in einer Gemischten Kommission die deutsche Seite vertreten, für südafrikanische Stipendiaten des DAAD ein Verhältnis von acht Weißen zu drei sogenannten Nicht-Weißen mit festgelegt haben?
Herr Staatssekretär, ich darf bitten.
Die Antwort lautet: Nein. Auf Grund interner deutscher Überlegungen ist schon seit längerer Zeit festgelegt worden, daß von den für Südafrika bestimmten Stipendien etwa 30 % ausschließlich nichtweißen Studenten vorbehalten bleiben. Die Bundesrepublik ist meines Wissens das einzige europäische Land, das eine solche Quotierung vorsieht. Für die Regierungsstipendien anderer Länder müssen die nichtweißen Kandidaten den Wettbewerb mit ihren weißen Kommilitonen bestehen und haben dabei auf Grund der Bildungsvoraussetzungen, die angeboten worden sind, naturgemäß weniger Aussicht, einen Platz zu erhalten, als wenn ihnen eine feste Zahl Stipendien reserviert ist.
Dabei handelt es sich aber nicht um eine fixierte Quote, sondern um eine Richtzahl, die wir je nach der Situation verändern können, wenn genügend qualifizierte Meldungen vorliegen. Eine Zustimmung der südafrikanischen Seite oder der Kulturkommission ist nicht erforderlich; es ist unsere Entscheidung.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1971 9315
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau von Bothmer.
Darf ich dann fragen: wie viele weiße und wie viele nichtweiße Stipendiaten kamen seit 1964? Wie wird auf südafrikanischer Seite, die kaum oppositionelle Weiße oder Farbige auf diese Weise auszeichnen wird, die Auswahl getroffen?
Frau Abgeordnete, ich habe in der letzten Fragestunde Ihre diesbezügliche Anfrage beantwortet. Das Zahlenverhältnis kann von mir im Moment nicht angegeben werden; ich müßte es bei den zuständigen Stellen nachprüfen. Das macht die Bundesregierung ja nicht selbst, sondern hier sind Organisationen betroffen, die uns nicht direkt unterstehen.
Eine zweite Zusatzfrage, Frau von Bothmer.
In welcher Weise glaubt man denn nun seitens der Bundesregierung das Kulturabkommen mit Südafrika aufrechterhalten zu können, das uns keine andere Wahl läßt, als die Prinzipien der südafrikanischen Apartheidpolitik mit zu vollziehen — z. B. besucht kein farbiges Kind eine deutsche Schule —, zum Abbau der Rassendiskriminierung beizutragen und die durch die Apartheidpolitik gefährlich ansteigenden Spannungen in Afrika zu vermindern?
Frau Abgeordnete, überall dort, wo es in unserer eigenen Entscheidung liegt, entscheiden wir auf Grund unserer eigenen Vorstellungen und unserer eigenen Grundrechte. Ich habe, glaube ich, in meiner Antwort deutlich gemacht, daß es gerade auf diesem Gebiet geschieht. Eine andere Möglichkeit im zwischenstaatlichen Verkehr gibt es nicht.
Wir kommen zur Frage 115 der Abgeordneten Frau von Bothmer:
Trifft es zu, daß die portugiesische Regierung dazu übergeht, weite Landstriche ihrer afrikanischen Kolonien durch das Versprühen von Herbiziden aus der Luft zu vergiften, um so der aufständischen Bevölkerung die Lebensbasis zu entziehen, und wird die Bundesregierung bei einer Bestätigung bei der portugiesischen Regierung diese Angelegenheit auf diplomatischem Wege zur Sprache bringen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Die Antwort lautet: Die Bundesregierung kann diese in der Frage enthaltenen Behauptungen aus eigener Kenntnis weder bestätigen noch dementieren.
Darf ich dann fragen, ob die Bundesregierung, falls darüber noch irgend etwas zu erfahren ist, der Sache nachgehen wird.
Das hat die Bundesregierung in der Vergangenheit schon getan. Aber bei wiederholt aufgetauchten Meldungen sind diejenigen, die diese Meldungen verbreitet haben, bisher immer den Beweis für ihre Behauptungen schuldig geblieben.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zuerst die Frage 89 des Abgeordneten Dr. Fuchs:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz infolge Wegfalls des Anspruchs auf Wohngeld eine erhebliche Schlechterstellung einzelner Geförderter eintreten kann?
Herr Staatssekretär Westphal, ich darf bitten.
Herr Kollege Dr. Fuchs, bei der Beratung des Zweiten Wohngeldgesetzes und des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ist der Gesetzgeber in Übereinstimmung mit der Ansicht der Bundesregierung der Auffassung gewesen, daß künftig Auszubildenden Leistungen nur noch nach einem Gesetz, nämlich dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, erbracht werden sollen. Die Bedarfssätze nach diesem Gesetz sollen auch Beträge zur Deckung der Unterkunftskosten enthalten. Dementsprechend ist in § 13 Abs. 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes für Auszubildende an höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen, die nicht bei ihren Eltern wohnen, ein besonderer Unterkunftsbetrag von 120 DM festgesetzt worden. Soweit dieser Pauschalbetrag zur Deckung der Unterkunftskosten nicht ausreicht, ist nach den Verwaltungsvorschriften zu der Härteklausel des § 13 Abs. 5 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ein zusätzlicher Betrag in Höhe von 75 % der 120 DM übersteigenden Unterkunftskosten zu leisten, allerdings höchstens bis zu einem Betrag von 45 DM. Darüber hinaus ist in den Verwaltungsvorschriften vorgesehen, daß Auszubildende, die bisher während der Ausbildung höhere Wohngeldleistungen für sich erhalten haben, diese nunmehr bis zum Ende ihrer Ausbildung als Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalten.
Damit dürfte sichergestellt sein, daß Auszubildende nach dem Inkrafttreten des Bundesausbildungsförderungsgesetzes für sich selbst nicht geringere Leistungen als Wohngeldleistungen erhalten. Dies gilt auch, wenn sich beide Ehegatten in einer förderungsfähigen Ausbildung befinden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Fuchs.
Herr Staatssekretär, wie vereinbart sich diese Schlechterstellung mit dem § 60 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, in dem die persönliche Besitzstandswahrung garantiert ist?
9316 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1971
Von einer Schlechterstellung kann nicht gesprochen werden. Sofern die Wohngeldleistungen eines in Ausbildung Befindlichen nach den bisherigen Bestimmungen höher waren, werden diese Beträge nach § 60 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes weitergezahlt, so daß der Besitzstand erhalten bleibt.
Ich komme zu der Frage 90 des Abgeordneten Ziegler:
Wie gedenkt die Bundesregierung zu gewährleisten, daß Geförderte nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz durch die Anwendung der neuen Vorschriften keine Schlechterstellung gegenüber dem Umfang der bisherigen Förderung erfahren?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Ziegler, die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz sind insbesondere durch Anhebung der Bedarfssätze und Freibeträge gegenüber dem Ersten Ausbildungsförderungsgesetz generell und gegenüber den Richtlinien zum Honnefer Modell so merklich verbessert worden, daß mit einer Schlechterstellung gegenüber dem Umfang der bisherigen Förderung nur in wenigen Fällen zu rechnen ist. Um aber auch in diesen besonderen Fällen eine Schlechterstellung zu vermeiden, ist durch die Vorschrift des § 60 Abs. 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vorsorglich die Wahrung des Besitzstandes gesichert. Danach erhalten Auszubildende, die vor Beginn des Vollzugs des Bundesausbildungsförderungsgesetzes am 1. Oktober 1971 Leistungen nach dem Ersten Ausbildungsförderungsgesetz oder nach anderen bundes-
oder landesrechtlichen Förderungsbestimmungen — also inbesondere den Richtlinien zum Honnefer Modell — erhalten haben, während desselben Ausbildungsabschnitts zumindest den Förderungsbetrag, den sie bei Weitergeltung dieser Förderungsvorschriften erhalten hätten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ziegler.
Herr Staatssekretär, darf ich fragen, ob und wann die Verwaltungsvorschriften zu § 60 erlassen worden sind.
Die Verwaltungsvorschriften sind zur Zeit im Druck. Die Arbeiten konnten erst beendet werden, als der endgültige Text des Gesetzes feststand und die notwendige Abstimmung mit den Ländern erreicht war. Wie beim Ersten Ausbildungsförderungsgesetz sollen diese Verwaltungsvorschriften zunächst als vorläufige Verwaltungsvorschriften und von den Behörden praktiziert werden, um für die endgültige Verabschiedung Erfahrungen zu sammeln. Die endgültige Fassung wird alsdann — etwa nach einem Jahr — dem Bundesrat zugeleitet.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ziegler.
Herr Staatssekretär, läßt sich, nachdem die Prüfungen jetzt ja wohl abgeschlossen sein dürften und somit die Voraussetzungen gegeben sind, ein Zeitpunkt absehen, zu dem die Verwaltungsvorschriften erlassen werden?
Ich habe Ihnen soeben gesagt, daß die Verwaltungsvorschriften zur Zeit im Druck, d. h. in der Vervielfältigung sind und dann zur Verteilung kommen. Dies ist ein Vorgang von wenigen Wochen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Josten.
Herr Staatssekretär, der Bundestag hat das erste Ausbildungsförderungsgesetz in der letzten Legislaturperiode einstimmig mit dem Hinweis verabschiedet, dieses Gesetz im jetzigen Bundestag wesentlich zu verbessern. Teilen Sie meine Meinung, daß dies in der gewünschten Form bisher nicht realisiert wurde?
Nein, diese Auffassung teile ich nicht, Herr Kollege Josten. Ich glaube schon sagen zu können, daß das Bundesausbildungsförderungsgesetz in einer ganzen Reihe von Punkten, und zwar sowohl für den sekundären Bereich als auch für den tertiären Bereich, erhebliche, gerade auch strukturelle Verbesserungen enthält. Auch die Bedarfssätze und die Freibeträge sind angehoben worden. Es gibt ein paar Stellen, die problematisch sind. Sie sind hier in diesem Haus, und zwar nicht nur im Ausschuß, sondern auch im Plenum, ausführlich diskutiert worden. Diese Fälle werden durch eine Besitzstandsklausel abgedeckt. Die Weiterentwicklung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes wird — das gilt für viele Sozialgesetze mit bildungspolitischen Wirkungen — eine dauernde Aufgabe sein und weitgehend von der Bereitstellung ausreichender Mittel für diesen Zweck abhängig sein.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Fuchs.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung anders gelagerte Fälle bekannt, in denen entgegen dem § 60 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes die persönliche Besitzstandswahrung nicht gegeben ist?
Herr Kollege Dr. Fuchs, ich habe diese Zusatzfrage erwartet; sonst hätte ich sie schon vorher mit angesprochen. Es gibt nach genauer Durchprüfung des ganzen Bereiches der früheren Wohngeldleistungen, die jetzt in das Bundesausbildungsförderungs-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1971 9317
Parlamentarischer Staatssekretär Westphal
Besetz einbezogen worden sind, eine spezielle Gruppe, für die eine Situation entstanden ist, die das Bundesausbildungsförderungsgesetz nicht meistern kann. Es sind die Fälle, in denen bei einem verheirateten Paar der Auszubildende Haushaltungsvorstand ist. Ich nenne ein Beispiel: Ein Student ist Ehemann einer nicht arbeitenden Frau -vielleicht mit Kindern —; er ist Haushaltungsvorstand, weil seine Ehefrau weniger verdient. Er erhält Ausbildungsförderung. Dies ist ein Fall, in dem das Ausbildungsförderungsgesetz nicht zum Zuge kommt; es ist vielmehr Wohngeld notwendig, wenn diese Familie eine eigene Familienwohnung hat.
In der praktischen Bearbeitung der Fälle sind wir auf diese Schwierigkeit gestoßen. Wir haben deutlich gemacht, daß hier kein Ausbildungsförderungsproblem, sondern ein Wohngeldproblem vorliegt. Der BMJFG hat den Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen gebeten, das Problem im Rahmen seines Ressorts zu lösen. Ich möchte noch einmal hervorheben, daß sich nur bei dieser Gruppe von Fällen Probleme ergeben haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Maucher.
Herr Staatssekretär, ich komme auf die Frage des Kollegen Josten zurück. Können Sie mir bestätigen, daß im Ausschuß bei der Verabschiedung dieses Gesetzes sogar die Dynamisierung diskutiert wurde, daß gesagt wurde, dieses Gesetz sei ein erster Schritt, daß allgemein die Auffassung bestand, der nächste Schritt sollte in dieser Legislaturperiode getan werden, und daß das, was jetzt getan worden ist, nichts anderes war, als den in der Zwischenzeit eingetretenen Lohnerhöhungen durch Erhöhung der Freigrenzen Rechnung zu tragen und die Preissteigerungen auszugleichen? Diese vermeintlichen Verbesserungen bedeuten also nicht mehr Geld für den einzelnen.
Nein, Herr Kollege Maucher, ich kann Ihnen das nicht bestätigen, weil Ihre Ansicht in der Sache nicht mit dem übereinstimmt, was dieses Haus — allerdings gegen die Stimmen Ihrer Fraktion — beschlossen hat.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 91 des Herrn Abgeordneten Kater wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zu den Fragen 92 und 93 des Abgeordneten Löffler. — Er ist nicht im Saal. Die Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Dasselbe gilt für die Fragen 94 und 95 des Herrn Abgeordneten Strohmayr. Diese Fragen sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe dann die Frage 96 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Ist es der Bundesregierung möglich, die Freibeträge für Spätaussiedler so hoch anzusetzen und die unterschiedlichen Bestimmungen so zu vereinfachen, daß die Kinder der Spätaussiedler an allen Fördereinrichtungen teilnehmen können, ohne deli gleichzeitig die gerade in die Bundesrepublik Deutschland gekommenen Eltein zur Begleichung der Kosten für die Schulausbildung herangezogen werden?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Dr. Hupka, die Bundesregierung hat in den Richtlinien des Bundesjugendplans für die Vergabe von Beihilfen zur Eingliederung jugendlicher Zuwanderer — sogenannter Garantiefonds — hohe Freibeträge für die Unterhaltsverpflichteten ausgesiedelter Förderschüler festgesetzt. Diese Freigrenzen sind auf die Situation der ausgesiedelten Familien auch insofern zugeschnitten, als erhebliche zusätzliche Freibeträge für die Kosten ihres Existenzaufbaus zugelassen wurden. Das Verfahren ist im Rahmen der zum Jahresbeginn 1972 in Kraft tretenden neugefaßten Richtlinien weiter vereinfacht worden. Die Freibeträge wurden nochmals angehoben. Bei richtiger Anwendung der Richtlinien ist sichergestellt, daß insbesondere an den Kosten des Besuchs von Förderschuleinrichtungen nur noch diejenigen Unterhaltsverpflichteten beteiligt werden, die über besonders hohe Einkommen verfügen und deren Beteiligung entsprechend der Lebenshaltung vergleichbarer einheimischer Familien zumutbar ist.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß hier eigentlich ein Nachholbedarf an Grundschulbildung vorliegt, und wäre es nicht erwägenswert, daß die Eltern grundsätzlich freigestellt und nicht zur Begleichung von Kosten für die Förderschulen herangezogen werden, weil ja immer wieder infolge bürokratischer Schwierigkeiten die Freibeträge zum Teil nicht bekannt sind und nachher zum Teil überschritten werden?
Herr Kollege Dr. Hupka, wir haben dies sehr gründlich erwogen und alle Bemühungen angestellt, um eine Lösung zu finden, die so weit wie möglich dem nahekommt. Wir können aber bei dieser Regelung die Förderungsmaßnahmen in sonstigen Bundesregelungen nicht außer acht lassen. Aus allgemeinen Erwägungen muß man daran festhalten, daß nicht schlechthin alle Unterhaltsverpflichteten von einer Eigenbeteiligung an den durch den Förderschulbesuch ihrer Kinder entstehenden Kosten befrei werden können.
Eine Zusatzfrage!
9318 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1971
Bei aller Anerkennung der hohen Freibeträge liegt hier doch tatsächlich ein eklatanter Sonderfall vor. Sind Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, nicht mit mir der Meinung, daß man hier über den eigenen Schatten springen sollte und den Garantiefonds so ausstatten müßte, daß die Eltern, die jetzt zu uns kommen und ihre Kinder in die Förderschulen nicht nur schikken, sondern nach Möglichkeit auch schicken sollten, damit die Kinder wirtschaftlich nachkommen, von jeglicher Leistung freigestellt werden?
Der Schatten, von dem Sie reden, ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen, und den zu überspringen gelingt nicht immer.
Ich rufe Frage 97 des Abgeordneten Wawrzik auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um sicherzustellen, daß nichtrezeptpflichtige Arzneifertigwaren, die bei nicht bestimmungsmäßigem Gebrauch als Suchtmittel konsumiert werden können, aber bereits auf dem Markt sind oder noch auf den Markt kommen, als solche erkannt und für rezeptpflichtig erklärt werden?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Wawrzik, nach § 35 a des Arzneimittelgesetzes unterliegen alle Arzneimittel im Sinne des § 1 Abs. 1 der Rezeptpflicht, wenn sie Stoffe von in der medizinischen Wissenschaft nicht allgemein bekannter Wirksamkeit oder deren Zubereitungen enthalten. Das bedeutet, daß neue Arzneimittelspezialitäten für die ersten drei Jahre nach dem Inverkehrbringen nur gegen ärztliches Rezept abgegeben werden dürfen. In dieser Zeit der sogenannten automatischen Rezeptpflicht werden Erfahrungen gesammelt, ob nach Ablauf dieser Drei-Jahres-Frist die Spezialität nach den Bestimmungen des § 35 a des Arzneimittelgesetzes weiterhin rezeptpflichtig bleiben muß. Diejenigen Arzneimittelspezialitäten, die vor dem 28. Juni 1964, ,d. h. vor dem Inkrafttreten der automatischen Rezeptpflicht für neue Arzneispezialitäten, im Verkehr waren, konnten und können nach § 35 Abs. 2 nur rezeptpflichtig gemacht werden, wenn sie „Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen enthalten, die als Arzneimittel oder als Bestandteile von Arzneimitteln die Gesundheit auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch und nicht nur infolge besonderer Umstände des Einzelfalls unmittelbar oder mittelbar gefährden können. wenn sie ohne ärztliche, zahnärztliche oder tierärztliche Anweisung und Überwachung angewendet werden".
Die Ermächtigung geht davon aus, daß bei bestimmungsgemäßem Gebrauch eine Gefährdung der Gesundheit eintreten kann. In den letzten Jahren hat sich herausgestellt, daß bestimmte Arzneimittel zwar bei bestimmungsgemäßem Gebrauch keine Gefährdung hervorrufen, häufig aber nicht bestimmungsgemäß angewendet werden, oft als Anregungs- und Aufputschmittel. Zu diesen Zwecken werden diese Arzneimittel häufiger als üblich und in größeren Mengen als üblich gebraucht und führen dann zu gesundheitlichen Schäden.
Um derartige Mittel der Rezeptpflicht unterstellen zu können, wurde in die Novelle zum Arzneimittelgesetz eine Erweiterung der Ermächtigung zu § 35 des Arzneimittelgesetzes aufgenommen, die es ermöglicht, die Rezeptpflicht vorzuschreiben, wenn die Arzneimittel Stoffe oder Zubereitungen enthalten, die „häufig nicht bestimmungsgemäß gebraucht werden und dadurch die Gesundheit gefährden".
Eine Zusatzfrage.
Hat die Bundesregierung auf Grund dieser Arzneimittelnovelle die Absicht, die beiden von mir genannten Arzneimittel in absehbarer Zeit apothekenpflichtig zu machen?
Herr Kollege, dies ist an sich Ihre zweite Frage. Wenn Sie es wünschen, will ich Ihnen sie gern beantworten.
Ich rufe die Frage 98 des Abgeordneten Wawrzik auf:
Gedenkt die Bundesregierung, die Arzneifertigwaren ANI und Rosimon unter Rezeptpflicht zu stellen?
Ich kann dazu sagen, daß die Bundesregierung nach dem Inkrafttreten der Novelle zum Arzneimittelgesetz die genannten Arzneispezialitäten nach der neuen erweiterten Ermächtigung des § 35 des Arzneimittelgesetzes rezeptpflichtig machen wird.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 99 des Abgeordneten Freiherr von Fircks auf:
Kann die Bundesregierung die im „Spiegel"-Report über die Situation der Aussiedler aufgestellten Zusammenhänge bestätigen, die zwischen der Tatsache, daß „sich in erschreckendem Maße die Fälle mehren, in denen ein unbedingt notwendiger Förderschulbesuch entweder überhaupt nicht begonnen oder vorzeitig abgebrochen wird" (aus einem Brief des Düsseldorfer Sozialministeriums an dos Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit) und der nach dein Gesetz immer noch geforderten Beteiligung der Unterhauspflichtigen an den Internatskosten auf der Grundlage des Familieneinkommens bestehen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
In dem zitierten Spiegel-Bericht wird ein Ursachenzusammenhang zwischen mangelndem Förderschulbesuch und einer Beteiligung der Unterhaltspflichtigen an den Kosten der Internatsunterbringung nicht festgestellt, Herr Kollege. Richtig ist, daß ein nicht unerheblicher Teil — zirka ein Drittel — der in Betracht kommenden Altersstufen ausgesiedelter Jugendlicher nicht die Förderschule besucht. Dies ist auf mehrere Gründe zurückzuführen. Wie im Spiegel-Bericht ausgeführt, ist einer
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1971 9319
Parlamentarischer Staatssekretär Westphal
der hervorstechenden Gründe darin zu sehen, daß mancher junge Aussiedler möglichst schnell zu Verdienst kommen möchte. Andere Gründe liegen beim Elternhaus, so z. B. in der bei Internatsunterbringung häufig unvermeidbaren Trennung von der Familie. Auch finanzielle Erwägungen sind natürlich von Bedeutung.
Zu den finanziellen Gesichtspunkten wird im Spiegel-Bericht auf die erhebliche Reduzierung des Finanzierungsbeitrags der Unterhaltspflichtigen durch die Vergabe von Beihilfen des Bundesjugendplans zur Eingliederung jugendlicher Flüchtlinge
der sogenannte Garantiefonds — hingewiesen. Nach den für diese Beihilfen maßgebenden Richtlinien können neben den zulässigen erhöhten Freibeträgen weitere Sonderfreibeträge für die Kosten des Existenzaufbaus der Familie in Anrechnung gebracht werden. Diese auf die Lage der ausgesiedelten Familien zugeschnittenen Freigrenzen bewirken, daß nur noch solche Unterhaltspflichtigen an den Internatskosten beteiligt werden, die über besonders hohe Einkommen verfügen und deren Beteiligung gemessen an der Lebenshaltung vergleichbarer einheimischer Familien zumutbar ist.
Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit hat in Rundschreiben an die Länder auf diese erhöhten Freigrenzen mehrmals aufmerksam gemacht. Zu Beginn des kommenden Jahres treten neugefaßte, die Freibeträge nochmals verbessernde Richtlinien in Kraft. Es ist beabsichtigt, aus diesem Anlaß die obersten Landesbehörden auf die in den Richtlinien verankerten Möglichkeiten erhöhter Freibeträge besonders hinzuweisen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Freiherr von Fircks.
Herr Staatssekretär, der, ich möchte sagen, seit Jahrzehnten in diesen Dingen erfahrene Ministerialrat Kampf hat wörtlich gesagt, die Sachbearbeiter würden am liebsten von den Schreibtischen weglaufen; so kompliziert seien die Berechnungen. Sollte das nicht doch Veranlassung geben, darüber nachzudenken, ob nicht diese Förderung auf eine eigene, einfache gesetzliche Grundlage gestellt werden müßte?
Wir müssen in all diesen Bereichen eine im Grundsatz gleiche Behandlung der zu fördernden Personen haben und dann die Sondersituation berücksichtigen. Deshalb sind diese neuen Richtlinien des Garantiefonds einerseits auf das abgestellt, was im Ausbildungsförderungssystem entwickelt worden ist; andererseits sind zusätzliche höhere Freibeträge festgelegt. Es würde zu Ungerechtigkeiten führen, wenn die durch den Garantiefonds geförderte Personengruppe grundsätzlich anders behandelt würde. Ich kann Ihrem Vorschlag deshalb nicht voll zustimmen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich will keine neue Ungerechtigkeit, sondern nur eine Übersichtlichkeit. Ich denke an den Personenkreis, der hier Anträge stellen soll, der die Auswirkungen übersehen muß, der aber aus einem ganz anderen Lebensbereich kommt und Sprachschwierigkeiten hat. Könnte man nicht unter Erhaltung der Gerechtigkeit zur Vereinfachung sowohl auf der Behörden- als auch der Antragstellerseite eine Situation schaffen, die eine wirkliche Verbesserung darstellt.
Ihr Anliegen ist auch das unsrige. Das heißt, daß durch die neuen Richtlinien für 1972, die in Kürze in Kraft treten werden, eine weitere Vereinfachung eintreten wird, die auch den Bearbeitern auf der Behördenebene Erleichterungen dadurch verschafft, daß vergleichbare Dinge klarer werden und deshalb die gleichen Grundkenntnisse in der gesamten Ausbildungsförderung Verwendung finden können.
Ich möchte noch darauf hinweisen, daß genügend Erfahrungen auf diesem Gebiet gesammelt worden sind. Den Mitarbeitern in den Behörden ist aufgetragen, demjenigen Rat zu geben, der sich um eine Ausbildungsförderung bewirbt. Es gehört zu den amtlichen Aufgaben, diesen Rat zu erteilen, insbesondere demjenigen, der mit unserer Rechtsordnung und unseren Sozialgesetzen noch nicht vertraut ist und deshalb Hilfe benötigt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wäre es nicht einmal einer Erwägung wert, den Begriff „vergleichbarer Personenkreis" aus den Überlegungen herauszunehmen, da es keinen solchen Personenkreis gibt, der sich mit den Familien, die jetzt zu uns kommen, die über 25 Jahre eine fremde Sprache sprechen mußten und die ihre Kinder nicht in deutscher Sprache erziehen konnten, vergleichen läßt? Durch den Begriff „vergleichbar" wird immer mit etwas anderem verglichen, was gar nicht vergleichbar sein kann.
Ich gebe zu, daß es, was den Personenkreis betrifft, nichts Vergleichbares gibt. Was aber unser Förderungssystem betrifft, so muß es darauf gerichtet sein, daß wir zu einer Vereinheitlichung kommen. Wir haben in diesem Lande viele Jahre ein Kategorienförderungssystem mit 17, manche sagen, mit über 20 verschiedenartigen Regelungen gehabt. Jetzt sind wir dabei, das zu überschaubaren einheitlichen Regelungen zusammenzuführen. Würden wieder Sonderregelungen geschaffen, widerspräche das dieser guten Absicht, die im Interesse aller liegt.
Sie haben keine zweite Zusatzfrage? — Dann kommen wir zur Frage 100 des Abgeordneten Freiherr von Fircks:
9320 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1971
Vizepräsident Dr. Jaeger
Kann die Bundesregierung die Erklärung des Kultusministers von Baden-Württemberg, Prof. Dr. Hahn, bestätigen, die dieser in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten im Landtag von Baden-Württemberg, Ganzenmüller, am 23. Februar 1971 gegeben hat, wonach die Länder schon seit Jahren — bisher erfolglos — bei der Bundesregierung angeregt haben, daß bei der Förderung aus Mitteln des sogenannten Garantiefonds von den Aussiedler-Eltern der Förderschüler keine Unterhaltsbeträge mehr verlangt werden, und warum waren die Länderbemühungen bisher erfolglos?
Bitte sehr!
Es trifft zu, daß von seiten der Länder mehrmals darauf hingewirkt wurde, die Unterhaltspflichtigen voll von der Beteiligung an den Förderschulkosten freizustellen. Dem konnte aus den in der Antwort auf Ihre erste Frage angegebenen Gründen nicht entsprochen werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Freiherr von Fircks.
Herr Staatssekretär, mir liegt ein Schreiben des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Landesflüchtlingsverwaltungen, Herrn Staatssekretär Riege, vom 15. November 1971 vor, in dem das Anliegen der Länder erneut vorgebracht wird. Sollte sich die Bundesregierung angesichts des von den Ländern, die hier sozusagen an der Front stehen, unablässig geäußerten Wunsches nicht zumindest einmal überlegen, ob nicht eine noch so geringe Anzahl von Freijahren zu einer Initialzündung bei den Eltern führen würde, ihre Kinder in eine solche Ausbildung zu geben? Das wichtigste ist, daß die Bereitschaft dazu größer wird.
Herr Kollege, ich habe vorhin von dem „großen Schatten" gesprochen und ihn etwas näher definiert. Ich will Ihren Vorschlag und den des Kollegen Dr. Hupka aber gern — obwohl wir alles beachtet haben, was in dieser Richtung auch und gerade von den Ländern an uns herangetragen worden ist — zum Gegenstand erneuter Verhandlungen mit dem BMWF machen.
Vizepräsident Dr. Jaeger, Eine zweite Zusatzfrage, Freiherr von Fircks.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung bereits Untersuchungen angestellt — oder wäre sie dazu bereit —, deren Ergebnis uns und Ihnen die Sicherheit gibt, daß wir auf dem Bildungssektor das Lebensnotwendige für diese Menschen getan haben? Können wir mit gutem Gewissen sagen: wir haben ihnen Hilfen gegeben, die sie in die Lage versetzen, ihre Fähigkeiten im Leben voll auszunutzen?
Ich glaube, daß wir dies mit gutem Gewissen sagen können. Wir bemühen uns außerordentlich stark darum, diesem Personenkreis in wirklich intensiver Weise zu helfen. Sie sehen dies daraus, daß z. B. gerade jetzt die Verbesserung der Förderungsmaßstäbe — Freibeträge usw. — und auch eine Vereinfachung der Richtlinien in Bearbeitung sind. Die Weiterentwicklung der Hilfebemühungen ist unser ständiges Anliegen.
Würden Sie eine solche Untersuchung einmal anstellen?
Sie haben keine Zusatzfrage mehr.
Ich bitte um Entschuldigung, ich hatte die Frage noch nicht vollständig beantwortet. Die Frage nach Untersuchungen war schon in Ihrer vorherigen Frage enthalten, Herr Kollege. Ich will gern hinzufügen, daß wir uns bei den weiteren Untersuchungen über solche Fragen darum bemühen, zu kontrollieren, ob meine Antwort, daß dem angesprochenen Personenkreis in wirklich intensiver Weise geholfen wird, auch auf Dauer richtig ist.
Die Liebenswürdigkeit des Herrn Staatssekretärs ist besonders anzuerkennen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, könnten Sie in diese Überlegungen die Erwägung mit einbeziehen, ob es nicht praktikabel ist, daß der Garantiefonds in Vorlage geht, um die Bürokratie abzubauen und dann erst von den anderen Trägern das Geld in den Garantiefonds fließen zu lassen?
Dieser Garantiefonds hat eine solche Vorschußfunktion.
Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Vogt.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen den Kindergartenbesuch für Aussiedlerkinder generell aus Landesmitteln finanziert, und ist die Bundesregierung bereit, zu prüfen, ob sie diese Kosten in den Bundesländern übernehmen kann, in denen die Finanzlage diese Hilfe nicht möglich macht?
Ich glaube, Sie überschätzen die Möglichkeiten des Bundes, in die Finanzierungszuständigkeit finanzschwacher Länder einzugreifen.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1971 9321
Ich komme damit zur Frage 101 des Herrn Abgeordneten Vogt:
Beabsichtigt die Bundesregierung, in dem in der 152. Sitzung des Deutschen Bundestages angekündigten Gesetzentwurf über die Voraussetzungen für die Inbetriebnahme und den Betrieb von Altenheimen sicherzustellen, daß die Altenheimbewohner ein Vertretungsorgan wählen können, der u. a. in folgenden Angelegenheiten ein Mitbestimmungsrecht erhält: alle die Hausordnung und die Verpflegung betreffenden Fragen, Personalfragen, Verlegung von Heimbewohnern innerhalb des Hauses, Festsetzung der Pflegesätze?
Herr Kollege Vogt, ein solcher Gesetzentwurf wird zur Zeit, ausgehend von einer Initiative Hessens, zwischen der Bundesregierung und den Ländern erarbeitet und voraussichtlich von den Bundesländern im Bundesrat eingebracht. Die Bundesregierung beabsichtigt, die Frage der Einführung eines Mitspracherechts für Altenheimbewohner mit den Bundesländern bei der nächsten gemeinsamen Beratung des Gesetzentwurfs zu erörtern.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogt.
Herr Staatssekretär, heißt das: in einem positiven Sinne zu erörtern?
Ja, Herr Kollege Vogt. Ich bitte aber zu berücksichtigen, daß die Initiative zu diesem Gesetz vom Land Hessen ausgegangen ist. Wir nutzen diese Gelegenheit, um unsere Vorstellungen zum Gegenstand der Gespräche zu machen und dabei auch Ihre Frage zu erörtern.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft.
Die Frage 102 des Abgeordneten Dr. Slotta wird auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich komme zur Frage 103 des Herrn Abgeordneten Pfeifer:
Wie beurteilt die Bundesregierung die in dem jüngsten Bericht, den die OECD über das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des sogenannten Länderexamens erstattet hat, enthaltene starke Besorgnis, daß die staatlichen Stellen in der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Hochschulreform zu wenig auf die Sicherung der Freiheit von Forschung und Lehre bedacht sein könnten, und welche Konsequenzen wird die Bundesregierung daraus zieheng
Bitte sehr, Herr Staatssekretär Dr. von Dohnanyi.
Herr Präsident, Herr Kollege Pfeifer, der umfangreiche Bericht der fünf von der OECD bestellten sogenannten Prüfer für das Länderexamen über das Bildungswesen in der Bundesrepublik — der, was ich hier unterstreichen möchte, kein Bericht der OECD ist — setzt sich eingehend mit der Entwicklung des Hochschulwesens in der Bundesrepublik auseinander. Dabei wird die hochschulpolitische Zielsetzung der Bundesregierung ganz eindeutig positiv bewertet. Das gilt insbesondere für die Einführung der Gesamthochschule, die Entwicklung von kürzeren Studiengängen, die neue Personalstruktur und das Bestreben, die Studenten an der Willensbildung innerhalb der Hochschule wirksam zu beteiligen. In diesem Zusammenhang weisen die Prüfer allerdings darauf hin, daß die Reformen einerseits nur durch ein klares politisches Engagement durchgesetzt werden können, aber andererseits eine übermäßige politische Polarisierung an den Hochschulen die Reformen gefährden könnte.
Eine Äußerung, wie Sie sie in Ihrer Frage zitieren, haben die Prüfer in diesem Sinne nicht getan. Sie bringen allerdings an einer Stelle zum Ausdruck, daß ihrer Ansicht nach offizielle Stellen in der Bundesrepublik zu gewissen Erscheinungen im Hochschulbereich schweigen. Ich möchte hier wiederholen, was der Vertreter der Bundesregierung in Paris bei der mündlichen Aussprache über den Bericht gesagt hat, nämlich daß der Eindruck, die offiziellen Stellen schwiegen, unrichtig ist. Die verantwortlichen Stellen der Hochschulen, aller Länder und des Bundes haben ebenso wie die politischen Parteien ihre Auffassung unmißverständlich dargelegt und wie die Bundesregierung alle Handlungen verurteilt. die die Freiheit von Forschung und Lehre an den Hochschulen in Frage stellen könnten. Ich würde gerne, Herr Kollege Pfeifer, meinerseits darauf hinweisen, daß ich mich hinsichtlich der Position des „Spartakus" sehr deutlich ausgedrückt habe.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pfeifer.
Herr Staatssekretär, ist es demnach nicht richtig, was ein Pressedienst berichtet, daß Frau Staatssekretär Dr. Hamm-Brücher und Herr Minister Vogel die Auskunft gegeben hätten, die Prüfer hätten ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht, daß gegen die revolutionären Gruppen an den Hochschulen in der Bundesrepublik nicht energisch genug vorgegangen werde?
Eine Formulierung in der Zusammenfassung, wie Sie sie hier vortragen, findet sich meines Wissens in diesem Bericht nicht.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Pfeifer.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß die Prüfer vorgeschlagen haben, eine
9322 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1971
Pfeifer
Art Royal Commission mit den Auftrag einzusetzen, zu prüfen, inwieweit die Freiheit von Forschung und Lehre in der Bundesrepublik gefährdet ist, und meinen Sie nicht, daß wenigstens dieser Vorschlag aufgegriffen werden sollte?
Soweit ich mich an die Formulierung erinnern kann, Herr Kollege Pfeifer, wurde mit dem Vorschlag, eine solche Kommission einzusetzen, in erster Linie die Absicht verfolgt, die Auswirkungen von Mitwirkung und Mitbestimmung an den Hochschulen untersuchen zu lassen. So hat das Herr Minister Vogel dann auch aufgenommen und vorgeschlagen. Aber diese Royal Commission — um diesen Begriff von Ihnen zu übernehmen — würde sich natürlich dabei auch um Fragen, die mittelbar mit diesen Problemen verbunden sind, zu bemühen haben. Ich glaube aber nicht, Herr Kollege Pfeifer, daß dabei die Frage, die Sie angeschnitten haben, nämlich die Haltung der Studenten an den Hochschulen, der alleinige Grund war. Diesen Eindruck habe ich nicht.
Ich rufe die Frage 104 des Abgeordneten Dr. Gleissner auf:
Trifft es zu, daß der Staat New York im April 1971 einem neu erbauten Atomreaktor wegen Gefährdung der Umwelt die Betriebserlaubnis versagt hat, und beabsichtigt die Bundesregierung, die der oben erwähnten Versagung einer Betriebserlaubnis zugrunde liegenden Befürchtungen bzw. Erkenntnisse in die Überlegungen zum Bau weiterer Atomkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland einzubeziehen?
Der Bundesregierung ist bekannt, Herr Kollege Gleissner, daß in New York ein an der Columbia-Universität errichteter kleiner Forschungsreaktor bisher keine Betriebsgenehmigung erhalten hat. Auch in der Bundesrepublik führen Verfahren und öffentliche Erörterungen bei der Errichtung von Reaktoren gelegentlich, wie Sie wissen, zu Verzögerungen.
Die Bundesregierung ist auch der Meinung, daß es besser ist, gelegentlich eine Verzögerung in Kauf zu nehmen, als Entscheidungen ohne Berücksichtigung aller Sicherheitsüberlegungen zu treffen. Aus dem Vorgang an der Columbia-Universität sind jedoch keine sachlichen Gründe bekanntgeworden, die in bezug auf Kernkraftwerke — und nicht nur in bezug auf Reaktoren im Sinne dessen, was an der Columbia-Universität beantragt war — relevant werden oder die in dem in der Bundesrepublik üblichen strengen atomrechtlichen Genehmigungsverfahren nicht ohnehin berücksichtigt würden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Gleissner.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß in den USA die Sicherheitsvorschriften bei Kernkraftwerken wesentlich verschärft wurden, indem die Belastbarkeitsgrenze für Strahlenwirkung auf etwa ein Hundertstel der bisherigen Höhe herabgesetzt wurde?
Es trifft zu, Herr Kollege Gleissner, daß die Atomic Energy Commission für gewisse Bereiche die Belastbarkeit auf ein Hundertstel reduziert hat. Auf der anderen Seite müssen Sie aber die Besonderheiten dieser neuen Vorschriften erkennen. Sie beziehen sich auf Teile des Reaktors und seine unmittelbare Umgebung. Wenn Sie diese Vorschriften im Zusammenhang betrachten, entsprechen sie im großen und ganzen dem, was an Sicherheitsbestimmungen in der Bundesrepublik bereits besteht.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gleissner.
Herr Staatssekretär, kann durch Ihr Haus bestätigt werden, daß in der Sowjetunion der Bau von Kernkraftwerken für vier oder fünf Jahre ausgesetzt wurde und daß 2100 Wissenschaftler mit dem Ersuchen an die UNO herangetreten sind — ich will deren gewichtige Argumente hier nicht anführen —, den Bau von Kernkraftwerken zu stoppen, und welche Konsequenzen könnten sich daraus für die zunehmenden und doch recht schnell vor sich gehenden Planungen von Kernkraftwerken in der Bundesrepublik ergeben?
Herr Kollege Gleissner, das wachsende Umweltbewußtsein in der ganzen Welt führt natürlich auch gegenüber der Errichtung von Kernkraftwerken zu einer höheren Sensibilität. Insofern haben in der Bundesrepublik — ich erinnere nur an das Beispiel der BASF —, in den Vereinigten Staaten, Großbritannien und sicherlich auch in der Sowjetunion in den letzten Jahren immer wieder politische Entscheidungen auf der Grundlage von Sicherheitsüberlegungen dazu geführt, bestimmte Planungen zunächst zurückzustellen. Die Bundesregierung hat, wie Sie wissen, schon vor zwei Jahren eine Umorganisation im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft durchgeführt, um der Kernsicherheit größeres Gewicht zu geben und im Zusammenhang mit dem BASF-Problem ein mittelfristiges, neues Programm für die Fragen der Kern. sicherheit konzipiert, das inzwischen auch angelaufen ist. Ich glaube also, daß wir uns innerhalb der internationalen Entwicklung bewegen.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Es sind sämtliche Fragen erledigt worden. Ich schließe die Fragestunde.
Ich rufe Punkt 2 der heutigen Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung über den von der Bundesregierung vorgelegten Vorschlag der Kommission der
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Dezember 1971 9323
Vizepräsident Dr. Jaeger
Europäischen Gemeinschaften für eine Verordnung des Rates über bestimmte Verwaltungs- und Finanzmodalitäten der Tätigkeit des Europäischen Sozialfonds
— Drucksachen VI/2905, VI/2967 —
Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Berberich, für seinen Schriftlichen Bericht. — Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Ausschuß schlägt vor, das Haus möge den Entwurf zur Kenntnis nehmen. — Dies geschieht. Man kann dem ja auch kaum widersprechen.
Meine Damen und Herren, damit stehen wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 19. Januar 1972, 9 Uhr, ein.
Wir sind also vor der Weihnachtspause. Ich darf Ihnen und Ihren Familien ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein gesundes und auch sonst erfreuliches neues Jahr wünschen.
Die Sitzung ist geschlossen.