Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist der Punkt 12 — zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes — von der heutigen Tagesordnung abgesetzt. Die im Ältestenrat vereinbarten Zusatzpunkte ersehen Sie aus der Ihnen vorliegenden, im Abzugsverfahren hergestellten Tagesordnung. — Widerspruch erfolgt nicht.
Am 8. Dezember 1971 sind der Abgeordnete Benda zum Richter und Präsident und der Abgeordnete Hirsch zum Richter beim Bundesverfassungsgericht ernannt worden. Damit sind beide gemäß § 3 Abs. 3 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht aus dem Deutschen Bundestag ausgeschieden.
Als Nachfolger für den Abgeordneten Hirsch ist mit Wirkung vom 9. Dezember 1971 der Abgeordnete Büchler in den Bundestag eingetreten. Ich begrüße den Kollegen sehr herzlich und wünsche ihm eine erfolgreiche Mitarbeit im Deutschen Bundestag.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister des Innern hat am 8. Dezember 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dichgans, Dr. Gruhl, Dr. Schneider , Dr. Jaeger, Engelsberger und Genossen betr. Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm vom 30. März 1971 (BGBl. I S. 28) und Luftverkehrsgesetz — Drucksache VI/2824 -
beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/2930 verteilt.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dein Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Verordnung des Rates über bestimmte Verwaltungs- und
Finanzmodalitäten der Tätigkeit des Europäischen Sozialfonds
Drucksache VI/2905 —
überwiesen an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Richtlinie des Rates über Ersatzverfahren zur Kühlung von Geflügelfleisch
— Drucksache VI/2906 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten , Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 888/68 in bezug auf die Begriffsbestimmung der Rindfleischkonserven
— Drucksache VI/2908 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte uni Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Ergänzung der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 bezüglich der Vorausfestsetzung der Abschöpfung für Rindfleisch
— Drucksache VI/2907 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates
über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung von Gemeinschaftszollkontingenten für bestimmte Erzeugnisse
ober die vollständige oder teilweise Aussetzung der Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse
— Drucksache VI/2915 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußtassung im Rat
Ich rufe nun den Punkt 11 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die weitere Finanzierung von Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden und des Bundesfernstraßenbaus
— Drucksachen VI/2767, zu VI/2767, Nachtrag zu VI/2767 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache VI/2929 —
Berichterstatter: Abgeordneter Haehser
b) Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
— Drucksachen VI/2925, zu VI/2925 —
Berichterstatter: Abgeordneter Meinike
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache in zweiter Lesung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich rufe auf den Art. 1. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 245*) vor. Bitte schön, Herr Abgeordneter Müller-Hermann!
*) Siehe Anlage 2
9064 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1971
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Gesetz über die weitere Finanzierung von Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden und des Bundesfernstraßenbaus ist nicht gerade ein Prachtstück oder ein Paradebeispiel für gute Gesetzgebungsarbeit dieser Bundesregierung. Die Art und Weise, wie dieses Gesetz im Parlament und in den Ausschüssen behandelt worden ist, grenzt an eine Zumutung für das Parlament.
Bis in die letzten Tage gab es erhebliche Widersprüchlichkeiten zwischen den Ressorts der Bundesregierung und offenbar auch manche Uneinigkeit in den Reihen der Koalition. Die Bundesregierung ließ sich herab, zu den Vorschlägen des Bundesrates am 6. Dezember Stellung zu beziehen, nachdem man zuvor in den zuständigen Ausschüssen von seiten der Koalition darauf gedrängt hatte, möglichst schon vorher Entscheidungen zu treffen.
Es ist vielleicht auch lohnend, darauf hinzuweisen, daß die Anhebung der Kraftfahrzeugsteuer für Schwerlastfahrzeuge in diesen Gesetzgebungsrahmen systematisch überhaupt nicht hineingehört. Sie hat weder mit der Bewältigung der innerstädtischen Verkehrsprobleme noch mit dem Ausbau der Bundesfernstraßen etwas zu tun; denn bekanntlich ist die Kraftfahrzeugsteuer eine Einnahme der Länder.
Es ist vielleicht nützlich, einen Blick zurückzuwerfen auf den historischen Gang der Besteuerung im Güterkraftverkehr. Ich erinnere daran, daß wir im Juni 1968 in den Reihen der Großen Koalition den Kompromiß erarbeiteten, eine Beförderungsteuer für den gewerblichen Güterkraftverkehr und den Werkfernverkehr einzuführen. Es war damals ein Kompromiß, der auf den 31. Dezember 1970 befristet wurde. Wir waren uns im Juni 1968 darin einig, daß diese nicht recht in die Landschaft passende Beförderungsteuer so früh wie irgend möglich durch eine angemessene Wegekostenregelung abgelöst werden sollte.
Im Mai 1970 fragte meine Fraktion die Bundesregierung, ob sie dem Hohen Hause termingerecht bis zum Ende des Jahres eine entsprechende Regelung über die Wegekostenabgabe vorlegen würde. Die Antwort war damals schlicht und ergreifend: ja. Dann geschah nichts. Ende 1970 bat die Bundesregierung das Hohe Haus, diese unzureichende Regelung noch einmal um ein Jahr zu verlängern, bis zum 31. Dezember 1971. In dem Verkehrsbericht der Bundesregierung aus dem Jahre 1970 wurden eine Reihe sehr schöner Konzepte angekündigt, auf die wir noch heute warten.
Um es kurz zu sagen: Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesverkehrsminister, hatte zweieinhalb Jahre Zeit, an Stelle der Beförderungsteuer eine volkswirtschaftlich und verkehrspolitisch vernünftige neue Regelung zu erarbeiten, die dem Prinzip der Wegekostenbelastung Rechnung trägt. Im Oktober kam die Bundesregierung dann mit einer Vorlage vor dieses Hohe Haus und versuchte, sie mit Hilfe der Koalitionsfraktionen im Eiltempo
durchzupeitschen, eine Vorlage, von der man auch heute noch sagen kann, daß in ihr eine Konzeption beim besten Willen nicht zu erkennen ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Ganze wird als eine Hilfestellung für die Gemeinden deklariert. Darüber wird im einzelnen noch bei der dritten Lesung zu sprechen sein. Auch für die Gemeinden ist das, was uns hier jetzt zur Verabschiedung vorgelegt wird, ein reines Stückwerk ohne Konzeption. Bei allem Verständnis für die Sorgen, die sich aus der Preis- und Kostenentwicklung für die Länder und Gemeinden ergeben, hilft dieses Gesetz mit Sicherheit nicht mehr, als gewisse Schlaglöcher der Inflation zu stopfen, ist aber nichts, was die Verkehrsprobleme im innerstädtischen Bereich lösen könnte. Es wäre sehr gut gewesen, wenn die Bundesregierung oder die Koalition wenigstens den Mut zur Wahrheit aufgebracht und gesagt hätte: Das hier ist keine Lösung des Problems, sondern ein Notbehelf neben vielen anderen Notbehelfen, an die wir uns inzwischen gewöhnt haben.
Aber — und das ist der Grund für den Antrag, den wir jetzt vorgelegt haben — diese unausgegorene Vorlage hinterläßt neue „Tote und Verletzte auf der Straße". Dabei handelt es sich in erster Linie um die bekannten Problemgebiete und Problemsektoren, die ohnehin durch die Preis- und Kostenentwicklung im Verkehr schwer betroffen sind. Es handelt sich um die Landwirtschaft, die Zonenrand- und Frachthilfegebiete, den Berlin-Verkehr und die deutschen Seehäfen.
Als wir die Notlösung mit der Beförderungsteuer verabschiedeten, hatten wir auf all diese Problemsektoren und Problemgebiete besondere Rücksicht genommen, indem wir den Steuersatz ermäßigten oder etwa für die Seehäfen eine Regelung fanden, die Wettbewerbsnachteile gegenüber den Benelux-Häfen wieder ausgleichen sollte. Ich darf Sie — um noch kurz auf das Problem der Seehäfen einzugehen — darauf hinweisen, daß der Dieselkraftstoff in der Bundesrepublik vor der neuen Steuerbelastung mit 67,2% an Steuern belastet ist, in den Niederlanden mit 29,2 %. Jede weitere, neue Steuerbelastung beim Treibstoff und die einseitige Erhöhung der Kraftfahrzeugsteuer beim deutschen Schwerlastverkehr führen zwangsläufig zu weiteren, neuen Wettbewerbsverzerrungen zwischen den deutschen Seehäfen und den Rheinmündungshäfen.
Die Vorlage auf Umdruck 245 gibt der Bundesregierung eine konkrete Rechtsgrundlage, wenigstens — wenn sie es heute schon nicht zu tun in der Lage ist — im Laufe der nächsten Zeit für die betroffenen Problembereiche Sonderregelungen zu schaffen. Dieser Einbau in das Gesetz bedeutet zugleich einen ständigen Erinnerungsposten für die Bundesregierung, auf diesem Gebiete das Nötigste zu tun. Ich bitte Sie daher, dem Änderungsantrag mit der Einführung einer Nr. 3 in Artikel 1 § 1 Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Apel.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1971 9065
Frau Preisident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Koalitionsfraktionen möchte ich zu dem vorliegenden Umdruck Stellung nehmen. Herr Müller-Hermann, der Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages, an dessen Beratungen Sie nicht teilgenommen haben, hat die Vorlagen der Bundesregierung zu diesem Gesetzentwurf sehr eingehend behandelt. Es kann weder von einer Zumutung noch von Uneinigkeit der Koalitionsfraktionen gesprochen werden. Ganz im Gegenteil, die Koalitionsfraktionen sind mit einem einheitlichen Konzept, mit einheitlichen Vorstellungen in die Beratungen dieses Gesetzentwurfes eingetreten und haben — das wird in der dritten Lesung darzustellen sein — die Vorlage der Bundesregierung, nicht zuletzt im Lichte der ersten Lesung, sehr weitgehend verändert.
Es ist auch falsch, Herr Müller-Hermann, wenn Sie sagen, der vorliegende Gesetzentwurf sei keine Lösung des Problems. Immerhin erzielen wir mit diesem Entwurf ein Mehraufkommen von über 1,5 Milliarden DM, von denen fast drei Viertel den Gemeinden und den Ländern für den Verkehrswegebau zufließen. Damit erreichen wir in der Tat eine gegenüber der bisherigen Situation wesentliche Besserstellung.
Doch nun zum Antrag selbst. Hier, Herr Müller-Hermann, liegt wiederum Ihr Problem, daß Sie an den Beratungen des Verkehrsausschusses nicht teilnehmen, aber hier im Plenum sprechen.
Denn eben dieser Antrag, den Sie uns jetzt im
Namen der CDU/CSU vorgelegt haben, ist inhaltsgleich mit einem Antrag des Bundesrates, und niemand — niemand, auch kein Vertreter der Opposition — hat diesen Antrag im Verkehrsausschuß aufgenommen,
weil wir uns leider haben belehren lassen müssen, daß alle Ausnahmen — vom Zonenrandgebiet, über das in der dritten Lesung noch zu reden sein wird, einmal abgesehen — nicht EWG-fest sind. Nur die Ausnahmen für den Zonenrand sind das, und deswegen ist der Zonenrand ja auch in der Endfassung des Gesetzes besonders gut weggekommen, worauf wir, wie gesagt, in der dritten Lesung zu sprechen kommen werden.
Ich finde es also sehr merkwürdig, wenn der Vertreter der Opposition einen Antrag begründet, den seine eigenen Kollegen im Verkehrsausschuß nicht gestellt haben, obwohl ich ausdrücklich gefragt hatte, ob jemand diesen Antrag des Bundesrates aufnehmen wolle; damals gab es Kopfschütteln auf allen Seiten des Hauses. Ich finde es merkwürdig, wenn dann hier so getan wird, als sei das eine ganz wichtige Sache.
— Sicherlich, lieber Herr Rawe, aber die Sacharbeit ist in dieser Frage im Verkehrsausschuß geleistet worden, weil dort die politischen Entscheidungen zu diesem Gesetzentwurf fallen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schmid-Burgk? — Bitte schön!
Herr Apel, ist Ihnen bekannt, daß in dem federführenden Ausschuß, nämlich im Finanzausschuß, dieser Antrag sowohl gestellt als auch sehr eingehend diskutiert wurde?
Das mag sehr wohl sein, Herr Schmid-Burgk. Sie wissen auf der anderen Seite aber auch, daß sich der Finanzausschuß überwiegend — zu 90 % und mehr — den Äußerungen des Verkehrsausschusses angeschlossen hat.
Aber jetzt möchte ich zum Inhalt des Antrages selbst kommen und dazu zwei Bemerkungen machen. Erstens. Herr Müller-Hermann schlägt uns im Namen der CDU/CSU-Fraktion einen Katalog von Ausnahmemöglichkeiten vor. Und bei dieser Gelegenheit, Herr Müller-Hermann, haben wir einmal Ihre eigenen Reden nachgelesen. Sie haben am 27. November 1968 bei der großen Debatte über den Leber-Plan und über die damals von Ihnen vorgeschlagene Straßenbenutzungsgebühr — und Mineralölsteuererhöhungen sind, wenn sie zu 100 % zweckgebunden werden, in gewissem Sinne ja Straßenbenutzungsgebühren — folgendes ausgeführt:
„ ... Ausnahmen von vornherein zu vermeiden oder zumindest auf ein Minimum zu beschränken", und Sie haben hinzugefügt: „weil systembedingt Nah- und Fernverkehr bei einer entsprechenden Abgabe gleichbehandelt werden müßten." Heute, da Sie auf den Oppositionsbänken sitzen, müssen wir feststellen, daß Sie von Ihren eigenen verkehrspolitischen Prinzipien abgerückt sind. Das soll zwar vorkommen, aber dann muß man das zumindest hier auch deutlich machen.
Einige Worte zu den Seehäfen. Als Ausschußvorsitzender und Abgeordneter von Hamburg bedaure ich es natürlich ganz besonders, daß die Seehäfen durch diese neue Regelung in der Tat in gewisse Schwierigkeiten geraten. Aber wir sollten diese Schwierigkeiten auch nicht übertreiben. Die Mineralölsteuererhöhung bringt für den Güterfernverkehr eine Kostensteigerung von 1,2 N. Im übrigen haben wir dank der Initiative von Minister Leber im EWG-Ministerrat die Tankfreimengen begrenzt, so daß sich hier Wettbewerbsverzerrungen durch die Anhebung der Mineralölsteuer in engen Grenzen halten. Außerdem — und das ist das Entscheidende — wäre jeder Antrag von der Art, wie Sie ihn für die Seehäfen stellen, nicht EWG-fest und müßte auf Grund eines Beschlusses des Gerichtshofs schleunigst zurückgenommen werden.
Nicht so ganz einfach für die Seehäfen ist zweifelsohne die Frage der Anhebung der Kfz-Besteuerung für den Lkw. Hier aber hat der Verkehrsausschuß nicht zuletzt aus dieser Perspektive durch eine Verbreiterung der Basis derer, die zu zahlen haben, nämlich von 12 t bis hinunter zu 7 t, Erleichterungen auch für die Seehäfen beschlossen. Ich will die Probleme nicht verniedlichen. Aber man muß einfach sehen, Herr Müller-Hermann, daß den Seehäfen
9066 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1971
Dr. Apel
durch die Politik, die Sie vorschlagen, nicht geholfen werden kann, weil sie nicht EWG-fest ist.
Was bleibt nach? Es bleibt nach, daß wir als Politiker aufgerufen sind, erstens die Harmonisierung der indirekten Besteuerung, insbesondere derjenigen des Straßenverkehrs, in der EWG schneller voranzutreiben. Hier wirken massive Versäumnisse früherer Bundesregierungen nach; denn es war doch Ihr Minister Seebohm, Herr Müller-Hermann, der mit der Befreiung von der Kfz-Steuer auf der Basis der Gegenseitigkeit in der EWG beim Lkw angefangen hat. Deswegen haben wir heute das Problem, daß die niedrige Kfz-Besteuerung beim Lkw in den Niederlanden auf unseren Markt durchschlägt, eben weil man mit einem niederländischen Lkw auf deutschen Straßen Kfz-steuerfrei fährt. Das gilt zwar umgekehrt auch, aber unsere Kfz-Steuer ist eben wesentlich höher. Hier beginnt der Fluch der bösen — oder damals der guten — Tat zu wirken, nämlich der Liberalisierung in der EWG ohne Harmonisierung, und hier müssen wir jetzt etwas nachholen.
Ein Zweites. Wir als Vertreter der Mehrheit in diesem Deutschen Bundestag sehen die Probleme der Seehäfen. Wir wollen einiges dadurch wiedergutmachen, daß das Geld voll den Ländern und Gemeinden zufließt und insbesondere auch für den Verkehrswegebau in den Hafenstädten sehr viel getan werden kann.
Aus diesem Grund sehen wir uns leider nicht in der Lage, den nicht EWG-festen Propagandaantrag der CDU/CSU anzunehmen.
Wird noch das Wort zu diesem Antrag gewünscht? — Bitte schön, Herr Abgeordneter Schmid-Burgk.
— Sie wollten zu Punkt 11 b) sprechen. Das kommt später.
— Nur zu diesem Änderungsantrag.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Apel, es wird Ihnen auch im Hinblick auf Ihre Eigenschaft als Hamburger nicht leichtgefallen sein, das zu sagen, was Sie soeben gesagt haben. Sie haben immerhin hervorgehoben — das möchte ich nachdrücklich unterstreichen —, wie wichtig eine Hilfe bisher war und auch in Zukunft sein wird. Sie haben, wenn ich Sie recht verstanden habe, in erster Linie darauf abgestellt, daß eine solche Regelung EWG-widrig sei. Nun ist sicherlich auch Ihnen bekannt, daß die Kommission die bisherige Regelung zwar für EWGwidrig erklärt hat, daß aber das Verkehrsministerium in Gesprächen mit den Küstenländern geäußert hat, daß es diese Auffassung nicht teile, und die Küstenländer gesagt haben, man solle doch den Weg zum Gerichtshof gehen. Man hat davon nur deshalb Abstand genommen, weil die Steuer ohnehin ausläuft.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Apel!
Ja. Vizepräsident Frau Funcke: Bitte schön!
Herr Kollege Schmid-Burgk, ist Ihnen bekannt, daß andere EWG-Länder aus dem Benelux-Bereich vor einigen Jahren auf der gleichen Ebene, nämlich der spezifischen Besteuerung des Straßengüterverkehrs, versucht haben, im grenzüberschreitenden Verkehr eine Sonderregelung für ihre Seehäfen zu schaffen, und daß sie dabei voll auf den Bauch gefallen sind? Wollen Sie das bitte in Ihre Überlegungen mit einbeziehen; es hat keinen Zweck, hier etwas zu beschließen, was scheinbar hilft, was aber nach kurzer Zeit nicht mehr hilft, weil es nicht EWG-konform ist.
Dennoch muß ich dabei bleiben, daß selbst das Verkehrsministerium in den Gesprächen mit den Küstenländern nur deswegen von einer Klage Abstand genommen hat, weil es meinte, daß die Güterverkehrsteuer ohnehin ausfallen würde.
Herr Apel, die bisherige Regelung, die jetzt aufgehoben wird, mag möglicherweise tatsächlich EWG-widrig gewesen sein. Wir haben aber hier mit vollem Bedacht eine Ermächtigung für eine Verordnung vorgeschlagen, die dann so ausgestaltet werden könnte, daß die etwaigen Vorwürfe, die gegen die bisherige Regelung erhoben werden, vermieden werden. Diese Regelung, wie sie konzipiert wurde, unterscheidet sich ohnehin in wesentlichen Elementen von der bisherigen Regelung, nämlich darin, daß eine Verbilligung, eine Beihilfe nur für die Gebiete gegeben wird, in denen die Seehäfen mit den Benelux-Häfen konkurrieren. Nach meinem Gefühl und nach der Ansicht vieler ist es in keiner Weise ausgemacht, ob es wirklich dem Sinn des EWG-Vertrages widerspricht, wenn lediglich die unterschiedlichen Verbrauchsteuern hier auf eine gewisse Weise ausgeglichen werden. Es ist ohnehin ein allgemeiner Grundsatz, daß Verbrauchsteuern an der Grenze ausgeglichen werden sollten. Durch die Freimengen und durch den ungleich niedrigeren Steuersatz für Dieselkraftstoff wird dieser Ausgleich aber de facto nicht erreicht.
Sie müssen auch in Betracht ziehen: wenn wir jetzt auf die Möglichkeit verzichten, dies in Brüssel auszufechten, wird sich das immer weiter verschärfen. Wenn ich Ihre Erklärungen höre, so ist doch für die Zukunft eine weitere Anhebung des Steuersatzes für Dieselkraftstoff geplant.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Apel?
Ja, bitte. Vizepräsident Frau Funcke: Bitte schön!
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1971 9067
Ist Ihnen bekannt, Herr Kollege Schmid-Burgk, daß insbesondere auch in den Niederlanden an eine sehr kräftige Anhebung der spezifischen Verkehrssteuern gedacht ist, so daß keineswegs sicher ist, daß sich die Schere weiter öffnet?
Sicher ist mir das bekannt, es ist auch im Ausschuß gesagt worden, daß diese Steuer in Holland erhöht wird, aber in welchem Umfang sie erhöht wird, ob so wie bei uns jetzt und in der Zukunft, das ist jedenfalls noch sehr unsicher. Ich meine, wir sollten im Interesse der Seehäfen keine Möglichkeit auslassen, auf diese Weise eine Gleichstellung im Wettbewerb zu erreichen. Ich finde es merkwürdig, daß Sie von einem Propagandaantrag sprechen. Wenn Sie diesen Antrag annähmen, würde das Gesetz nicht verzögert. Es käme darauf an — wir haben da genügend Vertrauen —, daß die Regierung das Verfahren in der Verordnung, wofür Entwürfe vorliegen, so gestaltet, daß die Verordnung die Prüfung bestehen würde. Selbst wenn sie die Prüfung aber nicht bestünde, so wäre doch zunächst der notwendige Versuch gemacht. Der von Ihnen angedeutete Ausgleich für Infrastruktur — daß vielleicht etwas mehr durch den Ausbau der Verkehrswege geholfen wird — ist, das wissen Sie selbst ganz genau, keine echte Kompensation.
Meine Damen und Herren, wird das Wort zu diesem Umdruck noch gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 245. Wer dem seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Das gilt zunächst für die Buchstaben a.
Wir kommen dann zur Abstimmung über Art. i in der vorliegenden Fassung. Wer seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe die Art. i a, 2, 2 a, 2 b auf. — Dazu liegen keine Änderungsanträge vor.
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit großer Mehrheit angenommen.
Zu Art. 3 liegt der Änderungsantrag Umdruck 245 Buchstabe b vor.
Zur Begründung Herr Abgeordneter Bittelmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Gesetz über die weitere Finanzierung von Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden und des Bundesstraßenbaues steht: Eine Belastung der Landwirtschaft wird vermieden. Herr
Staatssekretär Hermsdorf hat mir in diesem Hohen Hause gesagt, daß diese Aussage nicht in Zweifel gezogen werden kann. Zwar wird nach Art. 3 dieses Gesetzes die Erstattung für die im landwirtschaftlichen Bereich bezogenen Gasölmengen um 4 Pf heraufgesetzt und damit der Mehrpreis, der durch die Steuererhöhung entstanden ist, ausgeglichen. Aber eine zusätzliche Belastung für die Landwirtschaft liegt auch vor, wenn durch dieses Gesetz der Agrarverkehr — gemeint ist hier der Transport landwirtschaftlicher Erzeugnisse mit Lkw — um wahrscheinlich 15 % verteuert wird. Denn diese Frachten werden der Landwirtschaft angelastet und schlagen direkt auf die Erzeugerpreise durch. Bisher war der Agrarverkehr von der Straßengüterverkehrsteuer, sprich Leber-Pfennig, weitestgehend befreit. Um nun die Wettbewerbsverzerrung innerhalb der EWG im Bereich der Landwirtschaft nicht noch mehr zu vergrößern, ist in unserem Antrag vorgesehen, den Erstattungsbetrag von, wie im Gesetz vorgesehen, 36,15 Pf auf 38,15 Pf heraufzusetzen. Dieser Gesichtspunkt war offensichtlich auch die Ursache dafür, daß Herr Bundesminister Ertl selber im Kabinett dafür eingetreten ist, diese Belastung für die Landwirtschaft auszugleichen. Dabei ist außerordentlich wichtig, zu erkennen, daß der Herr Bundesminister Ertl selber wohl festgestellt hat, daß hier eine zusätzliche Belastung, für die Landwirtschaft gegeben ist und daß tatsächlich diese neue Belastung aus diesem Gesetz auf die Landwirtschaft zukommt.
Meine Damen und Herren, leider wird in der Allgemeinheit viel zu wenig beachtet, daß im Laufe der letzten zwei Jahre die administrativen Frachterhöhungen bei der Bundesbahn für die Landwirtschaft eine Mehrbelastung von mehr als 100 Millionen DM bisher gebracht haben. Die Landwirtschaft hat leider nicht die Möglichkeit, diese Frachterhöhungen, wie das in vielen anderen Bereichen der Wirtschaft möglich ist, auf die Erzeugerpreise abzuwälzen. Außerdem steht eine neue Frachterhöhung bei der Bundesbahn für Düngemittel bereits am 1. Januar bevor, und für das Jahr 1972 sind weiterhin neue Frachterhöhungen für den Bereich Landwirtschaft angekündigt.
Im Jahresbericht 1971 des Sachverständigenausschusses steht wörtlich — ich zitiere —:
Von der Einkommensexpansion des letzten Jahres bleibt die Landwirtschaft weitgehend ausgeschlossen, und das, obwohl die strukturell bedingte Abwanderung im Wirtschaftsjahr 1970/71 6 bis 7 % betragen hat und
— jetzt ist es wichtig hinzuhören —
obwohl im Einkommen der Aufwertungsausgleich mit 1,7 Milliarden DM enthalten ist. Das vorjährige Einkommensniveau wurde real deutlich unterschritten.
So weit das Zitat aus dem Jahreswirtschaftsbericht 1971.
Der Herr Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium hat mir hier in diesem Hohen Hause vor ganz kurzer Zeit bestätigt, daß in keinem anderen Wirtschaftsbereich Einkommensunterschrei-
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Bittelmann
tungen für den genannten Zeitraum eingetreten sind. Hier wird deutlich, daß die Aussage des Herrn Bundeskanzlers, daß die Landwirtschaft an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung teilnehmen soll, innerhalb der letzten zwei Jahre keinesfalls verwirklicht worden ist.
Daher ist es unverständlich, daß, zumal da in dieser Situation der Landwirtschaft infolge der Festpreise für 90 % der Agrarprodukte ohnehin keine Möglichkeit gegeben ist, irgendwelche Einkommensverbesserungen — auch mit Rücksicht auf die gestiegenen Kosten für Betriebsmittel und Löhne — zu erzielen, ihr hier noch eine neue Belastung im Sektor „Frachten" auferlegt wird.
Auf Grund der Angaben des Bundesfinanzministers — das hat Herr Staatssekretär Hermsdorf mir hier in diesem Hause vor ganz kurzer Zeit bestätigt — liegt eine direkte Kostenerhöhung sowohl auf Grund der Mineralölsteuererhöhung als auch auf Grund der Kraftfahrzeugsteuererhöhung im landwirtschaftlichen Bereich vor. Dagegen müßte man den Wegfall der Straßengüterverkehrsteuer, sprich: Leber-Pfennig, aufrechnen. Davon war aber die Landwirtschaft bisher bereits befreit. Aus diesem Grunde bitte ich — um einen Ausgleich zu schaffen —, dem Antrag auf Erhöhung der Erstattung um weitere 2 Pf je Liter Dieselöl, wie in unserem Änderungsantrag formuliert, stattzugeben. Ich bitte, den Antrag der CDU/CSU-Fraktion anzunehmen.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Hermsdorf.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe sowohl in der Fragestunde als auch bei anderer Gelegenheit in diesem Hohen Hause erklärt, daß wir durchaus die Probleme, die bei diesem Gesetz im Zusammenhang mit der Landwirtschaft und im Zonenrandgebiet auf uns zukommen, beachten und daß wir dafür eine Lösung suchen werden. An dieser Erklärung hält die Bundesregierung fest.
Das Gesetz, wie es Ihnen heute vorliegt, sollte ohne Präferenzen verabschiedet werden, weil das Einbauen von Präferenzen bei diesem Gesetz nicht nur zu technischen und Verwaltungsschwierigkeiten führen, sondern bei bestimmten Punkten auch gewisse Unregelmäßigkeiten heraufbeschwören würde. Ich erkläre deshalb namens der Bundesregierung, daß wir die Probleme, die in der Landwirtschaft hier entstehen werden, beachten und daß wir sie an anderer Stelle, aber nicht in diesem Gesetz regeln werden. Deshalb bitte ich, den Antrag der CDU abzulehnen.
Wird das Wort noch gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 245, Buchstabe b. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Absstimmung über Art. 3 in der vorliegenden Fassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 3 a, 4, 5, 6 sowie Einleitung und Überschrift auf. — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur
dritten Lesung.
Das Wort hat der Abgeordnete Höcherl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Fraktion der CDU/CSU darf ich folgende Erklärung zur dritten Lesung abgeben.
Die Quittung für die leichtfertige und unsolide Politik dieser Regierung liegt gerade mit diesem Gesetzentwurf auf dein Tisch. Die Regierung hat für ihre überzogene Reformpolitik zahllose ungedeckte Wechsel ausgestellt, die jetzt zu Protest gehen und dem Steuerzahler und Verbraucher zur Einlösung präsentiert werden.
Wir erinnern uns noch sehr gut an all die Versprechungen in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969, in der ausgesprochen wurde, daß die Steuerbelastung nicht erhöht zu werden bräuchte und daß alle Mittel zur Finanzierung der sogenannten inneren Reformen ausreichend vorhanden seien. Diese Regierung soll endlich offen eingestehen, daß sie jetzt auch finanziell am Ende ist. Sie sollte sich nicht in den bequemen Ausweg flüchten, durch Mißbrauch des Opfersinns der Bürger diese für ihre eigenen Versäumnisse zahlen zu lassen. Deswegen werden wir unsere Zustimmung zu dieser Steuererhöhung verweigern, die ja nur dazu dienen soll, die Inflationspolitik dieser Regierung fortzusetzen.
Eine solche Politik zu unterstützen, wäre Kurieren an den Symptomen.
Als Maßstab der Beurteilung muß gellen, ob eine Steuererhöhung unabweisbar notwendig ist, ob sie eine bessere Staatsleistung ermöglicht und ob unerwünschte Auswirkungen auf Konjunktur und Preise vermieden werden. Keine einzige dieser Voraussetzungen ist erfüllt.
Die inflationäre Entwicklung hat trotz steigender Ausgaben das Volumen der staatlichen Leistungen aus dem vergangenen Jahr nicht erreichen lassen. Vor allem die Gemeinden mit ihrem hohen Aufwand an Personal- und Investitionskosten sind am
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Höcherl
Ende ihrer Leistungskraft. Durch die Gemeindefinanzreform erhielten die Gemeinden 2,5 Milliarden DM zusätzliche Einnahmen. Das gesamte Bauvolumen der Gemeinden betrug im gleichen Jahre 17 Milliarden DM. In dieser Summe sind Preissteigerungen in Höhe von 16 % enthalten; das sind allein 2,7 Milliarden DM. Damit ist eindeutig klar, daß die Mehreinnahmen samt und sonders von der inflationären Entwicklung verschlungen worden sind. Weder im Straßenbau noch im Hochbaubereich konnte mit mehr Geld mehr gebaut werden. Die inflationäre Entwicklung ließ für den Straßenbau einen Stillstand eintreten und für den Hochbaubereich einen Rückgang der realen Investitionen.
In dieser Situation Steuern zu erhöhen, hieße, einen Krebskranken mit Morphium zu behandeln.
Erhöhung der Verbrauchsteuer ist gleichbedeutend mit Erhöhung der Preise. Der Preisauftrieb, der in diesem Jahr mit 6 % eine einsame Höhe in der deutschen Nachkriegsentwicklung erreicht hat, erhält dadurch einen weiteren Anstoß.
Das Sachverständigengutachten und die wirtschaftswissenschaftlichen Institute prophezeien für das Jahr 1972 eine Stagnation. In dieser Situation Steuererhöhungen vorzuschlagen, ist genau das Gegenteil von dem, was in einer solchen Situation geboten ist. Das Verlangen der Bundesregierung nach höheren Steuern ist das indirekte Eingeständnis dafür, daß ihre Reformprogramme überzogen sind.
Mit der gleichen Methode, mit der jetzt die Verantwortung für eine mißglückte Politik auf die Schultern der Steuerzahler und Verbraucher abgewälzt werden soll, hat die Bundesregierung bereits bei ihrem Amtsantritt die Finanzierung ihrer kostspieligen Programme Ländern und Gemeinden aufgebürdet, ohne für eine ausreichende finanzielle Ausstattung zu sorgen. Sie hat damit gegen die Prinzipien des gemeinsam verabschiedeten Finanzverfassungsgesetzes verstoßen, Länder und Gemeinden mit ausreichender Finanzausstattung zu versehen. Die inflationäre Entwicklung hat dabei nur einen Tatbestand schneller ans Tageslicht gebracht, der früher oder später doch offenbar geworden wäre.
Die schwärmerischen Reformprogramme dieser Bundesregierung sind ohne finanzielle Deckung. Der harte Kampf auch der von der SPD regierten Länder um einen höheren Anteil am Steuerkuchen zeigt dies überdeutlich. Diese Regierung hat nicht den Mut, ganz offen die Wahrheit zu bekennen, ihre Irrtümer einzugestehen und ihre Programme zu korrigieren.
Aus diesen grundsätzlichen Erwägungen kann meine Fraktion dem vorliegenden Gesetzentwurf — das gilt auch für die beiden anderen Gesetzentwürfe, die zur Debatte stehen die Zustimmung nicht erteilen.
Darüber hinaus gibt es weitere Ablehnungsgründe. Dem vorliegenden Gesetzentwurf fehlt eine ausreichende Gesamtkonzeption, wie Herr Dr. Müller-Hermann bereits dargelegt hat. Er packt nur Einzelprobleme an, ohne die vielfältigen Fragen des städtischen Nahverkehrs insgesamt zu lösen. Es fehlt ein Plan zur Verbesserung der Struktur der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden. Im Gegenteil, dieser Gesetzentwurf bringt es fertig, die Unübersichtlichkeit der gemeindlichen Verkehrsfinanzierung durch die Einführung eines dritten Finanztopfes entscheidend zu verstärken.
Die unausgereiften Vorschläge der Regierung zwangen die Opposition, in den Ausschußberatungen laufend Änderungsanträge einzubringen, die wir in der zweiten Lesung zum Teil wiederholt haben.
Der Bundesregierung war bereits seit zwei Jahren bekannt, daß die Straßengüterverkehrsteuer Ende dieses Jahres ausläuft und entsprechende gesetzliche Maßnahmen notwendig sind. Ohne daß ein zwingender sachlicher Zusammenhang besteht, hat sie diesen Problemkreis in Form einer Änderung der Kfz-Steuer in das vorliegende Gesetz eingebaut. Daß diese Regelung in dem heute anstehenden Gesetzentwurf ein Fremdkörper ist, zeigt allein die Bezeichnung dieses Gesetzes; denn das Aufkommen aus der Kfz-Steuer geht in die allgemeinen Haushaltsmittel ein und ist nicht wie die Hälfte der Mineralölsteuer für Zwecke des Straßenbaus gebunden.
Neben dieser sachlichen Ungereimtheit und der Flickschusterei des übrigen Teils des Gesetzentwurfs steht die nicht mehr zu überbietende Schludrigkeit, die sich diese Regierung im zeitlichen Ablauf des parlamentarischen Beratungsverfahrens geleistet hat.
Die erste Beratung im Deutschen Bundestag fand am 4. November 1971 statt. Ganze drei Sitzungswochen standen dem Hohen Haus zur Beratung zur Verfügung. Offenbar war sogar die Regierung von leisen Zweifeln in bezug auf die Güte ihrer Arbeit geplagt, denn die Vorlage wurde nicht einmal von ihr begründet. Die deutsche Parlamentsgeschichte kennt nur wenige Fälle, in denen es sich eine Regierung trotz seit langem feststehender Termine geleistet hat, Bundesrat und Bundestag mit einer eilbedürftigen Vorlage so unter Zeitdruck zu setzen und darüber hinaus eine derart schlechte Vorlage einzubringen. Dieses Gesetz trägt alle Zeichen der Hektik und der mangelnden Koordinierung innerhalb der Bundesregierung. Es stellt einen Höhepunkt der Konfusion dar. Dieses Haus hatte nicht ausreichend Zeit zu der erforderlichen intensiven Beratung dieser mangelhaften Vorlage.
Die Stellungnahme des Bundesrates wurde während der Ausschußberatungen nachgeschoben. Die Stellungnahme der Bundesregierung zu den Beschlüssen des Bundesrates liegt schriftlich immer noch nicht vor.
Eine derartige Praxis darf nicht einreißen und zur
Gewohnheit werden. Unser Nein hat auch den
Zweck den miserablen Stil der Regierungsarbeit
9070 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1971
Höcherl
offenzulegen und die Regierung auf den Pfad der parlamentarischen Tugend zurückzuführen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Apel.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zum Gesetzentwurf selber sprechen und nicht zu den sehr allgemeinen Bemerkungen des Kollegen Höcherl.
— Sie sagen „grundlegenden"! Das ist eben der intellektuelle Unterschied zwischen Ihnen und mir. Sie empfinden das als grundlegend, und ich empfinde'das als allgemein.
In einem Punkte muß Herrn Höcherl aber widersprochen werden. Die Stellungnahme der Bundesregierung zu den Vorschlägen des Bundesrates liegt seit Montag dieser Woche vor; sie ist also einsehbar.
Meine Damen und Herren, zum Gesetzentwurf selbst. In der ersten Lesung, aber auch in der Debatte außerhalb dieses Parlaments, sind insbesondere drei Einwände gegen die Vorlage der Bundesregierung geltend gemacht worden, in diesem Hause insbesondere von dem Kollegen Dr. Evers von der CDU/CSU. Dr. Evers hat erstens beanstandet, daß die Bundesregierung die 3 Pf, um die die Mineralölsteuer pro Liter erhöht werden soll und die für den kommunalen Bereich gedacht sind, über einen Leertitel am Bundeshaushalt vorbeiführen wolle. Er hat darum gebeten, daß diese 3 Pf in das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz eingestellt werden. Dies ist auf Antrag der Koalitionsfraktionen im Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages geschehen. Der Finanzausschuß ist unserem Petitum gefolgt.
Wir haben bei dieser Gelegenheit ferner das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz in einigen wichtigen Punkten verbessert, indem wir den Katalog der förderungsfähigen und förderungswürdigen Maßnahmen um die Betriebshöfe und zentralen Werkstätten erweitert haben, damit auch die kleineren Gemeinden, die keine U- und S-Bahnen bauen, in den Vorteil dieser Förderungsmaßnahmen kommen können. Wir haben ferner dem Petitum des Bundesrates entsprochen, die Mittel im Verhältnis von 50 zu 50 zwischen dem öffentlichen Personennahverkehr und dem kommunalen Straßenbau aufzuteilen.
Der zweite kritische Einwand, der in diesem Hause — auch wieder von Herrn Dr. Evers —, aber auch draußen im Lande vorgebracht wurde, ist, es sei nicht sichergestellt, daß dem öffentlichen Personennahverkehr die Mineralölsteuer erlassen werden würde. Auf Grund eines Vorschlages der Koalitionsfraktionen ist in der Vorlage verankert worden,
daß sowohl den öffentlichen Personennahverkehrsmitteln in privater Hand als auch denen in öffentlicher Hand die Mineralölsteuer in Zukunft erlassen wird. Das bringt einen Vorteil von 250 Millionen DM. Herr Höcherl, das ist ein wesentlicher Beitrag des Bundes und dieses Hohen Hauses zum Nahverkehrskonzept. Der Bund hat damit für diesen Sektor seine finanziellen Leistungen, soweit er sie erbringen kann, erbracht.
In diesem Zusammenhang scheint mir eine weitere Bemerkung wichtig zu sein. Da von den 6 Pf, die für die Gemeindeverkehrsfinanzierung gedacht sind, 3 Pf ausschließlich für den öffentlichen Personennahverkehr aufgewandt werden, zahlt jeder Autofahrer in unserem Lande ab 1. Januar 1972 jährlich durchschnittlich 45 DM für U-, S-, Straßenbahnen und Busunternehmen, d. h. er bezahlt den Preis einer mittleren Monatskarte. Das muß einmal mit allem Nachdruck gesagt werden, damit deutlich wird, daß heute bereits nach dem Willen der Koalitionsfraktionen — und dieser Wille deckt sich ja weitgehend mit dem Willen der Opposition — auch die Autofahrer den öffentlichen Personennahverkehr mit bezahlen.
Es gab einen dritten kritischen Einwand seitens der Opposition. Die Opposition hat gesagt: Wie sollen denn die erhöhten Mittel, die von den Gemeinden aufgebracht werden, überhaupt aufgenommen werden? Die Gemeinden haben ja gar nicht die Komplementärmittel. Wir sind dem begegnet, indem wir den Anteil des Bundes an all diesen Maßnahmen für die normal strukturierten Gebiete von 50 auf 60 % und für das Zonenrandgebiet sogar von 60 auf 75 % erhöht haben. Wir haben ferner dafür gesorgt, daß die Fahrzeuge, die im Zonenrandgebiet laufen, bei der Verteilung der Mittel nicht mit dem Faktor 1, sondern mit dem Faktor 1,25 angerechnet werden. Das bedeutet, daß dem Zonenrandgebiet nicht nur ein höherer Anteil an der Förderung des Bundes zukommt, sondern über einen höheren Multiplizierungsfaktor auch ein höherer Gesamtanteil. Wir haben die Dieselölbeihilfen für den Werkfernverkehr im Zonenrandgebiet verdoppelt. Es muß also darauf hingewiesen werden, daß sich diese Steuererhöhungen für das Zonenrandgebiet weitestgehend positiv auswirken. Sie wirken sich zumindest für den Werkfernverkehr nicht negativ aus. Herr Warnke, Sie werden dazu ja noch etwas sagen. Ich habe Ihren Namen hier vorn auf dem Bildschirm des Computers gesehen. Wir haben unseren Mann auch schon gemeldet. Nachher werden wir dann hören können, was Sie zu sagen haben.
Ich möchte noch einen Satz zur zweiten Lesung sagen. Herr Müller-Hermann, Ihr Antrag — wir haben darüber ja diskutiert — hätte zudem das Problem mit sich gebracht, daß das Aufkommen insgesamt, wenn die Durchführungsverordnungen beschlossen worden wären, sehr stark vermindert worden wäre. Man muß in diesem Zusammenhang sagen, für wen diese Mehreinnahmen bestimmt sind. Sie sind im wesentlichen für die Gemeinden und für die Länder bestimmt.
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Dr. Apel
Insofern meine ich, daß man sich sehr vor Ausnahmen aus dieser Perspektive hüten muß.
Wenn wir uns die Auswirkungen dieser Steueranhebungen auf die Verkehrsträger anschauen, können wir festsstellen, daß der Güterfernverkehr insgesamt sogar entlastet wird, weil er ja die Straßengüterverkehrsteuer nicht mehr bezahlt, und daß auch der Werkfernverkehr entlastet wird.
Um so wichtiger ist eine gute Lizenzierungsregelung. Wir wollten sie heute mit behandeln; Sie haben es vorgezogen, die Debatte Mittwoch zu führen. Dennoch gehören diese beiden Dinge eng zusammen. Die Bundesbahn wird durch diese Steuermaßnahmen und durch die Lizenzierung, so wie sie die Kolitionsfraktionen beschlossen haben und wie sie vielleicht auch dieses Hohe Haus akzeptieren wird, ebenfalls in eine Wettbewerbsposition gebracht, die es ihr erleichtert, kaufmännisch vernünftig zu agieren, dies um so mehr, als auch die Bundesbahn die Entlastung bei der Mineralölsteuer erfährt, soweit sie im öffentlichen Nahverkehr auf der Schiene wie auf der Straße fährt.
Es bleibt das Problem des gewerblichen Nahverkehrs übrig. Wir haben darüber schon in der ersten Lesung debattiert. Ich habe darauf aufmerksam gemacht, daß es eine Entschließung des Deutschen Bundestages gibt, die die Bundesregierung auffordert, eine verkehrspolitische Konzeption für den gewerblichen Güternahverkehr vorzulegen, die den neuen Gegebenheiten Rechnung trägt. Insbesondere kommt es aber darauf an, angesichts der unbestreitbaren Kostenerhöhungen im Güternahverkehr bei der zu erwartenden tarifpolitischen Entscheidung in diesem Sektor die Kostenerhöhungen mit zu berücksichtigen.
Ich komme damit zum Schluß meiner Bemerkungen und ziehe folgende Konsequenzen.
Erstens. Steuererhöhungen, auch wenn sie wie bei der Mineralölsteuer den Charakter von Gebührenanhebungen annehmen — weil sie ja zu 100 % dem Autofahrer über verbesserten Verkehrswegebau wieder zugute kommen , sind niemals angenehm. Insofern verstehe ich, daß die CDU/CSU als Opposition ihre Zustimmung verweigert. Nur, Herr Müller-Hermann, dann bitte mit dem richtigen Argument: Wir wollen Euch den Arger lassen und ihn uns nicht selbst zuziehen. Aber bitte nicht mit vorgeschobenen Argumenten, sondern dann bitte sagen: Ihr — Regierung — sollt das tun; wir — Opposition — halten uns da vornehm zurück; wir wollen ja eine Arbeitsteilung zwischen Nutzen und Arger einführen. Dafür hätte ich Verständnis.
Zweitens. Diese Mineralölsteuererhöhung zahlt der Autofahrer für sich selbst. Er bekommt sie voll und ganz in Form eines verbesserten Verkehrswegebaus wieder zurück. Er zahlt im Monat durchschnittlich 5 DM mehr, eine Summe, die durchaus zumutbar ist.
Drittens. Die regionalen Konsequenzen dieser Steuererhöhungen sind, soweit es möglich ist, gemildert worden. Insbesondere ist der Zonenrand hier von uns bedacht worden.
Viertens. Das Gewerbe kann diese Steuererhöhungen tragen. Beim Güternahverkehr haben wir eine besondere Fürsorgepflicht.
Wenn ich Herrn Höcherl richtig verstanden habe, lehnt er die Steuerhöhungen ab. Er sagt aber gleichzeitig: Die Gemeinden sind am Ende ihrer Leistungskraft. Die CDU/CSU fragt in den Fragestunden immer wieder nach mehr Straßenbau und weist auf die Beschäftigungslage im Tiefbau hin. Ich kann nur sagen, dies ist CDU/CSU-Logik; das ist die Devise „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß". Wir dagegen sagen unseren Bürgern: Diese Steuererhöhungen kosten euch 5 DM im Monat. Sie bringen dem gewerblichen Güterfernverkehr eine Kostenanhebung um 1,2 %. Aber wir müssen diese Steuererhöhungen erbitten, um den Straßenbau im Jahre 1972, insbesondere in den Gemeinden, und den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs sinn- und zweckgemäß fortzusetzen.
Dem Hohen Hause liegt ein Entschließungsantrag der Opposition vor. Im Namen meiner Fraktion empfehle ich Ihnen, diesen Entschließungsantrag an die zuständigen Ausschüsse zu überweisen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als der Deutsche Bundestag am 4. November den vorliegenden Gesetzentwurf in erster Lesung behandelte, habe ich als Sprecher der Freien Demokraten erklärt, daß wir Steuererhöhungen nur mit halbem Herzen zustimmen, daß wir uns aber den Notwendigkeiten verstärkter Mittelzuweisung an die Gemeinden für den Straßenbau und für die Förderung des Personennahverkehrs und der Verstärkung der Mittel für den allgemeinen Fernstraßenbau nicht verschließen könnten und deshalb dieser Vorlage in ihrem Grundgehalt zustimmen würden.
Dabei habe ich allerdings zur Voraussetzung dieser Zustimmung gemacht, daß aus der Mineralölsteuererhöhung von 4 Pf je Liter den Betrieben, die öffentlichen Personennahverkehr betreiben, eine Rückerstattung ihrer Mineralölsteuer gewährt wird. Ich habe außerdem für die Freien Demokraten erklärt, daß wir der Meinung sind, bei der Anhebung der Kfz-Steuer für Nutzfahrzeuge nicht bei 12 t nach oben hin zu beginnen, sondern die Grenze herabzusetzen, um die Steuerlast — 250 Millionen DM werden erwartet — auf breitere Schultern zu verteilen. Wir stellen heute in der dritten Lesung fest, daß im Laufe der Beratungen durch Beschlüsse der Fraktionen der Regierungskoalition, also der Fraktionen der Sozialdemokraten und der Freien Demokraten, diese Voraussetzungen erfüllt sind. Von daher stimmen wir dem vorliegenden Gesetzentwurf in dritter Lesung zu.
Der Kollege Höcherl hat nun erklärt, die CDU/ CSU-Fraktion müsse diesen Gesetzentwurf ablehnen, weil er ein weiteres Kennzeichen der Inflationspolitik — so hat er das genau gesagt — dieser
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Ollesch
Regierung bedeute. Herr Kollege Höcherl, ich weiß, wie wirksam das Schlagwort „Inflationspolitik" ist, wie sehr es geeignet sein kann, die Menschen im Lande zu verunsichern. Weil das im Kampf gegen diese Regierung Ihre Absicht ist, greifen Sie das Wort „Inflation" immer wieder neu auf.
— Ach, Herr Kollege Stücklen! Meine Damen und und Herren von der CDU/CSU, ich frage mich nur, wann man eigentlich eine Inflation hat.
— Wenn Sie es bestimmen, ja? Wenn Sie der Auffassung sind, es ist eine, dann ist es eben eine!
Wir hatten seit 1949 Jahr für Jahr unentwegt einen Kaufkraftschwund. Das werden Sie nicht bestreiten können; die Zahlen weisen es aus.
— Sicherlich in geringerem Umfang als heute. Herr Kollege Lemmrich, fragen Sie ruhig! Wir hatten im Jahre 1965 eine Geldentwertungsrate von etwas über 4 %.
— Herr Lemmrich, es mögen 3,8 % gewesen sein. Im
vergangenen Jahr hatten wir 6 %. Nun frage ich Sie:
Hat man bei 6 % eine Inflation, bei 5 %, bei 4 %
oder bei 3 %?
Meine Damen und Herren, man hat sie dann, wenn sie Ihnen ins politische Konzept paßt! Dann kommen Sie mit dem Schlagwort „Inflation" an, um unsere Menschen zu erschrecken.
Denn Sie müssen ja bei der Betrachtung, ob eine Inflation vorhanden ist oder nicht, gewiß mit dem Schaden für große Kreise unserer Bevölkerung auch die Steigerung der Einkommen betrachten und das in ein Verhältnis setzen, nämlich die Steigerung der Einkommen 1965 im Verhältnis zur Preisentwicklung und die Steigerung der Einkommen 1970 im Verhältnis zur Preisentwicklung. Dabei verschweige ich allerdings nicht — Herr Müller-Hermann, Sie schauen mich an —, daß es weite Personenkreise gibt, die von jedem Geldwertschwund stark betroffen sind.
Dieser Gesetzentwurf hat mit weiterer Inflationspolitik überhaupt nichts zu tun. Sie haben mit uns zusammen, meine Damen und Herren von der Opposition, immer wieder gefordert, den Gemeinden müsse bei der Lösung ihrer Verkehrsaufgaben geholfen werden. Sie haben diese Forderung noch anläßlich der Debatte über das Gemeindeverkehrsfinanzgesetz im vergangenen Jahr aufgestellt. Mit diesem Gesetzentwurf kommen wir dieser im ganzen Haus geäußerten Forderung nach. Die Gemeinden erhalten mehr an Mitteln. Sie erhalten 3 Pf von den 4 Pf zur Bestreitung ihrer verkehrlichen Aufgaben, allerdings — und das ist die Änderung in diesem Gesetzentwurf gegenüber der Regierungsvorlage — unter Abzug der Beträge für die Mineralölsteuerrückgewähr an Betriebe, die öffentlichen Personennahverkehr betreiben. Das scheint uns aber verantwortbar zu sein, weil ein großer Teil der 250 Millionen DM — das ist der Betrag, der zur Rückerstattung benötigt wird — an die Gemeinden als Träger des öffentlichen Personennahverkehrs zurückfließt. Von daher scheint mir das vertretbar zu sein.
Sie wissen, daß auch die Verteilung der Steuern zwischen Bund und Ländern den Unwillen der Länder hervorgerufen hat. Mit der Erhöhung der Kfz-Steuer für Nutzfahrzeuge wird den Wünschen der Länder entgegengekommen. Sie erhalten 250 Millionen DM.
Der Bund erfährt durch dieses Gesetz kaum eine Hilfe. Er erhält lediglich 1 Pf aus der Mineralölsteuererhöhung, 250 Millionen DM für Zwecke des Straßenbaus.
Es werden hier Steuererhöhungen beschlossen. Ich sagte Ihnen schon, daß die Freien Demokraten Steuererhöhungen nur mit halbem Herzen zustimmen. Herr Kollege Höcherl hat versucht, einen Gegensatz zwischen der Regierungserklärung und den Äußerungen der Regierung und der Fraktionen, die diese Regierung tragen, in der Vergangenheit und dem heutigen Tun, dem Beschluß über die Steuererhöhung, zu konstruieren.
Meine Damen und Herren, wir haben erklärt, daß wir die steuerliche Belastung unserer Bürger im Laufe dieser Legislaturperiode nicht erhöhen werden. Die steuerliche Belastung wird mit der Anhebung der Mineralölsteuer und der Kfz-Steuer nicht erhöht gegenüber der Ausgangslage, die bestand, als diese Regierung ihre Verantwortung in Bonn übernahm.
— Das ist nicht zu bestreiten. Das ist nachweisbar.
- Wir sagen das draußen. Wir sind nämlich ehrlich.
Wir sind ehrlich in unserer Argumentation vor unseren Bürgern. In dieser Hinsicht könnten Sie von uns noch lernen.
— Ach Gott, für heucheln sind Sie doch zuständig, Herr Kollege Lemmrich, nicht ich.
Meine Damen und Herren, tatsächlich ist die Steuerbelastung heute niedriger. Denn es sind inzwischen
Steuerentlastungen durch Absenken und Auslaufen
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1971 9073
Ollesch
von Steuern eingetreten. Darüber gibt es keinen Zweifel.
Nunmehr einige wenige Worte zum Gesetzentwurf selbst. Ich sagte Ihnen schon, wir haben unter der Voraussetzung zugestimmt, daß bei der Mineralölsteuererhöhung die Rückerstattung für die Betriebe, die öffentlichen Personennahverkehr betreiben, vorgesehen wird.
Wir haben gegenüber dem Gemeindeverkehrsfinanzgesetz, nach dessen Richtlinien diese Mittel verteilt werden, einige weitere Förderungen vorgenommen. In die Förderung werden Betriebshöfe und zentrale Werkstätten einbezogen. Die Finanzhilfen werden bei förderungswürdigen Vorhaben prozentual erhöht. Wir haben den Anteil des Zonenrandgebiets an den Finanzbeihilfen um ein Viertel erhöht. Die Gasölbetriebsbeihilfe wird für den Werkfernverkehr im Zonenrandgebiet verdoppelt. Die Landwirtschaft wird von der Mineralölsteuererhöhung nicht betroffen. Die zurückzuzahlenden Beträge werden um den Satz der Steuererhöhungen angehoben.
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf beinhaltet zwei Komplexe: Mineralölsteuererhöhung und Kfz-Steuer-Erhöhung. Auf Drängen der Freien Demokraten wurde die Grenze, von der an Nutzfahrzeuge der Steuererhöhung unterliegen, verändert. Wir haben die Grenze auf 7 t herabgesetzt, weil wir der Auffassung sind, daß wir eine zu starke Anhebung der Kfz-Steuer für Nutzfahrzeuge vermeiden sollten. Wir wollten die Progression in erträglichen Grenzen halten. Da sich die Anzahl der Fahrzeuge, die in die Steuererhöhung einbezogen werden, verdoppelt, konnte der Betrag für das einzelne Fahrzeug verringert werden.
Wir haben dafür gesorgt, daß entgegen der Regierungsvorlage der Schwerlastverkehr nicht so sehr belastet wird, wie es vorgesehen war. Für ihn bleibt immer noch ein Steuerrabatt von 25 an Stelle von 50 %, weil der Schwerlastverkehr durch ordnungsbehördliche Maßnahmen gehindert ist, seine Fahrzeuge voll auszufahren. Er kann bekanntlich nur fahren, wenn die Bundesbahn eine Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilt, also den Transport nicht selbst übernehmen kann.
Wir haben in diesem Gesetz die Förderung des Huckepackverkehrs und des Containerverkehrs ausgedehnt, weil wir der Auffassung sind, daß die Absicht, Verkehr von der Straße auf die Bundesbahn zu verlagern, dort verstärkt verwirklicht werden sollte, wo es vertretbar und erforderlich ist.
Wir meinen also im Gegensatz zu den Ausführungen des Kollegen Höcherl, daß dieser Gesetzentwurf kein Flickwerk bedeutet, daß ausreichend Zeit zur Beratung zur Verfügung gestanden hat — er hat es bestritten —, nämlich über fünf Wochen. Das Gesetz ist nicht so umfangreich — es regelt nur zwei
Tatbestände —, als daß es in dieser Zeit nicht
gründlich hätte beraten werden können.
Zum anderen sind wir der Auffassung, daß dieses Gesetz sowohl für die Gemeinden als Verkehrsbauträger wie auch für den Bund als Träger des Fernstraßenbaus, aber auch für die Betriebe des öffentlichen Personennahverkehrs, denen immer wieder Hilfe zugesagt wurde, die aber nicht eingeleitet wurde, eine wertvolle Hilfe bedeutet.
Aus diesem Grund stimmen die Freien Demokraten diesem Gesetz in dritter Lesung zu. Wir sind der Auffassung, daß der vorliegende Entschließungsantrag dem zuständigen Ausschuß überwiesen werden sollte.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Warnke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nach diesem Expertenstreit, so möchte ich sagen, über eine für viele von uns schwer durchschaubare Materie will ich hier einige Worte als schlichter Mann vom Land, d. h. in diesem Fall aus den verkehrsfernen Gebieten, anfügen.
Dieses Gesetz bringt für die verkehrsfernen Gebiete und insbesondere für das Zonenrandgebiet in zwei Punkten begrüßenswerte, zumindest erträgliche Regelungen. Drei Punkte müssen jedoch auf der Minusseite der Bilanz verbucht werden.
Ich stehe nicht an, zu erklären, daß wir Genugtuung darüber empfinden, daß auf unseren Antrag hin die Präferenz für den Werkfernverkehr beibehalten worden ist und daß damit ein Teil der Mehrbelastung — wir wollen uns schon über die Auswirkung im klaren sein: nur ein Teil dieser Mehrbelastung , die durch dieses Gesetz dem Werkfernverkehr im Zonenrandgebiet auferlegt worden ist, abgefangen wird.
Wir sind auch darüber erfreut, daß es gelungen ist, für den Gemeindestraßenbau im Zonenrandgebiet eine Präferenz und einen angemessenen Verteilungsschlüssel zu finden. Nun, meine Damen und Herren, in Wirklichkeit ist mit dem Verteilungsschlüssel die Regelung vom Kopf, auf dem sie bisher gestanden hat, überhaupt erst auf die Füße gestellt worden, denn bis jetzt bestimmte das Gesetz in seiner alten Fassung in majestätischer Gleichheit, daß Zonenrandländer und Nicht-Zonenrandländer die Mittel nach gleichem Schlüssel zugewiesen bekamen; nur blieb es den Zonenrandländern unbenommen, ihren Gemeinden im Zonenrandgebiet mehr von diesen Mitteln zu geben — zu Lasten ihrer Gemeinden im Binnenland. Diese Ungerechtigkeit haben wir jetzt beseitigt, und das ist positiv zu werten.
Aber es ist bedauerlich, daß gleichzeitig die Präferenz, die dem gewerblichen Güterfernverkehr im Zonenrandgebiet, in den Frachthilfegebieten und in den Seehäfen im Straßengüterverkehrsteuergesetz bisher eingeräumt war, ersatzlos weggefallen ist. Das ist der erste Minuspunkt. Es ist zweitens bedauerlich, daß bei dieser Regelung die Bevorzugung des Gemeindestraßenbaus im Zonenrandgebiet praktisch durch das dort ansässige Straßengüterverkehrsgewerbe bezahlt wird, dem man damit die Präferenz genommen und die Belastung für die Mehrleistungen, die unter diesem Gesetz in das
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Dr. Warnke
Zonenrandgebiet fließen, auferlegt hat. Es ist mehr als ein Schönheitsfehler, wenn man mit der rechten Hand das gibt, was man vorher mit der linken Hand weggenommen hat. Diese Art von Eleganz der Gesetzgebung wird unsere Zustimmung nicht finden, meine Damen und Herren.
Schließlich zum dritten und vielleicht gravierendsten Punkt: Wir haben in diesem Jahr ein Zonenrandförderungsgesetz verabschiedet, das in seinem § 4 für den Bundesfernstraßenbau eine Präferenz festlegt. Dieses Gesetz ist bis heute toter Buchstabe geblieben. Nun haben wir durch das eine Viertel bei der Erhöhung der Mineralölsteuermittel dem Bundesfernstraßenbau zum erstenmal neue, zusätzliche Mittel zugeführt. Hier wäre der Punkt gewesen, wo wir der Präferenz, die in § 4 des Zonenrandförderungsgesetzes normiert, aber bis heute nicht erfüllt worden ist, einen Inhalt hätten geben können.
Herr Staatssekretär Hermsdorf, ich habe zur Kenntnis genommen, daß Sie in einer Erklärung in der zweiten Lesung angekündigt haben, man werde die noch bestehenden Benachteiligungen für das Zonenrandgebiet auszugleichen bemüht sein. Dies wird bei der Präferenz für den Bundesfernstraßenbau nötig sein.
Auf Grund der gegenwärtigen Fassung müssen wir sagen: dies ist ein verlorenes Gefecht für das Zonenrandgebiet. Insgesamt ist es für uns allerdings keine verlorene Schlacht, und wir werden, Herr Staatssekretär Hermsdorf, die Bundesregierung an Ihrer Erklärung zu messen haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kreutzmann.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verkehrskonzeption der Bundesregierung ist von dem Bemühen bestimmt, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Verkehrsträgern zu schaffen und deren Leistungsfähigkeit im Interesse des Steuerzahlers zu erhalten. Dabei hat sich die Bundesregierung bisher — ich glaube, dafür gibt es überzeugende Beweise — immer wieder nachdrücklich bemüht, der besonderen Situation im Zonenrandgebiet Rechnung zu tragen, also der Situation eines Raumes, der unter einem besonderen politischen Gesetz steht. Die dortigen Verhältnisse sind von der Bevölkerung ja nicht schuldhaft verursacht worden, sie muß sie als Folge der deutschen Teilung hinnehmen. Diese besondere verkehrspolitische Lage des Zonengrenzraumes ist im Zonenrandförderungsgesetz deutlich herausgearbeitet worden. Die Bundesregierung hat sich durch ihren Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen auch in die Fragen des vorliegenden Gesetzes zum Nutzen des Zonenrandes nachdrücklich eingeschaltet. Wir sind mit ihr der Meinung, daß man nicht einerseits fordern kann, die Nebenstrecken im Zonenrandgebiet in stärkerem Umfang als im übrigen Bundesgebiet zu erhalten, um die Verkehrsbedienung dieses Raumes im bestmöglichen Maße zu sichern, während man andererseits durch eine zusätzliche Begünstigung des gewerblichen Güterfernverkehrs die Bemühungen, die in diese Richtung gehen, wieder illusorisch macht. In der Diskussion im Ausschuß ist gesagt worden, eine Begünstigung des Werkfernverkehrs komme in besonderem Maße den großen Unternehmen zugute. Ich glaube, daß man diese Feststellung zumindest für den größeren Teil des Zonenrandgebiets nicht treffen kann. Der Werkfernverkehr hat hier eine andere Funktion als in vielen anderen Teilen des Bundesgebietes, und zwar einfach deshalb, weil viele der dart ansässigen Unternehmer ihre Absatzgebiete im anderen Teil Deutschlands verloren haben und gezwungen waren, sich umzuorientieren. Vor allem viele kleine Unternehmen kommen nur über den Werkfernverkehr an ihre Kunden heran. Das hat uns veranlaßt, dem Werkfernverkehr in dem Gesetz Priorität einzuräumen. Ich möchte Dank sagen, daß wir auch beim Bundesverkehrsministerium dafür Verständnis gefunden haben. Wir glauben eine Begünstigung des Werkfernverkehrs auch deshalb vertreten zu können, weil der Werkfernverkehr nicht wie der gewerbliche Güterfernverkehr die Möglichkeit hat, seine Fahrten durch Rückladungen wirtschaftlich attraktiver zu machen. Im übrigen stellt das Gesetz den Güterkraftverkehr ja nicht schlechter, als er bisher stand.
Da zudem der Anteil der Finanzbeihilfen für die Gemeinden um ein Viertel erhöht werden soll und in dem von der Bundesregierung vorgelegten Bundesfernstraßengesetz zum erstenmal eine umfassende Konzeption für eine ausreichende Versorgung des Zonenrandgebietes mit Bundesfernstraßen vorgelegt worden ist, kann man, glaube ich, feststellen, daß diese Bundesregierung mit ihrer Politik für das Zonenrandgebiet bestehen kann und wir allen Grund haben, die in diesem Gesetz getroffenen Regelungen zu begrüßen und zu unterstützen.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller-Hermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen meiner Kollegen Apel und Ollesch veranlassen mich, hier noch einmal das Wort zu nehmen und vier Anmerkungen zu machen.
— Herr Kollege Apel, bei Ihnen bedanke ich mich außerordentlich dafür, daß Sie alle meine früheren Reden sorgfältig nachlesen und studieren.
— Ich bin schon von Ihnen nach einem Buch gefragt worden, das nicht mehr vorliegt. Ich stehe Ihnen aber gern zur Verfügung. Ich glaube nicht, daß Sie Widersprüchlichkeiten in meiner Konzeption entdecken werden.
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Dr. Müller-Hermann
Punkt 1, meine Damen und Herren: Die Bewältigung der innerstädtischen Verkehrsprobleme ist neben der Sanierung der Bundesbahn heute das Verkehrsproblem Nummer eins. Wir von den Unionsparteien haben dieser Tatsache immer Rechnung getragen. Ich darf daran erinnern, daß wir schon eine Enquete gefordert haben, als das Problem den anderen Fraktionen in diesem Hohen Hause noch nicht geläufig war. Wir haben seinerzeit den Gemeindepfennig eingeführt und 1966 der Öffentlichkeit ein ähnliches Problem präsentiert, als wir zugunsten der Gemeinden eine Mineralölsteueranhebung um 3 Pf forderten, die dann von der Großen Koalition auch beschlossen worden ist. Ich werde aber auf diesen Punkt noch einmal zurückkommen.
Ich weiß nicht, ob im Schoße der Regierung die Aufgeschlossenheit für die gemeindlichen Verkehrsprobleme so groß ist, wie das heute hier durchzuklingen scheint. Ich erinnere an den gigantischen Autobahnplan des Herrn Bundesverkehrsministers Leber, der auf die Sorgen und Nöte der Gemeinden gar keine Rücksicht zu nehmen schien.
Punkt 2, Herr Kollege Apel. Ich nehme an, daß wir sogar innerlich übereinstimmen, wenn ich sage: Was hier jetzt zur Lösung der Verkehrsprobleme von Ihnen vorgelegt und verkauft wird, ist nur ein Bruchstück; das ist keine Gesamtkonzeption.
Ich nehme auch an, die Regierung wie auch Sie bemühen sich, irgendwann im Laufe der nächsten Zeit so etwas Ähnliches wie ein Gesamtkonzept vorzulegen. Vielleicht befinden wir uns da in einem auch für die Sache nützlichen Wettbewerb. Ich bin z. B. der Meinung, daß vier Punkte in einem solchen Konzept auf jeden Fall besonders durchüberlegt werden müssen und daß man dafür Vorschläge finden muß, wenn man überhaupt von einer Lösung der Verkehrsprobleme in den Gemeinden sprechen will:
1. Meines Erachtens müssen die Gemeinden von einem festen Anteil an der Mineralölsteuer ausgehen können, damit es nicht passiert, daß Sie alle möglichen Vergünstigungen nachher genau aus dem Topf nehmen, der den Gemeinden zur Erleichterung ihrer Situation zugeführt werden soll.
2. Die öffentlichen Verkehrsunternehmen auch im Gemeindebereich müssen wie die Bundesbahn von gemeinwirtschaftlichen Lasten freigestellt werden.
3. Wir müssen den Gemeinden eine Möglichkeit geben, das Park-and-Ride-System sinnvoll zu entwickeln, und ihnen Hemmnisse, die dem entgegenstehen, abnehmen.
4. Wir müssen meines Erachtens sicherstellen, daß Stadtplanung und Verkehrsplanung sowie die Zuwendung der Mittel des Bundes für diese Aufgaben besser koordiniert werden, denn bei den Gemeinden wird ein Teil der Verkehrsprobleme erst durch eine falsche, rein aus steuerlichen Gesichtspunkten betriebene Stadtplanungspolitik heraufbeschworen.
Dritter Punkt. Herr Apel und Herr Ollesch versuchen wie die Regierung, der Öffentlichkeit zu suggerieren, durch diese Steuererhöhung würde nun den Gemeinden eine Mehreinnahme von etwa 1 Milliarde DM zugeführt und damit die Lösung der Probleme erleichtert. Von dieser 1 Milliarde DM, mein sehr verehrter Herr Dr. Apel, bleibt ja kaum etwas übrig. Ich würde sogar sagen, es bleibt gar nichts übrig.
Insofern ist unsere These vom Stopfen der Löcher der Inflation völlig richtig. Sie müssen von dieser 1 Milliarde DM zunächst einmal die 200 Millionen DM abziehen, die Sie für die Befreiung der öffentlichen Verkehrsunternehmen von der Mineralölsteuer auswerfen wollen. Damit bleiben nur noch 800 Millionen DM übrig.
Zum zweiten erfolgt mit einem Teil dieser Finanzmasse nur eine Umschichtung des Anteils des Bundes und der Gemeinden. Dadurch, daß der Bundesanteil auf 60 bzw. auf 70 % aufgestockt wird, verringert sich der Komplementäranteil der Gemeinden. Auch hier können Sie wiederum einen echten Buchwert von 200 bis 300 Millionen DM abschreiben.
Schließlich, meine Damen und Herren, kommen eben die inflationären Preisentwicklungen hinzu. Verehrter Herr Kollege Ollesch, die können Sie doch nicht einfach negieren. Das Preisniveau im Straßenbau, im U-Bahn-Bau und im Ingenieurbau ist in den Jahren 1970 und 1971 um etwa 30 °/o gestiegen. Im Fernstraßenausbau allein ist im Jahre 1970 durch die Preissteigerungen ein Substanzverlust von etwa 700 Millionen DM eingetreten. Was von diesen Mehraufwendungen übrigbleibt, reicht nicht einmal aus — davon bin ich überzeugt —, um die Löcher zu stopfen, die durch die Preisentwicklung aufgetreten sind.
Der vierte Punkt. Herr Kollege Apel, Sie haben uns vorgeworfen, wir schöben bei der Ablehnung der Mineralölsteueranhebung die Argumente nur vor. Wir sollten doch ruhig sagen, wir wären als Opposition nicht bereit, unbequeme Maßnahmen auf uns zu nehmen. Das hieße, so zu verfahren, wie Sie in Ihrer langen Oppositionszeit ständig verfahren sind. Ich darf noch einmal auf das Jahr 1966 zurückkommen, Herr Kollege Apel. Da hatten wir als Regierungspartei, füge ich hinzu, den Mut, von der Bevölkerung 3 Pfennig mehr beim Kraftstoff zugunsten der Gemeinden zu verlangen. Damals war die sozialdemokratische Fraktion noch in der Opposition. Ich bitte, einmal die Protokolle des Jahres 1966 nachzulesen, wie Sie als Opposition gegen diese Absicht der damaligen Koalition, hier etwas Sinnvolles zu tun, Sturm gelaufen sind. Die Freien Demokraten ließen damals sogar die Kleine Koalition an dieser Frage der Steuererhöhung scheitern, Herr Kollege Ollesch.
Aber ein fundamentaler Unterschied zu damals besteht heute, meine Damen und Herren. Wenn man 1962 gleich 100 setzt, lag der Preisindex für den Straßenbau 1967 bei 91,8 und 1968 bei 96,2. Damals
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Dr. Müller-Hermann
konnte mit den 3 Pfennig, die wir dem Bürger mehr abforderten, tatsächlich ein erhöhtes Leistungsangebot als Äquivalent erbracht werden. Heute ist es umgekehrt. Diese 3 Pfennig dienen nur dazu, die Löcher auszufüllen, die durch Ihre Politik entstanden sind, meine Damen und Herren. Das ist der fundamentale Unterschied zu damals. Für diese Entwicklung und die sich daraus ergebenden Folgen müssen Sie in den Koalitionsparteien die Verantwortung übernehmen.
Herr Kollege Strauß hat vor kurzem in diesem Flohen Haus folgendes gesagt: Wir betrachten Steuererhöhungen durchaus nicht als ein völliges Tabu, wenn damit eine Erhöhung des öffentlichen Leistungsangebots bewirkt wird. Zu diesem Wort stehen wir. Was Sie aber heute von uns verlangen, hat mit einer Steigerung des öffentlichen Leistungsangebots nichts zu tun. Daher werden wir diese Steuererhöhung ablehnen.
Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der Abgeordnete Lemmrich.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zu einigen Punkten noch Stellung nehmen, die Herr Kollege Apel hier aus der Ausschußberatung vorgetragen hat und bei denen etwas falsche Eindrücke entstanden sind. Er sagte, es sei ein einheitliches Konzept der Regierung da. Diese Regierungsvorlage
ist so grundlegend verändert worden, daß ich mich fragen muß, warum diese Koalition sich nicht vorher einig war, es so zu fixieren, wie es heute dem Bundestag vorliegt. Augenscheinlich weiß die Koalition auch nicht genau, was ihre Regierung macht, oder sie hat beträchtliche Koordinationsschwierigkeiten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Apel?
Herr Apel, bitte sehr!
Herr Kollege Lemmrich, können Sie sich vorstellen, daß Sozialdemokraten und Freie Demokraten als Parlamentarier ein erheblich größeres Selbstbewußtsein gegenüber ihrer eigenen Regierung haben, als das früher bei Ihnen der Fall war?
Herr Kollege Apel, ich verstehe, daß Sie Ihre schwache Stellung in dieser Sache irgendwie zu verschleiern versuchen. Jedenfalls haben Sie noch in der ersten Lesung wie auch Herr Ollesch bei dem Podiumsgespräch in Stuttgart gesagt, etwas anderes als diese Verwaltungsvereinbarung mit den Ländern komme nicht in Frage, weil Sie einige Hintergedanken hatten, wie Sie damit operieren wollten. Das ging dann nicht, weil
der Bundesrat nein sagt: Sie übernahmen dann seine Vorschlüge.
Gestatten Sie ein Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ollesch?
Herr Kollege Lemmrich, ich muß Sie jetzt fragen: Können Sie dort oben behaupten, Sie hätten ein besseres Gedächtnis als ich? Denn ich weiß ganz genau, was ich in Stuttgart gesagt habe. Ich habe gesagt, es spielt gar keine Rolle, ob es über eine Verwaltungsvereinbarung oder über das Gesetz geht, wichtig ist, daß die Gemeinden ihr Geld erhalten; wenn allerdings einer Verwaltungsvereinbarung verfassungsrechtliche Gründe entgegenstehen, dann würde ich dafür sein, daß es über das Gesetz geht.
Herr Kollege Ollesch, Sie haben an dem Tisch, wo wir drei nebeneinander saßen, eindeutig gesagt, diese Regelung muß so bleiben, weil Sie natürlich genau wußten, was Sie alles damit noch machen wollen.
— Herr Kollege Ollesch, so haben Sie sich dort doch mir gegenüber geäußert. So waren die Sachverhalte.
Wir haben im Verkehrsausschuß eine Übereinstimmung über die Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzgesetzes erreichen können — das ist erfreulich —, weil auch wir uns eingehende Gedanken darüber gemacht haben und weil das Gemeindeverkehrsfinanzgesetz von allen Fraktionen dieses Hauses verabschiedet worden war. Dabei ist es ein erfreulicher Aspekt das muß ich sagen —, daß bei dem Gemeindeverkehrsfinanzgesetz die Regierungskoalition unsere Argumente doch teilweise gewürdigt hat und wir zu einer Übereinstimmung kommen konnten. Was hier in das Gesetz aufgenommen wurde, stimmt weitgehend mit den Vorschlägen des Bundesrates überein.
Der zweite Punkt, zu dem ich etwas sagen möchte: Man behauptet, es würden mehr Leistungen erbracht. Davon ist hier schon sehr deutlich gesprochen worden. Wir müssen feststellen, daß z. B. bei der City-Linie in Frankfurt die Preissteigerungen allein 155 Millionen ausmachen. Ähnliche Steigerungen können Sie bei allen großen U-Bahn- und S-Bahn-Projekten feststellen: Es trifft einfach nicht zu, was Herr Dr. Apel sagt, es würde dem Bürger mehr geboten. Vielmehr geht es nur darum, daß dem Bürger nicht noch viel weniger geboten wird, weil durch die Kostensteigerungen, die diese Regierung zu vertreten hat, diese Löcher gerissen worden sind.
Der dritte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die Kraftfahrzeugsteuer. Es wird argumentiert, mit ihrer Erhöhung werde die Deutsche Bundesbahn abgesichert. Das ist augenscheinlich ein sachlicher Irrtum. Infolge der Erhöhung der Kraftfahrzeugsteuer wird der deutsche Güterfernverkehr von der Konkurrenz noch stärker aus dem grenzüberschrei-
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Lemmrich
tenden Verkehr herausgeworfen werden. Er wird also mit seinen Kapazitäten auf dem Binnenmarkt erscheinen und wird hier bei abnehmender Konjuktur im erhöhten Maße mit der Bundesbahn konkurrieren. Der Preiskampf, den die Bahn nicht brauchen kann, wird damit erzwungen. Die Finanzlage der Bahn und ihre Möglichkeiten, ihre Tarifvorstellungen durchzusetzen, werden dadurch weiter herabgemindert werden. Die Begründung ist also meines Erachtens nicht richtig.
Auch ein zweiter Gesichtspunkt ist noch zu erwähnen. Eine Fixkostensteigerung muß ein Unternehmen unter allen Umständen abdecken. Denn auch Sie wollen nicht, daß die Fuhrunternehmer umgebracht werden. Unter diesem Aspekt erscheint mir diese Maßnahme in Anbetracht der Doppelbesteuerungsabkommen im grenzüberschreitenden Verkehr und der Aspekte der Fixkosten kein geeignetes Instrument zur Abschirmung der Bundesbahn zu sein. Das Gegenteil wird die Folge sein.
Herr Dr. Apel hat gesagt: Wir werden ein Konzept für den Güternahverkehr bekommen. Nun gut, wir wissen ja, wie die Probleme sind, wie groß die Fluktation im Nahverkehrsgewerbe ist. Aber eine Folge wird kommen: die Preissteigerungen im Bausektor werden noch stärker werden, weil die Verkehrsleistungen einen beachtlichen Anteil der Kosten der Baupreise ausmachen. Das wird also eine weitere Preissteigerung gerade in diesem schon von den Preissteigerungen stark betroffenen Sektor mit sich bringen. Der öffentliche Auftraggeber wird das, was er an Steuern einnimmt, sicherlich selbst mitbezahlen.
Unter diesen Aspekten muß man sagen, daß gerade auch der Vorschlag bezüglich der Kraftfahrzeugsteuer erkennen läßt, daß dieser Gesetzentwurf mit heißer Nadel genäht worden ist und daß nicht alle Auswirkungen bis ins letzte durchdacht worden sind, wie das bei diesem Gesetz generell der Fall ist. Wir werden in der nächsten Woche Ähnliches behandeln und erleben. Auch dort ist die Vorlage der Bundesregierung einfach schludrig und unzureichend. Das führt dann zu immensen zusätzlichen Arbeiten im Parlament.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Hermsdorf.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz der Reden, die hier von der Opposition gehalten worden sind, stehe ich nicht an, mich bei allen drei Fraktionen des Hauses dafür zu bedanken, daß sie es möglich gemacht haben, heute diese Gesetze zu verabschieden. Ich möchte mich bei der Opposition ausdrücklich dafür bedanken, daß sie von den geschäftsordnungsmäßigen Möglichkeiten, die sie gehabt hätte, hier nicht Gebrauch gemacht hat.
Ich will mich hier nicht zum verkehrspolitischen Teil dieses Gesetzes äußern, sondern nur ganz ernsthaft insbesondere gegenüber den Finanzsprechern der Opposition folgende Bemerkung machen. Niemand, der die Situation sowohl in den Gemeinden als auch bei den Ländern sowie die auch beim Bund auf Grund einer Reihe von Faktoren, die völlig außerhalb des Einflußbereichs der Regierung liegen, eingetretene Entwicklung sieht, kann an der Tatsache vorbeigehen, daß den Ländern, den Gemeinden und auch dem Bund nur genutzt ist, wenn wir im Rahmen des Möglichen den Versuch machen, die Steuern zu erhöhen. Dies haben wir getan. Ich nehme jetzt beides, sowohl dieses Gesetz als auch das Branntweinmonopol- und Tabaksteuergesetz usw. Wir können darüber streiten, ob das zuwenig ist, ob das zuviel ist. Aber niemand in diesem Hause kann bezweifeln, daß wir die in unserem Lande vorhandenen Bedürfnisse mit der bisherigen Finanzmasse nicht befriedigen können. In diesem Sinne hat die Regierung die Gesetzentwürfe vorgelegt.
Die Regierung und auch die Koalitionsparteien haben hier dargelegt, weshalb sie für diese Gesetze sind. Sie haben Ihren Standpunkt dargelegt. Ich habe aber nicht die Alternative der Opposition gehört, wie Sie sonst Ländern und Gemeinden helfen wollen, wenn Sie gegen die Erhöhung um 3 Pf und gegen die Erhöhung der Branntwein- und Tabaksteuer sind. Hier ist der Bruch. Im übrigen aber bedanke ich mich für die Hilfe, die wir von diesem Hause bekommen haben, um die Gesetze heute verabschieden zu können.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir kommen damit zur Abstimmung in dritter Lesung.
Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Gesetzentwurf ist angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag unter Punkt 2 des Schriftlichen Berichts, den Gesetzentwurf Drucksache VI/1764 für erledigt zu erklären. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Wir stimmen ab über den Antrag unter Punkt 3 des Berichts, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Es liegt uns jetzt noch der Entschließungsantrag auf Umdruck 246 *) vor. Wird das Wort zur Begründung oder zur Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Namens der SPD- und der FDP-Fraktion ist Überweisung an den Finanzausschuß bean-
*) Siehe Anlage 3
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Vizepräsident Frau Funcke
tragt. Wer dieser Überweisung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. --- Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe dann Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Branntweinmonopol
— Drucksachen VI/2768, zu VI/2768, Nachtrag zu VI/2768 —
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache VI/2881 —
Berichterstatter: Abgeordneter Vogt
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag vor, der noch nicht ausgedruckt ist, aber mündlich vorgetragen wird. Ich darf den Änderungsantrag vorlesen:
In Art. 1 erhält Nr. 2 folgende Fassung:
Hinter Nr. 2 wird folgende Nr. 2 a eingefügt: „Für unvergällten Branntwein zur Herstellung von Heilmitteln zum inneren Gebrauch 1200 DM."
Bitte schön, Herr Abgeordneter Schmid-Burgk!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist Gesetzeschinesisch und in sich nicht verständlich. Ich darf den Antrag deshalb mündlich begründen und zunächst sagen, um was es geht. Ich bitte um Nachsicht, daß der Änderungsantrag Ihnen durch ein technisches Versehen nicht rechtzeitig schriftlich vorgelegt werden konnte.
Wir haben im Finanzausschuß gemeinsam die Alkoholsteuererhöhung, die im Regierungsentwurf für Heilmittel zum inneren Gebrauch vorgesehen war, redressiert. Wir hatten das allerdings im Finanzausschuß nur dadurch erreichen können, daß wir ein Junktim dahin gehend geschaffen haben — das wurde von den Vertretern der Regierungsparteien gewünscht , daß gleichzeitig auch der sogenannte Apothekerschnaps, also der unvergällte Branntwein, der Apothekern, Krankenhäusern und Ärzten für ärztliche, chirurgische oder pharmazeutische Zwecke zugeteilt wird, von jetzt 850 DM auf 1200 DM erhöht wird.
Wir möchten mit unserem vorgelegten Antrag erreichen, daß diese Erhöhung wieder redressiert wird. Allerdings, das will ich gerne einräumen, hat es einiges für sich, daß der Branntwein für medizinische Zwecke den gleichen Steuersatz hat, daß man hier also keinen Unterschied zwischen den Apotheken und der Industrie macht. Auf der anderen Seite sehen wir bei näherer Betrachtung keine Veranlassung, daß der Satz jetzt — er würde ja um 40 O/o erhöht werden — ohne Not erhöht wird.
Wir sehen insbesondere auch die Folge, daß damit die ganze Arzneimitteltaxe mit Hunderten von Positionen geändert werden müßte. Die Azneimitteltaxe ist seit längerer Zeit — ich glaube, seit 1965 — nicht geändert worden. Aber wenn eine so wesentliche Änderung der Kosten eintritt — und es wäre eine sehr wesentliche Änderung, wenn die Kosten für den Grundstoff Alkohol in dieser Weise erhöht werden —, kann nicht ausbleiben, daß von den Apotheken eine Änderung der Arzneimitteltaxe gefordert wird. Wenn man die Arzneimitteltaxe kostengerecht gestalten will — und das will man ja —, müßte sie auch geändert werden. Das hätte zur Folge, daß sich bei den Arzneimitteln eine Fülle von Preiserhöhungen ergäbe, z. B. bei Baldriantinktur, Franzbranntwein und all den Dingen.
Da fiskalische Erwägungen in diesem Zusammenhang ohnehin keine Rolle spielen, weil es sich um ganz geringfügige Mengen handelt, sind wir der Meinung, daß der bisherige Satz erhalten bleiben sollte, um die eben erwähnten Folgen zu vermeiden. Ich bitte daher um die Annahme des Änderungsantrages.
Das Wort hat der Abgeordnete Offergeld.
Mein Damen und Herren, sind Sie einverstanden, daß Herr Offergeld den zweiten Änderungsantrag auf Umdruck 247 t) gleich mit begründet, obwohl wir den Punkt erst hinterher aufrufen? Im Sinne der Zeitökonomie erscheint mir das sinnvoll. — Sie sind einverstanden.
Bitte schön, Herr Offergeld.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Namens der Koalitionsfraktionen habe ich zu erklären, daß wir den Änderungsantrag, der von Herrn Schmid-Burgk begründet wurde, ablehnen müssen.
Der Änderungsantrag wendet sich gegen die Gesetzesformulierung, die wir im Finanzausschuß einstimmig angenommen haben. Das muß zunächst gesagt werden. Dieser Gesetzesformulierung hat auch die CDU/CSU zugestimmt. Es geht um die Sondersteuer für den sogenannnten Apothekeralkohol.
— Das ist nicht richtig. Herr Vorsitzender, Sie müßten eigentlich wissen, daß wir — von meiner Person abgesehen — im Ausschuß zugestimmt haben.
Die Sondersteuer für den Apothekeralkohol stammt noch aus einem Kontrollratsgesetz aus der Zeit kurz nach dem Kriege. Damals wurde dieser Steuersatz von 850 DM pro Hektoliter eingeführt. Er hat sich bis zum heutigen Tage erhalten. Wir sehen jetzt für den Alkohol für die Heilmittelherstellung einen Steuersatz von 1200 DM vor. Im Ausschuß waren wir übereinstimmend der Auffassung, daß auch der Apothekeralkohol nach diesem
*) Siehe Anlage 4
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Offergeld
Satz zu besteuern sei, weil der Verwendungszweck des Alkohols in den Heilmittelfabriken und in den Apotheken derselbe ist.
Man muß im Zusammenhang mit diesem Antrag auch sagen, daß von den etwa 11 000 Apotheken im Lande nur gut die Hälfte von diesem Privileg, diesem vergünstigten Steuersatz Gebrauch macht. Die steuerliche Mehrbelastung auf Grund der Anhebung dieses Satzes, die wir jetzt vorgesehen haben, würde pro Apotheke im Jahr nur 200 bis 300 DM ausmachen. Es ist also eine ganz geringfügige Mehrbelastung. Wie gesagt, der gleiche Verwendungszweck dieses Alkohols in Apotheken und Heilmittelfabriken berechtigt uns meines Erachtens, hier auch den gleichen Steuersatz zu verlangen.
Es würde einen riesigen Verwaltungsaufwand erfordern, wenn wir den Alkohol, der dem gleichen Verwendungszweck dient, mit zwei verschiedenen Steuersätzen belegten. Ich kann mir kaum vorstellen, daß man das, wenn man die Belastung der Finanzverwaltung kennt, ernsthaft verlangen kann. Ich habe den Verdacht, daß es der CDU/CSU hier wieder einmal darum geht, sich bei irgendeiner Gruppe beliebt zu machen, ohne daß sie selbst an die Berechtigung dieses Antrages glaubt. So viel zu dem Antrag, der zu Art. 1 gestellt wurde.
Ich möchte gleich auch noch kurz den Änderungsantrag zu Art. 2 auf Umdruck 247 begründen. Ich will vorausschicken, daß dieser Änderungsantrag auch von Kollegen der CDU/CSU unterstützt wird. Herr von Bockelberg und Herr Dr. Wagner unterstützen diesen Antrag. Es war allein aus technischen Gründen nicht möglich, ihre Namen hier auf dem Umdruck noch aufzunehmen.
Zu diesem Antrag ist folgendes zu sagen. Wir sehen in dem Gesetzentwurf zur Verhinderung von Hortungskäufen grundsätzlich eine Nachversteuerung vor. Aller Alkohol — bis auf eine bestimmte Freimenge —, der am Jahresende da ist, muß nachversteuert werden, um eine Anhebung auf den ererhöhten Steuersatz zu erreichen. Von dieser Nachsteuer haben wir nach der jetzigen Gesetzesformulierung Kleinflaschen bis 0,1 Liter Inhalt ausgenommen.
Wir haben festgestellt, daß diese Regelung mißbraucht worden ist und daß auf Lager in großer Menge Flaschen mit einem Inhalt von unter 0,1 Liter abgefüllt werden. Das wird zu Steuervorteilen von vielen Millionen DM führen. Diese Steuervorteile werden von wenigen großen Fabriken in Anspruch genommen; nur diese können die Vergünstigungen so ausnutzen. Wir halten das für einen Mißbrauch dieser Vorschrift. Die Vorschrift war als eine Vereinfachung für Industrie und Handel gedacht. Sie wirkt sich durch diesen Mißbrauch jetzt aber im Sinne der Wettbewerbsverzerrung aus. Deshalb wollen wir die Kleinflaschen, soweit sie Trinkbranntwein enthalten, aus der Ausnahmeregelung für die Nachversteuerung herausnehmen.
Wir kommen zunächst zu Art. 1 zurück. Liegen noch Wortmeldungen
zu dem Änderungsantrag von Herrn Abgeordneten Schmid-Burgk vor? — Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung über diesen Antrag, der Ihnen schriftlich nicht vorliegt. Ich habe Ihnen den Antrag eben verlesen. Es geht darum, bei dem in der Vorlage vorgesehenen Steuersatz von 1 200 DM für Alkohol, der für die Heilmittelherstellung verwendet wird, eine Differenzierung vorzunehmen. Die Herstellerfirmen von Heilmitteln sollen nach diesem Antrag einen Steuersatz von 1 200 DM, Krankenhäuser und Apotheken dagegen nur einen Steuersatz von 850 DM zu zahlen haben. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das zweite ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen dann zur Abstimmung über Art. 1 in der vorliegenden Fassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Art. 2 auf. Wird das Wort zu dem von Herrn Kollegen Offergeld im zweiten Teil seiner Ausführungen begründeten Antrag gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer diesem Antrag Umdruck 247 der Abgeordneten Frau Funcke, Offergeld und Porzner sowie von Kollegen der CDU/CSU zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Wir stimmen nun über Art. 2 in der durch diesen Änderungsantrag geänderten Fassung ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit einigen Gegenstimmen bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe die Artikel 3, 4 und 5 sowie Einleitung und Überschrift auf. — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Wir treten in die
dritte Lesung
ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. SchmidBurgk.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir lehnen die Erhöhung der Branntweinsteuer aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Die Gründe haben wir hier in der Haushaltsdebatte, bei der ersten Lesung dieses Gesetzes und auch heute wieder dargelegt. Ich kann mich deshalb kurz fassen.
Auch mit dieser Steuererhöhung will die Bundesregierung einen Teil dessen hereinholen, was die öffentliche Hand an Finanzierungsmöglichkeiten durch die inflationäre Entwicklung verloren hat. Sie will also, wie wir das ausdrücken, Inflationslöcher stopfen. Laut Oktober-Bericht der Deutschen Bundesbank beträgt die Verteuerung für den öffentlichen Verbrauch und die öffentlichen Investitionen im ersten Halbjahr 1971 gegenüber dem Vorjahr nicht weniger als 9 bis 10 %. Das wären bei dem
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Dr. Schmid-Burgk
staatlichen Ausgabenvolumen dieser Zeit etwa 11 Milliarden DM Inflationsverlust.
Natürlich hat die öffentliche Hand auf der anderen Seite auch inflationär bedingte Steuermehreinnahmen. Das gilt besonders bei der Lohnsteuer. Der Steuerzahler hat infolge der Progression für dasselbe Realeinkommen höhere Steuern zu zahlen. Das ist die sehr schmerzliche sogenannte heimliche Steuererhöhung. Aber diese Mehreinnahmen decken nicht annähernd den Inflationsverlust auf der Ausgabenseite. So wird klar, daß letztlich der Bürger mit der Steuererhöhung die Inflationslücken beim Staat finanzieren soll, der Bürger, dem der Geldwertschwund ohnehin schwer zu schaffen macht.
Inwieweit nun diese Löcher beim Bund, bei den Ländern oder bei den Gemeinden entstanden sind, ist in diesem Zusammenhang ganz unerheblich. Was soll, so frage ich mich, da der Hinweis der Bundesregierung — dieser Hinweis ist hier wiederholt gemacht worden —, daß das Geld auf Grund der Steuererhöhungen letztlich nicht dem Bund, sondern den Ländern und Gemeinden zugute kommt? Will etwa die Bundesregierung damit ihre Verantwortung dafür leugnen, daß auch bei den Ländern und Gemeinden solche Inflationslücken entstanden sind? Die Verantwortung für die Wirtschaftspolitik hat sie und nicht die Gemeinden und die Länder.
Natürlich können durch die Steuererhöhungen mehr staatliche Leistungen finanziert werden — Sie weisen immer wieder darauf hin —; das ist eine von uns keineswegs bestrittene Binsenwahrheit. Aber die Frage ist doch, wie sich das langfristig auswirkt, ob damit nicht zugleich der notwendige Heilungsprozeß, die Rückkehr zur Stabilität, verzögert und vor sich hergeschoben wird. Diese Steuererhöhungen schaffen eben nur vorübergehend Luft und packen das Übel nicht an der Wurzel. Nur einen Gesichtspunkt will ich anführen: Eine Erhöhung von Verbrauchsteuern löst Preiserhöhungen aus, die das Volumen der Steuererhöhung selbst übersteigen. Damit wird ein Spatenstich zu neuen Löchern getan.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion sagt ja nicht generell nein zu Steuererhöhungen. Die Voraussetzungen hierfür haben wir Ihnen hier mehrfach genannt; sie liegen nicht vor. Voraussetzung ist u. a. ein mit Ländern und Gemeinden abgestimmtes Gesamtkonzept über Rangordnung und Zeitfolge zur Erfüllung öffentlicher Ausgaben, das nicht vorliegt. Indem Sie die Steuern dort erhöhen, wo es relativ einfach erscheint — bei den Verbrauchsteuern erscheint das relativ einfach —, schmälern Sie — auch darauf muß ich hinweisen — auch die Basis für die Steuerreform; denn eine wirkliche Steuerreform benötigt eine gewisse Verfügungsmasse, die sich bei den speziellen Verbrauchsteuern anbietet.
Aber auch unabhängig davon: wir würden mit einem Ja zu diesen Steuererkhöhungen die Verantwortung für Ihre bisherige falsche Wirtschaftspolitik und deren Fortsetzung übernehmen, und das werden Sie von uns nicht erwarten. Diese allgemeinen Erwägungen gelten natürlich auch für die
Branntweinsteuererhöhung. Was den Preiseffekt anlangt, möchte ich auf folgendes hinweisen. Es ist einfach irreführend, wenn seitens der Regierung etwa gesagt wird: Die Flasche Schnaps würde sich um 80 Pfennig, nämlich um das Mehr an Alkoholsteuer verteuern. Mit dem erhöhten Alkoholpreis steigen automatisch Provisionen, Handelsspannen, Mehrwertsteuer und andere Kalkulationsfaktoren. Die Verbraucherpreise werden sich also — das werden Sie sehr bald sehen um 1,20 DM bis 2,00 DM erhöhen; in den unteren Preislagen übrigens relativ stärker als bei dem gehobenen Bedarf.
Wegen dieser notwendigen Verteuerung sind Umsatzeinbußen nicht auszuschließen, die übrigens auch das erhoffte Mehraufkommen stark reduzieren könnten. Die Erfahrungen mit der letzten Branntweinsteuererhöhung im Jahre 1966, nach der zwei Jahre lang ein Mehraufkommen ausblieb, stimmen da nachdenklich. Mit weiter steigender Branntweinsteuer kann es insbesondere auch zur Substitution durch andere alkoholische Getränke kommen, deren Alkoholgehalt wie beim Wein überhaupt nicht oder wie beim Bier ungleich geringer besteuert wird. Auch insoweit gibt es eben Grenzen der Alkoholbesteuerung.
Ich möchte Sie auch darauf hinweisen: Leidtragende einer schlechten Entwicklung der Spirituosenwirtschaft werden vor allem die kleinen und mittleren Hersteller sein. Der Zug zur Konzentration ist vorhanden und wird durch eine solche Erhöhung verstärkt. Mit der Branntweinsteuererhöhung müssen diese kleinen und mittleren Betriebe zur Herstellung desselben Volumens mehr finanzieren bzw. mehr Sicherheiten für Zahlungsaufschub leisten, und das kann bei ihnen problematisch werden. Im übrigen können sie praktisch auch nicht wie die großen die Entstehung der Steuerschuld durch Herstellung im Eigenlager herausschieben.
Bei dem Zeitdruck, unter dem die Beratung auch dieses Gesetzes stand, konnten diese Fragen nicht ausgelotet werden. Damit komme ich auf etwas, das ich besonders nachhaltig ansprechen will, nämlich den Zeitdruck, der für das Parlament und auch für die Wirtschaft durch die verspätete Vorlage oder -
je nach dem, wie man es sieht — durch die zu kurzfristige Inkraftsetzung entsteht.
Er wird von uns ganz besonders bedauert. Auch hier mußten wir beraten, bevor die Stellungnahme des Bundesrates vorlag.
Wir müssen den Steuerpflichtigen — das ist doch ein Gebot der Fairneß — ausreichende Zeit geben, sich auf neue Gesetze und Belastungen vorzubereiten. Die Unternehmen müssen neu kalkulieren, sie müssen Ordersätze und Preislisten drucken, Fakturierungsanlagen umstellen usw. Endgültiges wissen sie erst mit der Verkündung des Gesetzes, also bestenfalls zum Weihnachtsfest und damit wenige Tage vor dem Inkraftsetzungstermin. Das ist natürlich für die unternehmerische Disposition eine viel zu kurze Zeitspanne. So mußte die Wirtschaft not-
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Dr. Schmid-Burgk
gedrungen das Risiko von Änderungen im Gesetzgebungsverfahren laufen, was ihr eigentlich nicht zuzumuten ist. Selbst dann aber war die Zeit bis zum 1. Januar zu kurz, zumal sie in den Hochbetrieb des Weihnachtgeschäfts fällt.
Wir hatten deshalb im Finanzausschuß beantragt, den Termin des Inkraftsetzens der Steuererhöhung um einige Wochen hinauszuschieben; leider vergeblich. Auch Frau Funcke, die noch am Vormittag im Plenum die Richtigkeit des vorgesehenen Inkraftsetzungstermins in Frage zu stellen schien und dafür auch Presseecho erhielt, versagte sich wenige Stunden später im Finanzausschuß unserem Antrag.
Heute können wir einen solchen Antrag nicht wiederholen, weil sich die Wirtschaft inzwischen irgendwie geholfen hat und die Vorbereitungen so weit gediehen sind, daß eine nochmalige Änderung mehr Verwirrung stiften als Erleichterung bringen würde.
— Nein, es geht sehr, sehr schwer, Herr Offergeld. Ich weiß nicht, welche Gespräche Sie geführt haben, ob Sie sich darüber klar sind, wie in Tag- und Nachtarbeit die Firmen —
— Auf diese kleinen Flaschen komme ich gleich. Das ist eher ein Argument für unser Monitum, daß die Frist zu kurz ist. Es mußten allgemein auf Grund eines Finanzausschußbeschlusses die Dispositionen getroffen werden, weil die Verkündung um Weihnachten zu spät ist.
Übrigens hat der Fabrikant nichts davon. Den Umsatz, den er jetzt hat, wird er später verlieren.
Aber wir haben Ihrem Antrag ja zugestimmt. Nur sehen wir, daß hier unnötige Schwierigkeiten entstehen, die vermieden worden wären, wenn das Gesetz nicht so kurzfristig in Kraft getreten wäre. Wir bedauern also sehr, daß hier den Steuerpflichtigen durch die extrem kurze Vorbereitungszeit mehr zugemutet wird, als vermeidbar war.
Auch die Verwaltung stand bei der Ausarbeitung des Entwurfs unter einem sehr starken Zeitdruck. Das wurde bei der Beratung verschiedener Änderungen, die wir vorgesehen hatten, im Finanzausschuß sichtbar und garantiert nicht eine nach allen Seiten hin ausgewogene Vorlage. Auch die Änderung, die wir heute wieder rückgängig gemacht haben, wäre sicherlich vermeidbar gewesen, wenn das alles nicht unter diesem Zeitdruck hätte erfolgen müssen.
Das ist — damit komme ich zum Schluß — zugleich symptomatisch für die Arbeit der Regierung und des überbelasteten Herrn Doppelministers.
Wir werden dem Gesetz unsere Zustimmung versagen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Offergeld.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion stimmt dem vorliegenden Gesetzentwurf, wenn auch nicht ganz leichten Herzens, zu. Mit der Erhöhung des Steuersatzes von 1 200 auf 1 500 DM für 1 hl Branntwein tragen wir dazu bei, künftig den steigenden Finanzbedarf der öffentlichen Hände zu decken. Diese Steuererhöhung wird uns im kommenden Jahr rund 500 Millionen DM Mehraufkommen bringen, im Jahr darauf, 1973, bereits rund 600 Millionen DM.
Der Steuersatz von 1 500 DM liegt, so meine ich, durchaus in den Grenzen dessen, was vertretbar ist. Herr Dr. Schmid-Burgk, da bin ich anderer Auffassung als Sie. Daß der Satz vertretbar ist, findet man bestätigt, wenn man ihn etwa mit den Steuersätzen in der EWG vergleicht. In Italien und Frankreich gibt es niedrigere Steuersätze, in den Niederlanden und Belgien höhere Steuersätze. Wir liegen also mit dem erhöhten Steuersatz etwa im Rahmen dessen, was bei der Harmonisierung in der EWG zu erwarten ist.
Auch die finanziellen Auswirkungen dieser Steuererhöhung haben Sie hier stark überzeichnet. Die Auswirkung beträgt z. B. bei einer 1/1-Flasche Eierlikör, also für 0,7 1, 40 Pf, bei einer Flasche Korn etwa 67 Pf, bei einer Flasche Doppelkorn etwa 80 Pf. Dazu kommen noch Umsatzsteuermehrbelastungen. Aber daß es zu einer Mehrbelastung von mindestens a 1,20 bis zu 2 DM pro Flasche kommen müsse, ist einfach nicht richtig, Herr Dr. Schmid-Burgk.
Wir stimmen auch der in der jetzigen Fassung des Gesetzentwurfs vorgesehenen Ermäßigung des Steuersatzes für Heilmittel zu, und zwar unter sozial- und gesundheitspolitischen Aspekten, obwohl wir dagegen wegen der entstehenden Verwaltungsmehrarbeit einige Bedenken hatten.
Daß die CDU/CSU diesen Gesetzentwurf ablehnen würde, war schon vorher lautstark angekündigt worden. Weiterhin bleibt es das Problem der Opposition, wie sie erklären will, daß die Ministerpräsidenten — etwa Filbinger, Stoltenberg und jetzt sogar Goppel — draußen dauernd eine Erhöhung der Steuerlastquote, des finanziellen Aufkommens verlangen, während Sie sich hier einer Maßnahme versagen, die nur dazu dienen soll, die jetzige Höhe der Steuerlastquote zu sichern. Selbst unter Berücksichtigung der heute beschlossenen Steuererhöhungen werden wir im kommenden Jahr eine um rund 1 % niedrigere Steuerlastquote haben als etwa im Jahre 1969.
Die CDU/CSU kann ja angesichts der öffentlichen Meinung nicht mehr bestreiten, daß wir bessere Schulen und mehr Krankenhäuser brauchen, daß wir etwas für die Verbesserung der Verkehrssituation, insbesondere in den Ballungsgebieten, tun müssen und daß auch energische Schritte für den Umweltschutz erforderlich sind. Wenn das auch die Meinung
9082 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1971
Offergeld
der Opposition ist, dann muß man wiederum fragen: Wie soll das finanziert werden? Auch hier wurde ja gesagt: Steuererhöhungen sind für uns nicht tabu. Wie ist es dann zu erklären, daß konkrete Schritte von der Opposition immer wieder abgelehnt werden?
Die Opposition ist auch heute in der gesamten Diskussion eine Auskunft über ihren steuerpolitischen Kurs schuldig geblieben. Es ist nicht klar, was nach Ansicht der Opposition in der Steuerreform geschehen soll. Es ist nicht klar, wie der künftige, sicherlich wachsende Finanzbedarf der öffentlichen Haushalte nach den Vorstellungen der Opposition gedeckt werden soll. Die Opposition verlangt einerseits überall und an jeder Stelle mehr Leistungen des Staates, ist aber auf der anderen Seite nicht bereit, dem Staat die finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, die er zur Erfüllung dieser Aufgaben benötigt.
Auch uns ist dieser Schritt nicht leichtgefallen, denn eine Steuererhöhung ist sicher nichts Populäres. Wir sehen allerdings die Notwendigkeit dieser Steuererhöhung und stimmen daher dem Gesetzentwurf zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Peters .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU lehnt die Erhöhung der Branntweinsteuer ab, wie sie auch angekündigt hat, daß sie die Tabaksteuererhöhung ablehnen wird, und wie sie die Kraftfahrzeugsteuererhöhung ablehnt. Trotzdem haben Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, in den letzten zwei Jahren ausgabenwirksame Erhöhungsanträge mit einem Volumen von über 2 Milliarden DM und darüber hinaus noch Anträge gestellt, die Mindereinnahmen bei den Steuern zur Folge gehabt hätten; trotzdem unterstützen Sie die Forderung der Bundesländer, ihren Anteil an der Mehrwertsteuer von 30 auf 40 % zu erhöhen. Sie haben aber hier keine Auskunft gegeben, wie Sie dem Bund die entsprechenden Mehrmittel beschaffen wollen.
Die Steuerlastquote — auch das ist hier schon gesagt worden — wird durch diese drei Steuererhöhungen nicht angehoben. Sie wird vielmehr im nächsten Jahr sinken, vor allen Dingen weil die Investitionssteuer, die bereits jährlich gesenkt wurde, im nächsten Jahre weiter sinken wird.
Die Anhebung der Branntwein- und auch der Tabaksteuer erfolgt, um zusätzliche Mittel für die Bedürfnisse der Länder zu beschaffen. Das Datum des Inkrafttretens dieser Regelung wird der 1. Januar 1972 bleiben müssen, damit keine Mindereinnahmen entstehen; außerdem ist es auch wegen der Erhebungen bei den Firmen in der Wirtschaft am einfachsten, wenn dies im Zuge der Inventur durchgeführt wird.
Die FDP-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf zu.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung in dritter Beratung. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke! Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Keine Enthaltungen. Gegen die Stimmen der Opposition ist das Gesetz in der dritten Beratung angenommen worden.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kapitalverkehrsteuergesetzes und anderer Gesetze
— Drucksachen VI/2769, zu VI/2769, Nachtrag zu VI/2769 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache VI/2927 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Tamblé
b) Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
— Drucksachen VI/2923, zu VI/2923 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Becker
Der Berichterstatter des Finanzausschusses, der Herr Abgeordnete Dr. Becker , hat zu einer Ergänzung seines Schriftlichen Berichtes ums Wort gebeten. Bitte, Herr Kollege!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der dem Hohen Hause vorliegende Entwurf des Kapitalverkehrsteuergesetzes in der Fassung des Finanzausschusses vom 8. Dezember 1971 — Drucksache VI/2923 — dient der Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 17. Juli 1969. Die Mitgliedstaaten müssen dieser Richtlinie bis zum 1. Januar 1972 nachkommen. Nach einem Bericht des Vertreters des Finanzministeriums im Finanzausschuß sind die anderen EWG-Staaten der Richtlinie bisher nicht nachgekommen.
Der Finanzausschuß hat den Gesetzentwurf der Bundesregierung in drei Sitzungen beraten. Er ist dem Vorschlag, den Steuersatz von 21/2 auf 1 %zu reduzieren, gefolgt. Er hat den Steuerausfall, der im Jahre 1974 immerhin 205 Millionen DM betragen wird, im Interesse der Erleichterung des Kapitalverkehrs in den Staaten der Gemeinschaft in Kauf genommen.
Der Haushaltsausschuß erklärte am 9. Dezember, daß der Gesetzentwurf mit der Haushaltslage zu vereinbaren sei. Dem Vorschlag des mitberatenden Wirtschaftsausschusses, die Steuer schon am 1. Januar 1972 auf 1 % zu senken, wurde aus Haushaltsgründen nicht entsprochen.
Der Finanzausschuß schlägt einstimmig wichtige Änderungen des Regierungsentwurfs vor. Er teilt
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1971 9083
Dr. Becker
die vom Bundesrat in seiner Stellungnahme und die vom mitberatenden Ausschuß für Wirtschaft vertretene Auffassung, daß an der Besteuerung kapitalersetzender Gesellschaftsdarlehen nicht mehr festgehalten werden sollte. Der Antrag wurde von der CDU gestellt. Das Finanzministerium teilt die Bedenken des Bundesrates wegen der erheblichen verwaltungsmäßigen Schwierigkeiten.
In bezug auf die wirtschaftliche Besteuerung der Versorgungsbetriebe der Gebietskörperschaften ist der Finanzausschuß ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen, daß dem Vorschlag des Bundesrates auf einen Antrag der SPD hin gefolgt und die Vergünstigung im bisherigen Umfang beibehalten werden sollte. Die vom Wirtschaftsausschuß erwogene Einbeziehung aller Versorgungsbetriebe in die Besteuerung würde vor allem die ohnehin notleidenden Verkehrsbetriebe der öffentlichen Hand, von denen soeben gesprochen wurde, treffen. Daher konnte die Einbeziehung vom Finanzausschuß nicht befürwortet werden.
Meine Damen und Herren, in der Drucksache VI/2923 ist noch eine Berichtigung anzubringen. Das ist ein Zeichen für das vom gesamten Finanzausschuß kritisierte übereilte Verfahren. Dem neuen Abs. 3 des geänderten § 7 ist folgender Nachsatz zur gesamten Nr. 2 anzufügen:
Dies gilt bei Kapitalgesellschaften nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 entsprechend für Rechtsvorgänge im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2.
Mit diesem Gesetz würde ein Schritt auf dem Wege zur Harmonisierung der Wirtschaftsvorgänge in der Europäischen Gemeinschaft getan. Der Finanzausschuß schlägt dem Hohen Hause einstimmig vor, den Gesetzentwurf in der neuen Fassung anzunehmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort wird in der zweiten Beratung nicht gewünscht.
Ich rufe Art. 1, 2, 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung in der von dem Herrn Berichterstatter verbesserten Fassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe!
Stimmenthaltungen? Ich stelle einmütige Beschlußfassung fest.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Huber.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich möchte zur Änderung des Kapitalverkehrsteuergesetzes vier Bemerkungen machen. Die erste betrifft die Senkung des Steuersatzes und die Terminierung; die übrigen Bemerkungen betreffen die gestellten Anträge.
Meine Fraktion begrüßt es, daß die Bundesrepublik von der Möglichkeit, den Steuersatz ab 1. Januar 1972 fakultativ auf 2 oder 1 % zu senken, in
der Weise Gebrauch macht, daß der Steuersatz nunmehr von 2,5 auf 2 % gesenkt wird, und zwar aus fiskalischen Gründen. Bezüglich des Termins für die zweite Stufe, die obligatorische Senkung des Steuersatzes auf 1 %, wollen wir am Vorschlag der Regierung, dem 1. Januar 1974, festhalten, obwohl sich dieser Termin in der EWG auf Antrag Hollands inzwischen verschoben hat. Maßgebend für unsere Entscheidung waren zwei Gründe: erstens ist in drei EWG-Ländern der Steuersatz von 1 °/o bereits jetzt verwirklicht, und zweitens glauben wir, daß es auch im Interesse der von uns angestrebten Steuerreform, die zu diesem Termin wirksam werden soll, d. h. im Interesse der Harmonisierung aller dieser Steuervorgänge, liegt, wenn wir am 1. Januar 1974 festhalten.
Von den Anträgen, die gestellt worden sind, betrifft der erste die Darlehensbesteuerung. Wir sind der Auffassung, sie sollte unterbleiben, weil die anderen EWG-Länder keine Darlehensbesteuerung kennen. Das war ein wesentlicher Grund für unsere Haltung. Im übrigen ist zu sagen, daß die Darlehen nur dann in die Besteuerung einbezogen werden könnten, wenn sie gesellschaftskapitalersetzend sind. Da die Abgrenzung hier aber außerordentlich schwierig wäre, haben wir auch deshalb von einer Darlehensbesteuerung abgesehen.
Zur Besteuerung der Versorgungsbetriebe, deren Anteile in öffentlich-rechtlichem Besitz sind, ist zu sagen, daß eine Unterteilung in solche Betriebe, die in einer finanziell günstigen Position sind, und solche, die Verlustbetriebe sind, deswegen nicht gemacht werden kann, weil die meisten Gemeinden heute eine Verbundwirtschaft haben. Im Verbund ist jedoch eine Abgrenzung der Zuweisungen an nicht lukrative Bereiche von solchen an andere nicht mehr durchzuführen. Darum glaubten wir, daß wir hier die Besteuerung nicht ändern sollten.
Bezüglich des zuletzt von Herrn Dr. Becker vorgetragenen Antrages betreffend § 7 Abs. 2 ist zu bemerken, daß es sich hier um eine rein drucktechnische Verdeutlichung der Tatsache handelt, daß sämtliche Ziffern unter § 7 Abs. 2 gleichermaßen auch für die neu in das Gesetz einbezogene GmbH & Co. KG. gelten sollen. Dies war von Anfang an so gemeint und ist deshalb nicht strittig.
Wir begrüßen, daß mit diesem Gesetz wieder ein Schritt im Interesse der Harmonisierung in der EWG getan worden ist. Wir müssen dabei eine Minderung unseres Steueraufkommens hinnehmen und darüber Überlegungen anstellen. Das größere Ziel ist aber zweifellos die Harmonisierung der EWG.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratungen.
Wir kommen zur Abstimmung in dritter Lesung. Wer dem Gesetzentwurf in der vorgelegten Fassung in der dritten Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
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Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Ich rufe Punkt 15 der heutigen Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Zuckerwaren
— Drucksachen VI/2436, VI/2865 — Berichterstatter: Abgeordneter Bay
Der Herr Berichterstatter hat einen Schriftlichen Bericht mit dem Antrag des Ausschusses vorgelegt. Eine Ergänzung des Schriftlichen Berichts wird nicht gewünscht. Ich danke dem Herrn Berichterstatter für den Schriftlichen Bericht. — Das Wort zur Sache wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Ich rufe den ersten Zusatzpunkt auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes
— Drucksache VI/2730 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache VI/2921 — Berichterstatter: Abgeordneter Röhner
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache VI/2912 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Sprung
Die Herren Berichterstatter haben auf eine Ergänzung der Schriftlichen Berichte verzichtet. Ich danke den Herren Berichterstattern. Das Wort wird nicht begehrt.
Wir treten in die Abstimmung in zweiter Beratung ein. Ich rufe auf Art. 1, Art. 2, Art. 3, Einleitung und Überschrift. — Wer dem Gesetz in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltung? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Luda.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die europäische Integration erhielt vor zwei Jahren mit der Konferenz der Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft in Den Haag einen neuen Impuls. Bei den unterschiedlichen nationalen Wirtschaftsstrukturen und -konzeptionen ist die Realisierung der in Den Haag vereinbarten Wirtschafts- und Währungsunion natürlich recht schwierig. Der Beschluß des Ministerrats der Gemeinschaft vom 22. März eröffnete jedoch die Aussicht, stufenweise etwa im Sinne des Werner-Plans die Wirtschafts- und Währungspolitik der Partnerstaaten zu koordinieren. Ab 15. Juni sollten gemäß diesem Beschluß die Bandbreiten eingeengt werden. Die Realisierung dieser Vereinbarungen, welche die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stets nachdrücklich unterstützt hat, wurde schon kurze Zeit später durch eine Politik nationaler Alleingänge abrupt unterbrochen.
Die seit langem schwelende internationale Währungskrise spitzte sich im April und Mai dieses Jahres zu. Die Bundesrepublik machte auf der Hamburger Tagung der Finanzminister der Gemeinschaft Anfang Mai den Vorschlag, Bandbreiten aller Gemeinschaftswährungen gegenüber den Währungen der Drittländer zu verbreitern. Als die Partnerstaaten dieses Ansinnen ablehnten, gab die Bundesrepublik Deutschland am 9. Mai als erstes Land den Wechselkurs frei. Damit wurde eine Entwicklung eingeleitet, die dadurch gekennzeichnet ist, daß jedes der Mitgliedsländer auf seine Weise einen Ausweg aus der Krise sucht. Die währungspolitische Integration ist dadurch nicht nur zum Stillstand gekommen, sondern es greifen mehr und mehr Desintegrationserscheinungen um sich. Die jüngsten französischen Maßnahmen sind möglicherweise nur das vorläufig letzte Glied in dieser Kette.
Die Bundesregierung streitet seit langem mit unseren europäischen Partnern, vor allem mit Frankreich, über geeignete Methoden zur Abwehr unerwünschter Liquiditätszuflüsse. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat schon immer die Notwendigkeit bejaht, für außergewöhnliche Situationen administrative Abwehrmaßnahmen vorzubereiten. Inzwischen hat es sich allgemein herumgesprochen, daß frei schwankende Wechselkurse in einer Welt, wie sie nun einmal ist, keine Dauerlösung sein können und daß die Wechselkursfreigabe weitere Liquiditätszuflüsse nur um den Preis eines stark überhöhten Aufwertungseffektes abwehren konnte.
Nunmehr hat auch die Bundesregierung sich zu einem derartigen administrativen Instrument durchgerungen, aber leider sehr, sehr spät. Erst im Juli 1971 wurde ein Grundsatzbeschluß gefaßt. Dann dauerte es noch drei weitere Monate, ehe der vorliegende Gesetzentwurf beim Bundestag eingebracht wurde. Durch schnelleres Handeln hätte die Bundesregierung gegenüber den europäischen Partnern rechtzeitig ein Zeichen guten Willens setzen und so ein gemeinsames Vorgehen der Europäischen Gemeinschaft in der Währungskrise ermöglichen können.
Ausgangspunkt der Bardepotdiskussion waren bekanntlich die Zuflüsse, welche die Bundesrepublik 1970 und in den ersten Monaten 1971 zu verzeichnen hatte, deren tiefere Ursachen hier nicht
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1971 9085
Dr. Luda
erneut behandelt werden sollen, die aber bei einer sachgerechteren und im EWG-Raum abgestimmten Politik sicherlich weniger dramatisch verlaufen wäre. Die hereingeströmten Auslandsgelder haben die binnenwirtschaftliche Geld- und Kreditpolitik zweifellos beeinträchtigt. Die Bundesbank konnte zwar versuchen, die Liquidität der Kreditwirtschaft über die Mindestreserven zu kontrollieren, hatte aber keinen Einfluß auf die ausländischen Kreditquellen der Unternehmen. Das Problem lag also vorwiegend in einem Bereich, der von der Bundesbankpolitik nicht kontrolliert werden kann: in zeitweise und teilweise erheblichen Zinsdifferenzen zwischen In- und Ausland und schließlich in starken, vor allem aus dem Eurodollarmarkt stammenden kurzfristigen Liquiditätsbewegungen.
Die Bundesregierung hat für die administrative Abwehr dieser übermäßigen Geldzuflüsse aus dem Ausland eine marktwirtschaftliche Lösung versprochen. Das Bardepot soll nur Zinsdifferenzen ausgleichen, Auslandskredite aber nicht verbieten oder aufwendigen Genehmigungsverfahren unterwerfen. Die Bardepotregelung mag im Prinzip marktkonformer sein als andere denkbare administrative Maßnahmen. Aber man muß sich darüber im klaren sein, daß auch das Bardepot einen einschneidenden Eingriff in den internationalen Geld- und Kapitalverkehr darstellt.
Es wirkt zwar nicht wie ein Kontingent im Sinne mengenmäßiger Beschränkungen, aber doch immerhin wie eine Art Schutzzoll, der Auslandskredite verteuert. Deshalb: die Errichtung von Zollgrenzen in diesem Sinne für die internationalen Kreditbeziehungen läßt sich nur in wirklichen Ausnahmesituationen rechtfertigen. Das Bardepot darf deshalb kein Dauerinstrument sein. Es sollte nur angewendet werden, wenn und solange eine wesentliche Gefährdung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gegeben ist.
Im übrigen hängt die Beantwortung der Frage, ob das Bardepot tatsächlich eine marktwirtschaftliche Lösung darstellt, vom Inhalt der Rechtsverordnung ab, welche die Bundesregierung angekündigt, deren endgültigen Inhalt sie jedoch bei den Beratungen im Wirtschaftsausschuß nicht preisgegeben hat. Der dem Bundestag zur Verabschiedung vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet lediglich eine Ermächtigung der Bundesregierung zum Erlaß von Rechtsverordnungen. Für den Inhalt dieser künftigen Rechtsverordnungen ist daher zunächst allein die Bundesregierung verantwortlich.
Ich betone dies vor allem aus zwei Gründen. Erstens standen die Beratungen des Wirtschaftsausschusses, nachdem die Bundesregierung in der bereits geschilderten Weise gegenüber den Partnerstaaten in Verzug geraten war, unter einem schwer erträglichen Zeitdruck. Die schwierigen Sachfragen hätten an sich ausführlicherer Erörterung bedurft. Zweitens hat die Bundesregierung mehrere wichtige Fragen, die sich in den Ausschußberatungen ergaben, nicht überzeugend beantworten können.
Vor allem sind die rechtlichen Voraussetzungen und die sachliche Notwendigkeit einer eventuellen
Rückwirkung der von der Bundesregierung angekündigten Rechtsverordnung nicht schlüssig dargetan worden. Wir fordern die Bundesregierung auf, diesen Komplex nochmals sorgfältig zu überprüfen, um vor allem eventuelle verfassungsrechtliche Komplikationen, die niemand wünschen kann, zu vermeiden.
Enttäuschend war auch, daß ,die Bundesregierung nicht in der Lage war, die Konditionen der von ihr angekündigten Wechselkursversicherung anzugeben, obwohl selbst die Initiatoren dieser Gesetzesvorlage, nämlich die Koalitionsfraktionen, in der Begründung des Entwurfs den Zusammenhang zwischen der Frage der Wechselkursversicherung und der Frage der Kurssicherungskredite herausgestellt haben. Es ist unbedingt erforderlich, daß die Bundesregierung nun beschleunigt eine funktionsfähige und kostenmäßig tragbare Wechselkursversicherung konzipiert und in Kraft setzt.
Zu der sehr speziellen Frage eventueller Ausnahmetatbestände kann ich bei der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit nur folgendes bemerken. Bereits der Gesetzentwurf sieht vor, daß Kredite im Zusammenhang mit dem Waren- und Dienstleistungsverkehr von der Depotpflicht befreit werden. In der Rechtsverordnung, insbesondere bei der Definition der handelsüblichen Zahlungsziele, müssen die im Außenhandel üblichen Zahlungs- und Finanzierungsmethoden hinreichend berücksichtigt werden. Die Bundesregierung hatte in ihrem Grundsatzbeschluß vom 21. Juli die Kreditwirtschaft nicht mit einbezogen. Das war durchaus verständlich, weil durch die Bardepotregelung nur kurzfristige Kapitalbewegungen erfaßt werden sollen, die Kreditinstitute insoweit aber schon seit 1968 mit einer hundertprozentigen Mindestreserve belegt werden.
Die nunmehr beabsichtigte Einbeziehung auch der langfristigen Kapitaltransaktionen geht am Ziel des Gesetzentwurfs vorbei und stört langfristige Investitionsvorhaben. Das Argument eventueller Umgehungsmöglichkeiten ist angesichts der bisherigen Erfahrungen mit der genannten Mindestreserveregelung nicht überzeugend.
Ich betone nochmals, daß die Bundesregierung mit der Ermächtigung zugleich die Verantwortung für eine sowohl wirksame als auch praktikable außenwirtschaftliche Absicherung übernimmt. Der Bundesregierung so weitgehende Kompetenzen zuzubilligen, war der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nur möglich, weil dem Bundestag gemäß § 27 AWG ein Kassationsrecht zusteht. Von diesem Recht muß gegebenenfalls Gebrauch gemacht werden. Einen entsprechenden Antrag behalten wir uns vor.
Dem Gesetzentwurf stimmt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion trotz der angedeuteten sachlichen Bedenken zu, damit der Rückschlag, den die europäische Integration erlitten hat, wettgemacht und endlich der Beitrag geleistet wird, der zur Fortsetzung des Weges zur Wirtschafts- und Währungsunion mit Recht von der Bundesrepublik Deutschland verlangt wird.
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Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Schachtschabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zuerst eine Vorbemerkung machen.
Herr Dr. Luda, ich glaube, Sie stimmen mit mir überein, daß es hier nicht um eine Erörterung des sogenannten nationalen Alleinganges, wie Sie dies zu formulieren beliebten, geht, sondern allein um eine sachliche Erklärung des vorliegenden Antrages; es bedarf vielleicht ein wenig der Erklärung dieses Antrages. Ich glaube, daß es notwendig ist, auf diesen Antrag Bezug zu nehmen.
In diesem Antrag der Bundestagsfraktionen der SPD und FDP ist eine Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes vorgesehen, die unter dem Ausdruck „Bardepotgesetz", wie wir gehört haben, ihre spezielle Akzentuierung erhalten hat. Mit diesem Bardepotgesetz wird ein konjunkturpolitisches Instrument geschaffen, mit dem vor allem zinsinduzierte Liquiditätsströme aus dem Ausland — speziell bei Nichtbanken — abgewehrt werden können, die bekanntlich dann eintreten können, wenn Unterschiede zwischen dem heimischen und dem ausländischen Zinsniveau in der Art bestehen, daß es wegen eines niedrigeren Zinsniveaus im Ausland interessant wird, dort Kredite aufzunehmen. Diese ausländischen Liquiditätszuflüsse können erhebliche nachteilige Wirkungen auf die konjunkturelle Entwicklung der heimischen Wirtschaft ausüben.
Um einen derartigen Vorgang abzuwehren, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Ich verweise nur auf die Anwendung des § 23 Abs. 6 des Außenwirtschaftsgesetzes von 1961. Ich glaube, es wird mir niemand widersprechen, wenn ich sage, daß die Anwendung dieser Bestimmung in äußerster Konsequenz jedoch zu einer Devisenbewirtschaftung führt, zu einer Devisenzwangswirtschaft, wenn ich so formulieren darf. Damit würden der Marktwirtschaft nicht konforme dirigistische Maßnahmen praktiziert werden. Zum anderen könnte eine Zinsausgleichsteuer erwogen werden, die allerdings bei den gegebenen Verhältnissen ebenfalls problematisch erscheint.
Die Antragsteller haben sich für das Bardepotgesetz entschieden. Danach wird die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung anzuordnen, daß Gebietsansässige, insbesondere Nichtbanken, einen bestimmten Prozentsatz — bis höchstens 50 % — ihrer bei Gebietsfremden aufgenommenen Darlehen und sonstigen Kredite zinslos bei der Bundesbank zu halten haben. Das entspricht in etwa einer Verpflichtung zur Unterhaltung von Mindestreserven. Damit ist sichergestellt, daß konjunkturpolitischen grenzüberschreitenden Liquiditätsströmen entgegengetreten werden kann, falls das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gefährdet ist. Auch spekulative Geldzuflüsse können unter Umständen ich betone: unter Umständen -- beeinflußt werden.
Es erscheint mir wichtig, meine Damen und Herren, mit Nachdruck darauf aufmerksam zu machen
— weil Herr Dr. Luda darauf abgehoben hat —, daß durch das Bardepotgesetz weder ein Verbot noch ein Genehmigungserfordernis für Auslandskredite ausgesprochen wird. Insofern handelt es sich — wir haben diese Verhältnisse sehr eingehend überprüft — zweifellos um eine marktkonforme Maßnahme, die dem System marktwirtschaftlicher Regeln entspricht. Denn die Freiheit der Nichtbanken, d. h. der Unternehmen und Privatpersonen, Kredite im Ausland aufzunehmen, bleibt weiterhin unangetastet.
Und ein weiterer Gesichtpunkt: Die Antragsteller sind daran interessiert, daß dieses Instrument möglichst bald zur Verfügung steht; denn im Zusammenhang mit den im Mai dieses Jahres im Rahmen der EWG geführten Erörterungen ist zum Ausdruck gekommen, daß man von den Mitgliedstaaten, insbesondere auch von der Bundesrepublik Deutschland, eine Maßnahme erwartet, mit der zinsinduzierten Liquiditätsströmen wirksam entgegengetreten werden kann. Insofern ist das Bardepotgesetz auch zu verstehen als ein Beitrag oder eine entscheidende Grundlage, die geeignet ist, die laufenden Gespräche über eine Neuordnung der Währungen, insbesondere der europäischen Währungsunion, abzustützen und zu unterstützen.
Es ist bekannt, daß in der Europäischen Gemeinschaft insbesondere vom Ministerrat die baldige Verabschiedung dieses Gesetzes als notwendig angesehen wird. In der Vorlage heißt es ausdrücklich, daß ein solches Instrument den Vorstellungen der Europäischen Gemeinschaft entspricht. Der Ministerrat hat mehrfach darauf gedrängt, daß die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen ergreifen, um die zinsinduzierten Kapitalzuflüsse zu entmutigen.
Deshalb hat auch der Ausschuß für Wirtschaft des Deutschen Bundestages auf Grund eingehender Beratungen die Vorlage bevorzugt behandelt. Es ist nicht so, wie eben gesagt worden ist, daß dazu die notwendige Zeit gefehlt hätte. Wir haben zwei Tage — einschließlich eines Hearings, das durchgeführt worden ist beraten.
Auf die laut gewordenen Bedenken braucht jetzt nicht mehr eingegangen zu werden. Das Ergebnis der Beratungen im Ausschuß für Wirtschaft und der Beschluß des Ausschusses liegen vor. Allerdings muß ich abschließend auf einen Punkt aufmerksam machen, von dem ich glaube, daß er in der Materie relativ schwierig ist, daß er aber ausgesprochen werden sollte, um damit auch zu den eben gehörten Möglichkeiten von vornherein Stellung zu nehmen. Denn es kann nicht verschwiegen werden, daß Bedenken wegen der Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkung der Depotregelung geltend gemacht worden sind. Wir geben dazu folgende Erklärung ab.
Erstens. Nach § 6 a Abs. 1 Satz 1 des Außenwirtschaftsgesetzes kann der im Zeitpunkt der Anordnung der Depotpflicht gegebene Bestand an Kreditverbindlichkeiten depotpflichtig gemacht werden. Das ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift, nach der — ich zitiere
Gebietsansässige einen bestimmten Vomhundertsatz der Verbindlichkeiten aus den von
ihnen bei Gebietsfremden aufgenommenen Dar-
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Dr. Schachtschabel
lehen oder sonstigen Krediten auf einem Konto bei der Deutschen Bundesbank zu halten haben.
Die Formulierung „aus den aufgenommenen Krediten" besagt, daß die Kreditaufnahme in der Vergangenheit liegen kann, ohne ,daß das die Depotpflicht berührt. Entscheidend ist, daß im Zeitpunkt der Einführung der Depotregelung aus der Kreditaufnahme noch Verbindlichkeiten, d. h. Rückzahlungsverpflichtungen des Gebietsansässigen bestehen. Sind die Verbindlichkeiten zu diesem Zeitpunkt erloschen — z. B. durch Rückzahlung —, so unterliegen sie nicht mehr der Depotpflicht.
Zweitens. Die von der Bundesregierung vorgesehene Rückwirkung der Depotpflicht hält sich in dem gesetzlichen Ermächtigungsrahmen. Sie erfaßt noch nicht einmal den vollen Bestand an Verbindlichkeiten, sondern nimmt Verbindlichkeiten von der Depotpflicht aus, die vor Verkündung der Rechtsverordnung zum Bardepotgesetz entstanden sind und auf einen vor dem 21. Juli 1971 eingegangenen Rechtsgeschäft beruhen. Diese Befreiung von Verbindlichkeiten, die auf Altverträge zurückgeht, erscheint aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlich. Sie dient dem Vertrauensschutz der Betroffenen, da vor dem 21. Juli 1971 niemand mit einer Bardepotregelung für Auslandsverbindlichkeiten zu rechnen brauchte.
Andererseits können aber auch alle Verbindlichkeiten, die auf Verträgen nach dem 21. Juli 1971 beruhen, in die Depotpflicht einbezogen werden. Es handelt sich hier um die sogenannte unechte Rückwirkung. Ihre Verfassungsmäßigkeit ist vom Bundesministerium der Justiz eingehend geprüft und bestätigt worden.
Drittens. Im übrigen steht § 6 a des Außenwirtschaftsgesetzes wie die anderen Ermächtigungsnormen dieses Gesetzes unter der allgemeinen Vorschrift des § 2 Abs. 2 und 3 des Außenwirtschaftsgesetzes. Unter den dort gegebenen Voraussetzungen dürfen Beschränkungen auch abgeschlossene Verträge berühren, wenn der angestrebte Zweck der Ermächtigung erheblich gefährdet ist.
Das zu dem Antrag. Wir bitten um Zustimmung.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wer dem Gesetzentwurf in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Gegenprobe! Stimmenthaltungen? — Bei zwei Stimmenthaltungen angenommen.
Ich rufe dann den nächsten Zusatzpunkt zur heutigen Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Schaffung einer leistungsfähigen Struktur des Mühlengewerbes
— Drucksache VI/2554 —
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksachen VI/2888, zu VI/2888 —
Berichterstatter: Abgeordneter Lensing
Der Herr Abgeordnete Lensing hat als Berichterstatter zu einer Ergänzung des Berichtes um das Wort gebeten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine kurze Ergänzung meines Schriftlichen Berichtes auf zu Drucksache VI/2888. Infolge der völlig kontroversen Auffassungen innerhalb der betroffenen Wirtschaftsverbände, ja selbst innerhalb der betroffenen Mühlenorganisationen erfolgte eine recht eingehende und damit zeitraubende Beratung des Gesetzentwurfs in den damit befaßten Ausschüssen. Da das Gesetz aber am 1. Januar 1972 in Kraft treten muß, wenn es nicht den Anschluß an die bestehenden Gesetze verlieren soll, war die Beratungsfrist in den mitberatenden Ausschüssen manchmal recht knapp bemessen. So konnte sich der mitberatende Haushaltsausschuß erst nach dem Druck meines Schriftlichen Berichtes mit dem Gesetzentwurf befassen. Auch er hat inzwischen dem Antrag des federführenden Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — Sie finden diesen Antrag in Drucksache VI/2888 — zugestimmt. Insofern bedarf es einer entsprechenden Ergänzung meines Schriftlichen Berichtes.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten in die zweite Beratung ein. — Das
Wort wird nicht begehrt. Ich rufe die §§ 1 bis 20 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetzentwurf in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetzentwurf in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Meine Damen und Herren, ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Ich rufe den nächsten Zusatzpunkt zur heutigen Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bundeshaushaltsordnung
— Drucksache VI/2668 —
9088 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1971
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Mündlicher Bericht des Haushaltsausschusses
— Drucksache VI/2922 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Althammer Abgeordneter Dr. Tamblé
Von den Herren Berichterstattern wird auf eine Ergänzung des vorgelegten Berichtes verzichtet.
Wir treten in die zweite Beratung ein. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich rufe Art, 1, 2, 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetzentwurf in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! —Stimmenthaltungen? Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetzentwurf in dritter Beratung zuzustimmen wünscht,
den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Meine Damen und Herren, ich rufe den nächsten Zusatzpunkt zur heutigen Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Reichsknappschaftsgesetzes und anderer Gesetze
— Drucksache VI/2900 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache VI/2926 —
Berichterstatter: Abgeordneter Krampe
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache VI/2924 —
Berichterstatter: Abgeordneter Urbaniak
Der Herr Abgeordnete Urbaniak hat als Berichterstatter des letztgenannten Ausschusses um das Wort gebeten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht um eine Berichtigung. Im letzten Abschnitt hat sich auf der ersten Seite in der ersten Zeile das Wort „Bundesanstalt" eingeschlichen. Richtig muß es „Bundeshaushalt" heißen. Auf der zweiten Seite muß in der achten Zeile das Datum „9. Dezember 1971" durch „8. Dezember 1971" ersetzt werden. Ich bitte, diese Korrekturen vorzunehmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für die Ergänzung. Wir werden bei der Abstimmung die Korrekturen des Herrn Berichterstatters berücksichtigen.
Ich rufe auf die Artikel 1, 2, 3, 4, 5, 6 und 7 sowie Einleitung und Überschrift. — Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! —Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort hat der Abgeordnete Russe.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Im Namen der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages gebe ich zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Reichsknappschaftsgesetzes und anderer Gesetzte — Drucksache VI/2900 — folgende Erklärung ab.
Die Unternehmensführungsorgane der Ruhrkohle AG, in denen infolge der Mitbestimmung bei Kohle und Stahl Arbeitnehmer und Gewerkschaften beteiligt sind, haben vor geraumer Zeit — übrigens in Übereinstimmung mit dem Gesetz zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlenbergbaues und der deutschen Steinkohlenbergbaugebiete — beschlossen, möglichst bald ein Anpassungsprogramm zu realisieren. Im Zuge eben dieses Programmes werden weitere Schachtanlagen geschlossen werden. Darüber hinaus bewirken notwendige Rationalisierungsmaßnahmen die zusätzliche Freisetzung von Arbeitskräften. Insgesamt sollen etwa 20 000 Arbeitnehmer die Existenz ihres Arbeitsplatzes gefährdet sehen. Mehr als 10 000 Arbeitnehmer können sogar arbeitslos werden.
Zur Erleichterung einer geordneten Durchführung dieses Anpassungsprogramms im Steinkohlenbergbau, besser gesagt: zur Abschwächung der sozial- und einkommenspolitischen Folgen für die betroffenen Arbeitnehmer erhalten diese ein Anpassungsgeld als Zuwendung aus öffentlichen Mitteln, und zwar nach Maßgabe von Richtlinien, die der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen noch erlassen wird. Da dieses Anpassungsgeld wiederum nur unter bestimmten Voraussetzungen gewährt werden soll, nämlich wenn der Arbeitnehmer aus Anlaß einer Stillegungs- oder Rationalisierungsmaßnahme vom Arbeitgeber zu oder nach einer bestimmten Frist aus Gründen entlassen wird, die nicht in seiner Person liegen, und wenn der Arbeitnehmer bei Aufrechterhaltung seiner bisherigen Beschäftigung im Unternehmen die Voraussetzungen für den Bezug von Knappschaftsruhegeld oder Knappschaftsruhegeld nach einjähriger Arbeitslosigkeit oder Knappschaftsruhegeld an langjährige Bergleute oder Knappschaftsausgleichsleistung in längstens fünf Jahren — vom Tage seiner Entlassung an gerechnet — erfüllen wird, erscheint es uns unabdingbar, daß die betroffenen Arbeitnehmer, wenn sie schon arbeitslos werden, zumindest im Bereich der knappschaftlichen Rentenversicherung keine rentenrechtlichen Nachteile erleiden dürfen.
Wir geben deshalb unsere volle Zustimmung dazu, daß diejenigen Kumpels, denen nach Vollen-
Russe
dung des 50. Lebensjahres und Erfüllung der Wartezeit für das Knappschaftsruhegeld gekündigt wird, versicherungsrechtlich so gestellt werden, als ob sie ihren bisherigen Arbeitsplatz so lange hätten behalten können, bis sie die Voraussetzungen für die Knappschaftsausgleichsleistung oder ein Altersruhegeld erfüllt haben würden.
Das Anpassungsgeld ist sicherlich eine gute Sache. Aber es wird den Verdiensten der Bergarbeiter für unsere gesamte Wirtschaft in Vergangenheit, Gegenwart und auch in der Zukunft nur dann gerecht, wenn es in der Tat einmal den nahtlosen Übergang bis zum Beginn der Leistungen aus der knappschaftlichen Rentenversicherung gewährleistet, zum anderen ebenso sichergestellt, daß infolge der vorzeitigen Entlassung aus dem Arbeitsprozeß selbst bei Gewährung des Anpassungsgeldes beim Kumpel kein versicherungsrechtlicher Nachteil zurückbleibt.
Ebenso begrüßen wir die zukünftige Berücksichtigung der Bergmannsprämie bei der Ermittlung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage der Kumpels für gewisse Versicherungsrenten. Die Folge wird sein, daß die durchschnittliche Höhe der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage der Bergleute verbessert wird; da machen wir mit. Zu den übrigen Detailvorschriften, die nur die logische Konsequenz der grundsätzlichen Entscheidung beinhalten, will ich nicht im einzelnen Stellung nehmen.
Aber lassen Sie mich noch eine zusätzliche Feststellung im Namen meiner Fraktion treffen. Wir wissen, daß durch das Finanzänderungsgesetz vom 21. Dezember 1967 die Steigerungssätze für Knappschaftsruhegelder und Knappschaftsrenten wegen Erwerbsunfähigkeit urn 20 % und für Berufsunfähigkeitsrenten um 10 % herabgesetzt worden sind. Dieser Leistungsabbau ist nach den Vorschriften der entsprechenden gesetzlichen Normen zusammen mit den jährlichen Rentenanpassungen stufenweise zu vollziehen und für den Rentenbestand bis zum 31. Dezember 1974 abzuschließen.
Wir hatten schon einmal in diesem Hohen Hause beantragt, den Abschmelzungsprozeß nicht weiter fortzusetzen. Wir haben im Vermittlungsausschuß bei der Beratung des entsprechenden Vermittlungsbegehrens des Bundesrates den gleichlautenden Antrag gestellt. Dabei folgten wir den Empfehlungen des Sozialbeirates. Unsere Begründung lautete: Dieses Vorhaben ist sozialpolitisch heute nicht mehr zu vertreten, weil damit der gesetzgeberische Wille, auch die Knappschaftsrentner an der wirtschaftlichen Entwicklung — nicht zuletzt zum Ausgleich der überhohen Preissteigerungen — teilhaben zu lassen, nicht berücksichtigt wird.
Sie von der Regierungskoalition haben sowohl in diesem Hohen Hause als auch im Vermittlungsausschuß unseren Antrag im Sommer dieses Jahres abgelehnt, weil andernfalls nach Ihrer Auffassung eine Mehrbelastung des Bundeshaushalts eingetreten wäre. Sie wissen, daß diese rein fiskalischen Überlegungen uns damals nicht überzeugt haben und daß damit die Berechtigung des — ich darf es wiederholen: auch vom Sozialbeirat —
aufgezeigten sozialpolitischen Anliegens nicht entkräftet werden konnte. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, nunmehr nehmen Sie selbst mit dieser gesetzlichen Maßnahme eine Erhöhung der Verpflichtungen aus dem Bundeshaushalt gegenüber der knappschaftlichen Rentenversicherung in Kauf, natürlich aus einem anderen Anlaß.
Aber wir sind der Meinung, es hätte sich gegenüber unseren Bergleuten an Rhein und Ruhr, im Aachener Raum und an der Saar als eine ausgezeichnete Leistung dargestellt, wenn Sie mit diesem Gesetzentwurf zur Änderung des RKG gleichzeitig die Abschmelzungsbeschlüsse des Jahres 1967 rückgängig gemacht hätten. Auch die jetzt von diesem Gesetzentwurf betroffenen Kumpels hätten davon erheblich profitieren können. Wir bedauern dieses Unterlassen. Bei der Beratung des nächsten Rentenanpassungsgesetzes werden wir unseren Antrag wiederholen.
Ich darf noch einmal erklären: Die CDU/CSU-Fraktion wird diesem Gesetz ihre Zustimmung geben.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Urbaniak.
Herr Präsident! Meine Damen mind Herren! Ich möchte dein Kollegen Russe entgegenhalten, daß wir sicherlich im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung auch gern eine Initiative seiner politischen Freunde in dieser Frage gesehen hätten; aber es kam nichts. Wir führen auch hier keine wirtschaftspolitische oder Energiedebatte. Es geht um eine soziale Flankierung, die die Bundesregierung mit dieser Initiative aufgreift. Sie sollten sich vorhalten lassen, wer denn eigentlich .der Erfinder der Abschmelzung der Steigerungssätze in der knappschaftlichen Rentenversicherung ist. Das sind doch sicherlich Leute, die aus Ihrer Fraktion dein Ministerium für Arbeit und Sozialordnung einmal vorgestanden haben.
Nun meine Erklärung im Namen der sozial-liberalen Koalition: Über die im Sozialbericht angekündigten sozialpolitischen Maßnahmen hinaus hat die Bundesregierung mit der Drucksache VI/2900 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Reichsknappschaftsgesetzes und anderer Gesetze vorgelegt. Dieser Gesetzentwurf ist als ein sozial flankierendes Vorhaben für diejenigen Bergarbeiter gedacht, die in der kommenden Zeit von Stillegungen oder Rationalisierungsmaßnahmen betroffen sein werden. Auch dieses Gesetz zeigt wieder, wie clie Bundesregierung Sozialpolitik versteht, nämlich als vorsorgende Gestaltung von sozialen Prozessen.
Der Entwurf dieses Gesetzes wurde in der 156. Sitzung des Bundestages am 8. Dezember 1971 dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung federführend und dem Haushaltsausschuß mitberatend gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen. Der
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Urbaniak
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat den Gesetzentwurf in seiner Sitzung am 8. Dezember 1971, der Haushaltsausschuß ebenfalls in seiner Sitzung am 8. Dezember beraten.
Mit diesem Gesetz wird dafür Sorge getragen, daß insbesondere ältere Bergarbeiter des Steinkohlenbergbaus und des Braunkohlentiefbaus, die infolge von Zechenstillegungen oder Rationalisierungsmaßnahmen ihren Arbeitsplatz verlieren, keine versicherungsrechtlichen Nachteile hinnehmen müssen. Ihnen wird unter bestimmten Voraussetzungen im Rahmen von Sozialplänen Anpassungsgeld gewährt. Die dazu erforderlichen Haushaltsmittel sind im Einzelplan 09 für das Jahr 1972 mit 27 Millionen DM abgedeckt. Das Gesetz sieht also keine vorzeitige Rentengewährung aus der knappschaftlichen Rentenversicherung vor. Die betroffenen Arbeitnehmer werden jedoch versicherungsrechtlich so gestellt, daß sie trotz der Entlassung aus dem Bergbau die Voraussetzungen für die verschiedenen Rentenleistungen erfüllen können. Für die soziale Absicherung der betroffenen Arbeitnehmer einschließlich der Änderung von Rentenberechnungsvorschriften ist in den Jahren 1972 bis 1975 ein Mehraufwand des Bundes von insgesamt 108 Millionen DM notwendig.
Darüber hinaus regelt dieser Gesetzentwurf erstens die rentensteigernde Wirkung der Bergmannsprämie, zweitens die Weiterführung des Wanderungsausgleichs zwischen den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten und der knappschaftlichen Rentenversicherung auch für die Jahre 1972 und 1973, drittens die Festlegung der Rücklage der knappschaftlichen Rentenversicherung und schließlich viertens die Bereitstellung von Mitteln aus der Rücklage der knappschaftlichen Rentenversicherung für den Bergarbeiterwohnungsbau aus Rückflüssen des Anlagevermögens im Bergarbeiterwohnungsbau.
Der Bundesregierung ist für diese Gesetzesinitiative insgesamt zu danken. Das wird man besonders an Rhein und Ruhr und in den Bergbaugebieten bei den Kumpels, bei den Bergarbeitern mit Genugtuung feststellen. Die Bundesregierung hat erkannt, daß den älteren Arbeitnehmern, die unfreiwillig ihren Arbeitsplatz im Bergbau verlieren, wirksam geholfen werden muß. Mit diesem Gesetz hat die Bundesregierung gezeigt, daß es ihr mit der vorsorgenden Gestaltung von sozialen Prozessen durch die Sozialpolitik ernst ist.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den nächsten Jahren werden über zehntausend ältere Arbeitnehmer des Bergbaus infolge von Stilllegungs-, aber auch Rationalisierungsmaßnahmen ihren Arbeitsplatz verlieren. Die Stillegungen werden insbesondere unrentable Zechen betreffen. Sie werden sich im Rahmen eines Anpassungsprogramms vollziehen, dessen Notwendigkeit bereits bei der Gründung der Ruhrkohle AG im Jahre 1969 feststand.
Meine Damen und Herren, die in den nächsten Jahren zu treffenden Maßnahmen geben für die im Bergbau beschäftigten Arbeitnehmer keinerlei Anlaß, allgemein um den Bestand und die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze im Bergbau besorgt zu sein. Dennoch werden Arbeitnehmer betroffen. Jede Entlassung trifft den einzelnen nachhaltig. Dies ist um so schwerwiegender, als die Entlassungen eine Arbeitnehmergruppe betreffen, die in den vergangenen Jahren ohnehin schon wiederholt die strukturellen Veränderungen im Steinkohlenbergbau zu spüren bekommen hat. Für einen großen Teil der Arbeitnehmer des Bergbaus, insbesondere für die älteren, bedeutet der Arbeitsplatzverlust den vorzeitigen Abschluß ihres Berufs-, oft sogar ihres Arbeitslebens.
Die Bundesregierung hat es als ihre selbstverständliche Pflicht angesehen, den von der Entlaslung betroffenen Arbeitnehmern des Steinkohlenbergbaus zu helfen. So notwendig Anpassungsmaßnahmen sind, so wichtig ist die soziale Absicherung. Wir können nicht im Bergbau für die Zukunft neue Orientierungsdaten setzen, ohne uns um den Arbeitnehmer und seine soziale Sicherung zu kümmern. Wir würden auch unglaubwürdig, wenn wir allein danach strebten, in unserer Energiepolitik endlich klare Verhältnisse zu schaffen, es aber versäumten, dabei den betroffenen Arbeitnehmern zur Seite zu stehen. Ich habe schon wiederholt auf die enge Verzahnung von wirtschaftlichem Geschehen und Sozialpolitik hingewiesen. Die bevorstehenden Maßnahmen im Bergbau machen diesen Zusammenhang wieder einmal besonders deutlich.
Meine Damen und Herren, der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf enthält insbesondere Regelungen, welche die Arbeitnehmer vor rentenrechtlichen Nachteilen infolge der Entlassung bewahren sollen. Die Bundesregierung hält es für eine sozialpolitische Notwendigkeit, die entlassenen Arbeitnehmer, für die mit der Entlassung zwangsläufig Schwierigkeiten verbunden sind, nicht auch noch hinsichtlich ihrer Rentenanwartschaften zu benachteiligen. Die Betroffenen werden zwar nicht vorzeitig eine Rente aus der knappschaftlichen Rentenversicherung erhalten, jedoch sollen die über 50jährigen Arbeitnehmer mit der Rentenleistung rechnen können, die sie ohne die Entlassung zum frühestmöglichen Zeitpunkt erworben hätten. Dies sieht der Gesetzentwurf vor.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Zustimmung zu diesem Gesetz erklärt. Ich möchte dafür recht herzlich danken.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung in der dritten Beratung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1971 9091
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Ich rufe den folgenden Zusatzpunkt auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes
— Drucksache VI/2664 —
Schriftlicher Bericht des Innenausschusses
— Drucksache VI/2931 —
Berichterstatter: Abgeordneter Freiherr von
Fircks
Abgeordneter Hofmann
Die Herren Berichterstatter verzichten auf eine Ergänzung des Schriftlichen Berichts; ich danke ihnen.
Wir treten in die zweite Beratung ein. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich rufe Art. 1, 2, 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. — Wer dem Gesetzentwurf in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einmütige Beschlußfassung.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. — Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Gesetzentwurf in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Wer dem Ausschußantrag Ziffer 2, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — So beschlossen.
Ich rufe den nächsten Zusatzpunkt auf:
Zweite und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. September 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über den Schutz von Herkunftsangaben, Ursprungsbezeichnungen und anderen geographischen Bezeichnungen
— Drucksache VI/2120 —
Schriftlicher Bericht des Auswärtigen Ausschusses
— Drucksache VI/2935 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Achenbach
Der Herr Berichterstatter hat nicht um eine mündliche Ergänzung des Berichts gebeten. — Das Wort wird in der zweiten Beratung nicht gewünscht.
Ich rufe Art. 1, 2, 3, 4 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetzentwurf in der zweiten
Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit ist die heutige Tagesordnung bis auf die Fragestunde, in die wir jetzt eintreten, abgeschlossen. Ich unterbreche die Sitzung für eine halbe Minute.
Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde
Drucksache VI/2890 —
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Moersch zur Verfügung.
Zunächst rufe ich Frage 127 des Abgeordneten Hörmann auf:
Hat die Bundesregierung Schritte geplant, eingeleitet oder bereits unternommen, um in Gesprächen mit der französischen Regierung die Folgewirkungen des Baus von Kernkraftwerken am Oberrhein abzuklären und die notwendigen gemeinsamen Kontrollen zu planen?
Herr Staatssekretär!
Herr Präsident! Die Antwort lautet wie folgt: Die Bundesregierung ist davon unterrichtet, daß Frankreich bei Fessenheim im Elsaß den Bau eines großen Kernkraftwerks betreibt. Sie hat daher der französischen Regierung vorgeschlagen, daß beide Staaten unverzüglich Verhandlungen über Einzelheiten der französischen Planung sowie über eine Abstimmung der beiderseitigen Vorstellungen über die Wärmebelastbarkeit des Oberrheins und die Aufteilung der Kühlkapazität aufnehmen. Erst kürzlich ist dieser Vorschlag der französischen Seite erneut unterbreitet worden. Die Bundesregierung hofft, daß die Gespräche mit Frankreich schon in kurzer Zeit beginnen werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sehen Sie Chancen, mit Frankreich in der Frage eines anerkannten internationalen Wärmelastplans zu einer Übereinstimmung zu kommen, und besteht die Möglichkeit, vielleicht auch die Frage eines anderen Standortes für diese Kernkraftwerke insgesamt nochmals zu untersuchen?
Herr Abgeordneter, bei den engen und freundschaftlichen Beziehungen zu Frankreich sollte es denkbar sein, daß in dieser Frage die allgemeinen und die beiderseitigen Interessen aufeinander abgestimmt werden können.
Keine weitere Zusatzfrage.
Wir kommen zu den Fragen des Abgeordneten Dr. Geßner. Ich sehe den Herrn Abgeordneten im Augenblick nicht im Saal; daher werden seine beiden Fragen — 128 und 129 — schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Der Herr Abgeordnete Riedel hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Fragen 130 und 131 gebeten. Auch die Antworten auf diese Fragen werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 132 des Abgeordneten Lemmrich auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die jüngsten Angriffe der „Prawda" und des Organs der Roten Armee, „Roter Stern", auf die Bundeswehr, über die die „Neue Zürcher Zeitung" vom 18. November 1971 berichtete, mit dem Geist des deutsch-sowjetischen Vertrags vereinbar ist und mit der von beiden Seiten bekundeten Absicht auf Entspannung?
Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, im Gegensatz zu den in letzter Zeit überwiegend unpolemischen sowjetischen Presseveröffentlichungen, die sich mit der Regierungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland befassen, sind die erwähnten Angriffe in der Tat mit dem Geist des deutsch-sowjetischen Vertrages und der von beiden Seiten angestrebten Entspannung nicht zu vereinbaren. Sie erklären sich jedoch daraus, daß insbesondere das Organ der sowjetischen Armee, „Krasnaja Swesda", aus ideologisch-propagandistischen Gründen lange Zeit auf den „Gegner" Bundeswehr fixiert war. Es bedarf offensichtlich einer gewissen Zeit, bis der Umstellungsprozeß abgeschlossen ist und sich auch diese Kreise auf die neue Situation eingestellt haben.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ansonsten ist doch die Sowjetunion immer in der Lage, sich sehr schnell umzustellen, schneller als demokratische Staaten. Die Frage ist: Wann wird sich die Rote Armee nach Ihrer Meinung denn nun umstellen?
Herr Abgeordneter, ich kann hypothetische Fragen kaum beantworden. Aber ich muß Sie doch in einem Punkte korrigieren. In demokratischen Staaten gibt es keine Umstellung für die Presse, weil die Presse etwas anderes ist als die Regierung. Das muß man, glaube ich, zugunsten der deutschen Presse ganz besonders betonen, damit kein falscher Eindruck entsteht.
Eine weitere Zusatzfrage.
Nachdem in diesem Bericht auch die Frage des Auftrags der Bundeswehr
behandelt worden ist, frage ich Sie, Herr Staatssekretär: Sind Sie der Auffassung, daß der Auftrag der Bundeswehr nach wie vor derselbe ist?
Herr Abgeordneter, es ist mir nicht möglich, Ihre Frage dem Inhalt nach genau nachzuvollziehen. Der Auftrag der Bundeswehr ist mir bekannt, und wir haben von dem auszugehen, was unser Auftrag an die Bundeswehr ist.
Keine weitere Zusatzfrage.
Frage 133 ist vom Fragesteller, dem Herrn Abgeordneten Hansen, zurückgezogen worden.
Wir kommen zu Frage 134 des Herrn Abgeordneten Dr. Apel:
Entspricht ein Schreiben des Auswärtigen Amts vom 14. Oktober 1971 unter dem Aktenzeichen IV - 4-80.10/1 an den Herrn Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen der Meinung der Bundesregierung, nach dem davon abgesehen werden sollte, politische Gegner der jeweiligen Regierungen als Lehrer fur die Kinder der ausländischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland anzustellen, da es dadurch den Kindern schwerer werde, nach Rückkehr im eigenen Land den Anschluß zu finden?
Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, die Frage steht, wie wohl bekannt sein dürfte, im Zusammenhang mit dem Beschluß des Kulturausschusses des Landtages von NordrheinWestfalen vom 27. Mai dieses Jahres, zu dem der Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen das Auswärtige Amt um Stellungnahme gebeten hat. Diese Stellungnahme hat das Auswärtige Amt mit dem von Ihnen herangezogenen Schreiben vom 14. Oktober dieses Jahres abgegeben.
Die Bundesregierung ist der Ansicht, die auch in dem genannten Schreiben zum Ausdruck kommt oder jedenfalls zum Ausdruck gebracht werden sollte, daß es sich im Kern nicht um eine politische Frage handelt, sondern daß es um das Interesse und das Wohl der Kinder ausländischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland geht, für die wir während ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik die Verantwortung tragen. Diese Kinder unterliegen der deutschen Schulpflicht und werden weitgehend von deutschen Lehrkräften unterrichtet.
Da sich diese Kinder durchweg vorübergehend in Deutschland aufhalten, kommt, um ihnen nach einer Rückkehr die Wiedereingliederung in ihrem Heimatland nach Möglichkeit zu erleichtern, einem zusätzlichen Unterricht in ihrer Muttersprache in Heimatkunde und Religion besondere Bedeutung zu. Ihre Religion unterscheidet sich immerhin von der unsrigen. Dieser Unterricht soll die Verbindung zur heimatlichen Sprache und Kultur der Kinder aufrechterhalten. Ein solcher Unterricht kann in der Regel nur von ausgebildeten Lehrern aus den Heimatländern dieser Kinder erteilt werden. Die Kultusminister der Länder fordern daher über die jeweiligen diplomatischen Vertretungen dieser Län-
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Parlamentarischer Staatssekretär Moersch
der in der Bundesrepublik die benötigten Lehrkräfte an. Damit wird gleichzeitig im Sinne der Reintegration dieser Kinder in ihr Heimatland und dessen Schulsystem sichergestellt, daß sie Zeugnisse erhalten, die dort nach ihrer Rückkehr von den Erziehungsbehörden anerkannt werden. Es liegt auf der Hand, daß solche Zusatzzeugnisse hinsichtlich jener Gebiete wie die Muttersprache der Kinder, ,die die deutschen Lehrpläne nicht enthalten, nur von Lehrkräften erteilt werden können, die aus dem heimatlichen Schulsystem kommen.
Die über die diplomatischen Vertretungen an die Schulen in der Bundesrepublik vermittelten Lehrkräfte erteilen nur den geringeren Teil des Unterrichts. Den wesentlichen Teil des Unterrichts erhalten diese Kinder, wie ich schon sagte, durch deutsche Lehrkräfte. Die ausländischen Lehrkräfte in Nordrhein-Westfalen unterliegen der deutschen Schulaufsicht in demselben Umfang wie ihre deutschen Kollegen.
Schließlich ist zu bedenken, daß die ausländischen Gastarbeiter, um deren Kinder es sich handelt, auf Grund von Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und ihren Heimatstaaten hierhergekommen sind und hier arbeiten.
Bitte, Herr Kollege!
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie fragen, ob ich Sie richtig verstanden habe und ob Sie mit dieser recht langen und nicht ganz übersichtlichen Antwort den Satz in dem angesprochenen Schreiben aufrechterhalten, der da lautet:
Es sollte im Interesse der politischen Beziehungen der Bundesrepublik zu den Partnerländern davon abgesehen werden, politische Gegner der jeweiligen Regierungen in den Schuldienst einzustellen.
Stellen Sie damit nicht Opportunitätserwägungen über die Wahrung der demokratischen Grundrechte in unserem Land?
Herr Abgeordneter, ich müßte, um der Öffentlichkeit einen zutreffenden Eindruck von diesem Schreiben zu vermitteln, das ganze Schreiben vorlesen. Ich will hier offen bekennen, daß ich den Satz, den Sie kritisieren, erst kennengelernt habe, als dieser Vorgang auf meinen Tisch kam, und daß er nicht das zum Ausdruck bringt, was zum Ausdruck gebracht werden sollte. Den Sinn unseres Verhaltens habe ich soeben in meiner Antwort dargelegt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort darauf abgehoben, daß auch dieser Teil des Unterrichts der Kinder ausländischer Arbeitnehmer der deutschen Schulaufsicht unterliegt.
So ist es.
Muß nicht sichergestellt sein, daß auch dieser Teil des Unterrichts in Deutschland dem Grundgesetz und der Verfassung des jeweiligen Bundeslandes entspricht, und müssen wir nicht deshalb, insbesondere wegen des Verhaltens eines Schulrates im Kölner Raum, deutlicher sagen, wie die Position der Bundesregierung ist?
Herr Abgeordneter, die Frage nach dem Verhalten eines Schulrates im Kölner Raum höre ich jetzt zum erstenmal. Das war weder Gegenstand der Anfrage noch der Unterrichtung. Das ist eine Frage, die die Kulturhoheit des Landes betrifft. Das Auswärtige Amt hat viele Zuständigkeiten; aber der Schulrat im Kölner Raum gehört nicht dazu. Diese Feststellungen muß ich vorausschicken.
Selbstverständlich hat sich in einer deutschen staatlichen Schule die von uns ausgeübte Schulaufsicht am Grundgesetz zu orientieren. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist die, daß diese Kinder einen Anspruch darauf haben — daran sind wir aus politischen Gründen, nämlich wegen der gegenseitigen Beziehungen, interessiert —, auch in den Fächern unterrichtet zu werden, in denen sie normalerweise in Deutschland nicht unterrichtet werden, weil sie in ihr Heimatland zurückkehren wollen und auch zurückkehren sollen. Wenn Neugriechisch, griechische Religionslehre und griechische Heimatkunde unterrichtet werden sollen, muß man entweder in Deutschland Lehrer dafür ausbilden, weil es hier kaum welche gibt, oder man muß die griechische Regierung bitten, Lehrer zu entsenden, die hier in diesen Zusatzfächern unterrichten. Genau das geschieht. Wenn man in diesen Fächern überhaupt Unterricht geben will, ist das normalerweise nur durch Lehrer möglich, die aus Griechenland kommen.
Eines fällt hier besonders ins Gewicht, und das gilt nicht nur für Griechenland, sondern für alle betroffenen Staaten. Wir müssen dafür sorgen, daß die Zeugnisse über den Unterricht, der diesen Kindern speziell in den genannten Fächern in der Bundesrepublik erteilt wird, auch in ihrem Heimatland anerkannt werden. Sonst müssen sie praktisch die Schulzeit dort noch einmal wiederholen. Sie stehen also hier vor einer Frage, die allein aus dem Interesse der jeweiligen Kinder zu beantworten ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Weber.
Herr Staatssekretär, wenn die Bundesregierung jetzt auf Grund der Aussagen von Herrn Kollegen Dr. Apel feststellt, daß tatsächlich ein solcher griechischer Schulrat da ist, der z. B. zu überprüfen hat, ob die griechischen Lehrer in der Bundesrepublik eine juntatreue Gesin-
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Dr. Weber
nung aufweisen, wird sie dann Maßnahmen ergreifen, um den nach meiner Meinung vorliegenden Verstoß gegen Art. 7 des Grundgesetzes zu verhindere?
Einen Augenblick bitte, Herr Staatssekretär. Sie haben beim zweiten Teil der Frage des Herrn Kollegen Apel mit Recht darauf hingewiesen, daß der unmittelbare Zusammenhang nur noch bedingt gegeben ist. Ich überlasse es Ihnen, ob Sie jetzt antworten wollen. Der Zusammenhang ist nicht ganz unmittelbar gegeben.
Herr Präsident, ich glaube, damit keine weiteren Mißverständnisse und damit nicht weitere Fragen in diesem Hause aufkommen, muß ich zunächst darauf hinweisen, daß diese Frage in einem anderen Sachzusammenhang hier früher schon einmal beantwortet worden ist. Ich habe gesagt, daß unsere Grund- und Freiheitsrechte in der Schule eingehalten werden. Die Verantwortung liegt bei den zuständigen Schulbehörden, nicht beim Bund. Das ist also eine Landessache. Wir müssen es den Ländern überlassen, wie sie hier verfahren. Wenn Sie ganz konkrete Beschwerden in dieser Richtung haben sollten, sind wir selbstverständlich bereit, mit den Landeskultusbehörden Kontakt darüber aufzunehmen. Ich glaube aber nicht, daß man in einem solchen Falle von hier aus pauschal Erklärungen geben kann. Der Fall fällt weder in die Zuständigkeit der Bundesregierung noch ist er ihr in dieser Form, wie Sie es eben gesagt haben, bekannt.
— Herr Kollege Dr. Apel, das ist ein großer Irrtum: nicht dazu. Das Haus hat einen Brief zu zwei Fragen geschrieben, die der Kulturausschuß des Landtags Nordrhein-Westfalen gestellt hat. Da war von einem griechischen Schulrat mit keinem Wort die Rede. Die Akten habe ich hier in der Hand.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Vogt.
Herr Staatssekretär, wie gedenkt die Bundesregierung auf den Beschluß des Kulturausschusses des Landtags Nordrhein-Westfalen zu reagieren, den Brief, den Herr Dr. Apel angesprochen hat, zurückzuweisen und die ententsprechende Resolution dem Bundesrat zuzuleiten?
Herr Abgeordneter Vogt, ich bitte um Verständnis, wenn ich feststellen muß, daß auch hier der unmittelbare Zusammenhang mit der Frage — Sie fragen nämlich ganz konkret, was die Bundesregierung auf die Zurückweisung des Schreibens zu tun gedenkt — nicht gegeben ist. Ich lasse diese weitere Zusatzfrage nicht zu. Es besteht die Möglichkeit, daß Sie sie als Frage einbringen.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten von I Bothmer.
Herr Staatssekretär, ich muß mich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten noch einmal auf diesen Brief beziehen. Er ist vom Auswärtigen Amt geschrieben, und es heißt darin, daß politische Gegner der jeweiligen Regierungen nicht einzustellen seien, um das Verhältnis zu den Staaten in Ordnung zu halten. So steht es hier im Text. Würde das nicht bedeuten, daß man gerade im Hinblick auf Länder wie Griechenland usw. unterstützen muß, daß juntatreue Lehrer die Kinder hier in diesem Sinne unterrichten? Nur das ist meiner Ansicht nach der Kern dieser Frage. Will die Bundesregierung diesen Sachverhalt nicht noch einmal prüfen?
Frau Kollegin, die Frage ist theoretisch kompliziert und praktisch ganz einfach. Wenn Sie Lehrer haben wollen, die diese Kinder in diesen Fächern unterrichten, wie wir das wünschen, dann werden Sie die Lehrer eben nur aus Griechenland bekommen können, weil es andere nicht gibt.
— Wieso ist das falsch, Herr Kollege Apel?
— Herr Kollege, Sie werden mir doch wohl zugeben, daß es nicht Sache der Bundesregierung ist, Lehrer einzustellen.
Ich muß hier zu einer anderen Sache noch etwas sagen: Es ist doch ganz unmöglich, daß man auf Vorratsfragen Vorratsantworten gibt. Ich habe hier dargelegt, daß dieser Brief einen anderen Sinn hatte, als in diesem Satz zum Ausdruck kam, den Sie mit Recht kritisch zitiert haben, und ich möchte mich darauf stützen. Ich stelle Ihnen gern den ganzen Brief zur Verfügung, Frau Kollegin, um zu demonstrieren, daß es so ist. Ich will hier ganz offen bekennen, daß ich glaube, daß dieser Brief das Gesamtproblem nicht genügend umfaßt hat. Ich bitte aber, nicht einem Beamten, der diesen Brief geschrieben hat, deswegen einen Vorwurf zu machen, weil er offensichtlich von Vorgängen gar nicht unterrichtet sein konnte, die den Hintergrund dieser hier gestellten Fragen bilden und die mir persönlich allerdings bekannt waren, weil Fragen dieser Art früher schon einmal im Bundestag gestellt worden sind. Es gibt auch solche, wenn ich so sagen darf, kleinen Mißverständnisse in einem Amt. Das ist deswegen noch kein Indiz für eine ganz bestimmte politische Einstellung.
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Herr Staatssekretär, mit Vorratsfragen muß man in der Fragestunde natürlich rechnen.
Herr Abgeordneter Marx, eine letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, es tut mir fast leid, fragen zu müssen, ob das hier wiederholt zitierte Schreiben vom 14. Oktober für alle Lehrer ausländischer Kinder gilt, z. B. auch für jugoslawische Lehrer.
Herr Abgeordneter, das Schreiben gleicht keineswegs einem Evangelium, sondern es hat auf eine ganz bestimmte Frage des Kulturausschusses eine Antwort zu geben versucht. Prinzipiell gilt, daß wir Abkommen mit bestimmten Ländern haben und daß wir gehalten sind, solche Abkommen nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen.
Ich rufe die Frage 135 des Herrn Abgeordneten Engelsberger auf. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Er hat auch die Frage 141 gestellt. Beide Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 136 des Herrn Abgeordneten Dr. Franz auf. — Auch er ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 137 ist von der Frau Abgeordneten von Bothmer eingebracht:
Hat die Bundesregierung die letzte Nato-Ministerratstagung zu Anfang dieser Woche zum Anlaß genommen, den Nato-Partner Portugal darauf aufmerksam zu machen, daß die Bundesregierung mit dem Einsatz deutscher Militärausrüstungen in Portugals afrikanischen Kolonialkriegen nicht einverstanden ist?
Herr Staatssekretär!
Frau Abgeordnete, die Antwort lautet nein. Zu einer derartigen Stellungnahme der Bundesregierung während der letzten NATO-Ratstagung in Brüssel bestand kein Anlaß, da die portugiesische Regierung über die Haltung der Bundesregierung in der Frage der Verwendung deutscherseits gelieferter militärischer Ausrüstungen nicht im unklaren ist. Das an unseren NATO-Partner Portugal im gemeinsamen Sicherheitsinteresse der Allianz und damit auch in unserem eigenen Verteidigungsinteresse gelieferte Rüstungsmaterial darf nach den Vorstellungen der Bundesregierung, die auch in den Politischen Grundsätzen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern ihren Niederschlag gefunden haben, nicht außerhalb des Geltungsbereichs des NATO-Vertrags verbracht und damit nicht in den abhängigen portugiesischen Territorien Afrikas eingesetzt werden.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Ist es denn unrichtig, wie die „Frankfurter Rundschau" Ende Oktober geschrieben hat, daß die Portugiesen der von der deutschen Seite vorgeschlagenen besseren Nutzung des Luftwaffenstützpunktes Beja als Schießplatz nur dann zustimmen wollen, wenn die Bundesregierung dafür Portugal durch Lieferung von Waffen, Munition und Transportflugzeugen entgegenkommt?
Frau Kollegin, auch hier ist der unmittelbare Zusammenhang mit der Frage nicht gegeben. — Herr Staatssekretär!
Mir sind weder der Bericht noch der von Ihnen soeben behauptete Zusammenhang bekannt. Aber wir sind mit der portugiesischen Regierung in einem intensiven Gespräch, um eine Verschärfung dieser Klauseln zu erreichen, die jede Art von anderweitiger Verwendung als im NATO-Bereich ganz klar ausschließen.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.
— Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gleissner.
Herr Abgeordneter, ich darf hier nochmals zur Klarstellung sagen
1 Herr Staatssekretär, ich bitte um Verständnis, wenn ich Sie unterbreche: auf Zwischenrufe ist die Beanwortung natürlich nur sehr schwer möglich.
Aber man wird doch, Herr Präsident, wenn ein Abgeordneter — —Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Herr Staatssekretär, ich will Ihnen gleich begründen, warum ich darauf Wert lege, daß das nicht geschieht: in Zukunft würden alle Fragesteller, die mit der zweiten Zusatzfrage zu Ende sind, sich eine dritte Frage dadurch erkämpfen, daß sie in der Form eines lauten Zwischenrufs eine weitere Zusatzfrage stellen, die dann beantwortet wird. Ich bitte um Verständnis für meine Entscheidung.
Eine Zusatzfrage stellt der Abgeordnete Gleissner.
Darf ich eine — —
Herr Staatssekretär, ich nehme an — —
Ich würde die Vorwürfe gerne zurückweisen, die erhoben worden sind.
Herr Staatssekretär, ich nehme an, daß Sie in der Lage sind, mit der Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gleissner eine kleine Antwort auf das, was in dem Zwischenruf angesprochen worden ist, zu verbinden. — Bitte!
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Verhandlungen sowohl mit Frankreich wie mit der Schweiz deswegen auch so schwierig sind, weil beide Länder darauf hinweisen können, daß die Bundesrepublik nicht bereit ist, auf ihre eigenen Reaktorenpläne am Rhein zu verzichten und den vielfach geäußerten Bedenken Raum zu geben?
Herr Abgeordneter, das trifft schon deswegen nicht zu, weil wir ja, wie ich schon dargestellt habe, diese Fragen mit beiden Ländern in freundschaftlicher Weise besprechen. Ich kann nur sagen, daß in diesem Felde offensichtlich mehr Gerüchte schwirren, als es für die betroffene Bevölkerung gut sein kann.
Ich muß auch den Zwischenruf des Herrn Abgeordneten Offergeld zurückweisen, wir seien hier nicht informiert. Zunächst, Herr Abgeordneter, muß ich Ihnen sagen, daß ich die Frage beantwortet habe, die Sie gestellt haben. Wenn Sie eine andere Frage stellen wollten, hätten Sie sie anders formulieren müssen. Das ist der eine Punkt.
Der zweite Punkt ist, daß die Bundesregierung ja keine Verwaltung hat, — —
Herr Staatssekretär, Sie gehen weit über das hinaus, was in der Fragestunde möglich und vertretbar ist. Das geht nicht. — Ich danke Ihnen und beende damit die Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsberei ch des Bundesministers des Auswärtigen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung steht Herr Bundesminister Genscher zur Verfügung. Die Fragen 3 und 4 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 5 des Herrn Abgeordneten Schlaga auf:
welche Vorstellungen hat die Bundesregierung hinsichtlich der nicht umweltverschmutzenden Beseitigung von alten Autoreifen?
Herr Bundesminister Genscher.
Herr Abgeordneter, gegenwärtig müssen jährlich etwa 250 000 t oder rund 25 Millionen Stück Altreifen beseitigt werden. Für das Jahr 1975 ist ein Anfall von etwa 330 000 t zu befürchten. Mehr als 80 % dieser Altreifen werden heute noch ungeordnet und nicht vorbehandelt mit anderen Abfällen zusammen auf öffentliche Deponien gekippt oder wild abgelagert. Daneben bestehen auch Gruben, in denen ausschließlich Altreifen ungeordnet abgelagert und in
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Bundesminister Genscher
unterschiedlichen Zeitabständen mit Erde oder Bauschutt abgedeckt werden.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß diese bisher übliche Art der Altreifenbeseitigung im Hinblick auf die Forderungen des Umweltschutzes nicht vertretbar ist. Sie muß durch eine schadlose Beseitigungstechnik ersetzt werden.
Grundvoraussetzung für eine ordnungsgemäße Beseitigung ist zunächst die möglichst lückenlose Erfassung dieser Abfälle. Hierzu soll das Abfallbeseitigungsgesetz des Bundes entscheidend beitragen.
Die Nachteile der Altreifenablagerung lassen sich durch Zerkleinerung der Reifen zum Teil vermeiden. Geeignete Reifenzerreiß- und -schneidanlagen werden von der Industrie neuerdings angeboten. Nach dem gegenwärtigen technischen Stand ist die Ablagerung von Altreifen in einer geordneten Deponie umweltfreundlicher als die Verbrennung. Der Anteil an Altreifen, die heute in der Bundesrepublik Deutschland verbrannt werden, liegt unter 3 %. Es ist noch keine spezielle Anlage bekannt, die zufriedenstellend arbeitet und die bestehenden und geplanten gesetzlichen Grenzwerte für Luftreinhaltung voll erfüllt. Die Bundesregierung beabsichtigt, eine Versuchsanlage erstellen zu lassen, um die noch bestehenden Schwierigkeiten einer Lösung näherzubringen. Sie ist im übrigen der Auffassung, daß das Problem durch neue technologische Verfahren der Weiterverwendung und Weiterverwertung von Altreifen noch besser gelöst werden kann. Sie fördert schon jetzt dahin gehende Entwicklungsarbeiten und wird das auch weiterhin tun.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 6 des Herrn Abgeordneten Schlaga auf:
Hat die Bundesregierung die Absicht, darauf hinzuwirken, gegebenenfalls in welcher Form, daß für die schadlose Beseitigung von Altreifen analog dem Altölpfennig bei dem Altölgesetz beim Erwerb von Neureifen bereits ein entsprechender Mehrbetrag erhoben wird?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung schließt die Notwendigkeit der Erhebung einer solchen Abgabe nicht aus. Die Entscheidung kann jedoch erst getroffen werden, wenn die in der Antwort auf die vorangegangene Frage genannten Erfahrungen im Forschungsbereich und im praktischen Bereich ausgewertet sind.
Zusatzfrage:
Herr Minister, sind für den Fall, daß Sie sich dazu entschließen können, einen entsprechenden Aufschlag zu erheben, auch Überlegungen angestellt worden, in welcher Form sich die Reifenindustrie an der Beseitigung von Altreifen finanziell beteiligen soll?
Herr Abgeordneter, ich würde es für falsch halten, in sehr tiefgründige, erheblichen Aufwand verursachende Erwägungen einzutreten, solange die Grundsatzentscheidung, ob eine solche Erhebung notwendig ist, nicht gefallen ist.
Ich rufe die Frage 7 des Herrn Abgeordneten Hörmann auf:
Kann die Bundesregierung auf Grund entsprechender Untersuchungen Auskunft darüber geben, welche Auswirkungen der Betrieb von Kernkraftwerken am Oberrhein auf die Ökologie und das Klima dieses Gebiets haben wird?
Herr Minister!
Für das Kernkraftwerk Breisach liegt bisher nur ein provisorischer Antrag auf einen Standortvorbescheid vor, der wegen noch unvollständiger Unterlagen von der zuständigen Genehmigungsbehörde bis jetzt noch nicht behandelt wurde.
Im Genehmigungsverfahren werden die Auswirkungen des Betriebs dieses Kernkraftwerkes auf die Ökologie und das Klima des umliegenden Gebiets eingehend geprüft werden. Der Antragsteller hat hierzu die Vorlage von Gutachten angekündigt.
Die Bundesregierung und die zuständigen Landesregierungen sind sich darüber im klaren, daß in die Planung von Kernkraftwerken am Oberrhein diejenigen jenseits der Grenze einzubeziehen sind, so daß die Bevölkerung nicht insgesamt mit unzumutbaren Risiken belastet wird. Die deutschen und französischen Genehmigungsbehörden sind daher wegen des Kernkraftwerks Fessenheim in Kontakt.
Ich habe die zuständige deutsche Genehmigungsbehörde gebeten, auch diese Frage bei den weiteren Besprechungen mit der französischen Seite zu erörtern und weiter zu verfolgen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, halten Sie es für möglich, um eindeutige Ergebnisse über die Auswirkungen zu erhalten, den weiteren Ausbau von Kernkraftwerken bis zur Endstufe so lange zu stoppen, bis aus der Errichtung der ersten Ausbaustufe z. B. entsprechende Forschungsergebnisse über die klimatischen Auswirkungen vorliegen, und können Sie dazu einen Forschungsauftrag erteilen?
Herr Abgeordneter, ich halte es nicht nur für möglich, sondern für notwendig, daß vor Erteilung weiterer Genehmigungen derartige Erkenntnisse vorliegen müssen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Offergeld.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1971 9099
Herr Minister, kann ich davon ausgehen entgegen dem Eindruck, der vorher bei der Beantwortung der Fragen durch Herrn Staatssekretär Moersch entstanden ist —, daß die Bundesregierung mit den Nachbarregierungen in dieser Beziehung Verhandlungen aufnehmen wird, bevor auf der einen oder anderen Seite vollendete Tatsachen geschaffen sind?
Herr Abgeordneter, es ist ganz selbstverständlich, daß mit meiner Antwort kein anderer Eindruck entstehen kann als mit der eines anderen Mitgliedes der Bundesregierung. Deshalb kann ich für die ganze Bundesregierung sagen, daß vor einer Konsultierung auch der anderen Seite, vor Berücksichtigung auch der Einflüsse durch die Entscheidungen von anderen Rhein-Anliegerstaaten selbstverständlich eine solche Entscheidung nicht ergehen wird,
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Becker auf:
Ist die Bundesregierung bereit, Rationalisierungsmaßnahmen im öffentlichen Dienst besonders zu fördern?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat sich zur Aufgabe gestellt, die öffentliche Verwaltung zu modernisieren, d. h. ihre Organisationen und ihre technischen Verfahren und Methoden zu verbessern. Sie hat daher alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, die die öffentliche Verwaltung instandsetzen, die ihr gestellten Aufgaben so einfach, so billig und so wirkungsvoll wie möglich zu erfüllen.
Von besonderer Bedeutung ist dabei der Einsatz von EDV-Anlagen. Bereits in der Regierungserklärung hat die Bundesregierung die Bedeutung der Datenverarbeitung besonders hervorgehoben. Sie hat angekündigt, daß sie verstärkt Haushaltsmittel zur Förderung dieses Bereichs bereitstellen wird.
Der Einsatz der Datenverarbeitung wird gerade im Bereich der öffentlichen Verwaltung eine erhebliche Steigerung der Leistungsfähigkeit bewirken. Über das bisher erzielte Ergebnis und das künftige Programm geben der zweite Bericht über die Anwendung der EDV in der Bundesverwaltung vom 17. April 1970 sowie das zweite Datenverarbeitungsprogramm der Bundesregierung Auskunft.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, würden Sie es für möglich halten, daß wir mit der Rationalisierung beispielsweise hier im Parlament begönnen, indem wir auf dem Vorblatt der Gesetzentwürfe auch eine Rubrik anführten, wie viel Arbeitskräfte im öffentlichen Dienst bei Verabschiedung eines Gesetzes notwendig wären?
Die Frage steht nicht mehr in dem notwendigen unmittelbaren Sachzusammenhang. Herr Kollege, ich kann Ihnen nur empfehlen, sie im Hinblick auf die sehr weitreichenden Konsequenzen neu einzubringen.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Becker auf:
Wird die Bundesregierung dafür Sorge tragen, daß den Angehörigen des öffentlichen Dienstes ihr Besitzstand gewahrt bleibt und sie an den Rationalisierungsgewinnen beteiligt werden?
Die Bundesregierung hat durch eine Reihe von Regelungen Vorsorge getroffen, daß den Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die von Rationalisierungsmaßnahmen betroffen werden, hierdurch möglichst keine Nachteile entstehen. Für den Bereich der Beamten sorgen schon die Beamtengesetze für die jederzeitige Wahrung des Besitzstands. So ist bei Umsetzungen, für die ein dienstliches Bedürfnis besteht — und hier sind Rationalisierungsmaßnahmen einzuordnen —, sichergestellt, daß der Beamte besoldungsmäßig keine Einbußen erleidet.
Den Auswirkungen von Rationalisierungsmaßnahmen auf Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse durch den Bundesangestelltentarifvertrag bzw. durch den Manteltarifvertrag für Arbeiter des Bundes geregelt sind, haben die Tarifvertragsparteien am 29. Oktober 1971 durch den Abschluß von Rationalisierungsschutzabkommen Rechnung getragen, die Arbeitsplätze sichern, Umschulungsmaßnahmen fördern und bei Umsetzungen und äußerstenfalls notwendigen Entlassungen die betroffenen Arbeitnehmer sozial absichern. Für die Arbeitnehmer bei der Deutschen Bundesbahn und bei der Deutschen Bundespost bestehen zum Teil ähnliche Regelungen, die im Bereich der Deutschen Bundesbahn im Lohntarifvertrag und im Bereich der Deutschen Bundespost in Rationalisierungsschutzverfügungen aus dem Jahre 1969 enthalten sind.
Was die Frage nach einer Beteiligung an etwaigen Rationalisierungsgewinnen betrifft, so erscheint mir deren unmittelbare Weitergabe im öffentlichen Dienst nicht möglich. Ich weise jedoch darauf hin, daß etwaige Rationalisierungsgewinne bei den jährlichen Einkommenssteigerungen im öffentlichen Dienst, die sich am allgemeinen Produktivitätsfortschritt orientieren, berücksichtigt werden.
Keine Zusatzfrage. Die Fragen 10 und 11 des Herrn Abgeordneten Dr. Evers, die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Dr. Hauff und die Fragen 13 und 14 des Herrn Abgeordneten Peters werden schriftlich beantwortet, weil die Fragestellter nicht anwesend sind. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 15 des Herrn Abgeordneten Konrad auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß nicht in allen Bundesländern entsprechend der Verordnung über Sonderurlaub für Bundesbeamte und Richter vom 20. Oktober 1965 Landes- und Kommunalbeamten Sonderurlaub für die Teilnahme an den vom Bundespresse- und Informationsamt organisierten Informationsreisen gewährt wird?
Herr Bundesminister, bitte!
9100 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1971
Herr Abgeordneter, der Bundesregierung ist nicht bekannt, wie Landesbehörden im Einzelfall über Urlaubsgesuche von Beamten entscheiden. Die Regelung des Urlaubs für Landesbeamte fällt in die Zuständigkeit der Länder. Der Bundesregierung steht keine Aufsichtsbefugnis gegenüber Landesbehörden bei der Durchführung von Landesrecht zu.
Eine Zusatzfrage?
Ich würde gerne meine Zusatzfragen stellen, wenn der Herr Minister auch meine zweite Frage beantwortet hat.
Dann rufe ich jetzt die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Konrad auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um allen Angehorigen im öffentlichen Dienst des Bundes, der Länder und Gemeinden Gieichhehandlung bei Informationsfahrten nach Bonn zu sichern, insbesondere dann, wenn ein Bundesland Dienstbefreiung für Veranstaltungen, die im weitesten Sinne der Fortbildung dienen, im Erlaßweg geregelt hat?
Herr Abgeordneter, auf Ihre zweite Frage antworte ich wie folgt. Die Regelung über Sonderurlaub in den Landesgesetzen unterliegt der Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Dem Bund steht insoweit nur eine Rahmenkompetenz zu. Ich bedaure das. Das Beamtenrechtsrahmengesetz enthält keine rahmenrechtliche Bindung der Länder hinsichtlich der Einzelheiten der Urlaubsregelung. Die Frage der Gewährung von Sonderurlaub für die Teilnahme an staatspolitischen Bildungsveranstaltungen würde sich für eine rahmenrechtliche Regelung auch nicht eignen. Gleichwohl würde es die Bundesregierung begrüßen, wenn entsprechend der Regelung für Bundesbeamte bei Tagungen, die vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung veranstaltet werden, verfahren würde.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, ich möchte Sie fragen, ob Sie einen Erlaß, den ein Bundesland herausgegeben hat und nach dem Dienstbefreiung für Veranstaltungen, die im weitesten Sinn der Fortbildung dienen, gewährt wird, auch als Grundlage für die Dienstbefreiung für diese angesprochenen Bonn-Fahrten gelten lassen würden.
Herr Abgeordneter, um einen Erlaß zu beurteilen, müßte ich ihn kennen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege?
An und für sich hätte ich noch drei Zusatzfragen.
Herr Kollege, nachdem Sie bei der ersten Frage keine Zusatzfrage gestellt haben, haben Sie an sich jetzt nur insgesamt zwei Zusatzfragen. Sie haben jetzt also noch eine weitere Zusatzfrage.
Ich glaube, damit komme ich auch aus.
Herr Minister, wäre es nicht möglich gewesen, den in meiner Frage ja sehr deutlich kenntlich gemachten Erlaß zu beschaffen, um mir hier heute auch eine entsprechende Antwort auf meine zweite Frage erteilen zu können?
Herr Abgeordneter, Sie bringen mich mit Ihrer Zusatzfrage in die peinliche Verlegenheit, Ihnen zunächst sagen zu müssen, daß das Datum, das Sie in Ihrer Frage genannt haben, unzutreffend ist. Es handelt sich nicht um eine Verordnung vom 20. Oktober 1965, sondern um eine solche vom 18. August 1965. Ich habe selbstverständlich eine Prüfung des Inhalts insoweit vorgenommen, als dies notwendig war, um die von Ihnen gestellten Fragen zu beantworten. Ich habe aber nicht insoweit eine Prüfung vorgenommen, um hier eine grundsätzliche und allgemeine Beurteilung, wie Sie sie mit Ihrer Zusatzfrage anstreben, vornehmen zu können. Ich bin aber gern bereit, das schriftlich nachzuholen.
Ich rufe die Frage 17 des Herrn Abgeordneten Seefeld auf:
In welcher Weise beeinträchtigt die Ablagerung von Abfällen durch die elsässische Kaliindustrie in den Rhein das Rheinwasser, und welche Schritte hat die Bundesregierung dagegen unternommen?
Herr Minister, bitte!
Die elsässische Kaliindustrie leitet die im wesentlichen aus verunreinigtem Kochsalz bestehenden Abfälle der Kaligewinnung flüssig in den Rhein. Dadurch und durch weitere Kochsalzeinleitungen, die vom französischen Gebiet über die Mosel, die Saar und vom deutschen Gebiet insbesondere über die Lippe in den Rhein gelangen, ist der Salzgehalt des Rheins am Niederrhein schließlich so angestiegen, daß in den Niederlanden Schwierigkeiten entstehen, das Rheinwasser für die Wasserversorgung und für die Landwirtschaft zu verwenden.
Die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung, der neben der Schweiz, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden auch die Bundesrepublik Deutschland angehört, befaßt sich vordringlich mit der Frage, wie die Salzlast des Rheins zu verringern wäre. Auf Grund umfangreicher Untersuchungen hat die Kommission festgestellt, daß die einfachste, effektvollste und wirtschaftlichste Methode zur Verringerung der Salzlast des Rheins die Aufhaltung eines ausreichenden Teils der Abfallsalze im Gelände der elsäs-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1971 9101
Bundesminister Genscher
sischen Kaligruben wäre. Die Kommission prüft zur Zeit verschiedene Haldenstandorte auf ihre Eignung.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß die niederländische Seite angeblich die Absicht haben soll, eine Ministerkonferenz der Rheinuferstaaten wegen der Rheinverschmutzung einzuberufen? Meinen Sie, daß sich die Bundesregierung an einer solchen Konferenz beteiligen müßte?
Wegen der Sorge, die sich die Bundesregierung über dieses Problem macht, glaube ich, daß die Bundesregierung an einer solchen Konferenz teilnehmen würde.
Ich rufe die Frage 18 des Herrn Abgeordneten Dr. Hubrig auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Tatbestand, daß die Sätze der Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz entsprechend ihrem Entwurf zu einem Vierten Unterhaltshilfeanpassungsgesetz trotz der vorgesehenen Anhebungen erheblich unter den Sätzen der Sozialhilfe liegen?
Bitte, Herr Minister!
Herr Kollege, es ist nicht richtig, daß die Sätze der Unterhaltshilfe auch nach dem Entwurf des 4. Unterhaltshilfe-Anpassungsgesetzes erheblich unter den Sätzen der Sozialhilfe lägen. Man kann bei einem solchen Vergleich niemals Einzelfälle betrachten, sondern muß auf den Durchschnitt aller Fälle abstellen. Dabei muß man bei einem Vergleich der Leistungen aus beiden Bereichen auch berücksichtigen, daß nur eine ganz kleine Minderheit von etwa 10 % der Unterhaltshilfeempfänger allein auf die Sätze der Unterhaltshilfe angewiesen ist. Rund 60 % der Berechtigten beziehen im Rahmen der Unterhaltshilfe auch den Selbständigenzuschlag; ein etwa gleich großer Anteil bezieht neben der Unterhaltshilfe und zum Teil neben dem Selbständigenzuschlag Renten aus der Sozialversicherung oder vergleichbare Bezüge und hat wegen der bei der Anrechnung dieser Renten gewährten Freibeträge ein entsprechend höheres Gesamteinkommen. In all diesen Fällen liegen die Bezüge der Unterhaltshilfeempfänger über den Sätzen der Sozialhilfe.
In der Masse der Fälle und damit in ihrem Durchschnitt liegen die Unterhaltshilfesätze also nicht unter den Sätzen der Sozialhilfe, die ihrerseits übrigens auch von Land zu Land und zum Teil von Ort zu Ort wesentlichen Schwankungen unterworfen sind.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, dann stimmen also meine Unterlagen nicht, nach denen
immerhin eine Differenz von fast 50 DM besteht, wenn sich eben diese Einkünfte aus der Unterhaltshilfe auf 235 DM belaufen, während sich die anderen auf etwa 280 DM belaufen? Sie haben soeben nur von 10 °/o gesprochen. Stimmen die Sätze überhaupt nicht?
Für den Herrn Minister ist es natürlich sehr schwer, zu beurteilen, ob Ihre Unterlagen stimmen, wenn er sie vorher nicht gesehen hat.
Ich würde mir niemals erlauben, auch nur zu bezweifeln, ob die Unterlagen, die ein Mitglied dieses Hohen Hauses hat, richtig sind. Aber das muß nicht bedeuten, daß meine Antwort falsch wäre. Ich habe mich zu der Frage geäußert, ob ganz generell gesagt werden kann, daß diese Sätze unter denen der Sozialhilfe liegen. Sie werden meiner Antwort entnommen haben, Herr Kollege, daß das sehr wohl der Fall sein kann, daß es aber eine unzulässige Verallgemeinerung wäre, zu sagen, daß das in der Regel oder in der Mehrzahl der Fälle so sei. Im Gegenteil, in der großen Mehrheit der Fälle liegen sie über denen der Sozialhilfe.
Aber, Herr Minister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß das, selbst wenn es nur für 10 % der Fälle zutrifft, dennoch eine außerordentliche Härte für den einzelnen bedeutet?
Es besteht überhaupt kein Zweifel, daß das im Einzelfall für die Betroffenen eine große Härte ist, selbst wenn es sich nur um 1 % handeln würde.
Ich rufe die Frage 19 des Abgeordneten Dr. Hubrig auf:
Hält die Bundesregierung in diesem Zusammenhang Vorhaben des Bundesausgleichsamts für angemessen, eine Erhöhung der Unterhaltshilfe zum 1. Januar 1972 von 235 DM auf 255 DM durchzuführen?
Das Bundesausgleichsamt beabsichtigt nicht, die Unterhaltshilfesätze zu erhöhen. Eine solche Maßnahme bedarf eines Aktes des Gesetzgebers, und hierzu hat die Bundesregierung mit dem Entwurf des 4. Unterhaltshilfe-Anpassungsgesetzes die initiative ergriffen. Wegen der Auswirkung im einzelnen darf ich auf die soeben gegebenen Antworten verweisen.
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Brück auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, in dieser Wahlperiode Gesetzesnovellen zum G 131 und zum Bundesgesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes einzubringen, nachdem die Härteberichte des Bundesinnenministers in beiden Gesetzgebungsbereichen bereits seit geraumer Zeit vorliegen?
Bitte, Herr Minister!
9102 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1971
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat die vom Innenausschuß des Deutschen Bundestages erbetenen Berichte zum Gesetz 131 und zum BWGöD am 10. Februar bzw. 19. Mai 1971 erstattet. Auf der Grundlage der Berichte wird die Bundesregierung gemeinsam mit dem Innenausschuß prüfen, welche gesetzgeberischen Maßnahmen notwendig und möglich sind.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, da Sie den Innenausschuß angesprochen haben: Im Innenausschuß wurde aberdargelegt — wenn ich fragen darf: ist es nicht so? —, daß zunächst die finanzielle Situation eine Rolle spielen sollte, bevor das vorgelegt wird.
Herr Abgeordneter, ich gehe mit Zuversicht davon aus, daß nicht nur die Mitglieder !der Bundesregierung, sondern alle Mitglieder des Hohen Hauses, also auch die des Innenausschusses, bei jeder Entscheidung auch die finanziellen Möglichkeiten mit im Auge haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Welchen Wert kann die Prüfung der 'Bundesregierung zusammen mit dem Innenausschuß haben, wenn für das Jahr 1972 keine Mittel für eine etwaige Verbesserung oder Abschlußgesetzgebung zur Verfügung gestellt werden?
Herr Abgeordneter, sie könnte z. B. den Wert haben, daß man für künftige Jahre Entscheidungen ins Auge faßt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wagner .
Herr Bundesminister, sind in der mittelfristigen Finanzplanung der Bundesregierung für das Schlußgesetz zu Art. 131 GG für besondere Mittel vorgesehen, nachdem die Abschlußgesetzgebung doch sicherlich nicht aus den normalen Personaltiteln gedeckt werden kann?
Herr Abgeordneter, die mittelfristige Finanzplanung ist keine absolute Festlegung des Ausgabengebarens für künftige Jahre, so daß nicht nur für die Bundesregierung, sondern natürlich auch für Mitglieder des Hauses, ungeachtet der Tatsache, ob sie den Regierungsparteien oder der Opposition angehören, jede Möglichkeit offen ist, Vorschläge für die Bereitstellung von Mitteln für diese Aufgabe zu machen.
Ich rufe die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Brück auf:
Im Falle der Bejahung der Vorfrage: innerhalb welchen Zeitraums sieht sich die Bundesregierung in der Lage, entsprediende Gesetzentwürfe vorzulegen?
Einen Zeitpunkt für die Vorlage entsprechender Gesetzentwürfe vermag ich noch nicht anzugeben, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, werden Sie dafür Verständnis haben, daß wir zu gegebener Zeit wieder fragen?
Ich rechne fest mit der Wiederholung Ihrer Fragen, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Berger, Sie haben jetzt zwei Fragen mit vier Zusatzfragen. Ich rufe Ihre Frage 22 auf:
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, nachdem nunmehr 26 Jahre seit Kriegsende vergangen sind, zu einer Ahschlußgesetzgebung auf dem Gebiet des Artikels 131 GG und des Bundesgesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes zu kommen, wie dies vom Deutschen Bundestag in seiner 5. Wahlperiode unter Zustimmung aller Fraktionen für notwendig gehalten wurde?
Ich bitte um Verständnis, es sind noch mehere Kollegen, die Fragen beantwortet haben möchten.
— Nein, Sie haben vier Zusatzfragen.
Herr Abgeordneter, diese Frage kann erst nach Beendigung der von mir schon erwähnten Prüfungen beantwortet werden. Ich darf im übrigen auf die Beantwortung der Frage des Herrn Kollege Brück Bezug nehmen.
Eine Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wie glaubt die Bundesregierung dann, den Widerspruch erklären zu können, der in Folgendem liegt? Wie ist die Tatsache, daß die SPD-Fraktion am 14. Januar 1966 mit der Drucksache V/183 die Bundesregierung ersucht hat, bis zum 1. Januar 1967 ein Abschlußgesetz zum Art. 131 des Grundgesetzes vorzulegen, und daß die FDP-Fraktion am 30. September 1968 mit der Drucksache V/3296 sogar einen Initiativgesetzentwurf für ein Abschlußgesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes einbrachte, zu vereinbaren mit der jetzigen Erklärung, daß die Frage von der Bundesregierung mit dem Innenausschuß weiterhin geprüft werden muß, insbesondere wenn im Innenausschuß die Vertreter der SPD und FDP über einen entsprechenden Antrag bereits eine negative Entscheidung getroffen haben?
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1971 9103
Herr Abgeordneter, ich vermag darin keinen Widerspruch zu sehen, sondern vielmehr die Erkenntnis daraus zu entnehmen, daß alle Fraktionen des Hauses und alle Regierungen, frühere und die jetzige, sich bei jeder Entscheidung auch in diesem Bereich am Notwendigen, aber auch am Möglichen orientieren.
Eine weitere Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Befürchtet die Bundesregierung nicht, das Vertrauen weiter Kreise der Öffentlichkeit in einmütige Erklärungen des Deutschen Bundestages wie z. B. in die Erklärung über die Notwendigkeit einer Abschlußgesetzgebung in dieser Legislaturperiode zu erschüttern, wenn man in der Regierungsverantwortung nicht das in die Tat umsetzt, was man früher als Opposition an der damaligen Regierung kritisierte?
Herr Abgeordneter, ich glaube, daß wir alle die Probleme, die hier gegeben sind, voll erkennen und sehen. Ich glaube, daß auch Angehörige Ihrer Fraktion früher die Notwendigkeit dieser gesetzgeberischen Maßnahme ebenso bejaht haben, wie das die Regierungsparteien getan haben und noch tun. Die Sorge, die Sie haben, teile ich, aber allein damit werden die Probleme, um die es geht, nicht gelöst.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wagner.
Herr Bundesminister, teilen Sie die Auffassung, daß 26 Jahre nach Kriegsende eine Abschlußgesetzgebung dringend erforderlich ist, und sind Sie — vorausgesetzt, daß Sie damit einiggehen — bereit, zu prüfen, ob dieses Abschlußgesetz in der Form entwickelt werden könnte, daß es gegebenenfalls auch in mehreren Stufen in Kraft gesetzt werden könnte, um den finanziellen Möglichkeiten Rechnung zu tragen?
Herr Abgeordneter, ich bin in der Tat der Meinung, daß 26 Jahre nach Kriegsende die Lösung dieses Problems besonders dringlich ist. Ich habe diese Dringlichkeit allerdings auch schon 23 Jahre nach Kriegsende bejaht, und damals wie heute standen der Lösung dieses als dringlich erachteten Problems eine Reihe von Schwierigkeiten gegenüber, die Sie aus der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung so gut kennen wie ich.
Ich rufe die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Berger auf, die Frage 23:
Welche Teilgebiete müßten nach Auffassung der Bundesregierung in beiden Gesetzesmaterien vordringlich geregelt werden, um die dringendsten Härtefälle zu beseitigen?
Die Meinungsbildung darüber, welche Teilgebiete in beiden Gesetzesmaterien vordringlich geregelt werden können, kann im Grunde erst nach Abschluß der von mir geschilderten Prüfungen stattfinden, Herr Abgeordneter.
Eine Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Würde es die Meinungsbildung nicht erleichtern, wenn Sie den Antrag der FDP von seinerzeit, der in 70 Punkten eine Änderung für dringend erforderlich hielt, bei der Meinungsbildung zu Hilfe nähmen, um zu erkennen, in welchen Teilgebieten eine Regelung vordringlich ist?
Herr Abgeordneter, Sie werden es nicht als Subjektivität auslegen, wenn ich Ihnen versichere, daß ich besonders Anträge der FDP berücksichtige, was nicht die Prüfung der Anträge anderer Fraktionen ausschließt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
War es nicht insbesondere der Sinn des Härteberichts, der in 24 Punkten Härten zumindest seitens der Bundesregierung für gegeben hält, daß nun eine Liste solcher Punkte aufgestellt wird, in denen Einzelfragen vordringlich geändert werden müssen?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung mißt der Lösung dieses Problems wirklich große Bedeutung bei. Ich teile die Sorge, die hier im Hause vorhanden ist, voll, daß in vielen Fällen bei vielen Betroffenen sogar Mutlosigkeit einkehrt, wenn es nicht möglich ist, in absehbarer Zeit zu einer Lösung dieses Problems zu kommen. Wie ernst die Bundesregierung das Problem nimmt, mögen Sie daraus entnehmen, daß wir uns bemüht haben, diesen Härtebericht mit großer Gründlichkeit zu erstellen und wirklich alle Härten zu überprüfen. Ich bin überzeugt, daß gerade die Vorlage dieses Härteberichts der Bundesregierung den gesetzgebenden Organen die Meinungsbildung erleichtern wird und auch zur Beschleunigung der Meinungsbildung beitragen kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Becker .
Herr Minister, bringt nicht die Tatsache, daß dieser Härtebericht jetzt so viel Probleme aufgeworfen hat, schon zum Ausdruck, daß in den letzten 20 Jahren einfach viel zuwenig auf diesem Sektor geschehen ist?
Herr Abgeordneter, Härten, die in früherer Gesetzgebung abgestellt worden wären, hätten wir in der Tat in
9104 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1971
Bundesminister Genscher
diesen Härtebericht nicht mehr aufzunehmen brauchen.
Ich rufe die Frage 24 des Herrn Abgeordneten Wagner auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung noch nicht zu einer Meinungsbildung darüber gekommen sei, welchen in den beiden Härteberichten zum G 131 und zum Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes genannten Problemen angesichts der beschränkten zur Verfügung stehenden Mittel Priorität eingeräumt werden soll?
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, es nicht als Unhöflichkeit aufzufassen, wenn ich zur Beantwortung Ihrer Frage auf die vorher gegebenen Antworten verweise. Ich kann nur noch einmal sagen, daß die Bundesregierung dieses Problem sehr ernst nimmt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, ich darf meine Frage, die ohne Antwort geblieben ist, wiederholen: Sind Sie bereit, zu prüfen, ob ein Abschlußgesetz auf der Basis vorgelegt werden kann, daß es zwar als Ganzes beschlossen, aber gegebenenfalls in Stufen in Kraft gesetzt werden kann, um eben den beengten Möglichkeiten im Haushalt Rechnung zu tragen?
Herr Abgeordneter, ich glaube, daß das zu den konstruktiven Prüfungsaufgaben gehört.
Ich rufe die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Wagner auf, die Frage 25:
Im Falle der Bejahung der Vorfrage: wie verhält sich dieses Unvermögen zu der Äußerung des Herrn Bundeskanzlers — abgedruckt im Bulletin der Bundesregierung vom 24. Oktober 1970: „Unser internes Arbeitsprogramm, das der Konkretisierung und Verwirklichung der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 dient, ist jetzt sachlich verzahnt, zeitlich geplant und finanziell durch die bis 1974 festgeschriebene Finanzplanung abgesichert"?
Herr Abgeordneter, von einem Unvermögen kann nicht die Rede sein.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, die Frage ist nach wie vor, wie die Ausführungen des Bundeskanzlers mit dem jetzigen Geschehnis in Einklang zu bringen sind.
Herr Abgeordneter, sie war etwas anders. Sie hatten ein Unvermögen der Bundesregierung unterstellt. Ich sage noch einmal, daß die Bundesregierung bemüht ist, dieses sie sehr bedrückende Problem einer Regelung zuzuführen, daß sie sich dabei aber wie jede ihrer Vorgängerinnen und wie das ganze Hohe
Haus auch an den Möglichkeiten, die gegeben sind, orientieren muß.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Muß ich aus der Tatsache, Herr Minister, daß entgegen dem Auftrag des Deutschen Bundestages nicht die Bundesregierung, sondern nur der Bundesminister des Innern den Härtebericht vorgelegt hat, schließen, daß die dem Härtebericht beigefügten Kostenübersichten nicht die Zustimmung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Finanzen gefunden haben und daher ein mehr oder minder unverbindliches Zahlenspiel darstellen, das dem Bundesminister für Wirtschaft und Fizen die Möglichkeit gab, für 1972 „null" für diesen Zweck in den Haushaltsplan einzusetzen?
Herr Abgeordneter, ich darf dazu zwei klare Feststellungen treffen: 1. Nichts, was der Bundesminister des Innern sagt, ist unverbindlich. 2. Alles, was der Bundesinnenminister sagt, sagt er für die ganze Bundesregierung.
Die Frage 26 des Abgeordneten Dr. Becher wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Das gleiche gilt für die Frage 89 der Abgeordneten Frau Griesinger. Auch hier wird die Antwort als Anlage abgedruckt.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern erledigt. Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen.
Die Fragen 87 und 88 des Abgeordneten Dr. Jungmann werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Das gleiche gilt für die Frage 89 der Abgeordneten Frau Griesinger. Auch hier wird die Antwort als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 90 des Abgeordneten Dr. Gruhl auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß eine westdeutsche Firma einen Stadtomnibus entwickelt hat, bei dem der Schallpegel nur 75 bis 77 dB(A) gemessen nach ISO beträgt, also 12 bis 14 dB(A) weniger als z. Z. in der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung festgelegt ist, und daß dieser Omnibus bereits in einer schwedischen Stadt in mehreren dutzend Exemplaren im Verkehr ist?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Börner zur Verfügung. Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, die Antwort lautet nein. Allerdings ist der Bundesregierung bekannt, daß die schwedische Firma Saab Scania einen Stadtomnibus entwickelt hat, bei dem der Schallpegel die genannten Werte erreicht.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1971 9105
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 91 des Abgeordneten Dr. Gruhl auf:
Wird — und wann — die Bundesregierung den höchstzulässigen Grenzwert für Außengeräusche bei LKW's über 200 PS, der jetzt nach der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung noch 89 dB(A) beträgt, auf Grund dieser neuen technischen Entwicklung herabsetzen?
Herr Kollege, die in den Richtlinien zu § 49 der Straßenverkehrs-Zulassungsordnung enthaltenen Geräuschgrenzwerte sind seit 1953 bereits fünfmal herabgesetzt, also verschärft worden. Der derzeit gültige Grenzwert für Lkws über 200 PS beträgt 92 dB(A). Die in das nationale Recht zu übernehmende Richtlinie der Europäischen Gemeinschaften über die zulässigen Geräuschpegel von Kraftfahrzeugen enthält bereits den Wert 91 dB(A), die weitgehend auf deutsche Initiative zurückzuführen ist. Strengere Wertung der einzelnen Geräuschmessungen und geringere Meßtoleranzen bewirken dabei eine weitere Verschärfung. Eine weitere Herabsetzung der Geräuschgrenzwerte könnte nur in erneuter Abstimmung mit den Partnern der Europäischen Gemeinschaften erfolgen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, besteht denn nicht ein Widerspruch zu den Vorschriften der Straßenverkehrs-Zulassungsordnung, die ja vorschreibt, sich an den jeweils erreichbaren technischen Wert anzupassen, wenn jetzt die Regelung von den europäischen Werten abhängig gemacht wird?
Herr Kollege, die Übernahme der Richtlinie der Europäischen Gemeinschaften wird zur Zeit vorbereitet. Mit der Verkehrsblatt-Veröffentlichung vom 15. November 1971 wurde bekanntgegeben, daß das Kraftfahrt-Bundesamt bereits ermächtigt wurde, die europäische Richtlinie im Rahmen des geltenden Rechts anzuwenden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Wäre es nicht dennoch richtiger — da ja bereits der Lärm um etwa 14 dB(A) herabgesetzt werden kann, was mehr als die Hälfte des bisherigen Lärms bedeuten würde —, daß die Bundesrepublik hier vorangeht, um möglichst zu erreichen, daß die übrigen Partner nachfolgen?
Herr Kollege, Sie wissen, daß man in wirtschaftlichen Dingen in der Europäischen Gemeinschaft möglichst das Prinzip der Harmonisierung beachten muß, um hier keine unbilligen Wettbewerbsnachteile für deutsche Firmen zu schaffen. Das gilt auch für den Fragenkomplex, der hier angesprochen wurde.
Unabhängig von diesem Gesichtspunkt können Sie aber versichert sein, daß wir uns bemühen werden, aus den Gründen, die Ihnen bekannt sind, eine weitere Herabsetzung zu erreichen. Nur möchten wir hier gern auch unsere Partner und Konkurrenten in der Europäischen Gemeinschaft einbeziehen.
Die Frage 92 des Abgeordneten Dr. Jahn wird schriftlich beantwortet. Die Antwort 'wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 93 und 94 des Abgeordneten Dr. Jobst werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Auch hier werden die Antworten als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 95 des Abgeordneten Dr. Gleissner auf :
Welche Beträge sind im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung disponiert, um den Ausbau, die Flugsicherung und den lautenden Unterhalt bei den Flughäfen der Bundesrepublik Deutschland zu gewährleisten, und in welcher Größenordnung beteiligen sich zur Zeit die Fluggesellschaften an der Aufbringung dieser Kosten?
Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß es sich in Ihrer Frage um die für die Bundesanstalt für Flugsicherung aufzuwendenden Kosten für Investitionen und laufenden Unterhalt handelt.
Im Rahmen der mehrjährigen Finanzplanung für die Jahre 1971 bis 1975 sind für Investitionen an Geräten und Gebäuden 621,6 Millionen DM, für den laufenden Unterhalt einschließlich der Personalkosten 518,4 Millionen DM vorgesehen. Zu den Kosten der Streckennavigationseinrichtungen und -dienste werden die Fluggesellschaften zur Zeit mit 15 % herangezogen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist beabsichtigt, die Fluggesellschaften angesichts der wachsenden Kosten für Flughäfen und Flugsicherung künftig stärker heranzuziehen, und sind hierzu schon Größenordnungen bekannt?
Herr Kollege, es gibt einen begreiflichen Wunsch aller Staaten, die Flugsicherungsdienste vorhalten, die Fluggesellschaften Schritt für Schritt in die Kostendeckung mit einzubeziehen. Ich verweise auf eine Erklärung der Bundesregierung zum Verkehrsbericht, der Ihnen vorgelegen hat, wo wir das Problem der sogenannten Wegekostendeckung auch hinsichtlich des Luftverkehrs angesprochen haben.
9106 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 158. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. Dezember 1971
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
Sie müssen aber sehen, daß jede nur national getroffene Regelung dazu führen würde, daß bei der geographischen Größe der Bundesrepublik Deutschland der internationale Luftverkehr diesen Raum eventuell vernachlässigen würde, wenn nicht andere Partner genauso verfahren wie wir. Dies würde dazu führen, daß wir große wirtschaftliche Nachteile hätten. Deshalb muß der Kampf der Staaten mit den Fluggesellschaften um eine größere Kostendeckung praktisch weltweit aufgenommen werden. Damit ist Ihnen deutlich, daß dies eine immerwährende Aufgabe der internationalen Luftverkehrspolitik ist und nicht so sehr ein kurzfristiges nationales Problem sein kann.
Ich rufe die letzte Frage der heutigen Fragestunde auf, Frage 96 des Herrn Abgeordneten Seefeld:
Entspricht es den Tatsachen, daß die Zerstörungen an öffentlichen Münzfernsprechern zunehmen, und welche Schutzmaßnahmen können zusätzlich von der Deutschen Bundespost ergriffen werden?
Herr Kollege, in den letzten Jahren haben die Beschädigungen an öffentlichen Münzfernsprechern ständig zugenommen. Die Deutsche Bundespost hat versucht, die Konstruktion der Münzfernsprecher so zu ändern, daß mutwillige Zerstörungen möglichst erschwert oder unmöglich gemacht werden. Weil aber diese Schutzmaßnahmen die Benutzung der Münzfernsprecher nicht unnötig erschweren dürfen, ist die Deutsche Bundespost auf die Einsicht und Mithilfe aller Bürger angewiesen, damit möglichst viele Übeltäter gefaßt werden können.
Durch regelmäßige Presseveröffentlichungen und augenfällige Plakate an den Fernsprechhäuschen wird im übrigen immer wieder auf die Bedeutung der öffentlichen Münzfernsprecher hingewiesen. Beispielsweise zeigt ein Plakat der Deutschen Bundespost einen Notarztwagen, und der Plakattext lautet: „Fernsprecher helfen retten — zerstöre sie nicht!"
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, so sehr ich mit diesen Maßnahmen einverstanden bin, so nachdrücklich möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht den Eindruck haben, daß diese Bemühungen verstärkt werden müßten, etwa in der Form, daß Sie von Zeit zu Zeit besondere Kampagnen starten, bei denen Sie in dem Sinne, wie Sie ihn eben schon angedeutet haben, also nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit Beispielen, die darauf hinweisen, wie notwendig ein Telefon in der Öffentlichkeit sein kann, an die Bevölkerung appellieren?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, die Bemühungen der Deutschen Bundespost gehen in die Richtung, in die Ihre Zusatzfrage weist. Es ist dies insgesamt kein Problem der polizeilichen Überwachung — man kann nicht neben jedes Fernsprechhäuschen einen Polizisten stellen —, sondern es ist eine Frage der Mithilfe der Bürger, den Schutz des öffentlichen Eigentums vor Zerstörung zu garantieren.
Herr Kollege Seefeld, machen Sie es mir nicht zu schwer. Wir sind am Ende der Fragestunde.
Ich habe nur eine letzte Zusatzfrage. — Herr Staatssekretär, läßt sich in Zahlen ausdrücken, welche Verluste jedes Jahr allein dadurch entstehen, daß von der Bundespost umfangreiche Maßnahmen für die Wiederinstandsetzung vorgenommen werden müssen?
Herr Kollege, ich habe die entsprechenden Zahlen nicht hier, bin aber gern bereit, sie Ihnen schriftlich nachzuliefern.
Bei dem hohen technischen Standard der heutigen Selbstwähldienst-Münzfernsprecher ist das, was hier an Werten mutwillig zerstört wird, außerordentlich groß.
Meine Damen und Herren! Die Abgeordneten Dr. Arnold, Heyen, Brandt , Staak (Hamburg) und Henke haben hier in der Hoffnung, daß ihre Fragen noch aufgerufen werden, ausgeharrt. Ich bedaure daher sehr, daß die Fragestunde abgelaufen ist. Die Fragesteller haben Ihre Fragen 97 bis 105 zurückgezogen in der Hoffnung, daß der Geschäftsablauf in der nächsten Woche ihre mündliche Behandlung zuläßt; die mündliche Beantwortung und nicht nur die schriftliche Beantwortung ist ja auch der Sinn einer Fragestunde. Ebenso wurden die Fragen 117 bis 121 zurückgezogen. Die Fragen 106 und 107 des Abgeordneten Meister werden auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet und die Antworten im Sitzungsbericht abgedruckt.
Das Präsidium hat sich in diesen Tagen erneut darüber Gedanken gemacht, wie wir anstreben können, daß möglichst viele Kollegen zu einer mündlichen Antwort kommen.
Wir stehen damit am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich danke Ihnen und berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für Mittwoch, den 15. Dezember 1971, 9.00 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.