Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Wir fahren in der unterbrochenen Aussprache zu Punkt 2 der Tagesordnung fort:
Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Arbeitsprogramm der Bundesregierung zu den inneren Reformen in der 6. Legislaturperiode
Drucksachen VI/2604, VI/2709 Das Wort hat Frau Minister Strobel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe gestern darauf verzichtet, in der Reihenfolge der Wortmeldungen zu sprechen, um die Zusammenhänge zu wahren, obwohl ich natürlich wußte, daß, wenn ich heute früh um 9 Uhr anfrage, diejenigen Kollegen, die ich in erster Linie ansprechen möchte, wahrscheinlich nicht da sind.
Ich muß zu Anfang daran erinnern, daß der Herr Kollege Vogt gestern in seiner Antwort auf die Ausführungen von Herrn Nölling wörtlich folgendes gesagt hat: „Wer hat denn den Familienlastenausgleich in den fünfziger Jahren in diesem Hause gegen Ihre Fraktion durchsetzen müssen?" Meine Damen und Herren, das geht so eklatant an der Wahrheit vorbei, Herr Vogt, daß man es hier unbedingt richtigstellen muß. Vielleicht lassen Sie sich auch einmal die Akten des Deutschen Bundestages aus der damaligen Zeit vorlegen. Den ersten Gesetzentwurf, der in diesem Hause überhaupt für den Familienlastenausgleich eingebracht wurde, hat die SPD-Fraktion am 27. März 1950 eingebracht. Schon damals hat die SPD-Fraktion Kindergeld für alle Kinder vom ersten Kind an in ihrem Gesetzentwurf gefordert. Die CDU folgte dann mit einem Entwurf 1951. Leider ist im 1. Bundestag, in dem Sie ja die Mehrheit hatten und die damalige Regierung bildeten, überhaupt kein Gesetzentwurf verabschiedet worden. Von 1950 bis 1969 hat die SPD-Fraktion allein 19 Initiativen in der Frage des
Familienlastenausgleichs — Gesetzentwürfe und Anträge — eingebracht, bis endlich 1969, und das im Rahmen der Großen Koalition, die Entschließung zur Reform vorgelegt wurde.
Am 1. April 1954 hat der Kollege Schellenberg hier zur Begründung unseres Gesetzentwurfs folgendes gesagt — ich zitiere, Herr Präsident; ich bitte um Entschuldigung, daß ich das trotz der notwendigen Zeitraffung tun muß —:
Die Gewährung von Kinderbeihilfen für alle Kinder erfordert bei einer Beihilfe von 20 DM im Monat einen Aufwand von 3,5 Milliarden DM jährlich. Eine Sozialleistung in derartiger Höhe setzt eine grundsätzliche Änderung des gegenwärtigen Steuersystems, eine wirklich große Steuerreform voraus. Nach den Erklärungen des Herrn Bundesfinanzministers kann aber in absehbarer Zeit nicht mit einer solchen wirklichen Steuerreform gerechnet werden.
Nun, jetzt haben wir endlich eine Regierung, die diese Steuerreform durchführt. Wir haben endlich eine Koalition, die im Rahmen dieser Steuerreform auch die so lange fällige Reform des Familienlastenausgleichs vornimmt. Das ist die Richtigstellung. Das, was Sie gesagt haben, Herr Vogt, ist einfach falsch.
Man kann Familienpolitik auch nicht allein unter dem Gesichtspunkt des Kindergeldes sehen. Zu allen diesen Gesichtspunkten kommt hinzu, daß für diese Regierung, für diese Koalition ein wesentlicher Orientierungsmaßstab ihrer gesamten Gesellschaftspolitik die Familie ist. Das gilt für den Wohnungsbau, das gilt für den Mieterschutz, das gilt für das Ehe- und Familienrecht, das gilt für die Gesundheits- und Verbraucherpolitik, das gilt für das Bildungswesen, und das gilt für die gesamte soziale Sicherung. Für diese Regierung, für diese Koalition ist zeitgemäße und vorausschauende Familienpolitik Politik für alle Familien, in allen Bereichen des Lebens, für die junge Familie ebenso — ich erinnere an die Vorsorgeuntersuchungen für Kleinkinder, die ein Beispiel für viele darstellen und insbesondere der jungen Familie dienen — wie für die im Hinblick auf die Kinderzahl kleine Familie und auch die Familie mit vielen Kindern.
Natürlich brauchen Familien mit mehreren Kindern besondere Hilfen in all den von mir genann-
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Bundesminister Frau Strobel
ten Bereichen. Ich will hier nicht aufzählen, was alles in den letzten zweieinhalb Jahren in diesem Bereich geschehen ist. Lassen Sie mich hier nur an das Ausbildungsförderungsgesetz erinnern. Gestern stand übrigens als Bericht des Bonner Jugendamtes in einer der Bonner Zeitungen zu lesen, daß es für eine vierköpfige Familie mit einem Einkommen bis zu 2 500 DM denkbar ist, Mittel nach dem Ausbildungsförderungsgesetz zu bekommen. Mit jedem weiteren Kind erhöht sich aber die Grenze, wobei für jedes Kind allein für den Unterhalt 200 bis 270 DM angerechnet werden.
Wenn Sie nun immer wieder darauf zurückkommen, daß die Durchführung der Maßnahmen an der Unmöglichkeit der Finanzierung scheitere, dann darf ich darauf hinweisen, daß im zweiten Halbjahr 1970 im Rahmen des alten Ausbildungsförderungsgesetzes 90 Millionen DM ausgegeben worden sind, während im Jahre 1972 allein vom Bund 700 Millionen DM für Ausbildungsförderung ausgegeben werden, und dies kommt doch in erster Linie den Familien mit mehreren Kindern zugute. Denn durch die Festsetzung der Einkommensgrenzen und durch die Familien- und Kinderzuschläge bekommen doch diejenigen diese Hilfen, die sie am nötigsten brauchen.
Ich möchte also noch einmal betonen: die Reduzierung der Familienpolitik auf Kindergeld n u r für kinderreiche Familien ist von gestern. Sie ist überholt, ist eine Vorstellung der CDU, die krampfhaft versucht, den Familien immer noch weiszumachen, das sei gut. Wesentlicher Bestandteil einer allen Kindern, allen Familien gerecht werdenden Familienpolitik ist jener Bereich, der die Verbesserung der Erziehungsbedingungen des Kindes, der Erziehungsqualität der Eltern und der kindergerechten und kindergemäßen Umwelt zum Inhalt hat. Auf diesem Sektor hat die Bundesregierung — übrigens in enger und guter Zusammenarbeit mit den Familienverbänden, mit den freien Trägern — durch dieses Ministerium mehr an Initiativen entwickelt und mehr an eigenen Konzeptionen eingebracht, als das früher je der Fall war. Die Kindergeldleistung ist nur eine Maßnahme im ganzen Geflecht; sozialpolitische, pädagogische, gesundheitliche Hilfen und Einrichtungen kommen dazu.
— Danke schön.
Die entscheidende Motivierung für das Kindergeld darf meiner Meinung nach auch nicht allein monetär gesehen werden. Das Kindergeld hat gesellschaftspolitische Bedeutung. Kinder wollen und Kinder haben ist, so meinen wir jedenfalls, eine persönliche Entscheidung verantwortlicher Elternschaft. Kinder haben ist aber auch etwas, was im öffentlichen, im allgemeinen Interesse liegt. Wir betonen alle ja immer wieder, wie sehr jedes deutsche Kind ein Recht auf Erziehung gegenüber seinen Eltern, aber auch gegenüber der Gesellschaft hat.
Soweit es sich um das Kindergeld handelt, hat die Bundesregierung auch in diesem Bereich, wenn man einen Vergleich zieht zu der Regierungserklärung, in der es heißt: Mehr Demokratie wagen, durch die in Arbeit gegebene Reform des Familienlastenausgleichs ein Beispiel geliefert. Ich darf daran erinnern, daß der Vorschlag der vom damaligen Finanzminister Strauß eingesetzten Steuerreformkommission zur Reform des Familienlastenausgleichs ausschließlich auf Erhöhung der Kinderfreibeträge lautet, und zwar gestaffelt von 1500 DM bis 2400 DM, mit Mindereinnahmen, d. h. also mit Mehrkosten von 1,2 Milliarden DM. Das ist alles, was von der Steuerreformkommission, die Bundesfinanzminister Strauß eingesetzt hat, zum Familienlastenausgleich vorgeschlagen wurde. Das wäre die Fortsetzung der bisherigen ungerechten Politik auf diesem Gebiet.
Die Bundesregierung hat mit ihren Eckwerten die Beseitigung der Steuerfreibeträge vorgesehen. Die Gesetzentwürfe hierzu werden jetzt ausgearbeitet; der erste Gesetzentwurf liegt als Referentenentwurf vor. Danach werden alle Familien für alle Kinder von einem Teil ihrer Erziehungskosten entlastet. Der dafür notwendige Finanzmehraufwand beträgt allein 4 Milliarden DM. Die Verlagerung von den sozial ungerechten, weil insbesondere den höheren Einkommen zugute kommenden Steuerfreibeträgen zum-direkten Kindergeld bedingt, daß diese Reform nur im Zusammenhang mit der Steuerreform durchgeführt werden kann.
Die wichtigsten Veränderungen sind: Für alle Kinder wird in Zukunft endlich, wie bereits 1950 von der SPD beantragt, die gleiche rechtliche Regelung gelten. Für alle Kinder gibt es dann Kindergeld als Leistung aus dem Bundeshaushalt. Damit werden endlich auch die ersten und zweiten Kinder von Arbeitern und Angestellten der privaten Wirtschaft in den Genuß des Kindergeldes kommen und insoweit genauso behandelt wie die Kinder von Beamten, Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes. Die Kinderfreibeträge fallen weg. Damit wird endlich diese grobe Ungerechtigkeit beseitigt; das Kindergeld für alle Kinder wird unabhängig vom Einkommen gegeben. Damit entfallen endlich auch alle Einkommensgrenzen beim Zweitkindergeld. Derjenige wird das Kindergeld erhalten, der die tatsächliche Personensorge ausübt, also das Kind auch tatsächlich bei sich hat und sich um seine Erziehung und Versorgung kümmert.
Bei der Höhe des Kindergeldes wird die Zahl der Kinder berücksichtigt. Wir werden nicht nur das Verfahren für die Zahlung des Kindergeldes und das Gesetz strukturell reformieren, wir werden auch die Leistungen entscheidend verbessern. Es ist bereits bekannt, daß die Sätze dann 50 DM für das erste, 70 DM für das zweite und 90 DM für das dritte und folgende Kind betragen. In diesem Zusammenhang muß man wissen, daß von den 18 Millionen Kindern in der Bundesrepublik allein 9,5 Millionen Kinder Erstkinder und 5,13 Millionen Zweitkinder sind.
— Für das dritte und alle folgenden Kinder gibt
es in Zukunft 90 DM Kindergeld im Monat. Damit
ist allein der Mehraufwand für diese Regelung grö-
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Bundesminister Frau Strobel
ßer als der Haushaltsansatz für das gesamte Kindergeld bisher, nämlich 1972 3,29 Milliarden DM.
Noch entscheidender und wichtiger ist, daß dieses Geld jenen zugute kommen wird, die es am nötigsten brauchen. Die neue Kindergeldregelung bedeutet praktische Verbesserungen für alle Familien, ob viele oder wenige Kinder, die mit ihrem Bruttomonatseinkommen unter 2000 DM liegen. Das halte ich für das Entscheidende. Darüber hinaus bedeutet die neue Regelung aber auch eine Verbesserung für alle Familien mit einem Kind, für alle Familien mit zwei Kindern, für Familien mit drei und vier Kindern bis zu einem Bruttomonatseinkommen von 2500 DM. Die Familien der im öffentlichen Dienst Beschäftigten erleiden keine Einbuße, weil der Fortfall des Kindergeldes durch eine Neuregelung der Ortszuschläge aufgefangen wird.
Sie werden, meine Damen und Herren, bei der Vorlage dieser Gesetze die Möglichkeit haben, die von den von der CDU/CSU geführten Regierungen und Bundestagsmehrheiten versäumt wurde, nämlich an einer wirklichen Reform des Familienlastenausgleiches mitzuwirken und endlich dafür zu sorgen, daß hier mehr Gerechtigkeit verwirklicht wird.
Damit ist die Bedeutung der individuellen Erziehungshilfe unterstrichen. Die generelle, die gemeinschaftliche ist genauso wichtig. Das Recht auf Erziehung kann von vielen in erster Linie nur dann befriedigend in Anspruch genommen werden, wenn in allen Bereichen der Daseinsvorsorge eine kinderfreundliche, eine kindergerechte Umwelt geschaffen wird. Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition haben dazu wichtige Bausteine geliefert und werden das auch weiterhin tun. Das reicht von der Bildungspolitik über die Gesundheitspolitik bis hin zur Sozialpolitik.
Ich will hier nur ein einziges Beispiel kurz anschneiden. Über die Bedeutung der außerschulischen Jugendbildung wird zur Zeit im Rahmen der Bildungsgesamtplanung und auch in der Öffentlichkeit Gott sei Dank gerungen. Ein Kernstück der außerschulischen Jugendbildung, die von den freien Trägern mit getragen wird, ist die Jugendhilfe. Auch hier praktizieren wir das, was in der Regierungserklärung steht: Mehr Demokratie wagen. Wir bereiten das große Reformgesetz so vor, daß es gegen Ende des nächsten Jahres als Entwurf öffentlich diskutiert werden kann. Die gesellschaftspolitische Bedeutung dieser Reform des Jugendhilferechts ist überhaupt nicht zu unterschätzen. Aber es ist natürlich nicht möglich, das in einer Legislaturperiode zu schaffen, wenn im dafür zuständigen Ministerium von den früheren Regierungen keinerlei Vorarbeit geleistet wurde. Dieses Jugendhilferecht soll endlich die Realisierung des Erziehungsrechts aller Kinder und aller jungen Menschen in allen Bereichen bringen. Meine Damen und Herren, ich verstehe zwar die Ungeduld, aber ohne Vorarbeit ist das in einer Legislaturperiode nicht zu schaffen. Das wissen diejenigen, die in dem dafür zuständigen Ausschuß des Bundestages sitzen, am allerbesten.
Noch ein anderes Beispiel. Zur vollen Entfaltungsmöglichkeit für jedes Kind, für jeden Bürger, für jede Familie gehört die Gesundheit. Diese Bundesregierung hat bekanntlich den ersten Gesundheitsbericht vorgelegt, den es in diesem Parlament überhaupt je gegeben hat. Er ist eine Fundgrube für das Parlament, um daraus Anregungen zu schöpfen und auch Forderungen an diese und künftige Regierungen herzuleiten. Dem Schutz der Familie insbesondere im Bereich der Gesundheit dient das große Gesetzgebungswerk betreffend die Reform des Lebensmittelrechts und des Rechts für Kosmetika, Bedarfsgegenstände und Tabakwaren, das dem Bundestag vorliegt. Der ausgedehnte Gesundheitsschutz dieses Gesetzes hilft jeder Familie, jeder Mutter, jedem Vater, jedem Kind, unbesorgt um die wachsenden Gefährdungen der Umwelt, die Versorgung im Bereich der Ernährung, der Kleidung, der Hygiene, der Kosmetik usw. zu gestalten, weil wir mit diesem Gesetz die Sicherheit geben, daß wir für alle Bedenken und Gefährdungen, die unsere technisierte Umwelt in diesem Bereich mit sich bringt, vorsorgen und die Gesundheit schützen.
Meine Damen und Herren, es ist ein eklatanter Widerspruch in Ihrer Reformkritik, daß Sie im Zusammenhang mit diesem großen Verbraucherschutzgesetz argumentieren — auch das konnte man gestern in einer Bonner Zeitung lesen —, man könne in diesem Bundestag wahrscheinlich nur noch einen Teil dieses Verbraucherschutzgesetzes verabschieden, hier aber gleichzeitig nach weiteren Reformgesetzen rufen. Hier ist vom Parlament ein Stück Politik zu vollenden, das unseren Familien jeden Tag mehr Schutz der Gesundheit und übrigens auch — durch die die Werbung betreffenden Vorschriften, die das Gesetz enthält — mehr Schutz des Geldbeutels gibt. Auch das ist ein Beispiel für mehr Demokratie. Wir haben diesen Gesetzentwurf im Juni 1969 öffentlich zur Diskussion gestellt. Wir haben ihn zu Beginn dieses Bundestages allen neuen Ausschußmitgliedern zur Vororientierung gegeben. Wir haben sofort nach Bildung der Regierung mit den Ressorts, mit den Ländern, mit den Verbrauchern, mit der Wirtschaft die Beratungen darüber wiederaufgenommen. Am 27. Januar 1971 hat das Kabinett diesen großen Gesetzentwurf verabschiedet. Am 23. Juni haben wir ihn hier in erster Lesung beraten. Wenn der Ausschuß das Krankenhausfinanzierungsgesetz — übrigens eines der wichtigsten Reformgesetze dieses Bundestages und dieser Bundesregierung — —
— Nun sagen Sie doch nicht immer „mehr Geld!", während Ihre Redner hier immer fordern, daß weniger Geld ausgegeben wird. Sie widersprechen sich doch am laufenden Band.
Diese Bundesregierung hat in ihrem Haushalt für 1972 Bundesmittel in Höhe von 700 Millionen DM für das Krankenhausfinanzierungsgesetz bereitgestellt. Fragen Sie doch einmal die Krankenhausträger draußen, wie sehr sie auf dieses Gesetz warten. Fragen Sie doch die Kommunen, wie sehr sie auf diese 700 Millionen DM warten; sie haben die Sorge, daß sie wieder nicht rechtzeitig fließen.
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Bundesminister Frau Strobel
Dafür sind die Mittel im Bundeshaushalt vorhanden. Im übrigen, im Zusammenhang mit dem, was Herr Müller-Hermann gestern sagte, ist das eine völlig falsche Gegenüberstellung. Es handelt sich um ein Krankenhausfinanzierungsgesetz, das dafür sorgen soll, daß jedem Bürger das für ihn notwendige Krankenhausbett in erreichbarer Nähe und in leistungsfähigen Krankenhäusern zur Verfügung steht. Die inneren Strukturen der Krankenhäuser sind Angelegenheit der Krankenhausträger, und wenn Sie hier und draußen immer wieder behaupten, daß Sie in die Rechte der freien Träger nicht eingreifen wollen, dann werfen Sie doch uns nicht vor, daß wir in diesem Bundesgesetz nicht Strukturen verändern.
Das ist nicht Aufgabe des Bundes. Wir sind der Meinung, daß dies Aufgabe der Träger der Krankenhäuser ist.
Herr Köster, wir sind so sehr in Zeitnot. Ich bin gleich fertig. Lassen Sie mich das zu Ende bringen.
Wenn das Krankenhausfinanzierungsgesetz vom Ausschuß bzw. vom Bundestag verabschiedet worden ist, kann die Gesamtreform des Lebensmittelrechtes in Angriff genommen werden. Die Bundesregierung gibt dem Parlament Gelegenheit, die toxische Gesamtsituation des Menschen wesentlich besser unter Kontrolle zu bekommen. Ich kann und will hier, meine Damen und Herren, nicht alle Beispiele der Reformpolitik aus dem Aufgabengebiet des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit aufführen, aber ich möchte an Sie appellieren — und dies geht insbesondere die Kollegen aus diesem Ausschuß an —: lassen Sie uns die eineinhalb Jahre, die dieser Bundestag noch hat, dazu verwenden, die dem Parlament vorliegenden Reformgesetzentwürfe zu beraten und zu verabschieden. Ich glaube nicht, daß die Bevölkerung dafür Verständnis hat, wenn hier dauernd Wahlkampf gemacht wird, statt diese Reformgesetze nun wirklich zu beraten und zu verabschieden.
Meine Damen und Herren, gestern hat sich der Bundestag darauf geeinigt, daß für die Beratung dieses Punktes eine Stunde verwendet werden soll. Wir haben jetzt schon 25 Minuten verbraucht, und ich habe noch vier Wortmeldungen. Ich möchte das Haus fragen, ob es bei der gestrigen Vereinbarung bleiben soll oder nicht.
— Meine Damen und Herren, wenn ich von einer Vereinbarung im Hause spreche, dann meine ich die Herren Fraktionsgeschäftsführer.
— Wir verhandeln weiter ohne zeitliche Begrenzung bei diesem Punkt.
Das Wort hat der Abgeordnete Katzer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Strobel, ich bedaure, daß Ihre letzte Äußerung Ihre vorhergehenden nüchternen und sachlichen Ausführungen leider sehr entwertet hat.
Sie können davon ausgehen, Frau Kollegin Strobel, daß Sie immer dann unsere volle Unterstützung haben, wenn es darum geht, den Familien zu helfen, insbesondere den kinderreichen Familien zu helfen, und wir bitten Sie sehr, mit uns gemeinsam dafür einzutreten, daß eine Diskriminierung der kinderreichen Familie nicht eintritt.
Außerdem möchte ich Ihnen gerne sagen, Frau Kollegin Strobel, daß wir sehr damit einverstanden sind, daß wir Familienpolitik nicht lediglich mit Kindergeldzahlungen und Familienlastenausgleich insgesamt gleichsetzen,
sondern daß dazu noch etwas mehr aus den Kategorien gehört, die Sie dankenswerterweise — das will ich ausdrücklich sagen — auch angesprochen haben.
Was die Frage der Krankenhausfinanzierung angeht, Frau Kollegin Strobel, so vermag ich Ihre Auffassung nicht zu teilen, und hier verstehe ich Ihre Bemerkung vom Wahlkampf überhaupt nicht. Im hessischen Landtagswahlkampf haben Sie permanent vom klassenlosen Krankenhaus gesprochen, das Sie verwirklichen wollen, und wenn es hier darum geht, über die innere Struktur der Krankenhäuser zu reden, sagen Sie, da seien Sie nicht zuständig, damit hätten Sie nichts zu tun. Das gehört zusammen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige Bemerkungen zur gestrigen Debatte machen. Ich habe den Eindruck, daß Sie diese Reformdebatten möglichst schnell vom Tisch haben möchten und nicht gern darüber diskutieren. Aber das ist ganz ausgeschlossen!
Darüber muß gesprochen werden. Es war fast rührend: Jeder Redner der SPD, der gestern hier gesprochen hatte, begann und endete mit dem Satz: „Keine Regierung hat in zwei Jahren so viel erreicht wie diese Regierung hier."
— Nun, meine Damen und Herren, Sie haben zu früh geklascht. Herr Schäfer, es ist rührend, wie sehr Sie der Selbstbestätigung bedürfen, so daß Sie sich dauernd selbst beklatschen.
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Katzer
Ich würde sagen: ein bißchen mehr Gelassenheit wäre hier am Platze. Aber vielleicht lernen Sie das noch im Verlaufe des Regierens, das Ihnen so sehr schwerfällt.
Die gestrige Debatte — lassen Sie mich das mit wenigen Sätzen sagen — kann nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß Sie vor zwei Jahren einen völlig intakten, finanziell solide geordneten Haushalt übernommen haben. Das war das Erbe einer 20jährigen CDU/CSU-Verantwortung. Wollen Sie das bestreiten, meine Damen und Herren, daß Sie das vor zwei Jahren so übernommen haben?
— Entschuldigung, das wäre ja noch viel schlimmer. Wie sind Sie denn dazu gekommen, Steuersenkungen zu versprechen, wenn Sie bestreiten, daß die Kasse gestimmt hat? Das wäre ja noch viel schlimmer, meine Damen und Herren!
Das ist das unklügste, was Sie überhaupt machen können, nämlich jetzt zu bestreiten, daß Sie damals einen intakten Haushalt, eine volle Kasse hatten und das heute alles ganz anders aussieht.
Wahr ist, daß keine Regierung zuvor — und das würde ich nach dieser Debatte erhärtet sehen — in solch kurzer Zeit so viel versprochen und so wenig gehalten hat.
Meine Damen und Herren, Sie können ferner nicht leugnen, daß Sie einen traurigen Rekord aufgestellt haben, nämlich den traurigsten Rekord. der Nachkriegszeit mit einer Preissteigerungsrate von über 6 °/o. Das können Sie hier doch nicht einfach wegdiskutieren. Wenn wir daraufhin Fragen stellten, haben Sie vor einem Jahr gesagt: Das ist unverantwortliches Inflationsgerede. Gestern haben Sie als einzige Antwort zu diesem Punkt gesagt: Na ja, das bedauern wir auch. Aber dieses Problem ist doch nicht mit Bedauern zu lösen. Dagegen muß eine Politik gesetzt werden, und diese Politik setzen Sie nicht dagegen.
Sie haben vor einem halben Jahr in der Debatte gesagt: Dieses Inflationsgerede ist ja ganz schrecklich, das ist Panikmache und was weiß ich. Heute haben wir nicht nur diese Preissteigerungsrate; heute sind außerdem noch Arbeitsplätze in Gefahr. Sagen Sie nicht auch jetzt wieder: Das ist Panikmache — oder was weiß ich. Gehen Sie lieber ins Land und sehen Sie sich draußen an, wie die Lage praktisch aussieht.
Ich gehöre nicht zu denen, die meinen, ein Streik sei ein nationales Unglück. Ich halte es aber nicht für sehr klug — das ist das mindeste, was ich dazu sagen kann —, wenn von Regierungsseite und vom Kanzler selbst ausgerechnet beim Beginn eines Streiks davon gesprochen wird, daß das kein nationales Unglück sei. Das ist ja geradezu eine Aufforderung, diese Sache noch weiterzuführen.
Die SPD hat auf ihrem Parteitag in Bonn gezeigt, daß sie kein klares Konzept hat. Die Positionen, die
sie einmal bezogen hatte, sind ins Wanken geraten. Nun, das ist Ihre Sache, und Sie mögen das mit sich ausmachen. Ich will dazu nur für die Union bemerken: wir haben ein klares Konzept, das von den geistigen und politischen Konzeptionen der sozialen Marktwirtschaft ausgeht und — auf diesen Konzeptionen aufbauend — zwei Dinge miteinander verbindet, nämlich Stabilität und Fortschritt. Die Stabilität müssen wir zurückgewinnen, meine Damen und Herren!
Sonst gibt es in diesem Lande keinen Fortschritt. Wir haben eine konstruktive Opposition betrieben. Das gilt insbesondere für die Gesellschaftspolitik. Das kann niemand in diesem Saale leugnen, am allerwenigsten der Kollege Schellenberg, der gerade bei diesem Punkte genüßlich — —
— Herr Apel, Sie klatschen immer an der falschen Stelle.
Ich will Ihnen hierzu zwei Dinge sagen. Sie haben bisher immer behauptet, der Bundesrat dürfe doch nicht zum verlängerten Arm einer politischen Parteigruppierung, der Opposition, werden; das sei ja unerhört.
Dagegen haben Sie sich immer gewandt. Jetzt sagen Sie: Was tun Sie eigentlich? Ich kann Ihnen sagen, was wir tun. Wir haben mit unseren Ministerpräsidenten darüber gesprochen, Herr Kollege Apel. Die Herren haben uns gesagt: Wir lassen uns die Rechte, die dem Bundesrat zukommen, von niemandem beschneiden,
auch nicht von Ihnen, der SPD; sehr wahr!
Und, Herr Schellenberg — —
— Auch nicht in Eichholz, von niemandem, Herr Kollege Schellenberg. Und daß Sie in einen Zeitdruck gekommen sind, das haben Sie doch ausschließlich sich selbst zuzuschreiben, denn Sie haben gegen unseren Willen die Legislaturperiode der Betriebsräte um ein Jahr verlängert.
Wir wären doch gar nicht in dieser Zeitnot, wenn Sie das nicht gegen uns beschlossen hätten.
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Katzer
— Ich habe dem Verlängerungsgesetz nicht, wohl aber dem Betriebsverfassungsgesetz selbst zugestimmt, Herr Kollege Schellenberg. Wo sind eigentlich Ihre Männer aus den Gewerkschaften, wenn es einmal darum geht, hier im Hause und nicht draußen ihre Stimme zu erheben? Sie haben doch nicht einmal den Mut gehabt, ein Komma zu verändern, geschweige denn, hier in der Abstimmung auch nur ein einziges Mal mit uns zu stimmen, selbst in den Punkten, in denen Sie es gern getan hätten.
— Bitte? Was ist das?
— Entschuldigen Sie, Herr Kollege Apel. Ich sehe, daß Sie in einer schlechten Verpackung sind. Habe ich das richtig gehört? Sie haben in Ihrer Fraktion fast nur Gewerkschafter?
Fast nur Gewerkschafter? Donnerwetter! Das ist immerhin eine bemerkenswerte Aussage.
— Das „profiliert" haben Sie jetzt gesagt!
Herr Kollege Apel, ich will noch einmal ganz klar festhalten: Ihre Herren aus den Gewerkschaften haben auch in den Punkten, in denen sie gern mit uns gestimmt hätten, nicht mitstimmen dürfen. Das ist der Tatbestand, der hier festgehalten werden darf.
Meine Damen und Herren, ich bitte, Zwischenrufe und Gespräche nicht zu verwechseln.
Nehmen wir nur einmal die Umkehrung der Beweislast bei der sozialgerechten Auswahl im Kündigungsfall. Die hätten doch brennend gern mitgestimmt. Und in der Frage Unternehmensverfassung, Herr Apel: Was ist denn im Punkt Unternehmensverfassung passiert? Überhaupt nichts! Vor den Bundestagswahlen haben Sie gesagt: Notfalls muß dies durch einen Streik durchgesetzt werden, und jetzt, wo Sie dabei sind, da wird das totgeschwiegen, und in der Politik, in der Debatte über innere Reformen, wird über dieses Problem von Ihnen überhaupt nicht gesprochen. Warum wird nicht gesprochen?
Weil Sie es gar nicht wagen können, weil diese Koalition auf einer so schwachen Basis steht, daß sie
Angst haben, hier auch nur eine Diskussion öffentlich zu führen. Das müssen Sie ja in Ihrem Kämmerchen austragen.
Wir haben eine gerade in der Gesellschaftspolitik konstruktive Opposition betrieben. Wir haben als erstes, Herr Kollege Schellenberg, einen Gesetzentwurf über die Kriegsopferversorgung eingebracht; wir haben den Krankenversicherungs-Gesetzentwurf eingebracht mit Vorsorgeuntersuchungen; da können Sie reden, soviel Sie wollen. In Ihrem Entwurf stand es nicht. Wir haben ein Krankenhauspapier vorgelegt.
— Nein, keinen Gesetzentwurf. Aber, Herr Kollege Schellenberg, Sie sind doch lange genug in der Opposition gewesen, um zu wissen, was es bedeutet, daß wir in zwei Jahren als Oppositionspartei in der Gesellschaftspolitik ein Dutzend Gesetze vorgelegt haben, was das bei der Ausstattung personeller Art der Fraktionen bedeutet. Das sollten Sie doch einmal resprektieren und anerkennen.
— Aber entschuldigen Sie doch. Wir haben gesagt, daß wir ein Wettbewerbsprogramm mit Ihnen führen wollen. Sie können doch nicht leugnen, daß Sie bei der Betriebsverfassung eine ganze Menge von Punkten von uns übernommen haben. Das haben Sie doch hier im Plenum selbst dargestellt, das wollen Sie doch hinterher nicht wegdiskutieren.
Frau Kollegin Strobel, Sie wären gut beraten, glaube ich, wenn Sie in der Frage der Krankenhausfinanzierung doch einmal überlegten, ob Sie unseren Leitideen, die wir Ihnen zu den Fragen der inneren Struktur der Krankenhäuser gegeben haben, nicht folgen und sie in dieses Gesetz mit hineinnehmen können.
Wir haben einen Beteiligungslohngesetzentwurf vorgelegt. Gestern ist hier gesagt worden, dieser Gesetzentwurf zum Beteiligungslohn sei in dem Augenblick ad acta gelegt worden, wo das 624-
Mark-Gesetz ausgenutzt worden sei. Meine Damen und Herren, wir sind absolut nicht dieser Meinung. Herr Kollege Schellenberg, ich bitte Sie wirklich, dieses Beteiligungslohngesetz, das nun seit einem Jahr im Ausschuß liegt, im Ausschuß beraten zu lassen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Kollege Katzer, wollen Sie von zwei Tatsachen Kenntnis nehmen?
— Ja, ich frage Sie erstens, ob Sie Kenntnis davon haben, daß, nachdem die Bundesregierung einen Jahresaufwand von 4 Milliarden DM für Bundes- und Landeshaushalt auf Grund dieses Gesetzentwurfs errechnet hatte, die Fraktionen gebeten
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Dr. Schellenberg
wurden, zu entscheiden, ob sie den Punkt auf die Tagesordnung setzen wollen, und daß die CDU/CSU-Fraktion seitdem noch nicht beantragt hat, ihren Entwurf im Ausschuß zu beraten. Ist Ihnen zweitens bekannt, daß die mitberatenden Ausschüsse, u. a. der Finanzausschuß unter Vorsitz Ihres Kollegen Schmidt , vom Vorsitzenden des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung gebeten wurden, nun endlich ihr Votum abzugeben?
Herr Kollege Schellenberg, Sie scheinen sich zu widersprechen. Auf der einen Seite sagen Sie, wir hätten keim Votum des mitberatenden Ausschusses, auf der anderen Seite das sei gar nicht auf der Tagesordnung. Aber das können wir gleich wegbekommen. Zunächst beantrage ich gleich hier, das im Ausschuß zu beraten. Damit haben Sie für diesen Punkt das Votum der CDU/CSU, so daß Sie sofort anfangen können.
Wie ich sehe, ist diese Debatte sehr ertragreich. Das freut Sie offenbar gar nicht. Ich denke, Sie sind hocherfreut, daß Sie endlich grünes Licht für die Beratungen dieser Materie in Ihrem Ausschuß haben. Sie machen zu diesem Punkt ein ganz saures Gesicht. Ich dagegen bin ganz glücklich, daß wir das erreicht haben.
Außerdem will ich gern den Kollegen Schmidt bitten, daß dieser Punkt im Finanzausschuß beraten wird, damit der Arbeitsausschuß seine Arbeit entsprechend fortsetzen kann. Ich bin sehr dankbar, daß wir wenigstens diesen Punkt haben klären können.
Herr Kollege Katzer, können wir davon ausgehen, daß Sie uns das Vergnügen bereiten werden, bei diesen Beratungen im Ausschuß anwesend zu sein?
Entschuldigung, Herr Kollege Nölling, ich war gerade abgelenkt.
Herr Kollege Katzer, ich hatte — weil Sie nun ja merkten, daß Sie das grüne Licht geben mußten und nicht wir — nur gefragt, ob Sie uns das Vergnügen bereiten wollten, bei den Bratungen im Ausschuß dabei zu sein.
Herr Kollege Nölling, ich muß Ihnen zum zehntenmal sagen, daß Sie dieses Vergnügen wahrscheinlich nicht haben werden, da wir eine andere Fraktionsordnung haben, an die wir uns halten. Sie müssen sich schon damit abfinden, daß wir darüber befinden, wer im Ausschuß zu welchen Dingen spricht, wer nicht spricht und wie wir unsere Beratungen einteilen. Das habe ich Ihnen so oft gesagt, daß Sie das eigentlich schon gemerkt haben müßten.
— Ich verstehe das sehr gut. Aber noch besser ist es doch, wenn wir hier im Plenum miteinander sprechen. Das ist doch wunderbar; denn Sie sehen, hier bringen wir sogar die Dinge vorwärts, die Sie im Ausschuß nicht bewegen können. Solch eine Aussprache im Bundestag ist doch eine schöne Sache.
Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung zu einem Problem von besonderem Rang und von besonderer Bedeutung machen. Herr Kollege Schellenberg und meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, nach zwei Jahren angeblicher Reformpolitik stellen wir folgendes fest. Natürlich leugnet niemand, daß Sie das eine oder andere Gesetz weiterentwickelt haben. Es wäre ja auch noch schöner, wenn Sie zwei Jahre in der Regierung gesessen und nichts erarbeitet hätten. Das wäre geradezu ungeheuerlich. Aber angesichts des anspruchsvollen Titels „Reformpolitik" stellen wir nach zwei Jahren fest, daß wir wenig von Reformen sehen. Dagegen sehen wir Reformruinen von bedeutendem Ausmaß.
— Es ehrt Sie, daß es Ihnen wenigstens noch wehtut, wenn man das sagt, Herr Apel.
— Herr Apel, entschuldigen Sie, Ihre Arroganz steht im Widerspruch zu dem, was Sie hier dauernd von mehr Demokratie sagen. Das möchte ich Ihnen hier einmal sagen.
Entschuldigen Sie höflich, ich weiß nicht, seit wann Sie diesem Hohen Hause angehören. Aber so ein junger Mann wie Sie sollte sich hier ein bißchen weniger arrogant benehmen, als Sie das gerade mir gegenüber gemacht haben.
Das ist arrogant, hören Sie mal, genau wie Ihr Sprecher Dr. Nölling gestern hier mit einer Arroganz auftrat. Sie haben ein ganz falsches Image. Draußen im Lande geben Sie sich als die soziale und volkstümliche Partei. In Wahrheit sind Sie arrogant und elitär in Ihrem Auftreten hier und sehr eingenommen von dem, was Sie angeblich geleistet haben.
Meine Damen und Herren, — —
Sie sollten, Herr Kollege Apel, ruhig einmal zuhören. Wenn ich sage: Reformruinen, dann sollten Sie das sehr ernst nehmen und sich auch einmal fragen, warum das das Ergebnis von zweijähriger Politik Ihrer Regierung ist. Eine solche Reformruine haben wir bei der Rentenpolitik zu verzeichnen. Wir haben 1957 die Rentenreform durchgeführt, und Sie haben daraus innerhalb von zwei Jahren eine Ruine werden lassen.
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Katzer
So ist es bei einem Rentenniveau, das auf 41 % abgerutscht ist.
Meine Damen und Herren, ich kann verstehen, daß man sich in diesem Hause gelegentlich Gedanken über Arroganz macht. Ich schlage vor, davon einen sparsamen Gebrauch zu machen. Wir könnten sonst Kolonnen von Retourkutschen auf den Weg bringen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Katzer, in aller Bescheidenheit als jüngerer Mann: Was ist nun eigentlich arroganter, wenn Sie mich hier im Stil eines Schulmeisters abputzen oder wenn ich Ihnen einen Zwischenruf mache?
Herr Kollege, Sie können jeden Zwischenruf machen. Aber ich empfinde es als arrogant — entschuldigen Sie, Sie haben es jetzt selbst gebraucht , wenn Sie sagen: Ich habe Wichtigeres zu tun, als Ihnen zuzuhören, ich lese die „Bild-Zeitung". Das finde ich arrogant, entschuldigen Sie höflich.
— Das haben Sie gesagt. Aber ich will auf diesen Dingen nicht herumhacken.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, gern.
Herr Kollege Katzer, Sie sprechen von „Ruinen der Rentenreform". Ist Ihnen bekannt, daß nach den letzten Feststellungen unter Berücksichtigung des Materials des Statistischen Bundesamts die Rente ,des Jahres 1971 ungeachtet der zur Zeit rezessionsbedingt relativ niedrigen Rentenanpassung mit 72 % des Nettoarbeitsverdienstes bei vollem Arbeitsleben höher ist als die Nettorente der Jahre 1961, 1962, 1963, 1965, in denen Sie die Regierung stellten?
Herr Kollege Schellenberg, entschuldigen Sie höflich, Sie können hier Ihre Rechnungen aufmachen. Solche Rechnungen sind aber überhaupt nur möglich, weil die CDU/CSU 1957 diese Rentenreform hier im Hause durchgesetzt hat und weil wir seitdem Jahr um Jahr die Renten erhöht und angepaßt haben.
Wir würden doch heute mit Ihnen nicht über 6,3 % Rentenerhöhung zu rechten haben, wenn nicht gleichzeitig eine Preissteigerungsrate von 6 % den Sinn dieser Reform zum Unsinn hätte werden lassen. Denn der Rentner wird nicht mehr Teilnehmer am Produktivitätsfortschritt der Wirtschaft, sondern er bekommt nur noch einen Ausgleich für die Teuerungswelle, die Sie mitverschuldet haben durch das, was Sie hier wirtschaftspolitisch unterlassen haben.
Das ist doch nicht zu leugnen, meine Damen und Herren.
Herr Kollege Schellenberg, Sie reden jetzt auffallend viel von netto. Haben wir nicht einmal gemeinsam um die bruttolohnbezogene dynamische Rente gekämpft?
Sind Sie nicht für eine Altersrente von 75 % brutto eingetreten, und haben wir uns nicht mittlerweile in der Großen Koalition auf mindestens 50 % verständigt gehabt? Jetzt sind wir auf 41 % abgesunken. Das ist doch der Tatbestand, mit dem wir es zu tun haben.
Wir haben es begrüßt — und wir betrachten das als einen zweiten Erfolg unserer unermüdlichen Bemühungen in der Rentenpolitik; der erste ist der, daß wir gegen Ihren Willen und gegen den Willen des Bundesarbeitsministers in der Frage der Kleinstrenten endlich einen Entwurf von ihnen auf dem Tisch haben; das begrüßen wir, ,das ist das Ergebnis unserer Oppositionspolitik,
daß wir jetzt einen weiteren Entwurf von Ihnen bekommen sollen. Offenbar ist das am Arbeitsminister vorbeigegangen. Ich weiß nicht, ob er es aus der Zeitung erfahren hat. Das Ministerium wird von den Koalitionsfraktionen ja nur noch um Formulierungshilfe gebeten — ein ganz tolles Verfahren —, um Ihren neuesten Vorschlag zu realisieren, wenigstens etwas für die Rentner zu tun. Wir haben das begrüßt; wir halten das aber — damit das ganz klar ist, Herr Kollege Schellenberg — nicht für ausreichend angesichts der Situation, in der sich die Rentner befinden. Und wir finden es — lassen Sie mich das in dieser Debatte ganz deutlich sagen — gefährlich, wenn jetzt offenbar hier auf ,dem Hinterwege die Gedanken des Herrn Kollegen Dr. Arndt, den ich sehr schätze, Einfluß nehmen, der unter dem Motto „mit der Inflation leben" sagt: Na ja, dann müssen wir einmal sehen und müssen die Schäden dann ein bißchen reparieren, und es bekommen die Rentner einen Zuschlag und die kleinen Sparer auch einen Zuschlag usw. — Meine Damen und Herren, das ist ein Irrweg und eine Spirale, die nur in die Höhe gehen kann.
Wir müssen gemeinsam zurückfinden zur Stabilität, auf der dann Reformen aufgebaut werden können.
Bei dieser Einmal-Zahlung, die Sie, meine Damen und Herren, hier vorhaben, bleibt vieles noch unklar. Das brauchen wir nicht heute zu klären; wir können es in der nächsten oder in der übernächsten Woche in der sozialpolitischen Debatte noch erörtern.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971 8849
Katzer
Ich meine nur, Sie sollten dann auch sagen, wie die Situation bei den Kriegsopfern aussieht. In diesem Punkte haben wir nichts gehört.
Und im übrigen haben wir ja, Herr Kollege Schellenberg, gestern schon einmal eine kurze Diskussion über die Finanzsituation in der Rentenversicherung gehabt. Ich habe das noch einmal nachgelesen. Die Regierung spricht von 137 Milliarden DM. Kürzlich sprach der Herr FDP-Sprecher in der Debatte von 167 Milliarden DM. Wir haben genau auf der Basis der Annahmen der Bundesregierung hochgerechnet und eine Summe von 190 bis 200 Milliarden DM errechnet.
Ich bin der Meinung, man sollte in diesem Punkte auch das Gutachten des Sachverständigenrates beachten, und ich würde mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten daraus gern zitieren. Denn der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat in seinem jüngsten Jahresgutachten deutlich gemacht, zu wessen Lasten diese Überschüsse gehen. Im Zusammenhang mit den Plänen der Bundesregierung wird in dem Jahresgutachten darauf hingewiesen, daß es sich — hören Sie gut zu, Herr Kollege Schellenberg! —
bei den Überschüssen der Rentenversicherung um Beträge handelt — und nun das Zitat —, „deren Realwert den Rentnern vorenthalten wird, weil die Renten nach wie vor verzögert angepaßt werden", während die Geldentwertung sich beschleunigt hat. Das heißt auf hochdeutsch: zu Lasten der Rentner werden zig Milliarden eingespart, und dann werden 1,3 Milliarden DM gegeben, damit Sie sich wenigstens draußen bei Ihren Wählern überhaupt noch zeigen können.
Denn sonst müßten Sie doch einfach auf Unverständnis stoßen, daß Sie bei vollen Kassen die Rentner leer ausgehen lassen wollen.
Aber, meine Damen und Herren, ich möchte hier noch einmal sagen — —
— Herr Kollege Nölling!
Herr Kollege Katzer, darf ich Sie fragen, ob Sie nach wie vor davon ausgehen, daß Ihre Berechnungen, daß es sich — wohlgemerkt bis zum Jahre 1985 — um Überschüsse von möglicherweise 200 Milliarden DM handelt, richtig sind. Und darf ich zweitens fragen, ob Sie, Herr Kollege Katzer, wenn Sie von zig Milliarden, die vorenthalten würden, sprechen, etwa die gegenwärtige Situation meinen.
Herr Kollege Nölling, wir gehen von den Zahlen bis 1985 aus. Das gilt für die Opposition wie für Sie. Wir haben auf der Grundlage der Annahmen gerechnet, die die Regierung gemacht hat, und rechnen werden wir ja noch können. Wenn allerdings die Annahmen der
Regierung nicht stimmen oder wenn Sie sie auf Grund der wirtschaftlichen Situation jetzt revidieren müssen, dann müssen wir auf der Basis neuer Daten erneut darüber diskutieren. Das ist die Position; dem ist nichts hinzuzufügen.
Bitte schön! —
Darf ich dann die Frage stellen, warum Sie gestern, als ich hier sprach, mir den Vorwurf machten,
daß ich sozusagen ein Abkommen gebrochen hätte,
nach dem Sie beschlossen hätten, daß wir in diesem Parlament, solange nicht endgültig abgeklärt ist, ob Ihre Zahlen richtig sind oder nicht,
darüber nicht mehr in dieser Art und Weise diskutieren könnten.
Das haben Sie gestern gesagt!
Jawohl, genau! Das ist absolut richtig. Sie haben gut zugehört. Ich werde darauf jetzt — Sie hatten mich in meinen Worten unterbrochen — zu sprechen kommen. Ich wollte auf Grund der gestrigen Debatte die Zahlen noch einmal darstellen und wollte Ihnen auf Grund dieser Zahlen jetzt folgendes sagen.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ich glaube, wir sollten im Interesse der Rentner gemeinsam darum bemüht sein, daß wir mit einer Politik, die wir hier ja auch jahrelang — wenigstens zum großen Teil -- gemeinsam vertreten haben, eine tragfähige Grundlage für Maßnahmen zur Weiterentwicklung unseres sozialen Alterssicherungssystems schaffen. Ich mache Ihnen, Herr Kollege, dazu folgendes Angebot:
Dazu gehört erstens, daß wir uns zunächst über die Zahlen verständigen. Die Verständigung ist eingeleitet; darüber gibt es einen Briefwechsel zwischen dem Arbeitsminister und mir; die Herren werden, wenn ich richtig informiert bin, bereits morgen zusammenkommen. In diesem Punkt stehen wir also vor einer sachlichen Klärung.
Es ist doch nicht unsere Schuld, wenn die Regierung
ihre Annahmen ändern will. Das war der Ausgangspunkt dessen, was wir gestern gesagt haben.
Zweitens wäre ich dankbar, Herr Kollege Nölling, wenn wir uns dann einmal darüber verständigen könnten, ob Sie noch daran interessiert sind, mit uns an der Absicht festzuhalten, die wir 1969 gemeinsam formuliert haben, daß das Rentenniveau auf die Dauer wenigstens bei 50 % liegen soll. Die Frage ist, ob Sie dem zustimmen wollen oder nicht.
8850 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971
Katzer
Drittens. Für den Fall, daß Sie dem zustimmen, sollte eine Verständigung zwischen uns darüber möglich sein, wie das erreicht werden kann.
Viertens. Mit den dann noch vorhandenen Überschüssen — darüber will ich keinen Zweifel aufkommen lassen — sollten wir zuerst den Kleinstrentnern und den Frauen helfen sowie einen Einstieg in die Auflockerung der starren Altersgrenze ermöglichen.
Fünftens. Was die Rentenversicherung der Selbständigen betrifft, sind wir uns im Grundsatz einig. Die noch offenen Fragen sollten zufriedenstellend gelöst werden können.
Ich mache Ihnen dieses Angebot, Herr Kollege Nölling, und möchte Ihnen dringend raten, darauf einzugehen. Dann sähe ich nämlich eine Chance, in der Rentenpolitik in diesem Hohen Hause wieder zu einer gemeinsamen Haltung zurückzufinden, wie sie bestand, als die Arbeitsminister von der Union gestellt wurden. Diese haben sich damals darum bemüht, in diesem Hause Einmütigkeit herbeizuführen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Katzer hat zu Beginn seiner Rede behauptet, daß die Regierungsfraktionen die Reformdebatte abwürgen möchten. Nun, Herr Kollege Katzer, das ist ganz und gar nicht der Fall. Ich muß aber nach Ihren. Ausführungen sagen, daß der Kollege Kirst gestern eigentlich doch recht gehabt hat, als er erklärte, Ihre Anfrage und die Debatte darüber seien im Endeffekt ein schlechter Aufguß dessen, was Sie schon mehrmals versucht hätten. Das, was Sie, Herr Kollege Katzer, soeben geboten haben, hatte doch sehr wenig mit einer Auseinandersetzung über innere Reformen zu tun
und konnte, glaube ich, trotz der Lautstärke nicht einmal alle Mitglieder Ihrer Fraktion überzeugen. Sie haben hier einige Dinge angekündigt — darauf werde ich noch kommen —, über die es sicherlich noch einige Auseinandersetzungen innerhalb Ihrer Fraktion, insbesondere auch mit Ihrem Partner CSU, geben wird.
— Ich habe gerade schon einiges zu Herrn Katzer gesagt und werde mich dazu noch weiter äußern.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, heute eine Rentendebatte zu führen, die Sie sehr gern hätten, sehen wir als Regierungsfraktion nicht als richtig an; denn am 16., also in zwei Wochen, wird in diesem Hause, wie Ihnen bekannt ist, eine offizielle Rentendebatte stattfinden. Es ist also wenig sinnvoll, jetzt über alle Probleme, die mit der Vorlage der Regierung zur Rentenversicherung
und mit unserem Antrag auf Rückerstattung der 2 % verbunden sind, zu diskutieren.
Wenn ich dennoch auf einiges von dem eingehe, was Sie, Herr Kollege Katzer, gesagt haben, dann nur deshalb, weil es vielleicht richtig ist, gleich etwas aus der Welt zu schaffen.
Die Regierungsfraktionen haben sich vorgestern entschlossen, den 2%igen Krankenversicherungsbeitrag der Rentner für 1968/69 zurückzuzahlen. Sie haben das begrüßt. Dazu kann ich nur sagen, Herr Kollege Katzer: jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr.
Denn ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, daß Sie es als federführender Minister waren, der seinerzeit sogar 4 % haben wollte.
Das sollte man noch einmal sehr deutlich sagen, Herr Kolleg Katzer.
Sehen Sie, Herr Kollege Katzer: Herr Kollege Schellenberg als Ihr damaliger Koalitionspartner kennt natürlich die Interna besser. Er hat deutlich gemacht, daß Sie ihn erfunden haben. Heute sagen Sie: Sie begrüßen, daß wir zurückerstatten. — Bitte schön, wer war zuerst dran?
Herr Kollege Schmidt, ist Ihnen bekannt, daß dem Kabinettsbeschluß, den 4%igen Anteil für die Krankenversicherung der Rentner einzuführen, die sozialdemokratischen Minister mit dem Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei an der Spitze zugestimmt haben?
Herr Kollege Stücklen, natürlich ist mir bekannt, wie die Abstimmungsergebnisse im Kabinett waren. Aber Sie vergessen dabei eines: Die Sozialdemokraten haben sich dann angesichts der Situation darum bemüht, das auf 2 % herunterzubekommen.
— Herr Kollege Katzer, wir waren auch schon in einer Koalition. In einer Koalition kann man nicht immer die eigenen Blütenträume reifen lassen.
Aber wie wenig gern die Sozialdemokraten damals dem zugestimmt haben, sehen Sie schon daran, Herr Kollege Katzer, daß es die erste Entscheidung dieser Koalition war, den 2%igen Beitrag abzuschaffen, und daß wir vorgestern beschlossen haben, darüber hinaus noch dieses Unrecht an den Rentnern wiedergutzumachen, indem wir die zwei Jahresbeiträge zurückzahlen.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971 8851
Herr Kollege Schmidt, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß die Rückzahlung dieser 2 % ein Erfolg der CDU-Anträge ist,
weil Sie eingestehen müssen, daß die Rentner die Leidtragenden dieser Inflationspolitik sind, so daß Sie sich dem Druck von draußen nicht entziehen können und jetzt etwas tun müssen?
Herr Kollege Härzschel, hier stimme ich Ihnen ganz und gar nicht zu.
— Dann müssen wir es eben doch etwas deutlicher sagen. Ich habe soeben bereits dargelegt, daß es die erste Leistung dieser Koalition war, die 2 % abzuschaffen.
— Wenn das nicht großartig wäre, hätte Herr Katzer es vorhin nicht begrüßt. Wer von Ihnen weiß denn nun eigentlich, was er will?
— Auf die Konzeption komme ich gleich zu sprechen, Herr Kollege Müller. Ich bin jetzt noch bei der Frage des Kollegen Härzschel, damit hier nichts im Raum bleibt. Erstens haben wir die 2 % sofort abgeschafft. Sie sollten dies allmählich zur Kenntnis nehmen. Zweitens waren wir von Anfang an bemüht, die Rückzahlung vorzunehmen. Wir mußten aber die Finanzen der Rentenversicherung und die Möglichkeit, die anderen Dinge, die wir vorhaben, in der Rentenreform zu verwirklichen, überprüfen. Nachdem wir festgestellt haben, daß das geht, werden wir zurückzahlen, und zwar als Erstattung und nicht etwa als in irgendeiner Form von Ihnen initiierte Teuerungs- oder sonstige Zulage. Es ist eine Erstattung dessen, was den Rentnern seinerzeit zu Unrecht unter der Manipulation „Krankenversicherungsbeitrag" abgenommen wurde, obwohl diese Gelder nie in die Krankenversicherung geflossen sind.
Es ist vielleicht gut, Herr Kollege Katzer, auch zu einem zweiten Punkt einmal etwas zu sagen. Vor wenigen Wochen gingen sensationelle Meldungen durch die Presse — gestern hat der Kollege Schellenberg darauf schon etwas abgehoben —: Katzer findet 200 Milliarden, Katzer kann in der Rentenreform noch mehr tun als die Bundesregierung, die 137 Milliarden sieht. Herr Kollege Katzer, ich bin mir bis heute noch nicht klar, wo Sie die 200 Milliarden DM gefunden haben.
— Bitte schön!
Herr Kollege Schmidt, da Sie die Hochrechnung auf 190 bis 200 Milliarden DM anzweifeln, können Sie mir sagen, wo der Kollege Spitzmüller die hier im Plenum genannten 167 Milliarden DM herbekommt?
Ich habe mich gerade mit dem Kollegen Spitzmüller verständigt, daß es sich dabei um einen Sprechfehler gehandelt hat. Er hat 137 Milliarden DM gemeint.
Ich habe mich gerade mit dem Kollegen Spitzmüller verständigt; denn mir war das nicht bekannt, und ich war auch nicht dabei. Jedenfalls ist ein Betrag von 167 Milliarden DM nicht in dieser Form von uns genannt worden.
Herr Kollege Katzer, ich wollte drei Dinge feststellen. Jetzt sagen Sie: 200 Milliarden DM sind drin. Im Frühjahr vorigen Jahres, als diese Bundesregierung eine erfolgreiche Zukunftsbilanz, mit 137 Milliarden DM errechnet, vorlegen konnte, waren Sie es und Herr Kollege Götz, die gesagt haben: Kann nicht stimmen, ist Manipulation.
— Herr Kollege Katzer, dann würde ich Ihnen doch empfehlen, in den zuständigen Ausschuß zu kommen. Dort haben wir uns damals über die 137 Milliarden unterhalten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Ist Ihnen bekannt, daß, nachdem die Regierung der sozial-liberalen Koalition den Gesetzentwurf über die Abschaffung des Rentnerkrankenversicherungsbeitrages im Bundesrat eingebracht hatte, einen Tag später, nämlich am 17. November 1969, der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Herr Barzel, auf dem Parteitag der CDU in Mainz erklärte: „Der Vorschlag, den jetzigen Krankenversicherungsbeitrag der Rentner wieder zu streichen, zwingt dazu, entweder die Beiträge oder den Staatszuschuß zu erhöhen." — Können Sie das bestätigen, Herr Kollege?
Das kann ich voll und ganz bestätigen, Herr Kollege Schellenberg.
Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mich an diese Äußerung des Kollegen Barzel erinnert haben.
Ich stelle noch einmal fest: als diese 137 Milliarden auf dem Tisch lagen, und zwar als errechnete Zahl, war die CDU/CSU der Meinung, daß das nicht stimmen könne. Als man dann seitens der Opposi-
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Schmidt
tion erkannte, daß das von der Regierung und von den Regierungsfraktionen beabsichtigte Reformpaket, insbesondere auch die von den Betroffenen gewünschte Reform der flexiblen Altersgrenze, eine sehr positive Reformarbeit darstellen würde, man aber von dem Dampfer der zusätzlichen Anpassung nicht mehr herunterkonnte, haben Sie, Herr Kollege Katzer — die Vermutung muß ich einmal aussprechen —, plötzlich die 200 Milliarden erfunden, damit Sie auf der einen Seite dem, was die Bundesregierung will, zustimmen können, andererseits aber noch die 60 Milliarden haben, um außerdem noch Ihre Anpassung weiter verfolgen zu können. So kann man natürlich auf 200 Milliarden kommen. — Bitte schön!
Herr Kollege Schmidt, kennen Sie das Schreiben des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen vom 20. August 1971 betreffend volkswirtschaftliche Grenzen für die sozialpolitischen Reformvorschläge des Bundesministers für Arbeit? Da heißt es:
b) Die explosive Lohnentwicklung seit Herbst 1969 hat als Folge der in der Rentenformel enthaltenen zeitlichen Verzögerung ein fühlbare Senkung des relativen Rentenniveaus und damit eine entsprechende Verbesserung der Finanzlage der Versicherung herbeigeführt: Rentenniveau 1972 nach neuesten
Schätzungen rund 41 v. H. gegenüber 47 v. H.
im Jahre 1968 für Renten bei 40jähriger
Versicherungszeit.
Kennen Sie auch die Schlußfolgerung des Ministeriums, das hier vor einer ganz großen Gefahr warnt, die auf die Rentenversicherungsträger und die Politiker zukommt?
Herr Kollege Franke, natürlich kenne ich das Schreiben. Ich habe eingangs bereits eindeutig gesagt — Herr Kollege Schellenberg hat vorhin in einer Zwischenfrage gegenüber dem Kollegen Katzer bereits auf diese Dinge hingewiesen —, daß wir am 16. Dezember Gelegenheit haben werden, alle diese Dinge im Detail zu besprechen. Es kann nicht Sinn der heutigen Debatte sein und ist auch nicht möglich, in 15-Minuten-Redezeiten die Details der Finanzierung zu behandeln. Wir werden das am 16. sehr deutlich tun und uns auch die Zeit dazu lassen.
Ich möchte hier auf den Stil und die Form dieser Debatte eingehen und noch einmal folgendes feststellen. — Ich will jetzt nicht noch auf den Beteiligungslohn eingehen, Herr Kollege Katzer; Sie werden wahrscheinlich auf Grund Ihrer Ankündigung Ihres Antrages im Ausschuß noch einige Schwierigkeiten in Ihrer eigenen Fraktion haben. Wenn ich daran denke, wie damals die Entscheidung für den Beteiligungslohn in Ihrer Fraktion fiel,
wenn ich daran denke, wie sämtliche Verbände der
Wirtschaft von vornherein gesagt haben: „Unmöglich, kommt ja gar nicht in Frage", wenn ich daran
denke, welche Haushaltsmittel in Bund und Ländern hier in Bewegung gesetzt werden,
möchte ich nicht erleben, was heute nachmittag oder irgendwann im Fraktionsvorstand der CDU/CSU zu Ihrem so großzügig gemachten Antrag gesagt werden wird.
— Wir werden es ja hören, Herr Kollege Katzer.
Meine Damen und Herren, meine Zeit geht zu Ende. Lassen Sie mich drei Feststellungen zum Stil dieser Debatte machen,
drei Feststellungen im Rückblick auf das, was ich eingangs sagte: ein schlechter Aufguß.
Wenn die Opposition der Meinung ist, daß die Reformarbeit dieser Bundesregierung der sozialliberalen Koalition, die erhebliche Erfolge, die hier aufgezählt worden sind, nachweisen kann, die nachweisen kann, daß sie die Regierungserklärung im sozialpolitischen Bereich zum größten Teil bereits praktisch abgehakt hat,
gering sei, kann ich nur sagen: lesen Sie einmal die Regierungserklärung von Herrn Kiesinger! Ich habe sie dabei; soll ich einmal vorlesen, welche Gemeinplätze da standen? Oder soll ich Ihre Antwort auf unsere Anfrage in der Großen Koalition zitieren, Herr Kollege Katzer? Ich habe sie auch dabei. Aber die Zeit ermöglicht es nicht, das im einzelnen vorzulesen. Ich stelle jedenfalls fest: Wenn die Opposition glaubt, daß die Reformvorhaben nicht in ihrem Sinne sind oder anders laufen, hätte ich erwartet, daß außer dem Beteiligungslohn, der ja schon ein alter Hut ist, von keinem gern gesehen, aber von der CDU immer auf die Fahne gesetzt, andere, echte Alternativen gekommen wären. Wo sind denn diese Alternativen?
— Darauf komme ich gleich; das habe ich mir für den Schluß aufgehoben, Herr Vogt.
Zum zweiten muß man den Eindruck gewinnen, daß Sie, wenn Sie das Parlament und auch die Regierung mit so wenig substanziellen Dingen, wie sie hier vorgetragen worden sind, so lange beschäftigen, im Endeffekt die Reformvorhaben der Bundesregierung durch Ihre ewigen Anfragen blockieren möchten, ohne dabei Alternativen aufzuzeigen.
— Wie gesagt, die Uhr läuft bei mir, Herr Kollege
Klepsch. — Der Kollege Katzer hat ja erklärt, er
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Schmidt
könne es schon gar nicht mehr hören. Ich kann mir vorstellen, daß Sie es nicht so gern hören, wenn man Ihnen, angefangen von der Dynamisierung der Kriegsopferversorgung bis zum Betriebsverfassungsgesetz, wieder einmal vorhält, was in diesen zwei Jahren geschehen ist und was Sie alles nicht gewollt haben. Ich kann mir vorstellen, daß Ihnen das nicht paßt. Aber wir wollen uns eben auf die gegebene Zeit beschränken. Wir wollen arbeiten, wir wollen Reformen durchführen und nicht hier immer darüber reden, vor allen Dingen dann nicht, wenn wir von Ihnen nichts Vernünftiges dazu hören.
Lassen Sie mich ein Letztes sagen. Ein bißchen — insoweit habe ich Verständnis für die Ausdehnung der Debatte — habe ich den Eindruck, insbesondere wenn ich die Sprecherliste der Opposition anschaue, daß hier all denen wieder einmal Gelegenheit gegeben wurde, über Sozialpolitik, Gesellschaftspolitik, Familienpolitik zu reden, die schon einmal — beim Betriebsverfassungsgesetz von ihrer Fraktion „außer Kraft gesetzt" wurden und demnächst, wenn es im Bundesrat so läuft, wie es heißt, von ihrer Oppositionsfraktion wieder, sagen wir einmal, sehr schlecht behandelt werden. Denn ausgerechnet diejenigen das tut mir leid, weil es diejenigen sind, mit denen wir zusammenarbeiten — werden hier herausgestellt, die dann hinterher in der Fraktion wieder „abgebügelt" werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Jenninger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Beitrag des Kollegen Schmidt von der FDP reizt einen fast, Richelieu zu zitieren: „Wo große Fragen enden, beginnen kleine Parteien!"
Wir haben sicherlich in allen Lagern eine gewisse Unzufriedenheit über den Verlauf dieser Debatte festzustellen, auch über ihren Inhalt, und zwar ganz einfach deswegen, weil der Versuch der Opposition, Sie, die Bundesregierung, auf die schwankende und zerbröckelnde Basis Ihrer Reformpolitik hinzuweisen, nämlich auf die ständig weiter absinkende Preis- und Geldwertstabilität, von Ihnen gekontert wird, indem Sie im Stile tibetanischer Gebetsmühlen ständig die Litanei Ihrer in den letzten zwei Jahren beschlossenen und durchgeführten Maßnahmen herunterbeten, und dies nach dem Motto: Was sind wir doch in zwei Jahren für Mollis geworden, gemessen an den Leistungen von 20 Jahren CDU-Herrschaft! Das zwingt uns natürlich zur Erwiderung, und dann haben wir diese unergiebigen Reden über die Vergangenheit, an denen sich dieses Parlament — ich muß das einmal sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren — offensichtlich tagelang berauschen kann. Das war aber weder der Sinn unserer Anfrage, noch dient das der Sache angesichts der Berge von Problemen und Sorgen um die Zukunft unseres Volkes, die vor uns liegen.
Niemand, auch die Opposition nicht ich will das
einmal sagen, weil das offensichtlich Ihr Komplex ist —, bestreitet der Regierung und den Koalitionsfraktionen den ihnen gebührenden Anteil an den Gesetzen und Maßnahmen, die in den letzten zwei Jahren beschlossen worden sind; genauso wenig wie Sie uns widerlegen können, daß auch wir unseren Anteil dazu beigetragen haben. Erst recht können Sie nicht bestreiten, daß wir in den berühmten vergangenen 20 Jahren erfolgreiche Politik und Reformen gemacht haben, bei allen Fehlern und manchen Versäumnissen, die auch wir uns anrechnen lassen müssen, genau wie Sie sich Ihre Fehler anrechnen lassen müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Unterschied zwischen uns ist nur der, daß Sie jeden Gesetzentwurf, wie z. B. über die Anhebung der Unterhaltshilfe für die Wehrpflichtigen, die Verbesserung der Intensivhühnerhaltung nach dem neuen Tierschutzgesetz, als tief in die Strukturen unserer Gesellschaft eingreifende Reformakte bezeichnen und herausstellen, wo man Tag für Tag sozusagen am Reformbarometer die durch nichts zu erschütternde Reformfreudigkeit dieser Bundesregierung ablesen könnte.
Das ist die Situation. Wir haben in den vergangenen Jahren nur wirklich grundlegend in die Strukturen von Staat und Gesellschaft eingreifende Maßnahmen als Reformen bezeichnet: z. B. die Rentenreform, die Finanzreform usw. Das wollte ich meinem Beitrag vorausschicken, der sich mit der Finanzierung der Reformpolitik dieser Bundesregierung befassen soll. Am Anfang aller Reformpolitik der Bundesregierung stand der Satz: „Für sämtliche von der Bundesregierung geplanten ausgabewirksamen Reformvorhaben sind die Mittel im geltenden Finanzplan des Bundes ausgewiesen und gesichert. Als die Opposition das in Zweifel zog, hat man uns nach dem Motto „Der Herbst macht's möglich!" auf die Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung im September 1971 hingewiesen, und zwar mit dem berühmten, stereotypen, in veredeltem Planungsdeutsch ausgedrückten Satz, den wir 17mal in der Antwort auf die frühere Große Anfrage lesen konnten:
Der geltende Finanzplan des Bundes wird wie jedes Jahr im Herbst 1971 im Hinblick auf die gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen und die gegebenen Deckungsmöglichkeiten überprüft und fortgeschrieben werden.
Das Ergebnis der Fortschreibung und der Überprüfung ist wieder die schlichte Behauptung der Bundesregierung:
Die Mittel für sämtliche Reformen und Arbeitsvorhaben der Bundesregierung sind im neuen Finanzplan gesichert.
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Dr. Jenninger
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Sophistiker würde dazu sagen: Das ist die totale Umschreibung der totalen Unfähigkeit der späten Erkenntnis einer These von Marcuse: Der erfolgreichen Geschichte des Planens entspricht die traurige Geschichte der Verwirklichung des Geplanten und des Gewollten.
Der vorher angeführte Satz stimmt einfach nicht, und ich werde das beweisen.
— Da stimmt leider gar nichts, Herr Stücklen. Wie sieht die Wirklichkeit aus? Der Regierung fehlt erstens hinten und vorne das Geld, um ihre Reformpolitik in den vor uns liegenden Jahren ausreichend finanzieren zu können. Zweitens sind für eine Reihe wichtiger, entscheidender Reformvorhaben, z. B. für die Bildungsreform, den Ausbau der Bundesfernstraßen und den Umweltschutz, keine Mittel vorhanden, um diese in den nächsten Jahren, zumindest bis 1975, verwirklichen zu können. Das ist die Wahrheit.
Die inflationäre Entwicklung der letzten zwei Jahre hat die finanzielle Basis für die Reformen nachhaltig zerstört. Sie sollten das einmal zur Kenntnis nehmen! Sie vertuschen oder verharmlosen das wie der Kollege Hermsdorf gestern. Durch frisiertes Zahlenmaterial wird beschwichtigt, daß angesichts der hohen Lohn- und Preisexplosionen die finanzielle Decke nicht nur für die Politik des Bundes, sondern vor allem in ganz besorgniserregendem Maße für die der Länder und auch der Gemeinden immer dünner wird. Ich baue hier keinen Popanz oder die berühmte Panikmache auf. Uns von der Opposition könnte es ja schließlich, wenn wir verantwortungslos dächten, gleichgültig sein, in welchen Abgrund Sie hineinschlittern. Bloß, die Stunde der Wahrheit wird auf dem finanziellen Gebiet mit Sicherheit auf Sie zukommen. Sie kennen doch alle die enormen Risiken, die auf dem Finanzplan 1971 bis 1975, auf dem Haushalt 1972 lasten: Von den steigenden Preisen für Investiv- und Sachausgaben ganz zu schweigen, massive Zunahme der Personalkosten, kein Pfennig für Besoldungserhöhungen im öffentlichen Dienst, Devisenausgleich mit den USA, Neuverteilung der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern, Ausgleichszahlungen an die Landwirtschaft, Milliardendefizite — wenn man Herrn Leber zitiert, muß man ja schon sagen: Milliardenkonkurse — bei Post und Bahn, Sorge, daß die Steuerschätzungen, wie von den wirtschaftswissenschaftlichen Instituten dargestellt, um 5 Milliarden DM nach unten revidiert werden müssen, Milliardendefizite bei Ländern und Gemeinden! Meine sehr verehrten Damen und Herren, davor kann man doch nicht die Augen verschließen. Man kann doch nicht so tun gestern ist so getan worden —, als ob wir in einer heilen Welt lebten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr, Herr Kollege Apel.
Herr Kollege Jenninger, wie erklären Sie sich angesichts dieses Kataloges, den Sie eben aufgezählt haben und zu dem manches zu sagen sein wird, die Weigerung der Opposition, der Sie angehören, die Steuererhöhungspläne der Bundesregierung in den Ihnen bekannten Bereichen mit zu tragen? Läge es nicht auch in der Verantwortung der Opposition, das sachlich mit zu tragen und sachlich mit darüber zu debattieren?
Herr Kollege Apel, wir sind gern zu einer sachlichen Auseinandersetzung bereit. Wir haben aber deutlich gesagt, warum wir nein dazu sagen: Wir lehnen es ab, einer Politik zuzustimmen, die lediglich dazu dient, die Schlaglöcher der Inflation zu beseitigen.
Sie haben jetzt in diesen Tagen von Ihrem Wirtschafts- und Finanzminister hören müssen, daß er im Frühjahr 1972 den Eventualhaushalt in Gang zu setzen beabsichtigt. Ich fürchte, daß dies wiederum dazu dienen wird, um weitere auftauchende Inflationsdefizite auszugleichen, nicht aber, um mehr Leistungen zu erbringen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum wird das gefordert? Warum verlangt Herr Steffen, daß wir die Rüstungsausgaben möglichst schnell reduzieren sollen, um damit die Reformen finanzieren zu können? Wohl doch nicht, um der Opposition Freude zu machen? Die Regierung hat nicht den Mut — das ist das, was wir kritisieren —, dem Parlament und der deutschen Öffentlichkeit klipp und klar zu sagen, daß sie sich mit ihren Reformankündigungen übernommen hat und daß sie wegen der großen finanziellen Schwierigkeiten gezwungen ist, fast alle finanzwirksamen Reformvorhaben
— ich begründe es gleich, Herr Apel — zeitlich zu verschieben und in die Mitte der 70er Jahre hineinzustrecken.
Der einzige, der bisher dazu die Wahrheit gesagt hat, ist Ihr Kollege Alex Möller, der neulich in einem Interview mit der „Neuen Revue" erklärt hat: „Es ist heute einfach so, daß die gesellschaftspolitischen Reformvorhaben der Regierung nur in dem Tempo vorankommen können, das der finanzwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entspicht." Er hat allerdings nicht darüber gesprochen, wie es um diese zur Zeit aussieht. Er hat aber hinzugefügt: Die Politiker sollten ehrlicher sein, und das gelte nicht nur für die SPD!
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971 8855
Dr. Jenninger
Wie sieht denn die Wirklichkeit aus? Ich will es Ihnen gleich sagen. Wenn Sie einmal den Finanzplan 1970-1974 mit dem neuen Finanzplan vergleichen, stellen Sie fest, daß sich das Gesamtvolumen trotz wachsender Preis- und Kostensteigerungen nicht verändert hat. Insgesamt sind in dem neuen Finanzplan für die Zeit von 1972 bis 1974 8 Milliarden DM gestrichen worden. Weitere 13 Milliarden sind neu hineingekommen, mehr für den Devisenausgleich, mehr für die Hilfe für Berlin, mehr für die Anschaffung der Phantom usw. Insgesamt stehen für die Reformpolitik bis 1974 also 21 Milliarden DM weniger zur Verfügung. Keine einzige Mark steht im neuen Finanzplan für noch nicht vom Kabinett oder durch Gesetz beschlossene Maßnahmen, zur Verfügung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, darüber hört man nichts in diesem Hause!
Im Sachverständigengutachten konnten wir
— im Gegensatz zur Antwort der Bundesregierung auf unsere Anfrage unter Ziffer II — lesen, daß die inflationäre Entwicklung — im Gegensatz zu der Meinung, die Sie und manche Ihrer Leute haben —, die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben stärker trifft, als die Befriedigung privater Bedürfnisse.
Hier nur in Stichworten einige Ergebnisse. Erstens. Der Staatsanteil am Produktionspotential hat wegen der hohen Preissteigerungen nicht zu-, sondern abgenommen. Die realisierte Staatsquote ist von 28,5 % im Jahre 1966 auf 26,7 % im Jahre 1971 abgesunken.
Vom Staat wurde und wird also nicht mehr geleistet, sondern weniger.
Zweitens. Die hohen Preis- und Einkommenssteigerungen haben nicht zu progressiv zunehmenden Steuereinnahmen, sondern zu sinkenden Steuerquoten geführt.
Drittens. Der beschleunigte Geldwertschwund auf der Basis einer beschleunigten Expansion der Lohneinkommen hat die Produktion öffentlicher Güter stärker verteuert als die Güter für den privaten Bedarf. Von 1966 bis 1971 betrug der Preisanstieg für den Staat rund 30 %, gegenüber einem Preisanstieg von 20 % für Private.
Angesichts dieser Feststellungen und anderer Gründe geht die Antwort, die Sie zu Ziffer II unserer Anfrage geben, an der Sache vorbei. Sie ist unzureichend, oberflächlich und auch zum Teil falsch. Falsch ist z. B. die Behauptung, die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Investitionsausgaben würde um 9,2 % steigen. Der Herr Bundesfinanzminister hat selber vor dem Bundesrat die Zahl 7,8 % genannt. In Wirklichkeit bewegt sie sich — nach den Aussagen der Regierung — im Finanzplan bei der Größenordnung von 7 %.
Unbestrittene Tatsache ist, daß die Gesamtausgaben in den Haushalten in den nächsten Jahren stärker steigen werden als die Zuwachsraten bei den Investitionen und daß — wie regierungsamtlich bestätigt — ein Absinken der Investitionsquote
vom Höchststand im Jahre 1972 mit 17,9 % auf 16,9 % in 1975 zu erwarten ist.
Wie sehen die konkreten Zahlen aus? Wir hören immer wieder von Ihnen, daß Sie für alle Zwecke mehr Mittel bereitstellen. Vergleichen Sie einmal die Finanzplanungen miteinander. Da ist bei den sogenannten investiven Schwerpunkten weniger drin, als die Regierung uns vormacht: Bei Bildung und Wissenschaft ein Weniger von 1,5 Milliarden DM, bei Verkehrs- und Nachrichtenwesen 800 Millionen DM mehr, bei der Entwicklungshilfe ein Weniger von 770 Millionen DM, beim Wohnungswesen, Raumordnung, kommunale Dienste ein Weniger von 3,8 Milliarden DM, beim Energiewesen über 540 Millionen DM mehr, bei den Finanzierungshilfen für Investitionen in der Forschung ein Weniger von 400 Millionen DM, bei den Darlehen an nichtöffentliche Bereiche ein Weniger von 500 Millionen! Angesichts dieser Zahlen können Sie uns doch nicht weismachen, daß in den nächsten Jahren höhere oder — wie es der Herr Bundeskanzler ausgedrückt hat — überproportionale Steigerungsraten bei den investiven Staatsausgaben zur Verfügung stellen.
Da hören wir von Ihnen immer, daß Sie die „öffentliche Armut" zuungunsten des privaten Reichtums ändern wollen — und das angesichts dieser Zahlen, die ich Ihnen hier vorgetragen habe.
Uns wurde gestern die Frage gestellt, ob wir denn mehr öffentliche Investitionen wollten. Meine Damen und Herren, wir wollten zunächst einmal mehr Ehrlichkeit und mehr Wahrheit haben! Wir wissen sehr wohl, daß Sie in der jetzigen finanziellen Situation von Bund, Ländern und Gemeinden eine übermäßige Steigerung der investiven Ausgaben nicht verwirklichen können, aber es sollte dem ganz deutlich sichtbaren relativen Absinken der investiven Ausgaben im Bundesetat im Interesse unserer volkswirtschaftlichen Entwicklung Einhalt geboten werden. Da erwarten wir eben den Vorschlag des Bundesfinanzministers darüber, was wir in dieser Frage ganz konkret tun können.
In meinem Beitrag zur ersten Lesung des Haushalts habe ich gesagt, wir brauchten dringend eine Übereinstimmung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, ein Gesamtkonzept dafür, wie wir diese Reformen in den nächsten Jahren verwirklichen können. Ich will jetzt nicht noch einmal ein Nationalbudget fordern, obwohl ich das als richtig empfinde.
Aber diese Regierung ist ja nicht einmal in der Lage, Herr Apel, die Grundannahmen für die Finanzplanung mit den Ländern in den nächsten Jahren abzustimmen. Die Tragik und die traurige Wirklichkeit dieser Regierung ist, daß sie einen halben Finanzminister zur Verfügung hat, der nur eine halbe Finanzpolitik und deswegen eine unzureichende Reformpolitik machen kann.
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Meine Damen und Herren! Mir wurde mitgeteilt, daß die Fraktionsgeschäftsführer sich darauf geeinigt haben, Punkt 3 der Tagesordnung nicht heute, sondern morgen um 9 Uhr zu behandeln. Dafür soll der Rest der Tagesordnung in vollem Umfang heute abgewickelt werden. — Das Haus ist einverstanden.
Das Wort hat der Staatssekretär Hermsdorf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine kurze Intervention hinsichtlich der Ausführungen des Kollegen Dr. Jenninger. Herr Kollege Dr. Jenninger, bei einer ganzen Reihe von Grundsätzen, die Sie hier postuliert haben, gehe ich völlig mit Ihnen einig. Ich wäre sehr froh, wenn man sie praktizieren könnte.
Sie sagen, wir hielten Ihnen die Versäumnisse der letzten Jahre vor, und es sei auf die Dauer unerträglich, wenn man das immer wieder von neuem hören müsse. Ich sage Ihnen: ich bin gern bereit, mit Ihnen darüber zu sprechen. Ich stelle aber fest, daß auch Sie hier Debatten führen, die sich alle Vierteljahre wiederholen und keinerlei neue Gesichtspunkte an den Tag bringen. Es wäre nützlicher, wenn wir diese Debatten nicht dauernd wiederholten, sondern einmal feststellten, welche unterschiedlichen Auffassungen und welche Alternativen es zu dieser oder jener Frage gibt, und wenn wir die Sache dann erst einmal abrollen ließen, bis wir sie im Griff haben. Bei einer Reihe von Großen Anfragen u. ä. -- dies müssen wir uns eingestehen — gibt es sehr viel Leerlauf, weil sich vieles immer aufs Neue wiederholt. Das gilt für das ganze Haus.
Nun zu einem anderen Punkt, Herr Dr. Jenninger. Sie sagen, ich hätte gestern versucht, Sie mit der Bemerkung abzuspeisen, daß alles, was die Regierung erklärt habe und was die Reformen angehe, gesichert sei. Sie haben gesagt, dies sei nicht wahr; wir hätten von unseren Reformen eine ganze Menge abstreichen müssen.
Dies ist nicht richtig, Herr Kollege Jenninger. Sie kennen die Ausgangsposition vom Februar dieses Jahres, als wir vor der von Ihnen und von anderen genannten Zahl in Höhe von 64 Milliarden DM standen. Es war das Anliegen dieses Hauses — und es muß das Anliegen des ganzen Hauses sein —, die Solidität der Bundesfinanzen herzustellen. Daher war es nötig, bei der Aufstellung des Haushaltsplans 1972 und bei der Fortschreibung bis zur mittelfristigen Finanzplanung 1975 diese Lücke zu schließen und eine einigermaßen gesicherte Finanzplanung bis 1975 vorzulegen.
Nun ist es aber nicht so — und hier gehen Sie meiner Ansicht nach von falschen Voraussetzungen aus —, daß die Reformen mit der Herstellung der Solidität der mittelfristigen Finanzplanung sozusagen vom Tisch gewischt seien. Ich habe Ihnen gestern dargestellt, was in diesen zwei Jahren durchgeführt wurde und was wir bis 1973, also bis zum Ende dieser Legislaturperiode, noch vorhaben. Ich habe Ihnen ferner gesagt, daß hinsichtlich der Schwerpunkte, die wir bei den Reformen aufgestellt
haben, eine zusätzliche Finanzspritze von 1 Milliarde DM 1972 und von je 2 Milliarden DM 1973 und 1974 nötig ist. Ich habe auch klargestellt, welche Punkte das betrifft. Wenn man diese Schwerpunkte genannt hat, kann man nicht ausbrechen und sagen: aber das, aber das!
Sie sagen, heute werde zuwenig für den Straßenbau getan. Ich bin durchaus bereit, mit Ihnen darüber zu reden, ob es nicht möglich wäre, noch mehr Straßen zu bauen. Als aber die Frage der Mineralölsteuererhöhung anstand, haben Sie sofort geblockt.
Man kann die Verkehrspolitik nicht nur von der Seite des Straßenbaues her sehen, sondern man muß sie auch von der Seite der Bundesbahn aus sehen. Die Bundesbahn hat heute ein sehr großes Defizit. Dabei ist es ganz klar, daß sich dieses Defizit auf den Gesamtplafond des Verkehrshaushalts niederschlägt. Sie wissen ebenso wie wir alle, daß es nicht einfach ist, dieses Defizit von heute auf morgen in den Griff zu bekommen. Sie kennen die Ursachen genauso gut wir wir.
Sie sagen ferner: ihr habt einige Vorhaben, die ihr als Reformen bezeichnet habt, ein wenig strecken müssen. Das bestreite ich überhaupt nicht; das ist ja ganz natürlich. Diese Regierung hat nämlich erklärt, sie werde nur solche Vorhaben durchführen, die finanziell gesichert seien und wodurch die Finanzen nicht in Gefahr kämen. Das ist der Grundsatz, und von diesem Grundsatz gehen wir nicht ab.
Und wenn Sie dann sagen, es gebe überall ein Milliardendefizit, bei Bund, bei Ländern und Gemeinden, und Sie dann hier sehr abgehoben haben auf Bund und Länder: Herr Kollege Dr. Jenninger, wir haben so viele Jahre im Haushaltsausschuß die Frage der Verteilung der Steuerquote bei Bund und Ländern miteinander behandelt. Sie wissen auch ganz genau, welchen Schnitt wir 1969 gemacht haben, als wir die Finanzreform durchgeführt haben, als wir Gemeinschaftsaufgaben machten, und wie hier der Bund zur Kasse gebeten worden ist.
— Verzeihung, auch der Bund! In der Hochschulfinanzierung, die vorher gar nicht bei uns lag, sind wir mit 50 % zur Kasse gebeten worden; in der Frage des Küstenschutzes, der vorher gar nicht bei uns lag, sind wir mit 50 % zur Kasse gebeten worden. Herr Stücklen, tun Sie doch nicht so, als sei die Finanzreform auf Kosten der Länder gegangen; sie ist finanziell auf Kosten des Bundes gegangen. Darüber gibt es gar keinen Zweifel. Hier hat der Bund den Ländern geholfen, und nicht umgekehrt.
Bitte schön!
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, mir zuzustimmen, wenn ich hier feststelle, daß es nicht entscheidend ist, wieweit der Bund, die Länder und die Gemeinden beteiligt sind, sondern daß es entscheidend ist, wie die Finanz-
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Stücklen
masse insgesamt auf Bund, Länder und Gemeinden aufgeteilt ist? Hier hat der Bund zwar Gesetze geschaffen, aber den Ländern nicht die Mittel zur Verfügung gestellt, die die Länder brauchen, um die vom Bund verursachten Aufgaben auch tatsächlich solide finanzieren zu können.
Herr Kollege Stücklen, so gern ich Ihnen immer zustimme — dies ist bei unserem Verhältnis wohl kaum anders möglich , so kann ich Ihnen nur im ersten Teil Ihrer Frage zustimmen, nämlich daß durch diese Aufgaben das Gesamtvolumen der Finanzen nicht verändert worden ist. Aber im zweiten Teil Ihrer Frage stimme ich Ihnen überhaupt nicht zu; denn der Bund hat durch die Finanzreform mehr an finanziellen Lasten übernommen, als er vorher gehabt hat, ohne daß er dabei eine zusätzliche Steuereinnahme bekommen hat. — Einen Augenblick, Herr Dr. Jenninger, lassen Sie mich den Gedanken zu Ende führen. — Und nun kommen wir zu dem entscheidenden Punkt bei ,dieser Sache. Herr Dr. Jenninger hat hier dargestellt, daß da Aufgaben vorhanden sind und daß es sozusagen ,dem Bund nicht gelungen sei, eine Abstimmung der Planung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden in den Grundannahmen zu finden. Herr Kollege Dr. Jenninger, die wichtigste Grundannahme im Verhältnis des Bundes zu den Ländern betrifft die Frage des Bedarfs. Und da sage ich Ihnen ganz offen: Hier eine Übereinstimmung zu finden, ist fast nicht möglich, weil der Bedarf sozusagen bis ins Unendliche entwickelt werden kann und weil Sie nur die Möglichkeit haben, politisch zu sagen, was an Bedarf erfüllt werden kann oder nicht. Und da gehen die Meinungen auseinander, auch intern, nicht nur zwischen den beiden Parteien, sondern auch innerhalb der eigenen Fraktion und Partei. Bitte schön!
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir denn darin zu, daß es keinen Sinn hat, einfach davor zu kapitulieren, weil es notwendig ist, z. B. auch im Interesse einer vernünftigen antizyklischen Finanzpolitik, daß wir diese Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden vornehmen, insbesondere im Hinblick darauf, daß wir immer mehr Gemeinschaftsaufgaben schaffen? Das geht einfach nicht ohne Abstimmung, weder auf der Seite der Einnahmen noch auf der Seite der Ausgaben.
Herr Kollege Dr. Jenninger, in einem kann ich Ihnen auf alle Fälle hundertprozentig zustimmen: Was diese Bundesregierung angeht, so wird sie vor diesem Problem niemals kapitulieren. Das ist ganz klar; in dieser Frage sind wir ganz hart. Nur gilt) es hier auszuhandeln: Was ist notwendig an Bedarfsdeckung für den Bund, für die Gemeinden, für
die Länder? Zur Zeit ist das nicht auf eine einheitliche Linie zu bringen. Da kann die Regierung heißen, wie sie will. Dies war immer so, und es wird auch in Zukunft schwer sein, hier eine Linie zu finden.
— Darauf komme ich gleich noch! — Bitte schön!
Herr Kollege Hermsdorf, wir haben ja vor kurzem erst eine Neuaufteilung der Finanzmasse zwischen Bund, Ländern und Gemeinden vorgenommen entsprechend der neuen Aufgabenverteilung. Worauf führen Sie es denn nun zurück, daß die Länder und die Gemeinden trotz der Mehrzuwendungen, die an ihre Adresse gehen, jetzt nicht mehr mit ihrer Finanzmasse zurecht kommen? Ist das die Folge einer schludrigen Haushalts- und Finanzpolitik der Länder oder Gemeinden, oder trägt da vielleicht auch die Gesamtpolitik der Bundesregierung ihr gerüttelt Maß an Mitverantwortung?
Den letzten Punkt muß ich absolut verneinen. Ich will Ihnen ganz offen sagen: Sie wissen genauso gut wie ich, daß eine ganze Reihe von Faktoren, für die der Bund überhaupt nicht verantwortlich ist, hier dazu beigetragen haben, daß die bessere Finanzausstattung, die damals durch die Finanzreform erzielt worden war, aufgefressen worden ist. Nun kommen Sie mir nicht nur mit den Preisen; denn auch Sie wissen, wie sich in der Tarifentwicklung teilweise Länder und Gemeinden gegenseitig hochgeschaukelt haben. Das hat nun wirklich nichts mit der Bundesregierung zu tun. Aber es ist ein Tatbestand, daß wir hier eine Entwicklung haben, die von niemandem in diesem Hause gebilligt werden kann.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihnen sagen, daß die Enquete-Kommission für Fragen der Verfassungsreform in der Erkenntnis, daß die derzeitige Verfassungslage nicht ausreicht, um der Bundesregierung oder dem Bundestag eine Möglichkeit zu geben, einheitlich zu planen, diese Frage seit zwei Monaten berät, ohne daß wir bislang zu einem brauchbaren Ergebnis gekommen wären und ohne daß wir bislang einen konkreten Vorschlag hätten entwicklen können, wie die Planung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden politisch sinnvoll gestaltet werden könnte.
Herr Kollege Schäfer, ich kann Ihnen das nur bestätigen. .Jeder von uns, der sich mit der Sache befaßt hat, wußte, daß das gar nicht anders sein konnte. Ich wehre mich nur dagegen, daß die Opposition diesen Tatbestand auch genau kennt, dennoch aber fälschlicherweise versucht, ihn dieser Re-
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Parlamentarischer Staatssekretär Hermsdorf
gierung in die Schuhe zu schieben, die die Ursachen dafür nicht im mindesten bewirkt hat. Das ist doch der Punkt.
— Aber Verzeihung, da muß ich Ihnen sagen — ich hoffe, das nehmen Sie mir ab —: Um welche politische Funktion es sich auch handelt, — es ist ein schlechter Kollege, wenn er kein ganzer Mann ist. Das gilt für uns alle, das gilt auch für diese Regierung. Ich habe keinen Zweifel, daß das wirklich so sein wird.
Eine Zusatzfrage.
Herr Kollege Hermsdorf, Sie haben sicherlich recht, daß die öffentlichen Haushalte vor allem auch bei den Ländern und Gemeinden mit beeinflußt werden durch die Tarifentwicklung; aber wollen Sie mir nicht wenigstens darin zustimmen, daß die Disziplinlosigkeit der Tarifpartner auch ,darauf mit zurückzuführen ist, daß die Bundesregierung vor allem im vergangenen Jahr hier eine falsche, insbesondere auch psychologisch falsche, Politik betrieben hat und diesen Zustand mit provoziert hat?
Dies ist ein Punkt, den Sie mir persönlich am allerwenigsten in die Schuhe schieben können; denn ich habe mich öffentlich dazu sehr unpopulär geäußert und habe von dieser Äußerung nicht ein Wort zurückzunehmen.
Ich würde nur bitten, daß wir uns alle auf eine Linie begeben und nicht je nach ,dem, wo wir gerade sind, einen anderen Ton anschlagen, als es uns unsere eigene Erkenntnis vorschreibt. Das möchte ich nur sagen.
Hier sind gestern einige Töne von Ihrer Seite hochgekommen, über die ich sehr überrascht war und die ich mir noch einmal sehr genau zu Gemüte führen werde, weil das nämlich nicht gerade dazu beiträgt, bei diesem Punkt zu normalen Verhältnissen zurückzukommen.
Aber nun noch ein Wort zu Herrn Jenninger. Herr Jenninger, was können wir in dieser Situation tun? Zunächst haben wir in der mittelfristigen Finanzplanung im Haushalt 1972 realistische Zahlen — Sie haben hier natürlich die Negativposten herausgezogen, ich habe Ihnen die Positivposten dargestellt hinsichtlich der Leistungen der zwei Jahre, die von Ihnen nicht bestritten werden, die Sie nur anders beurteilen als wir —, und für den zweiten Teil, nämlich für das, was noch gemacht wird, habe ich Ihnen ,die Schwerpunkte genannt. Darauf haben
Sie eingeblendet, was da und dort weniger ausgegeben wird. Nun muß ich Ihnen offen sagen: Eine Regierung wäre handlungsunfähig, wenn sie nicht von Jahr zu Jahr neu überprüfte, ob die Schwerpunkte, die sie vor einem Jahr gesetzt hat, noch gelten, oder ob es inzwischen nicht auf Grund neuer gesellschaftspolitischer Tatbestände notwendig ist, einen anderen Schwerpunkt zu setzen und den vorhergehenden in dieser oder jener Richtung etwas zurückzudrängen. Das ist ganz normal.
Was das Verhältnis von Bund und Ländern angeht, sage ich Ihnen: Wir haben im Haushaltsausschuß, ob wir Opposition waren oder ob Sie Opposition waren, immer gemeinsam den Versuch gemacht — —
-- Das kann ich mir vorstellen. Aber den Gefallen werden wir Ihnen in den nächsten Jahren nicht tun, Herr Stücklen. Das ist gar keine Frage. — Aber wir sollten auch hier den Versuch machen, nun nicht gleich den Forderungen nachzugeben und zu sagen: Das muß so sein, sondern wir sollten sehen, was Aufgabe des Bundes, was Aufgabe der Länder und was Aufgabe der Gemeinden ist, und sollten danach versuchen, die Finanzmasse entsprechend einzuteilen.
Wir haben diesen Versuch gemacht — ich habe das schon gestern dargelegt —, indem wir bereits, bevor wir in die Verhandlungen gegangen waren, gewisse Prozentsätze sowohl für die Länder als für die Gemeinden bei der Mineralölsteuer eingesetzt haben. Das heißt, wir sind dem entgegengekommen. Daß sich aus den Verhandlungen noch etwas anderes ergeben kann, ist auch klar. Aber ich kann mich nicht einfach von dem leiten lassen, was von den Ländern als Bedarf angemeldet ist. Das geht nicht. Denn dann müßten auch wir unseren Bedarf ins Unendliche schreiben, und dann würden die auch sagen: Das geht so nicht.
Hier muß also in vernünftiger Weise zusammengearbeitet werden. Das ist der Versuch dieser Regierung. Sie wird deshalb die Prioritäten, die sie gesetzt hat, weiter durchsetzen, soweit das finanziell möglich ist. Das habe ich gesagt. Ich meine, wir sind auf diesem Wege bisher gut vorangekommen, und wir werden weiter diesen Weg gehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Häfele.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Aussprache über innere Reformen kann meines Erachtens nicht an den Steuerbeschlüssen des SPD-Sonderparteitags vom 18. bis 20. November vorbeigehen.
Einmal hat die Regierung selbst gesagt, daß das eine wesentliche innere Reform dieser Legislaturperiode sei, und zum zweiten ist eine Steuerreform natürlich in der Tat, zumal wenn sie so beschaffen sein soll, wie es sich die SPD vorstellt, eine Frage,
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Dr. Häfele
die die wirtschaftliche Grundlage aller anderen inneren Reformen berührt. Sie können die wesentlichste innere Reform, über die wir uns ja einig sind, nämlich die Verstärkung der Zukunftsinvestitionen, nicht finanzieren, wenn Sie eine falsche Steuerreform machen.
Nun werden Sie sagen, meine Damen und Herren: Was dieser Parteitag beschlossen hat, das ist in dieser Legislaturperiode völlig uninteressant. Der Kollege Nölling hat gestern sogar gesagt, es sei ein Mißverständnis, wenn man meine, das habe in diesem Hause irgendwie eine Bedeutung. Er nannte sogar das Jahr 1975; vor dem Jahre 1975 brauchten wir uns über die Steuerreformbeschlüsse des SPD-Parteitags nicht zu unterhalten.
Meine Damen und Herren, so ist die Wahrheit nicht. Einmal hat dieser Parteitag schon als solcher kraft seiner Beschlüsse eine Signalwirkung für heute und für die Zukunft.
Es gibt gar keinen Zweifel, daß in dieser Situation, in der wir uns befinden, die Verunsicherung, die ohnedies schon vorhanden ist, durch solche Beschlüsse noch ins geradezu Katastrophale gesteigert wird. Zum zweiten — ich zitiere einen Beschluß dieses Parteitags — hat der Parteitag wörtlich beschlossen:
Die SPD-Minister und die Bundestagsfraktion werden aufgefordert, im Rahmen der sozialliberalen Koalition im weiteren Gesetzgebungsverfahren das sozialdemokratische Konzept einer Steuerreform zu verwirklichen.
Das ist ein klarer Auftrag. Daß er nicht bloß platonisch gemeint war, meine Damen und Herren, können Sie aus Äußerungen entnehmen, die Herr Wehner getan hat und die das Reformationszentrum der SPD, Herr Eppler, ebenfalls getan hat.
Herr Wehner hat nach diesem Parteitag auf eine Frage im Deutschlandfunk am 20. November, ob denn das auch schon für diese Legislaturperiode einen verbindlichen Charakter habe, geantwortet, daß das natürlich von Bedeutung sei. Und weiter:
Außerdem müssen wir es ernst nehmen, weil ja unsere Wahl abhängt vom Vertrauen der Sozialdemokraten, deren Delegierte hier zusammen waren.
Er hat auf die. Frage, ob nicht geradezu eine Abhängigkeit von diesen Beschlüssen gegeben sei, weiterhin gesagt:
Nicht direkt, aber eine, die so wesentlich ist,
daß sie nicht außer acht gelassen werden kann.
Herr Eppler hat in der gleichen Richtung eine klare Äußerung getan. Er sagte nämlich wörtlich am 19. November in einem Interview im Deutschlandfunk:
Das Parlament wird ja ohnehin nun im Gesetzgebungsverfahren an dem herumfeilen, was die Bundesregierung an Gesetzentwürfen den gesetzgebenden Körperschaften zuleitet. Natürlich werden unsere Freunde in der Fraktion versuchen, da das eine oder andere noch einzubringen.
Und am 20. November hat er gesagt:
Eine ganz andere Frage ist, ob die Bundestagsfraktion, die ja dies Gesetzgebungsverfahren dann weiterführen muß, noch das eine oder andere aus unseren Beschlüssen in die Gesetzgebung einbringen kann. Ich halte dies nicht für ganz ausgeschlossen.
Es handelt sich also keinesfalls um platonische Beschlüsse — so haben sie Ihre Delegierten auch nicht verstanden —,
sondern es handelt sich um einen konkreten Auftrag
hic et nunc, d. h. schon für diese Legislaturperiode.
Nun wissen wir alle, meine Damen und Herren: eine große Steuerreform, die sozial abgewogen sein soll, die aber auch an die wirtschaftliche Belastungsfähigkeit denken muß, ist nicht einfach. Und wir wissen auch alle, daß die Finanzierung von Zukunftsinvestitionen Geld kostet. Darüber sind wir uns völlig einig. Aber eines ist sicher: was Sie, meine Damen und Herren, hier auf Ihrem Parteitag beschlossen haben, das überschreitet jede vernünftige Grenze. Und Sie würden bei Verwirklichung dieser Beschlüsse genau das an inneren Reformen nicht erreichen, was wir alle wollen.
Entscheidend ist dabei weniger der eine oder der andere einzelne Punkt; da kann man oft verschiedener Meinung sein. Entscheidend ist vielmehr die Summierung dieser Beschlüsse, die Sie herbeigeführt haben, entscheidend ist die Summe der wirtschaftlichen Belastung nach Zusammenfassung aller Beschlüsse. Ich darf hier nur einige wenige krasse Beispiele herausgreifen, die in ihrer Summierung geradezu erschreckend sind: einmal der Spitzensatz von 60 % bei der Einkommen- und Lohnsteuer, zum zweiten die Begrenzung des Splitting-Vorteils für Ehegatten, zum dritten die Tatsache, daß die Kirchensteuer oder die Aufwendungen für ein Einfamilienhaus bzw. eine Eigentumswohnung — also § 7 b des Einkommensteuergesetzes — nur noch mit 20 % — und zwar von der Steuerschuld, nicht mehr vom Einkommen bzw. vom Lohn — abzugsfähig sind, weiterhin die Verschärfung der Vermögensteuer, der Grundsteuer, der Erbschaftsteuer. — Dies alles in seiner Summierung bringt eine derartige Belastung mit sich, daß man überhaupt nicht mehr von einem vernünftigen Maß reden kann.
Hinzu kommt noch, daß Sie den konkreten Auftrag bekommen haben, auf einem neuen Sonderparteitag Vorschläge für die Vermögensbildung zu machen; und nach allem, was man hört, wird dabei eine Vermögensbildungsabgabe herauskommen, die nichts anderes ist als eine zusätzliche Steuer.
Aber ausgerechnet da, meine Damen und Herren,
wo im Steuerrecht eine echte Reform zugunsten
einer breiten Streuung des Produktionsvermögens
8860 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971
Dr. Häfele
möglich wäre, nämlich bei der Körperschaftsteuer, wo man das Anrechnungsverfahren einführen könnte, damit die Kleinaktionäre begünstigt werden,
haben Sie mit Nein gestimmt.
— Das ist die Linie dieses Parteitags; es gibt keinen Zweifel, meine Damen und Herren!
Schon die Eckwerte, die die Bundesregierung beschlossen hat, gehen zu weit. Nicht zuletzt deswegen mußte sie ja zunächst einmal die ersten Eckwerte vom Juni im Oktober revidieren. Aber auch die neuen Eckwerte gehen in ihrer Gesamtbelastung zu weit. Doch das, was Sie beim Parteitag beschlossen haben, hat jede diskutable Grenze überschritten. Sie erreichen damit eine übermäßige, ja konfiskatorische Unternehmensbesteuerung. Wenn man sich einmal die ersten Teilrechnungen, die bereits vorliegen, ansieht — Herr Eppler sagte kürzlich, die Berechnungen kämen erst; Sie haben also beschlossen, ohne vorher durchgerechnet zu haben, aber Teilmaterial ist jetzt da —, dann muß man sagen, daß Gesamtbelastungen der Unternehmen bis zu 90 % — und teilweise noch darüber! — herauskommen werden. Meine Damen und Herren, hier wird die Kuh nicht bloß von der Weide geführt; hier wird die Kuh, die Sie melken wollen, geschlachtet!
Aber es geht nicht nur um die Frage der Unternehmensbelastung. Der zweite Punkt ist ebenso wichtig, wenn nicht noch wichtiger. Sie erreichen eine übermäßige Belastung gerade der Schichten, die wir doch brauchen: der Aufsteiger, der Erfolgreichen, der Tüchtigen, der abhängigen wie der unabhängigen, der selbständigen Mittelschichten. Genau die werden durch eine solche Steuerreform so getroffen, daß Sie, meine Damen und Herren, geradezu eine Leistungsvernichtung erreichen.
Die Folgen sind verheerend. Einmal wissen wir alle, daß wir in Deutschland an der Schwelle zu dem stehen — oder auch schon mittendrin sind —, was die Engländer und die Amerikaner seit Jahren zu bekämpfen versuchen, an der Schwelle zur Stagflation. Es ist dies die schlimmste Kombination, die es gibt: zugleich Stagnation — kein Wachstum oder praktisch kein Wachstum — und Inflation. Was machen die Amerikaner, was die Engländer nach langen Jahren? Sie senken Steuern, um Anreize zu schaffen, damit die Wirtschaft wieder in Schwung kommt. Genau zu dem Zeitpunkt, wo wir in die Stagflation eingetreten sind, machen Sie das Gegenteil und schaffen Resignation in der Wirtschaft.
— Genau! Die Masse der tüchtigen Arbeitnehmer sind schließlich durch die Gefährdung der Arbeitsplätze die Leidtragenden.
Das zweite ist: diese Leistungsbestrafung führt zu einer Nivellierung, einer Gleichmacherei. Sie schaffen den Motor für Mehrleistungen gerade in den Mittelschichten ab.
Eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Kollege Häfele, dürfen Ihre Zuhörer, da Sie jetzt Ausführungen zur Steuerreform machen, erwarten, daß Sie im weiteren Verlauf Ihrer Rede auch die Gegenvorschläge der CDU zur Steuerreform bekanntgeben werden?
Meine Damen und Herren, sobald diese Bundesregierung, was sie bisher trotz langer Ankündigungen nicht getan hat, ihre Gesetzentwürfe im Bundestag eingebracht haben wird, werden wir uns damit, auch alternativ, auseinandersetzen. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihre Gesetzentwürfe endlich hier einzubringen.
Meine Damen und Herren, bei der Frage, daß durch übermäßige Steuerbelastungen die Investitionen gehemmt werden, dürfen wir nicht übersehen, daß es eine europäische Freizügigkeit gibt. Man braucht sich nicht darüber zu wundern, daß immer mehr Unternehmungen daran denken, aus der Bundesrepublik abzuwandern, weil die Steuerbelastungen anderswo, zumal in der EWG, geringer sind. Jede unterlassene Investition — daran führt kein Weg vorbei, und das ist nicht bloß eine Frage für die Unternehmer — ist ein vertagter Fortschritt für alle, und zwar gerade für die sogenannte breite Masse der kleinen Leute!
Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nur ein paar ganz kurze Sätze aus dem neuen Sachverständigengutachten vorlesen, das überhaupt im einzelnen eine Fundgrube von weisen Erkenntnissen ist. Hier heißt es:
Zielt die Steuerreform also nicht auf eine niedrigere Investitionsquote ab und bewirkt sie diese auch nicht, so werden höhere Spitzensteuersätze zwar die Verteilungsoptik des Steuersystems verbessern, auch eine Erhöhung des Preisniveaus bewirken, jedenfalls die Nettogewinne unberührt lassen. Aus dieser Zwangslage kommt eine um gerechtere Steuertarife bemühte Reformpolitik nicht heraus. Denn sie kann nicht treffen wollen, was sie trifft, die Investitionen, und sie trifft nicht, was sie treffen will, den Konsum der hohen Einkommensschichten, weil dort mit zunehmenden Einkommen die Verbrauchsausgaben vom Einkommen immer unabhängiger werden: ... So schwer die Einsicht fällt: Es hat wenig Sinn, über die Höhe der Gewinne zu rechten, solange man sie für die Finanzierung der Investitionen braucht.
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Dr. Häfele
Das ist eine Erkenntnis die Sie Ihrem Parteitag hätten übermitteln können.
Meine Damen und Herren, es gibt noch eine weitere schlimme Folge. Wir alle und vor allem die Opposition forcieren eine breitere Streuung gerade auch des Produktionsvermögens.
Sie können natürlich das Produktionsvermögen nur dann attraktiv machen und einen Anreiz schaffen, daß die Leute es auch wirklich nehmen wollen, wenn die Wertpapiere einen Wert haben.
Wenn Sie aber die Wertpapiere durch eine verkehrte Steuerpolitik immer minderwertiger machen, brauchen Sie sich nicht darüber zu wundern, daß sie für die breite Masse des Volkes völlig ohne Interesse sind.
Wer die Belastbarkeit der Wirtschaft und des Bürgers „ausprobieren" will, wie dies Herr Steffen und offensichtlich die Mehrheit der SPD wollen, der gefährdet und verhindert Investitionen, Wachstum, Arbeitsplätze und Leistung.
Sie brauchen sich nicht darüber zu wundern, daß Ihnen das jetzt vorgehalten wird. Dafür tragen Sie selbst die Verantwortung. Wer das will, der steht nicht bloß im Verdacht, sondern der erscheint immer mehr als einer, dem es nicht um Reformen, sondern um die Strukturüberwindung der sozialen Marktwirtschaft und in der Folge, wie ich meine, der freiheitlichen Gesellschaft überhaupt sowie des freiheitlichen Staatswesens geht, der erscheint als jemand, der etwas ganz anderes will, nämlich letztlich den Staatskapitalismus.
— Nein, Herr Schäfer, innere Reformen sind nicht mit Ideologien und Illusionen zu schaffen,
sondern nur mit Leistung, mit Investitionen.
Nur wenn Sie eine Steuerreform machen, die den Gedanken der Investitionen und der Leistung nicht abtötet, können Sie auf unsere Mitarbeit zählen.
Das Wort hat der Abgeordnete Porzner.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Die Sozialdemokratische Partei hat auf ihrem Parteitag Beschlüsse zur Steuerreform gefaßt. Sie ist die erste Partei, die dieses schwierige Thema sehr konkret angepackt und sich auf einem Parteitag ernsthaft mit der Frage befaßt hat, wie die Forderung aller, nämlich der öffentlichen Hand in Zukunft mehr Mittel für die Finanzierung der öffentlichen Aufgaben zu geben, in die politische Praxis umgesetzt werden kann. Die Beschlüsse der Sozialdemokratischen Partei, die Sie als Auftrag für die Abgeordneten der SPD im Bundestag und als Verpflichtung für die sozialdemokratischen Bundesminister interpretiert haben, sind eine Willensäußerung, die selbstverständlich, Herr Häfele, für Sozialdemokraten bedeutet, daß sie ein Optimum von dem politisch umsetzen werden. Da wollen wir und da brauchen wir überhaupt nichts zurückzunehmen. Aber was hier im Bundestag zur Debatte steht, das sind die Beschlüsse der Bundesregierung, nichts anderes.
Weil Sie sich hier in Schwarzmalerei ergehen: Es hat in unserem Lande noch nie eine soziale Reform gegeben, ohne daß die Privilegierten das Gemeinwohl bedroht sahen,
ohne daß diejenigen, die auch zusätzliche Belastung auf sich nehmen sollten, vom Zusammenbruch der Wirtschaft gesprochen hätten. Ich erinnere mich sehr gut an die Diskussion über die Lohnfortzahlung. Damals konnten wir hören, daß ganze Branchen der Wirtschaft zugrunde gehen würden. Immer dann, wenn parallel zur wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes die Sozialordnung ausgebaut werden soll, was übrigens die wirtschaftliche Entwicklung durchaus fördert und begünstigt, immer dann kommt der Vorwurf, dies bedeute den Zusammenbruch der Wirtschaft, bedeute Arbeitslosigkeit, schwäche den Leistungswillen und sonst was. Das ist eine Tatsache, mit der wir es zu tun haben. Das war so bei der Krankenversicherungsreform, das war so bei der Lohnfortzahlung, das ist so bei der Steuerreform, und das wird auch in Zukunft so bleiben. Daß sich Sprecher der CDU/CSU hier zu Fürsprechern von solchen gesellschaftlichen Gruppen machen, die ihre Privilegien verteidigen, ist eine Sache, mit der die CDU/CSU sich befassen muß.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, jetzt nicht! Ich habe auch Herrn Häfele in seiner Rede nicht unterbrochen.
- Ich komme darauf zu sprechen. Manche lassen sich fangen und beeinflussen von Argumenten derer, die die Nutznießer von Privilegien und Steuervergünstigungen waren, die in unserem Steuergesetz stehen.
Neulich hat Herr Pieroth auf einer Tagung in Kreuznach, wo es um Vermögenspolitik ging und zu der er eingeladen hatte, gesagt — wenn ich Presseberichte richtig verfolgt habe —, daß unser Steuersystem jene begünstigt, die schon die großen Vermögen besitzen, und diejenigen, die die großen Vermögen besitzen, sind auch diejenigen, die in unse-
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Porzner
rem Lande die großen Einkommen haben. — Bitte schön!
Herr Kollege, haben Sie diesen Pressemeldungen denn nicht entnommen, daß es uns in Bad Kreuznach einfach um die Sorge ging, daß der kleine Mann, wenn er jetzt wirklich einmal Aktien sparen könnte, so behandelt wird wie die, die schon viele Aktien besitzen und die ein hohes Einkommen haben, und daß der kleine Mann der gleichen Körperschaftsteuer unterworfen wird, weil Sie auf Ihrem Parteitag das Anrechnungsverfahren abgelehnt haben?
Herr Pieroth, ich will mich heute nicht im einzelnen mit Vermögenspolitik befassen. Ich bin um jeden Beitrag dankbar. Ich kritisiere deswegen auch gar nicht sehr scharf das Beteiligungslohngesetz, das Sie vorgelegt haben. Aber was bedeutet dies gesellschaftlich? Ganz kurz gesagt: Die lohnintensiven, vor allem die vielen mittleren und kleinen Unternehmungen haben Kapital aufzubringen, das dann großen zur Verfügung gestellt werden wird.
— Selbstverständlich! Dies ist die Konsequenz Ihrer Konzeption.
— Nein, Herr Pieroth, jetzt nicht. Wir reden über Vermögenspolitik ein anderes Mal.
Wenn die Vermögensverteilung Fortschritte macht, ist das Thema der Anrechnungsverfahren politisch diskutabel. Der sozialdemokratische Parteitag hat dies nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern er hat beschlossen, daß man — ich sage es mit eigenen Worten darüber reden könne, wenn die Vermögensverteilung anders aussehe als heute. Zur Zeit würde das Anrechnungsverfahren bedeuten, daß diejenigen, die Aktien besitzen — das ist ein sehr kleiner Teil —, Erstattungen bekämen. Erkundigen Sie sich einmal, wie groß der Anteil der Arbeitnehmer und der kleinen Gewerbetreibenden ist, die Aktien besitzen!
— Ja, wir fangen an. — Gestern hat Herr Farthmann mit Recht darauf hingewiesen, daß das Thema „Vermögensverteilung" in der Bundesrepublik — unter allen Industriestaaten - zum erstenmal diskutiert wird, daß das eine schwere Geburt ist. Wir müssen in einen Wettbewerb der Ideen eintreten. Kurzfristige Lösungen gibt es nicht.
Nun zu den Belastungen durch Steuerreformvorschläge! Die Steuerlast in der Volkswirtschaft hat in den letzten Jahren abgenommen. Dies ist eine Tatsache, die niemand bestreiten kann. Im Durchschnitt der Jahre von 1965 bis 1970 hat die volkswirtschaftliche Steuerquote 23,1 % betragen. In den Jahren von 1960 bis 1965 betrug sie noch 23,4 %. Selbst die Beschlüsse des sozialdemokratischen Parteitages würden 1974 nur um fünf Milliarden DM über das, was die Bundesregierung beschlossen hat, hinausgehen; das ist zu diesem Zeitpunkt etwas mehr als 1/2 % des Sozialprodukts. Ich habe etwas dagegen, daß man mit Emotionen Steuerpolitik diskutiert. Wenn man etwas nüchtern rechnet und sich diese Zahlen überlegt, dann kann man gar nicht zu dem Ergebnis kommen, daß die Volkswirtschaft davon ungebührlich belastet würde.
Übrigens: selbst wenn Sie die Steuererhöhungen, die die Bundesregierung oder auch der sozialdemokratische Parteitag empfohlen haben, unterstellen, läge die volkswirtschaftliche Steuerquote im Jahre 1974 noch immer unter der des Jahres 1969.
Niemand kann behaupten, daß im Jahre 1969 die Wirtschaft zu sehr mit Steuern belastet gewesen sei.
— Herr Häfele, Änderungen des Steuerrechts dürfen doch nicht immer nur zu neuen Entlastungen führen, wie es in den sechziger Jahren der Fall war.
Die vielen Vergünstigungen im Steuerrecht, die damals eingeführt wurden: beim Berlin-Hilfe-Gesetz, das ja nicht immer nur der Berliner Wirtschaft zugute kommt, und das große Auswirkungen hatte, die Förderung von Kapitalanlagen in den Entwicklungsländern — und wie das bei uns steuerlich ausgenützt wurde —, die Förderung der Investitionen im Ausland, die Vergünstigungen bei der Forschung und Entwicklung, die Verlagerung von Einkommen in Steueroasen, haben zu einer Entlastung auch der Wirtschaft von Steuern geführt. Das Steuersystem kann nicht in der Richtung weiterentwickelt werden, daß wir weiter Steuervergünstigungen einführen; im Gegenteil: wir müssen sie abbauen.
Ich mache hier eine sehr pauschale Rechnung, damit in der Öffentlichkeit endlich einmal mit Zahlen argumentiert wird. Allein der Abbau der Investitionssteuer in den Jahren 1970 bis 1974 entlastet die investierende Wirtschaft unmittelbar um drei Milliarden DM. Die Erhöhung des Gewerbesteuerfreibetrages bringt eine Entlastung in Höhe von 550 Millionen DM. Das Kapitalverkehrssteuergesetz, das in diesen Tagen im Finanzausschuß beraten wird, wird eine Entlastung in Höhe von 240 Millionen DM bringen. Die Beseitigung der Ergänzungsabgabe, die die Bundesregierung vorschlägt, bedeutet eine Entlastung um 1400 Millionen DM.
— Ich komme darauf. Dies sind zusammen mehr als 5 Milliarden DM Steuerentlastungen, der allergrößte Teil davon zugunsten der Wirtschaft.
Bei den Steuererhöhungen handelt es sich nach den Vorschlägen der Bundesregierung um 3 % beim Spitzensteuersatz der Einkommensteuer. Das er-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971 8863
Porzner
bringt 375 Millionen DM. Die Erhöhung der Vermögensteuer und die Beseitigung der Vermögensteuer als Sonderausgabe bringen zusätzliche Einnahmen in Höhe von 1160 Millionen DM, die Grundsteuer 750 Millionen DM. Die vorgesehene Änderung der Erbschaftsteuer ergibt 200 Millionen DM. Die zusätzlichen Belastungen machen also rund zweieinhalb Milliarden DM aus; aber ein Teil davon betrifft die Wirtschaft nicht.
Ich wiederhole: das ist eine sehr pauschale Gegenüberstellung. Aber wer tatsächlich eintretende Steuersenkungen bei seinen Berechnungen geflissentlich wegläßt, der verfälscht die Belastungsrechnungen, die er anstellt, und die Prozentsätze der Steuerbelastung, die es für die Wirtschaft geben wird.
Übrigens müssen wir bei der Vermögensbildung, die hinzukommen wird, einen Weg finden, so meine ich, der verhindert, daß die Liquidität der Unternehmungen verschlechtert wird oder daß die Aufwendungen in die Kostenrechnungen eingehen. Wir müssen uns bemühen, andere Lösungen zu finden, als sie bisher diskutiert wurden.
'Dann die Behauptung — es ist ja gar keine Sorge —, die Steuerpolitik der Bundesregierung führe zu einer Abwanderung der Industrie ins Ausland. Wie stellen Sie von der Opposition sich eigentlich zu folgendem? Am Schluß der vergangenen Legislaturperiode, im Jahre 1969, hatte die CDU/ CSU-Fraktion einen Initiativantrag eingebracht, der vom damaligen Finanzminister Strauß formuliert war und in dem ausdrücklich Anreize für Investitionen deutscher Unternehmungen im Ausland gegeben wurden
— ausdrücklich Anreize für Investitionen im Ausland —,
damals mit der Behauptung, die deutsche Wirtschaft habe im Vergleich zu anderen Industrienationen zuwenig im Ausland investiert.
Wenn die Wirtschaft auch in Zukunft, wie sie das bisher schon tut, Investitionen sowohl innerhalb der EWG als auch anderswo vornimmt, dann ist es einfach falsch, wenn Sie dies einerseits fordern und steuerlich begünstigen wollen,
andererseits den Teufel an die Wand malen und sagen: Investitionen im Ausland gefährden die Wirtschaft und die Arbeitsplätze.
Herr Abgeordneter Porzner, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
Wenn sich alle einig sind, daß wir mehr öffentliche Leistungen brauchen, daß die öffentliche Hand ihr Angebot erhöhen muß, ist es, meine Damen und Herren von der CDU, nicht glaubwürdig, wenn man dann, wenn es darum geht, konkret zu werden, kneift. Wenn die öffentliche Hand mehr und bessere Leistungen anbieten soll bei Schulen und Krankenhäusern, wenn sie mehr Straßen bauen und die Nahverkehrseinrichtungen verbessern, Kindergärten bauen, Altersheime errichten soll, dann kostet das auch mehr, genauso wie mehr und besserer privater Konsum mehr kostet.
Wer dies fordert, der muß dann auch den zweiten Schritt tun und dafür sorgen, daß die Mittel zur Verfügung gestellt werden.
Beide Parteien, CDU und CSU, haben auf ihren Parteitagen und in ihren Programmen ja beschlossen, daß man — ich sage es jetzt ganz allgemein —Erhöhungen der Steuern nicht ausschließen kann und daß Steuererhöhungen, wenn sie nötig sind, auch vorgenommen werden sollen. Von Ihnen kommen dazu keine Vorschläge.
Auch die Ministerpräsidenten der Länder, die CDU-Ministerpräsidenten eingeschlossen, verlangen vom Bund riesige Summen durch eine andere Aufteilung des Mehrwertsteueraufkommens, die mit Milliarden Ausfällen im Bundeshaushalt verbunden wäre. Von dieser Seite kommen keine Vorschläge, wie der Bund diese Lücke ausgleichen soll. Sie alle sind für Steuererhöhungen.
Erhard Eppler, der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, hat nach meiner Ansicht auf dem Parteitag der SPD den Nagel auf den Kopf getroffen, als er sagte, alle seien zwar der Meinung, der Staat müsse mehr Geld für die öffentlichen Aufgaben haben; auch die CDU sei dieser Meinung. Die CDU/CSU wolle aber den kleinen Mann steuerlich entlasten. Sie wolle auch die mittelständische Wirtschaft entlasten. Selbstverständlich wolle sie diejenigen mit großem Einkommen nicht zusätzlich steuerlich belasten. Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?
Die CDU will — daran gibt es für mich keine Zweifel — die Mehrwertsteuer erhöhen. Das hat der Beifall zum Eberhard-Gutachten gezeigt. Die CDU/CSU will die Mehrwertsteuer, wie es damals vorgeschlagen wurde, um 4 % bis 5 % auf 15 % bis 16 % erhöhen und damit gerade jene Schichten belasten,
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Porzner
die durch die Steuerreformvorschläge der Bundesregierung entlastet werden.
Herr Abgeordneter Porzner, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie Ihre Redezeit bereits um zwei Minuten überschritten haben.
Ich habe keine Redezeit angegeben, Herr Präsident.
Herr Kollege, nach der Geschäftsordnung beträgt, wenn keine Redezeit angemeldet worden ist, die Redezeit 15 Minuten.
Ich darf zum Schluß kommen und, Herr Häfele, zu Ihrer Behauptung, die Erfolgreichen und Tüchtigen würden belastet, noch etwas sagen, wenn mir der Herr Präsident noch die paar Minuten gibt, um die ich bitte.
Bitte, im Hinblick auf die Zwischenfragen!
— Herr Stücklen, der Herr Kollege Porzner hatte vorher Zwischenfragen zugelassen.
Die Behauptung, der Leistungswille in der Volkswirtschaft würde durch die mäßigen Steuererhöhungsvorschläge, die gemacht wurden, geschwächt, ist Ausdruck einer überheblichen, einer elitären Geisteshaltung
einer gesellschaftlichen Gruppe, Herr Häfele, die
sich als Oberschicht in unserem Lande versteht und
für die Sie sich heute zum Sprecher gemacht haben.
Leistung wird doch nicht nur von denen erbracht, die 50 000 DM oder 100 000 DM und mehr im Jahr verdienen. Die Behauptung, 1,4 % mehr beim Spitzensatz der Einkommensteuer bei einem Verheirateten, der 260 000 DM und mehr verdient, wie es die Bundesregierung vorschlägt, lähme den Leistungswillen der Wirtschaft, ist eine Ungeheuerlichkeit
gegenüber den Millionen Arbeitnehmern in den Fabriken, an den Fließbändern und Werkbänken. Das ist eine Ungeheuerlichkeit
gegenüber den Millionen, die in den unteren Einkommensgruppen bei der Bundesbahn, bei der Bundespost, sonstwo in der privaten Wirtschaft als Verkäuferinnen zum Beispiel Tag für Tag ihre Arbeit leisten.
Herr Kollege Porzner, da ich Ihre Redezeit verlängert habe, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie Herrn Abgeordneten Häfele
die Möglichkeit einer Frage geben würden. Porzner (SPD): Herr Häfele, bitte!
Herr Porzner, ist Ihnen bekannt, daß bei der Verwirklichung der Beschlüsse des SPD-Parteitages gerade die Mittelschichten ganz empfindlich getroffen würden?
Sie stellen hier Behauptungen auf, die Sie überhaupt nicht begründen.
Haben Sie es nicht durchgerechnet, bevor Sie die Beschlüsse getätigt haben?
Herr Eppler hat ja gesagt, es würde jetzt durchgerechnet werden.
Wenn Sie das neue Kindergeldsystem mit einbeziehen,
dann gibt es steuerliche Entlastungen bei Verheirateten
mit Kindern bis hin zu 30 000 DM und 40 000 DM Jahreseinkommen. Das sind gewiß Mittelschichten. 1974 werden weniger als 5 % der Arbeitnehmer, die Sie auch zu der Mittelschicht zählen müssen, wenn sie höhere Einkommen beziehen,
über dieser Einkommensgrenze liegen.
Es ist eine Ungeheuerlichkeit gegenüber den 90 % Beschäftigten in der Bundesrepublik,
deren Einkommen unter 25 000, 30 000, 40 000 DM im Jahr liegen, zu behaupten, der Leistungswille der Volkswirtschaft würde durch die Steuerreform geschwächt. Die Leistungen in der Volkswirtschaft werden nicht nur von den wenigen erbracht, die riesige Einkommen haben. Der volkswirtschaftliche Fortschritt wird genauso von denen mit getragen, die als Arbeiter, Angestellte und Beamte in den Betrieben und Behörden ihre Leistung Tag für Tag erbringen.
Herr Abgeordneter Porzner, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie nunmehr zu Ende kommen könnten.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971 8865
Das gleiche gilt für den Vorwurf, hier würde von der Bundesregierung oder der SPD eine Gleichmacherei betrieben.
Ich wiederhole: Wenn der Spitzensteuersatz in der Einkommensteuer für diejenigen, die als Verheiratete 260 000 DM und mehr verdienen — einschließlich des Wegfalls der Ergänzungsabgabe — um 1,4 % erhöht wird, kann man doch nicht von Gleichermacherei reden, Herr Häfele.
— Auch dann nicht — auf diesen Zwischenruf möchte ich noch eingehen —, wenn bei einem Ledigen, der 200 000 DM und mehr zu versteuern hat, der Spitzensteuersatz, wie es die Sozialdemokratische Partei vorgeschlagen hat,
auf 60 % erhöht wird.
Dies ist, gemessen an den Opfern —
Herr Abgeordneter Lenz, ich entziehe Ihnen das Wort.
— die wir auch von anderen verlangen, ein angemessener Satz. — Ich danke Ihnen!
Herr Kollege Porzner, ich bitte Sie aber auch Ihrerseits, dazu beizutragen, daß der Präsident die Geschäfte hier ordnungsgemäß führen kann.
Das Wort hat Herr Staatssekretär Hermsdorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier für die Bundesregierung ein paar Feststellungen treffen. Ich werde mich nicht mehr auf die Bemerkungen des Kollegen Häfele und des Kollegen Porzner beziehen. soweit sie den Parteitag der SPD betreffen. Ich halte es aber für meine Pflicht, für die Bundesregierung hier folgendes festzustellen, damit keine Mißverständnisse aufkommen.
Erstens. Die Bundesregierung hält an ihren beschlossenen Eckwerten fest und wird alle Bemühungen unternehmen, um für diese Beschlüsse der Eckwerte in diesem Hohen Hause eine Mehrheit zu finden.
Zweitens. Hier ist vorn Kollegen Häfele gesagt worden, daß die Beschlüsse der Bundesregierung zu den Eckwerten teilweise eine Belastung mit sich bringen könnten, die unter den gegenwärtigen Umständen als nicht tragbar angesehen werde. Ich möchte hierzu folgendes feststellen. Herr Kollege Häfele, eine Steuerreform ist immer eine Reform auf lange Sicht. Die jeweilige Ausrichtung der Steuerpolitik auf die Konjunkturpolitik ist eine ganz andere Sache. Die Konjunkturpolitik kann zu einem bestimmten Zeitpunkt völlig andere Beschlüsse notwendig machen, als sie im Rahmen einer Steuerreform auf lange Sicht gefaßt werden.
Dritten. Sie sagen, die Bundesregierung gehe diese Steuerreform verspätet an, und Sie beklagen ein wenig, daß dieses Hohe Haus die Vorlagen noch nicht hat. Herr Kollege Häfele, ich stelle fest, daß diese Schwierigkeit dadurch entstanden ist, daß die Steuerreformkommission des Herrn Eberhard ihre Abschlußarbeiten neun Monate später als vorgesehen vorgelegt hat und daß die Bundesregierung, welche es auch immer gewesen wäre, dadurch automatisch neun Monate in Verzug gekommen ist.
Viertens. Wir werden in diesem Hause noch Gelegenheit haben, nachdem die Bundesregierung die Gesetzentwürfe vorgelegt hat, miteinander über Steuerpolitik zu diskutieren. Ich will deshalb die Debatte nicht verlängern. Aber ich möchte hier einen klaren Willen dieser Regierung zum Ausdruck bringen: Wir werden uns bemühen, bei einem so komplizierten Werk, wie es eine Steuerreform ist, alle Anstrengungen zu machen, in diesem Hohen Hause eine breite Mehrheit für die Beschlüsse der Bundesregierung zu finden. Sie dürfen sich darauf verlassen, daß wir in dieser Richtung alle Anstrengungen unternehmen werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Pieroth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann verstehen, daß es Kollege Porzner hier oben nicht ganz leicht hatte, wider bessere Ansichten und Einsichten zu sprechen.
Ich kann aber nicht verstehen, warum Sie, wenn Kollege Häfele hier für die Angehörigen der Schichten eintritt, die man als Aufsteiger bezeichnen kann, deren Eltern Arbeiter waren, die kein hohes Vermögen besitzen, und wenn er sich dafür einsetzt, daß deren Einkommen nicht so hoch besteuert werden soll, dann in Klassenkampf machen
und von den Leuten sprechen, auf die es sicher auch ankommt. Sicher, die deutsche Wirtschaft wird von den vielen Millionen Arbeitern getragen; aber ohne diese Schichten, die als
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Professor Dr. Schäfer?
Herr Pieroth, ist Ihnen klar, daß wir nicht eine Politik für Schichten machen, sondern für das ganze deutsche Volk?
8866 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971
Ja, ja. Wenn Kollege Häfele sich dafür einsetzt, daß die, die mehr leisten wollen und zur Stunde in diesem Staat noch mehr leisten dürfen, nicht so besteuert werden, daß jeder Leistungswille abgeschwächt wird, dann möchten wir uns doch nicht entgegenhalten lassen, daß es die Großverdiener seien, für die wir uns verkauften. Das wollte ich klarstellen.
Im übrigen war mir zweierlei sehr interessant, und deshalb habe ich mich zum Wort gemeldet. Das eine war Ihre Feststellung — Sie haben den Kollegen Farthmann zitiert —, daß jetzt die Vermögenspolitik ernsthaft diskutiert werde.
Haben Sie wirklich in fast 20 Jahren nicht mitbekommen, wer die Vermögenspolitik in diesem Staat gemacht hat? Wir waren es im Jahre 1952 mit der Wohnungsbauprämie.
Wir waren es 1958 mit der Privatisierung von Preußag, gegen Ihren wütenden Widerstand damals als Opposition. Wir verschleuderten Volksvermögen, so hieß es damals. Wir haben 1958 die Sparförderung durchgebracht, 1961 die Privatisierung von VW, 1965 von VEBA. 1961 kam das Erste Vermögenbildungsgesetz, 1965 die Novellierung.
Sie haben bis zur Stunde hier keine einzige Gesetzesinitiative eingebracht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Matthöfer?
Würden Sie mir nicht zustimmen, daß die ursprüngliche Zielrichtung solcher Pläne dahinging, das private Eigentum an Produktionsmittel auf mehr Hände zu verteilen, und daß es relativ einfach ist, Bundesvermögen zu verschleudern?
Gleichzeitig haben Sie und die von Ihnen gestellten Regierungen zugesehen, wie eine immer stärkere Konzentration der Vermögen bei wenigen privaten Händen stattgefunden hat.
Ich wäre schon darauf gekommen. Ich verstehe nur nicht, warum Sie von „verschleudern" sprechen, wenn wir heute zwar erst wenige, aber doch schon einige Millionen Arbeiter haben, die Aktien besitzen. An die haben wir also verschleudert. Das machen wir gern, und wenn Sie mitmachen, können wir das auch mit weiteren rund 120 Milliarden DM Staatsvermögen, die reprivatisierbar sind, tun; zumindest sollte darüber gesprochen werden.
Wir haben diese erste Phase einer Vermögenspolitik gewissermaßen zu einem Abschluß gebracht, indem wir das Sparen in Geldform und in Sachwerten, wenn auch nicht in Produktivvermögen, forciert haben. Sie haben diese erste Phase jetzt zumindest schon kompensiert, wenn nicht vernichtet. In einem Jahr haben Sie 23 Milliarden DM Sparvermögen vernichtet.
Dagegen rechnen Sie dann — ganz bescheiden —4,5 Milliarden DM Ihres Dritten Vermögensbildungsgesetzes auf, obwohl Sie das Zweite Vermögensbildungsgesetz bis vor wenigen Jahren noch angegriffen haben. Wir diskutieren jetzt nicht nur über die zweite Phase einer Vermögenspolitik — die haben Sie, Herr Matthöfer, angesprochen —, über die breitere Streuung des Produktivvermögens. Wir haben am 15. April vorigen Jahres unsere Initiative, unser Beteiligungslohngesetz, im Bundestag eingebracht.
Warum? Weil unsere erste Phase bisher erfolgreich war.
Sie berufen sich gern auf Professor Krelle. Sie haben sich vorhin auf die Untersuchung über die Konzentration von Professor Krelle berufen. Das Krelle-Institut hat vor zwei Monaten neue Zahlen vorgelegt, die das Gesamtvermögen - also das Vermögen, das nicht Produktivvermögen im engsten Sinne ist — betreffen. Die Zahlen sollte man sich merken. 1960 waren 35 % des Gesamtvermögens noch in den Händen von 1,7 % der Bevölkerung. Sechs Jahre später besaßen diese 1,7 % der Bevölkerung zwar auch noch einen hohen Anteil am Gesamtvermögen, aber nicht mehr 35 %, sondern nur noch 31 %. Unsere Vermögenspolitik war also hier auf dem richtigen Wege, bis Sie mit der Inflation kamen.
— Aber wir sind ja viel weiter. Wir haben jetzt das Beteiligungslohngesetz eingebracht, Herr Porzner. Wir sehen in dem, was Sie hier sagen, einen Lichtblick.
Sie haben erklärt, daß Sie diesem Gedanken recht sympathisch gegenüberstünden.
Ich bitte Sie: machen Sie mit!
Wenn Sie mitmachen,
werden Sie feststellen, daß wir schon viel weiter sind — mit den flankierenden Maßnahmen —, als Sie glauben.
Sie sagen, mit dem Beteiligungslohngesetz würde die arbeitsintensive Wirtschaft — und damit der Mittelstand — zu stark belastet. Nun, das stimmt
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971 8867
Pieroth
zunächst, nämlich wenn man sich nichts einfallen läßt. Über die Hälfte der Arbeitnehmer arbeitet ja in nichtemissionsfähigen Betrieben, die dann keine Aktien ausgeben könnten. Deren ,,Burgbacher-Geld" — so darf ich es einmal nennen — würde in Großbetrieben angelegt. Ich weiß nicht, ob Sie das wollen; wir wollen das jedenfalls nicht. Wir haben uns die Kapitalbeteiligungsgesellschaften für die mittelständische Wirtschaft einfallen lassen, damit wir das Geld wieder auf diese mittelständischen Betriebe umpolen können.
Wenn Sie also mitmachen, werden Sie merken, daß wir auf diesem Gebiet schon einen fertigen Gesetzentwurf haben.
Wenn Sie mitmachen — das ist ein letzter Gedanke, den ich Ihnen noch mitgeben möchte —, können Sie ferner eine eklatante Schwierigkeit, in die Sie hineingekommen sind, zumindest bedingt beheben. Die SPD hat in vielen Wahlkämpfen zum Ausdruck gebracht: Wenn wir dran sind, wird die Vermögensverteilung ganz anders, viel besser und gerechter werden. Damit hatten Sie auch Erfolg. Zwei Drittel der bundesrepublikanischen Bevölkerung rechnet nämlich unser Handeln zur Stunde noch mehr Ihnen zu als uns. Wenn Sie diesen Kredit aufrechterhalten wollen und wenn Sie berücksichtigen, daß Sie nichts anzubieten haben — sonst hätten Sie die Vermögenspolitik nicht wieder um ein Jahr verschoben —,
dann bleibt Ihnen jetzt nur eines übrig: nämlich bei den Beratungen unseres Beteiligungslohngesetzentwurfes, den wir wieder in den Ausschuß bringen werden, mitzuhelfen, damit wir im Interesse der deutschen Arbeitnehmer — wie es Herr Matthöfer meinte, aber wahrscheinlich gar nicht wirklich will —
zu einer breiten Streuung des Produktivvermögens kommen. Wenn Sie hier mitmachen, Herr Porzner, stärken wir auch in Ihren Reihen die Gruppe derer, die sich wehren muß, damit die Gruppe auf der anderen Seite in Ihren Reihen — die kein Privateigentum beim Arbeitnehmer, sondern Kollektivvermögen will — nicht noch stärker wird. Machen Sie mit!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Offergeld.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Häfele zur Steuerpolitik waren außerordentlich aufschlußreich. Sie erleichtern eine Prognose über das Verhalten der Opposition bei der Beratung der Steuerreformgesetze.
Zunächst einmal verkünden Sie mit großem Pathos, daß überall mehr Steuern gebraucht würden; die Gemeinden, die Länder und der Bund bräuchten mehr Steuern. Wenn man aber den Dingen näher auf den Grund geht und fragt, welche Vorstellungen
die Opposition darüber hat, wie man zu mehr Steuermitteln und zu mehr Finanzmitteln kommt, dann herrscht das große Schweigen im Walde. Wir hören hier nur die Negation.
Die Opposition hat gestern bereits im Finanzausschuß nein zur Erhöhung der Branntweinsteuer gesagt. Sie wird in den nächsten Wochen zur Erhöhung der Tabaksteuer und zur Erhöhung der Mineralölsteuer nein sagen. Sie sagt offenbar zu allen anderen konkreten Vorschlägen — siehe SPD-Parteitag — nein. Wenn hier in ganz bescheidenem Maße -- in Bereichen, wo es wohl vertretbar ist — Steuererhöhungen angekündigt werden, sagt sie nein und malt das Gespenst des Untergangs der deutschen Wirtschaft an die Wand. Die Einzelpunkte, die Herr Häfele hier angezeigt hat, wo die Vorschläge der SPD nun ganz besonders gefährlich und bedenklich seien, sollte man doch einmal etwas näher unter die Lupe nehmen. Von der Steuerpolitik der Opposition — einer Opposition, die 1957 in der Regierungserklärung, damals als Regierungspartei, eine Steuerreform angekündigt hat — haben wir bis heute auch nicht andeutungsweise eine Konzeption erkennen können. Die Steuerpolitik der Opposition sehen wir an dem Zustand, den wir als Regierungspartei in unserem Steuerrecht voegefunden haben: Das ist ein Steuerdschungel, ein Flickenteppich von Privilegien und Vergünstigungen, Privilegien, die insbesondere
— ich gestatte keine Zwischenfragen — denjenigen zugute kommen, die recht viel verdienen. Je mehr man verdient — das ist das durchgängige Prinzip unserer Steuervergünstigungen —, desto mehr spart man durch die Steuerprivilegien. Ich nenne etwa den himmelschreienden Mißstand der Steuerflucht, seit vielen, vielen Jahren in der Öffentlichkeit beklagt. Wir haben nicht einmal die Andeutung einer Initiative eines CDU- oder gar CSU-Finanzministers in dieser Richtung gehabt. Das, was wir in der Vergangenheit in der Steuerpolitik gehabt haben, ist offenbar Ihr Konzept; denn Sie haben ja bis heute nichts anderes vorgelegt.
Davon wird man also auszugehen haben, wenn man über Steuerreform diskutiert.
Ich komme nun zu einigen Einzelpunkten, die von Herrn Häfele angeschnitten worden sind und die so besonders gefährlich sein und den Leistungswillen lähmen sollen.
Erster Punkt — und das war für mich sehr interessant — war der Spitzensteuersatz. Dazu haben wir auf dem SPD-Parteitag vorgeschlagen, auf 60 % zu gehen. Das soll nun gefährlich sein. Sie haben sicherlich den Finanzbericht 1972 gelesen, Herr Dr. Häfele. Zunächst muß man ja einmal sagen, daß der Spitzensteuersatz eine relativ unwichtige Sache ist. Die Wichtigkeit ist umgekehrt proportional zur Bedeutung, die er in der öffentlichen Diskussion hat.
8868 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971
Offergeld
— Ich gestatte keine Zwischenfragen.
— Sie können ja nachher antworten, Herr Dr. Häfele.
— Ich spreche jetzt vom Spitzensteuersatz, Herr Dr. Häfele.
Herr Abgeordneter Dr. Häfele, wenn der Redner keine Zwischenfragen gestattet, dann können Sie lediglich Zwischenrufe machen.
Ich habe den Zwischenruf sehr wohl verstanden, und ich werde auch auf einige Punkte eingehen. Das ist auch in der Summierung durchaus nicht tragisch. Aber man muß ja zunächst einmal über jeden einzelnen Punkt sprechen, z. B. über den Spitzensteuersatz. Da ist nun mit diesen 60 % der Weltuntergang und der Untergang der deutschen Wirtschaft nahe.
Ich darf nochmals auf den Finanzbericht hinweisen, Herr Dr. Häfele. Nur ein paar Beispiele, wie es in anderen Ländern aussieht; da kann man beliebig in die Kiste greifen. Sie werden kaum eine Industrienation finden, die nennenswert niedriger liegt als wir künftig mit unseren 60 %.
USA 75 %, Staat New York; England 88,75 %; Frankreich 63 % Spitzensteuersatz.
Sogar Italien, ein romanischer Staat — die Romanen sind ja bekannt dafür, daß sie bei den direkten Steuern sehr bescheiden sind —, 68 %. Das sind die Zahlen im Ausland. Und wenn wir nun einen Spitzensteuersatz von 60 % bei Einkommen ab 200 000 DM jährlich verlangen, dann behaupten Sie, Sie nähmen bei der Ablehnung die Interessen der Mittelschichten wahr. Sie verteidigen hier in Wirklichkeit Privilegien derjenigen, die schon in den vergangenen Jahren bei uns zuviel gehabt haben.
60 % Spitzensatz bei Einkommen über 200 000 DM! Man muß ja auch einmal überlegen, wieviel Prozent der Bevölkerung in unserem Land das betrifft. Das sind weniger als 1/2 %, das sind 0,3 % der Bevölkerung. Wenn man mit einem derartigen Spitzensatz versucht, diesen Bevölkerungsteil mehr als bisher zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben heranzuziehen, dann geht ein CDU-Abgeordneter des
Deutschen Bundestages ans Podium und behauptet, das gefährde die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.
Das war Punkt 1, der Spitzensteuersatz. Ich darf zu einem weiteren Punkt kommen. Man muß ja einmal ein paar Beispiele herausgreifen, um den Gehalt der pauschalen Verdächtigungen gegenüber unserer Partei zu prüfen.
Zweiter Punkt, die § 7 b-Vergünstigung. Wir haben auf unserem Parteitag gefordert, diese Vergünstigung des § 7 b durch direkte Subventionen zu ersetzen. Das hat z. B. sogar die Steuerreformkommission des Herrn Eberhard gefordert, weil dieser § 7 b heute so wirkt, daß derjenige, der am meisten verdient, die größte Steuerersparnis beim Bau eines Hauses hat. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Auch das ist ein Punkt, auf den Herr Häfele hier hingewiesen hat. Dieser § 7 b ist eine Form der Vermögensbildung für besonders Privilegierte in diesem Lande.
Wenn jemand sich ein Einfamilienhaus baut und dafür Steuervergünstigungen bekommt, so hat das mit Summierung von Belastungen der Wirtschaft überhaupt nichts zu tun. § 7 b ist in der jetzigen Form eine ungerechtfertigte Steuervergünstigung.
Ich nehme also gern zur Kenntnis, Herr Dr. Häfele, daß Sie das für recht und billig halten.
Nur um die Liste der Beispiele noch etwas auszuweiten, ein dritter Punkt, das Ehegatten-Splitting. Herr Dr. Häfele unterscheidet sich, wie ich glaube, in diesem Punkt ganz wesentlich von seinem Kollegen, der im Augenblick neben ihm sitzt, Herrn Vogt; denn selbst die Sozialausschüsse der CDU sagen, daß dieses Ehegatten-Splitting begrenzt werden müsse.
Auch hier will ich noch einmal deutlich machen, was wir wollen, um den Gehalt der Kritik von Herrn Häfele deutlich zu machen: die Begrenzung des Splittingvorteils bei Ehegatten auf 5000 DM jährlich. Das bedeutet ein Einfrieren dieser Splittingvorteile bei einem Jahreseinkommen von 80 000 DM. Ich meine, auch das ist eine Forderung, die niemand im Ernst als Gefährdung der Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft hier im Deutschen Bundestag hinstellen kann. Auch hier bei der Begrenzung des Splittingvorteils zeigt sich der durchgängige Effekt unseres Steuerrechts: Wer am meisten verdient, hat von Steuervorteilen den größten Nutzen. Der Normalverdiener hat vom Splittingverfahren einen Vorteil von 300 oder einigen hundert Mark jährlich. Bei Spitzenverdienern wächst dieser Vorteil weit über 10 000 oder 11 000 DM an. Das wollen wir auf 5000 DM Steuervorteil begrenzen. Auch das ist eine
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971 8869
Offergeld
durchaus vertretbare Forderung. Man muß sich auch hier fragen, wie man die Stirn haben kann, das alles mit der Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in Verbindung zu bringen.
Ich komme auf die Schlußfolgerung und unterstütze da voll und ganz die Position meines Kollegen Porzner. Es wird hier behauptet, die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sei in Gefahr. In Wirklichkeit geht es aber nur um die Verteidigung von Privilegien einiger weniger gut Verdienender, die in den letzten Jahrzehnten in unserer Bundesrepublik ohnehin vom Steuersystem profitiert haben. Uns geht es darum, diese Privilegien abzubauen, zu mehr Steuereinnahmen zu kommen und dabei diejenigen, die es verkraften können, in vertretbarem Umfang stärker als bisher zu belasten.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Häfele.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ichhabe mich nur deswegen nochmals gemeldet, weil der Herr Offergeld keine Zwischenfragen zugelassen hat. Die Sache hätte ökonomischer abgehandelt werden können, nachdem er mich angesprochen 'hat, diese Zwischenfragen zuzulassen. Deswegen nur ein paar ganz kurze Sätze.
Wir haben hier den Eindruck, daß diejenigen, die beim SPD-Parteitag 'unterlegen sind, sich jetzt stimmgewaltig zum Fürsprecher der Mehrheit des SPD-Parteitages machen müssen.
Herr Abgeordneter Häfele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lenz?
Herr Kollege Häfele, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Zulassung von Zwischenfragen nicht nur ökonomischer, sondern auch demokratischer gewesen wäre?
Ich kann Ihnen voll zustimmen.
Herr Kollege Lenz, ich muß Ihnen leider sagen, daß die Geschäftsordnung dem Redner ausdrücklich das Recht gibt, Fragen zuzulassen oder nicht. Die von Ihnen unterstellte Bewertung ist daher unzutreffend.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Häfele.
Herr Offergeld, Sie sind wirklich nicht fair auf meine Ausführungen eingegangen. Ich habe ausdrücklich gesagt — Sie können das nachlesen —, über jeden einzelnen Punkt kann man immer verschiedener Meinung sein. Das Entscheidende ist die Summierung der Belastung. Auf dieses Argument sind Sie nicht eingegangen. Ich habe Ihnen nachgewiesen, daß Unternehmensbelastungen bis zu 90 % und darüber stattfinden. Dazu haben Sie nichts gesagt. Da können Sie nicht mit den Zahlen der Steuerlastquote kommen, sondern das führt im Endergebnis dazu — das hat Ihr eigener Parteivorsitzender gesagt —, daß die Kuh nicht weggeht, sondern daß sie geschlachtet wird. Meine Damen 'und Herren, wenn der Herr Kollege Dr. Farthmann selber bei Ihrer Diskussion gesagt hat, daß ein Spitzensteuersatz von 60 % einfach zu hoch sei, sonst könne man in der Vermögensbildung_— —
— Ja, Sie sagten, dann könne es keine Vermögensbildungsabgabe mehr geben. Das ist doch das Argument. Aber Sie haben beschlossen, daß da noch etwas kommen muß. Dann können Sie doch hier nicht sagen, das sei sozusagen ein koscherer Spitzensteuersatz.
Ich wende mich vor allem gegen eines, auch gegen Sie, Herr Porzner. Es war zu erwarten — das ist bei der Steuerreformdiskussion sowieso zu erwarten —, daß Sie jeden, der diesen extremen Beschlüssen von Ihnen jetzt nicht folgt, sozusagen in eine Ecke stellen wollen. Da gibt es natürlich demagogische Mittel: man ist ein Mann des Großkapitals und was weiß ich alles. Um das geht es gar nicht. Es geht darum, daß Sie die Kuh schlachten, daß Sie vor allem die Mittelschichten an der Verwirklichung des Leistungswillens behindern. Wenn Sie diesen Weg gehen wollen, meine Damen und Herren, dann 'schaffen Sie keine inneren Reformen, sondern dann zerstören Sie die Wirtschaft und gefährden die Arbeitsplätze und schaffen die Gefahr, daß am Schluß an inneren Reformen überhaupt nichts mehr möglich ist.
Diese sachlichen Argumente — —
— Das ist nicht demagogisch. Wenn S i e so etwas sagen, dann ist es nicht demagogisch. So ist es bei Ihnen. Aber, meine Damen und Herren, — —
Herr Kollege Häfele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Matthöfer?
Ja, bitte.
Herr Kollege, wollen Sie damit andeuten, daß etwa der Leistungswille von Ärzten und von ähnlichen Berufen, die doch wohl auch zu den Mittelschichten gehören, ausschließlich von der materiellen Belohnung abhängt?
Nein, sicher nicht. Da bin ich ganz Ihrer Meinung, daß das auf dieser Welt nicht das einzige ist. Da sind wir völlig gleicher Meinung. Es geht auch nicht allein um die Selbständi-
8870 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971
Dr. Häfele
gen; ich muß das nochmals betonen. Die eigentlichen sind auch die abhängig Beschäftigten, die in die Mittelschichten hineinwachsen; sie dürfen nicht durch ein Übermaß an Besteuerung in ihrem Leistungswillen gehemmt werden. Sonst vernichten Sie letztlich den Fortschritt.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur das zurufen, was Ihr Wirtschafts- und Finanzminister Ihnen zugerufen hat: Lassen Sie die Tassen im Schrank!
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Stücklen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde mich nicht weiter mit der Steuerreform befassen, schon aus dem Grunde nicht, weil Ihr eigener Bundeskanzler Ihre eigenen Beschlüsse, die Ihres Parteitages, nicht ernst nimmt und als für ihn nicht verbindlich erklärt. Da werden Sie einige Schwierigkeiten haben.
Aber ich sehe hinter Ihnen den früheren Finanzminister Alex M ö 11 e r. Er ist aus seinem Amte ausgeschieden. Er hat seine Gründe in einem längeren Schreiben, wie in der Öffentlichkeit bekanntgeworden ist — nicht der Inhalt des Schreibens ist bekanntgeworden —, dem Bundeskanzler mitgeteilt. Soweit wir das erkennen konnten, Herr Kollege Möller, sind Sie deshalb ausgeschieden, weil Sie nicht bereit waren, die Finanzpolitik dieser Regierung weiter zu verantworten. Wer Sie kennt, Ihre Gewissenhaftigkeit und Ihre Kenntnisse
— er hat immer meine Achtung gehabt, das können Sie nicht bestreiten —, der weiß, wie schwerwiegend das sein muß.
Dann gab es einen Deserteur, der aus dem Kabinett geflohen ist — nicht wie Möller; das war ein Rücktritt —, den Kollegen Rosenthal, den Renommiermillionär. Herr Rosenthal ist aus diesem Kabinett ausgeschieden mit der Bemerkung, daß er dieser Regierung nicht mehr angehören könne, weil der Wirtschafts- und Finanzminister eine Politik verfolge, die die Reichen begünstige und die Armen noch ärmer mache.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich würde Ihnen dringend empfehlen, daß Sie sich einmal in Ihrer eigenen Fraktion und Partei darüber klarwerden, was nun eigentlich in der Regierung für eine Politik betrieben wird, und wenn Sie darüber Klarheit geschaffen haben, dann können wir auch über die anderen Fragen noch diskutieren.
Nun zurück zu dem eigentlichen Thema dieser Diskussion hier im Bundestag. Die Regierung hat die Große Anfrage der CDU/CSU mit ausweichenden
Bemerkungen beantwortet. Sie ist den konkreten 4 Aussagen ausgewichen.
Sie hat nicht dargelegt, welche Reformen solide finanziert werden können. Sie hat nicht erklärt, welche Prioritäten gesetzt werden sollten. Diese Bundesregierung muß davon ausgehen, daß ihr eigener Bundeskanzler gesagt hat: Wir können nicht alles auf einmal machen. Wir als Opposition, wir als CDU/CSU hätten gerne gehört, welche Reformen denn überhaupt noch im Katalog dieser Regierung stehen, mit welchem Zeitprogramm und mit welcher Finanzierung.
Statt dessen haben Sie uns mitgeteilt, wieviel routinemäßige Arbeit diese Regierung erledigt hat. Natürlich wird diese Regierung produzieren. Sie hat einen großen, einen guten Beamtenapparat, und der wird auch entsprechende Gesetzentwürfe auf den Tisch legen.
Wenn ich Ihre Antwort, meine Damen und Herren, nun in Details aufgegliedert sehe, muß ich sagen, daß die Leistungen, die diese Regierung aufzuweisen hat, im umgekehrten Verhältnis zum Propagandaaufwand für diese geringen Leistungen stehen.
Der Herr Bundeskanzler hat in einem Interview erklärt, daß er, wenn er noch einmal die Regierungserklärung abgeben müßte, sie anders abgeben würde; er würde manches ändern. Er hat eingesehen, daß sich die Regierung — jetzt sinngemäß — mit der Regierungserklärung übernommen hat. Hier wäre also der richtige Ort gewesen, zu erklären, wie nun die Realität der Reformen dieser Regierung aussehen kann.
Statt dessen täuscht man weiterhin der Öffentlichkeit etwas vor, gibt man weiterhin Versprechungen ab, man wolle die großangekündigten Reformen weiterhin durchführen, ohne uns die Details mitzuteilen, worauf doch die Opposition — ich glaube, daß darüber Einverständnis besteht — einen Anspruch hat.
Nun, es ist noch keine Leistung, große Programme zu verkünden. Leistung entsteht erst, wenn die Programme auch solide finanziert und sachgerecht durchgeführt werden können. Dieser soliden Finanzierung und dieser sachgerechten Durchführung steht eben die inflationäre Entwicklung entgegen. Wenn diese inflationäre Entwicklung nicht abgestoppt werden kann, wenn es nicht möglich ist, daß wir wieder stabile Verhältnisse bekommen, werden wir nicht in der Lage sein, die notwendigen Investitionsaufgaben, die wir zur Bewältigung unserer Zukunft auf das Jahr 2000 hin vor uns haben, tatsächlich zu lösen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Sprecher meiner Fraktion haben bereits dargelegt, wie besorgniserregend sich die derzeitige Situation auf die Investitionen und Infrastrukturmaßnahmen auf einer ganzen Reihe von Gebieten auswirkt, wie besorgniserregend das auch für uns ist; denn wir alle und unsere Kinder werden darunter leiden, wenn wir in diesen Jahren infolge des Verschuldens
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dieser Regierung nicht das leisten können, was notwendig ist, um den Wettbewerb nicht nur im nationalen, sondern auch im internationalen Bereich zu bestehen.
Es wird von keiner Seite bestritten, daß Sie, meine Damen und Herren, den guten Willen haben. Es wird auch nicht bestritten, daß Sie höhere Ansätze in den Haushaltspositionen haben. Aber trotz der höheren Ansätze in den Haushaltspositionen wird effektiv weniger Leistung erzielt, als mit wesentlich geringeren Ansätzen unter normalen Umständen erzielt werden könnte. Wir können die Behauptung aufstellen und können nachweisen, daß die Investitionen heute geringer sind als vorher.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der der SPD zugehörige Vorsitzende der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, Herr Frister, hat im Zusammenhang mit dieser Misere im Bildungsbereich behauptet — und es ist sehr schade, daß der Wissenschaftsminister nicht hier ist, denn vielleicht hätte er das Wort ergriffen und hätte
Herrn Frister, den Vorsitzenden der Gewerkschaft, widerlegen können —, „mit dieser Haushaltspolitik könnten die Arbeiten am Bildungsgesamtplan eingestellt werden". Wir fragen auch heute: wohin sind die 7,5 Milliarden DM Bildungsreserven in der mittelfristigen Finanzplanung verschwunden?
Wie wollen Sie die, man muß schon sagen — ich bitte das zu entschuldigen , großsprecherische Ankündigung, daß 1980 über 100 Milliarden DM für Bildungsaufgaben zur Verfügung stünden, verwirklichen, nachdem schon im ersten Vierjahresplan zur Realisierung dieser Prophezeiung ein Defizit von 7,5 Milliarden DM entstanden ist? Die Bildungsreform wird also auch eine der Reformruinen sein,
wie wir sie allenthalben, bei einer ganzen Reihe Ihrer Reformvorhaben feststellen können.
Wir bedauern das außerordentlich.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie wissen, daß ich nicht nur ein bißchen, sondern noch eine große Neigung und Liebe zur Post habe. Diese werde ich auch behalten, nicht nur weil ich Philatelist bin, sondern weil ich in diesem Unternehmen lange verantwortlich gearbeitet habe und heute noch dem Verwaltungsrat angehöre. Die Bundesregierung hat einerseits verkündet, sie habe nur 300 Millionen DM Neuverschuldung aufgenommen. Andererseits weiß man aber, daß Bundesbahn und Bundespost allein in einem einzigen Jahr eine zusätzliche Verschuldung in Höhe von 6,5 Milliarden DM eingehen mußten, um ihre Pflichtaufgaben überhaupt noch erfüllen zu können. Wenn ich mir das
vorstelle, muß ich schon sagen, mein lieber Freund Staatssekretär Hermsdorf, Sie dürfen Bahn und Post nicht als Stiefkinder behandeln;
denn sie sind wichtige, elementare Einrichtungen, ohne die unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft nicht funktionieren.
Das Defizit der Post in Höhe von 1,6 Milliarden DM in einem Jahr ist besorgniserregend, und das nach einer Gebührenerhöhung, die größer war als je zuvor. Sie müssen doch einmal zugeben, daß diese Opposition, die CDU/CSU, hier im Bundestag fair gewesen ist. Wir haben keine Sondersitzung beantragt, nachdem Herr Leber die große Gebührenerhöhung bei der Post dem Verwaltungsrat vorgelegt hatte und durchziehen mußte,
weil wir wissen, daß diese Unternehmen, die durch Kosten, die sie nicht zu verantworten haben, belastet werden, natürlich auch das brauchen, was man als zusätzliche Einnahmen mit Tariferhöhungen bezeichnet. Nur wissen wir, daß der inflationäre Trend auch bei der Post zusätzlichen Schaden angerichtet hat. Das gleiche gilt für die Bahn mit 2,3 Milliarden DM.
Aber nicht genug damit: während die Druckerschwärze der Hefte, die wegen der neuen Gebührenerhöhung gedruckt werden mußten, beinahe noch feucht ist, müssen schon wieder neue Gebührenerhöhungen durchgeführt werden. Heute morgen habe ich in der Zeitung gelesen, daß sie einen ganz beachtlichen Umfang haben werden. Das Briefporto soll auf 40 Pf erhöht werden. Damit stünden wir allmählich in der Welt an der Spitze. Darüber hinaus soll die Gebühr im Fernsprechdienst von 21 Pf auf 24 Pf, d. h. innerhalb eines einzigen Jahres von 18 Pf auf 24 Pf angehoben werden. Diese Maßnahmen tragen nicht zur Stabilität bei und haben keine preisdrückende Funktion, sondern sie werden wiederum eine preissteigernde Wirkung haben, und das müssen Sie verantworten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer ist schuld an dieser Misere? Hier ist viel von den Finanzen, der Steuerreform, der Wirtschaftspolitik, der Konjunkturpolitik und der Währungspolitik gesprochen worden. Wenn man über Reformen spricht, kann man nicht einfach an der Preisentwicklung vorbeigehen; denn diese Dinge hängen unmittelbar zusammen. Wir alle wissen, daß wir wirkliche Reformen nur dann durchführen können, wenn unsere Wirtschaft in Ordnung ist und wenn wir bei entsprechender Stabilität ein angemessenes Wachstum haben.
Die Regierung hat sich in der Beurteilung dessen, was möglich ist, maßlos überschätzt. Die verfehlte Wirtschafts- und Währungspolitik, die zu der inflationären Entwicklung geführt hat, ist eine der entscheidenden Ursachen dafür, daß wir nur zögernd vorwärtskommen. Meine Damen und Herren, der
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Finanzminister ist in Rom, und dafür haben wir natürlich Verständnis. Wenn er aber da wäre, würde ich genau das sagen, was ich jetzt in seiner Abwesenheit sage. Von dieser Stelle aus hat der damalige Sprecher der Opposition, der SPD, Herr Schiller, der Regierung unter Führung des Bundeskanzlers Erhard vorgehalten, daß eine Regierung nicht mehr tragbar sei, die eine Preissteigerung im Verbrauchersektor von 3 % zulasse. Er hat darauf hingewiesen, daß eine Regierung, die eine Preissteigerung von mehr als 3 % zuläßt, nur eine Konsequenz ziehen kann: zurücktreten. Wenn Herr Schiller sich selber treu bleiben will, muß er bei einer Preiserhöhung im Verbrauchersektor von 6 % seinerseits die Konsequenzen ziehen und zurücktreten.
— Nein, diese Absicht habe ich nicht. Sie können beruhigt sein. Sie können auch Herrn Schiller sagen, daß er beruhigt schlafen kann. Ich werde ihn nicht aus dem Sessel heben. Ich hoffe nur, daß die Wähler ihn aus dem Sessel heben werden, und gleich mit der ganzen Galerie der Minister dazu.
Dabei, Frau Kollegin Strobel, war ich so zurückhaltend, die Damen nicht mit einzuschließen. Sehen Sie, solche Kavaliere sind die CSU-Abgeordneten hier im Hause. Das wird nur bedauerlicherweise nicht immer erkannt.
Meine Damen und Herren, nun komme ich noch mit ein paar Bemerkungen zu Herrn Staatssekretär Hermsdorf. Sie haben gestern wieder eines der Schlagworte hier losgelassen. Es gibt das Schlagwort von der Konfrontation. Darauf brauche ich heute nicht einzugehen. Wieso Konfrontation? Wenn wir mit einer Frage, mit einer Entscheidung hier im Bundestag nicht einverstanden sind, dann sagen wir nein. Wir werden nein sagen zu all den Fragen, von denen wir der Meinung sind, daß sie nicht unserer Grundauffassung, unseren politischen Zielen entsprechen.
Sie malen nun in der Öffentlichkeit ein schwarzes Bild, oder Sie malen es mit starken roten Tupfern, Sie behaupten, daß wir hier Konfrontation betrieben. Meine Damen und Herren, wir von der Opposition sind kein Jasagerclub und werden es nicht sein.
Wenn Sie diese Hoffnung gehabt haben sollten, dann müssen Sie sie spätestens heute begraben. — Ich habe doch 30 Minuten?
Herr Stücklen, die Uhr ist von dem Herrn Schriftführer falsch eingestellt worden. Ihre Fraktion hatte entsprechend mehr Redezeit angemeldet.
Herr Apel, ob das für Sie ein Spaß ist, weiß ich nicht, - was glauben Sie, wie komisch Sie oft auf uns wirken!
Wir ertragen das, sage ich Ihnen, mit Gelassenheit, mit Ruhe. Es ist für uns geradezu ein Vergnügen. Ich sage immer: wenn Sie hier nicht ein bißchen vorlaut — das ist nicht unbedingt im negativen Sinn gemeint —, schnellsprecherisch wären, dann wäre manchmal die Würze in diesem Parlament nicht da.
— Bitte schön!
Herr Wehner ist nicht da. Er ist erkrankt, das wissen wir. Ich glaube, daß es auch eine Pflicht zur menschlichen Solidarität gibt, und sage deshalb, daß die CDU/CSU-Fraktion Herrn Wehner baldige Genesung wünscht.
Nun kommt das zweite Schlagwort von Herrn Hermsdorf. Er sagt: Wir sind Panikmacher und Schwarzmaler.
— Ich komme schon noch auf Sie zu sprechen, meine Herren. Sie haben auch die Eigenschaft, etwas zu früh auf etwas zu reagieren, was nach Ihrer Erwartung aber mit Sicherheit nicht so kommen wird. Herr Hermsdorf wirft uns also Schwarzmalerei und Panikmache vor. Andere haben uns sogar Verbrecher genannt. Das wollen wir allmählich begraben. Wir sind ja nicht so, daß wir hier einen Verbalbeleidigungskatalog — so würde der Jurist wahrscheinlich sagen — aufzählen wollen.
Herr Staatssekretär Hermsdorf, Sie können unsere Mahnungen, unsere Kritik, unsere Besorgnis über die inflationäre Entwicklung in diesem Lande nicht einfach mit einer Handbewegung abtun und sagen, das •sei Schwarzmalerei, das sei Panikmache. Meine Damen und Herren, auch hier muß ich auf Grund der Zeitökonomie darauf verzichten, Ihnen einmal vorzulesen, was für kräftige Aussagen Sie 1964, 1965 und 1966 gegen die Regierung Erhard im Kohlenpott, im Schwerpunkt unseres Ruhrgebietes, gemacht haben, ohne daß wir uns so beleidigt gezeigt hätten.
Wir müssen der Inflationsmentalität in unserem Volke wirkungsvoll begegnen. Es ist die erste Aufgabe dieser Bundesregierung, eben diese Inflationsmentalität nicht einfach einreißen zu lassen und sie zu dulden. Wir müssen vielmehr gegen dieses schleichende Gift ankämpfen.
Denn wenn wir die Inflationsentwicklung nicht abstoppen können, hat das doch alles keinen Sinn. Die Sparer, das sind doch nicht die Großkopfeten, die Sie manchmal hier zitieren. Die sind es nicht, um die wir die Sorge haben. Ich kenne einige, die sich auch nach Ihrer Steuerreform noch ein Schnitzel kaufen können. So ist es nicht. Ich möchte sagen: die vielen Millionen Sparer, die wir in Deutschland
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Gott sei Dank haben, mußten allein in der letzten Zeit, in den letzten eineinhalb Jahren 23 Milliarden DM Inflationsverluste hinnehmen
- in einem Jahr! Das sind dann eben auch die Rentner — glauben Sie mir das! -, das sind die
Arbeiter und Angestellten, die Mittelständler und, und, und.
Dabei gehe ich gar nicht darauf ein, was das für einen Bauwilligen bedeutet, für einen, der ein Eigenheim bauen will — die mögen Sie ja gar nicht so sehr, Herr Offergeld. Sie wollen hier die Begünstigung für die Eigenheimbauer wegnehmen.
- So, habe ich Sie falsch verstanden? Ist es falsch?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Apel?
Ja, zur Klärung.
Darf ich Sie darauf hinweisen, daß der SPD-Parteitag beschlossen hat, für denjenigen, der ein Eigenheim baut bzw. eine Eigentumswohnung kauft, die besonderen Abschreibungen nicht einzuschränken. Es geht um die, die das für Zweitwohnungen an der Ostsee usw. in Anspruch nehmen.
— Ich kenne doch meine eigenen Beschlüsse, Herr Häfele.
Herr Apel, ich war nicht auf Ihrem Parteitag. Sie möchten mich fragen?
Herr Abgeordneter Stücklen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Häfele?
Darf ich Ihnen, Herr Stücklen, in Form einer Frage sagen, daß der SPD-Parteitag, wie die beiden Steuerexperten mit Kopfnicken hier bestätigen, beschlossen hat, daß das eingeschränkt wird, indem nur noch bis zu 20 % von der Steuerschuld — nicht vom Einkommen — abzugsfähig werden.
Also es tritt für den Eigenheimbau eine Verschlechterung ein; das kann man feststellen, ohne es genau zu fixieren.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, des Herrn Abgeordneten Offergeld?
Herr Kollege Stücklen, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß unser Beschluß folgenden Inhalt hat. Wir wollen bei den Großverdienern die Förderung, die durch den § 7 b in diesen Einkommensklassen jetzt am größten ist, einschränken, das Gesamtvolumen gleich lassen und dadurch denjenigen, die weniger verdienen, mehr zukommen lassen als bisher. Das ist der Inhalt unseres Beschlusses.
Wir werden uns das noch einmal genau anschauen. Wir bekommen die Steuerreform ohnedies nicht als eine Gesetzesvorlage, weil die FDP sowieso schon ganz finster schaut. Was glauben Sie,• was sich da drüben schon alles angesammelt hat.
Ich bin nicht dazu da, um zu sagen: Nun, also jetzt aufeinander losgehen! Das machen Sie dann im Bungalow des Palais Schaumburg. Da wird die Schlacht dann geschlagen.
Ich war noch bei Herrn Hermsdorf. Ich darf abschließend dazu sagen: die Preissteigerungen und die inflationäre Entwicklung sind keine Erfindung der Opposition, sondern das traurige Ergebnis einer verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Nun wird die Opposition immer wieder gefragt —und ich möchte dieser Frage wirklich nicht ausweichen —: Welche Alternativen haben Sie? Ich beziehe mich jetzt nicht auf Erler, der hier in diesem Bundestag gesagt hat, daß es nicht Aufgabe der Opposition sei, der Regierung zu sagen, wie man es besser macht, sondern daß es Aufgabe der Opposition sei, die Regierung zu kontrollieren und ihr auf die Finger zu sehen. Das wäre ganz einfach ein — —
— Von Herrn Erler, hier im Bundestag, im Deutschen Bundestag, Herr Schäfer, und Sie sind lange genug darin. Aber ich bin überzeugt, Sie sind so gewissenhaft und lesen das nach, und Sie bestätigen mir das bitte, mit einem Weihnachtsgruß verbunden.
- Jawohl.
Noch ein Wort zu unseren Vorschlägen und Alternativen, die von uns verlangt worden sind. Ich darf vorweg sagen, daß wir 67 Gesetzentwürfe vorgelegt haben. Das sind Initiativen, das sind Alternativen.
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— Nun, Herr Schäfer, wenn Sie bekennen müßten, was Sie schon alles von den Beamten dieser Bundesregierung abgeschrieben haben, dann müßten Sie rot vor Scham werden.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, 67 Initiativen, 67 Alternativen allein in diesem Bundestag, also in diesen zwei Jahren, gegenüber der Regierung! Und da fragt man immer noch: Wo sind die Alternativen?
Zu der ganz schwerwiegenden Frage einer richtigen Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitik hat — ich zähle es auf — erstens der Fraktionsvorsitzende, Dr. Barzel, hier angeboten, die Anwendung aller ausgabewirksamen Gesetze aufzuschieben, um die Konjunktur in den Griff zu bekommen und die Preisentwicklung zu stoppen. Die SPD und die FDP haben abgelehnt.
Zweitens. Strauß hat für die CDU/CSU hier verbindlich erklärt, daß er es für notwendig und sinnvoll halte, mit einem ordentlichen Haushalt und einem Eventualhaushalt zu kommen, um die Konjunktur steuern zu können. Auch dieser Vorschlag ist abgelehnt worden. 1972 machen Sie einen ganz schüchternen Versuch mit einem ordentlichen Haushalt und einem Eventualhaushalt. Sie haben schon ein bißchen von dem gelernt, was Strauß Ihnen hier empfohlen hat; aber es reicht leider noch nicht aus. Sie müssen also noch möglichst schnell einen gewissen Nachholbedarf abdecken.
Herr Abgeordneter Stücklen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Möller?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Stücklen, ist Ihnen bekannt, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion in der Krise des Jahres 1966 als erste Fraktion dieses Hauses die Konstruktion eines Eventual- und Konjunkturhaushalts vorgetragen hat und daß wir uns erst seit diesem Zeitpunkt mit solchen Möglichkeiten beschäftigen?
Herr Kollege Möller, das weiß ich. Ich bin auch überzeugt — und das ist jetzt keine Eloge Ihnen gegenüber, ich sage das gern —: wenn Sie weiterhin Finanzminister gewesen wären, hätten Sie sich auch so verhalten. Aber Ihr Amtsnachfolger, der ganz eigene Wege geht, der auch vieles besser weiß — ob er es wirklich besser kann, ist eine andere Frage , Herr Schiller, ist diesen Weg eben nicht gegangen, Herr Kollege Möller.
Herr Abgeordneter Stücklen, gestatten Sie eine
weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Möller?
Herr Präsident, es ist mir ein wahres Vergnügen, diese Fragen zu bekommen. Aber ich möchte Sie darum bitten, daß Sie, wie das auch bei dem gestrigen Fußballspiel geschehen ist, die Ausfallzeiten nachspielen lassen — hoffentlich für uns dann mit besserem Erfolg als bei der so gut, aber so unglücklich kämpfenden Mannschaft von Mönchengladbach.
Wobei, Herr Kollege Stücklen, Sie bitte nicht vergessen wollen, daß von uns kein Foul ausgeht. — Ich wollte Sie fragen: Ist Ihnen nicht bekannt, daß der Streit um einen Kernhaushalt und einen Konjunkturhaushalt das Jahr 1971 betroffen hat und daß für das Jahr 1971 nicht mein Nachfolger, sondern ich die Verantwortung getragen habe?
Teils, teils. Ich wollte Sie damit nicht belasten. Wenn Sie aber selber hier ein Bekenntnis ablegen,
Herr Kollege Möller — hoffentlich tut das unserer Freundschaft keinen Abbruch —, muß ich sagen: Es ist dann also auch bei Ihnen noch sehr viel Sünde geschehen.
Wir haben als Drittes angeboten, alle Möglichkeiten des Stabilitätsgesetzes auszuschöpfen. Wir haben weiter erklärt, daß wir,
wenn dieses Gesetz zur Stabilisierung nicht ausreichend ist, bereit sind, mitzuwirken, die fehlenden Maßnahmen einzubauen, die dann auf dem Gesetzeswege oder auf administrativem Wege notwendig sind,
um die Stabilität herbeizuführen, weil unter einer Instabilität nicht nur die Regierung und die Regierungskoalition, sondern das ganze deutsche Volk zu leiden hat.
— Sie haben falsche Maßnahmen getroffen; das können wir Ihnen oftmals beweisen. — Man hat sich aber gescheut, diese unpopulären Maßnahmen durchzuführen, die auch Strauß in einer Rede im Bundestag dargelegt hat.
Viertens. Wir haben empfohlen, § 23 des Außenwirtschaftsgesetzes zur Absicherung des Devisenzuflusses anzuwenden; die Regierung hat abgelehnt.
Fünftens. Wir haben bereits im Jahre 1969 mit Nachdruck betont, daß eine einseitige Aufwertung keine Lösung darstellt und dadurch die Stabilität nicht herbeigeführt wird.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Minister Schiller hat sich darüber hinweggesetzt, hat uns und auch der deutschen Öffentlichkeit — das war doch ein ganz wesentlicher Bestandteil der Wahlauseinandersetzungen im Jahre 1969 — klarzumachen versucht, daß durch die Aufwertung die Stabilität der Preise herbeigeführt und die Konjunktur unserer Wirtschaft gesichert werden würde. Und was ist eingetreten? Nach der Aufwertung 1969 und nach dem Floaten in diesem Jahr sind die Preise nicht rückläufig, sondern sie sind weiterhin angestiegen. Abgesehen von dem Preisanstieg ist die Wirtschaft in eine ernsthafte Situation geraten, über die heute schon von meinen Freunden gesprochen worden ist: die Wirtschaft befindet sich am Rande einer Rezession. Es ist doch keine Schwarzmalerei und keine Panikmache, wenn 100 renommierte Wissenschaftler und Wirtschaftler ihre Stimme laut erheben und davor warnen, den Weg des Herrn Schiller weiterzugehen.
Es ist nicht nur ein schwacher, es ist überhaupt kein Trost, wenn Sie davon sprechen, in anderen Ländern gebe es auch Preissteigerungen, manchmal sogar höhere als in Deutschland. Die Hausfrauen in Deutschland fragen nicht, ob in Frankreich oder Amerika oder Australien die Lebensmittel, die Verbrauchsgüter und die Gebrauchsgegenstände ebenfalls so teuer geworden sind wie bei uns. Sie leiden darunter. Wir alle, die wir Ehemänner sind und zu Hause unseren Haushalt in Ordnung halten müssen, wissen ja, welche Forderungen an uns gestellt werden.
Herr Schiller sollte sich ernsthaft bemühen, von dem hohen Roß herabzusteigen und von seiner Wunderdroge Aufwertung wegzukommen. Er sollte versuchen, wieder Stabilität durchzusetzen. Er hat in diesem Bundestag einen Rückgang der Preissteigerung auf 1 O/o versprochen. Gehalten worden ist dieses Versprechen nicht.
Wir haben zu den Reformen im einzelnen Antworten erwartet. Wir haben sie leider nicht konkret und solide bekommen. Wir haben ausweichende Antworten bekommen. Es ist für uns bedauerlich, sehen zu müssen, daß man der deutschen Öffentlichkeit Sand in die Augen streut. Wir haben gesagt, und ich sage es hier im Deutschen Bundestag erneut: Wenn man bessere Krankenhäuser haben will, wenn man eine saubere Luft und sauberes Wasser haben will, wenn man ein größeres Bildungsangebot haben will und, und, und, dann darf man der Öffentlichkeit eben keine Steuersenkungen versprechen, sondern dann muß man dem Bürger unserer mündigen Gesellschaft sagen, daß wir, wenn wir das alles besser haben wollen, dafür Opfer bringen müssen. Wir kreiden Ihnen an, daß Sie die Öffentlichkeit getäuscht haben, solange noch die Landtagswahlen vor uns standen. Jetzt mußten Sie die Hose lüften,
und der Bürger konnte
sehen, was nun wirklich in dieser Richtung in dieser Regierung an Solidität vorhanden ist.
Wir werden an der Lösung aller wirklichen Reformaufgaben mitarbeiten. Wir müssen aber leider erkennen, daß diese Regierung die Voraussetzung für eine tatsächliche und effektive Investition in die Zukunftsaufgaben heute noch nicht wahrzunehmen bereit ist. Wenn wir die Stabilität nicht erreichen, werden die Chancen vergeben. Sie haben behauptet, Sie würden ein moderneres Deutschland bauen. Ich sage Ihnen, wenn Sie so mit diesem inflationären Trend weiterfahren, dann werden Sie nicht das modernere Deutschland bauen, dann werden Sie das moderne Deutschland gefährden, das wir in den letzten 20 Jahren gebaut haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Apel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich am Ende dieser Debatte fünf Bemerkungen machen.
Erste Bemerkung, Herr Stücklen! Bundeskanzler Brandt und unser Kollege Alex Möller haben hier in diesem Hohen Hause wiederholt in einer sehr honorigen Weise die Gründe für den Rücktritt des damaligen Finanzministers Möller dargestellt. Sie sollten endlich diese honorige Weise, mit der die Dinge in gegenseitiger Freundschaft und unter Einbeziehung der vollen Aktivität und Leistungsfähigkeit unseres Kollegen Möller in die parlamentarische Arbeit erledigt und abgewickelt worden sind, zur Kenntnis nehmen. Ich finde es nicht in Ordnung, daß Sie immer wieder versuchen, aus diesem Rücktritt politisches Kapital zu schlagen. Das tut man ganz einfach nicht,
um so mehr nicht, wenn Sie hier betonen, in welchem guten Verhältnis Sie zu dem Kollegen Möller stehen. Ich halte es auch für ein ausgemacht schwaches Argument, wennn Sie dem Amtskollegen Karl Schiller, der nun seit einem halben oder einem Dreivierteljahr das Amt von Herrn Möller mit übernommen hat, vorwerfen, seine Finanzpolitik sei weniger solide. Im Gegenteil! Wenn Sie die Debatten aus dem Kabinett kennen, wenn Sie wissen, daß wir einen Eventualhaushalt haben, dann können Sie doch feststellen, daß dieser Wirtschafts- und Finanzminister Schiller die Politik von Alex Möller fortsetzt.
— Seien Sie doch nicht so aufgeregt. — Das war meine erste Bemerkung.
Meine zweite Bemerkung ist folgende. Herr Kollege Stücklen, ich habe in Ihrer Rede eigentlich die logische Konsequenz vermißt. Sie haben der Bundesregierung auf der einen Seite vorgeworfen, sie habe nicht den Mut, der Bevölkerung zu sagen, man
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Dr. Apel
müsse Opfer bringen; schließlich habe die Regierung einmal Steuersenkungspläne verfolgt. Auf der anderen Seite haben Ihre Kollegen in dieser Debatte, wie bereits vorher, mit Nachdruck und mit Leidenschaft betont, daß sie die Einnahmenverbesserungen, die in den Ausschüssen zur Debatte stehen, in der nächsten Woche im Plenum ablehnen wollen. Wie können Sie es eigentlich intellektuell vor sich selbst verantworten, auf der einen Seite zu sagen, diese Bundesregierung habe nicht den Mut, Opfer zu verlangen, und auf der anderen Seite die Einnahmeverbesserungen, die wir leider beschließen müssen, abzulehnen?
Eine dritte Bemerkung. Sie haben der sozial-liberalen Koalition in dieser Debatte zwei Vorwürfe gemacht. Sie haben zum einen gesagt, das, was bisher geschehen sei, sei nicht eindrucksvoll. Ich will nicht alles wiederholen. Sie können in die Beantwortung der Großen Anfrage hineinschauen; Sie können das im Protokoll nachlesen. Sie werden diesem Protokoll wie auch der Beantwortung der Großen Anfrage entnehmen, daß Dinge geschehen sind, die Sie — das hat gestern insbesondere Herr Kirst, aber auch der Herr Kollege Nölling unterstrichen — nie durchgesetzt haben, obwohl Sie sich das bereits 1957 vorgenommen hatten.
Zum anderen sagen Sie, es würde auch in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode nichts mehr passieren. Ich werde Ihnen einiges vortragen, was passieren wird. Ich überlasse es dann Ihrer Beurteilung und der Beurteilung der Wähler, ob das viel oder wenig ist. Wir werden am 16. Dezember — so hat es wohl der Ältestenrat festgelegt — hier eine große Rentendebatte führen. Diese Bundesregierung und die sozial-liberale Koalition werden dann ihr Konzept zur flexiblen Altersgrenze, zur Anhebung der Mindestrenten, zur Öffnung der Rentenversicherung für die Selbständigen, zur Einführung des Babyjahres vorlegen. Sie können sagen: Das ist nichts. Für uns ist das ein großer gesellschaftspolitischer Durchbruch. Wir wären froh darüber, wenn wir mit Ihnen über diese Fragen sachlich reden könnten, damit wir schnell zu vernünftigen Regelungen kommen können. Wir werden eine Debatte über den Umweltschutz führen. Die Eckwerte der Bundesregierung zur Steuerreform liegen vor. Von Ihrer Seite liegt nichts vor. Die Bundesregierung hat umfassende Vorschläge zur Reform des Strafrechts, insbesondere des Sexualstrafrechts und des Eherechts, vorgelegt. Wir erwarten für das nächste Jahr eine Novellierung des Bundesbahngesetzes.
Alles das sind weitreichende und tief in die gegenwärtigen verkrusteten Strukturen einschneidende Reformen.
Ein Satz zur Vermögensbildung. Herr Pieroth ist im Augenblick nicht da; nun, das soll vorkommen. Hier muß aber zu Protokoll gegeben werden, daß Ihr Vermögensbildungsplan, den Sie Burgbacher-Plan nennen, nach unbestrittenen Zahlen, die Sie selber nachrechnen können, für die öffentlichen Kassen von Bund und Ländern im ersten Jahr einen Einnahmeausfall von 41/2 Milliarden DM mit sich bringt. Das ist Ihre finanzpolitische
Solidarität und Solidität: Sie schlagen uns einen Vermögensbildungsplan vor, der die öffentlichen Kassen angesichts der auch von Ihnen beklagten Finanznot 41/2 Milliarden DM kostet. Ich kann nicht sehen, wie das ein Beitrag zu einer vernünftigen Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand ist.
Lassen Sie mich zum vierten Punkt kommen. Herr Kollege Stücklen hat auf Bahn und Post abgehoben und auf die Sorgen, die wir hier haben. Diese Sorgen kann ich gar nicht bestreiten. Nur, Herr Kollege Stücklen, ist die Situation doch wohl etwas anders, als Sie sie dargestellt haben. Die Situation ist ja wohl so, daß das enorme Wachstum des Defizits bei diesen beiden Unternehmen darauf zurückzuführen ist, daß es in beiden Unternehmen in einem Jahre Besoldungsanhebungen zwischen 15 und 17 % gegeben hat. Gut. Wenn Sie dafür jemand verantwortlich machen wollen, dann bitte nicht die Bundesregierung, lieber Herr Stücklen, sondern uns alle zusammen. Die Besoldungsvereinheitlichung ist von einer interfraktionellen Arbeitsgruppe ausgearbeitet, allen Fraktionen vorgelegt und in diesem Hause beschlossen worden, wobei ich Ihnen und mir zubilligen will, daß wir Dinge beschlossen haben, deren Konsequenz und Durchsichtigkeit vielleicht nicht voll gegeben waren. Diese Lawine ist dann auf die öffentlichen Unternehmen zugerollt. Wenn hier jemand von Schuld sprechen will, dann bitte für dieses Hohe Haus insgesamt, Opposition wie Koalition, Herr Stücklen.
Das muß man sehen. Hier ist absichtlich oder unabsichtlich nicht ganz korrekt gerechnet worden. Ich kann das nachträglich jetzt nur noch zur Kenntnis nehmen und muß zusehen, wie ich mit Ihnen zusammen in der Post, wo wir im Postverwaltungsrat Verantwortung tragen, diese Dinge in Ordnung bringen kann. Wie wir sie in Ordnung bringen können, das wissen wir.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stücklen?
Ja, das gestatte ich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Apel, darf ich Sie fragen, ob Sie mich nicht falsch verstanden haben? Ich habe nicht von Schuld, sondern davon gesprochen, daß dieses Defizit entstanden ist, daß die Gebührenerhöhungen in diesem Jahr nicht ausreichen, daß neue vor der Tür stehen und daß diese Gebührenerhöhungen nicht preisdämpfend sind, sondern weiteren Anreiz für Preissteigerungen bieten.
Ich habe weiterhin erklärt, daß zwar der Bund nur 300 Millionen DM an Neuverschuldung aufgenommen hat, aber allein diese beiden Betriebsverwaltungen 6,5 Milliarden DM, und ich habe an den Herrn Staatssekretär die freundliche Bitte ge-
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richtet, diese beiden Verwaltungen nicht als Stiefkinder der Bundesregierung zu behandeln.
Herr Stücklen, ich nehme das zur Kenntnis. Aber in Ihrer Intervention haben Sie gesagt, die Ursache für diese Probleme bei den beiden öffentlichen Unternehmen sei die Inflationspolitik der Bundesregierung.
Gut, das haben Sie hiermit korrigiert. Dann sind wir einer Meinung, und dann halten wir hier in diesem Hause fest, daß die Besoldungsneuregelung, die zur Vereinheitlichung der Besoldung notwendig war, diese unangenehmen Konsequenzen gehabt hat,
und dann halten wir bitte fest, daß die Gebührenerhöhungen nicht ausgereicht haben, und dann halten wir bitte weiter fest, daß wir uns beide in der Verantwortung für dieses Unternehmen in der nächsten Woche in den Verwaltungsgremien der Post zusammenfinden müssen, um diese Dinge in Ordnung zu bringen. Wie man sie in Ordnung bringen kann, das wissen wir, nämlich über Gebührenerhöhungen. Gut, Sie haben dazu Ihre Meinung im Postverwaltungsrat gesagt und haben damals deutlich gemacht, daß Ihnen die Gebührenerhöhungen nicht ausreichten. So war es richtig. Dann können Sie aber jetzt nicht diese Gebührenerhöhung von damals beklagen.
Herr Abgeordneter Apel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann?
Herr Kollege Apel, darf ich Sie daran erinnern, daß wir uns im vergangenen Frühjahr als Opposition dieser sehr unbequemen und unpopulären Entscheidung nicht nur gebeugt, sondern auch vorgeschlagen haben, mit der Anpassung der sogenannten administrativen Preise die Konsequenzen aus einer zwangsläufigen Entwicklung zu ziehen, daß damals Sie und vor allem Bundeswirtschaftsminister Schiller die Konsequenzen nicht gezogen haben, weil das die Optik hätte gefährden können, und daß wir als Folge dieser unterlassenen Anpassung der administrativen Preise jetzt nicht nur eine übergewichtige Preisanpassung im Verkehrswesen zu verzeichnen haben, sondern obendrein noch die Zuwendung weiterer erheblicher öffentlicher Mittel, um die Löcher der Bundesbahn zu stopfen?
Herr Müller-Hermann, Sie haben in der Debatte im Frühjahr folgendes gemacht. Sie haben zweierlei beklagt, erstens die Steigerungen des Preisindex und zweitens die Defizite bei den Unternehmen. Das war wiederum in sich nicht schlüssig; denn daß die stärkere Anhebung der administrierten Preise auf den Index zurückgewirkt
hätte, ist klar. Man kann also nicht beides gleichzeitig fordern.
— Augenblick, ich bin jetzt noch nicht ganz zu Ende. — Ich persönlich habe mich damals der Meinung des Wirtschaftsministers angeschlossen, daß es in jeder Beziehung vernünftiger wäre, administrierte Preise schrittweise an gewachsene Kosten anzugleichen — schrittweise! —, um damit nicht Auslösungs-
und Wunscheffekte bei denen hervorzurufen, die das verfrühstücken wollen, was an Gebührenerhöhungen hereinkommt.
Das war der zentrale Unterschied; im übrigen kein Unterschied zwischen Opposition und Koalition, sondern sehr wohl auch ein Unterschied innerhalb der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, in der man über diese Fragen sehr unterschiedlicher Meinung war. So ist das gewesen, und so stellt sich das auch heute dar.
Herr Abgeordneter Apel, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Müller-Hermann? Selbstverständlich werde ich das bei der Bemessung der Redezeit berücksichtigen.
Ja.
Herr Kollege Apel, sind wir uns dann darin einig, daß sich die Konsequenzen dieser Unterlassungen vom vergangenen Frühjahr für den Haushalt und für die Verbraucher jetzt doppelt auswirken?
Nein, Herr Müller-Hermann, die Konsequenz sieht völlig anders aus. Um bei der Post zu bleiben: wir hätten einmal kräftig hinlangen können— dann hätten wir jetzt nicht hinzulangen brauchen --, oder wir hätten zweimal mittelprächtig hinlangen können. Das ist die Alternative. Ich bin für das zweite Vorgehen gewesen, weil es neben der Problematik der Ankündigungseffekte starker administrativer Preiserhöhungen auch die von Ihnen kritisierte Problematik der Auswirkung auf den Index gab.
Ich komme zum letzten, fünften Punkt. Herr Kollege Stücklen, wir wollen keine Konjunkturdebatte führen. Dennoch haben Sie das getan. Lassen Sie mich dazu einige wenige Bemerkungen machen unter der Prämisse, daß wir zu gegebener Zeit eine Konjunkturdebatte in diesem Hause haben werden.
Vorweg: Ich finde, daß es nicht in Ordnung ist, wenn wir angesichts der laufenden Währungsverhandlungen — in Rom scheinen sie zu Ende zu sein, die nächste Runde in Paris liegt vor uns, und Ende Dezember gibt es eine weitere Runde in Washington - den Weg, den Herr Schiller gegangen ist, auf die von Ihnen gewählte saloppe Art abwerten. Wir schwächen damit unsere eigene Verhandlungsposition. Wir sollten sehr vorsichtig argumentieren.
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Dr. Apel
Jedes Wort zuviel zur Währungspolitik in diesem Hause kann politisch wie finanziell teuer werden.
Aber jetzt einige Bemerkungen zur Vergangenheit und Gegenwart. Wenn ich es richtig sehe, hat die Bundesregierung vier Maßnahmen ergriffen, um die überschäumende Konjunktur zu dämpfen: Aufwertung 1969, Mitte des darauf folgenden Jahres dann Steuervorauszahlungen, degressive Abschreibungen und im Mai dieses Jahres das Floaten, das
— Herr Stücklen, das ist interessant — ja eine ganze Zeitlang von der CDU durchaus beifällig aufgenommen wurde.
— Ich bitte Sie, wir kennen doch alle den Beschluß des Präsidiums der CDU. Daß die CSU dann immer dagegen war und ihren Willen durchgesetzt hat wie auch in anderen Fragen, wissen wir ja auch.
Das waren die vier Etappen, Herr Stücklen. In all diesen vier Etappen haben Sie nein gesagt.
Die Rücknahme ausgabewirksamer Beschlüsse des Bundestages ist auch so eine Sache, wenn wir gleichzeitig wissen, daß Sie uns einen Vermögensbildungsplan oktroyieren wollen, der 41/2 Milliarden DM Steuerausfall bedeuten wird.
Herr Kollege Apel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pieroth?
Ja.
Würden Sie mir bestätigen, daß bei der Rechnung, nach der der Beteiligungslohngesetzentwurf 41/2 Milliarden DM kosten würde, die Zahl berücksichtigt werden muß, die an Kosten auf den Staat dadurch zukommen, daß das 624-DM-
Gesetz in Anspruch genommen wird, und daß, wenn Ihre Zielsetzung, alle Arbeitnehmer am 624-DM-
Gesetz partizipieren zu lassen, erreicht wäre, der gleiche Betrag verwandt werden müßte?
Ja, aber dann sehe ich nicht ein — und das haben ja Klügere in diesem Saal gesagt, die davon etwas verstehen —, was dann Ihr Plan eigentlich noch mehr bringt. Aber ich bitte Sie, darüber müssen Sie mit Fachleuten reden. Ich kann Ihnen hier nur sagen, Ihr Plan kostet 4,5 Milliarden DM, es sei denn, sie wollten das 624-DM-Gesetz damit vom Tisch wischen.
Lassen sie mich abschließen. Wir haben alles andere als die Absicht, in dieser Debatte über die inneren Reformen und in den kommenden Debatten über Konjunktur- und Wirtschaftspolitik den Versuch zu unternehmen, die Preissteigerungsraten, die zur Zeit in unserem Lande sind, zu verniedlichen. Alles andere als das ist unsere Absicht. Nur, meine Damen und Herren von der Opposition, ich warne Sie im Interesse dieses Landes davor, die Zahlen, ,
die wir alle kennen, zur Demagogik zu mißbrauchen. Bitte, lassen Sie uns diese Dinge nüchtern und sachlich debattieren. Lassen Sie uns zur Kenntnis nehmen, daß es erstens eine importierte Inflation gibt und insofern die Vergleichszahlen mit den Preissteigerungen anderer Länder — —
— Aber, Herr Rösing, da gab es nicht diese Preissteigerungsraten anderer Länder. Daß es also neben dem Element der importierten Inflation
das Problem, daß es durch das — — Sie haben mich direkt durcheinandergebracht, Herr Dr. Evers.
Durch die Tatsache der importierten Inflation gibt es eben doch Auswirkungen der Preissteigerungsraten anderer europäischer und westlicher Industrienationen, die doch nicht weggewischt werden können. Sie werden durch das Floaten gemildert, aber das Floaten wollen Sie ja aufgeben, das hört man ja immer wieder. Das muß man zur Kenntnis nehmen. Hier ist die Macht einer Bundesregierung weitgehend zu Ende, auch zu Ende, wenn sie den § 23 des Außenwirtschaftsgesetzes anwendet. Das bringt nichts.
Zweitens. Wir haben auch eine hausgemachte Inflation, gut. Aber wir alle in diesem Haus bekennen uns doch zur Tarifautonomie der Sozialpartner. Wir haben doch soeben zur Kenntnis genommen
— das wurde ja nicht bestritten, auch von Herrn Stücklen nicht —, daß dieses Haus mit den Besoldungsbeschlüssen auch seinen Anteil trägt. Und daneben — Herr Vogt, das haben Sie mir ja gestern gesagt, und das wiederhole ich jetzt hier; insofern erübrigt sich wahrscheinlich eine Zwischenfrage — gibt es eine Verantwortung der Bundesregierung für die Konjunkturpolitik. Diese Verantwortung haben wir bisher wahrgenommen.
— Das bestreiten Sie. Während Sie sich bei jedem Entschluß der Mitarbeit entzogen haben, indem Sie nein gesagt haben, haben wir viermal kräftig zugelangt. Und was wäre eigentlich passiert, Herr Dr. Müller-Hermann, wenn wir es nicht getan hätten, wenn Sie Wirtschaftspolitik betrieben hätten? Wo wären wir dann eigentlich heute mit den Preissteigerungsraten?
Herr Abgeordneter, wollen Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Vogt und des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann zulassen?
Herr Vogt sitzt gerade. Nehmen wir Herrn Müller-Hermann.
Dann nehmen wir noch die Zwischenfrage des Herrn Abgeordneter Dr. Müller-Hermann. Bitte!
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971 8879
Herr Kollege Apel, wann wird denn eigentlich diese Koalition, die uns Schwarzmalerei vorwirft und selbst eine ständige Schönfärberei betreibt,
aufhören, alles, was gut geht, an ihre Fahnen zu heften und für alles, was nicht funktioniert, ein Alibi zu suchen, ganz gleich, ob es das Ausland ist, ob es die Tarifpartner sind, die schlechte Politik der Länder und Gemeinden, der Spekulanten, der Hausbesitzer oder der CDU/CSU-Opposition? Sind Sie nicht auch der Meinung, daß zur Wahrnehmung von Regierungsverantwortlichkeit auch der Mut gehört, die schlechten Seiten dieser Politik sich selbst zuzuschreiben und nicht immer die Schuld auf andere zu schieben?
Herr Dr. Müller-Hermann, das war ja eine sehr lange Frage, aber es erspart vielleicht einen Debattenbeitrag hier oben.
— Gut. Das tut doch hier gar keiner. Wer malt denn hier eigentlich schön? Herr Staatssekretär Hermsdorf hat die Haushaltsproblematik dargestellt. Er hat sich nur dagegen gewandt, daß Übertreibungen in der Art, wie sie vorgetragen wurden, akzeptiert werden. Ich habe Ihnen deutlich gesagt, daß die Preissteigerungsraten für uns ein tiefes Problem sind und daß wir deswegen diesem Problem weiter unsere zentrale Aufmerksamkeit widmen müssen. Wir haben in anderen Punkten zur Debatte über die innere Reform deutlich gemacht, wo hier Probleme liegen. Was wir nur nicht akzeptieren können, das ist in der Tat die Art von Debatteführung und Panikmache, die Sie hier versuchen.
— Herr Dr. Müller-Hermann, wenn ich Ihnen hier gesagt habe, daß wir Probleme haben, dann müssen Sie bitte aber auch gleichzeitig zur Kenntnis nehmen, daß wir versuchen, auf diese Probleme Antworten zu geben, während Sie den Versuch gar nicht erst unternehmen, sondern im Stile von Herrn Stücklen polemisieren und sogar noch in sich nicht logisch und inkonsequent polemisieren. Dies ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Dies ist aber auch — das hat die Zwischenfrage meines Kollegen Möller deutlich gemacht — der Unterschied zwischen der damaligen Opposition, der SPD, in den frühen sechziger Jahren und der heutigen.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich hatte ursprünglich nicht die Absicht, diese ohnehin schon ausgeuferte Debatte zu verlängern. Aber eine Reihe
von Rednern von Herrn Häfele bis zu Herrn Stücklen haben mich veranlaßt, doch wenigstens fünf Minuten Ihrer Zeit in Anspruch zu nehmen.
Herr Kollege Stücklen, Sie haben zum Abschluß Ihrer Ausführungen festgestellt, daß Sie mit der Beantwortung der Fragen nicht zufrieden sind. Es wäre auch etwas Ungewöhnliches, wenn eine Opposition mit den Antworten, die sie bekommen hat, zufrieden wäre. So kenne ich das in diesem Hause, solange ich diesem Hause angehöre, ob als Opposition oder in der Regierungsverantwortung.
Aber ich möchte für die Freien Demokraten feststellen: die Fragen, die Sie gestellt haben, sind in der Drucksache VI/2709 schriftlich beantwortet, sie sind in der Debatte durch die Redner der Koalitionsfraktionen in diesen beiden Tagen vertieft beantwortet worden, sie sind auch beantwortet durch die Drucksache VI/2651, nämlich die Finanzplanung des Bundes von 1971 bis 1975 und sie sind beantwortet durch die Drucksache VI/1953, nämlich die Antwort der Bundesregierung vom März 1971 auf Ihre damalige Große Anfrage.
— Herr Kollege van Delden, ich möchte dazu nur sagen, ein Politiker sollte eigentlich nie voll zufrieden sein; denn die Aufgabe eines Politikers ist es immer, kritisch an die Dinge heranzugehen. Nur wenn er kritisch herangeht, kann er sie in eine bessere Richtung vorwärtsbewegen.
Ein Zweites. Herr Kollege Stücklen, Sie haben uns
— darauf hat Herr Kollege Apel schon hingewiesen — vorgeworfen, wenn wir reformieren wollten, koste das Geld, man müsse das den Leuten sagen und man müsse notfalls bereit sein, den Leuten Opfer zuzumuten. Nun, als die Konjunktur überschäumte und wir zur Stabilisierung den Leuten mit dem Konjunkturzuschlag ein Opfer zumuteten, haben Sie als Opposition leider zu diesem Opfer nein gesagt. Das müssen wir hier auch festhalten und feststellen.
— Nein, ich habe mir fünf Minuten vorgenommen, ich bitte um Verständnis.
Was die Frage des Beteiligungslohnes anbelangt, so glaube ich, daß das ein liebenswerter Auftakt für die Mittelstandsdebatte ist, die wir in der nächsten Woche hier zu absolvieren haben. Da werden wir mit Sicherheit noch einmal auf diese Frage zurückkommen können.
Der wirkliche Grund, warum ich hier heraufgegangen bin, ist die Tatsache, daß Herr Kollege Häfele begonnen hat, sich mit Parteitagsbeschlüssen der SPD auseinanderzusetzen. Es mag sicherlich reizvoll sein, sich mit jeweiligen Parteitagsbeschlüssen im Parlament auseinanderzusetzen. Aber ich glaube, daß dies hier der falsche Ort ist und daß es zumindest der falsche Tagesordnungspunkt war; denn mit dem Arbeitsprogramm der Bundesregierung zu
8880 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971
Spitzmüller
den inneren Reformen in der 6. Legislaturperiode haben diese Beschlüsse des SPD-Parteitags wahrhaftig nichts zu tun. Für die Steuerreform sind die Eckwerte entscheidend, wie sie vom Kabinett in der Steuerreform festgesetzt worden sind.
Meine Damen und Herren, solche Parteitage aber, wie sie die Freien Demokraten und wie sie die Sozialdemokraten gehabt haben, dienen der öffentlichen Meinungsbildung mehr als die vielfältigen Verlautbarungen aller möglichen Arbeitskreise und Ausschüsse der CDU/CSU, die sich nämlich oft diametral entgegenstehen. Hier muß man einfach zur Kenntnis nehmen, daß solche Parteitage und ihre Beschlüsse ein Teil der Meinungsbildung sind, aber daß sie nicht sofort in die Regierungsarbeit einfließen können. Von daher habe ich sehr bedauert, daß diese Beschlüsse hier so intensiv diskutiert worden sind; denn sie haben mit dem Punkt 2 der Tagesordnung nichts zu tun.
Das möchte ich für die Freien Demokraten noch einmal ausdrücklich feststellen. Die Eckwerte, die auf dem sozialdemokratischen Parteitag beschlossen worden sind, werden in die regierungsamtliche Politik sicherlich nicht einfließen, wenn die Freien Demokraten Regierungspartner sind.
Zum Letzten. Herr Kollege Stücklen, ich glaube, Sie könnten doch aus den vielfältigen Erfahrungen dieses Parlaments die Überzeugung mitnehmen, daß auch diese Regierung niemals ein Gesetz vorlegen wird, das die Wirtschaft lähmen oder sie in ihrer Substanz gefährden wird. Denn ich glaube, alle Minister und alle Abgeordneten der Koalition haben zu allen Zeiten deutlich gemacht, daß unsere gesamte Leistungsfähigkeit im Innern wie im Äußern entscheidend davon abhängt, wie stark die Wirtschaftskraft der Bundesrepublik ist und bleiben wird. Daß jede Regierung die Aufgabe haben wird, diese Wirtschaftskraft zu erhalten, das ist, glaube ich, eine Selbstverständlichkeit. Deshalb sollte man hier nicht gelegentlich mit Unterstellungen arbeiten.
Meine Damen und Herren, damit ist die Debatte über die Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betreffend Arbeitsprogramm der Bundesregierung zu den inneren Reformen in der 6. Legislaturperiode abgeschlossen.
Auf Grund interfraktioneller Vereinbarung wird das Umweltprogramm der Bundesregierung — Drucksache VI/2710 — morgen früh aufgerufen.
Ich rufe nunmehr den Punkt 4 der heutigen Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Evers, Dr. Eyrich, Burger, Biechele, Dr. Schmidt und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen — Drucksache VI/2131 —
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache VI/2797 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schachtschabel
Meine Damen und Herren, wir treten in die zweite Beratung ein. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich rufe auf Art. 1, Art. 2, Art. 3, Einleitung und Überschrift. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmige Beschlußfassung.
Wir treten ein in die
dritte Beratung.
Das Wort wird gewünscht von Herrn Abgeordneten Evers.
Ich darf noch feststellen, daß der Herr Berichterstatter auf eine mündliche Ergänzung seines Berichtes verzichtet hat.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU begrüßt es, daß diese Gesetzesinitiative der CDU/CSU eine Mehrheit in diesem Hause findet, nachdem sie im zuständigen Wirtschaftsausschuß einstimmig befürwortet und auch in der zweiten Lesung soeben einstimmig beschlossen worden ist. Wir begrüßen dies insbesondere deswegen, weil sich die sozialdemokratische Fraktion damit als in diesem Punkt einsichtiger erwiesen hat als das Wirtschafts- und Finanzministerium, dessen Minister ebenfalls von dieser Fraktion gestellt wird. Ich hatte, bevor wir diesen Gesetzesantrag einbrachten, die gleiche Problematik in einer Kleinen Anfrage der Bundesregierung vorgelegt, und der damalige Parlamentarische Staatssekretär beim damaligen Wirtschaftsminister hat in einer schriftlichen Antwort mitgeteilt, daß das Ministerium das Anliegen begrüße, um das es uns hier gehe, daß aber ein dringendes Bedürfnis zu einer Gesetzesänderung nach Meinung der Bundesregierung nicht bestehe.
Wir sind sehr froh, daß der Deutsche Bundestag hier eine andere und bessere Auffassung vertreten hat. Denn an diesen Dingen zeigt sich die tatsächliche Sozialfreundlichkeit des Hauses und einer Regierung.
Worum geht es, meine sehr geehrten Damen und Herren? Es geht darum, daß in Zukunft Bürger, die von einem gesetzlichen Sparguthaben Abhebungen vornehmen, dann in geringerem Maße mit Strafzinsen belegt werden, wenn sie mehr als 1000 DM ihres eigenen Kontos verfügungsberechtigt haben möchten. Nach der gegenwärtigen, aus der Vorkriegszeit stammenden Regelung, ist es nur möglich, von einem Sparguthaben mit gesetzlicher Kündigungsfrist 1000 DM abzuheben. Wer mehr abhebt, muß für den überschießenden Betrag eine Verzinsung entrichten, so als ob er von der Bank ein Dar-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971 8881
Dr. Evers
lehen gewährt bekäme. Wir meinen, daß diese Regelung mit einem Betrag von 1000 DM dringend der Anpassung bedarf. Die Gesetzesinitiative, die heute hier von Ihnen verabschiedet werden wird, bezweckt, diesen Betrag auf 2000 DM anzuheben; eine zeitgemäße Erhöhung dieses Betrages, nachdem nunmehr über 30 Jahre seit der Festsetzung des Betrages auf 1000 DM monatlich verstrichen sind.
Wir verbinden mit diesem Antrag die Erwartung und die Aufforderung an die Regierung, daß diese Erhöhung des frei abzuhebenden Betrages nicht dazu benutzt werden möge, nunmehr den Kapitalmarktcharakter der Sparguthaben zu verändern. Wir sind der Überzeugung und ich möchte dies als einen Wunsch hier ausdrücklich vorbringen —, daß im Rahmen des Liquiditätsgrundsatzes II die Dekkungsfähigkeit der Sparguthaben bei der Liquiditätsberechnung unverändert aufrechterhalten bleiben sollte, weil die Anpassung des Betrages von 1000 DM auf 2000 DM keine strukturelle Veränderung beinhaltet, sondern die Anhebung einer Grenze, die infolge der in dieser Zeit eingetretenen Preisentwicklung nicht mehr den Verhältnissen angemessen ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Dr. Schachtschabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß es ratsam ist und zweckmäßig erscheint, zuerst einmal einen Hinweis darauf zu geben, daß die hier anstehende Erhöhung des Abhebungsbetrages nach dem Kreditwesengesetz sozusagen in der Luft liegt. Es ist nicht so, daß sich die Bundesregierung dagegen gesperrt hätte, sondern es ist so, daß eine Novellierung des Kreditwesengesetzes ansteht und daß im Zuge dieser Novellierung auch die Anhebung des Abhebungsbetrages vorgesehen ist.
Wir haben uns und ich darf für die FDP-Bundestagsfraktion wie auch für die SPD-Bundestagsfraktion sprechen — sowohl über die Notwendigkeit dieser Anhebung des Abhebungsbetrages unterhalten, wie wir auch vor allen Dingen die Wirkungen geprüft haben. Denn das damalige Kreditwesengesetz in der ursprünglichen Fassung ist doch davon ausgegangen, in erster Linie einen Schutz für die Kreditinstitute aufzubauen. Wir müssen den ganzen Vorgang im Zusammenhang mit den damaligen Bankenzusammenbrüchen sehen.
Der ursprüngliche Betrag war mit nur 300 Reichsmark angesetzt; er ist dann erst im Jahre 1938 auf 1000 Reichsmark erhöht worden. Aber selbst im Jahre 1961, als die Möglichkeit bestand, den Abhebungsbetrag schon zu erhöhen, ist der Betrag von 1000 Mark beibehalten worden und auch in dieser Höhe in das Gesetz eingegangen.
Die jetzt vorgeschlagene Erhöhung hat insofern ihre Berechtigung, als seit Jahren eine starke Sparneigung breitester Bevölkerungsschichten festzustellen ist. Wenn dieser Vorgang berücksichtigt wird, erscheint eine Erhöhung des Abhebungsbetrages durchaus vertretbar, ohne daß die zu erwartenden Abhebungen den Schutz der Kreditinstitute beeinträchtigten.
Viel wichtiger erscheint es uns aus der Sicht der FDP- wie der SPD-Bundestagsfraktion aber, die Erhöhung des Abhebungsbetrages im Interesse der Sparer zu sehen. Denn in Anbetracht wesentlich erhöhter Sparguthaben sowie eines allgemein gehobenen Lebensstandards erscheint es zweckmäßig, eine solche Erhöhung vorzunehmen.
Der Antrag kommt, wie wir gehört haben, aus der CDU/CSU-Fraktion. Ich verweise auch auf die Drucksache VI/2131, wo die nähere Begründung gegeben ist. Und dabei, meine Damen und Herren, glaube ich auch feststellen zu können, ohne daß ich damit diesen Antrag kritisieren möchte, daß ein Antrag auf eine solche Erhöhung, wenn man in den letzten Monaten die diesbezügliche Diskussion in den wirtschaftswissenschaftlichen Zeitschriften verfolgt hat, regelrecht nahegelegen hat und daß wir das auch entsprechend berücksichtigt haben.
Allerdings ist noch zu vermerken — darauf mache ich zum Schluß noch einmal aufmerksam —, daß der Antrag eine Regelung innerhalb der anstehenden Novellierung des Kreditwesengesetzes vorwegnimmt. In unseren Kreisen ist sogar geltend gemacht worden, ob nicht sofort eine stärkere Erhöhung vorgesehen werden könnte. Wir haben uns aber hierbei dem Antrag der CDU/CSU angegeschlossen. Das ist nach Lage der Dinge vertretbar, denn auch die Bundesregierung beabsichtigt, bei dieser soeben von mir erwähnten Novellierung den Abhebungsbetrag heraufzusetzen, wobei die künftige Höhe des Betrages dann näher zu erörtern wäre.
Ich kann zusammenfassend sagen, daß somit auch die FDP- sowie die SPD-Bundestagsfraktion dem Antrag in Drucksache VI/2797 und damit der genannten Erhöhung des Abhebungsbetrages ihre Zustimmung geben können.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache in der dritten Beratung.
Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - - Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Wir kommen zu Punkt 5 der Tagesordnung:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 21. Mai 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Argentinischen Republik über das Einlaufen von Reaktorschiffen in argentinische Gewässer und ihren Aufenthalt in argentinischen Häfen
Drucksache VI/2655 —
8882 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache VI/2808 —
Berichterstatter: Abgeordneter Matthes
Der Herr Berichterstatter verzichtet auf eine Ergänzung seines Schriftlichen Berichts.
Ich rufe in zweiter Beratung auf Art. 1, Art. 2, Art. 3, Einleitung und Überschrift. — Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Das Wort zur Schlußabstimmung wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetzentwurf in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Punkt 6 der Tagesordnung:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu ,dem Vertrag vom 29. Januar 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Portugiesischen Republik über die Benutzung portugiesischer Gewässer und Häfen durch N. S. „Otto Hahn" — Drucksache VI/2657 —
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache VI/2809 —
Berichterstatter: Abgeordneter Matthes
Der Herr Berichterstatter hält eine Ergänzung seines Schriftlichen Berichts nicht für notwendig.
Ich rufe in zweiter Beratung die Artikel 1, 2 und 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. — Wer dem Gesetzentwurf in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Angenommen.
Das Wort zur Schlußabstimmung wird nicht gewünscht. Wer dem Vertrag in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Punkt 7 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung des mittelfristigen finanziellen Beistands in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
— Drucksache VI/2431 —
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache VI/2827 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Sprung
Der Herr Berichterstatter, der Abgeordnete Dr. Sprung, hat um eine kurze Ergänzung seines Schriftlichen Berichts gebeten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich nehme Bezug auf den vorliegenden Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Wirtschaft Drucksache VI/2827. Im Abschnitt A dieses Berichts wird darauf hingewiesen, daß der Wirtschaftsausschuß den Gesetzentwurf behandelt und ihm vorbehaltlich einer abweichenden Stellungnahme des mitberatenden Haushaltsausschusses zugestimmt hat. Auch der Haushaltsausschuß stimmt dem Gesetzentwurf zu, mit dem er sich erst in seiner heutigen Sitzung befassen konnte.
Zum Antrag des Wirtschaftsausschusses, der unter B wiedergegeben ist, bittet der Haushaltsausschuß jedoch, die Ziffer 2 dahin zu ergänzen, daß neben dem Wirtschaftsausschuß auch der Haushaltsausschuß laufend über wichtige Entwicklungen im Bereich des mittelfristigen Beistands unterrichtet wird. Ich bitte daher, den Antrag des Wirtschaftsausschusses insoweit zu ergänzen. Die Ziffer 2 des Antrags erhält damit folgenden Wortlaut:
die Bundesregierung wird ersucht, den Wirtschaftsausschuß und den Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages laufend über wichtige Entwicklungen im Bereich des mittelfristigen Beistands zu unterrichten.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für die Ergänzung des Schriftlichen Berichts, die, wie ich annehme, im Einvernehmen mit allen Fraktionen erfolgt.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich rufe Art. 1, 2 und 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Artikeln, der Einleitung und der Überschrift in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. -- Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetz in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.
Wir haben noch über den Antrag des Ausschusses unter Ziffer 2 in der vom Herrn Berichterstatter vorgeschlagenen ergänzten Form zu befinden. Wer diesem Antrag mit der vorgetragenen Ergänzung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Zu Punkt 8 der Tagesordnung, dem Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen, muß ich Ihnen leider mitteilen, daß ein
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971 8883
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Ausschußbericht noch nicht vorliegt, so daß dieser Punkt morgen aufgerufen wird.
Ich rufe die Punkte 9, 11 und 12 auf:
9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes
— Drucksache VI/2800 —11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Justizbeitreibungsordnung
— Drucksache VI/2855 —
12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Verkehr mit DDT
— Drucksache VI/2857 —
Ich stelle fest, daß das Wort dazu nicht gewünscht wird.
Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates bitte ich Sie aus der Tagesordnung zu ersehen. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Damit sind überwiesen das Gesetz zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes an den Finanzausschuß und den Innenausschuß, das Gesetz zur Änderung der Justizbeitreibungsordnung an den Rechtsausschuß und das DDT-Gesetz an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit als federführenden Ausschuß sowie an den Innenausschuß und den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung.
Ich rufe nunmehr Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften
— Drucksache VI/2854 —
Das Wort zur Begründung wünscht zunächst Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Bayerl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Bundesregierung legt dem Hohen Hause heute den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vor. Mit diesem Entwurf setzt die Bundesregierung die Bemühungen fort, die Rechtsformen, die den Wirtschaftsunternehmen nach geltendem Recht zur Verfügung stehen, in ihrem Aufbau und ihrer Ausgestaltung den heutigen Anforderungen des Wirtschaftslebens anzupassen. Im Jahre 1965 wurde ein neues Aktengesetz verabschiedet. In Kürze wird Ihnen der Entwurf eines neuen GmbH-Gesetzes vorgelegt werden. Mit dem dritten großen gesellschaftsrechtlichen Gesetz werden Sie heute befaßt.
Der Entwurf zielt nicht auf eine Gesamtreform des Genossenschaftsgesetzes ab. Er begnügt sich mit einer Novellierung. Für eine Gesamtreform, wie sie zu Beginn der sechziger Jahre versucht worden ist, hat sich die Zeit als noch nicht reif erwiesen. Die Zeit hätte auch nicht ausgereicht, einen Gesetzentwurf in dieser Legislaturperiode vorbereiten und vorlegen zu können. Andererseits hat sich herausgestellt, daß die Genossenschaften, wenn sie im Wettbewerb bestehen wollen, nicht auf die Gesamtreform warten können, sondern der sofortigen Hilfe des Gesetzgebers durch gezielte, punktuelle Reformmaßnahmen bedürfen. Das Ziel einer Gesamtreform sollten wir aber nicht aus dem Auge verlieren. Die Novelle ist so angelegt, daß die besonders dringlich gewordenen Maßnahmen, die sie vorwegnimmt, einer künftigen Gesamtreform nicht im Wege stehen.
Die Änderungen und Ergänzungen des Genossenschaftsgesetzes durch die Novelle sind umfangreich und in einigen Punkten sehr einschneidend. Den Genossenschaften werden einige völlig neue Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet, die man in den Anfängen nach dem Erlaß des Genossenschaftsgesetzes im Jahre 1889 noch gar nicht für möglich oder sogar als mit dem Gedankengut der Genossenschaftsbewegung nicht vereinbar gehalten haben würde. Ebenso wie die wirtschaftlichen Gegebenheiten haben sich aber auch die Auffassungen über die Stellung der Genossenschaften im Wirtschaftsleben geändert. Jetzt kommt es darauf an, die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß auch die Genossenschaften als schlagkräftige Unternehmen ihren Platz in unserer Wirtschaft auch unter den Anforderungen des härter werdenden Wettbewerbs behaupten können. Vornehmlich diesem Ziel dient die Novelle. Sie soll den Übergang zu einem insgesamt erneuerten Genossenschaftsgesetz ebnen und einige wesentliche Reformmaßnahmen bereits jetzt vorwegnehmen.
Der Entwurf soll den Genossenschaften in erster Linie durch die Gewährung größerer Statutenfreiheit die Möglichkeiten einräumen, die sie brauchen, um sich auf die heutigen wirtschaftlichen Bedürfnisse einstellen zu können. Die neuen Geltungs- und Gestaltungsmöglichkeiten durch das Statut müssen aber dort ihre Grenze finden, wo das bewährte und echt demokratische Personalprinzip des Genossenschaftswesens so stark beeinträchtigt würde, daß es nicht mehr das Wesensmerkmal der Genossenschaft wäre. Der Grundsatz, daß die Genossenschaft das Unternehmen aller ihrer Mitglieder ist und in erster Linie deren Interessen zu fördern bestimmt ist, muß erhalten bleiben. Die Genossenschaft als Personengemeinschaft zu erhalten und zu verhindern, daß eine Abwanderung in andere Rechtsformen stattfindet, war deshalb einer der entscheidenden Leitgedanken der Novelle.
Der Entwurf will sein Ziel vornehmlich auf zwei Wegen erreichen.
Erstens sollen organisatorische Maßnahmen die Handlungsfähigkeit der Genossenschaften als Unternehmen im Wettbewerb verbessern. In diesem Zusammenhang ist vor allem die Stärkung der Stellung des Vorstandes hervorzuheben. Ähnlich wie
8884 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Bayerl
der Vorstand der Aktiengesellschaft soll der Vorstand der Genossenschaft künftig das Unternehmen eigenverantwortlich leiten. Hierdurch wird nicht nur eine beweglichere Geschäftsführung ermöglicht, die schnell und sachgerecht auf wechselnde Gegebenheiten reagieren kann. Es wird den Genossenschaften auch leichter werden, für ihre Führungsaufgaben geeignete Unternehmerpersönlichkeiten zu gewinnen. Dies wird auch nicht ohne Einfluß auf die Stellung der Genossenschaften im Wettbewerb mit Unternehmen anderer Rechtsformen bleiben.
Auf organisationsrechtlichem Gebiet ist ferner zu erwähnen, daß auch Genossenschaften künftig Prokuristen und Generalbevollmächtigte sollen bestellen können. Dies gibt ihren Vorständen die Möglichkeit, Aufgaben und Entscheidungen zu delegieren. Das ist in einem großen genossenschaftlichen Unternehmen genauso nötig und sinnvoll wie in einem vergleichbaren Unternehmen anderer Rechtsform.
Der zweite Schwerpunkt der Novelle sind Maßnahmen zur Erleichterung der Eigenkapitalbildung. Diese Maßnahmen sind unterschiedlicher Art und suchen die Lösung des Problems, die genossenschaftliche Eigenkapitalbasis ohne Beeinträchtigung der personalistischen Struktur der Genossenschaft zu stärken, auf verschiedenen Wegen zu erreichen. Diese Wege werden durch die Novelle jedoch nur geöffnet. Ob die einzelnen Genossenschaften sie beschreiten, insbesondere ob sie das von uns ins Auge gefaßte Ziel auf diesem oder jenem oder auch auf mehreren der durch den Gesetzentwurf gangbar gemachten Wege zu erreichen versuchen, ist ihre Sache. Die Novelle gewährt in diesen Fragen Statutenfreiheit. Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß den Genossenschaften bestimmte ordnungspolitische Vorstellungen aufgenötigt oder sonst durch zwingende Vorschriften einzelne Gestaltungsformen vorgeschrieben werden sollten. Sie hält die grundsätzliche Statutenfreiheit zumindest unter den gegenwärtigen Verhältnissen für ein Grundprinzip des Genossenschaftwesens.
Wie ich schon erwähnte, hält die Bundesregierung die Novelle für dringlich. Das ist auch die Meinung der Genossenschaftsverbände. Ich freue mich, daß die Verbände nicht nur in diesem Punkt mit mir übereinstimmen, sondern vor allem auch den Inhalt des Entwurfs sehr begrüßen. Es mag noch den einen oder anderen offenen Wunsch vor allem einzelner Genossenschaftszweige geben. Aber insgesamt bestärkt mich das allgemeine positive Echo, das der Entwurf in der Öffentlichkeit gefunden hat, in der Hoffnung, daß seine Regelungen dazu beitragen werden, die genossenschaftliche Rechtsform auch weiterhin attraktiv und praktikabel zu gestalten und so zu verhindern daß diese gesunde und demokratische Unternehmensform durch andere Rechtsformen verdrängt wird.
Namens der Bundesregierung darf ich das Hohe Haus bitten, den Entwurf möglichst bald zu beraten und zu verabschieden.
Das Wort hat der Abgeordnete Gnädinger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt die Vorlage einer Novelle zum Genossenschaftsgesetz durch die Bundesregierung. Wir sind damit einverstanden, daß zunächst die dringendsten Probleme in Angriff genommen werden, die eine Verabschiedung noch in dieser Legislaturperiode ermöglichen. Ich bin dem Herrn Staatssekretär dankbar für die Erklärung, daß die Gesamtreform nicht aus dem Auge verloren werden soll.
Ich glaube, alle Beteiligten sind sich darüber einig, daß die Wettbewerbsfähigkeit der Genossenschaft gegenüber Unternehmen anderer Rechtsformen gestärkt werden muß. Dazu gehört, daß wir auch den Eintritt in eine Genossenschaft attraktiver machen. Die Regierungsvorlage macht dazu einige begrüßenswerte und konkrete Vorschläge.
In aller Kürze möchte ich noch ein Problem ansprechen, nämlich die Zulassung von Mehrstimmrechten nach der Regierungsvorlage. Ich glaube, daß wir diese Frage in den Ausschußberatungen mit besonderer Sorgfalt werden prüfen müssen. Immerhin wird hier einer der Grundsätze des Genossenschaftsrechts geändert. Die Zulassung von Mehrstimmrechten ist im Entwurf allerdings stark eingeschränkt; die Zahl wird auf drei beschränkt, und die Möglichkeit, von Mehrstimmrechten Gebrauch zu machen, wird gleichfalls begrenzt. Insgesamt scheint jedoch eine solche Regelung im Sinne einer besseren Attraktivität der Genossenschaft begrüßenswert zu sein.
Wir hoffen, daß nach Beratung und Verabschiedung dieser Novelle die Gesamtrevision des Genossenschaftsrechts nicht allzu lange auf sich warten lassen wird. Wir stimmen dem Vorschlag des Ältestenrates bezüglich der Überweisung an die Ausschüsse zu.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Überweisungsvorschlag des Ältestenrates wird nicht durch Anträge aus dem Hause ergänzt. - Ich stelle fest, daß das Haus dem Vorschlag des Ältestenrats zustimmt, die Vorlage an den Rechtsausschuß — federführend - sowie an den Ausschuß für Wirtschaft und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung zu überweisen.
Ich schlage vor, daß wir Punkt 13 für heute von der Tagesordnung absetzen, damit die Fragestunde möglichst schnell begonnen werden kann. Wir werden Punkt 13 morgen aufrufen.
Ich rufe Punkt 14 auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über die Anträge des Bundesministers der Finanzen
betr. Entlastung der Bundesregierung wegen der Bundeshaushaltsrechnung für das
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971 8885
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Rechnungsjahr 1966 auf Grund der Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
betr. Bundeshaushaltsrechnung für das Rechnungsjahr 1966
hier: Nachträgliche Genehmigung der über- und außerplanmäßigen Ausgaben
Drucksachen V/4066, V/2925, VI/2818 —Berichterstatter: Abgeordneter Esters
Der Herr Berichterstatter wünscht keine Ergänzung des Berichtes.
Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes betr. Rechnung und Vermögensrechnung des Bundesrechnungshofes für das Rechnungsjahr 1966 — Einzelplan 20 —
Drucksachen V/4055, VI/2819 —
Berichterstatter: Abgeordneter Esters
Der Herr Berichterstatter verzichtet auf eine Ergänzung des Berichtes. — Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmt, den darf ich um ein Zeichen bitten. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? -- Einstimmig angenommen.
Punkt 16 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen betr. Veräußerung des Pionierwasserübungsplatzes Bützfleth an das Land Niedersachsen
Drucksachen VI/2548, VI/2820 —
Berichterstatter: Abgeordneter Bremer
Der Berichterstatter wünscht keine Ergänzung und bittet um Zustimmung.
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einmütige Annahme fest.
Ich rufe Punkt 17 auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Innenausschusses über den Antrag der Abgeordneten Dr. Bardens, Dr. Bechert (Gau-Algesheim), Bay, Dr. Schmidt (Krefeld), Grüner, Jung, Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Dr. Rutschke und der Fraktionen der SPD, FDP betr. thermische Belastung von Gewässern durch Kernkraftwerke
— Drucksachen V1/740, VI/2826 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Gruhl
Der Berichterstatter hat nicht um das Wort zur weiteren Ergänzung gebeten, sondern bittet, dem Antrag des Ausschusses unter Buchstabe B der Drucksache zuzustimmen. — Das Wort wird nicht begehrt.
Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einmütige Annahme fest.
Ich rufe Punkt 18 der heutigen Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Innenausschusses über den Bericht des Bundesministers des Auswärtigen vom 19. November 1970 betr. Rechtsstellung und Ausbildung der deutschen Beamten für internationale Aufgaben
— Drucksachen VI/ 1465, V1/2829 —Berichterstatter: Abgeordneter Biechele
Der Herr Abgeordnete Biechele hat um das Wort zu einer kurzen Ergänzung seines Schriftlichen Berichts gebeten. Bitte, Herr Kollege!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf den Schriftlichen Bericht des Innenausschusses -- Drucksache VI/2829 - wie folgt ergänzen.
Der Haushaltsausschuß hat in seiner Sitzung am 11. November 1971 vom Antrag des Innenausschusses zustimmend Kenntnis genommen. In seiner Mitteilung vom 16. November 1971 an den Vorsitzenden des Innenausschusses regt der Haushaltsausschuß an, daß über die Möglichkeiten der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung in Frankfurt hinaus eine breitere Bekanntgabe der zu besetzenden Stellen für internationale Aufgaben erfolgt, urn möglichst viele Bewerbungen und dadurch auch eine größere Anzahl von qualifizierten Kräften zu erreichen.
Diese Anregung, die den Intentionen des Innenausschusses durchaus entspricht, die uns aber wegen eines zeitlichen Mißverständnisses zu spät erreichte, darf ich als Berichterstatter aufnehmen und insoweit den Bericht des Innenausschusses ergänzen.
Vielen Dank. Wird weiterhin das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Beschlußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Finanzausschusses über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten
8886 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971
Vizepräsident Frau Funcke
Entwurf einer Verordnung des Rates über
die Begriffsbestimmung „Grenzverkehr"
Vorschlag einer zweiten Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Umsatzsteuern und Sonderverbrauchsteuern im grenzüberschreitenden Verkehr
Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie des Rates vom 28. Mai 1969 zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Befreiung von den Umsatzsteuern und Sonderverbrauchsteuern bei der Einfuhr im grenzüberschreitenden Reiseverkehr durch die Mitgliedstaaten
— Drucksachen VI/2511, VI/2825 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Wagner
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 20 der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen über den Verkehrsbericht 1970 der Bundesregierung hier: Randziffer 229 betr. Verbesserung
der Unfallrettung
— Drucksachen aus VI/ 1350, VI/2846 —
Berichterstatter: Abgeordneter Seefeld
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. — Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir kommen damit zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Fragestunde
— Drucksache VI/2861 —
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Bei beiden Fragen ist der Fragesteller mit schriftlicher Beantwortung einverstanden. Die Antworten werden in der Anlage abgedruckt. Damit ist dieser Geschäftsbereich erledigt.
Nunmehr ist an sich die Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen vorgesehen. Meine Herren und Damen, sind Sie einverstanden, daß wir die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz vorziehen, einerseits weil aus diesem Geschäftsbereich nur zwei Fragen vorliegen, andererseits weil Herr Staatssekretär Hermsdorf lange genug ausgeharrt hat und ihm eine kurze
Pause zu gönnen ist? Ist der Herr Kollege Arndt einverstanden? — Dann ziehe ich die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz vor.
Ich rufe die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß mehrere Bundesländer im Bundesrat eine Gesetzesinitiative zu ergreifen beabsichtigen, um das Inkrafttreten der §§ 64 und 65 des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts vom 4. Juli 1969 auf den 1. Januar 1976 zu verschieben?
Herr Staatssekretär, bitte schön!
Frau Präsident, gestatten Sie, daß ich die beiden Fragen 11 und 12 gemeinsam beantworte?
Der Herr Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe auch die Frage 12 auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung eine solche Initiative im Hinblick auf die Bedeutung der §§ 64 und 65 StGB n. F. für die Große Strafrechtsreform?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Arndt, die Bundesregierung betrachtet die Reform des Maßregelrechts im Rahmen des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts als ein Kernstück der Strafrechtsreform. Sie legt deshalb größten Wert darauf, daß das neue Maßregelrecht und damit auch die Vorschriften über die sozialtherapeutischen Anstalten und die Entziehungsanstalten so bald wie möglich in Kraft treten.
Nach Art. 7 des Zweiten Gesetzes zur Reform des Strafrechts ist für das Inkrafttreten des neuen Maßregelrechts der 1. Oktober 1973 vorgesehen. In dem Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch, der dem Hohen Hause demnächst vorgelegt werden wird, ist aus verwaltungstechnischen Gründen vorgesehen, den Zeitpunkt für das Inkrafttreten auf den 1. Januar 1974 zu verlegen.
Der Bundesregierung ist bekannt, Herr Kollege, daß es für die Länder aus personellen, finanziellen und organisatorischen Gründen sehr schwierig ist, die im Zweiten Gesetz zur Reform des Strafrechts vorgesehenen sozialtherapeutischen Anstalten bis zu diesem Zeitpunkt in genügender Zahl einzurichten. Es werden deswegen Überlegungen angestellt, wie diesen Schwierigkeiten begegnet werden kann. Hierbei wird auch an eine modifizierte Regelung im Hinblick auf das Inkrafttreten von Rechtsvorschriften gedacht. Die Bundesregierung steht wegen dieser Frage im Meinungsaustausch mit den Landesjustizverwaltungen. Entscheidungen in den Verantwortungsbereichen des Bundes und der Länder sind bisher nicht gefallen.
Ich darf noch einmal wiederholen, daß die Bundesregierung größtes Gewicht darauf legt, daß die sozialtherapeutischen Anstalten ihre Arbeit so bald wie möglich in vollem Umfange aufnehmen können.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971 8887
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Bayerl
Sie wird sich bemühen, zu einem solchen Ergebnis mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln beizutragen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt.
Ist die Bundesregierung bereit, die Erklärung des Stellvertretenden Vorsitzenden des Rechtsausschusses dieses Hauses entgegenzunehmen und den Ländern weiterzugeben, daß gegenwärtig keine Mehrheit im Deutschen Bundestag vorhanden ist, die einem entsprechenden Gesetzentwurf des Bundesrates, sollte er dort beschlossen werden, zustimmen würde?
Ganz selbstverständlich, Herr Kollege Arndt.
Weitere Zusatzfrage? — Bitte schön!
Ist die Bundesregierung auch bereit, die Länder darauf hinzuweisen, daß sie sich fast ein halbes Jahrzehnt auf die Kosten aus dem Zweiten Gesetz zur Reform des Strafrechts haben vorbereiten und einstellen können, weil ihnen der Wortlaut bekannt war, und daß es der Bundestag als einen Verstoß gegen den Grundsatz der Bundestreue ansehen würde, wenn die Länder ihre finanziellen Prioritäten nicht so setzten, daß sie in Kraft getretene Gesetze nicht verletzen?
Auch hier, Herr Kollege, antworte ich mit Ja.
Dritte Zusatzfrage!
Ist die Bundesregierung bereit, die Länder darauf aufmerksam zu machen, daß die Neuordnung des Strafrechts das Ziel hat, die Kriminalität in diesem Lande wirksamer als bisher zu bekämpfen und damit auch für die Volkswirtschaft die von dieser Kriminalität verursachten finanziellen und wirtschaftlichen Schäden auf lange Sicht und auch auf kürzere Distanz zu senken?
Ja, Herr Kollege.
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Kollege!
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, sprachen Sie eben davon, Sie wollten die Länder mit den Ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen. Welche Mittel wird die Bundesregierung hierfür einsetzen?
Herr Kollege, natürlich keine finanziellen Mittel. Sie wissen, daß das nach unserer Finanzverfassungsordnung nicht geht.
Keine Zusatzfrage.
Der Herr Abgeordnete Rollmann hat um schriftliche Beantwortung seiner Frage 13 gebeten.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Dr. Bayerl!
Ich rufe jetzt die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen auf. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hermsdorf anwesend. Frage 14 des Herrn Abgeordneten Kaffka:
Hält es die Bundesregierung für richtig, daß — wie in einer Anzeige des HUK-Verbandes behauptet wird — das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen die KfzVersicherer für die am 1. August 1971 erfolgte Prämienerhöhung angewiesen hat, auch von den Versicherungsnehmern, die ihre vertraglich vereinbarte Leistung bereits erbracht hatten, anteilig die erhöhte Prämie zu verlangen?
Bitte schön!
Frau Präsidentin, vielleicht gestatten Sie mir zunächst eine Bitte an die verehrten Kollegen dieses Hohen Hauses. Sie wissen, daß ich heute in der Fragestunde zum erstenmal das Ressort Wirtschaft aus unserem Hause vertrete. Wenn das etwas holprig geschehen sollte, bitte ich um Ihre gütige Nachsicht. Ich verspreche von vornherein Besserung.
Ich komme jetzt zu der Antwort auf die Frage des Abgeordneten Kaffka. Es trifft nicht zu, daß das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen die Kraftfahrzeugversicherungsunternehmen angewiesen hat, die am 1. August 1971 erfolgte Prämienerhöhung auch anteilig von den Versicherungsnehmern zu verlangen, die bereits durch Zahlung einer Jahresprämie über den 1. August hinaus ihre Verpflichtungen für eine längere Versicherungsperiode erfüllt hatten.
Richtig ist vielmehr, daß die Versicherungsunternehmen bei den Genehmigungsbehörden beantragt hatten, die Prämienerhöhung zum 1. August 1971 anteilig für alle Verträge zu genehmigen, d. h. auch für die Verträge, für die bereits vor diesem Zeitpunkt Versicherungsleistungen für einen späteren Zeitraum erbracht waren.
Allerdings hat das BAV bei vorausgegangenen Gesprächen, unter anderem bei einer Anhörung von Sachverständigen am 30. Juni 1971, zu erkennen gegeben, daß es aus Gründen der gleichmäßigen Behandlung aller Versicherungsnehmer die sofortige Anpassung auch der laufenden Versicherungsverträge an das gestiegene Schadenniveau für gerechtfertigt halte. Dementsprechend ist auf Antrag der Versicherungsunternehmen in die Tarifbestimmungen folgende Vorschrift aufgenommen worden:
Für Verträge, die am 1. August 1971 bestehen,
gelten die zu diesem Zeitpunkt in Kraft gesetz-
8888 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971
Parlamentarischer Staatssekretär Hermsdorf
ten Tarifänderungen auch für den noch nicht
abgelaufenen Teil des Versicherungsjahres.
Rechtsgrundlage für diese Anträge und Genehmigungen ist § 10 des Pflichtversicherungsgesetzes, der folgenden Wortlaut hat:
Wird die Änderung eines Tarifs genehmigt, so findet der geänderte Tarif auch auf die in diesem Zeitpunkt bestehenden Versicherungsverhältnisse vom Beginn der nächsten Versicherungsperiode ab Anwendung, es sei denn, daß in dem Tarif oder bei der Erteilung der Genehmigung etwas anderes bestimmt wird.
Durch diese Genehmigung der sofortigen Wirksamkeit der Tarifänderung konnte das Ausmaß der Prämienerhöhung niedriger gehalten werden, als wenn die Prämienerhöhung im Einzelfall erst zu einem späteren Zeitpunkt, unter Umständen nach mehr als zehn Monaten, wirksam geworden wäre. Gleichzeitig wurde damit die in den letzten Jahren immer häufiger zu beobachtende Praxis unterbunden, den Beginn des Versicherungsjahres willkürlich auf die letzten Tage des Kalenderjahres zu verlegen, um Prämienerhöhungen, die zum 1. Januar eines Jahres wirksam geworden sind, möglichst lange auszuweichen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kaffka.
Herr Staatssekretär, welche Schritte gedenkt die Bundesregierung für den Fall zu unternehmen, daß in dem vom Deutschen Versicherungsschutzverband initiierten Musterprozeß die Unrechtmäßigkeit dieser Maßnahme klargestellt wird? Würde sie dann z. B. dafür Sorge tragen, daß den Versicherungsnehmern die zu Unrecht gezahlten Prämien zurückgezahlt werden?
Der Bundesregierung ist bekannt, daß ein derartiger Prozeß schwebt. Solange kein rechtskräftiges Urteil ergangen ist, kann die Bundesregierung zum Gegenstand des Rechtsstreites jedoch nicht Stellung beziehen. Ihre Frage, Herr Abgeordneter, kann deshalb hier und heute nicht beantwortet werden.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung in diesem Zusammenhang dafür Sorge tragen, daß durch individuelle Tarifgestaltung Marktabsprachen verhindert werden, die für einzelne Versicherungsunternehmen schließlich zu Kartellrenten führen würden?
Wir werden versuchen, diesem Gesichtspunkt und Ihrem Anliegen Rechnung zu tragen. Ich kann mich noch nicht festlegen, in welcher Weise das geschehen wird.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten van Delden.
Herr Staatssekretär, vorhin wurde hier der schwebende Prozeß erwähnt. Ist die Bundesregierung generell bereit, beim Aufsichtsamt darauf hinzuwirken, daß vor künftigen Tarifgenehmigungen mehr als bisher Alternativvorschläge geprüft werden? Ich nenne beispielsweise hinsichtlich der Autokaskoversicherung das schwedische Modell, das auf eine Begünstigung sogenannter reparaturfreundlicher Wagen hinausläuft.
Herr Kollege, ich kenne die Praxis, wie das bisher gehandhabt worden ist, nicht. Ich halte es aber von der Sache her für absolut notwendig, daß solche Alternativvorschläge vorgelegt und geprüft werden.
Eine weitere Zusatzfrage? Tut mir leid. Aber es kommt noch eine Frage hierzu, vielleicht geht es dann.
Ich rufe auf die Frage 15 des Abgeordneten Kaffka:
Hat die Bundesregierung auf Grund des Gutachtens des Forschungsinstituts für Wirtschaftspolitik an der Universität Mainz über „Möglichkeiten zur Verstärkung des Wettbewerbs im Bereich der Kfz-Versicherung" die Absicht, die Genehmigungspflicht in der Kfz-Versicherung aufzuheben, um damit auch in dieser Sparte jegliche Ansätze zu einer staatlichen Preisbildung oder die Vermutung einer solchen Handhabung für die Zukunft auszuschließen?
Herr Kollege Kaffka, das vom Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen beim Forschungsinstitut für Wirtschaftspolitik an der Universität Mainz in Auftrag gegebene Gutachten über „Möglichkeiten zur Verstärkung des Wettbewerbs im Bereich der Kraftfahrzeugversicherung" ist vom Gutachter vor einigen Wochen abgeliefert worden. Im Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen ist eine besondere Arbeitsgruppe gebildet worden, die den Auftrag hat, die Möglichkeiten für eine Neuordnung des derzeitigen Systems der Kraftfahrtversicherung zu untersuchen. Diese Arbeitsgruppe prüft zur Zeit unter anderem auch die Vorschläge des Gutachtens.
Die betroffenen Verbände und Organisationen der Versicherungswirtschaft und die „Arbeitsgemeinschaft von Versicherungsnehmern für Fragen der Kraftfahrtversicherung" — Automobilklubs usw. —, die um Stellungnahme gebeten worden sind, haben sich erst in den letzten Tagen und auch erst nur zum Teil geäußert. Deshalb ist die Meinungsbildung im Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen noch nicht abgeschlossen. Eine Entscheidung darüber, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang eine Freigabe der Tarifbindung möglich ist, kann im übrigen auch nur gemeinsam mit dem für das Pflichtversicherungsgesetz federführenden Bundesminister der Justiz und den übrigen beteiligten Ressorts getroffen werden.
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Parlamentarischer Staatssekretär Hermsdorf
Bei dieser Sachlage ist eine abschließende Erklärung über die zukünftige Regelung für die Tarife in der Kraftfahrzeugversicherung verständlicherweise noch nicht möglich. Bei der Schwierigkeit und Vielseitigkeit der damit verbundenen Fragen ist auch nicht damit zu rechnen, daß bereits in den nächsten Wochen eine Entscheidung in der einen oder anderen Richtung getroffen werden kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kaffka.
Darf ich trotzdem eine Frage ansprechen, die vielleicht wichtig werden könnte. Beabsichtigt die Bundesregierung, die Versicherungsaufsicht dahin gehend zu verstärken, daß die Schadensrückstellungen und die Abwicklung dieser Rückstellungen intensiver überprüft werden können?
Ich bin überfordert, wenn ich Ihnen sagen sollte, daß die Bundesregierung dies beabsichtige. Ich halte aber den Gedankengang, den Sie hier aufbringen, für schlüssig und werde mich bemühen, festzustellen, wieweit die Bundesregierung Ihrem Anliegen nachgehen kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten van Delden.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie vorhin freundlicherweise erklärt haben, daß Sie diesen Bereich neu vertreten, was wir selbstverständlich —
— nein, gerade nicht, sondern war wir respektieren; da haben Sie mir etwas Falsches unterstellt —, was wir respektieren, und nachdem Sie vorhin freundlicherweise gesagt haben, Sie seien der Auffassung, daß man dem Gedanken der Prüfung von Alternativvorschlägen nachgehen sollte, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß das Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen der Dienstherr des Aufsichtsamtes ist, und darf Sie bitten, daß der Dienstherr sich der Frage des Schutzes der Versirungsnehmer einmal annimmt; denn die Versicherungsnehmer sind der Auffassung, daß das Aufsichtsamt eher ein verlängerter Arm der Versicherer ist und den zweiten Teil der Aufgabe weniger wahrnimmt.
Ich halte es für dringend notwendig, daß wir und die Aufsichtsbehörde sich des Schutzes der Versicherungsnehmer annehmen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rule auf die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Wolfram. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Ebenfalls die Frage 17 des Herrn Abgeordneten Wolfram.
Die Fragen 18 und 19 des Herrn Abgeordneten Pohlmann sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider auf:
1st die Meldung der Zeitschrift „test" vom November 1971 zutreffend, wonach das Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen beabsichtige, ähnlich der Verkehrssünderkartei in, Flensburg bei dem Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft in Frankfurt eine Zentralkartei für „sündige" Kaufleute einzurichten?
Herr Kollege Schneider, die Meldung bezieht sich auf den im Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen erstellten Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Titels X und anderer Vorschriften der Gewerbeordnung. Hiernach soll im Zusammenhang mit der vorgesehenen Umwandlung von Vergehen geringeren Unrechtsgehalts und von Übertretungen in Ordnungswidrigkeiten ein Gewerbezentralregister eingerichtet werden. In dieses Register sollen gewerbebezogene Ordnungswidrigkeiten sowie Verwaltungsentscheidungen, durch die die Ausübung eines Gewerbes untersagt, eine Erlaubnis versagt oder zurückgenommen worden ist, eingetragen werden. Die zentrale Erfassung der genannten Verwaltungs- und Bußgeldentscheidungen dient dem Zweck, den zuständigen Behörden das erforderliche Material für gewerberechtliche Maßnahmen gegen unzuverlässige Gewerbetreibende zur Verfügung zu stellen. Damit wird die Lücke geschlossen, die dadurch entsteht, daß die genannten Vergehen und Übertretungen in Ordnungswidrigkeiten umgewandelt werden und deshalb nicht mehr im Strafregister bzw. ab Januar 1972 im Bundeszentralregister erfaßt werden. Durch die Errichtung des Gewerbezentralregisters wird gleichzeitig ein Beitrag zur wirksameren Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität geleistet.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist den Betroffenen die Möglichkeit gegeben, jederzeit in die Kartei Einsicht zu nehmen?
Ich kann nicht übersehen, ob diese Möglichkeit gegeben ist. Aber ich halte es für logisch und selbstverständlich, daß man ein solches Register für die Betroffenen offenlegen muß.
Eine zweite Zusatzfrage.
8890 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971
Hei r Staatssekretär, sind sonstige Rechtsmittel vorgesehen, die einem Betroffenen an die Hand gegeben werden können?
Die Rechtsmittel sind für das vorhergehende Stadium vorgesehen, also gegen die Auferlegung der Buße bzw. des Bußgeldes. In diesem Fall bietet das allgemeine Gewerberecht selbstverständlich die Möglichkeit, einen entsprechenden Einspruch einzulegen.
Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Dr. Schneider auf:
Hält die Bundesregierung die von der Gemeinschaft zum Schutz der deutschen Sparer geschätzten realen Vermögensverluste der Sparer durch Preissteigerungen im Jahre 1971 in Höhe von 23 Milliarden DM für zutreffend?
Herr Kollege Schneider, die Bundesregierung hält derart pauschale einseitige Aussagen und Schätzungen nicht nur für unzutreffend, sondern sogar für schädlich. Sie können sich negativ auf die Sparbereitschaft der Bevölkerung auswirken und zu massiertem Nachfragedruck in bestimmten Bereichen führen. Die Stabilitätsbemühungen von Bundesregierung und Bundesbank würden noch mehr erschwert, wenn auf Grund solcher — mehr als angreifbarer — Schätzungen unsere anhaltend hohe Sparquote beeinträchtigen würde.
Ich kann nur wiederholen, was die Bundesregierung auf die Vielzahl der Anfragen der Opposition zu diesem Thema gesagt hat, nämlich, daß zum Sparen auch der Zinsertrag gehört und daß dieser bei längerfristigen Anlagen trotz der Beschleunigung des Preisanstiegs noch immer zu einer beachtlichen Realverzinsung führt.
Die Beeinträchtigung der Kaufkraft des Geldvermögens wird also bei längerfristigen Anlagen nicht nur überkompensiert, sondern der Realwert von Vermögen einschließlich Zinsertrag steigt. Zusätzlich fließen dem langfristigen Sparer durch Spar- und Bausparprämien, Leistungen nach dem Dritten Vermögensbildungsgesetz und durch Steuerverzicht — hier Sonderausgabenabzug für Lebensversicherungsprämien und Bausparen — erhebliche Einkommensübertragungen zu.
Nur bei Spareinlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist liegt die Realverzinsung zur Zeit niedriger. Solche Spareinlagen werden jedoch eher unter Liquiditätsgesichtspunkten gehalten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß nicht nur die hier angeführte Stelle die Behauptung erhoben hat, daß bei den Sparern weit über 20 Milliarden DM Verluste innerhalb der letzten zwölf Monate eingetreten sind?
Ich kann mir nicht vorstellen, daß das der Bundesregierung nicht bekannt war oder ist; denn wir führen in diesern Hause seit über einem halben Jahr über diesen Punkt Debatten. Selbstverständlich ist der Bundesregierung das bekannt.
Eine zweite Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung bereit, die jetzt in sehr gedrängter Form und in aller Kürze gegebene Antwort detaillierter zu geben, insbesondere angesichts der Tatsache, daß es zahlreiche Wirtschaftsforschungsinstitute gibt, die die gleiche Auffassung wie die Gemeinschaft zum Schutz der deutschen Sparer vertreten haben?
Herr Kollege Schneider, man kann sich selbstverständlich bemühen, diesen Punkt im einzelnen noch mehr zu begründen, als ich das gemacht habe. Aber ich verweise doch auf die vielen Debatten, die wir zu dieser Frage geführt haben, teilweise auch auf die unterschiedlichen Ausgangspunkte in der Betrachtungsweise dieser Frage.
Ich bin nicht sicher, ob Ihnen damit gedient ist, wenn die Bundesregierung jetzt im einzelnen noch einmal darstellt, wie die reale Verzinsung aussieht, sondern es muß uns eigentlich allen damit gedient sein, wenn die Bundesregierung weiterhin wie bisher versucht, mit konjunkturpolitischen Maßnahmen preisdämpfend zu wirken und damit den inflationistischen Trend in den Griff zu bekommen und so zu einer realen Verzinsung zurückzufinden.
Eine Zusatzfrage für Herrn Abgeordneten Breidbach.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie die Höhe der 23 Milliarden angezweifelt und darauf hingewiesen haben, daß es sich offensichtlich um eine pauschalierte Betrachtung handele, möchte ich Sie fragen, ob denn nicht im Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen schon nichtpauschalierte Betrachtungen angestellt worden sind und welche Höhe die Bundesregierung auf Grund ihrer eigenen Berechnungen beim Schwund einrechnen würde.
Ich kann hier keine genaue Zahl nennen. Ich bin im Augenblick überfordert. Ich bin gern bereit, Ihnen hierüber eine schriftliche Mitteilung zu machen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Vogt.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, wie Sie ihre Behauptung begründen,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971 8891
Vogt
daß die Angaben, auf die sich der Kollege Dr. Schneider bezogen hat, anfechtbar seien?
Herr Kollege Dr. Schneider hat nicht schlüssig nachweisen können — und zwar auch nicht in der Frage —, wie er zu diesen 23 Milliarden kommt.
Wir haben aber hier von den unterschiedlichsten Institutionen und auch von den unterschiedlichsten Richtungen unterschiedlichste Zahlen. Ich bin gar nicht so sicher, ob Sie letzten Endes eine Zahl zugrunde legen können, die für alle verbindlich ist. Hier wird es je nach Ausgangsbasis sicher sehr unterschiedliche Bewertungen geben, und ich glaube nicht, daß wir in diesem Punkt eine für alle schlüssige Zahl haben werden.
Keine Zusatzfrage mehr. Ich rufe auf die Fragen 22 und 23. Die Fragen werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
— Tut mir leid, es war zu spät. Die Frage war abgeschlossen. Ich habe es nicht gesehen. Dann müssen Sie ein bißchen früher kommen; es tut mir leid.
Ich rufe die Frage 24 des Herrn Abgeordneten Fuchs auf:
Stimmt die Bundesregierung der Auffassung des Sachverständigenrats der Bundesregierung für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zu, daß der Abschwung der Wirtschaft und die Einleitung eines neuen Aufschwungs besonders geeignet sind, die beabsichtigte regionale Strukturpolitik durchzusetzen?
Herr Dr. Fuchs, dem Gutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist eine Auffassung, wie sie von Ihnen genannt wird, nicht zu entnehmen. Es zieht daher für die bestehende konjunkturelle Situation nur in Betracht, die Mittel für die laufenden regionalen Aktionsprogramme zu erhöhen und InfrastrukturInvestitionen in konjunkturempfindlichen Regionen, die dort ohnehin vorgesehen sind, zeitlich vorzuziehen. Ich bitte doch, dafür Verständnis zu haben, daß ich jetzt nicht zu einzelnen Teilen des Gutachtens Stellung nehmen möchte. Die Bundesregierung nimmt im Jahresbericht Anfang nächsten Jahres zum Sachverständigengutachten im einzelnen Stellung.
Eine Zusatzfrage bitte schön!
Aber, Herr Staatssekretär, Sie stimmen mir also zu, daß die derzeitige Phase in der Wirtschaftsentwicklung besonders geeignet ist, um strukturverbessernde Maßnahmen durchzuführen?
Ich würde sehr vorsichtig sein, Ihnen hier generell zuzustimmen. Sie lachen, Kollege Breidbach. Ich will es gleich begründen, warum. Die Konjunkentwicklung verläuft weder regional oder sektoral gleichmäßig. Wir haben sektoral und auch regional sehr unterschiedliche Entwicklungen, und es kann und muß meiner Ansicht nach Aufgabe der Regierung oder des Bundeswirtschafts- und -finanzministers sein, hier genau zu beobachten, wo sektoral und regional die Entwicklung so weit ist, daß man eventuell anfangen muß, sie mit bestimmter Dosierung zu beeinflussen.
Ich will hier einen Punkt als Beispiel nennen, wie wir das praktiziert haben. Als wir sahen, daß im Tiefbau die Entwicklung viel schlechter ging, als anzunehmen war, haben wir von uns aus versucht, die Bindungsermächtigungen, die im Haushalt für 1972 ausgewiesen sind, im November dieses Jahres schon zu 70 %o, nämlich 750 Millionen DM, freizugeben, um sozusagen den Anschluß zu finden und gar nicht erst in das Tief hinunterzukommen. Das ist das, was ich unter Dosierung verstehe. Ich bitte deshalb, mich nicht festlegen zu wollen, wo und wie und wann die einzelnen Maßnahmen erfolgen müssen. Dies kann sehr unterschiedlich sein. Es muß hier nur genau beobachtet werden, und man darf es nicht erst so weit kommen lassen, daß man herunterrasselt, weil dann die Geschichte viel teurer wird.
Eine Zusatzfrage.
Sie geben also zu, daß auf jeden Fall ein differenzierter, je nach den Schwerpunkten geballter Einsatz der Mittel erforderlich ist?
Das war bisher die Praxis im Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen, und sie wird weiter fortgesetzt.
Eine Zusatzfrage, bite schön, Herr Kollege!
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, bei ihren Überlegungen, wirtschaftlich schwache Räume, wie beispielsweise das Zonenrandgebiet, den Raum Braunschweig, Wolfsburg und Salzgitter, der in wesentlichen Produktionssektoren bis zu 80 % exportabhängig ist, bei konjunkturellem Rückgang abzustützen, wenn es um Förderung von Straßenbaumaßnahmen geht, dem größten Autoproduktionswerk Europas, dem VW-Werk, endlich eine direkte Verbindung zur Autobahn zu schaffen?
Herr Kollege, es tut mir außerordentlich leid, Sie können mich hier nicht darauf festlegen, für einen bestimmten Raum jetzt etwas zu tun. Dies kann nur
8892 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971
Parlamentarischer Staatssekretär Hermsdorf
geschehen, wenn wir eine Gesamtübersicht haben und an Hand dieser Gesamtübersicht erkennen können, was an erster Stelle gemacht werden soll. Wenn ich hier eine Festlegung treffen würde, würde das gleich andere Kollegen auf die Beine bringen, die sagen: Aber bei uns ist das noch schlimmer. — Entschuldigen Sie, wenn ich mich hier nicht festlege.
Keine Zusatzfrage. — Ich rufe die Frage 25 des Herrn Abgeordneten Dr. Fuchs auf :
ist die Bundesregierung bereit, im Zeichen des konjunkturellen Rückgangs alle geeigneten Schritte zu unternehmen, um in wirtschaftlich schwachen Räumen, insbesondere im Zonenrandgebiet, durch die Bereitstellung von zusätzlichen Mitteln, besonders fur den Bundesstraßenbau, die Infrastruktur nachhaltig zu verbessern und die Wirtschaftskraft zu heben?
Die Bundesregierung beobachtet die konjunkturelle Entwicklung insbesondere auch in den Struktur- und wirtschaftsschwachen Gebieten mit großer Aufmerksamkeit. Sie wird, wenn das notwendig ist, alle geeigneten Maßnahmen des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft nutzen und hat für diesen Fall auch bereits einen Eventualhaushalt in Höhe von 2,5 Milliarden DM nicht nur aufgestellt, sondern darin auch schon deklariert, in welcher Richtung die Maßnahmen gehen sollen.
Bedeutsame Investitionen der Gemeinden, gezielt in Gebiete der regionalen Aktionsprogramme, würden aus diesem Haushalt ebenso gefördert werden wie zusätzliche Investitionsmaßnahmen bei der Deutschen Bundesbahn und auf den Gebieten des Straßenbaus, des Wasserbaus sowie der Luftfahrt, aber auch im Wohnungsbau und bei Althaussanierungen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir in etwa die Höhe angeben, in der die von Ihnen angekündigten Sondermittel zur Verfügung gestellt werden?
Ich würde jetzt nicht spezialisieren wollen. Sie wissen, daß die Höhe 2,5 Milliarden DM beträgt und daß es dann Unterteilungen für die verschiedensten Sektoren gibt. Sie wissen auch, daß das Parlament am Schluß über den Eventualhaushalt zu entscheiden hat. Die Regierung kann hier Vorschläge machen, aber letztlich hat das Parlament das Recht, eventuell anders zu verfahren und von den Vorschlägen der Regierung abzuweichen. Ich würde Sie bitten, mich heute noch nicht auf Einzelheiten hinsichtlich des Eventualhaushaltes festlegen zu wollen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, erwägt die Bundesregierung, ein Sonderprogramm, so wie im Jahre 1968, eventuell in Zusammenarbeit mit den Bundesländern und mit der Bundesanstalt für Arbeit für die besonders strukturschwachen Gebiete vorzulegen?
Man kann diesen Eventualhaushalt nur im Zusammenhang mit den Eventualhaushalten der einzelnen Bundesländer sehen. Es wäre eine schlechte Politik, wenn man die Programme nicht gegenseitig miteinander abstimmte. Nur dadurch kann man den Effekt erreichen, der notwendig ist.
Keine Zusatzfrage. — Ich rufe die Frage 26 des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt auf:
Hält es die Bundesregierung mit dem Sinn und Zweck des Berlinförderungsgesetzes vereinbar, daß in der Rechtsform einer GmbH & Co KG betriebene Leasing-Gesellschaften, die sich mit der Vermietung von Antiquitäten und ähnlichen Wirtschaftsgittern in Berlin befassen, ihren Kommanditisten Verlustzuweisungen über 200 v. H. versprechen können?
Ich darf die beiden Fragen, wenn es möglich ist, zusammen beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 27 auf:
Wenn die vorstehende Frage verneint wird, gedenkt die Bundesregierung gegen eine solche Ausnutzung des Berlinförderungsgesetzes Maßnahmen zu ergreifen, und welche Maßnahmen kommen hierfür in Betracht?
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß es nicht der Sinn und Zweck des Berlinförderungsgesetzes ist, die Gründung von Leasing-Gesellschaften zu fördern, die sich mit der Vermietung von Antiquitäten und ähnlichen Wirtschaftsgütern in Berlin-West befassen. Sie wird deshalb mit dem Senat von Berlin prüfen, ob sich durch eine dem Sinn und Zweck des Gesetzes entsprechende Auslegung ausschließen läßt, daß in derartigen Fällen unvertretbare Steuervorteile erzielt werden.
Schon jetzt kann jedoch festgestellt werden, daß für Wirtschaftsgüter, die an private Haushalte vermietet werden, weder erhöhte Absetzungen nach § 14 noch Investitionszulagen nach § 19 des Berlinförderungsgesetzes gewährt werden, weil es in diesen Fällen an der Voraussetzung fehlt, daß die Wirtschaftsgüter mindestens drei Jahre lang in einer Berliner Betriebsstätte verbleiben.
Ob sich für die Vermietung von Antiquitäten im betrieblichen Bereich in Berlin ein ausreichender Markt finden wird, erscheint mir zweifelhaft. Es wird deshalb insbesondere geprüft werden, ob die von den Leasing-Gesellschaften erworbenen Antiquitäten tatsächlich an Berliner Unternehmen vermietet oder nur auf Lager gehalten werden, um sie nach Ablauf der Sperrfrist von drei Jahren auch
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außerhalb von Berlin zu vermieten oder zu veräußern. Soweit letzteres der Fall ist, scheiden die Steuervergünstigungen des Berlinförderungsgesetzes gleichfalls aus.
Sollte eine zufriedenstellende Lösung im Verwaltungsweg nicht erreicht werden können, wird die Bundesregierung zur Vermeidung einer unerwünschten Ausnutzung des Berlinförderungsgesetzes die Möglichkeit einer Gesetzesänderung prüfen.
Zusatzfrage.
Widerspricht nicht der Begriff der Antiquität überhaupt dem Begriff des abnutzbaren Wirtschaftsguts in einer Betriebsstätte?
- Ich habe das als eine Auffassung angesehen. Nach meiner Meinung liegt darin ein Widerspruch.
Keine Zusatzfrage.
Die Fragen 28 und 29 sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 30 des Herrn Abgeordneten Meinike auf:
Sind Verlautbarungen richtig, daß die Bestimmung des § 164 a
der Reichsabgabenordnung keine Anwendung mehr findet?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Meinike, die Frage ist im Prinzip mit Nein zu beantworten. Die Verwaltung hat gesetzliche Vorschriften bis zu ihrer Aufhebung anzuwenden. § 164 a der Abgabenordnung verbietet den öffentlichen Hinweis auf mögliche Tricks, Schliche oder Kniffe, mit denen steuerliche Vorschriften umgangen werden können. Zulässig ist jedoch der Hinweis auf durch Gesetz oder Verordnung ausdrücklich vorgesehene Steuervergünstigungen. Es ist auch erlaubt, unter Hinweis auf solche legale Steuerersparnismöglichkeiten Kunden zu werben. Dies geschieht z. B. in großem Umfang bei der Werbung der Versicherungsgesellschaften und der Bausparkassen.
Die praktische Bedeutung des § 164 a ist allerdings geringer geworden, seitdem im Jahre 1956 eine früher bestehende Strafvorschrift gestrichen wurde. Verstöße gegen § 164 a der Abgabenordnung sind in der Regel zugleich als unlauterer Wettbewerb anzusehen. Die Behörden der Finanzverwaltung machen deshalb in geeigneten Fällen die Industrie- und Handelskammern auf solche verbotenen Werbemaßnahmen aufmerksam, um diese zum Eingreifen zu veranlassen. Wegen der geringen praktischen Bedeutung des § 164 a für das Steuerrecht wurde diese Vorschrift nicht mehr in den Entwurf der Abgabenordnung aufgenommen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Meinike.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie unter Hinweis auf Zeitungsanzeigen, die die Möglichkeit anpreisen, Sonderabschreibungen von 150 und mehr Prozent vorzunehmen, fragen, ob Sie gegenwärtig noch beabsichtigen, gegen diese Zeitungen vorzugehen?
Ich würde so formulieren wollen: Im Augenblick besteht nicht die Absicht, dagegen vorzugehen. Ich gebe Ihnen aber zu, daß dies in letzter Zeit ein Ausmaß angenommen hat, daß die Bundesregierung die Möglichkeit, in absehbarer Zeit erneut dagegen vorzugehen, sich ernsthaft überlegen muß.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß die von mir genannten Beispiele wie auch die Frage des Kollegen Dr. Schmidt zuvor eigentlich erneut die Dringlichkeit einer Durchforstung von Steuervergünstigungen unterstreichen?
Das versuchen wir sowieso bei der Steuerreform zu erreichen.
Keine Zusatzfrage.
Jetzt rufe ich die Frage 37 des Herrn Abgeordneten Meinike auf, die ressortmäßig hierhin gehört:
Wie beurteilt die Bundesregierung insbesondere im Hinblick auf angekündigte Betriebsstillegungen die Arbeitsplatzsituation in der westdeutschen Stahlindustrie?
Herr Staatssekretär, bitte!
Im Augenblick deuten sämtlichen wesentlichen Konjunturdaten auf eine allgemeine Beruhigung der wirtschaftlichen Aktivität hin. In einer solchen Situation gibt es in den unterschiedlichen Branchen sehr differenzierte Erscheinungen. So hält in bestimmten Branchen der Boom noch an, in einigen kommt es zur Normalisierung, und in bestimmten Branchen wird es besonders schwierig. Letztere geraten schon bei der Normalisierung der gesamten wirtschaftlichen Aktivität in einen nicht mehr ganz normalen Abschwung.
Zu diesen Branchen gehört insbesondere die Stahlindustrie. Die jetzige Arbeitsmarktlage in der Stahl-
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industrie ist also in erster Linie ein Ergebnis der Konjunktursituation. Zu den konjunkturellen Einflüssen kommen weitere Faktoren hinzu. Hier sind in erster Linie der starke Importdruck und der Rückgang der Exporte zu nennen. Diese Entwicklung hat noch nicht zu Stillegungen geführt, jedoch bereits zu Kurzarbeit.
Wir beobachten diese Entwicklung mit großer Aufmerksamkeit. Ich bin jedoch im Augenblick noch nicht in der Lage, hier bereits konkrete Maßnahmen zu nennen, die erforderlich wären, um Abhilfe zu schaffen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Meinike.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie unter Hinweis auf bekanntgewordene Ankündigungen von Betriebsstillegungen, die den Rahmen von tausend und mehr Arbeitsplätzen erreichen, fragen, ob dann, wenn es sich in der Tat um leistungsfähige wirtschaftliche Anlagen handelt, die stillgelegt werden sollen, diese Unternehmerentscheidungen mit der im Grundgesetz verankerten Sozialpflichtigkeit des Eigentums vereinbar sind.
Dies kann nur von Fall zu Fall beantwortet werden. Ich von mir aus kann darauf hier keine schlüssige Antwort geben. Ich kann Ihnen nur sagen, daß wir diese Dinge mit großer Aufmerksamkeit verfolgen. Bei dem, was Sie jetzt erwähnt haben, handelt es sich um Androhungen. Auch hier muß genau überlegt werden, ob diese Androhungen an die Voraussetzungen gebunden sind, die ich hier genannt habe, oder ob sie über diese Voraussetzungen hinausgehen. Ob sie über diese Voraussetzungen hinausgehen und den Tatbeständen entsprechen, die Sie genannt haben, kann ich beim besten Willen von dieser Stelle aus nicht sagen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Darf ich Sie fragen, ob Sie dann, wenn ich Ihnen diese Informationen zustelle, prüfen werden, welche konkreten Maßnahmen die Bundesregierung vor allen Dingen im Bereich der regionalen Strukturpolitik ergreifen wird, um den Städten, die ja von derartigen Entscheidungen in ihrer Existenzfähigkeit tatsächlich schwer getroffen werden, zu helfen.
Selbstverständlich werden wir die Informationen, die Sie uns geben, prüfen. Zu welchen Entscheidungen wir dann kommen werden, kann ich heute noch nicht sagen; das kann ich erst nach den Prüfungen tun.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Breidbach.
Herr Staatssekretär, steht nicht, da Sie auf die Ursachen — nämlich auf den Rückgang des Exports und auf den Importdruck — hingewiesen haben, die Befürchtung an, daß der von Ihnen ja offensichtlich gewünschte Konjunkturrückgang in diesen monostrukturierten Bereichen im Ruhrgebiet, vielleicht in Baden-Württemberg usw., die ja bei dem Stichwort „Stahlindustrie" hauptsächlich angesprochen sind, in eine Strukturkrise umschlägt?
Ich habe dies nicht einmal bestritten. Wenn Sie mir genau zugehört haben, wissen Sie, daß ich einerseits die konjunkturelle Situation und andererseits das, was an Importdruck- und Exportverlust auf uns zukommt, angesprochen habe. Aber in Fortsetzung der Debatte von heute morgen — und darauf wollen Sie wohl hinaus, Herr Breidbach — möchte ich sagen, daß dies nun wirklich keine hausgemachte Angelegenheit ist. Sie kennen die Maßnahmen der Amerikaner, und Sie kennen den Druck, mit dem Japan und auch Ostblockländer im Augenblick auf dem Stahlsektor hier auf unseren Markt kommen. Das wissen Sie ganz genau, und Sie können also nicht von vornherein sagen: ätsch! ätsch! So geht es also nicht.
Wir können diese Dinge nur beobachten und können uns überlegen, zu welchen Gegenmaßnahmen wir kommen. Und wir überlegen uns, zu welchen Gegenmaßnahmen wir kommen. Aber auch dies ist erst dann zu machen, wenn wir — wie z. B. heute — Ergebnisse an der Währungsfront haben und wenn wir durch diese Ergebnisse an der Währungsfront dann wahrscheinlich auch zu einer anderen Import- und Exportsituation kommen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Vogt.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß Unternehmer, wenn sie leistungsfähige Betriebseinheiten stillegen, dies tun, weil sie keinen Absatz mehr für die Produkte dieser leistungsfähigen Betriebseinheiten sehen, und würden Sie mir weiter zustimmen, daß dieser Fall nichts mit der Frage der Sozialpflichtigkeit des Eigentums zu tun hat?
Ich möchte die Fragen in zwei Gruppen unterteilen. Im ersten Punkt, nämlich wann Unternehmer Betriebsstillegungen vornehmen, bin ich der Auffassung, daß das, was Sie gesagt haben, der Normalfall ist. Ich kann nicht ausschließen, daß es auch andere Fälle gibt; aber ich gehe hier vom Normalfall aus, und da stimme ich Ihnen zu.
Was die Sicherheit und die Sozialpflicht angeht, so bin ich davon überzeugt, daß in der Mehrzahl
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der Fälle sehr darüber gewacht wird, daß die Sozialpflicht nicht verletzt wird. In dem Augenblick, wo sie verletzt wird, ist dies nicht nur eine Frage des Einschreitens der Regierung; vielmehr bin ich ganz sicher, daß dann auch von seiten des Betriebsrats Alarm geschlagen wird.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, unter den von Ihnen genannten Voraussetzungen das mit den Ländern abgesprochene regionale Strukturprogramm noch einmal zu überprüfen?
Herr Kollege, das werden wir sozusagen bis zur Verabschiedung überprüfen. Bis zur Verabschiedung können sich immer noch neue Gesichtspunkte ergeben, die zu einer Veränderung zwingen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jahn.
Herr Staatssekretär, die Lage in der Stahlindustrie ist der Bundesregierung seit Monaten bekannt. Sie haben soeben gesagt, es würden Maßnahmen ergriffen. Können Sie uns auch sagen, wann die Überlegungen, Maßnahmen zu ergreifen, bei der Bundesregierung abgeschlossen sein werden?
Ich muß Sie leider enttäuschen. Schon in Ihrer Frage liegt eine falsche Behauptung. Die Lage der Stahlindustrie ist nicht seit Monaten so, sondern die gibt es erst in den letzten Wochen, und sie spitzt sich zu, aber nicht seit Monaten.
- Sie können ruhig abwinken. Herr Breidbach, das ist sehr unterschiedlich. Auch ich verstehe einiges davon, und ich kenne einige Stahlindustriefirmen sehr genau. Also das ist nicht seit Monaten
so.
Außerdem müßten Sie hinzufügen, daß die Stahlindustrie zu einer bestimmten Zeit einen solchen Schluck aus der Pulle genommen hat, daß sie durchaus über ein gewisses Polster verfügt und damit Durststrecken überwinden kann. Dieses Überwinden von Durststrecken gehört auch zur unternehmerischen Leistung.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Haben Sie vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hermsdorf.
Stimmen Pressemeldungen, wonach die Bundesregierung vorerst keine Mittel für Modellversuche zur Bewegungspause am Arbeitsplatz zur Verfügung stellen wird?
Frau Präsidentin, ich möchte die beiden Fragen gern wegen des Sachzusammenhangs zusammen beantworten.
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe auch die Frage 2 auf:
Wenn ja, was veranlaßt die Bundesregierung, entgegen der Aussage des Parlamentarischen Staatssekretärs Dorn vom 18. Juni 1971 keine Mittel für derartige Modellversuche bereitzustellen?
Pressemeldungen, nach denen die Bundesregierung vorerst keine Mittel für Modellversuche zur Bewegungspause am Arbeitsplatz zur Verfügung stellen wird, treffen in dieser Allgemeinheit nicht zu.
Am 14. Oktober 1971 haben im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit Vertreter des Deutschen Sportbundes ihre Vorstellungen zur Bewegungspause am Arbeitsplatz vorgetragen. Das Ministerium hat seine Bereitschaft erklärt, die Bemühungen zu diesem Projekt in ideeller Hinsicht zu unterstützen. Darüber hinaus hat das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit zugesagt, zu prüfen, ob es unter Berücksichtigung der Finanzierungskompetenz des Bundes und der verfügbaren Haushaltsmittel möglich ist, begleitende wissenschaftliche Untersuchungen finanziell zu fördern. In einem weiteren Gespräch sollen insbesondere klar strukturierte Pläne zu den wissenschaftlichen Untersuchungen und methodische Fragen erörtert werden. Nach Abschluß der Besprechungen soll ein Antrag auf Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt gestellt werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hussing.
Herr Minister, treffen Pressemeldungen zu, wonach die Gesundheitsministerin Käte Strobel entgegen der im Bundestag am 18. Juni 1971 gegebenen Versprechen vorerst die Gewährung von Mitteln abgelehnt hat?
Ich muß der Antwort, die mit dem anderen Haus abgestimmt ist, entnehmen, daß das in einem absolut ablehnenden Sinne nicht verstanden werden kann. Aber es entspricht der gründlichen Arbeit der Bundesregierung, daß sie in so wichtigen Fragen erst nach gründlicher Vorklärung die Entscheidungen trifft. Ich vermute, daß Frau Kollegin Strobel im Augenblick eben diese gründliche Vorklärung herbeizuführen im Begriffe ist.
Eine zweite Zusatzfrage.
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Herr Minister, können Sie eine Summe angeben, die zu der von Ihnen angegebenen Zeit eventuell zur Verfügung gestellt wird? Ist da etwas fixiert?
Auch insoweit wäre ich leichtfertig, wenn ich vor Abschluß dieser gründlichen Prüfungen jetzt schon eine Summe nennen wollte, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schirmer.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß der Deutsche Sportbund den 57 interessierten Firmen, dem Deutschen Gewerkschaftsbund, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und anderen Institutionen mitgeteilt hat, daß die Bundesregierung demnächst solche stützenden Maßnahmen, wie Sie sie in Aussicht gestellt haben, nicht geben wird, und halten Sie es für zweckmäßig, daß die Bundesregierung diese so erfreuliche Aussage von Ihnen dem DSB und den Institutionen alsbald mitteilt?
Ich kann diese Ihre Frage, Herr Abgeordneter, uneingeschränkt mit Ja beantworten.
Keine weitere Frage.
Die Fragen 3, 4 und 5 werden auf Bitten der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 6 des Herrn Abgeordneten Dr. Hauser auf:
Bis wann gedenkt die Bundesregierung, den bereits seit langem erwarteten Gesetzentwurf zur Novellierung des Abhörgesetzes einzubringen, nachdem das Bundesverfassungsgericht unter dem 15. Dezember 1970 die bisherige Fassung teilweise für verfassungswidrig erklärt und die FAZ schon unter dem 11. März 1971 mitgeteilt hat, das Bundesinnenministerium bereite eine Änderung des Abhörgesetzes vor, um das Gesetz in Einklang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu bringen?
Bitte schön, Herr Minister!
Der im Bundesministerium des Innern vorbereitete Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zu Art. 10 des Grundgesetzes wird zur Zeit mit den beteiligten Bundesressorts abgestimmt. Ich hoffe, daß die Erörterungen mit den Ressorts bis zum Jahresende abgeschlossen sein werden und der Gesetzentwurf Anfang 1972 dem Kabinett zur Beschlußfassung zugeleitet werden kann.
Zusatzfrage.
Herr Minister, welche so unüberwindlich scheinenden Schwierigkeiten haben es denn bis jetzt verhindert, daß das längst fällige Gesetz hier vorgelegt wird?
Herr Abgeordneter, man kann sicher darüber streiten, ob der Begriff „längst fällig" zutreffend ist.
Wenn Sie mich aussprechen lassen würden, Herr Abgeordneter, würde das die Beantwortung der Frage abkürzen und erleichtern. — Es geht darum, in einer sehr schwierigen Rechtsmaterie eine den Vorstellungen des Bundesverfassungsgerichts entsprechende rechtsstaatliche Lösung dieser Frage zu finden. Wir hoffen, daß wir bis zum Jahresende mit den Ressortberatungen zu Ende gekommen sind. Von unüberwindlichen Schwierigkeiten, die Sie vermuten, kann in der Bundesregierung und zwischen den Ressorts in dieser Frage bis zur Stunde keine Rede sein.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Becker.
Herr Minister, könnten Sie mir sagen, ob der Ausschuß nach Art. 10 des Grundgesetzes, dessen Vorsitzender Herr Benda bislang war, an den Vorbereitungen dieser Maßnahmen beteiligt war oder ob es von dort Anregungen dazu gegeben hat?
Wir stehen wegen der möglichen Verbesserung in einer laufenden Konsultation mit den Kollegen, die in diesen Fragen tätig sind.
Keine Zusatzfrage.
Die Fragen 7 und 8 des Herrn Abgeordneten Wagner sollen auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Dr. Götz auf. — Der Fragesteller ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenfalls die Frage 10 des Abgeordneten Dr. Götz. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Damit sind wir am Ende Ihres Geschäftsbereichs, Herr Minister. Haben Sie vielen Dank!
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Logemann anwesend. Ich rufe die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Dr. Früh auf. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenfalls die Frage 32 des Herrn Abgeordneten Dr. Früh. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 33 des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz wird ebenfalls schriftlich beantwortet, auch die Frage 34 desselben Fragestellers. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Schönen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär! Die Fragen aus Ihrem Ressort sind erledigt.
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Vizepräsident Frau Funcke
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Ehrenberg zur Verfügung. Ich rufe die Frage 35 des Herrn Abgeordneten Bredl auf. — Er ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 36 des Herrn Abgeordneten Zander auf. — Er ist auch nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 37 haben wir schon bei einem anderen Ressort behandelt.
Die Fragen 38 und 39 des Herrn Abgeordneten Schmidt sind zurückgezogen.
Die Frage 40 des Herrn Abgeordneten Dr. Slotta wird auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 41 des Herrn Abgeordneten Ziegler auf. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 42 der Frau Abgeordneten Kalinke auf. — Diese Frage und die Frage 43 der Frau Abgeordneten Kalinke werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 44 des Herrn Abgeordneten Dr. Schellenberg auf. — Der Herr Abgeordnete hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Dr. Böhme auf. — Er ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenfalls die Frage 46 des Herrn Abgeordneten Dr. Böhme. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 47 des Herr Abgeordneten Wende auf:
In welcher Weise gedenkt die Bundesregierung Mißstände für Zivildienstleistende abzustellen, die, wie es in einem Fall im Bereich des Regierungspräsidiums Nordwürttemberg geschehen ist, bei der Übernahme der Unterhaltssicherung zwischen Antragstellung und positivem Bescheid Verzögerungen von bis zu acht Monaten in Kauf nehmen müssen und in dieser Zeit ernsthaft um ihre soziale Sicherung besorgt sein müssen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das Unterhaltssicherungsgesetz wird von den Ländern durchgeführt. Die Bundesregierung steht in ständiger Verbindung mit den zuständigen Landesministerien, um eine reibungslose Abwicklung der Anträge auf Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz sicherzustellen. Bisher bekanntgewordene Verzögerungen in der Bearbeitung von Anträgen beruhten im wesentlichen darauf, daß den Anträgen die erforderlichen Unterlagen nicht beigefügt waren. Die Unterhaltssicherungsbehörden helfen in diesen Fällen durch Abschlagszahlungen, wenn der Anspruch dem Grunde nach besteht.
Um diesem Fall nachgehen zu können, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir den konkreten Sachverhalt mitteilten. Über das Ergebnis meiner Ermittlungen würde ich Sie schriftlich unterrichten. Sollte sich dabei ergeben, daß bei der Entscheidung über Anträge auf Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz vermeidbare Verzögerungen eintreten, so werde ich diese Frage dann mit den Ländern erörtern.
Zusatzfrage.
Selbstverständlich lasse ich Ihnen gern die nötigen Informationen zugehen. Dennoch darf ich fragen, ob Sie mit mir der Meinung sind, daß, wenn der Fall sich nach der Prüfung so herausstellen sollte, wie er in meiner Frage angedeutet ist, es sich dann lediglich um einen bedauerlichen Einzelfall in der Abwicklung handeln würde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dem würde ich zustimmen. Aber auch diesen Einzelfall sollte man mit der zuständigen Landesbehörde besprechen.
Keine Zusatzfrage. — Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Schönen Dank, Herr Staatssekretär Ehrenberg.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Westphal. Ich rufe Frage 48 des Herrn Abgeordneten Dr. Jungmann auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es nach dem heutigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht vertretbar ist, von der Wirkung einzelner in Arzneimitteln enthaltenen Stoffe auf die generelle Unschädlichkeit und Wirksamkeit der Stoffe in einer neuen Arzneispezialität zu schließen?
Frau Präsident, ich wollte gern den Herrn Kollegen Dr. Jungmann bitten, einverstanden zu sein, daß ich beide Fragen zusammen beantworten kann.
Einverstanden. — Dann auch Frage 49:
Beabsichtigt die Bundesregierung, entsprechend den wissenschaftlichen Erkenntnissen bei der Novellierung des deutschen Arzneimittelgesetzes, insbesondere bei der Neuanmeldung von Arzneispezialitäten, den modernen Erfordernissen der Arzneimittelsicherheit und Arzneimittelwirksamkeit Rechnung zu tragen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Die Bundesregierung ist bemüht, die Sicherheit bei der Anwendung von Arzneimitteln nach den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu erhöhen. Mit diesem Ziel ist eine Änderung des Arzneimittelgesetzes beabsichtigt. Im Bundes-
8898 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971
Parlamentarischer Staatssekretär Gehlen
ministerium für .Jugend, Familie und Gesundheit liegt zur Zeit ein Referentenentwurf einer Novelle zum Arzneimittelgesetz vor. Darin ist vorgesehen, das Registrierungsverfahren, wie es jetzt bereits für Arzneimittel mit Stoffen und Zubereitungen in der medizinischen Wissenschaft nicht allgemein bekannter Wirksamkeit angewendet wird, auf alle Arzneimittel auszudehnen, die neu, d. h. nach Inkrafttreten der Novelle, in den Verkehr gebracht werden sollen. Bei diesen neuen Arzneispezialitäten ist bei der Anmeldung zur Registrierung der volle Nachweis ihrer Wirksamkeit und Unschädlichkeit zu erbringen.
In dein Entwurf der Novelle ist für Arzneispezialitäten, deren Wirksamkeit und Unschädlichkeit vorhersehbar ist, weil sie aus hinreichend erprobten Stoffen und Zubereitungen bestehen, eine Ausnahmeregelung vorgesehen. Für solche Arzneispezialitäten können an Stelle der vorgesehenen Versuche wissenschaftliche Veröffentlichungen über pharmakologische, toxikologische Wirkungen sowie über die ärztliche oder klinische Erprobung ihrer Bestandteile vorgelegt werden.
Bei der Registrierung einer Arzneispezialität, die aus bekannten Stoffen besteht, wird das Bundesgesundheitsamt allerdings eingehend prüfen müssen, ob die Kombination von bekannten Stoffen oder ihre neue quantitative Zusammensetzung nicht zu unvorhersehbaren, überraschenden Effekten hinsichtlich der Wirksamkeit und Unschädlichkeit führen kann. Insofern teile ich Ihre Ansicht, Herr Dr. Jungmann, daß aus der bekannten Wirkung einzelner Stoffe nicht generell auf die Unschädlichkeit und Wirksamkeit dieser Stoffe in einer neuen Arzneispezialität geschlossen werden kann. In einzelnen Fällen, in denen jedoch nur geringfügige Unterschiede in der quantitativen Zusammensetzung der sonst gleichen Stoffe bestehen, kann meines Erachtens die Wirksamkeit und Unschädlichkeit als vorhersehbar angesehen werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Ansicht, daß in bibliographischen Unterlagen für die Registrierung von Arzneimittelspezialitäten nicht nur Feststellungen über einzelne Versuchsergebnisse, sondern auch Prüfungsergebnisse enthalten sein sollten, aus denen hervorgeht, welche Prüfungen zu den Feststellungen geführt haben?
Ja, Herr Dr. Jungmann.
Eine weitere Zusatzfrage.
Beabsichtigt die Bundesregierung, im Rahmen der anstehenden Novellierung des Arzneimittelgesetzes die sogenannte Erste EWG-Arzneimittel-Richtlinie vom 26. Januar 1965 mit Ausnahme von Art. 24 jetzt schon zu berücksichtigen?
Wir haben versucht, dies unter dem Gesichtspunkt zu berücksichtigen, daß wir auf diese EWG- Regelung ja auch im umgekehrten Sinne, wie Sie wissen, Einfluß nehmen wollen, um Ausnahmeregelungen für bestimmte Bereiche unsererseits zu erreichen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 50, 51 und 52 werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Seefeld auf:
Entsprechen die in der Illustrierten Quick, Ausgabe 47 vom 17. November 1971, aufgestellten Behauptungen über katastrophale Mißstände in deutschen Krankenhäusern bei der Aufnahme von Notfallpatienten den Tatsachen, und wenn ja, was gedenkt die Bundesregierung zur Verbesserung der Situation zu tun?
Bitte schön!
Herr Kollege Seefeld, der Bundesregierung sind aus Presseberichten und auch aus Briefen Betroffener Unzulänglichkeiten, in Einzelfällen auch ernste Mängel in der Versorgung von Notfallpatienten bekanntgeworden. Die in dem Bericht der genannten Illustrierten dargestellten Fälle dürfen jedoch nicht verallgemeinert werden. Weder wird die Nothilfe in den meisten Krankenhäusern von „medizinischen Lehrlingen" geleistet noch ist das „Überleben in unseren Notstationen dem bloßen Zufall überlassen". Das sollte im Interesse der Tausenden von Menschen, die nachts und am Wochenende in den Krankenhäusern als Ärzte, Schwestern oder Pfleger Dienst tun, oder auch der sonstigen Mitarbeiter in Krankenhäusern hier vor dem Parlament ausdrücklich und mit Dank für ihre Arbeit festgestellt werden.
Es ist im übrigen zu hoffen, daß mit dem zur Zeit in Beratung befindlichen Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze die entsprechenden Einrichtungen der Krankenhäuser — und hier liegt die Möglichkeit des Bundes, auf diesem Gebiet zu helfen — verbessert werden können.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Seefeld.
Herr Staatssekretär, ich weiß natürlich, daß das Personalproblem nicht so ohne weiteres und nicht so leicht zu lösen sein wird. Ich frage Sie deshalb: In welcher Weise könnte denn das Krankenhausfinanzierungsgesetz für die überlasteten Ärzte in den Krankenhäusern Entlastung bieten?
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 154. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1971 8899
Herr Kollege Seefeld, zu dem ersten Teil Ihrer Frage, in welchem Sie gesagt haben, daß Sie die Schwierigkeiten im Hinblick auf das Personalproblem selbst kennen, lassen Sie mich wenigstens darauf hinweisen, daß die Bundesregierung dies schon in ihrem Gesundheitsbericht sehr ausführlich dargestellt hat. Es ist ja leider so, daß trotz des verstärkten Zugangs zu den ärztlichen und Pflegeberufen im Krankenhaus weiterhin ein ungedeckter Personalbedarf besteht, weil das Personalangebot nicht in dem gleichen Umfang gestiegen ist wie die Ansprüche an die Möglichkeiten der Krankenhausversorgung.
Zu Ihrer Frage selbst lassen Sie mich bitte sagen, daß natürlich auch hier der Bund dadurch, daß er Mittel bereitstellt, erstmalig im Hinblick auf die Mitwirkung bei den Investitionen für den Krankenhausbau Helfender sein kann. Die Einzelentscheidung darüber, welche Einrichtung gefördert wird und ob z. B. eine Notfallklinik in besonderer Weise ausgebaut wird, ist dann Sache der Länder. Wir hoffen, daß die Länder die Gelegenheit nutzen werden, auf diesen Gesichtspunkt auch in ihren Krankenhausplanungen Rücksicht zu nehmen. Wir sind ganz sicher, daß sie das tun werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jahn.
Herr Staatssekretär, verfügt die Bundesregierung über eine Übersicht darüber, in welchen Gebieten und Krankenhäusern bei der Aufnahme von Unfallpatienten vor allen Dingen Schwierigkeiten bestehen, damit bei der Gewährung der vom Bund vorgesehenen Hilfe schwerpunktmäßig vorgegangen werden kann?
Nein, Herr Kollege Jahn, über eine solche Übersicht verfügen wir nicht. Das ist eindeutig Ländersache.
Keine weitere Zusatzfrage.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der heutigen Fragestunde und zugleich am Ende unserer heutigen Sitzung. Ich berufe das Haus auf Freitag, den 3. Dezember, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.