Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich folgendes bekannt. Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom 11. November dieses Jahres mitgeteilt, das für den verstorbenen Ernst Kuntscher, Stade, Herr Franz H. Buch, Niederkassel-Mondorf , und für den Abgeordneten Ott der Abgeordnete Storm als ordentliche Mitglieder des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt benannt werden.Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit sind Herr Franz H. Buch und der Abgeordnete Storm als Mitglieder des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt gewählt.Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages von' 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen :Verordnung zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Kernforschungsstelle, die in Italien dienstlich verwendet werdenVerordnung zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Forschungsstelle, die in den Niederlanden dienstlich verwendet werden— Drucksache VI/2788 —überwiesen an den Innenausschuß und den Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates über die Lieferung von Milcherzeugnissen als Nahrungsmittelhilfe— Drucksache VI 2804 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur zeitweiligen Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für Balsamterpentinöl der Tarifstelle 38.07 A und für Kolophonium der Tarifstelle 38.08 A— Drucksache VI/2805 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates EWG über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines zusätzlichen Gemeinschaftszollkontingents für Zeitungsdruckpapier der Tarifstelle 48.01 A des Gemeinsamen Zolltarifsüber die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines zusätzlichen Gemeinschaftszollkontingents für Ferrosilizium der Tarifstelle 73.02 C des Gemeinsamen Zolltarifsüber die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines zusätzlichen Gemeinschaftszollkontingents für Ferrosiliziummangan der Tarifstelle 73.02 D des Gemeinsamen Zolltarifsüber die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung eines zusätzlichen Gemeinschaftszollkontingents für Ferrochrom, mit einem Gehalt an Kohlenstoff von 0,10 Gewichtshundertteilen oder weniger und an Chrom von mehr als 30 bis 90 Gewichtshundertteilen (hochraffiniertes Ferrochrom), der Tarifstelle ex 73.02 E I des Gemeinsamen Zolltarifs— Drucksache VI 2806 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatVerordnung des Rates zur Festlegung von gemeinsamen Vermarktungsnormen für bestimmte gefrorene SeefischeVerordnung des Rates zur Festlegung von gemeinsamen Vermarktungsnormen für Kalmare, Tintenfische und KrakenDrucksache VI2807 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Fürsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im RatWir treten in die Tagesordnung ein. Die Fragestunde wird am Ende der Sitzung abgewickelt werden. Ich rufe Punkt 6 der ausgedruckten Tagesordnung auf:
— Drucksachen VI/2649, zu VI/2649 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache VI/2814 —Berichterstatter: Abgeordneter Krampeb) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksachen VI/2787, zu VI/2787 —Berichterstatter: Abgeordneter Maucher
Berichterstatter sind der Abgeordnete Krampe und der Abgeordnete Maucher. Wollen Sie Ihren Bericht mündlich ergänzen?
— Das ist nicht der Fall; auf die mündliche Berichterstattung wird verzichtet.
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8740 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1971
Vizepräsident Dr. SchmidWir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu ist ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 242 *) angekündigt worden. Wer begründet ihn? — Der Abgeordnete Maucher hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der CDU/CSU-Fraktion darf ich darauf hinweisen, daß wir auf Grund der Finanzlage des Bundes, die zweifellos durch die inflationäre Politik der Bundesregierung verursacht worden ist, zu § 40 Abs. 2 einen Antrag, aber keine weitergehenden Anträge gestellt haben. Dieser Antrag ist so begründet, daß er nach unserer Auffassung eine Ausrede unter Hinweis auf die finanzielle Situation einfach nicht zuläßt.
Erstens. Es ist aller Welt verkündet worden, daß die Kriegsopferrenten ebenso wie die Renten aus der Rentenversicherung um 6,3 % erhöht würden. Wenn unserem Antrag nicht entsprochen wird, werden die Renten der Witwen nicht um 6,3 % erhöht. Selbst wenn dieser Antrag angenommen wird, wird dieser Prozentsatz in vielen Fällen nicht erreicht. Es ist deshalb nach unserer Auffassung den Kriegerwitwen gegenüber, die eine Schadensausgleichsrente erhalten, nicht vertretbar, diesen Antrag abzulehnen.
Wenn eingewendet wird, wir hätten früher bei der Einführung des Schadensausgleichs durch das Zweite Neuordnungsgesetz den Standpunkt vertreten, daß die Grundrenten angerechnet werden müßten, so ist dazu festzustellen, daß mit dem Zweiten Neuordnungsgesetz ein erster und entscheidender Schritt zur Einführung des Berufsschadens- und Schadensausgleichs getan worden ist, daß es aber wegen der jährlichen Anpassung in der Kriegsopferversorgung, wenn man die Schadensausgleichsrenten aller Kriegerwitwen um 6,3 % erhöhen will, logisch ist, die erhöhte Grundrente nicht zu vier Zehnteln auf den Schadensausgleich anzurechnen, zumal die Erhöhung der Ausgleichsrente und die Teilrente aus der Sozialversicherung, sofern eine solche gewährt wird, ebenfalls angerechnet werden.
Drittens. Wir haben mit Rücksicht auf die finanzielle Situation vorgeschlagen, nicht den vollen Betrag, sondern nur den über 200 DM hinausgehenden Betrag nicht anzurechnen; d. h., bei einer Erhöhung um 10 DM sollen 4 DM nicht angerechnet werden. Das sind demzufolge nicht 20, sondern etwa 16 Millionen DM. Nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion ist dieser Betrag in einem Etat von 7 Milliarden DM enthalten. Sollte man zu der Feststellung kommen, dieser Betrag sei im Etat nicht enthalten, müssen wir denselben Standpunkt vertreten, der seit Beginn der Kriegsopferversorgung im besonderen auch von der SPD herausgestellt wurde. Lesen Sie einmal die Protokolle der letzten 20 Jahre nach, und Sie werden feststellen, wie oft in den Auseinandersetzungen um die Kriegsopferversorgung das Wort „Priorität" zu finden ist. Im übrigen weise ich nochmals darauf hin, daß die CDU/CSU-Fraktion beim Zweiten Neuordnungsgesetz mit der SPD in 86 Po-
*) Siehe Anlage 2
Bitionen mehr als 500 Millionen DM zugunsten der Kriegsopfer frei gemacht hat. Es handelt sich also hier im Vergleich mit damals um einen geringen Teilbetrag.
Wenn Sie immer wieder mit dem Vorwurf kommen, die CDU/CSU-Fraktion stelle Anträge, dann erinnere ich daran, daß die Anträge der SPD beim Zweiten Neuordnungsgesetz um 1,5 Milliarden DM über der Regierungsvorlage lagen, die der FDP um 2,5 Milliarden DM über der Regierungsvorlage.
Der Bundesrat hat zu den grundsätzlichen Fragen eingehend Stellung genommen. Der Zeit wegen verweise ich darauf. Es wäre eine logische Folge, beim Vergleichseinkommen den Grundsatz der 60 % auch zugunsten der Kriegerwitwen anzuwenden. Hinzu kommt noch die Schwierigkeit bei den Witwen, deren Männer das 65. Lebensjahr vollendet hatten. Sie erfahren nicht nur keine Erhöhung, sondern sogar eine erhebliche Kürzung.
Wenn Sie alle diese Gesichtspunkte zusammennehmen, ist unser Änderungsantrag nur ein Teilantrag. Aber gegenüber den Kriegerwitwen ist es unsere Pflicht, hier wenigstens den Grundsatz der Priorität gelten zu lassen. Ich bitte deshalb um Annahme dieses Antrags.
Das Wort hat der Abgeordnete Glombig. Herr Abgeordneter Glombig wird gleichzeitig seine Ausführungen zur dritten Lesung machen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon bei der zweiten Lesung des Zweiten Anpassungsgesetzes zur Kriegsopferversorgung am 14. Juni 1970 hatten wir uns mit einem Antrag zu befassen, der dem jetzt auf Umdruck 242 vorliegen Antrag der CDU/CSU-Fraktion im wesentlichen entsprach. Damals allerdings — auch daran sollten wir uns erinnern — war der Antrag nicht von der CDU/CSU-Fraktion, sondern von einer Gruppe von Abgeordneten der Opposition gestellt worden. Nach dem damaligen Antrag sollten 180 DM Witwengrundrente auf den Schadensausgleich angerechnet werden, heute dagegen 200 DM. Ob die Heraufsetzung des anzurechnenden Betrages um 20 DM so gedeutet werden kann, daß man auch in den Reihen der CDU/CSU-Fraktion zu ahnen beginnt, welche finanziellen Folgen die teilweise oder völlige Anrechnung der Witwengrundrente auf den Schadensausgleich hätte, weiß ich nicht. Dies zu beurteilen will ich Ihnen gerne überlassen.Es steht jedenfalls fest, daß auch der jetzige Antrag erhebliche finanzielle Auswirkungen haben würde, für die die Opposition den Deckungsvorschlag wieder einmal — ich sage „wieder einmal", weil wir das am laufenden Band erleben — schuldig geblieben ist. Man kann mit so globalen Argumenten, wie sie Herr Kollege Maucher soeben vorgebracht hat, die finanzielle Deckung eines solchen Vorschlags nicht begründen.Der Opposition mag der Aufwand von nahezu 20 Millionen DM für 1972 — Herr Kollege MaucherGlombigsagte, es seien nur 16 Millionen DM — zwar gering und tragbar einscheinen. Zu bedenken ist jedoch, daß dieser Mehraufwand in den folgenden Jahren ständig steigt. Aber ganz abgesehen von der finanziellen Seite des Problems, die natürlich sehr bedeutsam ist, ist ferner daran zu denken, daß die Harmonisierung der Anpassungsvorschriften für den Berufsschadens- und den Schadensausgleich mit dem vorliegenden Gesetzentwurf beschlossen werden soll. Davon haben Sie, Herr Kollege Maucher, hier ebensogut wie nichts gesagt. Insofern möchte ich den Ausführungen des Herrn Kollegen Maucher — sie sind nicht neu; wir haben sie bereits anläßlich der ersten Lesung am 22. Oktober dieses Jahres gehört — ausdrücklich widersprechen.Herr Kollege Maucher, Sie haben behauptet, daß Kriegerwitwen, die einen Schadensausgleich erhalten, keine Erhöhung ihrer Rentenleistungen um 6,3 % erfahren, weil die Erhöhung der Grundrente beim Schadensausgleich wieder zu vier Zehnteln angerechnet wird. Bei Ihren Feststellungen dürften Sie, Herr Kollege Maucher, übersehen haben, daß mit der Berücksichtigung einer höheren Witwengrundrente auch eine Erhöhung des Vergleichseinkommens für die Berechnung des Schadensausgleichs einhergeht — das ist sehr wichtig, das sollte man in diesem Zusammenhang nicht verschweigen, sondern mit allem Nachdruck unterstreichen —, so daß Minderungen des Schadensausgleichs im allgemeinen vermieden werden. Es gibt nur ganz wenige Fälle, in denen gesagt werden kann, daß es nicht zu einer Erhöhung der Rentenleistung kommt. Das sind Ausnahmefälle. Auf Grund der neuen Vergleichsberechnung, die künftig alljährlich stattfindet, kommt die Rentenanpassung fast allen Witwen zugute.Im Jahre 1964 — meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, das muß ich insbesondere Ihnen sagen —, als der Schadensausgleich mit der Anrechnung der vollen Witwengrundrente von Ihnen konzipiert wurde, hätten Sie es vom Finanziellen her sicher viel leichter gehabt, Ihre jetzt ganz neuen und heute so nachdrücklich verfolgten Zielvorstellungen zu verwirklichen. Sie hätten diese Möglichkeit damals gehabt; denn es gab noch keine laufenden Anpassungen der Versorgungsbezüge nach dem Bundesversorgungsgesetz, die den Bundeshaushalt sehr erheblich in Anspruch genommen hätten, wie das zur Zeit der Fall ist. Wir beklagen diesen letzteren Umstand keineswegs. Im Gegenteil, wir sind froh, daß uns mit dem Ersten Anpassungsgesetz zur Kriegsopferversorgung aus dem Jahre 1970 der entscheidende Durchbruch zu einer wertbeständigen Versorgung für die rund 2,5 Millionen Kriegsopfer gelungen ist. Wir hoffen aber — und wir bitten darum, das besonders zu bedenken —, daß auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die veränderten Verhältnisse, die seit 1970 auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung eingetreten sind, verantwortungsbewußt zur Kenntnis nehmen, nicht mal eben so hin zur Kenntnis nehmen, sondern wirklich verantwortungsbewußt im Hinblick auf die finanziellen Folgen, die diese Entscheidung hat.
Die Annahme des Antrags der CDU/CSU-Fraktion hätte nämlich diese Mehraufwendungen zur Folge: für 1972 18 Millionen DM, 1973 53 Millionen DM, 1974 88 Millionen DM, 1975 128 Millionen DM. Sie können doch einen solchen Antrag nicht vorlegen, ohne sich über die Auswirkungen im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung Rechenschaft abzulegen! Wenn Sie sagen, wir hätten, seitdem die sozial-liberale Bundesregierung diese Dinge bestimmt, als Parlament nichts zur Verbesserung der Kriegsopferversorgung beigetragen, muß ich daran erinnern, daß im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung früherer Regierungen dieses Anpassungsgesetz mit seinen finanziellen Auswirkungen überhaupt nicht zu Buche geschlagen hat und nicht berücksichtigt worden ist. Hier handelt es sich um eine neue, auch finanzielle Entscheidung dieser Koalition und dieser Mehrheit im Deutschen Bundestag.
Es wäre also gut gewesen, wenn dieser Antrag mit fundierten Deckungsvorschlägen versehen worden wäre. Wir hätten diese mit besonderem Interesse studiert, weil der vorliegende Antrag ja nur ein erster Schritt auf dem Wege zur völligen Freistellung der Witwengrundrente bei der Berechnung des Schadensausgleichs sein soll. Ferner müssen wir berücksichtigen, daß dies ein erster Schritt auf dem Wege zur völligen Freistellung der Grundrente sein soll; so habe ich es jedenfalls verstanden. Wer dieses Ziel verfolgt, darf aber nicht übersehen, daß eine halbe Milliarde DM jährlich an Mehrkosten — neben den Mehrkosten auf Grund der Anpassungsgesetze — entstehen. Ich möchte Sie bitten, das auch künftig bei Ihren Anträgen in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen.Ich möchte jetzt gleich zur dritten Lesung einige wenige Ausführungen machen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion empfindet große Genugtuung darüber, daß es gelungen ist, trotz des großen Arbeitsanfalls im federführenden Ausschuß nach zügiger Beratung das Dritte Anpassungsgesetz zur Kriegsopferversorgung heute in zweiter und dritter Lesung zu verabschieden.
Wir hoffen, daß damit auch die Voraussetzungen für eine rechtzeitige Auszahlung — daran liegt uns sehr — der erhöhten Versorgungsbezüge geschaffen werden konnten.Wenn seitens der Opposition bemängelt wird, daß der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf hinsichtlich seines finanziellen Aufwandes vom Parlament nicht verändert worden ist — lassen Sie mich darauf noch einmal betont eingehen während in früheren Jahren die Regierungsvorlagen durch den Deutschen Bundestag bezüglich des Leistungsumfanges korrigiert worden seien, so muß ich hierzu folgendes feststellen. Die Vorlagen der sozialliberalen Koalition sind in ihrem Finanzvolumen bis an die Grenze des Möglichen gegangen. Sie waren ausgewogen, weil sie einerseits der vom Gesetz vorgeschriebenen Anpassung der Leistungen nachkamen, andererseits aber auch vordringliche strukturelle Änderungen zum Inhalt gehabt haben.
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8742 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1971
GlombigAuch das Ihnen zur Verabschiedung vorliegende Gesetz, das Dritte Anpassungsgesetz zur Kriegsopferversorgung, hat drei Schwerpunkte: erstens die Anpassung der Leistungen um durchschnittlich 6,3 %, zweitens die Harmonisierung der Anpassungsvorschriften für den Berufsschadensausgleich und den Schadensausgleich — das machen wir jetzt jährlich statt zweijährlich — und drittens die Verbesserung der Leistungen auf dem Gebiete der Heil- und Krankenbehandlung; hier findet eine Anpassung an die Veränderungen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung statt. Letztlich aber darf nicht unbeachtet bleiben, daß seit Bestehen der sozialliberalen Bundesregierung alljährlich ein Anpassungsgesetz zur Kriegsopferversorgung vorgelegt wird, während früher nur in mehrjährigen Zeitabständen, meistens in Abständen von drei Jahren — das war in der Vergangenheit so üblich —, entsprechende Gesetze vorgelegt wurden, die hinsichtlich der Rentenanpassung auf Grund dieser Sachlage beachtlichen Korrekturen durch den Gesetzgeber unterzogen werden mußten.
Natürlich kann der Wert eines Gesetzes nicht allein daran gemessen werden, inwieweit vom Deutschen Bundestag noch Änderungen mit hohen finanziellen Aufwendungen beschlossen worden sind. Das gilt besonders dann, wenn klar erkennbar ist — wie in diesem Falle —, daß schon die Bundesregierung eine optimale Ausnutzung der finanziellen Möglichkeiten vorgenommen hat. Insofern unterscheidet sich eben diese Bundesregierung von früheren Bundesregierungen.
Bei der Diskussion um dieses Gesetz ist das Wort vom „dynamisierten Rückstand" in der Kriegsopferversorgung geprägt worden, weil die volle Grund- und Ausgleichsrente hinter der Entwicklung der allgemeinen Bemessungsgrundlage in der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgeblieben sei; das wird jedenfalls behauptet. Abgesehen davon, daß die bei dieser Argumentation vorgenommene Verbindung von Grund- und Ausgleichsrente im Gesetz keine Stütze findet und auch in früheren Beratungen des zuständigen Ausschusses keine Stütze gefunden hat — meine Damen und Herren, die Sie damals die Regierung gebildet haben, ich möchte Sie daran erinnern —, möchte ich aber auch darauf aufmerksam machen, daß seit 1960 eine neue wichtige Leistung in der Kriegsopferversorgung hinzugekommen ist, die besonders jenen Kriegsopfern zugute kommt, die durch die Schädigungsfolge einen schweren wirtschaftlichen Schaden erlitten haben. Ich meine den Berufsschadensausgleich für Beschädigte und den Schadensausgleich für Witwen.Wenn man die Kriegsopferversorgung in ihrer Qualität gerecht bewerten will — und das sollten wir heute tun —, ist es nicht gerechtfertigt, dabei nur die beiden ursprünglichen Rentenarten, d. h. Rentenleistungen, also Grund- und Ausgleichsrente, heranzuziehen, den Berufsschadens- und Schadensausgleich aber außer Betracht zu lassen. Hier widerspreche ich Ihnen ganz grundsätzlich, Herr KollegeMaucher. Ich will das hier noch einmal besonders betonen. Werden aber die drei Leistungsarten des Bundesversorgungsgesetzes Gegenstand einer gesamten Betrachtungsweise — und das muß geschehen, wenn wir die Gesamtversorgung berücksichtigen und gerecht beurteilen wollen —, dann ergibt dies ein ganz anderes Bild. Die Opposition sollte deshalb ich sage das allen Ernstes — endlich davon abgehen, sich ihrer nicht ganz seriösen Argumentation, sich ihrer nicht ganz seriösen Betrachtungsweise zu bedienen.Auch wir haben noch viele Wünsche und Vorstellungen zur Verbesserung der Kriegsopferversorgung, die wir gern verwirklicht sähen — daran gibt es überhaupt keinen Zweifel , jedoch zur Zeit aus finanziellen Gründen nicht verwirklichen können. Trotzdem müssen wir insgesamt anerkennen — ich hoffe, daß das auch von seiten der Opposition heute noch geschieht —, daß sich die Koalition, und zwar im Ausschuß mit der Opposition zusammen, bemüht hat, alle Möglichkeiten für die Fortentwicklung des Kriegsopferrechts auszuschöpfen. Ich glaube sagen zu können, daß ein Gesetz, das Leistungsverbesserungen in der Kriegsopferversorgung mit einem Mehraufwand von 451 Millionen DM für das Haushaltsjahr 1972 vorsieht — sehen Sie einmal in der mittelfristigen Finanzplanung früherer Jahre nach, wo diese Ziffer dort erscheint —, ein deutlicher Beweis dafür ist, wie sehr der Rang der Kriegsopferversorgung von uns beachtet und bewertet wird. Das wird sich in den nächsten Jahren kontinuierlich von Anpassungsgesetz zu Anpassungsgesetz mit den Sätzen, die ich Ihnen heute bereits nennen könnte — fortsetzen. Ich bin überzeugt, meine Damen und Herren, daß die Kriegsopfer in unserem Lande dies zu würdigen wissen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt . Auch er wünscht seine Ausführungen sowohl zur zweiten wie zur dritten Lesung zu machen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich darf gleichzeitig zu dem Änderungsantrag der CDU/CSU und zur dritten Lesung sprechen.Der Kollege Maucher hat in der Begründung des Antrags der CDU/CSU auf Umdruck 242 die Dinge so dargestellt, als ob es leicht wäre, das im Jahre 1972 mit 16 Millionen DM zu regeln. Nun hat der Kollege Glombig schon darauf hingewiesen, daß es damit eben nicht getan ist, daß es zwar im Jahre 1972 nur 16 Millionen DM sind, daß es aber im Rahmen der Finanzplanung für die nächsten vier Jahre, wenn Sie die Zahlen zusammenzählen, Herr Kollege Maucher, 285 Millionen DM sind, die allein auf Grund Ihres Antrags zusätzlich in die mittelfristige Finanzplanung hinein müßten. Diese Summe muß deutlich gesehen werden. Hier wird gesagt: Was sind schon 16 Millionen DM bei einem Kriegsopferetat von 7 bis 8 Milliarden DM? Man muß da-
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Schmidt
bei aber auch sehen — und Herr Kollege Glombig hat dazu schon einige Zahlen genannt —, was in der mittelfristigen Finanzplanung schon auf Grund dessen, was wir heute hier beschließen werden, enthalten ist. Es sind nämlich nicht nur die 451 Millionen DM, die die Durchführung dieses Gesetzes im Jahre 1972 kostet, sondern es sind im Jahre 1973 325 Millionen DM, 1974 420 Millionen DM und 1975 315 Millionen DM. Insgesamt beschließen wir heute — die Mehrheit des Ausschusses hat dies so gewollt; Sie haben im übrigen ja auch zugestimmt — Mehrausgaben von über 1,5 Milliarden DM für die Kriegsopfer in den nächsten vier Jahren. Diese 1,5 Milliarden DM für die Kriegsopfer sind mit Inkrafttreten dieses Gesetzes in der mittelfristigen Finanzplanung drin.So muß man die Dinge einmal sehen, und so muß man auch Ihren Antrag, Herr Kollege Maucher, beurteilen: daß hier noch 285 Millionen DM zusätzlich notwendig werden. Außerdem wissen wir — auch Sie haben das bei den Ausschußberatungen gehört, meine Damen und Herren, soweit Sie dem Ausschuß angehören —, daß in den meisten Jahren sogar noch etwas mehr gebraucht wird, als zunächst einmal im Etat steht. Unter diesen Umständen können wir nicht mit 285 Millionen DM die Erfüllung der schon vorhandenen Gesetze gefährden. Es gibt sicher noch viele berechtigte Wünsche. Wir werden uns noch über viele unterhalten müssen. Wir sind aber nicht in der Lage, diesem Antrag zu folgen.Wir müssen auch ganz klar und offen von dieser Stelle hier einmal sagen: Wir haben — und das war, glaube ich, eine der wesentlichsten und eine der ersten reformerischen Entscheidungen dieser Bundesregierung — endlich die Kriegsopferrenten dynamisiert und sie an die Rentenversicherung angepaßt.
Mit dieser Entscheidung, meine Damen und Herren, ist natürlich weitgehend auch eine Entscheidung über die Verwendung der zur Verfügung stehenden Mittel in der Zukunft gefallen. Denn mit jedem Anpassungsgesetz, das wir in diesem Hause verabschieden, wird eine verhältnismäßig große Summe für die Zukunft festgelegt, diesmal 1,5 Milliarden DM, nicht nur 450 Millionen DM. Das muß man sehen. Außerdem muß man sehen, daß dann noch notwendige strukturelle Maßnahmen und dergleichen, die wir alle wünschen, nur in kleinen Portionen hinzugefügt werden können, weil auch hierfür die Mittel begrenzt sind.Wenn man uns hinsichtlich der Vergangenheit einen Vorwurf zu machen versucht, Herr Kollege Maucher, dann muß ich sagen: Wenn diese Bundesregierung nicht gewesen wäre, dann hätte der Kriegsopferetat der vergangenen Jahre und der Jahre in der Zukunft wesentlich schlechter ausgesehen. Ich will Ihnen nicht noch einmal die Zahlen ins Gedächtnis zurückrufen, die der Kollege Strauß als Finanzminister für die Weiterführung der Kriegsopferversorgung in seiner mittelfristigen Finanzplanung hatte. Wir können die Debatte heute gern noch einmal führen. Aber all das muß man sehen, wenn man hier zu kritisieren versucht.Meine sehr geehrten Damen und Herren, aus diesen Gründen, weil hier erfreulicherweise 1,5 Milliarden DM für die nächsten vier Jahre für die Kriegsopfer festgelegt werden können und weil wir die Durchführung nicht gefährden wollen, werden wir Freien Demokraten den Antrag der CDU/CSU ablehnen.Nun lassen Sie mich auch einige Worte zur dritten Lesung dieses Gesetzes sagen.Wir Freien Demokraten begrüßen es sehr, daß bereits zum drittenmal in dieser Legislaturperiode die Kriegsopferrenten angepaßt werden und daß dieses Gesetz zu einem Zeitpunkt verabschiedet wird, daß rechtzeitig zum 1. Januar 1972 die nunmehr um 6,3 % angepaßten Renten gezahlt werden können. Ich möchte von dieser Stelle noch einmal feststellen, daß es erst diese Bundesregierung war, die diese jährlichen Anpassungen nach der Dynamisierung der Kriegsopferrenten durchgeführt hat.
— Natürlich, der Bundestag, Herr Kollege Maucher;diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen. Ich glaube, wir sind uns einig. — Ja, bitte.
Herr Kollege Schmidt, wollen Sie denn bestreiten, daß der 5. Deutsche Bundestag einstimmig, und zwar — ich darf das sagen —auf meine Initiative damals, den Beschluß gefaßt hat, daß die Kriegsopferrenten ab 1970 anzupassen sind?
Herr Kollege Maucher, ich wollte keinen längeren Ausflug in ,die Vergangenheit machen. Ich habe vorhin nur an die Haushaltsansätze erinnert. Soll ich daran erinnern, daß die CDU/CSU in der Großen Koalition sogar die Berichtspflicht aus dem Gesetz heraus haben wollte und von Anpassung überhaupt nicht mehr redete?
Soll ich daran erinnern, Herr Kollege Maucher? Ich wäre mit solchen Fragen gerade in diesem Bereich vorsichtig. Ich kann hier gern einmal einen Sprecher der SPD bitten, etwas dazu zu sagen, was in der Zeit der Großen Koalition in diesen Fragen los war. Ich will darüber nicht weiter sprechen. Aber wenn Sie solche Fragen stellen, muß man immer wieder einmal auf so etwas eingehen.Ich stelle noch einmal fest: Heute wird zum drittenmal nach der Dynamisierung, die diese Koalitionsfraktionen beschlossen haben, angepaßt. Wir Freien Demokraten begrüßen dies sehr. Wir hätten eine Dynamisierung der Kriegsopferrenten gern eher gesehen; da sind wir in diesem Hause zu einem bestimmten Zeitpunkt die einzige Fraktion gewesen. Man könnte auch nicht so sehr mit dem angeblich — wie man so schön sagt — dynamisierten Rückstand argumentieren, wenn man sich eher dazu entschlossen hätte, eine solche Anpassung an die
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Rentenversicherungsdynamik durchzuführen. Das haben wir vor vielen Jahren gefordert. Es war nicht eher durchzusetzen als mit unserem Koalitionspartner SPD in dieser Bundesregierung und in dieser Legislaturperiode.Wir begrüßen weiterhin, daß es im Rahmen dieses Gesetzes möglich geworden ist, an diese einjährige Anpassung und Dynamisierung der Renten auch die einjährige Umstellung der Schadens- und Berufsschadensrenten nach den Durchschnittsverdiensten anzupassen. Denn es war schon unser Wunsch, bei der Dynamisierung gleichzeitig in einjährlichem Rhythmus anzupassen, um die Dinge besser an die Entwicklungen heranzubekommen. Wir sind gleichzeitig der Auffassung, daß dadurch die von Ihnen angestellten Berechnungen nicht mehr den Tatsachen entsprechen, weil wir einjährlich anpassen.Wir begrüßen es ferner, daß in der Heilbehandlung weitere Möglichkeiten eröffnet worden sind, über die man sich auch bei nächsten Gesetzesvorlagen unterhalten wird. Wir begrüßen es darüber hinaus — das darf ich noch einmal sagen und auch als einen noch nicht allzu lange währenden Zustand bestätigen —, ,daß dieses Gesetz heute von diesem Bundestag verabschiedet wird, spätestens in den nächsten 14 Tagen in Kraft tritt und daß am 1. Januar alle Kriegsopfer im Rahmen dieser Größenordnung ihre zusätzlichen Renten für 1972 bekommen werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Burger.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Inhalt und Zweck des Antrags der CDU/CSU-Fraktion waren einzig und allein, dafür zu sorgen, daß alle Kriegerwitwen durch dieses Gesetz auch wirklich 6,3 % Rentenerhöhung erhalten. Da Sie diesen Antrag abgelehnt haben — das muß man ganz konkret sagen —, werden wenigstens 400 000 Witwen lediglich Erhöhungen ihrer Gesamtrente um etwa 5 % haben können. Dies war, wie ich meine, ein Antrag, der durchaus als gedeckt angesehen werden kann. Ich muß mich dagegen verwahren, Herr Kollege Schmidt , daß Sie uns Unseriosität vorwerfen. Unser gestriger Antrag für das Kindergeld war einwandfrei gedeckt. Unsere Fraktion hat auch angekündigt, für das kommende Jahr
— ich möchte jetzt nicht gestört werden — im Rahmen der Rentengesetzgebung auch für die Kriegsopfer einen Gesetzentwurf einzubringen. Wir werden uns, wie in ,der Vergangenheit bei den Neuordnungsgesetzen, nicht scheuen, die letzte Mark mit Deckungsvorschlägen abzudecken.
Sie haben den Rückblick gewagt, und Sie haben den Vergleich gewagt. Ich möchte doch noch einmal daran erinnern: 1960, Erstes Neuordnungsgesetz, Volumen 1,2 Milliarden DM bei einem Haushaltsvolumen von 45 Milliarden DM; 1964, Zweites Neuordnungsgesetz, Volumen 1,2 Milliarden DM bei 65 Milliarden DM Haushaltsvolumen; 1967, 887 Millionen DM bei einem Haushaltsvolumen von 80 Milliarden DM.
Meine Damen und Herren, wir haben uns nicht gescheut, beim Zweiten Neuordnungsgesetz durch 86 Streichungen bei anderen Positionen die Deckung für die Kriegsopfergesetzgebung zu realisieren. Wenn Sie den Antrag der CDU/CSU-Fraktion vom System her in Zweifel stellen, dann darf ich Ihnen sagen: es geht. uns darum, einen Einstieg zu versuchen, die Erhöhungen der Grundrenten der Kriegerwitwen nicht mehr auf den Schadensausgieich anzurechnen. Daß dies auch vom System her richtig ist, beweisen die Einlassungen des Bundesrates. Dort wird eindeutig festgestellt, daß in unserer sozialen Rechtsordnung — z. B. in § 22 des Bundesentschädigungsgesetzes, in § 147 des Bundesbeamtengesetzes, im Bundessozialhilferecht, im Arbeitsförderungsgesetz — die Grundrente als Einkommen nicht mehr angerechnet wird, ebenso nicht in der Kriegsopferfürsorge, ebenso nicht beim Kindergeld, ebenso nicht beim Wohngeld und auch nicht bei der Kriegsschadenrente. Meine Damen und Herren, ich muß es deshalb zurückweisen, wenn Sie sagen, daß wir unseriös sind. Ich sage Ihnen: Es ist vom System her, aber auch von der Notwendigkeit her begründet, bei Preissteigerungen von 6,1 % dafür zu sorgen, daß alle Kriegerwitwen 6,3 % Rentenerhöhung erhalten.
Meine Damen und Herren, ich möchte auch anläßlich der dritten Lesung einige Feststellungen treffen. Ich komme auf die Erklärung des Bundeskanzlers auf dem Kriegsopferkongreß in Saarbrücken zurück. Der Bundeskanzler hat damals folgendes ausgeführt. Herr Kollege Schmidt — das noch, bevor Sie gehen —,
ich bitte Sie, sich bei Ihrem Blick zurück insbesondere an den Inhalt der Regierungserklärung und die Versprechungen des Bundeskanzlers und des Bundesarbeitministers auf dem Kriegsopferkongreß in Saarbrücken zu erinnern
und diese Versprechungen mit der Wirklichkeit in der Sozialpolitik, in der Wirtschaftspolitik und in der Preispolitik zu vergleichen.
— Ich bin gleich dabei, Herr Kollege Wehner. — Herr Kollege Schmidt!
Herr Kollege Burger, können Sie mir bestätigen, daß -in der Regierungserklärung die Dynamisierung der Kriegsopferrenten angekündigt worden ist und daß wir heute nach dem von uns beschlossenen Gesetz die Renten zum drittenmal anpassen?
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1971 8745
Herr Kollege Schmidt, Sie haben mehr soziale Gerechtigkeit und Teilhabe aller am Produktivitätsfortschritt versprochen.
— Herr Kollege Wehner, ich möchte ganz sachlich bleiben.
Ich bleibe dabei: Es ist das gute Recht der Opposition,
die Regierungskoalition an die Regierungserklärung und verbindliche Erklärungen des Kanzlers und des Arbeitsministers zu erinnern. Dies tue ich.
Der Herr Bundeskanzler hat ausgeführt — ich zitiere —:
Von eigentlicher Bedeutung ist die jährliche
Anpassung, die Dynamisierung. Ich habe es
— so sagte der Bundeskanzler —
in der Vergangenheit immer als bedrückend empfunden, wenn die Kriegsopfer um ihr Recht, um jede Verbesserung ihrer Bezüge so hart ringen mußten.
Er sagte weiter:
Nun ist endlich erreicht und gesetzlich verankert, daß sie in gleicher Weise wie andere an der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Wehner, lassen Sie mich es einmal sachlich analysieren: Ist dieses Versprechen materiell — nicht nur formal — faktisch auch eingehalten worden, oder wurde es nicht vielmehr von den Ereignissen überrollt? Ich frage: Bringt die Dynamisierung mehr soziale Gerechtigkeit? Garantiert sie die Teilhabe der Kriegsopfer am Wachstum der Volkswirtschaft?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glombig?
Ja, Herr Kollege Glombig!
Herr Kollege Burger, glauben Sie hier heute morgen wirklich behaupten zu dürfen, daß die Kriegsopfer am Produktivitätsfortschritt nicht teilhaben, wenn Sie bedenken, daß 1972 eine Rentenanpassung von 6,3 % mit einem Volumen von 451,7 Millionen DM, 1973 eine solche von 9,5 % mit einem Volumen von 564 Millionen DM, 1974 eine Anpassung von 11,7 % mit einem Volumen von 745,9 Millionen DM
und 1975 eine 10,9 %ige Rentenanpassung mit einem Volumen von 760,6 Millionen DM vorgesehen ist?
Herr Kollege Glombig, die Zahlen sind sehr beeindruckend, aber erschreckend sind auch die Zahlen der Preissteigerungen und der Kostenentwicklungen.
— Herr Kollege Wehner, wir scheinen hier einen empfindlichen Nerv bei Ihnen getroffen zu haben.
Sie können die Verantwortung für die Folgen Ihrer Gesamtpolitik in den letzten zwei Jahren nicht auf die Unternehmer abwälzen.
— Das, was ich über die Preise sage, sage ich hier im Deutschen Bundestag öffentlich an die Adresse aller, und ich appelliere an die Verantwortung aller.
— Selbstverständlich: der Gewerkschaften, der Unternehmer, des Bundestages und der Regierung.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Geßner?
Herr Kollege Glombig, ich habe Ihre Frage noch nicht ganz beantwortet. Sie kann nicht mit einem einzigen Satz lapidar beantwortet werden. Ich werde versuchen, mich in meinen Ausführungen mit dieser schwierigen Frage, die Sie gestellt haben, auseinanderzusetzen. Ich bitte da um etwas Geduld.
Darf ich noch eine weitere Frage stellen?
Selbstverständlich, Herr Kollege Glombig.
Herr Kollege Burger, können Sie sich daran erinnern, daß gerade in Ihrer Fraktion in den 50er Jahren, Anfang der 60er Jahre ernsthaft — —
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8746 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1971
Sie müssen den Mut haben, mehr in die Zukunft zu schauen.
Ich meine, wir müssen dabei auch die Vergangenheit betrachten. Wir können doch nicht nur in die Zukunft schauen, wenn Sie in der Opposition sind, denn wir wollten auch in der Zeit, in der Sie an der Regierung waren, in die Zukunft schauen, und wir schauen ja nun heute wirklich in die Zukunft.
Können Sie sich daran erinnern, Herr Kollege Burger, daß in dieser Zeit in Ihrer Fraktion ernsthaft die völlige Abschaffung der Grundrente in der Kriegsopferversorgung erwogen worden ist mit dem Hinweis, daß es sich hier um Bagatellrenten handle, mit denen man eigentlich nur Zigaretten und ähnliche Dinge kaufe?
Lieber Herr Kollege Glombig, entscheidend ist, was die Mehrheit der Fraktion entschieden hat, und in den drei Neuordnungsgesetzen ist politisch festgeschrieben und dokumentiert, wie sich diese Fraktion entschieden hat. Sie hat sich unter erheblich schwierigeren Haushaltsverhältnissen als heute nicht gescheut, über die Regierungsvorlage hinauszugehen. Kollege Maucher und Frau Probst sind Beweis dafür. Sie haben mit der eigenen Regierung gerungen, um bei den Einzelgesetzen mehr für die Kriegsopfer herauszuholen.
Meine Damen und Herren, ich darf wieder zu meinen Fragen zurückkehren. Herrscht Ruhe an der Rentenfront der Kriegsopfer? Ist diese Ruhe durch die Dynamisierung eingekehrt? Ich will versuchen, diese Fragen sachlich und objektiv zu behandeln. Es sind aktuelle Fragen, und sie dürfen nicht durch beruhigende, verschönende Erklärungen der Bundesregierung unter den Tisch gefegt werden.
In diesen Tagen schrieb die „Verbraucherkorrespondenz" unter der Überschrift „Rentner ohne Wohlstandssteigerung" u. a.:
Infolge des anhaltenden Geldwertschwundes müssen die Rentenempfänger in der Bundesrepublik in diesem Jahr praktisch auf jede Wohlstandssteigerung verzichten. Der Kaufkraftzuwachs für diese Bevölkerungsgruppe wird 1971 erstmals auf Null absinken, nachdem er in den vergangenen acht Jahren meist zwischen 3 und 5 % gelegen hatte.
Die zum 1. Januar 1972 vorgesehene Rentenerhöhung um 6,3 % wird voraussichtlich gerade dazu ausreichen, die inzwischen eingetretenen Preissteigerungen auszugleichen.
„Diese Situation hat viele Hoffnungen, die an die Dynamisierung geknüpft waren, zerstört. Es ist schon mit dem Zweiten Anpassungsgesetz schmerzlich klargeworden, wie schnell ein beabsichtigter allgemeiner Fortschritt durch zuwiderlaufende Entwicklungen im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik gemindert oder praktisch aufgehoben werden kann." So schrieb der Hauptgeschäftsführer des
VdK, Lothar Franke, in der „Fackel", und er sagt weiter in seiner ihm eigenen lebendigen Sprache:
Wo bleibt der beglückende Zauber einer praktisch nicht mehr umstrittenen Rentenanpassung, wenn schon lange vor ihrem möglichen Inkrafttreten Preiserhöhungen und Geldwertschwund in fast gleicher Höhe den gewollten Effekt zunichte machen?
Noch vor zwei Jahren glaubten die deutschen Kriegsopfer aufatmen zu können. Inzwischen hat sich die sozialpolitische Landschaft völlig verändert. Die Leistungen für die Rentner und Kriegsopfer werden von Preissteigerungen erbarmungslos überrollt. Dies ist die Lage. Die Rentendynamik, Kollege Glombig, kann diesen Zustand nicht ändern. In diesem Jahr werden in zahlreichen Fällen sogar erstmalig Kaufwertverluste der Jahrensrenten hingenommen werden müssen. Davon sind alle Witwen betroffen, die einen Schadensausgleich beziehen. Sie werden deshalb keine 6,3 % Erhöhung der Gesamtrente erwarten können, weil die Grundrente am Schadensausgleich teilweise gekürzt wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Geßner?
Verzeihung, jetzt möchte ich aber nicht gestört werden. Ich bin gern bereit, nachher zum Schluß Fragen zu beantworten. Ich möchte diesen Gedankengang vollständig vorlesen.
— Ja, im Interesse der Kürze werde ich das vorlesen. Das habe ich mir zusammengetragen, es ist Satz für Satz von mir, lieber Herr Kollege.
— Ich habe auch vorhin einige Manuskripte gesehen.Außerdem ist vorgesehen, einen Sonderzuschlag, einen Sozialzuschlag von monatlich 10 DM zu streichen, der beim Ersten Gesetz über die Anpassung der Leistungen als Härtezuschlag genehmigt worden war. Davon, meine Damen und Herren, werden ebenfalls eine Reihe von Witwen betroffen.Es wird heute zu Recht kritisiert, daß die lineare Anhebung der Kriegsopferrenten am 1. Januar um 16 % zu gering war, um einen Anschluß an die übrigen Sozialgesetze zu finden. Dieser damals entstandene Rückstand wird nunmehr mit den jährlichen Anpassungen immer weiter übernommen und auch dynamisiert. Da aber auch die gegenwärtige vierjährige Verzögerung bei der Berechnung der Anpassungsquotienten mit ihrem antizyklischen Effekt nur so lange eine echte Berechtigung hat, wie sich die Preisentwicklung in bescheidenen Grenzen hält und die Geldwertstabilität gesichert ist, sind die Kriegsopfer in zweifacher Weise betroffen, einmal, weil die erste Anpassung um etwa 6 bis 8 % zu niedrig war, und zweitens, weil der jetzige Anpassungsrhythmus den derzeitigen Verhältnissen nicht mehr gerecht wird.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1971 8747
BurgerAuch aus der Sicht der Kriegsopferversorgung ist es dringend notwendig — dies ist meine Überzeugung —, die Dynamisierung zu aktualisieren. Wenn das nicht geschieht, wird sie ihren sozialpolitischen Sinn verlieren und zu einer reinen Teuerungszulage absinken. Wenn diese Aktualisierung nicht verwirklicht wird, wird sich die Schere zwischen der Rente eines hundertprozentig Schwerbeschädigten und der allgemeinen Bemessungsgrundlage weiter öffnen. Der Unterschied betrug einmal im Jahre 1960 22 DM, heute beträgt er 253 DM, und im nächsten Jahr wird er sich auf 290 DM erhöhen. Und in den kommenden Jahren, Kollege Glombig — und das ist eben meine echte Sorge —, wird dieser Abstand immer größer werden. Kollege Wehner, man muß doch diesen Wahrheiten ins Auge schauen, wenn min redlich bleiben will. Das hat man nicht vorausgesehen, als die Dynamisierung eingeführt wurde.Neben diesen Grundproblemen der Kriegsopferversorgung gibt es aber noch eine ganze Reihe schwieriger struktureller Fragen. Vor einigen Wochen schrieb uns ein Schwerkriegsbeschädigter:Ich bin 100 % kriegsbeschädigt, bin schwerstbeschädigt nach Stufe V. Ich bin erheblich geh- und stehbehindert weil ich querschnittsgelähmt bin. Ich bin auf den Gebrauch von zwei Krückstöcken angewiesen und auf eine ständige Begleitperson. Das ist vom Versorgungsamt anerkannt. Aber meine Frau ist gestorben, und ich kann die erforderliche Pflege für mich nicht selbst vornehmen. Ich habe Antrag auf Pflegezulage gestellt. Sie wurde mir abgelehnt, formal mit Recht abgelehnt, weil für solche Fälle das Gesetz eine Pflegezulage nicht vorsieht.Wir könnten diese Beispiele beliebig — nicht aus Sentimentalität, Herr Kollege Wehner — ergänzen. Sie sollen zeigen, was sich an menschlichen Schwierigkeiten, an Not hinter diesem nackten Begriff der Strukturprobleme verbirgt.
— Nein, diese Konzeption muß eben weiterentwickelt und weiter ausgebaut werden. Niemand stellt die Konzeption in Frage, kein Kriegsopferverband. Gefordert wird lediglich deren Weiterentwicklung. Das zunehmende Alter der Schwerstbeschädigten, der Verlust ihrer Ehepartner erfordert einfach adäquate Leistungen durch die Einführung einer neuen Art von Pflegezulage, die diesem Umstand Rechnung trägt.
Im Bericht der Bundesregierung über die Versorgung der Eltern wird festgestellt, daß der notwendige Lebensunterhalt der Kriegereltern sichergestellt sei. Demgegenüber erklärt der Bundesrat:Die vollen Elternrenten reichen heute auch beim Verlust des einzigen oder aller Kinder zur Bestreitung des Lebensunterhaltes immer noch nicht aus.So der Bundesrat im Gegensatz zur Bundesregierung! Und wie die Kriegsopferverbände urteilen, ist ebenfalls bekannt.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einmal einen Blick auf die Versorgung der Kriegereltern werfen. Ich habe leider nur eine Statistik vom September 1969. Sie können davon ausgehen, daß diese Zahlen durch zwei Anpassungsgesetze verbessert sind Es gab damals 140 000 Elternteile, die eine Elternversorgung erhielten. Von diesen 140 000 erhielten nur sieben — sieben! — eine Rente über 300 DM, 37 000 eine solche unter 50 DM, nur 746 Elternpaare — hier halbiert sich also die Rente —erhielten eine Rente über 300 DM und 4870 Elternpaare eine solche unter 50 DM. Dies, meine Damen und Herren, ist die Situation der Kriegereltern, und Sie sehen an diesem Beispiel, daß es notwendig ist, sich mit diesen Problemen zu befassen.Die CDU/CSU hat heute in Kenntnis der Situation nur einen einzigen Antrag gestellt, der nur 18 Millionen DM Mehranforderungen für das kommende Jahr, für die weiteren Jahre höhere Anforderungen stellt. Wir werden bei unserem Gesetz, das wir im kommenden Jahr einbringen, genau die Deckung nachweisen müssen auf Heller und Pfennig. Die CDU/CSU wird also im Zusammenhang mit Ihren Rentengesetzen auch hier initiativ werden. Ich darf aber ganz klar sagen: Wir sind für die Kriegsopfer zur optimalen Zusammenarbeit bereit und bieten diese auch an, so wie es in der Vergangenheit immer der Fall war. Die Kriegsopfer sollen — das ist unser Wille — nicht Gegenstand einer Polemik, noch sollen ihre Sorgen Inhalt einer zweckhaften Opposition sein. Allein unsere Verantwortung gebietet es, den verschönenden Formeln der Bundesregierung die harten Realitäten gegenüberstellen.Ich komme zum Schluß.
An der Rentenfront herrscht keine Ruhe. — Ich höre eben auf meine Bemerkung „Ich komme zum Schluß" den Einwurf „Gott sei Dank". Ist das die mehr Demokratie, die Sie versprochen haben?
— Herr Kollege Frehsee, ich bin wirklich nicht empfindlich, aber das, was ich heute gesagt habe, ist von den Realitäten unterbaut. Ich glaube, man muß das wenigstens anhören können. Ich biete ja in dieser Frage auch Zusammenarbeit an. Auch wir wissen, daß wir diese Fragen nicht auf einmal lösen können; aber daß man sich Gedanken machen muß, wie man sie anpackt, wie man mit dieser Entwicklung fertig wird, dazu, meine ich, sollte es eine Einigkeit in diesem Hohen Hause geben.
Ich muß leider sagen, daß diese Dynamisierung, die Anpassungen, nicht den erwarteten sozialpolitischen Effekt gehabt haben.
Schon jetzt, zwei Jahre nach der Einführung derDynamisierung, werden höhere Anpassungssätze
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8748 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1971
Burgerverlangt. Die Regierung und Koalitionsfraktionen bleiben aufgefordert, diese Lage zu erkennen und zu handeln. Wir sind bereit, dabei zu helfen. Es darf nicht sein, das steigende Preise und Kosten die Kriegsopfer in die Gefahr bringen, zu Kellerkindern der Nation zu werden.
Wird das Wort weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann stimmen wir in zweiter Lesung über den Antrag auf Umdruck 242 ab. Wer ihm zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das zweite war die Mehrheit. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der Antrag ist abgelehnt.
Wer Art. 1 in der Fassung der Ausschußvorlage zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
Wer Art. 2 zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
Wer Art. 3, der Einleitung und der Überschrift zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
Schluß der zweiten Beratung. Ich eröffne die
dritte Beratung.
Das Wort hat der Bundesarbeitsminister,
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Diskussion über das Dritte Anpassungsgesetz hat erkennen lassen, daß es in der Kriegsopferversorgung noch zahlreiche Probleme gibt, mit denen wir uns zu befassen haben. Die Diskussion hat aber auch gezeigt, wie notwendig es war, daß sich Parlament und Bundesregierung an der Jahreswende 1969/70 dazu entschieden, eine klare Regelung über die laufende Anpassung der Kriegsopferrenten zu treffen. Um wieviel schwieriger wäre heute die Problematik der Kriegsopferversorgung, wenn wir nicht damals den Mut zu dieser bedeutsamen Regelung über die Fortentwicklung der Kriegsopferversorgung gehabt hätten.
Mit der sofortigen Verwirklichung der Zusage aus der Regierungserklärung wurde den Kriegsopfern die Sorge genommen, Jahr für Jahr um eine zeitgerechte Anpassung ihrer Versorgungsbezüge bangen zu müssen.Bei Würdigung aller Einwände, die bei den Beratungen des Dritten Anpassungsgesetzes vorgebracht worden sind, erlaube ich mir jedoch die Feststellung, daß besonders solche Regelungen im Vordergrund einer kritischen Betrachtung standen, die auf die Grundkonzeption des Bundesversorgungsgesetzes, das nunmehr immerhin 21 Jahre besteht, zurückgehen oder zumindest auf Bestimmungen, die immerhin schon recht lange Bestandteil dieses Gesetzes sind.Wir aber sahen uns veranlaßt, auf der Basis der vorhandenen Gegebenheiten die Weiterentwicklung des Kriegsopferrechts fortzuführen und den vom geltenden Recht her geschaffenen Fakten Rechnung zu tragen. Das gilt besonders für den Bereich der Hinterbliebenenversorgung.Zur Witwenversorgung möchte ich feststellen, daß gerade diesem Bereich der Kriegsopferversorgung von uns größte Aufmerksamkeit gewidmet worden ist. Ich darf nur daran erinnern, daß wir beim Ersten Anpassungsgesetz das Ableitungsverhältnis des Witwenrentenanspruchs von der Rente eines erwerbsunfähigen Beschädigten auf 60 v. H. angehoben haben. Wir haben, mit anderen Worten, mit der ungleichen Behandlung der Witwen Schluß gemacht.
Das, Herr Burger, ist mehr soziale Gerechtigkeit, und das ist die Erfüllung der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969.
Immerhin sind 63 % aller Mehraufwendungen für das Erste Anpassungsgesetz der Verbesserung der Witwenversorgung zugute gekommen.Auch mit der jetzt vorgenommenen Harmonisierung der Anpassungsvorschriften wurde den Belangen der Kriegerwitwen Rechnung getragen, was ich vor allem im Hinblick auf den in der zweiten Lesung behandelten Änderungsantrag der Opposition deutlich hervorheben möchte.In der ersten Lesung zum Dritten Anpassungsgesetz wurde von einem Sprecher der Opposition darauf hingewiesen, daß in Anbetracht der Regelungen des Bundesversorgungsgesetzes das Gesamteinkommen der Kriegerwitwe nicht in dem Maße steige, wie dies im Hinblick auf die Entwicklung der Renten in der gesetzlichen Rentenversicherung eigentlich der Fall sein müßte. Wir sind dieser Frage nachgegangen, und auf Grund einer Modellberechnung sind wir zu dem Ergebnis gekommen, daß sich diese Auffassung bei der Betrachtung eines Entwicklungszeitraumes von 5 Jahren nicht halten läßt. Sie ist nicht richtig, sondern das Gegeteil ist der Fall. Das Gesamteinkommen einer Kriegerwitwe hält sich durchaus die Waage mit der Entwicklung einer entsprechenden Sozialversicherungsrente.
— Das stimmt!
Was die Frage der Elternversorgung angeht, die gleichfalls bei Ihren Beratungen eine erhebliche Rolle gespielt hat, darf ich nochmals auf den Bericht der Bundesregierung hinweisen, der die Sachzusammenhänge dieses Versorgungsbereichs aufgezeigt hat. Ich hoffe, meine Damen und Herren, daß er Ihnen eine brauchbare Hilfe war, dieses komplexe Problem richtig zu werten.Der federführende Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat in diesem Zusammenhang eine eingehende Information über das Zusammenwirken von Sozialhilfe und Versorgungsrecht in Form einer Bestandsaufnahme für wünschenswert erachtet. Ich komme diesem Wunsche gerne nach und werde nach
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1971 8749
Bundesminister Arendtsorgfältiger Prüfung dieser Zusammenhänge dem Ausschuß einen Bericht zugehen lassen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bitte abschließend danken für die zügige Beratung des Gesetzes, die es nunmehr möglich macht, sofern der Bundesrat dem Gesetz zustimmt, den Kriegsopfern umgehend die erhöhten Leistungen für das Jahr 1972 zukommen zu lassen.
Werden Anträge in dritter Beratung gestellt? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Schlußabstimmung.
Wer dem Gesetz im ganzen zustimmen will, der möge sich erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Wir kommen zur Abstimmung über die Ziffern 2 und 3 des Ausschußantrages. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen!
Ich rufe nunmehr Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Häfele und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes
— Drucksache VI/1255 —Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
Drucksachen VI/2798, zu VI/2798 — Berichterstatter: Abgeordnete Frau Funcke
Hier haben die Fraktionen vereinbart, daß in der zweiten Beratung keine Aussprache stattfinden soll. Die Aussprache soll vielmehr ausschließlich in der dritten Beratung erfolgen.
Wir kommen zur zweiten Beratung. Ich rufe Art. 1, 2, 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme. Ich schließe die zweite Beratung.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Häfele.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU begrüßt es, daß im Finanzausschuß einstimmig eine Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes beschlossen worden ist bzw. jetzt in der zweiten Lesung ein solcher Beschluß ansteht — und damit im praktischen Ergebnis einem Antrag der Fraktion der CDU/CSU vom 9. Oktober des letzten Jahres stattgegeben wird. Es handelt sich hierbei um die Korrektur einer Fehlentwicklung, die eintreten würde, wenn wir heute diese Änderung des Gesetzes nicht beschlössen.
Es geht darum, daß der 14 %ige Anteil an der Einkommen- und Lohnsteuer, den die Gemeinden seit 1. Januar 1970 auf Grund der Gemeindefinanzreform, die die Große Koalition beschlossen hat, erhalten, etwas anders auf die Gemeinden verteilt wird. Es geht also nicht darum, daß die Gemeinden insgesamt mehr Finanzmittel erhalten. Sprecher unserer Fraktion haben schon in der Debatte der letzten Woche gesagt, daß natürlich auch dieses Problem gelöst werden müsse. Wir haben den Vorschlag gemacht, das Hebesatzrecht für die Gemeinden einzuführen, und haben darauf hingewiesen, daß auch über die Frage der Erhöhung der 14 % demnächst in diesem Hause wieder diskutiert werden müsse. Aber darum geht es heute nicht, sondern es geht um eine andere Verteilung der 14 %.Meiner Fraktion wäre es lieber gewesen — sie befindet sich hier in Übereinstimmung mit der Länderfinanzministerkonferenz und dem hessischen Innenminister —, wenn wir es noch für ein bis zwei Jahre beim bisherigen Zustand belassen hätten, und zwar aus folgenden Gründen. Dann hätten wir die vollständige Steuerstatistik gehabt, um die Auswirkungen auch auf die letzte Gemeinde berechnen zu können. Bisher fehlt nämlich die Steuerstatistik von Hessen und von Rheinland-Pfalz. Der größte Teil liegt uns vor; von diesen beiden Ländern haben wir aber eben noch keine Steuerstatistik. Das Hinausschieben, d. h. die Beibehaltung des bisherigen Zustandes, hätte auch den Vorteil gehabt, daß wir die Ergebnisse der Steuerreform wenigstens schon in der Tendenz für die Gemeinden hätten berücksichtigen können. Sie wird Auswirkungen auf die Einkommen- und Lohnsteuer, die Gewerbesteuer und die Grundsteuer haben. Wir hätten also auch schon im Rahmen dieses Gesetzes die Auswirkungen der Steuerreform berücksichtigen können. Die Mehrheit hat das nicht gewollt. Mit 13 : 14 Stimmen sind wir damit im Ausschuß nicht durchgedrungen.Wir freuen uns aber, daß wir jetzt einstimmig etwas ereicht haben, das im Ergebnis unserem Anliegen Rechnung trägt, nämlich daß die Sockelbeträge, an denen die Gemeinden beteiligt sind, ab 1. Januar nächsten Jahres nicht verzehnfacht, sondern nur verdoppelt werden. Das hat folgende Vorzüge.Steuerschwache Gemeinden der gleichen Größenordnung wären ab 1. Januar 1972 teilweise wesentlich schlechtergestellt, wenn wir die vorliegende Änderung heute nicht beschlössen. Größere Einbußen hätten zum Teil auch Großstädte mit über 200 000 Einwohnern erlitten, und zwar vor allem im Ruhrgebiet. Damit wäre ein Ziel der Gemeindefinanzreform gefährdet worden, nämlich das Ziel, die Steuerkraftunterschiede zwischen Gemeinden gleicher Größenordnung, die ja sehr erheblich sind, zu vermindern.Ein zweiter Nachteil kann durch diesen Beschluß heute verhindert werden. Kleinere Gemeinden bis etwa 5000 Einwohner, ja teilweise bis 10 000 Ein-
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Dr. Häfelewohner hätten ab 1. Januar 1972 Einbußen erfahren. Auch das kann jetzt großenteils verhindert werden. Das ist ein praktischer Schritt regionaler Strukturpolitik zur Stärkung der ländlichen Räume.Ein dritter Nachteil kann verhindert werden. Es entstehen nicht neue, völlig ungerechtfertigte Verzerrungen. Wenn wir es beim bisherigen Gesetzeszustand belassen hätten, wären vor allem Stadtrandgemeinden in der Nähe von Frankfurt, München usw., die berühmten Gemeinden, die einen hohen Anteil von Höherverdienenden haben, unvergleichlich besser gestellt worden gegenüber dem bisherigen Zustand, und zwar ungerechtfertigt, ohne daß der Finanzbedarf entsprechend gestiegen wäre. Das wäre noch viel ungerechtfertigter gewesen, als es früher bei der Gewerbesteuer war, und es war ja ein Sinn der Gemeindefinanzreform, die Einseitigkeit der Gewerbesteuer abzubauen.Schließlich kann ein Viertes dadurch erreicht werden. Die Konjunkturabhängigkeit der Gemeinden ist nicht mehr so groß. Das bestätigt vor allem auch der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums in seinem Gutachten vom 8. Dezember 1970, in dem er unseren Antrag begrüßt. Er weist da mit Recht nach, daß insgesamt zwei Drittel der öffentlichen Investitionen von den Kommunen getätigt werden und daß ein sehr großer Teil davon wiederum von einkommensstärkeren Gemeinden getätigt wird. Wenn diese ganz besonders von der Höhe der Einkommensbeträge abhängig sind, dann verhalten sie sich natürlich prozyklisch, d. h. in der Höchstkonjunktur investieren sie besonders viel, und zu einem Zeitpunkt, wo es erwünscht wäre, daß die Investitionskraft steigt, investieren sie weniger. Die Konjunkturabhängigkeit wird hier also auch gemildert. Es wird weniger prozyklisch investiert. Das ist zusätzlich ein konjunkturpolitisches Instrumentarium, das wir für die Gemeinden und damit für den ganzen Bund schaffen.Zum Schluß möchte ich anerkennen, meine Damen und Herren, daß schließlich auch die Fraktion der SPD im Finanzausschuß diesem Anliegen Rechnung getragen hat. Sie war es ja, die in der Großen Koalition großen Wert darauf gelegt hat, daß der Sockelbetrag ab 1. Januar 1972 verzehnfacht wird, was jetzt erfreulicherweise einstimmig verhindert werden kann. Sie hat sich unter dem Eindruck der Steuerstatistik, unter dem Eindruck des Votums der Landesinnenminister und der Landesfinanzminister und auch des Gutachtens des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium zu dieser Meinung bekannt. Das ist anerkennenswert. Tätige Reue verdient immer Anerkennung. Und da wir uns in der sechsten Legislaturperiode befinden, kann man wohl mit Fug und Recht sagen: Damit ist ein wesentlicher Teil der inneren Reformen dieser Legislaturperiode in die Tat umgesetzt.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Huber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gemeindefinanzreformgesetz vom 8. September 1969, das den Gemeinden einen 14 %igen Anteil an der Einkommensteuer zuspricht, wobei die Verteilung so vorgenommen wird, daß nur bestimmte Einkommenshöhen von dem örtlichen Einkommensteueraufkommen angerechnet werden, ist in den letzten Wochen deswegen Gegenstand erneuter Beratungen gewesen, weil bei der Verabschiedung des Gesetzes nicht genügend Statistiken vorlagen, aus denen die Auswirkungen des neuen Schlüssels, der ab 1. Januar 1972 vorgesehen ist, auf die Gemeindefinanzen hinreichend ersehen werden konnten. Die Fraktionen der SPD und der CDU/CSU hatten deshalb bei der Verabschiedung des Gesetzes die Regierung ersucht, bis 1. Oktober dieses Jahres Material vorzulegen, aus dem diese Auswirkungen deutlich werden. Inzwischen sind aus einer Reihe von Ländern Tabellen eingegangen, die einmal Aufschluß geben, wie die Umstellung auf die neue Einwohnerstatistik von 1968 sich auswirkt, und zum anderen, wie die Schlüssel in Kombination mit dieser Einwohnerstatistik sich auf die Gemeindefinanzen auswirken.
Die Ergebnisse zeigen, daß bei Anwendung der Einwohnerstatistik 1968 und gleichzeitiger Beibehaltung des für die Übergangsjahre 1970 und 1971, d. h. des derzeit gültigen Schlüssels von 8 000 DM für Ledige und 16 000 DM für Verheiratete erhebliche Verschiebungen zwischen den Gemeinden eintreten würden. Begünstigt würden besonders die Gemeinden zwischen 1 000 und 50 000 Einwohnern, während alle übrigen Gemeinden Verluste hätten; Großstädte mit über 200 000 Einwohnern besonders harte Verluste.
Daher konnte die SPD-Fraktion den Anträgen des Abgeordneten Dr. Häfele und der CDU/CSU-Fraktion nicht zustimmen, die die Erhöhung des neuen Sockelbetrages um ein bzw. zwei Jahre verschieben wollten.
Andererseits wird aus den Unterlagen genauso deutlich, daß der im Gesetz für Januar 1972 vorgesehene Schlüssel von 80 000/160 000 DM ebenfalls nicht vertretbar ist, weil er sowohl die kleinen Gemeinden als auch eine große Zahl von Industriestädten benachteiligt, darunter vor allem Großstädte des Ruhrgebiets. Verluste bis zu 26 DM pro Einwohner wären in solchen Gemeinden die Folge, während einige ohnedies steuerstarke Gemeinden gleich hohe Steuermehreinnahmen verbuchen könnten.
Die Einwohnerstatistik kann aus Gründen der Zuverlässigkeit, der Objektivität und der Praktikabilität durch keine andere Basis ersetzt werden. Daher hat sich meine Fraktion nach eingehenden Beratungen für einen Sockelbetrag von 16 000/32 000 DM als den Verteilerschlüssel entschieden, der für die Gesamtheit der Gemeinden die günstigste Lösung ist. Zwar haben einige wenige steuerstarke Gemeinden dadurch geringere Vorteile, als sie sie bei dem Sockelbetrag von 80 000/160 000 DM hätten. Dafür haben andere Städte keine oder geringere Nachteile.
Der Gesetzgeber kann nur die Aufgabe haben, einen Schlüssel, d. h. einen Sockelbetrag festzusetzen, der sowohl einen möglichst gerechten Anteil
Frau Huber
für kleine und größere Gemeinden sicherstellt als auch eine krasse Bevorzugung oder Benachteiligung hei unterschiedlich strukturierten Städten gleicher Größenordnung vermeidet. Dies geschieht mit dem sicherlich nicht alle befriedigenden, insgesamt aber besten Schlüssel von 16 000/32 000 DM, für den sich nach längerer Beratung der Finanzausschuß denn ja auch einstimmig entschieden hat.
Im übrigen erwartet die sozialdemokratische Fraktion selbstverständlich, daß die Bundesregierung einen Bericht über die Auswirkung der geplanten Steuerreform auf die Gemeindefinanzen im Blick auf dann etwa notwendige Veränderungen geben wird, sobald die Voraussetzungen hierfür vorliegen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die FDP-Fraktion begrüßt es, daß sich nun die allgemeine Erkenntnis der Notwendigkeit durchgesetzt hat, den damals für die Zeit nach 1972 beschlossenen Schlüssel zu korrigieren. Wir haben uns zur Zeit der Großen Koalition sehr nachdrücklich gegen den Beschluß gewandt, die Progressionszone bei der Einkommensteuer mit in den Verteilungsschlüssel hineinzunehmen. Es sollte doch das Ziel der Finanzreform sein, einen besseren Ausgleich in der Finanzkraft der Gemeinden zu erreichen. Nur erreicht man das aber eben nicht, wenn man die unterschiedlich wirkende Gewerbesteuer zu 40 % wegnimmt und an ihre Stelle die Progression der Einkommensteuer setzt. Denn im allgemeinen pflegt die Wirtschaftskraft einer Gemeinde auch die Wirtschaftskraft ihrer Bewohner zu beeinflussen und umgekehrt, so daß die Rückerstattung praktisch an die gleichen geht, die die Beträge als Ausgleich abgeben.
Deswegen hatten wir seinerzeit einen gleichmäßiger wirkenden Schlüssel, etwa einen Kopfschlüssel, angeboten, weil ja die Grundvorsorge für die Bevölkerung in den Gemeinden aller Größenordnungen und unabhängig von der Unterschiedlichkeit der Wirtschaftskraft in etwa gleich teuer ist. Aber auch die Einkommensteuer in der Proportionalzone hat einen gewissen ausgleichenden Effekt. Deshalb sind wir der Meinung, daß man davon nicht nennenswert abweichen sollte. Diese Erkenntnis erst in Statistiken bestätigt zu bekommen, wäre nicht nötig gewesen, denn zur Not hätte man sich das auch denken können. Aber gut, wir haben nun die Auswirkungen statistisch errechnet vorliegen. So begrüßen wir es, daß ein Weg gefunden wurde, der den bisherigen Ausgleich in etwa beibehält. Denn wie bereits die beiden Vorredner gesagt haben, gibt es sonst eine erhebliche Verschiebung der Finanzkraft auf diejenigen Gemeinden hin, die schon durch die Gewerbesteuer — ihren Restbetrag von 60 % — einen erheblichen Vorsprung vor anderen haben.
Wir sind auch der Meinung gewesen — Herr Kollege Häfele, wir sind es gemeinsam —, daß man nicht mit ungewissen zeitlichen Verschiebungen arbeiten sollte. Denn die Statistiken sind schon jetzt einigermaßen aussagekräftig. So sollten wir ab sofort die Gemeinden in die Lage versetzen, möglichst langfristig ihre Mittel zu verplanen bzw. zu projektieren. Ein ständiges Andern an dem Schlüssel würde sicher nicht im Interesse der Gemeinden liegen. Wir stimmen deshalb dem Gesetzentwurf zu.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im Ganzen zustimmen will, der möge sich erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei fünf Gegenstimmen angenommen.
Damit kommen wir zur
Fragestunde
Drucksache 11/2792 —
Zunächst rufe ich eine Dringliche Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Riedl auf:
Ist die Bundesregierung bereit, angesichts der plötzlich eingetretenen winterlichen Verhältnisse in großen Teilen Oberbayerns ab sofort wenigstens für diese Gebiete die Benutzung von SpikesReifen zuzulassen?
Herr Staatssekretär!
Herr Präsident! Mit den zuständigen obersten Landesbehörden ist abgesprochen, daß der Bundesminister für Verkehr kurzfristig durch Rechtsverordnung den am 15. November beginnenden Zeitraum für die Benutzung von SpikesReifen vorverlegt, wenn in weiten Teilen des Bundesgebietes echt winterliche Verhältnisse von voraussichtlich längerer Dauer herrschen sollten.
Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Selbst für Oberbayern trifft das nach Auskunft des Deutschen Wetterdienstes nicht zu. Es herrschen dort bis 600 m Höhe zur Zeit Temperaturen über Null Grad. Niederschläge fallen als Regen. In höheren Lagen liegt Schnee in geringer Höhe, jedoch besteht keine Eisbildung. Der Straßenzustand ist nicht beeinträchtigt. Nach fernmündlichen Angaben des Straßenbauamtes in München wurde deswegen in diesem Gebiet in den letzten Tagen auch nicht gestreut. Auch die Wettervorhersage für die nächsten Tage zwingt nicht zu einer Vorverlegung des ohnehin am Montag beginnenden Benutzungszeitraums.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen nicht bekannt, daß die Zeitungen in Oberbayern und der Bayerische Rundfunk über Schneeglätte und Eisbildung auf den Straßen im bayerischen Alpenvorland und in den deutschen Mittelgebirgen berichtet haben und daß im Hinblick auf den für das Wochenende zu erwartenden starken Ausflugverkehr gerade in diesen Gebieten eine vorzeitige Erlaubnis zur Benutzung von Spikes-Reifen angebracht gewesen wäre?
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8752 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1971
Herr Kollege, gerade deshalb habe ich heute morgen noch einmal mit Offenbach telefonieren lassen. Ich habe die Auskunft erhalten, daß der Witterungs- und Straßenzustand in Oberbayern keinen Anlaß gibt, heute Spikes-Reifen einzuführen.
Zweite Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie dann die Auskunft Ihres Hauses gegenüber einem Reporter des Bayerischen Rundfunks, der auf diese Schneeglätte und auf diesen Zustand der Straßen im Alpenvorland hingewiesen hat und dann von einem Vertreter Ihres Hauses die Auskunft bekommen hat: „Da können wir auch nichts machen, da müssen die Autofahrer halt aufpassen und langsamer fahren"?
Nein, Herr Kollege, es ist nicht so gewesen, wie Sie es darstellen, sondern es geht darum, daß bei nicht vorhandener fester Eisbildung auf den Straßen, wie Sie ja wissen, die Spikes unter Umständen bei bestimmten Verkehrslagen auch eine größere Gefährdung verursachen können.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, kommen Ihnen bei dieser schematischen Regelung nicht Bedenken, wenn Sie einmal überlegen, wie verschieden das Bundesgebiet klimatisch und höhenmäßig gegliedert ist, und sind Sie nicht der Meinung, daß man Autounfällen auf jeden Fall dadurch vorbeugen sollte, daß man solchen Wettereinbrüchen Rechnung trägt?
Herr Kollege, gerade deshalb habe ich ja in der ersten Antwort gesagt, daß mit den obersten Landesbehörden abgesprochen war, daß wir, wenn sich das Wetter regional so gestaltet, daß Spikes nötig sind, auch zeitlich vorgezogene, abgestimmte Ausnahmen gemacht hätten. Nur, nach Auskunft gerade der zuständigen Behörden des Freistaates Bayern ist das bis zur Stunde nicht erforderlich. Am Montag um 0 Uhr aber tritt die Regelung sowieso in Kraft.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Häfele.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß seit Dienstagnacht infolge Glatteis verschiedene Unfälle auf den Straßen vorgekommen sind?
Mir ist bekannt, daß Unfälle vorgekommen sind. Daß sie auf Glatteis zurückzuführen sind, wird von den zuständigen Stellen in Bayern bestritten.
Damit ist die Dringlichkeitsanfrage beantwortet.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Die Frage 84 ist vom Fragesteller zurückgezogen.
Ich rufe die Frage 85 des Herrn Abgeordneten Maucher auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß zwei deutsche Jugendliche — Harald Schiffer, Laupheim, und Christoph Buhl, Wald-kirch -- seit Ende August 1971 wegen Rauschgifthandelverdachts beschuldigt werden und seit dieser Zeit sich in Verona/Italien in Untersuchungshaft befinden?
Herr Staatssekretär, bitte!
Herr Abgeordneter, ich beantworte Ihre Frage mit Ja. Die Angelegenheit ist der Bundesregierung bekannt, und Sie sind von dem zuständigen Referat über den Stand der Angelegenheit unterrichtet worden.
Frage 86 des Abgeordneten Maucher:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um eine schnelle Freilassung zu erreichen, da mit Sicherheit angenommen werden kann, daß der Beschuldigte Harald Schiffer unschuldig ist?
Herr Staatssekretär, kann die Regierung feststellen, daß es sich bei dem Zeugen Togliano um eine fragwürdige Person handelt, da er seit seiner Aussage trotz polizeilicher Suche nicht auffindbar ist?
Entschuldigen Sie, Herr Kollege Maucher. Ich hatte eben die Aufforderung des Präsidenten so verstanden, daß ich Ihre Frage 86 beantworten soll. Ist das zutreffend? —Ich beantworte die Frage 86 wie folgt. Die zuständige deutsche Auslandsvertretung, hier nämlich das Generalkonsulat in Mailand, gewährt in Haftfällen im Rahmen der jeweils gegebenen Möglichkeiten konsularischen Rechtsschutz. In dem von Ihnen genannten vorliegenden Fall sind für die beiden inhaftierten Deutschen italienische Rechtsanwälte, und zwar für Harald Schiffer ein Wahlverteidiger, eingeschaltet. Da, wie Ihnen bekannt ist, das Ermittlungsverfahren nach italienischem Strafprozeßrecht der Geheimhaltung unterliegt — das ist eine italienische Strafprozeßbestimmung, die anders ist als unsere —, ist es der Bundesregierung zur Zeit nicht möglich, spezielle Schritte zugunsten der Inhaftierten zu unternehmen. Die Bundesregierung muß es vermeiden, sich dem Vorwurf der Einmischung in ein schwebendes Gerichtsverfahren auszusetzen. Ob der Beschuldigte Harald Schiffer nach Auffassung der italienischen Strafverfolgungsbehörden unschuldig ist, wird sich frühestens nach Abschluß des Ermittlungsverfahrens ergeben.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1971 8753
Zusatzfrage.
Ist der Bundesregierung also bekannt, daß Harald Schiffer, der sich auf dem Campingplatz Bella Italia am Gardasee in Urlaub befand, von Christoph Buhl gebeten wurde, ihn mit dem Motorrad ins nahe gelegene Peschiera del Garda zu fahren, daß bei ihm nichts gefunden wurde und er durch den Dienstbeweis unberechtigterweise mit in Verdacht gezogen worden ist?
Herr Abgeordneter, es ist ganz ausgeschlossen, daß sich die Bundesregierung zu der Stellungnahme von Betroffenen hier im Sinne einer Kritik an der italienischen Justiz und den italienischen Behörden verbindlich äußert. Wir würden das umgekehrt sicherlich auch nicht schätzen. Wir müssen also das Verfahren abwarten. Was Sie in der Frage sagen, ist die Darstellung der einen Seite. Ich kann Ihnen wiederum versichern, daß der mit Hilfe des deutschen Generalkonsulats gefundene Anwalt dies sicherlich pflichtgemäß vorbringen wird. Die italienische Justiz wird dann auf Grund ihrer Gesetzeslage eine Entscheidung zu treffen haben. Sie können nicht erwarten, daß sich die Bundesregierung in diesem Falle sozusagen selbst als Untersuchungsrichter betätigt, besonders nicht einem Staat gegenüber, dessen Rechtsstaatlichkeit wohl nicht angezweifelt wird und mit dem wir auf der gleichen Basis in den europäischen Gemeinschaften zusammenarbeiten, nämlich auf der Basis einer freiheitlich demokratischen Grundordnung.
Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, besteht keine Möglichkeit, in solchen Fällen wenigstens zu erreichen, daß schnellstens eine Gerichtsverhandlung stattfindet, so daß Deutsche in einem fremden Land nicht ungerechtfertigt monatelang festgehalten werden?
Herr Abgeordneter, was die letzte Bemerkung betrifft — ungerechtfertigt —, so ist es für die Bundesregierung unmöglich, hierzu eine Erklärung abzugeben. Was Sie sagen, ist sicherlich die Meinung der Betroffenen. Es mag sein, daß sie sich als richtig herausstellt. Die Bundesregierung hat das getan, was nach der Rechtslage überhaupt möglich ist, in diesem Verfahren so zu wirken, daß eben eine beschleunigte Abwicklung ermöglicht wird. Herr Abgeordneter, Sie sind durch eine Unterrichtung von seiten unseres zuständigen Referats über diesen Zustand schon vor einigen Wochen genau ins Bild gesetzt worden.
Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wer kommt für die Kosten auf, wenn sich mit Sicherheit herausstellt, daß Harald Schiffer unschuldig ist, da nach italienischem Recht Kosten auch bei unschuldiger Inhaftierung nicht ersetzt werden?
Herr Abgeordneter, es müßte geprüft werden, ob es auf Grund der Gesetzgebung, die dieses Hohe Haus beschlossen hat, eine Möglichkeit gibt, im Rahmen des Ermessens solche Unkosten zu tragen.
Im übrigen darf ich hinzufügen, daß es ein bestimmtes Maß von persönlichem Lebensrisiko gibt, vor allem, wenn man sich ins Ausland begib t, und daß selbstverständlich zunächst einmal die Betroffenen selbst dieses Touristenrisiko mit abdecken müssen. Wenn dann unbillige Härten entstehen, wird man sehen, ob unsere Gesetze es ermöglichen könnten, hier einen Ausgleich zu schaffen.
Zu Frage 87 hat der Fragesteller schriftliche Beantwortung erbeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 88 des Abgeordneten Engelsberger:
Treffen Berichte zu, daß die Bundesregierung die Information aus der britischen Botschaft über eine Absprache der vier Botschafter im Rahmen des Berlin-Abkommens bezüglich der Präsenz von Bundestagsausschüssen in West-Berlin — jeweils nur ein Ausschuß — für „geheim" erklärt und damit wesentliche Details über das Vier-Mächte-Abkommen dem Parlament und der Öffentlichkeit vorenthalten hat, obwohl die amerikanische Botschaft erklärt habe, daß es weder „geheime" noch „vertrauliche" Vereinbarungen zum Vier-Mächte-Abkommen gebe, und wie ist nach Ansicht der Bundesregierung dieser Widerspruch zu erklären und die Geheimhaltung gegenüber Parlament und deutscher Öffentlichkeit zu rechtfertigen?
Herr Abgeordneter, die in Ihrer Frage enthaltenen Feststellungen sind unzutreffend. Es gibt keine geheimen Zusatzvereinbarungen zu dem Vier-Mächte-Abkommen. Die vier Botschafter haben lediglich während der Verhandlungen Übereinstimmung darüber hergestellt, wie der veröffentlichte Abkommenstext bezüglich der Sitzungen von Bundestagsausschüssen in Berlin auszulegen ist. Nichts anderes besagt die Verlautbarung der amerikanischen Botschaft.
Die Bundesregierung hat dieser authentischen gemeinsamen Interpretation bei allen Unterrichtungen des Parlaments und der Öffentlichkeit von Anfang an Rechnung getragen. Ich nenne insbesondere die Nr. 127 des Bulletins der Bundesregierung, wo das Problem auf Seite 1327 behandelt wird.
Im übrigen darf ich hinzufügen, daß über den Gesamtkomplex die zuständigen Ausschüsse des Bundestages, die vertrauliche Ausschüsse sind, eingehend unterrichtet worden sind, und zwar der Innerdeutsche Ausschuß und der Auswärtige Ausschuß.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung von den drei Westmächten konsultiert worden, bevor sich die vier Botschafter auf das sogenannte Gentlemen's Agreement bezüglich der Ausschußsitzungen in West-Berlin geeignet haben?
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8754 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1971
Die Bundesregierung war in der Vierergruppe im ständigen Kontakt mit den Vertretern der Westmächte über alle anhängigen Fragen. Das schließt Ihre Frage mit ein.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie ist diese Absprache der Vier Mächte mit der Erklärung der Bundesregierung zu vereinbaren, daß mehrere Ausschüsse gleichzeitig in Berlin tagen könnten, sofern es sich nicht um alle Ausschüsse gleichzeitig und damit praktisch um den gesamten Bundestag handele?
Herr Abgeordneter, was Sie eben zitiert haben, entspricht nicht dem Wortlaut der Publikation der Bundesregierung. Ich verweise auf ,das weiße Buch der Bundesregierung, Seite 103, wo der Sachverhalt genau dargestellt ist. Ich bitte auch, sprachliche Feinheiten hierbei nicht zu übersehen.
Frage 89 des Abgeordneten Engelsberger:
Wie ist die mir auf eine diesbezügliche Frage vom Parlamentarischen Staatssekretär Moersch am 2. April 1971 erteilte Antwort, daß die Abberufung des deutschen Botschafters beim Vatikan, Dr. Hans Berger, und seine Versetzung in den einstweiligen Ruhestand mit der Alterspyramide des Auswärtigen Amtes zusammenhänge, in Einklang zu bringen mit der kürzlichen Aussage des Botschafters in einem Zeitungsinterview, „daß gleichaltrige oder ältere Botschafter auf ihrem Posten verblieben sind", und muß aus einer weiteren Aussage Dr. Bergers, es gebe eine grundsätzliche Stellungnahme des Auswärtigen Amtes, daß „in der Versetzung politischer Beamter in den einstweiligen Ruhestand die unausgesprochene Erklärung liege, daß der Beamte abberufen werde, weil er für seinen bisherigen Posten nicht geeignet sei", nicht der Schluß gezogen werden, daß bier „zusätzliche, objektive Gesichtspunkte", also politische Gründe, eine Rolle gespielt haben?
Herr Abgeordneter, die Maßnahme einer Behörde und ihre Begründung muß nicht notwendigerweise mit der subjektiven Darstellung eines Betroffenen übereinstimmen. Insofern treffen Ihre in der Frage enthaltenen Feststellungen nicht zu. An der von mir in der Fragestunde vom 2. April dieses Jahres gegebenen Auskunft über den von Ihnen angeschnittenen Komplex hat sich nichts geändert.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wollen Sie angesichts der Behauptung des Sejm-Abgeordneten Jannitz Makowski am 23. März gegenüber der Zeitung „Kurier Polski", Berger blockiere ohne Wissen der Bunndesregierung die Diözesanfrage in den polnischen Westgebieten, während die zum Vatikan entsandten Delegierten der Bundesregierung Wehner und Leber bereits im Frühjahr 1970 erklärt hätten, sie hätten nichts gegen eine Regelung dieser Frage, und angesichts der von Berger erwähnten negativen Äußerungen hochstehender Bonner Politiker und SPD-Funktionäre gegen seine Person nicht doch endlich zugeben, daß bei der Abberufung des Botschafters politische Gründe zum mindesten eine Rolle gespielt haben?
Herr Abgeordneter, ich muß die in der Frage enthaltenen Unterstellungen schärfstens zurückweisen. Ich habe dem Bundestag hier wahrheitsgemäß Auskunft gegeben, auch über den von Ihnen soeben noch einmal angeschnittenen Fall. Ich bitte Sie, das Protokoll der 114. Sitzung nachzulesen. Die Bundesregierung hat überhaupt keinen Grund, zu irgendwelchen Einlassungen von irgendeiner Seite, sei es einer polnischen Zeitung oder sonst wem, in einem solchen Falle eine Entscheidung zu treffen. Ich habe dem Hohen Hause einwandfrei nachgewiesen, daß z. B. gar kein zeitlicher Zusammenhang mit der polnischen Äußerung bestehen konnte. Das Schreiben an den damaligen Botschafter beim Vatikan ist bereits mehrere Tage vor der Veröffentlichung in der Warschauer Zeitung an die Post gegeben worden. Mit diesem Hinweis dürfte die Absurdität von Vorwürfen erkennbar werden. Das alles ist bereits in diesem Hause festgestellt worden, und ich bedaure, daß Ihnen offensichtlich das Protokoll der 114. Sitzung bei Ihrer Fragestellung nicht zur Verfügung gestanden hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Engelsberger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß mehrere in Bonn akkreditierte ausländische Botschafter in ihren Berichten an ihre Regierungen die Entlassung Bergers eindeutig als politisch begründet bewertet haben?
Herr Abgeordneter, aus Ihrer Frage könnte man den Schluß ziehen, daß die Bundesregierung Botschaftertelegramme von ausländischen Missionen zensiert. Weder sind uns ,diese Telegramme bekannt, noch haben wir irgendeinen Einfluß auf diese Berichterstattung zu nehmen. Wenn hier in irgendeiner Berichterstattung subjektive Meinungen vertreten werden, müssen Sie die Berichterstatter dafür verantwortlich machen und nicht ,die Bundesregierung. Die Bundesregierung hat hier Tatsachen mitgeteilt, und dieses Hohe Haus hat diese Tatsachen zur Kenntnis genommen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wehner.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, würden Sie den Herrn Fragesteller bitte für künftige Fragen über das Datum des Besuchs
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1971 8755
Wehnervon Herrn Leber und von mir im Vatikan informieren, das offenbar auch eine Rolle gespielt haben soll — das war nämlich im November 1969, vor fast genau zwei Jahren —, damit bei späteren Kombinationen — schwarzer Brief — solche Leute wie dieser Fragesteller besser nachforschen?
Herr Abgeordneter, ich stimme Ihnen in diesem Punkt voll zu. Es ist in der Kürze der Antwort gar nicht möglich gewesen, alle falschen Behauptungen, die in der Fragestellung enthalten waren, auf einmal zu widerlegen. Selbstverständlich geht allein aus Ihrer Bemerkung hervor, daß der angebliche zeitliche Zusammenhang nicht existiert, weil der Botschafter in dieser Zeit erst ernannt worden war.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Geßner.
Herr Staatssekretär, ist es nicht ein wenig auffällig, daß ein Abgeordneter der Opposition sich gegen die Anwendung eines Gesetzes wendet, das seinerzeit mit den Stimmen der CDU/CSU hier gemacht worden ist?
Herr Abgeordneter, jede Wahlperiode beginnt von neuem, und niemand ist verpflichtet, sich mit dem zu identifizieren, was hier früher beschlossen worden ist. Aber jedermann ist verpflichtet, diese Gesetze zu respektieren.
Herr Kollege, dieser Zwischenruf kommt mir sehr gelegen. Das ist das Gesetz, an dem Sie sich im Innenausschuß federführend beteiligt haben, nämlich das Beamtengesetz des Bundes. Es ist der § 37, wenn ich das recht in Erinnerung habe, der ganz genau beschreibt, daß politische Beamte ohne Angabe von Gründen in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können. Es ist in diesem Hause sehr wohl überlegt worden, daß man in solchen Fällen keine Gründe angeben sollte, weil die Angabe von Gründen unter Umständen zum Nachteil der Betroffenen ausfallen könnte. Sie kennen den Hinweis auf dem berühmten „Trottelparagraphen", der damals gestrichen worden ist. Das hat zu diesem Zusammenhang im Bundestag eine Rolle gespielt.
Meine Damen und Herren, ich habe verkehrterweise die Zusatzfrage des Abgeordneten Geßner zugelassen. Ich habe sie zunächst in der Tragweite nicht voll erfaßt. Sie ist meines Erachtens unzulässig gewesen; denn sie verlangte vom Herrn Staatssekretär eine Kritik an der Art der Fragestellung des anfragenden Abgeordneten. Die Regierung hat aber Abgeordnete nicht zu kritisieren, auch dann nicht, wenn der Präsident sie kritisieren könnte.
Ich rufe die Frage 90 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in Oberschlesien seit mehreren Wochen die für die Aussiedlung notwendigen Arbeitsbescheinigungen nicht mehr erteilt werden, wodurch jede Möglichkeit, die Aussiedlung zu beantragen, den Aussiedlungswilligen genommen wird?
Mit Ihrer Genehmigung darf ich die Fragen zusammen beantworten.
Einverstanden. Ich rufe auch die Frage 91 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Falls dieser Sachverhalt der Bundesregierung bekannt ist, möchte ich fragen, ob die Bundesregierung Möglichkeiten sieht, daß diese offenbar generelle Handhabe in Oberschlesien, die in Widerspruch zur „Information" zum Warschauer Vertrag steht, wieder aufgehoben wird,
Die Bundesregierung ist von verschiedenen Seiten darauf hingewiesen worden, daß die Erteilung von Arbeitsbescheinigungen durch die polnischen Arbeitsstätten an Personen, die im Rahmen der „Information der Regierung der Volksrepublik Polen" vom November 1970 ihre Übersiedlung in das Bundesgebiet betreiben, restriktiv gehandhabt wird. Dadurch geraten die Betroffenen in eine schwierige Lage. Ohne Arbeitsbescheinigung können sie in diesen Fällen den Ausreiseantrag bei der polnischen Miliz nur dann einreichen, wenn sie ihr Arbeitsverhältnis vorher kündigen. Dies ist nicht zumutbar, da sie keine sichere Aussicht auf Erteilung der Ausreisegenehmigung haben.
Die Bundesregierung hat die aufgetretenen Schwierigkeiten zuletzt anläßlich der deutsch-polnischen Konsultationen in Bonn Ende Oktober dieses Jahres zur Sprache gebracht. Diese Fragen werden auch in der bevorstehenden nächsten Runde der deutsch-polnischen Rotkreuz-Verhandlungen über Umsiedlungsfragen im Rahmen der „Information" behandelt werden. Die Bundesregierung hofft, daß diese Gespräche, die am 18. November 1971 in Warschau beginnen, zu einer Klärung auch der von Ihnen angeschnittenen Frage führen werden.
Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß es jetzt auch Fälle gibt, in denen Aussiedlungswilligen nahegelegt wird, sich überhaupt aus der Arbeitsstelle entlassen zu lassen, weil sie dann keine Arbeitsbescheinigung brauchen? Damit ist die Gefahr verbunden, daß die Betreffenden zwar arbeitslos sind und somit keine Arbeitsbescheinigung brauchen, wenn sie ihre Aussiedlung beantragen, aber, da sie noch keine Genehmigung für die Aussiedlung
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8756 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1971
Dr. Hupkahaben, eine lange Arbeitslosigkeit in Kauf nehmen müssen.
Herr Abgeordneter, wir sind dabei, solche Mitteilungen, wie Sie sie eben gemacht haben, nachzuprüfen. Wir werden erst dann abschließend Stellung nehmen können, wenn wir das im einzelnen nachgeprüft haben. Ich denke, daß uns diese angekündigten Verhandlungen auch darüber Aufschluß geben, ob das so ist, wie es eben dargestellt wurde.
Eine Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, könnte in den Verhandlungen nicht überhaupt erreicht werden, daß nicht auf die Arbeitsbescheinigungen Wert gelegt wird — dann brauchten sie auch nicht abgelehnt zu werden —, daß es also möglich wäre, den Antrag zu stellen, ohne zuvor eine Arbeitsbescheinigung nachweisen zu müssen?
Herr Abgeordneter, die Erfahrungen, die wir jetzt in den letzten Monaten gemacht haben, sind Grundlage solcher Gespräche und auch künftiger Verhandlungen über dieses Thema. Wir werden uns selbstverständlich bemühen, jede Vereinfachung und Erleichterung durchzusetzen, die den Maßnahmen, von denen in der „Information" die Rede ist, gerecht wird.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, könnte in den Verhandlungen nicht auch über eine Erleichterung in der Richtung gesprochen werden, daß es nicht zu diesen besonderen Befragungen der Aussiedlungswilligen kommt? Es ist eigentlich ein unzumutbares Verfahren, daß die Aussiedlungswilligen erst entweder vom Betriebsdirektor oder von irgendwelchen anderen Behörden — manchmal auch coram publico — ausführlich nach den Gründen, warum sie den Antrag stellen, gefragt werden. Könnte man das vielleicht mit in dieses Verhandlungskonzept einbeziehen?
Alle diese Fragen werden sicherlich Thema der Gespräche sein. Ich bitte um Verständnis dafür, wenn ich jetzt beim gegenwärtigen Stand der Verhandlungen — ich habe Ihnen diese Gesprächsrunde ja eben ankündigen können — im einzelnen hierzu keine Ausführungen machen kann.
In dem Zusammenhang noch eine letzte Frage. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, könnte auch noch ein besonderes Augenmerk auf diejenigen gerichtet werden, die die Aussiedlung jenseits der Familienzusammenführung als Angehörige des deutschen Volkstums unter Berufung auf die „Information" beantragen, weil besondere Erschwernisse für diesen Personenkreis ebenfalls bekanntgeworden sind?
Herr Abgeordneter, das ist ein besonders wichtiger Punkt, den wir gerade in bilateralen Gesprächen vollends geklärt wissen wollen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung alle Möglichkeiten genutzt, um bei offiziellen und auch inoffiziellen Zusammenkünften mit Vertretern aus Polen diese Anliegen aller Deutschen energisch vorzutragen und darum zu bitten, zunächst einmal im Sinne der „Information" vom November 1970 für eine Beseitigung der sogenannten — lassen Sie es mich einmal hart sagen — zahlreichen „Repressalien" zu sorgen?
Herr Abgeordneter, ich beantworte Ihre Frage mit Ja. Ich möchte aber den Ausdruck, den Sie zuletzt gebraucht haben, nicht in dieser Form gebraucht wissen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie kommt es dann, daß der polnische Vizeaußenminister Willmann nach seiner Rückkehr von einem Besuch in der Bundesrepublik am 27. Oktober in Zusammenfassung der Gesprächsergebnisse als besondere Punkte, die erörtert worden sind, nur die Frage der wirtschaftlichen Beziehungen, die Beseitigung des Senders „Freies Europa" wegen der Feindpropaganda, wie er es bezeichnet hat, und nicht zuletzt auch die Korrektur der bundesrepublikanischen Schulbücher angeführt hat, aber diese Situation, von der wir eben sprechen, d. h. die Probleme der Deutschen in Polen, mit keinem Wort erwähnt hat? Und warum ist dazu von seiten der Bundesregierung nichts Gegenteiliges festgestellt worden?
Herr Abgeordneter, ich glaube, Sie müssen hier zwei Dinge klar unterscheiden: das, was wir — ich habe die Aufzeichnungen über dieses Gespräch hier — in den Gesprächen vorgebracht haben, und das, was jemand anders aus den Gesprächen mitzuteilen für richtig hält. Ich hatte nicht den Eindruck, daß der Vizeaußenminister von Polen eine vollständige Wiedergabe der Gespräche der Öffentlichkeit gegenüber beabsichtigt hatte. Das ist im diplomatischen Verkehr auch nicht ohne weiteres üblich. Es handelt sich hier um seine Entscheidung. Diese Frage kann nicht an die Bundesregierung gerichtet werden.
Er hat aber von den wichtigsten Elementen gesprochen.
— Es gab aber keine gegenteilige Erklärung.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1971 8757
Entschuldigen Sie, Herr Abgeordneter, es ist doch nicht die Aufgabe der Bundesregierung, im Falle eines nicht vereinbarten Kommuniqués — es gab kein gemeinsames Kommuniqué — Erklärungen etwa an anderer Stelle zu korrigieren. Wenn wir dieses von Ihnen offenbar gewünschte Verfahren einführen wollten, hätten wir jeden Tag 50 öffentliche Ergänzungen im gegenseitigen diplomatischen Verkehr anzubringen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, da der Vertreter des Deutschen Roten Kreuzes vor einiger Zeit bei einer Information Wert darauf legte, festzustellen, daß es sich bei der kommenden Runde um Verhandlungen und nicht um Gespräche handle, frage ich Sie, der Sie heute morgen mal von Verhandlungen, mal von Gesprächen sprachen: Worum handelt es sich denn bei der bevorstehenden Zusammenkunft?
Ich habe beide Bezeichnungen gebraucht; das ist zutreffend. Für mich ist die Frage des Inhalts und des Ergebnisses entscheidend und nicht die Frage der Terminologie.
Der Rang ist für Sie völlig unerheblich?
Herr Abgeordneter, für mich ist erheblich, was ich im Interesse der Betroffenen in solchen Verhandlungen oder Gesprächen erreichen kann. Das Deutsche Rote Kreuz ist eine unabhängige, verdienstvolle Organisation, die volle Freiheit hat, diese Gespräche so zu bezeichnen, wie sie es für richtig hält. Die Bundesregierung nimmt keinen Einfluß auf die Gesprächsbezeichnung des Deutschen Roten Kreuzes.
Sie haben schon zwei Zusatzfragen gehabt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Burgbacher.
Herr Staatssekretär, ich möchte auf die Sache Willmann zurückkommen. Sind Sie nicht der Meinung, daß es für die Politik Ihrer Regierung sehr unangenehm werden könnte, wenn Sie auf Äußerungen Ihres Gesprächspartners über den Inhalt der Gespräche mit Ihnen, die anders sind als Ihre eigenen Erklärungen über diese Verhandlungen, schweigen?
Herr Kollege Burgbacher, ich muß das zurückweisen, was Sie soeben gesagt haben. Sie haben hier unterstellt, daß die Bundesregierung eine bestimmte Darstellung der anderen Seite unwidersprochen läßt. Darum geht es hier nicht. Im übrigen müssen Sie zwischen einer öffentlichen Äußerung und dem, was sonst geschieht, unterscheiden. Wenn wir im Interesse der Betroffenen etwas erreichen wollen, sollten Sie es der Bundesregierung überlassen, wie sie sich praktisch verhält.
Ich kann hier nur noch einmal bestätigen, daß die Bundesregierung alles getan hat, was im Augenblick überhaupt denkbar ist, um in dieser Frage eine Verbesserung für die Betroffenen zu erreichen. Das ist leicht zu beweisen, und das wissen auch die Kollegen, die an den Unterrichtungen in den zuständigen Ausschüssen teilnehmen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hermesdorf.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich darf auf das zurückkommen, was Sie über das Deutsche Rote Kreuz sagten. Trifft es denn nicht zu, daß das Deutsche Rote Kreuz im Namen der Bundesregierung verhandelt?
Herr Abgeordneter, es besteht selbstverständlich eine Absprache und eine enge Zusammenarbeit. Aber das Deutsche Rote Kreuz ist eben das Deutsche Rote Kreuz, auch wenn es für die Bundesregierung verhandelt. Die Mitglieder des Deutschen Roten Kreuzes sind im übrigen nicht an Weisungen der Bundesregierung gebunden. Es handelt sich um eine notwendige Vereinbarung zwischen dem polnischen Roten Kreuz und dem Deutschen Roten Kreuz. Das bitte ich doch zu unterscheiden; denn das hat gute Gründe, nämlich für die Betroffenen.
Eine Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung inzwischen die Bedenken, die hier im Bundestag wiederholt wegen des gewählten Verfahrens, das in der- heute zitierten „Information" niedergelegt ist, in dieser humanen Frage großen Ranges geäußert worden sind?
Herr Abgeordneter, an dem Verfahren ist viel Kritik geübt worden, aber ich habe bisher noch keinen besseren Vorschlag gehört.
Damit sind die Fragen beantwortet.Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und
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8758 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1971
Vizepräsident Dr. SchmidGesundheit. Ich rufe die Frage 47 des Herrn Abgeordneten Vogt auf:Kann die Bundesregierung Nachrichten in verschiedenen Zeitungen über skandalöse Zustände und mysteriöse Todesfälle in privaten Altenheimen bestätigen?Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Durch Presseveröffentlichungen und andere Informationen zutage getretene Mißstände in privaten Altenheimen sind im Rahmen der Bestimmungen der §§ 35 und 38 der Gewerbeordnung und der hierzu von den Bundesländern erlassenen Rechtsverordnungen verfolgt worden. In einigen Fällen sind Altenheime geschlossen worden, in anderen Fällen sind Strafurteile ergangen. Über die Vorfälle im einzelnen können naturgemäß nur die zuständigen Behörden in den Bundesländern nähere Auskunft geben.
Eine Zusatzfrage.
Herr Präsident, ich darf erst einmal fragen, ob das eine Antwort auf meine beiden Fragen war.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, ich komme gleich zu Ihrer zweiten Frage.
Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 48 des Abgeordneten Vogt auf:
Hält es die Bundesregierung für richtig, daß nach geltendem Recht jedermann ohne Ansehen von Person und Qualifikation ein Altenheim eröffnen kann, die zuständigen Gemeindebehörden „für ein paar Mark", wie es in Pressemeldungen heißt, einen Gewerbeschein für die Eröffnung eines Altenheimes ausstellen und die sogenannten Heimverordnungen keine ausdrückliche und regelmäßige Überwachungspflicht der Behörden vorsehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bisher war allgemein die Ansicht vertreten worden, daß die Möglichkeit laufender Kontrollen wirksamer sei als die einmalige Überprüfung im Zulassungsverfahren und ausreiche, einen ordnungsgemäßen Betrieb sicherzustellen. Inzwischen hat sich aber in der Praxis die Auffassung durchgesetzt, daß die Bestimmungen der Gewerbeordnung und der dazu — wie soeben ausgeführt — erlassenen Landesverordnungen nicht ausreichen, den Schutz der berechtigten Interessen der Bewohner von Altenheimen zu gewährleisten.
Aus diesem Grunde wird zur Zeit eine Gesetzesvorlage erarbeitet, die u. a. die Einführung einer Erlaubnispflicht zur Eröffnung von Altenheimen und allgemeine Vorschriften über die Voraussetzungen für die Inbetriebnahme und den Betrieb von Altenheimen in baulicher, personeller und wirtschaftlicher Hinsicht vorsieht.
Herr Staatssekretär, wann ist mit dieser angekündigten Vorlage zu rechnen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung ist im Augenblick dabei, mit den Ländern zusammen eine solche Vorlage schnellstens zu erarbeiten. Wir hoffen, sie in wenigen Wochen vorlegen zu können.
Die Fragen 49 und 50 des Abgeordneten Löffler und die Frage 51 des Abgeordneten Flämig werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Frage 52 der Abgeordneten Frau Stommel:
Trifft es zu, daß der Nikotingenuß von heranwachsenden Schülern in der Bundesrepublik Deutschland steigt, und wie beurteilt die Bundesregierung diesen Sachverhalt angesichts einer Fülle neuer, wissenschaftlich einwandfrei erwiesener Zusammenhänge zwischen Rauchen und Gesundheitszerstörung?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, der wachsende Anteil von Jugendlichen, die rauchen, und die Entwicklung, daß sich zunehmend jüngere Personen das Rauchen angewöhnen, hat die Bundesregierung veranlaßt, über die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung eine breit angelegte Antiraucherkampagne durchzuführen. Nach gründlichen wissenschaftlichen Vorarbeiten läuft diese Kampagne nunmehr im zweiten Jahr. Ziel der Kampagne ist nicht nur, über die Gefahren des Rauchens aufzuklären, sondern ganz gezielt das Ansehen, das Image des Nichtrauchens aufzuwerten. Da Rauchen bei Jugendlichen ein Statussymbol ist, mit dem zum Ausdruck kommen soll, daß man erwachsen sei, muß sich die Kampagne besonders den entwicklungspsychologischen Besonderheiten zuwenden, statt mit Furchtappellen Angst vor dem Rauchen zu erzeugen. Die Antiraucherkampagne ist eine gezielte gruppenspezifisch angesetzte Maßnahme der Prävention. Die Bundesregierung beabsichtigt, diese Kampagne fortzuführen und insbesondere auf die Schulen auszudehnen. Geeignete Unterrichtshilfen sind entwickelt worden und befinden sich zur Zeit im Schulversuch.
Zusatzfrage? — Dann Frage 53:
Ist die Bundesregierung bereit, bei den Ländern dafür einzutreten, daß die Kultusverwaltungen angesichts der aktuellen wissenschaftlichen Einsichten über die schädlichen Wirkungen des Rauchens auf den Organismus sowie der erwiesenen Prädisposition des jugendlichen Rauchers für Haschisch-Konsum die Bereitstellung von „Rauchzimmern" in öffentlichen Schulen auch gegen einen zu erwartenden Widerstand der Heranwachsenden rückgängig machen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete Stommel, die Rauchzimmer in den Schulen haben den Zweck, das heimliche Rauchen zu verhindern. Darüber hinaus ist dort — wie auf dem Schulhof — eine Aufsicht vorhanden. Diese Räume können auch ein geeigneter Ort sein, präventiv dem Rauchen entgegenzutreten. Die bereits erwähnte Antiraucherkampagne wird versuchen, diese Möglichkeit zu nutzen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. November 1971 8759
Staatssekretär Dr. von Manger-KoenigAus diesen Überlegungen hält der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit den Versuch, auf die Länder einzuwirken, die Rauchzimmer generell wieder abzuschaffen, für problematisch. Die Abschaffung der Rauchzimmer wird von den Jugendlichen mit Sicherheit als eine repressive Maßnahme angesehen werden und damit eher einen „Bumerang-Effekt" haben, den wir uns im Interesse des Aufbaus einer positiven Nichtraucherrolle auch unter den Jugendlichen nicht wünschen können.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die pädagogischen Motivationen der Bereitstellung jener Raucherzimmer für unsere Schuljugend, nämlich Konfliktsituationen aus möglichen Verbotsübertretungen zu vermeiden, zurücktreten müssen hinter den anerkannten Gesundheitsgefährdungen, insbesondere auch deshalb, weil die Schule dadurch den jugendpsychologisch so gefährlichen Nachahmungseffekt multipliziert?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Alle diese entwicklungspädagogischen und psychologischen Momente, die Risiken und Chancen solcher Raucherzimmer sind sehr wohl abgewogen worden. Trotzdem haben sich die Kultusminister mit, wie wir glauben, einer Reihe von durchaus einleuchtenden Motiven für die Einrichtung entschlossen. Wir glauben, daß es im Augenblick unklug wäre und als repressive Manipulation empfunden würde, wenn wir diese Raucherzimmer wieder aufheben würden.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen auch die Klagen der Leiter der Schulen zu Ohren gekommen, die ganz klar feststellen, daß nach Ende der Pause nachweisbar in den Raucherzimmern Hasch geraucht worden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Solche Klagen sind im einzelnen allenfalls in unserer Kommission, die sich mit den Rauschmitteln befaßt, bekanntgeworden. Uns sind aber auch Erfahrungsberichte von Schulleitern bekannt, die mit der Einrichtung von Raucherzimmern durchaus positive Erfahrungen gemacht haben und sie insbesondere darin sehen, daß damit das heimliche Rauchen hinten in einer Ecke des Schulhofes unterbunden wird.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Staatssekretär, stimmt die in der Fragestellung aufgestellte Behauptung überhaupt, daß Rauchen zum Haschkonsum prädisponiere?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dafür gibt es keine überzeugenden wissenschaftlichen Belege.
Danke.
Keine Zusatzfrage mehr.
Frage 54: Der Fragesteller bittet um schriftliche Beantwortung. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit ist die Fragestunde zu Ende.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, 1. Dezember, vormittags 9.00 Uhr ein und schließe die 152. Sitzung des Deutschen Bundestages.