Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Der in der 130. Sitzung des Deutschen Bundestages am 23. Juni 1971 den Ausschüssen für Jugend, Familie und Gesundheit, für Wirtschaft und für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten überwiesene Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung und Bereinigung des Rechts im Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen — Drucksache VI/2310 — soll nach einer Vereinbarung im Ältestenrat auch dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung überwiesen werden. — Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister des Innern hat am 20. Oktober 1971 die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Umweltschutzgesetzgebung und Ressortzuständigkeiten für Fragen des Umweltschutzes — Drucksache VI/2670 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/2749 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen hat am 20. Oktober 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Baier, Röhner, Biechle, Frau Stommel, Vogt, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Frau Griesinger und Genossen betr. steuerliche Absetzbarkeit von Haushaltsgeräten — Drucksache VI/2663 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/2751 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen hat am 21. Oktober 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Sprung, Dr. Warnke, Weigl, Dr. Unland, Rock, Dr. Jobst, Niegel, Seiters, Dr. Fuchs und Genossen betr. Investitionszulagengesetz — Drucksache VI/1718
— beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/2752 verteilt.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Änderungsvorschläge der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 5. Mai 1970 über die Reform der Landwirtschaft
— Drucksache VI2696 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten , Ausschuß für Wirtschaft, Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für andere Gewebe aus Baumwolle, der Tarifnr. 55.09 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in Israel
— Drucksache VI/2715 —überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 2164/70, 2165/70, 463/71, 1235/71 hinsichtlich der Einfuhren von Olivenöl aus Spanien, Tunesien, Marokko und der Türkei
— Drucksache VI/2716 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates
über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Baumwollgarne, nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf, der Tarifnummer 55.05 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in Malta
über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für synthetische und künstliche Spinnfasern, der Tarifnummer 56.04 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in Malta
über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Oberbekleidung, der Tarifnummer 60.05 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in Malta
über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Oerbekleidung für Männer und Knaben, der Tarifnummer 61.01 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in Malta
— Drucksache VI/2717 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates
Tiber die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für getrocknete Feigen, in unmittelbaren Umschließungen, mit einem Gewicht des Inhalts von 15 kg oder weniger, der Tarifnr. ex 08.03 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in Spanien
über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für getrocknete Weintrauben, In unmittelbaren Umschließungen mit einem Gewicht von 15 kg oder weniger, der Tarifnr. 08.04 B I des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in Spanien
über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für andere Gewebe aus Baumwolle, der Tarifnr. 55.09 des Gemeinsamen Zolltarifs, mit Ursprung in Spanien
über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für bestimmte in Spanien raffinierte
Erdölerzeugnisse des Kapitels 27 des Gemeinsamen Zolltarifs
— Drucksache VI/2718 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Der Ablauf der heutigen Tagesordnung ist gestern im Ältestenrat geringfügig verändert worden; Sie ersehen die Reihenfolge der Punkte aus der Ihnen vorliegenden neuen Tagesordnung. —
Ich rufe zunächst Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 27 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache VI/2681 —
Dazu hat das Wort Herr Abgeordneter Halfmeier.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Mit der Drucksache VI/2681
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8364 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 146. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Oktober 1971
Halfmeierwird Ihnen innerhalb von acht Tagen zum zweitenmal eine Sammelübersicht des Petitionsausschusses über Anträge zu insgesamt 80 Petitionen vorgelegt. Ich möchte als Mitglied des Ausschusses in aller Bescheidenheit auf diese Tatsache hinweisen, weil sie, wie ich meine, doch einiges über den Umfang der Arbeit dieses Ausschusses aussagt.Über die Arbeit des Petitionsbüros jedoch sagt diese Vorlage nur die halbe Wahrheit oder noch weniger aus, weil zum Glück eine ganze Anzahl von Petitionen schon im Büro selbst positiv beschieden werden konnte. Darum sind die hier aufgeführten Petitionen, was die hilfreiche Arbeit des Petitionsbüros betrifft, nur die Spitze eines Eisberges.Der größte Teil der heute zur Entscheidung anstehenden Petitionen kann aber — das liegt in der Natur der Sache — wieder einmal nur nach Prüfung der Sach- und Rechtslage als erledigt angesehen werden. So lauten deshalb auch die Anträge des Ausschusses, obgleich wir dabei in manchen Fällen durchaus kein gutes Gefühl haben. Wir haben deshalb kein gutes Gefühl, weil uns bei einer Vielzahl von Petitionen die rechtliche Möglichkeit, die Sachverhalte genau zu prüfen, fehlt. Uns fehlt vor allem das in dem Gesetzentwurf über die Erweiterung der Befugnisse des Petitionsausschusses angestrebte Recht auf Aktenvorlage seitens der Bundesregierung und der Verwaltung, das Recht auf Anhörung des Petenten und anderer Beteiligter sowie das Recht auf Amtshilfe durch Gerichte und Verwaltungsbehörden. — Ich wiederhole deshalb die vielfach vorgebrachte Bitte des Petitionsausschusses, den vorliegenden Gesetzentwurf baldmöglichst zu verabschieden, damit der Ausschuß seine Aufgabe sachgerechter und mit größerer Effektivität erfüllen kann.Meine Damen und Herren! Trotz des zur Zeit noch unzulänglichen Instrumentariums, das dem Ausschuß für seine Arbeit zur Verfügung steht, haben wir doch bei etwa 10 bis 12 % der hier aufgeführten Petitionen den Antrag gestellt, die Petition der Bundesregierung zu überweisen. In einem Fall geschieht dies, um durch Änderung des zur Zeit bestehenden Rechtszustandes eine Berücksichtigung des Petitums durch die Bundesregierung zu erwirken. Darüber wird die Bundesregierung, wenn das Hohe Haus heute antragsgemäß beschließt, in angemessener Zeit Bericht erstatten.In acht Fällen aber hat sich der Ausschuß damit begnügt, den Antrag zu stellen, die Petitionen der Bundesregierung als Material zu überweisen. Es handelt sich dabei um Petitionen, die einen Tatbestand ansprechen, der der Bundesregierung für kommende Gesetzgebungsvorhaben wichtige Hinweise hinsichtlich der Bedürfnisse und Erwartungen der Bevölkerung gibt.Alle diese Petitionen haben den Ausschuß intensiv beschäftigt und waren einem strengen Se-lektionsverfahren unterworfen. Dabei wurden alle nicht ganz seriösen, abwegigen oder gar nur polemisch gemeinten Petitionen herausgefiltert. Der Petitionsausschuß erwartet darum, daß diese der Bundesregierung als Material überwiesenen Petitionen nicht nur die Aktenschränke und dann später die Papierkörbe der Ministerien anreichern, sondern ernst genommen werden, ungeachtet der Tatsache, daß die Regierung über die Art der Verwendung oder Beachtung dieser Petitionen keinerlei Rechenschaft ablegen muß.Es gibt erfreuliche Beispiele dafür, wie diese Petitionen später den Fachausschüssen als Entscheidungshilfen bei Beratungen von Gesetzesvorlagen zugänglich gemacht werden. Ich möchte deshalb alle Ministerien auffordern, sich diesem Verfahren anzuschließen, weil diese Petitionen zweifellos geeignet sind, die Beratungen in den Fachausschüssen zu befruchten.Zum Schluß darf ich Sie, meine Damen und Herren, im Namen des Petitionsausschusses bitten, den Anträgen Ihre Zustimmung zu geben.
Meine Damen und Herren, zu der Vorlage sprach der Abgeordnete Halfmeier. Er hielt seine Jungfernrede. Ich darf ihm im Namen des Hauses unsere Glückwünsche aussprechen.
Sie haben das Petitum gehört. Es wird empfohlen zuzustimmen. — Ich sehe keine Gegenstimmen; es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 4 g auf:Beschlußfassung über den Mündlichen Bericht des Haushaltsausschusses über den von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entschließungsantrag zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1971hier : Einzelplan 10Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft Forsten— Umdruck 141, Drucksache VI/2304 — Berichterstatter: Abgeordneter SchollmeyerÜber diesen Punkt haben wir gestern nicht abgestimmt und haben heute lediglich Beschluß zu fassen. Der Ausschuß gibt dazu eine Empfehlung; Sie haben sie vor sich liegen. Der Antrag des Ausschusses lautet:Der Bundestag wolle beschließen, von dem Entschließungsantrag— Umdruck 141 —a) die Nummer 1 wegen der inzwischen abgeschlossenen Verhandlungen in Brüssel für erledigt zu erklären,b) die Nummern 2 bis 5 abzulehnen,c) die Nummer 6 für erledigt zu erklären.Wer diesem Ausschußantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei Gegenstimmen ohne Enthaltungen ist der Antrag angenommen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 146. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Oktober 1971 8365
Präsident von HasselWir fahren mit einer Umstellung in der Tagesordnung fort. Ich darf Ihnen dazu folgendes darlegen. Im Ältestenrat ist gestern darüber gesprochen worden, in welcher Reihenfolge man die drei Tagesordnungspunkte 6, 7 und 8 zu behandeln die Absicht habe. Es gab Neigung dazu, den Punkt 7 vorzuziehen. Es ist mir heute morgen gesagt worden, daß man interfraktionell eine Verständigung dahin erzielt habe, zunächst mit dem Punkt 6 zu beginnen und dann die Punkte 7 und 8 a und b anzuschließen. Ich habe gestern im Ältestenrat dargestellt, daß Redner, die zu einem der Punkte sprechen, aber einen der beiden anderen Punkte gleichzeitig mitbehandeln wollen, das tun können.Ich rufe also gemäß der mir heute morgen mitgeteilten interfraktionellen Vereinbarung zunächst Punkt 6 auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten Katzer, Strauß, Geisenhofer, Varelmann und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Alterssicherung für Frauen und Kleinstrentner— Drucksache VI/2584 —Wird dazu das Wort gewünscht? — Der Abgeordnete Geisenhofer. Es ist eine Redezeit von dreißig Minuten beantragt worden.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion zur Verbesserung der Alterssicherung für Frauen und Kleinstrentner — Drucksache VI/2584 — beinhaltet die Anhebung der Renten jener Kleinstrentner auf 85 % der allgemeinen Bemessungsgrundlage vom 1. Januar 1972 an, die 25 Jahre und mehr versicherungspflichtige Tätigkeit aufzuweisen haben und in ihrem Arbeitsleben insgesamt nicht 85 % der Bemessungsgrundlage erreicht haben. Mit anderen Worten: Wer mindestens 25 Jahre einschließlich Ersatz- und Zurechnungszeiten Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet hat, soll, auch wenn er weniger verdient hat, eine Rente in der Höhe erhalten, als wenn er 85 % des Durchschnittsarbeitseinkommens aller Arbeitnehmer im Mittel der letzten drei Jahre verdient hätte.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Kleinstrentner sind verbittert, weil sie in einer Zeit des großen Wohlstandes einerseits und in einer Zeit der höchsten Inflationsrate der Nachkriegszeit andererseits Renten erhalten, die sich unter den Sozialhilfesätzen bewegen oder hart am Rande dieser Sätze liegen. Die Rente einer Hausgehilfin, die 25 Jahre versicherungspflichtig tätig war, beträgt heute kaum 200 DM. Einen solchen, ja, einen höheren Betrag, nämlich einen Betrag von 250 DM im Monat, erhält auch jemand, der Sozialhilfe empfängt, ohne Arbeits- und Beitragsleistungen erbracht zu haben.Die Zahl derjenigen Rentner, deren Rente unter dem Sozialhilfeniveau liegt, hat im Jahre 1971 in erschreckendem Maße zugenommen. Daher sind dringend gesetzliche Maßnahmen zur Verbesserung der Kleinstrenten notwendig. Natürlich sind nicht alle Kleinstrentner arme Leute, aber viele Hunderttausende unter ihnen sind es. Unter den 10,2 Millionen Rentnern in der Bundesrepublik Deutschland befinden sich etwa 2 Millionen Rentner, deren monatliche Rente nicht höher als 300 DM ist.Man kann diese Kleinstrentner in drei Kategorien einteilen. Zur ersten Kategorie gehören all jene Kleinstrentner, die wegen weniger Beitragsjahren nur eine Gastrolle in der Sozialversicherung spielen und daher von der Versicherungszeit, aber auch von der Beitragshöhe her nur kleine Renten und Kleinstrenten zu erwarten haben. Das Problem der Kleinstrenten auf Grund kurzer Versicherungszeit, niedriger Beiträge sowie Nebenerwerbs- und Teilzeitarbeit wird es immer geben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir können und dürfen die Beiträge derjenigen Versicherten, die sie 40 Jahre und länger in die Sozialversicherung einbezahlt haben, nicht umverteilen und jenen geben, die nur kurze Versicherungspflichtzeiten aufzuweisen haben. Das wäre ungerecht und unsozial. Das muß beachtet werden.Zur zweiten Kategorie der Kleinstrentner gehören diejenigen, die jetzt ohne eigenes Verschulden so niedrige Renten beziehen. Dies ist die sozialpolitisch wichtigste Kategorie. Es handelt sich hier um diejenigen, die die Hälfte ihres Lebens und noch länger versicherungspflichtig tätig waren, aber wenig Lohn erhielten, deren Leistungen also unterbewertet wurden. Dazu gehören die dienenden Berufe, die landwirtschaftlichen Dienstkräfte, Hausgehilfinnen, Fabrikarbeiterinnen, Krankenschwestern usw. Unsere Rentenversicherung hat sich bewährt. Wir müssen aber auch feststellen, daß bei diesem Rentensystem unbefriedigende Ergebnisse für die alten Menschen erzielt werden, deren Arbeitseinkommen unverhältnismäßig niedrig war und nicht den erbrachten Leistungen entsprach.Meine sehr verehrten Damen und Herren, man sagt, die Renten seien beitrags- und leistungsbezogen. Daß sie beitragsbezogen sind, ist unbestritten. Daß sie in allen Bereichen aber auch leistungsbezogen sind, wird sehr in Frage gestellt. Wären sie auch leistungsbezogen, dürften Hausgehilfinnen, Krankenschwestern, landwirtschaftliche Dienstboten usw. nicht zu den Kleinstrentnern gehören. Sie haben länger als 8 Stunden am Tag gearbeitet. Sie haben große Leistungen vollbracht. Aber leider sind sie Kleinrentner. Ihre Leistungen wurden unterbewertet.
Die Lösung des Kleinstrentenproblems kann durch jährliche prozentuale Rentenanpassungen oder durch zusätzliche Anpassungen allein nicht gelöst werden. Eine solche Maßnahme, wie sie die CDU/CSU-Fraktion im 15. Rentenanpassungsgesetz für die 10,2 Millionen Rentner und für die 2,2 Millionen Kriegsopfer in einem Anpassungsgesetz vorsieht, ist allerdings dringend notwendig, um die erschütterte Rentenbasis wieder in Ordnung zu bringen, auf der alle anderen Maßnahmen aufgebaut werden müssen. Es muß vielmehr eine zusätzliche Anhebung der Kleinstrenten, und zwar eine gezielte Anhebung, erfolgen.
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8366 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 146. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Oktober 1971
GeisenhoferDieser Forderung trägt der vorliegende Gesetzentwurf der CDU/CSU Rechnung. Nach diesem Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion ergeben sich für über eine Million Kleinstrentner zusätzliche Rentenerhöhungen von monatlich bis zu 100 DM und weit darüber. Die Kosten belaufen sich auf 930 Millionen DM. Sie können aus den Überschüssen der Rentenversicherung finanziert werden. Begünstigt würden durch diesen Vorschlag der CDU/CSU am i. Januar 1972, wenn er in Kraft träte, etwa 567 000 weibliche Versicherte, 228 000 Witwen und 227 000 männliche Versicherte. Der große Anteil der Frauen unter den Begünstigten erklärt sich daraus, daß Frauen im Durchschnitt deutlich weniger verdient haben als Männer. Auch die Witwenrenten werden nach unserem Gesetzentwurf angehoben.Wir schaffen keine generellen Mindestrenten, bei denen es gleichgültig ist, wie lange jemand versicherungspflichtig gearbeitet hat, sondern wir schaffen Renten, die sich nach Leistungen, nach Arbeitsjahren und Mindesteinkommen orientieren. Ich sage mit aller Deutlichkeit und mit allem Ernst: Ziel dieser Verbesserung muß sein, Rentner mit 25 Jahren versicherungspflichtiger Tätigkeit durch eine Rente von mindestens 300 DM monatlich aus der Sozialhilfe herauszuführen. Sie gehören nicht in die Sozialhilfe, wenn sie so lange versicherungspflichtige Arbeit geleistet haben.
Wenn nunmehr die Bundesregierung ebenfalls, wenn auch mit einem ungenügenden Vorschlag und verspätet, die Initiative zur Anhebung der Kleinstrenten ergreift, dann nur deswegen, weil sie durch die CDU/CSU-Fraktion aufgeschreckt und dazu gezwungen wurde. Weder in der Regierungserklärung — und das bedauern wir noch in einer anderen Verlautbarung hat sich die Bundesregierung jemals der Kleinstrentner erinnert. Sie, Herr Professor Schellenberg — ich muß Sie ansprechen , bezeichneten die ehrlichen Bemühungen der CDU/ CSU, den Kleinstrentnern zu helfen, noch im vergangenen Jahr öffentlich als Wahlschwindel. Wir haben im vergangenen Jahr eine Pressekonferenz abgehalten und den Gesetzentwurf der Presse vorgestellt, und da haben Sie uns als Wahlschwindler bezeichnet.
Das beweist, daß Sie und die SPD sich der Sorgen, der Tragik und der Situation der Kleinstrentner überhaupt nicht bewußt waren.
— Das ist nicht unverschämt, das ist eine Tatsache. Ich habe die Presseerklärungen.Der bekanntgewordene Vorschlag der Bundesregierung, die Kleinrenten erst nach 35 Versicherungsjahren auf zunächst 66 2/3 % und seit vorgestern auf 70 % der allgemeinen Bemessungsgrundlage anzuheben, geht am Problem vollkommen vorbei. Er schließt nämlich die Masse der Bedürftigsten aus und erhöht die Renten viel zu wenig. Dennoch begrüßen wir die Verbesserung von 66 2/3 % auf 70 % und sehen darin auch unseren Erfolg.
Im Unterschied zu den Vorstellungen der Bundesregierung und des Bundesarbeitsministeriums sieht der CDU/CSU-Gesetzentwurf eine wirkliche Verbesserung der Lage der benachteiligten Kleinrentner vor.Erstens. Die Rente soll auf 85 % statt, wie der Regierungsvorschlag lautet, auf 70 % der allgemeinen Bemessungsgrundlage angehoben werden. Erst bei Anhebung auf 85 % wird die Herauslösung der Rentner aus der Sozialhilfe erreicht, nicht bei einem Prozentsatz darunter.
Bei Annahme des Entwurfs eines 15. Rentenanpassungsgesetzes der CDU/CSU genügt dann allerdings ein geringerer Anpassungssatz. Die Mindestrente beträgt nach dem Regierungsvorschlag nach 35 Jahren versicherungspflichtiger Tätigkeit zunächst 320 DM im Monat, seit vorgestern 367 DM, nach dem CDU/CSU-Vorschlag dagegen 407 DM. Für Rentner, die 25 bis 34 Versicherungsjahre aufzuweisen haben, tut die Bundesregierung überhaupt nichts. Hier wird es eine ganz große Enttäuschung bei den Rentnern geben.
Zweitens. Als Voraussetzung für die Rentenaufbesserung sollen nach dem CDU/CSU-Vorschlag 25 Versicherungsjahre genügen statt 35 Versicherungsjahre nach dem Vorschlag der Bundesregierung. Wir von der CDU/CSU helfen damit einer Million alter Menschen, die Bundesregierung nur einem Drittel davon.Drittens. Der Gesetzentwurf der CDU/CSU hilft auch Rentnerinnen und Rentnern, die wegen künftig zu geringer Entlohnung eine zu niedrige Rente erhalten, während die Bundesregierung lediglich eine Übergangslösung vertritt und nur solche Rentenbestandteile erhöhen will, die auf Beiträgen bis zum Jahre 1972 beruhen.Herr Minister Arendt, Sie haben kürzlich beim Fernseh-Hearing in Bochum auf meine diesbezüglichen Ausführungen gekontert und gesagt, die Opposition handele nach dem Grundsatz: „Wer bietet mehr? Die Opposition bietet mehr!" Nehmen Sie zur Kenntnis, daß es unser ernstes Bemühen ist, nicht billige Versprechungen zu machen, sondern den Lebensstandard der ärmsten Schichten unseres Volkes, nämlich der Kleinstrentner, tatsächlich anzuheben; denn was sie haben, reicht nicht.
Diesen Schichten muß tatsächlich mehr geboten werden, Herr Bundesminister Arendt, als die Inflationsrate. Eine Bundesregierung, die eine Inflationsrate von 6 % zuläßt, trifft die Kleinstrentner am schwersten. Eine solche Regierung ist dann aber auch verpflichtet, das Unrecht möglichst bald wiedergutzumachen. Leider vermissen wir den ernsten Willen der Bundesregierung zu einer ausreichenden Initiative dazu.Im Ausschuß — da appelliere ich an das ganze Hohe Haus — muß ferner geprüft werden, ob bei
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Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode — 146. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Oktober 1971 8367
GeisenhoferFrauen auch die Zeiten der Kindererziehung zu den verlangten 25 Jahren hinzugerechnet werden könnten und sollten. Desgleichen müßte geprüft werden, ob Krankheit und Arbeitslosigkeit, also die Ausfallzeiten, mit einbezogen werden können. Wir sollten weiter darüber diskutieren, wie in Zukunft die Teilzeitarbeit bewertet werden und wie die Neuberechnung der Renten nach der Umstellung am zweckmäßigsten vor sich gehen soll.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir alle zusammen müssen helfen, daß in Zukunft Kleinstrenten nach 25 Jahren versicherungspflichtiger Tätigkeit verhindert werden. Zwar ist das Kleinstrentenproblem, verursacht durch den Strukturwandel und die Unterbewertung der Arbeitsleistungen, im Auslaufen begriffen; die Tarifpartner sehen heute auch für dienende Berufe in der Regel Löhne vor, die über 85 % der allgemeinen Bemessungsgrundlage liegen. Aber das „in der Regel" bedeutet — und da appellieren wir an die Tarifpartner —, dafür zu sorgen, daß in Zukunft tatsächlich darauf geachtet wird, daß keine Tarifverträge unter 85 % der allgemeinen Bemessungsgrundlage abgeschlossen werden.Die dritte Kategorie umfaßt jene Kleinrentner, die, weil sie kein zusätzliches Einkommen haben, von der Kleinstrente leben müssen, aber nicht leben können und deswegen zur Sozialhilfe verwiesen werden. Was diesen Personenkreis betrifft, so ist es ein Unrecht, daß Rentner, die auf die Sozialhilfe angewiesen sind, ihren gesamten Rentenbetrag bis zu 250 DM monatlich in die Sozialhilfe einbringen müssen. Das Ergebnis einer 25jährigen Versicherungszeit ist verloren. Deswegen sind diese Kleinstrentner ebenfalls verbittert. Um wenigstens einen Teil des Ergebnisses einer so langen Arbeitszeit in der Sozialhilfe zu honorieren, hat die CDU/CSU-Fraktion schon am 20. Januar dieses Jahres einen Gesetzentwurf eingereicht, der vorsieht, daß Sozialhilfeempfänger, die gleichzeitig Rentner sind, einen monatlichen Freibetrag von 75 DM erhalten. Ich bedaure zutiefst, daß dieser Gesetzentwurf schon ein halbes Jahr im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit auf Eis liegt. Die CDU/CSU-Fraktion fordert, daß dieser Gesetzentwurf endlich weiterbehandelt wird.
Wir bedauern auch zutiefst — Herr Professor Schellenberg, Sie erinnern sich sehr gut an die Debatte hier im Bundestag —,daß unser Antrag, ab 1. Juli 1971 40 Millionen DM bereitzustellen, um zu diesem Zeitpunkt die Verbesserung einführen zu können, von der SPD/FDP-Koalition abgelehnt wurde, und zwar mit dem Hinweis auf Stabilitätssicherung. Es ist schlecht bestellt um diese Bundesregierung, wenn sie die Stabilitätssicherung auf dem Rücken der Ärmsten und Armen, der Rentner und Sozialhilfeempfänger, bewerkstelligen will.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die CDU/CSU geht das Kleinrentenproblem mit zwei Gesetzentwürfen von den beiden härtesten Seiten an. Die eine Härteseite, die wir mildern und beseitigen wollen, betrifft Personen, die 25, 30, 40 und 50 Jahre, ihr ganzes Leben, hart gearbeitet haben und die im Lohngefüge immer unterbewertet waren. Denen muß am stärksten geholfen werden. Das ist der eine Gesetzentwurf, der heute hier im Hohen Hause zur Diskussion steht. Die zweite Härteseite betrifft die Kleinstrentner, die zur Sozialhilfe müssen, weil sie anderweitig keine Hilfe bekommen können. Denen soll mit unserem zweiten Gesetzentwurf geholfen werden durch die Einführung eines Freibetrages von 75 DM monatlich. Dazwischen liegt jene große Zahl der Kleinstrentner, die keine Verbesserung erhalten können, weil sie weder 25 Jahre versicherungspflichtig tätig waren noch zur Sozialhilfe müssen, da ihr Einkommen über den Sozialhilfesätzen liegt. Das Problem der Kleinstrenten ist differenziert und kompliziert. Einige Kleinstrentner können sogar Millionäre sein. Hunderttausende aber gehören zu den Ärmsten der Armen. Das ist ein ganz schwieriges Problem.Die bisherigen Bemühungen, den Kleinstrentnern zu helfen, sind in der Vergangenheit nicht schlecht gewesen. Sie sind anzuerkennen. Aber sie haben nicht ausgereicht. Durch die Härtenovelle wurde 1965 nachträglich jenen Kleinstrentnern geholfen, die neben Barbezügen auch Sachbezüge oder nur Sachbezüge, beispielsweise in der Landwirtschaft, erhalten haben. In der Tat hat sich das Problem der Kleinrenten durch die Härtenovelle und durch die von der CDU/CSU eingeführten jährlichen dynamischen Rentenanpassungen so lange gemildert, wie die Preisstabilität anhielt. Diese Entwicklung hat sich seit zwei Jahren nicht mehr fortgesetzt, sondern ins Gegenteil verkehrt. Das Los der Kleinstrentner verschlechtert sich durch den Geldwertschwund von Tag zu Tag. Das geht auf das Schuldkonto dieser Bundesregierung.Meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf zur Anhebung der Kleinstrenten stellt keine Einzelmaßnahme oder ein Flickwerk dar, sondern ordnet sich organisch in die von der CDU/CSU-Fraktion vertretene Gesamtkonzeption einer Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung ein, welche den Arbeitnehmern und den Rentnern die solidarische Generationenhaftung sichert, die Rente in ihrer Lohnersatzfunktion ausweist und die finanziellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten berücksichtigt. Zu dieser Gesamtkonzeption gehören auch der von Kollegen Katzer gleich zu begründende Entwurf eines Fünfzehnten Rentenanpassungsgesetzes, die Verbesserung der Sozialhilfe, die Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige und Freiberufliche sowie unsere Vorstellungen zur flexiblen Altersgrenze und zur Schaffung einer selbständigen Frauenrente, wie sie die Gleichberechtigung der Frau heute erfordert.Wenn wir nicht alles auf einmal leisten können, müssen wir Prioritäten setzen, Prioritäten für die alten Menschen. Nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion ist die Anhebung des Rentenniveaus und die zusätzliche Anhebung der Kleinstrenten bei 25 Jahre versicherungspflichtiger Tätigkeit der erste Schritt und die Voraussetzung zur Einführung einer flexiblen Altersgrenze auch für Klein- und Mittelver-
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8368 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 146. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Oktober 1971
Geisenhoferdiener. Wer ohne Anhebung der Kleinstrenten die flexible Altersgrenze einführt, übt Betrug an Klein-und Mittelverdienern, weil diese die Rente nicht vorziehen können, selbst wenn sie dürften; sie sinken in die Bereiche der Sozialhilfe ab.Wir müssen aber auch — und damit komme ich zum Schluß —rasch handeln, so rasch, wie das bei Rentenerhöhungen besonderer Art hier im Hohen Hause schon möglich geworden ist. Herr Bundesminister Arendt, ich habe die Presseerklärung der Bundesregierung zum Fünf-Punkte-Paket zur Hand. Es ist bestürzend, daß in dem veröffentlichten Fünf-Punkte-Programm der Bundesregierung die Kleinstrentner am schlechtesten abschneiden. Es ist bestürzend, daß Sie so viele Kleinrentner von der Verbesserung ausschließen. Es ist bestürzend, daß die anderen, die begünstigt werden, eineinviertel Jahr auf die kleinen Verbesserungen warten müssen, bis zum 1. Januar 1973 warten müssen, obwohl heute während dieser Debatte Millionen Rentner hilfesuchend nach Bonn blicken.Wir von .der CDU/CSU fordern die Regierung dringend auf, die Kleinstrentenregelung aus dem Paket herauszunehmen und sie in verbesserter Form bereits am 1. Januar 1972 in Kraft zu setzen. Herr Bundesminister, darf ich Sie fragen: Was hindert Sie daran? Nichts, aber auch gar nichts. Die 400 Millionen DM, die nach Ihrem Vorschlag benötigt werden, und die 930 Millionen DM, die nach unserem verbesserten Vorschlag benötigt werden, können aus den Überschüssen der Rentenversicherung finanziert werden, die jetzt schon da sind.
Man muß sich doch ernstlich fragen: Was ist die Ursache? Schielen Sie, Herr Bundesminister, auf den Schlitz der Wahlurne des Jahren 1973?
Sie machen keine Sozialpolitik, sondern Sie machen Wahlpolitik, und das enttäuscht mich bitter.
Man sage ja nicht, das Paket müsse zusammengeschnürt bleiben. Wenn Sie das sagen würden, dann sage ich Ihnen, es lebe das Paket, und mache Ihnen den Vorwurf, daß die kleinen Rentner dann tot wären.Ich darf schließen. Wir müssen für die Kleinstrentner, für die schwächsten Schichten unseres Volkes, das tun, was die Stunde heute fordert. Setzen wir Gegenwartszeichen und machen wir nicht so viel Zukunftsversprechungen. Meinem Kollegen Varelmann möchte ich bei dieser Gelegenheit Dank und Anerkennung sagen, weil er lange Jahre vorher und seit meinem Eintritt in den Bundestag viele Jahre mit mir an der vordersten Front für die Kleinstrentner gekämpft hat. Ich bitte um Überweisung an den Ausschuß.
Sie haben die Einbringung zum Tagesordnungspunkt 6 gehört. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg. Für ihn hat die Fraktion 45 Minuten beantragt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus Anlaß des vorliegenden Gesetzentwurfs der CDU/CSU möchte ich im Namen meiner Fraktion entsprechend der Anregung, die der Herr Präsident vorhin gegeben hat, einige grundsätzliche Feststellungen zum Rentenproblem machen.Die CDU/CSU hat vier Gesetzentwürfe zur Rentenfrage vorgelegt, außer diesem Gesetzentwurf den Entwurf eines Fünfzehnten Rentenanpassungsgesetzes, den Gesetzentwurf zur Verbesserung der Sozialhilfe für Kleinrentner und den Gesetzentwurf zur Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige.Gegenüber diesen isolierten Regelungen hält die sozial-liberale Koalition ein Gesamtkonzept zur Reform der Rentenversicherung für erforderlich.
Deshalb hat der Bundestag auf Antrag der beiden Koalitionsparteien gegen die Stimmen der Opposition am 23. Juni der Bundesregierung den Auftrag erteilt, einen Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Rentenversicherung vorzulegen. Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung diesen Auftrag des Hauses zügig erfüllt und vorgestern den Entwurf eines Rentenreformgesetzes verabschiedet hat.
Nunmehr liegen der Öffentlichkeit die politischen Alternativen der sozial-liberalen Koalition und der Opposition zur Weiterentwicklung der Rentenversicherung vor: hier die sozial-liberale Koalition mit einem Gesamtkonzept für die Rentenreform und dort die Opposition mit isolierten und, wie ich beweisen werde, unausgegorenen Einzelregelungen. Daran können auch die sehr liebevollen Ausführungen vom Kollegen Geisenhofer
nichts ändern.
Ja, liebevoll gemeint; aber der Inhalt war unausgegoren!
Hierzu einige Feststellungen! Erstens, Herr Kollege Geisenhofer, damit spreche ich Sie und Ihre Fraktion an: Hinsichtlich der Mindestrente fehlt der Opposition jede eigene gesellschaftspolitische Konzeption. Im sozialpolitischen Regierungsprogramm der CDU/CSU vom 20. August 1969 heißt es nämlich — ich zitiere —
— Das hören Sie ungern, weil Sie das nämlich beschlossen haben im Hinblick auf eine erhoffte CDU-Regierung, und jetzt sieht die gleiche Sache bei Ihnen als Opposition völlig anders aus. — Im August 1969 heißt es bei der CDU/CSU wörtlich:
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 146. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Oktober 1971 8369
Dr. SchellenbergDie Bereinigung des sogenannten Problems der Kleinrenten im Rahmen des Rentenversicherungsrechtes ist nicht möglich.Dann heißt es weiter:Sofern eine Kleinrente einziger — —
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Härzschel?
Bitte schön, Herr Kollege Härzschel.
Herr Professor Schellenberg, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß dieses Zitat aus einem veröffentlichten Artikel stammt und nicht aus einem Beschluß der CDU/CSU-Fraktion?
Ich lese aus der Unterlage vor, Herr Kollege Härzschel, damit Sie sich diese beschaffen und die Öffentlichkeit richtig unterrichten können: „CDU/CSU-Fraktion Sozialpolitisches Schwerpunktprogramm der CDU/CSU-Fraktion für die 6. Legislaturperiode".
— Ja, meine Damen und Herren, was ist das? Ist das etwa ein persönlicher Artikel von Herrn Schulze ich will nicht Schulze-Vorberg sagen —, oder ist das — wie ich erkläre — ein Schwerpunktprogramm der Fraktion? Das ist der Tatbestand, und daran halten wir uns.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Varelmann?
Ich will Ihnen weiter aus Ihrem Schwerpunktprogramm vorlesen. — Bitte schön, Herr Kollege Varelmann.
Herr Professor, ist es verboten, daß die Sozialpolitiker im Laufe der Zeit klüger werden und zu besseren Erkenntnissen kommen?
Ja, wenn sie sich der besseren Auffassung der sozial-liberalen Koalition anpassen, das wäre ein großer Fortschritt.
Darauf komme ich noch zurück. Lassen Sie mich erst mal weiterreden.
— Darauf komme ich noch zurück. Das will ich Ihnen aus Ihrem Schwerpunktprogramm vorlesen; genau werde ich es Ihnen sagen.Aber ich möchte noch vorlesen, was in dem sozialpolitischen Schwerpunktprogramm der CDU/ CSU steht. Dort heißt es:Soweit eine Kleinrente einzige Einkommensquelle ist, kann zusätzlich Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz in Anspruch genommen werden.So Ihr Programm.
— Lieber Herr Kollege Müller, wenn bei der CDU/ CSU Assistenten Schwerpunktprogramme für die gesamte Fraktion herausgeben, dann ist es ein sehr schlechtes Zeichen für Ihre Fraktion, daß Sie sich nicht einen Tag danach davon distanziert und dieses Programm zurückgezogen haben. Das haben Sie nicht getan.
Das muß hier festgestellt werden, damit alle die Dinge klar sehen.Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben ja nach diesem Schwerpunktprogramm folgerichtig gehandelt, jedenfalls zuerst; denn der frühere CDU/CSU-Gesetzentwurf, den Herr Kollege Geisenhofer erwähnt hat, der Gesetzentwurf zur Verbesserung der Sozialhilfe für Kleinrentner vom Dezember 1970, beruht auf der Vorstellung: Wer eine Kleinrente hat, soll zum Sozialamt gehen. Das ist der Inhalt. Damit hat sich die CDU/CSU vor zehn Monaten hinsichtlich der Mindestrenten gegen eine Regelung innerhalb der Sozialversicherung und für das Sozialamt entschieden.Und dann kommt der Wandel, dann die Kurve, die Sie genommen haben oder zu nehmen versuchen.
— Wenn Sie die Kurve richtig nehmen, begrüße ich das.Bei dem Auftrag an die Bundesregierung vom 23. Juni auf Vorlage eines Rentenreformgesetzes hat meine Fraktion eine Mindestrente für alle diejenigen gefordert, die ein Leben lang gearbeitet und Beiträge gezahlt haben. Das hat die CDU dann veranlaßt, ihre bisherige strikte Ablehnung von Mindesrenten aufzugeben und zu versuchen, die Kurve in Richtung des Auftrages der sozial-liberalen Koalition zu nehmen.Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben sich die Sache viel zu leicht gemacht. Das will ich beweisen.Der vorliegende Gesetzentwurf, den Herr Kollege Geisenhofer begründet hat, ist im wesentlichen Satz
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8370 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 146. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Oktober 1971
Dr. Schellenbergfür Satz von dem Referentenentwurf des Arbeitsministeriums abgeschrieben.
— Herr Kollege Geisenhofer, nehmen Sie sich bitte einmal den Entwurf, den Sie soeben begründet haben, die Drucksache VI/2584, vor.
— Ich beweise Ihnen das mit jedem Artikel Ihres Gesetzentwurfes. Art. 1 ist abgeschrieben, mit Ausnahme der Zahlen!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Katzer?
Bitte schön, natürlich.
Herr Kollege Schellenberg, darf ich dieser Ihrer Bemerkung entnehmen, daß Sie dann diesem unserem Gesetzentwurf Ihre Zustimmung geben?
Nein.
— Herr Kollege Katzer, ich werde Ihnen sagen, was Sie nicht abgeschrieben haben, nämlich die finanzielle Größenordnung. Da versuchen Sie uns zu übertrumpfen, und dadurch schlägt die Sache in das Unsolide um.
- Jawohl. Sie haben abgeschrieben Art. 1 mit Ausnahme der Zahlen von Art. 2 § 55 a des Referentenentwurfs, Art. 2 Ihres Entwurfs von Art. 2 § 55 c des Referentenentwurfs, Art. 3 wörtlich — von Art. 2 § 54 a des Referentenentwurfs, Art. 4 von Art. 2 § 54 c des Referentenentwurfs, Art. 5 aus Art. 2, § 10
— Herr Kollege Härzschel, wenn Sie und der Sprecher Ihrer Fraktion so tun, als ob Sie eigene geistige Leistungen produziert hätten,
muß ich doch dem Hause vortragen dürfen, daß Sie den Gesetzentwurf Satz für Satz von der Bundesregierung abgeschrieben haben.
Nun komme ich zu dem Unterschied.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Geisenhofer?
Nein, ich möchte zunächst einmal meine Ausführungen fortsetzen.
Der einzige Unterschied besteht darin,
daß die Opposition die Bundesregierung übertreffen will.
Bei den Mindesteinkommen bietet die CDU/CSU nämlich über 20 % mehr als die Bundesregierung und bei der Vorversicherungszeit ist ihr Vorschlag um 30 % günstiger als der der Bundesregierung.
Die Opposition verfährt nach folgendem Motto: Man schreibe Satz für Satz vom Referentenentwurf der Bundesregierung ab, lege bei den Ausgaben erheblich drauf, gebe dem Ganzen einen schönen Titel und bringe das dann als einen eigenen Gesetzentwurf im Bundestag ein. Das ist Ihre Konzeption.
Meine Damen und Herren, Sie wären besser beraten gewesen,
wenn Sie den Referentenentwurf ganz abgeschrieben hätten.
Dadurch, daß Sie versuchen, die Bundesregierung wesentlich zu übertreffen, kommen Sie nämlich zu Regelungen, die sozialpolitisch überdreht sind. Ich will Ihnen das beweisen.
Die CDU wünscht, daß den Pflichtversicherten unabhängig von der Höhe der geleisteten Beiträge eine Rente gewährt wird, die von 85 % des Durchschnittsverdienstes aller Versicherten ausgeht. Diese Regelung würde bedeuten, daß jemand, der 1972 — dann soll Ihr Gesetzentwurf in Kraft treten — den Mindestbeitrag aller beschäftigten Pflichtversicherten zahlt — das sind 45 DM —, damit den gleichen Rentenanspruch erwürbe wie ein Versicherter, der einen Monatsbeitrag von 187 DM zahlt. Das können Sie nach der RVO und dem Rentenanpassungsbericht nachrechnen. Das ist der Tatbestand.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Riedl?
Nein, ich möchte erst einmal fortfahren. Ich kann das Material, die genauen Berechnungen — wenn gewünscht — der Presse, übergeben. Im übrigen werden die Kollegen aus dem Ausschuß es ohnehin festgestellt haben.
— Herr Kollege, lassen Sie mich das folgende nochausführen. Ich gebe Ihnen nachher das Wort zu einer Zwischenfrage.Nach der CDU-Regelung — das ist entscheidend — ist es für die Höhe der späteren Rente in Zukunft völlig gleichgültig —
— Bitte schön, wollen Sie jetzt eine Frage stellen!
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 146. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Oktober 1971 8371
Bitte, Herr Kollege!
Herr Kollege Schellenberg, wären Sie bitte so freundlich, dem Hause zu sagen, von wann der Referentenentwurf datiert, und wären Sie weiter bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Gesetzentwurf der CDU/CSU, den der Kollege Geisenhofer vertreten hat, bereits am 29. Dezember 1969 in einem Gespräch zwischen dem Kollegen Geisenhofer und Vertretern des bayerischen Arbeitsministeriums konzipiert worden ist?
Herr Kollege, ich kann mich nur nach dem richten, was dem Hause vorliegt. Am 16. Dezember 1970 hat Ihre Fraktion den Gesetzentwurf über Sozialhilfezuschläge bei Rentnern oder bessere Anrechnung von Sozialhilfeleistungen bei Rentnern eingebracht; so geschehen im Dezember 1970. Am 23. Juni 1971 habe ich, wenn Sie es konkret wissen wollen, hier namens meiner Fraktion und namens der sozial-liberalen Koalition erklärt, die Bundesregierung möge Mindestrenten für diejenigen einführen, die lange gearbeitet, aber ein niedriges Einkommen gehabt haben. Erst im September 1971, also drei Monate später, kam Ihr Gesetzentwurf, der heute beraten wird. Das sind die Tatbestände.Meine Damen und Herren, das Entscheidende ist — das werden Sie sich noch gründlich überlegen und vielleicht bedauern —, daß es nach dem CDU/ CSU-Entwurf für die Höhe der späteren Rente in Zukunft völlig gleichgültig ist, ob der Versicherte einen Beitrag von monatlich 45 DM
— Sie müssen als Mitglied des Sozialpolitischen Ausschusses die Reichsversicherungsordnung kennen, Herr Kollege Müller — oder ob er das Vierfache des Mindestbeitrages der Pflichtversicherten, nämlich 187 DM, zahlt.Meine Damen und Herren, damit wirft die CDU das System der Beitragsgerechtigkeit über Bord und öffnet in Zukunft Manipulationen Tür und Tor. Jeder, der es nämlich bewerkstelligen kann, fiktive Arbeitsverträge abzuschließen, kann mit einem Minimalbeitrag zu einer hohen Rente, berechnet auf der Basis von 85 % des Mindestarbeitsverdienstes, kommen.Herr Kollege Geisenhofer hat das Problem der Teilzeitbeschäftigten angesprochen, aber im CDU/ CSU-Gesetzentwurf ist dies doch nicht geregelt. Ihre Regelung ist deshalb völlig unausgegoren, weil Sie für die ständig steigende Zahl der Teilzeitbeschäftigten in Ihrem Gesetzentwurf hinsichtlich der Mindestrente die gleiche Regelung wie für diejenigen treffen, die ihr ganzes Leben ständig voll gearbeitet haben. Darin liegt doch der Widerspruch, und darin liegt doch die Manipulationsmöglichkeit für die Zukunft.
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf der CDU/CSU fordert den gesetzlich vorgeschriebenenDeckungsabschnitt von 15 Jahren. Das sind nach den Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums für diesen Zeitraum 56 Milliarden DM! Trotz dieser enormen Mittel entspricht der Vorschlag der CDU/CSU nicht den Erfordernissen, die an eine Mindestrente gestellt werden müssen.In unserem Sozialleistungssystem liegt nämlich die Bedeutung der Mindestrenten darin, daß sich dabei der auf der Beitragszahlung beruhende Versicherungsgedanke mit den Zielsetzungen sozialer Gerechtigkeit verbinden muß. Das ist das Wesentliche der Mindestrente in unserem Sozialleistungssystem. Wer das nicht beachtet, gefährdet das System der beitragsbezogenen Rente.Der sozial-liberalen Koalition geht es darum, durch die Mindestrente soziale Ungerechtigkeiten der Vergangenheit für die Menschen zu beseitigen, die ein Leben lang gearbeitet, laufend Beiträge gezahlt haben und wegen des niedrigen Lohnes eine völlig unzureichende Rente erhalten. Dafür bildet der Regierungsentwurf, vorgestern beschlossen, eine gute Grundlage.Nun eine zweite Feststellung: Die CDU/CSU benachteiligt Kleinrentner. Der Gesetzentwurf der CDU/CSU kann nämlich nicht darüber hinwegtäuschen, daß einerseits die Dinge bei der Mindestrente überdreht werden, andererseits aber die Kleinrentner benachteiligt werden. Sie fordern auch heute, wie wir das alle schon seit langem wissen, über die Rentenautomatik hinaus eine zweite Rentenerhöhung. Gerade dadurch wird die Schere zwischen der niedrigen und der hohen Rente in einem Ausmaß vergrößert, das sozial ungerecht ist.
Diese von der CDU/CSU gewollte zusätzliche prozentuale Erhöhung bevorzugt die Bezieher hoher Renten, bringt aber den Kleinrentnern keine wirksame Verbesserung. Für diese ungezielte Regelung will die CDU in dem gesetzlich vorgeschriebenen Deckungsabschnitt 65 Milliarden DM — 65 Milliarden! — zusätzlich ausgeben. Damit wird der finanzielle Spielraum für eine sozialpolitisch gezielte, für eine sinnvolle Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung in bedenklicher Weise eingeengt. Die sozial-liberale Koalition will gezielt soziale Härten im Rentenrecht beseitigen.
Dafür bietet der von der Regierung auf unsere Initiative vorgelegte Härtebericht eine wichtige Grundlage.Noch eine Bemerkung, damit zur Sache mit den Zuschlägen schon etwas gesagt ist; denn darüber wird Herr Katzer, wie ich gehört habe, noch eine Dreiviertelstunde reden — er hat jedenfalls eine so lange Redezeit beantragt.
— Jawohl.
Meine Fraktion hält Rentenzuschläge, so populär sie sein mögen, für ein bedenkliches Instrument. Sie gefährden die Rentenautomatik und machen die Rentenanpassung politisch manipulierbar. Der von der
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8372 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 146. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Oktober 1971
Dr. SchellenbergCDU in der Rezession erfundene Rentner-Krankenversicherungsbeitrag war ein erster Eingriff in diese Automatik.
Ihm lassen wir Sozialdemokraten keinen zweiten, auch nicht mit umgekehrten Vorzeichen folgen.
Die Rentner in unserem Lande brauchen Sicherheit. Sie müssen sich darauf verlassen können, daß sie auch in Zukunft die volle dynamische Rente erhalten, ohne Zuschläge, ohne Abschläge. Nichts wäre verhängnisvoller für die Rentner, als wenn die Rentenanpassung von der jeweiligen politischen Wetterlage abhängig gemacht wird.
Meine Fraktion hat die Rentenautomatik 1957 hier als erste vertreten. Wir haben die Rentenautomatik nach den Eingriffen der Rezession wiederhergestellt. Wir werden die Rentenautomatik gemeinsam mit unserem Koalitionspartner auch für die Zukunft sichern.
Nun eine dritte Feststellung. Die CDU hat Hausfrauen und Müttern in dem vorliegenden Gesetzentwurf nichts zu bieten. Der Gesetzentwurf trägt die Überschrift „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Alterssicherung für Frauen usw.". Meine Damen und Herren, das ist eine falsche Überschrift.
- Nein, durch den Gesetzentwurf der CDU kommt nämlich nicht eine einzige Frau mehr als bisher zur Rente.
Die Hausfrauen sollen nach Ihrem Entwurf, nach der Vorstellung der CDU, weiterhin vom Schutz der gesetzlichen Rentenversicherung ausgeschlossen werden. Demgegenüber öffnet die sozial-liberale Koalition die gesetzliche Rentenversicherung auch allen Hausfrauen. Damit erhalten 7 Millionen Hausfrauen — im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten
erstmals das Recht, sich eine eigene soziale Sicherung für Invalidität und Alter aufzubauen.Auch die vielen Frauen, die durch die Erziehung ihrer Kinder hinsichtlich der Rente benachteiligt sind, werden von der CDU/CSU völlig vergessen. In Ihrem Gesetzentwurf steht davon nichts. Herr Geisenhofer hat zwar etwas von weiteren Erwägungen erzählt, aber hier entscheiden Gesetzentwürfe. Darüber liegt kein CDU/CSU-Gesetzentwurf, auch kein Antrag von Ihnen im Parlament vor.Die sozial-liberale Koalition dagegen wird diesen Frauen ein beitragsfreies Versicherungsjahr, das sogenannte Baby-Jahr, zuerkennen.
Erstmals in unserer Sozialgeschichte wird damit die Leistung der Mütter durch die Rentenversicherung gewürdigt. Das ist ein großer gesellschaftspolitischer Fortschritt!
Meine Damen und Herren von der Opposition, Ihr Gesetzentwurf mit der schönen Überschrift „Verbesserung der Alterssicherung für Frauen ..." läßt völlig unbeachtet, daß es in unserem Lande leider 700 000 geschiedene Frauen gibt. Diese bleiben nach Ihrem Gesetzentwurf — sogar in allen vier Entwürfen, die Sie zur Rentenfrage eingebracht haben — weiter benachteiligt. Wir halten es nicht für vertretbar, daß bei der Ehescheidung der Mann seine vollen Rentenansprüche mitnimmt.
Die sozial-liberale Koalition wird dieses Unrecht gegenüber den Frauen beseitigen.
Durch diesen Versorgungsausgleich wird vielen Frauen erstmals ein eigener Rentenanspruch gewährt, den sie weiter ausbauen können.Die sozial-liberale Koalition wird darüber hinaus Härten für Frauen aus bereits geschiedenen Ehen beseitigen.
Das ist ein bedeutsamer Fortschritt.
Die CDU/CSU hat den Frauen hinsichtlich der Öffnung der Rentenversicherung und hinsichtlich des Baby-Jahres und auch den geschiedenen Frauen außer dem schönen Titel Ihres Gesetzentwurfs überhaupt nichts zu bieten.
— Die CDU/CSU hat diesen Frauen nichts zu bieten!Nun die vierte Feststellung: Die CDU ignoriert das Schicksal der älteren Arbeitnehmer. Meine Damen und Herren von der Opposition, ungeachtet Ihrer vier Gesetzentwürfe übersehen Sie völlig die Situation des älteren Arbeitnehmers.
Die Bedingungen der modernen Arbeitswelt bringen für die älteren Arbeitnehmer viele Probleme mit sich.
— Ich will Ihnen sagen, was die harten Tatbestände sind, gegen die Sie nichts unternehmen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 146. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Oktober 1971 8373
Dr. SchellenbergIn Zehntausenden von Gutachten von Nachuntersuchungsstellen heißt es Jahr für Jahr vor allem bei älteren Arbeitnehmern: „noch geeignet, leichte Tätikeit im Sitzen von mehr als vier Stunden täglich zu verrichten." — Unter dieser Begründung wird heute Zehntausenden von 63- und 64jährigen Arbeitnehmern die Rente abgelehnt. Das ist ein unwürdiger Zustand!
Diesen unwürdigen Zustand will die sozial-liberale Koalition beseitigen.
— Nein, Sie haben darüber überhaupt nichts in Ihrem Gesetzentwurf gesagt!
Den Lebensschicksalen am Ende eines Arbeitslebens wird die starre Altersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung,
da Sie von der CDU/CSU in der geltenden Form beibehalten,
nicht gerecht.
— Meine Damen und Herren der CDU/CSU, soll ich Ihnen wieder aus Ihrem sozialpolitischen Schwerpunktprogramm vorlesen?
Soll ich Ihnen das vorlesen? Es heißt in Ihrem sozialpolitischen Schwerpunktprogramm:
Einer variablen Altersgrenze nach unten kann nicht nähergetreten werden.So die CDU/CSU im August 1969 in der Hoffnung, Regierungspartei zu werden.
— Ja, bitte schön, Herr Kollege Müller!
Herr Kollege Schellenberg, ist Ihnen bekannt, daß in der zweiten Fassung des Berliner Programms der CDU ein Satz steht, der ungefähr besagt, daß die flexible Altersgrenze im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten zu verwirklichen ist? Was können Sie uns denn hier mit Ihren Ausführungen unterstellen?
Ich will Ihnen darauf folgendes sagen: Es gehört neuerdings zu Ihrem taktischen Rüstzeug,
auch von der flexiblen Altersgrenze zu reden. Aber entscheidend ist die Gesetzgebung, ist das, was eine Fraktion hier als Gesetzentwurf auf den Tisch legt, und nicht, was sie irgendwo erklärt.
Im Gegensatz zu Ihrem schönen Programm wollen Sie in Wirklichkeit durch Ihre Gesetzentwürfe die Einführung einer flexiblen Altersgrenze verhindern.
— Ich beweise es Ihnen. Herr Kollege Müller, Sie werden dann schweigen, oder Sie müssen hier heraufkommen und sagen, weshalb Sie die flexible Altersgrenze verhindern.
Daß Sie das verhindern wollen, ergibt sich schon daraus, daß die CDU für die heute zur Beratung stehenden Gesetzentwürfe mehr als die gesamten verfügbaren Reserven der Rentenversicherung verplanen will.
Mehr als die gesamten Reserven verplanen Sie für andere Zwecke,
aber nicht für die älteren Arbeitnehmer. Über die flexible Altersgrenze ist bei Ihnen nichts drin.
Demgegenüber packt die sozial-liberale Kaolition das Problem der älteren Arbeitnehmer an: Dadurch, daß die jetzige starre Regelung der Rentenversicherung durch eine flexible ersetzt wird. Jeder Arbeiter und Angestellte soll nach einem langen Arbeitsleben selbst entscheiden, ob er Rente beantragen oder weiter arbeiten will.
Dem älteren Arbeitnehmer wird die Freiheit der Entscheidung in dieser Hinsicht gegeben.
— Herr Kollege Müller, darf ich Ihnen sagen:
Wir werden sehen, wer davon Gebrauch machen wird. Die Freiheit der Wahl ist für uns nicht nur ein Gebot
— lassen Sie mich das ganz ernsthaft sagen — dersozialen Gerechtigkeit, sondern auch eine moralische
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8374 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 146. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Oktober 1971
Dr. SchellenbergVerpflichtung gegenüber dem Menschen, der ein Leben lang gearbeitet hat.
Fünfte Feststellung, die Gesetzentwürfe der CDU/ CSU sind finanziell unsolide. Ihren Gesetzentwürfen ist keine langfristige Finanzberechnung beigefügt, wie wir das 1969 gemeinsam hier beschlossen haben: 15 Jahre Vorausberechnung. Eine langfristige Berechnung hat die CDU/CSU aus einem guten oder, besser gesagt, aus einem schlechten Grunde nicht beigefügt. Die CDU fordert in dem gesetzlich festgelegten 15jährigen Deckungsabschnitt: 56 Milliarden DM für Mindestrenten — Drucksache VI/2584 —, 65 Milliarden DM für den Rentenzuschlag, 9 Milliarden DM für zusätzliche beitragslose Zeiten. Insgesamt würde also auf Grund dieser Gesetzentwürfe in dem gesetzlich festgelegten Deckungsabschnitt ein Mehraufwand der Rentenversicherung in Höhe von 130 Milliarden DM entstehen.Meine Damen und Herren, nach dem Rentenanpassungsbericht 1971 ist für den Zeitraum bis 1985 eine Mindestrücklage von höchstens 105 Milliarden DM zu erwarten, wenn man die Dreimonatsmindestreserve in Abzug bringt. Das bedeutet, die CDU/ CSU will innerhalb des gesetzlich vorgeschriebenen Deckungsabschnittes bis 1985 25 Milliarden DM mehr ausgeben, als der Rentenversicherung an Reserven insgesamt zur Verfügung stehen.
Meine Damen und Herren, bitte passen Sie genau auf, Sie wollen 130 Milliarden DM ausgeben, aber nach den letzten, dem Hause vorliegenden Berechnungen stehen bis 1985 höchstens 105 Milliarden DM an Reserven zur Verfügung. Die CDU/CSU will also mit den vorliegenden Gesetzentwürfen 25 Milliarden DM mehr ausgeben als verfügbar sein wird, und dann sprechen Sie sogar noch zusätzlich von weiteren Vorlagen.
Meine Damen und Herren, es ist ein in der Geschichte dieses Hauses einmaliger Vorgang,
daß eine Opposition derartige finanzpolitische Abenteuer eingehen will.
— Das ist abenteuerlich!
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich fordere Sie im Interesse der Glaubwürdigkeit dieses Parlaments und im Interesse der sozialen Sicherung auf, Ihre Gesetzentwürfe zurückzuziehen
und sie durch neue Vorlagen, die solide finanziert sind, zu ersetzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller. Für ihn ist eine Redezeit von 15 Minuten beantragt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf mit der Überschrift „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Alterssicherung für Frauen und Kleinstrentner" wurde von dem Kollegen Geisenhofer begründet. Herr Kollege Geisenhofer, Sie haben die Meinung vertreten, die Sozialdemokraten und die Freien Demokraten hätten das Problem der Kleinstrenten bzw. der zu niedrigen Renten nicht oder sehr spät entdeckt. Ich muß Ihnen leider sagen: Das stimmt nicht. Was Sie von der CDU/CSU hier beantragen, bedeutet die Aufgabe wesentlicher Prinzipien, die Sie in den Jahren 1956 und 1957, also vor 14 Jahren, als fundamentale neue Erkenntnisse propagiert haben.
Die Anträge, die Sie hier vorgelegt haben, sind ein Beweis dafür, daß die von Ihnen mit absoluter Mehrheit beschlossene und dann durchgeführte Rentenreform in wesentlichen Bereichen in bestimmten Teilen versagt hat.
— Aber jetzt hören Sie mal, Herr Kollege Schulze-Vorberg, das ist doch völlig unmöglich. Die Kleinstrenten haben mit der Preissteigerung wahrhaftig gar nichts zu tun.
— Natürlich sind sie bezüglich des Verbrauchs davon betroffen. Aber die Kleinstrenten rühren doch daher, daß die Betreffenden entweder relativ kurz in einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis standen — Sie gingen von 25 Jahren aus — und daß sie in diesen 25 Jahren einen relativ niedrigen oder sehr niedrigen Lohn bezogen haben. Die Kleinstrenten haben also mit den Preissteigerungen nur ganz wenig zu tun.
— Lieber Herr Kollege Schulze-Vorberg, ich möchteIhnen eines sagen. Dieser Antrag, den Herr KollegeGeisenhofer hier begründet hat, macht deutlich, daßIhre Sprecher in den Jahren 1956 und 1957 unerfüll-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 146. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Oktober 1971 8375
Spitzmüllerbare Versprechungen im Hinblick auf Rentenhöhe und Rentenniveau gemacht haben.
Sie haben damals nämlich die kühne Behauptung aufgestellt, man könne auf die Sockelrente oder den Grundbetrag, wie es damals hieß, verzichten, weil künftig jeder Versicherungspflichtige mit einem normalen Arbeitsleben eine ausreichend hohe Rente beziehen würde.
Meine Damen und Herren von der CDU, wir Freien Demokraten sind ganz froh, daß Sie erkennen, daß Sie im Jahre 1957 mit dieser Ihrer Behauptung in die Irre gelaufen sind.
Ich muß in Ihr Gedächtnis zurückrufen, daß damals Freie Demokraten wie Sozialdemokraten für den Bestand des Grundbetrages gewesen sind und darauf eine dynamisierte Rente aufgebaut wissen wollten. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen damals und heute.
Heute erkennen auch Sie an, daß man, wenn keinen Sockelbetrag, dann eben einen Zuschußbetrag, einen Zuschlag oder etwas Ähnliches vorsehen muß, um bestimmte Leute nicht unter die Sozialhilfe fallen zu lassen, obwohl sie viele Versicherungsjahre haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Härzschel?
Bitte, Herr Kollege Härzschel!
Herr Kollege Spitzmüller, würden Sie, wenn Sie schon 1957 zitieren, wenigstens zugeben, daß die FDP damals das Gesetz abgelehnt hat, weil ihr die Leistungen zu hoch waren?
Herr Kollege Härzschel, es ist leider ein Irrtum, wenn Sie meinen, wir hätten das Gesetz abgelehnt, weil uns die Leistungen zu hoch gewesen seien. Wir haben das Gesetz abgelehnt, weil wir nicht bereit waren, Arbeitern und Angestellten und Rentnern Sand in die Augen zu streuen. Unser Sprecher hat damals gesagt: Sie werden die vorgesehene Rentenhöhe nicht erreichen, und sie werden mit den vorgesehenen Beitragshöhen nicht zurechtkommen.Meine Damen und Herren, die SPD hat ja damals auch nur nolens volens Ihren Vorschlägen zugestimmt. Auch die SPD hatte andere Vorstellungen bezüglich der Dynamisierung.
Sie hatte z. B. nicht einen Satz von 1,5 %, sondern einen Satz von 1,8 %, wenn ich mich recht erinnere, in ihrem Antrag. Sie hat sich Ihnen damals nolens volens angesichts der absoluten Mehrheit, die Siebesaßen, angeschlossen, weil sie nicht in den Geruch kommen wollte, daß sie einen sozialen Fortschritt verhindern wolle. Wir wollten nicht in den Geruch kommen, daß wir etwas versprechen, von dem wir von vornherein wissen konnten, daß es nicht zu halten ist.Meine Damen und Herren, leider sind wir bestätigt worden. Denn der Beitrag ist höher als auf 16,8 % gestiegen, was damals als Höchstbeitrag angesehen wurde, und leider wurden die 60 % Rente, die damals bei 40jähriger Versicherungszeit als wahrscheinlich und sicher angesprochen wurden, nicht erreicht. Meine Damen und Herren von der CDU, ich mache Ihnen das nicht zum Vorwurf,
sondern ich mache damit nur deutlich, daß wir damals mit unseren Berechnungen, wie sich diese Gesetze auswirken würden, leider richtiger lagen als Sie mit Ihrem ganzen Arbeitsministerium. Denn wenn sich die Gesetze so ausgewirkt hätten, wie Sie es gesagt haben, dann brauchten Sie diesen Antrag heute nicht vorzulegen.Schon wenige Jahre nach der Reform des Jahres 1957 hat es sich erwiesen, daß sich die CDU im Hinblick auf die Wirksamkeit ihres Systems fundamental geirrt hatte und daß auch bei einem langen Arbeitsleben mit entsprechenden Versicherungsbeiträgen zahlreiche Renten unter dem Existenzminimum zustande kamen und dies faktisch nicht mehr zu leugnen war.Hier im Deutschen Bundestag ist von der CDU, als diese Frage angesprochen wurde, einmal ,die Feststellung getroffen worden, dann müßten die Leute eben zum Sozialamt ,gehen. Von dieser Meinung haben Sie sich nun abgekehrt. Ich begrüße das, meine Damen und Herren. Nur ist Ihr Gesetzentwurf dafür keine brauchbare Grundlage. Dazu hat Herr Kollege Schellenberg schon sehr ausführliche und sachkundige Ausführungen gemacht. Dieser vorliegende Gesetzentwurf ist eine wesentliche Abkehr von der sogenannten Lohnbezogenheit oder von der Beitragsgerechtigkeit oder von der Beitragsbezogenheit oder von der Bruttolohnbezogenheit der Rente, oder was alles für Schlagworte Sie in den letzten 14 Jahren gebraucht haben.
— Herr Kollege Ruf, jawohl, auch der Regierungsentwurf ist eine Abkehr von diesen Prinzipien, aber doch nicht in einem so fundamentalen Umfang wie dem, in dem Sie hier das Versicherungsprinzip durchbrechen wollen, sondern in einem Umfang, bei dem eben eine gezielte Anhebung von Kleinrenten durch gezielte Aufbesserungen für alle Rentnerinnen und Rentner erfolgt, die trotz erfüllten Versicherungslebens heute noch eine zu niedrige Rente haben. Es handelt sich dabei um echte Strukturverbesserungen im Gegensatz zu Ihrem Antrag, der, wie Herr Kollege Schellenberg Ihnen klar vorweisen konnte, weit über das Ziel hinausschießt, weil er nämlich für die Zukunft Manipulationsmöglichkeiten eröffnet, die Sie sicherlich nicht wollen, die Sie aber
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8376 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 146. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Oktober 1971
Spitzmüllermit Sicherheit übersehen haben. Wir werden uns im Ausschuß bestimmt noch darüber unterhalten, daß hier eine solche Beitragsfiktion zur Rentenaufstockung, wie Sie sie hier vorschlagen, nicht Platz greifen kann.Meine Damen und Herren, es herrscht gar kein Zweifel, mit diesem Änderungsvorschlag gibt die CDU/CSU wesentliche Prinzipien der Rentenreform von 1957 auf. Man bewegt sich in eine Richtung von Vorstellungen, die, wenn auch in anderer Art, von der SPD und der FDP in den Jahren 1956/57 schon vertreten worden sind, nämlich in die Richtung, daß man eben auf einen Sockelbetrag, wenn nun auch in anderer Form, nicht verzichten kann.
— Natürlich ist das hier etwas anderes, aber im Grunde läuft es auf dasselbe Ergebnis hinaus.Die CDU/CSU hat jetzt den vierten Gesetzentwurf zur Änderung dieser Rentengesetze vorgelegt. Das ist ein beachtenswerter Wandel; denn in ,den Jahren 1963, 1964 und 1965 — Herr Kollege Ruf, Sie sehen mich so liebenswürdig und freundlich an, Sie erinnern sich noch sehr gut — haben wir miteinander in der Koalition von CDU/CSU und FDP anläßlich der Härtenovelle gerungen, um manche Schwierigkeiten, die schon feststellbar waren und geändert werden mußten, zu beseitigen. Wir haben die Dinge damals in einzelnen Punkten fiktiv geändert, z. B. bei all denen, die Deputate, Kost und Wohnung als Lohnanteil bezogen hatten.Damals, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU, hatten wir Freie Demokraten weitergehende Vorstellungen. Und ich erinnere mich noch gern eines Rundfunkgesprächs zwischen Herrn Schellenberg, Herrn Stingl und mir vor dem RIAS Berlin, wo ich darauf hinwies, daß eben leider Gottes durch die Unterbezahlung in Randbereichen, also im Westerwald, im Schwarzwald, im Bayerischen Wald oder wo auch immer das sei, zu kleine Renten entstehen und daß man dort etwas Besonderes tun müsse. Nach diesem Gespräch — das möchte ich hier sagen, weil es bezeichnend für die damalige Einstellung ist — haben beide Herren, Herr Schellenberg wie Herr Stingl, zu mir gesagt: Herr Spitzmüller, seien Sie ein bißchen vorsichtig mit solchen Erweiterungsvorstellungen; denn das alles kostet Geld; und denken Sie an den Arbeitsminister, der die Beiträge erhöhen muß!Meine Damen und Herren, hier möchte ich an die Frage der Beitragserhöhungen anknüpfen und sagen: Wenn wir das, was Sie uns in den vier Entwürfen zur Änderung von Rentengesetzen auf den Tisch des Hauses gelegt haben, verwirklichten, dann würde dies bedeuten, daß zwar viel mehr Geld im Rahmen der Rentenversicherung ausgegeben wird, daß diese Mehrausgaben aber über die bereits beschlossenen Beiträge nicht zu finanzieren sind. Dann müßte ein Arbeitsminister hierhertreten und sagen: Ich muß auf Grund der vom Parlament beschlossenen Ausgaben entweder den Bundeszuschuß um Milliarden erhöhen — das wird er beim Finanzminister wahrscheinlich nicht durchbringen, weil esSteuererhöhungen bedingen würde —, oder ich muß die Beiträge erhöhen. Das, meine Damen und Herren, wollen wir doch nicht heraufbeschwören.
Die Gesetzentwürfe, die Sie hier vorgelegt haben, machen deutlich, daß wir uns in einem einig sind, nämlich darin, daß die Rentenreform vom Jahre 1957 den gewünschten Effekt und in manchen Bereichen das angestrebte Ziel bei weitem nicht erreicht hat. Hierzu hat die Regierung ein geschlossenes Programm vorgelegt, das in sich logisch ist, das in sich auch bis zum Jahre 1985 ohne Beitragserhöhungen finanzierbar ist, was man von den vier Einzelgesetzentwürfen, die Sie hier vorgelegt haben, leider nicht sagen kann. Von daher werden wir im Ausschuß darum ringen müssen, das Notwendige und das Finanzierbare herauszubringen. Ihr Gesetzentwurf, der hier vorliegt, kann in dieser Form dabei allerdings als Beratungsgrundlage nicht dienlich sein.
Meine Damen und Herren, der erste Durchgang zum Punkt 6 der Tagesordnung ist abgeschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung ,des von den Abgeordneten Katzer, Dr. Götz, Ruf und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Fünfzehnten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen
— Drucksache V1/2585 —
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Katzer und mache darauf aufmerksam, daß ich zum Schluß über die Punkte 6, 7 und 8 a und b zusammen abstimmen lassen werde. Herr Abgeordneter Katzer hat eine Redezeit von 45 Minuten beantragen lassen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schellenberg — wenn ich zu der vorigen Debatte eine Bemerkung machen darf —, die Art und die Form, wie Sie sich soeben eingelassen haben, wird wohl nicht dem Rang der Probleme gerecht, um die es hier heute geht. Ich habe den Eindruck, daß Sie gestern nicht die Reden gehört haben, die der Herr Kollege Dr. Barzel und Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Wehner, hier gehalten haben. Beides waren sehr bemerkenswerte Reden.
Ich bedaure diese Ihre Art, Herr Kollege Schellenberg, und würde Ihnen den Rat geben, den Vorschlag Ihres Vorsitzenden zu befolgen und diese Reden einmal sehr sorgfältig nachzulesen.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 146. Sitzung. Bonn, Freitag, cien 22. Oktober 1971 8377KatzerDann wird man in diesem Hohen Haus vielleicht fair und sachlich miteinander ringen können. Ich werde versuchen, mich, wenn ich nun auf Ihre Bemerkungen eingehe, größter Sachlichkeit zu befleißigen. Sie müssen allerdings selber mit Ihrem Arbeitsminister ausmachen, ob es richtig ist, daß Sie das Programm der Regierung jetzt hier vorab verkünden. Ich habe nicht die Absicht, mich dazu zu äußern.
Normalerweise bringt die Regierung ein Programmein. Aber das müssen Sie untereinander ausmachen.Herr Kollege Schellenberg, Sie haben über sehr vieles gesprochen, aber nur sehr wenig über die beiden Punkte, die heute hier zur Debatte anstehen. Es wäre eigentlich der Sinn dieser Beratung gewesen, darüber von Ihnen mehr zu hören. Statt dessen hören wir Bemerkungen wie diese — das hat Herr Kollege Spitzmüller etwas aufgenommen —: Wir haben ein geschlossenes Konzept, und: Wir haben eine klare Konzeption.
— Solide, natürlich! Meine Damen und Herren, Sie reden über sehr viele Dinge, die Sie 1973 tun wollen. Sie reden nur nicht darüber, daß dank Ihrer Inflationspolitik die Rentner auf der Strecke bleiben.
Das ist das Problem. Das ist der Anlaß, der uns zu unseren Anträgen gebracht hat. Darum können Sie nicht mit sehr vielen Worten herumreden.Zur Frage der Kleinstrenten operieren Sie, Herr Kollege Schellenberg, mit Papieren von gestern.
Ich arbeite mit Papieren von heute. Nach der gestrigen Debatte sollten Sie sich klugerweise darauf einstellen.Was sind denn die Fakten, Herr Kollege Schellenberg? Erstens. In der Regierungserklärung dieser Bundesregierung sind keine Maßnahmen für Kleinstrentner vorgesehen.Zweitens. Noch am 8. Juni 1971 antwortete der Herr Staatssekretär des Bundesarbeitsministeriums auf die Frage des Kollegen Schulze-Vorberg, ob die von der früheren sozialdemokratischen Opposition geforderten Mindestrenten nicht ein zusätzlicher Grund für die Bundesregierung seien, dem Verlangen der CDU/CSU zu folgen und Mindestrenten einzuführen: Ich glaube nicht, daß das ein Grund ist; denn die Notwendigkeit, Mindestrenten einzuführen, war 1957 eine ganz andere als angesichts des gestiegenen Einkommensniveaus des Jahres 1971. Hier ist die Regierung offenbar anderer Meinung als Sie, Herr Kollege Spitzmüller. Sie ist offenbar der Meinung, daß es den Rentnern sehr gut gehe und daß man hier gar nichts zu tun brauche. Jedenfalls war das am 8. Juni 1971 die Meinung der Bundesregierung, die in der Fragestunde zum Ausdruck gebracht worden ist.Drittens. Noch am 14. .Juni 1971 berichtete die „Süddeutsche Zeitung" über eine Rede des Herrn Bundesarbeitsministers vor einer Arbeitnehmerkonferenz in Bochum. Dort heißt es — das war am 14. Juni 1971! —:Bundesarbeitsminister Arendt hat sich am Wochenende gegen Vorschläge der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gewandt, die Überschüsse der Rentenversicherung für ein höheres Rentenniveau oder eine Mindestrente zu verwenden. Nach Auffassung des Ministers sollten die Überschüsse vielmehr gezielt für die flexible Altersgrenze eingesetzt werden.Und angesichts dieser Fakten wagt es Herr Schellenberg, sich hierher zu stellen und so zu tun, als hätten wir einen Gesetzentwurf, den wir in Wahrheit initiiert haben, von der Regierung abgeschrieben.
Ich werde nachher auf eine Bemerkung des Kollegen Wehner zurückkommen, die er bei der letzten Debatte dazu gemacht hat.Meine Aufgabe ist es nun, meine Damen und Herren, den Entwurf eines Fünfzehnten Rentenanpassungsgesetzes der CDU/CSU-Fraktion zu begründen. Unser Antrag findet in der deutschen Öffentlichkeit mehr und mehr Unterstützung. Wer die Presse und die Diskussion verfolgt, stellt fest: In ungezählten Artikeln und Kommentaren in den letzten Wochen wurde immer deutlicher, nicht zuletzt auch auf dem Kongreß der Deutschen Angestelltengewerkschaft in Nürnberg, daß das Los der alten Menschen unserem Volke nicht gleichgültig ist. Und das ist gut so. In der Öffentlichkeit wird es immer mehr als ein deutlicher Widerspruch empfunden, daß eine Regierung, die sich sozial-liberal nennt, die mehr soziale Gerechtigkeit verspricht, zusieht, wie die Rentner mehr und mehr mit ihrem Einkommen an den Rand der Gesellschaft gedrückt werden.
Diesen Widerspruch muß ich auch dem Herrn Bundeskanzler vorhalten, wenn er, ohne daß Taten folgen, lediglich erklärt: „Große Sorgen hat mir menschlich gesehen in den letzten Wochen die Frage der Rentenerhöhung bereitet. " Nun, meine Damen und Herren, das ist für uns nicht nur eine Frage, did uns Sorge bereitet. Unsere Anträge zielen vielmehr darauf ab, dies zu ändern. Das ist der Sinn unserer Anträge.
Das Vorgehen der Regierung hat in den führenden Zeitungen und Zeitschriften unseres Landes mit seltener Einmütigkeit Kritik ausgelöst. Das gilt nicht nur für die Zeitungen, die auch sonst dieser Regierung kritisch gegenüberstehen, sondern gerade auch für Zeitungen, denen man ein unterkühltes Verhältnis zu dieser Koalition weiß Gott nicht nachsagen kann. In der ersten Oktober-Ausgabe der Zeitschrift „stern" schreibt Sebastian Haffner:Gerade von einer SPD-geführten Regierungsollte man erwarten, daß sie sich der sozial
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KatzerSchwächsten - und das sind die Rentnerbesonders annimmt, statt sich gerade ihnen gegenüber knickrig und knausrig zu zeigen.Meine Damen und Herren, gerade das tut diese Regierung.Unsere Vorlage gibt Ihnen in der Regierungskoalition Gelegenheit, Ihre Haltung zu überprüfen, und das ist der einzige Grund, weshalb ich den Ton Ihrer Bemerkungen, Herr Schellenberg, bedauere.Gestern hörten wir in allen Debatten: Was ist mit den Alternativen der Opposition? Legen wir diese Alternativen vor, dann bekommen wir überhaupt keine Antworten oder Herr Spitzmüller sagt, das sei keine Grundlage für die Arbeit in den Ausschüssen. Warum denn nicht! Setzen Sie sich doch geistig mit unseren Alternativen auseinander, dann werden wir in den Ausschüssen darüber reden können.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schellenberg?
Herr Kollege Katzer, würden Sie mir bestätigen, daß eine Alternative nur dann sinnvoll ist, wenn sie solide finanziert ist, und daß ich erklärt habe, Ihre Vorlagen seien finanziell unsolide?
Herr Kollege Schellenberg,I) ich will Ihnen das gerne bestätigen. Als früherer Arbeitsminister habe ich oft genug an dieser Stelle gestanden und habe von der Verantwortung für die finanziell solide Fundierung unserer Rentenversicherung gekämpft und gerungen. Sie werden mir doch nicht absprechen wollen, daß ich es gewesen bin, der vor dem Wahlkampf 1969 hier in diesem Hause eine Anhebung der Rentenversicherungsbeiträge um 18% zum Januar 1973 vorgeschlagen hat. Warum haben wir das getan? Das haben wir getan, damit die Solidität der Rentenversicherung nicht in Frage gestellt werden kann.
Das können Sie mir doch nicht unterstellen.
— Herr Kollege Schellenberg, wir warten auf die Vorlage der Regierung mit den Finanzdarstellungen. Wir warten, ob die Zahlen, die Sie genannt haben, nämlich 136 Milliarden DM, stimmen oder das, was in den Couloirs geflüstert wird, daß es schon 30 Milliarden DM mehr wird. Das sind alles Dinge, die sich schön anhören, aber gar nicht so erfreulich sind, wenn man weiß, daß dahinter im Grunde doch nichts anderes steckt als die Inflationspolitik dieser Bundesregierung, unter der die Rentner zu leiden haben.
Meine Damen und Herren, ich will es Ihnen noch einmal sagen: wir möchten Ihnen Gelegenheit geben, Ihre Haltung zu überprüfen, wir möchten Ihnen Gelegenheit geben, unseren Vorschlag zu diskutieren,und wir möchten Ihnen auch Gelegenheit geben, mit Ihnen die finanziellen Voraussetzungen Punkt für Punkt und Komma für Komma
aber sagen Sie doch nicht nein! — , Punkt fürPunkt und Komma für Komma abzusprechen, wenndie Regierung uns ihre finanziellen Unterlagen zurVerfügung gestellt hat. Davon können Sie ausgehen.
Aber ich sehe, es geht Ihnen offenbar mehr um Prestigebedürfnis als darum, mit uns die Situation der Rentner zu bessern. Das bedauere ich. Aber vielleicht ergibt sich, wenn Sie die Reden von gestern nachlesen, noch eine Änderung Ihrer Haltung. Denn der Herr Wehner hat Sie schon einmal gezwungen, Ihre Haltung zu ändern, als es darum ging, die Kleinrentnerfrage überhaupt auf die Tagesordnung zu bekommen. Ich habe das vorhin bereits gesagt.
Sie haben ein kurzes Gedächtnis. Sonst müßten Sie doch die Sitzung noch in Erinnerung haben, wie der Herr Wehner hier zu später Abendstunde aufstand und sagte: „Den Rentnern wird doch damit nicht geholfen, daß Sie von Systemen sprechen, sondern Sie müssen doch von dem Systemdenken weg und müssen Maßnahmen ergreifen, die den Rentnern wirklich helfen." Und genau das tun wir hier, was Sie ankreiden.
Ich sage noch einmal: ich bitte, daß wir ohne Rücksicht auf Prestigedenken das tun, wozu wir uns seit der Rentenreform von 1957 alle gemeinsam verpflichtet haben, nämlich: den Rentnern ein Alter ohne Not zu garantieren.Unser Gesetzentwurf sieht deshalb vor, daß wir heute das tun, Herr Schellenberg, was seit 1958 Jahr um Jahr von der Opposition, nämlich damals der SPD, hier im Hohen Hause immer und immer wieder mit Recht gefordert und von uns in der Sache auch unterstützt worden ist. Leider konnten wir aus finanziellen Gründen mindestens mit dem teilweisen Nachholen der 1958 unterbliebenen Rentenanpassung nicht beginnen. Dies wollen wir heute tun. Wir wollen also das machen, was Sie jahrelang gefordert haben. Heute verweigern Sie es, obwohl die Kassen es möglich machen.
Das ist der erste Punkt, der zu sehen ist; wir wollen den finanziellen Spielraum nicht allzu sehr eingrenzen. Wir wollen ja nicht die ganze Rentenanpassung nachholen, sondern wir wollen, daß die Renten ein halbes Jahr früher angepaßt werden. Die Initiative der CDU/CSU zielt darauf ab, die Renten ab 1. Juli 1972 um 9,5 % zu erhöhen. Am 1. Juli 1973 würden dann die Renten voraussichtlich um 11,7 % angepaßt. Das heißt konkret: ein Rentner, der eine Monatsrente von z. B. 500 DM am 1. Januar 1972 bezieht, erhielte am 1. Juli 1972 eine Rentenerhöhung von 47,50 DM monatlich. Das ist angesichts der derzeitigen Preissituation die Antwort, die not-
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Katzerwendig ist, um den Rentner nicht zum Leidtragenden dieser Politik zu machen.
Der Gesetzentwurf entspricht genau dem, was leider schon einmal dank Ihrer Mehrheit gescheitert ist. Denn unser Vorschlag, die Renten am 1. Januar 1972 um 11,3 % statt um 6,3 % zu erhöhen, ist ja leider von Ihnen abgelehnt worden. Ich kann nur noch einmal sagen, Herr Schellenberg: überprüfen Sie Ihren Standpunkt, überlegen Sie sich sehr gut, ob das Angebot, das die Fraktion der CDU/CSU Ihnen macht, angenommen werden kann. Das sind unsere Gesetzentwürfe, die praktisch vorgehen, nicht mit vier großen Dingen, die 1973 oder 1974 in Kraft treten sollen, sondern Punkt für Punkt. Bei dem ganzen handelt es sich nicht um Einzelmaßnahmen, sondern dahinter steckt eine Gesamtkonzeption, die in Einzelpunkte aufgelöst wird. Dazu drängt nicht zuletzt, daß die Rentner in einer finanziellen Situation sind, die geradezu unerträglich ist.Die finanziellen Auswirkungen unserer Vorlagen— Herr Kollege Schellenberg, hören Sie bitte sehr gut zu! — sind von einem Fachinstitut in einem Computer genau durchkalkuliert. Ich hoffe, Herr Kollege Schellenberg, daß Sie sich, bevor Sie diese Zahlen bezweifeln, diesmal etwas eingehender informieren. Ihr Schätzfehler beim Steuerausfall nach dem Gesetzentwurf der CDU/CSU zur Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung für Selbständige, den Sie hundertmal höher veranschlagt haben, als er tatsächlich ist, sollte Ihnen zeigen, daß wir es gerade bei den Berechnungen sehr genau nehmen.
— Ich weiß jetzt schon, wie Ihre Frage lauten wird. Ich bin gerne bereit, mit Ihnen und den Herren des Finanzministeriums zusammen diese Ihre Zahlen genau durchzustudieren. Dann werden Sie feststellen, daß Sie das, was Sie hier angegeben haben, nicht aufrechterhalten können.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Schellenberg?
Bitte schön!
Herr Katzer, ist Ihnen bekannt, daß Herr Kollege Ruf nach meiner Behauptung in der Fragestunde vom 13. Oktober 1971 diese Frage der Auswirkung auf den Haushalt noch einmal aufgeworfen hat und der Herr Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen die Berechnung, die ich mitgeteilt habe, vollinhaltlich bestätigt hat und daß dann die Herren übereingekommen sind, die Dinge im einzelnen detailiert zu besprechen, daß ich also dem Hause Berechnungen des Finanzministers vorgetragen habe, zu denen er jetzt noch steht?
Herr Kollege Schellenberg, unter diesen Voraussetzungen ist das ein Widerspruch zu den Unterlagen, die ich bekommen habe.Ich schlage Ihnen vor, daß wir das gemeinsam prüfen. Das scheint mir ein ganz wichtiger Punkt zu sein. Über solche Dinge sollten keine Unklarheiten bestehen.
— Ich sehe, daß Sie einverstanden sind. Wollen wir den Punkt so bereinigen, daß wir das gemeinsam sachlich klären und dann im Plenum mit den gewonnenen Zahlen operieren.
— Vielen Dank, dann können wir so verfahren.Ich sage noch einmal — darauf lege ich ganz großen Wert —, es ist lebensnotwendig für uns, auch — ich sage das ganz offen — für die Glaubwürdigkeit dieser Opposition, daß wir Zahlen vorlegen, die absolut solide sind und von allen anerkannt werden müssen. Das ist die Basis unserer Arbeit.Für die Mehraufwendungen für die Knappschaft in Höhe von 223 Millionen DM haben wir einen Deckungsvorschlag durch Rückgriff auf die ungenutzten Mittel für die Knappschaft im Rahmen der Finanzplanung 1970 bis 1974 gemacht. In der neuen Finanzplanung hat die Regierung diese Mittel anderweitig verplant. Das entspricht nicht unseren Vorstellungen von der Rangordnung der Aufgabe.Für die Kriegsopfer, worüber nachher zu sprechen sein wird, die einen Mehraufwand von rund 255 Millionen DM erfordern, wird die CDU/CSU-Fraktion, so wie ich das auf dem Verbandstag des VdK angesprochen habe, einen Deckungsvorschlag unterbreiten, sobald sie den Entwurf eines Vierten Kriegsopferanpassungsgesetzes diesem Hause vorgelegt hat.Nun, Herr Kollege Schellenberg, lassen Sie mich noch auf einige Argumente eingehen, die vorgebracht worden sind. Alle diese Argumente überzeugen nicht. Ich will trotzdem noch einmal darauf eingehen, um auch nicht den Rest eines Zweifels übrig zu lassen, daß sachlich gegen unsere Vorlage nichts, aber auch gar nichts einzuwenden ist.Sie behaupten, daß es sich bei dem CDU/CSU-Antrag um eine Manipulation der Rentenformel mit Auswirkungen für den Rentner handele, die letztlich dem Rentner schlecht bekomme.
— Diese Behauptung stellen Sie auf. Das ist ein schwerer Vorwurf, Herr Kollege Schellenberg. Dazu sage ich Ihnen ein Dreifaches.Erstens. Diese Behauptung ist unrichtig. Mit der Rentenreform von 1957 ist das Ziel der Rentenanpassung — wie Sie genau wissen —, die Rentner am Produktivitätsfortschritt teilnehmen zu lassen, in § 1272 der Reichsversicherungsordnung gesetzlich verankert. Eine bestimmte Methode und ein bestimmter Zeitpunkt sind gesetzlich nicht vorgeschrieben.Es hat sich in den vergangenen Jahren eine Methode eingebürgert, die bis zum Jahre 1970 auch
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Katzerder Zielsetzung des Gesetzes Rechnung trug. Immerhin sind unter der Verantwortung der CDU/CSU die Renten real, d. h. unter Berücksichtigung des Preisanstiegs im Schnitt jährlich um 4,6 % gestiegen. In den letzten zwei Jahren erfüllt die routinemäßige Rentenanpassung infolge der anhaltenden Preis- und Lohnentwicklung nicht mehr die an sie zu stellenden Anforderungen. Ein Abweichen von der bisherigen Rentenanpassungsroutine stellt deshalb, Herr Kollege Schellenberg, kein Abweichen vom Gesetzesauftrag dar, sondern im Gegenteil: Dieses Abweichen ist notwendig, damit der Gesetzesauftrag erfüllt werden kann. Das ist genau die Position.
Zweitens. Herr Kollege Wehner hat in der Rentendebatte — —
— Nein, nicht nur jetzt, sondern auch am Plateau des Rentenberges; das gilt für beides selbstverständlich.Herr Kollege Wehner hat in der Rentendebatte im Juli sinngemäß gesagt — ich bitte Sie, sich das in Ihre Erinnerung zurückzurufen —, die konkrete Lage der Rentner und nicht die Rentensystematik müßten ausschlaggebend sein für das, was getan werden muß. Herr Kollege Wehner ist in diesem Augenblick nicht hier. Ich wäre ihm dankbar, wenn er das der Fraktion der SPD noch einmal an dem soeben genannten Beispiel deutlich machte.Drittens. Ich wiederhole: die Sozialdemokraten haben das, was wir heute vorschlagen, nämlich das teilweise Nachholen der 1958 unterbliebenen Anpassung, in früheren Jahren immer und immer wieder gefordert.Herr Kollege Schellenberg, die Regierungskoalition behauptet, daß die Entwicklung der Renteneinkommen kein Anlaß für zusätzliche Maßnahmen sei, da auch früher alles schon einmal so gewesen sei wie jetzt. Außerdem würden die Rentner mit hohen Rentenanpassungen sowieso wieder gegenüber den Löhnen aufholen, und dann wäre doch im Grunde alles in Ordnung.Diese Behauptung ist unrichtig. Noch niemals seit der ersten Rentenanpassung ist es vorgekommen, daß den Rentnern unter dem Strich — das ist die Formulierung, die wir von dem Staatssekretär im Wirtschaftsministerium immer wieder hören, wenn er sagt: Na ja, das mit den Preissteigerungen ist zwar nicht sehr schön, aber unter dem Strich bleibt doch etwas übrig — praktisch nichts verbleibt. Den Rentnern ist in den letzten zwei Jahren durch die Preisentwicklung unter dem Strich nichts übrig geblieben.
Die Renten wurden am 1. Januar dieses Jahres um 5,5 % erhöht; der Kaufkraftschwund für Rentnerhaushalte hat im Monatsvergleich bereits 6,1 % erreicht. Wie Sie wissen, beträgt er im Bundesdurchschnitt 5,9 %. Im Vergleich zu den Arbeitsentgelten sind die Renten mit rund 41 % auf den tiefsten Stand seit der Rentenreform zurückgefallen. Herr Kollege Spitzmüller, für diese Tatsache können Sie nicht die Rentenformel verantwortlich machen. Ich bitte sehr um Entschuldigung, wenn ich sage: auch das ist nicht zuletzt ein Ergebnis der Inflationspolitik dieser Regierung, nämlich daß die Renten immer mehr hinter der Einkommensentwicklung der aktiven Erwerbstätigen hinterherhinken.
Wenn Ihre Theorie stimmte, Herr Schellenberg — nach der Rentenreform sollten es 60 % sein; mit dem Dritten Rentenversicherungsänderungsgesetz hatten wir wenigstens 50 % erreichen wollen —, müßte für die Rentner doch einmal ein Vorteil entstehen, der das Rentenniveau irgendwann wenigstens wieder auf 59 % brächte, um den Nachteil von 41 % auszugleichen und zumindest den Durchschnitt von 50 %, den wir, wie gesagt, im Dritten Rentenversicherungsänderungsgesetz angestrebt hatten, zu erreichen. Das ist aber nicht im entferntesten der Fall.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Nölling?
Also gut! Präsident von Hassel: Bitte schön!
Herr Kollege Katzer, wissen Sie, daß auch in den Berechnungen, die Sie vorgelegt und über die wir uns schon unterhalten haben, genau dieser Anstieg, zwar nicht bis 50 °/o, aber bis etwa 47 °/o, vorgezeichnet ist und erreicht werden wird? Das heißt, wir werden aus dem Tal wieder herauskommen.
Jawohl, natürlich, das sage ich auch. Aber wir werden nicht die 50 5 erreichen, Herr Kollege. Nach den Berechnungen der Bundesregierung wird vielmehr das Rentenniveau selbst nach den hohen Rentenanpassungen der kommenden Jahre höchstens wieder auf 47,6 % steigen. Das ist die exakte Antwort auf Ihre Frage.
Darf ich Sie noch etwas fragen?
Selbstverständlich!
Herr Kollege Katzer, stimmt es, daß es nach Ihren Berechnungen im Endzustand, den wir hier anvisiert haben, nur eine ganz geringe Abweichung geben wird?
Erstens, Herr Kollege, sind 3 % für mein Empfinden immerhin eine erhebliche Abweichung.
Das mögen Sie anders beurteilen. Der Rentner, dermit kleinen Beträgen auskommen muß, empfindetdas als einen sehr harten Griff in sein Portemonnaie.
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KatzerDas können Sie doch am allerwenigsten leugnen oder zu leugnen versuchen.
Die Regierungskoalition behauptet schließlich, durch den Antrag der CDU/CSU würde die Schere zwischen großen und kleinen Renten zu weit geöffnet. Ein merkwürdiges Argument! Denn Tatsache ist doch, daß die Regierungskoalition im Grunde dasselbe tun will wie wir, nur nicht zum 1. Juli 1972,
sondern zum 1. Juli 1973. — Entschuldigen Sie, Herr Kollege Schellenberg!
— Die Rentenschere — das ist doch ein ganz klarer Tatbestand auch bei Ihrer Rentenanpassung — bedeutet doch, daß die kleine Rente weniger erhöht wird als die große. Das ist doch systemimmanent. Das können und wollen Sie im Grunde auch gar nicht auslösen. Nur finde ich es merkwürdig, dies hier als Argument zu bringen.Meine Damen und Herren, die FAZ kam in einem Kommentar vom 9. Oktober 1971 aus allen diesen Überlegungen zu dem Schluß : „Die Argumente der Koalition gegen die Anträge der Opposition überzeugen nicht." Dem habe ich nichts hinzuzufügen. In Wirklichkeit geht es der Regierung um etwas ganz anderes. Hier kommen wir jetzt auf die Alternative, hier kommen wir auf den Punkt, über den wir reden müssen. Die Regierung will die Mittel der Rentenversicherung benutzen, um sie für andere Zwecke einzusetzen, um ihre Reformversprechungen verwirklichen zu können.
— Ja, andere Zwecke, als die Mittel den Rentnern zukommen zu lassen. So ist es. Ich bin dankbar für die Zwischenfrage: Genauso ist es! Sie wollen die Mittel nicht den Rentnern zukommen lassen,
die ein ganzes Leben lang gearbeitet haben und jetzt unter Ihrer Regierungsverantwortung leiden, sondern haben andere Ziele hiermit im Auge.
Bitte, das nenne ich nicht totale Konfrontation, sondern hier geht es um einen sachlichen Wettbewerb, um die besseren Ideen, und es geht nicht zuletzt — das gibt es auch beim Betriebsverfassungsgesetz und den Diskussionen, die wir in der übernächsten Woche haben werden —, im Kern — und deshalb dieses Engagement und deshalb dieser Einsatz — und im Grunde um nichts anderes als um die Frage und die Antwort auf die Frage: Welchen Rang gebe ich der Einzelpersönlichkeit in dieser Gesellschaft?
Das ist der Kern, um den es geht.
Damit kein Irrtum entsteht, meine Damen und Herren: Ich habe gesagt, das ist eine Feststellung. Sie haben andere Zwecke. Wir wollen beides verbinden. Ich sage zu den Reformen ja, leidenschaftlich ja, und ich füge hinzu: diese Reformen müssen solide und gerecht finanziert werden. Was die Regierung im Rentenbereich vorschlägt, widerspricht nach meinem Erkennen diesen Grundsätzen. Lassen Sie es mich präzise sagen: Hier sollen Reformen zu Lasten der Rentner finanziert werden, weil man glaubt, die sonst fehlenden Finanzmittel hier am leichtesten zu bekommen.Daß das nicht nur meine Meinung ist, sondern daß das auch draußen und nicht nur bei den Rentnern so gesehen wird: ich habe an die 800 oder 900 Briefe von Rentnern aus ganz Deutschland bekommen.
— Aber entschuldigen Sie, Herr Kollege Schellenberg, wenn in Bremen die NPD-Wähler, die früher SPD gewählt haben, wieder zur SPD zurückgegangen sind, ist das ein Vorgang, den Sie mit sich selbst ausmachen müssen. Ich glaube, das hat mit der Frage der Rentner sehr wenig zu tun.
Aber dieser Ihr Zwischenruf, Herr Kollege Schellenberg, war im Grunde entlarvend. Mit anderen Worten also: wir brauchen uns um die Rentner nicht zu kümmern, die wählen uns ohnehin. Das ist eben nicht unsere Politik. Wir kümmern uns um den Rentner, weil wir den Rang der Einzelpersönlichkeit sehen und diese stärken wollen. Das will ich bestärkend hier noch einmal hinzufügen.
Meine Damen und Herren, ich füge hinzu, das war ja nicht nur unsere Diktion. Sie machen sich da ein bißchen lächerlich und lustig. Herr Kollege Schellenberg: ich wünschte, die Rentner hätten mehr Gelegenheit, diese Debatten im Deutschen Bundestag zu verfolgen und die Einlassungen von Ihrer Seite zu hören, die vor einigen Jahren noch ganz andere gewesen sind.Wir stehen da nicht allein. Lesen oder hören Sie doch einmal nach, was Frau Dr. Juliane Nussek am 29. Juli im Deutschen Fernsehen sagte, Herr Kollege Schellenberg. Hören Sie sich das einmal genau an:Die Hauptlast der flexiblen Altersgrenze — —Darüber spreche ich heute nicht. Wir bejahen diese flexible Altersgrenze, und wir werden auch einen Gesetzentwurf dazu vorlegen; seien Sie da ganz unbesorgt!
— Herr Kollege Schellenberg, das werden wir Ihnenschon darstellen. Wir werden Ihnen sehr genau darlegen, wie das zu finanzieren ist. Sie werden sehr
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Katzergenaue Unterlagen bekommen. — Das scheint Ihnen gar nicht recht zu sein?
— Dann bin ich froh, daß Sie darüber erfreut sind. Ich bin beruhigt, daß Sie jetzt Freude haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schellenberg?
Bitte sehr, gerne.
Herr Kollege Katzer, wären Sie dann so liebenswürdig, die nächsten Gesetzentwürfe mit der vorgeschriebenen fünfzehnjährigen Vorausberechnung vorzulegen, dann zeigt sich nämlich erst die finanzielle Unsolidität?
Herr Kollege Schellenberg, ich werde das tun, was Sie früher getan haben, ich werde die Bundesregierung bitten, diese fünfzehnjährige Vorausschau für uns zu erstellen; denn sie hat den aus Steuergeldern finanzierten Apparat, um das betreiben zu können.
— Natürlich vorher, da brauchen Sie gar keine Sorge zu haben!
Eine vierte Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schellenberg.
Herr Kollege Katzer, darf ich aus Ihrem Hinweis, daß Sie jetzt „vorher" gesagt haben, entnehmen, daß Sie es jetzt bedauern, Gesetzentwürfe vorgelegt zu haben, die Sie vorher nicht durch die Bundesregierung haben kalkulieren lassen?
Nein, es wäre ganz falsch, Herr Kollege Schellenberg, das daraus zu schließen. Wir haben sehr viel Kraft, Zeit und Geld aufgewandt, um ein privates Institut mit diesen Arbeiten zu betrauen. Das hätte an sich die Regierung tun müssen. Diese Angaben enthält sie uns aber dauernd durch die Verweigerung detaillierter Antworten auf unsere Anfragen vor. Das ist genau der Punkt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Röhner?
Herr Kollege Katzer, wären Sie bereit, dem Herrn Kollegen Schellenberg zu sagen, daß es den Rentnern noch niemals so schlecht gegangen ist wie in Anbetracht der allgemeinen Kostenentwicklung in den letzten zwei Jahren?
Selbstverständlich bin ich dazu bereit, ich glaube auch, daß ich das schon mehrfach getan habe. Herr Kollege Schellenberg, Frau Dr. Julia Dingworth-Nussek hat am 29. Juli imdeutschen Fernsehen das, was ich vorhin sagte und was Ihnen offenbar aus dem Munde der Opposition nicht so sehr wohl bekommt — vielleicht wird Sie das mehr überzeugen — wie folgt ausgedrückt, ich zitiere:Die Hauptlast der flexiblen Altersgrenze sollen andere tragen, nämlich die Versicherten und vor allem die Rentner, denen damit die Chance entgeht, für alle eine, wenn auch geringe Anhebung der Renten zu erreichen.Wörtlich heißt es weiter, Herr Schellenberg:Was niemand vorschlagen würde bei Waschmaschinen oder bei Urlaubsreisen oder bei einem Autokauf, hier soll es Wirklichkeit werden. Eine kleine Minderheit erhält Vorteile zu Lasten der großen Mehrheit.Das, mit Verlaub,— so Frau Dr. Julia Dingworth-Nussekist nicht nur ungerecht, sondern auch wenig glaubwürdig.In der flexiblen Altersgrenze muß noch vieles durchdacht, durchgerechnet, und diskutiert werden, ehe sie mehr als ein Schlagwort sein kann.Es gibt auch schon ernst zu nehmende sozialdemokratische Presseorgane, die davon sprechen, mansollte überlegen, ob man wenigstens in diesem Teil— in der Erhöhung des allgemeinen Rentenniveaus— mit der Opposition gemeinsam gehen kann, um dann auch gemeinsam die anderen Fragen anzugreifen.Ich sage es noch einmal, Herr Kollege Schellenberg, ich bitte Sie, prüfen Sie unsere Vorschläge und geben Sie den Rentnern nicht so kaltschnäuzig, wie Sie das heute hier getan haben, die Antwort: Nein, auf diesem Gebiet passiert nichts. Ich halte das für unerträglich.
Wir haben hier heute nicht das Programm der Regierung zu debattieren, das wahrscheinlich nur deshalb zu diesem Zeitpunkt im Kabinett durchkam, weil wir heute diese Debatte haben. Ich sage das nicht hämisch, ich finde das vielmehr erfreulich, weil mir das zeigt, daß die Opposition im Wettbewerb der Ideen und im Wettbewerb der besseren Argumente der Regierung da helfen kann, wo sie selbst noch einige Entwicklungsschwierigkeiten auch mit ihrem Koalitionspartner hat. Herr Spitzmüller, ich muß immer lachen, wenn ich Sie hier als großen Kämpfer für die Rentenversicherung auftreten sehe, obwohl die FDP diese Rentenversicherung damals mit negativen Argumenten bekämpfl hat, die ich hier gar nicht noch einmal zitieren will, Ihre Glaubwürdigkeit wird dadurch nicht gerade erhöht.
Herr Kollege Schellenberg, ich sage Ihnen auf die Frage, ob wir nicht auch einmal diesen Gedanken überlegen wollen, folgendes. Sie waren mit mij
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Katzerauf dem VdK-Kongreß. Ich habe bedauert, daß man Sie dort sehr schlecht behandelt hat. Ich habe Sie als Vertreter des Parlaments angesehen; deshalb habe ich mich etwas geschämt. Das ist aber eine andere Frage.
Ich will das nicht vertiefen. Herr Kollege Schellenberg, dort kam der Gedanke auf, ob es nicht möglich sei, die flexible Altersgrenze, die jeder in diesem Hause will —
Sie sagen gut, gut, als wenn das eine Offenbarung wäre.
Ich sagte „noch nicht". Wir legen Ihnen als Opposition permanent seit einem Jahr Rentenentwürfe vor und Sie müssen Ihre eigene Regierung erst durch eine Entschließung des Bundestages auffordern, in der Sache etwas zu tun. Wenn ich Arbeitsminister gewesen wäre, hätte ich mir das verbeten. Ich hätte gesagt, was ich zu tun hätte, wüßte ich selbst, dazu brauchte ich keine Aufforderung des Deutschen Bundestages. Aber das ist Ihre Sache, wie Sie das machen.
Herr Abgeordneter Katzer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schellenberg?
Herr Präsident, ich möchte die gütige Frage stellen, ob das von meiner Redezeit abgezogen wird.
Herr Kollege, ich habe bereits mit dem vorher amtierenden Präsidenten von Hassel gesprochen, und wir geben Ihnen etwas Zeit zu, damit Sie die Zwischenfragen beantworten können.
Vielen Dank! Ich sage das nur deshalb, weil ich sicherstellen wollte, daß ich meine Rede noch zu Ende bringen kann.
Bitte, Herr Kollege Schellenberg!
Herr Kollege Katzer, würden Sie mir bestätigen, daß es etwas länger dauert, wenn die Regierung einen gründlichen, umfassenden, langfristig finanzierten Gesetzentwurf vorlegt,
als wenn die Opposition aus der Lamäng einen, zwei, drei, vier Entwürfe unausgegoren dem Hause unterbreitet?
Herr Kollege Schellenberg, für diese Regierung muß ich Ihnen das leider bestätigen. Bei der Regierung, der ich angehört habe, dauerte das nicht so lange. Da haben wir in drei Monaten ein Programm für den Bergmann und seine Familie entwickeln müssen, weil es an Rhein und Ruhr damals brannte.
Und wenn es jetzt bei den Rentnern brennt, müßte man doch in der Lage sein, einen solchen Gesetzentwurf vorzuziehen! Und das können Sie auch jederzeit machen, denn die Finanzmittel dafür haben Sie; Sie können also nicht auf die fehlenden Finanzen abstellen.
— Wer hier heute morgen übertrieben hat, das wird man ja nachlesen können, und deshalb lege ich sehr großen Wert darauf, daß auf Ihre Bemerkungen hier klare Antworten gegeben werden, denn das, was Sie, Herr Schellenberg, gesagt haben, kann so nicht stehenbleiben.Und wo bleibt denn, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, die von Ihnen immer beschworene soziale Gerechtigkeit, wenn 10 Millionen Rentner auf eine Anhebung der Renten verzichten müssen, damit nach Ihren Vorstellungen maximal 190 000 Personen gewisse Leistungen erhalten können? Nach der neuesten Sprachregelung der Regierung sollen es ja nun 320 000 sein. Das macht man ganz einfach: wenn die Finanzen nicht stimmen, wird der Schätzungsgrad in bezug auf die Personen, die die Sache in Anspruch nehmen werden, herauf- oder heruntergesetzt, und dann stimmt die Kasse wieder. So einfach scheint das hier zu sein. Aber wir werden das noch sorgfältig prüfen; die Vorlage ist uns ja erst gestern in die Hand gekommen.Herr Schellenberg, die Spatzen pfeifen es doch von den Dächern, daß durch die anhaltende inflationäre Preis- und Lohnentwicklung die Kasse der Rentenversicherung noch voller sein wird, als bisher geschätzt wurde. Das hat im übrigen — ich wiederhole das — weitere negative Auswirkungen auf das ohnehin unzureichende Rentenniveau. Und diese Regierung, die sich doch überall so rühmt, eine moderne zu sein, Computer zur Verfügung zu haben und mit den Computern alles so schnell durchrechnen zu können, müßte doch in der Lage sein, ihre neuesten Schätzungen allen Beteiligten zugänglich zu machen. Und dann wird natürlich die Diskussion hier im Hohen Hause auch über diese Finanzgrundlage sehr viel leichter sein; und es wird sehr viel ruhiger diskutiert werden können, auch über die entscheidend wichtige Frage, welche Form der flexiblen Altersgrenze nach einer Rentenanhebung verwirklicht werden kann und welche nicht. Und ich sage Ihnen noch einmal: überlegen Sie es sich bitte dreimal gut, Herr Kollege Schellenberg, ob Sie hier nicht ein Gesetz schaffen, das zwar theoretisch die Möglichkeit eines früheren Beginns der Altersrente bringt — übrigens höre ich bei
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KatzerIhnen immer nur die Worte „früherer Beginn der Rente"; ich 'denke aber, das Wort „flexibel", jedenfalls so, wie es die CDU/CSU-Bundestagsfraktion versteht, heißt immer: flexibel in der Verschiebung der Grenze sowohl nach unten als auch, für den, der es will, dem einzelnen die Entscheidung überlassend, nach oben, und ich hoffe, daß wir da übereinstimmen —
Herr Abgeordneter Katzer, Sie gestatten eine Zwischenfrage?
Herr Kollege, würden Sie davon Kenntnis nehmen, daß die Koalition in dieser Hinsicht bei der Flexibilität beabsichtigt, daß, wer will, auch länger arbeiten kann, also hier mit Ihnen einig geht? Im übrigen haben wir bisher noch niemals einen Gesetzentwurf im Ausschuß verabschiedet, ohne ihn verbessert zu haben. Das werden wir auch bei dieser Regierungsvorlage tun.
Herr Kollege Schellenberg, ich war ja vorhin schon etwas enttäuscht, weil ich meinte, daß diese Debatte vielleicht doch nicht das Ergebnis haben könnte, das ich mir vorgestellt hatte. Aber für diese Mitteilung bin ich Ihnen von ganzem Herzen dankbar. Dies höre ich nun wirklich gerne, und wenn das der Ertrag dieser Debatte war, dann, so meine ich, haben die Sozialpolitiker heute eine großartige Leistung vollbracht;
denn dann haben wir endlich einmal die Kruste aufgebrochen und haben gesagt: gut, wir können über all das sprechen, und wir stehen nicht auf dem Standpunkt des Kollegen Spitzmüller, der vorhin meinte, das, was wir hier vorlegen, sei gar keine Grundlage. Sie haben also im Gegensatz zu Ihrem Koalitionspartner hier festgestellt: Selbstverständlich, wir können das tun. Ich finde das sehr schön und bedanke mich für diese Feststellung.
— Gemeinsam, natürlich. Davon gehe ich aus. — Er hat jetzt nicht zugehört. Aber wie ich Sie kenne, passiert da nichts. Da bin ich vollkommen sicher.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Wenn der Sozialdemokratie wirklich an einer Zusammenarbeit mit unserer Fraktion in den Fragen der Gesellschaftspolitik gelegen ist, profitieren die Bürger unseres Landes — ich sage es noch einmal — von diesem Wettstreit. Daß sie davon profitieren, zeigen doch die jüngsten Beschlüsse des Kabinetts, wo man doch, wenn ich das beim flüchtigen Durchlesen richtig gesehen habe, in vielen Punkten von dem ursprünglichen Entwurf des Arbeitsministers abgegangen und auf die Vorstellungen der CDU/CSU mehr eingegangen ist, als es Ihre Ausführungen vorhin zu erkennen gegeben haben, sei es hinsichtlich der Öffnung der Rentenversicherung, sei es hinsichtlich der Kleinstrentner, sei es hinsichtlich des Problems des Splitting.
Gestern in der Haushaltsdebatte ist die Frage gestellt worden: Wo sind die Alternativen? Herr Kollege Strauß hat gestern ganz richtig gesagt: Nun ja, wenn man bei einem langen Mantel oben falsch einzuknöpfen beginnt und wir dann sagen: halt, paßt auf, das ist falsch, man aber unentwegt weiter knöpft und dann unten feststellt, daß man nicht hinkommt, und dann sagt: wo sind eure Alternativen, so geht das nicht. Aber auf dem Felde der Gesellschaftspolitik haben wir nicht nur bei dem ersten Knopf gesagt: paßt auf, sondern wir haben zugleich eigene Gesetzentwürfe vorgelegt. Ich glaube, daß die Alternativen, die wir gegeben haben, nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch hier im Hohen Hause diskutiert werden müssen. Ich halte sie für ausgewogen und sozial gerecht.
Lassen Sie mich, Herr Kollege Schellenberg, mit dem Satz schließen: Die Rentner haben ein Recht darauf, daß auch die SPD in der Regierung das hält, was sie als Opposition jahrelang versprochen hat. Sie haben ein Recht darauf, daß dieses Parlament ausreichende Renten sichert. Sie werden kein Verständnis dafür haben, wenn Sie, meine Damen und Herren von der SPD, einen Vorschlag nur deshalb ablehnen, weil er von der Opposition kommt.
Herr Kollege Nölling, Sie haben Glück: Sie kommen tatsächlich noch dran.
Herr Präsident, ich bekomme am Anfang schon Beifall, bevor ich überhaupt gesprochen habe.
Den haben Sie falsch kassiert; der galt noch dem abgehenden Kollegen Katzer.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Nölling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin gern bereit gewesen, dies hinzunehmen. Ich hatte es nur scherzhaft gesagt, um vielleicht doch einen etwas anderen Ton in die Debatte heute morgen hineinzubringen. Ich habe mich etwas gewundert über die — —
— Ich werde vergessen, was ich sagen wollte.Meine Damen und Herren, ich hätte einen Punkt am Anfang nicht erwähnt, wenn nicht der Kollege Katzer ihn mündlich noch einmal so stark betont hätte. Ich bin allerdings der Meinung, Herr Kollege Katzer, daß weder Ihnen noch uns noch irgendwem geholfen ist, wenn man in Begründungen zu Anträgen zur Verbesserung der sozialen Lage der Rentner
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Dr. Nöllingeine Unwahrheit hineinschreibt, und zwar am Anfang, und diese Unwahrheit in diesem Parlament wiederholt. Sie schreiben:Seit nunmehr fast zwei Jahren wird den Rentnern der gesetzlichen Rentenversicherungen der ihnen zukommende Anteil am Produktivitätsfortschritt der Volkswirtschaft versagt.Herr Kollege Katzer, es dürfte keinen Streit darüber geben, daß im Jahre 1970 eine Verbesserung des durchschnittlichen Realeinkommens der Rentner um 4,6 °/o zu verzeichnen war. Ich weiß, daß Sie dies auch im Rundfunk gesagt haben. Ich habe Pressemitteilungen darüber, daß Sie in dieser griffigen generalisierenden Art davon gesprochen haben, in zwei Jahren hätten die Rentner am Produktivitätsfortschritt nicht teilgenommen.
Ich glaube, Sie müssen zugeben, daß das nicht stimmt. Es stimmt nicht für das Jahr 1970. Sie können es behaupten für das Jahr 1971.
Nun schön, dann nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis — und vielleicht äußern Sie sich dazu —, daß man dann, wenn man sich hier als Sozialanwalt der Rentner aufspielen will, auch Punkt für Punkt die Wahrheit sagen muß. Ich glaube, darüber sind wir uns einig.
Herr Kollege Katzer, ich meine auch — ich sage das in aller Sachlichkeit —, daß es jedes Maß an Fairneß übersteigt, wenn Sie dieser Regierung vorwerfen, sie betreibe eine Inflationspolitik. Das tut sie nicht. Sie wissen auch genau, daß sie es nicht tut und daß sie laufend Maßnahmen ergriffen hat, um gegen die Preissteigerungen anzugehen. Sie können sich doch nicht hier hinstellen und sagen, diese Regierung betreibe gewollt eine Inflationspolitik.
— Das haben Sie soeben gesagt. Ich habe es mehrere Male aufmerksam zur Kenntnis genommen.
Herr Abgeordneter Nölling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Katzer?
Bitte schön!
Herr Kollege Nölling, ich habe Ihnen sofort eingeräumt, daß wir selbstverständlich fair diskutieren müssen. Dieses Jahr ist es so geblieben, letztes Jahr ist ein Plus von 1 % für die Rentner zu verzeichnen gewesen. Einverstanden!
Nein, 4 1/2 %, Herr Kollege Katzer.
— Entschuldigen Sie, unter Berücksichtigung der Abschaffung des Krankenkassenbeitrags haben sich die Renten um 8,35 % erhöht, und wir haben eine Preissteigerung von 3,8 % gehabt.
— Warum schreiben Sie es dann falsch in Ihre Begründung hinein?
— Herr Kollege Katzer, Sie haben Ihr Saalmikrophon mal wieder mit dem verwechselt, vor dem ich hier stehe. Ich glaube, das ist nicht besonders schön.
Ein Punkt — es ist einer der wichtigsten Punkte— steht am Anfang der grundsätzlichen Auseinandersetzung. Sie können keine Politik gegen Preissteigerungen betreiben, wenn Sie damit anfangen, Teuerungszuschläge zu bewilligen.
Es ist das Grunderfordernis einer stabilitätsorientierten Politik,
daß man alles vermeiden muß, was die Inflationsmentalität im Staate weiter stärkt. Noch einmal: Am Anfang unserer Überlegungen darf nicht die Absicht stehen, die Folgen der Preissteigerungen durch solche Zuschläge abzudecken, sondern die, die Preissteigerungen überhaupt nicht erst entstehen zu lassen oder sie zurückzudrängen.
— Wenn das Ihr Einverständnis findet, ist es nicht verständlich, warum Sie diesen Entwurf eines Fünfzehnten Rentenanpassungsgesetzes hier eingebracht haben.
- Gut, Sie begründen es damit. Wir begründen es anders.Ich gehe in der Reformdiskussion — wir müssen ja heute eine Grundsatzdebatte führen, ohne allzusehr in Einzelheiten zu gehen — von folgenden Voraussetzungen aus. Herr Kollege Katzer, das sind Voraussetzungen, die Sie zum Teil nicht akzeptieren, die aber für unsere andere politische Grundentscheidung in der Frage der Rentenrechtsreform entscheidend sind.
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Dr. NöllingErstens. Wir können bis zum Jahre 1985 — das ist inzwischen unbestritten — mit erheblichen Überschüssen in der gesetzlichen Rentenversicherung rechnen.
Diese Überschüsse entstehen bzw. entstanden hauptsächlich aus zwei Gründen. Sie entstanden zum einen deshalb, weil die Wirtschaftspolitik dieser Regierung Vollbeschäftigung, Beschäftigungsausweitung, hohe Lohn- und Gehaltssteigerungen und damit Beitragssteigerungen garantiert und ermöglicht hat, die im Jahre 1969 noch unvorstellbar gewesen sind, wie Sie sich erinnern werden. Sonst hätten wir nämlich damals das Rentenversicherungsänderungsgesetz nicht zu machen brauchen.
Zum anderen: Ab 1. Januar werden die Bundeszuschüsse erstmalig wieder in der nach der Rentenformel vorgesehenen Höhe gezahlt. In der Zeit von 1968 bis 1971 sind Kürzungen in Höhe von mehr als 4 Milliarden DM vorgenommen worden.
Ab 1972 machen wir damit Schluß.
Herr Kollege Katzer, und Sie behaupten hier nun, daß diese Regierung Reformen zu Lasten der Rentner veranstalte. Das behaupten Sie, obwohl wir — ich nenne Ihnen die Zahlen — die Bundeszuschüsse von 11,6 Milliarden DM im Jahre 1971 auf 14 Milliarden DM im Jahre 1972 und auf 18,5 Milliarden DM im Jahre 1975 steigern.
Zweitens. Die von den Beschäftigten geforderten Beiträge zur Finanzierung unseres Rentensystems, die gesetzlich festliegen, werden erheblich steigen. Der Höchstbeitrag wird von 323 DM im Jahre 1971 auf 450 DM im Jahre 1974 ansteigen. Dieser Anstieg wird sich darüber hinaus fortsetzen. Wir wissen, daß die Belastung der arbeitenden Generation für die Einkommenssicherung der Rentnergeneration höher sein wird, als es nach der strengen Rentenformel von 1957 unbedingt notwendig wäre, um die dort vorgesehenen Rentensteigerungen zu finanzieren. Aus dieser Tatsache leiten wir die Notwendigkeit und die Rechtfertigung ab, auch für die im Arbeitsprozeß stehenden Arbeitnehmer etwas zu tun. Das ist die Frage der Finanzierung der flexiblen Altersgrenze. Herr Kollege Katzer, Sie können doch nicht einfach sagen, wir würden damit, daß wir es den Arbeitnehmern, die älter sind, ermöglichen, auf Grund freiwilliger Entscheidung früher in Rente zu gehen, und sie dadurch in die Lage versetzen, ein Rentnerdasein zu führen, nichts für die Rentner tun; so haben Sie es eben behauptet.Dritter Punkt. In der Zeit, in der diese Bundesregierung für die generelle Einkommenssituation der Rentner verantwortlich ist, d. h. von 1970 bis 1974, werden alle Bestandsrenten um fast genau 50 % steigen. Das interessiert den Herrn KollegenKatzer nicht; denn er möchte bei seiner Behauptung bleiben können, daß diese Regierung knickerig und knauserig ist, daß sie kaltschnäuzig ist usw. Herr Kollege Katzer, setzen Sie sich bitte mit diesem Argument auseinander, daß mit diesen fünf Anpassungen, für die diese Regierung Gesetze vorlegen wird oder schon vorgelegt hat, 50 % Netto-Steigerung der Bestandsrenten garantiert sind, daß wir Rentensteigerungen von 9,5 % für 1973, darauf von 11,7 % und ein Jahr später von 11 % bekommen.
— Nun schön, das wissen Sie. Aber Sie betonen esnicht, weil Sie davon ablenken wollen, weil es nicht in Ihr Konzept zum gegenwärtigen Zeitpunkt paßt. Es gibt keinen vergleichbaren Zeitraum seit 1957, Herr Kollege Katzer, in dem die Rentner eine ähnlich hohe Einkommenssteigerung erhalten haben. Es ist ganz sicher, daß sie in dem vor uns liegenden Zeitraum, den ich genannt habe, den Lebensstandardzuwachs der Arbeitnehmer in dem Maße, wie es bisher immer üblich war, nachhinkend, nachvollziehen.Nun, seit der ersten Rentendebatte im Sommer dieses Jahres sind in bezug auf die Weiterentwicklung unseres Rechts die Fronten klar. Es haben sich inzwischen drei Möglichkeiten herausgebildet, wie man die entstehenden Überschüsse verteilen kann. Das sind einmal zusätzliche lineare Erhöhungen, das sind gezielte Strukturverbesserungen und darüber hinaus die flexible Altersgrenze. Ich wurde bei der Vorbereitung auf diese Rede daran erinnert, daß wir früher von dem magischen Dreieck in der Wirtschaftspolitik gesprochen haben. Wir haben in bezug auf dieses Problem, wenn ich so sagen darf, ebenfalls ein magisches Dreieck. Ich will damit sagen: Wir können beim besten Willen von diesen drei Zielen, die sich inzwischen herausgebildet haben, immer nur zwei gleichzeitig erfüllen. Wir können nicht alle drei gleichzeitig erfüllen.
— Das können wir nicht einmal anstreben, Herr Kollege Katzer. Ich will das gleich ganz kurz beweisen.Nun hat sich die Opposition für lineare Erhöhung und für Strukturverbesserungen entschieden. Hier hat der Kollege Schellenberg mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, daß selbst bei der Entscheidung für diese Zielkombination die Mittel, die vorhanden sein werden, schon nicht mehr ausreichen, um das zu finanzieren.Die Regierung hat sich entschieden, Strukturverbesserungen durchzuführen, und sie hat sich entschieden, die flexible Altersgrenze einzuführen. Mit diesem Programm der Regierung haben wir in der Tat ein Kontrastprogramm zu dem der Opposition. Es dürfte eindeutig klar sein, Herr Kollege Katzer, daß Sie als Opposition damit die Einführung der flexiblen Altersgrenze abgelehnt haben.
Weil Sie sie nicht finanzieren können in diesemDreieck, das ich aufgezeigt habe, haben Sie sich poli-
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Dr. Nöllingtisch für eine Lösung entschieden, die die Finanzierung der flexiblen Altersgrenze ausschließt.
— Nun, das können Sie nicht zurückweisen, es sei denn, Sie machten folgendes, was aber der Intention dieses Instruments flexible Altersgrenze widersprechen würde: Sie würden systemwidrige versicherungsmathematische Abschläge zulassen. Dann könnten Sie es unter Umständen finanzieren. Dann müssen Sie aber Abschläge zulassen, die eine solche Höhe erreichen, daß in der Tat die Wahlfreiheit dieser älteren Arbeitnehmer kaputtgemacht wird.
— Es gibt dazu keine Alternative. Ich muß das mit aller Deutlichkeit sagen. Ich habe hier in der Tat den Eindruck von der Opposition, daß sie, wenn sie über die flexible Altersgrenze spricht, in der Tat sehr flexibel ist. Man braucht gar keine große Prophetengabe zu haben, um zu erkennen, daß Sie, wenn die Entscheidungen in diesem Hause fallen, auf unseren Zug aufspringen und sagen werden: Das haben wir schon immer genauso gewollt. Zu diesem Zweck müssen wir aber vorher die linearen Erhöhungen der Renten, die Sie vorgesehen haben, ablehnen.Ich möchte noch in aller Kürze auf die drei Punkte eingehen, die uns veranlassen, dieses Vorziehen des Rentenanpassungsgesetzes abzulehnen.Erstens. Die auf Grund der Rentenformel gewollte — Herr Kollege Katzer, es ist nicht so, wie Sie es in einem Disput mit dem Kollegen Schellenberg gesagt haben; das ist gar nicht richtig, wie Sie wissen; ich will es jetzt einmal klarstellen —, differenzierende Wirkung einer linearen Erhöhung je nach Rentenhöhe, die also zu absolut unterschiedlichen Steigerungsbeträgen führt, wollen wir. Das ist also gewollt und ist im System drin. Da gibt es von uns auch gar kein Abweichen. Wir haben also unterschiedlich hohe absolute Steigerungsbeträge je nach Rentenhöhe.Eines ist heute morgen aber auch klargeworden. Ich will es erneut betonen: Wir werden jede weitere Verschärfung der Spanne zwischen Groß- und Kleinrenten bei den absoluten Zuwächsen verhindern. Ich möchte hierzu ein Zahlenbeispiel bringen, damit einmal plastisch wird, welch ein sozialpolitischer Unsinn betrieben werden soll.Von 1970 bis 1974 wird eine Rente, die im Ausgangsstadium 1000 DM betrug, auf zirka 1500 DM steigen. Eine kleinere Rente von 300 DM wild analog dazu auf etwa 450 DM steigen.
Bedenken Sie bitte, daß die Steigerung von 500 DM nach unsere System noch um 50 DM höher sein wird, als die Kleinrente am Ende dieses Prozesses von weiteren fünf Anpassungen betragen wird. Nun wollen Sie diesen Prozeß, den wir alle bejahen, aber noch verschärfen, d. h. sozial ungerechter gestalten, indem Sie die Schere weiter öffnen. Ich gebe Ihnen das Zahlenbeispiel dazu.Es lautet: Wenn wir Ihr Gesetz annähmen, würde der Kleinrentner im Jahre 1974 21 DM absolut mehr bekommen, während der Großrentner etwa 66 DM mehr, d. h. mehr als dreimal soviel bekommen würde.
— Herr Kollege Geisenhofer, das habe ich ausgerechnet. Wenn Sie sagen, daß das nicht stimme, dann müssen wir uns über unsere Rechnungsunterlagen klarwerden.
— Nicht nach Ihrer linearen Anpassung! Das vermengen Sie jetzt mit Ihrer Mindestrentenlösung. Das ist etwas anderes.
Der Abgeordnete Nölling ist nur dann in der Lage, auf Zwischenfragen zu antworten, wenn sie ordnungsgemäß gestellt werden. Daß er dazu bereit ist, das haben Sie gesehen. — Bitte, Herr Kollege Härzschel, zu einer Zwischenfrage!
Herr Kollege Dr. Nölling, würden Sie zugeben, daß die SPD, solange sie in der Opposition war, von 1957 an dieses Nachholen der nicht erfolgten Anpassung von 1958 gefordert hat und daß auch die Gewerkschaften dies bisher stets gefordert haben?
Erstens ist es nicht zu jeder Zeit gefordert worden, Herr Kollege Härzschel; das ist nicht richtig.
— Das ist so nicht richtig! — Zum anderen wollen Sie einfach nicht zur Kenntnis nehmen — ich sage das sehr betont und sehr bewußt —, was für uns die Rechtfertigung zur Ablehnung Ihres Antrags ist. Die Rechtfertigung ist, daß wir in diesen fünf Jahren eine 50 %ge Nettoeinkommenssteigerung der Rentner erhalten.
Herr Abgeordneter Nölling, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Röhner?
Nur noch eine! Dann möchte ich zum Schluß kommen.
Herr Kollege, würden Sie konzedieren, daß die Konzeption der CDU/CSU-Fraktion, die Sie hier kritisieren, nur synchronisiert mit der Mindestrente und der von uns dazu vorgeschlagenen Regelung zu betrachten und zu beurteilen ist?
Nein, das würde ich nicht konzedieren, einfach deshalb nicht, weil Sie Ihr
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Dr. Nöllingrentenpolitisches Abenteuer im Sommer genau mit dem begonnen haben, womit Sie jetzt fortfahren, nämlich mit linearen Erhöhungen.
Meine Damen und Herren, angesichts der Einkommens- und Rentenentwicklung und der Poblematik ungezielter zusätzlicher Erhöhungen ist es einfach grotesk und lächerlich, wenn Sie in der Begründung zu Ihrem Entwurf eines 15. Rentenanpassungsgesetzes schreiben, daß eine Absage an Rentenniveauverbesserungen eine Absage an eine leistungsbezogene Alterssicherung sei; das ist einfach Unsinn und dummes Zeug.
Zweitens. Man kann einer Bundesregierung, die sich um die Wiedererlangung der Stabilität bemüht,
nicht dadurch in den Rücken fallen, wie Sie es nun dauernd tun.
Herr Abgeordneter Nölling, ich möchte Ihnen nur
folgendes sagen. Wenn es bei Ihnen eben rot aufleuchtete, so ist das ein Versehen bei der Einstellung gewesen. Sie haben noch fünf Minuten, können also ihre Darlegungen in Ruhe zu Ende führen. Sie brauchen sich nicht irritiert zu fühlen.
Entschuldigen Sie, Herr Präsident, ich fühle mich nicht irritiert, ganz sicher nicht durch die Opposition. Das ist völlig klar. Man kann meines Erachtens dieser Bundesregierung nicht dadurch in den Rücken fallen,
wie es die Sozialpolitiker der CDU wiederholt getan haben, daß man die Auswirkungen auf den Bundeshaushalt einfach ignoriert. 2,5 Milliarden DM, die Ihr Vorschlag nach sich zieht, sind bisher nicht gedeckt. Sie sollten uns sagen, wenn Sie die Verantwortung übernehmen würden, was Sie bis jetzt nicht tun, wo das Geld herkommen soll. Sollen wir woanders streichen? Herr Kollege Katzer hat heute morgen so etwas unverbindlich angedeutet. Wir sind sehr gespannt darauf, wo er die Haushaltsreserven entdecken wird. Die Verantwortung dafür könnten Sie natürlich auch dadurch übernehmen, Herr Kollege Katzer, daß Sie sagen: Jawohl, wir sind der Meinung, daß der Bundeshaushalt in noch starkerem Maße steigen soll, als es Ihre Wirtschafts- und Finanzpolitiker beklagen. Zu beiden Alternativen haben Sie sich bisher nicht, jedenfalls nicht für uns erkennbar, geäußert.
Das ist ein „Kopf-in-den-Sand-Stecken" — gestern hat es der Kollege Franke hier noch einmal vorexerziert —, das wir nicht mit einer verantwortungsbewußten Sozialpolitik gleichsetzen können.
Dritter Punkt: Der zwischen den Generationen geschlossene Solidarvertrag ist nun einmal in der Rentenformel von 1957 niedergelegt worden. Diesen Vertrag wird diese Bundesregierung, wird diese Koalition hundertprozentig erfüllen. Sie wird daran nicht je nach Konjunktur- und Preislage, wie es Herr Kollege Katzer nun für richtig hält, rastlos herummanipulieren. Wir meinen, diese dauernden Versuche, von dem System abzugehen, muß man auf jeden Fall zurückweisen, und das werden wir in den Debatten, die noch kommen, und in den Abstimmungen, ,die noch kommen, tun.
Die Rentenformel, auf die wir verpflichtet sind und die wir nach wie vor für richtig halten, Herr
Kollege Katzer — das ist ein entscheidender Unterschied zwischen Regierung und Opposition—,
zwingt zu einer mittelfristigen Betrachtung. Ich habe es soeben dargesetllt. Sie wird entwertet, sie wird wertlos gemacht,
wenn sie auf konjunkturelle Lagen Rücksicht nehmen soll.
Genau das wollen Sie. Sie geben damit dieses Instrument der Möglichkeit der dauernden Manipulation preis. Sie können das später, wenn es irgend jemandem in den Kram paßt, nicht mehr ablehnen, weil man ja dann entsprechende Vorbilder hat. Die Steigerung nach dieser von uns intakt gehaltenen Rentenformel wird, wie gesagt, in fünf Anpassungen 50 % betragen. Ich kann Ihnen deshalb versichern, daß wir die Opposition daran hindern werden, sozialpolitisch mit der großen Gießkanne zu hantieren und dann noch der deutschen Bevölkerung sagen zu wollen, das sei eine fortschrittliche Sozialpolitik.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich wollte mich auf fünf Minuten beschränken. Aber leider war es nicht möglich, mit der CDU eine Absprache zu treffen, daß dann kein weiteres CDU-Mitglied mehr spricht. Deswegen habe ich jetzt 15 Minuten beantragt.
— Ich hatte vereinbart, daß ich nur fünf Minuten spreche, wenn ich als letzter spreche. Diese Vereinbarung ist nicht einzuhalten. Ich will trotzdem versuchen, mich kurz zu fassen. Ich habe aber zunächst einmal 15 Minuten beantragt, weil das zunächst gemachte Angebot von der CDU zurückgezogen wurde.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 146. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Oktober 1971 8389
SpitzmüllerHerr Kollege Katzer, zu Ihren Ausführungen möchte ich vorab einmal eines aufgreifen. Leider werden Sie bei der Durchsicht Ihrer Rede, die Sie vom Stenographischen Dienst bekommen, feststellen müssen, daß Sie zwei- oder sogar dreimal — zweimal habe ich es mitgeschrieben — erklärt haben, der Rückstand der Renten sei jetzt so gewaltig „dank der Inflationspolitik dieser Bundesregierung". Herr Kollege Katzer, das steht in einem krassen Widerspruch zu dem Appell, den gerade Ihr Fraktionsvorsitzender gestern in diesem Hause gehalten hat.Ich muß nämlich die Frage stellen: In welchem Wirtschaftssystem leben wir eigentlich? Mein Kolleg Kirst hat in der Haushaltsdebatte darauf hingewiesen, daß die Finanz- und Haushaltsleute der CDU/CSU gerne davon sprechen, daß die inflationäre Entwicklung, d. h. die Geldentwertungsentwicklung, nicht nur vom Ausland über uns hereingebrochen sei, sondern daß es auch einen Teil hausgemachter Geld- und Kaufkraftentwertung gäbe. Herr Kollege Kirst hat schon darauf hingewiesen — das muß ich ganz klar betonen, nachdem Herr Kollege Katzer es so hart ausgesprochen hat -, daß hausgemacht gern mit regierungsgemacht gleichgesetzt wird.Meine Damen und Herren, das stimmt einfach nicht, denn ich glaube, auch die CDU und erst recht Herr Katzer werden die Tarifhoheit und die Tarifautonomie nicht aufgeben wollen. Wer bestimmt in dieser Bundesrepublik und in diesem Wirtschaftssystem nun einmal die Löhne und die Preise? Das ist doch wahrhaftig nicht die Bundesregierung.
Allerdings, Herr Kollege Katzer, möchte ich eines sagen: Wenn hier ein bißchen hausgemachte Preissteigerung mit zu verantworten ist, dann möchte ich darauf hinweisen, daß durch einen Beschluß, auf den Sie selbst hingewirkt haben, 6 Milliarden DM im Jahre 1970 und 6 Milliarden DM Kostensteigerungen im Jahr 1971 zum Beispiel durch das Lohnfortzahlungsgesetz auf die Wirtschaft zugekommen sind. Das waren allerdings dann regierungsverantwortlich gemachte, aber von der letzten Regierung, Preissteigerungstendenzen.
Herr Abgeordneter Spitzmüller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Breidbach?
Herr Abgeordneter Spitzmüller, nachdem nicht zuletzt von seiten der Koalitionsfraktionen in der Vergangenheit unter anderen Umständen immer wieder darauf hingewiesen wurde, daß die Schuld für Preissteigerungen die Bundesregierung trage und Sie sich nun auf einer anderen Bank befinden, frage ich Sie, ob Ihre vorhin gemachte Aussage, daß die Schuld für die Preissteigerungen nicht bei der Bundesregierung liege, darauf beruht, daß Sie zwischenzeitlich einen Positionswechsel vornehmen mußten?
Aber Herr Kollege, nun muß ich Ihnen eines entgegenhalten. Ich habe schon in den Jahren 1964 und 1965, als die ersten großen Preissteigerungen waren — damals war ich auch mit in der Regierungsverantwortung —, darauf hingewiesen, daß wir als Regierung auf die inflationäre Politik anderer großer Industrienationen keinen Einfluß haben und daß wir auch nur mit mäßigenden Appellen auf die Ergebnisse der Tarifpartner Einfluß nehmen können, wobei ich beide Tarifpartner gleichsetze, und nicht mehr. Ich habe hier keinen Positionswechsel gegenüber dem vorzunehmen, was ich in den Jahren 1964, 1965 und 1967, als wir in der Opposition waren, getan habe, und dem, was ich jetzt tue, wo wir in einer anderen Konstellation wieder in der Regierung sind.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Breidbach?
Herr Abgeordneter Spitzmüller, kann ich Sie so verstehen, daß die Hauptschuld für die Preissteigerungen die Gewerkschaften und die Arbeitgeber und nicht etwa die Regierung trifft?
Ich sage damit, daß die Hauptschuld einmal in der inflationären Entwicklung in den großen Industrienationen liegt. Zum anderen sind die Daten, die das Wirtschaftsministerium gesetzt hat, von den Tarifpartnern nicht so ernst genommen worden, wie sie eigentlich im Interesse aller, auch im Interesse der Rentner, hätten ernst genommen werden müssen.
— „Tarifpartner" heißt Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Lieber Herr Kollege, Sie wissen doch auch, daß zum Abschluß zwei gehören. Ich weiß auch, daß diese Abfschlüsse sehr schwierig sind und daß man vor der Frage steht, ob man Arbeitstage dadurch ausfallen lassen will, daß eine Streikposition heraufbeschworen wird. Das macht diese Tarifabschlüsse außerordentlich schwierig. Wenn Sie davon sprechen, daß von dieser Bundesregierung eine Inflationspolitik getrieben wird, dann ist das einfach falsch. Diese Bundesregierung hat nur kleine Möglichkeiten, auf die Preisentwicklung, die aus dem Ausland und durch die Tarifabschlüsse in der Bundesrepublik hervorgerufen wird, Einfluß zu nehmen.
Herr Abgeordneter Spitzmüller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Haase?
Herr Kollege Spitzmüller, hat denn die Bundesregierung da, wo sie die Möglichkeiten hätte, die Sie eben nannten, sich an die
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8390 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 146. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Oktober 1971
Haase
eigenen, von ihr veröffentlichten Daten gehalten -im Zusammenhang mit der Beeinflussung der Konjunktursituation wie z. B. beim Haushalt?
Aber selbstverständlich, Herr Kollege Haase. Ich erinnere mich sehr gut, daß Sie den letzten Haushalt angegriffen haben,
der zu hoch sei, und daß Sie am Ende dann ganz still geworden sind und erklärt haben, er passe tatsächlich im Verlauf des Jahres in die Landschaft.
— Das ist immer die sektorale Betrachtungsweise, Herr Kollege Haase, die Sie anstellen, indem Sie einen Zeitabschnitt herausnehmen, statt das gesamte Jahr zu übersehen. Im gesamten Jahr war der Haushalt konjunkturgerecht.
- Das ist meine Meinung, Sie können eine andere Meinung haben.Herr Kollege Katzer, Sie haben erklärt: Die Rentner sind die sozial Schwächsten. Darüber wollen wir nicht streiten, obwohl Kollege Geisenhofer darauf hingewiesen hat, daß die Höhe der Rente natürlich gar nichts über die Wirklichkeit der Lebenssituation des einzelnen Rentners aussagt. Aber in I der Regel wollen und müssen wir davon ausgehen, daß die Rentner zu den sozial Schwächsten gehören. Wenn Sie nun eine lineare Erhöhung vorschlagen, dann muß ich Ihnen sagen: es gibt — das wissen Sie ja selber als langjähriger Abeitsminister — eine Million Rentner mit weniger als 150 DM Rente im Monat. Das liegt an kurzen Beitragszeiten, das liegt — bei langen Beitragszeiten - eventuell auch daran, daß der niedrigste Beitrag der freiwillig Versicherten gezahlt wurde. Denen geben Sie mit einer linearen Erhöhung, die aber insgesamt 65 Milliarden bis zum Jahre 1985 kostet, nichts.Nun noch eines, Herr Kollege Katzer! Sie haben mich hier persönlich angesprochen und erklärt, mein Eintreten vorhin bei der Debatte über die strukturellen Verbesserungen würde meine Glaubwürdigkeit nicht gerade erhöhen. Herr Kollege Katzer, ich möchte Sie noch einmal auf folgende Tatsachen aufmerksam machen. Die FDP hat die Rentenreform abgelehnt. Dazu haben wir uns immer bekannt. Wir haben nicht zugestimmt, weil bei den Zugangsrenten der Bundestag als parlamentarisches Gremium ausgeschaltet war, d. h. nicht wegen der Dynamik, sondern wegen der Automatik. Vorher hat es acht Rentenanpassungsgesetze ohne Automatik gegeben. All diesen acht Rentenanpassungsgesetzen hat die Freie Demokratische Partei zugestimmt. Sie hat auch den dynamisch automatisch angepaßten Renten immer zugestimmt, mit einer Ausnahme: das war bei der ersten Erhöhung. Dort haben wir nicht zugestimmt, weil die vom Gesetz vorgeschriebene versicherungstechnische Bilanz nicht vorgelegen hatte. Das war der Grund, warum wir einmal die Rentenerhöhung abgelehnt haben. Wir haben gesagt: hier ist die Bundesregierung ihrer gesetzlichen Pflicht nicht nachgekommen; sie kann von uns nicht verlangen, zuzustimmen, wenn die Gesamtentwicklung nicht zu übersehen ist.Herr Kollege Katzer, wenn Sie glauben, meine Glaubwürdigkeit oder die der FDP anzweifeln zu müssen: haben Sie denn vergessen, daß ich Ihnen, als Sie Arbeitsminister waren, beigesprungen bin gegen Ihren Finanzminister Strauß, der im Haushalt 1968 ohne gesetzliche Grundlage 200 Millionen DM Bundeszuschüsse einfach kürzen wollte? Diese Kürzung, die im Kabinett durchgegangen war — ich weiß, gegen Ihren Widerstand —, wurde hier im Bundestag rückgängig gemacht,
weil ich mich hier für die FDP und als Person engagiert habe.
Herr Kollege Katzer, haben Sie nicht in Erinnerung, daß Sie sowohl als Arbeitsminister wie nachher festgestellt haben, daß die Freien Demokraten als Opposition sich im Jahre 1968 nicht opportunistisch verhalten haben, was sie hätten tun können, sondern der Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Sachlichkeit gehorchend die Beitragserhöhungen mit beschlossen haben, obwohl es uns leichter gefallen wäre, das nicht zu tun? Ich sage Ihnen ganz klar, Herr Kollege Katzer, es war nicht einfach, in unserer Fraktion das durchzubringen. Es war vor allem deshalb nicht einfach, weil einige Herren, die in der Zwischenzeit bei Ihrer Fraktion gelandet sind, damals nicht bereit waren, meinen Standpunkt zu teilen. Das auch noch als kleine Hintergrundbeleuchtung!
Ich möchte zum Schluß kommen und nur eines sagen. Herr Kollege Katzer, diese Ihre Vorlage beinhaltet, daß Sie die linearen Erhöhungen neben den strukturellen Verbesserungen wollen, die Sie in der Drucksache VI/2584 sowie in zwei anderen Gesetzentwürfen, die Sie schon vorgelegt haben, beantragt haben. Sehr geehrter Herr Kollege Katzer, bisher war es 14 Jahre Praxis, daß die Rentenanpassung mit dem timelag von drei Jahren Platz greift. Wenn mit diesem Platzgreifen von drei Jahren time-lag — und nur dadurch — erstmals Möglichkeiten entstehen, strukturelle Verbesserungen vorlegen zu können, dann müssen wir diese Gelegenheit ergreifen.Es ist doch ein gewisser Widerspruch, wenn Sie durch eine lineare Erhöhung die Hauptmasse des anwachsenden zur Verfügung stehenden Geldes verbrauchen wollen, obwohl der letzte Bundestag einen Härtebericht zu den Rentengesetzen einstimmig verlangt hat, weil man im Sozialpolitischen Ausschuß nämlich zu dem Ergebnis gekommen war, daß es mit den linearen Erhöhungen allein nicht getan ist, sondern daß daneben sukzessive, so wie es die Geldmittel erlauben, strukturelle Verbesserungen eingebaut werden müssen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 146. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Oktober 1971 8391
SpitzmüllerHerr Kollege Katzer, ich glaube, es würde der Sachlichkeit in der Diskussion sicherlich dienen, wenn wir, die wir schon länger dem Hause angehören, uns bemühen, soweit wir Mitglieder oder stellvertretende Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung sind, bei den Beratungen dieses Gesetzes nach Möglichkeit dabeizusein, um aus den Erfahrungen der vielen Jahre, der oft divergierenden Meinungen — divergierend nicht schlechthin im Ziel, sondern manchmal nur im Weg, der einzuschlagen ist — einen entsprechenden Beitrag zu leisten.Herr Kollege Katzer, ich habe den Eindruck, daß wir, wenn wir im Sozialpolitischen Ausschuß die Vorlage der Bundesregierung — über die ja noch extra diskutiert werde muß —, und Ihre Vorlagen als Basis haben, versuchen müssen, eine Regelung zu finden, die finanziell verkraftbar ist. Ich bin überzeugt, dann wird 'auch die CDU/CSU dazu kommen, zu erkennen, daß es sozialer und gerechter ist, die Masse des Geldes für strukturelle Verbesserungen zu verwenden.Wenn man sich zur Beurteilung der linearen Anhebung einmal die Tabelle vor Augen nimmt, so stellt man fest, daß im Jahre 1957 50,9 % Rente im Verhältnis zum durchschnittlichen Entgelt eines Monats erreicht wurde und daß diese Relation unter der CDU/CSU-Führung bis auf 43,5 % im Jahr 1964 abgesunken ist. Jetzt sind wir 1 % darunter, nämlich bei 42,5 %. Damals, als wir 43,5 % unter einem CDU-Kanzler hatten, hat die CDU/CSU immer dagegen gekämpft, daß etwas getan wird.
Ich verstehe auch warum: weil damals sofort die Beitragserhöhung angestanden hätte, während bei Ihren Anträgen jetzt zunächst das Angenehme kommt und die Beitragserhöhung erst im nächsten Bundestag zu beschließen wäre.
Das wollen wir nicht. Deshalb werden wir sehr sorgsam beraten, was von dem, was Sie wollen, finanziell verkraftbar ist oder nicht. Aber wir wissen leider schon heute: Es ist nicht verkraftbar.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Varelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur ganz wenige Worte sagen.
Soziale Fortschritte lassen sich nur im Zeitpunkt einer Hochkonjunktur, in einem Zeitabschnitt hoher Steuereinnahmen und guter Beitragseinnahmen erzielen. Diese Voraussetzungen sind im gegenwärtigen Zeitpunkt gegeben, so daß damit das Vorhaben der CDU/CSU in vollem Umfang begründet ist.
Seit der Rentenreform sind 15 Jahre verstrichen. Die Rentenreform war ein großer Fortschritt; aber in ihr stecken sehr schwache Punkte. Ein besonders schwacher Punkt unseres Rentensystem besteht in dem sehr hohen Anteil von kleinen Renten. In der Bundesrepublik liegen wir in bezug auf die Zahl der kleinen Renten in der Rentenversicherung gegenüber den Vergleichsländern an ungünstigster Stelle. Im benachbarten Holland haben die Arbeitnehmer mit bis zu 80 % des Durchschnittseinkommens eine doppelt so hohe Rente wie die Arbeitnehmer in der Bundesrepublik. Leider habe ich den Eindruck, daß dieser Mißstand nach dein Willen der Regierung, abgesehen von ganz kleinen Vergünstigungen, beibehalten bleiben soll.
Der Vorschlag der CDU ist systemgerechter als der Vorschlag der Regierung. Die Vorlage der CDU geht von ,den Pflichtversicherungsbeiträgen aus, während der Vorschlag der Regierung von allen Beiträgen ausgeht. Nach dem Vorhaben der Regierung soll erst bei 35 Versicherungsjahren mit der höheren Rentenzahlung begonnen werden. Zu einem Zeitpunkt, in dem ein Beamter bereits seine höchsten Versorgungsbezüge erhält, soll für den Arbeitnehmer erst die unterste Stufe gelten. Das ist eine Tatsache, die wir sehen müssen. Ich bedaure sehr, daß immer dann, wenn es um Anliegen der wirtschaftlich schwächsten Schichten unseres Volkes geht, kein Geld vorhanden ist.
Es darf nicht sein, daß Spitzenrenten auf Kosten der Kleinstrentner gezahlt werden.
Die kleinen Rentner kommen vorwiegend aus Einkommensschichten, deren Lohnbezüge sich inzwischen wesentlich gebessert haben. In der Vergangenheit hat die Gewerkschaftsbewegung sehr oft und begründet die Unterentlohnung der Frauen getadelt, die am gleichen Arbeitsplatz schlechter verdienten als die Männer. Dieser Tatbestand ist heute weitestgehend beseitigt, und von den Berufsgruppen, aus denen die Kleinstrentner vorwiegend stammen, werden heute entsprechende Beiträge gezahlt. Diesen Umstand müssen wir sehen und beachten.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung — Punkt 3 unserer heutigen Tagesordnung — auf:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes
— Drucksache VI/2649 —b) Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Versorgung von Eltern nach dem Bundesversorgungsgesetz— Drucksache VI/2707 —Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
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8392 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 146. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Oktober 1971
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Drucksache VI/2649 legt die Bundesregierung diesem Hohen Hause den Entwurf eines Dritten Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes vor. Der Entwurf sieht in erster Linie eine Erhöhung der laufenden Rentenleistungen um durchschnittlich 6,3 v. H. ab 1. Januar 1972 vor und folgt damit dem § 56 des Bundesversorgungsgesetzes, der die jährliche Anpassung der Kriegsopferrenten vorschreibt. Dieser Bestimmung entsprechend sind die laufenden Versorgungsbezüge um den Vomhundertsatz anzupassen, um den sich die für 1971 festgelegte allgemeine Bemessungsgrundlage der Rentenversicherung gegenüber der für 1970 festgelegten verändert hat.Es ist dies die zweite Anpassung der Renten, die sich aus der im Ersten Anpassungsgesetz beschlossenen Dynamisierung der Rentenleistungen des Bundesversorgungsgesetzes ergibt. Es ist also in dieser Legislaturperiode die dritte Erhöhung der Leistungen im Kriegsopferbereich. Mit den in diesem Gesetzentwurf vorgesehenen Erhöhungen werden die Renten zu Beginn des Jahres 1972 um rund 30 v. H., die Witwenrenten sogar um 40 v. H. höher liegen als am Ende der vergangenen Legislaturperiode.Wenn auch verschiedentlich, insbesondere unter Hinweis auf die Preisentwicklung — das geschah ja heute morgen auch —, der Eindruck erweckt wird, als sei der Anpassungssatz von 6,3 v. H. zu niedrig, so möchte ich doch feststellen, daß es in früheren Jahren in vergleichbaren Zeitabständen noch nie so hohe Rentenerhöhungen im Bereich der Kriegsopferversorgung gegeben hat, wie dies in den letzten zwei Jahren der Fall war.
Zudem entspricht dieser Anpassungssatz der Entwicklung der allgemeinen Bemessungsgrundlage, die wir ganz bewußt als Richtgröße für die jährliche Anpassung gewählt haben, weil wie der Meinung sind, daß sie sich auf lange Sicht gesehen für die Kriegsopfer am günstigsten auswirkt. Dies wird in den Anpassungssätzen der kommenden Jahre noch deutlicher werden; wir können schon heute damit rechnen, daß dann in dieser Zeit Anpassungen von über 9 v. H. bis 11 v. H. zu erwarten sind.Bei der Bewertung des vorliegenden Gesetzentwurfs muß berücksichtigt werden, daß sich die Bundesregierung nicht allein auf die reine Anpassung der Rentenleistungen beschränkt hat. Entsprechend der Ankündigung, das Kriegsopferrecht kontinuierlich weiter zu verbessern, schlägt sie eine Reihe beachtlicher struktureller Verbesserungen vor. Im Vordergrund steht dabei die Harmonisierung der Anpassungsvorschriften. Damit wird sichergestellt, daß künftig neben den laufenden Rentenleistungen auch der Berufsschadensausgleich für Beschädigte und der Schadensausgleich für Witwen jährlich — und nicht mehr wie bisher nur alle zwei Jahre — der Einkommensentwicklung angepaßt wird.Mit dieser Maßnahme will die Bundesregierung auch dem Anliegen dieses Hohen Hauses nachkommen, das zu der Entschließung vom 4. Juni 1970 bei der dritten Lesung des Zweiten Anpassungsgesetzes zum Ausdruck kam. Damals wurde die Bundesregierung im Hinblick darauf, daß Witwen mit Anspruch auf Schadensausgleich bei der Durchführung des Ersten Anpassungsgesetzes nicht in den vollen Genuß der Erhöhung ihrer Grund- und Ausgleichsrente gekommen sind, ersucht, Vorschläge zur Harmonisierung der Anpassungsvorschriften des Bundesversorgungsgesetzes auszuarbeiten. Die noch beim Ersten Anpassungsgesetz besonders auffallend in Erscheinung getretenen Kürzungen bei den Witwenrenten waren vor allem darauf zurückzuführen, daß nicht zugleich neue, aktuellere Vergleichseinkommen für den Schadensausgleich berücksichtigt werden konnten. Mit der vorgesehenen jährlichen Anpassung der Vergleichseinkommen wird dieser Mangel nunmehr behoben.Auch im Bereich der Heil- und Krankenbehandlung und der wirtschaftlichen Hilfen bei Krankheit sieht der Entwurf beachtliche Verbesserungen vor. So wird vorgeschlagen, Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten, Mutterschaftsvorsorgeuntersuchungen und sonstige Leistungen der Mutterschaftshilfe als neue Versorgungsleistungen einzuführen. Bei der wachsenden Bedeutung, die die Vorsorgeuntersuchungen durch das Zweite Krankenversicherungs-Änderungsgesetz erfahren haben, sollen diese Leistungen so bald wie möglich auch den Kriegsopfern zugute kommen. Ich bin sicher, daß besonders die Einbeziehung der Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten von den Kriegsopfern dankbar begrüßt wird, zumal der größte Teil dieses Personenkreises sich in einem Alter befindet, in dem solche Untersuchungen geboten erscheinen.Die besondere Rücksicht auf das Alter der Kriegsbeschädigten macht es auch notwendig, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung einer Ganzheitsbehandlung im Rahmen der Badekur zu schaffen. So soll es auch in Zukunft möglich sein, Altersleiden, aber auch andere Leiden, im Rahmen einer Badekur wegen Schädigungsfolgen mitzubehandeln, um so den Erfolg der Kur sicherzustellen. Wir sehen gerade in der Badekur eine sehr wertvolle therapeutische Maßnahme, die dazu beitragen soll, den älter werdenden Beschädigten vermehrt auftretende Beschwernisse zu lindern.Mit der Einführung von Badekuren für Ehegatten und Eltern von Pflegezulageempfängern der Stufen III bis V, die den Beschädigten dauernd pflegen, will die Bundesregierung einem dringenden Bedürfnis entsprechen, das bei der Aktion zur besonderen Betreuung alter Schwerbeschädigter offenkundig geworden ist.Bei den Änderungen zu §§ 17 und 17 a handelt es sich um Leistungsverbesserungen, die es dem Beschädigten erleichtern sollen, die wirtschaftlichen Folgen einer Arbeitsunfähigkeit oder stationären Behandlung wegen Schädigungsfolgen zu überwinden.Darüber hinaus sieht der Entwurf noch einige Änderungen des Bundesversorgungsgesetzes vor,
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Bundesminister Arendtdie im Interesse der einheitlichen Durchführung und der Rechtsklarheit erforderlich erscheinen.Artikel 2 schließlich enthält Vorschläge zu notwendigen Änderungen des Verfahrensrechts der Kriegsopferversorgung.Für die im Entwurf vorgesehenen Änderungen des Bundesversorgungsgesetzes müssen im Jahr 1972 insgesamt rund 451 Millionen DM mehr Bundesmittel eingesetzt werden. Davon entfallen allein auf die Anpassung der Renten auf Grund der Dynamisierung rund 335 Millionen DM. Die übrigen Leistungsverbesserungen erfordern für sich allein betrachtet einen Mehraufwand in Höhe von rund 135 Millionen DM. Davon werden im Kriegsopferhaushalt rund 120 Millionen DM bereitgestellt. Der restliche Betrag wird im wesentlichen durch vorgesehene Erstattungsleistungen anderer Leistungsträger abgedeckt.Die Bereitstellung der zusätzlichen Mehrkosten bedurfte einer sehr eingehenden Prüfung im Rahmen der mehrjährigen Finanzplanung. Darauf ist es letztlich zurückzuführen, daß Ihnen der Entwurf erst jetzt zugeleitet werden konnte.Meine Damen und Herren, des weiteren legt Ihnen die Bundesregierung mit der Drucksache VI/2707 den Bericht über die Versorgung von Eltern nach dem Bundesversorgungsgesetz vor. Sie entspricht damit der Entschließung dieses Hohen Hauses, mit der sie ersucht worden war, zu prüfen, wieweit durch die Vorschriften über die Elternversorgung, insbesondere im Zusammenwirken mit der Kriegsopferfürsorge der notwendige Lebensunterhalt der Kriegereltern sichergestellt ist.In den Vorbemerkungen des Berichts werden die Leistungsgrundsätze der Elternversorgung dargelegt, die für die Ausgestaltung des Elternrentenrechts maßgebend sind. Danach ist die Elternversorgung ihrem Wesen nach als Ersatz für die fortgefallenen Unterhaltsleistungen des an den Folgen einer Schädigung verstorbenen Kindes anzusehen. Dieser Grundgedanke bestimmt das gesamte Recht der Elternrente. Nur unter diesem Gesichtspunkt können die zahlreich auftretenden Probleme gerecht gewertet und auch gelöst werden. Es liegt im Wesen einer so verstandenen Elternversorgung, daß sie nicht über die fortgefallenen Unterhaltsleistungen hinaus den gesamten Lebensunterhalt eines Berechtigten sicherstellen kann. Hier muß vielmehr die Kriegsopferfürsorge mit ihrer gesamten individuellen Leistungsbreite ergänzend eingreifen.Aus diesem Grunde bin ich dem Hohen Hause dankbar, daß es bereits in seiner erwähnten Entschließung die enge Verflechtung von Elternrente und Kriegsopferfürsorge zum Ausdruck gebracht hat. Denn in der Tat können das Rechtsinstitut der Elternrente und seine Funktion im Rahmen des Bundesversorgungsgesetzes nur richtig gewertet werden, wenn der enge Zusammenhang zwischen Elternrente und Kriegsopferfürsorge gesehen und bedacht wird.Leider wird in der Diskussion um die Elternrente gelegentlich der Eindruck erweckt, als handele es sich bei der Kriegsopferfürsorge um etwas Anrüchiges oder den Eltern Unzumutbares. Ich glaube jedoch, wir alle sollten uns davor hüten, solchen Vorstellungen nachzugeben. Die Kriegsopferfürsorge ist eine echte Versorgungsleistung nach dem Bundesversorgungsgesetz und kann in ihrem Wesen nur als solche verstanden werden. Auf ihre Leistungen besteht — wie auf die anderen Versorgungsleistungen — in aller Regel ein Rechtsanspruch. In dieser Form ist sie ein integrierter Bestandteil der Kriegsopferversorgung, die in ihrer Gesamtkonzeption gesehen werden muß.Ohne die Kriegsopferfürsorge wäre es vielfach nicht möglich, den berechtigten Ansprüchen der Kriegsopfer auf eine individuelle, ihrem besonderen Schicksal angepaßte persönliche und materielle Hilfe gerecht zu werden. Ich denke hier vor allem und gerade an die Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, die auf Grund ihres Alters zunehmenden Beschwernissen ausgesetzt sind und deswegen persönlicher Betreuung und spezieller Hilfen in besonderem Maße bedürfen.Zur Kriegsopferfürsorge zählt auch die ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt. Durch die Leistung, auf die gleichfalls ein Rechtsanspruch besteht, ist der Lebensunterhalt der Kriegsopfer und ihrer Angehörigen — zusammen mit anderen Versorgungsleistungen — in jedem Einzelfall gewährleistet. Die ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt greift dann ein, wenn bei elternrentenberechtigten Kriegsopfern die Rente und das sonstige Einkommen nicht ausreichen, den Lebensunterhalt sicherzustellen. Zwar richtet sich diese Leistung an den Regelsätzen der Sozialhilfe aus; bei ihrer Bemessung jedoch wird entsprechend einem ausdrücklichen Gebot des Bundesversorgungsgesetzes die besondere Lage der Beschädigten und Hinterbliebenen u. a. durch Einräumung von Einkommensfreibeträgen in angemessener Weise berücksichtigt.Auch die Tatsache, daß sich die Kriegsopferfürsorge in starkem Maße an die Leistungen der Sozialhilfe anlehnt, sollte uns nicht dazu verleiten, dieses Rechtsinstitut in seiner Bedeutung abzuwerten. In unserem gegliederten sozialen Leistungssystem hat gerade auch die Sozialhilfe ihren festen Platz. Fehlte sie, so wäre unser System der sozialen Sicherheit unvollständig. — Dies gilt selbstverständlich in gleicher Weise für die Kriegsopferfürsorge.Meine Damen und Herren, im zweiten Teil des Berichts wird das Zusammenwirken zwischen Elternrente und Kriegsopferfürsorge im einzelnen dargestellt. Einige Beispiel sollen es Ihnen ermöglichen, sich ein Bild über die praktische Auswirkung der gesetzlichen Bestimmungen zu machen.Ich hoffe, daß der Ihnen zugegangene Bericht für Sie eine brauchbare Arbeitsunterlage darstellt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Maucher.
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8394 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 146. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Oktober 1971
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Vorlage des Dritten Anpassungsgesetzes zur Kriegsopferversorgung will ich eine kurze Erklärung namens der Fraktion der CDU/CSU abgeben. Diese verspätete Vorlage — das hat auch der Herr Minister soeben angedeutet -hat natürlich eine Reihe finanzieller Schwierigkeiten aufgeworfen, die sich durch die Ablehnung der Anträge der CDU/CSU-Fraktion ergeben haben. Die Feststellung des Sprechers der Opposition bei der Verabschiedung des Ersten Anpassungsgesetzes, der Rückstand sei dynamisiert worden, hat sich in der Zwischenzeit bestätigt.Um eine rechtzeitige Durchführung sicherzustellen, muß das Dritte Anpassungsgesetz schnellstens verabschiedet werden. Es ist deshalb außerordentlich zu bedauern, daß eine gründliche Beratung im Ausschuß von vornherein ausgeschlossen, nämlich aus zeitlichen Gründen gar nicht möglich ist.Daraus kann man gleichzeitig erkennen, daß im Ausschuß eine Änderung gegenüber der Regierungsvorlage nicht beabsichtigt ist. Das geht auch schon daraus hervor, daß bei der Versorgungsverwaltung die Daten bereits auf der Grundlage des Regierungsentwurfs vorprogrammiert sind. Man muß hier fragen: hat das Parlament überhaupt noch etwas zu sagen? Oder wagen die Regierungsparteien überhaupt noch der Regierung zu widersprechen?Wir erinnern daran, daß vor der Zeit der linksliberalen Koalition kein Änderungsgesetz zur Kriegsopferversorgung ohne Änderung zugunsten der Kriegsopfer das Parlament verlassen hat und daß die Gesetze außerdem immer nahezu einstimmig verabschiedet wurden. Es wäre jetzt an der Zeit, den ganzen Werdegang der Entwicklung der letzten Jahre aufzuzeigen, um die ungerechtfertigten Märchen, die von verschiedenen Seiten erzählt werden, zu widerlegen.Der vorliegende Gesetzentwurf sieht eine Verbesserung der Kriegsopferrenten, wie sie in der Rentenversicherung erfolgen soll, vor. Auf Grund der allgemeinen Preisentwicklung muß jedoch diese Vorlage als völlig unzureichend bezeichnet werden.Bei den Beschädigten und den Witwen liegt die reale prozentuale Erhöhung zum Teil unter dem Prozentsatz der Erhöhung der Rentenversicherung, da hier nicht aufgerundet, sondern abgerundet wird. Außerdem bedingen vor allem die gegenseitigen Anrechnungen im Berufsschadens- und Schadensausgleich Kürzungen.Generell muß festgestellt werden: Die Renten in der Kriegsopferversorgung fallen gegenüber den Renten in der Rentenversicherung und dem Durchschnittsarbeitseinkommen Jahr für Jahr zurück. Maßstab für diese Feststellung ist die allgemeine Bemessungsgrundlage in der Rentenversicherung. Der Herr Bundesarbeitsminister hat das soeben ganz klar zugegeben.Bei Inkrafttreten des ersten Neuordnungsgesetzes im Jahre 1960 wurde die Vollrente des Erwerbsunfähigen an die allgemeine Bemessungsgrundlage herangeführt. Die allgemeine Bemessungsgrundlagebetrug damals, im Jahre 1959, 400 DM. Sie wurde gewählt, weil der Entwurf in jenem Jahr entstanden ist. Der Abstand zu dieser Bemessungsgrundlage betrug 22 DM. Jetzt liegt er bei 253 DM und wird im Jahre 1980 bei weit über 400 DM liegen. Der Rückstand betrug also 5,5 % im Jahre 1960 und beträgt 27,5 % im Jahre 1971. Daher meine eingangs gemachten Bemerkungen.Der Vorschlag, den die CDU/CSU-Fraktion in die Diskussion gebracht hat, die Kriegsopferversorgung an die wirtschaftliche Entwicklung der voraufgegangenen Jahre anzupassen, hätte diese Rückwärtsentwicklung erheblich verringert. Daher der Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion, wie in der Rentenversicherung auch in der Kriegsopferversorgung eine höhere Anpassung vorzunehmen. Ich darf heute zwischendurch bemerken: Die beste Leistung und Rentenversorgung ist die Rückkehr zur Preisstabilität.Abgesehen davon wird man nicht umhin können zu versuchen, den jetzigen dynamisierten Rückstand in irgendeiner Form auszugleichen. Sie wissen ja, daß die Verbände zum Teil, z. B. der VdK, vorgeschlagen haben einen Sonderzuschlag zu gewähren, damit die Schere nicht immer weiter auseinandergeht.Die im Regierungsentwurf vorgesehenen Verbesserungen der Krankenversicherung begrüßen wir. Wir haben das bereits wiederholt angesprochen. Sie ist nach unserer Auffassung allerdings eine selbstverständliche Anpassung an die Veränderung in der Krankenversicherung selbst. In Einzelfragen werden wir auch hierzu im Ausschuß unsere Auffassung darlegen.In der Harmonisierung des Berufsschadens- und Schadensausgleichs sieht die CDU/CSU-Fraktion die Verwirklichung ihrer Anträge, die sie zum Teil bereits bei der Beratung des Ersten und Zweiten Anpassungsgesetzes gestellt hat. Aus Gründen der Gleichheit und Gerechtigkeit unterstützen wir diese Änderung ganz besonders. Es ist jedoch festzustellen, daß es sich hier nicht um eine strukturelle Änderung, sondern um eine nachvollzogene Anpassung handelt, die gerechterweise bereits mit dem Ersten Anpassungsgesetz hätte vorgenommen werden müssen. Wir bedauern es daher, daß unsere entsprechenchenden Anträge zum Zweiten Anpassungsgesetz abgelehnt wurden.Leider müssen wir feststellen, daß in diesem Entwurf auch Verschlechterungen enthalten sind. Eine Verschlechterung ist es z. B., daß bei einer vorübergehenden Verschlimmerung eine Erhöhung der MdE nicht möglich ist. Wir müssen sagen, daß hier das Gesetz auf Grund einer höchstrichterlichen Entscheidung zuungunsten der Kriegsbeschädigten geändert wurde, und zwar unter Hinweis auf redaktionelle Änderungen.Der gleiche Gedanke ist auch bei der Festsetzung der Ausgleichsrente für beschädigte Landwirte zu erkennen, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine in der Fragestunde des Deutschen Bundestages gestellte Frage hervorging.
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MaucherIn diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß sich die Fünfte Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Durchführung des § 33 BVG — Bundesratsdrucksache 362/71 — im allgemeinen nicht den veränderten Verhältnissen, vor allem in bezug auf die allgemeine Preisentwicklung, anpaßt.Darüber hinaus müssen wir feststellen, daß eine Reihe dringender Fragen ungelöst bleibt. Die Inflationspolitik der Bundesregierung, d. h. die Politik, die dazu führt, daß es zur Inflation kommt, schafft immer mehr Härten im Bereich der Kriegsopferversorgung und der Renten. Lesen Sie beispielsweise die Berichterstattung des Petitionsausschusses. Was ist mit dem Vierten Neuordnungsgesetz? In der Regierungserklärung wurde es angekündigt. Oder gehört auch diese Frage in die Kategorie „Versprochen, aber nicht gehalten"? Leider ist nicht zu erwarten, daß uns die Bundesregierung bald eine entsprechende Vorlage zuleitet. Dann sollten aber wenigstens in dem Anpassungsgesetz die dringendsten Härtefälle durch entsprechende Sofortmaßnahmen geregelt werden. Nach meiner Meinung sind drei Probleme von ganz vordringlicher Bedeutung.Erstens: die Nichtanrechnung der erhöhten Grundrente bei Kriegerwitwen.Zweitens: die Vermeidung von Kürzungen bei den Renten der Kriegerwitwen, die Schadensausgleich erhalten und deren Ehemänner das 65. Lebensjahr vollendet hätten.Drittens: die Verbesserung der Elternversorgung.Ich nehme hier nur die dringendsten, nach meiner Meinung nicht aufschiebbaren Probleme, deren Lösung gegenüber den Kriegsopfern unerläßlich ist.Es ist festzustellen, daß die Kriegerwitwen, die Schadensausgleich erhalten, nicht eine Erhöhung ihrer Renteneinkünfte um 6 % erfahren, weil die Erhöhung der Grundrente beim Berufsschaden wieder zu vier Zehnteln angerechnet wird. Aus diesem Grunde sollte man wenigstens zu jenem kleinen Ansatz kommen, die erhöhte Grundrente nicht auf den Schadensausgleich anzurechnen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Beispiel. Wenn das Einkommen einer Kriegerwitwe in der Rentenversicherung 500 DM beträgt, bekommt sie 32 DM mehr. Wenn eine Witwe Kriegsopferrente, Grundrente, Ausgleichsrente und Rente aus der Sozialversicherung erhält, bekommt sie nicht 32 DM, sondern nur 24 DM mehr. Wenn sie noch Schadensausgleich erhält, bekommt sie noch weniger. Angesichts dieser Sachlage wird es mir niemand widerlegen können, wenn ich sage, daß sich das Gesamteinkommen dieser Witwen nicht in dem Maße steigert, wie es eigentlich der Fall sein müßte. Das ist ein Problem, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen.Meine sehr verehrten Anwesenden, auch die Witwen, die Schadensausgleich erhalten und deren Ehemänner das 65. Lebensjahr vollendet hätten, müssen eine erhebliche Kürzung des Schadensausgleichs hinnehmen, und zwar deshalb, weil von diesem Zeitpunkt an nur noch 75 % des Einkommens des Ehemannes bei der Berechnung des Schadensausgleichs und davon die Hälfte zum Vergleichseinkommen zugrunde gelegt werden. Auch hierzu ein Beispiel. Aus einem Bescheid konnte ich am letzten Montag entnehmen, daß der Schadensausgleich in einem Fall von 141 DM auf 38 DM gekürzt wurde. Das ist gegenüber den Kriegerwitwen nicht vertretbar.Außerdem ist es nicht einzusehen, daß bei der Berechnung des Schadensausgleichs nicht 60 % — wie bei den übrigen Leistungen in der Rentenversorgung der Witwen —, sondern nur 50 % des Einkommens zugrunde gelegt werden. Auf jeden Fall wäre es dringlich, als äußerste Maßnahme eine dahin gehende Regelung zu treffen, daß bei der Gewährung des Schadensausgleichs der Besitzstand gewahrt wird. Das könnte durch Rechtsverordnung festgelegt werden. Ich wäre dankbar, wenn der Ausschuß sich mit dieser Frage eingehend befassen würde und zu einer entsprechenden Lösung käme. Es handelt sich hier deshalb um eine neue Entwicklung, weil jetzt eine ganze Reihe von Fällen auf uns zukommt, in denen der verstorbene Ehemann das 65. Lebensjahr vollendet hätte.Wir müssen feststellen, daß die Elternversorgung unter dem Sozialhilfesatz liegt und daher teilweise — einschließlich der Einkommensgrenzen — als völlig unzureichend bezeichnet werden muß. Der Herr Minister ist auf dieses Problem näher eingegangen. Wir werden dazu im Ausschuß unsere Stellungnahme abgeben. Herr Minister, eine grundsätzliche Frage ist diese: Wir können von der sozialen Fürsorge so viel reden, wie wir wollen — entscheidend wird aber sein, gerade in dieser Frage eine klare Trennung vorzunehmen, die auch draußen in der praktischen Verwirklichung zu den gewünschten anderen Auswirkungen führt.Wir werden uns insgesamt mit der Problematik der praktischen Durchführung ebenfalls eingehend befassen müssen. Leider hat man dazu im Ausschuß keine Zeit. Aber es zeigt sich in der Praxis, daß wir uns auch mit diesen Problemen befassen müssen.Ich möchte als letztes nur ganz kurz auf folgendes hinweisen. Man wird jetzt sagen: Bitte, Ihr stellt hier Anträge; wie werdet Ihr das verwirklichen? Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich erinnere z. B. an das Zweite Neuordnungsgesetz. Da hat die CDU/CSU-Fraktion in 86 Positionen Verbesserungen der Kriegsopferversorgung durchgesetzt. Ich darf bei dieser Gelegenheit im Hinblick auf die Reden von gestern und auch heute ein zweites feststellen: Beim Zweiten Neuordnungsgesetz wurden in diesem Hause von allen Fraktionen eigene Initiativgesetzentwürfe eingebracht; von den CDU-Abgeordneten ein Entwurf mit 1,2 Milliarden DM, von der SPD ein Antrag mit 2 Milliarden DM und von der FDP ein Antrag mit 3 Milliarden DM. Beide Parteien, die jetzt in der Regierungskoalition sind, haben nicht danach gefragt, wie es finanziert werden soll.
Natürlich fühlen wir uns mitverantwortlich. Aberlesen Sie einmal die Protokolle nach, wie oft wirdort aus Ihrem Munde das Wort „Priorität" gehört
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Maucherhaben! Ich glaube, das muß man auch hier und in diesem Zusammenhang berücksichtigen.Aus diesem Grunde bin ich der Meinung, daß wir dieses Gesetz, wie es jetzt vorliegt, nicht unverändert in die zweite Lesung zurückkehren lassen dürften. Das ist mein Wunsch.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Jaschke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Diskussion um die weitere Gestaltung des Kriegsopferrechts geht es um folgende Punkte: erstens das Ausmaß der Anhebung der Renten im Hinblick auf die Preisentwicklung, zweitens die Anrechnung der Grundrente der Witwen auf den Schadensausgleich und drittens die Versorgung der Kriegereltern.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt daher die Vorlage eines Dritten Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes. Auch dieses Gesetz spiegelt den großen sozialpolitischen Fortschritt wider, der durch die Einführung der Dynamisierung im Kriegsopferrecht erzielt worden ist. Es war doch früher so, daß es nur alle paar Jahre ein paar Prozent Erhöhung gab und oft erst nach großen Demonstrationen der Kriegsopferverbände, die beschämend für die damalige Regierung waren. Heute wird Jahr um Jahr erhöht, dynamisiert.Dieser Gesetzentwurf sieht folgende Leistungsverbesserungen vor: erstens, wie schon der Herr Bundesarbeitsminister erklärt hat, die Anhebung der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz um rund 6,3 %, zweitens Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten in Anpassung an die Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Krankenversicherung, Gewährung von Mutterschaftshilfe, Ganzheitsbehandlungen, d. h. Behandlungen sowohl der körperlichen als auch der seelischen Schäden während der Badekuren und der Badekuren für pflegerisch tätige Eltern und Ehegatten, und drittens jährliche statt bisher zweijährliche Anpassungen der Berufsschadensausgleiche für Beschädigte und der Schadensausgleiche für Witwen an die veränderten Arbeitnehmerdurchschnittsverdienste.Wir empfinden große Genugtuung darüber, daß die Kriegsopfer, ohne wie in früheren Jahren darum kämpfen zu müssen, in den Genuß von Leistungsverbesserungen gelangen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat bereits ausgeführt, daß diese Leistungsverbesserungen in den letzten zwei Jahren ein Ausmaß angenommen haben wie nie zuvor in einem vergleichbaren Zeitraum. Das gleiche konnte schon mein Kollege Dr. Nölling für die gesetzliche Rentenversicherung in der mittelfristigen Finanzplanung erklären.Angesichts dieser Tatsache muß es jedoch objektiv Urteilende befremden, wenn die Opposition heute noch weit darüber hinausgehende Leistungsverbesserungen fordert, und zwar — daß muß ich wiederholen, Herr Kollege Maucher - ohne vernünftige Deckungsvorschläge. Man hat auf die Vergangenheit verwiesen, aber keine Deckungsvorschläge vorgelegt. Bei allen Bemühungen um sozialen Fortschritt dürfen wir nun einmal die Grenzen, die durch die finanziellen Möglichkeiten gesteckt sind, nicht aus dem Auge verlieren.
— Natürlich! Als Sie, meine Damen und Herren von der Opposition in früheren Jahren die Regierungsverantwortung trugen, haben Sie uns dies selbst bei sehr maßvollen Anträgen immer wieder vorgehalten.Wir können uns auch nicht des Eindrucks erwehren, daß Ihre Kleine Anfrage auf die finanzielle Auswirkung einer Dynamisierung der Kriegsopferrenten zu Beginn der Legislaturperiode Drucksache VI/263 — allein den Zweck haben sollte, uns warnend auf die finanziellen Auswirkungen einer solchen Maßnahme hinzuweisen. Um so unverständlicher müssen uns daher Ihre heutigen Forderungen erscheinen.Wir stellen mit Genugtuung fest, daß die Bundesregierung trotz der großen haushalts- und finanzpolitischen Schwierigkeiten, die wir alle kennen, einen Weg gefunden hat, über die Dynamisierung der Leistungen hinaus auch noch einige beachtliche zusätzliche strukturelle Verbesserungen mit dem Dritten Anpassungsgesetz zu verbinden. Vor allen Dingen begrüßen wir es sehr, daß die Bundesregierung entsprechend der Entschließung des Hohen Hauses aus Anlaß der Verabschiedung des zweiten Anpassungsgesetzes eine Harmonisierung der Anpassungsvorschriften für den Berufsschadens- und Schadensausgleich jetzt vorgesehen hat. Wir sind mit der Bundesregierung der Überzeugung, daß die im Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen auch geeignet sind, die bis dahin aufgetretenen Schwierigkeiten bei der Anrechnung der Grundrenten im Rahmen des Schadensausgleichs für Kriegerwitwen zu beseitigen.Was die Frage der Anrechnung der Grundrente bei der Feststellung des Schadensausgleichs für Witwen grundsätzlich angeht, so möchte ich dazu noch bemerken, daß man sich bei der Diskussion darüber vergegenwärtigen sollte, welch hohe Mehraufwendungen notwendig wären, wenn die Anrechnung der Grundrente auf den Schadensausgleich fortfiele.Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, daß die heutige Berechnungsweise des Schadensausgleichs unter Anrechnung der Grundrente bereits auf das Jahr 1964 zurückgeht. Damals ist der Schadensausgleich für Witwen eingeführt worden. Seinerzeit bestand allseits die Meinung, daß bei der Berechnung des Einkommens der Witwen auch die Grundrente Berücksichtigung finden müsse. Das geht eindeutig daraus hervor, daß die CDU/ CSU-Fraktion in ihrem Entwurf zum zweiten Neuordnungsgesetz — Drucksache IV/ 1030 — bei der
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JaschkeRegelung des Schadensausgleichs die Berücksichtigung der Grundrente im Rahmen der Einkommensermittlung vorsah.Zur Frage der Elternversorgung möchte ich feststellen, daß uns ihre Verbesserung mindestens genauso am Herzen liegt wie der Opposition. Denn gerade wir waren es, die bei der Verabschiedung des zweiten Anpassungsgesetzes die Entschließung veranlaßt haben, mit der die Bundesregierung ersucht wurde, einen Bericht über die Versorgung der Kriegereltern vorzulegen. Wir sind der Bundesregierung dankbar, daß sie die Probleme der Elternversorgung in ihrem Bericht Drucksache VI/2707 so anschaulich dargestellt und in diesem Zusammenhang vor allem auch die Bedeutung der Kriegsopferfürsorge herausgestellt hat.Man kann über die Grundkonzeption der Elternversorgung sicherlich unterschiedlicher Meinung sein. Diese Konzeption, von der dieser Bericht ausgehen muß, entspricht aber den Vorstellungen, wie sie in der Vergangenheit vor allem von Vertretern der CDU/CSU-Fraktion mit entwickelt und vertreten worden sind.Die uns heute von der Opposition vorgehaltenen Mängel sind letztlich Folgen dieser Konzeption. Das gilt auch für die Frage der Anrechnung von Unterhaltsleistungen noch lebender Kinder auf die Elternversorgung. Gerade sie ist von den Vertretern der CDU/CSU-Fraktion immer wieder aufs nachdrücklichste gefordert worden. Namhafte Vertreter der CDU/CSU-Fraktion haben als Voraussetzung für die Gewährung der Elternrente die hundertprozentige Erfüllung der Unterhaltsleistungen noch lebender Kinder verlangt.Meine Damen und Herren, ich erinnere in diesem Zusammenhang an unsere ehemalige, inzwischen leider verstorbene Kollegin Frau Dr. Probst, die in den Sitzungen des früheren Kriegsopferausschusses diese Forderung wiederholt vertreten hat. Auch Sie, Herr Kollege Maucher, haben diese Forderung unterstützt. Trotzdem ist meine Fraktion der Auffassung, daß der Bericht der Bundesregierung im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sorgfältig geprüft und daß überlegt werden sollte, ob und in welcher Weise die Elternversorgung verbessert werden kann. Wir alle wissen, daß leider noch mancher Wunsch offenbleiben mußte. Wir wissen auch, aus welchem Grunde. Wir sollten aber gerecht bleiben und feststellen, daß das, was vor allem in den letzten Jahren für die Kriegsopfer getan wurde, ein überzeugender Beweis für den guten Willen dieser Bundesregierung und der Regierungskoalition ist, den berechtigten Forderungen der Kriegsopfer gerecht zu werden. Das gilt in vollem Umfang auch für diesen Gesetzentwurf. Herr Kollege Maucher, wenn es je einer Regierung mit Prioritäten ernst gewesen ist, dann dieser Regierung bei der Kriegsopferversorgung. Das haben wir mit dem ersten Gesetz bewiesen.
Meine Damen und Herren, ich darf zur Aufmunterung sagen, daß der Herr Abgeordnete Jaschke seine angemeldete Redezeit weit unterschritten hat. Vielen Dank!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Geldner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir Freien Demokraten begrüßen den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung, nach dem auf Grund der Entscheidung dieser sozial-liberalen Koalition die Leistungen für die Kriegsopfer in dieser Legislaturperiode zum drittenmal angepaßt werden sollen. Neben den allgemeinen Anpassungsraten sieht der vorgelegte Gesetzentwurf eine Reihe von gesundheitlichen Maßnahmen vor sowie den Übergang von der zweijährigen Anpassung auf die einjährige Anpassung des Berufsschadens- und Schadensausgleichs an die Durchschnittsverdienste der Arbeitnehmer. Mit diesen strukturellen Verbesserungen neben den reinen Anpassungsleistungen werden den betroffenen Kriegsopfern rund 450 Millionen DM zusätzlich im Jahre 1972 zur Verfügung stehen.Die aufopfernde Pflege, die Ehegatten oder Eltern von Kriegsopfern leisten, findet durch die Gewährung einer Badekur, auf die auch schon der Herr Minister hingewiesen hat, unter bestimmten Voraussetzungen eine Anerkennung. Auch wenn es sich hier nicht um einen Personenkreis handelt, der zahlenmäßig sehr groß ist, sollte diese Regelung doch als eine Geste gewürdigt werden, die den Angehörigen eine gewisse Hilfestellung für ihre Arbeit bietet.Meine Damen und Herren, mit diesem Dritten Anpassungsgesetz wird der soziale Fortschritt für die Kriegsopfer deutlich. Den langfristigen zeitlichen Intervallen in der Vergangenheit — wenn ich an die Jahre 1960, 1964, 1967 und 1970 denke — folgt nun die kurzfristige Anpassung für die Jahre 1971/72. Diese Bundesregierung und diese Koalition wie auch der Bundestag haben mit ihrer Entscheidung für die jährliche Anpassung den langwierigen und oft auch unwürdigen Auseinandersetzungen um die Anpassung der Kriegsopferrenten ein Ende bereitet. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Beweis dafür, daß die Kriegsopfer bei diesen Leistungen an der allgemeinen Entwicklung teilhaben.Meine Damen und Herren, Herr Kollege Maucher, auch wir Freien Demokraten haben Verständnis für die Belange, die Sie als Opposition hier vorgetragen haben. Aber cines möchte ich Ihnen hier erklären: wir wollen nicht mehr in eine Zeit wie vor 1966 zurückfallen. Im Jahre 1966 mußte dann ein Haushaltssicherungsgesetz verabschiedet werden, mit dem man die beschlossenen Gesetze annullierte oder auf die lange Bank schob. Deshalb begrüße ich für die Fraktion der Freien Demokraten den vorliegenden Gesetzentwurf, der für das nächste Jahr eine Verbesserung um 450 Millionen DM bringt.
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8398 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 146. Sitzung. Bonn, Freitag, den 22. Oktober 1971
Wir stehen am Ende der Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Entwurf eines Fünfzehnten Rentenanpassungsgesetzes dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - federführend —, dem Haushaltsausschuß — mitberatend und gemäß § 96 der Geschäftsordnung — zu überweisen. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen ferner vor, den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Alterssicherung der Frauen und Kleinstrentner — Drucksache VI/2584 — dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend —, dem Haushaltsausschuß — mitberatend und gemäß § 96 der Geschäftsordnung — zu überweisen. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Das ist ebenfalls so beschlossen.
Schließlich wird vorgeschlagen, den von der Regierung eingebrachten Entwurf eines Dritten Anpassungsgesetzes — KVO — Drucksache VI/2649 —dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung —federführend — sowie dem Haushaltsausschuß —mitberatend und gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. Ferner wird vorgeschlagen, den Bericht der Bundesregierung über die Versorgung von Eltern nach dem Bundesversorgungsgesetz — Drucksache VI/2707 — dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu überweisen. — Ich höre und sehe zu den beiden Vorschlägen keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Vierundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes
— Drucksache VI/2664 —
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Storm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Entwurf eines Vierundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes — Drucksache VI/2664 — gebe ich für die Fraktion der CDU/CSU folgende Erklärung ab.Angesichts der Fülle von Ausgaben, die im Bereich der Kriegsfolgengesetzgebung und insbesondere im Lastenausgleichsbereich noch vom Gesetzgeber zu bewältigen sind, muß es mehr als unbefriedigend erscheinen, wenn die Bundesregierung nunmehr eine Lastenausgleichsnovelle vorlegt, deren ausschließlicher materieller Inhalt darin besteht, die Aufbringsseite des Lastenausgleichs zu korrigieren mit der Folge einer teilweisen Minderung der Einnahmen des Ausgleichsfonds — und dies mit der Begründung, eine solche Regelung, nämlich die Verkürzung der Laufzeit der Lastenausgleichsabgaben aus dem Hypothekengewinn, sei aus Gründen der notwendigen Verwaltungsökonomie mit Wirkung ab 1. Juli 1972 dringend geboten.Die Eile, mit der die Bundesregierung eine für die Abgabenseite wenig bedeutsame und zudem noch einnahmemindernde Verkürzung der Verwaltungsarbeit anstrebt, wäre sicherlich im gleichen Maße auf der Leistungsseite des Lastenausgleichs angebracht.Am 31. Dezember dieses Jahres endet nach der geltenden Regelung die Bereitstellung der Mittel für die Gewährung von Aufbaudarlehen. Trotz des immer noch bestehenden echten Bedarfs an solchen Darlehen, insbesondere zur wohnungsmäßigen Eingliederung und Unterbringung der Geschädigten wie auch zur wirtschaftlichen Eingliederung der siedlungswilligen vertriebenen und geflüchteten Landwirte, ist die Bundesregierung nach der Äußerung des Staatssekretärs im Bundesinnenministerium vom 1. Oktober dieses Jahres vor diesem Hohen Hause nicht bereit, über das Rechnungsjahr 1971 hinaus eine weitere Mittelbereitstellung hierfür vorzusehen.Nach geltendem Recht können ehemals Selbständige, die durch Vertreibung oder Flucht ihre Existenzgrundlage und damit weitgehend auch ihre Altersversorgung verloren haben, Kriegsschadenrente nur noch erhalten, wenn sie bis zum 31. Dezember dieses Jahres das 65. Lebensjahr vollendet haben oder erwerbsunfähig geworden sind.Mindestens in bezug auf diese beiden — schon vom Termin her dringenden — Eingliederungsmaßnahmen hätte daher zum jetzigen Zeitpunkt eine Regierungsvorlage erwartet werden müssen.Darüber hinaus wäre es angezeigt gewesen, wenn die Bundesregierung damit gleichzeitig auch schon jetzt eine Formel zur Dynamisierung der Kriegsschadenrente — entsprechend den im übrigen Sozialbereich bereits geltenden Regelungen — vorgeschlagen hätte, die allein von ihrer grundsätzlichen Bedeutung her sicherlich eine längere Beratungsdauer in den parlamentarischen Gremien erfordern wird. Die besondere Priorität, die der dynamischen Gestaltung der Kriegsschadenrente zukommt, ist von der CDU/CSU-Fraktion mehrfach herausgestellt und zuletzt im Rahmen der Beratungen zum Haushalt 1971 vor diesem Hohen Hause dargestellt worden.Die CDU/CSU-Fraktion hat zwar mit Interesse die Ausführungen von Staatssekretär Dr. Rutschke in der Fragestunde am 1. Oktober dieses Jahres zu dieser Frage zur Kenntnis genommen. Sie hat bei der Ankündigung jedoch eine Aussage darüber vermißt, daß für die nicht unerheblichen Mehrkosten beim Übergang vom bisherigen sozialhilfebezogenen System der Unterhaltshilfeanpassung zum neuen System entsprechend der Dynamisierung im übrigen Rentenbereich zusätzlich neue Mittel für den Ausgleichsfonds zur Verfügung gestellt werden. Die wenigen noch im Ausgleichsfonds vorhandenen Reserven müssen unbedingt für eine Verbesserung der Entschädigungsleistungen zur Verfügung bleiben.In ihrer Erklärung vom 28. Oktober 1969 hatte die Bundesregierung in Anerkennung der ihr obliegenden besonderen Verantwortung für die Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigten angekündigt, die notwendigen Maßnahmen zur eingliederung dieses Personenkreises zu vollenden und insbesondere den Lastenausgleich und die
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StormKriegsfolgengesetzgebung zu einem gerechten Abschluß zu bringen.In wichtigen Teilbereichen des Lastenausgleichs ist das gesetzte Ziel, einen die Grundsätze der sozialen Gerechtigkeit berücksichtigenden angemessenen Ausgleich der Lasten des Krieges und seiner Folgen entsprechend der Präambel zum Lastenausgleichsgesetz zu schaffen, bisher nicht erreicht. Das betrifft insbesondere die älteren und erwerbsunfähigen Geschädigten, die heute in großer Zahl als Bezieher von Kriegsschadenrente in weit schlechteren Verhältnissen leben müssen, als sie es vor der Schädigung als Angehörige selbständiger Berufe für ihren Lebensabend erwarten durften. Das betrifft die Entschädigungsansprüche der Zonengeschädigten, das betrifft die insbesondere den Mittelstand empfindlich treffende Degression der Entschädigungsleistungen, die sich ohnehin infolge des fortschreitenden Geldwertrückganges in ihrer Substanz zunehmend verringern, und das betrifft nicht zuletzt die früheren Landwirte, deren weitere Eingliederung der 5. Deutsche Bundestag in einer einstimmigen Entschließung gefordert hatte.Wir sind sicher, auch die Betroffenen erwarten eine baldige Konkretisierung und Substantiierung der sonst bedeutungslosen Globalversprechungen in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969.
Herr Abgeordneter, das war kein Vortrag, sondern eine Vorlesung, die leider nicht der Geschäftsordnung entspricht.
— Herr Abgeordneter Wehner, Sie haben es mit Recht gesehen, daß hier leider eine Vorlesung statt eines Debattenbeitrags stattfindet.
Das ist eine Erklärung, Herr Präsident.
Die CDU/CSU-Fraktion erwartet, daß die Bundesregierung aber zumindest bei den Beratungen im Ausschuß konkrete Vorschläge noch für die 24. Novelle vorlegt, die die aufgezeigten termingebundenen Probleme befriedigend, d. h. ohne die Kontinuität zu verlassen, regeln. In Abänderung des Vorschlages des Altestenrates beantrage ich aus Sachgründen die Überweisung an den Innenausschuß — federführend — und zur Mitberatung an den Finanzausschuß und an den Haushaltsausschuß.
Herr Kollege, auch das war bereits in den Notizen des Ältestenrates niedergelegt: federführend Innenausschuß.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hofmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ehe ich die Erklärung der Fraktion der SPD abgebe, muß ich auf einige Ausführungen meines Herrn Vorredners eingehen.Sehr geehrter Herr Kollege Storm, Sie haben davon gesprochen, daß die Dynamisierungsformel noch nicht vorliege. Dazu kann gesagt werden, daß die Regierung bereits am 1. Oktober 1971 diese Dynamisierung der Unterhaltshilfe angekündigt hat. Es ist also nicht so, daß nichts geschehen ist.Dann muß ich zu den von Ihnen angesprochenen Globalversprechungen der Regierung etwas sagen. Wenn wir am 15. Oktober des vorigen Jahres alle Anträge der CDU/CSU im Innenausschuß angenommen hätten, wäre es heute unmöglich, für den Lastenausgleich auch nur einen einzigen Antrag zu stellen; denn in dieser einen Stunde der Beratung der 23. Novelle sind Anträge in Höhe von 2150 Millionen DM gestellt worden. Wäre das damals durchgekommen, wäre es heute überflüssig, über Anträge zum Ausgleichsfonds wie auch zum Lastenausgleich noch zu beraten.Ich darf aber auch auf das verweisen, was im Gegensatz zu dem steht, was Sie sagen: auf die Eingliederung der Landwirte. Wir sind im Prinzip nicht dagegen, sondern wir sind uns darin bisher immer einig gewesen. Aber der Widerspruch kommt jetzt plötzlich aus Schleswig-Holstein. Ministerpräsident Dr. Stoltenberg hat in der Bundesratsdrucksache 506/71 verlangt, daß die land- und forstwirtschaftlichen Betriebe von der Vermögensabgabe befreit werden. Das bedeutete eine Minderung des Ausgleichsfonds um jährlich 130 Millionen DM.Gleichzeitig wollen Sie aber für die Eingliederung der Landwirte neue Beträge haben. Darin steckt der Widerspruch.
— Herr Kollege Storm, es geht darum, daß wir aus den Fondsmitteln einen Kredit bereitstellen — die Höhe ist unbestimmt, die Laufzeit ist unbestimmt —, um die Aufbaudarlehen zu verlängern. Das ist alles noch unbestimmt. Die Berechnungen laufen auf der einen Seite mit 225 Millionen DM und auf der anderen Seite mit 144 Millionen DM. Es kommt auf die Länge der Laufzeit an. Das ist noch unausgegoren. Ich kann daher, wenn ich das alles weiß — und Sie wissen das —, nicht einfach von Globalversprechungen reden, die nicht gegeben wurden.Sie müssen nämlich die Ausführungen zur Verlängerung des Aufbaudarlehens einmal in dem Zusammenhang sehen, was an CDU/CSU-Anträgen vorliegt, die den Ausgleichsfonds belasten. Da ist einmal Ihr Antrag, die Unterhaltshilfe an ehemals Selbständige nach Polen zu überweisen. Nach Ihren Berechnungen würden etwa 100 Millionen DM dafür gebraucht werden. Nach unseren Berechnungen müssen wir diese Zahl mit vier oder fünf multiplizieren.Hinzu kommen die Minderung durch den Gesetzentwurf des Landes Schleswig-Holstein im Ausgleichsfonds — 130 Millionen DM jährlich — und, wie gesagt, die Verlängerung der Aufbaudarlehen.
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HofmannDas sind drei Dinge. Da reichen 500 Millionen DM nicht. Aber das muß erst durchdiskutiert werden, bevor man global sagt, das waren Versprechungen, die nun nicht erfüllt werden. Wie gesagt, wir könnten heute keinen Pfennig aus dem Fonds fordern, wenn wir damals all den Anträgen stattgegeben hätten.Doch nun zu dem, was im Entwurf des 24. Lastenausgleichsänderungsgesetzes vorliegt. Ein Teil der Abgabenschulden ist getilgt oder wird bis zum Jahr 1979 getilgt sein. Ein kleiner Teil der Abgaben-schulden hat aber eine Laufzeit über das Jahr 1979 hinaus, ja sogar eine Tilgungsdauer bis über das Jahr 2000. Dabei handelt es sich etwa um 40 000 Abgabeschulden mit einem Schuldkapital von etwa 120 Millionen DM nach 1979, anders ausgedrückt: diese einzelnen Abgaben können im Durchschnitt -und Durchschnitt heißt auch: darunter bei 3000 DM liegen.Es ist daher, wie es in der Begründung des Gesetzentwurfs heißt, ein Gebot der Vernunft, diese restlichen Fälle der Hypothekengewinnabgabe in der Laufzeit der Vermögensabgabe mit zu bereinigen. Herr Kollege Storm, Sie haben angesprochen, daß das Verwaltungsverfahren mit als Begründung angeführt wird. Das ist richtig. Das Verwaltungsverfahren ist ja verhältnismäßig sehr aufwendig, erfordert geschulte Arbeitskräfte und auch erhebliche Kosten. Die heutigen Berechnungen gehen dahin, daß diese Kasten wahrscheinlich höher sein können als das Jahresaufkommen aus den Abgabenschulden. Es fehlt jegliche Begründung, daß man das noch aufrechterhält.Hinzu kommt, daß ein Teil, ja der große Teil der mit dieser komplizierten Abgabe vertrauten Personen und des Verwaltungspersonals wegen Erreichung der Altersgrenze aus dem Dienst ausscheidet. Wir müßten für diesen kleinen Betrag noch junge Leute anlernen und schulen, damit sie diese Aufgaben erfüllen können. Ein anderes Bedenken besteht darin, daß die Banken, die hier zum Teil mit eingeschaltet sind, ab 1980 nicht mehr mitmachen wollen.Eine nicht zu übersehende Forderung zu diesem Gesetzentwurf ist auch die Stellungnahme der Finanzminister der Länder, die mit der Verwaltung der Lastenausgleichsabgaben beauftragt sind. Sie wünschen nämlich einstimmig, daß die Laufzeiten dieser Abgabenschulden durch eine Änderung des Lastenausgleichsgesetzes abgekürzt werden. Ich glaube, die Bundesregierung hat recht gehandelt, indem sie nicht nur diesem Wunsch, sondern auch den anderen Begründungen, die ich vorgetragen habe, entgegengekommen ist und den Entwurf eines Vierundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes in Hinsicht auf die Hypothekengewinnabgabe vorgelegt hat.Ich darf Sie, meine Damen und Herren, bitten, dem Überweisungsvorschlag zuzustimmen, damit wir dieses Gesetz sobald wie möglich über die Hürden bringen können.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollesch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Freien Demokraten gebe ich folgende Erklärung ab.
Das vorgelegte Vierundzwanzigste Lastenausgleichsänderungsgesetz hat zwei Aufgaben. Einmal soll die Laufzeit der Hypothekengewinnabgabe möglichst verkürzt werden, zum anderen soll ein unverhältnismäßig hoher Aufwand bei der Verwaltung und bei der Einziehung des Geldes abgebaut werden. Die vorgesehene vorzeitige Tilgung mit einer entsprechenden Abzinsung liegt auch im Interesse der Abgabeschuldner. Je nach Laufzeit kann der Abkürzungszuschlag im Verhältnis zur planmäßig zu entrichtenden Leistung 50 % und mehr betragen. Das Verfahren wird zwar die Schuldner im Augenblick mehr belasten, sie aber dafür in der Zukunft von der laufenden Belastung befreien.
Wir Freien Demokraten unterstützen diese Vorschläge, da sie in einem weiteren Teilbereich der Kriegsfolgengesetzgebung eine abschließende gesetzliche Regelung herbeiführen. Dem Überweisungsvorschlag — Innenausschuß federführend, Finanz-und Haushaltsausschuß mitberatend —, stimmen die Freien Demokraten zu.
Wir stehen am Ende der Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf an den Innenausschuß federführend — sowie an den Finanzausschuß und den Haushaltsausschuß — mitberatend zu überweisen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Elften Strafrechtsänderungsgesetzes— Drucksache VI/1478 —Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform— Drucksache VI/2721 —Berichterstatter: Abgeordneter Ostman von der Leye
Der Herr Berichterstatter verzichtet auf eine Ergänzung seines Berichts
— Am besten geben Sie Ihre Erklärung in der dritten Beratung ab. — Sie sind damit einverstanden.Wird das Wort zur zweiten Beratung gewünscht?— Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die zweite Beratung und rufe auf Art. 1, 2, 3, 4 sowie Einleitung und Überschrift. Ich bitte Sie nunmehr, den roten Knopf zu drücken und gleichzeitig die Tastatur — Ja, Nein oder Enthaltung — zu bedienen. — Darf ich
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Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausendavon ausgehen, daß alle Kollegen den Knopf für Ja, Nein oder Stimmenthaltung und gleichzeitig den Seitenknopf gedrückt haben? - Ist alles geklärt? — Ich danke Ihnen und stelle einstimmige Annahme in der zweiten Beratung fest.Wir treten in diedritte Beratungein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eyrich. Ihm folgt der Abgeordnete Freiher Ostman von der Leye.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir legen heute dem Bundestag einen Entwurf vor, den der Bundesrat initiiert hat und nach dem darüber befunden werden soll, welche Strafen jenen drohen sollen, die Luftpiraterie betreiben. Eigentlich sollte das Parlament einem solchen Gesetz mehr Aufmerksamkeit schenken, als es heute der Fall ist.
Dieses Gesetz soll - das ist der Wille des Gesetzgebers — verhindern, daß in Zukunft Dinge vorkommen, die — das kann man ohne Übertreibung sagen — die ganze Welt erschüttert haben. Wir sollten zu einem solchen Gesetz mit einem solchen Ziel ja sagen. Ich darf mich angesichts der vorgerückten Stunde kurz fassen.
Die CDU/CSU erklärt ihre Zustimmung zu diesem Gesetz und auch zu der Verpflichtung, die die Bundesrepublik in der Sitzung in Den Haag übernommen hat, Flugzeugentführungen in Zukunft mit schwerer Strafe zu ahnden. Wir stimmen deswegen zu, weil wir glauben, daß wegen der Anfälligkeit des Luftverkehrs gegenüber störenden Angriffen ein adäquates Mittel gefunden werden muß, mit dem verhindert werden kann, daß auch in Zukunft ähnliche Dinge passieren.
Wir sind uns darüber im klaren, meine Damen und Herren, daß mit dem Strafrecht sicher nicht alles geschehen kann, daß aber auf der anderen Seite — ich glaube, das muß man auch sagen — ein Schutz desto eher gewährleistet ist, je mehr die Gerichte bereit sind, die zu diesem Zweck vorgesehene Strafandrohung auch in voller Höhe auszunutzen. Die Regierung bleibt allerdings - das ist ein Entschließungsantrag des Innenausschusses, dem der Sonderausschuß zugestimmt hat — weiterhin aufgefordert, eindeutige Regelungen für die Organisation der Luftaufsicht zu schaffen.
Lassen Sie mich zu den einzelnen Bestimmungen des Gesetzes kurz folgendes ausführen: In Anlehnung an die Verpflichtung, die in Den Haag übernommen worden ist, haben wir in das Gesetz eine Mindeststrafe von fünf Jahren Freiheitsentzug eingebaut. Sie geht bis zu 15 Jahren. Wenn bei der Entführung eines Flugzeugs ein Mensch getötet wird, soll die Höchststrafe lebenslängliche Freiheitsstrafe sein. Ich glaube, daß das den Taten, die hier zur Beurteilung stehen, angemessen ist. Wir stimmen dem Gesetz zu, weil wir erstens meinen, daß es ein Beitrag zur inneren Sicherheit unseres Landes ist, daß es geeignet ist, das Vertrauen in den Luftverkehr wiederherzustellen, und weil es schließlich dem berechtigten Bedürfnis nach größtmöglichem Schutz des Lebens, der Sicherheit und Freiheit der Passagiere gerecht wird.
Meine Damen und Herren, ich wäre dankbar, wenn Sie Ihre Identnummer für die Abstimmung nachher schon heraussuchten und einstellten.
Das Wort hat der Abgeordnete Freiherr Osturan von der Leye.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts der Tatsache, daß Ihnen auf Drucksache M/2721 ein ausführlicher Bericht vorliegt, kann ich mich auf einige Zusatzbemerkungen beschränken. Der Straftatbestand der Luftpiraterie gehört nach der herkömmlichen Einteilung des Strafgesetzbuches zu den gemeingefährlichen Delikten und wird innerhalb dieses Abschnitts unter dem Titel „Verkehrsstraftaten" geführt. Das geschützte Rechtsgut ist aber nicht etwa der Verkehr, insbesondere der Luftverkehr als Abstraktum, sondern sind die Personen, die durch ein solches Delikt in besonders starkem Maße konkret gefährdet oder geschädigt werden. Andernfalls ließen sich die hohen Strafdrohungen, mit denen der Tatbestand ausgestattet worden ist, nicht rechtfertigen. Für den Regeltatbestand ist eine Mindeststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe vorgesehen, für den qualifizierten Fall eine Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren und als Höchststrafe eine lebenslange Freiheitsstrafe.Der Ausschuß bringt damit zum Ausdruck, daß Gewalt und Brutalität gegen unbeteiligte und unschuldige Menschen weder ein Mittel zur Durchsetzung persönlicher noch politischer Motive sein kann. Die konkrete Lebensgefährdung ist so stark — der unter Zwang gesetzte Pilot braucht z. B. nur den vom Entführer angebenen Landeplatz nicht zu kennen, oder der Landeplatz ist für ein schweres Düsenflugzeug zu klein und somit die Landung mit einem erheblichen Risiko behaftet —, daß das Delikt zur Schwerstkriminalität gerechnet werden muß.Hier kommt zum Ausdruck, daß die Strafrechtsreform mit dem Stichwort Liberalisierung nicht exakt gekennzeichnet werden kann. So wird u. a. bei Gewalt- und Brutalitätsdelikten, bei denen mit der Unversehrtheit von Menschenleben gespielt wird, auch in Zukunft ein hoher Strafrahmen festgelegt bleiben oder werden. Gerechtfertigte Gewalt gibt es nur im Bereich der aktuellen Nothilfe und Notwehr im Rahmen der Verhältnismäßigkeit. Die Zeit, in der Kampf und Gewalt als der besondere
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Freiherr Ostman von der LeyeAusdruck eines Männlichkeitsideals galten und deswegen milde beurteilt wurden, muß endgültig vorbei sein.Der allgemeine Ruf nach Gesetz und Ordnung genügt aber auch keineswegs, wenn man die Ordnung nicht auf die Primärnormen bezieht. Die Primärnorm in diesem Gesetz ist wie überall in jedem rationalen Strafrecht das Selbstbestimmungsrecht einer jeden Person, die nicht das Recht anderer angreift und dadurch zugleich das der Gesellschaft.Selbstverständlich muß auch für die Fälle dieses neuen Straftatbestandes darauf hingewiesen werden, daß das Strafrecht nur eines von vielen Mitteln ist, schädliche Verhaltensweisen zu bekämpfen. Es enthebt nicht der Notwendigkeit, mit gesellschaftspolitischen Maßnahmen die Motivlage im Rahmen des Möglichen zu verändern.Der Strafrechtssonderausschuß hat in Abs. 1 Nr. 1 des Tatbestandes das zusätzliche Tatbestandsmerkmal „oder sonstige Machenschaften vornimmt" eingefügt. Er greift damit möglichen technischen Entwicklungen vor, die Entführungshandlungen auch ohne direkte Einwirkung auf das Bewußtsein des Piloten erlauben könnten, wie z. B. die Beeinflussung nautischer Instrumente oder die Veränderung eines Funkleitstrahls. Der Gesetzgeber läuft auf diese Weise nicht nur den bereits geschehenen Sachverhalten der Wirklichkeit hinterher, sondern versucht darüber hinaus, mögliche zukünftige kriminelle Entwicklungen in den Griff zu bekommen. Dieser Gesichtspunkt erscheint mir durchaus erwähnenswert.Der Innenausschuß, der mitberatend tätig war, hatte empfohlen, die Mindeststrafe auf die des alten § 316 a StGB, Angriff auf Kraftfahrzeuge, die dort fünf Jahre betrug, festzulegen. Der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform konnte dieser Empfehlung nur teilweise folgen. Im Regelfall beträgt nunmehr die Mindeststrafe tatsächlich fünf Jahre Freiheitsstrafe; jedoch hat der Sonderausschuß auch einen privilegierten minder schweren Fall vorgesehen, bei dem die Mindeststrafe ein Jahr Freiheitsstrafe betragen soll. Da der Tatbestand ziemlich weit gefaßt worden ist, würde auch schon das Blockieren der Startbahn durch einen Wagen, ohne daß das Flugzeug bereits angerollt zu sein braucht und ohne daß Menschen dadurch konkret gefährdet werden, „Einwirkung auf dessen Führung" bedeuten. Der Tatbestand wäre vollendet und die Mindeststrafe von fünf Jahren auch in diesem Fall schon verwirkt. Im Einzelfall könnten sowohl die Tatschuld als auch der persönliche Schuldvorwurf gering sein.Die Rechtsprechung neigt in solchen Fällen dazu, bei überhöhten Strafdrohungen die Tatbestandsmäßigkeit zu verneinen und so einen Ausweg zu suchen. In Rechtsprechung und Lehre hat genau an diesem Punkt die Kritik an der Strafdrohung des alten § 316 a angesetzt. Der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform hat es deswegen vorgezogen, den § 316 a entsprechend zu ändern. Er verschafft der Rechtsprechung dadurch die Möglichkeit, die beiden Tatbestände bei erfülltem Tatbestand in vollem Umfang anzuwenden, ohne gegen das Schuldprinzip zu verstoßen.Es ist überdies, entgegen einer weit verbreiteten Volksmeinung, eine gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis, daß hohe Strafdrohungen nicht die Abschreckungswirkungen hervorbringen, die von ihnen erhofft werden. Der therapeutische Gehalt des Strafvollzuges hat einen wesentlich stärkeren Effekt als der bloße Dressurversuch. Daß auf diesem Gebiet noch unendlich viel zu tun bleibt, sei hier nur am Rande vermerkt.Von großer Bedeutung ist der § 316 c Abs. 4, der dem Täter eine goldene Brücke baut. Der Sonderausschuß ist der Auffassung, daß die Rettung von Menschenleben, die durch Abs. 4 ermöglicht wird, im Einzelfall wichtiger sein muß als der Strafanspruch des Staates. Im übrigen entspricht dies den allgemeinen Vorschriften über die tätige Reue.Wir legen auf Seite 5 der Vorlage zugleich einen Entschließungsantrag vor, der vom Innenausschuß formuliert worden ist, und bitten das Hohe Haus, auch diesem Entschließungsantrag zuzustimmen.
— Es ist eben das Schlimme, Herr Kollege, daß das Hohe Haus bei solch wichtigen Gesetzesvorlagen so schwach vertreten ist.
Dieses Gesetz entspricht ein wenig dem deutschen Hang nach Perfektion. Aber das ist wohl der geringste Vorwurf, den man ihm machen kann.Lassen Sie mich noch der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen für ihre Anregung im Bundesrat und allen denjenigen danken, die in sachlicher Weise an der Beratung dieses Gesetzes mitgewirkt haben.Wir stimmen dem Gesetz zu.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen! Gestern wurde Kritik daran geübt, daß alles immer schon zwischen den beiden Koalitionsfraktionen vorher abgesprochen und in den Ausschüssen praktisch nicht mehr echt beraten werde. Ich glaube, Sie haben heute — wenn auch nur noch wenige da sind — bei der Beratung des 11. und des 13. Strafrechtsänderungsgesetzes einen anderen Eindruck. Für den Sonderausschuß möchte ich hier ausdrücklich betonen, daß bei uns echte Diskus-
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Frau Dr. Diemer-Nicolaussionen stattfinden und, wenn man zur Übereinstimmung kommt, auch übereinstimmend abgestimmt wird. Es gibt hier also keine Vorabentscheidung, sondern eine echte Beratung im Ausschuß, so wie das eigentlich selbstverständlich ist.Die beiden Gesetzesvorlagen, die jetzt zur Verabschiedung anstehen, haben im Sonderausschuß die einmütige Zustimmung aller drei Fraktionen gefunden.Es handelt sich hierbei — ich möchte jetzt nur zum Elften Strafrechtsänderungsgesetz sprechen — um die Auseinandersetzung mit einer modernen Form des Verbrechens. Im Zusammenhang mit der Reform des Strafrechts müssen wir über ganz andere Sachverhalte entscheiden, als zu der Zeit, zu der das Strafgesetzbuch geschaffen wurde.
Diese Formen wirken sich heute in viel gemeingefährlicherer Weise aus, als das früher der Fall war. Es handelt sich um Formen einer Kriminalität, die auch gegenüber solchen Menschen, die in überhaupt keinem Zusammenhang mit dem, was die Betreffenden wollen, stehen, rücksichtslos und gewissenlos ist. Denken Sie an die Luftpiraterie, wo unschuldige Menschen hoch oben in der Luft in einen höchst gefährlichen Zustand gebracht — wir haben doch die Fälle erlebt — oder in der Wüste ausgesetzt werden. Auf diese Art und Weise sollen — was früher nicht der Fall war — auch Behörden zu Unterlassungen gezwungen werden. Und was blieb denn, wenn ich an diese spektakulären Entführungen in die Wüste denke, anderes übrig, als daß man, weil es darum ging, das Leben und die Gesundheit der dort genommenen Geiseln, der Entführten, zu wahren, darauf verzichtet hat — das war in London, in München und in der Schweiz der Fall —, solche Personen zu verfolgen, die vorher auf unserem Gebiet bzw. in der Schweiz oder in London — auch wieder im Zusammenhang mit beabsichtigten Flugzeugentführungen — schwerste Verbrechen begangen hatten?Diese Fälle zeigen die Relativität unseres Vorgehens; sie zeigen, daß wir diese Gesetze brauchen. Sie zeigen weiterhin, daß aber die Möglichkeit, auch die Strafbestimmungen zu realisieren, nicht immer unbedingt vorhanden ist, obwohl man — und das ist das Gravierende dabei — gerade bei diesen Straftaten zu dem Weltrechtsprinzip übergegangen ist. Die Interparlamentarische Union hatte sich zuerst mit diesem, wie es damals hieß, „hi-jacking" befaßt und Beschlüsse gefaßt, daß gegen diese Luftpiraterie vorgegangen werden müsse. Im Haager Abkommen wurden die Konsequenzen daraus gezogen.Ich bin froh, daß der Bundestag heute in zweiter und dritter Lesung — und das wohl einmütig — dieses so wichtige Gesetz verabschiedet. Ich hoffe, es trägt dazu bei, daß derartige schwere Verbrechen weniger begangen werden und daß außerdem diejenigen, die solche Verbrechen begehen, auch der gerechten Bestrafung zugeführt werden können.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung in dritter Beratung, die wir mit dem Computer durchführen. Ich bitte Sie., die Identitätsnummer einzustellen. — Haben Sie alle eingeschaltet? — Dann bitte ich, eine der Tasten — Ja, Nein, Enthaltung — zu drücken und dabei auch den zweiten Knopf mit zu betätigen. - Da haben wir ja schon einiges. Aber jetzt stimmt am Pult 03 34 die Prüfnummer nicht; da ist etwas noch nicht in Ordnung.
— Es ist vom Ältestenrat vorgesehen!
Es ist kein Fehler mehr vorhanden.
Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 11 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Strafrechtsänderungsgesetzes
— Drucksache VI/2139 —
Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform
— Drucksache VI/2722 —
Berichterstatter: Abgeordneter Schlee
Abgeordneter Dr. de With
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort?
— Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Beratung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung in der zweiten Lesung. Wer Art. 1 bis 4 sowie Einleitung und Überschrift zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Lesung.
Das Wort hat der Abgeordnete Schlee. — Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe für die Fraktion der CDU/CSU zur Verabschiedung des Dreizehnten Strafrechtsänderungsgesetzes folgende Erklärung abzugeben.
Solange uns zur Bekämpfung der Kriminalität keine besseren Methoden und Mittel zur Verfügung stehen, bleibt es der Zweck des Strafrechts, kriminelle Angriffe gegen die Rechtsgüter und die Ordnung der Gesellschaft und nicht zuletzt kriminelle Angriffe gegen die Rechtsgüter des einzelnen mit den Waffen der Strafdrohung und der Strafvollstrek-
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Schlee
kung abzuwehren. Rechtsstaatliches Strafrecht ist allerdings immer an die Beachtung der gesetzlichen Tatbestände und der gesetzlich bestimmten Strafrahmen gebunden. Darum ist es notwendigerweise lückenhaft und vor neuen Erscheinungen der sich wandelnden Kriminalität manchmal unsicher und unbefriedigend. Das Strafrecht kann daher keine statische und auf lange Zeit in sich abgeschlossene Rechtsmaterie sein.
Wie der Gesetzgeber einerseits bereit ist, Tatbestände zu eliminieren, deren Strafwürdigkeit nicht mehr anerkannt wird, so darf er andererseits nicht zögern, neuen Formen der Kriminalität nötigenfalls mit neuen, die Typen neuer krimineller Aktivität präzise erfassenden Tatbeständen zu begegnen, damit die Strafgewalt darunter leidet, daß die Gerichte nur mit mehr oder weniger großer Strapazierung des gegebenen Vorrats an Tatbeständen zu einem Schuldspruch und nur mit Mühe oder gar nicht zu einer tatgerechten Strafe kommen.
Dabei darf ich für meine Fraktion wohl sagen: Wir sind keineswegs für ein allgemein strenges Strafrecht, aber wir meinen auch, daß der Gesetzgeber die Gerichte in den Stand setzen muß, auf schwere Kriminalität mit strengen Strafen zu antworten.
Leben, persönliche Freiheit und Freiheit der Willensbildung gehören in unserer Rechtsordnung zu den ersten Rechtsgütern des einzelnen. Wer sich an der Freiheit eines Menschen vergreift oder gar androht, daß er sich an Leben oder Körper eines Menschen, dessen er sich bemächtigt hat, vergreifen werde, um so andere unter dem Zwang der Sorge um diesen Menschen zu Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen zu nötigen, bedient sich besonders verwerflicher Mittel der Nötigung. Die gegebenen Tatbestände der Nötigung, die Tatbestände der Erpressung und der Freiheitsberaubung sowie des erpresserischen Kindesraubes in der geltenden Fassung ergeben keine Adäquanz mehr zur Verwerflichkeit dieser Mittel und lassen oft dem Schutz nicht gerecht werden, den jeder für sich und seine Angehörigen verlangen kann.
Angesichts solcher Taten, wie sie in jüngerer Zeit in München und an anderen Orten der Bundesrepublik und auch außerhalb der Bundesrepublik in beunruhigender Häufung begangen wurden, kann der Gesetzgeber daher nicht untätig bleiben. Er darf nicht erwarten, daß es sich hier um kriminelle Erscheinungen handelt, die auch ohne verschärfte Reaktion der Strafgewalt wieder aus der Mode kämen.
Mit dem Dreizehnten Strafrechtsänderungsgesetz sollen daher an Stelle des erpresserischen Kindesraubes ein Tatbestand des erpresserischen Menschenraubes mit verschärften Strafdrohungen und zudem ein Tatbestand der Geiselnahme mit gleichen Strafdrohungen in das Strafrecht aufgenommen werden.
Freilich haben aus dem Entwurf des Bundesrates, aus den späteren Initiativen der Herren Justizminister von Bayern und Nordrhein-Westfalen und aus den Beratungen des Ausschusses nicht alle Anregungen Eingang in diese Tatbestände gefunden. Wer sich z. B. eines Menschen, insbesondere eines Kindes, bemächtigt, begibt sich damit in eine im höchsten Maße rechtswidrige und für den Gefangenen gefährliche Situation. Es wäre daher wohl zu vertreten, daß er nicht erst bei leichtfertiger, sondern schon bei fahrlässiger Verursachung des Todes seines Opfers eine mindestens zehnjährige oder die lebenslange Freiheitsstrafe zu gewärtigen hätte.
Dennoch wird meine Fraktion dadurch nicht veranlaßt, dem Gesetzentwurf ihre Zustimmung zu verweigern, denn es behalten für eine solche Tat nach deren konkretem Verlauf auch die Tatbestände des Mordes, des Totschlags, der Aussetzung, der fahrlässigen Tötung und der Körperverletzung ihre zusätzliche Geltung und Anwendbarkeit. Es ist allerdings selbstverständlich, daß das Strafrecht dem reuigen Täter auch hier eine goldene Brücke baut und ihm eine fühlbare Milderung der Strafe in Aussicht stellt, wenn er sein Opfer in dessen Lebenskreis zurückgelangen läßt.
Am Schluß dieser Erklärung danke ich als Berichterstatter für diesen Gesetzentwurf den Herren des Bundesministeriums der Justiz für ihre Mitarbeit. Meine Fraktion, die CDU/CSU-Fraktion, wird diesem Gesetz ihre Zustimmung geben.
Das Wort hat der Abgeordnete de With.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gebe folgende Erklärung ab. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat die Initiative des Bundesrats zur Änderung der alten Strafvorschrift des gewinnsüchtigen Kindesraubes von Anfang an begrüßt. Wir stimmen der jetzt vorliegenden Fassung nach dem Bericht des Strafrechtssonderausschusses mit der Aufteilung in zwei getrennte Straftatbestände, den erpresserischen Menschenraub und die Geiselnahme, deshalb auch uneingeschränkt zu.Die neue Vorschrift des § 239 a StGB — erpresserischer Menschenraub — will im Gegensatz zum geltenden Recht nicht nicht nur das fremde Kind, sondern auch das eigene und dazu den Erwachsenen, also jeden Menschen davor schützen, als Geisel mit dem Ziel benutzt zu werden, unter Ausnutzung der Sorge eines anderen Geldleistungen zu erpressen. Darüber hinaus erfaßt die neue Vorschrift des erpresserischen Menschenraubes entgegen der alten und auch entgegen dem Vorschlag des Bundesrates auch den Fall, daß jemand Gewalt über eine Person erlangt, die noch keinen Freiheitswillen hat und sich auch nicht selbständig fortbewegen kann. Das heißt, auch wer sich eines Säuglings dadurch bemächtigt, daß er einfach das Säuglingszimmer „besetzt" und mit dieser Geisel als Drohung Geld zu erpressen versucht, fällt nunmehr unter die verschärfte Strafvorschrift des § 239 a StGB.Nachdem die Vergangenheit gelehrt hat, daß die Geiselnahme keineswegs nur zur Erpressung verwandt, sondern auch dazu benutzt wird, von Dritten Handlungen oder Unterlassungen zu fordern, hat sich der Strafrechtssonderausschuß — einer Anre-
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Dr. de Withgung der Bundesregierung folgend — entschlossen, für schwere Fälle einen eigenen Straftatbestand, den des § 239 b StGB, mit der Strafdrohung zu schaffen, die auch für den erpresserischen Menschenraub vorgeschlagen wird. Denn die Stärke der Gefährdung des geschützten Rechtsgutes ist in beiden Fällen gleich. Beide Strafbestimmungen gehen deshalb von einem Strafrahmen von drei bis 15 Jahren Freiheitsstrafe aus.Um den spezifischen Gefährdungen, denen die Geiseln ausgesetzt sind, sachgerecht entsprechen zu können, hat der Strafrechtssonderausschuß einerseits im Falle der leichtfertigen Verursachung des Todes der Geisel als Strafe lebenslange oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren festgesetzt, aber andererseits auch bestimmt, daß Strafmilderung erfolgen kann, falls der Täter das Opfer unter Herausgabe der an ihn erbrachten Leistung in seinen Lebenskreis zurückgelangen läßt. Damit soll einmal abgeschreckt, auf der anderen Seite aber auch nach der Tat ein Anreiz zur Wiedergutmachung gegeben werden.Mit der Verabschiedung dieser neuen Bestimmungen wird dreierlei erreicht.Einmal wird den Strafverfolgungsbehörden eine spezifische und wirksame Waffe — jedenfalls vom Strafrecht her — zur Bekämpfung einer in letzter Zeit mehr und mehr auftretenden, außerordentlich gefährlichen kriminellen Abart der Nötigung und der Erpressung in Verbindung mit der Geiselnahme in die Hand gegeben.Zum anderen hat der Bundestag gezeigt, daß er willens ist, gefährlichen kriminellen Entwicklungen rasch zu begegnen.Letztlich bringt der Gesetzgeber durch das Dreizehnte Strafrechtsänderungsgesetz zum Ausdruck, welchen Rang er dem Schutz der körperlichen Integrität und dem Schutz der ungehinderten Dispositionsfähigkeit beimißt.Vorliegende Gesetzesmaßnahmen — damit komme ich zum Schluß — firmieren unter der Überschrift „Dreizehntes Strafrechtsänderungsgesetz". Sie fügen sich gleichwohl harmonisch in das Reformvorhaben dieser Bundesregierung ein, denn die Reform des Strafrechts erschöpft sich nicht darin, Straftatbestände zu streichen oder Strafrahmen herabzusetzen. Strafrechtsreform bedeutet vielmehr Anpassung der Straftatbestände an die Erfordernisse unserer Zeit. Das führt dazu, daß obsolete Straftatbestände gestrichen und manche Strafrahmen gemildert werden, genausogut aber auch dazu, daß neue Straftatbestände geschaffen und bisherige Strafrahmen erhöht werden.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf Grund dessen, was meine Vorredner gesagt haben, brauche ich keine langen Ausführungen mehr zu machen. Ich habe vorhin bereits betont, daß es sich urn zwei Gesetzesänderungen handelt, die im Grundsatz die einmütige Zustimmung aller drei Fraktionen gefunden haben. Wir Freien Demokraten stimmen auch diesem Dreizehnten Strafrechtsänderungsgesetz in vollem Umfang zu.
Den juristischen Ausführungen von Herrn Kollegen de With kann ich in vollem Umfang zustimmen. Was die Ausführungen meines verehrten Kollegen Schlee zu der Frage angeht, wann eine lebenslängliche Freiheitsstrafe angedroht werden soll, ob schon bei fahrlässiger Verursachung des Todes oder erst bei einer leichtfertigen, habe ich natürlich eine andere Auffassung. Die Fälle, daß für eine fahrlässige Verursachung des Todes lebenslängliche Freiheitsstrafe angedroht wird, gibt es sonst nicht. Es zeigt sich hier, daß wir unsere gesamten Strafrahmen im Zusammenhang mit der Gesamtreform des Besonderen Teils des Strafrechts noch harmonisieren müssen, eine Aufgabe, die uns im Sonderausschuß noch bevorsteht.
Auf alle Fälle wird hier wieder ganz klargestellt — und das hat Herr Kollege de With gerade in seinen drei Punkten zum Schluß sehr gut herausgestellt —, was wir wollen. Wir wollen modernen Formen einer ganz üblen Kriminalität mit wirksamen Mitteln, auch mit wirksamen Strafgesetzen, begegnen. Wir wollen damit dazu beitragen, daß bei uns die persönliche Freiheit, das Leben und die Gesundheit besser geschützt werden, auch strafrechtlich, als es bei diesen modernen Formen der Kriminalität bisher der Fall war. Eine Geiselnahme z. B. hätte zwar schon nach den bisherigen Bestimmungen bestraft werden können und, wenn man den Strafrahmen ausgenutzt hätte, auch entsprechend hoch bestraft werden können. Aber es ist besser, daß in einem Sondergesetz sowohl die Geiselnahme als auch der erpresserische Menschenraub behandelt werden.
Ich begrüße es vor allen Dingen, daß man im Interesse der Geiseln dazu übergegangen ist, denen eine goldene Brücke zu bauen, die das Kind, die Geisel zurückgeben und auf die Durchführung ihres Vorhabens verzichten wollen. Am schönsten wäre es natürlich, wenn wir ein derartiges Gesetz überhaupt nicht anwenden müßten, weil keine solchen Straftaten begangen würden.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung. Bei der dritten Lesung wollen wir noch einmal den Computer benutzen. Bitte die Identitätsnummer einstellen! — Keine Fehler gemeldet. Dann bitte ich abzustimmen, ja, nein oder Enthaltungen, und auf den Seitenknopf zu drücken. — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Wir kommen nun zur Abstimmung über Punkt 2 des Ausschußantrags, die Petitionen für erledigt zu erklären. Wer zustimmen will, den bitte ich um Glas Handzeichen. — Keine Gegenstimmen und Enthaltungen.
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Vizepräsident Frau FunckeIch muß noch auf den Tagesordnungspunkt 10 zurückkommen. Hier gab es einen Entschließungsantrag. Ich bitte diejenigen, die ihm zustimmen wollen, um das Handzeichen. — Gegenprobe! —Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Wir kommen nunmehr zu Punkt 12 der Tagesordnung:a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines . . . Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
— Drucksache VI/2653 —Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Waffengesetzes
— Drucksache VI/2638 —Wird das Wort zur Begründung oder zur Aussprache begehrt? — Das ist nicht der Fall.Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung der Grundgesetzänderung an den Rechtsausschuß als federführenden Ausschuß und zur Mitberatung an den Innenausschuß und an den Ausschuß für Wirtschaft. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.Der Entwurf des Waffengesetzes soll an den Innenausschuß als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Wirtschaft zur Mitberatung überwiesen werden. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes— Drucksache VI/2684 —Wird das Wort zur Begründung und zur Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen — federführend — und an den Ausschuß für Wirtschaft zur Mitberatung. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.Ich rufe jetzt zunächst Punkt 22 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Schröder , Frau Dr. Wolf, Mattick, Dr. Meinecke (Hamburg), Borm, Freiherr von Kühlmann-Stumm und Genossen betr. Situation der ostpakistanischen Flüchtlinge— Drucksache VI/2325 —Bitte schön, Frau Abgeordnete Dr. Wolf, Sie haben das Wort zu Begründung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe den Auftrag, diesen Antrag im Namen der Kollegen aller Fraktionen kurz zu begründen.
Sie werden sich erinnern, daß wir bereits vor der Sommerpause gemeinsam eine Entschließung gefaßt haben, mit der wir die Bundesregierung und die Öffentlichkeit gebeten haben, mehr als bisher für die Flüchtlinge, die aus Ostpakistan nach Indien gekommen sind, und zur Verbesserung der Verhältnisse in Ostpakistan zu tun. Diesem damaligen Beschluß ist zu unserer Freude gefolgt worden. Sowohl die Bundesregierung wie die deutsche Öffentlichkeit haben wesentliche Leistungen erbracht. Dennoch müssen wir heute leider feststellen, daß die humanitäre Hilfe, so groß sie sein mag, nicht ausreichen wird, dieses Problem zu lösen. Es ist notwendig, eine politische Lösung zu finden, um die Not der Menschen, die sich zur Zeit in einem unvorstellbaren Zustand befinden, zu beseitigen oder vielleicht zunächst auch nur zu vermindern.
Wir haben gerade in den letzten Tagen in den Zeitungen wieder darüber gelesen. Wir kennen die Gefahren, denen die Kinder ausgesetzt sind. Wir werden damit rechnen müssen, daß im Laufe dieses Winters viele Menschen sterben, wenn wir nicht gemeinsam zu Lösungen kommen. Darüber hinaus haben wir, glaube ich, mit Schrecken feststellen müssen, daß die Gefahren für den Frieden in diesem Gebiet ständig größer werden.
Die deutsche Bevölkerung, wir alle fühlen uns dem indischen und dem pakistanischen Volk freundschaftlich verbunden und aus diesem Grunde verpflichtet, auch unseren Beitrag dafür zu leisten, daß eine solche politische Lösung so schnell wie möglich herbeigeführt wird.
Daher haben wir uns entschlossen, die Bundesregierung zu bitten, bei den uns befreundeten Regierungen vorstellig zu werden, damit diese ihren Einfluß in der UNO in Richtung auf eine gemeinsame I Lösung geltend machen. Es genügt nicht, daß der Hohe Kommissar für Flüchtlinge in beiden Gebieten, in dem indischen und dem ostpakistanischen Gebiet erfolgreich tätig ist, sondern hier muß mehr geschehen.
Wir bitten die Bundesregierung, auch in den Organisationen, deren Mitglied wir sind, selbst tätig zu werden und eine bessere Koordinierung humanitärer Maßnahmen aller Art herbeizuführen, um die Hilfe so schnell wie möglich sichtbar zu machen.
Die letzte Bitte geht dahin, die eigenen Mittel aufzustocken. In den gestrigen Beratungen des Unterausschusses für humanitäre Hilfe wurde deutlich, daß solch eine Aufstockung von der Regierung bereits in Aussicht genommen worden ist. Wir begrüßen dies sehr und hoffen, daß wir damit dem Beispiel der britischen Regierung folgen können, die gestern beschlossen hat, einen Betrag von 7,6 Millionen Pfund Sterling zur Verfügung zu stellen, um diese Not zu beseitigen.
Ich bitte Sie, dem Antrag zuzustimmen.
Sie haben die Begründung gehört. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
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Vizepräsident Frau FunckeWir kommen zur Abstimmung. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.Wir kommen zu Punkt 15 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Arbeitsförderungsgesetzes— Drucksache VI/2689 —Wird das Wort zur Begründung begehrt? — Das ist nicht der Fall. Zur Aussprache? — Das ist auch nicht der Fall.Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung als federführenden Ausschuß, an den Ausschuß für Wirtschaft als mitberatenden Ausschuß und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — So beschlossen.Ich rufe Punkt 16 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Durchführung einer Repräsentativstatistik auf dem Gebiete des Wohnungswesens und des Städtebaus
— Drucksache VI/2543 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der GeschäftsordnungDrucksache VI/2750 — Berichterstatter: Abgeordneter Picardb) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Städtebau und Wohnungswesen
— Drucksache VI/2719 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Gatzen
Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich komme zur Abstimmung in zweiter Beratung. Wer den einzelnen Paragraphen, der Einleitung und der Überschrift zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Wir kommen zurdritten BeratungWird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.Wer in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, wieder mit dem Computer abzustimmen. — Einstimmige Annahme.Ich rufe die Punkte 17 bis 20 auf:
zur Unterrichtung vorgelegten Entwurf der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Verordnung des Rates zur Durchführung einer Erhebung über Struktur und Verteilung von Löhnen und Gehältern in der Industrie— Drucksachen VI/2529, VI/2685 — Berichterstatter: Abgeordneter KohlbergerBeratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Entwurf der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Verordnung des Rates über die Durchführung einer Lohnerhebung in der Industrie— Drucksachen VI/2531, VI/2686 —Berichterstatter: Abgeordneter MaucherBeratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Entwurf der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Verordnung des Rates über die Beihilfearten, zu denen der Europäische Sozialfonds einen Zuschuß gewähren kann— Drucksachen VI/2320, VI/2687 — Berichterstatter: Abgeordneter FolgerBeratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Entwurf der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Richtlinie des Rates zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs— Drucksachen VI/2481, VI/2690 — Berichterstatter: Abgeordneter Müller
Wünscht jemand das Wort? — Das ist nicht der Fall.Das Haus ist einverstanden, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe den Punkt 21 auf:Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eineVerordnung des Rates zur Regelung gesundheitlicher Fragen beim innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit Fleischerzeugnissen
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Vizepräsident Frau FunckeVerordnung des Rates zur Regelung viehseuchenrechtlicher Fragen beim innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit Fleischerzeugnissen— Drucksachen VI/2092, VI/2714 -Berichterstatter: Abgeordneter Dr. HammansHierzu wünscht der Herr Berichterstatter das Wort. Bitte schön, Herr Kollege Hammans!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte dem Ihnen vorliegenden Bericht noch zwei Bemerkungen hinzufügen. Bei der Harmonisierung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft haben wir immer wieder Probleme. In diesem Fall besteht das Problem darin, daß die deutschen Regelungen gerade für den Handelsverkehr mit Fleischerzeugnissen strenger sind als die unserer europäischen Nachbarn. Mit anderen Worten: es gibt eine Wettbewerbsverzerrung zuungunsten der deutschen Landwirtschaft. Diese Nachteile dürfen auf dem Verordnungsweg nicht in der Weise aufgehoben werden, daß man unser Gesetz verwässert, sondern es gilt, das qualitativ hohe deutsche Gesetzesniveau im Bereich der Landwirtschaft und auch der Hygiene auf die anderen EWG-Staaten zu übertragen. Man muß darauf achten, daß unsere Behörden an den Grenzen unsere Gott sei Dank so strengen Maßstäbe an alle Importe anlegen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! Enthaltungen? Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 23 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Strauß, Lemmrich, Dr. Probst, Dr. Althammer, Dr. Müller-Hermann, Dr. Pohle, Gerlach , Niegel, Schedl, Mursch (Soltau-Harburg) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Fortführung der Entwicklungsarbeiten für ein landgebundenes Hochleistungsschnellverkehrssystem
— Drucksache VI/2494 —
Wünscht jemand das Wort? Das ist nicht der
Fall.
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen als federführenden Ausschuß und an den Haushaltsausschuß. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Der Punkt 13 der Tagesordnung ist nach interfraktioneller Vereinbarung abgesetzt. Damit haben wir also die Tagesordnung mit Ausnahme der Fragestunde erledigt.
Ich rufe nunmehr auf:
Fragestunde
— Drucksache VI/2720 —
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Moersch anwesend.
Die Frage 87 des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 88 des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl ist vom Fragesteller zurückgezogen, ebenfalls die Frage 89 des Herrn Abgeordneten Schedl.
Ich rufe die Frage 90 des Herrn Abgeordneten Baier auf:
Liegt inzwischen die Gesamtdokumentation Ober das Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen der Bundesregierung vor, und hat die Bundesregierung inzwischen, wie der seinerzeitige Bundesaußenminister Brandt in Aussicht stellte, die Frage der Veröffentlichung der Gesamtdokumentation geprüft?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Von der Dokumentation, die 23 Bände umfassen soll, liegen inzwischen 14 Bände im Druck vor. Die Frage der Veröffentlichung der Gesamtdokumentation wird nach dein Vorliegen aller Bände, wie vorgesehen, geprüft.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Baier.
Herr Staatssekretär, hat die erfolgte Publikation der beiden Bände über die Kriegsgefangenenschicksale in Jugoslawien zu einer ernsthaften Beeinträchtigung der deutsch-jugoslawischen Beziehungen geführt?
Herr Abgeordneter, ich bedaure. Diese Zusatzfrage bezieht sich nicht auf die Frage, die Sie gestellt haben. Das müßte ich im einzelnen nachprüfen lassen.
Wünschen Sie noch eine Frage?
Herr Staatssekretär, es geht nicht um die Frage, inwieweit es sich darauf bezieht, sondern um die Veröffentlichung der Dokumentation. Deshalb möchte ich doch eine zweite Frage an Sie richten, auch wenn die gesamte Dokumentation noch nicht abgeschlossen ist, wie ich erstaunlicherweise jetzt höre. Teilen Sie die Auffassung, daß eine objektive wissenschaftliche Darstellung gerade der die Beziehungen belastenden Vorgänge aus der Vergangenheit einen wichtigen Beitrag zur Aussöhnung der Völker sein könnte?
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Herr Abgeordneter, diese Frage ist, abstrakt gesehen, sicher immer zu bejahen. Aber der Tatbestand, um den es sich hier handelt, ist offensichtlich sehr komplexer Natur. Das schließe ich daraus, daß mehrere Vorgänger-Regierungen und die dort verantwortlichen Minister des Innern und des Auswärtigen keinen anderen Standpunkt eingenommen haben als die heutige Bundesregierung, der heutige Außenminister, das heutige Auswärtige Amt und der heutige Innenminister, so daß also ganz offensichtlich in dieser Frage immer Übereinstimmung bestanden hat.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Niegel.
Herr Staatssekretär, wieviel Bände sind bereits fertiggestellt? Wurden Manuskripte für die übrigen Bände, die offensichtlich noch nicht fertig sind, durch irgendeine Verfügung der Bundesregierung zum Druck zurückgehalten?
Ich habe die Zahl soeben genannt, Herr Abgeordneter. Ich habe meine Antwort dazu schon gegeben. In diesem Jahr werden noch zwei weitere Bände gedruckt, und drei weitere werden in diesem Jahr noch für den Druck fertiggestellt werden.
Keine Zusatzfrage? Ich rufe die Frage 91 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Welche Kosten sind im einzelnen für die Herstellung der Dokumentation über das Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen des zweiten Weltkrieges entstanden, welche für die Entschädigung des Verlags, weil die Bundesregierung die Bände nach wie vor unter Verschluß hält, und unter welchen politischen Kriterien ist die Bundesregierung bereit, die Dokumentation der Öffentlichkeit freizugeben?
Dem Bundesministerium des Innern, Abteilung „Angelegenheiten der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten", stehen 3,5 Millionen DM für die wissenschaftliche Kommission zur Herstellung der Dokumentation zur Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen des zweiten Weltkriegs zur Verfügung. Hiervon sind bis 1970 3,24 Millionen DM verbraucht worden. Für 1971 und 1972 werden je 150 000 DM benötigt. Wegen der Erhöhung der Gehälter könnte eine geringe Nachforderung möglich sein.
Zu diesen Kosten sind die üblichen Druckkosten, die nach dem Umfang eines jeden Bandes verschieden sind, hinzuzurechnen. Kosten für eine Entschädigung des Verlages, weil die Bände vorläufig noch unter Verschluß liegen, sind nicht entstanden. Die Bundesregierung wird die Dokumentation der Öffentlichkeit freigeben, wenn nach Abschluß der Dokumentation eine Überprüfung zu dem Ergebnis führt, daß gegen eine uneingeschränkte Freigabe keine Bedenken bestehen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, meine Frage lautete, welche politischen Kriterien bei der Prüfung erfüllt sein müssen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie nicht immer von Prüfung sprächen, sondern auch mitteilten, welche Maßstäbe angewendet werden, damit diese Dokumentation freigegeben werden kann.
Herr Abgeordneter, ich darf Sie darauf verweisen, daß Sie diese Frage schon einmal gestellt hatten und daß ich eine schriftliche Antwort gegeben habe, in der das genau dargestellt ist. Sie ist im Protokoll der 139. Sitzung des Bundestages vom 1. Oktober 1971 abgedruckt. Ich möchte es aber noch einmal zusammenfassen, weil es dieses Haus schon viele Jahre beschäftigt. Das Kriterium, das eine Bundesregierung bei der Entscheidung über solche Fragen leitet, ist das Interesse der Bundesrepublik Deutschland.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben in der angezogenen schriftlichen Antwort auch auf die Antwort des seinerzeitigen Bundesaußenministers Brandt hingewiesen. Er sprach davon — gestatten Sie, daß ich das zitiere, weil es Gegenstand meiner Frage ist —, daß das Ausland provoziert werden könnte. Welches Ausland könnte provoziert werden, da bereits feststeht, daß ein Teil der westlichen Gewahrsamsmächte für diese Kriegsdokumentation selbst Material zur Verfügung gestellt hat?
Herr Abgeordneter, wenn Sie zitieren, müßten Sie natürlich exakt zitieren. Darf ich Ihnen vorlesen, was Außenminister Brandt damals wirklich gesagt hat.
— Sie haben ein Zitat gebracht, das nicht ganz dem Inhalt entspricht, den ich damals als Zitat der Antwort von Außenminister Brandt gebracht habe. Es ist hier gesagt worden, daß für die restlichen Bände das Auswärtige Amt zu dem Ergebnis gekommen sei — das war noch in der Großen Koalition, diese Antwort, und sie war mit dem Bundeskanzleramt abgestimmt —,daß es einstweilen besser sei, über die ursprüngliche Zweckbestimmung nicht hinauszugehen. Dies sollte von vornherein das Mißverständnis ausschließen, mit einer massierten Publizierung des Materials werde eine politische Absicht verfolgt und eine Diskussion in der Öffentlichkeit des Inlands oder gar des Auslands provoziert.Das war das, was damals gesagt worden ist. Dies hätte bei allen Beteiligten, so hieß es weiter, oder bei vielen Beteiligten alte Wunden aufreißen können und wäre der auf Versöhnung gerichteten Au-
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Parlamentarischer Staatssekretär Moerschßenpolitik der Bundesregierung nicht dienlich gewesen. — Das ist die Antwort gewesen, die in der Regierung der Großen Koalition dem Hause gegeben worden ist. Ich darf auf Grund des Studiums der Akten sagen, daß es exakt der Weisung entspricht, die der Amtsvorgänger des Herrn Bundesaußenministers Brandt damals gegeben hat. Es hat sich also in dieser Stellungnahme bei den verschiedenen Bundesregierungen nichts verändert. Ich darf mich nochmal auf das beziehen, was ich hier zur Sache selbst gesagt habe.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Niegel!
Und die Kriterien der Freigabe?
Die Kriterien der Freigabe, Herr Abgeordneter, sind die Interessen der Bundesrepublik Deutschland, und die Interessen der Bundesrepublik Deutschland sind es, zu einer Versöhnungspolitik in Europa zu kommen. Selbstverständlich wird man unter diesem Gesichtspunkt auch Publikationen werten müssen, die von der Bundesregierung herausgegeben worden sind. Ich möchte der Vermutung Ausdruck geben, daß eine Änderung einer wohlüberlegten Haltung früherer Bundesregierungen, für die andere berühmte Namen entscheidend waren, leicht zu Mißverständnissen führen könnte, die Sie möglicherweise bedauern würden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Baier.
Herr Staatssekretär, ich darf noch einmal auf meine Frage von vorhin zurückkommen, die doch in diesem Zusammenhang steht. Wenn Sie auf die Gefahren von Provokationen hinweisen, muß ich noch einmal fragen: wenn Sie sich mit dem Material befaßt haben, müssen Sie mir Auskunft geben können, ob die beiden erfolgten Publikationen der Bände über Kriegsgefangenenschicksale in Jugoslawien zu einer ernsthaften Beeinträchtigung des deutsch-jugoslawischen Verhältnisses geführt haben.
Herr Abgeordneter, ich habe mich mit dieser Frage Jugoslawien in der Tat nicht in allen Details befaßt. Das will ich hier ganz offen gestehen. Das müßte ich im einzelnen nachprüfen. Aber ich muß aus Kenntnis der Akten, die ich gesehen habe — Sie sind ja in dem Bereich schon sehr viel länger tätig als ich; Sie haben auch den Vorzug, sehr viel länger Abgeordneter zu sein und auch im Haushaltsausschuß an diesen Fragen mitzuwirken —, und aus der Tatsache, daß in den Regierungen Adenauer, Erhard und Kiesinger die Entscheidungen getroffen worden sind, die ich hier vortrage, sagen, daß ich Ihre Frage nicht so beantworten kann, wie Sie es möglicherweise gerne wünschen.
Darf ich Sie dann bitten, mir nach Prüfung die Antwort schriftlich nachzureichen?
Herr Abgeordneter, das ist selbstverständlich. Das habe ich Ihnen vorher schon angekündigt.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 92 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts beantwortet. Vielen Dank, Herr Staatssekretär Moersch.
Die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern — die Fragen 7 bis 12 — werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 44 bis 47, 50 und 52 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 48, 49 und 51 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde und der heutigen Tagesordnung. Ich berufe das Haus auf Mittwoch, den 3. November, 9.00 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.